GLOBUS .
ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER - UND VÖLKERKUNDE .
VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „ DAS AUSLAND“ UND „ AUS ALLEN WELTTEILEN“ .
HERAUSGEBER : De . RICHARD ANDREE . VERLAG von FRIEDR . VIEWEG & SOHN .
Bd . LXXVII . Nr . 23 . BRAUNSCHWEIG . 23 . Juni 1900 .
Nachdruck nur nach Übereinkunft mit der Verlagshandlung gestattet .
Kamerun im Jalire 1899 .
Von H . Seidel .
Wer die Aufgabe hat , von Jahr zu Jahr über die Entwickelung eines grofsen , der deutschen Herrschaft und dem deutschen Kulturfleifs erst wenig erschlossenen Landes zu berichten , wird nur zu oft in sehr schiedenen Tönen schildern müssen , je nachdem sich ein Aufschwung oder ein Stillstand , wenn nicht gar ein schlag dem kritischen Blicke zeigt . Aus vereinzelten lichen Anläufen blüht nur selten ein dauernder Erfolg .
Eine blols vorübergehende Kraftentfaltung artet leicht in Kraftvergeudung aus , die entweder in Mutlosigkeit endet oder gar zu unsicheren , tastenden Versuchen führt , die zumeist gefährlicher sind , als ein einmaliger , schwerer Verlust . Was unseren Kolonieen — und Kamerun nicht zum mindesten — fehlt , ist ein stetiges , zielbewufstes Regiment , das von dem Grundsatz geht : „ Gut Ding mufs Weile haben . “
Wer anhauen und ernten will , zumal in einem wilden Lande , wird von Anfang an dafür zu sorgen haben , dafs er wirklich Herr seines Eigentums ist .
Was helfen uns stattliche Faktoreien und ausgedehnte Plantagen , wenn wir sie nicht vor den Einbrüchen räuberischer Negerstämme zu schützen vermögen ?
Was nützt uns der brauchbare Menschenschlag des kühlen Binnenplateaus , wenn er unter unseren Augen von mohammedanischen Sklavenjägern fortgesetzt in greulichster Weise verheert wird ? Während die kleine Schutztruppe tief im Innern zu Felde lag , gingen an der Küste die mühsam geschaffenen Kulturstätten in Flammen auf , und die Arbeit vieler Jahre ward in wenigen Stunden eine Beute wüster Horden . Unsere besten Offiziere endeten ihr Leben durch Mörderhand ; tüchtige und erprobte Beamte wurden unbedacht in den Tod geschickt . Nun das Unglück aller Enden geschehen war , rief man in einer Nachtragsforderung den tag um Hülfe an . Aber jetzt war es zu spät ; die jetzt in Not und Eile beschlossene Vermehrung der truppe hätte schon vor Jahren geschehen müssen .
Der „ Etat“ für 1900 weifs von solchen Extrawünschen natürlich noch nichts . Er übergeht die schwierige Lage in der Küstenzone gänzlich und betont mit desto gröfserem Nachdruck die Niederwerfung der Wüte und des Sultans von Tibati . Ja , er möchte uns glauben machen , als sei damit schon „ die Unterdrückung des Sklavenhandels in jenen Gebieten“ erzielt und der „ Handelsweg nach dem reichen Adamaua eröffnet worden“ . Zur Sicherung des „ Erreichten“ , heifst es dann weiter , ist „ indes noch fernerhin eine angemessene militärische Machtentfaltung auf dem Schauplatze der Globus LXXVII . Nr . 23 .
Berlin .
jüngsten Kämpfe und die Errichtung fester Stützpunkte an den wichtigsten Plätzen der fraglichen , immerhin noch unruhigen Distrikte erforderlich . Zu diesem Zwecke und um bei den Expeditionen der Schutztruppe auch an der Küste die nötigen Kräfte zur Verfügung zu behalten , bedarf es einer Verstärkung der Truppe um mindestens 100 Mann . Sie besteht alsdann aus zwei Kompanien zu je 250 Farbigen“ , ungerechnet das europäische Personal .
Leider ist mit einer „ militärischen Machtentfaltung“ von 500 Mann auf rund 500 000 qkm , d . h . auf 1000 qkm je ein Soldat , blutwenig auszurichten . so befremdlich wirkt es , wenn der „ Etat“ die drückung des Sklavenhandels und die Eröffnung Adamauas schon als „ erreicht“ hinstellt . Dazu sind erst die bescheidensten Anfänge gemacht . Die arbeit liegt noch vor uns , und sie beginnt mit dem Tage , an welchem sich das mohammedanische Element , durch die deutschen Schläge beunruhigt , zu einer meinsamen Aktion gegen die Weifsen aufrafft . Ehe dieser Sturm nicht gründlich abgeschlagen ist und seine Führer total zu Boden geworfen sind , ist in Deutsch - Adamaua noch „ nichts erreicht“ .
Das Beispiel Ostafrikas sollte uns doch zur Lehre dienen . Hier brauchen wir dauernd 1500 Mann , um dies grofsenteils offene , leicht überschaubare Gebiet in Ruhe und Ordnung zu erhalten . Für Kamerun , wo völkerung und Gelände ungleich schwieriger sind , dürften wir in den nächsten zwei bis drei Decennien wohl nicht weniger nötig haben . Dann erst werden wir die Besetzung und Pacifizierung des Landes im vollen Umfange durchführen können und damit die Grundlage zu einer gedeihlichen , progressiven wickelung der Kolonie schaffen . Die 20 Polizeisoldaten , die wir jetzt in Buea halten , oder die 10 Mann am Rio del Rey oder die 20 Polizisten in Viktoria genügen dings nicht , um 8 Millionen Mark Pflanzungskapital und viele Millionen Mark Handelswerte ausgiebig zu schützen ! —
Es liefs sich nach unserem vorigen Berichte gar manches so schön in Kamerun an . Der Plantagenbau blühte auf ; die Arbeiterfrage schien in günstigere Bahnen zu lenken , und das ehedem so spröde Kapital wurde hinlänglich mobil . Selbst die Spekulation nahm sich plötzlich des Landes an und erwarb zu Spottpreisen riesige „ Konzessionen“^ die leider vor der Hand als sehr verfrühte Unternehmungen ( im Stile des bankerotten Rhodesia ) anzusehen sind . Da sich seither ein wahrer
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