Bericht über eine Expedition zu den Kalyo-Kengyu Naga, Assam.
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Bericht über eine Expedition zu den Kalyo
Kengyu Naga, Assam.
Von Dr. Christoph von Fürer-Haimendorf.
In der Zeit vom Juni 1936 bis zum gleichen Monate des Jahres 1937
betrieb ich ethnologische Studien unter den Naga-Stämmen Assams. Nach
einigen kleineren Touren durch das Gebiet der Angami Naga 1 , welche vor
allem der Aufhellung einiger Züge der Megalithkultur dieses Stammes dienten,
sowie einer kurzen Übersichtstour durch einige Dörfer der Ao Naga, ließ ich
mich bei den Konyak Naga nieder. Als meine Basis wählte ich das große Dorf
Wakching, das an der Grenze des administrierten Gebietes liegt und von wo
aus ich ohne bedeutende Schwierigkeiten auch mit Leuten aus den nicht unter
britischer Verwaltung stehenden Dörfern in Fühlung treten konnte.
Die Konyak sind einer der am wenigsten bekannten Naga-Stämme und
stellen zweifelsohne die älteste noch erfaßbare Schichte im Bereiche der Naga-
Berge dar. Im Laufe mehrerer Touren gewann ich eine leidliche Kenntnis der
unter sich sehr verschiedenen Gruppen dieses Stammes, doch widmete ich den
überwiegenden Teil meiner Zeit einer eingehenden Untersuchung der Soziologie
Wakchings, das als Dorf von 249 Häusern eine Gemeinschaft bildet, in der
sich alle der Kultur innewohnenden sozialen Tendenzen frei entfalten können.
Nachdem ich vier Monate unter den Konyak gearbeitet hatte, bot sich
mir die Gelegenheit, gemeinsam mit Mr. J. P. Mills, Deputy Commissioner
des Naga Hills District, eine Expedition durch das unverwaltete und zum Teil
unerforschte Gebiet der Chang Naga und zu den noch völlig unbekannten
Kalyo-Kengyu Naga zu unternehmen.
Als Kalyo-Kengyu werden die Stämme bezeichnet, die östlich der Chang,
Yimsungr und Sangtam an den Hängen der Hauptkette des Patkoigebirges
leben und sich gegen Süden bis zum Somra Tract erstrecken. Da ihr Gebiet,
abgesehen von seinem südlichsten Teile auch geographisch noch unerforscht
ist, läßt sich nicht sagen, ob sie auf Assam beschränkt sind oder auch auf
der birmanischen Seite des Patkoi wohnen. Unsere ethnologischen Kenntnisse
von den Kalyo-Kengyu waren bis vor kurzem gleich Null und nur dieser Um
stand rechtfertigt die Veröffentlichung von Beobachtungen, die angesichts des
1 Vgl. C. von Furer-Haimendorf and J. P. Mills, The Sacred Founder’s Kin
among the Eeastern Angami Nagas, „Anthropos“ XXXI, 1936, p. 922—933.