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Full Text: Zeitschrift für Volkskunde, 88.1992

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Die imaginäre VergangenheitF e, 3 sfraß e 3 
Volkskultur und Nationalkultur in Ungarn 
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Von Peter Niedermüller, Pécs 
In diesem Aufsatz 1 versuche ich einen gesellschaftlichen, politischen und kultu 
rellen Prozeß darzustellen, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte, dessen 
Folgen aber bis heute sowohl im politischen als auch im gesellschaftlichen Leben 
spürbar sind. Es handelt sich um die Erschaffung und um die kontinuierliche Neu 
erschaffung der Nationalkultur, um die verschiedenen Arten der Nationbildung. 
In Ungarn und im östlichen Teil Mitteleuropas bildete die Volkskultur, d. h. die 
bäuerliche Kultur, das Fundament der Nationalkultur. Uber dieses Problem, über 
die Zusammenhänge zwischen Volkskultur und Nationalkultur, über den Begriff 
„Volkskultur“, über die verschiedenen Anwendungsweisen der Volkskultur usw. 
wurde in der volkskundlichen Literatur sehr viel und ziemlich oft geschrieben . 2 
Diese Forschungen der modernen europäischen Volkskunde will ich nicht referie 
ren, aber doch mit einigen Bemerkungen ergänzen. Die volkskundlichen Untersu 
chungen haben sich vor allem mit der Kategorie „Volkskultur“ und mit der Ver 
wendungsart der Volkskultur beschäftigt. Eine Richtung dieser Forschung führte 
zu einer scharfen und sehr angebrachten Kritik der traditionellen Volkskunde . 3 
Gleichzeitig scheint es mit aber nötig zu sein, eine andere Seite der Forschungen 
in den Vordergrund treten zu lassen. Ich denke an den sozialgeschichtlichen Flin- 
tergrund des Prozesses der Nationalbildung. Ich denke daran, daß die Identifizie 
rung der Volkskultur mit der Nationalkultur immer in einem bestimmten histori 
schen, sozialen Raum geschah, in einem Raum, der seine eigenen Merkmale, seine 
eigenen Besonderheiten hatte. Deswegen möchte ich zeigen, wie diese Identifizie 
rung in verschiedenen historischen Perioden in Ungarn geschah; ich möchte erklä 
ren, wie dieser Prozeß anfing; welche Voraussetzungen er hatte; welche Rolle die 
gesellschaftliche, wirtschaftliche Modernisierung spielte. Schließlich möchte ich 
1 Dieser Aufsatz wurde im Rahmen einer größeren Forschung geschrieben, die durch die Alexander 
von Humboldt-Stiftung unterstützt und finanziert wurde. Eine wenig veränderte Fassung dieses 
Textes habe ich als Vortrag im Gesprächskreis zur Neueren Geschichte an der Universität Tübin 
gen am 25. 6. 1991 vorgeführt. Für die kritischen Bemerkungen von Hermann Bausinger, Wolf 
gang Kaschuba, Konrad Köstlin und Dieter Langewiesche möchte ich danken. 
2 Nur einige Beispiele dazu: Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines fol 
genreichen Konzepts. Frankfurt am Main 1988; Richard Fox (Hrsg.): Nationalist Ideologies and 
the Production of National Cultures (= American Ethnological Monography Series, No. 2). Wash 
ington, D. C., 1990; Orvar Löfgren: The Nationalization of Culture. In: Ethnologia Europaea 
19/1989, S. 5—23; Eugen Weher: Peasants into Frenchmen. The Modernisation of Rural France, 
1870—1914. London 1979; Ernest Gellner: Nation and Nationalism. Ithaca-London 1983 
3 Zu einer neuen Etappe dieser Kritik vgl. Orvar Löfgren: The Danger of Knowing What You Are 
Looking For. On Routinizing Research. In: Ethnologia Scandinavica 20/1990, S. 3—15; Bo Lönn- 
qvist: Remembering and Forgetting. Recording for the Posterity. In: Ethnologia Scandinavica 
20/1990, S. 19-30.
	        
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