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Full Text: Globus, 61/62.1892

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Dr. Paul Ehrenreich: Südamerikanische Stromfahrten. 
folgenden Tage. Nach zweistündiger Fahrt passierten wir 
am 22. die Mündung des Rio Peixe, des zweiten größeren 
rechten Tributärs des Araguaya. Der Hauptstrom biegt 
hier fast im rechten Winkel nach Osten und dann nach 
Norden. Bei der folgenden Ansiedelung Chicha benutzten 
wir die Pause für das Holzcinnehmen zu einem Besuche des 
auf einer Sandbank in der Nähe befindlichen Karayalagers. 
Ein großes, von drei alten Weibern gerudertes Kann kam 
herüber und legte bei. Ein alter, etwas verwachsener Indianer 
mit hinkendem Gang, in schäbiger europäischer Kleidung, stieg 
an Bord, mit verschmitztem Lächeln den Kapitän begrüßend. 
Es war der am ganzen Araguaya bekannte alte Häuptling 
Pedro Manco (der Lahme), einer der wenigen Karaya, der 
des Portugiesischen einigermaßen mächtig ist. 
Häuptling war der Alte zur Zeit nur dem Namen nach. 
Es war ihm ergangen wie vielen seiner Kollegen: seine 
Leute hatten ihn verlassen, einfach aus Unzufriedenheit mit 
seinem Regiment. Die Aufforderung, uns als Dollmetscher 
zn begleiten, nahm er bereitwilligst an, wollte aber nur bis 
San Maria mit: „Ahi passear“. „Hier spazieren gehen, 
d. h. eine Reise dahin machen", ist dafür im Verkehr mit 
den Indianern die stehende Redensart. Die Karaya beginnen 
jeden Satz mit ahi (portugiesisch „hier"). 
Das Vertrauen, das wir ihm auf Sebastiüos Empfeh 
lung hin schenkten, sollte nicht getäuscht werden. Trotz seines 
etwas fragwürdigen Äußeren erwies sich der Alte, nachdem 
er einmal aufgetaut war und sich von unsern guten Ab 
sichten überzeugt hatte, als treuer Freund und Berater. So 
zurückhaltend er sich im Anfang benahm, um so bereitwilliger 
gab er über alles, was sein Volk betraf, Auskunft. Mit 
Eifer unterstützte er auch die ethnographische Sammelthütig- 
keit. Mit einem gewissen Stolze machte er seine Stammes 
genossen, wo er Gelegenheit hatte, darauf aufmerksam, daß 
wir, die „tori", gekommen seien, um unsern Brüdern weit 
jenseits des großen Wassers zu zeigen, was die Karaya in 
den Künsten und Gewerben leisteten. 
Das Dorf, welches wir hier besuchten, bot dazu noch keine 
Gelegenheit. Es war herzlich wenig vorhanden. Wie alle 
Karayahi-Mauu mit Lippenpflock und Ohrstäbchen. Originalaufnahme von P. Ehrenreich. 
„Sommerlager" derKarayahi, bestand auch dieses aus einem 
Haufen primitiver Hütttn, oder vielmehr einfacher Schutz 
dächer, Palmblattmatten, die durch senkrechte Stangen gestützt 
wurden. Vor jeder Hütte befand sich ein Feuerplatz, von 
übelriechenden Abfallhaufen umgeben, in denen sich Massen 
heftig stechender grauer Fliegen entwickeln. Von Reinlich 
keit und Ordnung, die man sonst den Karaya nachrühmte, 
fand sich keine Spur. Die Leute waren hier schon zu sehr mit 
der „Zivilisation" in Berührung. Auch hier fanden sich an 
Frauen und Kindern im ganzen etwa 30 Personen. Von den 
jüngeren Mädchen waren zwei hübsch zu nennen. Bei aller 
ihrer Kleinheit waren die Körperformen gut proportioniert, 
der Gesichtstypus regelmäßig, der Ausdruck trotz der etwas 
kleinen, leicht geschlitzten Augen recht sympathisch. Das Haar 
war sorgfältig gescheitelt und hing hinten lang herab. Be- 
malung mit schwarzen Horizontalstrichen an Armen und Beinen 
schien sehr beliebt. Ebenso verlaufen von den Mundwinkeln 
über die Backen schwarze Streifen. Mehrere trugen die noch 
später zu erwähnenden dicken Baumwollmanschetten. Die 
Tracht der Frauen ist einfach, aber kleidsam. Sie besteht in 
einer Schärpe aus mit Steinen weichgeklopfter und gebleichter 
Baumrinde, die zwischen den Beinen durchgezogen mit ihren 
Zipfeln vorn bis zu den Füßen herabreicht. Die Männer 
dagegen begnügen sich mit einem schwarzen, die Vorhaut über 
der glans wurstzipfelartig zuschnürenden Baumwollfaden. 
Ihr Hausrat enthielt keine des Mitnehmens werten Stücke. 
Am Nachmittag desselben Tages langten wir in San Josa 
an, einem elenden verfallenden Ort in ungesunder Lage. 
Weshalb wir hier zwei volle Tage verweilen sollten, war 
mir anfangs unverständlich. Indes konnte man es den 
Schiffsleuten, die ja Zeit im Überfluß hatten, nicht verübeln, 
wenn sie mit ihren hiesigen Freunden und besonders Freun 
dinnen einige vergnügte Stunden zn verbringen suchten. 
Glücklicherweise ließ sich der unliebsame Aufenthalt auch 
für die Ethnologie ausnutzen. 
Es wurden nicht nur die Karaya-Sprachstudien mit Pedro 
Manco fortgesetzt, sondern auch einige Akuä- (Chavantes-) 
Weiber ins Gebet genommen, die ans der jetzt aufgelösten 
Missionsstation von Salinas stammten. Es waren große, 
stattliche Personen von auffallend Heller Gesichtsfarbe, mit
	        
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