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Dr. Paul Ehrenreich: Südamerikanische Stromfahrten.
folgenden Tage. Nach zweistündiger Fahrt passierten wir
am 22. die Mündung des Rio Peixe, des zweiten größeren
rechten Tributärs des Araguaya. Der Hauptstrom biegt
hier fast im rechten Winkel nach Osten und dann nach
Norden. Bei der folgenden Ansiedelung Chicha benutzten
wir die Pause für das Holzcinnehmen zu einem Besuche des
auf einer Sandbank in der Nähe befindlichen Karayalagers.
Ein großes, von drei alten Weibern gerudertes Kann kam
herüber und legte bei. Ein alter, etwas verwachsener Indianer
mit hinkendem Gang, in schäbiger europäischer Kleidung, stieg
an Bord, mit verschmitztem Lächeln den Kapitän begrüßend.
Es war der am ganzen Araguaya bekannte alte Häuptling
Pedro Manco (der Lahme), einer der wenigen Karaya, der
des Portugiesischen einigermaßen mächtig ist.
Häuptling war der Alte zur Zeit nur dem Namen nach.
Es war ihm ergangen wie vielen seiner Kollegen: seine
Leute hatten ihn verlassen, einfach aus Unzufriedenheit mit
seinem Regiment. Die Aufforderung, uns als Dollmetscher
zn begleiten, nahm er bereitwilligst an, wollte aber nur bis
San Maria mit: „Ahi passear“. „Hier spazieren gehen,
d. h. eine Reise dahin machen", ist dafür im Verkehr mit
den Indianern die stehende Redensart. Die Karaya beginnen
jeden Satz mit ahi (portugiesisch „hier").
Das Vertrauen, das wir ihm auf Sebastiüos Empfeh
lung hin schenkten, sollte nicht getäuscht werden. Trotz seines
etwas fragwürdigen Äußeren erwies sich der Alte, nachdem
er einmal aufgetaut war und sich von unsern guten Ab
sichten überzeugt hatte, als treuer Freund und Berater. So
zurückhaltend er sich im Anfang benahm, um so bereitwilliger
gab er über alles, was sein Volk betraf, Auskunft. Mit
Eifer unterstützte er auch die ethnographische Sammelthütig-
keit. Mit einem gewissen Stolze machte er seine Stammes
genossen, wo er Gelegenheit hatte, darauf aufmerksam, daß
wir, die „tori", gekommen seien, um unsern Brüdern weit
jenseits des großen Wassers zu zeigen, was die Karaya in
den Künsten und Gewerben leisteten.
Das Dorf, welches wir hier besuchten, bot dazu noch keine
Gelegenheit. Es war herzlich wenig vorhanden. Wie alle
Karayahi-Mauu mit Lippenpflock und Ohrstäbchen. Originalaufnahme von P. Ehrenreich.
„Sommerlager" derKarayahi, bestand auch dieses aus einem
Haufen primitiver Hütttn, oder vielmehr einfacher Schutz
dächer, Palmblattmatten, die durch senkrechte Stangen gestützt
wurden. Vor jeder Hütte befand sich ein Feuerplatz, von
übelriechenden Abfallhaufen umgeben, in denen sich Massen
heftig stechender grauer Fliegen entwickeln. Von Reinlich
keit und Ordnung, die man sonst den Karaya nachrühmte,
fand sich keine Spur. Die Leute waren hier schon zu sehr mit
der „Zivilisation" in Berührung. Auch hier fanden sich an
Frauen und Kindern im ganzen etwa 30 Personen. Von den
jüngeren Mädchen waren zwei hübsch zu nennen. Bei aller
ihrer Kleinheit waren die Körperformen gut proportioniert,
der Gesichtstypus regelmäßig, der Ausdruck trotz der etwas
kleinen, leicht geschlitzten Augen recht sympathisch. Das Haar
war sorgfältig gescheitelt und hing hinten lang herab. Be-
malung mit schwarzen Horizontalstrichen an Armen und Beinen
schien sehr beliebt. Ebenso verlaufen von den Mundwinkeln
über die Backen schwarze Streifen. Mehrere trugen die noch
später zu erwähnenden dicken Baumwollmanschetten. Die
Tracht der Frauen ist einfach, aber kleidsam. Sie besteht in
einer Schärpe aus mit Steinen weichgeklopfter und gebleichter
Baumrinde, die zwischen den Beinen durchgezogen mit ihren
Zipfeln vorn bis zu den Füßen herabreicht. Die Männer
dagegen begnügen sich mit einem schwarzen, die Vorhaut über
der glans wurstzipfelartig zuschnürenden Baumwollfaden.
Ihr Hausrat enthielt keine des Mitnehmens werten Stücke.
Am Nachmittag desselben Tages langten wir in San Josa
an, einem elenden verfallenden Ort in ungesunder Lage.
Weshalb wir hier zwei volle Tage verweilen sollten, war
mir anfangs unverständlich. Indes konnte man es den
Schiffsleuten, die ja Zeit im Überfluß hatten, nicht verübeln,
wenn sie mit ihren hiesigen Freunden und besonders Freun
dinnen einige vergnügte Stunden zn verbringen suchten.
Glücklicherweise ließ sich der unliebsame Aufenthalt auch
für die Ethnologie ausnutzen.
Es wurden nicht nur die Karaya-Sprachstudien mit Pedro
Manco fortgesetzt, sondern auch einige Akuä- (Chavantes-)
Weiber ins Gebet genommen, die ans der jetzt aufgelösten
Missionsstation von Salinas stammten. Es waren große,
stattliche Personen von auffallend Heller Gesichtsfarbe, mit