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Full Text: Anthropos, 32.1937

Musikwissenschaft und Kulturkreislehie. 
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Komplex von Qualitäten, die der Begriff der „Vortragsweise um 
schließt. Es handelt sich hier einmal um mannigfache qualitative Züge der 
Klangfärbung, die ihrerseits wieder tief in das physiologische Gebiet hinüber 
reichen und zum beträchtlichen Teil geradezu von psychophysischen Gegeben 
heiten, wie dem Körperbau und mehr aber noch von den besonderen Haltungs 
eigentümlichkeiten und Spannungszuständen des Leibes abhängen. Aber es ist 
nicht nur die Klangfarbe im engeren Sinne, die hier in Betracht kommt, sondern 
daneben sind auch mancherlei qualitative Besonderheiten des rhythmischen 
Flusses, der Artikulation und Phrasierung, der Bindung und Trennung der 
Töne von Bedeutung. Oft kann man bemerken, daß gerade diese qualitativen 
Eigenarten, diese Modalitäten der musikalischen Ausführung aufschluß 
reicher sind als die grobstofflichen Züge des Tonvorrats, des formalen Auf- 
baus usw. 
Aus dieser phänomenologischen Vielschichtigkeit des Tonstoffes, die hier 
nur ganz flüchtig zu skizzieren war, entspringt fraglos reicher Sondergewinn 
für die musikethnologische Erkenntnis, zum anderen aber liegen gerade hier 
außerordentliche Schwierigkeiten in methodischer Hinsicht verborgen. Denn 
die verschiedenen Schichten musikalischer Gestaltung und musikalischen Sinn 
gehaltes sind seltsamerweise nicht durch ein eindeutiges Gesetz miteinander 
verknüpft. Hunderte von Erfahrungen zeigen uns immer wieder, daß musika 
lische Kulturgüter sozusagen als fertiggeprägte Gebilde, als tönende „Arte 
fakte“, ein Sonderdasein relativ unabhängig von ihren ursprünglichen Träger 
völkern zu führen vermögen. Auf der anderen Seite aber ist es ebenso unver 
kennbar, daß die feineren gestalthaften Züge und die qualitativen Besonder 
heiten des Vortrages enger an ihre jeweils tragende psychophysische Grund 
lage gebunden sind. So lassen sich manche Stilgruppen (so etwa Mutterrechts 
stile bei süd- und mittelamerikanischen Indianern) eindeutig auf Grund des 
Tonvorrates abgrenzen, wohingegen die Vortragsweise keine sehr deutlichen 
Aufschlüsse verspricht. Aber auch der umgekehrte Fall ist durchaus aufzeig- 
har. Als Musterbeispiel wäre etwa das Melos und der musikalische Formen 
schatz der meisten Semang-Stämme zu nennen. Wir müssen annehmen, daß 
die Musik der Semang in hohem Grade durch übernommene Formen der 
primitivmalaiischen (austronesischen) Kultur überschichtet wurde. Das spe 
zifisch Pygmäenhafte dieser Musik tritt uns hingegen mit eindrucksvoller 
Deutlichkeit in der Klangbildung und in der Agilität der Vortragsweise 
entgegen. 
Augenscheinlich lassen sich diese Erfahrungen in methodologischer Hin 
sicht dahin zusammenfassen, daß die qualitativen Besonderheiten in der Regel 
Hinweise auf ursprünglichere Substrate bedeuten, während die mehr sub 
stanziellen und ein Teil der gestaltmäßigen Züge wohl als frei verfügbares, 
übertragbares Kulturgut anzusprechen wären. Noch heute können wir in 
unserer allernächsten Umgebung, vor allem im ost- und südosteuropäischen 
Bereiche beobachten, wie beim Volksliedaustausch der melodische Umriß in der 
Regel gewahrt bleibt, wohingegen das, was sozusagen „zwischen den Tönen 
liegt, das, was sie als dynamische Unterströmung trägt, stets zum Ausgangs 
punkt des Gestaltwandels wird.
	        
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