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Full Text: Anthropos, 32.1937

Germanentum und Wirtschaft. 
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„Übervölkerung“ nur dann einen Sinn, wenn man mit einer nur extensiven 
Landwirtschaft zu rechnen hat 9 . 
In einer so kriegerischen Kultur wie der altgermanischen ist das selbst 
verständlich. Davon hat sich auch Tacitus, diesmal entfernt von überkommenen 
ethnographischen Klischees, vollkommen überzeugt. Im vierzehnten Kapitel 
seiner Germania erzählt er, daß sich die Gefolgschaft, die militärisch-politische 
Elite des Stammes, mit dem Landbau nicht beschäftige und es für schlapp 
halte: sudore, durch Schweiß, durch wirtschaftliche Arbeit acquirere, quod 
possis sanguine parare. Gewiß ist das nicht vom ganzen Stamme gesagt. Aber 
waren die Gefolgsleute wirtschaftlich ein Vorbild? Schon Caesar hatte, VI, 22, 
gehört, daß eine intensivere Landwirtschaft den Germanen geradezu verboten 
sei, und zwar im Interesse der Wehrhaftigkeit: ne assidua consuetudine capti 
Studium belli gerendi agricultura commutent. . . 
Außer diesen indirekten römischen Zeugnissen gibt es noch andere 
Erscheinungen, die in eine ähnliche Richtung deuten wie die verhältnismäßig 
späte Entstehung des Privateigentums an Grund und Boden, an der man mit 
Karl Half 10 festhalten darf, wenn auch die LAVELEYE-BüCHER’schen An 
schauungen vom ursprünglichen Agrarkommunismus der Germanen nicht 
mehr aufrechtzuerhalten sind. Die Gewerbe- und Handelsgeschichte liefert in 
derselben Richtung feste Stützen. Man wird weder das germanische Gewerbe, 
besonders das Kunstgewerbe, noch den germanischen Handel irgendwie unter 
schätzen. Nur wird man zweierlei Einschränkungen machen müssen. Gewerb 
licher und selbst kunstgewerblicher Aufschwung ist vielfach römisch beein 
flußt. Dem Handel kann Germanien Bernstein und gewisse Rohstoffe gegen 
Fabrikate bieten. Dieser Handel lag aber vornehmlich in den Händen der 
römischen Kaufleute, die schon früh bis ins Baltikum gelangt sind und sich 
aus dem freien inneren Germanien auch dann nicht verdrängen ließen, als die 
Legionen längst zurückgezogen waren (H. Aubin). 
Doch blieb die germanische Wirtschaft auf dieser primitiven Stufe nicht 
stehen. Schon während der Völkerwanderungszeit macht sie Fortschritte nach 
allen Seiten. Die Folge ist, daß sich die wirtschaftlichen Zustände unter Karl 
dem Großen von den altgermanischen zu ihrem Vorteil ganz wesentlich unter 
scheiden. Für diese spätere Zeit sind primitive Vorstellungen vielfach fern- 
zuhalten, wie Alfons Dopsch trotz gewisser Übertreibungen nachgewiesen 
hat. Wenn man aber fragt, woraus sich diese späteren wirtschaftlichen Fort 
schritte erklären, so wird man sie mehr auf die Umwelt fortgeschrittener 
Kulturen zurückführen als auf eine besonders hohe wirtschaftliche Begabung 
der Germanen, weshalb auch Rückschlüsse aus dieser späteren günstigen auf 
die frühere ungünstige Periode durchaus unzulässig sind. 
Das ursprüngliche Verhältnis des Germanentums zur Wirtschaft ist 
locker und jedenfalls nicht annähernd so eng wie das zum Kriege. Für diese 
Grundtatsache altgermanischer Wirtschaftsgeschichte ließen sich noch man 
9 G. Seeliger, Reallexikon, 4 (1919), S. 212. 
10 Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germanistische Abteilung, 49 (1929), 
S. 433 ff., S. 478 ff. 
l*
	        
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