Die Entdeckung der ältesten babylonischen Kultur.
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vermittelt da und sind erst zu sehen, wenn man unmittel
bar davor steht. Daher erklärt sich auch die akten-
mäfsig beglaubigte Thatsache, dafs in den 20 er Jahren
dieses Jahrhunderts in einem harten, schneereichen
Winter, als die Erdfälle bis oben hin mit Schnee erfüllt
waren, ein Landmann, der mit seinem Gespann heim
wärts zog, unversehens in eines von ihnen geriet und
darin mit Pferd und Wagen umkam; Mann und Pferde
wurden erst mehrere Wochen später nach der Schnee
schmelze tot aufgefunden. Bedeutend gröfser ist der
vierte Erdfall, die eigentliche „Mauja“, die in unmittel
barer Nähe der kleineren Erdfälle liegt. Er nimmt etwa
eine Fläche von 40 bis 50 ha ein und wird bis 20 m
tief; sein Boden ist zum Teil mit Moor bedeckt, an der
tiefsten Stelle, da, wo zugleich die Böschung mit 35°
ihren höchsten Wert erreicht, findet sich stets offenes
Wasser, dessen Tiefe nicht zu ermitteln war. Hier be
findet sich auch ein guter Aufschlufs; der obere Deck
sand ist durch zahlreiche Geschiebe, gröfsere und klei
nere Steine, darunter auch Feuersteine, gut charakterisiert.
Nach Süden zu, wo die „Mauja“ offen ist, heben sich
die Seitenwände des Erdfalles sehr deutlich von ihrer
Umgebung ab. Historische Nachrichten über die „Mauja“
fehlen gänzlich, die einzige Notiz, die hierüber aufzu
treiben war, befindet sich in den „topographisch-hist.
Beschreibungen der Städte, Ämter und adeligen Ge
richte im Fürstentum Lüneburg, zusammengetragen von
M. F. C. Manecke, Zöllner zu Lüneburg“. Daselbst
heifst es S. 91: „8. Thunpadel ... In den bei diesem
Dorfe liegenden Moor Maujahn soll der Sage nach ein Dorf
vor langen Jahren versunken sein, dessen Namen aber
nicht mehr bekannt ist. Auch soll sich nach Versicherung
eines glaubhaften Mannes, nämlich des Amtmannes
Scharf in Dannenberg, im Kirchspiel Dannenberg, und
zwar im Hausvoigteibezirk, ein Dorf Lemgraven befunden
haben, dessen Lage aber nicht zu erforschen stand.“
Wie mir Herr Stadtvogt Lampe erläuterte, gehört aber
das Terrain der „Mauja“ zum ehemaligen Hausvoigtei-
bezirk; es liegt also die Möglichkeit vor, dafs besagtes
Dorf Lemgraven an der Stelle der Mauja gestanden hat.
Vor etwa 10 bis 12 Jahren ist im dortigen Moor eine
eichene Thür gefunden und angeblich an irgend ein
Museum im Hannoverschen verkauft worden, in welches ?
konnte ich trotz mehrfacher Anfragen bei Museumsver
waltungen nicht ermitteln, die Familie des glücklichen
Finders ist inzwischen ausgestorben. Übrigens liegen
eine Anzahl grofser eichener Bohlen oder Riegel noch
jetzt im Moor, sie dienen den Hirtenjungen als Kom
munikationsmittel. Ein alter Mann in Thunpadel weifs
sich zu erinnern, dafs in der Mauja selbst vor langen
Jahren eine Senkung entstanden ist und nach der Aus
sage des Lehrers Reck im benachbarten Dörfchen Lenze ist
in der Nähe im Jahre 1892 ein Erdrutsch entstanden.
Da die Zahl der historisch beglaubigten gröfseren
Erdfälle in Nordwestdeutschland eine sehr kleine ist, so
würde es von grofsem Interesse sein, wenn durch histo
rische Nachforschungen etwas Näheres über die Existenz
und die Lage des Ortes Lemgraven oder eines anderen
in dortiger Gegend untergegangenen Dorfes bekannt
würde und wenn sich ermitteln liefse, wohin jene rätsel
hafte eichene Thür vor 10 Jahren gekommen ist. Dazu
anzuregen ist der Zweck dieser Zeilen.
Die Entdeckung der ältesten babylonischen Kultur.
(7000 bis 6000 vor unserer Zeitrechnung.)
Seit 1888 war bei Nuffar — dem alten Nippur —
in Nordbabylonien eine wissenschaftliche Forschungs
expedition thätig, die von der Universität Philadelphia
ausgesandt worden war. Bis 1890 wurden mehr Ver
suchsgrabungen und Vermessungen unternommen; die
Ausbeute bestand in etwa 10000 Inschrifttäfelchen und
beschriebenen Gegenständen, u. a. mit verschiedenen
Berichten Sargons I. und seines Sohnes Naram-Sin (etwa
3800 vor unserer Zeitrechnung). Erst nach Besiegung
mancher Schwierigkeiten wurden die Arbeiten 1893
durch J. H. H a yn e s wieder aufgenommen ; seitdem sind
sie mit so aufserordentlichem Erfolge im Gange geblieben,
dafs der Beginn der Kulturgeschichte um Jahr
tausende zurückgelegt worden ist. Dem Forscher
J. II. H a y n e s gebührt der Triumph, die Ruinen der
ältesten bekannten, mindestens 6000 bis 7000 Jahre
vor unserer Zeitrechnung gegründeten Stadt ausge
graben zu haben, und dem ? deutschen ? Gelehrten Pro
fessor Dr. Hilprecht der Ruhm, die gröfsten Ent
deckungen der neueren Zeit, durch seine mühsame
Entzifferung der Inschriften, der Welt bekannt gemacht
zu haben.
Die grofsen Erdhügel von Nuffar liegen am Ostufei
des jetzt versiegten Schat-en-Nil, eines ehemaligen, Ba
bylon mit dem Persischen Meerbusen verbindenden
Haupt-Schiffahrtskanals. Den Mittel- und Hauptpunkt
der Ruinen und von Haynes Nachforschungen bildet ein
kolossaler kegelförmiger Erdhügel — von den Arabern
„Bint-el-Amir“ (d. h. „des Emirs Tochter“) genannt ,
der sich fast 29 m über die umgebende Ebene erhebt.
Dieser Hügel bezeichnet die Lage des grofsen Zig-
gurat oder Stufenturmtempels, der von Ur-Gur (oder
Ur-Bahu, wie er früher genannt wurde) um 2800 v. u. Z. x )
erbaut und von späteren Königen wieder hergestellt und
weiter ausgebaut worden ist.
Ur-Gurs Stufenturm in Mugajjar (dem alten Ur)
war schon länger bekannt; der in Nippur ist der erste,
der gründlich erforscht wurde. Dieser Turm steht auf
einer Basis von 59 X 39 m, mit den Ecken (wie die
meisten dieser Türme) nach den vier Himmelsgegenden;
er scheint, wie der in Ur, aus nur drei Stufen zu be
stehen (nicht aus sieben, wie die späteren Türme zu
Babylon und Chorsäbad). Jede Stufenwand war mit
einer dicken Schicht Mörtel (Mischung von Lehm und
Häcksel) bedeckt, die unterste zum Schutz gegen den
Winterregen mit Brennziegeln verkleidet und mit einer
Deckschicht aus Erdpech versehen. Der Aufstieg war
an der Südostseite, wo zwei 3,40 m hohe, 16,32 m lange
und 7 m voneinander entfernte Mauern aus Brenn
ziegeln bis in den Tempelhof vorgebaut waren; der
Zwischenraum war mit Rohziegeln gefüllt, und so bildete
das Ganze einen breiten, zum Turm hinaufführenden
Dammweg. Der ganze Tempelbezirk ist von einer
massiven Mauer umgeben, von der noch mehr als 30
Ziegelschichten zu sehen sind.
Dieser Tempelturm Ur-Gurs ist in seinem Aufbau
den ältesten ägyptischen Pyramiden (besonders von
Medum und der Stufenpyramide von Sakkara) sehr ähn
lich, während sein Dammweg an den bei der zweiten Py
ramide Chaffras erinnert, der diese mit dem sogenannten
Sphinxtempel verbindet. Die Entdeckungen in Nippur
berechtigen dazu, die frühere Frage der Archäologen, *)
*) v. u. Z. = vor unserer Zeitrechnung.