Buchbesprechungen
164
W. Scherf auf die „Funktion und Bedeutung der Kindermärchen heute“ („Strukturanalyti
sche Betrachtungen zur mündlichen und domestizierten Überlieferung“) ein, indem er die
Kongruenz zwischen „textimmanente(r) Erzählstruktur“ und der „Konfliktgeschichte aus
tiefenpsychologischer Erfahrung“, wie sie sich in den Vorstellungen dieser Schule von der
menschlichen Entwicklung niederschlägt (S. 172), beleuchtete.
Die Vorträge sind durch ihren unterschiedlichen gedanklichen und methodischen Ur
sprung geprägt. Die Märchenforschung präsentiert sich damit in ihrer spannungsvollen
Vielschichtigkeit von literaturwissenschaftlicher, volkskundlicher und psychologischer Be
trachtungsweise, die den Vortragsband auch für Märchenliebhaber und -gestalter bedeutsam
werden läßt.
Brookline MA/USA Kathrin PöGE-Alder
The Telling of Stories. Approaches to a Traditional Craft. A Symposium, hrsg. v. Morten
Nejgaard, Johan de Mylius, l 0 rn Pie, Bengt Holbek. Odense: Odense University Press, 1990.
192 S. m. Abb.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes gingen aus dem 13. Symposium (21.—22. 11. 1988)
zum gleichen Thema an der Universität Odense hervor, das einerseits der 1000jährigen ur
kundlich belegten Geschichte und andererseits dem bekannten Sohn der Stadt, Hans Chri
stian Andersen, gewidmet war. Im Unterschied zu den oben besprochenen „Märchen in un
serer Zeit“ besteht er aus folkloristischen bzw. kulturgeschichtlichen Arbeiten zur Thema
tik „Volksmärchen“ (S. 9). Daher beschäftigte sich B. Holhek mit „Hans Christian
Andersen’s Use Of Folktales“ und verglich dabei die rekonstruierbare zeitgenössische däni
sche Erzählsituation sowie ihre Stoffe und die Gestaltungen des Dichters. So gelangte der
Kopenhagener in einen Übergangsbereich zwischen volkskundlicher und literaturwissen
schaftlicher Erzählforschung, den fortzusetzen er weiteren Studien überläßt (S. 177), die
aber gerade für das 19. Jahrhundert und die romantische Märchenbegeisterung wichtig wer
den dürften. Diesbezüglich läßt T. Brostrems Artikel „Hans Christian Andersen und die lite
rarische Märchentradition“ wegen seiner assoziativen Unkonkretheit viele Wünsche offen.
Hiervon setzt sich der Vortrag H.-J. Uthers über „Hans im Glück“ („KHM 83; Zur Ent
stehung, Verbreitung und bildlichen Darstellung eines populären Märchens“) wohltuend
ab. Er ging der Traditionsgeschichte des als „Antimärchen“ bezeichneten, „auf den Kopf ge
stellten Zaubermärchens“ (S. 157), nach: Die in der mündlichen Überlieferung belegten
Motive gestalteten die Grimms aus einem dichterischen Entwurf heraus zu dem berühmten
Buchmärchen. Als solches wirkt es wieder auf die mündliche Tradition zurück und wird
dort bis hin zu veränderten Inhalten umgeformt. In anschaulicher Weise schlug er für dieses
Beispiel die Brücke von der Herkunft eines Stoffes bis zu seinen Wandlungen durch verschie
dene schriftliche und mündliche Erzähler.
Vor dem Hintergrund des mitteleuropäischen Erzählens und der Grimmschen Märchen
steht auch L. Röhrichs wichtiger Beitrag „Tiererzählungen und ihr Menschenbild“. Geht es
hier scheinbar um allgemeingültige Aussagen, so wird doch die historische Einordnung der
Erzählungen, ihre Textgeschichte, der Standpunkt der Erzähler einbezogen und das mitge