Mit besonderer Uerücbsichtignng der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andrer.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten
zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen.
1887 .
Dssirö Charnay's jüngste Expedition nach Aucatan.
i.
sSämmtliche Abbildungen nach Photographien.)
In seiner Geschichte der amerikanischen Civilisationen
hatte der unseren Lesern wohlbekannte Amerikanist
D. Charnay (der „Globus" brachte zuletzt in den Bän
den 41 und 45 bis 47 illustrirte Berichte über seine Reisen
und Ausgrabungen in Mittelamerika) darauf hingewiesen,
daß in Aucatan Spuren einer unbekannten oder auch ver
kannten Epoche, trotzdem sie die jüngste und letzte ist, näm
lich der Zeit des Verfalls, von welchem die Schriftsteller
berichten, zu fehlen scheinen. Um danach zu suchen, begab
er sich 1886 wiederum nach Aucatan, zumal er auch
vom Bischöfe Lauda erfahren hatte, daß bei einer gewissen i
Pyramide in Jzamal (im Norden des Landes, östlich von j
Merida) die Mauern der Vorplätze mit Basreliefs bedeckt
seien, und er dieselben abformen wollte. Zunächst aber
führte ihn seine Reise mehr nach dem Süden.
Die bei Progreso an der Nordküste beginnende Eisen
bahn, welche er vier Jahre früher bis Acanceh, 13 km
über Merida hinaus, hatte benutzen können, war jetzt um
ganze 5 km weiter, bis Lepan, im Betriebe; wird in diesem
Verhältnisse weitergebaut, so wird cs allerdings noch zwei
Jahrhunderte dauern, bis die Schienen ihr Ziel, den Ort
Bacalar unweit der Bai von Chetumal (Ostküste) erreichen
werden. Lepan ist eine kleine, anspruchslose, aber vor
trefflich gehaltene Hacienda, wo Charnay eine vorzügliche
Aufnahme fand. Es wird dort, wie auf allen Hacienden
des Centrums und der Umgebung von Merida, vornehmlich
die Gespinnstpslanze Heneguen gebaut; außerdem besitzt
aber Lepan prachtvolle, reichlich bewässerte und kühle Gärten,
denen man die Leitung eines intelligenten Mayordomo
Globus LII. Nr. 13.
ansieht. Neben den Feldern europäischer Gemüse, Kohl,
Radischen, Salat u. s. w., stehen Zuckerrohr und Bananen
und ein wahrer Wald von Fruchtbäumen: Zapotes, Guana-
vanas, süße Limonen, Pampelmusen, Orangenbäume, über
ragt von stolzen Kokospalmen, welche im Durchschnitte
400 Nüsse im Jahre tragen sollen. Aber nicht nur auf
das Land erstreckt der Verwalter seine Fürsorge: er hat in
dem ablegenen Orte, wo die Regierung nicht daran denken
würde, eine Schule zu errichten, selbst eine solche in das
Leben gerufen, indem er ein Zimmer seiner Wohnung dazu
hergerichtet hat und darin mit Hilfe seiner Tochter die
Kinder der Indianer und Mestizen seiner Hacienda täglich
zweimal in Lesen, Schreiben, Rechnen, Moral und ein
wenig Geschichte unterrichtet. Leider ein seltener Fall in
jenem Lande!
Mucuiche (24 km südlich von Merida), wo Charnay
am folgenden Tage übernachtete, gehört zu den schönen
Hacienden des Staates; die verschiedenen Wohngebäude
nehmen einen großen Raum ein und sind sämmtlich mit
großen Galerien maurischer Bogen umgeben und versehen,
was einen geradezu glänzenden Eindruck macht. Einen
Theil davon, welchen Charnay photographisch aufnahm,
stellt die erste Abbildung dar; im Vordergründe sitzen
Kaplan und Pfarrer des benachbarten Dorfes Abala. Der
große, mit alten Bäumen bepflanzte Platz, welcher vor der
Hacienda liegt, die unermeßlichen Gänge, die breiten Trep
pen, die Vorhöfe, die Kapelle und die Gärten verleihen der
Hacienda ein fürstliches Ansehen; zwei Cenotes (Teiche),
der eine oben offen und mit senkrechten Mauern, der andere
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