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Bernhard Ankermann,
Das Problem des Totemismus.
Eine Diskussion über die Natur des Totemismus und die Methode seiner
Erforschung*.
(Fortsetzung.)
II. Ausdrucks- und Spieltätigkeit als Grundlage des Totemismus.
Von Bernhard Ankermann.
Wie bedenklich es ist, eine Erscheinung, wie den Totemismus, erklären
zu wollen auf Grund der Beobachtungen, die in einem einzelnen Erdteil oder
einem noch beschränkteren Gebiet gemacht sind, zeigt die Geschichte der bis
herigen Erklärungsversuche. Während die einen sich ausschließlich auf die
Tatsachen stützen, die uns Australien geliefert hat, gehen die anderen von den
totemistischen Ideen der Nordamerikaner aus, und dieses allein genügt, um
die Verschiedenheit der Theorien zu erklären, es erklärt aber auch zur Genüge,
weshalb keine von diesen Theorien imstande ist, den ganzen totemistischen
Komplex befriedigend zu deuten. So hat man das Kind mit dem Bade aus
geschüttet und geschlossen, es gebe gar keinen einheitlichen Totemismus,
sondern mehrere, im Ursprung verschiedene Totemismen, die ihre äußerliche
Ähnlichkeit durch Konvergenz erlangt hätten. Diese Annahme erscheint mir
unnötig, weil die Verschiedenheit der Erklärungen schon durch die Verschieden
artigkeit des zugrunde gelegten Materials bedingt ist; sie wird aber direkt falsch,
wenn sich nachweisen läßt, daß in allen „Totemismen“, dem australischen nicht
nur und dem amerikanischen, sondern auch dem afrikanischen usw., ein ge
meinsamer Kern steckt, um den sich die übrigen, jetzt oft als Hauptsache
erscheinenden Merkmale erst später herumkristallisiert haben. Als dieser Kern
erscheint mir auf Grund meiner Untersuchungen über den afrikanischen To
temismus 1 der Glaube an ein spezifisches Verhältnis zwischen sozialer Gruppe
und Totem, das Einheitsgefühl zwischen beiden. Das hat auch schon Frazer
lange erkannt und ausgesprochen, ohne aber bei seinen Erklärungen diese
Erkenntnis genügend zu verwerten. Später hat Reuterskiöld diesen Punkt
stark betont und zum Ausgangspunkt seiner Erklärung gemacht. Er formuliert
das Problem ganz richtig: „Wie kommt es, daß ein Menschenclan sich selbst
mit einer Tierart für identisch hält und auch von anderen dafür gehalten wird 1 2 ?“
Das trifft ohne Zweifel den Kern der Sache, und eine Antwort auf diese Frage
wäre gleich zutreffend für alle „Totemismen“ der ganzen Erde, da das erwähnte
Einheitsgefühl überall, wenn auch in abgewandelter oder abgeschwächter Form
vorhanden ist. Alle Formen, in die das Verhältnis zwischen Mensch und Totem
sich an verschiedenen Orten gekleidet hat, lassen sich von diesem Ausgangs
punkt aus leicht verstehen.
Die Gestalten, unter denen der Totemismus sich uns heute in den Ge
bieten seines Vorkommens zeigt, haben eine lange Geschichte hinter sich.
Magische und animistische Ideen und Riten sind mit dem Totemglauben zu
1 „Verbreitung und Formen des Totemismus in Afrika.“ Z. f. Ethn. 1915, Heft II/III.
2 „Die Natur des Totemismus.“ „Anthropos“, IX (1914), S. 649. Ähnlich in: „Die Ent
stehung der Speisesakramente.“ Heidelberg 1912, S. 86,