Wri besonderer Herüebsrchtlgung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andrer.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände à 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten
zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen.
1887.
Desire Charnay's jüngste Expedition nach Uncatan.
in.
sSämmtliche Abbildungen nach Photographien.^
An demselben Platze, wie die verwüstete Kathedrale, liegt
auch das Stadthaus von Valladolid, ein Gebäude ohne
jede Originalität, aber auch ohne Prätention, in welchem
die Bureaux des Magistrats, der Präfektur, die öffentliche
Bibliothek und ein Wachlokal vereinigt sind. In letzterem
waren damals die mit der Vertheidigung der Stadt be
trauten Milizen untergebracht. Sonst bietet Valladolid
nichts Bemcrkcnswerthes, abgesehen von seinem (ieitote,
einer geräumigen und tiefen Grotte; dieser Teich gehört mit
seinen Felsstürzen, feinen Höhlen, Stalaktiten und dem
schönen Spiegel klaren grünlichen Wassers, in welchem
hübsche schwarze Fische spielen, zu den schönsten und
malerischsten der ganzen Halbinsel. Tie Fische waren
schuppenlos und von glatter Haut und gehörten zur Familie
der Siluroiden; die größten maßen 18 bis 20 cm Länge.
Sie haben auf beiden Seiten des Bauches zwei Stacheln,
welche eine gefährliche Verletzung erzeugen sollen; die Haut
ist glatt wie beim Aal und färbt die Hände beim Anfassen
stark roth und Alkohol rosafarbig. Sie waren so zutraulich,
daß Charnay mit einem rohen Angelhaken rasch ein Dutzend
derselben sing, die ein treffliches Gericht abgaben und im
Geschmacke an den Aal erinnerten; als er aber am folgenden
Tage nach dem Cenote zurückkehrte, um sich ein frisches
Gericht zu angeln und etwa auch einige Exemplare für das
Pariser Museum zu erbeuten, biß kein einziger Fisch,
offenbar durch Erfahrung gewitzigt, mehr an.
Was die Einwohner der Stadt Valladolid anlangt,
so stimmt Charnay mit allen früheren Berichterstattern in
dem Lobe ihrer Herzlichkeit, ihres Wohlwollens und ihrer
Gastfreundschaft überein. Sowohl der oberste politische
Beamte, als auch der militärische Befehlshaber stellten sich
Globus LII. Nr. 15.
ihm zur Verfügung; Oberst Traeonis überließ ihm für die
ganze Dauer seines Aufenthaltes ein mit Möbeln aus
gestattetes Haus und sein Freund Manuel Herrera diente
ihm bei allen Ausflügen als Führer. — Als Typen der
Bevölkerung mögen die auf unserer dritten Abbildung dar
gestellten Personen dienen: vorn sitzen der indianische
Häuptling Aniceto Znl, einer von denjenigen, welche im
Jahre 1886 wiederum die Offensive ergriffen hatten, und
neben ihm der yucatekische General Cantón; dahinter steht
ein Mestize und ein Indianer, letzterer, sowie sein Häupt
ling, leicht an ihren Zügen und ihrer Kleidung kenntlich.
Tie Nachrichten vom Kriegsschauplätze lauteten schlecht;
die Regierungstruppen waren in drei ans einander folgenden
Gefechten geschlagen worden, und in Folge dessen herrschte
allgemeine Aufregung und alle Verbindungen waren unter
brochen. Der geplante Besuch der Ruinenstätte Koba war
dadurch für Charnay unmöglich geworden; denn es befand
sich in der ganzen Stadt kein einziger Soldat mehr, der ihn
hätte begleiten können, und die Möglichkeit, sich allein dorthin
zu begeben, war einfach ausgeschlossen. Valladolid war nur
von einigen Hunderten rasch bewaffneter, aber ganz un
geübter und fast munitionsloser Milizen beschützt, so daß
unter seinen Einwohnern große Bestürzung herrschte, denn
dieselben glaubten, daß das Endziel der Indianer eine neue
Plünderung ihrer Stadt sei. In ruhigen wie in Kriegs
zeiten hatte man ein Signalsystem eingeführt, welches darin
bestand, daß man rings in der Umgegend dort, wo sich die
Indianer am wahrscheinlichsten nähern würden, Posten im
Walde versteckte, welche Tag und Nacht dort aushielten und
beim geringsten Anzeichen vom Heranrücken des Feindes
die Lunte einer gefüllten Bombe anzuzünden hatten. So-
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