Bd. LXII
Nr. 18
Brauns chweig.
Jährlich 2 Bände in 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1898
zum Preise von 12 Mark sür den Band zu beziehen.
Döhenkultus der Magyaren.
Von Dr. Heinrich v. IDlislocki.
Ferd. Freiherr v. Andrian hat in seinem trefflichen
Werke: „Der Höhenkultus asiatischer und europäischer Völker"
(Wien 1891, Konegen) im Bergknlt zwei Vorstellungs
gruppen unterschieden. Die erste fußt ans dem Animismus,
auf Belebung und Beseelung der Natur, wobei der Berg
als Dämon oder als Wohnung, als Sitz eines solchen gedacht
wird und man solchen Orten Verehrung zollen und Opfer
darbringen muß. Die zweite Vorstellungsreihe hingegen
ist die „kosmische Auffassung der Berge", tvobei die Berge
das Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde, die Grenze
zwischen Lebenden und Toten, den Wohnsitz oder die Brücke
ins Jenseits für die abgeschiedenen Seelen bilden. Bezüglich
dieser zweiten Vorstellungsgrnppe sagt Andrian (S. XVI):
„Wir müssen jedoch im Auge behalten, daß auch diese ent
schieden höhere Vorsteüungsweise ganz im Animismus wurzelt,
da die Personifikation des sichtbaren Himmels, sowie die Ver
geistigung aller Himmelsvorgänge sehr lange festgehalten wird.
Ebenso klar tritt der Zusammenhang zwischen Himmels- und
Sternengeistern und dem Manenknltns bei einigen Völkern
hervor."
Da aber Andrian ans den Höhenkult der Magyaren
keine Rücksicht genommen hat, will folgende Zusammen
stellung des diesbezüglichen Materials eine kleine Ergänzung
zu seinem Werke bilden, wobei ich eben bestrebt war, die
einschlägigen Belege aus den mir zur Verfügung stehenden
Quellen heranzuziehen und für künftige Forscher auf diesem
weiten Felde des Volksglaubens das wesentlich Wichtigste zu
bieten. Bevor wir zum eigentlichen Höhcnknlt übergehen,
sei mir gestattet, einiges über die Erde im magyarischen
Volksglauben mitzuteilen.
Die Erde heißt im Magyarischen föld und wird von
Jpolyi (Magyar Mythologia — magyar. Mythol., Pest
1854, S. 209) von toi (auf), solo (oberhalb) abgeleitet.
Der alte ungarische Lexikograph Kreß ne ries sagt über föld:
„quasi eminens ex aquis“, also ein Gegenstand, der aus
den Wassern emporragt. Die Erde wird die „Mutter" ge
nannt; „die Erde ist die Mutter, das Wasser eine Stief-
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mutter" (a föld anya, a viz mostoha), heißt es in sprich
wörtlicher Redensart. Sie ist die Mutter, die alles Gute
gebärt, zu der alles zurückkehrt; daher die Redensarten für
Sterben: „Er hat in die Erde gebissen" (a földbe hara-
pott), oder: „Er hat ins Gras gebissen" (a fübe harapott);
„er hat seine Nase in die Erde geschlagen" (földbe üföffe
orrät) und „er ist nach Erdbnrg gegangen, Bretter zu ver-
kaufen" (földvärra ment deszkat arulni). In den ältesten
Zeiten spielte die Erde bei Länderübergabe eine große Rolle.
Wasser, Gras und Erde mußten die besiegten Völker den
Magyaren geben, um dadurch ihre Unterwerfung anzuzeigen
(lateinische Belege s. bei Jpolyi S. 209 ff). Kamen sie in
ein Land, so schlenderten sie Wasser und Erde gen Himmel
als Dankopfer. Die Erde spielte auch bei Übergabe von
Grundstücken und Lehen eine große Rolle im Rechtsbrauch
der alten Magyaren. Der Übergeber des Lehens, ein Ge
sandter des Königs (bomo regius), führte den Beschenkten
bei der Hand auf das Grundstück und übergab ihm dort
eine Handvoll Erde. Die magyarischen Rechtsquellen erwäh
nen oft diesen Brauch, indem es dabei heißt: „ad faeiem
terrae accendentes assignationi interfuimus“. Dabei
wurden auch Eide geleistet, bei denen eben die Erde eine
Rolle spielte, worüber uns das magyarische Corpus juris
(im Anhang: juramentum in metalli reambulatione
praestandum) berichtet. Diese Eidleistung (seria et terri
bilis iuramenti forma), heißt es am angeführten Orte, sei
von altersher gebräuchlich (iam ab olim in regno Unga
rin 6 adinventa est et observata). Ähnlich wie im alt
deutschen Rechtsbrauch mußte der Besitzergreifer und Eidleister
von den vier Ecken des Besitztums Erde nehmen und über
das Hanpt seines nächsten Verwandten werfen. Eine magya
rische Redensart lautet: „Aus sein eigenes Haupt wirst er
Erde" (maga fejere bänyja a földet). In zahlreichen
alten Eidformeln wird die Erde angerufen, damit sie den
Meineidigen nicht auf sich dulde, nach seinem Tode nicht in
sich aufnehme oder ihn aus sich herausschleudere. Auch im
heutigen Volksleben spielt die Erde bei Verwünschungen eine
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