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Buchbesprechungen
KLAUS Graf, Gmündner Chroniken im 16. Jahrhundert. Texte und Unter
suchungen zur Geschichtsschreibung der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd.
Schwäbisch Gmünd: Einhorn-Verlag, 1984. 358 S. m. 20 Abb., graph. Darst.
Das Werk ist beides zugleich: kritische Edition der historiographischen Quel
len des 16. Jahrhunderts (wiedergegeben in einem Anhang) und wissenschaft
liche Diskussion von Entstehungsprozeß und Aussagewert. Dabei beherrscht der
Verfasser das dornenreiche Geschäft des Variantenvergleichs, der Stemma-Bil-
dung, der sprachgeschichtlichen und lokalhistorischen Untersuchung ebenso
souverän wie die Analyse der in Texten eingebundenen Bewußtseinsinhalte und
Interessen von Verfassern und literarischen Auftraggebern.
Gewiß, es geht primär um den Ort Schwäbisch Gmünd und dessen Ober
schicht im 16. Jahrhundert, erwachsen aus landadeligen und kaufmännisch-hand
werklichen Kreisen; zentrales Anliegen des Verfassers aber ist durchgehend die
grundsätzliche Frage: Wie funktioniert Traditionsbildung (im geistlichen, im ge
lehrten, im politischen, im bürgerlichen Milieu), welche Funktion erfüllt die
Textsorte „Städtechronik“ im Selbstverständnis der einzelnen Trägerschichten,
was trägt sie bei zum Aufbau eines verbindlichen Welt- und Geschichtsbildes?
Diese Orientierung an Grundsatzfragen, die historische, literaturgeschichtliche,
sprachwissenschaftliche, soziologische und kommunikationstheoretische Aspek
te verschmilzt, macht vorliegende Arbeit nicht nur für den lokalen Interessenten
bedeutungsvoll, sondern gibt ihr das Gewicht einer vorbildlichen Fallstudie.
Der Volkskundler mag es allenfalls bedauern, daß die ihn vorrangig interessie
rende Problematik mündlicher Tradition eher beiläufig am Beispiel von Dreikö
nigslegende (Rast der Reliquien in Gmünd beim Transport von Mailand nach
Köln 1164), Ringsage (Bau einer Kirche am Ort, wo man den Ehering einer
schwäbischen Herzogin wiederfand) und an dem Sagenkreis um den Näberberg
(vorchristliche Kultstätte, Fluchtgänge) abgehandelt wird (S. 157-170). Aber
auch diese wenigen Seiten sind so dicht bepackt mit grundsätzlichen Überlegun
gen zur oralen Überlieferung, zum Verhältnis von „ober-“ und „unterschichtli-
cher“ Kultur, zu Fragen von Innovation und Rezeption gestalteter Sprache, daß
diese Arbeit nicht nur wegen des Gebots zu fachübergreifender Kommunikation
Beachtung von seiten der Volkskunde finden sollte.
Passau Walter Hartinger
Dona Ethnologica Monacensia. Feopold Kretzenbacher zum 70. Geburtstag.
Hrsg. v. Helge Gerndt, Klaus Roth, Georg R. Schroubek. München: In
stitut für deutsche und vergleichende Volkskunde der Universität München, 1983.
360 S. mit 31 Abb. und 1 Tabelle (Münchner Beiträge zur Volkskunde, Bd. 1).
Bei den älteren, nun weitgehend aus dem offiziellen Amt ausgeschiedenen Volks
kundlern kam fast jeder aus einer Nachbarwissenschaft, aus der Fandeskunde, der
Sprachwissenschaft usw., und er blieb auch als Volkskundler dieser Grundwissen
schaft verbunden. Leopold Kretzenbacher , zunächst der breiten Kontaktzone zu
gewandt, der seine Heimat angehört, hat von dort aus im Ausblick nach Osten und
Westen für unsere Kultur entscheidende Zusammenhänge und Einflüsse erkannt
und über Fegende und Volksreligion eine terra incognita erschlossen. Die Zeitum-