Dr. M. Weigel: Das Gräberfeld von Reichenhaljl in Bayern.
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die mannigfaltigsten Muster dieser eigenartigen Technik und
Ornamentik, die wahrscheinlich schon sehr früh aus dem
Orient nach Byzanz kam und von hier aus zu den germa
nischen Völkern gelangte, wo sie die ausgebreitetste Verwen
dung fand und, nach ihrem häufigen Vorkommen zu.schließen,
außerordentlich beliebt war.
Die Technik — worauf mich Herr Pros. v. Heyden einmal
gelegentlich einer genaueren Besichtigung der Sammlung auf-
merksam machte — ist bei diesen Reichenhaller Funden inso
fern eine ganz eigentümliche, als nicht nur die feinen Streifen,
sondern auch die breiten Streifen und selbst die größeren
Flachen in den Furchen und vertieften Feldern der Eisensachen
nicht durch aufgelegte dünne Silberplatten, sondern auch
feine dicht nebeneinander gelegte und dann breit gehämmerte
Silberdrähte gebildet sind, wie an vielen Stücken noch ganz
deutlich zu erkennen ist. Die Ornamentik bei den taufchierten
Stücken, wie auch bei den übrigen, ist eine außerordentlich
mannigfaltige, so daß auch nicht zwei gleiche Stücke in ver
schiedenen Funden vorkommen. Besonders bandförmige ara
beskenartige Verschlingungen, Spiralen, Zickzack- und Gitter
muster kommen in den verschiedensten Anordnungen und
Detaillierungen vor, an den Bronzen sehr oft auch phan
tastische Tierbildungen mit Schlangen und Vogelköpfen.
Alle Details sind durchschnittlich mit großer Sauberkeit und
Akkuratesse durchgeführt, während z. B. die fränkischen
Fundstücke ähnlicher Art recht oft ziemlich unregelmäßig und
nachlässig gearbeitet sind.
Die gegenüberstehenden Schnallen von Taf. XXVI und
XXVII, sowie die Riemenbeschlüge von Taf. XXXI und
XXXV geben ein anschauliches Bild dieses eigentümlichen,
für die altgermanische einheimische Kunstindustrie so außer
ordentlich charakteristischen Stils.
Die sehr zahlreichen Knochenkämme, die leider meist in
folge der festen lehmigen Beschaffenheit des Bodens nicht so
sehr gut erhalten sind oder so mürbe waren, daß sie wohl
nur mit der größten Mühe im defekten Zustande heraus
gebracht werden konnten, sind meist reich mit Anear-, Kreis-
und Punkt-Ornamenten bedeckt. Mehrere darunter sind nach
Art unsrer Taschenmesser zum Zusammenklappen eingerichtet
und mit Griff und Schalen versehen, andre sind Doppel-
kämme aus einer Seite mit feineren, auf der andern mit grö
beren Zähnen. Die verschiedenen Platten werden gewöhnlich
durch bronzene oder eiserne kleine Niete zusammengehalten.
Die in den Männergräbern gefundenen Waffen, die
bereits erwähnten langen zweischneidigen und kürzeren ein
schneidigen Schwerter, zum Teil noch mit den Resten von
hölzernen oder ledernen Scheiden, sowie die Lanzenspitzen
haben genau dieselben Formen, wie diejenigen bei den übrigen
germanischen Stämmen während dieser Zeit. Sie haben
alle etwas Klobiges und Massiges an sich, scheinen aber sehr
gut geschmiedet gewesen zu sein, wie überhaupt die Eisen
schmiedekunst bei den germanischen Stämmen Süddeutsch
lands, vielleicht infolge der Nachbarschaft von Norikum,
bereits ziemlich früh außerordentlich entwickelt und zu hoher
Blüte gelangt war.
Die umstehende Abbildung zeigt einen Skramasax
(Taf. VIII, Fig. 192), der mit seiner ledernen, mit Knöpf-
chen, kleinen Nieten und einem Beschläge von Bronze ver
zierten Scheide außerordentlich gut erhalten ist. Der lange
Griff war früher, wie aus den Resten zu ersehen ist, mit
Holz umkleidet. Das Stück muß im Altertum mit seinen
goldglänzenden Bronzeverzierungen auf dem schwarzen Leder
einen ungemein prächtigen Eindruck gemacht haben und ge
hört zu den schönsten Exemplaren, die bisher in diesem
^enre gefunden sind.
Die Messer und Scheren, die letztcrn in der gewöhn
lichen Form unsrer heutigen Schafschere, sind, wie alle
Waffen und Werkzeuge, von Eisen — Bronze kommt nur
hier und da für Schmucksachen und zur Dekorierung eiserner
Geräte zur Verwendung — und zeigen meist die auch sonst
allgemein gebräuchlichen Typen. Merkwürdig sind nur die
ziemlich häufigen Klappmesser, ziemlich große, mit eisernen
Schalen versehene Exemplare von der Konstruktion unsrer
Taschenmesser, die in fränkischen und allemannischen Gräbern
außerordentlich selten sind.
Unter den eisernen Pfeilspitzen sind einige, zusammen in
einem Grabe gefundene, dreikantige, mit stark hervortretenden
Flügeln zu erwähnen, die bisher meines Wissens noch Unika
sein dürften. Die in den Frauengräbern gefundenen Ketten
von Glasperlen sind zwar in außerordentlich großer Anzahl
vertreten und zeigen einen großen Farbenreichtum, rote,
blaue, gelbe, violette, grüne und verschiedenfarbige, mit
Bändern und Augen versehene, kommen bunt durcheinander
vor, aber nirgends eigentlich ganz besonders hervorragende
Exemplare. Die Form ist kugelartig, bald zilindrisch oder
doppelkonisch, sehr oft aber auch recht unregelmäßig und roh
gearbeitet. Sie sind durchweg aber ziemlich klein und machen
im Ganzen doch einen primitiveren Eindruck als die pracht
vollen Perlen, die wir, wenn auch nicht annähernd in so großer
Zahl, aus manchen römischen und fränkischen Gräberfeldern
besitzen. Tafel XXV zeigt zwei solcher Perlketten, die an
dem Halse von weiblichen Skeletten gefunden sind; die drei
großen Mittelstücke der kleineren Kette sind Bernstein, das
Mittelstück der größern Achat. (Abbildung umstehend.)
Auf derselben Tafel ist eine prachtvolle, große, silberne,
zum Teil vergoldete Fibel abgebildet, das einzige Exemplar
ihrer Art aus dem ganzen Gräberfelde, welche in Form und
Ornamentik, besonders mit dem schlangenkopfartigen Ende
über dem Nadelhalter, lebhaft an die fränkischen Typen er
innert.
Die in einzelnen Gräbern oder wenigstens im Terrain
des Gräberfeldes gefundenen Thonscherben — ganze Gefäße
sind nicht gefunden worden — sind, soweit sie einheimischen,
d. h. germanischen Ursprungs sind, alle von grauer Farbe
und sehr hart gebrannt. Nieist zeigen sie den Gebrauch der
Töpferscheibe, aber doch eine ziemlich rohe Technik und wenige
oder gar keine Ornamente. Die mehrfach vorkommenden
horizontalen Furchen erinnern schon an die Gefäße des eigent
lichen Mittelalters, wie ich überhaupt einen Teil der zur
Sammlung gehörigen Thonscherben als nicht eigentlich der
Kultur des Gräberfeldes, sondern einer etwas spätern Zeit
angehörig ansprechen möchte.
Mehrere Scherben aus terra siAillata sind Produkte
römischer Industrie. Ob sie aber vou römischen Fabrikanten,
die noch unter germanischer Herrschaft in dieser Gegend
sitzen blieben, verfertigt wurden, oder ob sie durch den Handel
oder als Beutestücke aus Italien oder irgend einer kultivierten
römischen Provinz in diese Gegend gekommen sind und dann
gewiß lange aufbewahrt und in Ehren gehalten wurden,
möchte ich dahin gestellt sein lassen. Mir scheint das erstere,
was Herr von Chlingensperg anzunehmen scheint, eigentlich
das unwahrscheinlichere zu sein.
Sonst zeigen außer den Münzen nur eine kleine Bronze-
fibel in Grab Nr. 356 und das Bruchstück einer bronzenen
Kette aus Grab dir. 165 echt römische Arbeit. Das letztere
Stück spricht Herr von Chlingensperg als Ziest eines Gürtels
an, wozu es möglicherweise ja auch gedient haben kaun; ur
sprünglich ist es aber das Fragment eines aus römischer Fabrik
stammenden Zaumzeuges, wie ähnliche Stücke in verschiedenen
Gegenden Deutschlands aus der römischen Zeit mehrfach
gefunden sind. Die große Masse der übrigen Fnndstücke
dürfen wir ohne Zweifel als echt germanisch, als einheimische
nationale Kultur betrachten, die sich allerdings ursprünglich
zum großen Teil auf römischer Basis aufbaute, aber sich