1
378
Dr. A. Bielenstein: Das lettische Wohnhaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
♦
Vornehme Leute! Niedrige Häuser!
Hockend kroch ich in das Haus (nams), hockend in die Stube
(istaba);
Brötchen knetete ich, auf den Knieen liegend,
In den Kuhstall kroch ich gar auf dem Bauche.
Der Vorraum, in den wir getreten sind, geht von der
vorderen Hauswand bis zur hinteren durch. Der Fufs-
hoden ist Estrich (provinziel „Lehmschlag“ genannt);
nach der hinteren Hauswand zu ist die Feuerstätte in
einer kleinen Einsenkung des Bodens, von Steinen um
gehen, die aus dem Fufsboden ein wenig hervorragen.
[In Lubahn (Livland) heilst diese Feuerstätte pawärds,
von pa, unter, und wärlt, kochen; denn über ihr hängt
der Kessel. Die Feuerstätte auf der Pferdeweide bei
der Nachthütung heifst uguns-kuris.] In der Einsenkung
des Bodens, wo das Feuer am Tage brannte (ruschina
genannt, Schürstelle, von ruschinät, wühlen, schüren),
wurden die glühenden Kohlen unter Asche sorgfältig
verwahrt, um am anderen Morgen wieder Feuer an
machen zu können. Auch am Backofen hat es eine
solche kleine Grube (bedre oder döbe) für die glimmend
zu erhaltenden Kohlen gegeben. Das war gar not
wendig in jenen Zeiten, wo es noch keine Zündhölzer
oder andere Feuerzeuge gab, und wo das Liedlein
entstand, welches so nett die freundnachbarliche Aus
hülfe schildert:
Zum Nachbar lauf ich nach Hefen
(behufs Bierbrauens; es könnte auch Sauerteig behufs
Brothackens sein),
Zum Nachbar nach Feuerchen.
Uber der Feuerstätte hängt der Kessel am Haken.
Eine zweite Thür führt in der Regel an der Hinter
wand unweit der Feuerstätte an der anderen Seite
des Hauses hinaus. Rechts und links führen Thüren
in die anderen Teile des Gebäudes, welche aber in der
Urzeit nicht da waren. Denn der jetzige Vorraum, Flur,
bezw. Küche, noch heute nams genannt, ist der Urbestand-
teil des Hauses.
Dieser Hausflur mit seiner Kochstelle hat in histo
rischen Zeiten seine bedeutsame Geschichte gehabt und
wir müssen dieselbe in kurzen Zügen darlegen, ohne
jedoch uns in sehr alte, gar prähistorische Zeiten zu
verlieren und ohne an dieser Stelle alles geben zu
wollen, was über die Wohnungsräumlichkeiten und den
Ort des Kochens bei den Letten sich erforschen läfst.
Der lettische Hausflur (nams) repräsentierte einst
allein das ganze lettische Wohnhaus. Anbauten von
anderen Räumlichkeiten fehlten ihm vor Zeiten. Der
einheitliche Raum in Gestalt eines Rechtecks, von
Balkenwänden im Gehrsafs umgeben, ohne Oberlage
und einem Dach von Lubben (grobe lange Schindeln
von gespaltenem Holz) mit einer Thür, und ohne Glas
und Fenster, diente der Nachtruhe, der häuslichen
Arbeit und hatte seine Feuer- und Kochstelle in der
Mitte auf dem Estrich, wo der Kessel über dem Feuer
hing. Solche alte Rauchhäuser findet man noch bei
uns in manchen abgelegenen Gegenden als Sommer
küchen, oder zum Räuchern der Fische, z. B. am
Angerschen Strande westlich vom Rigaschen Meerbusen.
Die Mitte des Raumes mufste zur Feuerstätte gewählt
werden, um die Holzwände des Gebäudes vor der
Feuersgefahr möglichst zu schützen, und infolge der
selben Ursache finden wir bis in unser Jahrhundert
auch noch in mehrgliedrigen Häusern die Kochstelle in
der Mitte eines Zimmers, z. B. in Livland, wie ein auf
der ethnographischen Ausstellung zu Riga 1896 in
Originalgröfse aufgebautes Modell zeigte. Im Flur war
die alte Kochstelle von jeher etwas vertieft und mit
mittelgrofsen Steinen umgeben, die nur wenig aus dem
Boden hervorragten.
Ebenso war es und blieb es, als man an den Flur
(nams), Fig. 1 (a), eine Stube (istaba), Fig. 1 (b), an
baute, auf deren Be
schaffenheit wir später
kommen werden. Wäh
rend die istaba von
Anfang an eine Decke
von Holz und Estrich
darüber und einen
Ofen, d. h. Backofen,
Fig. 1 (c), besafs, hatte
der Flur keine Ober
lage. Der Rauch von der Kochstelle, Fig. 1 (d), und
von dem in den Flur mündenden Backofen suchte auf
steigend seinen Weg durchs Dach, wo er ihn irgend
finden konnte.
Mit der Zeit fand das Volk die Feuerstelle mitten
im Flur zu gefährlich für die vorübergehenden Haus
bewohner, für das Haus bei Windstöfsen, die durch die
Hausthür leicht hereinführen, und es ward die Koch
stelle, Fig. 2 (d), in die Ecke des Flurs verlegt zwischen
zwei Mauern, Fig. 2 (e, e), die von Feldsteinen mit Lehm
aufgeführt wurden, einerseits als ein Stück der inneren
Wand zwischen nams und istaba im Anschlufs an die
an den Flur stofsende Schmalwand des Backofens,
anderseits als ein Stück der äufseren hinteren Haus
wand. Dieses letztere Mauerstück wurde draufsen oben
von einem hölzernen Vordach gegen den Regen geschützt,
der sonst den Lehm aus der Mauer herausgespült hätte.
Kalk war in jenen Zeiten noch eine seltene und teure
Sache. In der Ecke zwischen den zwei genannten
Mauern hinter der Mündung des Backofens oder auch
direkt vor derselben, wie das aus dem Rifs des Wohn
hauses im Bauernhof Schkawas bei Doblen, siehe
Fig. 5, ersichtlich ist, war die Feuerstätte ( d ) und ent
lang der Aufsenwand hingen die Kesselhaken nach der
Zahl der im Gesinde separiert kochenden Familien. Die
Hauswirtin kochte für ihre Dienstleute und ihre Kinder
zugleich. Nach dem Innern des Flurs war die Koch
stelle durch irgendwelche Wände zunächst nicht abge
teilt, sondern lag ursprünglich nach den Seiten offen.
Gerade hier aber brachten die emporsteigenden Feuer
funken dem Holz - oder Strohdach besondere Gefahr,
Fig. 1 .
&
»