Dr. A. Bielenstein: Das lettische Wohnhaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
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Globus LXXII. Nr. 24.
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Wieder andere Häuser aus dem 17. Jahrhundert
zeigen neben der Jahreszahl eine Hand, Rosen, eine
Maurerkelle, ein Schlots und öfter Schilfe.
Das interessanteste Haus aber ist das mit der Be
zeichnung ANNO 1657 und den mythologischen Figuren.
Da sieht man links Venus mit dem flammenden Herzen,
weiter Ceres mit Ährenbündel und Füllhorn, sodann
Bacchus auf dem Fafs, rechts endlich die Glücksgöttin,
Fortuna, in der Muschel auf einer Kugel. Diese letztere
Figur, die Glücksgöttin, ziert auch ein Haus in Leeu-
warden, welches danach genannt ist: IN DE FORTUYN.
Hiermit sind wir hei einer Gruppe alter Häuser
angelangt, welche nach dem im Schilde geführten Merk
mal auch die Benennung tragen. Da fallen uns auf:
DE BLAAUWE HAND 1797, darüber eine Hand; ein
Haus in Nimwegen, vielleicht eine alte Färberei. — ANNO
1675 IN DE SWARTE SWAEN, Haus in Leeuwarden. —
ANNO IN DE RODE LEEUU 1664, Haus in Harlingen.
IN DE GECROEDE
BOTTERTON
Die gekrönte Buttertonne! Ein Haus in Nimwegen.
Oft genügt die einfache Benennung nicht, sondern
es tritt Erweiterung durch den Reim ein, und zwar in
der stehenden Form:
DIT HVIS STAAT IN
GODTS HAENT
ANO 1521
HET IS IN DEN WIT
TEN ARENT GHENAEMT
Altes Haus in Nimwegen; der Adler ist nicht mehr
recht zu erkennen. Diese Art Reiminschrift trifft man
auch bei unseren alten Häusern vielfach an, so lese ich
in Magdeburg:
(Zweig mit 3 Äpfeln)
®tjj ¿paujj fiefjet in
©ottcg ijanbt 3 um
Äpfeln nnvtS genanbt
1627
Von dieser alten gemütlichen Sitte, die Häuser, nicht
allein die Gasthäuser, auf diese Weise, d. h. nach dem
Zeichen im Schilde, zu taufen, hat sich bis in unsere
Tage ein Rest erhalten, nämlich der Gebrauch, Gast
häusern und Apotheken Zeichen und danach Namen zu
gehen.
Das lettische Wohnhaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Von Dr. A. Bielenstein. Dohlen.
Vorbemerkung. Die nachfolgende Skizze ist ein
Bruchstück aus einem noch nicht vollendeten Werke,
welches in gewissen Grenzen eine Kulturgeschichte des let
tischen Volkes geben soll. Es will nach einer bestimmten
Seite hin die Lebensweise und Arbeit der Letten in der
ältesten historischen, ja auch in der vorhistorischen Zeit
auf hellen und sucht die Zeugnisse und Nachweise dafür
bei der Geringfügigkeit alter historischer Nachrichten
zum grofsen Teil in dem heutigen Leben und in der
noch herrschenden Sitte des hiesigen Volkes und findet
dergleichen noch in reichlichem Mafse. Es handelt sich
namentlich um die Benutzung des Holzes als eines
Stoffes, welcher leichter zugänglich, massenhafter vor
handen und leichter zu bearbeiten war, als Stein und
Metall, und daher uns in die allerältesten Zeiten führt.
Es soll ein Bild gegeben werden, wie der Lette von ur
alter 'Zeit her bis in die Gegenwart herein das Holz
seiner Wälder zu seinen Bauten, seinem Mobiliar, seinen
Hausgeräten, wie das Weib sie zur häuslichen Arbeit
braucht, zum Backen, Kochen und Brauen, zu den ver
schiedensten Behältnissen, zu den Spinn- und Webe
geräten, zu Ackerwerkzeugen und Dreschgeräten, zu
Wagen und Schlitten, zum Pferdeanspann und Reitgerät,
zu Böten und Flöfsen, zu Fischerei- und Jagd
gerät u. s. w. benutzt hat. Eine Darlegung dieser Art
wird selbstverständlich die Kulturzustände des Volkes,
wie sie einst gewesen und wie sie allmählich bis heute
sich gewandelt haben, vor die Augen stellen.
Der Leser wird gebeten, das Nachfolgende nur als
Bruchstück anzusehen; es ist eben nur ein Teil aus der
Untersuchung, wie das lettische Haus beschaffen ist oder
war. In diesem Bruchstück ist eben nichts gesagt über
die Zusammenfügung von Balken zu Haus wänden, über
die frühere oder jetzige Art von Oberlagen, über die
sehr mannigfaltigen Dächer nach Stoff und Form, über
die Fenster und Thüren und deren Verschlüsse. Es ist
hier nichts gesagt über die anderen Gebäude des
Bauerhofes, welche in früherer Zeit oder bis in die
Gegenwart als Wohnung für die Menschen gedient
haben oder noch jetzt zeitweilig dienen, wie z. B. die
Klete, die Badstube, die Getreidedarre (Rije). Es ist
hier nicht gesagt, wann, in welcher Reihenfolge, unter
welchen Umständen und aus welchen Gründen er so
oder anders gehaust hat und wie seine Wohnung be
schaffen gewesen, ehe er einen Hof gehabt hat. Diese
Fragen bedürfen einer besonderen Untersuchung.
In der Mitte unseres Jahrhunderts war die Einrich
tung des lettischen Wohnhauses im mittleren Kurland
(Semgallen) folgende. Durch eine niedrige Hausthür
trat man vom Hofe aus über eine hohe Schwelle in den
Vorraum. Die Hausthür war sehr oft in der Mitte
quer durchgeteilt, so dafs die obere Hälfte besonders
geöffnet werden konnte, um Licht und Luft in den sonst
dunklen Raum einzulassen, und anderseits Kindern oder
kleinen Haustieren den Ein- oder Ausgang zu wehren.
Diese halbgeteilten Thüren erinnern an ähnliche des
deutschen Bauernhauses. An eine Entlehnung ist nicht
notwendig zu denken; denn gleiche Bedürfnisse lassen
an getrennten Orten gleiches erfinden, obschon ander
seits zugestanden werden mufs, dafs die niederdeutschen
Einwanderer auch in diesem Stück einen Einflufs auf
die Letten geübt haben können. Die Hausthür ist bei
dem alten lettischen Hause so niedrig, dafs man heim
Eintreten das Haupt beugen mufs. Ebenso die anderen
Thüren im Hause und die Wohnräume selbst, in denen
man leicht an die Streckbalken reichen kann. Die
Niedrigkeit der Wohnräume hat ihre Ursache in dem
Wunsch und Bedürfnis, in der kalten Jahreszeit mög
lichst warm zu wohnen. Das folgende Liedlein ist ein
Necklied aus der Hochzeitsfeier und übertreibt in
scherzendem Hohn die Niedrigkeit der Gebäude des
jungen Ehemannes, charakterisiert aber immerhin die
alte Bauweise: