Skip to main content
Page Banner

Full Text: Globus, 72.1897

Aus allen Erdteilen. 
387 
phische Element als etwas Körperliches und somit Fremd 
artiges gleichsam nur von aufsen hinzutritt. Dev Geograph 
mufs daher hier die beiden Künste des Verbindens und des 
Trennens sich fortwährend innig durchdringen lassen: er 
mufs psychisch verschiedenartige Dinge unter dem gemein 
samen geographischen Gesichtspunkte zusammenstellen und 
darf doch ihre Verschieden artigkeit nicht vergessen. Er mufs 
z. B., wie es Ratzel hier thut, den Dorfstaat der Neger und 
den Stadtstaat der Griechen unter dem gemeinsamen Gesichts 
punkte der räumlichen Kleinheit zusammenstellen und doch 
ihrer kulturellen Verschiedenheit eingedenk bleiben und 
ebenso unter dem entgegengesetzten Gesichtspunkte das 
russische und das britannische Weltreich vergleichen, obwohl 
die geistigen Grundlagen der räumlichen Ausdehnung in 
beiden Fällen recht verschieden sind. 
Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dafs hei einem 
zusammenfassenden Unternehmen wie dem vorliegenden 
zugleich eine ausgedehnte Kenntnis und Berücksichtigung 
der Thatsachen und ihre logische Unterordnung unter 
allgemeine Begriffe verlangt wird. Beide Forderungen in 
idealer Vollständigkeit zu erfüllen, ist wohl nur auf dem 
Gebiete der exakten Wissenschaften möglich; im Bereiche 
der Geisteswissenschaften entgeht der arme menschliche Geist 
mit seinem beschränkten Leistungsvermögen vielleicht niemals 
völlig der Gefahr, entweder über blutlose Schemen nicht 
bis zur Wirklichkeit vorzudringen, oder über die Fülle der 
lebendigen Einzelheiten sich nicht überall zur rastlosen 
begrifflichen Durcharbeitung des Stoffes zu erheben. Dafs ein 
Forscher wie Ratzel überall aus der Fülle der Anschauungen 
und Thatsachen schöpft, ist überflüssig zu bemerken ; weniger 
überflüssig vielleicht der Zusatz, dafs hierin der grofse Vor 
zug seines Buches gegenüber der sociologischen und staats 
wissenschaftlichen Litteratur über den Staat liegt, die ihn 
oft allzu sehr als ein blutloses Abstraktum behandelt. 
Von dem Inhalt des Buches an dieser Stelle eine be 
friedigende Vorstellung zu erwecken, ist unmöglich, weil die 
in ihm behandelte Fülle der Thatsachen zu grofs, die That 
sachen des geistigen Lebens zu vielseitig sind, um sich 
restlos sauber unter eine Anzahl einzelner Begriffe gliedern 
zu lassen, und eine kurze Angabe der Überschriften der 
einzelnen Abschnitte daher dem reichen Inhalt des Buches 
in keiner Weise gerecht würde. Wir bemerken daher nur, 
dafs Ratzel ausgeht von der Bedeutung des Bodens für den 
Staat, die teils wirtschaftlicher, teils politischer Art und bei 
den verschiedenen Kulturformen verschieden stark ist, und 
sodann zu der dynamischen Seite der politischen Geo 
graphie übergeht, indem er das Wachstum der Staaten, seine 
äufseren Anlässe, die Abgleichung verschiedener Staaten, die 
wachsende Differenzierung des Bodens u. a. behandelt. Es 
folgen die mehr statischen Erscheinungen: Erörterungen 
über die Lage auf der Erdkugel und gegenüber der poli 
tischen Nachbarschaft, über grofse und kleine Räume, über 
die Grenzen, natürliche und gute Grenzen, den Unterschied 
von Grenzfläche und Grenzlinie u. a. — ein Abschnitt, 
der uns besonders vollendet erscheint, und den daher viel 
leicht zur Einführung in den Geist des ganzen Werkes 
vorweg zu lesen manchem Leser zu empfehlen wäre —, 
sowie- mehrere Abschnitte über die politische Bedeutung der 
einzelnen Land- und Bodenformen. 
Ratzels Buch verlangt einen ernsthaften und hingebenden 
Leser; sein voller Gehalt erschliefst sich kaum auf einmal 
und vielleicht überhaupt nur dem vollständig, der bei eigenen 
Ax-beiten als Historiker, Sociologe, Ethnograph oder Geograph 
es sich eine Quelle der Belehrung und Anregung sein läfst. 
Aber nicht blofs der Fachmann, sondern auch der Laie und 
der Staatsmann wird es mit Gewinn lesen. 
A. Vierkandt. 
Aus allen Erdteilen. 
Abdruck nur mit Quellenangabe gestattet. 
— Die Verbreitung von Landtieren, besonders 
Insekten, durch Vermittelung des Menschen be 
handelt L. O. Howard in einem ausführlichen Aufsatze 
(Science, 10. September 1897). Wir entlehnen demselben 
folgenden kurzen Auszug. Die Vermittelung des Menschen 
bei der Verbreitung von Tieren (und Pflanzen) ist eine zwei 
fache: eine absichtliche und eine zufällige Vermittelung. In 
Bezug auf die erstere ist zu erwähnen, dafs zuweilen die 
neuen Gäste auf fremdem Boden auch zur Plage wurden, 
wie in Amerika von Pflanzen: Allium vineale (der wilde 
Knoblauch), Piaropus crassipes (Wasserhyacinthe), Hieracium 
aurantiacum (Habichtskraut) und Genista tinctorium (Ginster). 
Absichtlich eingeführte Haustiere sind selten zur Last für 
das neue Vaterland geworden, aber auch solche Fälle sind 
doch bekannt, z. B. die Verbreitung des Kaninchens und des 
wilden Pferdes in Australien. Die absichtliche Verbreitung 
wilder Arten ist meist zur fürchterlichen Plage geworden, 
Avir erinnern nur an den Sperling in Amerika, die indischen 
Mongus in Jamaika, doch sind auch Ausnahmen bekannt; 
so wurde durch die Einfuhr eines australischen Vogels 
(Vedalia cardinalis) nach Kalifornien im Jahre 1889 die 
ganze Orangenkultur gerettet, indem der Vogel die schäd 
lichen Zerstörer (Icerya purcliasi) vernichtete. Auch in Süd 
afrika und Ägypten hat sich derselbe Vogel bewährt. 
Es liegen also genug Fälle vor, aus denen man den 
Schlufs ziehen kann, dafs die absichtliche Verbreitung von 
Tieren, so segensreich sie auch zuweilen sein kann, doch ein 
höchst gefährliches Expei'iment bleibt, das niemals versucht 
Averden sollte, ohne die LebensAveise und Gewohnheiten der 
in Frage kommenden Art genau zu kennen. 
Die Ära der zufälligen Verbreitung von Tieren und 
Pflanzen begann mit der Entwickelung des Handels und sie 
Avuchs mit diesem. Aufserdem tragen zur zufälligen Ver 
breitung bei: 1) heftige Stürme, wodurch leicht fliegende 
Samen Hunderte von Meilen von ihrer Heimat hinweggeführt 
und in neue Gegenden gelangen können; 2 ) das Wasser, 
namentlich was die Verbreitung innerhalb desselben Erdteils 
anbetrifft; 3) Vögel, die an einer Stelle Früchte geniefsen 
und Hunderte von Meilen Aveiter die unverdaulichen, aber noch 
keimfähigen Kerne wieder von sich geben; 4) Ballast, wobei 
allerdings die Vermittelung des Menschen hinzukommt. 
Namentlich bei Verbreitung von Pflanzen spielten Ballast 
abladeplätze eine wichtige Rolle; sie sind die Centren, von 
avo aus die ein geführten Pflanzen sich in die Umgegend 
weiter verbreiten; 5) unreine Feld - und Gartensämereien; 
6 ) das Packmaterial für Kaufmannsgüter. 
Von kleineren Säugetieren sind besonders Ratten und 
Mäuse unabsichtlich durch die Handelsschiffe über die ganze 
Welt, mit Ausnahme der Polargegenden, verbreitet worden. 
Verhältnismäfsig wenig ist noch das Studium der geo 
graphischen Verbreitung der Insekten gefördert Avorden. Nur 
für einzelne Gebiete liegen genauere Beobachtungen vor. 
Wallace schätzte z. B. im Jahre 1880 die Zahl der Insekten 
arten auf den Azoren auf 212 , von denen 175 auch in Europa 
Vorkommen. Von diesen sind 101 Arten, wie man glaubt, 
durch Vermittelung des Menschen nach den Azoren gelangt. 
In St. Helena sind 74 von den 203 Arten sicher durch Ver 
mittelung des Menschen dorthin gelangt. Am leichtesten 
wird der Austausch natürlich zwischen solchen Gegenden 
stattfinden können, die sehr ähnliches Klima haben und bei 
denen auch die Jahreszeiten ungefähr übereinstimmen. 
Natürlich spielt auch die Häufigkeit der Verbindung zwischen 
zAvei Gegenden und die Schnelligkeit der Fahrten eine 
wichtige Rolle. Aus diesen Erwägungen geht hervor, dafs 
der Austausch am häufigsten zwischen Europa und Nord 
amerika stattfinden wird, was durch Thatsachen auch be 
stätigt ist. Auffällig dabei ist, dafs sich europäische Arten 
leichter in Amerika ansiedeln und gedeihen als umgekehrt. 
— Von den 73 den Nutzpflanzen in Amerika schädlichen 
Insekten sind nur 30 einheimisch, von 6 ist der Ursprung 
zweifelhaft, Avährend von den 37 eingeführten Arten 30 
sicher aus Europa zufällig eingeführt Avurden. — Amerika 
dagegen hat Europa nur die Phylloxera vastatrix und die 
wollige Wurzellaus (Schizoneura lanigei-a) hinübergeschickt, 
während die für amerikanisch gehaltene Mehlmotte (Ephestia 
kuhniella) wahrscheinlich aus dem Orient stammt. Auch 
von den weniger schädlichen Insekten haben sich mehr 
Europäer in Amerika heimisch gemacht als umgekehrt. Der 
Grund für diese merkwürdige Thatsache ist schwer zu finden, 
er mag mit dem allgemeinen Zuge von Osten nach Westen, 
von der älteren zur neueren Civilisation in Zusammenhang 
stehen. 
Die Insekten können auf dreifache Weise zufällig von 
einer Gegend zur anderen gelangen: l) indem sie zum Teil 
noch als Larven in ihrer Futterpflanze ruhen, die Gegenstand 
des Handels ist, 2) indem ihre Futterpflanze als Packmaterial 
verxvandt wird, und 3) indem sie zufällig auf ein Schiff 
geraten, sich dort verkriechen und an anderer Stelle das
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.