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Full Text: Globus, 59/60.1891

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B ii ch e r s ch a u. 
als ein der menschlichen Seele verwandter Geist, der jedoch 
stärker und mächtiger ist, als eine menschliche Seele. Der Berg 
ist ein Dämon oder beherbergt einen Dämon, der auf der 
Spitze oder im Innern des Berges wohnt und dementsprechend 
einen gewissen Teil desselben, mit allem, was sich daran oder 
daraus befindet, als sein Eigentum in Anspruch nimmt und vor 
sremdeu Angriffen schützt. Daher dürfen bestimmte Berge gar 
nicht oder nur unter bestimmten Zeremonien bestiegen werden. 
Man darf auf denselben nicht ausspucken oder andre Hand 
lungen verrichten. Wer Kräuter sammeln oder Steine holen 
will, hat den Berggeist zu entschädigen. Auf hohen Bergspitzen, 
beim Überschreiten von Pässen, beim Umschiffen steiler Vor 
gebirge darf nicht laut gesprochen werden, um die bösen oder 
guten Berggeister, welche daselbst hausen, nicht zn erzürnen. 
Eine andre Ehrenbezeugung für dieselben ist die Errichtung von 
künstlichen Steiuhügeln (Obos). Die Berggeister 'sind teils 
guter, teils böser Art. Sie verursachen schreckliche Stürme, 
Erdfälle, Lawinenstürze, Erdbeben, vulkanische Ausbrüche, giftige 
Gasausströmungen. Sie sammeln aber auch die Wolken zu 
wohlthätigem Regen. Alan verdankt den Berggeistern heilsame 
Pflanzen; sie sind die Eltern der Flüsse und besitzen viele kost 
bare Dinge. Zur Erlangung dieser Gaben, zur Abhaltung der 
schädlichen Einflüsse bedarf es fortgesetzter Opfer, welche sich 
nicht selten zn Menschenopfern steigern können. Die Einheit 
der Natur bei aller Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, die 
Wechselwirkung der Naturkräfte drückt die animistisehe An 
schauung durch die besondere Einerleiheit einer ungezählten 
Geisterschaar, durch die unbestimmte Abgrenzung der dämonischen 
Individualitäten, sowie ihres Machtbereichs, durch ständig 
wiederkehrende Vergesellschaftung verschiedener Geisterkategorieen 
aus. Demgemäß bietet die Bergverehrung zahlreiche Berüh 
rungspunkte mit den übrigen Naturkulten, mit der Verehrung 
von Steinen, Pflanzen, Quellen, Flüssen. Beispiele hierfür 
sind die Verehrung von Felsblöcken, Stromschnellen und Wasser 
fällen, die Regenbeschwöruug auf Bergen, die heiligen Haine 
auf Bergen. 
Die zweite, kosmische Vorstellungsweise geht von dem 
Verhältnisse unsrer Erdoberfläche zum Himmel aus. Die Berge 
tragen den Himmel, sie bilden eine natürliche Brücke zwischen 
Himmel und Erde. Das Firmament wird als ein Felseil oder 
Berg, als eine aus Erz, Stahl, Kristall, Glas bestehende feste 
Masse vorgestellt, welche »ach der Hesiodischen Kosmogonie aus 
der Erde hervorgegangen ist. So bildet das Himmelsgewölbe 
einfach die Fortsetzung der Berge. Diese letzteren empfangen 
zunächst die wohlthätigen Äußerungen der Himmelsgötter und 
übermitteln dieselben weiter an die übrige Erde. Die an den 
Berggipfeln hervortretenden Lichterscheinungen, das wechsclvolle 
Spiel der Wolken an den Höhen bezeugen gleichsam das innige 
Verhältnis der Berge zum Himmel. Dieser überirdische Charakter 
wird durch die Schwierigkeit der Annäherung noch verstärkt. 
Als Symbol der Unendlichkeit und Ewigkeit, als bevorzugte 
Manifestationspunkte der das organische Leben beherrschenden 
Kräfte werden die Berge zum Ausgangspunkt einer Weltan 
schauung, welche die unendliche Mannigfaltigkeit des Kosmos 
unter dem Bilde eines Himmel und Erde umfassenden Berges 
(Weltenberg, Götterberg) versinnlicht. Diese kosmische Ausfassung 
der Berge spielt unstreitig in den höheren Kulturstadien eine 
größere Rolle als die Berggeister. Sie bildet einen wichtigen 
Bestandteil der nationalen Mythvlogieen und Kosmogonieen und 
giebt den Anlaß zu zahlreichen späteren Lokalisierungen von 
Götterbergcn. Die Wandelbarkeit dieser Vorstellungen ist fast 
unbegrenzt. Sie führt bei den Chinesen auf ein rein ethisches 
und mystisches Gebiet, in andern Fällen wenigstens zu einer 
Verflüchtigung des physischen Charakters und zu einer fort 
schreitenden Verhimmelung der Götterberge. In der Ilias 
bildet die höchste Spitze des irdischen Olynip den Wohnsitz der 
Hauptgötter. 
Untersucht man die Verbreitung der kosmischen Bergver- 
ehrung und deren Ableger bei den Kulturvölkern, so findet man vor 
allem eine ethnographisch gewiß bedeutsame Lücke oder wenigstens 
eine sehr späte Form derselben bei den italienischen Völkern. 
Dagegen besitzen alle asiatischen Kulturzentren, denen sich Griechen 
land anschließt, einen großen Götterberg schon in weit älteren 
Epochen ihrer Entwickelung. Die mächtigen Einflüsse des 
Orients zeigensich auch hier und werden von Andrian vielfach 
nachgewiesen. Übrigens ist die Übertragung von Volk zu Volk 
und deren nachträgliche Ummodelung noch in vielen Füllen fcst- 
gestellt. So sind die indischen Götterberge mit den daran 
haftenden religiösen und kosmischen Vorstellungen in mannig 
fachster Verarbeitung über ganz Nord- und Ostasien gewandert. 
Der so mannigfaltig ausgebildete Höhenkultus der Chinesen, 
dessen Umrisse bis jetzt kaum bekannt sind, beruht nur zum Teil 
auf bodenständigem, ursprünglichem Animismus und auf bud 
dhistischen, meist leicht erkennbaren Einflüssen. 
Dieses sind nur kurze Andeutungen über den Inhalt und 
die Ergebnisse des Andrianschen Werkes, sie beweisen aber die 
wichtige Rolle, welche die Berge in dein Geistesleben der Völker 
Asiens und Europas gespielt haben und noch spielen. Es 
giebt kaum ein hervorragendes Gebirge, welches nicht unter 
irgend einer Form Gegenstand einer religiösen Verehrung ge 
wesen wäre. 
Heinrich Kiepert, Spezialkarte vom westlichen Klein 
asien in 1:250000. Zweite Lieferung. Berlin, D. Reimer, 
1890. 
Wenn ein Mann, wie Prof. Kiepert, eine neue Arbeit über 
den Orient veröffentlicht, können wir nur einfach referieren, 
denn zum Kritisieren sind außer ihm wohl nur sehr wenige 
berufen. Mit der Bearbeitung dieser bedeutenden und wert 
vollen Karte, die nach ihrer Vollendung 15 Folioblätter um 
fassen wird, schreitet der Autor rüstig auf dem Wege weiter, 
den er schon seit Jahrzehnten betreten: die kleinasiatischen Länder 
in möglichster Ausführlichkeit und mit besonderer Berücksichtigung 
der antiken Topographie darzustellen. Die Schwierigkeit einer 
solchen Arbeit vermag nur der voll zu ermessen, der selbst wenig 
bekannte Erdgebiete kartographisch bearbeitet hat. Welch unge 
heures und doch so verschiedenwertiges Material wußte Kiepert 
hier zusammenzutragen! Von den gut vermessenen, auf den 
Seekarten niedergelegten Küsten gehen sichere geodätische Linien 
nur so weit, als die Eisenbahn läuft oder für künftige Bahnen 
Vorarbeiten ausgeführt sind. Für das Innere muß heute noch 
eine nicht allzu umfangreiche Zahl von astronomischen Positions 
bestimmungen das Skelett liefern, welches dann durch Benutzung 
von etwa vorhandenen Karten, von Reiseberichten, Spezial- 
aufnahmen und Jtineraren ausgefüllt und belebt worden ist. 
Hierher gehören die Ergebnisse einer großen Zahl von Reisen 
den, Deutschen, Franzosen, Russen und Engländern. Besonders 
sind hier hervorzuheben Moltke, Kiepert selbst, der schon 1841 
in Kleinasien reiste, Wrontschenko, Hamilton, Ainsworth, Smith, 
die österreichische Expedition nach Lykien 1882 bis 1883, die 
Ausnahmen von Diest im Aufträge des Kaiser!. Archäologischen 
Instituts, Möllhausen, Ramsay, Sterret, der für die Konstruktion 
viele Tausende Kompaßpeilungen lieferte, Humann und Hirsch 
feld. Viele Manuskriptkarten von den türkischen Behörden sowie 
von verschiedenen Jndustriegesellschaften standen dem Heraus 
geber zur Verfügung, überhaupt eine Fülle bisher unverösfent-, 
lichten Materials, über welches in den Begleitworten zur Karte 
berichtet wird. Die zweite, fünf Blätter enthaltende Lieferung 
ist wegen neuen, früher nicht zugänglichen Materials etwas 
verspätet ausgegeben worden. Es sind ihr eine Anzahl Korrek 
turen für die früher veröffentlichten ersten fünf Blätter bei 
gefügt. Situation und Schrift sind in den Blättern schwarz, 
das Terrain in brauner Schummerung ausgeführt, was das 
Kartenbild klar und übersichtlich macht. Die Umschreibung der 
türkischen und griechischen Namen ist mit Rücksicht auf nicht 
deutsche Leser nach der Transskriptionsweise gegeben worden, 
welche vor einigen Jahren von einer Kommission der Pariser 
Geograph. Gesellschaft vorgeschlagen wurde. Aus griechischen 
und türkischen Karten entlehnte unsichere Ortslagen sind in 
Haarschrift geschrieben. Wir ersehen aus dem Charakter der 
Karte, wieviel im Innern des Landes für Topographie noch 
zu thun übrig bleibt, besonders wenn wir die leeren Stellen 
oder die einfachen Formen mancher Gebiete vergleichen niit 
den detaillierten Angaben an der gut bekannten Küste oder 
auf den Inseln des Archipels. Trotz alledem haben wir aber 
hier das Beste, was überhaupt über Kleinasien existirt und 
sehen mit Freuden den weiteren Arbeiten des gelehrten Autors 
entgegen. Hier ist ein Fingerzeig gegeben, wie größere geo 
graphische Zeitschriften sich wissenschaftliche Verdienste erwerben 
würden, wenn sie in ähnlicher Weise kartographische Zusammcn- 
arbeitungcn brächten von Ländern, in denen es an einer topo 
graphischen Ausnahme mangelt; die Karten neuer geographischer 
Entdeckungen sind ja heute bei weitem nicht mehr so zahlreich, 
wie vor einigen Jahrzehnten. A. Scobel.
	        
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