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Full Text: Globus, 61/62.1892

Dr. Friedrich S. Krauß: Südslawischer Geisterglaube. 
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Hausvorstand irgend ein Mitglied des Hauses schief ansehen 
und anrempeln (nabrecnuti), damit die heimgckehrten Toten 
nicht unwillig werden. An den betreffenden Tagen teilt 
man milde Gaben „auf das Seelenheil der Toten" (mrtvim 
na dusu) an Arme aus und schenkt Kerzen für die Moschee. 
In solchem Totcnkultus zeigt sich am deutlichsten die 
enge Zusammengehörigkeit der slawischen Mohammedaner 
mit ihren offiziell andersgläubigen südslawischen Volksgenossen. 
Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, wenn im Kriege die 
mohammedanischen Helden die Bestattung ihrer Gefallenen 
völlig vernachlässigen. Doch abgesehen von den Ausnahms- 
znständen während eines Feldzuges, kommen auch sonst bei 
den Südslawen einzelne eigentümliche Abweichungen von 
der Regel vor. Darauf einzugehen, wäre verfrüht wegen 
des Mangels an vielseitigen, gründlichen Erhebungen in 
allen Gegenden des Südens. 
Gegen unerwünschte Rückkehr der Toten wendet man 
mancherlei Maßnahmen an. Der Grundgedanke der meisten 
besteht darin, daß man dem Toten die Rückkehr verleide, 
indem man z. B. gewisse, dem Lebenden einst werte Gegen 
stände beseitigt oder umstellt, oder ihm durch sympathetische 
Mittel den Anlaß zur Rückkehr benimmt. Wo ein Toter 
liegt, müssen die Spiegel verhüllt werden; denn wenn jemand 
den Toten im Spiegel erblickte, würde der Tote an allen 
Neumonden (na mlade dane) heimkommen, um zu poltern, 
und würde dies so lange treiben, bis man nicht sieben Messen 
für ihn abhielte (slowenisch, kroatisch). Läßt man den Toten 
in den Stiefeln oder Schuhen, die er als lebender Mensch, 
in den letzten Zügen liegend, anhatte, so wird er dreimal 
ans dem Grabe heimkehren (Kroatien). Im kroatischen 
Gcbirgslandc stürzt man den Tisch, auf welchem die Leiche 
aufgebahrt gewesen, gleich um, sobald der Tote hinaus 
geschafft ist; denn sonst kommt, glaubt man, die Seele des 
Verstorbenen alle Nacht wieder heim, um zu rumoren und 
den Leuten den Schlaf zu stören. Einer meiner Freunde 
schrieb mir jüngst: „Ich vertrat im Dorfe Boka unweit 
Sissek den Nießner beim Leichenbegängnisse eines alten Weibes. 
Eben setzten wir uns in Bewegung, um das Gehöft zu 
verlassen, als die Leute plötzlich hurtig auf die Seite sprangen. 
Einer von den Hausleuten stand auf der Thürschwelle und 
schlenderte uns einen großen Stein nach, der im Krautfaß 
als Beschwerer gelegen. Der Mann glaubte nämlich, die 
Verstorbene, welche er für eine Zauberin hielt, werde nun nicht 
mehr zurückkehren und niemandem im Hause einen Schaden 
zufügen können. Im kroatischen Gcbirgslandc, doch auch 
sonst im Süden glaubt man, daß ein Toter häufig zu Besuch 
heimkommen werde, wenn einer seiner Verwandten, der als 
letzter im Leichcnzuge mitgeht, heftig weint und so weinend 
öfters nach rückwärts schaut. Allgemein ist der Glaube, 
daß die Seele eines vielbeweinten Toten keinen Einlaß ins 
Paradies findet, sondern die längste Zeit in nassem Toten- 
kleide umherirren muß. In Kroatien und Slawonien ist 
unter den Katholiken der Glaube allgemein, daß Tote all 
nächtlich zu ihren Verwandten heimkehren und sich durch 
Rumoren im Hause oder durch eigenartiges Tischklopfen 
bemerkbar machen. Häufig aber könne man sich von solchen 
Heimsuchungen durch den Haushund befreien, wenn man ihn 
nachts im Zimmer behält. Hunde und Katzen sind nämlich 
gleich gewissen, besonders veranlagten Menschen geistersichtig 
(vidovit) und hören bald das Herannahen des Toten. Der 
Hund stürzt aufs oder zum Fenster und bellt so sehr, daß 
der Tote verschüchtert abziehen muß. Nachts dürfe man, 
glauben die Slowenen und die Kroaten im Zagorje^ auf 
niemand einen Hund hetzen, denn es erscheine ein Ivlln 
vor dem Hetzer in Gestalt eines guten Genossen, rufe ihn 
zu sich und sage ihm: „Trage mich ins Grab!" (nosi me u 
grob!), und der Aufgeforderte müsse den Toten tragen. 
Desgleichen ist cs verpönt, nächtlicherweile zu pfeifen, als 
ob man einen Hund lockte, denn sonst kommt ein Toter und 
trägt einen fort. Gegen Grabschänder, welche sich Toten 
fetische besorgen, um Böses zu stiften, sind die Toten un 
erbittlich rachsüchtig. Nimmt z. B. einer auf dem Friedhofe 
einen Sargnagel an sich, so sucht allnächtlich den Räuber 
jene Seele heim, von deren Sarg er den Nagel entwendet 
hat, und raubt ihm so lange den Schlaf, bis der Nagel 
zurückgestellt wird. 
Alan darf es nicht übersehen, daß auch die christliche 
Kirche dem alteinheimischen Geisterglanbcn Vorschub geleistet, 
ohne es unmittelbar zu beabsichtigen. Belege dafür lassen 
sich schon ans der südslawischen Litteratur der jüngsten drei 
Jahrhunderte beibringen. Sehr häufig sind uralte Vor 
stellungen mit neuen derart erwachsen, daß wir mit unsern 
geringen Mitteln außer stände sind, Altes von Neuem zu 
scheiden. Bezeichnend ist in solchen Geschichten gewöhnlich 
als Schuld der Rückkehr oder der ewigen Verdammnis ans 
Erden herumznirren, die Schändung oder Entweihung einer zu 
kirchlichen Zwecken bestimmten Sache. Die Erlösung erfolgt 
meist durch Seelenmessen, während sonst Geister durch Ver 
fluchungen und Verwünschungen in ihr Grab zurückgebannt 
werden können. Es giebt Leute im Volke, welche berufs 
mäßig mit Gcisterbannen sich beschäftigen. Dem hochbe- 
tagtcn Geisterbanner Jmro Koprivöevie in Pleternica genügt 
dieser Erwerb für seinen und seiner Familie Unterhalt. 
Sein Handwerk, die Opankenflickerei, hat er schon vor vielen 
Jahren aufgegeben, weil sich ihm das Geisterbannen allein 
genug lohnt. Er erzählte mir gar oft von seinen Leistungen 
ans diesem Gebiete, und als mir seine Erzählungen nach 
Jahren von Wichtigkeit für die Volkskunde zu sein schienen, 
ließ ich ihrer eine große Anzahl wörtlich nach seinem Vortrag 
niederschreiben, und zwar unter Aufsicht meiner verewigten 
Mutter, damit keine Irrtümer mit unterlaufen sollen. 
Die Seelen der Grenzmarksteinvcrrücker müssen allnächt 
lich mit einer Kerze in der Hand an den verschobenen 
Grenzen irrwandeln, bis jemand die Grenzsteine richtig auf 
den alten Platz zurückstellt. Solche Geister nennt man 
Steinträger. So büßen auch gewisse Bienenzüchter. Es 
giebt nämlich Bienenzüchter, die am Allerheiligentage das 
heilige Brot, welches sie beim heiligen Abendmahle empfangen, 
im Munde behalten und es zu Hanse ins Bienenhaus legen, 
damit die Bienen nicht absterben oder auswandern, sondern 
vielmehr besser schwärmen mögen. Zur Strafe für diesen 
Frevel müssen solche Leute nach ihrem Ableben ohne Kopf, 
mit einer brennenden Kerze in der Hand nächtlicherweile 
umgehen. Diese Geister heißt man Kerzcnträgcr. 
Die entweihte Hostie hat zu vielen Spukgeschichten Anlaß 
gegeben, nur zu einer bei den Südslawen nicht, zur Juden 
verfolgung wie in Deutschland im Mittelalter schmachvollen 
Andenkens. Koprivöevie erzählt: Im Dorfe Bilao (bei 
Rnacvo) verstarb ein Mann, der einer Stute die heilige 
Hostie (svetu pricest) zu essen gegeben. Nach seinem Ab 
leben kehrte er häufig nachts wieder und striegelte die Stute. 
Es war im Herbste. Die Hausleute rüppelten im Hofe 
Kuknrnzkolben und ließen über stacht den Kukuruz im 
Freien. Nachts trug der zurückgekehrte Tote alle abgc- 
rüppeltcn Kolben in die Stube hinein und gab der Hans- 
vorsteherin einen solchen Hieb aufs Bein, daß ihr ganzer 
Fuß blau ward. Auch kletterte er auf den Boden hinauf 
und löste alle Ranchfangziegel los. Als wir uns in der 
Stube versammelt hatten, setzten wir uns alle obenan zum 
Tisch, vor uns aber standen vier Wiegen mit Kindern. Im 
Ofcnwinkel lagen sechs Spindeln. Der Mond schien so 
schön hell in die Stube hinein. Als der Geist erschien, 
schlenderte er vorerst alle Sachen hinter die Thüre, bewarf 
uns der Reihe nach mit Erde, gab einem einen Hieb auf 
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