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Mit besonderer Herüeb sich ti guno der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl A n d r e e.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bünde ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postaustalten
zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen.
1885 .
Dieulafoy's Reise in Westpersien und Babylonien.
XXI.
(Die Abbildungen, wenn nichts Anderes bemerkt,
Der 14. Oktober, an welchem Mr. Blackmaure fieberfrei
war, wurde zu einem Besuche der Grabstätten der beiden
berühmten Dichter benutzt, deren Geburtsort Schiraz zu
sein sich rühmt: des Saadi (gestorben 1291) und des Hafiz
(gestorben 1389). Das Grabmal des letzteren liegt in
dem Garten Hafizieh, eine halbe Stunde nordöstlich der
Stadt am Eingänge eines fruchtbaren Thales, aus welchem
ein breiter Kanal in die Ebene von Schiraz hinunterfließt.
Den Mittelpunkt dieser Anlage bildet der Sarkophag des
Dichters, in dessen Achatplatten zwei Lieder von ihm cin-
gcgrabcn sind, und ringsum haben sich schwärmerische Ver-
ehrer desselben bestatten lassen. Hafiz wurde zu Anfang
des 14. Jahrhunderts zu Schiraz in niedriger Lebenslage —
er soll Bäcker gewesen sein — geboren, schwang sich aber
durch sein Talent rasch empor, studirte Theologie und
Rechtskunde, wurde ein gründlicher Kenner des Koran und
lehrte denselben in einer Schule, die der Großvezir Hadschi
Kawameddin Mohammed Ali eigens für ihn erbaut hatte.
Seine Werke bilden eine erst nach seinem Tode veranstaltete
Sammlung von 569 Ghazelcn, die noch heute, obgleich mit
Vergleichen und Hyperbeln überladen, sehr populär sind.
Stellenweise sind sie so dunkel, daß sie neben dem Koran
als Orakel benutzt werden. Aufs Gerathewohl schlägt man
seine Lieder auf, wie im Mittelalter die Acncide Virgil's
(sortes Virgilianae), um aus dem ersten Verse, auf wel
chen das Auge fällt, sich eine Antwort auf irgend einen
Gedanken oder einen Wunsch zu entnehmen. Zum ersten
Male soll man zu diesem Verfahren seine Zuflucht genom-
Globus XLVII. Nr. 11.
nach Photographien der Mme. Jane Dicnlafoy.)
men haben, als die Gottesgelehrten und Mollahs von Schiraz
dem Dichter ob seiner allzu freien Weltanschauung das ehr
liche Begräbniß verweigern wollten; auf Andrängen seiner
Freunde beschloß man, seine Lieder zu befragen, und nach
einander stieß man auf zwei Stellen, in welchen er offen
seine Fehler bekannte, aber sich dennoch selbst einen Platz
im Paradiese zusicherte. Der Zufall hatte über die Bru
talität der Pfaffen gesiegt. Noch heute wissen die Gelehrten
seine Oden auswendig und der gemeine Mann liebt es,
wenigstens die bekanntesten Ghazelcn herzusagen; selbst der
ärmste Schlucker kennt von Hafiz irgend welche mehr oder
minder geistreiche Anekdote.
In derselben nordöstlichen Richtung liegt eine halbe
Stunde weiter von der Stadt entfernt das Grab Saadi's
(1184 bis 1291), des berühmtesten didaktischen Dichters
der Perser, des Verfassers des „Diwan", des „Gulistan"
(Rosengarten), des „Bostan" (Baumgarten) und kleinerer
Gedichte. Dasselbe, ein Sarkophag von weichem, mit In
schriften geziertem Kalksteine, erhebt sich in einer Kapelle,
vor welcher ein viereckiger Hof liegt; die ganze Anlage soll
zur Zeit Kerim Chan's erbaut oder wenigstens restaurirt
worden sein. Scheich Moslih ed-din Saadi oder einfach
der Scheich genannt, aus Schiraz gebürtig, durchreiste große
Theile von Asien, nahm an den Kümpfen gegen die Kreuz
fahrer theil, deren Gefangener er einige Zeit lang war,
und verfaßte nach seiner Heimkehr die prosaischen und
poetischen Werke, die, leichter zu verstehen als die des Hafiz,
sich in aller Händen befinden; die Kinder lernen ebenso
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