Die archäologische Forschung in China.
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Die Kultur der Chou stellt sich als eine geradlinige Fortsetzung der
Shang-Kultur dar, freilich auch als eine Fortentwicklung derselben. Die Ein
führung der Primogenitur in der Thronfolge, die Regelung der feudalen
Ordnung, die Festsetzung der rituellen Vorschriften und die Organisation
der Verwaltung gehören zu den fortschrittlichen Einrichtungen, welche zu
Beginn der Chou-Dynastie in Kraft traten. Die konfuzianische Schule liebt
es, diese Einrichtungen dem Herzog von Chou, einem Bruder des ersten
Königs, zuzuschreiben. Weit wahrscheinlicher ist es, daß diese Einrichtungen
älteren Datums sind, aber erst in der Ära Chou-Kungs kodifiziert wurden.
Die Kultur der Shang und der Chou war im wesentlichen ein und dieselbe,
aber erst nach Erringung der Vorherrschaft durch die Chou erhielt sie die
definitive Form, über die wir dokumentarisch unterrichtet sind.
Ich kann mich auch der von einigen Archäologen ausgesprochenen An
sicht nicht anschließen, daß die Shang und die Chou verschiedene Völker
waren. Diese Hypothese stützt sich zum Teil auf das Faktum, daß die Chou
in den Inschriften bisweilen als I bezeichnet werden. Das Wort I bedeutet
einen, der in der Ferne lebt, einen Fremden, und kann in tadelndem Sinne
ebensogut auf einen unbotmäßigen Stamm, wie auf ein fremdes Volk ange
wendet werden. Hingegen sind die den Shang und den Chou gemeinsamen
Kulturelemente viel zu zahlreich, um die erwähnte Hypothese glaubhaft zu
machen. Um nur einige dieser Elemente zu nennen, haben wir die Schrift,
die Zeitrechnung, den Ahnenkult, die Kultgeräte (ting- und //-Dreifüße, lei-
und ¿//-Gefäße, tsun- und chiie-Becher), die Waffen (Lanzen und Hellebarden,
Schwerter und Bogen), Haarspangen, Muschelgeld usw.
Wir wissen allerdings, daß China vor der Chou-Dynastie und selbst
während derselben kein einheitlicher, von einer Zentralgewalt regierter Staat
war; daß das chinesische Volk vielmehr in zahlreiche Stämme geschieden
war, welche unter ihren Stammesfürsten eine ziemlich unabhängige Existenz
führten. Ihre Stammessitze wurden allmählich in Lehenstaaten umgewandelt,
ohne von ihrer Llnabhängigkeit viel einzubüßen. Die Herrschaft der Könige
war, wie schon erwähnt, eine vorwiegend kultische und ihre faktische Regie
rung auf ihr Stammland beschränkt, ein Grundzug, den man auch in histori
scher Zeit noch lange beobachten kann.
Weder die Ausgrabungen noch die Inschriften haben irgend welche
Momente aufgezeigt, die mich an der oft vertretenen Ansicht hätten irre
machen können, daß die Chinesen ursprünglich ein aus Zentralasien in ihre
jetzige Heimat eingewandertes Nomadenvolk waren. Wir finden sie in der
ältesten Zeit wie einen Keil zwischen die Steppenvölker des Nordens und den
autochthonen Völkern des Südens eingeschoben, und können ihre Ausbreitung
nach beiden Seiten, die sich bis tief in die historische Zeit hinein fortsetzt,
genau verfolgen. Die Bevölkerung, welche sie verdrängt haben, hat sich noch
lange in Enklaven ihres Siedlungsgebietes erhalten und ist erst in der Zeit
der Fehdestaaten (4. und 3. Jahrhundert vor Christi) vernichtet oder absorbiert
worden. In der gesellschaftlichen Struktur wie in der Gesamtkultur Altchinas
sind die zwei Elemente, das nomadische einerseits und das seßhaft-agrarische
Element anderseits, deutlich zu erkennen. Die geringe Seßhaftigkeit im frühen