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Full Text: Globus, 53.1888

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E. Baron Toll: Reise nach den neusibirischen Inseln. 
Ich werde auf diese wunderbare Thatsache zum Schlüsse 
noch zurückkommen. Jedenfalls hatte schon eine flüchtige 
Inaugenscheinnahme dieser Insel die Nothwendigkeit einer 
gründlichen Untersuchung derselben erwiesen, und so wurde 
deshalb, als Dr. Bunge ebenfalls hier eingetroffen war, 
eine Theilung der Expedition beschlossen. Herr Dr. Bunge 
erwählte die Ljachow-Jnsel zu seinem speciellen Arbeitsfeld, 
da auf ihr sich die reichsten Funde an fossilen Säugethier 
knochen erwarten ließen, und mir wurde die Untersuchung 
der Insel Kotelny zu Theil. 
Am 13. Mai bei nicht untergehender Sonne und doch 
bei — 21° d. brachen wir zuerst gemeinsam mit 11 Hunde- 
narten weiter nach Norden auf. Nach zweimaliger Rast auf 
dem Eise erreichten wir am 16. Mai die Südspitze der Insel 
Kotelny unter 74^/zO nördl. Br. Drei Tage darauf nahmen 
wir bei einer Flasche Champagner auf 6 Monate von einander 
Abschied. Herr Dr. Bunge zog an der Ostküste der Insel 
Kotelny nach Norden hinauf, wo er durch Holzmangel und 
tiefen Schnee mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen 
hatte, um dann zur Ljachow-Jnsel zurückzukehren; ich machte 
inzwischen eine Tour über die Insel Fadejew nach Ncu- 
sibiricn, von wo ich am 13. Juni noch glücklich über das 
Eis nach der Insel Kotelny zurückkehrte. 
Hier fand ich die für die Landtouren während der 
Uebcrsommcrnng bestimmten, vom Festlande hinüberge 
schafften Renthiere vor, aber leider auch die für Herrn 
Dr. Bunge bestimmten, die sich nun nicht mehr zurück 
senden ließen, wodurch Herrn Dr. Bunge der Aufenthalt 
auf der Ljachow-Jnsel bedeutend erschwert wurde. 
Nachdem meine Vorräthe zur Mündung des llrassalach, 
an der Westküste, circa 10 Meilen nördlich vom Südkap, 
hinübcrgeschafft waren, begann der Bau einer für die 
Wintermonate nothwendigen Behausung. Dazu ließen sich 
sowohl die Reste einer alten Winterhütte, als auch frisches 
Treibholz, das hier besonders reichlich vorhanden war, be 
nutzen. 
Das Treibholz entstammt sicher den großen Strömen 
Sibiriens, wahrscheinlich aber am meisten der Lena. Die 
größten Treibholzmassen finden sich an der Westküste der In 
seln. Unter den zehn von mir gesammelten Holzarten nahmen 
Stämme der Kiefer (Pinus silvestris) in der Häufigkeit 
des Vorkommens die erste Stelle ein. 
Am 6. Juli brach ich mit zwanzig der besten Renthiere, 
die aber leider noch nicht ihre vollen Kräfte wiedererlangt 
hatten, zunächst quer durch die Insel zur Ostküste auf. 
Ich mußte mich hierbei mit Brennholz, und zwar für zehn 
Tage versehen. Dieses sowohl, als auch ein leichtes Boot 
jakutischer Bauart (eine Vetka), das aus drei rissigen Treib 
holzbrettern zusammengefügt war, hatten wir Anfangs auf 
Nartcn geladen, dieselben mußten uns aber, als wir im Osten 
auf dem die Inseln Kotelny und Fadejew verbindenden 
„Sande" angelangt waren, zur Feuerung dienen. Hier 
zeigte sich nämlich ein Fehler der Anjou'schen Karte, nach der 
wir berechtigt waren, an dem Flusse Dragozenraja schon 
Treibholz zu erwarten. Die Wohlthat eines prasselnden 
Feuers konnten wir erst zwei Tagemärsche nördlicher wieder 
genießen. 
Ans der Niederung, die sich an der Ostküstc der Insel 
dem Gebirge des Centrums anlehnt, und die in dem die Inseln 
Kotelny und Fadejew verbindenden „Sande" endet, erheben 
sich einige Hügel, von denen der bedeutendste durch eine 
.Sage der Elfenbeinsammler verherrlicht ist. 
Sie nennen ihn den Eksekü-Hügel, weil angeblich auf 
ihm dcr Eksekü — das ist nach ihrer Ansicht der größte Vogel 
der Welt, nämlich der russische Reichsadler — genistet habe. 
Er sei von so mächtiger Größe, daß er bei seinem Fluge 
die Sonne verfinstert habe. „Mauk, mauk" habe er ge 
rufen, als die ersten Besucher der Insel diese betraten, und 
als sie dem Rufe nachgehend dem Hügel sich näherten, 
haben sie Eierschalen und Federn von fabelhafter Größe 
gefunden, der Eksekü selbst aber sei verschwunden und habe 
sich nie wieder gezeigt. 
Es hängt diese Sage mit der in ganz Sibirien ver 
breiteten Ansicht zusammen, daß die nicht selten vor 
kommenden Hörner des Rhinoceros Klauen seien (mit denen 
sie ja in der That eine entfernte Aehnlichkeit haben), welche 
einem ausgestorbenen Riesenvogel angehörten. 
Am 10. August erreichten wir, längs der Nordostküste 
vorwärts eilend, die Nordspitze der Insel. Dieselbe liegt nach 
Anjou unter 760 2' nördl. Br. 
Die letzten zwei Wochen waren wir fast beständig in 
einem dicken Nebel gehüllt gewesen, um so größer war deshalb 
meine Freude, als ich am 13. August, an der Westküste 
nach Süden ziehend, ein stetiges Aufhellen bis zur völligen 
Klarheit des Horizontes bemerkte. Dadurch war es mir 
vergönnt, im Norden, 14 bis 180 Ost, deutlich die Con- 
turen von vier Bergen, die nach Osten mit einem flachen 
Vorlande verbunden waren, zu sehen. 
Damit war nun auch diese Angabe Sannikow's, des 
ältesten und hervorragendsten aller Jnfelfahrer, dem wir 
die ersten wichtigen Daten über diese Insel verdanken, be 
stätigt. Sie sind uns von Hedenström überliefert worden. 
Sannikow war es auch, der seinerzeit, in Hedenström's 
Auftrag auf der Insel Neusibirien übersommernd, von dort 
aus im Norden die von der „Jeannette" entdeckte Bennett- 
Jnsel gesehen hatte. 
Von hier zogen wir ohne Aufenthalt auf dem kürzesten 
Wege nach Süden, dem Urassalach zu, um sobald als mög 
lich den Renthieren längere Erholung zu verschaffen, der sie 
dringend bedurften. Sie waren ja durch die anstrengenden 
Märsche und bei der kärglichen Nahrung, die ihnen be 
sonders der Norden der Insel geboten hatte, dermaßen er 
mattet, daß wir sie in den letzten Tagen am Halfter 
vorwärts schleppen mußten, statt sie als Reitthiere zu be 
nutzen. Eines von ihnen waren wir hier zurückzulassen ge 
zwungen. 
Zum Glück für die Renthiere gab es für sie keine 
schweren Lasten mehr zu tragen, da unser Proviant schon 
an der Nordostküste bedenklich zur Neige gegangen war. Ich 
hatte mich für diese Tour mit Thee, Zucker, Zwieback, Mehl rc. 
nur für einen Monat versorgen können, in Bezug auf die 
Flcischnahrung aber auf die Reuthierjagd rechnen müssen. 
Dank der Gewandheit meiner Jäger, des Tungusen Djergeli 
und des Kosaken, hat uns auch die Jagd vollkommen ernährt. 
Nur am Balyktach (zu deutsch: Fischsluß) dem größten 
Flusse der Insel, boten uns die in demselben gefangenen 
Lachse eine willkommene Abwechselung in unserer Kost. Es 
ist dieser Lachs, der auch hier, wie am Ochotskischcn Meere 
unter dem Namen Keta bekannt ist, ein Rothlachs, welcher 
dem Salmo lagocephalus sehr nahe steht oder identisch 
mit ihm ist. Mit diesem zusammen fingen wir auch 
einen kleinen Fisch für unsere Tafel, den die Jakuten Uekü 
nennen (eine Corregrensart). 
Nach 43tägiger Abwesenheit traf ich am 18. August 
wieder am Urassalach ein, und es überkam mich ein fast 
heimathliches Gefühl, als ich die bekannten Plätze in der 
Nähe der „Winterhütte" wieder erblickte. Hier konnten 
wir uns wieder den entbehrten Genüssen voll hingeben, und 
sind uns wohl allen die ersten an der Quelle unserer Vor 
räthe verbrachten Tage in schöner Erinnerung geblieben. 
In meiner Abwesenheit war von dem zu Holzarbeiten 
geworbenen Jakuten Nikta und dem Tungusen Owanoje 
unser Haus wohnlich eingerichtet worden, und ich bezog 
dasselbe nun zunächst nur für einige Tage.
	        
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