Amazonas und Cordilleren.
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Grade entwickelt: sie schießen und verfolgen eine Spur in
bewunderungswürdiger Weise.
Pongo, ein Quichnawort, bedeutet „Pforte", und
wirklich ist der Pongo de Manseriche die Pforte der Cordillere,
durch welche der Rio Amazonas Serrano durchbricht,
um daun zum Amazonas der Ebene zu werden. Ehe er
die Stelle passirt, nimmt der Fluß, den die Huambizas
schon Maranon nennen, der aber geographisch Tunguragua
heißt, den Santiago oder richtiger Canuza auf. Das
Wasser stürzt sich mit furchtbarer Gewalt durch den Pongo,
aus 600 in stromabwärts hat es alle weiche Erde mit fort
gerissen und biegt, durch eine Granitwand aufgehalten, in
beinahe rechtem Winkel ab. Das Bild des Engpasses ist
prächtig, die Wände fallen beinahe so steil wie Mauern ab
und widerstehen seit Jahrtausenden dem brüllenden, mäch
tigen Strome. Um so interessanter war es für Wiener,
da er schon 1876 die Quelle des mächtigen Flusses, den
See von Lanricocha, besucht und denselben als schwachen
Wasserlauf, später als Tunguragua, gesehen hatte, denselben
hier am Pongo, wo er in die reiche Ebene eintritt, bewun
dern zu können. Wenige hundert Meter unterhalb des
Pongo fließt der Fluß ruhig dahin. Ein siebenstündiger
Marsch auf dem linken Ufer des Marañon führte zu dem
Santiago, der oberhalb des Pongo in den großen Fluß
mündet. Eine Gesellschaft von etwa 30 Indianern, mit
der man Freundschaft schloß, führte Wiener in ihrem
Boote den Santiago aufwärts und später mit erstaunlicher
Geschwindigkeit durch den Pongo zum Ausgangspunkte
zurück. Oberhalb des Pongo hat der Fluß mehr als
250 in, der Pongo selbst nur 80 m Breite, und die auf
gestauten Wogen bahnen sich unter furchtbarem Getöse den
Weg zwischen den Felsen hindurch; beinahe am Ende der
Enge, mitten im Fahrwasser, liegt eine große Klippe. In
zwölf Minuten hatte man zu Wasser den Weg gemacht,
Indianer-Hütten von Ungurahui am Rio Samiria. (Nach einer Photographie.)
zu dessen Zurücklegung über Land man zwei Tage vorher
sieben Stunden gebraucht hatte. Dieser Punkt scheint
Wiener von der größten Bedeutung für die zukünftige Ent
wickelung jener Gegend. Er sagt darüber etwa folgendes:
„Wie Para das Entrepot für europäische Manufakturen
ist, so wird der Pongo eines Tages das Entrepot der zu
künftigen Kornkammer des Amazonas der Cordillere sein;
doch wird der westliche Schlüsselpnnkt des Amazonas sich
nicht bei dem alten Borja auf dem linken Ufer des Ma-
ranon befinden, denn hinter demselben dehnt sich das Gebiet
der Huambizas aus und die Stadt würde hier in der
unmittelbaren Nähe der Abhänge der Gefahr ausgesetzt
sein, bei dem geringsten Erdsturz verschüttet zu werden;
käme dagegen die Stadt auf das rechte Ufer, so wäre letztere
Gefahr ausgeschlossen; außerdem öffnet sich hier eine Ver
bindung mit der civilisirten Cordillere von Peru; sie muß
in die Nähe von Chachapoyas kommen, d. h. eines aus-
gedehnten Thales, welches dem Amazonas Korn und Kar
toffeln liefern kann. Der Versuch dagegen, an Stelle des
alten Borja ein neues Borja zu gründen, hat zwei Millionen
gekostet und ist vollständig mißglückt." Man fuhr nun den
Maranon wieder hinunter, und etwa zwölf Kilometer ober
halb der Mündung des Morona sah man die Feuer einer
Abtheilung Ahuarunas, eines Stammes, der zwischen
den halb und den ganz wilden Indianern in der Mitte
steht; sie sammeln Sassaparille und Kautschuk, die sie in
San Antonio und Aripari gegen Flinten und Pulver ver
tauschen. Auch hier forschte man nach von Günzburg, ohne
jedoch etwas Bestimmtes in Erfahrung bringen zu können.
Die Zahl der Indianer betrug etwa 40; die dabei befind
lichen Frauen, welche ziemlich angenehme Züge halten,
waren in der Kultur schon genugsam fortgeschritten, um
sich bei Annäherung der Europäer mit einem weiten Ge
wände zu verhüllen, gewöhnlich aber gehen sie nackt.