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Full Text: Anthropos, 32.1937

Die archäologische Forschung in China. 
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Die Kultur der Chou stellt sich als eine geradlinige Fortsetzung der 
Shang-Kultur dar, freilich auch als eine Fortentwicklung derselben. Die Ein 
führung der Primogenitur in der Thronfolge, die Regelung der feudalen 
Ordnung, die Festsetzung der rituellen Vorschriften und die Organisation 
der Verwaltung gehören zu den fortschrittlichen Einrichtungen, welche zu 
Beginn der Chou-Dynastie in Kraft traten. Die konfuzianische Schule liebt 
es, diese Einrichtungen dem Herzog von Chou, einem Bruder des ersten 
Königs, zuzuschreiben. Weit wahrscheinlicher ist es, daß diese Einrichtungen 
älteren Datums sind, aber erst in der Ära Chou-Kungs kodifiziert wurden. 
Die Kultur der Shang und der Chou war im wesentlichen ein und dieselbe, 
aber erst nach Erringung der Vorherrschaft durch die Chou erhielt sie die 
definitive Form, über die wir dokumentarisch unterrichtet sind. 
Ich kann mich auch der von einigen Archäologen ausgesprochenen An 
sicht nicht anschließen, daß die Shang und die Chou verschiedene Völker 
waren. Diese Hypothese stützt sich zum Teil auf das Faktum, daß die Chou 
in den Inschriften bisweilen als I bezeichnet werden. Das Wort I bedeutet 
einen, der in der Ferne lebt, einen Fremden, und kann in tadelndem Sinne 
ebensogut auf einen unbotmäßigen Stamm, wie auf ein fremdes Volk ange 
wendet werden. Hingegen sind die den Shang und den Chou gemeinsamen 
Kulturelemente viel zu zahlreich, um die erwähnte Hypothese glaubhaft zu 
machen. Um nur einige dieser Elemente zu nennen, haben wir die Schrift, 
die Zeitrechnung, den Ahnenkult, die Kultgeräte (ting- und //-Dreifüße, lei- 
und ¿//-Gefäße, tsun- und chiie-Becher), die Waffen (Lanzen und Hellebarden, 
Schwerter und Bogen), Haarspangen, Muschelgeld usw. 
Wir wissen allerdings, daß China vor der Chou-Dynastie und selbst 
während derselben kein einheitlicher, von einer Zentralgewalt regierter Staat 
war; daß das chinesische Volk vielmehr in zahlreiche Stämme geschieden 
war, welche unter ihren Stammesfürsten eine ziemlich unabhängige Existenz 
führten. Ihre Stammessitze wurden allmählich in Lehenstaaten umgewandelt, 
ohne von ihrer Llnabhängigkeit viel einzubüßen. Die Herrschaft der Könige 
war, wie schon erwähnt, eine vorwiegend kultische und ihre faktische Regie 
rung auf ihr Stammland beschränkt, ein Grundzug, den man auch in histori 
scher Zeit noch lange beobachten kann. 
Weder die Ausgrabungen noch die Inschriften haben irgend welche 
Momente aufgezeigt, die mich an der oft vertretenen Ansicht hätten irre 
machen können, daß die Chinesen ursprünglich ein aus Zentralasien in ihre 
jetzige Heimat eingewandertes Nomadenvolk waren. Wir finden sie in der 
ältesten Zeit wie einen Keil zwischen die Steppenvölker des Nordens und den 
autochthonen Völkern des Südens eingeschoben, und können ihre Ausbreitung 
nach beiden Seiten, die sich bis tief in die historische Zeit hinein fortsetzt, 
genau verfolgen. Die Bevölkerung, welche sie verdrängt haben, hat sich noch 
lange in Enklaven ihres Siedlungsgebietes erhalten und ist erst in der Zeit 
der Fehdestaaten (4. und 3. Jahrhundert vor Christi) vernichtet oder absorbiert 
worden. In der gesellschaftlichen Struktur wie in der Gesamtkultur Altchinas 
sind die zwei Elemente, das nomadische einerseits und das seßhaft-agrarische 
Element anderseits, deutlich zu erkennen. Die geringe Seßhaftigkeit im frühen
	        
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