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Werner Danckert,
bostel hat den gleichsinnigen Ausdruck „Treppenmelos“ für dieselben
Melodiebereiche und für einen Großteil der indianischen Melodik in Anspruch
genommen. Tatsächlich zeigt sich in der Musik dieser Völker zum mindesten
eine gewisse Übereinstimmung im äußeren Bewegungsablauf, im Notenbild.
Struktur und Klangbild bedürfen indessen noch einer weiteren Differenzierung.
So möchte ich Vorschlägen, den Begriff des Treppenmelos auf die fester organi
sierten außeraustralischen Formen einzugrenzen, für die Hauptmasse der
australischen Musik hingegen den englischen Begriff der „s t r a i n s“ vorzu
behalten, der sich sinngemäß etwa als „abwärtsziehendes Melos“ eindeutschen
ließe. Damit ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal angedeutet: die Melodie
bewegung der strains bedeutet keinen „Abstieg“ im eigentlichen Sinne, keine
raummessende noch irgendwie zentrierte Bewegungsform, sondern ein ganz
einspuriges Abstürzen in die Tiefe, dem ein musikalisches Raumgefühl ohne
festen Schwerpunkt entspricht. Zu dieser „exzentrischen“ Bewegungsform ge
hören als typische Korrelate der Vortragsweise ein eigentümlich ziehender,
motorisch gleitender Tonansatz, der sich in einer rhythmischen Begleitkurve
mit rund ansetzendem Hauptakzent und spitzem Nebenschlag verdeutlichen
ließe. In stimmphysiologischer und stimmphänomenologischer Hinsicht handelt
es sich um einen Klang mit wenig Körperresonanz von äußerster extraverter
Spannung, die einer ähnlich gearteten Gespanntheit des Leibes entspricht. Als
Hauptmerkmal ist hier noch die von Ottmar Rutz als theoretische Möglichkeit
entdeckte „Aszendenzhaltung“ zu nennen, die einen Muskelschub auf der
Vorderseite des Leibes, etwa vom Zwerchfell aufwärts, bedingt und die wohl
auch manche von anthropologischer Seite bemerkten Eigentümlichkeiten des
australischen Körperbaues erklären dürfte. Vermutlich ist diesem absonder
lichen psychophysischen Komplex auch die Spezialisierung der australischen
Stimmlage einzubeziehen, von der zuerst der englische Forscher Harold
E. Davies 7 berichtet. Davies hat eine beträchtliche Reihe von australischen
Gebieten musikethnologisch erforscht und er versichert aufs bestimmteste, daß
der australische Gesang überhaupt keine tiefe Stimmlage kennt! Es gibt keine
Bässe, in der Hauptsache nur „Tenorlage“. Der mutterrechtliche Ein
schlag in einigen Bezirken australischer Musik dürfte, soweit das spärliche
Material bisher Rückschlüsse zuläßt, hauptsächlich in pentatonisehen Zügen
der Leiterbildung bestehen, die jedoch an dem dynamischen Grundgepräge der
strains nichts Wesentliches zu ändern vermögen. Man empfängt immer wieder
den Eindruck, daß der Bewegungszug dieser strains einem australischen
Rassen- und vielleicht auch Kultursubstrat entspricht, das durch die jüngeren
Kulturschichten sozusagen immer wieder hindurchschlägt.
Ich komme nun zu dem Verbreitungskreis der eigentlichen „Treppen-
m e 1 o d i k“, die ich neben den australischen strains als musikalische Ent
sprechung des totemistischen Kulturkreises ansehen möchte. Da
sind zunächst sicherlich weite Bereiche des musikalisch noch wenig erforschten
7 Harold E. Davies: Aboriginal Songs of Central and Southern-Australia; Oce-
ania, Vol. II, London 1931/32, S. 454 f., 462. — Adelaide University Field Anthropology:
Central Australia Nr. 4. Aboriginal Songs, S. 81—92; Transactions and Proceedings
of the Royal Society of South Australia, Vol. 51, Adelaide South Australia 1927, S. 91.