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Full Text: Globus, 72.1897

Dr. Seler: Eine angeblich in Nordamerika gefundene Aztekenhandschrift. — Bücherschau. 
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Eine angeblichem Nordamerika gefundene 
Aztekenhandschrift. 
In den letzten Wochen erschienen in verschiedenen 
Blättern mehr oder minder ausführlich gehaltene Notizen 
über eine Aztekenhandschrift, die in einem kleinen 
Orte des Staates Jowa gefunden worden sei. Am 
2. September des vorigen Jahres sei ein Arbeiter, namens 
Griffith, der im Dienste der Wasserwerke des Jowaer 
Städtchens Fairfield stand, damit beschäftigt gewesen, 
eine Erdaushebung zu bewerkstelligen. Dabei habe er 
3' unter der Erde ein Stück Holz von 1' Länge, 8" Breite 
und 5 bis 6" Durchmesser angetroffen, das ganz das 
Ansehen eines gewöhnlichen Holzstammes gehabt habe, 
nur sei es ringsum auf der Oberfläche mit einer harz 
artigen Masse überzogen gewesen. Eine nähere Unter 
suchung hätte gezeigt, dafs der Block hohl war, aus 
Eichenholz bestand und in roher Weise, anscheinend 
mit einer Steinaxt, bearbeitet worden war. Die harz 
artige Masse sei dadurch gleichmäfsig auf der Oberfläche 
verteilt worden, dafs man den hohlen Stamm über dem 
Feuer hin- und hergewandt habe, denn der Stamm sei 
nicht nur voller Rufs, sondern teilweise angekohlt ge 
wesen. Als ein leichter Schlag mit der Picke die innere 
Höhlung blofsgelegt hätte, hätte man in dieser eine Rolle 
aus Birkenrinde gefunden, die auf der einen Seite 
mit seltsamen Schriftzeichen bedeckt gewesen sei. Die 
drei Teile, aus denen die Rolle bestand, hätten in der 
Länge 3 bis 4", in der Breite 2 bis 3" gemessen. Die 
Rinde sei von aufserordentlicher Dünnheit gewesen, und 
ihre natürliche Farbe habe sich, dank des luftdichten 
Harzverschlusses, wohl konserviert. Die Zeichen seien 
sorgfältig, mit einer Art roten Pflanzensaftes, aufgemalt 
gewesen. Der Kurator des archäologischen Museums 
der Universität des Staates Ohio, Warren Moorehead, 
habe von diesem Funde gehört und, seine Wichtigkeit 
erkennend, ihn alsbald für die Sammlungen des ihm 
unterstellten Museums erworben. Er habe sofort erkannt, 
dafs die Schriftzüge aztekisch oder Maya seien. Der 
Einsender setzt dann noch hinzu, dafs in der ganzen 
Welt überhaupt nur fünf solcher Handschriften bekannt 
seien, dafs die Sprache der Azteken bis heute niemand 
entziffern könne, dafs die gesamten Schriftwerke dieses 
merkwürdigen Volkes von den fanatischen Priestern 
zerstört worden seien, damit kein Schriftdenkmal der 
Welt Kunde über die Gesittung der Azteken gebe. 
Mir ist, aufser obigen eingehenderen Mitteilungen, 
auch eine Abbildung der Rindenstücke mit den Malereien 
darauf gezeigt worden, die ich hier reproduziere. Hier 
hat das Zeichen, neben das ich in der Wiedergabe die 
Ziffer 1 gesetzt habe, allerdings eine Ähnlichkeit mit 
der Art, wie in den Maya - Handschriften die Ziffer 13 
geschrieben wird. Aber im übrigen hat keine der 
Linien - und Punktgruppen auch nur die entfernteste 
Ähnlichkeit mit Maya- oder gar mit aztekischen Hiero 
glyphen. Die Mexikaner und die Völker Centralamerikas 
schrieben auf Maguey- oder Rindenpapier oder auf ge 
gerbten und geglätteten Thierhäuten. Birkenrinde ist 
dagegen das bekannte Schreibmaterial des Algonkin und 
anderer Indianerstämme in der Umgebung der grofsen 
nordamerikanischen Seen. Und es unterliegt wohl 
keinem Zweifel, dafs — wenn wir es überhaupt hier 
mit einem authentischen Funde zu thun haben —, kein 
anderer als die ehemals in jenen Gegenden ansässigen 
Indianerstämme der Urheberschaft bezichtigt werden 
dürfen. Freilich haben die hier vorliegenden Zeichen 
auch keine Ähnlichkeit mit den sonst bekannten Indianer 
malereien. 
Die übrigen Bemerkungen des Einsenders beruhen 
wohl auf Mitteilungen, die Herr Warren Moorehead ihm 
mit Beziehung auf die Maya - Handschriften gemacht 
hat, und die der Einsender falsch verstanden und ver 
kehrt wiedergegeben hat. Es lohnt nicht, darauf näher 
einzugehen. Was hat aber den Einsender dazu bestimmt, 
verschiedene hiesige Zeitungen mit diesen Mitteilungen 
zu beglücken? Sollte ein geschäftliches Interesse vor 
liegen ? 
Steglitz bei Berlin, 7. Juni 1897. Dr. Seler. 
Bücherschau. 
Curt Müller: Die Staatenbildungen des Oberen 
Uelle- und Zwischenseengebietes. Ein Beitrag zur 
politischen Geographie. Inaugural-Dissertation. Leipzig, 
Druck von C. G. Naumann, 1897. 
Die vorliegende Arbeit bildet einen erfreulichen Beweis 
für die Fruchtbarkeit der allgemeinen von Batzel für die 
Staatenbildung und die Fragen der politischen Geographie 
entwickelten Gesichtspunkte. Sie beschäftigt sich mit den 
staatenbildenden Leistungen der hellfarbigen Stämme, die in 
dem im Titel angegebenen Teile Afrikas sich über eine 
ältere, sefshafte, dunkle Bevölkerung als Eroberer gelagert 
haben. Bedenkt man, dafs das staatliche Leben aller sefs- 
haften Halbkulturvölker sich um den Gegensatz zwischen 
einer unterworfenen ackerbauenden Volksschicht und einer 
herrschenden kriegerischen Klasse dreht, so springt die Be 
deutung des hier behandelten Gegenstandes ins Auge. Freilich
	        
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