Dr. Friedrich S. Krauß: Südslawischer Geisterglaube.
155
Hausvorstand irgend ein Mitglied des Hauses schief ansehen
und anrempeln (nabrecnuti), damit die heimgckehrten Toten
nicht unwillig werden. An den betreffenden Tagen teilt
man milde Gaben „auf das Seelenheil der Toten" (mrtvim
na dusu) an Arme aus und schenkt Kerzen für die Moschee.
In solchem Totcnkultus zeigt sich am deutlichsten die
enge Zusammengehörigkeit der slawischen Mohammedaner
mit ihren offiziell andersgläubigen südslawischen Volksgenossen.
Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, wenn im Kriege die
mohammedanischen Helden die Bestattung ihrer Gefallenen
völlig vernachlässigen. Doch abgesehen von den Ausnahms-
znständen während eines Feldzuges, kommen auch sonst bei
den Südslawen einzelne eigentümliche Abweichungen von
der Regel vor. Darauf einzugehen, wäre verfrüht wegen
des Mangels an vielseitigen, gründlichen Erhebungen in
allen Gegenden des Südens.
Gegen unerwünschte Rückkehr der Toten wendet man
mancherlei Maßnahmen an. Der Grundgedanke der meisten
besteht darin, daß man dem Toten die Rückkehr verleide,
indem man z. B. gewisse, dem Lebenden einst werte Gegen
stände beseitigt oder umstellt, oder ihm durch sympathetische
Mittel den Anlaß zur Rückkehr benimmt. Wo ein Toter
liegt, müssen die Spiegel verhüllt werden; denn wenn jemand
den Toten im Spiegel erblickte, würde der Tote an allen
Neumonden (na mlade dane) heimkommen, um zu poltern,
und würde dies so lange treiben, bis man nicht sieben Messen
für ihn abhielte (slowenisch, kroatisch). Läßt man den Toten
in den Stiefeln oder Schuhen, die er als lebender Mensch,
in den letzten Zügen liegend, anhatte, so wird er dreimal
ans dem Grabe heimkehren (Kroatien). Im kroatischen
Gcbirgslandc stürzt man den Tisch, auf welchem die Leiche
aufgebahrt gewesen, gleich um, sobald der Tote hinaus
geschafft ist; denn sonst kommt, glaubt man, die Seele des
Verstorbenen alle Nacht wieder heim, um zu rumoren und
den Leuten den Schlaf zu stören. Einer meiner Freunde
schrieb mir jüngst: „Ich vertrat im Dorfe Boka unweit
Sissek den Nießner beim Leichenbegängnisse eines alten Weibes.
Eben setzten wir uns in Bewegung, um das Gehöft zu
verlassen, als die Leute plötzlich hurtig auf die Seite sprangen.
Einer von den Hausleuten stand auf der Thürschwelle und
schlenderte uns einen großen Stein nach, der im Krautfaß
als Beschwerer gelegen. Der Mann glaubte nämlich, die
Verstorbene, welche er für eine Zauberin hielt, werde nun nicht
mehr zurückkehren und niemandem im Hause einen Schaden
zufügen können. Im kroatischen Gcbirgslandc, doch auch
sonst im Süden glaubt man, daß ein Toter häufig zu Besuch
heimkommen werde, wenn einer seiner Verwandten, der als
letzter im Leichcnzuge mitgeht, heftig weint und so weinend
öfters nach rückwärts schaut. Allgemein ist der Glaube,
daß die Seele eines vielbeweinten Toten keinen Einlaß ins
Paradies findet, sondern die längste Zeit in nassem Toten-
kleide umherirren muß. In Kroatien und Slawonien ist
unter den Katholiken der Glaube allgemein, daß Tote all
nächtlich zu ihren Verwandten heimkehren und sich durch
Rumoren im Hause oder durch eigenartiges Tischklopfen
bemerkbar machen. Häufig aber könne man sich von solchen
Heimsuchungen durch den Haushund befreien, wenn man ihn
nachts im Zimmer behält. Hunde und Katzen sind nämlich
gleich gewissen, besonders veranlagten Menschen geistersichtig
(vidovit) und hören bald das Herannahen des Toten. Der
Hund stürzt aufs oder zum Fenster und bellt so sehr, daß
der Tote verschüchtert abziehen muß. Nachts dürfe man,
glauben die Slowenen und die Kroaten im Zagorje^ auf
niemand einen Hund hetzen, denn es erscheine ein Ivlln
vor dem Hetzer in Gestalt eines guten Genossen, rufe ihn
zu sich und sage ihm: „Trage mich ins Grab!" (nosi me u
grob!), und der Aufgeforderte müsse den Toten tragen.
Desgleichen ist cs verpönt, nächtlicherweile zu pfeifen, als
ob man einen Hund lockte, denn sonst kommt ein Toter und
trägt einen fort. Gegen Grabschänder, welche sich Toten
fetische besorgen, um Böses zu stiften, sind die Toten un
erbittlich rachsüchtig. Nimmt z. B. einer auf dem Friedhofe
einen Sargnagel an sich, so sucht allnächtlich den Räuber
jene Seele heim, von deren Sarg er den Nagel entwendet
hat, und raubt ihm so lange den Schlaf, bis der Nagel
zurückgestellt wird.
Alan darf es nicht übersehen, daß auch die christliche
Kirche dem alteinheimischen Geisterglanbcn Vorschub geleistet,
ohne es unmittelbar zu beabsichtigen. Belege dafür lassen
sich schon ans der südslawischen Litteratur der jüngsten drei
Jahrhunderte beibringen. Sehr häufig sind uralte Vor
stellungen mit neuen derart erwachsen, daß wir mit unsern
geringen Mitteln außer stände sind, Altes von Neuem zu
scheiden. Bezeichnend ist in solchen Geschichten gewöhnlich
als Schuld der Rückkehr oder der ewigen Verdammnis ans
Erden herumznirren, die Schändung oder Entweihung einer zu
kirchlichen Zwecken bestimmten Sache. Die Erlösung erfolgt
meist durch Seelenmessen, während sonst Geister durch Ver
fluchungen und Verwünschungen in ihr Grab zurückgebannt
werden können. Es giebt Leute im Volke, welche berufs
mäßig mit Gcisterbannen sich beschäftigen. Dem hochbe-
tagtcn Geisterbanner Jmro Koprivöevie in Pleternica genügt
dieser Erwerb für seinen und seiner Familie Unterhalt.
Sein Handwerk, die Opankenflickerei, hat er schon vor vielen
Jahren aufgegeben, weil sich ihm das Geisterbannen allein
genug lohnt. Er erzählte mir gar oft von seinen Leistungen
ans diesem Gebiete, und als mir seine Erzählungen nach
Jahren von Wichtigkeit für die Volkskunde zu sein schienen,
ließ ich ihrer eine große Anzahl wörtlich nach seinem Vortrag
niederschreiben, und zwar unter Aufsicht meiner verewigten
Mutter, damit keine Irrtümer mit unterlaufen sollen.
Die Seelen der Grenzmarksteinvcrrücker müssen allnächt
lich mit einer Kerze in der Hand an den verschobenen
Grenzen irrwandeln, bis jemand die Grenzsteine richtig auf
den alten Platz zurückstellt. Solche Geister nennt man
Steinträger. So büßen auch gewisse Bienenzüchter. Es
giebt nämlich Bienenzüchter, die am Allerheiligentage das
heilige Brot, welches sie beim heiligen Abendmahle empfangen,
im Munde behalten und es zu Hanse ins Bienenhaus legen,
damit die Bienen nicht absterben oder auswandern, sondern
vielmehr besser schwärmen mögen. Zur Strafe für diesen
Frevel müssen solche Leute nach ihrem Ableben ohne Kopf,
mit einer brennenden Kerze in der Hand nächtlicherweile
umgehen. Diese Geister heißt man Kerzcnträgcr.
Die entweihte Hostie hat zu vielen Spukgeschichten Anlaß
gegeben, nur zu einer bei den Südslawen nicht, zur Juden
verfolgung wie in Deutschland im Mittelalter schmachvollen
Andenkens. Koprivöevie erzählt: Im Dorfe Bilao (bei
Rnacvo) verstarb ein Mann, der einer Stute die heilige
Hostie (svetu pricest) zu essen gegeben. Nach seinem Ab
leben kehrte er häufig nachts wieder und striegelte die Stute.
Es war im Herbste. Die Hausleute rüppelten im Hofe
Kuknrnzkolben und ließen über stacht den Kukuruz im
Freien. Nachts trug der zurückgekehrte Tote alle abgc-
rüppeltcn Kolben in die Stube hinein und gab der Hans-
vorsteherin einen solchen Hieb aufs Bein, daß ihr ganzer
Fuß blau ward. Auch kletterte er auf den Boden hinauf
und löste alle Ranchfangziegel los. Als wir uns in der
Stube versammelt hatten, setzten wir uns alle obenan zum
Tisch, vor uns aber standen vier Wiegen mit Kindern. Im
Ofcnwinkel lagen sechs Spindeln. Der Mond schien so
schön hell in die Stube hinein. Als der Geist erschien,
schlenderte er vorerst alle Sachen hinter die Thüre, bewarf
uns der Reihe nach mit Erde, gab einem einen Hieb auf
20*