Band XLVIII.
Mit besonderer Herürksrchtrguirg der Anthropologie und Ethnologie.
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Cagnat's und Saladin's Reisen in Tunesien.
Am folgenden Morgen ging die Reise weiter in fast
genau südlicher Richtung, der Wohnung des Oberinten
danten der Enfida zu. Vorbei an dem Trümmerhaufen
H e n s ch i r S i d i C h a l i f a, der einige Tage später besucht
werden sollte, erreichten die Reisenden gegen Mittag den
am Westrande eines im Sommer austrocknenden Strandsees
gelegenenHenschir (d.i.Ruinenstätte) Fragha, wo ihnen
der Oberintendant Herr Mangiavacchi, entgegen kam.
Unter seiner Leitung untersuchten sie die Ruinen und er
kannten sie als die Zieste von Uppena, das zu Constantin's
Zeiten eine Kolonie war und natürlich einen Bischof hatte,
der ulehrfach in den Verzeichnissen der Concilbesucher figu-
rirt. Ein kurzer Ritt brachte mit sinkender Sonne die
Gesellschaft zum Sitze des Oberintendanten, dem Dar el-
Bey der Enfida, damals einem mehr als bescheidenen
Wohnhause, das aber seitdem durch einen etwas großarti
geren Bau ersetzt worden ist.
Eine weite Ebene bietet sich dem Blicke beim Verlassen
des Dar el-Bey am anderen Morgen; nur in einiger Ent
fernung südwärts erhebt sich steil abfallend und anscheinend
unersteiglich der D s ch e b c l T a k r u n a, dem die Reisenden
einen Tag widmen. Ueber ein breites sandiges, noch
trockenes Flußbett, dessen Winterfluthen aber gar manchmal
den Weg sperren, gelangen sie an den Fuß des circa 250 m
hohen steilen Abhanges, an welchem ein schwindelnder
Pfad in unzähligen Windungen herabführt. Er ist belebt
von den Frauen der beiden oben gelegenen Dörfer, welche
mit Krügen und Schläuchen herabsteigen, um aus dem im
Thale liegenden Römerbrunnen das nöthige Trinkwasser
zu holen. Das ist überall int Kabylenlande die Pflicht,
Globus XLV11I. Nr. 19.
aber auch das Recht der Frauen, selbst die reichste Kabylen-
frau läßt es sich nicht nehmen, selbst zum Brunnen zu
gehen; freilich läßt sich dort ebenso gilt schwatzen, wie am
Marktbrunnen einer deutschen Kleinstadt, nur daß es den
Männern verboten ist, sich in der Zeit, wo die Frauen
Wasser holen, dem Brunnen zu nähern. Römerreste
finden sich auf dem Plateau nicht, aber man hat eine herr
liche Aussicht' und übersieht die Byzacena vom Dschebel
Zaghuan bis nach Kairuan, dessen Hauptmoschee am süd
lichen Horizonte aufragt.
Ausgedehnte Trümmer liegen dagegen weiter südwestlich,
eine Kubbah (Grabkapelle) des Sidi Abderrahman
el Garsi umgebend und setzt nach dieser benannt. Hier
lag vermuthlich das Aggersel oder Aggerfel der Jti-
nerarien, aber es ist fast nichts davon übrig geblieben als
ein kleines Bassin, das von Schildkröten wimmelt, welche,
ähnlich wie die in der warmen Quelle bei Ntica, heilig
gehalten und von den Wallfahrern gefüttert werden. In
geringer Entfernung fließt in einer römischen, in den Fels
gehauenen Leitung ein kleiner Bach, dessen Wasser voll
kommen dem des berühmten Sauerbrunnen von Saint-
Galmier zu gleichen scheint. Es dankt seine Güte natürlich
dem Heiligen; als er ans seinen Wanderungen hier vorbei
kam, wurde er von den Eingeborenen so gut bewirthet, daß
er ein paar Tropfen saurer Milch (lolmn), die ihm übrig
geblieben waren, ins Wasser spritzte und es so in Mineral
wasser verwandelte. Heute verrinnt das Wasser noch fast
unbenutzt im Sande; bei der Armuth Nordafrikas an zum
Trinken geeigneten Sauerquellen — unseres Wissens exi
st irt in ganz Algerien nur die eine ziemlich schwache Quelle
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