Bd. LXI.
Nr. 3.
Begründet 1862
von
Karl Andrer.
Druck und 'Dertug von
Sill>er-M Dlktcklnile.
Herausgegeben
von
Richard Andrer.
IrieöricH Kieweg & Sohn.
Braunschweig.
Jährlich 2 Bünde in 24 Nummern. Durch olle Buchhandlungen und Postanstaltcn
zum Preise von 12 Mark für den Band zu beziehen.
1898.
Bei den ReschiLt's.
von Ludwig Ritt. von Höhnet, kaiser!, und königl. Linienschiffsleutnant.
Im ganzen Verlaufe unsrer Reise hat kaum ein zweiter
Tag für uns die gleiche Wichtigkeit gehabt, wie jener unsres
Eintreffens bei den Reschiüt.
Ein neues Volk, das bisher in weltferner Abgeschieden
heit ein unbekanntes Dasein geführt hatte, war der Wissen
schaft gewonnen, gleichzeitig das Schreckgespenst des Hunger
todes, das unsre 200 Mann starke Karawane seit Wochen
bedrohte, damit gebannt.
Am 10. Februar 1887 waren wir vom Baringo-See,
unsrer letzten Etappenstation aufgebrochen, um das „große
Wasser" zu entdecken, welches dort irgendwo tut Norden sein
sollte. Wo jedoch und tüte weit eigentlich, das hatte uns
niemand anzugeben gewußt, denn niemand hatte es gesehen
gehabt, weder einer von den Leuten der verschiedenen Händler-
karawanen, noch von den Eingebornen, welche wir bis zum
Baringo-See begegnet und diesbezüglich ausgeforscht hatten;
aber gehört hatte man davon.
So waren wir denn 54 Tage lang nordwärts gewandert,
hatten eine weite, fast menschenlose Wildnis durchmessen und
langten endlich ohne Proviant utib bereits aufs Äußerste
erschöpft am 4. April bei den am Nordende des Rudolph-
Sees lebenden Reschiät an.
Der See hat hier flache Ufer; ein schmaler Saum von
Schilfrohr umgiebt sie. Diesem zunächst finden sich aus
schließlich abgestorbene Bäume. Eine lange Reihe weiß-
gebleichter Baumskelettc läuft, vom Nordrande ausgehend, tief
in den dort seichten See hinein; sie gehörten wohl dem Ufer
walde eines im Laufe der Zeiten durch das Anwachsen des
Sees von der Bildfläche verschwundenen Flusses an, dessen
Mäander sie deutlich genug noch kennzeichnen. Weiter im
Lande bedeckt dichter Wald, soweit das Auge reicht, die
flache Landschaft, aus welcher nur eine einzige, verhältnis
mäßig niedrige Berggrnppe — der fünfgipfelige Maknü —
x ) Der obige Abschnitt aus dem bei Holder in Wien er
scheinenden Werke: „Zum Rudolph-See und Stephanie-See.
Die Forschungsreise des Grafen Samuel Tclcki in Ost-Äguatorial-
Afrika, 1887 bis 1888“, ist uns durch den Herrn Berf. vor
dem Abdruck gütigst zur Verfügung gestellt worden.
Globus LXI. Nr. 3.
inselgleich herausragt; da und dort verrät ein Glitzern im
dunklen Blättermeere den Lauf eines Flusses, der dem See
zustrebt. Zahlreiche Rauchsäulen, welche nah und fern aus
dem Walde aufwirbeln, sagen uns, daß wir vor einem dicht
bevölkerten Gebiete stehen. Auch sonst fesselt uns noch eine
dorfartige Anlage, welche in ungefähr 1000 m Entfernung
auf einem niedrigen, weißsandigen Rücken sichtbar war.
Dies war das Bild, das sich unsern freudestrahlenden
Augen bot, als wir in der Nähe des Ufers Halt machten.
Vom Dorfe her näherten sich uns sofort nach unsrem
Anlangen einige dunkle Gestalten. Allen voran kam eine
Schar von 10 bis 12 Kriegern; ihnen nach folgten etwa
80 Männer, indes beim Dorfe eine Anzahl von augenschein
lich mit Lebensmittel bepackten Weibern der weiteren Ereig
nisse harrte. In 200 Schritt Entfernung von uns an
gelangt, hockten sich die Krieger nieder und ein Schauri hob
an, das unsrerseits von Dschnmbe Kimemeta *), Dualla 2)
und Lembasso "-) geführt wurde; wir selbst hielten uns zurück,
um den Gang der Verhandlung durch unser Erscheinen nicht
zu stören.
Die Begegnung und Begrüßung ging in ganz besonders
herzlicher Weise vor sich. Dualla kam bald mit strahlendem
Gesichte zurück und wiewohl er sonst auf die Eingebornen
mit schlecht verhehlter Geringschätzung zu blicken pflegte,
wurde er diesmal nicht müde, die „Waschensi" 4 ), wie er sie
dennoch nannte, zu bewundern.
Wir suchten nun unsre Tauschware heraus und zeigten
sie den Eingebornen, um zu erfahren, welche davon besonders
begehrt wären, erlebten aber eine arge Enttäuschung: Eisen
draht war wertlos, Stoffe wurden gar nicht weiter angesehen,
und unsre kleinen Perlen hielten sie für Samen. Nur die 1 2
1) Ei» bekannter Elfcnbeinhändler aus Pangani, der als
Reisemarschall in unsern Diensten stand.
2) Ein äußerst intelligenter Habr AuwLl SomLl, unser
Karawanenches.
V, WM* WUIUUUI tUUUUC ,
als Wegführer am Njiroberge ausgenommen hatten.
4 ) „Wilde“ im allgemeinen, mit verächtlichem Beigeschmack
von den Karawancnleuten gebraucht.
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