Buchbesprechungen
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Wirkungsgeschichtlich weist der Autor volkstumsideologische Konzepte in der Kultur
politik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe bis in die 1960er Jahre hinein nach; erst
seitdem ist sie zugunsten einer offenen, regionalen Kulturpolitik aufgegeben worden.
Die umfangreiche und kenntnisreiche Arbeit ist beispielhaft. Sie ist ein Stück Grundla
genforschung im Spannungsfeld zwischen Ideengeschichte, kultureller Praxis und politi
scher Machtpolitik am Beispiel des Provinzialverbandes Westfalen.
Minden Volker Rodekamp
WERNER Freitag, Spenge 1900-1950: Lebenswelten in einer ländlich-industriellen Dorf
gemeinschaft. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte, 1988. 496 S. m. zahlr. Abb.
Werner Freitags umfangreiche und leider mit wenig Sorgfalt korrigierte Veröffentlichung
stellt eine Aufarbeitung der Kultur-, Wirtschafts-, Sozial- und politischen Geschichte des
nördlich von Bielefeld gelegenen Amtes Spenge und seiner Gemeinden zwischen 1900 und
1950 dar. Als zentrale Quelle zieht Freitag 93 offene Interviews heran, die er durch Archiv
material und zahlreiche Fotografien ergänzt. 1
Freitag gliedert seine Darstellung in vier Abschnitte. Der erste behandelt die Werte, Bin
dungen und Normen, die im religiösen Glauben und im Zusammenleben in Familie und
Gemeinde vermittelt wurden. Bis auf wenige Ausnahmen waren die Spenger evangelisch
lutherisch; das private und öffentliche Verhalten wurde von ausgeprägten Kontrollmecha-
nismen beherrscht. Im zweiten Abschnitt werden die einzelnen sozialen Gruppen mit ihren
unterschiedlichen Erfahrungs- und Verhaltensmustern, sozialen Abgrenzungsmechanismen
besonders im Rahmen des Vereinslebens sowie ihren politischen Orientierungen sehr diffe
renziert vorgestellt. Der Darstellungszeitraum endet mit der Auflösung der Weimarer Repu
blik.
Im dritten Abschnitt untersucht Freitag die Einstellungen der Spenger zum Nationalso
zialismus. Als eine der Voraussetzungen für die Durchsetzung der NSDAP in Spenge macht
Freitag die Spaltung der Arbeiterschaft durch die Bedeutungszunahme der KPD aus. Als
Gründe für die Zustimmung der bürgerlichen und bäuerlichen Kreise zur NSDAP führt er
den Wunsch nach wirtschaftlicher Sicherheit und die Angst vor einer Radikalisierung der
Arbeiterschaft an. Im Amt und besonders in den ländlichen Gemeinden konnten die Natio
nalsozialisten höhere Wahlerfolge als im Reich erzielen (S. 366, 369, 373. Den Vergleich mit
dem Reich zieht Freitag selbst allerdings nicht). Widerstand - nach Freitags Definition
Flandlungen, „die vom Regime, von der Spenger NSDAP sowie von der Amtsverwaltung
als gefährlich für den Bestand des nationalsozialistischen Staates eingeschätzt wurden“ und
mit denen man sein Leben aufs Spiel setzte und Haftstrafen riskierte (S. 444) - leisteten drei
Pfarrer und die Kommunisten in Spenge. Freitag hebt die weitgehende Akzeptanz des natio
nalsozialistischen Staates durch die Spenger hervor und führt als Gründe dafür die Charak
termerkmale an, die er auf den vorausgegangenen Seiten geschildert hat: Autoritätsgläubig
1 Untersuchungen der Spenger Geschichte aufgrund archivalischer und statistischer Quellen lagen
bereits vor; vor allem der von Wolfgang Mager herausgegebene Band „Geschichte der Stadt Spen
ge“, Spenge 1984, ist in diesem Zusammenhang zu nennen.