Von den Einwohnern
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brauchsmedien gehört. 8 Ich knüpfe an Ueli Gyrs Statement an: „Was Reiseführer
aus der kulturellen Wirklichkeit ausschneiden, reduzieren oder ausklammern, ist
äußerst aufschlußreich“ 9 — und führe vor, wie unterschiedliche Reiseführer im
Laufe der Zeit, nämlich zwischen 1833 und 1989, mit einem bestimmten Zielge
biet, nämlich Berlin, umgehen, stets unter der Fragestellung, welche Aussagen zum
Thema „Alltagsdarstellungen im Spiegel des Reiseführers“ sich wann und warum
ausmachen lassen. Mein Sample nehme ich bewußt, der leichteren Überprüfbar
keit und Zugänglichkeit des Materials wegen, aus dem Nahbereich, konfrontiere es
darüber hinaus gelegentlich mit Aussagen, die sich in Oberbayern-Reiseführern
aus demselben Zeitraum nachlesen lassen. Letzteres geschieht nicht zu dem Zweck,
bunte Binnenexotik oder plakative Ressentiments zu reproduzieren, sondern fin
det seine konkrete Begründung darin, daß am 15. Juli 1851 die Eisenbahn
verbindung zwischen Berlin und München in Betrieb genommen wurde 10 und
Sl ch (nicht nur, aber auch) den Bewohnern der preußischen Hauptstadt, der späte
ren Reichshauptstadt, eine gigantische Sommerfrischen-Region anzubieten be
gann — was für spezifische Darstellungsmuster im Reiseführer durchaus Folgen ge
habt haben könnte.
Dieter Kramers Rezension zweier Baedeker-Reprints aus der Frühzeit des Verla
ges kam 1982 in der „Zeitschrift für Volkskunde“ zum Abdruck, einer Zeitschrift,
die ja bekanntlich in ihrem Rezensionsteil Auseinandersetzungen mit wissen
schaftlicher Literatur und der darin zum Ausdruck kommenden Gedankenwelt
v ersammelt. Kramer und die Zeitschrift-Redakteure messen damit dem Reisefüh-
re r Bedeutung als Gegenstand für wissenschaftliches Arbeiten bei, was Kramer in
der Rezension auch explizit ausführt: „Die ,Baedeker 4 sind in mehrfacher Hinsicht
Quellen für die Kulturgeschichte des Reisens (...): Preisangaben ermöglichen die
v erschiedensten quantifizierenden (und vergleichenden) Überlegungen (Wer z. B.
konnte sich das Reisen erlauben? Was brachte es den Dienstleistenden ein? Welche
Unterschiede gab es?). Wir erfahren ferner etwas über Erkenntnisziele und Wer
tungen des Reisens“. 11 Man mag sich wundern, daß ein Volkskundler und Europäi
scher Ethnologe hier auf potentielle alltagsbezogene Aspekte, also auf die Darstel
lung der Bewohner der entsprechenden touristischen Zielregionen, nicht eingeht,
Vgl. Albrecht Steinecke (wie Anm. 2), S. 5—7; Robert Datzer: Informationsverhalten von Urlaubs
reisenden. Ein Ansatz des verhaltenswissenschaftlichen Marketing. Starnberg 1983.
Ueli Gyr: Touristenkultur und Reisealltag. Volkskundlicher Nachholbedarf in der Tourismusfor
schung, in: Zeitschrift für Volkskunde 84. 1988, S. 224—239, hier S. 233.
Daten und Bilder zum Reisen nach Berlin. Hrsg. v. Hans D. Reichardt. Berlin 1987, S. 33.
Rezension von Dieter Kramer, in: Zeitschrift für Volkskunde 78. 1982, S. 285/286; bei den rezen
sierten Bänden handelt es sich um (Karl Baedeker): Handbuch für Reisende in Deutschland und
dem Oesterreichischen Kaiserstaate. Dritte umgearbeitete Auflage. Coblenz 1846. Nachdruck
Freiburg o.J. (1977). Und: K(arl) Bädeker: Rheinreise von Basel bis Düsseldorf. Sechste verbesserte
und vermehrte Auflage der Klein’schen Rheinreise. Koblenz 1849. Nachdruck Dortmund 1978.