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Die Straße lebt
Bemerkungen zu einer urbanen Taktik
biemfcoirfi i i . Von Gisela Welz, Tübingen
O :,J :^ n,ve rsität zu fieri,.
/h^^rsitätsbibüothek
7 Geschichte
Fried ClCh Ethno 3^phio
rnedenstraße 3, Berlin, ,017
/ stz// hang around
neither lost nor found
I hear the sound of music in the night
nights are always bright
I play the street life
cause there’s no place I can go
street life
it’s the only life I know
(The Crusaders: Street Life, 1979 x )
Wo der Normalfall Straße außer Kraft gesetzt ist, findet eine Kulturwissenschaft
der Straße ihren Ansatzpunkt. Volkskundliche und ethnologische Recherchen sie
deln sich bevorzugt an den Bruchstellen einer kulturellen Ordnung der Straße an:
Nicht die alltägliche Funktionalität der Straße als Erschließungselement und Fort
bewegungsraum ist Thema, sondern ihre Fähigkeit, das Außeralltägliche hervorzu
bringen und ihm einen Raum zu bieten. Denn gerade die außer-ordentliche Nutzung
der Straße legt ihre gesellschaftlich herrschende und abgesicherte Ordnung offen.
Im amerikanischen Sprachgebrauch steht der Begriff des Street Life für eine An
eignung von Straßen, die ihrem kulturell gesetzten und in der gebauten Umwelt
der Straße eingeschriebenen Hauptzweck, Bewegungsströme von Automobilen
und Passanten zu organisieren, zuwiderläuft. Was Straßen in den Slums amerikani
scher Großstädte außeralltäglich macht, ist der Umstand, daß große Teile der Be
wohner ihren Alltag auf die Straße verlegt haben. Die Straße lebt, weil die Men
schen auf der Straße leben. Im folgenden wird zunächst das Street Life einer Straße
im New Yorker Stadtteil Bushwick deskriptiv eingeführt und im Sinne einer öko
logisch argumentierenden Kulturanthropologie als Umweltaneignungsstrategie
eingeordnet. Unter drei Aspekten — Raumkonkurrenz, Raumkompetenz und
Raumkontrolle — wird diese Beschreibung daraufhin konfrontiert mit Beobach
tungen und Erkenntnissen in der Alltagswelt des Slums, die die Stimmigkeit des
kulturökologischen Erklärungsmodells teilweise in Frage stellen und zu Modifizie
rungen aufrufen. Zuletzt wird die Gültigkeit kulturwissenschaftlicher Ordnungs
modelle insgesamt problematisiert und der Anspruch der Kulturwissenschaften
auf kompetente Darstellungen kultureller Wirklichkeit fragwürdig gemacht.
Street Life
Street Life ist eine im Sinne des Wortes alternative Nutzung der Straße, die deren
übliches Funktionieren behindert: Autokolonnen, Lastwagen, der städtische Bus
1 MCA Records, Inc. Universal City, Ca. 1979.