Bd. LXI.
Begründet 1862
von
Karl A übte e.
Druck uud Dlertug
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1892 .
Die natürliche Pflanzendecke üorddeutschlands.
von Dr. med. Ernst
Wenn jemand Interesse gewinnt für die organische Natur
seiner Heimat und wenn er sich bemüht, die Tiere und
Pflanzen des Vaterlandes kennen zu lernen, dann begiebt er
sich zur Stadt hinaus und richtet seine Schritte gegen den
Wald, die Wiese und die Heide. Im Gart.'« und auf dem
«Uelde hat er wohl manchen Vogel und manches Kerbtier ge
sehen, die sich ohne Zuthun des Menschen oft gegen seinen
Willen und Wunsch dort angefunden haben, er hat auch be
merkt, wie Huflattich, Quecke und Schachtelhalm den Kultur
pflanzen den Boden streitig machen, aber diese Wildlinge
beeinflussen doch nur wenig das Gesamtbild des urbaren
Landes. Diesem gegenüber erscheinen Wald und Heide,
Wiese und Moor als die Überbleibsel einer ohne unser Zuthun
entstandenen Lebensgemeinschaft, welche wir in ihrer Gesamt
heit als „natürliche Flora und Fauna" bezeichnen.
Gewiß ist cs richtig, daß die meisten Pflanzen und Tiere
des Waldes und der Wiese nicht vom Menschen ins Land
gebracht sind, aber trotzdem ist der Zustand dieser Land
schaften kein „natürlicher", d. h. kein vom Menschen unab
hängiger. Sehen wir denn nicht, wie die Bäume des Waldes
reihenweise angeordnet stehen mit gleichen Abständen wie
Soldaten ans dem Exerzierplatz, sehen wir nicht, wie hier
Bäume gefällt, dort andre angepflanzt odcr gesüet sind? Wehrt
nicht ein hoher Zaun den Tieren und eine Warnungstafel
^'n Menschen den Zutritt zu den jungen Bäumen, den
Schonungen? Treffen wir nicht Damwild an, wo es vor
einigen Jahrzehnten noch Edelhirsche und in früheren Zeiten
Wildschweine gab? Ebenso wie der Wald ist die Wiese in
Kultur, da weiden nicht nur Herden zahmer Wiederkäuer, da
wird nicht nur durch Abzugsgräben und Ricselleitnngen die
Bewässerung reguliert, nein, da wird auch ein- oder mehrmal
jährlich gemäht, und alle Pflanzen, die es nicht vertragen, so
oft bis fast zum Erdboden abgeschnitten zu werden, müssen
eingehen, und alle Tiere, die ans diese Pflanzenarten ange
wiesen sind, müssen verschwinden. Torfstich und Entwässerung
Globus LXI. Nr. 6.
£). £. Krause. Kiel.
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• den’öieQov ntkei. (Sophokles, Antigone.)
beeinflussen das Pflanzen- und Tierleben der Moore, Plaggcn-
hieb, Brand und Schafhütnng das der Heiden.
Der Umfang des Geländes, welches vom Menschen noch
gar nicht beeinflußt wurde, ist in unserm norddeutschen Tief
lande ganz unbedeutend. Zwar giebt es in Oldenburg einige
Waldbestände, welche Urwälder genannt werden, aber da ist
mitten drin eine Schenke, da weht schmutziges Papier zwischen
den halbtausendjährigen Eichen, und Unkräuter des Kultur
landes sind eingedrungen in den Schatten des Waldes, der
seiner höheren Tierwelt beraubt ist. In Ostpreußen giebt
es weiße Moore, die Tausende von Hektaren umfassen und für
Menschen und Vieh unzugänglich sind; diese mögen ganz oder
teilweise von der Kultur unbeeinflußt geblieben sein. Das
junge Schwemmland der Ströme und des Meeres bekommt
ohne menschliches Zuthun ein Pflanzenkleid, aber dieses bleibt
nur kurze Zeit sich selbst überlassen, bald wird es Weide oder
Wiese oder ein nutzbares Röhricht.
Darum sind nun keineswegs alle Wälder, Wiesen und
Heiden dem urbaren Lande gleichzustellen. Denn während
dieses fast ausschließlich ausländische Nutzpflanzen und aus
ländische Unkräuter trägt, bestehen jene Formationen über
wiegend aus inländischen Arten. Selbst wenn der Wald aus
von auswärts eingeführten Bäumen besteht und asiatische
Fasanen beherbergt, bleibt er in seinem Gesamtbilde und
durch zahlreiche niedrige Pflanzen und kleine Tiere dem Bilde,
welches wir uns von dem Urzustände unsrer Heimat machen,
ähnlicher als ein Garten, in welchem deutscher Sellerie unter
deutschen Kirsch- und Apfelbäumen wächst. Aus Feld und
Garten ist die natürliche Fauna und Flora vertrieben, und
nur wenige Repräsentanten derselben haben sich wieder ein
geschlichen. dagegen ist im Walde, auf der Heide und der Wiese
die natürliche Lebensgemeinschaft nur mehr oder weniger
verändert oder die schon verschwunden gewesene (bei neu
angelegten Wäldern u. s. w.) in veränderter Form wieder
eingeführt. Man kann deshalb Wald, Heide und Wiese als
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