cßänöet-
%
u e
í 4.
ffiif besonderer Herürbsrchtrgung der Ethnologie, der Kulturberhültnisse
und des Welthandels.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Emil Deckert.
$3rctU U 1 CÍ) ll) 01 n Jährlich 2 Bände in 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1 qqa
' •) zunr Preise von 12 Mark für den Band zu beziehen. 4 or/ 4 k.
Die Vereinigten Staaten von Brasilien.
Von A. W. Sellin.
Alan ist zwar an politische Ueberraschungcn in >
amerikanischen Ländern gewöhnt, trotzdem aber ist der am
Í5. November d. I. erfolgte Sturz der Dynastie Braganza
in Brasilien von geradezu verblassender Wirkung gewesen,
um so mehr als die kurz vorher stattgehabten Wahlen zur
„Assemblea gerat ^ für das monarchische Regime eine absolute
Majorität ergeben und gezeigt hatten, daß die mit so vielem
Lärm in Scene gesetzte Propaganda der brasilianischen
Republikaner in den breiten Schichten des Volkes keinen
Boden gefunden.
^ Wohl lag die Gefahr nahe, daß sich nach dem Tode des
Kaisers Dom Pedro ernste politische Umwälzungen voll
ziehen würden, daß aber dieser staatsklnge und wohlwollende
Monarch, der sich während einer fast fünfzigjährigen Re-
gicruugszeit noch stets als Meister der politischen Situation
erwiesen hatte, von seinem eigenen Heere gefangen genommen
und nebst seiner ganzen Familie bei Nacht und Nebel in die
Verbannung geschickt werden wurde, das hätten selbst die
besten Kenner Brasiliens nicht für möglich gehalten.
lim die Tragweite dieses Ereignisses und die Ursachen,
welche dasselbe herbeigeführt, in ihrem historischen Zusammen
hang einigermaßen verstehen zu können, ist man genöthigt,
ans die Entwickelungsgeschichte Brasiliens zurückzublicken und
in ihr nach den Faktoren zu suchen, welche die Herbeiführung
eines so plötzlichen Umsturzes der bestehenden Verhältnisse
ermöglicht haben.
Länger als drei Jahrhunderte, nämlich von 1501 bis
1807, war Brasilien eine Kolonie des Königreiches Portugal
und wurde unter Verletzung aller Rücksichten ans Gerechtig
keit und Billigkeit in völliger politischer Abhängigkeit vom
Globus LVII. Nr. 4.
den süd-
Mutterlande erhalten, um desto besser von diesem ausgebeutet
werden zu können. Es ist daher wohl begreiflich, daß
infolge des nordamerikanischen Freiheitskampfes und der
französischen Revolution die Sehnsucht der Brasilianer nach
politischer Unabhängigkeit mächtig entflammt wurde, so zwar,
daß sich im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts eine tiefe
Abneigung der Einheimischen gegen die cingewanderten Portu
giesen bemcrklich machte, welche in verschiedenen Verschwö
rungen gegen die letzteren ihren Ausdruck fand. Wahrschein
lich würde dieses erwachende Nationalbewußtsein zu Anfang
des gegenwärtigen Jahrhunderts die ihm entgegenstehenden
Schranken durchbrochen, und dem Beispiele der spanischen
Kolonien folgend, das Joch des Mutterlandes abgeschüttelt
haben, wenn sich nicht König Johann VI. von Portugal im
Jahre 1808 vor den Heeren Napoleon's nach Brasilien ge
flüchtet und die nun direkt von ihm regierte Kolonie als
integrirenden Theil der portugiesischen Monarchie anerkannt
hätte. Die Häfen wurden dem auswärtigen Handel geöffnet
und alle Prohibitiv-Gesetze, welche vorher dem Gewerbefleiße
der Brasilianer Schranken gezogen hatten, aufgehoben; ja,
cs wurde dem bisherigen Kolonialstaate gewissermaßen die
Führung über das Mutterland zuerkannt. Das absolute
Königthum machte damit allerdings keine besonders günstigen
Erfahrungen, denn seine Thätigkeit fand in den natürlichen
Verhältnissen des Landes und in der Indolenz der Bevölke
rung, namentlich aber in der Unzuverlässigkeit des Beamten
standes, so außerordentliche Schwierigkeiten, daß cs der
Hcrbeizichung zahlreicher Portugiesen für die neugeschaffenen
Verwaltungsfücher zu bedürfen glaubte, um einigermaßen
geordnete Zustände zu schaffen. Anfänglich ließen sich die
7