366
K. Rhamm: Noch einmal der Ursprung der Slaven.
diesem und der Küste sitzenden Danakil sind der
abessinischen Herrschaft nie unterworfen gewesen. Über
den südlichsten Ausläufer dieses Volkes — das Sultanat
Haussa — beansprucht Menelik freilich die Oberhoheit.
Das italienische Gebiet reicht an der Küste des
Rothen Meeres bezw. des Golfs von Aden von Ras Kasar
bis zur Südgrenze des ehemaligen Sultanats Raheita.
Doch ist es bis heute nicht gelungen, die Grenze zwischen
diesem und der französischen Kolonie Obok vertraglich
festzulegen. Dort, an der Grenze Oboks, hat das eigent
liche Erythräa, das Land am Mare Erythräum, ein Ende;
man hat sich aber vielfach daran gewöhnt, unter dieser
Beziehung das ganze italienische Afrika zusammen
zufassen, wie denn auch die Ausgaben für die Benadir-
küste im Haushalt für Erythräa erscheinen.
Über das Hinterland der englischen Kolonie an der
Somaliküste hat sich Italien mit England durch den Ver
trag vom 5. Mai 1894 auseipandergesetzt. Die Benadir-
küste hat es durch Vertrag vom 12 . August 1892 vom
Sultan von Sansibar auf zunächst 25 Jahre ermietet.
Auch gegen die Somali- und Benadirküste (streng ge
nommen ist letztere ein Teil der ersteren) macht sich
die erstaunliche Expansionskraft des abessinischen
Reiches geltend. Seine Grenze soll nach Meneliks
neuestem und von Italien zugestandenem Verlangen auf
180 englische Meilen längs der Küste des Indischen
Oceans laufen und daher den Juba hart nördlich Bardera
treffen. Lugh, seit Dezember 1895 eine geographische
und händlerische Station Italiens, fällt also an Abessinien.
Indes soll der Ort vor Bedrängung durch die abessinischen
Horden bewahrt bleiben.
Den ersehnten Zugang zum Meere hat Abessinien
also bislang weder im Norden noch im Süden zu ge
winnen vermocht.
Noch einmal der Ursprung der Slaven.
(Entgegnung.)
Von K. Rhamm.
Meine Besprechung der Schrift von L. Niederle I
„0 Puvodu Slovanu“ (Globus, Bd. LXXI, S. 317 bis
319) bat zwei bezügliche Zuschriften an die Zeitschrift
zur Folge gehabt, von denen die eine dem Verfasser
(L. Niederle „Über den Ursprung der Slaven“) angehört,
die andere dem Freiherrn v. Hormuzaki („Zur Frage
über den Ursprung der Slaven“). Wenn ich dieselben
nicht unerwidert lassen möchte, so mufs ich betonen,
dafs ich ebenso hier wie bei meiner früheren Besprechung
nur auf die Hauptsachen eingehen kann. Was zunächst
den Beitrag des Herrn v. Hormuzaki betrifft, so steht
der Verf. im wesentlichen auf meiner Seite, indem er die
Möglichkeit einer Veränderung des Knochengerüstes in
einer so kurzen Zeit ablehnt, er unterscheidet sich je
doch von meiner Auffassung dadurch, dafs er die Er
klärung der von Herrn Niederle behaupteten Verände
rungen in der Erscheinung des Schädels im Verhältnis
der heutigen und der vorgeschichtlichen Bevölkerung
der alten Slavenheimat in einem von de Lapouge und
0. Ammon entwickelten Gesetze der „natürlichen Aus
lese“ („selection sociale“) sucht, das, wie er meint, mir
unbekannt geblieben sei. Dies ist jedoch nicht der
Fall, nur kann ich mich noch nicht von seiner Richtig
keit und, selbst diese in gewissen Grenzen angenommen,
davon überzeugen, dafs ihr eine so weittragende Bedeu
tung zuzuerkennen sei. Dafs die Deckschicht eines
kastenmäfsig abgeschlossenen Stammes sich im Laufe
der Zeit zu Gunsten der Grundbevölkerung mehr und
mehr verdünnen mufs, ist eine Thatsache von fast allge
meiner Gültigkeit, die niemand leugnen wird, der nur
einen Blick auf die Geschichte des Adels in Europa ge
worfen hat und insoweit habe ich nichts gegen das Ge
setz einzuwenden. Dafs aber dieser gewissermafsen
ethnologische Vorgang, nachdem eine vollständige Ver
schmelzung und Mischung beider Elemente eingetreten
ist, sich auch auf das anthropologische Gebiet übersetzen
sollte, ist ein Satz, von dessen Richtigkeit mich nur die
strengste, als alter Jurist möchte ich sagen, juristische
Beweisführung überzeugen könnte 1 ). Auf keinen Fall
*) Gegen eine derartige Erweiterung des Gesetzes habe
ich das äufserste Mifstrauen, schon deshalb, weil die Gefahr
nahejliegt', dafs man überall, wo man einen Vorgang auf
streng wissenschaftlichem Wege nicht erklären kann, das „Ge
setz“ aus der Tasche zieht und folgendes einfache Exempel
endlich könnte das bezügliche Gesetz für unsere Frage
in Anwendung kommen, da in den einfachen und unent
wickelten Verhältnissen des inneren Rufslands für das
Eingreifen eines derartigen Gesetzes für jene Zeiten
alle Voraussetzungen fehlen; vor allem die Unter
scheidung städtischer und ländlicher Bevölkerungen.
Dies hat Herr v. Hormuzaki, wie mir scheint, über
sehen 2 ).
macht: Die bezügliche Bevölkerung war ehedem langköpfig,
ist jetzt kurzköpfig; die Langköpfe waren selbstverständlich
Arier, folglich mufsten sie nach dem „Gesetz“ verschwinden.
Ein redendes Beispiel für die Gemeingefährlichkeit des „so
cialen Gesetzes“ zeigt uns ein in der Innsbrucker Festschrift
„Beiträge zur Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte in
Tirol“, Innsbruck 1894, veröffentlichter Briefwechsel zwischen
Ammon und dem Dr. Tappeiner über die Frage des Zusammen
hanges der heutigen — kurzköpfigen — Bätier mit den alten
— langköpfigen — Etruskern, in welchem letzterer, der einen
solchen Zusammenhang auf Grund jener anthropologischen
Verschiedenheiten leugnet, von Ammon auf sein „Gesetz“ und
die Möglichkeit einer im Laufe der Jahrhunderte erfolgten
inneren Umwandlung verwiesen wird. Dies Gesetz ist in der
That souverän! Die armen Schädelmesser! Sie haben nur
mehr die Wahl zwischen dem Schwerte Niederles und dem
Dolche Ammons! Und wie pafst denn zu dem „Gesetze“ die
Beobachtung, dafs in Welschtirol die Stadtbezirke von Trient,
Roveredo und Riva gerade die niedrigste Ziffer der Lichtheit
zeigen (Wiener Anthropologische Mitteilungen 1894, Sitzungs-
Bericht, S. 81), w T obei bemerkt wird, dafs ähnliche „rätsel
hafte“ Verhältnisse auch für die bayerischen und die Mehrzahl
der österreichischen Stadtbezirke aufgedeckt sind. Allerdings
hat ja Ammon auch für die badischen Städte nur ein Vor
wiegen dolichocephaler Neigungen feststellen können, nicht
aber eine gröfsere Lichtheit, aber es ist doch undenkbar,
dafs sich die zwei Kennzeichen des germanischen (und ari
schen ?) Typus in ihrem Zusammenhang mit der geistigen
Veranlagung gerade umgekehrt verhalten!
2 ) Das Buch von de Lapouge ist mir allerdings unbekannt.
Wenn ich jedoch das Ganze nach der von Herrn von Hormu
zaki mitgeteilten Probe beurteilen soll, so kann ich mir
keine grofse Erwartungen davon machen. Man höre! Nach
de Lapouge soll sich die Bevölkerung Frankreichs auf Grund
jenes Gesetzes in den letzten zwei Jahrhunderten dermafsen
verändert haben, dafs die heutigen französischen Kanadier,
deren Vorfahren vor jener Zeit ausgewandert sind, nicht
mehr mit den heutigen Franzosen sich vergleichen lassen,
sondern nur mit den Gräberfunden. Wenn eine solche Ver
schiedenheit sich nicht schon dadurch erklärt, dafs jene Aus
wanderer , wenn ich nicht irre, hauptsächlich aus der Nor
mandie (und Bretagne) hervorgegangen sind, so würde ich
doch eher meine Zuflucht in einer Abartung auf dem fremden
amerikanischen Boden nehmen, die eine — rein zufällige — An