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Full Text: Globus, 61/62.1892

Begründet 1862 
von 
Karl Andres. 
Druck und 'jSTerCctg von 
Wer-M Mickck. 
Herausgegeben 
von 
Richard Andres. 
IrieöricH "Wierveg & Sohn. 
Jährlich 2 Bände in 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten . oqo 
< 7iuuu|0juicig. zum Preise von 12 Mark für den Band zu beziehen. 
Zur Magyarisierung in Ungarn. 
Von Dr. G un train Schultheiß. 
I. 
Seit 25 Jahren besteht ein Königreich Ungarn in einer 
staatlichen Selbständigkeit, wie sie seit dem Fall des letzten 
Königs aus dem Hause der Jagellonen in der Schlacht von 
Mohatsch 1526 kaum als historische Erinnerung, höchstens 
als ein Traumbild der Hoffnung fortbestanden hat. Denn 
seiner Verwirklichung, der Wiederherstellung einer magya 
rischen Adelsrepublik, wenn auch in der modernisierten Form 
einer parlamentarischen Oligarchie, widerstrebte nicht nur 
der dynastische Einheitsbegriff des übernationalen Donau- 
reiches, sondern auch die überwiegende Mehrheit der sieben 
Nationen, die nach Maria Theresias Ausdruck Ungarn be 
wohnen, die auch 1848 für den Kaiser sich erhoben hatten. 
Desto mehr mußte, als nach 1866 die Gunst des Geschickes 
alle Macht in Ungarn der Minderheit überantwortete, das 
heiße Bemühen der Magyaren darauf gerichtet sein, aus dem 
politischen Gebiet der Stephanskrone eine national geschlossene 
Masse zu formen und so einer Wiederkehr der Zentralisation 
vorzubauen. 
Die daraus gerichteten Bestrebungen haben unstreitig nicht 
nur ein politisches, sondern auch ein ethnographisches 
Interesse. Handelt es sich doch darum, im hellsten Licht der 
Gegenwart eine Analogie der Romanisierung durchzusetzen, 
die in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung sich 
abgespielt hat. Über diese sind wenig Dokumente erhalten. 
Wie aber die Geschichte längst andere Dinge für wichtiger 
erkannt hat als die chronique scandaleuse der Residenz 
Rom und des kaiserlichen Hofes, wie sie Tacitus oder Sueto- 
nius ausführlich behandeln, so ist auch die Zeit vorüber, daß 
die saubere Kolorierung der Territorien die einzige Anforde 
rung an die Kartographie bildete. Völker- und Sprach- 
karten sucht man schon in jedem Schulatlas. 
Auch der Zeitraum von 25 Jahren seit Errichtung des 
magyarischen Staates, die nahende tausendjährige Feier des 
Auftretens der Magyaren in Europa könnte einen Rückblick 
und Ausblick genügend rechtfertigen! 
Globus I.XII. Nr. 23 . 
Noch ist der wissenschaftliche Streit ungeschlichtet, ob die 
magyarischen Horden nach der Sprache zu den Ügrosinnen 
oder zu den Türken zu stellen, oder ob, wie die neue ver 
mittelnde Meinung ist, zwar der Adel der 108 Geschlechter 
türkischer, die Masse aber ugrischer Sprache und Abkunft 
gewesen seien, wobei die Mehrzahl das Ausschlaggebende 
geblieben wäre. Jedenfalls sind die Petschenegen und die 
Knmanen körperlich und sprachlich spurlos in den Magyaren 
ausgegangen; nicht einmal dialektische Unterschiede sind zurück 
geblieben. Den finnischen Typus darf man überhaupt nicht 
suchen (vergl. Topinard, Anthropologie, deutsch v. Neuhauß, 
S. 465) und bei anthropologischen Messungen oder Charak 
terisierungen muß man von der Bevölkerung der Hauptstadt 
absehen. Wohl aber wird cs der Typus der Kernmagyaren 
sein, wenn Otto v. Frcising den Ungarn häßliche Gesichter, 
tiefliegende Augen, niederen Wuchs zuschreibt und meint, 
die göttliche Geduld sei zu bewundern, die, man dürfe nicht 
sagen, Menschen, sondern solchen Zerrbildern von Menschen 
(talibus hominum monstris) ein so ergötzliches Land 
zugewiesen habe (Gesta Friderici, lib. I, cap. 32). 
Und unter Kaiser Josef II. schreibt der Verfasser der „Briese 
eines reisenden Franzosen über Deutschland" (Riesbeck, ein 
guter Beobachter), Bd. I, S. 312: „Die alten Einwohner 
des Landes, welche eigentlich die Nation ausmachen, teilen 
sich in Tartaren und Slawen. Zu jenen gehören die eigent 
lichen Hungarn, die Kumanen, Zeckler und Jazyger. Ihre 
Sitten und ihre Bildung (d. h. Körperbildung) verraten 
noch merklich genug, daß sie mit den heutigen Kalmücken 
verwandt und Abkömmlinge der alten Skythen sind. Ihre 
tiefen Augen, ihre eckigten Gcsichtsknochen und ihre gelbliche 
Farbe unterscheidet sie auffallend von den Slawen, die über 
haupt einen stärkeren und runderen Knochenbau haben und 
weißer und flcischichter sind. Es giebt verschiedene Bezirke, 
wo sich beide Menschengattungen ziemlich unvermischt er 
halten haben." 
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