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K . Th . Preuß : Der Ursprung der Menschenopfer in Mexiko .
Eine Rassel könnte auch das pokalförmige Gefäß mit seitlichen Schlitzen ( Abb . 24 ) gewesen sein , von dem ein oberer „ Pokalfuß“ abgebrochen zu sein scheint .
Tierfigürchen , Vierfüßler , Vögel , Frösche , Schildkröten fehlen natürlich nicht ( Abb . 25 ) , und Rasseln und Flöten sind dazwischen . Kleine Pfeifenflöten mit Fingerlöchern , aus einer Doppelkugel bestehend , wurden am Hals tragen ( Abb . 27 a ) .
Halsketten scheinen der allgemeinste Schmuck wesen zu sein . Die Perlen von Steinen , Knochen , Muscheln mit Anhängern aus verschiedenartigstem terial und vorzüglichen Beispielen des Kunstsinns sind der höchsten Beachtung wert ( Abb . 26 , 27 ) . Die ovalen Platten der Abb . 27 sind aus lebhaft grünem Nephrit und klingen hell , wenn sie aneinanderschlagen . Der allerliebste Anhänger aus Muschelschale der Abb . 28 , der einer getüpfelten Dame gleicht , ist bei genauerem Zusehen der sehr beliebte Frosch ; die Konturen der Glieder sind eingefeilt und die Tüpfel sind lauter
eingebohrte Grübchen , die wohl die Hautzeichnung stellen .
Unvermischte Indianer , die als direkte Nachkommen der Cerritobevölkerung gelten könnten , sind kaum noch vorhanden . Jahn glaubt als bestes Beispiel nur das kleine Mädchen der Abb . 29 , die 14jährige Agustina von Camburito , vorführen zu können . Der Stamm , der im 16 . Jahrhundert das Gebiet von Camburito und El Za - muro inne hatte , waren nach der Codazzi sehen Karte die Meregoto , während nördlich von ihnen die Aragua , nordöstlich die Arbaco saßen . Die Endung - goto rechtigt uns , sie für einen karaibischen Stamm zu halten . Den Valenciasee entdeckte im Jahre 1547 Juan de Ville - gas , aber 17 Jahre früher schon erblickte ihn , was dem Amerikanistenkongreß zuliebe nicht vergessen sei , von einem Aussichtspunkt des Karaibischen Gebirges tief unten im ebenen Land der Ulmer Nikolaus Federmann : „ Wir kundten , ob dises wasser ein grosser See oder Lagune were , nicht übersehen , dann es mit nebel fast bedeckt . “
Der Ursprung der Menschenopfer in Mexiko .
Von K . Th . Preuß .
Solange man sich mit mexikanischer Archäologie schäftigt , solange ist auch bekannt , daß eine sehr große Anzahl , ja fast die Hälfte der zahlreichen Götterfiguren aus Stein , die allenthalben im Lande gefunden sind und die Museen füllen , mitten in der Brust ein tiefes , bald rundes , bald ein wenig vertikal gerichtetes Loch von 3 bis 6 cm Durchmesser hat . Manchmal fehlt es auch dann nicht , wenn ringsum die verhüllende Kleidung angedeutet ist . In zwei Fällen hat eine Statue des gottes Quetzalcouatl und eine andere eines Regengottes im Berliner Museum4 ) sogar ein großes rechteckiges Loch auf der linken Brustseite in der Herzgegend .
Obwohl dieser Eigentümlichkeit nie ein Gewicht gelegt worden ist , bietet sie doch den Schlüssel zur Nahua - Religion . Für sie gilt dieselbe Erklärung , die uns sagt , weshalb an den religiösen Festen die Opfer in der Tracht der Gottheit erschienen , der sie angeblich dargebracht wurden , weshalb sie vor ihrem Tode liche Ehren empfingen und mit dem Namen der Gottheit angeredet wurden : die Götter erlitten eben in eigener Person den Tod . Das Loch in der Brust der Steinfiguren entspricht der in Mexiko gebräuchlichsten Opfermethode , dem Aufschneiden der Brust und Herausreißen des Herzens , das auch in den Bilderschriften stets durch eine klaffende Wunde ungefähr mitten zwischen den Brustwarzen dargestellt ist und von Sahagun entsprechend — man öffnete ihnen die Brust von einer Brustwarze zur anderen oder ein wenig tiefer 1 2 ) — beschrieben wird .
Diese Idee des Gottopfers habe ich an den blutigen Riten des Frühlingsfestes ( zweites Jahresfest tlacaxi - peualiztli ) , des Erntefestes ( elftes Jahresfest ochpaniztli ) und des fünften Jahresfestes ( toxcatl ) im Mai , wo die Sonne auf ihrem Wege nach Norden über der Stadt Mexiko im Zenit steht , nachgewiesen 3 4 ) , nachdem bereits 1890 J . G . Frazer auf die göttliche Natur der schen Opfer im allgemeinen hingewiesen hatte4 ) . Im
1 ) Sammlung Uhde ( zurzeit nummerlos ) .
2 ) Le habrían los pechos de tetilla a tetilla o un poco mas abajo , y luego le sacaban el corazón . Sahagun , historia general de las cosas de Nueva España , Bd . II , C . 29 ( ed . Bustamente , Mexico 1829 , I , p . 146 ) .
J ) Phallische Eruchtbarkeitsdämonen als Träger des mexikanischen Dramas . Archiv für Anthropologie . N . E . Bd . I , S . 135 ff .
4 ) The golden Bough , Bd . II , p . 218 ff .
Frühling wurde der Dämon des Winters , Xipe , der „ schundene“ , durch Herausreißen des Herzens geopfert und mit der abgezogenen Haut sein Nachfolger , der jüngte Frühlingsdämon , der auch Xipe heißt , bekleidet . Im Herbst war es die mit der Ernte alt gewordene göttin Teteoinnan , die durch Abschlagen des Kopfes getötet und mit deren Haut die verjüngte Göttin kleidet wurde . Endlich brachte das toxcatl - Fest die Tötung des Gottes Tezcatlipoca als Identifikation mit der Sonne , die mit ihrem Zenitstand die Blüte des Alters erreicht hat . Auch ihm wurde das Herz herausgenommen , er wurde aber nicht geschunden , weil seine Kraft dadurch nicht auf einen jungen Nachfolger übertragen werden sollte , sondern dieser , die junge Sonne , durch bohrung neu entstand , „ geboren“ wurde .
I .
Die Erneuung der „ Sonnen - und Feuergötter“ .
Das ist ein feiner Unterschied für die Beurteilung dieser drei Kultfeste . Die Verjüngung durch Tötung ist nur Mittel zum Zweck . Die Vegetationsdämonen sind alt geworden und nicht mehr zur Zeugung kräftiger Kinder , d . h . neuer Vegetation , mit der die Dämonen identisch sind , fähig . Deshalb müssen sie durch junge ersetzt werden , die ihrerseits gerade so alt sind , daß sie sofort tüchtige Nachkommen erzielen können . Die Kinder werden dann an ein und demselben Tage empfangen und geboren . Das bildet am Frühlings - und Erntefest das Ziel des Kults . Dagegen wird die junge Sonne am toxcatl - Fest von der alten , im Zenit stehenden selbst durch das Feuerbohren vermittelst zweier Hölzer gebracht , und dieser Akt wird als Geburt der Sonne trachtet5 ) . Deshalb finden wir auch den Feuerbohrer manchmal bei den Darstellungen der geschlechtlichen Vereinigung in den Bilderschriften aufgepflanzt . Der Sonnengott wird dann , nachdem er sein Werk , das bohren , vollbracht hat , getötet , denn zwei Sonnen kann man nicht brauchen .
5 ) Vgl . Phallische Eruchtbarkeitsdämonen , S . 155 f . Man gibt ihm kurz vor seinem Tode vier Göttinnen , darunter Xi - lonen , die junge Maisgöttin , und Xochiquetzal ( Flora ) , zu Weibern , d . h . vier als Göttinnen angesehene Sklavinnen , damit er mit ihnen noch im Moment der höchsten fähigkeit für das Gedeihen der Pflanzenwelt tätig ist .