Jacob Grimm und die slawische Volkskunde
13
sische Märchen bei. 4 Für Dobrovskys Beziehung zur Volkstradition ist seine Mit
teilung charakteristisch, daß ihn die Volksbücher interessieren, über die er eine ver
gleichende Abhandlung schreiben wolle, und er äußerte Freude über die Nachricht
Grimms, daß er sich diesem Thema zugewandt habe. 5 Hinsichtlich der slawischen
Mythologie bemerkte er: „Ich habe viel zur slawischen Mythologie gesammelt. Sie
ist indisch, d. i. sie hat mehr Ähnlichkeit mit indischer als griechischer oder latei
nischer Mythologie. Selbst das Verbrennen der Weiber war bei den Slawen üblich.
Mit der Einführung des Christentums giengen alte Gebräuche und Sagen zu Grunde.“ 6
Später nahm Dobrovsky allerdings ebenso wie Safärik einen sehr kritischen Stand
punkt zur „Indomanie“ ein.
Nähere Beziehungen zwischen Dobrovsky und Grimm entwickelten sich nicht,
Weil seit dem Jahre 1814 Kopitar zum Mittelsmann zwischen beiden Forschern wurde.
Jernej Kopitar und Vuk Stefanovic Karadzic
Die vergleichende Methode führte Grimm von Jugend an zum Studium fremder
Sprachen, durch das er sich den Zugang zur Kenntnis der Literaturen und der Samm
lungen von Volksüberlieferungen erschloß. Dank einem günstigen Zusammentreffen
v on Ereignissen eröffnete sich ihm die vielgestaltige Welt der Slawen gerade zu der
Zeit, als er in den Jahren 1814 bis 1815 als hessischer Legationssekretär beim Wiener
Kongreß an den Verhandlungen über eine Neuorganisation Europas teilnahm, ins
besondere an den Beratungen über Deutschland. Sie bildeten einen wesentlichen Teil
des Programms der Verhandlungen des Kongresses und vereinigten in Wien eine
ganze Reihe hervorragender Repräsentanten der deutschen Wissenschaft und der
deutschen Kunst. Grimm benutzte seinen Aufenthalt auch zum erfolgreichen Stu
dium der slawischen Sprachen, insbesondere des Tschechischen. Sein Ratgeber war
ein Schüler Dobrovskys, der Slowene Jernej Kopitar (1780 1844), seit 1810
Skriptor der Hofbibliothek. Er übermittelte dem deutschen Forscher Nachrichten
über die slawische Volksdichtung, vor allem freilich über jene Sammlung, die gerade
damals, kurz nach ihrem Erscheinen, europäischen Erfolg erlangte. Ende 1814 war
in Wien das Werk Mala p rostonarodna slaveno-srbska pjesnarica (Kleines slowenisch
serbisches Volksliederbuch) erschienen, die erste Probe der Sammlertätigkeit von
Muk Stefanovic Karadzic (1787 — 1864). Dieser war im Jahre 1813 nach Wien gekom
men, wo er für die eben gegründete Zeitung Serbske Novine schrieb und die Auf
merksamkeit Kopitars erregte, der damals Zensor für slawische Bücher war. Kopitar,
ein romantischer Verehrer der Volksdichtung, feuriger Propagandist der Volks
sprache und der Verbesserung der Rechtschreibung nach phonetischen Prinzipien,
unterstützte Vuk durch das Gewicht seiner Autorität in slavicis und ließ sich vor allem
eine wirksame Verbreitung der Lieder angelegen sein. Das zweite Bändchen erschien
4 Uber die Briefe Dobrovskys handelt ausführlich M. Vasmer in: B. Kopitars Briefwechsel
mit Jakob Grimm (— Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Nr. 7).
Berlin 193 8, S. VIII ff.
6 Archiv für slavische Philologie, Jg. I, S. 629.
Ebda Jg.I, S. 625.