Der Bienenstand in Mitteleuropa.
Zur Einführung in die Frage 194 des Atlas der deutschen Volkskunde *).
Von Bruno Schier, Leipzig.
In der deutschen Sachforschung setzt sich in zunehmendem Matze die Erkenntnis
durch, datz die Kleinformen des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens besonders
wertvolle Einblicke in den Kulturaufbau eines Volkes ermöglichen. Trotz ihrer
leichten Beweglichkeit halten sie oft ältestes Erbgut besser als die großen Erschei
nungen unseres Kulturbesitzes fest; sie stehen zwar nicht außerhalb des Vorganges
der fortschreitenden Kultivierung, doch sie sind weniger eng mit ihm verflochten.
Abseits vom großen Entwicklungsstrome gelegen und nur von seinen letzten müden
Wellenschlägen berührt, führen sie in altartiger Ursprünglichkeit einen oft jahr-
hunderte-, ja jahrtausendelangen Dornröschenschlaf.
In rastloser Arbeit hat sich die deutsche Sachforschung immer neue Bereiche
dieser beharrsamen Kleinformen erschlossen; Armbruster, Bomann, Braungart,
Fuhse, Geramb, Haberlandt, Heyne, Lauffer, Meringer, Mitzka, Mützel, Rhamm,
Rütimeyer u. v. a. gehören zu den Bahnbrechern dieses Forschungszweiges. Von
dem Rüstzeug für Jagd und Fischfang beginnend, über die Geräte des Ackerbaues
und der Viehwirtschaft zu den Hilfsmitteln für Obdach- und Nahrungsbereitung,
sowie den Altformen von Hausrat und Tracht dehnt sich das weite Reich dieser
bescheidenen Sachgüter, die das menschliche Leben von seinen ersten Anfängen
bis zu der Blüte volkhafter Kulturen begleiten. Die Beschäftigung mit diesen
Dingen muß jedoch „eitler Plunder" bleiben, wenn sie nicht die Gesetze ihres
Aufbaues feststellt, ihre blut- und bodengebundenen Grundlagen aufdeckt, ihre Ab
wandlungen durch Stammes- und Kulturbewegungen ermittelt und ihre Stellung
im Wesensgefüge des Volkes umreißt. Wie ein Versuch über die europäischen
Volkstrachten gelehrt hat * 2 ), verspricht ein solches Verfahren seltenen Lohn: mit
wachsender Sicherheit wird es gelingen, die Aufbauschichten aus vorindogerma
nischer, indogermanischer und altgermanischer Zeit bloßzulegen und den Beitrag
germanischer Stammestümer, mittelalterlich-deutscher Territorialverbände und
neuzeitlicher Verkehrsgemeinschaften zu trennen. Eine Fülle solcher Einzelunter
suchungen wird uns Erbgut und Neuerwerb, Eigenbesitz und Lehngut scheiden
1) 4. Fragebogen, Frage 194 (ausgeschickt Juli 1933): a) Aus welchem Werkstoff bestehen die
Bienenstöcke Ihres Ortes, soweit sie nicht moderne Fabrikate sind? b) Bitte zeichnen Sie ihre Form
oder geben Sie an, welche Figuren sie darstellen, e) Wie lautet die volkstümliche (mundartliche) Be
zeichnung 1. des Bienenstockes, 2. der Biene, 3. des Bienenschwarms, 4. der Bienenkönigin?
2 ) Vorbericht bei Schier, Br., Vorgeschichtliche Elemente in den europäischen Volkstrachten
— Nationalsozialistische Monatshefte 8 (1937), S. 985—995.
Zeitschrift für Volkskunde IX, 2.
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