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Full Text: Zeitschrift für Volkskunde, 88.1992

Die Umbenennung der Vergangenheit 
Oder: Die Politik der symbolischen Architextur der 
Stadt Ost-Berlin 1990-1991* 
Von Maoz Azaryahu, Tel Aviv 
„Es gibt kein Andenken an die Früheren. 
Und auch an die Späteren, welche sein 
werden, wird es kein Andenken geben bei 
denen, die noch später werden 
(Altes Testament, Der Prediger 1, 11) 
In der Stadtlandschaft tragen Straßennamen zusammen mit Denkmälern und 
Gedenktafeln zu einer semiotischen Präsenz der herrschenden Ideologie bei, in 
dem sie der städtischen Architextur einen besonderen Symbolgehalt verleihen. 
Straßennamen können als Geschichtstexte einer Nation gelesen werden und bilden 
deshalb einen Text des National-Narrativs. Die Benennung und Umbenennung 
von Straßen ist ein Beispiel dafür, wie politische Prozesse auf semiotische Prozedu 
ren einwirken. Im folgenden werden verschiedene symbolanalytische Aspekte der 
Umbenennung der DDR-Vergangenheit in Ost-Berlin nach der ,Wende‘ in ihrem 
historischen Kontext dargelegt und gedeutet. 
Theoretische Einführung 
Straßenschilder, die der Verehrung und Verewigung von herausragenden Persön 
lichkeiten dienen, haben seit dem Zeitalter des Nationalismus an Bedeutung zuge 
nommen. Straßennamen sind offizielle Ubermittler ideologischer Inhalte von na 
tionaler Bedeutung — neben lokalen Beiträgen und Sonderheiten, die sich aus der 
Geschichte und der Geographie eines Ortes ableiten. Straßennamen gehören dem 
dezidierten Bereich semiotischer Strukturen der Ideologie an. Sie sind eine wörtli 
che Manifestation des National-Narrativs, das sich auf den offiziellen Bereich der 
Semiosphäre auswirkt. 
Die Vergangenheit ist ein kulturelles Produkt, das dazu dient, die herrschende 
sozio-politische Regierungsform zu legitimieren. * 1 Die Vergangenheit — stets eine 
* Der folgende Beitrag entstand im Rahmen des von der Deutsch-Israelischen Stiftung für Wissen 
schaftliche Forschung und Entwicklung geförderten Projekts der Universität Tel Aviv „Nationa 
lism and Sacred Space and Time“. 
1 Zur Legitimierung der etablierten Herrschaftsform, ohne in besonderem auf die Rolle der Vergan 
genheit einzugehen, siehe: Pierre Bourdieu: Outline of a Theory of Praxis, Cambridge 1977,
	        
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