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Full Text: Globus, 72.1897

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Dr. A. Bielenstein: Das lettische Wohnhaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts. 
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Vornehme Leute! Niedrige Häuser! 
Hockend kroch ich in das Haus (nams), hockend in die Stube 
(istaba); 
Brötchen knetete ich, auf den Knieen liegend, 
In den Kuhstall kroch ich gar auf dem Bauche. 
Der Vorraum, in den wir getreten sind, geht von der 
vorderen Hauswand bis zur hinteren durch. Der Fufs- 
hoden ist Estrich (provinziel „Lehmschlag“ genannt); 
nach der hinteren Hauswand zu ist die Feuerstätte in 
einer kleinen Einsenkung des Bodens, von Steinen um 
gehen, die aus dem Fufsboden ein wenig hervorragen. 
[In Lubahn (Livland) heilst diese Feuerstätte pawärds, 
von pa, unter, und wärlt, kochen; denn über ihr hängt 
der Kessel. Die Feuerstätte auf der Pferdeweide bei 
der Nachthütung heifst uguns-kuris.] In der Einsenkung 
des Bodens, wo das Feuer am Tage brannte (ruschina 
genannt, Schürstelle, von ruschinät, wühlen, schüren), 
wurden die glühenden Kohlen unter Asche sorgfältig 
verwahrt, um am anderen Morgen wieder Feuer an 
machen zu können. Auch am Backofen hat es eine 
solche kleine Grube (bedre oder döbe) für die glimmend 
zu erhaltenden Kohlen gegeben. Das war gar not 
wendig in jenen Zeiten, wo es noch keine Zündhölzer 
oder andere Feuerzeuge gab, und wo das Liedlein 
entstand, welches so nett die freundnachbarliche Aus 
hülfe schildert: 
Zum Nachbar lauf ich nach Hefen 
(behufs Bierbrauens; es könnte auch Sauerteig behufs 
Brothackens sein), 
Zum Nachbar nach Feuerchen. 
Uber der Feuerstätte hängt der Kessel am Haken. 
Eine zweite Thür führt in der Regel an der Hinter 
wand unweit der Feuerstätte an der anderen Seite 
des Hauses hinaus. Rechts und links führen Thüren 
in die anderen Teile des Gebäudes, welche aber in der 
Urzeit nicht da waren. Denn der jetzige Vorraum, Flur, 
bezw. Küche, noch heute nams genannt, ist der Urbestand- 
teil des Hauses. 
Dieser Hausflur mit seiner Kochstelle hat in histo 
rischen Zeiten seine bedeutsame Geschichte gehabt und 
wir müssen dieselbe in kurzen Zügen darlegen, ohne 
jedoch uns in sehr alte, gar prähistorische Zeiten zu 
verlieren und ohne an dieser Stelle alles geben zu 
wollen, was über die Wohnungsräumlichkeiten und den 
Ort des Kochens bei den Letten sich erforschen läfst. 
Der lettische Hausflur (nams) repräsentierte einst 
allein das ganze lettische Wohnhaus. Anbauten von 
anderen Räumlichkeiten fehlten ihm vor Zeiten. Der 
einheitliche Raum in Gestalt eines Rechtecks, von 
Balkenwänden im Gehrsafs umgeben, ohne Oberlage 
und einem Dach von Lubben (grobe lange Schindeln 
von gespaltenem Holz) mit einer Thür, und ohne Glas 
und Fenster, diente der Nachtruhe, der häuslichen 
Arbeit und hatte seine Feuer- und Kochstelle in der 
Mitte auf dem Estrich, wo der Kessel über dem Feuer 
hing. Solche alte Rauchhäuser findet man noch bei 
uns in manchen abgelegenen Gegenden als Sommer 
küchen, oder zum Räuchern der Fische, z. B. am 
Angerschen Strande westlich vom Rigaschen Meerbusen. 
Die Mitte des Raumes mufste zur Feuerstätte gewählt 
werden, um die Holzwände des Gebäudes vor der 
Feuersgefahr möglichst zu schützen, und infolge der 
selben Ursache finden wir bis in unser Jahrhundert 
auch noch in mehrgliedrigen Häusern die Kochstelle in 
der Mitte eines Zimmers, z. B. in Livland, wie ein auf 
der ethnographischen Ausstellung zu Riga 1896 in 
Originalgröfse aufgebautes Modell zeigte. Im Flur war 
die alte Kochstelle von jeher etwas vertieft und mit 
mittelgrofsen Steinen umgeben, die nur wenig aus dem 
Boden hervorragten. 
Ebenso war es und blieb es, als man an den Flur 
(nams), Fig. 1 (a), eine Stube (istaba), Fig. 1 (b), an 
baute, auf deren Be 
schaffenheit wir später 
kommen werden. Wäh 
rend die istaba von 
Anfang an eine Decke 
von Holz und Estrich 
darüber und einen 
Ofen, d. h. Backofen, 
Fig. 1 (c), besafs, hatte 
der Flur keine Ober 
lage. Der Rauch von der Kochstelle, Fig. 1 (d), und 
von dem in den Flur mündenden Backofen suchte auf 
steigend seinen Weg durchs Dach, wo er ihn irgend 
finden konnte. 
Mit der Zeit fand das Volk die Feuerstelle mitten 
im Flur zu gefährlich für die vorübergehenden Haus 
bewohner, für das Haus bei Windstöfsen, die durch die 
Hausthür leicht hereinführen, und es ward die Koch 
stelle, Fig. 2 (d), in die Ecke des Flurs verlegt zwischen 
zwei Mauern, Fig. 2 (e, e), die von Feldsteinen mit Lehm 
aufgeführt wurden, einerseits als ein Stück der inneren 
Wand zwischen nams und istaba im Anschlufs an die 
an den Flur stofsende Schmalwand des Backofens, 
anderseits als ein Stück der äufseren hinteren Haus 
wand. Dieses letztere Mauerstück wurde draufsen oben 
von einem hölzernen Vordach gegen den Regen geschützt, 
der sonst den Lehm aus der Mauer herausgespült hätte. 
Kalk war in jenen Zeiten noch eine seltene und teure 
Sache. In der Ecke zwischen den zwei genannten 
Mauern hinter der Mündung des Backofens oder auch 
direkt vor derselben, wie das aus dem Rifs des Wohn 
hauses im Bauernhof Schkawas bei Doblen, siehe 
Fig. 5, ersichtlich ist, war die Feuerstätte ( d ) und ent 
lang der Aufsenwand hingen die Kesselhaken nach der 
Zahl der im Gesinde separiert kochenden Familien. Die 
Hauswirtin kochte für ihre Dienstleute und ihre Kinder 
zugleich. Nach dem Innern des Flurs war die Koch 
stelle durch irgendwelche Wände zunächst nicht abge 
teilt, sondern lag ursprünglich nach den Seiten offen. 
Gerade hier aber brachten die emporsteigenden Feuer 
funken dem Holz - oder Strohdach besondere Gefahr, 
Fig. 1 . 
& 
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