BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
Herausgegeben im Aufträge des
Museums für Völkerkunde Berlin
von
H. D. DISSELHOFF UND K. KRIEGER
NEUE FOLGE BAND III
(XXVIII. BAND)
BERLIN 1955
VERLAG VON DIETRICH REIMER
Das Baessler-Archiv erscheint in unregelmäßiger Folge. Der Preis dieses Heftes beträgt
DM 22.—. Bestellungen sind zu richten an: Verlag Dietrich Reimer, Berlin-Lichterfelde,
Marienplatz 8 oder an jede Buchhandlung.
Manuskripte und Besprechungsexemplare werden an folgende Adresse erbeten:
Redaktion des Baessler Archiv, Museum für Völkerkunde, Berlin-Dahlem, Arnim-Allee 23.
Für unverlangt eingehende Beiträge kann keine Haftung übernommen werden.
Die Mitarbeiter erhalten unberechnet 20 Sonderdrucke.
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antwortlich.
Neue Folge Band I: 119 Seiten mit 109 Abbildungen und 2 Karten DM 12.—
Band II: Enthält: Ältere Ethnographica aus Nordamerika im Berliner
Museum für Völkerkunde von Walter Krickeberg, 285 Seiten
mit 63 Textabbildungen und 50 Tafeln DM 22.—
BAESSLER-ARCHIV
Von den früheren Bänden sind noch geringe Vorräte, die zu den angegebenen
Preisen freibleibend angeboren werden.
DM
Band I-VI, je Bd. 6 Hefte Band VII 1918-1922 je Bd.
Band VIII - XII vergriffen Band XIII-XXIV, je Bd. 4 Hefte je Bd.
(Von Bd. XVII ist Heft 4 vergriffen.)
Band XXV 2 Hefte
BEIHEFTE
1 Sprichwörter und Lieder aus der Gegend von Turf an v. Alb. v. Le Coq
mit einer Tafel, 100 S., 1911
2 D'e Wagogo von Heinrich Claus mit 103 Abb , 72 S., 1911
3 Die Goldgewichte von Asante v. Rudolf Zeller, mit 21 Taf., 77 S., 1912
4 Mitteilungen über die Besiedlung des Kilimandscharo durch die Dschagga
und deren Geschichte v. Joh. Schanz, 56 S., 1912
5 Original Odzibwe-Texts v. J. P. B. Josselin de Jong, 54 S., 1912
6 Ein Beitrag zur Ethnologie von Bougainville und Buka, v. Ernst Frizzi,
56 S., 1912
7 Ein Beitrag zur Kenntnis der Trutzwaffen der Indonesier, Südseevölker und
Indianer v. G. Friedcrici, 78 S., 1915
8 Die Banjangi v. F. Staschewski, 66 S., 1917
9 Die mexikanische Bilderhandschrift Historia Tolteca Chichimeca v. Preuss
und Mengin, mit 148 Abb. u. 25 Taf., 104 S., 1937
10 Musikinstrumente der Indianer des Guaporegebietes, v. Heinrich Snetlage,
mit 103 Abb., 38 S., 1939
30,—
7.50
30,—
15.—
7.50
7.50
10.—
7.50
7.50
7.50
7.50
7.50
10,—
5,-
VERLAG VON DIETRICH REIMER IN BERLIN-LICHTERFELDE
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BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
Herausgegeben im Aufträge des
Museums für Völkerkunde Berlin
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H. D. DISSELHOFF UND K. KRIEGER
NEUE FOLGE BAND III
(XXVIII. BAND)
BERLIN 1955
VERLAG VON DIETRICH REIMER
Druckfehlerberichtigungen
r
S. 4, Zeile 4, lies: The Conception.
S. 4, Zeile 11: lies: Hissink.
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S. 35: Zeile 31, lies: „Tonacatecuhtli“. a g
S. 80, Kopfleiste, lies: Hissink.
Beitrag Krieger, Tafel 1, Kopfleiste lies: Krieger.
S. 264, letzte Zeile, lies: stellt.
S. 269, Zeile 17, lies: Schwierigkeiten.
Alle Rechte Vorbehalten
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinscha,
I N H ALT
Seite
Thomas S. Barthel, Hamburg:
Versuch über die Inschriften von Chich’en Itza Viejo...... 5
C. A. Burland, New Barnet:
Te Conception of the Supreme Deity expressed in Pre-Columbian
Mexican Picture Writings. Mit 11 Textbildern.............. 35
Alfonso Caso, Mexico:
Der Jahresanfang bei den Mixteken......................... 47
H. D. Disselhoff, Berlin:
Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder. Mit 36 Textbildern
und 3 Tafeln ............................................. 55
Karin Hissing, Frankfut a. M.:
Leben und Empörung der Geräte............................. 75
Sigwald Linné, Stockholm:
Drei alte Waffen aus Nordamerika im Staatlichen Ethnographischen
Museum in Stockholm. Mit 2 Tafeln......................... 85
Jorge S. Muelle, Lima:
Del Estilo Chavin. Mit 1 Textbild und 1 Tafel..........
89
Horst Nachtigall, Mainz:
Tumaco. Ein Fundort der Esmeraldas-Kultur in Kolumbien.
Mit 4 Tafeln.............................................. 97
Julio Espe jo Nünez, Lima:
Gotush. Nuevos descubrimientos en Chavin. Mit 6 Textbildern 123
Stig Ryden, Göteborg:
An Argentine-Egyptian Archaeological Parallel. Mit3 Textbildern 137
Fiermann Trimborn, Bonn:
Gaspar de Espinosas Beitrag zur Kenntnis des alten Panama... 143
Günter Zimmermann, Hamburg:
Über einige stereotype Wendungen und Metaphern im Redestil
des Aztekischen ........................................ 149
Herbert Härtel, Berlin:
Zwei unveröffentlichte Bruchstücke aus Turfan-Fresken. Mit
5 Textbildern und 2 Tafeln ............................... 169
Brunhild Körner, Berlin:
Der Ahnenkult der Mandschu in Peking. Mit 13 Textbildern
und 2 Tafeln.............................................. 175
Kurt Reinhard, Berlin:
Die Musik der Lolo. Mit 13 Notenbeispielen und 1 Tabelle... 195
Hans Nevermann, Berlin:
Pyramiden in Polynesien.................................. 217
Kurt Krieger, Berlin:
Knabenspiele der Hausa, Mit 2 Tafeln......................225
Werner Stief, Berlin:
Ein figürlicher Bienenstock? Mit 2 Tafeln ............... 233
Horst Hartmann, Celle:
Über die Inventarisierung und Konservierung der nach Schloß Celle
verlagerten Sammlungen des Berliner Museums für Völkerkunde 239
W. Krickeberg, Berlin:
Nachtrag zu „Ältere Ethnographica aus Nordamerika“........247
G. Kutscher, Berlin:
Leonhard Schultze Jena f................................. 249
Bücherbesprechungen ........................................... 253
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
5
VERSUCH ÜBER DIE INSCHRIFTEN VON CHICH’EN ITZÄ VIEJO
THOMAS S. BARTHEL, Hamburg
1. Einleitung
Die „Hamburger Schule“ hat während der letzten Jahre eine Reihe aktueller
Probleme innerhalb der Erforschung der Mayaschrift in Angriff genommen. Da-
bei wurde das Untersuchungsfeld zunächst bewußt beschränkt auf den Bereich
der Maya-Paläographik. Dieses Sondergebiet umfaßt die formale und thema-
tische Analyse gemalter Schriftzeichen, wie solche in erster Linie in den uns
erhaltenen Codices vorliegen. Die Resultate der umfangreichen Bemühungen
sind größtenteils noch unveröffentlicht1. So läßt es sich mitunter nicht umgehen,
aus Manuskriptmaterial zu zitieren. In derartigen Fällen werden die detaillier-
ten Beweise für bestimmte Deutungen später erbracht.
Die Maya-Handschriften stellen die logische Ausgangsposition dar für Vor-
stöße in eine größere historische Tiefe. Durch verbesserte Kenntnisse über den
Inhalt der Codices wurde eine Basis gewonnen, die zeitlich vor der Conquista
liegt, und von der aus die weitläufigen Inschriften der klassischen Periode
schärfer ins Auge gefaßt werden konnten.
Zunächst lag es nahe, innerhalb des gleichen Formenschatzes zu operieren.
„Palaeographische“, also gemalte Schriftzeichen, gibt es bereits auf frühen
Fresken und recht häufig auf polychromer Keramik. Da aber die Bemühungen
in dieser Richtung keinen nennenswerten Erfolg brachten, wurde die Suche nach
rein formalen Gesichtspunkten aufgegeben. Als Ziel ergab sich jetzt, die Zeichen-
folgen der klassischen Denkmäler auf thematische Parallelen hin zu prüfen.
Texte mit Sachverhalten, die von den Handschriften her umreißbar waren, er-
möglichten es, unmittelbarer auch in den „epigraphischen“ Formenbereich ein-
zudringen2.
Einen Idealfall für den Angriff auf epigraphisches Material stellen die In-
schriften von Gebäuden aus Chich’en Itzä Viejo dar, deren Bearbeitung durch
mehrere Umstände erleichtert wird:
a) Die Inschriften stammen ungefähr aus der gleichen Zeit — bei Umrech-
nung mit der Goodman-Martinez-Thompson Korrelation aus der zweiten
Hälfte des 9. nachchristlichen Jahrhunderts. Die untersuchten Texte fallen zu-
sammen mit dem Ausklingen der klassischen Periode und stehen damit alters-
mäßig gewissen handschriftlichen Traditionen des Codex Dresdensis am
nächsten.
b) Die Inschriften gehören einem Kulturzentrum an, das mitten im Sprach-
gebiet des yukatekisdien Maya liegt. Die linguistischen Schwierigkeiten für die
6
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
Hieroglyphendeutung erscheinen hier weniger komplex als in anderen klassi-
schen Ruinenstädten, bei denen nicht nur der innere Sprachwandel bis zur
Fixierung in den frühen Grammatiken und Wörterbüchern, sondern vor allem
beträchtliche Abweichungen in weniger bekannten Dialekten zu berücksichtigen
wären.
c) Im Gegensatz zu hieroglyphischen Texten aus den Südgebieten weisen
diese Inschriften nur eine geringe Zahl von „Kopfvarianten" auf. Gerade
solche Zeichen setzen sonst der Entzifferung den hartnäckigsten Widerstand ent-
gegen, weil ihre verwirrende Typologie die Sachverhalte gleichsam verschleiert.
Der Prozentsatz von Formen, die bereits im palaeographischen Fundus ent-
halten sind, ist in Chich’en Itzä höher als anderswo.
d) Über das nördliche Yucatan stehen uns mehr detaillierte Berichte aus der
Kolonialzeit zur Verfügung als über andere Provinzen der alten Mayakultur,
so daß die frühen Quellen hinsichtlich möglicher Inschriftenthemen erfolgver-
sprechender ausgewertet werden können.
e) Hermann Beyer hat die zu untersuchenden Texte bereits sorgsam formen-
kundlich aufgearbeitet und dabei eine Untergliederung in zusammengehörige
Hieroglyphenfolgen durchgeführt. Seine Zeichnungen bilden eine durchaus zu-
verlässige Grundlage2 3.
Für die differenzierten Methoden der neueren Entzifferung kann Chich’en
Itzä geradezu als ein Testfall angesprochen werden. Die Untersuchung begann
mit der Identifizierung epigraphischer Haupt- und Kleinzeichen an Hand des
palaeographischen Bestandes. Anschließend wurden für solche Hieroglyphen die
entsprechenden „allgemeinen Kategorien (nach Name, Qualität, Handlung
usw.) bestimmt und die Einzelformen in den jeweiligen Textzusammenhang ein-
geordnet. Schließlich konnten echte Parallelstellen in den Codices und eine Be-
vorzugung bestimmter handschriftlicher Kapitel aufgedeckt werden.
Die Suche nach der Thematik aber war das wichtigste Ziel. Es galt, Ein-
bruchsmöglichkeiten für die Inschriften zu gewinnen, von denen aus sich Nach-
barzeichen mit größerer Präzision deuten ließen.
Der hier vorgelegte Brückenschlag von der Palaeographik zur Epigraphik
bleibt ein Fragment, bis uns das zukünftige große „Corpus Inscriptionum
Mayarum“ umfassendere Vergleiche ermöglichen hilft4.
2. Technische Diskussion
Wenden wir uns zunächst den Namenshieroglyphen günstiger Gottheiten
zu: In den Texten tritt von den bekannten nominalen Hieroglyphen das
Zeichen für den Gott „C“ am häufigsten auf, vornehmlich im Tempel der
4 Eintel, aber auch in Yula und in der Casa de las Monjas (Fig. 95—96,
200—202, 396—409). In der Regel wird, wie in den Handschriften, das Klein"
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
7
Zeichen 12 präfigiert5. Einzelne Formen mit Affix 30 erinnern an gelegentliche
Schreibweisen in klassischen Inschriften der Südgebiete. Charakteristisch ist die
relative Eigenständigkeit des Namens gegenüber benachbarten Zeichenfolgen,
eine Situation, die etwa den besonderen Verhältnissen der Madrider Hand-
schrift entspricht, wo das Zeichen häufig auf verbale Ausdrücke folgt und einen
allgemeinen Begriff für „Gottheit“ oder „Idol“ vertritt6. Es läßt sich nicht mit
Sicherheit entscheiden, ob in den Chich’en Itzä-Texten unmittelbar der Him-
melsgott „C“ oder eine „Gottheit“ schlechthin gemeint wird.
An zweiter Stelle unter den Namenshieroglyphen folgt das Zeichen für den
Gott „K“. Die Identifizierung der inschriftlichen Form stützt sich, abgesehen
von dem allgemeinen Umriß des Hauptzeichens, auf das so typische „Fackel-
emblem“ (eine Sonderform von Affix 38). Die übrigen Merkmale sind zwar
palaeographisdh nicht bekannt, lassen sich jedoch sinnvoll von klassischen For-
men ableiten. Zum Verständnis der akzessorischen Details eignet sich ferner
vorzüglich der bekannte doppelköpfige Drache aus der Dresdener Handschrift,
in dessen linker Hälfte wir die Erscheinungsform einer uralten Wassergottheit
der Maya zu erkennen glauben. Die spätere Gestalt des Gottes „K“ in den
Codices ist demgegenüber bloß ein schwaches Echo. Der linke Kopf des ti-
wähnten Ungeheuers auf Dr. 4 b bezeichnet die wasserreiche Region des Westens
und birgt in seinem Rachen (wie in einer Höhle) Gott „D“, den Schöpfer des
Lebens, alten Zauberpriester und Herrn des nächtlichen Sternhimmels. Hier
dürfte auch die Wurzel zu suchen sein für die mannigfaltigen Vorstellungen,
die sich in Altmexico an die Westrichtung knüpften.
Die nominale Hieroglyphe des Regengottes „Chac“ läßt sich auffälliger-
weise nur an einer einzigen Stelle mit Sicherheit nachweisen (Fig. 249). Mög-
licherweise handelt es sich bei der folgenden HG auf der Vorderseite des Lintel 3
in der Casa de las Monjas um einen besonderen Beinamen von Gott „B“
(Fig. 476).
Auf dem rechten Lintel über dem Osteingang des Anbaues zur Casa de las
Monjas erscheint der Name des schwarzen Gottes „L“ (Fig. 375). Die näheren
Verhältnisse des Begleittextes, die zur Stützung dieser Bestimmung beitragen,
sollen im astronomischen Teil diskutiert werden.
Spärlich vertreten sind nominale Hieroglyphen mit negativem Charakter:
In der Inschrift der Casa Colorada taucht zweimal ein Kopf mit senkrechter
Streifenbemalung im Gesicht auf, die für den mexikanischen Gott Xipe bzw.
dessen Gegenstück bei den Maya (Gott „Q“) so charakteristisch ist (Fig. 376 bis
377). Die Texte bei dieser Opfergottheit beziehen sich auf später zu besprechen-
den Kult.
Eine weitere ungünstige Gottheit, gekennzeichnet durch ein als Stirnschmuck
infigiertes Dunkelheitssymbol, erscheint mit vier Belegen (Fig. 502—505). Die
8
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
handschriftliche Entsprechung gehört zu einer Gruppe von Unterweits- und
Todesgestalten und läßt sich außerdem als Richtungsgottheit im Venuskalender
(Dr. 47 für die Region des Abendsternes) sinngemäß mit dem negativen
Chicchangott vergleichen. Ob der Todesgott „A“ selbst, etwa durch Fig. 437
bis 438, vertreten ist, muß offen bleiben. Auf dem gemalten Deckstein der Grab-
kammer (Plate 13 a) steht zwischen der aus Regenalmanachen bekannten Leit-
hieroglyphe und dem Datum 6 Kan 9 Haab das Hauptzeichen 1347 mit nume-
rischem Praefix „Zehn“ sowie unbestimmtem Suffix. „Lahun Chan“, in derrt
Thompson die ursprüngliche Mayagottheit für den Planeten Venus sieht, wird
bekanntlich Dr. 47 als schießender Morgensterngott dargestellt7.
Betrachtet man die Gesamtheit der identifizierbaren Götternamen, so fällt
auf das Vorherrschen der beiden mit Himmel und Wasser verbundenen Ge-
stalten „C“ und „K“ und das fast völlige Fehlen von „B“. Dieses Bild paßt zu
der Vermutung, daß der Gott Chac erst relativ spät einen wichtigen Platz im
Mayapantheon einnahm, der vielleicht aus einer bloßen Einschmelzung fremder
Vorstellungen resultierte. Besonders auffällig erscheint mir ferner der Umstand,
daß in den Texten keine Gottheiten mit Altersmerkmalen vertreten sind. Weder
der Priestergott „D“ noch der Sonnengott „G“ erscheinen, geschweige denn die
als „Großvater“ zu bewertende Erdgottheit „N“. Die bösen Personifikationen
nehmen nur einen verhältnismäßig geringen Raum ein.
Darüber hinaus begegnen uns einige bereits palaeographisch bekannte Vögel.
Der Quetzal wird, anscheinend in Zusammenhang mit dem Mais-Motiv, in
naturalistischer (Fig. 435) und phonetischer Schreibung (Fig. 604—605) ausge-
drückt. Auch der Name des Geiers wird sowohl bildlich (Fig. 148—149,
433—434) wie lautmäßig (Fig. 606) dargestellt. Sein Vorkommen ist beschränkt
auf den „Temple of the Hieroglyphic Jambs“. Schließlich ist noch die Muan-
Eule (Fig. 426—432) anzuführen, deren enge Beziehung zum dunklen und
wolkenschweren Regenhimmel bei den Fragmenten a, b, c vom Caracol-Obser-
vatorium besonders deutlich wird.
Die in den Texten von Chich’en Itzá Viejo vorkommenden nominalen Hiero-
glyphen sind mit den Formen, die handschriftliche Entsprechungen haben, noch
keineswegs ausgeschöpft. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den „Gott
mit der Tiermaske“ (Fig. 117—118, 372—374), von dem so ausführlich auf der
Unterseite des „Lintel of the Initial Series“ die Rede ist, und auf den kleinen
„Vogelkopf im Tier(?)rachen“ (Fig. 200—202), 420—425).
Eine besonders interessante Gruppe schließlich bilden Zeichen, die Namen
von Katunregenten entsprechen dürften: Auf der Vorderseite des „Lintel of the
Initial Series“ sowie auf Lintel 1 im Tempel der vier Lintel und Lintel 1 aus
Yula tritt eine Hieroglyphe auf, die sich aufbaut aus dem Praefix „Neun“,
Kleinzeichen 72 und Hauptzeichen 1321 (Fig. 47—49). Als Lesung bietet sich
Baeßler-Arcbiv, Neue Folge, Band III
9
ein Ausdruck „bolon ti ..an. Eigennamen, in denen der numerische Koeffi-
zient ein qualifizierender Bestandteil ist, sind in postcolumbisthen Quellen reich-
haltig belegt. Eine gewisse Parallele zu der Zeichenkonstruktion findet sich in
der Dresdener Handschrift 33 a und 35 a, wo ebenfalls „Neun“ mit Haupt-
zeichen 1321 vergesellschaftet wird, während Affix 71 das „ti“-Element vertritt
und es sich um einen Namen „bolon yol ha“ zu handeln scheint8.
Das in den Belegstellen folgende Zeichen „ben-ich ahau“ bezeichnet den
Aspekt oder Regenten des betreffenden Katun. Tatsächlich handelt es sich bei
allen drei Denkmälern um das gleiche Katunende „1 Ahau“, welches Thompson
mit überzeugenden Gründen auf 10.3.0.0.0 bezieht.
Auf dem erwähnten Türbalken im Tempel der 4 Eintel (Fig. 134) folgt
außerdem als weitere Bezeichnung für den Katunregenten eine zusammen-
gesetzte Hieroglyphe mit Hauptzeichen 706, Affixen 74 und 24 sowie einem
verknoteten Symbol. Der Name, dessen Beginn sich als „ah yax .. .“ lesen läßt,
kommt in den Texten mehrfach vor (Fig. 131—136)°.
In der Casa de las Monjas wird verschiedentlich vor „ben-ich ahau“ die
Hieroglyphe 1339.74:62 gesetzt (Fig. 39—42). Ich nehme hier eine Lesart
„haab-ah“ an und verweise auf den Ausdruck „habah caan“ im Motul (= mirar
al cielo). Übersetzt man diese Stellen mit „zum Gesicht (= Regenten) des
Katun aufblicken“, so stößt man auf Vorstellungen über eine astronomische
Natur der Katungottheiten, für die sich auch sonst wiederholt Anhaltspunkte
finden lassen10.
Die Erwähnung von Katunregenten läßt nun vermuten, daß noch weitere
Aussagen über die Aspekte und Geschicke der zwanzigjährigen Kalender-
abschnitte gemacht werden. Damit steht die Untersuchung vor der schwierigen
Frage, wieweit in den Inschriften attributive Hieroglyphen verkommen. Für
den Bereich der Mayapalaeographik haben wir zwar deutende und systemati-
sierende Studien von Thompson und Zimmermann, doch ist eine Übertragung
auf das epigraphische Feld nur in Einzelfällen möglich. Außerdem sind Katun-
prophezeiungen wesentlich variabler als die mehr oder minder schematisch
qualifizierenden Angaben zu handschriftlichen Ritualkalendern und schließen
eine größere Motivzahl ein.
Anhaltspunkte für die Bestimmung inschriftlicher attributiver Hieroglyphen
liefern gewisse Begleitzeichen zum „ben-ich ahau“:
In einigen Texten treten in entsprechender Position die Bautypen 33.1324:63
und 1321:82 auf (Fig. 78—81). Der Aussagewert dieses Komplexes läßt sich
abgrenzen mit Hilfe einer Parallele in der Madrider Handschrift. Dort wird
im Abschnitt für die Zeremonien zum Jahreswechsel im Bild M. 37 b ein mit
Mais gefülltes Gefäß gezeigt, das an der rechten Seite von der Pranke eines
Jaguars, an der linken durch die Schneide eines Steinbeiles berührt wird. Diese
10
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
eigenartige Abbildung dürfte inhaltlich eine Entsprechung zu den Schriftformen
in Chich’en Itza darstellen. Der fragliche Abschnitt der Madrider Handschrift
bezieht sich auf die „Ix“-Jahre, über die wir von Landa wissen, daß sie als
ungünstig galten, weil man in ihnen Mißernte, Hungersnot und Krieg er-
wartete11. Die Vergesellschaftung von „Steinbeil“, „Maisfülle“ und „Jaguar-
pranke“ muß demzufolge einen negativen Begriff enthalten. Anscheinend han-
delt es sich um eine Aufzählung von ungünstigen Einflüssen auf die Erntevor-
räte: Das Steinbeil (bat) kann entweder als Kampfsymbol (vgl. bateel = pelear
o guerrearse) oder als Rebus für den Hagel (bat = granizo) interpretiert wer-
den; die Pranke eines Raubtieres tritt als Affix 5 in negativen attributiven
Hieroglyphen auf. Ich neige dazu, dem Gesamtbild einen Inhalt „Kampf um
die Nahrung“ zuzuschreiben, da eine solche Deutung gut zu den Prophezeiungen
für die „Ix“-Jahre passen würde.
Die Chich’en Itzä-Texte ersetzen das mit Mais gefüllte Gefäß durch 1324:63
(„viel Mais“). Praefix 33 entspricht dem Steinbeil, während die innere Be-
ziehung zwischen 1321:82 und der Jaguarpranke zunächst nicht zu erkennen
ist. Nun hat Thompson bei der ausführlichen Diskussion der Imlx-Hieroglyphe
gezeigt, daß dieses Symbol der Fülle und des Wassers formal von einer See-
rose (water-lily) abzuleiten ist12. Wählt man entsprechend — als eine der mög-
lichen Lesarten von Hauptzeichen 1321 — den Ausdruck „nab“ für die See-
rose13, so ergibt sich gemeinsam mit dem Lautwert von Affix 82 (te) als neuer
Begriff „nabte“14. „Speer“ bzw. „Lanze“ muß symbolisch der „Jaguarpranke“
verwandt sein; beide sind Waffen und damit als Sinnbilder des Kampfes auf-
zufassen. Mit Steinbeil und Lanze wurde um den Besitz der Maisvorräte ge-
stritten — so liegt die Vermutung nahe, daß aus Nahrungsmangel entbrennen-
der Krieg das Geschick des Katun „1 Ahau“ beherrscht.
Eine Textstelle des 4. Lintel im „Tempel der vier Lintel“ erweist sich als
fruchtbar für die weitere Untersuchung; Fig. 82 zeigt bildhaft durch einen um-
gestürzten Behälter den Vorgang des „Ausschüttens“ an. Davor erscheint eine
Variante der Hieroglyphe „glänzendes Steinmesser“ (Fig. 174 c). Der Ausdruck
„Glänzendes-Steinmesser-Ausschütten“ wird verständlich, wenn man den im
Tempel der vier Lintel (Pl. 7 a) und in Yula (Pl. 11a) dargestellten mytho-
logischen Vogel näher betrachtet. Er trägt statt Federn auf seiner mit dem
Sonnensymbol geschmückten Schwinge Steinmesser, die Beyer sehr einleuchtend
als „Lichtstrahlen“ auffaßt15. Mit dem Ausschütten glänzender Steinmesser
dürften folglich die sengenden Strahlen gemeint sein, welche die unbarmherzige
tropische Sonne auf die Erde schleudert. In der Dresdener Handschrift läßt sich
an zwei Stellen eine negative Bewertung der Hieroglyphe 49:31 nachweisen:
Dr. 23 b tritt das glänzende Steinmesser als eine Gabe bei der feindlichen
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
11
Chicchangottheit auf, Dr. 58 erscheint es bei den ungünstigen Aussagen über
die Planeten Mars und Saturn.
Das glänzende Steinmesser als Symbol der Hitze wird recht häufig in
unseren Texten verwendet (Fig. 171—178). Fast durchweg ist es als Katun-
aspekt aufzufassen, und in allen Fällen bezieht es sich auf Denkmäler mit
gleicher Zeitstellung. Für Katun „1 Ahau“ hatten sich bereits oben negative
Anzeichen anführen lassen. Die ständige Wiederholung der Messerglanz-Hiero-
glyphe ermöglicht nun das kausale Verständnis jener ungünstigen Aussagen:
Die brennende Hitze der Sonne führte natürlich zu Dürre und Mißernte und
mußte alle daraus resultierenden sozialen Wirren und Übelstände zur Folge
haben.
Unter den negativen attributiven Hieroglyphen der Handschriften nimmt
die Verbindung 43:731 einen interessanten Platz ein. Sinnträger ist darin das
Superfix, das aus einem Fledermauskopf, einem Totenauge und Kleinzeichen 81
besteht. Zimmermann hat bereits früher mit Recht den Kontrast zu einer
positiven attributiven Hieroglyphe hervorgehoben, die zwar das gleiche Haupt-
zeichen benutzt, dafür aber das Superfix durch Kleinzeichen 42 („ben-ich“)
ersetzt. Diese Form kommt bereits in den klassischen Inschriften vor, während
in Chich’en Itzä das Hauptzeichen 731 bzw. 731 a überhaupt ganz fehlt. Als
allgemeine Bedeutung für sie kann „Nahrung“ angenommen werden16. Für ihr
Gegenstück, die negative attributive Hieroglyphe, bietet sich als konträrer Be-
griff etwa „Hunger“ an, der in den uns interessierenden Texten durch
Fig. 150—162 zum Ausdruck kommen dürfte. Dabei wird der Fledermauskopf
mit Hauptzeichen 1354 (Beyer’s „gouged eye“) kombiniert, das seinerseits nichts
anderes enthält als die ungünstigen Symbole Totenauge und Kleinzeichen 81,
die bereits vom palaeographischen Affix 43 her bekannt sind. Die syntaktischen
Affixe 1 (u) und 79 (al) ergänzen die eigentlichen Sinnträger und verknüpfen
den Begriff mit der folgenden Form 147:61.
Der Lautwert des Mondzeichens läßt sich nach dessen chronologischer Ver-
wendung für „Zwanzig“ als „kal“ bestimmen17. Von hier aus ergeben sich
Möglichkeiten der Rebus-Schreibung, auf die bereits Cyrus Thomas für die
Madrider Handschrift 96 c aufmerksam gemacht hat, wo es sich, nach den
Begleitbildern zu urteilen, um ein „Verschlossensein“ handeln muß. In welchem
Sinne man in den Chich’en Itzä-Texten die Wurzel „kal“ zu lesen hat, kann
wohl jeweils nur aus dem Zusammenhang entschieden werden. Die hiero-
glyphische Formel 1.722-1354:79 147:61 tritt ausnahmslos nach Kalenderdaten
oder nach anderen spezifischen Zeitangaben auf und leitet Passagen ein, die
sich auf später zu erörternde Kulthandlungen beziehen. Die Hintergründigkeit
des Gedankens „Verschlossensein“ wird deutlich, wenn man die mexikanischen
Codices in den Kreis der Betrachtung zieht: Dort wird das Bild des Verschlossen-
12
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
seins (im Hause oder Kasten) für den Fastenden gesetzt18. Bezeichnenderweise
existiert auch auf sprachlichem Gebiete eine Verbindung zwischen dem „Ver-
schlossenen“ und dem Fasten19. Überdies paßt eine provisorische Lesung der
Hauptzeichenverbindung 722-1354 = „Fasten“ gut zu dem für die palaeo-
graphische Form vermuteten summarischen Begriff „Hunger“. Festgelegt auf
bestimmte Termine, als Auftakt einer ritualistischen Thematik, wirkt die Inter-
pretation als „Fasten“ auch deshalb vertrauenserweckend, weil gerade diese
Handlung in Mesoamerika allgemein als erste, unumgängliche Vorbereitung
auf bestimmte Feste galt.
An dieser Stelle möchte ich einige Bemerkungen über die Hieroglyphe
„Fledermaus“ (Hauptzeichen 722) einschalten. In verschiedenen Chich’en Itzä-
Texten läßt sich an ihr ein Affixaustausch beobachten, der palaeographisch von
einem ganz anderen Zeichen her bekannt ist. Es handelt sich um den Wechsel
zwischen den Kleinzeichen 73 (Fig. 382—383) und 75 (Fig. 146—147). In den
Handschriften verwandelt der gleiche Kleinzeichenaustausch das Hauptzeichen
1362 von einem positiven in einen negativen Begriff20, Ich habe das Haupt-
zeichen 1362 bereits früher mit dem „Land des Regens und des Nebels“, mit
den wassergefüllten Wolken, in Verbindung gebracht21. Nimmt man wegen der
auffälligen Parallel-Affigierung zwischen diesem Symbol und der Hieroglyphe
„Fledermaus“ eine inhaltliche Verwandtschaft an, so kann auch Hauptzeichen
722 als mögliche „Regengott-Region“ aufgefaßt werden. Tatsächlich gibt es in
gewissen Mayasprachen Guatemalas ein mit „Fledermaus“ (zotz’) nahezu gleich-
lautendes Wort für „Wolke“22. Wenn man diese Deutung akzeptiert, nach der
also der Fledermauskopf im Rebusverfahren u. a. als „Wolke“ verstanden wer-
den konnte, so klären sich noch andere Sachverhalte. Thompson hat auf die
scheinbare Zusammenhangslosigkeit zwischen dem Namen des Monats „Zotz’“
und seinem Schutzpatron hingewiesen23. Der vermeintliche Widerspruch löst
sich aber auf, wenn man die enge Verbundenheit des Monatsregenten, des
mythologischen Xoc-Fisches, mit dem Wasser berücksichtigt, das seinerseits
natürlich zur gleichen Symbolfamilie wie die Wolke gehört.
In den klassischen Inschriften spielt der Fledermauskopf mit den Affixen
12,42 und (fakultativ) 76 eine gewisse Rolle24. Die innere Struktur dieser
Hieroglyphe wird klar, wenn man für das Hauptzeichen den Begriff „Wolke“
einsetzt. Eine sinnvolle Übertragung müßte dann etwa lauten „Die-im-Über-
fluß-Regen-spendende-Wolke“.
An diese — wenn man so will „positiv-attributive“ — Hieroglyphe läßt sich
dann auf Grund von Parallelaffigierungen eine ganze Reihe weiterer zusammen-
gesetzter Zeichen anreihen25. Besonders interessant ist die Darstellung des „cleft
sky“20: Aus dem berstenden Himmel quillt natürlich derselbe Segen wie aus der
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
13
Wolke; es handelt sich also nur um ein abgewandeltes Bild für den gleichen
Vorgang.
Die umfangreiche Gruppe von Wasser-Symbolen27 gibt ja den klassischen
Inschriften einen starken Akzent und zeigt deutlich, in welchem Umfang Regen-
kult und Regenzauber das priesterliche Denken erfüllten. Letzen Endes spiegeln
sich in der hieroglyphischen Thematik die realen Nöte und Erfordernisse der
von den Niederschlägen weitgehend abhängigen Wirtschaftsform.
In den Chich’en Itzä-Texten liefern Fig. 378—381 eine weitere charakte-
ristische Ableitung des Fledermauszeichens vom Typus 74:79:722. Die Affixe
ergänzen sich als „ah“ und „al“ zu „ahal“28; die ganze Hieroglyphe lautet dann
entsprechend ahal zotz’“. Was aber mit der „Geburt (bzw. Erschaffung) der
Fledermaus (oder der Wolke oder eines anderen Homonyms)“ gemeint ist,
wage ich nicht zu entscheiden.
Aufschlußreich für weitere Themen sind die Entsprechungen zum palaeo-
graphischen Zeichen 1369, dessen Bedeutung „Bohren“ schon seit Seler fest-
steht29. Beyer hat die Form als Spondylus-Schale bestimmt und darauf hin-
gewiesen, daß es archäologische Fundstücke von dieser Muschel gibt, welche in
der Mitte drei Durchbohrungen aufweisen, die ihrerseits genau den drei Punk-
ten im Innern der Hieroglyphe entsprechen30. Damit dürfte auch die alte Ver-
mutung entfallen, nach der die im Dreieck gruppierten Punkte ein Symbol der
drei Herdsteine sein könnten31.
Schriftgeschichtlich ist dieses Beispiel besonders wertvoll, weil hier einmal die
zusammenhängende Kette von Bodenfunden, inschriftlichen und handschrift-
lichen Darstellungen greifbar wird. Wir vermögen an einer derartigen Stelle
Einblicke zu tun in die Gedankengänge, welche für Auswahl und Benennung
eines Zeichens wichtig waren: Nicht das dargestellte Objekt (Spondylus), son-
dern eine besondere Eigenschaft desselben, in unserem Falle der Bearbeitungs-
zustand, „das Durchbohrte“ schlechthin, war maßgeblich für den resultierenden
Lautwert. In den drei Bohrungspunkten ist die Idee „hax“ graphisch verkörpert.
„Feuerbohren“ wird, epigraphisch ebenso wie in den Handschriften, durch
weitere qualifizierende Zusätze zum Zeichen 1369 ausgedrückt. In der Casa
Colorada tritt uns der Hundekopf als Feuersymbol entgegen (Fig. 592—593),
eine Kombination, die von Dr. 5 b—6 b her bekannt ist. Die Inschriften anderer
Gebäude benutzten statt dessen unmittelbar das Kleinzeichen 38, also „Flam-
men“ zur bildhaften Darstellung des Brennens (Fig. 72—73, 588—590). Andere
palaeographische Konstruktionen verwenden das Affix 85, vielleicht für
„Rauch“ oder „Funken“.
Das Thema „Feuerbohren“ kann in den Chich’en Itzä-Texten wenigstens
siebenmal belegt werden, häufig mit sekundären Affixen, die auf weitere Quer-
14
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
Verbindungen syntaktischer Natur deuten. Darunter ist besonders wichtig ein
Vorkommen auf dem Inschriftenstreifen an der Casa Colorada.
Dort folgt auf „Feuerbohren (Block 38)
eine vermutlich verbale HG aus zwei Händen 166/166 (Blöde 39)
und die nominale HG des Gottes „Q“ (Block 40)
In dieser Abfolge aber liegt nun eine genaue strukturelle Entsprechung zu den
Texten für Neufeuerzeremonien in der Dresdener Handschrift! Über der Ab-
bildung des letzten feuerbohrenden Gottes jener Reihe stehen
als Begleitzeichen „Feuerbohren“ (Dr. 6b5),
eine vermutlich verbale HG aus zwei Händen 160/160 (Dr. 6b6)
und die nominale HG des Gottes „Q“ (Dr. 6b7)
Nicht ausgeschlossen scheint eine inhaltliche Verwandtschaft zwischen der
Verbindung 1318/1338 (Block 41 a) und der negativen attributiven Hiero-
glyphe 43:731 (Dr. 6b8). Meines Wissens handelt es sich bei der hier aufge-
zeigten Parallele um die bisher längste Kontaktstelle zwischen palaeographi-
schem und epigraphischem Material.
Auch zu weiteren Kombinationen mit dem Zeichen „Bohren" (Fig. 582—587)
existiert eine palaeographische Entsprechung in der Dresdener Handschrift. Für
Dr. 8b—9b zog Thompson die Lesung „durchbohrte Grünsteinperlen“ in Er-
wägung32. Vielleicht kann man die Muluc-Variante aber auch als die Symbol-»
form für „xoc“ auffassen.
Fig. 591 zeigt Affix 82 über Hauptzeichen 1369, während das Suffix nicht
mehr sicher zu erkennen ist. Hier werden die Begriffe „Holz“ und „Bohren“
gekoppelt. In diesem Text geht eine seltene Variante des „ben-ich ahau“ voran,
in welcher das Auge mit einem Knochendolch ausgebohrt wird33. Da im An-
schluß direkt von einem „Holz-Bohren“ die Rede ist, denkt man unwillkürlich
an die bekannten Darstellungen der Madrider Handschrift 98 c, 99 d und 101 b,
wo hölzernen Idolköpfen Augen ausgebohrt werden. Das Motiv ist möglicher-
weise metaphorisch aufzufassen; in Altmexico wurde durch ein „Augenaus-
bohren“ die Kasteiung versinnbildlicht.
Auf den Ausdruck „Holz-Bohren“ schließlich folgt eine uns bereits bekannte
verbale Hieroglyphe (Fig. 231). Ihr kennzeichnendes Element, Beyers „hand-
corpse-head“, ist äußerst häufig in Chich’en Itzä und tritt auch in früheren
klassischen Inschriften auf. Thompson hat wahlweise mehrere sprachliche Äqui-
valente für die Flandform 166 vorgeschlagen34, von denen ich die Deutung als
„et“ akzeptieren möchte. Die Verdoppelung 166—166 (Fig. 23, 221—231)
scheint eine besondere rituelle Handlungsweise zu charakterisieren und ent-
spricht darin etwa der handschriftlichen Konstruktion 160/16035.
Zusammen mit Hauptzeichen 1321 tritt die Handform in den Texten be-
nachbart zu Zeitangaben verschiedenster Art auf (Fig, 232—236),
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
15
Die Suffigierung von Kleinzeichen 75 erweitert den Verbstamm zu „etma“
(Fig. 28—30), was mehrfach in den Codices belegt ist.
Interessant ist die Verknüpfung mit dem flammenförmigen Affix 38. Ich
schlage vor, die Verschmelzung der Silbenwerte „et“ (= 166) und „el“ (— 38)
als „etel“, d. h. das bekannte yukatekische Bindewort „yetel“ zu lesen (Fig.
15—22, 24—25, 237—246)36. Der Bau der Hieroglyphe „(y)etel“ zeigt klar,
welche Bedeutung dem Lautwert von Zeichenbestandteilen beigemessen werden
muß. Eine bloße Addition der Symbolwerte „halten“ und „brennen“ führt in
einer derartigen Konstruktion nicht weiter. Gerade die Wechselhaftigkeit der
Bautypen macht ja die Entzifferung von Mayahieroglyphen so mühselig und
verursacht vermeintliche Widersprüche dort, wo Elemente bald als Sinnbilder,
bald als phonetische Bestandteile gebraucht werden.
Für die häufigste und stereotyp gesetzte Hieroglyphengruppe in Chich’en
Itzä (Fig. 1—14) ist eine palaeographische Parallele aufschlußreich. In der
Madrider Handschrift 96 b beginnt der Text mit 1.1300/166 84a:1302, während
die epigraphische Fassung 166 84a:1302a 1303.81:63 lautet. Hauptzeichen 1302
unterscheidet sich von 1302 a lediglkh formal durch die fehlende Schraffur der
Innenfläche. Da in der Mayaschrift ein ausgesparter Raum und ein kreuzweise
schraffiertes Feld gleichwertig sind37, dürfte die Identität gesichert sein. Nach
diesem Prinzip liegt es ferner nahe, das handschriftliche Hauptzeichen 1300 dem
inschriftlichen Hauptzeichen 1303 gegenüberzustellen. Die unterschiedliche
Modifizierung des Grundgedankens (palaeographisch durch Affix 1, epigraphisch
mit 81 und 63) dürfte sich aus der verschiedenen Reihenfolge der „Satzbestand-
teile“ erklären lassen. Wir kennen die Verbindung 84a:1302 aus dem Landa-
Alphabet38, wo sie mit dem phonetischen Wert „ku“ gleichgesetzt wird. Plau-
sibel erscheint die Vermutung, daß es sich dort um das Abbild eines Vogelnestes
(ku = nido de ave) handelt, in dem das Superfix als Nestinhalt „Eier“ be-
zeichnet.
Die Abbildung M. 96 b stellt zwei Götter in Baumgestalt mit Zweigen und
Blättern dar. Ich fasse die eigenartige Verkörperung in „Baumschößlinge“ als
Symbol für „Kinder, Abkommen“ auf, weil das gleiche Wort beide Begriffe
deckt39. Tatsächlich gehören auch beide so charakterisierten Gestalten „H“ und
»E“ der jüngsten Göttergeneration an. Allerdings glaube ich nicht, daß die
Füeroglyphe „ku“ im Begleittext den Anlaut für „kuk“ darstellte und man sich
einer bloßen Klangähnlichkeit als Ausdrucksmittel bediente, sondern nehme
lediglich den gesicherten Lautwert an. Mit „ku“ dürfte hier wohl nicht „Nest“,
sondern „Gott“ gemeint sein und ein echtes Rebusverfahren vorliegen.
Die inschriftliche Formel kann also in ihrem ersten Teil als „et ku“ gelesen
werden. Die restliche Aussage 1303.81:63 ist noch unbekannt, doch erscheint
eine spätere Lösung von Fig. 32—42 her möglich. Erwähnenswert ist ein ge-
16
Barthel, Inschriften von Chieh’en Itzá Viejo
wisser innerer Zusammenhang unseres hieroglyphischen Satzes mit dem archai-
schen Wassergott („K“) und mit bestimmten Opferhandlungen.
Die Hieroglyphe „ku“ und ein weiteres, noch ungedeutetes Element sind
verbunden mit einem nominalen Begriff (Fig. 141—142), der entweder als
„Herr des grünen Edelsteines“ oder „ah yax xoc“ gelesen werden kann40. In
Fig. 143—144 wird das „muluc“-Symbol durch einen anderen Ausdruck er-
setzt. Da in den Anschlußtexten das Zeichen für Gott „K“ folgt, läßt sich dieser
nominale Begriff vielleicht als Beiname zur Wassergottheit auffassen.
Ein gutes Beispiel für den allmählichen Formenwandel eines Hauptzeichens
liefern Fig. 439—441: Sie zeigen mit den Kleinzeichen 60 und 74 einen um
90 Grad gedrehten schädelartigen Kopf. Dessen Vorläufer in den klassischen
Inschriften der Usumacintaprovinz war ein ähnlich gekippter Amphibienkopf41,
den Thompson in seiner Rolle als Variante „D“ in der Lunarserie mit dem
Verschwinden des Mondes in Verbindung bringt42. Das Auftreten bei sonstigen
kalendarischen Einschnitten stimmt mit den Beispielen aus Chich’en Itza überein.
Palaeographisch setzt sich diese Linie ausschließlich in der Madrider Handschrift
fort, wo der hach oben schauende Tierkopf durch seine eigenartige Nase und
„akbal“-Stirnschmuck gekennzeichnet wird43. Auf M. 83 b findet sich ein par-
alleles Zeichenpaar, das aus dem Hinzutreten der Hieroglyphe für den Gott „C“
resultiert, zu einem Textstück: der 2. Türoberschwelle im „Temple of the Four
Lintels“. Die Mannigfaltigkeit der thematischen Bezüge (M. 20 c, 92 c, 102 b
und 111c) spricht jedenfalls für einen vieldeutigen Ausdruck44.
Fig. 576—578 von der Casa de las Monjas zeigen Hauptzeichen 1304 mit
verschiedenen Affixen, unter denen 21 konstant beibehalten wird. Wegen der
Ähnlichkeit mit der Zeichnung des Schildkrötenpanzers sprach Beyer hier von
einem Stück Schildpatt. Aus den Abbildungen der Dresdener Handschrift 2 d
geht aber eindeutig hervor, daß 1304 auf ein textiles Erzeugnis bezogen werden
muß, welches offen oder in einem Bündel dargebracht wird. Wir finden uns in
dieser Auffassung bestätigt durch die zusätzliche Verwendung von Affix 21 in
den Chich’en Itzä-Texten: „zac“ kann neben seiner Grundbedeutung „weiß“
auch in Rebus-Schreibweise für den Stamm „weben“ stehen45. Noch klarer
kommt das zum Ausdruck in Fig. 576, wo die Addition der Affixe 21 (zac)
und 62 (tab) „zactab“, „das Gewebte“, ergibt46. Es wäre verfrüht, sich darauf
festzulegen, ob Flauptzeichen 1304 nun ein bestimmtes Gewand oder Kleidung
schlechthin (etwa „buc“ oder „nok“) bedeutete47. — Im Text des Lintel 3 aus
der Casa de las Monjas werden die „gewebten Gewänder“ auf das Gegensatz-
paar Chac-Unterweltsgott bezogen; Lintel 4 enthält die Phrase „... kanil tu
zactab (buc? nok?)“ innerhalb einer Opferthematik, darüber hinaus aber ein
weiteres interessantes Motiv.
Fig. 179 b finden sich auf dem Hauptzeichen 1339 zwei Objekte, die Beyer
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
17
wohl mit Recht als ein Paar Spindeln identifiziert. Man ist geneigt, an eine
„weibliche Thematik“ zu denken, da die Spindel in der mesoamerikanischen
Ikonographie eine große Rolle als atteributiver Kopfschmuck von Mond- und
Erdgöttinnen spielt48. Für diese Vermutung spricht ein weiteres Detail: Der
menschliche Kopf unter dem Cauaczeichen wird durch den Kreis auf der Wange
charakterisiert. Einen solchen Wangenkreis aber führt Xochiquetzal als Sinn-
zeichen für die Defloration49. Fig. 179 a besteht aus einer später zu besprechen-
den Opfer-Hieroglyphe. Daß „Spindeln“ in irgendeinem Konnex mit der
Opferthematik standen, läßt sich aus Codex Borgia 59 folgern, wo eine Schale
mit zwei Spindeln unter dem Zubehör einer Opfer- und Bußeszene vorkommt.
Vielleicht vermögen spätere Untersuchungen diese disjecta membra zusammen-
zufügen.
Erwähnenswert ist ferner, daß in zwei anderen Texten aus der Casa de las
Monjas Spindelpaare zum Aufbau von Hieroglyphen dienen, die benachbart
zu ungünstigen Aussagen über den Katun „Kampf um die Nahrungsvorräte“
sind. Fig. 619 wird durch das ritualistische Verb Fig. 230 ergänzt, während
Fig. 620 mit den syntaktischen Affixen 1 (u) und 79 (al) an die folgenden Hiero-
glyphen geknüpft zu sein scheint. Sollte hier etwa „Spindel“ (pechech) als Rebus
für „Zecke“ (pech) stehen? „Die Zecken“ — im übertragenen Sinne als Blut-
sauger und Plage — würden sich sehr wohl mit den im Text anschließenden
negativen Gedanken verbinden lassen; diese Vermutung hat aber nur einen
ganz vagen und vorläufigen Charakter.
Die bisherige technische Diskussion betraf mehr oder minder verstreute
hieroglyphische Angaben in den Inschriften. Ich möchte nunmehr Ergebnisse für
einen Themenkreis vorlegen, den die Forschung häufig vernachlässigt hat.
Dabei sollen erstmalig zusammenhängende Textstücke sinnvoll interpretiert
werden, die nichtkalendarischer Natur sind. Der wichtige Einbruch in die in-
schriftliche Thematik gelang über ein Symbol, das Beyer „gouged-eye“ taufte,
und von dem aus eine systematische Bestimmung der Nachbarzeichen möglich
wurde.
Eine erneute Überprüfung der Begleittexte zum Venuskapitel der Dresdener
Handschrift ergab für das Hauptzeichen 1354 die Deutung „Opfer“. Auf den
mexikanischen Symbolwert des „ausgebohrten Auges“ habe ich bereits oben
hingewiesen. Beim Regenalmanach Dr. 34a beispielsweise wird das bildliche
Gegenstück zur Hieroglyphe 1.1354 („sein Opfer“) auf dem Stufenaltar ge-
zeigt, der zu Ehren des Yax Chac errichtet ist. In der nominalen Hieroglyphe
des Hundes 1355—1354 spezifiziert „Opfer“ den Stamm „xol“50. Das zu-
sammengesetzte Schriftzeichen scheint danach die typische Opferqualität des
Hundes in Mesoamerika in Form einer Ideenkomposition zu enthalten51. Be-
sonders aufschlußreich ist die Namenshieroglyphe 1.1354:91 für die Venus-
2 Baeßler III
18
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
Richtungsgottheit A des Codex Dresdensis 46, in der das Symbol „Opfer“ mit
dem Zeichen für „Vogel“ verknüpft ist52. Zu dem so beschaffenen Grundbegriff
„Opfer-Vogel“ tritt das Kleinzeichen 1 mit seinem Lautwert „u“. Nun war der
für Mesoamerika charakteristische Opfervogel die Wachtel, deren Mayaname
„bech’“ bzw. „ubech’“ lautet. Ich fasse Affix 1 in diesem Falle als ein phoneti-
sches Ergänzungszeichen auf, das den vokalischen Anlaut für die Ideenkompo-
sition liefert und so verdeutlicht, um welchen Opfervogel es hier in der Reihe
nominaler Ausdrücke ging: nämlich um die Wachtel „ubech’“. Seler hat vor
langen Jahren darauf aufmerksam gemacht, daß eine mögliche Parallele zu den
zwanzig Gottheiten des Venuskapitels an entsprechender Stelle im Codex
Borgia 22—24 ebenfalls einen Vogel enthält (das Waldhuhn als Verkleidung
von Quetzalcouatl).
Um ein „Vogel-Opfer“ handelt es sich andererseits wohl bei einer Hiero-
glyphe auf der Vorderseite der 3. Türoberschwelle im „Temple of the Four
Lintels“ (Fig. 608). Dort tritt ein menschlicher Kopf mit dem „kin“-Zeichen im
Stirnband hinzu, den Beyer als Sonnengott auffaßt53. Diese Deutung erscheint
etwas zweifelhaft, weil die für den Sonnengott in den Inschriften so typische
Ausfeilung der Schneidezähne fehlt. Im Text zur Finsternistafel der Dresdener
Handschrift 53 b erscheint ebenfalls ein Kopf mit dem „kin“-Zeichen als Stirn-
schmuck, dem außerdem Affix 74 vorangeht, und den ich versuchsweise mit
„ah kin“ („Priester“) zu übersetzen vorschlage. Um den Ah Kin scheint es sich
auch bei dem Beleg aus Chichen Itzä zu handeln. Die funktionale Verbindung
zwischen „Priester“ und „Vogelopfer“ liegt ja in der Natur der Sache.
Schließlich finden wir im Venuskapitel der Dresdener Handschrift 47 inner-
halb eines negativen Textes jene Verbindung von Hauptzeichen 1354 und
Kleinzeichen 30, welche so kennzeichnend ist für Chich’en Itzä. Affix 30 besteht
gewöhnlich aus zwei parallelen Punktreihen und gehört ebenso wie Affix 12
zur Familie der Wassersymbole. Thompson hat auf die bildliche Darstellung
„falling water“ hingewiesen54. Ich möchte das Affix etwas allgemeiner mit „ver-
gießen, verschütten“ übersetzen55. Die Koppelung von 1354 mit 30 ergibt dann
die Idee „Opfer-Vergießen“. Unsere Hieroglyphe besitzt in den Chich’en Itzä-
Texten eine ungewöhnliche Häufigkeit; wir kennen mindestens zwei Dutzend
Belege (Fig. 86—94, 115—6, 163—4, 166—7, 169—170, 179, 186—7, 221,
371 und 610). Die Texte auf den beiden Yula-Linteln zeichnen sich außerdem
dadurch aus, daß noch ein Grünsteinsymbol einbezogen wird und so der Begriff
„Kostbarkeit“ hinzutritt. Die erweiterte Fassung (Fig. 92, 163, 170, 186—7)
dürfte dann etwa „Opfer der kostbaren Flüssigkeit“ gelautet haben — was aber
nichts anderes ist als ein Ausdruck für das Darbringen des eigenen Blutes. Die
priesterliche Vorstellungswelt des alten Mesoamerika scheint gerade in solchen
kultischen Fragen erstaunlich einheitlich gewesen zu sein. Die epigraphische
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
19
Fassung in Chich’en Itzá erinnert durchaus an die Verwendung des Zeichens
„chalchiuitl“ für Blut in México, wo „kostbares Wasser“ als Metapher für das
bei den Kasteiungen und Opfern vergossene Blut galt.
Ausgehend von dem Motiv des Opfer-Vergießens ist eine zielgerichtete Be-
arbeitung der Nachbarhieroglyphen möglich. Die Abwandlung des Grund-
gedankens, daß diese Texte u. a, anscheinend priesterliche Kasteiungen behan-
deln, führt zu einer Reihe von Fragen: Welchen Körperteilen wurde Blut ent-
zogen? Welcher Mittel bediente man sich bei der Kasteiung? Wofür wurde das
dargebrachte Blut benutzt? An welche Zeiten waren derartige Opferhandlungen
gebunden? — Der Gang der Untersuchung soll allerdings nicht streng dem
Schema folgen, sondern sich von einem Anhaltspunkt zum nächsten bewegen.
Im Anschluß an die Hieroglyphe „Opfer-Vergießen“ tritt uns in Fig. 86—92
das insdiriftliche Gegenstück zu der paläographischen Form 756.84 entgegen.
Beyer spricht von einer „bivalve-shell with its animal“ oder allgemein von der
Molluske, während Zimmermann für Flauptzeichen 756 die Definition
„Schwanzende eines Tieres“ gibt. Eine unbefangene vergleichende Betrachtung
lehrt aber, daß es sich hier um nichts anderes als um die schwach stilisierte
Wiedergabe des männlichen Gliedes handelt56. In Fig. 89 wird das Phallus-
zeichen durch Infix 23 als „kostbar“ charakterisiert. Fig. 86 zeigt mit Hilfe der
im Dreieck gruppierten Punkte eine Durchbohrung der Glans an57. Noch
nachdrücklicher kommt das zum Ausdruck in Fig. 594: Die Zeichen für „Boh-
rung“, „Phallus“ und „Menge“ (1369/756.84—1320i) erzählen uns von
dem peinvollen „Sehr-das-GIied-Durchbohren“58. Dieser interessante Beleg
stammt von der Casa Colorado und gehört dort textlich zusammen mit dem
Gott „Q“ (Fig. 376) und einem ritualistlschen Verb (Fig. 223). Insgesamt bilden
Block 30,31 und 32 einen hieroglyphisdien Satz, der begrenzt wird von den
Daten „7 Akbal 1 Ch’en“ und „Ende des ersten Tun in einem Katun 1 Ahau“59.
Die zeremonielle Handlung dürfte danach zwischen 10.2.0.15.3 und
10.2.1.0.0 stattgefunden haben60. Zu diesem Text findet sich nun eine ge-
wisse Parallele in der Dresdener Handschrift 6b—7b. Das Thema des Ritual-
kalenders wird dort vom Phalluszeichen und einem ähnlichen Verb wie in der
Casa Colorado bestimmt. In den zugehörigen Abteilungen wird die Opfer-
handlung der verschiedenen Götter nicht naturalistisch, sondern sinnbildlich
durch einen langsdhnäbligen Kolibri ausgedrückt, auf dessen Symbolwert für
die Kasteiung Seler hingewiesen hat61. Erwähnenswert ist ferner die paläogra-
phische Konstruktion 756—1354 am Textende des Venuskalenders Dr. 50, die
man wohl als „Penis-Opfer“ aufzufassen hat62. Wir kennen aus einer späteren
Epoche Chichén Itzás ein sehr anschauliches Bild einer solchen Opferhandlung
im Nordtempel am Ballspielplatz63.
Ganz eigenartig ist eine Passage auf der Vorderseite von Eintel 3 in der
2*
20
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
Casa de las Monjas (Fig. 97). Dort erscheint kurz vor dem Phalluszeichen eine
Affixvergesellung von der Form 74:79:80:80, die bei Addition der Silben-
qualitäten „ahal ilil“ ergibt. Auf „ahal“ stießen wir bereits früher; „ilil“ wird
in den Wörterbüchern bestimmt als „vicio, cosa mala o pessima, abominable,
perversa, vedada“, so daß diese Stelle ungefähr mit „Aufkommen der Sünde“,
„Geburt des Lasters“ übersetzt werden könnte. Wie eindrucksvoll ist das
Textbruchstück in seiner fast biblischen Sprache! Auch diese lapidare Formu-
lierung gehört übrigens zu den Prophezeiungen oder chronikartigen Berichten
des Katun „1 Ahau“.
Eingeschoben zwischen die Hieroglyphen „Opfer-Vergießen“ und „(durch-
bohrter) Phallus“ tritt Beyers „skull-teeth-element“ auf (Fig. 86—92). Das
Affix stellt ein Äquivalent zum Schildkrötenkopf dar64. Der Kopf der Schild-
kröte (aac) seinerseits ist identisch mit dem ersten „a“ im Landa-Alphabet65.
In unserem Textzusammenhang wird jedoch nicht die Schildkröte gemeint,
sondern das gleichlautende Wort für „Gras“. Auch hier begegnet uns die schon
ausgiebig belegte Rebus-Schreibung, bei der graphische Merkmale vermittels
ihrer phonetischen Qualität neue Sachverhalte ausdrücken, die als solche natür-
lich nur aus dem hieroglyphischen Kontext zu verstehen sind. Ethnobotanisch
läßt sich das Gras „ac“ bestimmen als Andropogon antillarum66, dessen Halme
zum Dachdecken dienten67 sowie durch Öffnungen gezogen wurden, welche
sich die Priester bei ihren Kasteiungen an empfindlichen Körperteilen zufügtea
Landa gibt ausführliche Belege dafür68. Seine Beschreibung paßt verblüffend
genau zu dem Chichen Itza-Text. Die „ac“-Hieroglyphe ist demnach die
spezifische Angabe für das beim Opfervergießen durch den Penis zu ziehende
Gras. Das lautmäßig der Schildkröte (aac) entsprechende Kleinzeichen steht
vielleicht formenkundlich wie symbolisch mit dem zur Kasteiung benutzten
Grase im Zusammenhang69.
Auf die Beschreibung der Opferhandlung folgt in den Texten eine paläo-
graphlsch bekannte Gruppe mit verschiedenen Abwandlungen. Hauptzeichen
1324 (kan) mit den Affixen 76 (ak) und 78 (buul) (Fig. 88 C, 89 C?) ist eine
der „Gaben“ im Codex Dresdensis und bedeutet erster Mais (und erste)
Bohnen“. Während in der Casa de las Monjas die ersten Feldfrüchte gemeinsam
genannt werden, sind sie auf anderen Denkmälern unterschieden. In den Tem-
peln der „Drei“ bzw, „Vier Eintel“ ist nur vom grünen Mais die Rede
(Fig. 86C—87C), in der Casa Colorado und in Yula dagegen von jungen
Bohnen (Fig. 90C—92C).
Die Art der Beziehung zwischen Penis-Sakrifizierung und ersten Feldfrüchten
drückt eine Hieroglyphe aus, deren wichtigstes Merkmal eine Anzahl u-för-
miger Häkchen bildet. Die handschriftliche Entsprechung, das Hauptzeichen
1312, Ist sehr selten und auf gewisse Partien der Regenalmanache Dr, 67a
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
21
und 67b beschränkt. Der Arara-Dämon Dr. 40b und der Truthahn M. 85a
tragen auf ihrem Körper u-förmige Häkchen, die wohl den zarten Federflaum
wiedergeben sollen, wie man nach Darstellungen in mexikanischen Hand-
schriften vermuten darf70. Dort sind u-förmige Häkchen gleichermaßen charak-
teristisch für Baumwollflocken, Erdkrümel und lockere Federn. Seler kam des-
halb zu dem Schluß, daß dieses Zeichen allgemein für losgelöste Teile, darunter
auch für das verspritzende Blut, gesetzt wurde71. In der Bedeutung „Tropfen“
fügt sich die Hieroglyphe besonders gut in unsere Texte ein und stellt die
Verbindung her zwischen dem Körperteil, dem das Blut entzogen wurde, und
den Erstlingen der wichtigsten Nahrungspflanzen, denen es zukommen sollte.
Fig. 103 A zeigt den Kopf eines Opfernden, aus dessen Mund ein Band mit
u-förmigen Häkchen quillt. Dieses anschauliche Bild eines Blutstromes darf als
guter Beleg für die Richtigkeit unserer Interpretation angesprochen werden.
In Fig. 93 wird das Phalluszeichen durch ein anderes gekrümmtes Element
ersetzt, auf dem mehrere (Bluts-) Tropfen erscheinen. Nach dem Textzusam-
menhang muß es sich ebenfalls um einen Körperteil handeln. Vermutlich ist
damit die Zunge, mit zurückgeschlagener Spitze, gemeint; die Parallelstelle
Fig. 94 ist leider beschädigt und liefert keine ergänzenden Angaben72. Einen
weiteren Anhaltspunkt gewinnen wir jedoch aus dem Vergleich von Fig. 99 A 2
und 103A. Während in beiden Fällen das Objekt (Hauptzeichen 1352 oder eine
bloße Variante von 1351?) von dem gleichen Band mit u-förmigen Häkchen
berührt und umschlossen wird, setzt der Text in der Casa de las Monjas für den
Kopf des Opfernden das Kleinzeichen 76. Dessen Lautwert „ak“ bedeutet u. a.
aber auch „Zunge“, d. h. jenen Körperteil, der von den priesterlichen Kasteiun-
gen besonders häufig betroffen wurde. Fig. 99B2/103B2 enthalten außerdem das
schon besprochene Affix „aac“ und Hauptzeichen 1343 (Beyers „greenstone-
disc“). Die Verbindung „Gras“ und „Kostbarkeit (?)“ spielt vielleicht auf die
mit Blut getränkten Halme an.
Fig. 163 und 164 setzen ebenfalls Affix 76 (ak) für „Zunge“ als Erläuterung
zum „Opfer-Vergießen“. Im Anschluß folgt das Bild eines leeren Schildkröten-
panzers mit Kleinzeichen 78. Wir kennen eine negative Qualität dieser Hiero-
glyphe aus der Dresdener Handschrift. Dr. 67b spezifiziert sie den frischen
Mais (ak nal) als ungünstige Gabe einer Himmelssphäre, Dr. 73b kennzeichnet
sie das Jahr (tun) vor den Zeichen 4.77:1317 4.1337:64 („die Felder sind von
der Sonne versengt?“) als „schlecht“. Nun lautet neben „ac“ ein weiterer
yukatekischer Name für Schildkröte „coc ac“73. Der gleiche Stamm „coc“
begegnet uns auch im Quiche allgemein für „Panzer(tier)“74. Faßt man das
Zeichen als „coc“ auf, so eröffnen sich interessante Möglichkeiten einer Rebus-
Schreibung, da „coc“ u. a. auch die negativen Begriffe „kümmerlich, knapp,
gering" vertreten kann75. Beide paläographische Belege lassen sich jetzt sehr
22
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzä Viejo
befriedigend wiedergeben als „kümmerlicher junger Mais“ (Dr. 67b) und
„karges Jahr“ (Dr. 73b). — In unseren inschriftlichen Texten ersetzt diese
„coc“-Hieroglyphe das Zeichen für die Grashalme und macht mit einem anderen
Zubehör bekannt. Im Maya führt eine spitze Nadel aus Fischknochen zum
Durchstechen der Haut den Namen „cocan“70. Ich vermute, daß dieses Gerät
nicht nur bei der Krankenbehandlung, sondern auch für kultische Zwecke
benutzt wurde und daß in unserem Falle die Hieroglyphe „Schildkröten-
panzer“ das Objekt zur Zungendurchbohrung benennt. Schultze-Jena bezieht
das Quichewort „coc“, das in einem Opfertext des Popol Vuh vorkommt, auf
die dünne Schicht geronnenen Blutes77. Aus Fig. 168 ergibt sich aber, daß In
Chichen Itzä tatsächlich ein Instrument für Kasteiung gemeint wird. Dort
erscheint „coc“ jeweils mit Hauptzeichen 1369 bzw, 1350 vor dem Kleinzeichen
76. Eine der möglichen Übersetzungen lautet dann sinngemäß „mit der Nadel
bohren, die Zunge mit der Nadel vereinigen (oder durchkreuzen)“. Die nächste
Texthieroglyphe IX:62.1339 (Fig. 708) kann entweder kalendarisch („neuntes
Jahr“) oder qualitativ („vortreffliches Jahr“) aufgefaßt werden. Sämtliche
besprochenen graphischen Elemente vom 4. Eintel im „Temple of the Four Ein-
tels lasssen sich sprachlich vermutlich als „coc hax kat coc ak bolon haab“
wiedergeben. Selbst diese stichwortartige Reihe ohne syntaktische Zusätze ver-
rät etwas von dem Rhythmus religiöser Gesänge78.
Fig. 166—7 zeigen die Hieroglyphe „Nadel“ in einer etwas abgewandelten
Ausdrucksweise. Vor „Zunge“ (g) erscheint dort das Kleinzeichen 81 (f), dem
ich den Lautwert „cal“ zuschreiben möchte79. Im Textzusammenhang empfiehlt
sich als eine der möglichen Übersetzungen „Loch“ bzw. „Loch-Machen“80, so daß
die Elemente e—g den Sinn ergeben „mit der Nadel ein Loch in die Zunge
machen“. Das stellt lediglich eine Umschreibung dar für die oben besprochene
Phrase (Fig. 168) aus dem gleichen Tempel. Fig. 758 enthält die senkrecht
gestellten Affixe 81 (cal), 79 (al) und nochmals 81. Das Motul-Wörterbuch
setzt „calalcal“ gleich mit „calacal“, „viele Löcher machen“, „sehr zerstechen“81.
Das paläographische Gegenstück 81:81.76 trägt zum Verständnis bei: Diese
Hieroglyphe bezeichnet in der Madrider Handschrift 95a das Blutabzapfen
aus dem Ohr mit Hilfe eines dornenartigen Pfriemes. Gerade das Ohr wurde bei
den Kasteiungen besonders häufig zerstochen und zerschnitten. In Chich’en Itzä
begegnet uns die Ohrenkasteiung auf der Unterseite des „Lintel of the Initial
Series“ bei dem Text über den Gott mit der Tiermaske.
Die Inschriften enthalten ferner Zeichen für bestimmte Tageszeiten, zu denen
priesterliche Verrichtungen stattfanden. Sonnenaufgang wird durch die be-
kannte „hatzcaab“-Hieroglyphe (Fig. 337—345, 649—650) bezeichnet, der
Sonnenuntergang wohl durch das Symbol für „Westen“ (Fig. 353—358). Aus
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
23
der Verteilung solcher Zeitangaben scheint hervorzugehen, daß Opferhandlun-
gen in der Abenddämmerung begannen oder bei Morgengrauen endeten.
Opferhandlungen in den Texten von Yula sind möglicherweise auf den
Planeten Venus zu beziehen. In Fig. 186—7 folgt auf das „Opfer der kostbaren
Flüssigkeit“ (30.1308b/1354) ein fragliches Venuszeichen über einem Feuerholz-
bündel (1328b?/1357)82. Auf Opferzeremonien für den Morgenstern habe ich
in einer früheren Arbeit hingewiesen83. Das nichtrunde Datum auf Lintel 1
von Yula (Fig. 663) kann außerdem als Rechenpunkt dem folgenden Katun-
ende gegenüber aufgefaßt werden84:
10. 3. 0. 0. 0. (1 Ahau)
10. 2, 4. 8. 4 3 Kan 2 Pop
Differenz = 5596 Tage
Überträgt man dieses Intervall auf die schematische Gliederung der Venus-
perioden in der Dresdener Handschrift, so ergibt sich die Zerlegung in 9 X 584
und 340 Tage. 340 Tage aber gleichen der Summe von Unsichtbarkeit während
oberer Konjunktion (90d) und Abendsterndauer (250d). Bei solchen Kalkulatio-
nen konnte der Mayapriester das nichtrunde Datum (Jahresträger?) als helia-
kischen Untergang des Morgensternes, das Katunende (und Basisdatum im
Venuskalender) als solchen des Abendsterns bewerten85.
Das beherrschende Thema auf dem ganzen Ostflügel der Casa de las Monjas
ist der Planet Venus. Seler hat die wichtige Parallele zwischen dreizehn Stern-
bildern, die in Konjunktion mit Venus dargestellt werden, und dem „Maya-
Tierkreis“ der Pariser Handschrift 24—23 aufgedeckt26. Eine andere Überein-
stimmung aber ist bisher unbeachtet geblieben. Auf der rechten Türoberschwelle
des Osteinganges zum Annex der Casa de las Monjas erscheinen u. a. folgende
Hieroglyphen87:
A 2 Kopf des schwarzen Gottes „L“ (Fig. 375)
B 3 Tageszeichen „Ik“ (Fig. 288)
B 4 Venus-Symbol (Fig. 368)
In der Venustafel der Dresdener Handschrift 50 treffen wir nun den gleichen
Gott unter der (einzigen) Kolonne des identischen Tageszeichens „Ik" wieder!
Als Richtungsgottheit R gehört die Gestalt zum Westen und regiert über die
Periode der oberen Konjunktion. Ich halte es für wahrscheinlich, daß der
Schädel (Fig. 436) vor dem Venuszeichen den Planeten während seiner langen
Unsichtbarkeit als „tot“ kennzeichnen sollte88. Die Übereinstimmung mit der
Tradition des Codex Dresdensis ist bemerkenswert gut.
3. Ergebnisse
Die Untersuchung der Inschriften von Chich’en Itzä Viejo aus der Perspektive
der Paläographik hat zunächst einmal Bedeutung für die Handschriften selber.
24
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
Nach dem Prinzip der wechselseitigen Erhellung müssen die gewonnenen Ergeb-
nisse auch unsere Kenntnisse über die Codices bereichern. Betrachtet man die
aufgedeckten Kontaktstellen, so zeigt sich eine ausgeprägte Bevorzugung be-
stimmter Abschnitte. Die Anknüpfungspunkte liegen in erster Linie beim prie-
sterlichen Ritual, in beschränktem Ausmaß innerhalb der Astronomie und
spurenweise bei Regenalmanachen.
Die Dresdener Handschrift steht den Inschriften von Chich’en Itzä am näch-
sten, was sich wohl aus dem geringeren zeitlichen Abstand beider Quellen er-
klärt. Die Madrider Handschrift, die ihrerseits durch gewisse Parallelen mit dem
Codex Dresdensis zusammenhängt, gehört in eine spätere Stufe, verrät aber
noch gelegentliche Entsprechungen. Die Pariser Handschrift schließlich weist nur
ganz geringe Beziehungen auf; doch mag der Mangel an Kontakten auch zu-
rückzuführen sein auf den geringen Umfang des Codexfragmentes. Alle Maya-
handschriften besitzen jedenfalls in verschiedenem Ausmaße bestimmte Merk-
male, von denen aus Verbindungslinien in das yuakatekische Kultzentrum
projiziert werden können. Wenden wir uns nun der detaillierten Betrachtung zu:
Das sogenannte „Götterkapitel“ der Dresdener Handschrift erweist sich zu-
gleich als ein geschlossenes Kompendium von Kulthandlungen. Die allgemein
gebräuchliche Paginierung der Blätter gibt leicht ein falsches Bild, da sich die
tatsächliche Lesrichtung und Abfolge der Ritualkalender in horizontalen Strei-
fen über größere Abschnitte des auseinandergeklappten Faltbuches vollzog. Es
ist gut denkbar, daß die Gruppierung der niedergeschriebenen Ritualkalender
einer tatsächlichen Reihenfolge der auszuführenden Riten entsprach. Für den
mittleren Streifen Dr. 4 b—14 b scheint sich danach beispielsweise folgendes
Muster zu ergeben:
1. Beobachten der Mondhäuser
2. Erbohren des Neufeuers
3. Kasteien des Phallus
4. Loswerfen?
5. Kasteien der Ohren
6. Räuchern?
7. Darbringung der ersten Feldfrüchte89.
Die ersten drei Blätter der Handschrift hängen direkt mit Menschenopfern zu-
sammen; man wird dazu auch die Verfertigung kultischer Gewänder rechnen
müssen. — Der Venuskalender zeigt sowohl hinsichtlich der Richtungsgott-
heiten als auch seines Datensystems und der zugehörigen Zeremonien echte Be-
rührungspunkte. — Weniger zusammenhängend ist das Bild der Regcnalma-
nache, wo lediglich Einzelzeichen auf sporadische Gemeinsamkeiten schließen
lassen90. — Finsternistafeln, Jahreswechsel und die Fülle agrarischer und meteo-
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
25
rologisdier Texte werden von den Chich’en Itzä-Inschriften praktisch kaum
berührt91.
Die Pariser Handschrift wirkt gerade mit der einmaligen Katunserie merk-
würdig beziehungslos gegenüber entsprechenden Textstellen in Chich’en Itzä.
Ihre Katunregenten und zugehörigen Aspekte unterscheiden sich auch von den
Traditionen der Chilam-Balam-Bücher und weisen auf ein noch nicht ge-
klärtes Herkunftszentrum. Die Übereinstimmung des „Maya-Zodiacus“ mit
der Fassade der Casa de las Monjas scheint darauf zu beruhen, daß die Vor-
stellungen der höheren Priesterwissenschaft, in diesem Falle ein eminent wich-
tiges astronomisches Grundbild, weniger aufgespalten gewesen sein dürften als
die politisch-historische Tradition.
Die Madrider Handschrift nimmt einen mittleren Platz ein. Die Kontakte
betreffen einige Kulthandlungen und gewisse Einzelgestalten92. Zweifellos sind
die Beziehungen zur Dresdener Handschrift enger als zu den Inschriften von
Chich’en Itzä.
Die drei erhaltenen Mayahandschriften bilden einen äußerst geringen und
zufälligen Bruchteil der einstigen Literatur. Es hieße das Material überfordern,
wollte man zuviele Folgerungen aus den erkannten Querverbindungen ziehen.
Die Orientierung der Standorte ist deshalb nur in Umrissen möglich und im
nüchternen Bewußtsein der Tatsache, wieviele Zwischenglieder verlorengegan-
gen und nicht mehr hypothetisch erschließbar sind.
Größere Aufmerksamkeit erfordern Ergebnisse, die für die Inschriften
selber vorgelegt werden können. Sie lassen sich trennen in solche, die mut-
maßlich einen historischen Kern besitzen, und andere von religionsgeschicht-
lichem Interesse.
Das ständig wiederholte Kalendermotiv von Alt-Chich’en Itzä ist ein
Katun „1 Ahau“, über den Texte der verschiedensten Gebäude die gleichen
Dinge berichten. Dort ist von glühender Sonnenhitze, vom Kampf um die
Maisernte und dem Verfall der Sitten die Rede. Die Abhängigkeit von Dürren
und Mißernten, die so deutlich aus den Chilam-Balam-Büchern abzulesen ist,
begegnet uns in den gleichen unerbittlichen Grundzügen schon hier. Die ungün-
stigen Aussagen gelten für den mit 10.3.0.0.0 endenden zwanzigjährigen Zeit-
abschnitt, der mit großer 'Wahrscheinlichkeit den Jahren 869—889 n. Chr.
entsprechen dürfte. Es ist nicht ohne weiteres zu unterscheiden, ob die unter-
suchten Inschriften den Charakter von Chroniken oder von Prophezeiungen
tragen; in postcolumbischen Quellen sind beide Formen belegt, wobei der
Glaube an die periodische Wiederkehr gleicher Ereignisse in gleichen Kalender-
abschnitten eine erhebliche Rolle spielt. Tradition und Gegenwartsgeschehen
scheinen oft miteinander verschmolzen worden zu sein; überlieferte Erfahrun-
gen den Rahmen für prophetische Erwartungen abgegeben zu haben93.
26
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
Die Texte von Chich’en Itza Viejo gehören der „perlod of abandonment“
an, während der die Itzä in Chakanputun residierten und zeitweilig viel-
leicht die Xiu-Dynastie des benachbarten Uxmal ihre Herrschaft ausübte. Die
Inschriften sind deshalb für uns so wertvoll, weil sie vor Ankunft der Tula-
Tolteken verfaßt wurden und an die relativ geschlossene Welt der klassischen
Mayakultur anknüpfen: Mit ihnen geht die Periode der Initialserien zu Ende,
zu ihrer Zeit reißt das Kontinuum in den Südgebieten ab. Es wäre verfrüht,
aus den lokalen Verhältnissen eines einzelnen Kultzentrums in peripherer Lage
Schlüsse auf Ursachen und Hintergründe des jähen Zusammenbruchs im hier-
archischen Sozialgefüge zu ziehen; immerhin sollte man als einen Faktor den
Nexus von Dürre, Hungersnot und Bürgerkrieg im Auge behalten.
Von erheblicher Bedeutung für ein lebendiges Bild vom klassischen Kult-
wesen sind die in den Chich’en Itzä-Inschriften erstmals aufgedeckten Opfer-
texte. Das als Blutopfer aufzufassende „Opfer-Vergießen“ bzw. „Opfer der
kostbaren Flüssigkeit“ geschah in erster Linie durch Sakrifizierung des Phallus,
ferner von Zunge und Ohren. Zur Durchbohrung bediente man sich einer
Nadel aus Fischknochen, während Halme durch die Wundöffnung gezogen
wurden. Mit dem hervorquellenden Blut wurden die ersten Feldfrüchte, Mais
und Bohnen, betropft94.
Es wird deutlich, daß von postcolumbischen Berichten über die Epoche der
Handschriften hinweg eine zusammenhängende Tradition priesterlicher Selbst-
kasteiungen wenigstens bis in das 9. Jahrhundert zurückreicht. Wir stehen
damit noch keineswegs am Ausgangspunkt dieser Linie. Die bekannte Dar-
stellung einer Zungendurchbohrung auf Lintel 24 in Yaxchilan stammt aus dem
Beginn des 8. Jahrhunderts95; in anderen klassischen Inschriften tritt die
„Opfer“-Hieroglyphe noch früher auf und zeigt, daß nicht nur In der Usuma-
cintaprovinz96, sondern auch in der fernen Südostprovinz97 dieser Stoff be-
handelt wurde.
Für zukünftige Forschungen ist so eine erste Breche geschlagen in das Schwei-
gen der nichtkalendarischen Hieroglyphen auf klassischen Monumenten. Ihre
Erweiterung erscheint aussichtsreich und dürfte die Verflechtungen jenes Themen-
kreises in ihrer ganzen Breite aufdecken bzw. zumindest eine Gruppierung zu
einer „Opfer-Kategorie“ ermöglichen.
Das Darbringen des eigenen Blutes bildet ein Standardmotiv Mexicos —
eine solche Fülle von Angaben aus der Kolonialzeit, Codices und archäologischen
Darstellungen liegt vor, daß sich ein näheres Eingehen wohl erübrigt98.
Für das gegenwärtige Urteil über den Charakter der Mayahieroglyphen
liefern die untersuchten Texte anschauliche Beispiele. Die Stilisierung natura-
listischer Formen, die mannigfaltigen Symbolismen mit bildhaften Ideenkom-
positionen und der reichliche Gebrauch phonetischer Elemente unterscheiden sich
Baeßler-Arcbiv, Neue Folge, Band III
27
in Chich’en Itzä nicht grundsätzlich von den Bauprinzipien, die Innerhalb der
Paläographik erkennbar sind. Das Rebus-Verfahren als lautbildender Faktor
macht deutlich, in welchem Grade die Sprachwissenschaft für eine wirklich
exakte Entzifferung herangezogen werden muß. In dieser Hinsicht erweist sich
die im wesentlichen auf das Yukatekische beschränkte Basis des Verfassers als
zu schmal. Solange eine vergleichende Mayaphilologie aussteht, müssen viele
Übersetzungen provisorisch und im Rahmen einer vorsichtigen Begriffsabgren-
zung bleiben. Mit Hilfe einer beschränkten Anzahl syntaktischer Zeichen wird
die textliche Koordinierung in kurze, satzähnliche Hieroglyphengruppen er-
leichtert. Daneben aber bleibt als Merkmal die stichwortartige Anreihung einer
Art „Kernbegriffe“ bestehen. Das eigentümlich wiederholende Auftreten ein-
zelner Zeichen in bestimmten Intervallen mag vielleicht auf einem ursprüng-
lichen Rhythmus der so fixierten Traditionen beruhen. Es sei darauf verwiesen,
daß für manche Texte in den Codices der Verdacht nahe liegt, 'Wiederholungen
als rhythmische Elemente innerhalb von Gesangsstrophen aufzufassen. Wir
können vermuten, aber nicht beweisen, daß die Mayahieroglyphen nur einen
Extrakt der Überlieferung verkörpern und daß solche Kernbegriffe durch
mündliche Belehrung und immer erneute Unterweisung der Priestersdiüler er-
gänzt wurden. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß es sich nun um ein bloß
mnemotechnisches System handelt; dafür sind die zahlreichen Belege einer
Ideen- und hochentwickelten Wortlautschrift zu eindeutig. Die konservative
Einbettung der Mayahieroglyphen in einen begrenzten Sprachbereich und ihre
mangelnde Expansionskraft sind nur zwei Selten des gleichen Zustandes: Die
Schrift war unlösbar gebunden an Geist und Form der Sprache, an bildhaftes
Denken und jene Freude am Spiel mit Homo- und Homoiphonen, die sich bis
heute in der Liebe zu Rebusrätseln kundtut99.
Die eigentlichen Schwierigkeiten für die Forschung beginnen dann, wenn ein
Text in seine Bestandteile zerlegt und äußerlich „übersetzt“ worden Ist. Ganz
abgesehen von den Vieldeutigkeiten der im Rebusverfahren gegebenen Laut-
werte, die nur aus dem Zusammenhang bestimmbar werden, und den Fallen,
die der Wechsel der Bautypen mit sich bringt, stehen wir nun vor der Aufgabe,
das „Übersetzte“ auch wirklich zu „verstehen“. Eine künftige Interpretation
hieroglyphischer Inschriften wird lange Kommentare erfordern und noch mehr
Lücken offen lassen müssen, als es bereits die dunklen Stellen in den Texten der
Chilam-Balam-Bücher verlangen. Für uns sind zu viele Anspielungen, Sach-
bezüge, der Doppelsinn von Metaphern und traditionelle Vorstellungsreihen
versunken, seit das Gehelmwissen jener kastenartigen Gruppen von Priester-
gelehrten mit der Vernichtung ihrer Träger und dem Abreißen kommentierter
Überlieferung erloschen ist. Wo die für ein echtes Verständnis notwendige
kulturelle Einbettung fehlt, können dann lediglich blasse Hypothesen gesetzt
28
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
werden. Wenn wir auch die Hoffnungslosigkeit der letzten Jahrzehnte hinter
uns gelassen haben, erfordert doch die intellektuelle Redlichkeit ein Bescheiden:
Für all unsere Bemühungen liegt die äußerste Grenze in einem matten Erhellen
der Nacht einer verschwundenen Kultur.
ANMERKUNGEN UND LITERATURHINWEISE
1 G. Zimmermanns Arbeiten gelten der Formen- und Begriffssystematik sowie
dem Codex Tro-Cortesianus. Verfasser bereitet neben einem neuen Kommentar
zum Codex Dresdensis eine Studie über Struktur und Funktion von Affixen vor,
die später In Buchform unter dem Titel „Maya-Palaeographik" publiziert werden
soll.
2 Zur Epigraphik zähle ich auch jene Fälle, wo die Zeichen (wie in Tikal) in Holz
geschnitten wurden. Eine andere Untergruppe stellen die „incised glyphs" wegen
ihrer kursiven Schreibweise dar.
3 H. Beyer „Studies on the Inscriptions of Chichen Itza“, Contributions to
American Archaeology No. 21, CIW 483 p. 29—175, Washington 1937. In der
technischen Diskussion zitiere ich die Abbildungen aus diesem Werk als „Fig. n“.
An Hand der photographischen Tafeln lassen sich gelegentliche Lücken ergänzen.
Weitere Abbildungen findet man bei Maudslay „Biologia Centrali-Americana,
Archaeology“, London 1889 1902; Sei er „Gesammelte Abhandlungen zur
amerikanischen Sprach- und Alterthumskunde“ Bd. V, Berlin 1914; Gann „In
an unknown land“, London 1924 und W i 11 a r d „The city of the Sacred Well“,
New York 1926.
Nach brieflicher Mitteilung von T h o m p s o n (20. 4. 1954) sind im vergangenen
Jahr zwei weitere unbedeutende Inschriftenbruchstücke entdeckt worden, die
jedoch das Gesamtbild nicht beeinflussen.
4 Seit mehreren Jahren arbeitet E. Thompson im Rahmen der Carnegie-Insti-
tution an der Aufstellung eines Hieroglyphenkataloges für sämtliche Maya-In-
schriften.
5 Zur Nomenclatur vgl. Zimmer mann „Formen- und Begriffsanalyse . . .“, Diss.
Phil. Fak. Univ. Hamburg 1951; ders. „Kurze Formen- und Begriffssystematik
der Hieroglyphen der Mayahandschriften , Beiträge zur mittelamerikanischen
Völkerkunde I, Hamburg 1953; ders. Ms. zur spanischen Fassung 1954. Gewisse
Abweichungen hierzu bezüglich der Affixe Barthel „Nlaya-Palaeographik“,
Ms. 1954.
6 Barthel „Der Morgensternkult in den Darstellungen der Dresdener Maya-
handschrift“, Ethnos XVII Stockholm 1952, p. 92—95, bezüglich Rang oder Titel
und Auffassungen von Gates und Thompson.
7E. Thompson „Maya Hieroglyphic Writing, Introduction“, CIW 589,
Washington 1950. p. 218—219 sowie Fig. 14, 1, 2 und 4.
8 Zur Deutung von Affix 71 vgl. Barthel 1954 Ms.
9 Zur Deutung von Affix 74 vgl. Barthel 1954 Ms.
10 Zur Erscheinung des Katunregenten am Himmel vgl. Roys, The book of Chilam
Balam of Chumayel“ CIW 438, Washington 1933 p. 151 note 3, p. 158 note 11;
Darstellung von Katunregenten auf himmlischen Thronen in der Pariser Hand-
schrift; zum Zusammenhang zwischen Mondhäusern und Katunregenten vgl.
Barthel „Maya Astronomie: Lunare Inschriften aus dem Südreich“, ZfE 76
Braunschweig 1951 p. 232—233.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
29
11 T o z z e r „Landa’s relacion de las cosas de Yucatan“, Pap. Peabody Mus. Vol. 18,
Cambridge 1941 p. 146.
12 Thompson 1950 p. 70—73.
13 PioPerez „Diccionario de la lengua Maya“, Merida 1866—77 p. 233 = ninfea
acuatica.
14 ibd. nabte = asta de lanza, lanza, dardo. Die Hieroglyphe „nabte“ tritt bei den
Stelen 18 und 20 von Yaxchilan in Verbindung mit dem Katunzeichen auf. Sollte
die große stehende Figur mit der Lanze den jeweiligen Katunregenten mit seinem
typischen Attribut darstellen?
15 Beyer 1937 p. 116. S e 1 e r „Das Tonalamatl der Aubinschen Sammlung“, Berlin
1900, p. 5 identifiziert „Feuersteinmesser“ mit den brennenden Sonnenstrahlen.
16 Zur möglichen Lesart „och“ vgl. Barthel 1954 Ms.
17 Als Differenzwert in den handschriftlichen Ritualkalendern und wegen seiner Rolle
hinsichtlich „E“ und „A“ bei der Mondserie.
18 S e 1 e r , Ges. Abh. I 862.
19 MartinezHernandez „Diccionario de Motul“, Merida 1929 p. 490 kalaan
zukin = tiempo de aiuno, tiempo de quaresma; kalaan u than u chibal bak =
tiempo de quaresma, que no se come carne.
20 Attributive Hieroglyphen 22 und 19; Sonderfall M. 94 a: Kleinzeichen 75 präfigiert
zur attributiven Hieroglyphe 22 hebt deren günstigen Inhalt zur Gänze auf.
21 Barthel „Regionen des Regengottes“, Ethnos XVIII, Stockholm 1953 p. 91.
22 Ixil „zutz’“, Quiche „zutz“ oder „tzutz“. Schultze-Jena „Popol Vuh“,
Quellenwerke ... 2, Berlin 1944 p. 256: „su’ts mayul = Wolken und Nebel, ist
eine in Quichetexten immer wiederkehrende Zusammenstellung“.
23 Thompson 1950 p. 108.
24 ibd. p. 276—7, Fig. 43, 9—16.
25 ibd. Fig. 43, 17—32.
26 ibd. Fig. 43, 17—23.
27 ibd. p. 274.
28 Zur Deutung von Affix 79 vgl. Barthel „Some remarks on the affix“, Proc.
29th ICA Cambridge 1952 p. 45—49.
29 Thompson 1950 p. 294 führt die „drilling-glyph“ irrtümlich unter seiner
Gruppe erstmals entzifferter Hieroglyphen auf.
30 Beyer 1937 p. 120.
31 Thompson 1950 p. 265.
32 ibd.
33 ibd. p. 201—2 betreffs „Augenausbohren“ beim Katunwechsel.
34 ibd. p. 266.
35 Paläographisch ist die Verdoppelung nur in der Pariser Handschrift 18b belegt.
36 Als einzige handschriftliche Parallele hierzu ist das Vorkommen im Regen-
almanach Dr. 67a erwähnenswert.
37 Vgl. derartige Variationen bei den Affixen 25, 35 und 41.
38 T o z z e r 1941 p. 170.
39 Motul 526: kuk = renuevo, tallo o pimpollo de arbol o breton de berca. De aqui
se toma por los hijos y descendientes, que uno dexa.
,4° Vgl. Thompson 1950 p. 162 bezüglich Xoc-Fisch.
41 Thompson 1950 Fig. 11, 44—46 als Belege für gleiche Affigierung.
42 ibd. p. 239 = T e e p 1 e s Neumond-Hieroglyphe.
43 Hauptzeichen 730a, vgl. Zimmermann Ms. 1954.
44 Falls mit dem Hauptzeichen 730a die Kröte „po“ dargestellt wurde, lohnt es viel-
leicht, den Stamm „poc“ und die zeremonielle „pocam“-Reinigung im Monat Uo
im Gedächtnis zu behalten.
30
Barthel, Inschriften von Chich’en Itzá Viejo
45 Thompson „The moon goddess in Middle America“, Contributions to
American Anthropology and Hlstory 29, CIW 509, Washington 1939 p.132;
Kleinzeichen 21 als Präfix zu Hauptzeichen 109 für die Mondgottin als Patronin
des Webens; vgl. auch Bestandteil ihres Kopfschmuckes Dr. 18a, 20c.
46 Motul: zactabal = ser texido; zactabil = cosa que se texe o es texida en telar.
Trifft wohl auch für Fig. 578 zu.
47 Sollte es sich bei dem grobmaschigen Muster des Hauptzeichens um eine Dar-
stellung von Sisalhanf (statt Baumwolle) handeln? Zum Zusammenhang zwischen
rituellen Gewändern aus Henequén und Tlazolteotl-Toci vgl. D u r an „Historia
de las Indias". México 1867-1880 Kapitel 93 sow.e Beyer Shell Ornament
sets from the Hu.xteca", MARS 5 p. 153-215. New Orleans 1934 p. 177 und
Anmerkung — Zur Ähnlichkeit zwischen dem Hauptzeichen 1304 und dem
Schildkrötenpanzer vgl. Darstellung im Codex Laud 9, wo die mexikanische
Agave-Göttin Mayauel auf einer Schildkröte sitzt.
48 Vgl das mamalacaquetzalli als Abzeichen von Tlazolteotl-Toci (Codex Borgia
14° 55- Codex Vaticanus B 22; Dr. 16a, M. 30a.) Bei den zwiegeschlechthchen Ge-
stalten Dr. 9c, M. 30b, 32b tritt die Spindel zusätzlich zum Schlangenkopfputz auf.
49 Thompson 1939 p. 136 nach Seien — Worauf der Kopfaustausch Fig. 180—1
beruht, bleibt offen.
50 Vgl Thompson 1950 p. 78—9 und 113; ferner die Rolle des Hauptzeichens
1355 als gemeinsamer Bestandteil der nominalen Hieroglyphen von Hund und
Truthahn°mit der gleichen Wurzel in den aztekischen Bezeichnungen für beide
Tiere hierzu auch Gautier Tibon „Le Nom Mexicain du Dindon et ses
rapports avec la mythologie Nahuatl“, 28.1. C.A. Paris 1947 p. 529—547. —
Die Mayahieroglyphe für „Truthahn“ (1339—1355) dürfte mit der Idee „Regen“
verbunden gewesen sein.
51 Wohl nicht eine phonetische Konstruktion („tzom“, „tzul“), wie verschiedentlich
von anderer Seite vorgeschlagen wurde.
52 Zur Deutung von Affix 91 vgl. Barthel 1954 Ms.
53 Beyer 1937 p. 122
54 Thompson 1950 p. 276.
55 Barthel 1954 Ms.
50 Das abgegrenzte Vorderende des Zeichens stellt dabei die Glans mit deutlich ge-
zeichneter Harnröhrenöffnung dar. Die handschriftlichen Formen setzen an die
entgegengesetzte Basis unmittelbar Affix 84 für die beiden Hoden an. In Chich’en
Itzá sind die Umrisse (bis auf Fig. 88) allgemeiner und dem äußeren Bild des
Scrotums angemessen. Weiter oben begegnete uns bereits Affix 84 in der Dis-
kussion der Hieroglyphe „Nest“ mit der Bedeutung „Eier“. Die Verwendung für
die Testes ist von jener drastischen Anschaulichkeit, die unverblümt aus sprach-
lichen Belegen spricht, vgl. P e r e z : yeel ( = he) = huevo, ton = miembro sexual
del hombre; „Bacobulario de Mayathan“ (Ms. Wien) ¡testículo de hombre o ani-
mal _ yeelton; miembro biril = ach, xep, ton. — M. 22b wird 84 durch Affix 35
ersetzt das in seiner Bedeutung als „Beutel“ sinnvoll für das Scrotum stehen
dürfte, vgl. Barthel 1954 Ms. Das Phallusmotiv kommt In der Dresdener
Handschrift an zwei Stellen vor: Dr. 34a trägt die schwarze Hockerfigur mit
Überwurf und Rasselstab an Stelle des Kopfes 84.756. Der Zusammenhang zwi-
schen dem Phallophoren und dem Äquivalent zum chicauaztli, dem Zaubergerät
zur Erzeugung der Fruchtbarkeit, ist evident. Vgl. hierzu auch Codex Borbonicus
30. — Dr. 37b zeigt den fackeltragenden Regengott mit entblößtem Glied in der
linken Hand, aus dem ein u-förmiger Streifen mit gezackten Rändern quillt,
welcher In einen nicht sicher bestimmten Vogelkopf mündet.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
31
57 Gann „The Maya Indians of Southern Yucatan and Northern British Honduras“
BAE Bull. 64, Washington 1918, bildet p. 62 Fig. 17 einen Tonphallus aus Santa
Rita ab mit drei Einschnitten auf der Glans.
58 Aus dem gleichen Santa Rita Mound stammen bemalte, tönerne Priesterfiguren,
die auf niedrigen vierbeinigen Schemeln sitzen und sich mit einem spitzen Objekt
den Penis durchbohren. Besonders anschaulich PI. 9 links. — Vgl. hierzu auch
Boekelman „Clay Phalli from Honduras Shell-Heaps and their possible
Use“, Maya Research II p. 167—173, 1935. Boekelman deutet die durch-
bohrten Tonphalli aus Nordhonduras als Fruchtbarkeitsamulette für Frauen.
Angesichts der weiten Verbreitung der Peniskasteiung bis Nicaragua und Panama
wird man wohl auch hier das gleiche Opfermotiv annehmen müssen. — Zur
Penismutilation bei Chol, Mopan und Chorotega vgl. Tozzer 1941 p. 114
Note 522. L a n d a beschreibt ferner eine von einer ganzen Gruppe durch-
geführte Kasteiung:„At other times they performed an obscene and painful
sacrifice, those who were to make it gathered in the temple wherafter they were
placed in a row. Holes were made in the virile member of each one obliquely
from side to side and through the holes which they had thus made, they passed
the greatest quantity of thread that they could, and all of them being thus
fastened and strung together, the anointed the idol with the blood which flowed
from all these parts; and he who did this the most was considered as the bravest;
and their sons from the earliest age began to practice it, and it is a horrible
thing to see how inclined they were to this ceremony.“ Hierzu gibt es eine genaue
Parallele bei den Guaymi, Tozzer 1941 Note 525. Zur Interpretation der
gleichen Szene in der Madrider Handschrift 19 unten vgl. Zimmer mann
Ms. Kommentar.
59 Berichtigte Lesart zu Fig. 637 bei Thompson 1950 p. 199.
60 Das Tunende liegt 4041 X 360 d nach dem Nulldatum, was rund 3983 tropischen
Jahren entspricht. Bei Umrechnung mit der 11.16-Korrelation fand das Penis-
opfer im Sommer des Jahres 870 statt während der entscheidenden Wachstums-
und Reifeperiode zwischen den Monaten Juni und August.
81 S e 1 e r Ges. Abh. IV 573—4. Vgl. hierzu auch M. 10b, wo der Abbildung des
Kolibri „das Durchkreuzen“ (1350:80) des „... Phallus“ (9.756.84) im Text ent-
spricht. Ein ähnliches Verb (52:1301—1350) wird M. 100c gebraucht.
82 Die folgende Hieroglyphe „chikin“ dürfte hier den Zeitpunkt angeben, nämlich
„Sonnenuntergang“. Auf ähnliche Koppelungen in Chich’en Itza sei verwiesen.
83 Marquina „Arquitectura Prehispanica“, Mexico 1951 Abb. 440 und p. 869.
84 Vgl. beispielsweise Fig. 102 mit Fig. 103 und Fig. 176 mit Fig. 178.
85 Tozzer 1941 Note 893.
88 ibd. Note 784.
87 Motul: es una yerba con que cubren las casas y hacen trojes. Perez: zacate o gra-
minea de tallo alto, hoja ancha, que se cria en las sabanas y suele usarse para
cubrir casas.
88 Tozzer 1941 p. 113 „... they pierced their tongues in a slanting direction
from side to side and passed bits of straw through the holes with horrible suffer-
ing“; p. 155 „. . . others the holes seven rather wide blades of a kind of grass
called ac.“
89 Vgl. aber auch Beyer 1937 p. 151 über die Entstehung des „skull-teeth element“
aus dem ursprünglichen Schildkrötenkopf.
,0 Vgl. z. B. Codex Vaticanus B 93 auf der Brust des Chalchiuhtotolin.
71 S e 1 e r Ges. Abh. III 245.
72 Vgl. ähnliche Formen M. 36 mit Hauptzeichen 731; mit Präfix 25 und Haupt-
zeichen 1348 auf Eintel 35 von Yaxchilan, Thompson 1950 Fig. 31, 68.
73 Tozzer 1941 p. 192 Note 1015.
32
Barthel, Inschriften yon Chich’en Itzá Viejo
74 Schultze-Jena 1944.
75 Motul: coc = escaso, corto, lazerado, mezquino, y miserable. Desgl. coocach.
Eine Prophezeiung für einen „11 Ahau“ Katun im Chumayel lautet „coc ix bin
u katunil; coc ix bin u chac(a)lob“, was Roys 1933 p. 148 übersetzt „niggard
is te katun; scanty are its rians“.
70 Perez: cocán = hueso de pescado en forma de una aguja áspera que usan los
indios para Atravesar la piel que levantan en las partes entfermas de su cuerpo
para curarlas.
77 Schultze-Jena 1944 p. 195.
78 Vgl. Thompsons Gedanken über den poetischen Gehalt der Maya-Inschriften
1950 p. 61—63.
79 Zur Deutung von Affix 81 vgl. Barthel 1954 Ms. Gegenargumente bei
Thompson 1950 p. 146.
80 Im Motul bezeichnet „cal“ u. a. verschiedenartige enge Öffnungen. calbefah = agu-
jerear, hazer agujero; calmancil = cosa muy agujereada. Vgl. auch „cal“ als Zahl-
wort im Perez.
81 Motul: calacal = cosa muy agujereada como ropa, seto, calacal cunah = agujerear
haziendo muches agujeros. Perez: calacal = cosa de muchos agujeros.
82 Fig. 369 zeigt ein schönes Venuszeichen mit 1348 auf dem runden Stein vom
Caracol-Observatorium. Wie in Yula enthält der Nachbartext ungünstige Aus-
sagen: „Opfer“ (Fig. 445) und eine negative attributive Hieroglyphe (Fig. 442)
die an Konstruktionen der Pariser Handschrift erinnert. '
83 Barthel 1952 p. 107—111.
84 Lesart Thompson 1950 p. 199.
85 Eine Umrechnung mit der 11.16-Korrelation in julianische Daten durch R We-
be r ergab, daß es sich offenbar um keine wirklichen, sondern nur um zyklische
(schematische) heliakische Auf- bzw. Untergänge handelte
86 S e 1 e r Ges. Abh. V 229—232.
87 ibd. p. 228 Abb. 40; Maudslay Vol. III PI. 13C.
88 In A 3 ist vielleicht der numerische Ausdruck 8.2.0 enthalten, der bekannte Wert
von 2920 Tagen (die Gleichung von fünf schematischen Venusumläufen mit acht
Kalenderjahren), auf der sich der ganze Venuskalender der Dresdener Hand-
schrift aufbaut.
89 Besonders auffällig sind die Parallelmotive Dr. 5b—9b und Casa Colorada- Fener-
bohren vgl. Block 13, 38; Penis-Sakrifizierung vgl. Block 24, 32- Loswerfen Pi vd
Block 41b. - In México fand die Nenfcuerbohrung 2U Beginn jedes größeren
Festes statt. — Zur Darbringung der ersten Feldfrüchte vgl R e H f i p 1 4V Al
fonso Villa „Chan Korn, a Maya Village“, CIW 448, Washington 1934
p. 143—144. &
"iw“ WTC1“ 167’ I312’ 1351' 1357/1357 82 vgl- »-'S1™ De. 33c. Opfergabe
91 Erwähnenswert Ist die paläographische Form 86:1306a.60, die im Code* Dr
sis als chronologische Hieroglyphe zur Bezeichnung der Zählrichtung ( führt
zu ) auftntt. Sie steht in ihrer Konstruktion genau in der Mitte zwischen dem
„mat-compound“ von Chich’en Itza und der aus Palenn.w. k„i,„ . t
86:1333a.60. Da aus anderen Gründen für die Handschrift eine Herkunft'“willen
irruir LC„kahsSi~hLre0r a"gCn°mm'"
92 Schwerpunkt dieser Kulthandlungen M. 95a, 96b—c. Auftreten j
Unterweltgottes und des nominalen Titels von „C“, welcher in 4' ” p30,^ deJ
ÄhI“ Z!eml!dl ZUSamme"l'ä"^"<ie Streifen in der Handlrift
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
33
93 Vielleicht lohnt es, die „1 Ahau“-Katune von 8.17.0.0.0 und 9.10.0.0.0 auf ihre
Aspekte zu prüfen. Allerdings erscheint es ganz fraglich, wieweit die Kontinuität
der Überlieferung von einer Unterprovinz der klassisdien Mayakultur zur anderen
unterstellt werden darf. Aus der Kolonialzeit besitzen wir über den Katun
„1 Ahau“ (1640—1660) eine Fülle negativer Merkmale. Vergl. Roys 1933
p. 155—158, p. 164.
94 Vgl. Tozzer 1941 p. 113—114 für Landas Berichte über Kasteiungen. Zum
Phalluskult: Spinden „A Study of Maya Art“, Mem. Peabody Mus. VI Cam-
bridge 1913 p. 200, Hinweis auf „Temple of the Phalli“; Labna und Chacmultum.
Hierzu auch Uxmal (S e 1 e r „Die Ruinen von Uxmal“, Berlin 1917 p. 154 und
Tafel XXXV, 2). — Allgemein: Preuss „Phallische Fruchtbarkeitsdämonen als
Träger des altmexikanischen Dramas“, Arch. f. Anthr. N. F. Bd. I, Braunschweig
1903, p. 129—188. — Zur Erschaffung der Menschen durch Blutabzapfen aus
Götterphalli vgl. Seler, Ges. Abh. V p. 185. — Zum Zusammenhang von
Blutopfer und Fruchtbarkeitszauber vgl. Codex Borgia 53. — Phalluskult bei
Huaxteca vgl. S a h a g u n. In Chich’en Itzä Viejo haben die Inschriften folgender
Gebäude Angaben über Blutopfer: 1. Mittel = Grashalm, Körperteil — Phallus,
Tropfen auf ersten Mais, erste Bohnen oder beide zusammen, in der Casa de las
Monjas, Casa Colorada, Temple of the Three Eintels, Temple of the Four Eintels
und Yula. 2. Mittel = Knochennadel, Körperteil = Zunge, im Temple of the
Four Eintels und Yula. 3. Mittel = Grashalm, Körperteil — Zunge, Tropfen auf
1351 oder 1352, in Casa de las Monjas und Casa Colorada. 4. Ohrkasteiung im
Temple of the Initial Series. — Problematisch: Akab Tzib. — Beachte Casa Colo-
rada 30, wo Gott „Q“ das Superfix „buul“ führt, wohl das Objekt des „Sehr-
den-Penis-Bohren“.
95 9.14.15.0.0 = 726 n. Chr. — Beachte im Begleittext die Hieroglyphe „Opfer-
Vergießen“ und die Form 167:80, welche beim Zungenopfer des alten Priester-
gottes M. 96b erscheint.
98 Stichproben bei M a u d s 1 a y. Für Yaxchilan vgl. Vol. II, Pl. 80, 82, 84, 86, 88
und 96; für Palenque vgl. Vol. IV, Pl. 61, 62, 77, 82 und 89.
97 Ma.udslay für Copan vgl. Vol. I, Pl. 8, 61, 65, 92, 94, 96 und 98?
98 Vgl. besonders Seler, Ges. Abh. II 717 ff., und Zelia Nuttall „A Peni-
tential Rite of the Ancient Mexicans“, Papers Peabody Mus. Vol. X, Cambridge
1904, die sich u. a. auf Duran, Mendieta, Sahagun, Serna und Tezozomoc be-
zieht. — In Altmexico wurden von den Körperteilen vor allem die Ohren, ferner
Zunge und Phallus betroffen; außerdem fanden Blutabzapfungen statt an Augen-
lid, Fingern, Armen, Brust, Oberschenkel, Schienbein, Waden und Knöchel. —
Als Kastelungswerkzeuge dienten: Obsidianmesser, Agaveblattspitzen, Dolche aus
den zugespitzten Röhrenknochen von Jaguar, Puma oder Adler. — Durch die
Öffnungen wurden Holzstöcke, Rohrstäbe oder Halme in bestimmter Anzahl und
Stärke gezogen. — Die mit dem Opferblut getränkten Objekte (Hölzer, Dornen,
Papierstreifen) bewahrte man z. T. auf, z. T. verbrannte man sie. — Obgleich
häufig QuetzalcouatI als Erfinder der Selbstkasteiung beschrieben wird, muß die
Opferhandlung wesentlich älter sein, da sie schon den Göttern bei der Welt-
schöpfung auferlegt ist.
Zu mexikanischen Opfer- und Kasteiungssymbolen vgl. N o g u e r a „Los Altares
de Sacrificio de Tizatlan, Tlaxcala“, Mexico 1927.
99 Interessant für das Fortleben des Rebusdenkens die Schilderung der Hetzmek-
Zeremonie bei Alfonso Villa „The Maya of East Central Quintana Roo“,
CIW 559, Washington 1945 p. 145.
3 Baeßler III
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
35
THE CONCEPTION OF THE SUPREME DEITY EXPRESSED
IN PRE-COLUMBIAN MEXICAN PICTURE WRITINGS
C. A. BURLAND, F. R. A. I.
Hon. Curator, the Abbey Art Centre Museum, New Barnet, Herts.
Nezahualcoyotl Lord of Tezcuco is often credited with the discovery of
a concept of the Supreme Deity, whom he designated Tloque Nahuaque. When
one reads further on the subject of pre-columbian religion it is rather disturb-
ing to find that Sahagún uses this name as one of the old titles of Tezcatlipoca,
who at the time of the Conquest was regarded both by Mexicans and Tez-
cucans as a supreme power indeed, who might well be called “He of the
immediate vicinity” but who was not truly a creator and was of a terrifying
rather than beneficient character. On the other hand Dr. Eduard Seler working
from the post-Columbian painted codices Rios and Telleriano Remensis brings
forward equally valid evidence that Tloque Nahuaque was used as an epithet
for Ometecuhtli, or Tonacatecuhtli the Lord of Life and creator of all things.
It may be that we shall never be able to prove which of the two quite
different aspects of supreme power was the one intended by Nezahualcoyotl
in his famous hymn, but as a priest of the highest rank he would have known
well enough that there was a power beyond Tezcatlipoca which would in fact
inevitably bring about the return of the beneficient deity Quetzalcoatl, and
who in fact was believed to have Invested the first Quetzalcoatl with supreme
power.
There are three post-Conquest representations of the deity which are the
basis for understanding the pre-Conquest pictures. The major ones are Codices
Rios and Telleriano Remensis. The commentator of Rios is the only one who
reproduces an immediate statement about the single picture of the supreme
deity whom he calls “Hometeule“. He is unaware of Nahuatl and makes the
name mean “God of threefold dignity” or “Three Gods”. It may well be that
he is repeating a statement in the lost Spanish original that this was the same
being as the Blessed Trinity. He goes on to say “Homeiocan, that is to say
the place of the Holy Trinity; who according to the opinion of many of their
old men, begot, by their word Cipatenal and a woman named Xumion; and
these are the pair who existed before the deluge, who begot Tonacatiutle. . .”
This figure (1) is named by a turquoise diadem filled with maize cobs...
Tonacatecuhti” as Seler observed. But the drawing ha as very odd feature
which has hitherto escaped notice, the left leg is clothed with a man’s legging,
but the right is covered by a woman’s enagua (skirt). There is something very
3*
36
Burland, Conception of the supreme deity
curious in this as if the deity were being treated as bi-sexual, and the name
Ometecuhtli Two Lord had some such meeting in the Mexican mind.
We must now follow the pictures in Codex Rios to the first section of the
tonalpohualli divided into a series of thirteen-day periods. This begins with
the day Ce Cipactli and is presided over by Tonacatecuhtli. The picture here
is given quite clearly as that of “Tonacatlecotle” who is shown in completely
male attire. He is seated facing a female deity “Tonacacigua” who wears the
proper feminine skirt. It should be noted here that Tonacatecuhtli has often
been confused with the Fire God, the Old One, Xiuhtecuhtli, but in this picture
Xiuhtecuhtli’s mask appears as Lord of the Night which opens the day Ce
Cipactli, and the face paint of the two gods is quite distinct. The same is also
apparent if one turns to the thirteen-day period beginning Ce Tochtli where
Xiuhtecuhtli rules. His posture, costume and face paint are quite distinct from
those of the Tonacatecuhtli figure.
Now Codex Telleriano Remensis is an earlier document copied from the
same original as Rios, but wanting some pages. The single representation of
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
37
the supreme deity is not present, and half the first page of the tonalpohualli
is missing. Nevertheless, under the painting of “Tonacacigue” we read the
uniquevocal phrases: ’’Dios señor criador gouernador de todo tloque, nauaq,
tlalticpaque, teotlale, matlaua, tepeua. todos estos nonbres arrebuya este dios
tonacateoctle q" era del dios q dizn q" hizo el müdo y aseste sola pinta con
corona como señor sobre todos.” In another somewhat later hand we are
given the information “a este dios nunca le hazian sacrificio porq dizen q no
lo quire, todos los demas a quien sacrificava fueron honbres o a los tienpos
o de mortios.”
There is no question that this caption applied equally to the missing figure
of Tonacatecuhtli as well to the one of Tonacacihuatl which still survives.
The double figure was the representation of the supreme deity, Ometecuhtli
The Two, in His dual form both male and female.
We can now look at our third post-conquest document, this time an original
by an Indian painter with no written commentary of any kind. This is the
Selden Roll, in the Bodleian Library at Oxford. The commencement of the
Roll is a statement that Kingship was conferred upon the first Quetzalcoatl
by the deity above the heavens, The Two. The scene is shown above nine star
decorated heavens, and The Two are each named Ce Mazatl. That this name
is probably an error on the part of the tlacuilo who painted the Roll we shall
see later, but the fact is that he is depicting a duality as the supreme deity,
38
Burland, Conception of the supreme deity
Fig. 3. Tonacatecuhtli. Codes Vaticanus B (3773), 49
unmistakably clothed in Aztec fashion as male and female. This original
drawing is confirmation of the ideas expressed in Rios and Telleriano Remen-
sis. We know now that the Supreme Deity was not an idea evolved in one
place only but at the time of the Conquest must have been known to many
people who had occasion to consult the books of fate. In fact Sahagfin goes
much further, for in his Book VI he tells us that The Two were praised as
the givers of children to mankind at every naming ceremony of a new baby.
In other words this concept of a Supreme Duality was held by all Mexicans
as part of their belief. We should therefore expect to find it recorded in the
pre-Conquest codices. We know exactly where to look for one aspect of this
deity in the Ce Cipactli section of the Tonalpohualli. For other occurrences
we must look for the duality of the deity as being not of life and death like
the famous pictures in Borbonicus and Borgia, but of the male and female
duality.
First then, the tonalpohualli records:
In Codex Borgia, p. 61 (fig. 2) The Two is shown as a single being. They
hold the symbols of priesthood and penance, the incense bag, the bone awl
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
39
Fig. 4. Ometecuhtli and Omecihuatl. Tonalamatl of the Codex Ramirez
and maguey thorn. They are quite distinct again from Xiuhtecuhtli, and from
all the other deities in one peculiar aspect, the posture of the legs. Seen as
if from the front the legs are straddled wide apart and encased in a skirt,
although knee bands, a male ornament are worn.
In the little Vaticanus 3773, p. 49 (fig. 3) we again find The Two in charge
of the period commencing Ce Cipactli; again They are distinct from Xiuh-
tecuhtli, and again, this other single feature representation is distinct from all
the other figures of deities in the tonalpohualli sequence by reason of the
posture, this time squatting with knees spread apart, with a rectilinear jewel-
like ornament or apron in the centre, a skirt covering the thighs, and, beneath,
the end of a male loin cloth.
Unfortunately this page is missing from Codex Borbonicus, but we can see
the Aztec idea o this deity in the Tonalamatl of the Codex Ramirez (which
includes the page missing from the Aubin Tonalamatl) (fig. 4). Here we find
the full duality of Ometecuhtli and Omecihuatl. The face paint is different
from that of Xiutecuhtli. The costumes are in quality rather reflective of
the Aztec social system. Omecihuatl is dressed in a simple robe with a blue
and green jewel at her breast, and a feather crown. She is seated over a stream
of water from which emerges the head of a serpent. Maybe this refers to the
Burland, Conception of the supreme deity
40 ____________________________________________
Fie 5 Xochiquetzal. Codex Laud, 35 Hg. 6 Ikmatecuhtli and Tonacadhuad.
n Codex Fejervary-Mayer, 25
beginnings of creation with serpent, for earth, in the waters, but with more
probability the whole is a symbol of her gifts of fertility; wihout the sym-
bols of destruction which also accompany the waters of the lady Chalchihuitl-
icue on a later page. Ometecuhtli however, is more splendidly adorned. His
most significant ornaments are the blue bird on the front of his headdress,
a symbol of power shared with Xiuhtecuhtli, and probably symbolic of the
highest holiness. On his back he wears the head of an enormous serpent with
a star studded snout.
This is very like the fire serpent associated with Xiuhtecuhtli, but here
there can be no doubt that it represents the Milky Way among the stars which
was the stellar symbol of Ometecuhtli. But the face-paint of The Two is
quite distinct from that of the Fire Lord. One feels that this type of representa-
tion is ancestral to the tonalpohualli in Rios and Telleriano Remensis. One
is led to wonder if the design on the waist cloth worn by Ometecuhtli is a
reference to the place where The Two have their being, Omeyocan marked
with its two dots in a stepped pattern.
All the foregoing representations have been easy to identify because of
their association with the tonalpohualli. They have served to unify the con-
ception expressed in the single and dual representations of The Two, in exactly
the same way as was suggested by the pictures in Codices Rios and Telleriano
Remensis.
Of the other religious codices we can find less evidence. There is no refe-
rence in Cospiano, from the hitherto unpublished Codex Laud (fig. 5) there
is nothing directly forthcoming mainly because of the nature of its subject
matter, but a contributory fragment of evidence comes in the series of nume-
rals from 2 to 26 where, associated with 8, the Lady Xochiquetzal is shown
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
41
seated with legs straddled wide apart in her bird costume. Since this is the
only picture in the series in which no male appears one may take it as a symbol
of self-sufficiency, and as a probably intentional allusion to the attitude of
The Two when represented as a single being. It is in Fejervary-Mayer that
we reach the next clear allusion. And it is here that we part company with
Eduard Seler, for the deities on pp. 23, 24 and 25, lower register, can in no
sense be the gods of six directions. Xiuhtecuhtli, Lord of the Fire and also
of the Centre is missing from them. From the space rulings we may be sure
that this whole series is a unity, but the six directions are adequately accounted
for as far as the earthly directions are concerned by the famous painting of
the Directions of Time on page 1. Neither can we be dealing with heavenly
directions as Mictlantecuhtli figures among them. It cannot be the directions
of the stars because we find neither Quetzalcoatl, nor Tlaloc nor Xiuhtecuhtli
(who are associated with stars at the quarters of the heavens) in their company.
They are a series of pairs of deities of similar and yet opposing character who
in five pictures cover a constantly recurring period of forty days.
To these is added a sixth picture (fig. 6) without day signs at all. It is
a progression in which the apparently numeral dots are really used to repre-
sent days, in sequence but not important to the picture. This explains why
the codices Laud and Fejervary-Mayer employ both dot numeration and the
bar and dot system. The coloured dots represent suns; days.
So we must read our series somewhat as follows:
Cipactli, Ehecatl, Calli, Cuetzpalin, Coatl, Miquiztli, Mazatl, Tochtli. The
picture for these days is of Xolotl (?) facing Xochiquetzal, and the symbol
between them is a bowl of food. The next eight days are Atl Itzcuintli,
Ozomatli, Malinalli, Acatl, Ocelotl, Quauhtli, Cozcaquauhtli. The picture
for these eight days is of Tlazolteotl facing Mictlantecuhtli, and the symbol
a bleeding heart. The next eight days are Olin, Tecpatl, Quiauitl, Xochitl,
Cipactli, Ehecatl, Calli, Cuetzpalin. The picture for these says is Tonatiuh
facing Chalchihuitlicue. There is no need of a symbol between them. The next
eight days are Coatl, Miquiztli, Mazatl, Tochtli, Atl, Itzcuintli, Ozomatli,
Malinalli. The associated picture is of Xochipilli grasping Ixtlilton (?) or
Yoatl (?) by the wrist, and their symbol is a bowl containing jewels of honour.
The next eight days are undivided, they are Acatl, Ocelotl, Quauhtli, Cocza-
quauhtli, Olin, Tecpatl, Quiauitl, Xochitl. Their picture is a terrible one of
the Blue Tezcatlipoca (Huitzilopochtli) facing the blind and dumb form of
the red Tezcatlipoca as Itzcoliuhqui, and their symbol is the sun and snow.
Thus the count of two complete lists of the twenty days is completed, a
duality of days in a sequence of dualities of gods, who, it will be seen, reflect
the nature ascribed to the day signs which are painted in full (the ones under-
42
Burland, Conception of the supreme deity
lined in this list). They are followed by a sixth picture with no day sign.
True there is a skull shown here, but it does not fit the sequence of days;
it is part of a double duality. Upon the skull of death is a butterfly, the
symbol of the fluttering living soul in humanity. The butterfly is held by two
old ones, with female costume, but seated cross legged with knees apart in
masculine fashion. Occasionally, but not frequently one comes across such
costume and posture in Mixtec historical codices among the members of a
given family. It may very well represent homosexual individuals of the well
known American Indian type of transvestites. (Here is another linkage with
Navajo Indian thought where transvestites are treated with respect and are
often the greater shamans.) Thus this final picture is a mass of dualities and
there is no reason to doubt that it refers to The Two. In nature it expresses
with pictorial poetry that They, The Old Ones, Timeless without Days, both
Male and Female Each to Each Equal are the Beings who in their hands
hold Life, the Thought within the bony skull, the spirit which arises above
the dead. One wonders if this sequence of forty days divided into stages
until one reaches the supreme mystery of The Two is a list of a programme
of meditation for priests, or simply another complication in the divinatory
system of ancient Mexico. It certainly shows that the fantastic religion was
no mere barbarism, but that high and true philosophy had its place in the
ancient Mexican conception of the nature of being.
Our next move should be to continue from the representation of the Two
in the Selden Roll at Oxford and see if it can be traced in other documents
closely related to the Mixtec styles of art, and in Mixtec historical documents.
As Dr. Caso has shown us Codex Gomez de Orozco is a fragmentary document
related to the Selden Roll, but here the upper part of the picture of the
heavens is so badly damaged that apart from some trace that there were
pictured beings there, above the stars, we have no knowledge of their nature,
nor if they were named. In Codices Bodley and Selden, creation has already
begun, and the same applies, at a much later date to Codices Zouche-Nuttall,
and Becker I and II and Colombino. However the magnificent Codex Vindo-
bonensis has a different story to tell, which reveals the confusion of name
given to the Two by the painter of the Selden Roll.
In Vindobonensis the story begins on p. 52. It is a presentation of history
from the Creation, and goes through the Toltec empire on to the story of the
Mixtecs, on the verso side the Mixtec story is hurriedly drawn to cover the
last three dynasties of Tilantongo, of which the very last one is reduced only
to the name-symbols of the chiefs. It looks as if an ancient document has been
brought up to date on at least two occasions; and this process was probably
begun well before the time of Nezahualcoyotl Lord of Texcuco. It is in the
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III / 43
Fig. 7. The Two. Fig. 8. The Two.
Codex Vindobonensis, 52 Codex Vindobonensis, 49
older side of the document, at the very beginning that we find the clear
references to The Two.
The lines which direct the story to be read in certain directions are so
placed that one must begin to read on the lower left-hand section of p. 52,
and at the top of this column one must note what is said on both the right
where there is something like a list of created things, and on the left where
the story leads on into the phases of creation and the history of Quetzalcoatl.
The story, following this arrangements begins with two temple pyramids
(fig. 7) upon which we find The Two, nameless, and enthroned, male and
female. It is in the following picture that we find them invested in feather
headdresses like flames, and seated above the stars. It is as if we are told that
They were alone before the heavens were created, and that after the Creation
they were in Omeyocan, above the stars. On the left we see the symbols of
created things, Darkness and the Stars, sacrificial knives, Morning Star spears,
temples, cities and thrones, shortly after on the other column we find two
Burland, Conception of the supreme deity
Fig. 9. The Two and Quetzalcoatl. Codex Vindobonensis, 47
beings called Ce Mazatl, but they have fleshless lower jaws and they are
earth or death deities, so it becomes obvious that they are named by mistake
in the Seiden Roll where these names are attached to The Two beyond the*
heavens.
On p. 49 in Vindobonensis The Two appear when the earth gives birth to
Maize (we shall note a Maya parallel to this later) (fig. 8), on p. 48 they are
also seated nameless, on either side of Quetzalcoatl. The date symbole denote
the day of the sanctifying of Quetzalcoatl, and The Two are both in male
form wearing their feather flame headdresses and bestow the symbols of
power on Quetzalcoatl. Once more on p. 47 they face him in the same head-
dresses but in male and female costume (fig. 9). They do not appear again
in the Codex. The story continues on an earthly plane until the Spanish
Conquest.
Thus from Mixtec sources we see that the sublimity of conception which
postulated a Supreme Duality beyond the heavens was probably recorded in
the earlier part of Codex Vindobonensis at a time earlier than that of Neza-
hualcoyotl of Tezcuco. It makes it perfectly clear that the idea was common
to the Mixtecs as well as the Aztecs, and the association with Quetzalcoatl
probably links it with a Toltec religious concept.
The other possibility to explore is the quality of similar religious thought
expressed in quite different outward forms among the Maya. Seler saw this
clearly when discussing the day-signs of ancient Middle American civilisations,
and very few since then have bothered to explore this intellectual bridge
between the Mexican and Maya civilisations. It was not the original intention
even of this paper, but in Walter Krickeberg’s book „Felsplastik und Fels-
bilder bei den Kulturvölkern Altamerikas“; Band I, is Tafel 39. Flere from
Stela 4 at Yaxchilan, Chiapas, is a drawing.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
45
Fig. 10. The First Human Pair. Fig. 11. The First Human Pair.
Codex Vaticanus B (3773). 28 Codex Borgia, 61
In this Maya picture the sky serpent with double head, each head flanked
by two other heads, and its body marked by the planetary symbols, holds up
a divine image. The mask is the face of the sun-god identified by his filed
tooth, but he is here also the Maize God .. . for from his head projects the
cotyledon of the growing maize, and beneath his neck hangs the cross-band
glyph associated with the figures of the Maize god from Copan ... He is
flanked by two nearly square bands marked with stone-like symbols, with
flames projecting from the rounded corners, within them are two high deities
magnificently clothed. Each carries a staff with a mask and scrolls project
from its mouth. The staff is rather like half of the sky band, but it may repre-
sent a torch bearing the mask of the fire god. These deities are one male and
one female. It seems that here we have a Maya parallel to the little picture
on p. 49 of Vindobonensis, and that the Maya also had a concept of The
Two, who like the Aztec Tonacatecuhtli and Tonacacihuatl were Lords of Our
Food, and maybe the masks on the torch-like staff indicate a thought that
The Two sometimes manifested masked as fire.
So, on the whole, it looks as if the Concept of the Supreme Duality was
widespread in Middle America and meant a great deal to many people in the
events of daily life. They believed that The Two were givers of life, of food,
of babies. This inner mystery of life was seen as something beyond the terrify-
ing powers of nature. Only in one matter of life were humans in direct contact
with the Two; in the Mexican tonalpohualli the representation of the Supreme
Deity is fronted by a picture of man and woman in sexual union. Most
modestly is this always done; the painter either utilises the euphemism „they
were covered with the same blanket“ (fig. 10), or „their tongues were joined“
(fig. 11); and this respect for an inner mystery which resulted in new living
beings being brought into the world was expressed both in the thanks given to
The Two at the naming of babies, and also in these representations of the first
46
Burland, Conception of the supreme deity
human pair united before God. People able to see life in such terms, whatever
their cruelty in magic, or however simple their technology can hardly be
looked upon as either debased or inhuman. They were in fact a cultured and
intelligent people and their religion had a great philosophical understanding
of the nature of Creation.
SELECT BIBLIOGRAPHY
^ 3 m 1899. Codex Telleriano-Remensis. Manuscrit Mexicain du cabinet de Ch.-M.
le Tellier, Archevêque de Reims à la Bibliothèque Nationale. (Ms. Mexi-
cain No. 385.) Reproduit en photochromographie aux frais du Duc
de Loubat, précédé d’une introduction contenant la transcription com-
plète de anciens commentaires Hispano-Mexicains (Paris).
de Loubat, Due.
1900. Il Manoscritto Messicano Vaticano 3738 detto il Codice Rios riprodotto
in fotocromografia a spese di sua Eccellenza il Duca di Loubat per cura
della Biblioteca Vaticana (Roma).
5 6 l C r1900—1901-^ The Tonalamatl of the Aubin Collection: An Old Mexican
picture manuscript in the Paris National Library (Manuscrits Mexicains
Published at the Expense of his Excellency the Duke of
Loubat (Berlin and London).
1901—1902. Codex Fejervary-Mayer: An Old Mexican Picture Manuscript
in the Liverpool Free Public Museums (12014/M.). Published at the
Expense of His Excellency the Duke of Loubat (Berlin and London).
!902—1903 Codex Vaticanus No. 3773. (Codex Vaticanus B.) An Old Mexi-
can Pictorial Manuscript in the Vatican Library. Published at the
Expense of His Excellency the Duke of Loubat (Berlin and London).
1904 Codex Borgia. Eine altmexikanische Bilderschrift der Bibliothek der Con-
gregatio de Propaganda Fide. Herausgegeben auf Kosten Seiner Excellenz
des Herzogs von Loubat (Berlin).
Lehmann, Walter, und Smital, Ottokar ......
1929 Codex Vindobonensis Mexic. 1. Faksimileausgabe der Mexikanischen
Bilderhandschrift der Nationalbibliothek in Wien (Wien).
Krickeberg, W alter
1949 Felsplastik und Felsbilder bei den Kulturvölkern Altamerikas mit be-
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f.sn Alfonso. . .
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England (Santa Fe).
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cana Bd. II. Herausgegeben von der Ibero-Amerikanischen Bibliothek,
Berlin. [In press] (Berlin).
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
47
DER JAHRESANFANG BEI DEN MIXTEKEN
ALFONSO CASO, Mexico D. F.
Die Frage, ob die Völker Mesoamerikas ihre Jahre mit dem jeweiligen
Namen des Anfangstages oder mit einem davon verschiedenen Tage begannen,
läßt sich nicht in genereller Form beantworten, sondern wir müssen für jeden
einzelnen Fall die Dokumente befragen, vor allem jene mixtekischen Bilder-
schriften, die bis vor wenigen Jahren nicht gelesen werden konnten und die
uns jetzt nicht nur historische Aufschlüsse zu geben vermögen, insbesondere
solche, die sich auf Genealogien der Fürstenhäuser beziehen, sondern auch wich-
tige Daten über die matrimonialen Regimes, die Bräuche bei der Wahl eines
Herrschers und — wie in dem Fall, den wir jetzt behandeln wollen — über
Schrift und Kalender1.
In früheren Arbeiten hatten wir vermutet, daß die Mixteken ein ähnliches
System wie die Azteken bei der Zählung ihrer Jahre befolgten, anders aus-
gedrückt; daß sie das Jahr nicht mit dem Tage seines Namens begannen, son-
dern ihre Jahre nach dem letzten Tage des letzten Monats benannten, d. h. mit
dem Tage, der im Jahre die 360. Position einnahm2.
Die fortschreitende Erforschung der mixtekischen Codices macht uns jetzt
geneigt, zu glauben, daß in besagten Codices das System, die Jahre nach ihrem
Anfangstag zu benennen, befolgt wird, wie es <lie Maya taten. So würde z. B.
das „1 Rohr“ benannte Jahr mit dem Tag „1 Rohr“ beginnen, das Jahr
„2 Feuerstein“ mit dem Tag „2 Feuerstein“ usw. usw.
Das, was uns zu diesem Schluß geführt hat, ist die Analyse der Seiten 44
bis 84 des Codex Nuttall, auf denen die Geschichte der Kriegszüge des großen
Eroberers „8 Hirsch-Tigerklaue“ enthalten ist, die fast die gesamten Rückseiten
des erwähnten Codex einnimmt. Es handelt sich hier um Begebnisse, die sich
zwischen den Jahren „5 Rohr“, 1043, und „12 Kaninchen“, 1050 n. Chr., d. h.
in einem Intervall von acht Jahren ereignet haben3.
Aus anderen Manuskripten und aus dem gleichen Codex Nuttall wissen wir,
daß „8 Hirsch“ im Jahre „12 Rohr“ 1011, geboren wurde (Vindobonensis
1 A. Caso, El Mapa de Teozacoalco. Cuadernos Americanos. Mexico, 1951.
Explicación del reverso del Codex Vindobonensis. Memorias del Colegio. Tomo V.
No. 5. Mexico 1951.
* A. Caso, La Correlación de los Años Azteca y Cristiano, Revista Mexicana
de Est. Antrop. Tomo III. Mexico 1939.
s A. Caso, Correlación de los Años mixtéeos y cristianos. Memorias del Colegio
Nacional.
48
Caso, Jahresanfang bei den Mixteken
VII—3, Bad. 7—V, Nutt. 26—11 und 43—1) und daß er in einem anderen Jahr
„12 Rohr“ stirbt, 1063, an einem Tag „Malinalli“ (Bod. 14—V, Vind. IX—2).
Folglich müssen alle Daten, die Ereignisse aus seinem Leben berichten, in den
52 Jahren und Tagen einbegriffen sein, die zwischen dem Datum seiner Geburt
und dem seines Todes liegen, d. h. zwischen 1011 und 1063.
Die Seiten 44 bis 84 des Codex Nuttall berichten eine zusammenhängende
Geschichte, in welcher die Begebnisse häufig in chronologischer Ordnung erzählt
werden. Trotzdem gibt es verschiedene Daten, die diese Regel nicht befolgen.
Von den 105 Daten, die auf diesen Seiten enthalten sind, stehen 60 bis 70 in
chronologischer Anordnung, die anderen nicht. Daran mögen in einzelnen Fällen
Irrtümer des Schreibers die Schuld tragen und in anderen Fällen Mängel der
Reproduktion. Doch zweifellos gehorcht die Mehrzahl der Daten, die nicht in
chronologischer Anordnung stehen, einem anderen Grunde.
Unten stellen wir eine Tafel zusammen, auf der alle Daten mit Jahr und
Tag angegeben sind und die Stellung des Tages im Jahr gemäß beiden Sy-
stemen, zuerst mit der Annahme, daß die Mixteken, wie es nach meiner Mei-
nung die Tenochcas taten, den Tag, der dem betreffenden Jahr den Namen
verleiht, an 360. Stelle setzten (System A), und in der folgenden Kolumne sind
die Positionen der Tage im Jahre verzeichnet, unter der Voraussetzung, daß die
Mixteken das Jahr mit dem Tag seines Namens begannen (System B)4 5.
Manchmal erscheinen in einer Kolumne zwei Positionen, z. B. 60 oder 320,
infolge der Tatsache, daß dieser Tag sich während des Jahres wiederholt und
die Positionen 60 und 320 einnimmt.
Ein N nach dem Datum sagt an, daß dieses nicht in chronologischer Folge
steht gemäß der korrekten Lesung der Handschrift. In einigen Fällen haben wir,
obwohl ein Datum möglich ist, es vorgezogen, ein N zu schreiben, damit spätere
Daten jedenfalls in der laufenden Ordnung erscheinen.
4 Andere Daten in Verbindung mit 8 Hirsch-Tigerklaue finden sich Im Nuttall:
S. 26. Jahr 12 Rohr, 1011, Tag 8 Hirsch: Geburt von 8 Hirsch-Tigerklaue.
Das gleiche wird gesagt auf S. 43.
S. 26. Jahr 13 Rohr, 1051, Tag 12 Schlange: Eheschließung mit 13 Schlange.
S. 27. Jahr 2. Haus, 1053, Tag 3 Hirsch: Ehe mit 6 Adler.
S. 43/44. Jahr 7 Rohr, 1019, Tag 10 Geier; im Alter von 9 Jahren erobert er
5 Städte.
S. 44. Jahr 2 Rohr, 1027, Tag 10 Blume: im Alter von 17 Jahren erobert er
„Llano de Quetzales“.
S. 44. Jahr 6 Rohr, 1031, Tag 6 Schlange: Tod von 3 Eidechse, Feuerstein-
Halsband, „Señor de Cráneo“. (Siehe auch Bodley 9-IV) Opfer an die Sonne.
S. 44. Jahr 1 Rohr, 1039, Tag 6 Wasser: Mit 29 Jahren erobert er die Ort-
schaft „Der blaue Vogel“.
Der Codex Bodley gibt an, daß 8 Hirsch im Jahre 12 Rohr, 1063, stirbt, am
Tage 1 Gras.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
49
Tabelle I
Fechas en las páginas 44 a 83 del Còdice Zouche-Nuttall
Pág. Año Día Día anual Día anual
el 360° el Io
44 5 Caña, 1043 22 Fechas 6 en orden 8 en orden
Sistema A. Sistema B.
2 Agua 136° 37°o 296
45 2 Flor 227° 128°
13 Movimiento 264° 165°
7 Lagartija 271° 172°
7 Zopilote 323° 224°
3 Movimiento 124° N 285°
46 13 Lluvia 186° N 347°
4 Caña 60°o 320° N 221° N
5 Viento (Rep.) 9°o 269° N 170° N
1 Lagarto 148° N 49°o 309 N
7 Flor (Repet.) 167° N 68°o 328 N
12 Lluvia 146° N 47°o 307 N
47 5 Viento (Rep.) 9°o 269° N 170° N Nombre de persona?
5 Aguila 22°o 282° N 183° N Nombre de persona?
9 Movimiento 104°o 364° 5°o 265° N Nombre de persona?
9 Conejo 195° N 96°o 356° N Nombre de persona?
6 Flor 127° N 28°o 288° N Nombre de persona?
7 Lagarto 128° N 29o° 289° N Nombre de persona?
13 Casa 30°o 290° N 191°
7 Flor (Repet.) 167 N 68°o 328 N
48 7 Movimiento 24 o 284 N 185° N
10 Hierba 79 o 339 N 220° N
48 6 Federn., 1044 12 Fechas 2 en orden 2 en orden
11 Muerte 248 149 N
3 Venado 149 N 310 N
10 Conejo 130 N 291 N
12 Perro 132 N 293 N
3 Tigre 136 N 297 N
4 Flor 202 N 103 o 363
49 9 Flor 142 N 303 o 368 N
6 Lagartija 126 N 287 N
10 Serpiente 247 N 148 N
7 Pedernal 140 N 41 o 301 N
11 Viento 144 N 305 N
50 4 Pedernal 20 o 280° 181 N
50 7 Casa, 1045 13 Fechas 11 en orden 13 en orden
9 Serpiente O O 3°o 263°
51 11 Venado 104° 5°o 265°
11 Lluvia 156° 57°o317°
52 10 (12?) Flor 157° 58°o 318°
13 Lagarto 158° 59°o 319°
1 Viento 159 60 o 320
Colombino
XIII—40,41;
Bod. 9—2
4 Baeßler III
50
Caso, Jahresanfang beiden Mixteken
Pag. Año Día Posición del Posición del
día en el año. día en el año.
52 7 Casa, 1045 Sistema A. Sistema B.
53 4 Serpiente 162 63 o 323
7 Conejo 165 66 o 326
8 Agua 166 67 o 327
7 Flor 217 118
9 Lagarto 258 159
4 Pedernal 175 N 76 o 336
1 Lagarto 198 N 99 o 359
68 8 Conejo, 1046 55 Fechas 25 en orden 28 Fechas en orden
Sistema A. Sistema B.
4 Viento 174 75 Bod. 9—1
5 Casa 175 76 Colombino XVIII
6 Lagartija 176 77 „
7 Serpiente 177 78
8 Muerte 178 79 „
9 Venado 179 80 „
69 10 Conejo 180 81 „
11 Agua 181 82 ,,
2 Caña 185 86 „
70 9 Serpiente 257 158
2 Movimiento 289 190 N
71 8 Aguila 347 248 N
12 Aguila 147 N 148 N
11 Serpiente 337 38
13 Lluvia 131 N 32 o 292 N
7 Hierba 164 N 65 o 325 N
5 Lluvia 71 o 331 N 232 N
1 Tigre 106 N 267 N
72 2 Aguila 107 N 268 N
7 Tigre 86 o 346 N 247 N
12 Hierba (Rep.)104 o 364 N 5 o 265 N
4 Mono (Rep.) 83 o 343 N 244 N
11 Perro 142 N 43 o 303 N
13 Venado 79 o 339 240
1 Conejo 80 o 340 241
2 Agua 81 o 341 242
3 Perro 82 o 342 243
4 Mono (Rep.) 83 o 343 244
6 Casa 85 o 345 246
73 8 Aguila 37 o 347 248
9 Zopilote 88 o 348 249
10 Movimiento 89 o 349 250
11 Pedernal 90 o 350 251
12 Lluvia 91 o 351 252
5 Lagartija 136 N 37 o 297
4 Mono (Rep.) 83 o 343 N 244 N
10 Flor 232 o 343 N 133 N
10 Venado 219 N 120 N
3 Zopilote 108 N 9 o 269
4 Movimiento 109 N 10 o 270
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
51
Pág. Año Día Posición del día en el año.
68 8 Conejo 1046 Sistema A. Sistema B.
74 7 Flor (Repet.) 112 N 13 o 273
2 Perro 42 o 302 N 203 N
12 Hierba (Rep.) 104 o 364 5 o 265 N
11 Mono 103 o 363 N 4 o 264 N
2 Mono 3 o 263 N 164 N
9 Tigre 166 N 67 o 327
4 Venado 239 N 140 N
75 10 Serpiente 37 o 297 N 198 N
11 Muerte 38 o 298 N 199 N
12 Venado 39 o 299 N 200 N
76 11 Movimiento 129 N 30 o 290 N
13 Aguila 27 o 287 N 188 N
8 Muerte 178 N 79 o 339
12 Agua 221 N 122 N
7 Flor (Repet.) 112 N 13 o 273 N
76 9 Caña 1047 12 Fechas 7 en orden 10 en orden
4 Lagarto 108 9 o 269
12 Muerte 233 N 134 N
9 Hierba 139 40 o 300
77 9 Serpiente 152 53 o 313
11 Venado 154 55 o 315
11? Conejo (12) 155 56 o 316
78 7 Movimiento 124 N 25 o 285
7 Perro 137 N 38 o 298
79 9 Hierba 139 N 40 o 300
11 Hierba 219 N 120 N
3 Mono 198 99 o 359
80 6 Tigre 201 102 o 362
80 10 Pedern. 1048 7 Fechas 5 en orden 6 en orden
8 Aguila 137 38 o 298
8 Conejo 150 51 o 311
81 11 Muerte 88 o 348 249
1 Agua 91 o 351 252
9 Movimiento 99 o 359 260
Becker VII 7 Flor 162 N 63 o 323
82 2 Pedernal 60 N 201 N
82 11 Casa 1049 2 Fechas 2 en orden 2 en orden
(dice 10 Casa)
11 Casa 1049
82 6 Tigre 251 152
83 12 Mono 88 o 348 249 Becker Vili;
Bod. 34—V
4'
52
Caso, Jahresanfang bei den Mixteken
Pag. Año
Día
Posición del día en el año.
83 12 Conejo 1050 4 Fechas 2 en orden 3 en orden
Sistema A. Sistema B.
83 6 Serpiente 237 138 Becker XI—2
84 1 Caña 245 146
9 Viento 214 115 N
2 Zopilote 168 69 o 329
In der folgenden Tafel II haben wir die Ergebnisse zusammengefaßt. Tabelle II
Año Fechas Fechas en orden Fechas en orden
Sistema A. Sistema B.
5 Caña 22 6 8
6 Pedernal 12 2 2
7 Casa 13 11 13
8 Conejo 55 25 28
9 Caña 12 7 10
10 Pedernal 7 5 6
11 Casa 22 2 2
12 Conejo 4 2 3
Total: 105 60 70
Die Resultate der Tafel sind nicht sehr überzeugend, obwohl es noch zehn
weitere Daten gibt, die in der Ordnung verbleiben, wenn die Mixteken ihre
Jahre mit dem Tag des gleichen Namens begannen (System B).
Doch können wir eine andere Betrachtung anstellen. Es scheint natürlich,
daß die ersten Daten in jedem Jahr frühe Positionen im Jahre einnehmen und
daß mit fortschreitender Lektüre die Daten spätere Positionen einnehmen, und
dies geschieht häufiger im System B als im System A.
Eine andere zusätzliche Überlegung bietet im Codex Vindobonensis die Fülle
der Daten, bei denen wir den gleichen Namen für Jahre und Tage haben, die
neue Jahre zu bezeichnen scheinen. Schon auf Seite 50 ist anscheinend in
bezug auf den Anfang der Zeiten der Tag „5 Feuerstein“ des Jahres „5 Feuer-
stein“ erwähnt. Dies will möglicherweise besagen, daß man die alte Ära auf
einen Tag „4 Bewegung“ eines Jahres „4 Rohr“ endigen ließ.
Das gleiche Datum sehen wir auf Seite 47, und dort befindet sich auch das
Jahresdatum „7 Rohr“ mit dem Tagesdatum „7 Rohr“, Daten, die auch auf
Seite 46 erscheinen. Auf der gleichen Seite finden wir das Jahr „4 Kaninchen“
und den Tag „4 Kaninchen“, auf Seite 48—III: Jahr „1 Kaninchen“, Tag
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
53
„1 Kaninchen“, auf Seite 48—IV: Jahr 7 Rohr, Tag 7 Rohr, das auch erwähnt
wird auf Seite 44—III, 44—IV, 43—II und auf dieser gleichen Seite und
Kolumne das Jahr 2 Rohr, Tag 2 Rohr, auf Seite 43—IV 5 Feuerstein, Tag
5 Feuerstein; in derselben Kolumne: Jahr 1 Kaninchen, Tag 1 Kaninchen. Die-
selben Daten befinden sich auf Seite 42—1, auf Seite 42—II: Jahr 1 Kaninchen,
Tag 1 Kaninchen und Jahr 7 Feuerstein, Tag 7 Feuerstein, auf Seite 42—III
Jahr 1 Kaninchen, Tag 1 Kaninchen, auf Seite 41—I Jahr 2 Rohr, Tag 2 Rohr,
auf 40—I: Jahr 7 Rohr, Tag 7 Rohr, das gleiche auf Seite 40—III, auf Seite
40—IV: Jahr 2 Rohr, Tag 2 Rohr; auf Seite 39—I Jahr 7 Rohr, Tag 7 Rohr,
das gleiche auf Seite 39—II und 39—III, auf Seite 39—IV: Jahr 5 Feuerstein,
Tag 5 Feuerstein, auf Seite 38—I: Jahr 2 Rohr, Tag 2 Rohr, Jahr 7 Rohr, Tag
7 Rohr, auf Seite 24—II: Jahr 5 Feuerstein, Tag 5 Feuerstein, auf Seite 11—II:
Jahr 5 Feuerstein, Tag 5 Feuerstein, auf Seite 2—II: Jahr 1 Kaninchen, Tag
1 Kaninchen und auf Seite 1—I das gleiche Datum.
Selbst wenn es viele andere Daten in diesem Codex gibt, die nicht das gleiche
Tages- und Jahresdatum ansagen, so scheint doch die Fülle von Daten dieser
Art, zusammen mit dem, was wir im Codex Nuttall sahen, darauf schließen
zu lassen, daß die Mixteken das Jahr mit einem Tage gleichen Namens be-
gannen. Die Beispiele, die wir analysiert haben, sind noch nicht abschließend,
lassen es aber doch wahrscheinlicher erscheinen, daß die Mixteken, die, vom
kulturellen Gesichtspunkt aus, auf das innigste mit den Azteken verknüpft
waren, das System befolgten, die Jahre nach dem ersten Tag des Jahres, wie die
Maya, zu benennen, und daß dagegen die Einwohner von Tecamachalco3 das
gleiche System wie die Azteken von Tenochtitlan pflegten.
Vermutlich können künftige Untersuchungen auf diesem Gebiete uns eine
exaktere Kenntnis dieses wichtigen Problems vermitteln.
5 A. Caso. — La Correlación de los años Azteca y Cristiano, Revista Mex. de Est.
Antrop. Tomo III. México, 1939.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
55
NEUE FUNDPLÄTZE PERUANISCHER FELSBILDER
H. D. DISSELHOFF, Berlin
Folgender Aufsatz enthält einen vorläufigen Bericht über neue Felsbilderfunde in
Peru während einer Forschungsreise des Verfassers im Jahre 1953 mit Unterstützung
der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei.
Die Möglichkeit eines längeren Aufenthaltes in Peru mit der Aufgabe, alte Verbindun-
gen zwischen Sierra und Küstenzone zu erforschen, einschließlich der Bestreitung von
Ausgrabungskosten, verdanke ich einem Stipendium der Axel-Wenner-Gren-Founda-
tion, der ich ebenfalls noch einmal meinen herzlichsten Dank ausspreche.
Die Fülle der Felszeichnungen im inneren Südamerika zwischen dem 2. und
4. Grad nördlicher Breite hat schon Alexander von Flumboldts Beachtung ge-
funden. „Die Zeichenfelsen Columbiens“ hat zu seiner Zeit Adolf Bastian
beschrieben. Über südandine Felsbilder haben uns u. a. A. Plagemann und
E. Boman orientiert, über patagonische Petroglyphcn argentinische Forscher,
zuletzt O. F. A. Menghin. Obwohl Felsbilder des mittleren Andengebietes in
verschiedensten schwer zugänglichen peruanischen Schriften öfter erwähnt sind,
weiß man doch über peruanische Felsbilder vielleicht am allerwenigsten.
Ich selbst sah im Jahre 1938 ein einziges Felsbild, in dem ich seinerzeit
Chavin-Elemente vermutete1. Der betreffende Bilderfelsen befindet sich im
oberen Chicama-Tal in der Nähe der Hacienda Pampas de Jaguey, oberhalb
eines alten Aquäduktes. Das dortige „abstrakte“ Bild kann ich in genauer
Umzeichnung nach einer 1953 auf genommenen Photographie wiedergeben
(Abb. 1). Einen ähnlichen Stil zeigt eine der Petroglyphen-Gruppen bei der
kultischen Wasserleitung oberhalb Cajamarca auf dem Cumhemayo. — In-
zwischen ist längst Krickebergs großes Werk über altamerikanische Felsplastik
und Felsbilder erschienen, in dem der Verfasser für den Bereich der peruani-
schen Westkordillere neun verschiedene Fundstellen von Felszeichnungen an-
gibt. In Wirklichkeit existiert eine ganze Reihe mehr, und täglich können neue
entdeckt werden1 2.
Im Chicama-Tal fand ich 1953, an der rechten Seite des Flusses gelegen,
also am anderen Ufer als das oben erwähnte Felsbild von Pampas de Jaguey,
ein einziges, sehr verlöschtes Vogelbild (Abb. 2) auf einem Sieinblock, ebenfalls
im oberen Chicama-Tal, in der Nähe eines kultischen Baues aus Adobe und
Stein, der Huaca de la Cruz Colorada. Auf eine im gleichen Tal, aber viele
1H. D. Disselhoff: Sogenannte Chavin-Gefäße im Berliner Museum für
Völkerkunde. Baessler-Archiv Bd. 28. Berlin 1940. S. 40.
2 W. Krickeberg: Felsplastik und Felsbilder bei den Kulturvölkern Altamerikas.
Bd. 1. Berlin 1949. S. 50 ff.
56
Disselhoif, Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder
gruppe komme ich weiter unten zurück.
Die bei Krickeberg als erste angegebene perua-
nische Fundstelle von Felsbildern am Yonan-Paß
(genauer gesagt: an der Abzweigung der Quehrada
de Chaucis vom Jequetepeque) habe ich eoenfalls
während meines Peru-Aufenthaltes 1953/54 ver-
schiedene Male besichtigt. Die mannigfaltigen Bilder
dort sind in den gewachsenen Fels und in Stein-
blöcke eingeritzt, seltener gemeißelt. Am auffällig-
sten sind Reihen hufeisenförmiger Zeichen und in
den Felsen gehauene Näpfe, wie sie auch anderwärts in der Verbindung mit
Felsbildcrn verkommen. Da der Felsbilderhügel von Yonan dicht an der
Landstraße liegt, die von Pacasmayo nach Cajamarca hinaufführt, gehört
diese Bildergruppe zu den allerbekanntesten in
ganz Peru. Leider sind aber deshalb durch Neu-
hinzufügungen, die nicht immer gleich leicht als
solche erkennbar sind, alte Bilder manchmal
Abb. 2 u
Höhe: 43 u.
Höhe: ca. 40 cm
Höhe: 55 cm
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
57
modifiziert. Oft ist der Gesamtkomplex durch neue Bilder gestört. Drei
Dinge möchte im im Zusammenhang mit der reichhaltigen Bildgruppe von
Yonan vermerken:
1. Offenbar sind Passanten zu verschiedenen Zeiten bis auf den heutigen Tag
durch die bestehenden Bilder immer wieder angeregt worden, mit eigenen
Zeichenkünsten zur zweifelhaften Bereicherung der Galerie beizutragen. Vor-
aussetzung war natürlich, daß bereits jegliche religiöse Scheu vor den Bildern
verschwunden war. Solch ein Nachahmungstrieb, eine allgemein menschliche
Eigenschaft, mag auch zuweilen bei anderen Felsbildergruppen Perus — wenn
auch nicht im gleichen Maße wie in Yonan — mitgewirkt haben,
2. Unter den Felsbildern von Yonan befinden sich einige, die sich stilistisch
an die Darstellungsweise der späten Chimu anschließen, wodurch wenigstens
teilweise ein Anschluß an eine festliegende Datierung gegeben ist (Abb. 3). Nach
einer solchen Stilgleichung muß auch bei anderen Felsbildergruppen gesucht
werden.
3. Fraglos führte einer der wichtigsten alten Wege von der Küste nach
Cajamarca durch das Jequetepeque-Tal. Wie die Bildfelsen von Yonan an
einer alten Verbindungsroute zwischen Sierra und Küste liegen, so scheint auch
ein Großteil anderer südamerikanischer Felsbilderfundstellen mit alten Wegen
verknüpft zu sein3. Diese Frage sollte man im Auge behalten.
Auf der ganzen Wegstrecke zwischen Pacasmayo und Cajamarca mögen sich
in verschieden weiten Abständen Felsbilder finden lassen. Vereinzelte sah ich
auf einzelnen Felsblöcken unweit der Autostraße, die auf dieser Strecke am
rechten Flußufer entlangführt, oberhalb der Eisenbahnstation Paypay. Eine
größere Gruppe von Felsbildern, die diesmal mit einer alten Kultstätte ver-
knüpft zu sein scheint, wurden mir von Don Oscar Lostaunau aus Guadelupe4
auf dem kleinen Granitsteinhügel von San Simon, ebenfalls auf dem Nordufer
dcsjequetepeque und unweit der heutigen Autostraße nach Cajamarca gezeigt.
Mit einer weiteren, bisher unbekannten Gruppe machte mich ein junger
Mann aus der Ortschaft Tcmbbdera, etwa 5 km unterhalb Yonan, bekannt*
3 Ober Petroglyphen in der Nähe von alten Straßen Nordchiles, wo eine Straßen-
strecke sogar „Camino de los pintados“ genannt wird, vgl. Hans Hellfritz:
Chile, gesegnetes Andenland. Zürich u. Stuttgart 1953. S. 212 ff. — Für Brasilien
wird das Gleiche behauptet, vgl. Edmund Döppen schmitt: Prähistorische
Straßen Brisiliens, in „Südamerika“ V. Jahrg. Nr. 2. S. 132 ff. Buenos Aires 1954
— Was Südperu betrifft, so hat der Archäologe J. M. Morante von der Uni-
versität Arequipa, der mehrere Felsbilder-Gruppen im Departament Arequipa in
seiner Doktor-Dissertation beschrieben hat, die Idee, daß die Felsbilder an Wander-
wegen entstanden.
4 Herr Lostaunau war mein Assistent bei Ausgrabungen in der Provinz Pacasmayo.
Er ist der bestellte „Inspector de Arqueologia“ in dieser Provinz, und ich habe
seiner Hilfsbereitschaft und Landeskenntnis viel zu verdanken.
58
Disselhoft, Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder
Die Felsbilder befinden sich auf der anderen Seite des Jaquetepequeflusses,
gegenüber Tembladera. Der Ort beißt „El Mosquito“. Wir mußten den Fluß
durchwaten, um auf das steile linke Flußufer zu gelangen. Im Hintergrund
einer mit Steinblöcken bestreuten Ebene (Taf. 1, a) sind einige Ackerbau-
terrassen zu sehen. In der Mitte der Ebene kennzeichnet ein Stufenbau aus Erde
und Feldsteinen mit zwei Plattformen irgendeine Kultstätte. Die Bilder auf den
verstreuten Felsblöcken sind oft einzeln angebracht. Ich sah Spiralen, Kreise,
rudimentäre Schlangen und Eidechsen sowie die üblichen Männchen. Am sehens-
wertesten aber ist fraglos eine großlinige Figur, die eine Seite eines 2 Meter
hohen Blockes vollständig einnimmt. Ihre geschweiften Linien scheinen meist
Teile eines Wales darzustellen (Taf. II, a). Auf der Abbildung läßt sich nicht
erkennen, daß Gesteinsadern auf der Oberseite des Steinblockes in das System
der Ritzzeichnung einbezogen sind. Die Voluten scheinen mir auf jeden Fall
in die Ära des Chavinstiles zu gehören. Dazu paßt ein Bügelgefäß aus schwarz-
bräunlichem Ton mit wuchtigem Ausguß und dornenartigem Besatz auf dem
Gefäßbauch, das am gleichen Ort — wahrscheinlich mit mehreren anderen —
an der gleichen Stätte gefunden wurde. Es war in der Regenzeit von einer
Wasserströmung aufgedeckt worden. Ich sah das Gefäß in Tembladera, und
man erklärte mir, daß es ein Zufallsfund gewesen sei. Vermutlich würde eine
Suche nach Chavingräbern in dieser Umgebung positiv verlaufen. Mir selbst
blieb leider keine Zeit mehr. Mein Urlaub war abgelaufen.
Viel bekannter ist San Simón. Dort befindet sich auch die einzige Zeichnung
einer menschlichen Hand, die ich in Peru überhaupt zu Gesicht bekam5. Die
Zeichnungen auf den Granitblöcken von San Simon sind zum größten Teil halb
ausgelöscht. Der gelbliche Granit ist verwittert und blättert unter der wechseln-
den Einwirkung des Taues bei Nacht und der Sonnenstrahlung am Tage an der
Oberfläche ab, so daß ein Teil der Bilder zerstört ist. Die meisten sind so dicht
nebeneinandergesetzt, daß sich einzelne Elemente oft schwer herausschälen
lassen. Der Cerro de San Simon scheint eine Art Kultstätte gewesen zu sein.
Auch ein kleiner, von Steinen gänzlich gesäuberter Platz deutet darauf hin.
Isoliert steht das ornamental stilisierte Abbild eines Insektes — wahrscheinlich
einer Libelle (Abb. 4). Vielleicht läßt sich eine noch ornamentaler gehaltene
Zeichnung aus Queneto im Viru-Tal, bei der man an eine stilisierte Pflanze
denken könnte (Abb. 5), mit ihm vergleichen. Deren Mittelteil erscheint übri-
gens noch an anderen Fundplätzen, z. B. in Chuquillanqui. Das maskenähnliche
Gesicht mit den runden Augen (Abb. 6a) tritt auf dem Cerro de San Simón
in verschiedenen Abwandlungen auf, und wir begegneten Variationen von ihm
5 Nach Menghin gehören in Patagonien „Hand-Negative" zu den allerältesten
Höhlenmalerei-Motiven. O. F. A. Menghin: Las pinturas rupestres de la
Patagonia, in „Runa“. Bd. 5. S. 12.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
59
Höhe: 33 cm
auch auf anderen Fundplätzen, z. B. auf dem Alto de Lu Guitarra zwischen
Viru- und Mochetal (Abb. 6b), wo es geradezu ein Porträt des mexikanischen
Regengottes Tlaloc zu sein scheint, und weiter im Süden, im Majes-Tal, wo es
ebenfalls mit fletschenden Zähnen und kreisrunden Augen in Erscheinung tritt,
hier allerdings auch mit blitzzeichenartiger
Tränenspur auf den Wangen. Noch einmal
taucht im Bereich der Zentralküste, im Tal
von Canta, das Maskengesicht mit den Glotz-
augen in verschiedenen Variationen auf (Abb.
6c, d), deren Abbildung ich Dr. G. Kutscher
verdanke6.
Einigermaßen verschieden vom Stil dieser
Masken ist ein viel realistischeres, mit einer
Art Turban gekröntes Einface-Gesicht vom
Cerro del Diablo auf dem Gelände der
Flacienda de Chuquillanqui, wo sich auch
abweichende Maskentypen zeigten.(Abb. 6e-g).
Erst nach an drei verschiedenen Tagen wieder-
holter vergeblicher Suche gelang es uns, diese
Felsbildergeuppe im oberen Chicamatal auf-
zufinden, kurz oberhalb der Vereinigung der
beiden Bergflüsse Huancay und Chuquillanqui
zum Rio de Chicama, im Delta dieser beiden
Quellflüsse. Nur zwei isolierte Bilder eines
Vierfüßlers und einer Pflanze sah ich dort
(Abb. 7 a, b).
Den Hinweis auf diese bisher unbekannte,
nicht unbedeutende Gruppe verdanke ich
6 Diese Felsbilder befinden sich ganz in der Nähe der panamerikanischen Land-
straße bei Kilometer 51 südlich Lima. Ich habe sie selbst nicht gesehen. Mir scheint,
daß sie z. T. stark mit Kreide übermalt sind, eine Praxis, die ich, wo es irgend
anging vermieden habe, da die Linien leicht unwillkürlich verfälscht werden. Die mir
bekannten peruanischen Felsbilder sind alle so flach, daß Abreibungen, wie ich sie
mehrfach versuchte, unmöglich sind. Sämtliche in diesem Aufsatz wiedergegebenen
Zeichnungen machte E. Armgardt nach Rolleiflex-Originalen des Verfassers.
60
Disselhoff, Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder
Don José Eulogio Garrido, dem Direktor des Museo de la Univer-
sidad de Trujillo, dem ein Freund davon erzählt hatte. Mit Don José Eulogio
zusammen bezog ich einige Tage Quartier in der Hacienda Tambo, die am
anderen Flußufer liegt und zu Casa Grande gehört. (Ich benütze die Gelegen-
heit, um Casa Grande für die immer wieder erwiesene großzügige Gastfreund-
schaft auch hier zu danken.) Von Tambo aus fanden wir endlich beim vierten
Versuch den Cerro del Diablo mit seinen unbekannten Felsbildern. Diese sind
in der Hauptsache auf dem felsigen Kamm des mit Kakteen bestandenen Hügels
Höhe: 16 cm Höhe: 9 cm
Flöhe : 15 cm
zu finden, der seinen Namen fraglos den Bildern zu verdanken hat, vor denen
mancher noch heute abergläubische Scheu empfindet. Einige wenige Zeichnungen
finden sich auch auf Steinen am Fuße des „Teufelshügels . Es ist die übliche,
mit Orgelkakteen bestandene Vorgebirgslandschaft kurz vor ihrem Anstieg in
eine regengrünere Zone (Taf. lila). Neben flach eingeritzten einfachen Menschen-
figuren mit ausgebreiteten erhobenen Armen und gespreizten Beinen, wie ich sie
eigentlich in jeder peruanischen Felsbildergruppe sah — sie scheinen in ganz
Südamerika und nicht nur dort, verbreitet zu sein — und von denen die Figur
mit der dreistrahligen Hand (Abb. 7) eine seltenere Variante bildet, sind hier
auch tiefer eingemeißelte Zeichnungen, die z. T. fast negativ anmuten, wie die
in Abbildung 8—11 gezeigten Figuren. Ein eigenartiges geschwungenes Zeichen
kehrt auch an anderen Plätzen wieder, z. B. in Yonan (Taf. III, b). Abb. 11
kann man ohne Bedenken als Eidechse deuten. Eidechsen und Schlangen ge-
hören zu den häufigsten Felsbild-Elementen in ganz Südamerika, und man hat
sie zu Recht mit der Bitte um Regen verknüpft. Daß dieses Eidechsen-Abbild
hier verhältnismäßig tief eingemeißelt und doch ziemlich verwittert ist, läßt ein
höheres Alter vermuten. Das 22 cm breite mit verwischten Zeichen und Annexen
versehene Viereck gehört technisch zur gleichen Gruppe (Abb. 9). Auf zahl-
reichen bebilderten Steinen des Majes-Tales im Süden (Departement Arequipa)
sah ich flach eingeritzte Rechtecke, meist von Diagonalen durchschnitten und mit
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
61
Abb. 8.
Höhe : ca. 50 cm
Abb. 10.
Höhe : ca. 50 cm
wechselnder Anzahl von Punkten angefüllt, ebenso bei Chongoyape im Norden
(Departement Lambayeque)7. Tiefer eingemeißelt sind unter den Felsbildern
des Cerro de Diablo eben-
Abb. 9.
falls mäanderartige Zeichen
(Tafel I, b), wie ich sie im
Majestal außerordentlich
häufig als flache Ritzung sah
(Abb. 12). Getrost möchte
ich sie als Wiedergabe von
Bewässerungsfurchen
deuten, wie sie in manchen
in vorspanischer Zeit be-
Breite: 22 cm
Abb. 11,
Höhe: ca.20cm
7 Ähnliche Rechtecke kommen auch in verschiedenen Zonen Kolumbiens vor. Doch
können allenfalls die gemusterten Rechtecke des Muisca-Bereiches als Decken ge-
deutet werden, deren Abbild als Opfergabe gelten sollte. Vgl. Krickeberg
o. c. S. 45 ff u. Abb. 17 u. 18a. — Auch in Brasilien kommen Rechtecke mit Diago-
nalen vor. Vgl. J. Rouse : Petroglyphs, in Handbook of S. A. Indians, voi. V.
Washington 1949. Fig. 164.
62
DisselhofF, Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder
j* VW ^
Abb. 12. Breite: ca. 2 m
wässerten, jetzt brachligenden Wüstentälern der peruanischen
Küstenzone erhalten sind8. In der Gegend von Arequipa
sah ich diese Form der Bewässerung übrigens noch in der
Gegenwart. In kolumbischen Felszeichnungen treten der-
gleichen Mänander oder Zinnenbänder, wie sie Krickeberg
nennt, zusammen mit Froschfiguren auf. Froschdarstellungen
aber können ziemlich sicher als „materialisierte Form des
Regengebetes“ gelten. Mäanderähnliche Zeichen fand Erland
Nordenskiöld auch im Bereich der Ostkordillere9. Eine
Illustration Richard P. Schaedels zeigt ein Mäanderzeichen
auf einem flachen Felsen bei Panamarca im Nepena-Tal.
C
c
3
1
Abb. 13.
Höhe: 25 cm
8 Ygl. G. R. Willey: Prehistoric Settlement patterns in the Viru Valley, Peru.
Bullet. 155 BAE. Washington 1953. Taf. 57 unten. („Cultivation plots in the Santa
Valley“)
9 Krickeberg o. c. Taf. 14.
Baeßler-Archiy, Neue Folge, Band III
63
Schaedel schreibt, daß sich in der Nähe kreisförmige Mahlnäpfe befänden10 11.
Ein unmittelbar bei der Mäanderritzung von Panamarca angebrachtes Zeichen
klingt an unsere Abbildungen auf Taf. III an und verbindet folglich Yonan im
Jequeteqeque-Tal und Chuquillanqui im Chicama-Tal im Norden mit Pana-
marca im Nepena-Tal eine ganze Strecke weiter südlich. Vielleicht und wahr-
scheinlich wird man das wichtige Mäanderzeichen in ununterbrochener Folge
bis zum äußersten Süden Perus finden können, wo Ackerbau gepflegt wurde.
Daß es sich zuweilen in unmittelbarer Nachbarschaft von einfachen Zickzack-
linien und Schlangen befindet, die sehr wohl Symbole des Blitzes sein mögen,
macht Ihre Deutung als Bewässerungsfurchen und ihre Bedeutung als biblisches
Gebet um eine gute Bewässerung noch glaubhafter.
Unter den flach eingeritzten Figuren vom Cerro del Diablo de Chuquillanqui
findet sich eine, die ich für die Abbildung einer hammerähnlichen Waffe halte
mit Schlaufen für die Hand am Griff ende des Stieles (Abb. 13). Der Zeichnung
einer Keule des Mochica-Typs begegnete ich auf dem Cerro Mulato bei Chongo-
yape weiter im Norden, wo sich im übrigen auch einige nach Chavin-Art stili-
sierte Bilder befinden, darunter ein ziemlich verwischter Jaguar. Ich kann hier
nur eine stark stilisierte, ebenfalls z. T. verlöschte Raubvogelfigur (Abb. 14)
von dem gleichen nördlichen Fundplatz wiedergeben, wo vor Jahren auch
Chavingräber aufgedeckt worden sind11. Sonst findet man auf den Stein-
blöcken des Cerro Mulato und auf einem anderen Hügel in der Umgebung der
Ortschaft Chongoyape, die, etwa 50 km Luftlinie vom Strand des Pazifik ent-
fernt, auch wieder an einer alten Wegstrecke zwischen Küste und Sierra im
Lambayequetal liegt, in der Hauptsache Eidechsen-Zeichnungen des weitver-
breiteten und zeitlosen primitiven Typs, ebenso primitive Menschenfiguren mit
ausgebreitet erhobenen Armen und gespreizten Armen, die nicht örtlich ge-
bunden sind, und zuletzt das uns ebenfalls bereits bekannte Rechteck mit den
Diagonallinien.
Felsbildern eines chavinoiden Stils begegnet man auf dem Alto de la Guitarra,
auf der Paßhöhe des alten Weges, der das Tal von Moche mit dem Virutal ver-
bindet. Die dortigen Petroglyphen wurden zum ersten Male 1945 bekannt, durch
eine Exkursion des damaligen Direktors des Archäologischen Institutes der Uni-
versität Trujillo Dr. Hans Horkheimer, in Gemeinschaft mit dem chilenischen
Konsul Lombarde Traverse, der die Fundstätte als erster besucht hatte12. Auch
ich habe meine Bekanntschaft mit der wichtigen Felsbildergruppe vom Alto de
10 R. Schaedel: Mochica murals at Panamarca, in „Archaeology", Bd. 4. S. 145 ff.
11 Vgl. S. K. Lothrop: Gold Ornaments of Chavin style from Chongoyape, Peru,
in American Antiquity. vol. VI. p. 250—62.
12 H. Horkheimer: En pos de petroglifos, „Comercio“, 14 de Febr. de 1945.
pag. 6.
64
Disselhoff, Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder
la Guitarra, Fíerrn Traver-
sos Führung zu verdanken.
Der Name des Ortes soll
angeblich von der Figur
einer Guitarre herrühren.
Doch gelang es uns trotz
aller Suche nicht, derglei-
chen zu finden. Richtiger
dürfte der Name vielleicht
mit Bildern von Fischen zu
verknüpfen sein, die sich
vielfach dort finden. „Gui-
tarra“ nämlich wird weiter
imNorden als Name eines be-
stimmten Fisdies gebraucht.
Von der Fiacienda Quiri-
huac aus — die Namens-
ähnlichkeit mit der guate-
maltekischen Maya-Ruinen-
stadt tut dabei nichts zur
Sache — verließen wir das
innere Mochetal in Richtung
einer nordsüdlich verlaufen-
den durchschnittlich 20,5 m
breiten, mitSteinengesäum-
ten vorkolumbianischen
Straße an der linken Seite
des Moche-Flusses, deren
Spuren sich nach wenigen
Kilometern im Geröll eines
trockenen Flußbettes ver-
lieren und schließlich in ei-
nem schmalen und steilen
Bergpfad fortzusetzen, der
heute gern von Köhlern und
Schmugglern frequentiert
wird. Die Paßhöhe beträgt
nur an die 800 Meter, wenn
mein Barometer die Flöhe
richtig anzeigte. Auf der
a Blick von El Mosquito in die Ebene von Tembladera im Tal des
Jequetepeque. Auf dem Steinblock im Vordergrund die typische Figur
eines „Männchen“, die hier sehr wohl auch als Eidechse gedeutet
werden kann
b Gewachsener Fels mit eingemeißeltem Mäanderzeichen auf dem
Cerro del Diablo im oberen Chicama-Tal
DIsselhoff Tafel I
Tafel II
a
a Figur eines stilisierten Wales aus der Felsbildcrgruppe von El Mosquito, Jequetepeque-Tal
b Felsbild von der Pampa de Toro Muerto, am rechten Ufer des Majes-Flußes, Departement Arequipa
Tafel III
a Felsbilder vom Cerro del Diablo, am linken Ufer des Chuquillanqui, Zu-
fluß des oberen Chicama
b Felsbilder vom Yonan-Paß, Quebrada del Chaucis, oberes Jequetepeque-Tal
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
65
Südseite des Passes, nach dem Tal von Viru hin ist der Weg teilweise noch
steiler und schwieriger, streckenweise führt er in einem tief ausgefressenen
trockenen Flußbett entlang, an dessen Ufern sich noch einzelne verloschene
Bilder im Chavinstil befinden. Das erste vereinzelte Bild sahen wir schon vor
dem Aufstieg, noch in der Ebene, wo die breite Inkastraße sich im Geröll
verläuft. Man ist dabei verführt, an eine Art Wegweiser zu denken (Abb. 15).
Doch befindet sich
der Hauptteil der Bilder
auf der Paßhöhe. Es ist
eine geräumige, mehrere
,n n Quadratkilometer um-
Abb. 19. Breite: ca. 160 cm ^
fassende flache Mulde, die
auf zwei Seiten von höheren Felsbergen eingerahmt wird. Rötlich verwitterte
Granitblöcke mit eingravierten Bildern sind über einem Teil dieser leicht hüge-
ligen Fläche verstreut. Eines der eindrucksvollsten und bedeutenstn findet sich
in unmittelbarer Nähe des Aufstiegs vomMochetal. Es stellt ein Paar mit ihren
Rundschilden (?) auf einander prallender Tiermenschen dar (Abb. 16). Eher
scheint es sich um eine Art Tanz als um einen wirklichen Kampf zu handeln,
denn die schildfreien Hände sind ohne jegliche Waffe. Der Stil erinnert klar
an den der bekannten Relieffiguren auf den Steinplatten des Tempels von
Sechin im Casmatal, also an eine Abart des Chavinstils der Küstenzone. Eine
noch ähnlichere Figur, in eine Muschel eingeritzt, kommt übrigens sogar aus
Chavin de Huantar selbst13 . Offenbar sind die „Tänzer“ mit Lendenschurz
und Überwurf bekleidet und tragen einen Kopfputz mit Reptilköpfen. Eine
Einzelfigur ähnlicher
Machart, ebenfalls mit
Lendenschurz bekleidet,
ist ein wenig weiter
abseits auf waagerech-
ter Steinfläche eingeritzt
(Abb. 17). Außer einer
fast 2 Meter langen Ja-
guarfigur und anderen
Tieren in gleich präg-
nanter Stilisierung existieren auch realistischer gezeichneteTierwesen auf dem
Alto de la Guitarra (Abb. 18—22). Offenbar stilistisch auf einer Mittelstufe
zwischen Chavin und Moche steht ein Fischdämon mit menschlichen Extremi-
täten, der in einer Hand einen kleinen Fisch hält (Abb. 23). Man braucht
13 Vgl. Wendeil C. Bennett: Andern arts of the Andes, N. York 1954. fig. 24.
5 Baeßler III
66 Disselhoff, Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder
nur die Moche-Malerei auf einem Bügel-
gefäß des Münchener Museums mit dem
Fischdämon vom Alto de la Guitarra zu
vergleichen, um diese Feststellung zu über-
prüfen. (Abb. 24). Audi das Berliner Mu-
seum besitzt ein Moche-Gefäß, das mit
einem ähnlichen Fischdämon bemalt ist14.
Im übrigen fehlen unter den Bildern
von La Guitarra nicht einfadie oder kon-
zentrische Kreise, Zickzacklinien, Eidechsen
und Frösche, sowie die zeitlich unbestimm-
baren üblichen Standardfigürchen mit aus-
gebreitet erhobenen Armen und gespreizten
Beinen, die an gewisse flache Goldfiguren
aus Kolumbien und Costa-Rica erinnern.
Der Mäander dagegen fehlt.
Die Bilder von La Guitarra sind im
großen und ganzen auf Steine geritzt,
die verhältnismäßig weit voneinander entfernt sind. Über das trockene und
steinige Gelände sind einzelne Grundrisse rechteckiger Häuser verstreut. Im
Osten verläuft eine Art Grenzmauer über die Hügel. Horkheimer meint: „El
Alto de la Guitarra debe haber sido el refugio y el
punto de reunión de cazadores y recolectores que
tenían allí sus cercos sagrado s.“15Es ist kaum anzunehmen, daß
die Chavinstil-Figuren von echten Jägern und
Sammlern gezeichnet wurden. Meiner Ansicht
nach ist es schwer zu entscheiden, ob die rohe
Einzelmauer, von denen es im Küstenstreifen
Perus so viele gibt, als Grenz- oder Verteidi-
gungsmauer diente. Keiner unserer mehrfachen
Sondierungen innerhalb der rechteckigen Stein-
setzungen brachte ein Ergebnis. Nur auf
der Oberfläche fanden sich einige rote und
schwarze Scherben ohne bezeichnende Erken-
nungsmcrkmale.
Wir kehrten vom Alto de la Guitarra, nicht
in das Moche-Tal zurück, sondern unternahmen
14 Vgl. G. Kutscher: Nordperuanische Keramik. Monumento Americana Bd. I.
Berlin 1954. Taf. 51 u. S. 29.
15 Vgl. Anm. 12.
1
Baeßler-Archiv, Neue Folge Band III
67
Abb. 23. Breite: ca. 120 cm
einen siebenstündigen Marsch in das Tal von Virú. Von den Felszeich-
nungen im Virú-Tal, im Hintergründe des Platzes mit den Menhir-
Steinen von Queneto, sind mir leider sämtliche Photographien mißlungen. Die
Zeichnungen dort befinden sich in schlechtem Zustand, und ich habe nach den
ersten Versuchen stets vermieden, Kreidenachzeichnungen zu machen, weil diese
auf der rauhen Steinoberiläche allzu leicht zu ungewollten Fälschungen führen.
Die unter Abb. Nr. 5 wiedergegebene merkwürdige Zeichnung gehört auch
hierher. Larco Hoyle hält die Petroglyphen von Queneto für erste Anfänge
menschlichen Kunstschaffens. Als häufigste Motive gibt er an: „Cabezas de
seres humanos degollados, serpientes, cóndores y otras aves, estrellas rudimen-
tariamente expresadas, hombres adoptando distintas posturas..16. Es erscheint
auch ein Kreuz in der Form, wie wir es von Chavin-Gefäßen der Küste kennen.
Im übrigen erinnere ich mich an keine chavineske Darstellung dort.
Abb. 24
16 R. LarcoHoyle: Los Mochicas. Lima 1938. S. 13 ff., S. 18 u. Abb. 12.
5*
68
Disselhoff, Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder
Vergeblich suchten wir später im oberen Moche-Tal nach Felsbildern. Außer
einem absolut vereinzelt auftretenden großen Gesicht, in der Nähe der Ort-
schaft Simbal, das die Oberfläche eines meterbreiten niedrigen Steines bedeckt,
Abb. 27. Höhe: 150 cm
fanden wir keine Petroglyphen dort (Abb. 25). Doch wurde davon erzählt, daß
sich noch weiter aufwärts am Eingang zu einer verlassenen Silbermine, ungefähr
in der Mitte des Weges zwischen Simbal und Sinsicap, verschiedene „Figuren“
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
69
befänden, ohne daß man von deren Art etwas aussagen konnte. Wir fanden
sie nicht.
Das relativ seltene Vorkommen von Säugetier-Darstellungen auf den nord-
peruanischen Fundplätzen fällt auf, wenn man Felsbilder der südperuanischen
Küstenzone zum Vergleich heranzieht. Schon früh bekannt und oft beschrieben
sind die Petroglyphen beim Paß Corralones, eine Wegstunde von der Bahn-
station Kiswarani (auf der Strecke Arequipa—Mollendo) zwischen Uchumayo
und Vitor17. Im voraus sei gesagt, daß sich diese Felsbildergruppe an den Berg-
hängen in der Nähe von Tambo-Ruinen ausbreitet, zu beiden Seiten eines noch
nach der Conquista viel begangenen Weges. Über die Zeichnungen dort will ich
midi nicht weiter auslassen, nur dem Hinweis von Porras Barrenechea, daß sich
dort „in Granit graviert, Menschen- und Tierfiguren, Blumen (?), gerade und
geschwungene Linien, Kreise, Parallelogramme“ usw. befinden, noch hinzu-
fügen, was ich am 22. August 1953 in mein Feldtagebuch eintrug: „Hier gibt
es mehr Einzelzeichnungen als in Toro Muerto (einer Felsbilder-Fundstätte
riesigen Ausmaßes, auf die ich weiter unten noch zu sprechen komme). Häufiger
als Menschen und Vierfüßler sind variiert stilisierte Schlangen, zuweilen mit
Zacken ausgestattet (Abb. 26). Guanacos oder Llamas und Hirsche kommen nur
gelegentlich vor. Einmal erscheint ein Reiter (!) mit Pferd, einmal die Jahres-
zahl 1680 und einmal sogar, von einem Spaßvogel verzeichnet, die Zahl 1411.
Kreuze auf Rechtecken, Halbkreisen oder Dreiecken sind ebenso offensichtlich
christlicher Herkunft und womöglich dazu bestimmt, die magische Kraft der
alten Teufelszeichen zu bannen.
Dr. Eloy Linares Malaga von der Universität Arequipa, der gleiche, der midi
nach dem Tambo de Corralones begleitete, hatte Jahre vorher im Anschluß an
einen Besuch der Felsbilder von Pitis18 am linken Majesufer eine weit reichere
Fundstätte auf der Pampa del Toro Muerto gefunden und seitdem nicht
wieder gesehen. Ihre Kenntnis verdanke ich ebenfalls der Führung Linares
Malagas. Auf der Höhe von Pitis sind verschiedenste Tiere auf mehr oder
weniger großen Steinblöcken eingraviert. Klar erkenntlich waren gefleckte
Jaguare, Hirsche, Füchse und Reptilien. Stets am größten sind die Jaguar-
figuren. Was die Technik angeht, sind die Bilder von Pitis teils geritzt, teils
eingemeißelt. Die gemeißelten scheinen meist älter. Sie befinden sich teilweise
unter geritzten. Am ältesten schien mir eine etwa 80 cm lange anthropomorphe
Figur mit einem Viereck auf der Brust, in dem wie in einem Fenster die Rippen
17 R. Porras Barrenechea: Quipu y Quilca, in Revista del Museo e Instituto
Arqueológico Nos. 13/14. Cuzco 1951. S. 23.
18 Im großen und ganzen erinnern die Felsbilder aus dem Departament Arequipa im
Süden sehr wenig an diejenigen Nordperus. Nur einige einfache Zeichen kehren
überall wieder.
70
Disselhoif, Neue Fundplätze peruanischer Felsbilder
erscheinen. Man ist versucht, an die Darstellung eines Geopferten zu denken.
Der Stil dieser Figur erinnert etwas an die gravierten Steinplatten des Cerro
Sechin im Casma-Tal, deren Stil man ebenfalls als chavinoid bezeichnen kann19.
Tello stellt ihn in die Chavin-Ära.
Bedeutsam erscheint mir, daß sich ganz in der Nähe der Bildersteine auf der
Höhe von Pitis über dem Majes-Fluß ein alter Friedhof befindet, wo wir
Scherben tiahuanacoider Keramik auflesen konnten und gewisse Flußsteine
fanden, die, mit weißer und roter Farbe bemalt, etwas mit dem Bestattungs-
kult zu tun haben.
Toro Muerto liegt weiter flußaufwärts am rechten Majes-Ufer. Die schräge
Sandebene, über die eine alte Verbindungsroute zwischen Küste und Sierra
(nach Chuquibamba) führt, ist auf der Strecke von etwa vier Kilometern mit
bebilderten Felsblöcken förmlich übersät (Taf. II b). Da ich die Absicht habe,
diese bedeutendste Fundstätte im Departement Arequipa und vielleicht in Peru
überhaupt gesondert zu publizieren, will ich hier nur das Notwendigste be-
rühren. Die Blöcke mit den Bildern sind in Toro Muerto wie in Pitis vulkani-
scher Natur. Es handelt sich um einen ziemlich weichen hellen Tuffstein, in
Peru „sillar“ genannt, der als Baumaterial der Stadt Arequipa den Charakter
der sogenannten „Weißen Stadt“ gibt. Absolut neu waren mir unter den Fels-
bildern von Toro Muerto die zahlreichen Tänzer (vgl. Taf. II b u. Abb. 27).
Denn als solche muß man die impressionistisch bewegten Figuren mit den Feder-
büschen wohl deuten. Einige scheinen Masken zu tragen. Unter den Tier-
darstellungen sind Llamas, Guanacos oder Vicunas am stärksten vertreten. Ob
es gezähmte Llamas sind, oder Wildtiere, diese Frage bleibt offen, obwohl in
einzelnen Fällen vermutlich Hirten und Llamas gemeint sind. Auf Felsbildern
anderer Fundplätze tritt das aber weit deutlicher hervor, durch gekennzeichnete
Packsättel, Stricke usw., die hier überall fehlen.
Auf einer Zeichnung in Toro Muerto ist sehr realistisch ein säugendes Kitz
dargestellt (Abb. 28). Szenische Darstellungen sind überhaupt zahlreich. In
anderen Fällen scheint es sich wie auf frühen altweltlichen Höhlenbildern um
Beschwörungen und regelrechten Jagdzauber zu handeln.
Verschiedentlich treten große Raubtiere auf, meist größer als andere Tiere.
Ein großes Raubtierbild ist da, das einen überdimensionalen Puma mit einem
ganzen menschlichen Körper im Maul zeigt. Ein anderes Raubtier hat einen
Trophäenkopf mit hängenden Haaren in den Fängen. An Waffen glaube ich
eine Keule mit Steinkopf zu erkennen (ähnlich dem Keulenbild vom Cerro del
Diablo im oberen Chicama-Tal (Abb. 13), an anderer Stelle, ebenfalls im Zu-
19 A. L. Kroeber: Art, in Handbook of South American Indians, vol. 5. The
comparative Ethnology of S. Am. Ind. S. 424.
71
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
sammenhang mit Tieren eine gekrümmte Wurfkeule, wie wir ein kupfernes
Exemplar 1938 im Grab M XII in Pacatnamü fanden20. Auch Schilde kommen
vor. Manche der Zeichen sind nicht so schnell zu deuten. Auf die weitverbreite-
ten Bewässerungsmäander, die hier in Toro Muerto besonders häufig sind, wies
ich schon oben hin. Sie sind hier manchmal mit Blitzzeichen verbunden.
Einmal erscheint auch ein großes Schild nach Art europäischer Wappen-
schilde, wie die auf dem argentinischen Höhlengemälde von Carahuasi, das
wohl mit allem Recht in die Inkazeit datiert wird21. Hier erhebt sich die Frage
nach der Datierung peruanischer Felsbilder überhaupt. Aus ganz Peru sind mir
keine so altertümlichen Felsbilder bekannt wie die Höhlenbilder Südargen-
tiniens, die zuletzt O. F. A. Menghin beschrieben hat, und unter denen Dar-
stellungen der menschlichen Hand — wie im alten Europa — die ältesten sind22»
Unmöglich ist es nicht, daß Höhlen und Höhlenbilder in Peru noch entdeckt
werden, wenn auch nicht gerade wahrscheinlich. Von den peruanischen Fels-
bildern unter freiem Himmel darf man getrost annehmen, daß sie z. T. ur-
sprünglich mit Farbe bemalt waren, die im Laufe der Zeit getilgt wurde. Denn
sie sind z. B. auf dem Alto de la Guitarra z, T. außerordentlich flach, so daß
es kaum vorstellbar ist, daß sich die Bilder so lange halten konnten. Jedenfalls,
erscheint die Ausschabung manchmal so schwach, daß man an ursprüngliche
Färbung denken möchte.
Das Material der Steinblöcke aus dem Majes-Tal ist so weich, daß man eine
übergroße Zeitspanne für die Entstehung des Gros der Bilder gar nicht anzu-
nehmen wagt und z. B. die Tierbilder, vor allem Llama-Darstellungen, die
denen auf Inkageweben, ebenso wie den kleinen Silberllamas inkaischen Stiles,
mit ihren einfachen Konturen ähneln, in die Inkajahrhunderte, d. h. in die Zeit
kurz vor der Konquista, einreihen möchte. Die goldenen und silbernen Opfer-
figuren und die in langen Reihen eingewebten Llamas sind gleich formelhaft
dargestellt. Bleiben die bewegten Tänzergestalten, die in ihrer Bewegung fast
modern anmuten. Es gibt Kunsthistoriker, die ihre Entstehung in nachspanischer
Zeit wahrhaben möchten. Kunsthistoriker täuschen sich auch, wenn sie Porträt-
köpfe der Moche-Kultur, ohne etwas von ihrer archäologischen Beziehung zu
wissen, zeitlich einreihen sollen. Sie halten sie für Werke einer ausgesprochenen
Spätzeit. — Ausgeschlossen ist es nicht, daß einige der Bilder von Toro Muerto,
trotz der Einsamkeit der Fundstätte, in posthispanischer Zeit entstanden. Aber
gerade von den Tänzern möchte ich dies nicht gern annehmen.
20 Vgl. H. Ubbelohde-Doering: Auf den Königstraßen der Inka. Berlin
1941. S. 55 u. Taf. 353.
21 K r i c k e b e r g o. c. S. 66.
22 Vgl. O. A. M e n g h i n , o. c. S. 12 f.
72
Disselhoff, Neue Fundplätze peruanischer Felsbildcr
Einen sicheren chronologischen Vergleichspunkt bilden also nur: einerseits die
chavinoiden Figuren vom Alto de la Guitarra, andererseits einige an Chimu-
Webornamente erinnernde figürliche Darstellungen des Felsens von Yonan.
Ähnlichkeiten, auf die als erster Hans Horkheimer in seinem Zeitungsartikel im
„Comercio“ aufmerksam machte, ohne daß seiner wichtigen Nachricht nach-
haltigere Beachtung geschenkt worden wäre. Nach Menghin, dessen ungewöhn-
liche Erfahrung mit ältesten Dingen wir anerkennen müssen, ist die Technik
der gravierten Bilder noch in sehr junger Zeit fortgesetzt worden23. Nur mit
solchen haben wir es in Peru zu tun, und es fragt sich, was man unter sehr jung
zu verstehen hat, vielleicht sogar noch die erste Hälfte des 1. nachchristlichen
Jahrtausends, in die wir mit aller Vorsicht, nach dem heutigen Stand chrono-
logischer Forschung, die chavinoiden Felsbilder datieren dürfen. Am schwierig-
sten ist wohl die Einreihung und Deutung einzelner so weit verbreiteter abstrak-
ter Motive, die, wie wir sahen, zuweilen an weit voneinander abgelegenen
Orten wiederkehren.
Idi möchte nicht schließen, ohne in diesem Zusammenhang noch einmal die
alte viel erörterte Frage zu streifen: „Existierte — abgesehen von den haupt-
sächlich mnemotechnisch nützlichen Quipu, den Knotenschnüren der Inkazeit
— eine Art Schrift im alten Peru? —. Unter den spanischen Chronisten ist es
der am wenigsten glaubwürdige Montesinos, der um die Mitte des 17, Jahr-
hunderts am eindringlichsten behauptet, daß im alten Peru längst vor den
Inkas eine Schrift existiert hätte. Glaubwürdiger sind die Nachrichten Sarmi-
entos, Molinas und Cobos von chronikartig bemalten Holztafeln und Tüchern.
Krickeberg erinnert in diesem Zusammenhang an die vier Tücher mit der Ge-
schichte der Inka, die der Vizekönig Toledo 1572 an Philipp II. nach Spanien
sandte. Er hat recht, wenn er dabei eher an Historienbilder als an eine Bilder-
ch rift denkt24. Ganz sicher hat er recht, wenn er bilderschriftähnliche vor-
inkaische Darstellungen — ebenso wie H. U. Doering — als bildhafte Zauber-
formeln und Gebete auffaßt, die nur gelegentlich dem Charakter wirklicher
Bilderschriften nahekommen. Immerhin fanden wir abgekürzte Symbolzeichen
auch auf Felsbildern.
Daß in den wichtigsten Indianersprachen Perus zur Zeit der Eroberung,
sowohl im Quechua wie im Aymara, Wörter für Bilderschrift existieren, wie
zuletzt Porras Barrenechea sorgfältig nachweisen konnte25, sagt gar nichts über
Perfektion und Charakter bildlicher Mitteilung im alten Peru aus, sondern
lediglich darüber, daß solche zweckgebundenen Mitteilungen überhaupt existier-
23 M c n g h i n o. c. S. 14.
24 Krickeberg o. c. S. 70 ff.
25 Porras Barrenechea, o. c. S. 26 ff.
Bacßler-Archiv, Neue Folge, Band III
73
ten. Was Felsbilder betrifft, so steht fest, daß es viel mehr in Peru gibt, als
bisher bekannt wurden. Ein Teil von ihnen läßt sich, wie wir sahen, mit Stilen
verknüpfen, die von der amerikanistischen Forschung sanktioniert sind und sich
durch Grabungsbefunde zeitlich verankern ließen. Jedenfalls sind peruanische
Felsbilder im allgemeinen nicht so uralt, wie man es gemeinhin Felsbildern
zuzumuten pflegt. Allein der gute Erhaltungszustand der Bilder auf Stein-
blöcken und Felsen unter freiem Himmel läßt trotz des relativ günstigen peru-
anischen Küstenzonen-Klimas darauf schließen. Denn selbst Granit verwittert
unter der Wechselwirkung nächtlichen Taus und senkrechter tropischer Sonne
stark.
Vieles mag in die bewegten Jahrhunderte der Tiahuanaco-Einflüsse gehören.
Manches gehört sicher erst in die Inka-Epoche, anderes vielleicht sogar schon
in die Zeit nach der Konquista. Immerhin ist die sehr weite Verbreitung (auch
außerhalb Perus) gewisser abgekürzter Zeichen, zu denen u. a. Rechtecke, Lei-
tern, Zickzacklinien und einfache Kreuze gehören, recht bemerkenswert. Man
sollte diese Verbreitung genau verfolgen, um ihrer Erklärung und Deutung
näherzukommen. Doch ist es schwierig — um mit Krickeberg zu sprechen —,
„primitive Bilderschriften ohne die dazugehörige mündliche Überlieferung zu
deuten, um wieviel mehr Felsbilder, die nur zu einem verschwindend kleinen
Teil den Charakter von Bildschriften haben“26.
Daß ähnliche Bildwerke, z. B. Jagdzauber, in der Neuen Welt noch viel
später existierten als Analoges in der Alten Welt, bedarf kaum besonderer
Betonung, Im übrigen scheinen sich die Kulturperioden kaum so sauber von-
einander zu scheiden, wie es krasse Theoretiker wahrhaben möchten. Alles
Lebendige fließt, und mir scheint es sehr wohl glaubhaft, daß auf peruanischen
Felsbildern Bildzauber für Jäger (und Llamahirten) und solcher für Pflanzer
zeitlich durchaus nebeneinander existieren konnte. Als striktestes Beispiel nenne
ich die kultischen „Tänzer“ von Toro Muerto, die im Zusammenhang mit Jagd-
oder Herdentieren und gleichzeitig mit den bewässernden Mäandern, einer Art
wichtigen und typischen Glückssymbols für Pflanzer peruanischer Wüsten-
zonen, auftreten.
?6 K r 5 c k e b e r g o. c. S. 74.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
75
LEBEN UND EMPÖRUNG DER GERÄTE
KARIN HISSINK, Frankfurt a. M.
Walter Krickeberg deutet in seinem Beitrag „Mexikanisch-peruanische Par-
allelen“ für die Festschrift P. W. Schmidt, 1928, die Malerei auf einem Gefäß
der Mochica-Kultur (Protochimü) aus dem Chicama-Tal bei Trujillo als den
Aufstand der menschlichen Geräte. Die Darstellung bringt Krickeberg in Be-
ziehung zu einer Überlieferung von Avila aus Huarochiri im Hinterland von
Lima, Diese nur als Bruchstück erhaltene Mythe berichtet vom Aufstand der
Geräte und Haustiere (Llamas) der Menschen, die sich gegen ihre Herren er-
hoben, als vor langer Zeit einmal die Sonne verschwand und die Welt fünf Tage
lang dunkel war. Krickeberg schreibt dazu, daß es sich offenbar um den Aus-
klang eines einst größeren Sagenkomplexes handelt, der im Zusammenhang mit
dem Geschehen der urzeitlichen gewaltigen Erdkatastrophen und Weltunter-
gänge steht und den er weiter mit dem der Q’uiché in Mittelamerika vergleicht.
Die 24. Frobenius-Expedition nach Bolivien 1952—54 hatte Gelegenheit, bei
den am Ostabfall der Cordilleren wohnenden Tacana der Siedlungen Ixiamas,
Tumupasa, San José de Uchupiamonas, San Buenaventura und durch mehrere
Gewährsleute aus Taua vor allem ein umfangreiches Material ihrer geistigen
Kultur aufzuzeichnen. In diesem Rahmen fand sich ein Erzählungsgut, das mit
dem von Krickeberg herangezogenen Motiv im Einklang steht und die Aus-
führungen seiner oben erwähnten Studie von diesem Stamm aus beleuchten mag.
Die kulturell eine Einheit bildenden Tacana der genannten Siedlungen sind
ein Unterstamm der gleichnamigen großen Sprachfamilie. Sie besitzen verschie-
dene Formen der Überlieferung, so allgemein die Vorstellung, daß leblose Dinge
— insbesondere ihre Gebrauchsgeräte — wie Menschen sind oder sich in diese
verwandeln und wie diese handeln können. In einer Erzählung aus Tumupasa
heißt es z. B.:
Früher waren die Tongefäße und andere Gegenstände wie Menschen. Sie
sprachen und besuchten sich gegenseitig, tanzten und bereiteten Maisbier.
Eines Tages ging der Herr eines Hauses fort. Die Tongefäße beschlossen,
in die Pflanzung und an den Bach zu gehen, um Mais und Wasser zu holen
und Bier zu bereiten. Sie gingen in die Pflanzung und an den Bach und
holten Mais und Wasser. Dann bereiteten sie Maisbier. Sie waren vergnügt
und sagten: „Jetzt wollen wir musizieren und tanzen.“ Als sie das Maisbier
bereitet hatten, musizierten und tanzten sie. Sie waren sehr fröhlich und
unterhielten sich gut miteinander. Als sie längere Zeit gefeiert hatten, wußten
sie, daß der Herr des Hauses bald zurückkommen würde. Sie begannen alles
76
Hissink, Leben und Empörung der Geräte
wieder an den alten Platz zu stellen und zu säubern. Es wurde wieder wie
vorher.
Der Herr des Hauses kam zurück. Er sah sich in ihm um und sagte: „Es
ist alles in Ordnung.“ Da bogen sich die Tongefäße vor Lachen.
Die Gegenstände stehen nun im alltäglichen Leben dem Menschen entweder
hilfreich zur Seite oder lehnen sich gegen ihn auf. Wie eine Chonta-Keule und
eine Axt in der Not bzw. im Augenblick der Gefahr dem Menschen helfen,
mögen zwei Erzählungen aus San José veranschaulichen.
Es lebte früher ein Mann, der sehr faul war und nicht jagen konnte. Er
war nur fähig, ein wenig in seiner Pflanzung zu arbeiten. Der Ertrag ge-
nügte nicht, um sich und seine Familie zu ernähren. Seine beiden Schwäger
waren gute Jäger und arbeiteten viel in ihrer Pflanzung. Sie schimpften auf
den Mann, weil sie ihm immer von ihren Bananen, ihrer Yuca und ihren
Maiskolben abgeben mußten. Eines Tages fertigte sich der Mann eine
Chonta-Keule, um mit ihr seine Pflanzung zu bearbeiten. Die beiden
Schwäger sahen dieses und verabredeten miteinander, dem Mann einen
Streich zu spielen. Als er für kurze Zeit fortgegangen war, holten sie die
Keule aus seinem Haus und warfen sie fort in den Wald.
Nach einer Weile kehrte der Mann heim. Er wollte in seine Pflanzung
gehen, um zu arbeiten, fand aber nicht seine Keule. Sicherlich haben meine
Schwäger sie fortgenommen, dachte er und war traurig. Er ging fort in den
Wald, die Keule suchen, konnte sie aber nicht finden. Er wurde immer
trauriger und weinte. Da begegnete er einem großen, kräftigen Mann.
„Warum weinst du?“ fragte ihn dieser. Der Mann erzählte: „Ich habe mir
eine Chonta-Keule gemacht, um mit ihr in meiner Pflanzung zu arbeiten.
Die Keule ist aus meinem Haus verschwunden, ich suche sie.“ „Ich will dir
helfen“, sagte der andere, „und dein Freund sein. Ich bin deine Chonta-
Keule, die deine beiden Schwäger fortgeworfen haben, Folge mir in deine
Pflanzung.“ Der Mann ging mit dem starken Mann, der seine Chonta-Keule
war, in die Pflanzung. Dort begann dieser, den Wald zu roden, die Pflan-
zung anzulegen und zu bestellen. Schon am Abend waren die Bananen und
die Yuca reif. „Gehe nun heim“, sagte der Mann, der sich aus der Chonta-
Keule in einen starken Menschen verwandelt hatte. „Sage deinen beiden
Schwägern, daß sie sich morgen früh aus deiner Pflanzung Bananen holen
sollen.“ „Sie werden es nicht glauben“, erwiderte der Mann. „Tue, wie ich
dir geheißen habe“, sagte der Freund. Der Mann ging nach Hause, schwer
beladen mit einem großen Korb voll Yuca, auf die er viele Bananen gelegt
hatte. Als die beiden Schwäger ihn kommen sahen, riefen sie: „Wo mag er
wohl die Bananen geraubt haben?“ „Ihr könnt euch morgen früh Bananen
in meiner Pflanzung holen“, rief ihnen der Mann zu. „Woher willst du
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
77
Bananen haben“, spotteten die beiden Schwäger und lachten ihn aus. „Holt
euch die Bananen“, entgegnete der Mann. Dann ging er nach Hause.
Die beiden Schwäger beschlossen, am nächsten Morgen in die Pflanzung
zu gehen. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß der Mann in ihr schon reife
Früchte besitzen sollte, nachdem er am Tag vorher noch nicht seine Pflan-
zung geschlagen und gebrannt hatte. Früh am nächsten Morgen gingen sie
zu der Pflanzung. Sie wunderten sich, als sie die Pflanzung sahen, die sauber
gerodet und bearbeitet war. Der Mann gab Ihnen Yuca und Bananen.
Die beiden Schwäger gingen beladen heim. Es ließ ihnen aber keine Ruhe,
wie der Mann zu der schönen Pflanzung gekommen war. Sie verabredeten,
ein Fest zu feiern und den Mann mit Maisbier betrunken zu machen.
Sie hofften so zu erfahren, wer die Pflanzung für ihn bearbeitet hatte. Sie
ließen Maisbier bereiten, gingen jagen und machten ein großes Fest. Zu
diesem luden sie den Mann ein. Sie gaben ihm viel Maisbier, so daß er bald
betrunken war. Da fragten sie ihn: „Wer hat dir geholfen, deine Pflanzung
zu bearbeiten?“ „Ich habe sie selbst angelegt“, erwiderte der Mann. „Wenn
du nicht die Wahrheit sagst, werden wir dich schlagen“, drohten die beiden
Schwäger. „Erst muß ich urinieren“, sagte der Mann, „dann werde ich es
euch erzählen.“ Er ging fort.
Im Wald traf der Mann seinen Freund. „Ich weiß, was geschehen ist“,
sagte dieser. „Laß es auf einen Faustkampf ankommen. Ich werde dir bei-
stehen.“ Der Mann kehrte zu den beiden Schwägern zurück und forderte sie
zu einem Faustkampf heraus. „Gut“, sagten diese. Dann schlugen sie auf den
Mann ein. Dieser war stark und stürzte nicht. Dann schlug er auf die beiden
Schwäger ein. „Du kannst kämpfen“, riefen diese. Da sagte der Mann zu
ihnen: „Meine Chonta-Keule, die ihr gestohlen und fortgeworfen habt, hat
mir geholfen.“ Der Freund des Mannes verwandelte sich wieder In die
Chonta-Keule, mit der er fortan gut arbeitete.
Ein Mann ging mit seiner Frau in den Wald, um Honig und Wachs zu
sammeln. Er kannte einen Baum, in dem Bienen lebten. In der Nähe des
Baumes errichtete er für die Nacht eine kleine Schutzhütte. Um den Baum
baute er über den hohen Brettwurzeln eine Plattform, von der aus er den
Baum am nächsten Tage fällen wollte. Seine Axt stellte er in eine Baum-
wurzel und sagte: „Es ist besser, ich lasse die Axt hier, sie ist schwer.“ Dann
ging er mit seiner Frau zu der Schutzhütte und sie legten sich schlafen.
In der Nacht hörten sie in der Nähe zwei Jaguare. Sie fuhren erschreckt
auf. Der Mann sagte: „Was machen wir?“ und wollte Feuer anzünden. Es
gelang ihm nicht. Er schärfte hastig seine Pfeile. Da hörten sie, wie sich
jemand unterhielt.
78
Hissink, Leben und Empörung der Geräte
Als die Jaguare sich dem Baum näherten, in dessen Wurzeln die Axt
stand, verwandelte sich die Axt in einen Mann. Dieser fragte die Jaguare;
„Was wollt ihr hier?“ „Wir wollen einen Wettkampf mit dir machen. Er
wird dir zeigen, wer wir sind.“ Sie kamen überein, jeder solle das bringen,
was seine Nahrung ist. Die Jaguare gingen und kamen mit großen Mengen
Fleisch zurück von schwarzen SpinnenafFen, Pekaris und anderen Tieren.
Der Mann trug alle Arten Holz herbei von der Chima-Palme, dem Guchi-
Baum und vielen anderen Arten. Er sammelte das Holz und trug es zu
einem riesigen Haufen zusammen. Dann sagte er: „Das ist mein Essen.“
Da sprang der erste Jaguar auf den Mann zu, um ihn zu töten. Der Mann
verwandelte sich in die Axt, die zu Boden fiel und sich wieder als Mensch
auf richtete. Dann sprang der zweite Jaguar auf den Mann zu, um ihn zu
töten. Dieser verwandelte sich wieder in die Axt, die zu Boden fiel und sich
als Mensch aufrichtete. „Jetzt bin ich an der Reihe“, sagte der Mann. Er
sprang als Axt auf den ersten Jaguar und tötete ihn. Dann sprang er als Axt
auf den zweiten Jaguar und spaltete diesem den Kopf.
Am nächsten Morgen ging der Mann zu der Axt, um den Baum zu fällen.
Er fand die blutige Axt. Der Mann wunderte sich sehr, woher das Blut kam
und wollte die Axt aufnehmen. „Rühr mich nicht an“, sagte die Axt.. „Ich
habe zwei Jaguare getötet, dort liegen sie. Wenn du mich anrührst, töte ich
dich.“ Der Mann fand die beiden Jaguare, schleppte sie zu seinem Rastplatz,
häutete, röstete und räucherte sie auf einem Gestell und spannte die Häute
auf. Mittags ging der Mann wieder zu seiner Axt. Er wollte arbeiten. „Ich
kann noch nicht arbeiten“, sagte diese. „Ich bin müde, ich habe in der Nacht
mit zwei Jaguaren gekämpft. Komme später wieder.“ Am Nachmittag ging
der Mann wieder zu der Axt, um mit ihr zu arbeiten. Die Axt wollte nicht
und sprach: „Laß uns die Nacht schlafen. Morgen können wir arbeiten.“
Am anderen Morgen holte der Mann seine Axt und fällte den Baum. Er fand
viel Wachs und Honig. Beladen kehrte er mit seiner Frau in das Dorf zurück
und erzählte, was sie erlebt und daß die Axt ihnen das Leben gerettet hatte.
In beiden Überlieferungen verwandeln sich die Geräte in Menschen, die
besondere Kräfte haben und dem eigentlichen Menschen überlegen sind. Die
Chonta-Keule hat die Fähigkeit, hellzusehen, das Wachstum der von ihr ge-
steckten Bananen und Yuca-Triebe innerhalb eines Tages zu bewirken und
den schwachen Mann so zu stärken, daß er gegen seine Schwäger kämpfen
kann; die Axt vermag die Jaguare zu töten. Beide Geräte befehlen dem
Menschen. Die Chonta-Keule bekräftigt ihre Anordnungen: „Tue, wie ich
dir geheißen habe“, die Axt bestimmt den Zeitpunkt, zu dem der Mann wieder
mit ihr arbeiten darf. Wesentlich ist außerdem, daß beide Geräte ihrem
Herrn, ihrem Besitzer beistehen und dadurch eine positive Einstellung diesem
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
79
gegenüber versinnbildlichen. Anders liegt der Fall in den folgenden beiden
Überlieferungen aus Tumupasa, in denen deutlich eine negative Reaktion
der Geräte infolge ihrer Benutzung und schlechten Behandlung durch den
Menschen ausgelöst wird. Dieses Motiv findet sich bereits in der Erzählung
von der Axt angedeutet, die dem Menschen — obwohl sie ihm helfend zur
Seite stand — sagt: „Rühr mich nicht an. Ich habe zwei Jaguare getötet,
Wenn du mich anrührst, töte ich dich!“
Zwei Reibebretter unterhielten sich miteinander. Das eine sagte zum
anderen: „Ich bin müde und mag nicht mehr leiden,“ Das andere erwiderte:
„Es gefällt mir nicht, daß ich immer in das Gesicht geschlagen werde.“ Sie
verabredeten, jedes solle in vier Teile zerspringen. Sie taten es. Die Herrin
des Hauses sah, daß die Reibebretter in vier Teile zerbrochen waren. „Was
ist nur vorgefallen“, sagte sie. „Ich werde Brennholz aus ihnen machen.“
Dann überlegte sie einen Augenblick und meinte: „Besser ist es, die Reibe-
bretter aufzubewahren, wie sie jetzt sind.“ So blieben die Reibebretter in
vier Teilen liegen und brauchten nicht mehr zu leiden.
Als die Frau eines Hauses ln ihrer Pflanzung war, unterhielten sich zwei
Körbe. Der eine sagte: „Die Menschen bewahren in uns ihre Sachen auf.
Wir müssen diese hüten.“ Der andere Korb meinte: „Die Menschen gehen
aber schlecht mit uns um. Wenn sie uns nicht mehr brauchen, werfen sie uns
fort. Die Tiere treten auf uns herum, die Schweine und die Hunde. Dann
werfen sie uns in das Feuer und verbrennen uns. Ich bin dafür, daß wir uns
vor den Menschen verbergen.“ Dann sagte er zu den anderen Körben: „Laßt
uns in den Wald gehen.“ Alle Körbe waren einverstanden. Sie entleerten sich
und verließen das Haus,
Nach einiger Zeit kam die Frau des Hauses mit Yuca und Bananen aus
der Pflanzung. Die Körbe waren nicht weit fortgegangen. Sie hörten, wie
die Frau sagte: „Wer hat meine Körbe fortgenommen? Worin soll ich alles
aufbewahren?“ Die Körbe sagten zueinander: „Sie weiß nicht, wohin sie ihre
ganzen Sachen tun soll.“ Dann lachten sie.
Die Frau warf alles auf den Boden. Am nächsten Tage ging sie wieder in
die Pflanzung. Als sie zurückkam, lagen die Yuca und die Bananen am
Boden. „Welcher Dieb hat meine Körbe genommen und alles in Unordnung
gebracht?“ rief die Frau. Die Körbe hörten es und kehrten zurück. Die Frau
sah sie kommen, wie sie einer hinter dem anderen in einer langen Reihe
gingen. Sie rief ihnen zu: „Wo kommt ihr her?“ Die Körbe antworteten:
„Aus dem Wald.“ „Wieso?“ fragte die Frau. „Ich wußte nicht, wohin ich
meine Sachen tun sollte.“ Da sagten die Körbe: „Wir werden fortgeworfen,
Tiere treten auf uns und wir werden verbrannt. Wir waren zwei Tage im
80
Hessink, Leben und Empörung der Geräte
Wald, weil uns dieses nicht gefällt.“ „Und wer hat alles aus euch hinaus-
geworfen?“ fragte die Frau. „Wir haben es getan, das war richtig“, sagten
die Körbe.
Während in den letzten beiden Erzählungen die Mahlbretter und Körbe,
d. h. Geräte, sich gegen ihre Besitzer auflehnen, gibt es Überlieferungen, in
denen die verschiedensten Geräte ebenso wie bestimmte Tier- und Pflanzen-
arten eine Großmutter bzw. Mutter, Herrin oder einen Herrn haben. Diese
hüten ihre Schützlinge, sorgen für sie und stehen bei schlechter Behandlung
durch den Besitzer für sie ein und strafen den Menschen. In diesem Zusam-
menhang heißt es in Tumupasa:
Eine Frau ging eines Tages fort und ließ in ihrem Haus alle Töpfe ohne
Wasser stehen. Da kam Medimetse (Herrin des lehmfarbenen Tones;
medi = Erde, emetse = Herrin) und holte die Töpfe fort. Als die Frau
zurückkam, fand sie keine Töpfe mehr. Sie war traurig und sagte: „Worin
soll ich Wasser holen?“ Medimetse kam und sagte zu der Frau: „Meine
Töchter verdursteten, weil kein Wasser in ihnen war. Deshalb nahm ich sie
fort. Du hast nicht für meine Töchter gesorgt und ihnen Wasser gegeben.
Es ist nötig, daß du sie gut hütest, wenn sie dienen sollen.“ Dann ging
Medimetse fort und schickte ihre Töchter, die Töpfe, zu der Frau.
Die Töpfe kehrten zurück und sagten zu der Frau: „Wir verdursteten,
deshalb hat unsere Mutter uns zu sich genommen.“ Da gab die Frau ihnen
Wasser und sorgte, daß sie immer Wasser hatten.
Medimetse, gleichzeitig die Herrin und Mutter des lehmfarbenen Tones, ist
eine nackt umherwandelnde alte Frau mit weißem Haar auf ihrem Haupt, das
die Tacana als Tahahachua bezeichnen (tahaha = Spindel; echna = Kopf). Ihr
unterstehen die aus dunklem Ton hergestellten Tongefäße: die Matu — Wasser-
krüge, die Quiedu = Gefäße, in die bei der Maisbierbereitung die gemahlene
Maismasse gesiebt wird, die Meridsepe — Tonschalen und die Ebadsui = Ton-
röster.
Außer Medimetse kennen die Tacana Anu Ataruru {anu = Großmutter;
ataruru — Name eines Platzes zwischen Tumupasa und San José, an dem die
Eingeborenen den weißen Ton brechen. Der kleine Fluß, der an der Stelle
vorbeifließt, trägt den gleichen Namen). Anu Ataruru ist ebenfalls eine alte
Frau mit weißem Haar, die unbekleidet einhergeht. Als Herrin des weißen
Tones betreut sie die vorwiegend aus diesem hergestellten großen Tongefäße,
die speziell der Aufbewahrung des Maisbieres dienen, die Marera und die
Eshrinai, d. h. Gefäße mit großer und mit kleiner Öffnung. Ähnlich wie die
Geräte, so stehen auch Medimetse und Anu Ataruru in polarem Verhältnis zum
Menschen: Medimetse straff die Frau, weil sie ihre Töchter, die Tongefäße,
vernachlässigt hat. Anu Ataruru tötet die Frauen, die nicht genau ihre Weisun-
Baeßler-Archiy, Neue Folge, Band III
81
gen beim Tonbrechen befolgen, indem sie diese mit Erde zudeckt. Im Gegensatz
dazu hilft sie dem Menschen — sie zeigte den Frauen die Herstellung der Ton-
gefäße, sie zu formen und zu brennen. In gleicher Art wird von dem Herrn
der Körbe berichtet:
Der Herr der Körbe ist ein Mann, der den Körper eines Dsritiducu (be-
stimmter Korb) mit einem Menschenkopf hat. Er lehrte in der frühen Zeit
die alten Männer, Körbe aus jungen Motacu-Palmblättern zu verschiedenem
Gebrauch herzustellen. Die alten Männer sahen zu und lernten, Körbe zu
flechten. Sie zeigten es den Enkeln. So wissen die Männer heute, wie Körbe
gefertigt werden.
Die bisherigen Überlieferungen zeigten die verlebendigten Geräte im alltäg-
lichen Dasein des Menschen und unter dem Schutz ihrer Hüter. Darüber hinaus
sind eine Anzahl von ihnen mit kosmischen Vorgängen verbunden wie die
folgenden aus Tumupasa (1 und 3) und Ixiamas (2 und 4):
Der Mond wußte von seinem Sterben. Er sagte zu den Matten, den Feuer-
fächern, den Töpfen, den Rührern des Maisbieres, den Körben, den Waffen
und allen anderen Gegenständen: „Bewegt euch, wenn ich sterbe!“ Zu den
Bäumen sprach er: „Wenn ich sterben werde, dann beginnt euch zu bewegen.“
Als der Mond zu sterben begann, fingen alle Gegenstände an, sich zu be-
wegen. Die Matte begann umherzuwandern. Sie begegnete dem Feuerfächer.
„Was machst du?“ fragte sie ihn. „Ich gehe umher, der Mond hat mich ge-
heißen, umherzugehen. Ich tue es, weil er es gesagt hat.“ Der Rührer des
Maisbieres fing an, sich zu bewegen. Er bewegte sich so heftig, daß er den
Topf zerbrach, in dem er sich befand. „Warum tust du dieses?“ fragte ihn
der Maisbiertopf. „Der Mond hat mir befohlen, mich zu bewegen“, erwiderte
der Rührer des Maisbieres. „Darum tue ich es.“ Das faule Holz lag auf der
Erde. Es wollte sich aufrichten und gehen, wie der Mond geheißen hatte.
Es sah Matten und Geräte vorbeikommen. „Richtet mich auf, daß ich mich
bewege“, bat es die Matten und die Gegenstände. Da halfen die Matten und
die Gegenstände das faule Holz aufzurichten. Als sie es aufgerichtet hatten,
ruhte das faule Holz einen Augenblick aus. Da begann der Mond erneut zu
leben. Das faule Holz stürzte zu Boden und alle Gegenstände, denen der
Mond befohlen hatte, umherzugehen und sich zu bewegen, waren wieder
leblos: die Matten, Feuerfächer, Töpfe, die Rührer des Maisbieres, Körbe,
Waffen und die Bäume.
Früher starb die Sonne. Da empörten sich die Geräte der Menschen gegen
sie, die Tonkrüge und Tonschalen und alle anderen Geräte. Besonders böse
waren die Tonkrüge. Sie fraßen die Menschen. Noch heute finden sich die
Knochen der gefressenen Menschen In den großen Gefäßen tief in der Erde.
6 Baeßler III
82
Hissink, Leben und Empörung der Geräte
In früher Zeit starb die Sonne. In der Dunkelheit empörten sich gegen die
Menschen alle Gegenstände, die sie in Gebrauch hatten. Vor allem die Ton-
töpfe lehnten sich gegen die Menschen auf. Auch die Tiere erhoben sich, die
Jaguare, die Schweine und andere Tiere. Am schlimmsten waren die Ratten
und die Nachtaffen. Sie erschienen in Scharen und wollten mit den anderen
Tieren und den Gegenständen zusammen die Menschen fressen. Nur die aus
Motacu-Palmblättern geflochtenen Matten schirmten die Menschen und
schützten sie vor den Angriffen der Gegenstände und der Tiere, bis die Sonne
wieder ins Leben zurückkehrte.
Früher starb die Sonne. Da begannen alle toten Dinge auf der Erde sich
zu bewegen, lebendig zu werden und sich gegen die Menschen zu empören.
Besonders böse waren die Ratten. Sie erschienen in allen Größen. Niemand
wußte, woher so viele Ratten kamen. Alle anderen Tiere, auch die Bäume
und Pflanzen und alle Gegenstände der Menschen empörten sich. Sie griffen
die Menschen an, um sie zu töten und zu fressen. Nur die Matte, die aus
Motacu-Palmblättern geflochten war, hielt zu den Menschen. Sie rollte sich
schützend um diese. Auch die Menschen erhoben sich gegeneinander und woll-
ten sich töten und fressen. Nach einiger Zeit wurde die Sonne wieder leben-
dig und alles, wie es vorher war.
Diese Erzählung, die in gleicher Form auch für das im Wohngebiet der
Tacana seltene Erdbeben berichtet wird, ist mit geringen Abweichungen zehn-
mal belegt worden, und zwar viermal in Ixiamas, viermal in Tumupasa, je
einmal in San Jose und in Taua. Es erhellt daraus, daß ihr im Gedankengut
der Tacana wesentliche Bedeutung zukommt. Allen Überlieferungen ist ge-
meinsam, daß entweder eine Mond- oder eine Sonnenfinsternis oder ein Erd-
beben den Anlaß gibt, daß die Geräte der Menschen lebendig werden und sich
zu bewegen beginnen, ebenso wie faules Holz, Pflanzen und Bäume. Während
im ersten Beispiel nur die Bewegung der Geräte, des Holzes und der Bäume
ausschlaggebend und dieser Zustand mit dem Abklingen der Eklipse wieder
vorüber ist, bewirkt diese in den drei letzten Überlieferungen eine Empörung
der Geräte gegen ihre Besitzer. Nur die Matte — in einer Variante auch der
Feuerfächer und die Motacu-Palmblätter, aus denen betont Matte und Feuer-
fächer geflochten sind — beteiligen sich nicht an dem Aufstand. Feuerfächer
und Motacu-Palmblätter dienen dem angegriffenen Menschen zur Verteidi-
gung. Die Matte umhüllt den Menschen, um ihn vor den Angriffen der Geräte
und Tiere zu schützen. Diese nehmen ebenso wie Pflanzen und Bäume an der
Empörung teil, auffallend bösartig Ratten und Nachtaffen. Auch die Menschen
kehren sich gegeneinander, um sich zu vernichten und zu fressen.
Das Motiv des Aufstandes der Geräte gegen den Menschen in Beziehung
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
83
zum kosmischen Geschehen ist nicht nur im Wirken von Mond- und Sonnen-
finsternis sowie Erdbeben verankert, sondern auch in einem Mythenzyklus,
der sich um das Werden der Erde und die Vorgänge in der Urzeit gestaltet hat.
So heißt es in einer offenbar nur als Bruchstück erhaltenen Überlieferung aus
San Buenaventura:
Bevor die große Flut die Erde überschwemmte und vernichtete, erhoben
die Töpfe, die Reibebretter, die Waffen und andere Gebrauchsgegenstände
der Menschen sich gegen diese und fraßen sie.
Klar umrissen erscheint in dieser Aussage wieder die Empörung der Geräte
gegen ihre Besitzer. Die Tacana betonen nun ausdrücklich, daß dieses Ereignis
vor der großen Flut eintrat, die in alter Zeit, als die Erde noch weich war,
die Welt überschwemmte und sie zerstörte. Diese Mythe gehört demnach,
ebenso wie die vorhergehenden, in den von Krickeberg aufgeworfenen Fragen-
komplex. Auch die Tacana bewahren die Tradition von verschiedenen Kata-
strophen, die die Welt mehrfach vernichteten, bevor sie ihre heutige Form
erhielt.
Der mit dem Leben und der Empörung der Geräte zusammenhängende
Sinngehalt ist außer im Erzählungsgut der Tacana auch bis heute in ihrem
Brauchtum erhalten geblieben: Geräte und Waffen erfahren besondere Be-
handlung. Ein Ordnungsprinzip sichert ihnen einen bestimmten Platz im Flaus.
Der Wassertopf muß immer gefüllt sein, der Feuerfächer bei Nichtbenutzung
an seinen Platz in die Wand gesteckt werden. Im Innern der Häuser wird im
Giebel die aus Motacu-Palmblättern geflochtene Matte aufbewahrt, die nicht
benutzt werden darf. Sie ist Symbol des Schutzes, den die Matte in der frühen
Zeit dem Menschen gewährte und soll diesen Schutz auch in der Gegenwart
und in der Zukunft den Bewohnern des Hauses bieten. Die Motacu-Palme
hat im religiösen Zeremoniell wesentliche Bedeutung, über die an anderer Stelle
berichtet werden soll.
Der unmittelbare Zusammenhang mit dem kosmischen Geschehen und sein
Niederschlag im Erzählungsgut der Tacana findet noch heute bei Sonnen- und
Mondfinsternissen und bei Erdbeben seinen Ausdruck. Die Menschen klagen
und lärmen, sie trommeln und blasen Flöten. Die Männer schlagen ihre Waffen
zusammen, die Frauen schlagen auf ihre Mahlbretter und Töpfe, in den Mis-
sionen läuten die Eingeborenen die Glocken. Alles geschieht, um Sonne und
Mond ins Leben zurückzurufen, die Erde zu beruhigen, Unheil abzuwehren
und den Fortbestand der Welt zu gewährleisten.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III 85
DREI ALTE WAFFEN AUS NORDAMERIKA IM STAATLICHEN
ETHNOGRAPHISCHEN MUSEUM IN STOCKHOLM
SIGVALD LINNÉ, Stockholm
Die Sammlungen, welche man jetzt Statens Etnograftska Museum (Staat-
liches Ethnographisches Museum) nennt, können auf eine verhältnismäßig lange
Existenz zurückblicken, die hinsichtlich der Zeit vor 1841 noch teilweise unge-
klärt ist. In dem genannten Jahre wurde die ethnographische Sammlung der
Königlichen Wissenschaftsakademie in einem Raum des alten Baues des Reichs-
museums, der innerhalb der eigentlichen Stadt lag, aufgestellt. Im Jahre 1875
wurde die in der Zwischenzeit vergrößerte Sammlung in ein altes zweistöckiges
Gebäude gegenüber dem Reichsmuseum verlegt und im Jahre 1880 dem Publi-
kum zugänglich gemacht. Erst im Jahre 1902 ist eine selbständige ethnogra-
phische Abteilung mit eigenem Vorsteher im Reichsmuseum eingerichtet worden.
Der erste Inhaber dieser Stellung war Professor Hjalmar Stolpe in der Zeit von
1903 bis 1905.
Nach einem reichlichen halben Jahrhundert in dem alten Gebäude wurde
das Museum in die Kasernen des früheren Leibdragonerregiments, die im Zu-
sammenhang mit der Einziehung des Regiments im Jahre 1925 geräumt wur-
den, verlegt. Eine zum Museum umgebaute Kaserne wurde im Jahre 1938
eröffnet und es werden dort Sammlungen vom Fernen Osten und Indien gezeigt.
Das übrige umfassende Material des Museums ist in einer Unzahl Kisten in zwei
benachbart liegenden Kasernen gelagert, und auf Grund von Personalmangel
konnte die Katalogisierung bedeutender Teile der Sammlungen, die dem Mu-
seum durch Expeditionen zugeführt oder von anderen Sammlungen abgesondert
worden waren, nicht vorgenommen werden. Man muß das tief beklagen, ebenso
wie die Tatsache, daß für große Teile der ältesten Gegenstände keine Angaben
vorliegen, wann und wie sie nach Schweden gekommen sind und ebensowenig,
woher sie stammen.
Aus Anlaß der außerordentlichen Veröffentlichung von Professor W. Kricke-
berg „Ältere Ethnographica aus Nordamerika im Berliner Museum für Völker-
kunde“ (Baeßler-Archiv, Neue Folge Band II, Berlin 1954) soll hier in Kürze
über einige alte Gegenstände aus Nordamerika Bericht erstattet werden. Das
gesamte wertvolle Material, welches Professor Krickeberg wie immer mit außer-
ordentlicher Gelehrtheit und vorbildlicher Genauigkeit zusammengebracht hat,
wird von allergrößtem Wert, wenn unsere Gegenstände eines Tages studiert
und publiziert werden. Aber auch diese präliminare Vorstellung gibt einige
Ergänzungen der Arbeit von Professor Krickeberg. Von den drei alten Gegen-
86
Linné, Drei alte Waffen aus Nordamerika
ständen, über die hier berichtet werden soll, hat nur eines eine bekannte Ge-
schichte, nämlich der Tomahawk (Taf. I, a). Er ist von dem Typ, den Kricke-
berg „Englische Form“ nennt (Taf. 40a). Diese Kombination von Tomahawk
und Friedenspfeife wurde 1783 der Wissenschaftsakademie von Dr. theol. Carl
Magnus Wrangel geschenkt. Er war im Jahre 1758 nach Pennsylvanien als
Propst über die dortigen schwedischen lutherischen Gemeinden gegangen. In
seiner Schenkungsurkunde, die erhalten ist, sagt der Spender: „Calumet oder die
sogenannte Friedenspfeife ist bei den Indianern unfeststellbar alt. Die beigefügte
wurde bei einem großen Friedenskongreß im Jahre 1758, der in New Jersey
in der Stadt Aeston abgehalten wurde, von dem Indianerkönig Tagashata
dem General Johnson übergeben, welcher auf der Seite des Königs der ver-
nehmlichste Vertreter der königlichen Interessen und General über die Mo-
hawkindianer ist, und General Johnson gab sie mir selbst als Geschenk ...
Er selbst betrachtete diese Pfeife als das vornehmste Stück der gesamten kost-
baren Sammlung indianischer Antiquitäten, die er besaß, und verbot mir, sie
jemandem in Amerika oder England zu zeigen ...“ Nach Professor Gerhard
Lindblom („Statens etnografiska museum“, Blä Boken, Stockholm 1953) dürfte
der hier erwähnte General mit dem in der Geschichte von Nordamerika be-
rühmten William Johnston identisch sein, der in dem bekannten indianischen
Stammesverband „Die sechs Nationen“ großen Einfluß gewann und selbst
Häuptling der Mohawkindianer wurde. Ihm war es zum großen Teil zu ver-
danken, daß die sechs Nationen sich auf Englands Seite stellten oder in jedem
Fall im Kriege gegen die Franzosen neutral blieben. Sein schöner Gutshof
Johnston Hall bei der Stadt Johnstown soll noch bestehen.
Über die zwei Keulen finden sich keine Angaben in den Katalogen. Wir
wissen daher nicht, woher oder wann sie in das Museum gekommen sind. Die
eine ist eine Pickelkeule (Taf. 1 c), die andere eine „Kugelkopfkeule“, um
Krickebergs treffende Terminologie anzuwenden (Taf. Ib).
Ein mit Taf. Ic nahezu identisches Exemplar findet sich in den ethnogra-
phischen Sammlungen des Nationalmuseums in Kopenhagen, Dieses Exemplar
ist mit geschliffenen Muschelschalenstücken schön dekoriert, hat aber keinen
Tragriemen, also keinen Riemen, an dem man die Keule tragen kann. Die
Klinge ist von Stein und hat dieselbe Form wie die der Stockholmer Keule.
Krickeberg nimmt an, daß „die beiden einzigen erhaltenen Pickelkeulen aus
alter Zeit in den Museen von Kopenhagen und Stockholm“ von den Irokesen
stammen (S. 181). Sie dürften aber wahrscheinlich von den Algonkin sein.
Schweden hatte von 1638 bis 1655 eine Kolonie, „Neu-Schweden“, am Dela-
warebusen in den jetzigen Staaten Delaware, Pennsylvania und New Jersey.
Die Kolonisten hatten von den Grundeigentümern ehrlich Grund und Boden
gekauft und standen auf sehr gutem Fuße mit den Indianern. Diese gehörten
Beitrag Linné
Tafel I
a Kombination von Tomahawk und Friedenspfeife, 1758 in Aeston (New Jersey) dem General Johnston
von Häuptling Tagashata übergeben. Klinge und Pfeife sind aus Eisen; der Holzschaft ist mit
Kupferdraht umwickelt. Länge 49,8 cm
b Pickelkeule mit Eisenklinge, die mit einem Lederriemen an dem Holzschaft befestigt ist. Ursprünglich
war der ganze flache Schaft, mit Ausnahme des gerundeten Handgriffes, mit weißer und grüner
Muschelschale verziert. Der Handriemen endigt in einer Haarquaste. - Länge der Klinge: 32,9 cm. -
Länge des Schaftes: 44,4 cm
c Kopf einer Kugelkopfkeule (vgl. Tafel II)
Tafel II
Kugelkopfkeule, vermutlich von den Lenape, aus einem Stück schweren Hartholzes heraus-
gearbeitet. Der Griff läuft in einen plastischen menschlichen Unterschenkel aus. Inkrustierungen
aus schwarzer und weißer Muschelschale. Der Kopf ist mit einem eidechsenartigen Tier verziert.
Länge: 65 cm
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
87
dem Algonkinstamme der Lenape an, und wir nannten sie „unsere Indianer“
oder „schwedische Indianer“.
Die Kugelkopfkeule wurde sowohl von Irokesen wie von Algonkins ge-
braucht. Solche Keulen gibt es in vielen Museen, aber die besten und ältesten
sind die zwei in Kopenhagen, die in dem Ethnographischen Museum in Stock-
holm sowie die zwei in der reichhaltigen Waffensammlung im Schlosse Sko-
kloster, das ungefähr 50 km nördlich von Stockholm liegt. Die zuletzterwähnten
Keulen sind von zweierlei Art: die eine hat einen kurzen, wahrscheinlich
abgebrochenen Griff, der nach oben zu kräftig gebogen ist und mit einer mit
einfachen Metalleinlagen dekorierten Kugel abschließt. Die andere ist mit der
Keule in Stockholm nahezu identisch. Es besteht nicht der mindeste Zweifel
darüber, daß sie aus derselben Zeit und von demselben Platz stammen, und
man dürfte beinahe annehmen können, daß sie von demselben Meister ge-
schnitten und dekoriert sind. Eine der Keulen in Kopenhagen weist sogar die
allergrößte Übereinstimmung auf. Die Gegenstände in Kopenhagen stammen
unzweifelhaft aus dem siebzehnten Jahrhundert. Der Grundstock zu den
Sammlungen in Skokloster wurde von dem Bauherrn Graf Carl Gustaf Wran-
gel geschaffen, einem der prominentesten schwedischen Befehlshaber zu Lande
und zu Wasser in unserer kurzen Großmachtszeit, Im Nachlaßverzeichnis nach
seinem Tode im Jahre 1676 sind die Keulen zusammen mit anderen ethnogra-
phischen Dingen von Amerika sowie mit einem Kajak aufgenommen. Diesen
kann der eifrige Sammler während der Zeit, in welcher er Oberbefehlshaber
der schwedischen Kriegsstärken in Dänemark war, erworben haben.
Mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit kann demnach gel-
tend gemacht werden, daß die Keulen in Stockholm und Skokloster von In-
dianern in der schwedischen Kolonie Neu-Schweden stammen, und dasselbe gilt
auch für die Pickelkeule. Das Mutterland war ständig in Kriege mit dem
Kaiser, mit Polen, Rußland, Brandenburg, den Holländern und Dänemark
verwickelt.Die Kolonie erhielt daher unzulängliche Unterstützung vom Mutter-
lande und wurde eine leichte Beute der Holländer. Daß die Indianer aus
eigener Initiative damals für die Schweden kämpfen wollten, stellt Schweden
als Kolonialmacht ein gutes Zeugnis aus. Wir haben unsere Kolonie verloren,
aber das Interesse für die Indianer haben wir uns erhalten, und keine Nation
dürfte im Verhältnis zu der Größe der Bevölkerung mehr Forscher nach der
Neuen Welt geschickt haben, um die Kultur der Indianer in Gegenwart und
Vergangenheit zu studieren.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
89
DEL ESTILO CHAVIN
JORGE C. MUELLE, Lima
Sorprenderá que después de los años transcurridos, de la cantidad de tinta
gastada, y de tanta tierra removida desde que U h 1 e publicara sus primeros
y principales trabajos sobre el Perú, haya quien ose defender una de sus viejas
teorías: la que considera el estilo Chavín como derivado del de Nasca, punto
de vista que afirmara en el XVI Congreso Internacional de Americanistas, en
1910, y que había ya planteado en un trabajo previo presentado al Primer
Congreso Científico Panamericano, reunido en Santiago de Chile. Hubo un
momento en que casi todos los peruanistas, tácita o expresamente, compartían
su opinión de que era uno de los estilos tardíos en el cuadro cronológico de
las culturas precolombinas. Pero a partir de 1919, el D r. Julio C. Tello
esbozó, primero, y fué reforzando y definiendo en el curso de su vida, la tesis
revolucionaria — como la calificó él mismo — de que Chavín era una de las
culturas primitivas del Perú.
En beneficio de la claridad, vamos a considerar para este caso — y sólo
para este caso — los términos „primitivo“ y „tardío“ tomando como línea
de referencia la cultura representada por la antigua cerámica policroma de
Nasca. Como el Dr. Tello estaba empeñado en encontrar la cultura primordial
andina, sus doctrinas al respecto sufrieron varios retoques, pero quedaron
redondeadas en su obra postuma: „Discovery of the Chavín Culture in Perú“1.
A partir de entonces, los peruanistas quedaron separados en dos campos de
opinión acerca de eso que se llama Chavín. Entre los que creían que Chavín es
un estilo tardío están los investigadores ingleses SirClementMarkham
y Thomas A. Joyce.
Evidentemente, los supuestos de una y otra tesis no son caprichosos: están
basados en hallazgos, de cuya relidad no cabe discusión. Es la interpretación
de los hechos lo que no satisface del todo, y a ello ha contribuido un cierto
dogmatismo mal reprimido.
En 1927, Alfred L. Kroeber se mostraba decidido por la tesis tra-
dicional: „De estas semejanzas estilísticas podría resultar más bien que la
cultura Chavín era contemporánea de una de las últimas fases de la cultura
Nasca y no anterior, ni totalmente ni en uno de sus factores formativos“1 2.
1 Am. Antiquity, v. 9, p. 135—160. 1943.
2 Coast and Highland in prehistoric Perú. Am. Anthropologist. v. 29, p. 625—653.
1927.
90
Muelle, Del Estilo Chavin
En 1942, empero, impresionado por los hallazgos del D r. Tello escribe
de la cultura Chavin: „Mientras su precisa ubicación cronológica no está com-
pletamente asegurada, todas las indicaciones están por que fue primitiva (early):
pre-Tiahuanaco, casi ciertamente anterior a Mochica y Nasca, que fueron antes
estimadas como las primeras culturas conocidas3.
Oscilación análoga puede señalársele al pensamiento de W e n d e 11 C.
B ennett y otras prestigiosos arqueólogos norteamericanos.
Con todo, el Prof. Kroeber encuentra que hay inconsecuencias en el
material museológico y bibliográfico acumulado hasta el presente, y escribe:
„El concepto de Chavin ha resultado proteicamente evasivo en la prehistoria
peruana porque se ha hecho para incluir tres diferentes cosas; un estilo artístico,
un culto religioso y una cultura.“4.
En un reciente trabajo, Gordon R. W i 11 e y hace observaciones pare-
cidas: „En la arqueología peruana, el término Chavin, derivado del sitio de
Chavin de Huántar, ha venido a significar no un único concepto, fácilmente
definible, sino una serie de conceptos. Se ha usado para denotar un estilo
artístico, un período arqueológico, un „horizonte“, una „cultura“, una „cul-
tura básica o raíz“, una „civilización“, y un „imperio“5.
El problema ha sido colocado así en un plano especulativo, cosa muy
necesaria. W i 11 e y hace una revisión del problema y coteja los datos de
campo. Respecto a la distribución geográfica llega a la conclusión de que hay
„evidencia indisputable del estilo Chavin“ en Chavin de Huántar, Yauya,
Cerro Blanco y Puncurí en Nepeña, Pallca y Mocheke en Casma, Cupisnique,
Chiclayo, Morropón, Chongoyape, Pacopampa, Hualgayoc, Kuntur-Wasi,
Humaya, Supe y Ancón. Sin embargo, para establecer la relación se han to-
mado diferentes materiales y técnicas.
Siguiendo su sano ejemplo vamos a discernir los conceptos, y a ocuparnos
sólo del estilo artístico. Por el momento, y por razones metodológicas dejaremos
de lado los datos estratigráficos, especialmente porque las ecavaciones de
Bennett en Chavin no arrojaron mucha luz sobre el problema, y porque
no tenemos, todavía, relación entre los estratos Chavin y Nasca.
Nos parece que las asociaciones de la arquitectura y la lito-escultura con
la cerámica deben ser cuidadosamente revisadas. Retrollevando el examen,
encontramos que la confusión comienza cuando por 1926 el Dr. Tello incluye
en su Chavin clásico los fragmentos cerámicos encontrados por U h 1 e en los
3 Peruvian Archaeology in 1942, Viking Fund Publ. in Anthrop. n. 4. p. 92, N. Y.,
1944,
4 BAE Bul. 143, v. 5: Handbook of South American Indians. Washington, 1949.
5 The Chavin problem: A Review and Critique. Southwestern Journal of Anthro-
pology, v. 7, n. 2, p. 103, Alburquerque, 1951.
Bacßler-Archiv, Neue Folge, Band III
91
basurales de Ancón y Supe, cerámica que el investigador alemán atribuía a
una cultura primitiva de pescadores anterior al florecimiento de las Proto-
Nasca y Proto-Chimú, y cuya identidad con Chavín no aceptó nunca. En-
tonces, cuando se hablaba de Chavín se pensaba en la piedra Raimondi casi
de modo exclusivo.
En 1919, el Dr. T e 11 o descuidó la asociación del „Castillo“ de Chavín
de Huántar con los fragmentos de cerámica que vió en sus inmediaciones;
„No dió importancia ... a este hallazgo porque creyó que tales fragmentos
revelaban sólo la propagación a la sierra de la cerámica negra Chimó .. .“6 7 8.
Su estilo Chavín en la alfarería había sido entresacado de las colecciones
mochicas, procedentes principalmente del valle de Chicama. Posteriormente, en
1934, Tello recorrió Chavín buscando superposiciones reales que le per-
mitiesen afirmar sus teorías, y descubrió fragmentos cerámicos en el lecho del
río Mariash7.
Una visión bastante completa del estilo cerámico „Chavín“ del Norte la dan
los trabajos de Rafael Larco Hoyle en la costa; preferimos, como él,
conservar la denominación de procedencia: Cupisnique. De otros sitios no
tenemos sino fragmentos pequeños.
Ante lo borroso de todo el panorama, hay que avanzar con cautela y re-
definir el estilo „Chavín“. También esto ha sido ya hecho, muy en especial por
K r o e b e r8. Estrechando más el cerco, debe rehacerse el análisis del estilo
de las piedras de Chavín. Buena parte del material ha sido presentado por el
mismo Tello y por B e n n e 119. El Prof. Kroeber inició la revisión de
la escultura clásica Chavín y dió para la que proviene de Chavín de Huántar
una útil nomenclatura y una clasificación10 11 12.
Como la terminología de Tello incluye un „Pre-Chavín“ y un „Sub-
Chavín“, tomemos su „Chavín Clásico“, que la mayoría de los arqueólogos
respeta y utiliza.
Dice W i 11 e y : „Chavín es el nombre dado a un estilo artístico prehistórico
del área norte peruana11.“ „Para esta discusión el estilo Chavín está definido
como idéntico o estrechamente parecido a los dibujos de los tallados en piedra
de Chavín de Huántar'2.“
El estilo „Chavín Clásico“ es, pues, el de las representaciones pétreas de
6 Antiguo Perú, pág. 98- Lima, 1929.
7 Disc. of Chav. Culture, p. 151.
8 Selected Papers presented to the XXIX Congr. of Americanists, t. I., y Handbook
of S. Am. Indians, v. 5.
9 Chavín Stone Carving. Yale Anthropological Studies, v. 3, 1942.
10 Peruvian Archaeology in 1942 — p. 82—93, N. Y. 1944.
11 The Chavín Problem — p. 137.
12 The Chavín Problem — p. 109.
92
Muelle, Del Estilo Chavin
Chavín de Huántar. Las piezas principales que han informado el concepto son
las señaladas por K r o e b e r como M 1, M 2, M 3 y M 4. De ellas, únicamente
M 2, la piedra de Yauya, no procede de Chavín de Huántar, pero hay unani-
midad para juzgarla como „Chavín Clásico“. Gordon R. Wi 11 ey la acepta:
„Este solitario hallazgo me parece justificable incorporarlo en el estilo Chavín13.“
En general, el estilo ha sido descrito y definido tantas veces que vamos a
dispensarnos aquí de dar sus características. Para su mejor análisis, W i 11 e y
toma los conceptos de 1) la tecnología, 2) las representaciones y 3) configura-
ción. Preferimos emplear los términos e ideas usuales en Historia del Arte:
tratamiento, que es de sentido dinámico y comprende la composición o configu-
ración y las consideraciones tecnológicas; y descomponer representación en los
conceptos estáticos de tema y motivo.
Este trabajo es un resumen y no vamos a fatigar con una comparación ex-
haustiva. Ya hemos publicado14 un análisis de la piedra MI — aunque con
graves errores de imprenta — y nos resta ahora, a pesar del tiempo que ha
pasado, reafirmarnos en lo principal de su contenido.
La cuestión principal es la relación entre Nasca y Chavín; dejaremos para
otra oportunidad el examen comparado con el arte Mochica y el de Tiahuanaco.
La piedra M 3, llamada Lanzón Monolítico, a causa de su forma que parece
un enorme cuchillo (4,54 m. de alto), dada a conocer por Wiener, y la
piedra M 4, que se señala más comunmente como el Obelisco de la Universidad
por pertenecer al Museo de la Universidad de San Marcos, y también, recien-
temente, como Obelisco T e 11 o , son las dos de mayor importancia. Esta
última es un prisma de sección rectangular y tiene grabada en sus caras late-
rales la figura de un monstruo, reproducida magníficamente en desarrollo por
Tello15. El dibujo de Rojas Ponce, representado por el mismo T e 11 o y
reproducido por Camón Cachot y Rroeber16, es una deformación con gran
fantasía para adaptarse a las interpretaciones del Dr. Tello, quien creía ver
en toda la representación el cuerpo de un jaguar.
Al desdoblarse la decoración grabada en la piedra M 4 se obtiene dos
imágenes semejantes que corresponden a un único ser representado de modo
esquemático y explicativo más bien que en forma imitativa, puesto que las
patas grabadas en una y otra de las caras angostas de la piedra no se corres-
ponden: una de las representaciones del monstruo se encuentra invertida en
relación a la otra. Dicha particularidad hace que la imagen total sea ininteli-
13 The Chavín Problem — p. 113.
14 Filogenia de la Estela Raimondi. Rev. del Mus. Ncl. v. 6, p. 135—150. Lima, 1937.
15 Wirakocha, Inca, v. 1, p. 93—320, 538—606,
16 Tello, 1942, lám. 10 Carrión Cachot, 1948, fig. 7; Kroeber v. 5,
p. 418. fg. 88, 1949.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
93
gible a primera vista. Contribuye a la confusión la serie de motivos super-
puestos que es característica del estilo. A pesar de todo, esos motivos van con-
tenidos dentro de los límites que constituyen la silueta orgánica de la repre-
sentación total. Así, por ejemplo, la cola está formada por una cabeza zoomór-
fica con grandes caninos y barbas peniformes; los codos y rodillas, asimismo,
están hechos con cabezas semejantes. En la punta del obelisco, sobre la cabeza
del monstruo, hay un atavío, como la borla de un 11 a u t o que cae y se
prolonga por delante del rinorio. La particularidad más saltante de la figura
la constituyen los amenazadores colmillos que se proyectan afuera de la boca,
una triple banda que corre a todo lo largo del animal, y esa cola a que acabamos
de aludir. Pues bien; estos elementos son, precisamente, los que acusan una
influencia Nasca. La cauda es píscica en forma franca; la triple banda, que
aquí significa además una doble hilera de dientes, es típica de las representa-
ciones nasquenses; la cabeza y el cuerpo todo delatan esa divinidad ictiomorfa
que Yácowleff identificó como derivada del boto (whale-killer)17. El
estudioso ruso manifestó esta opinión en repetidas conversaciones y, por
supuesto, consideraba la cultura de Nasca como anterior a la de Chavín.
El análisis de otros detalles del obelisco nos afirma en aquellas mismas ideas.
Así, la figura antropomorfa18 que marca el nacimiento de la cola del monstruo
es de corte nasquense y recuerda también bordados de la Necrópolis de Paracas:
su actitud de volar o nadar es muy elocuente.
Las manos y pies de la creación mitológica que examinamos no son un
obstáculo para considerarla como una figura pisciforme o, mejor dicho, del-
fínica: las pinturas cerámicas de Nasca también presentan al boto, deificado,
con brazos y piernas.
La Piedra de Yauya, que aun el Dr. Tello estima es la representación
de un pez, tiene manos y pies semejantes a los de la figura del obelisco. Una
cara con boca de amenazadores colmillos ostenta en el sitio correspondiente
a la barba un dibujo repetido que forma la cauda del monstruo. Este dibujo
continúa a lo largo de todo el dorso; al centro de él corre una variante que
sugiere vértebras. La cabeza tiene la boca en forma de U, como en la mal
llamada tiara de la divinidad esculpida en la Estela Raimondi, y este detalle,
por su tratamiento y colocación, es buena prueba de la conexión con Nasca que
en forma y contenido tiene el grabado de Yauya,
Del tema artístico-religioso tratado en el Lanzón se puede afirmar que es
el mismo del monolito Raimondi y que las diferencias formales entre ambos
monumentos están determinadas anamórficamente por la configuración y pro-
17 La Deidad Primitiva de los Nasca. Rev. del Mus. Ncl., T. I, Lima, 1932.
18 Véase Carrión Cachot, lám. XIX 3: La Cultura Chavín: Dos nuevas colo-
nias. Lima, 1948.
94
Muelle, Del Estilo Chavin
porciones de los bloques de piedra que han sido aprovechados para el uno y
el otro. El diseño relievado en una sola cara de la Estela Raimondi se presenta
en el Lanzón desarrollado alrededor de toda la piedra fusiforme, salvo en la
punta inferior que no pudo ser aprovechada en la composición y que estaba
enclavada en el suelo para dar estabilidad al monolito. Esta acomodación de la
composición a la forma de los trozos pétreos a ser utilizados, es típica de
Chavin, y muchas veces impone tales deformaciones en los temas que sólo un
ojo avisado puede reconocerlos. Necesitaríamos un cúmulo de imágenes, mayor-
mente de la cerámica de Nasca y el área mochica, para explicar cómo el cambio
de posición y la adaptación a superficies de diferentes proporciones, hace que
un pez se antropomorfice y transforme en la figura de un demonio sentado o
de pie que apenas conserva como vestigios aletas puntiagudas en los costales, y
cuernos espirales en el testuz. La forma del trozo granítico, en el caso del
Lanzón, privó al artista de la libertad necesaria para reproducir equilibrada-
mente todos los detalles del sujeto y le obligó a introducir ciertas variantes
insustanciales en cuanto a arreglo y disposición de los motivos. A la banda,
considerada tiara, en el Monolito Raimondi, corresponde aquí la parte superior
más estrecha de la pieza, aquella parte que parece mango de cuchillo: da difi-
cultad de reproducir la sucesión de volutas y serpientes hizo que esa parte, que
Tello llama „apéndice cefálico“, se redujese a una serie de cabezas super-
puestas, como en la parte central de la „mitra“ del monstruo cincelado en la
Estela Raimondi. Quizás el motivo trenzado que recorre el lomo del Lanzón
sea un vestigio de las extrañadas volutas. En cuanto a la simetría bilateral,
tampoco se pudo respetar en su rigor, dado que había que acomodarse a super-
ficies que no estaban en un mismo plano. El Lanzón no es todavía una estatua en
todo-relieve sino un bulto con plano-relieves que se destacan de las superficies
naturales del pedrón.
A pesar de que la boca del demonio de Chavin ostenta grandes colmillos
felínicos y que hay largas garras en sus dedos, los rasgos humanos predominan
es esta variante de la representación. El tratamiento de la cara es menos bestial;
las orejas son netamente homínidas, tanto por la forma como por la posición,
y además lucen unos pendientes circulares; lo propio puede decirse des las
manos, con pulgar decididamente humano. Al igual que la Estela Raimondi,
es gorgónico el tratamiento de la cabellera, y similarmente, se ha traducido con
serpientes las cejas o párpados superiores. Un detalle nuevo, de suma impor-
tancia para los estudios comparativos, es un par de culebras, debajo del ojo,
como descendiendo del ángulo exterior de éste: por su dirección y colocación
no pueden ser mostachos de felino sino, más bien, los llamados „lagrimones“
del arte tiahuanaquense, que tiene su origen en Nasca.
Las manifestaciones del arte Chavin en la Costa son muy importantes para
Baeßler-Archiy, Neue Folge, Band III
95
Decoración del vaso de Lambayeque
reconstruir la evolución del estilo. Es lógico que ésta se haya hecho pasando
por diversos materiales, como el metal, el hueso, la madera y el barro, y que
las técnicas correspondientes dejasen en el tratamiento de los motivos su huella
morfológica. Los relieves policromados descubiertos en la Huaca de Cerro
Blanco en Nepeña y los de Moxeke en Casma no dejan lugar a duda respecto
a que algunos de los eslabones de aquella evolución están representados por los
bajorrelieves modelados en los paramentos de barro de las ¡macas de la costa,
aunque los datos de que se dispone son insuficientes todavía para indicar el
punto preciso del continuum a que corresponden. Los objetos tallados, especial-
mente los de piedra, nos ayudarán en la reconstrucción de la cadena filoge-
nética.
Por el interés que tiene al efecto, presentamos aquí la fotografía adjunta.
El espécimen es un vasito cilindrico de 60 mm. de alto, 52 mm, de diámetro
y 4 mm. de espesor. El material identificado por el Prof. Reginald K a ra-
tee f f, es silicato de magnesia hidratado (probablemente Esteatita), de color
heige. Por 1940 estuvo en exhibición en el Museo Nacional (edificio de Alfonso
ligarte) y pertenecía al Sr, Eduardo Muelle, que lo había prestado. Pro-
venía de Lambayeque, y el huaquero que lo vendió con otros pequeiíos objetos
de plata, una ollita globular, una serie de laminitas cortadas y marcadas como
para soldarse, y una botellita (Véase fig. 1c y pág.207 deConcerning the Middle
Chima Style, Jorge C. Muelle, University of California Publications in
American Archaeology and Ethnology, vol. 39, No 3, Berkeley, 1943), dijo
haberlos encontrado juntos.
La decoración, que cubría toda la superficie externa lateral, reproducida en
el calco que acompañamos, está grabada en champlevé y se compone de un
motivo de forma de S, repetido dos veces con pocas variantes. El cuerpo de
la S está compuesto por tres bandas paralelas, la central de las cuales es esca-
mada; los extremos están constituidos por sendas cabezas de animal, las que
tienen una particularidad: cuando se las mira por un lado son le ave, pero
96
Muelle, Del Estilo Chavin
cuando se las mira por el otro, lo que podría ser la cara y la cresta del ave,
se transforman en los dientes prognatos de un monstruoso mamífero, al parecer.
Sobre la cabeza de esas aves hay, en dos casos, corona o tocado de complicado
diseño, que repite elementos del motivo principal y tiene una cabecita que
podría ser de loro pero que semeja las de halcón, en el tratamiento típico de
Tiahuanaco. Todo el tema de la corona recuerda también a la cabeza que
Posnansky llamó de „cóndor coronado“. La cabeza de mamífero (?) con
dentadura prominente es semejante a las que aparecen en el subestilo Nasca Y
de Kroeber y que a veces tiene un cuerpo simiesco (Véase lámina 30a,
J. C. Muelle y Camilo Blas, Muestrario de Arte Antiguo Pre-Colom-
bino, Rev. Museo Nacional, vol. 7, N° 2, Lima, 1938).
El estilo es Chavin, por el abigarramiento, el tratamiento de los ojos, etc.,
y tiene de común con el de la Estela Raimondi esta particularidad de
mostrar un aspecto por un lado y metamorfosis de los motivos cuando se los
voltea o mira por el otro lado. Esto es también un recurso de algunas imágenes
bordadas en mantos de Paracas (Necrópolis). La relación más evidente es con
el centípedo bicéfalo de Nasca que con frecuencia tiene esa disposición en S;
la banda longitudinal en „escamas“ acentúa la analogía.
Por lo demás, se conoce vasos de piedra cilindricos con decoración grabada
de puro estilo nasquense19.
Un hueso esgrafiado, procedente del valle de Chicama20, tiene marcada
semejanza, por sus motivos de dientes prognatos, con el vasito de nuestra
fotografía, y nos ayuda a certificar su origen.
19 J. C. T e 11 o. Vaso de piedra de Nasca. Primeros indicios de una cultura mega-
lítica semejante a la de Chavin en esta región del Perú. Chaski, v. 1, n. 1 págs.
27—48. Lima, enero-febrero, 1940.
10 J. C. T e 11 o. Discovery of the Chavin Culture in Perú; lám. XXIV c.
Vasito de piedra de estilo Chavin, provenido de Lambayeque
Beitrag Muelle Tafel
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
97
TUMACO
Ein Fundort der Esmeraldas-Kultur in Kolumbien
HORST NACHTIGALL, Mainz
Bei meinem Aufenthalt in Kolumbien 1952/53, der vor allem der Erfor-
schung der archäologischen Kultur des Tierradentro und der Kultur von San
Agustín, sowie der ethnographischen Erforschung der Paez-Indianer1 gewidmet
war, fand ich in einigen kolumbianischen Museen eine Art von Figurenkeramik,
die völlig verschieden ist von der Keramik aller übrigen kolumbianischen Kul-
turen und über die bis auf eine kurze Notiz in der kolumbianischen Zeitschrift
Naturaleza y Técnica2 bis jetzt noch nichts veröffentlicht worden ist. Es handelt
sich um Gegenstände, die in der Nähe von Tumaco, der kolumbianischen Hafen-
stadt an der SW-Küste des Landes, durch Raubgräber und Schatzsucher in den
Handel gebracht worden sind. Die Funde weisen sehr starke Ähnlichkeiten, ja
Übereinstimmungen mit der Keramik der ecuadorianischen Esmeraldas-Provinz
auf, deren Hauptfundort La Tolita etwa 110 km (Küstenlinie) von Tumaco
entfernt liegt. Die in dieser Provinz von M. H. Saville und M. Uhle unter-
nommenen Feldforschungen wurden schon früher veröffentlicht3. Ein kleiner,
in Frankreich befindlicher Teil der insgesamt viele Hunderte von Einzelstücken
umfassenden Sammlungen ist in neuerer Zeit von R. d’Harcourt monographisch
bearbeitet worden4. Die größte bestehende Sammlung der von M. H. Saville
auf sechs Expeditionen nach dem Museum of the American Indian, New York,
geschafften Keramiken harrt noch der Untersuchung.
Über die in kolumbianischen Museen und Sammlungen zusammengetragenen
Gegenstände der Kultur von Tumaco und ihren Fundort läßt sich Endgültiges
erst nach eingehenden Forschungen und Grabungen an Ort und Stelle aussagen.
Eine kurze Materialvorlage im Rahmen einer stilistischen Untersuchung schon
zu diesem Zeitpunkt scheint jedoch vertretbar. Einmal ergibt sich daraus als
Ergebnis eine genauere Kenntnis der nördlichen Ausdehnung der Kultur von
Esmeraldas, zum anderen bildet Tumaco mit seinen Funden den nördlichsten
Punkt der mittelamerikanischen Kultureinflüsse, die sich auf dem Seewege auf
die südamerikanische Westküste erstredet haben.
Eine Gesamtvorlage des mir zur Verfügung stehenden Materials ist an
dieser Stelle nicht möglich. Es wird in einem sich in Vorbereitung befindlichen
1 Vgl. H. Nachtigall (1954).
2 J. C. Cubillos Ch. (1950).
3 M. H. S a v i 11 e (1908); M. U h 1 e (1927 b).
4 R. d’ Harcourt (1941).
7 Baeßler III
98
Nachtigall, Tumaco
Buch über die archäologischen Kulturen des Nordandenraumes eingehender be-
handelt werden. Im Folgenden sollen nur die Typen vorgelegt werden, die ent-
weder in den über die Esmeraldas-Kultur bereits publizierten, recht umfang-
reichen Sammlungen noch nicht vertreten sind oder die als Beweisstücke für
die kulturhistorische Einordnung der Kultur von Tumaco gelten können. Es
soll außerdem — soweit dies nach dem mir vorliegenden Material möglich ist —
versucht werden, eine Abgrenzung bzw. Modifikation zur Archäologie der Pro-
vinz von Esmeraldas herauszuarbeiten.
Ich hatte Gelegenheit, den Ort Tumaco und seine nächste Umgebung zu-
sammen mit meiner Frau während weniger Tage im Juli 1953 in Augenschein
zu nehmen. Das gesamte Küstengebiet um Tumaco wird von einem dichten,
siedlungsfeindlichen Mangrovengürtel eingenommen, der sich von der Mündung
des Rio Santiago in Ecuador nach Norden, teilweise bis zu 40 km Tiefe — ent-
sprechend dem bei Flochwasser überfluteten Küstengebiet — bis zur kolumbiani-
schen Choco-Küste hinzieht. Als Siedlungsgebiet werden die über das Hoch-
wasserniveau hinausragenden trockenen Inseln und die Mündungstrichter der
Flüsse benutzt. Die Niederschläge im Küstengebiet, welche durch die ansteigende
Luft vor der kolumbianischen Weltkordillere mit bis zu 8000 mm den höchsten
Wert Südamerikas erreichen, gehen bei Tumaco auf 2759 mm im Mittel zu-
rück5 * *. Das während des ganzen Jahres nahezu gleichbleibende, feuchtheiße
Klima begünstigt eine üppige Vegetation. Die Hauptanbaufrucht für die Aus-
fuhr bildet der Kakao; auch Kautschuk hat als Exportartikel noch eine gewisse
Bedeutung. Das Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung bildet die Mehlbanane
neben den in außerordentlicher Mannigfaltigkeit gefangenen Fischen.
Die Stadt selbst liegt auf einer der Inseln, die in größerer Zahl der un-
bewohnbaren Gezeitenzone des Festlandes vorgelagert sind. Mit ihren 45 000
Einwohnern erreicht sie fast die gleiche Einwohnerzahl wie Buenaventura, die
andere, etwa 250 km nördlich gelegene pazifische Hafenstadt Kolumbiens.
Aber während durch diesen Hafen etwa 40% der kolumbianischen Ein- und
Ausfuhr gehen, entfällt auf Tumaco nur 1 %.
Der Bevölkerungsanteil der Neger, die in und um Tumaco vorwiegend in
Pfahlhäusern wohnen, beträgt mehr als 95 %. Es sind Nachkommen der Skla-
ven, die zur Kolonialzeit, schon im 17, Jahrhundert, von den Spaniern als
Minenarbeiter ins Land gebracht wurden, und die heute innerhalb der kolum-
bianischen Gesamtbevölkerung etwa 30 % ausmachen. Sie bewohnen vor allem
die feuchtheißen Gebiete der kolumbianischen Nord- und Westküste8.
5 Vgl. H. Wilhelmy (1953 b), S. 96—98 und Abb. 3: Karte der Jahresnieder-
schläge der pazifischen Küstenebene Kolumbiens.
* Abbildungen von Tumaco bei H. ¥ e b e r (1955) Bild 3 und 4; H. Trimborn
(1954) Taf. 7 und 8. Vgl. auch H. W i 1 h e 1 m y (1953 a).
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
99
Die Verkehrsverbindung mit Tumaco ist sowohl auf dem Landwege als
auch mit dem Flugzeug möglich. Die kolumbianische Luftverkehrsgesellschaft
LANSA befliegt die Strecke Bogota—Cali—Tumaco zweimal wöchentlich. Die
Landverbindung geschieht über die Straße Popayan—Pasto—El Diviso und
von dort dreimal wöchentlich mit der Eisenbahn weiter bis Tumaco.
Die ältesten Nachrichten von diesem Teil der pazifischen Küste datieren von
1526, als Francisco Pizarro bei seiner zweiten Auslandsreise auf der Suche nach
dem Lande „Birvi“ von Panama kommend in der Mündung des Rio San Juan,
südlich Tumaco, anlegte. Von dort schickte er seinen Piloten Bartolome Ruiz
de Estrada zur Erkundung der unbekannten Küste nach Süden aus. Dieser kam
bis zur Bucht San Mateo, wohl der Mündung des Rio Esmeraldas. Die Spanier
erbeuteten von den dortigen Indios Gold und Smaragde7.
Das heutige Tumaco gehörte nicht mehr zum Imperium der Inka, denn die
Nordgrenze des Reiches, der Rio Ancasmayu, „Kupferfluß“, entspricht dem
Lauf des heutigen Rio Guiza — Rio Mira. Während von den Eingeborenen der
ecuadorianischen Küste ein ganze Anzahl von Berichten aus der Entdeckungs-
zeit vorliegen, fehlen aus dem Gebiet von Tumaco alle frühen Nachrichten.
Nach J. C. Cubillos wohnte hier einstmals der Stamm der Turnas, und daher
der Name der heutigen Stadt8. Unter spanischer Verwaltung dürfte das Gebiet
erstmals 1538 unter Pascual de Andagoya als Teil der Gobernación des Rio
San Juan gekommen sein, obwohl Don Pascual nicht direkt dort gewesen ist9.
Das aus dem Museo Nacional, Bogotá, dem Museum der Academia de
Historia, Bogotá, und dem archäologischen Museum der Universität Popayan
stammende und hier vorzulegende Material umfaßt nur Arbeiten aus Ton. Noch
nichts ist aus Tumaco von gesicherten Goldfunden berichtet worden, die inner-
halb der Esmeraldas-Provinz — besonders in La Tolita — ein charakteristisches
Kulturelement bilden. Es handelt sich dort im allgemeinen um außerordentlich
kleine Objekte, etwa 2000 Ringe, Spiralen, Nägel, Perlen u. ä., die zum Studium
ihrer Details unter der Lupe betrachtet werden müssen. Sie sind erstmals von
M. H. Saville beschrieben worden10.
Auch von Smaragdfunden — nach denen das Küstengebiet und die archä-
ologische Kultur gleichen Namens ihre Bezeichnung haben — ist von Tumaco
nichts berichtet. Desgleichen ist über steinerne prähistorische Waffen und Ge-
7 Ausführlich bei M. H. S a v i 11 e (1907) Vol. 1, S. 8—13; M. U h 1 e (1927 b) S. 2—5.
Vgl. auch S. Linné (1929) S. 139—151; H. Trimborn (1954) S. 32—51.
8 J. C. Cubillos (1950), S. 25.
9 H. Trimborn (1954) S. 57 ff.
10 M. H. Saville (1908) S. 340 f. Eine Untersuchung dieser Goldgegenstände ist
später mehrfach vorgenommen worden, zuletzt durch H. Reichlen (1941).
7*
100
Nachtigall, Tumaco
täte nichts Sicheres bekannt11. Weiterhin fehlen bislang die kleinen Spiegel aus
Pyrit oder Obsidian, welche außerhalb der Esmeraldasprovinz in den Anden-
Kulturen fast unbekannt sind11 12. Zu erwähnen ist auch, daß bis jetzt keine Spinn-
wirtel bekannt geworden sind. Man kann sich ein völliges Fehlen dieses Indizes
für das Spinnen und damit das Weben schlecht vorstellen, aber auch in Esme-
raldas sind sie bemerkenswert selten, während sie weiter südlich, in der Küsten-
provinz von Manabi, von M. H. Saville in großer Menge gefunden wurden13.
Die archäologische Hauptbedeutung der Esmeraldas-Provinz liegt in der
außerordentlichen Fülle von Terrakotta-Figürchen, deren Größe zwischen 3
und 30 cm schwankt. Sie werden In einem Küstenstreifen von mehr als 300 km
Längenausdehnung gefunden und nehmen den größten Anteil aller archäologi-
schen Gegenstände ein. In einer derartigen Massierung findet man sie in Süd-
amerika nicht ein zweites Mal, Technisch gehören sie zu den besten Keramik-
Arbeiten des ganzen vorgeschichtlichen Amerika.
An der südkolumbianischen Küste finden sich die Figürchen am Strand der
Insel Tumaco und der benachbarten Insel El Morro, wo sie bei Flut aus dem
Boden herausgewaschen und bei Ebbe aufgelesen werden können. Auch auf den
benachbarten Inseln — z. B. Merete — soll man sie beim Nachgraben in nur
sehr geringer Tiefe antreffen können, desgleichen etwa 40 km weiter im Inland
— noch innerhalb der Küstenebene — am Mittellauf des Rio Mira und am
Rio Chiloi. Man gelangt dorthin von der Eisenbahnstation Espriella aus, einer
Haltestelle der Strecke Tumaco—El Diviso. Dort sollen die Statuetten bei
einem Fundort, der den bezeichnenden Namen „Monte Alto“ trägt, innerhalb
von kleinen Hügelchen gefunden werden. Es dürfte dies etwa den Verhältnissen
auf der Insel La Tolita entsprechen, dem Hauptfundort der Esmeraldas-Kultur.
Auf deren südlichem Teil befinden sich nach M. H. Saville, dem ersten Bericht-
erstatter, etwa 40 Mounds (nach Max Uhle 24 und nach einer neueren Zählung
von E. N. Ferdon 41 Mounds), angeordnet in Form eines offenen Rechteckes
bzw. in U-Form. Die Größenangaben des größten Mound werden mit 60 m
Länge, 35 m Breite und 9 m Höhe bzw. 246 Fuß Länge, 200 Fuß Breite und
23 Fuß Höhe angegeben. Die Maße der übrigen Mounds sollen sich nach
M. Uhle auf 30—50 m Länge, 22—32 m Breite und 1,90—5,50 m Höhe, nach
M. H. Saville auf 4—25 Fuß Höhe und 20—150 Fuß Durchmesser belaufen.
Letzterer vergleicht diese Konstruktion mit den Mounds des Ohio-Tales Nord-
11 Die Funde als solche und die diesbezüglichen Nachrichten von den Chronisten, wie
Cieza de Leon u. a., beweisen eine Handelsverbindung mit dem Hochland von
Bogota, da nur dort, in der Mine von Muzo, in vorgeschichtlicher Zeit Smaragde
gefördert wurden.
12 R. d’Harcourt (1941) S. 139, 145 f, Abb. 63/1—8.
13 M. H. S a v i 11 e (1907) I, PI 48; (1908) S. 343.
Raeßler-Arcbiv, Neue Folge, Band III
101
amerikas, E. N. Ferdon bezeichnet sie als vom gleichen Typ wie die Mounds
der Hochlandsprovinz von Imbabarua, östlich von Esmeraldas14. Umfang-
reichere Grabungen sind in La Tolita noch nicht vorgenommen worden.
M. H. Saville öffnete einen Mound, der in 7 m Tiefe eine Skelettbestattung in
sitzender Lage enthielt. In der Hand hielt der Verstorbene ein großes Siegel
oder einen Stempel. Daneben lagen eine große Anzahl von Tongefäßen und
ein goldenes Ei mit einem Smaragden in der Mitte15. Max Uhle legte einen
Schnitt durch einen weiteren Mound. Er fand in der Mitte eine Skelettbestat-
tung und daneben aufgeschichtet eine größere Anzahl von Tongefäßen bzw.
Scherben, deren rote und gelbe Bemalung — teilweise in Negativmalerei — sich
gut erhalten hatte16. Die beiden genannten Forscher, wie auch E, N. Ferdon,
halten die Mounds teils für Bestattungsplätze, teils mögen sie auch als Basen
für Tempel gedient haben, obwohl für irgendwelche Aufbauten keinerlei Indiz
spricht. In Tumaco sind entsprechende Grabungen noch nicht vorgenommen
worden. Sie werden erschwert durch die tiefe Lage der Fundstätten, denn die
pazifische Küste senkt sich in diesem Bereich bis Manabi ständig. Nach den Be-
obachtungen von M. Uhle muß die Küste bei La Tolita früher etwa 2 m höher
gelegen haben. Bei Flut liegen ausgedehnte Reste von Muschelabfallhaufen
(Kjökkenmöddinger) 1,50 m unter Wasser17.
Eine eingehende Beschreibung der verschiedenen Typen der Keramik von
Esmeraldas und der Formen von Tracht und Schmuck geben M. Uhle und
R. d’Harcourt18. Die Farbe des Tones der Figurenkeramik schwankt zwischen
grau, braun, hellem ocker und gelb. Die menschlichen und tierischen Figürchen
sind teils mit der Hand, teils mit Formen hergestellt. Die plastische Durch-
bildung ist verschieden, es gibt teils flach modellierte, nur auf Vorderansicht
berechnete Figuren, in der Mehrzahl sind es jedoch ausgesprochen sorgfältig
bearbeitete Rundplastiken. Ganzfiguren sind seltener. Am häufigsten trifft man
Köpfchen oder Büsten an, die aber nicht immer nur Bruchstücke sind, sondern,
wie die Abb. II d zeigt, auch als solche gearbeitet worden sind. Ihre Bedeutung
ist unsicher. Viele der Figuren sind vielleicht ex votos. Eine Anzahl ist durch-
bohrt, so daß sie als Amulette getragen worden sein können. Auffällig ist die
Mannigfaltigkeit der Typen. Ich fand keine zwei gleichartig gebildeten Figuren,
und auch in den Schmuckmerkmalen, ja in der Tracht gibt es kaum überein-
14 M. H. Saville (1908) S. 340; M. U h 1 e (1927 a) S. 24, (1927 b) S. 18—21 und
Karte 2; E. N. Ferdon (1940) S. 266—268, vgl. die Abbildungen eines Mound
auf S. 280. Eine weitere Abb. eines Mound von La Tolita gibt A. Müller (1954)
S. 34 im Rahmen eines im übrigen recht phantasievollen Textes.
15 M. H. Saville (1908) S. 340.
16 M. U h 1 e (1927 b) S. 19—21 und Karte 3.
17 M. Uhle (1927 a) S. 14.
18 M. U h 1 e (1927 b); R. d’Harcourt (1941).
102
Nachtigall, Tumaco
stimmende Merkmale. Frauen scheinen Röcke zu tragen, während Männer mit
rechteckigen Schamschürzen bekleidet sind, die von einem Hüftgürtel herab-
hängen. Aber auch darin gibt es immer kleine Unterschiede, entweder in der
Gestaltung, oder in einer gewissen Ausschmückung. Die Röcke sind entweder
glatt, oder mit Vertikalfalten versehen, oder sie enthalten geometrische Muster,
während die Schamschurze der Männer glatt sind oder mit Zierknöpfen besetzt
(vgl. Abb. II a-b). Eindeutig ist das Geschlecht nicht auszumachen. Die mit
einem rechteckigen Schamschurz bekleidete Figur II b hat durchaus weibliche
Körperformen, während die mit einem Rock bekleidete maskentragende Figur
Abb. III b männliche Proportionen aufweist.
In der Durchbildung der Ganzfiguren sind zwar Körper und Beine gegen-
über dem Kopf zu klein, sie sind dennoch sorgfältig ausgearbeitet. Die Füße
sind als Standflächen ausgebildet. Der Typus dieser Figürchen unterscheidet sich
somit grundsätzlich von denen der anderen amerikanischen Kultur, die durch
eine ähnlich große Anzahl von verschiedenartigen Tonfigürchen ausgezeichnet
ist: die archaische Kultur des Hochtales von Mexiko.
Die Gesichter sind außerordentlich ausdrucksvoll und individualistisch ge-
bildet. Senkrechte Stirnfalten oder eine Facialis-Lähmung (Abb. II b) werden
genau so künstlerisch registriert, wie das kühne Gesichtsprofil auf der Abb. II d.
Hier begegnet uns überdies der seltene Fall, daß eine Frisur dargestellt ist,
während die Köpfe allgemein von verschiedenartigen Hauben oder gar einer
Zipfelmütze bedeckt sind, die wohl eine optische Verlängerung des Hinter-
kopfes bewirken soll. Eine Kopfdeformation tritt hier bei der Abb. II d nicht
in so starkem Maße in Erscheinung, wie bei der Abb. II e und bei anderen, wo
deutlich eine schräge tabulare Deformation erkennbar ist, bei der die Ab-
flachung von Stirn und Hinterkopf im Säuglingsalter durch aufgebundene
Brettchen bei gleichzeitiger Verbreiterung des Schädels hervorgerufen wird19.
Die Nase ist kräftig ausgebildet. Teilweise springt sie hakenförmig vor
(Abb. II d). Die Augen sind bei den menschlichen Figuren im allgemeinen oval,
seltener annähernd halbkreisförmig — mit der waagerechten Seite nach unten —
gebildet, während die Tieraugen häufig rund sind. Die Augenlider werden
durch wulstige Umrandungen dargestellt, die Pupillen sind manchmal durch
leichte punktförmige Vertiefungen angedeutet. Eine Regel läßt sich allerdings
hier auch nicht aufstellen. Bei den Abb. IV a und IV b finden sich Reste weißer
Bemalung auf den Augäpfeln. Augendarstellungen in „Kaffeebohnenform“, wie
sie sonst nur in der „archaischen Kultur“ Mexikos, in Mittelamerika, Nord-
kolumbien und Venezuela auftreten, finden sich bei den Figuren von Tumaco
19 Dieser Deformationstyp entspricht dem „flat, oblique typ“ Imbellonis (1950)
S. 55, bzw. der „Def. fronto-occipitalis obliqua“ des gleichen Autors (1930) S. 805.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
103
selten, während sie in Esmeraldas häufiger verkommen20. Schrägstellung der
Augen findet sich sowohl in Aufwärts- als in Abwärtsrichtung. Die Ohren sind
im allgemeinen mit Ohrpflöcken geschmückt, die sehr verschiedene Formen
haben können. Teils sind es walzenförmige Pflöcke, die waagerecht durch die
Ohrläppchen gesteckt werden (Abb. II a und II d), teils sind es größere, durch
den oberen Rand der Ohrmuscheln gesteckte Scheiben (Abb. II e). In einem
solchen Falle ist meist der ganze Rand der Ohrmuscheln zusätzlich mit einer
Anzahl von Durchbohrungen versehen, durch die kleine Pflöcke oder Ringe ge-
steckt sind. Neben ringförmig aneinander gereihten und durch die Ohrläppchen
gesteckten Ohrringen (Abb. II b) finden sich auch durch die Ohrmuscheln ge-
steckte Schleifen oder Ohrpflöcke mit Anhängern (Abb. IV a). Der Nasen-
schmuck ist ebenfalls nicht einheitlich. In einem bisher einzigen Falle ist ein
halbmondförmiger Nasenanhänger dargestellt (Abb. III c). Teilweise ist der
Nasenring wulstig gebildet, so daß er in der Darstellung wie ein Knopf aus-
sieht, der unterhalb des Septums hängt oder mitten durch die Ohrlippe ge-
steckt scheint (Abb. II e, III d, IV b). In einigen Fällen sind unterhalb der
Nasenlöcher oder auf den Wangen, unmittelbar neben den Nasenflügeln,
perlenförmige Knöpfe sichtbar, die im ersteren Falle möglicherweise als End-
verzierung eines durch das Septum gesteckten Nasenstabes gedacht sind
(Abb. II c). Eine Unterscheidung in männliche und weibliche Nasenverzierung
läßt sich nicht treffen, ebenfalls nicht bei dem Flals- und Brustschmuck, wo wir
beträchtliche Variationen bemerken. Die einfachste Form besteht aus einer
Perlenkette, die aus längs durchbohrten Perlen besteht (Abb. II a und II c).
Diese Ketten liegen dicht am Halse an, ähnlich auch andere, die offensichtlich
aus mehreren Schnüren von aufgereihten Perlen bestehen (Abb. II b und II e).
Häufig wird von voll modellierten stehenden oder sitzenden Figuren ein Brust-
schmuck getragen, der aus einem länglichen Anhänger besteht, welcher an einer
um den Hals gelegten Perlenkette befestigt ist. Möglicherweise sollen es Amulett-
figuren sein, zu denen auch einige der hier beschriebenen Figuren gehören kön-
nen. Arm- oder Fußschmuck ist selten. Allerdings ist das Vergleichsmaterial
nicht sehr reichhaltig. Bemerkenswert ist ein menschlicher Fuß — wegen seiner
glatten Schnittfläche kein Bruchstück, sondern wohl ein Votivgegenstand —, der
unterhalb des Knies und um die Fessel mit Ringen geschmückt ist (Abb. III f).
Parallelstücke sind mir aus Tumaco und Esmeraldas nicht bekannt. Derartiger
Fußschmuck ist aber charakteristisch für die Goldfiguren des Caucatales, bei
denen diese Binden als karibisches Schmuckmerkmal angesehen werden.
Hingewiesen sei auf drei Masken. Die Maske auf Abbildung III a scheint
wegen der gefurchten Stirn einen alten Mann darzustellen. Die halbkreisförmi-
20 M. Uhle (1927 b) Lam. 2/3; R. d’Harcourt (1941) PI. 38/7.
104
Nachtigall, Tumaco
gen Wangenriefen, die wie die Andeutung eines Bartes aussehen, scheinen jedoch
kein Altersmerkmal zu sein. Möglicherweise handelt es sich um eine Tatauierung.
Ein ähnliches Muster zeigt auch die hervorragend ausdruckskräftig gestaltete
Maske der Abb. III b.
Unsicher ist die Bedeutung der beiden Köpfchen Abb. IV a und IV b. Bei
letzterem soll vielleicht eine Hasenscharte dargestellt sein. Die beiden hauzahn-
artigen Gebilde neben normal großen Zähnen sind jedoch nicht erklärbar.
Unüblich ist auch die Form der Augen und der Schmuck der Kopfbedeckung.
Das Köpfchen der Abb. IVa hat eine Parallele in Esmeraldas21. Bemerkenswert
ist das bartartige Gebilde und der bis unter das rechte Auge emporgezogene
Mundwinkel.
Tierfiguren sind unvergleichlich seltener als menschliche Darstellungen. Das
am häufigsten dargestellte Tier ist — wie in fast allen mittel- und südameri-
kanischen Kulturen von Yucatan bis Peru — der Jaguar, der hier mit dem
charakteristischen runden Katzenkopf und den Reißzähnen und meist mit her-
ausgestreckter Zunge gebildet wird (Abb. IV e). Mit den gleichen Merkmalen
wird der Jaguar sowohl in den mexikanischen Codices dargestellt22, als auch
als hervorragendes Motiv in den Darstellungen der peruanischen Chavin-Kultur
gebildet23. Außerdem gibt es in Tumaco Hundeköpfchen mit herausgestreckter
Zunge, einer Darstellungsart, die in amerikanischen Kulturen bei Hunden recht
selten ist und beispielsweise in der zapotekischen Kultur von Oaxaca vor-
kommt24.
In der Häufigkeit ihres Vorkommens wären als nächstes Vogelfiguren zu
erwähnen, die allgemein typologisch nicht sehr gut bestimmbar sind und eher
Singvogel als Raubvögel darstellen. Es ist dies erklärlich, da die Tierfiguren oft
Okarinen sind. Charakteristisch und immer zu erkennen sind Eulen, die, — wie
auch in den mexikanischen Handschriften — als einziger Fall dieser Art regel-
mäßig en face dargestellt sind (Abb. I c und IV f)25. Bei der letzteren Figur soll
der um das Gesicht laufende Federring wohl eine Schleiereule andeuten.
Als kulturgeschichtlich bedeutsames Motiv Ist die Darstellung eines Kroko-
dils oder Drachens zu erwähnen, wobei entweder das ganze Tier mit dem
charakteristischen gezackten Rückenkamm dargestellt ist (Abb. I d), oder sich
verschiedenförmige einzelne Köpfe des gleichen Tiertypes (Abb. IV c) finden.
Um eine zoologisch einwandfreie Darstellung handelt es sich in keinem Fall,
denn entweder hat das Reptil in der Keramik große Hauzähne, oder eine her-
21 R. d’H a r c o u r t (1941) PI. 21.
22 E. Seler (1923) S. 467.
23 Vgl. H. Ubbelohde-Döring (1952) Abb. 236—237.
24 P. K e 1 e m e n (1946) Vol. 2, PL 120.
25 Vgl. E. Seler (1923) S. 609.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
105
ausgestreckte Zunge, oder beides. Es muß sich demnach um ein mythologisches
Motiv handeln, denn auf den von Salzwasser umgebenen Inseln der pazifischen
Küste ist das Krokodil ohnehin nicht bekannt. Das gleiche darf wohl zum
mindesten auch für den Jaguar gelten. Wir dürfen das Krokodil bzw. den
Drachen in der Keramik von Tumaco deshalb als ein weiteres Vorkommen der
mexikanischen Federschlange bzw. der von F. Röck so benannten „beidendköp-
figen Schlange“ ansehen. Es handelt sich dabei um ein Motiv, das in Kunst,
Mythologie und Kosmologie der Nordwest-Küstenindianer, bei den Pueblos
und bei einigen Algonkin-Stämmen eine Rolle spielt. In Skulpturen und in der
Bildnismalerei tritt sie als „Himmelsschlange“ sehr häufig bei den Mexikanern
und Maya auf. Wir finden sie weiter in der Provinz Chiriqui (Panama), in
San Agustin (Kolumbien), in Cojitambo (Ecuador) und mehrfach auf Geweben
und Tongefäßen in der nord- und südperuanischen Kunst, desgleichen beim
Monolithtor von Tiahuanaco in Bolivien und auf Graburnen der Calchaqui-
Indianer NW-Argentiniens. In den Mythen noch existierender Andenstämme
ist sie ebenfalls nachweisbar26.
So wie sich dieses Schlangen-Drachen-Krokodilmotiv in der Kunst von
Tumaco äußert, zeigt es recht enge Beziehungen zur Kunst von Chiriqui, in
der der sogenannte „Chiriqui-Alligator“ in vielen Varianten als eigener Kera-
mik-Stil in der Dekoration eine beherrschende Rolle spielt. Seine stilisierte
Form sehe ich in der gemalten Dekoration des Gefäßes Abb. I a27. Zwei in
Relief dargestellte Schlangen finden sich als Dekoration auf der Schulter des
Gefäßes Abb. I b. Darstellungen von Eidechsen und Schildkröten, die in der
Keramik von Esmeraldas recht häufig sind, fehlen in Tumaco. Dafür tritt
offensichtlich in Esmeraldas das Krokodil als Einzeldarstellung nicht auf, wohl
aber als Krokodil-Drache mit herausgestreckter Zunge als Relief auf Keramik-
Bruchstücken und als Muster zylindrischer Rollstempel28. Bemerkenswert ist
dort, wie auch auf einigen Stücken aus Tumaco, das nach oben gebogene
26 F. Röck (1924) S. 200 f. und (1925) S. 272 f.; M. Barbeau (1952) S. 118—120;
E. S e 1 e r (1923) S. 646—653. Hingewiesen sei hier auch auf eine sehr interessante
Darstellung, die H, A. Lavachery (1929) auf Pl. 46 gibt. Es ist das sehr
realistisch gestaltete Tongefäß eines Fabelwesens, das in seinen Vorderfüßen einen
menschlichen Kopf hält. Sein zackenbesetzter Kopf und Rücken erinnern an ein
Krokodil, das Maul mit den Hauzähnen und der herausgestreckten Zunge, sowie
die mit Krallen bewehrten Füße an einen Jaguar. Der aufwärts gerichtete Schwanz
ist als Schlange mit geöffnetem Maul ausgebildet. Auf dem mit der Figur ver-
bundenen Sockel sind weitere Schlangen sichtbar, die das Gefäß dem Mochica-Stil
zuordnen. Ähnliche gemalte Darstellungen bei F. Röck (1924) Abb. 3 aus dem
Chicama-Tal und bei S. K. L o t h r o p (1937) Fig. 89, aus Moche.
27 Vgl. G. G. MacCurdy (1908).
28 R. d’H arcou r t (1941) Pl. 49—50, desgl. PL 12/10, 13/9, 59/11; vgl. auch (1948)
S. 320 f.
106
Nachtigall, Tumaco
Schnauzenoberteil, ein Merkmal, das sich in der Natur nicht findet und in der
Darstellung von Jaguaren und Alligatoren bei den Maya, wie auch in der
peruanischen Keramik, zweifellos mythologisch begründet ist29.
Einen weiteren, sehr wichtigen Anteil an den Formen der Keramik von
Tumaco nehmen neben den rein menschlichen und tierischen Formen Darstel-
lungen ein, in denen ein menschlicher Körper mit einem tierischen Kopf ver-
sehen ist. Dieses Motiv kommt nach R. d’Harcourt aus dem Maya-Bereich30.
Es ist dort in Plastik und Malerei vielfach belegt. In Kolumbien findet es sich
sowohl bei kleinen Ton-Okarinen in der Tairona-Kultur, als bei den steinernen
Statuen von San Agustin. Das Figürchen der Abb. II f möchte ich hierzu rech-
nen. Es ist wegen der großen Hauzähne und der herausgestreckten Zunge be-
merkenswert. Es leitet über zu den in Tumaco wie auch in Esmeraldas vor-
handenen tier-menschlichen Figuren, aus deren tierischem weit geöffnetem
Rachen ein menschliches Gesicht herausschaut31. Die Darstellungen erinnern in
mancher Hinsicht an die totonakischen Palmas32. Jenem Motiv hat jüngst
J. Haekel eine Studie gewidmet und sein Vorkommen in einer Anzahl von
amerikanischen Hochkulturen der frühen Epochen von Mexiko bis Peru fest-
gestellt. Es handelt sich danach mit großer Wahrscheinlichkeit um die Darstel-
lung eines tierischen Doppelgängers oder alter ego, altertümlichen, im Jäge-
rischen wurzelnden Vorstellungsinhalten33.
Die Gebrauchskeramik findet sich in den Museen in ungleich geringerem
Maße als die Figurenkeramik. Der Grund liegt zweifellos nicht darin, daß die
damaligen Bewohner die Kunst der Gebrauchstöpferei nicht in genügendem
Maße beherrscht hätten oder sie auch nur, dem Vorhandensein entsprechend,
in geringem Maße ausgeübt hätten, sondern daran, daß die in die Museen ge-
langten Gegenstände Zufallsfunde sind. Die Schatzsucher hatten an größeren,
mehr oder weniger unverzierten Töpfen weniger Interesse; sie sind schwieriger
zu bergen und komplizierter zu transportieren. Außerdem ist man in Laien-
kreisen allgemein der Meinung, daß es in den übrigen kolumbianischen Kul-
turen schon genug ähnlicher Gefäße gäbe, so daß man sich aus Gründen des
Seltenheitswertes beim Sammeln auf die Figurenkeramik verlegte. Die „Arbeit“
der Schatzsucher paßte sich ganz einfach der Nachfrage an. Tatsächlich berichtet
ja Max Uhle über den von ihm angeschnittenen Mound in La Tolita von einer
größeren Anzahl von Gefäßen und über eine Fülle von Scherben34. Auch in
29 Vgl. H. S p i n d e n (1913) S. 134, Fig. 184 b; S. K. L o t h r o p (1926) II., S. 250,
Fig. 140; (1937) Fig. 89 (Zusammenstellung); O. v. Buchwald (1922) S. 155.
30 R. d’Harcourt (1941) S. 121. Vgl. H. Spinden (1913) Fig. 235, 251, 252.
31 M. Uhle (1927b) Lam. 5/4, 13/5; R. d’Harcourt (1941) PI. 28/4, 28/7.
32 Vgl. W. K r i c k e b e r g (1918/25) S. 38—39.
33 J. H a e k e 1 (1952) S. 187—188.
34 M. Uhle (1927b) S. 20—21.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
107
Tumaco erfuhr ich von den Leuten, bei denen ich einige Tonfiguren erwerben
konnte, daß sich an den entsprechenden Fundstellen große Mengen von Scher-
ben — aber angeblich keine intakten Gefäße — finden sollen. Wie über alle
mit der Kultur von Tumaco zusammenhängenden Probleme können auch hier-
über nur die nach wissenschaftlicher Methode unternommenen Grabungen Aus-
kunft geben. An dieser Stelle seien nur einige typische Formen vorgelegt.
Charakteristisch sind Gefäße mit hohlem Fuß35. Die Form der Abb. I a und
I b — von R. Harcourt als „Blumenvase“ bezeichnet — ist außer in Tumaco
auch außerordentlich häufig in den kolumbianischen Caucatalkulturen vertreten,
wo ebenfalls, wie bei der Abb. I b, Reliefdekoration von Menschen und Tieren
auftritt. Belegt sind auch flache oder halbkugelförmige Schalen mit hohlem
Fuß. Die Verbreitung der verschiedenformigen Gefäße mit hohlem Fuß umfaßt
in Südamerika vorwiegend Kolumbien und Ecuador. Südlich der Manabi-
Provinz finden sie sich fast nur zur Inka-Zeit. In Mittelamerika findet sich
dieser Gefäß typ häufiger, desgleichen im Ohio-Tal Nordamerikas und spärlich
auf den westindischen Inseln36.
Hat diese Gefäßform vorwiegend nördliche Verbreitung, so hat eine zweite,
in den Sammlungen nicht weniger häufig anzutreffende Gefäßform kultur-
geschichtlich ausgesprochene Beziehungen nach dem Süden. Es sind dies die
Henkelflaschen mit Doppelausguß37. Sie finden sich nicht in Mittelamerika,
wohl aber im Caucatal und vor allen Dingen in Peru. Dort gibt es ähnliche,
ja sogar identische Formen in der Nazca-Kultur, unterschieden allerdings durch
das Fehlen der typischen Dämonenfiguren — von E. Seler „Zackenschlangen“
genannt —, die sich häufig durch die herausgestreckte Zunge auszeichnen. Die
plastische Verzierung in Form einer Eule auf der Henkelflasche Nr. I c ist nun
allerdings nicht nazca. Als Einzelfigur sind Eulen in der Keramik von Tumaco
nicht selten. Motivisch und in mythologischer Bedeutung möchte ich sie als zum
mexikanischen Kulturkreis gehörig ansehen. Eine ähnliche Mischung nördlicher
und südlicher Einflüsse innerhalb eines einzigen Gefäßes aus Tumaco möchte ich
auch in der auf Abb. I d wiedergegebenen Henkelflasche sehen. Sie ist äußerlich
vom Typ der entsprechenden peruanischen Gefäße, jedoch mit nur einem Aus-
guß. Bemerkenswert ist das Krokodil mit den Hauzähnen, das als Dekora-
tionsmotiv zweifellos aus Mittelamerika stammt38. Einige weitere Gefäßtypen,
3j In der englischsprachigen Literatur wird die Bezeichnung „annular base“ verwendet.
36 S.Linne (1929) S. 106 und Map. 6; G. R. W i 11 e y (1949) S. 145.
37 In der englischen Literatur als „double-spout with bridge handle“, in der französi-
schen Literatur als „vase a deux tubuläres reunies par une anse en pont“ bezeichnet.
38 Eine vergleichbare Henkelflasche ist im H a n d b o o k Vol. 5 PL 29e von Paracas ab-
gebildet. Hier ist ein Jaguarkopf auf der einen Seite des Bügelhenkels modelliert;
Körper und weitere Extremitäten sind allerdings nicht dargestellt.
108
Nachtigall, Tumaco
die mir aus Tumaco nicht bekannt sind, wohl aber aus Esmeraldas belegt, sind
Dreifußgefäße, Schuhgefäße und Zwillingsgefäße39. Alle drei Typen finden sich
in kolumbianischen Kulturen — hauptsächlich denen des Caucatales —, ihre
Herkunft oder doch ihr Hauptverbreitungsgebiet, in denen die vollkommen-
sten Formen auftreten, ist aber Mittelamerika40.
Die Dekoration der Gefäße besteht aus Bemalung, eingravierten Linien und
Reliefdekoration. Letztere ist verhältnismäßig selten. Die stärksten Parallelen
hierzu liegen bei den kolumbianischen Kulturen des Caucatales. Unter der Be-
malung ist besonders die Negativmalerei zu erwähnen, die eine große Ver-
breitung und Entwicklung im Hochland von Costa Rica, im Caucatal, Nord-
ecuador und in Recuay (Peru) erfahren hat. Es scheint sich danach vorwie-
gend um eine Technik der Gebirgsvölker zu handeln, und entsprechend mag
ihre Verbreitung auf dem Landwege vor sich gegangen sein. S, K. Lothrop
nimmt das Zentrum dieser Dekorationstechnik, nämlich Kolumbien und Nord-
ecuador, als Ursprungsgebiet der Negativmalerei an41. Die Negativmalerei in
Tumaco betrift danach nur ein Randgebiet, so wie sie auch ohne größere Bedeu-
tung in Guatemala (Peten) undSüdmcxiko, in Yucatan undHonduras auftritt.
Ein interessantes Verbreitungsbild geben die kleinen Rollstempel, welche
aus Esmeraldas zahlreich belegt sind42, während mir aus Tumaco nur einer
bekannt ist43. Er mißt 8,5 cm in der Länge und 4 cm im Durchmesser und ist
in seiner Längsachse durchbohrt. Sein Muster besteht aus Spiralen, die in zwei
Feldern übereinander in den Zylinder eingeschnitten sind. Die Rollstempel der
Esmeraldasprovinz sind allgemein technisch besser ausgeführt und zeigen meist
figürliche Muster, die oft Anklänge an stilisierte Federschlangen der Maya-
Dekorationsformen zeigen. Nach W. Krickeberg steht die mittelamerikanische
Herkunft der Stempel ziemlich zweifellos fest44. Nach der von M. Ries ent-
worfenen Verbreitungskarte der verschiedenen Formen von Stempeln im vor-
geschichtlichen Amerika haben diese im südamerikanischen Raum nur das Ge-
biet des heutigen Kolumbien umfaßt. Nördlich anschließend nehmen sie ganz
Mittelamerika und Mexiko ein, das Pueblogebiet, die westindischen Inseln und
den Südosten der Vereinigten Staaten bis zu den Großen Seen45. Die Ver-
breitung der zylindrischen Rollstempel der Form von Tumaco ist im nördlichen
39 R. d’Harcourt (1941) PI. 6/2, 7/2, 3/2.
40 Vgl. S. K. L о t h r op (1926) II., p. 345; S. L i n n e (1929) map. 7; G. R. W i 1 1 e у
(1949) S. 145; R. d’Harcourt (1941) S. 82, 142.
41 S. K. L о t h г о p (1926) II., S. 320 f., 409 f.
42 Vgl. M. U h 1 e (1927 b) Lam. 21/5—9; R. d’Harcourt (1941) Pl. 13—14.
43 Diesen konnte ich an Ort und Stelle erwerben. Er entspricht etwa der von
R. d’Harcourt (1941) auf Pl. 14/3 abgebildeten Form.
44 W. Krickeberg (1928), S. 380 und Anm. 6.
45 M. Ries (1932) S. 414.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
109
Verbreitungsgebiet geringer. Sie umfaßt nur Mittelamerika und Mexiko46. In
den kolumbianischen archäologischen Kulturen gibt es fast ausschließlich diesen
Typ, und zwar, wie mir scheint, nur in den kulturgeschichtlich jüngeren archäo-
logischen Kulturen des Caucatales, der Chibcha und der Tairona, nicht aber in
San Agustin und im Tierradentrogebiet47.
Die in der Esmeraldasprovinz neben den zylindrischen Stempeln in etwa
der gleichen Anzahl gefundenen Flachstempel haben im prähistorischen Ame-
rika eine größere Verbreitung und scheinen — nach S. Linné — ein höheres
Alter als die zylindrischen aufzuweisen. Ihr südlichstes Vorkommen liegt an
der peruanischen Küste48.
Die hauptsächlich auf Mittelamerika und den Nordandenraum beschränkte
archäologische Verbreitung der Tonstempel von Tumaco kehrt sich bei einem
anderen Element dieser Kultur um: der Panpfeife. Sie ist dargestellt auf der
Abbildung III d und findet sich mehrfach auch in Esmeraldas. Sie wird mit
beiden Händen geblasen und besteht aus sechs bis acht Blasrohren, die durch
zwei horizontal aufgebundene Querstäbe zusammengehalten werden. Die Unter-
schiede in der Zahl der Blasrohre sind möglicherweise durch die Kleinheit der
Darstellung bedingt. Bei der genannten Abbildung, dem einzigen Stück dieser
Art aus Tumaco, ist die Anordnung der Blasrohre nicht mit Sicherheit zu be-
stimmen. Nach den von R. d’Harcourt abgebildeten Panpfeifen gibt es von
diesem Instrument zwei Typen. Die häufigste Art besteht aus x-förmig an-
geordneten Rohren, bei der sich in der Mitte das kürzeste Blasrohr befindet
und sich rechts und links jeweils größer werdende anschließen, so daß die beiden
längsten Blasrohre rechts und links außen befestigt sind. Es ist dies eine unüb-
liche Form der Panpfeife. Die allgemeine Anordnung der Blasrohre geschieht
der Größe nach, bei der das nächste Pfeifenrohr immer größer ist als das vorher-
gehende. Letzterer Typ ist nach R. d’Harcourt aus Esmeraldas nur einmal
belegt49. In den peruanischen archäologischen Kulturen bis zu den Inka finden
wir diese Form in überwiegendem Maße50.
46 S. Linné (1929) Map. 3.
47 L. A. A c u n a (1942) S. 54—58. W, C.Bennets Angabe (1944) Table 7, S. 106,
daß auch die Flachstempel im Quimbaya-Gebiet allgemein verbreitet seien, konnte
ich nach den von mir besuchten kolumbianischen Sammlungen nicht bestätigt finden.
48 S. L i n n é (1929) S.40f.; R. d’Harcourt (1941) S. 143; G. R. W i 11 e y (1949)
S. 146.
49 R. d’Harcourt (1941) PI. 33/6; der X-förmige Typ der Panpfeifen ist auf
PI. 15, 29/7—8, 54/3 abgebildet.
50 C. V e g a (1934) S. 332—346 für die Inka; H. Ubbelohde-Döring (1952)
Abb. 129, 171, 182 für Küsten-Tiahuanaco und Mochica; für letztere auch
P. Kelemen (1946) PI. 294d aus Ton, pl. 258 b aus Silber; für Nazca vgl.
Handbook Vol 2 (1946) Pl. 24, desgl. H. Ubbelohde-Döring (1936)
S. 25, Abb. 165 aus dem Recuay-Tal; M. H. Saville (1910) II., Pl. 110/3 für Manabi.
110
Nachtigall, Tumaco
Das archäologische Verbreitungsbild der Panpfeife beschränkte sich bislang
auf die ecuadorianische und peruanische Küste und auf das Andenhochland von
Chile bis Nordperu. Mit Tumaco hätten wir somit das achäologisch nördlichste
Vorkommen dieses Instrumentes überhaupt, denn in Nordkolumbien, in Mittel-
amerika und in den Maya- und Azteken-Codices fehlt es völlig. Ethnologisch
finden wir die Panpfeife heute jedoch nördlicher als archäologisch, so bei den
Choco, den Ijca und den Cuna Panamas. Bei den beiden letzteren Stämmen
interessanterweise nicht als den im peruanischen Einflußgebiet üblichen Typ,
sondern die x-förmige Anordnung der Rohre wie in der Esmeraldasprovinz
und wahrscheinlich auch in Tumaco51.
Fast völlig anders verhält sich die Verbreitung der mehrfach in Tumaco
und häufig in Esmeraldas gefundenen Okarinen52. Von diesen Musikinstrumen-
ten, die allgemein Tierform, die eines Vogels oder eines Vierfüßlers haben,
finden sich die schönsten und musikalisch vollkommensten in Costa Rica und
Nicaragua, ausgezeichnete Stücke auch in Kolumbien, im Tairona- und Chibcha-
gebiet. Im nördlichen Mittelamerika, im Maya-, Zapoteken- und Aztekengebiet
sind sie selten, desgleichen südlich des Äquators. In nur wenigen Stücken sind sie
belegt aus La Plata, Manabi und Santa Elena, innerhalb des peruanischen Be-
reiches aus Pachamac und Nazca53. Die Verbreitung dieses Instrumentes zeigt,
daß es nicht von südamerikanischen Kulturen, sondern aus Mittelamerika
stammt54.
Ungeklärt ist die Frage der Formen- (Molden-) Töpferei. Eine große Anzahl
der Keramikfiguren aus Tumaco wie auch aus der Esmeraldasprovinz ist mit
Formen hergestellt, von denen auch mehrere gefunden worden sind. Eine der-
artige Form ist auf der Abb. Ille wiedergegeben. Erstaunlich ist aber, daß
dennoch sowohl in Tumaco als auch in den von M. Uhle und R. d’Harcourt
bearbeiteten Sammlungen der Esmeraldasprovinz in keinem Falle zwei gleiche
Abgüsse gefunden worden sind. Dies legt den Schluß nahe, daß es eine außer-
ordentliche Fülle verschiedenartiger Figuren gegeben haben muß, so daß bei
einer derartig großen Zahl von Fundmöglichkeiten die Chance, zwei gleich-
artige Stücke zu finden, recht gering ist. Dennoch ist das Faktum darüber hin-
aus bemerkenswert. Es scheint zu beweisen, daß die Figurentöpferei auch mittels
Formen keine Massenproduktion gewesen ist.
Die Typen der in Amerika mit Formen hergestellten Keramiken umfassen
entweder Gefäße oder aber massive Figuren, wie Statuetten, Tiere usw. Die
51 K. G. Izikowitz (1935). Archäol. Zusammenstellung S. 408, ethnologische Ver-
breitung bes. S. 390 und Fig. 257 und 265.
52 Vgl. R. d’Harcourt (1941).
53 M. H. S a v i 11 e (1907) I., S. 78 f.; K. G. I z i k o w i t z (1935) S. 291.
54 Vgl. R. d’ Harcourt (1930).
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III 111
aus Tumaco und der Esmeraldasprovinz bekannten und mittels Formen her-
gestellten Gegenstände gehören zum zweiten Typ. Formengefertigte Gefäße
scheint es in Tumaco und Esmeraldas nicht gegeben zu haben. Diese finden sich
aber häufig in der Mochicakultur. Es sind dies die bekannten Porträtköpfe
in Gefäßform55. Außerdem gibt es innerhalb dieser Kultur in gleicher Technik
hergestellte flaschenartige Gefäße in menschlicher Form56. Aus dem gleichen
Kulturbereich sind aber auch formengefertigte massive menschliche Figürchen
von 7—13 cm Höhe bekannt, die stilistisch — in der Kopf-, Augen-, Nasen-
und Schmuckdarstellung — denen der Esmeraldasprovinz recht nahe stehen57.
Zeitlich haben wir die Mochicakultur — nach der relativ späten Datierung
H. Ubbelohde-Dörings — von 400—600 n. Chr. einzuordnen. Damit haben wir
ein recht frühes Datum für das Auftreten der Figurenkeramik in Südamerika58.
Weitere peruanische Kulturen, in denen die Figurentöpferei auf tritt, sind Lam-
bayeque, Chancay, Ancon und Piura59. An der ecuadorianischen Küste finden
wir sie in Manabi, und zwar, wie kürzlich Raoul d’FIarcourt an Hand von
Museumsgegenständen festgestellt hat, in vielfacher Übereinstimmung mit der
von Esmeraldas60.
In Mittelamerika, wo die Formentöpferei außerordentlich verbreitet war,
haben wir in der Teotihuacankultur und im sog. „Alten Reich“ der Maya ein
der Mochicakultur annähernd entsprechendes frühes Datum. Die von H. J. Spin-
den als archaisch bezeichnete ältere Figurenkeramik des Tales von Mexiko ist
nicht mittels Formen hergestellt, so daß wir zu den ältesten formengefertigten
Figuren Mittelamerikas die der Teotihuacankultur rechnen müssen. Entspre-
chende Figürchen sind in großen Mengen von Eduard Seler gesammelt worden.
Bemerkenswert und in motivischer Übereinstimmung mit den Typen von Tu-
maco sind die Eulengesichter mit kurzem, gekrümmtem Schnabel und einem
Schleier um den Augen sowie Jaguarköpfe mit herausgestreckter Zunge, ähnlich
wie die hier vorgelegten Abbildungen IVf und IVe. Motivisch ähnlich sind
weiterhin menschliche Gesichter, die von einer Jaguar-Helmmaske überragt
werden bzw, aus dem aufgesperrten Rachen eines Jaguars oder dem Schnabel
eines Vogels herausschauen61.
In den nach der Teotihuacankultur folgenden Perioden kommt die Formen-
55 P. K e 1 e m e n (1946) I., S. 205 f.
56 Vgl. Handbook Vol. 2 (1946) PI. 71 a—c. Dort auch Beschreibung der Technik
S. 166.
57 Vgl. H. Ubbelohde-Döring (1952) Abb. 187.
58 Ein noch früheres Datum gibt G. R. W i 11 e y (1949) S. 142, nach dem bereits aus
der frühen Chavin-Periode formengefertigte Gefäße bekannt sind.
59 Nach der Zusammenstellung bei S. L i n n e (1925) S. 82—85.
60R. d’Harcourt (1948) S. 323. Vgl. auch M. H. S a v i 11 e (1907) I., S. 75.
61 E. Seler (1915 a) S. 454—460, Taf. 24, 26, 29 und Abb. 46, 47, 160, 237.
112 Nachtigall, Tumaco
töpferei ebenfalls vor, so bei den Tolteken, Zapoteken, Tarasken und Mixteken
und in sehr starkem Maße in der aztekischen Zeit62.
Die Verbreitung der Formentöpferei bei den Maya hat Mary Butler in einer
besonderen Studie untersucht. Danach gab es entsprechende Figürchen von 15 bis
20 cm Höhe schon im Alten Reich, so in Piedras Negras (514—830). Ihre Ge-
samtverbreitung erstreckt sich von Copan im Süden bis Labnä im Norden. Hier
dürfte die Herstellung in die ersten Jahrhunderte des zweiten Jahrtausends
fallen. In späteren yukatekischen Fundorten trifft man sie nicht63. Die Figuren
werden im allgemeinen nicht in Gräbern gefunden. Die genannte Autorin hält
sie deshalb für Hausgötter oder Votivfiguren, die durchlochten Figuren für
Amulette oder Hängeopfer. Sehr viele Formenfiguren aus der Zeit des Alten
Reiches waren Flöten (Okarinen), während die von Hand geformten Figuren
dies nur in seltenen Fällen waren.
Außerhalb des eigentlichen Mayagebietes finden sich im Mayastil hergestellte
Formenfiguren in Vera Cruz, Chiapas, Tabasco, Campeche, Britisch-Honduras,
Guatemala, Honduras und El Salvador64. Polychrome formengefertigte Figuren
eines Nichtmayastiles bildet S. K. Lothrop aus Costa Rica und Nicaragua ab65.
Im Ulüatal (NW-Honduras) fanden Doris Stone und Conchita Turnbull
einen Töpferbrennofen und eine Form zur Herstellung kleiner menschlicher
Tonfigürchen, sowie eine große Anzahl von fertigen Köpfen und Figuren, die
Kopfdeformation aufweisen66. Menschliche, mittels Formen hergestellte Figuren
mit einer Kopfdeformation, wie auch Tierfiguren, fand T. A. Joyce in Lubaan-
tun (Britisch-Honduras). Es handelt sich dabei um Keramikpfeifen, die einen
Tonumfang von drei Tönen haben. Unter ihnen sind diejenigen menschlichen
und tierischen Köpfchen bemerkenswert, aus deren geöffnetem und teilweise
mit zwei Paar Hauzähnen bewehrtem Maul die Zunge weit herausgestreckt ist.
Nach Schmuck und Ornamentik, die ähnlich gestaltet sind wie auf steinernen
Mayamonumenten, gehören die Figuren in die Zeit des Alten Reiches67.
Das gegenüber einem nur sporadischen Vorkommen in den Andenkulturen
massierte und in vielen Einzelzügen der Kultur von Tumaco sehr ähnliche Auf-
treten der Figurenkeramik in Mexiko und Mittelamerika legt den Schluß nahe,
daß diese Technik von Mittelamerika aus direkt auf die Bewohner des Küsten-
gebietes von Esmeraldas und Tumaco übertragen wurde. Die Frage ist, ob man
62 S. Linné (1925) S. 82—85; G. A. Vaillant (1937) S. 315; I, Marquina
(1951) S. 203.
83 M. Butler (1935) S. 636—641.
64 M. Butler (1935) S. 641; S. Linné (1925) S. 82—85; H. Spinden (1913)
S. 142 und Taf. 17/8; F. Weber (1922) S. 631.
85 S. K. L o t h r o p (1926) IL, S. 403 und 260, PI. 125, Fig. 282.
88 Stone and T u r n b u 11 (1941) S. 39—47 und PI. 7.
87 T. A. J o y c e (1933) bes. PL 8 und 16.
Beitrag Nachtigall
Tafel I
a Doppelkonisches Gefäß mit hohlem Fuß. Konkaver Hals mit nach außen gebogener Mündung.
Auf der Gefäßschulter eingeritzte Linien, die mit weißer Paste ausgefüllt sind. Rote Bemalung
auf gelbem Grund. Höhe 14 cm, Durchmesser 16 cm. Popayan.1
b Gefäß mit hohlem Fuß. Reliefdekoration in Form von zwei waagerechten Zackenlinien, da-
zwischen an jeder Seite zwei Reliefschlangen und je zwei aufrechtstehende menschliche Figuren.
Ockerfarbiger Ton, ockerfarbige und rote Bemalung. Höhe 25 cm, Durchmesser 23 cm. Popayan.
c Henkelflasche mit Doppelausguß. Dekoration in Form einer Eule. Höhe 17,5 cm, Breite
12 cm. Mus. Nah Nr. 28-IY-6319.
d Henkelflasche mit ebener Standfläche. Plastische Dekoration in Form eines Drachens mit Hau-
zähnen. Einziger Ausguß im Schwanz des Tieres. Auf dem Gefäßkörper eingeritzte Linien.
Höhe 22 cm, Durchmesser 20 cm. Mus. Nah
1 Die Abkürzungen bedeuten: Popayan = Archäologisches Museum det Universität Popayan.
Mus. Nal. ■= Museo Nacior.al, Bogota. Acad. Hist. = Museum der Academia de Historia, Bogota-
a Tonfigur mit einem Stab in der
linken Hand. Bekleidet mit Hüft-
gürtel und rechteckigem Scham-
schurz. Oberbekleidung, Halskette.
Mützenförmige Kopfbedeckung,
Ohrpflöcke. Gelber Ton. Füße,
Kopf und Hände rot bemalt.
Höhe 25 cm. Popayan.
b Tonfigur, mit Hüftgürtel und
Schamschurz bekleidet. Facialis-
lähmung. Kettenförmige Ohr-
anhänger. Höhe 16 cm. Popayan.
c Kopf mit Ohr-und Nasenpflöcken.
Auf dem Kopf zwei scheibenför-
mige Schmuckplatten. Halskette
aus verschiedenen Perlen. Grauer
Ton. Höhe 17 cm, Breite 7,5 cm.
Acad. Hist.
d Kopf mit geöffnetem Mund. Leichte
tabulare Deformation. Haarfrisur.
Waagerechte Ohrpflöcke. Innen
hohl. Höhe 14,7 cm, Breite 13 cm.
Mus. Nah
e Kopf mit starker tabularer De-
formation. Nasenring, mehrfach
durchborte Ohrmuscheln mit Ohr-
pflöcken, Halskette. Grauer Ton,
gelbe und rote Bemalung des
Schädels. Schmuckscheibe auf der
Stirn. Höhe 9,5 cm. Popayan
Nr. 46-27-146.
f Tier-menschliche Figur mit her-
unterhängenden Armen. Linke
Hand mit fünf Fingern. Runde
Tieraugen, offenes Maul mit
Hauzähnen und herausgestreckter
Zunge. Höhe 9,5 cm. Acad. Hist.
A
b
Tafel II
3.
a Maske aus Diorit. Tiefe Riefen
auf Stirn und Wangen. Höhe
13 cm, Breite 10,7 cm, Dicke
1 cm. Mus. Nah
b Menschliche Figur mit Maske.
Schwarzer Ton. Höhe 9 cm.
Mus. Nah
c Maske mit halbmondförmigem
Nasenanhänger. Höhe 7,2 cm.
Popayan.
d Bruchstück eines Tonfigürchens
mit Panpfeife, Nasenring, Ohr-
schmuck in ähnlicher Art, wie die
Panpfeife. Höhe 11 cm. Popayan
Nr. 46-27-88.
e Form (Molde). Höhe 10,5 cm,
Breite 7 cm. Acad. Hist.
f Yotivfuß mit Knie- und Knöchel-
binden. Höhe 11 cm. Mus. Nah
d
Tafel III
a
a Menschlicher Kopf mit winkelig
hochgezogenem rechten Mund-
winkel. Nasenring, Spitzbart (?),
Ohrpflock mit Band, Kopfschmuck
in Form von Quasten. Höhe
10.5 cm. Popayan Nr. 46-27-134.
b Kopf mit gespaltener Oberlippe
und Hauzähnen (?) inmitten 6
Paar menschlicher Zähne. Nasen-
ring, Halskette, tropfenförmige
Augen, durchlochtes Ohrläppchen.
Grauer Ton. Spuren roter Bema-
lung an Ohr und Hals, gelbe
Bemalung im Gesicht, schwarze
Bemalung auf dem Kopf. Höhe
11.5 cm. Popayan. Nr. 46-27-133.
c Tierischer (Drachen-)Kopf mit auf-
gerissenem Maul und herausge-
streckter Zunge. Über der Nase
zwei Schlangenköpfe. Rückseite
hohl. Höhe 8 cm. Popayan.
Nr. 46-27-297.
d Tierischer Kopf mit geöffnetem,
zahnlosem Maul und hervortreten-
den Augen. Höhe 9 cm. Popayan.
e Jaguarkopf mit Hauzähnen und
herausgestreckter Zunge. Höhe
11,5 cm. Mus. Nah (Abguß)
f Darstellung eines Eulenkopfes mit
Federring, runden Augen und
großem Schnabel. Höhe 6,7 cm,
Breite 11,2 cm. Mus. Nah
d
b
f
Tafel IV
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
113
entweder eine direkte Völkerwanderung mittelamerikanischer Stämme an die
pazifische Küste Südamerikas annehmen will, oder einen Export mittelameri-
kanischer Waren nach Südamerika, oder ob man nur allgemein von Kultur-
beziehungen sprechen kann. Vergegenwärtigen wir uns dazu kurz die wichtig-
sten Elemente der Archäologie von Tumaco. Es sind dies:
Töpferei mittels Formen,
menschliche Statuetten und Köpfe,
Masken,
Monstrefiguren bzw. Menschen mit pathologischen Zügen,
Szenen; Mutter und Kind bzw. obszöne Darstellungen,
tierische Figuren, besonders Eule und Jaguar, teilweise mit herausgereckter
Zunge und Hauzähnen,
Krokodil-, Federschlangen-, Drachendarstellungen,
tier-menschliche Figuren, ähnlich den totonakischen Palmas,
Kopfdeformation,
Nasenringe,
„Kaffeebohnenaugen“,
Kniebinden,
Gefäße mit hohlem Fuß,
Doppelausgußgefäße,
Negativmalerei,
Rollstempel,
Panpfeife,
Okarina.
Dazu finden wir in Esmeraldas:
Mounds,
Dreißfußgefäße, Schuhgefäße, Zwillingsgefäße,
tönerne Spinnwirtel,
Maniokreiben aus Ton,
Goldschmuck,
Kupfergeräte,
Obsidian- und Pyritspiegel.
Von diesen auf gezählten Elementen finden sich die meisten sowohl in pe-
ruanischen Kulturen, als auch in Mittelamerika. Eindeutig peruanisch sind Pan-
pfeife, Doppelausgußgefäße, die Darstellung pathologischer Deformationen und
obszöne Darstellungen. Eindeutig mittelamerikanisch sind: Federschlangen- und
Alligatordarstellungen, Okarinen, Rollstempel und wahrscheinlich Masken und
Dreifußgeräte. Außerdem gehören die bislang nur in Esmeraldas gefundenen
Pyrit- und Obsidianspiegel und zweifellos auch die Zahninkrustation dazu.
Letztere wird schon von Cieza de Leon als Brauch der Kaziken der Westküste
8 Baeßler III
114
Nachtigall, Tumaco
von Ecuador beschrieben. Sie wird in der gleichen Technik vorgenommen wie
in Mexiko und im Mayagebiet, nur wird in Esmeraldas als Füllung Gold be-
nutzt statt des mittelamerikanischen Obsidian, Jade, Bergkristall oder Hematit68.
Unter den Tausenden von Mumien der peruanischen Küste hat man keine
Zahneinlagen gefunden, wohl aber in zwei Exemplaren im Andengebiet Nord-
argentiniens und Boliviens69. Letzteres Vorkommen steht isoliert, und es ver-
wundert uns, die Zahninkrustation gerade dort anzutreffen, wo wir mit der
Form der Runddeformation der Schädel („annulare“ bzw. „circulare Defor-
mation“) eine vereinzelte amerikanische Sonderverformung antreifen, die völlig
verschieden ist von dem tabularen Deformationstyp von Esmeraldas und Tu-
maco. Wir sehen schon hieran, daß es nicht angängig ist, uns die komplexe
Kultur von Esmeraldas und Tumaco als von einem anderen Teil Amerikas
durch eine Völkerwanderung in Form einer Kolonialgründung direkt über-
tragen zu erklären. Beweisen an Hand der Gesamtkultur läßt sich eine solche
Einwanderung jedenfalls nicht. Die Vergleichselemente sind zu heterogen und
treten geographisch zu zerstreut auf, als daß wir bündige Aussagen über ein
Ursprungsland oder eine Mutterkultur der Esmeraldasprovinz machen könnten.
Schon der erste Bearbeiter der Esmeraldaskultur, M. H, Saville, stellte eine
stilistische Ähnlichkeit der Tonfiguren von Esmeraldas mit denen der Maya
fest70. Auch Max Uhle, der in seinen zahlreichen Veröffentlichungen seit 1904
in immer stärkerem Maße für die mittelamerikanische Herkunft aller süd-
amerikanischen höheren Kulturen eingetreten ist, betont die speziell mittel-
amerikanische Herkunft der Esmeraldaskultur71. Er denkt dabei an eine direkte
Auswanderung von Völkern einer auf der Mayakultur basierenden Bevöh
kerung — der Chorotegen —, die sich in Kolonien an der gesamten ecuado-
rianischen Küste und besonders auf der Insel Puna und in der Esmeraldas-
provinz festgesetzt hätten. Max Uhle wird assistiert von J. Jijon y Caamano
und F. Gonzales Suarez. Letzterer leitet die alte Bezeichnung des Hafens
Manta, nämlich „Jocay“, vom yukatekischen „ho“ (Eingang) und „cay“ (Fisch)
ab72.
Auch E. v. Nordenskiöld sieht an der Küste von Esmareldas die stärksten
mittelamerikanischen Kultureinflüsse innerhalb der südamerikanischen archäo-
logischen Kulturen — was für M. Uhle den Beweis bildete, daß sich dort die
Maya kulturell rein erhalten hätten, während sie sich beim Aufbau der pe-
68 Vgl. O. R i c k e t s o n (1925) S. 392—397; M. H. S a v i 11 e (1908) S. 433.
69 M.H.Saville (1913) S. 378 f. und PI. 16 und 17.
70 M.H.Saville (1908) S. 344; (1924) S. 105.
71 M. Uhle (1923 a) S. 88—90; (1923 b) S. 30—32; (1927 b) S. 34—46. Vgl. bes. in
einer seiner letzten diesbezüglichen Veröffentlichungen (1935) S. 13—19.
72 J. Jijon y Caamano (1930) S. 195 L; F. Gonzales Suarez (1892) S. 20.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III 115
ruanischen Kulturen mit einer schon vorher bestehenden Altschicht vermisch-
ten. Nach Prüfung des musealen Bestandes kommt E. v. Nordenskiöld aber
zu dem Schluß, daß noch kein einziger Gegenstand in Südamerika entdeckt
worden sei, dessen Herstellung zweifelsfrei in Mexiko oder Mittelamerika
stattgefunden hat73. Diesem Ergebnis widerspricht Raoul d’Harcourt am Ende
seiner Studie über die Kultur von Esmeraldas, allerdings nur aus Gründen
der typologischen Analogien, nicht auf Grund eingehender musealer Unter-
suchungen74. R. d’Harcourt sieht — wie auch Max Uhle — innerhalb der
Kultur von Esmeraldas nur mittelamerikanische, keine peruanischen Einflüsse.
Allerdings leitet er wegen der Goldfunde von Esmeraldas diese Kultur nicht
von den Maya des Alten Reiches ab, da diese weder Gold noch andere Metalle
bearbeitet haben, sondern — wegen der Statuetten — einesteils von der Teoti-
huacankultur, andererseits aber auch von den Kulturen Costa Ricas und Nica-
raguas. Er folgt dabei S. K. Lothrop, der in Gefäßform und Dekorations-
mustern den Komplex einer Costa Rica, Panama, Kolumbien und Ecuador
umfassenden „Northwestern South American Civilization“ aufgestellt hat, ohne
jedoch dafür chronologische feste Daten geben zu können75.
Wegen vieler Züge innerhalb der Kultur von Esmeraldas-Tumaco, die
ausgesprochen peruanische Elemente darstellen, bzw. sowohl in Mittelamerika
als auch in peruanischen Kulturen auftreten, möchte ich in der Archäologie von
Tumaco weder eine direkte mittelamerikanische Kulturübertragung seitens
einer einzelnen Bevölkerung, noch eine Koloniegründung sehen. Wenn auch
sehr wesentliche Anregungen von Mittelamerika — besonders in der Entwick-
lung der Figurenkeramik — gekommen sein mögen, so muß doch die beträcht-
liche Verzahnung der Einzelelemente mit den anderen südamerikanischen Kul-
turen und besonders auch denen Kolumbiens ins Auge gefaßt werden. Zweifel-
los trifft es zu, daß einige der frühen höheren Kulturen der peruanischen Küste
ziemlich unvermittelt auf einer Schicht primitiver Fischer aufbauen. (Die
Fischerbevölkerung von Arica kannte noch keine Kopfdeformation, jedoch in
Paracas tritt sie auf!) Ihr plötzliches Dasein läßt sich nur mit Einflüssen von
Mittelamerika her erklären76. Und ich halte es nicht für unmöglich, daß der
73 E. v. Nordenskiöld (1931) S. 56; (1933) S. 292.
74 R. d’Harcourt (1941) S. 148. Vgl. auch S. L 1 n n é (1929) S. 43: „Between the
stamps of Central America, in particular the Mexican ones of both types, and those
that have been discovered in Ecuador thè agreement is so extremely dose that it
cannot be explained in any other way then by direct importation.“
75 R. d’Harcourt (1941) S. 117, 123; S. K. Lothrop (1926) IL, S. 392 f.,
411—413. Vgl. die Nicaragua, Panama und Tierra-Firme umfassende „Cultura
Intermedia“ W. Lehmanns (1938) S. 179 ff., die den Kontakt zwischen der groß-
mexikanischen und der großperuanisdien Kultur vermittelt haben soll.
76 W. Krickeberg (1934) S. 355.
116
Nachtigall, Tumaco
auf Abb. IVa wiedergegebene bärtige Kopf in irgendeinem Zusammenhang
stehen kann mit den bärtigen Göttern und Kulturheroen, die in Mexiko und
im Mayagebiet häufig sind (als Maya-Sonnengott, Quetzalcoatl usw.) und mit
dem gleichen Attribut des Bartes bei den Chlbcha als Nemterequeteba und bei
den Peruanern als Viracocha auftreten, sowie als bärtige Gestalten in der
Mochicakeramik erscheinen. Auch die Traditionen von der ecuadorianlsch-
peruanischen Küste über Zuwanderungen vom Meere her — so über die Cara
in Ecuador oder die des Königs Naymlap und seinen Hofstaat von Lam-
bayeque — sind durchaus nicht nur als mythische und unhistorische Über-
lieferungen aufzufassen77. Sie beweisen, daß mit den Menschen auch Kultur-
einflüsse und -austausche in verschiedenen Teilen Südamerikas stattgefunden
haben. Es waren aber keine einseitigen Kolonialgründungen durch Neu-
ankommende im Neuland, die auf sich allein gestellt nur allenfalls Verbindung
mit dem Mutterlande pflegten. Wir müssen uns vielmehr einen recht lebhaften
Kulturaustausch nach allen Seiten vorstellen, der sich im Falle großer Ideen —
wie sie u. a. beispielsweise mit dem Megalithenkomplex Zusammenhängen —
über den ganzen Andenraum ausdehnte.
Die in Tumaco gemachten Funde möchte ich zur Kultur der Esmeraldas-
provinz rechnen. Es scheint sich hier jedoch um ein Randgebiet zu handeln,
das in mancher Hinsicht schwächer ausgeprägte Züge ausweist. So fehlen Gold-
schmuck, Kupfergeräte, einige Formen der Keramik u. a. Sie scheint mit den
jüngeren kolumbianischen archäologischen Kulturen parallel zu gehen. Die
meisten ihrer Elemente finden sich bei den Caucatalkulturen und an der atlan-
tischen Küste. Nach unserer heutigen Kenntnis der Archäologie des kolum-
bianischen Raumes dürfte es sich dabei einmal um direkte mittelamerikanische
Einflüsse auf die Nordküste und zum andern um einen Kulturstrom durch
das Eingangstor von Tumaco her auf Südkolurabien und das Caucatal han-
deln. Hervorheben möchte ich dafür den Ohrschmuck, der bei den Tonköpfchen
von Tumaco in einer oftmals bis zu sechsfachen Durchbohrung des Randes der
Ohrmuschel besteht. Die Durchstiche dienten bei den Menschen wohl nicht zur
Aufnahme einer so großen Zahl von Ohrpflöcken, sondern zur Aufnahme
goldener Ringe oder einer goldenen Schmuckspirale derart, wie sie mehrfach
in Esmeraldas gefunden wurden. Diese Schmuckform der Ohrmuschel findet
sich allgemein auch bei den Quimbayagoldfiguren wie auch bei denen von
Nariño78. Bei den Quimbayafiguren bemerken wir ferner fast regelmäßig die
77 Vgl. W. Kr ick eher g (1928) S. 379, 383, 386; W. L e h m a n n (1930) S. 335,
(1943/44) S. 123.
78 Vgl. die Abb. bei E. S e 1 e r (1915 b); H. Trimborn (1954) Taf. 14; H. A. L a -
vachery (1929) PI. 26—29; L. A. Acuña (1942) S. 85, 87, 97; El Museo
d e 1 Oro (1948) Lam. 98 u. a. a. O.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
117
Knie- und Knöchelbinden, die bei der Abb. Ulf auch an einem Votivfuß von
Tumaco auftreten. Damit sind aber die Parallelen von Tumaco mit den süd-
kolumbianischen Kulturen noch nicht erschöpft. Es wurde oben bereits hin-
gewiesen auf das Vorkommen der Rollstempel, der Negativmalerei, der Drei-
fußgefäße und Doppelausgußgefäße, der Gefäße mit hohlem Fuß und der
Reliefdekoration, der Nasenringe, der Kopfdeformation, der Darstellungen
von tier-menschlichen Figuren in Ton und Stein, von Drachen, Eulen, Jaguaren
u. a. Und ich glaube, daß der so hoch entwickelte Goldguß in verlorener Form
bei den Caucatalstämmen, dessen Zeit und Ort der Erfindung noch ungelöst
ist, sich nur aus der Kenntnis der Formentöpferei von Esmeraldas und Tumaco
erklärt. Wir hätten damit ein hervorragendes Beispiel für einen Kulturaustausch
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Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
123
GOTUSH
Nuevos descubrimientos en Chavín
Julio Espejo Núñez, Lima
El sitio arqueológico de Gotush (Montón de piedras sueltas) está situado
en el Caserío de Challwa Yako, sobre la ribera izquierda del riachuelo y que-
brada del mismo nombre, pequeño afluente del Alto Pukcha. Aproximadamente
a 3.400 metros sobre el nivel del mar y a 6 kilómetros al S.O. del Templo de
Chavín de Huantar.
Challwa Yako según el Censo de 1940 tiene 69 familias con 289 habitantes.
Es el „Centro poblado“ más numeroso después del Caserío de Carash, en el
Distrito de San Marcos, Provincia de Huari, Departamento de Ancash,
República del Perú.
Los naturales de Challwa Yako utilizan gran parte de las laderas, lomadas
y quebradas como terrenos de cultivo, lamentablemente con detrimento para
la Arqueología Andina, pues, en ellas se ven todavía los vestigios de antiguas
construcciones. Efectivamente, por casi toda la extensión de Gotush y con más
intensidad en los lados Norte, Este y Oeste se destacan restos de grandes y
pequeñas andenerías agrícolas, rectas y ligeramente arqueadas, construidas con
piedras rústicas, cascajo y barro. El paraje llamado por los nativos Gotush,
precisamente, es la coronación o cúspide de un conjunto de plataformas y
andenes escalonas, hoy destruidos por acción del tiempo y por los agricultores
de la región.
En la parte superior de Gotush existen cercos modernos de piedras co-
rrientes delimitando tierras de sembrío. Es tal la cantidad de piedras, simples
y canteadas, aglomeradas desordenadamente, que inducen a pensar sobre la
extinción de la antigua población, cuyas habitaciones, templos y cementerios,
estarían edificadas, sin lugar a dudas, con estas mismas piedras. Estas, son pues,
materiales de construcción provenientes de la destrucción de los principales
edificios que coronaban la plataforma superior de Gotush.
Los anteriores datos, obtenidos durante el reconocimiento superficial, se
incrementan con el hallazgo de piedras labradas, semejantes a las de Chavín
de Huantar, confundidas entre los cercos modernos o botadas en los canchones
y corrales de Gotush. Además es considerable el número de piedras rectangu-
lares, paralelepípedos, utilizadas como material de construcción en los cimientos
de las casas de Challwa Yako, así como de batanes en las cocinas y de estacas
líticas en los corrales. Si a esto se agrega el hallazgo de una Estela fragmentada,
con incisiones, en uno de los cercos modernos de Gotush, y el descubrimiento
124
Núñez, Gotush
de cuatro monolitos en el Caserío de Chcdlwa Yako, queda justificado el interés
con que iniciamos la exploración arqueológica practicando cáteos de prueba.
A continuación damos a conocer la historia de los hallazgos, la descripción
de los monolitos y el resultado de los cáteos.
„Monolitos“ descubiertos en Gotush: historia de los
hallazgos
Como antecedente expongo, sucesiva y cronológicamente, los incidentes del
hallazgo de cinco fragmentos líticos, estilo Chavín, procedentes de Gotush,
cuyas réplicas ejecutadas en yeso se exhiben en la „Sala Chavín“ del Museo
Nacional de Antropología y Arqueología (Lima. PERU). Los originales pasaron
a incrementar las colecciones del „Museo Chavín“, formado y fundado por el
sabio Julio C. Tello, sobre una de las plataformas del Templo de Chavín, hoy
desaparecido totalmente por efecto del aluvión de enero de 1945.
En octubre de 1941, en el pueblo de Chavín de Huantar, obtuve las pri-
meras noticias acerca de la existencia de piedras labradas en el Caserío de
Challwa Yako. Los nativos de Chavín al observar mi afán por esta clase de
piedras o pintasha rumi (piedra pintada) como llaman éllos, no escatiman
esfuerzos para indicar derroteros y noticias. El explorador debe aprovechar
inteligentemente estos informes. Si se les habla en su propio dialecto (Quechua)
las referencias son fehacientes, no callan casi nada, pero hay que saberlos tratar
material, espiritual y científicamente.
Es el indígena Fernando Rasgón, alias cívico, quien me proporciona los
primeros informes sobre la existencia de restos arqueológicos en Gotush. Efec-
tivamente, después de más de dos horas de viaje, río arriba del Alto Pukcha,
llegué a la casa de Gregoria y Agripina Ramírez. En el patio de la referida
casa encontré botada y utilizada como estaca, hace mucho tiempo, un fragmento
de piedra labrada y tallada (Fig. 1), la que designamos, para nuestro estudio,
Estela A.
El hallazgo de la Estela A., produjo en mi espíritu grata satisfacción, al
mismo tiempo fé y esperanza de identificar, en esta zona, un nuevo sitio
arqueológico de la Cultura Chavín.
Cuando examinaba cuidadosamente la Estela en referencia, una de las
Ramírez sale apresuradamente de la cocina y con sonrisa en los labios se acerca
diciéndome „kaipis pintasha rumitaj“ (esta piedra también es pintada). Es la
Estela B.
La visita inesperada y poco frecuente en estos lugares llamó la atención a
los pobladores de Challwa Yako, con mayor intensidad y curiosidad a los
vecinos de la familia Ramírez, congregándose alrededor de la Estela A. gran
número de hombres, mujeres y niños, a quienes les expliqué las finalidades de
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
125
Fig. 1
la Comisión arqueológica que presidía. Nuevos datos, referencias precisas sobre
lo que ellos llaman „gentilpa wain“ (casa de los gentiles).
A las 11 de la mañana del 17 de octubre de 1941, en caravana, inspeccio-
namos por primera vez el centro arqueológico de Gotush. Todo es chacra y
cercos de piedras corrientes, hay también piedras canteadas, labradas y por fin
el hallazgo de un fragmento de Estela, con decoración incisa. Es la Estela
C. Victoria espiritual para el explorador, un dato positivo para el diagnóstico
arqueológico y un fundamento rotundo para los trabajos posteriores de exca-
vación.
Las horas pasan inadvertidas, el Sol quema fuertemente, el cuerpo suda,
pero el recorrido por el área de las ruinas es cada vez más interesante. Sin
embargo, hay que obedecer la voz del pueblo, bajar apresuradamente, reunirse
y descender nuevamente en caravana hacia Challwa Yako. En el camino nuevas
revelaciones, pronto avistamos a la casa de Crisanto Amado Lugana, de su
poder rescatamos la Estela D., encontrada en Gotush en 1923, cuando seleccio-
naba piedras para el cimiento de su casa.
El 18 de octubre, día de fuerte lluvia y neblinoso, negativo para los fines
de exploración preliminar. Sin embargo, estudiamos las Estelas A, B, C y D,
a través de los calcos obtenidos con tocuyo (tela) y plombagina. A las 6 de la
tarde inspeccionamos exteriormente las casa de Challwa Yako, descubriendo
multitud de Obeliscos (Wankas) ligeramente canteadas, batanes y piedras
126
Núñez, Gotush
Fig. 2
paralelepípedas utilizadas como material de construcción. Finalmente, en la
casa de Florencio Amado Lugano encontré la Estela E.
Las cinco Estelas fueron depositadas, bajo inventario, en casa de la familia
Ramirez, custodiada por Pedro Cuevas y el entonces Teniente Gobernador
Bernardo Huaccho1.
Posteriormente, el 25 de octubre, resolví trasladar las cinco Estelas de
Gotush al Museo Chavín. Con auxilio de 12 obreros, utilizando chakanakas
o parihuelas de palos (madera sin labrar), como andas o literas, la Estela A,
la de mayores dimensiones, pesada y lentamente bajó por el camino pedregoso
de Challwa Yako, cruzó el puente de madera tendido sobre el Mosna e ingresó
por el ángulo S. O. del Templo de Chavín de Fluantar, para incrementar las
colecciones líricas del referido Museo. La catástrofe de 1945 arrasó con el
modesto edificio y las 100 obras líticas desaparecieron. Algún día serán redescu-
biertas.
Descripción de las Estelas de Gotush
ESTELA A. — Véase figuras 1 y 2. Fragmento de monolito, roca de
carbonato de cal (calisa) o piedra de cal como llaman los nativos de Challwa
Yako. Esta piedra por acción del fuego revienta y se convierte en polvo de
color blanco. Este polvo es el ishku o cal que utilizan los del lugar para
chakchar a masticar la kuka o coca (Erythroxylum coca).
1 En el inventario de la Expedición, las cinco Estelas, se registraron en la siguiente
forma: G-l/1941, G-2/1941, G-4/1941, G-5/1941 y G-9/1941, o sea Estela A.,
Estela B., Estela C., Estela D. y Estela E, respectivamente, Este registro se modificó
cuando las Estelas se concentraron al „Museo Chavín“, siendo el nuevo registro
como sigue: G/55, G/56, G/57, G/58 y G/59.
Baefiler-Archiv,* Neue Folge, Band III 127
El fragmento lítico es de forma rectangular. Mide 0.65 cm. de largo,
0.45 cm. de ancho y 0.33 cm. de espesor. Está rajada en una de las caras
labradas y destruida o chancada ex profeso en los otros lados. Primitivamente
debió ser un monolito rectangular, semejante a la Estela Raimondi, pero de
Mayor espesor.
La Estela de Gotush es un fragmento que pertenece a una gran pilastra,
decorada en bajo relieve, en dos de sus lados. Tecnológicamente es similar al
Lanzón de Chavín.
En mi deseo de ubicar el sitio exacto donde fue descubierto este magnífico
monolito, he indagado municiosamente entre las poseedoras y familiares de las
Ramírez, Sólo una declaración es uniforme: que la piedra fue traída de las
ruinas de Gotush por Jacinto Ramírez, hace muchísimos años, cuando seleccio-
naba piedras para el cimiento de su casa. De entonces a la fecha, por mera
curiosidad, se conservó botada en el patio de la referida casa. Como la piedra
era pesada y tenía forma rara, se la utilizó como estaca. A otras preguntas
contestan categóricamente: taita y adían maipita ujtimushanta (mi padre sabrá
de donde escarbó).
El fragmento de monolito que nos ocupa está decorado en dos de sus lados
convergentes. Lamentablemente la fractura de la parte superior del espécimen
no permite precisar las dimensiones exactas ni la magnitud del importante
monolito fragmentado de Gotush. Sin embargo, por inducción y comparación
con ejemplares arqueológicos de igual Estilo Cultural, es posible vislumbrar
el significado mitológico del monumento en referencia. En efecto, la técnica
de la ornamentación es semejante a la del Lanzón de Chavín. El conjunto de
las figuras ornamentales están ejecutadas por incisiones o surcos profundos y
de paredes suavemente inclinadas, los mismos que han sido trabajados, sin
lugar a dudas, a percusión y con herramientas mucho más duras que el granito
o la calisa. Las líneas trasadas son tan perfectas y están distribuidas con
admirable simetría, que a todas luces hacen pensar sobre el magistral adelanto
y perfección del artista o artistas que lo crearon o ¿será solamente una obra
de arte?.
Para mayor claridad denominamos los dos lados labrados con las letras
A. y B. En efecto, aislando los motivos centrales en las figuras 1 y 2, respectiva-
mente, se logra identificar lo siguiente:
En la figura 1 o lado A. se distingue claramente cabeza, boca, dentadura
(principalmente caninos), ojo, mano derecha y las garras de un felino agaza-
pado y visto de perfil. Las parte anatómicas aludidas están estilizadas a base
de líneas incisas rectas, paralelas, volutas, ganchos y arcos, bien combinadas,
que en conjunto representa la divinidad felínica Chavín.
128
Núñez, Gotush
Fig. 3
En las garras tiene aprisionada un verme o quizá una serpiente. El apéndice
que pende de la mano, da esta impresión.
En el lado B. (véase fig. 2) resulta difícil determinar con certeza los motivos
ornamentales, por que la figura está muy maltratada, pero la presencia de cuatro
oquedades, dispuestas en forma de ojos o de fosas nasales, de varios caninos
y dentadura, combinados con líneas rectas y paralelas, ganchos y volutas,
inducen a pensar de que son partes integrantes de la misma divinidad felínica,
que como es bien sabido campea en el arte lítico del viejo tronco cultural
Chavín.
ESTELA B. — Véase figura 3. Fragmento de piedra labrada, roca gra-
nítica rojiza, de forma irregular por que los bordes están deliberadamente des
portilladas. La morfología y dimensiones exactas es difícil de precisar. Este
fragmento se descubrió el 16 de diciembre de 1941, en una cocina indígena del
Caserio de Challwa Yaku, ubicado muy cerca de las ruinas de Gothus. A pri-
mera vista no fue identificada por que la pátina del hollín había cubierto toda
la extensión de la piedra y daba la impresión de un fragmento rústico sin
importancia. Fue necesario frotar y lavar cuidadosamente para distinguir el
color natural de la roca y diferenciar la ornamentación incisa de uno de los
lados.
El fragmento lítico en referencia tiene dos lados planos. El espesor es casi
uniforme, 0.18 y 0.17 cm. Largo 0.36 cm., ancho 0.31 cm. El fragmento, en
conjunto, está en regular estado de conservación. Algunas incisiones han per-
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
129
dido su nitidez por desgaste, pues, se sabe que la piedra en referencia ha sido
utilizada como batán y asiento durante muchos años. Sin embargo, es fácil
aclarar las incisiones, tal como se ha hecho en el dibujo a tinta de la figura 4,
el mismo que utilizo para interpretar la complicada ornamentación.
En efecto: uno de los lados planos de la Estela B. presenta figuras incisas
perfectas, que a través de líneas geométricas bien combinadas, tales como rectas,
paralelas, quebradas, curvas, arcos, triángulos, semilunas, ganchos y volutas,
constituyen un motivo central ornitomorfo estilizado. Se distingue perfecta-
mente: pico encorvado y cabeza de ave, posiblemente de cóndor; nariz y ojo
del mismo vultúrido; comienzo de alas, adornadas con dentaduras de felinos,
en asociación de volutas y ganchos.
En suma, el fragmento de Estela procedente del nuevo centro arqueológico
de Gotush, es de estilo Chavín.
ESTELA C. — Fragmento de monolito. Roca de granito blanco. Forma
totalmente irregular, la cara labrada es ligeramente romboidal. Dimensiones:
largo 0.25 cm., ancho 0.21 cm., espesor 0.05 cm. Estas medidas se han obtenido
teniendo como punto de referencia la parte labrada. Conservación: buena.
El valor arqueológico del espécimen en referencia estriba en que fué des-
cubierto entre los escombros de las ruinas de Gotush, durante la inspección
realizada el 16 de octubre de 1941. Es el único fragmento, de los cinco proce-
dentes del sitio arqueológico de Gotush, descubierto en el área de las ruinas.
El hallazgo del fragmento en referencia resolvió todas nuestras dudas y
sospechas acerca de la verdadera procedencia de los monolitos descubiertos
durante la exploración arqueológica. De Gotush fueron sacadas todas estas
piedras labradas y talladas.
Uno de los lado planos de la Estela C presenta figuras incisas, admirable-
mente trabajadas. Son idénticas a las descubiertas en Chavín de Huantar. El
estudio tipológico y comparativo efectuado en el mismo sitio arqueológico,
me permite sostener que esta nueva pieza lítica (Estela C) pertenece al Estilo
Chavín, y, en consecuencia, Gotush es nuevo sitio arqueológico del viejo tronco
cultura Chavín, cuya antigüedad atribuyó el Dr. Julio C. Tello a mil años
antes de Cristo.
Las incisiones de la Estela C. son partes de alas de ave, posiblemente de
cóndor, motivo decorativo muy generalizado en el arte lítico de Chavín,
ESTELA D. — Véase figura 4. Fragmento de monolito labrado y escul-
pido en uno de los lados. Es de granito rojizo. El fragmento en referencia es
el ángulo superior izquierdo de una gran Estela, morfológicamente semejante
a la Estela Raimondi. En este ángulo se destaca perfectamente el adorno mar-
ginal, en forma de guardilla, que corresponde a uno de los caracteres del arte
lítico Chavín. Los contornos del fragmento, a excepción del ángulo superior,
9 Baeßler III
130
Núñez, Gotush
Fig. 4
están rotos deliberadamente. En conjunto el monolito fragmentado tiene forma
de rombo, pero de contornos irregulares, la parte inferior termina en punta,
con un lado fuertemente inclinado. Tiene las siguientes dimensiones: largo
0,43 cm., ancho 0.23 cm. y espesor 0.12 cm.
En uno de los lados planos se destaca perfectamente la parte superior de
un magnífico motivo decorativo en bajo relieve. Por comparación deduzco que
la ornamentación pertenece al extremo superior de una Vara ceremonial o
cetro, semejante a las que ostenta en las manos la figura fundamental de la
Estela Raimondi.
La posición ligeramente inclinada de la figura (Estela D), así como los
elementos formativos y la guardilla marginal, son indicios suficientes para
sostener la identidad cultural. En rigor, es el remate o parte superior de un
Cetro, grabado y esculpido a través de la combinación mística y estilizada de
cabeza, boca, ojos, nariz y dentadura de felino, en estrecha vinculación asocia-
tiva de volutas y cabezas de serpiente. Así, el Cetro en referencia termina en
tres grupos simétricos de volutas y serpientes: en los extremos opuesto se yergen
dos volutas en asociación de cabezas erectas de serpientes. Entre los grupos
anteriores se destaca el motivo central compuesto de dos volutas separadas por
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
131
una figura triangular que en forma de punta de lanza o de cuchillo se destaca
nítidamente en la parte media del extremo superior del Cetro.
Fragmentos parecidos a los de Gotush (Estela D) se han descubierto en el
Templo de Chavín de Huantar. Un estudio comparativo minucioso sería muy
útil para intentar una reconstrucción morfológica y ornamental de los princi-
pales monumentos líticos de Chavín, tal como ha realizado el Dr. Julio C. Tello
con el Cóndor de Chavín, cuyas partes se descubrieron en 1919 y 1941. Por
nuestra parte reservamos esta labor para un trabajo más amplio en actual
preparación. Para coronar este plan es necesario redescubrir los Monolitos
arrasados por el aluvión de 1945. Actualmente, la ciencia arqueológica, en este
aspecto, sólo posee las magníficas réplicas, ejecutadas en yeso, obtenidas por
el Dr. Tello, las mismas que se conservan expuestas en la „Galería y Sala
Chavín“ del Museo Nacional de Antropología yArqueología (Magdalena Vieja,
LIma-PERU).
ESTELA E. — Véase figura 5. Fragmento casi rectangular de piedra
trabajada, de color negro-azulado y de grano fino, pertenece a la clase de roca
denominada pizarra, pues, con relativa facilidad se divide en hojas o tablas
planas. Dimensiones; large 0.28 cm., ancho 0.16 cm., espesor 0.02 cm.
En las Cabeceras del Pukcha no es la primera vez que se descubre pizarro
9'
132
Núñez, Gotush
(roca) labrada y pulida. Del Templo de Chavín de Huantar proceden varios
especímenes de igual calidad. En otras áreas arqueológicas existen ejemplares
similares, en calidad y técnica.
La Estela E. de Gotush, en una de sus caras planas, presenta bajo relieves
e incisiones de factura Chavín. Se distingue nítidamente cresta y pico encorvado
de ave; ojo y dentadura de felino, destacándose, perfectamente, los caninos. En
la parte inferior se advierten incisiones paralelas y arqueadas, éstas son partes
formativas de alas del Dios Cóndor, las mismas que son estilizadas y en muchos
casos van acompañados con atributos de felinos, serpentientes, peces y aún de
humanos.
Cáteos de prueba practicados en Gotush
El resultado positivo y revelador de la exploración arqueológica efectuada
en Challwa Yako y Gotush, tal como lo acreditan las notas precedentes, obli-
garon a emprender la segunda tarea, la de practicar cinco cáteos de prueba,
en las plataformas superio res de Gotush.
La iniciación del nueva trabajo arqueológico, así como el anterior de
inspección y exploración, está caracterizado por las reacciones de los nativos
de Challwa Yako, quienes al enterarse de nuestro plan dicen en quechua del
lugar: yapan rumilla-kunata apakuyanki (se llevarán todas nuestras piedras);
imanopa musiaraiki shumaj rumi kayanta (cómo adivinaste que hay piedras
bonitas).
La exploración preliminar me familiarizó con el escenario topográfico y
geográfico del sitio arqueológico de Gotush. Lo había contemplado por los
cuatro lados (Norte, Sur, Este y Oeste), desde prominencias más pronunciadas;
había obtenido varias vistas fotográficas y sacado esquemas de los principales
sectores; además, conocía el eje mayor y menor de la zona vulnerable de
Gotush.
Con estos antecedentes, el 10 de noviembre de 1941, ubiqué cinco puntos
en el área superior de Gotush. Empero, debo declarar que el mes de noviembre
y en general la época de lluvia en la Sierra (octubre a Marzo) no es recomen-
dable para trabajos arqueológicos en el campo, pues se pierde tiempo y energías.
Los cáteos se llenan de agua, el trabajo se suspende cada vez que hay descarga
atmosférica y muchas veces esta suspensión continúa hasta el día siguiente.
CATEO No: 1. — En la falda Este de un montículo pequeño señalé una
superficie rectangular de 2.00 m. de largo por 1.50 m. de ancho. Se retira la
tierra excavando hasta una profundidad de 2.40 m.
Estratigráficamente, de la superficie hacia el fondo del pozo, se diferencian
las siguientes capas:
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
133
a) Tierra de cultivo con mezcla de piedrecitas, cuyo espesor varía de
0.20 cm. a 0.30 cm. Esta capa es de color negruzco, característica del suelo
vegetal (humus).
b) Capa compacta formada de piedras grandes y pequeñas, con abundante
y dura mezcla de tierra viscosa, como arcilla, de color amarillenta. Esta es
uniforme, con la diferencia de que unas veces es dura y otras suave. Espesor
2.00 m.
El resultado del cateo fue positivo: 1) a 1.10 m. de profundidad, en la
pared Oeste del cateo, se descubrió un muro de piedras rústicas con argamasa
de barro. Las dificultades pluviales impidieron excavar hasta el cimiento del
muro en referencia. Sin embargo, este hallazgo vislumbra la posibilidad de
hallar una de las plataformas o muros de contención del Templo principal de
Gotush. 2) En la capa superficial abunda cerámica utilitaria, de factura tosca,
además afloran restos óseos humanos desintegrado. 3) De la capa a) procede
una Quena de hueso. Es de color blanco lustroso, con un lado ligeramente
plano, y en conjunto suavemente arqueado. Conservación; buena. Tiene
138 mm. de longitud. Lleva tres perforaciones circulares, en uno de los extre-
mos una pequeña ranura o embocadura que sirve para aplicarse a la boca
cuando se toca la quena, 4) En la capa b), a la profundidad de 0.80 cm. y
sobre la pared Sur del cateo, se descubrió un hacha de cobre. Dimensiones:
largo 102 mm., ancho de la base (mango) 108 mm., ancho del filo 61 mm.
Conservación: buena. Sin ornamentación. 5) En la misma capa b) y a distintos
niveles abundan fragmentos de alfarería utilitaria, de color negro y rojo
ladrillo. Entre los fragmentos recogidos se destaca uno negro, con incisiones
geométricas y otro escultórico, de color rojo ladrillo, que representa un ave.
6) A la profundidad de 1.10 m., en la misma capa b), hallé diseminada abun-
dante cantidad de huesos humanos fracturados, muchos de ellos daban la im-
presión de formar parte del muro descubierto en este cateo. Examiné cuida-
dosamente tratando de diferenciar el muro con relación a los restos óseos, al
final pude comprobar que sólo estaban adheridos por efecto del tiempo y por
la humedad. En esta labor encontré un cantarito de arcilla cocida, de color
ladrillo, cuerpo globoso, base plana, gollete campanulado, sin asa. Conserva-
ción: borde desportillado. Sin ornamentación. Dimensiones: altura 0.12 cm.,
circunferencia en el ecuador 0.31 cm., en el gollete 0.18 cm. y diámetro de la
boca 0.045 mm.
CATEO No. 2, — Ubicamos este cateo en razón de ser vía de acceso
a una especie de plataforma, de superficie suavemente inclinada. Esta es uno de
los cercos actuales de cultivo,que coronanelconjuntoarqueológicodcGotush.
El cateo de prueba se practica en un espacio cuadrado de 1.00 m. por lado,
hasta obtener la profundidad de 1.00 m.
134
Núñez, Gotush
Como en el caso anterior el estrato superior está formado por una capa
de tierra de cultivo, negruzca, que alcanza 0.20 cm. á 0.30 cm. de grosor.
A continuación otra capa de tierra pedregosa y suave, por donde la barreta
penetra con facilidad, en ciertos lados, sólo con la mano se puede retirar el
desmonte pedregoso. El espesor de la segunda capa varía de 0.40 cm. á, 0.50 cm.
Debajo de la parte delesnable aparece una capa de terreno duro, compacto,
de color negruzco, que corresponde a la formación natural del terreno, geo-
lógicamente hablando.
No fue tan halagüeño el resultado de este cateo. Sólo dió a conocer la
estructura del terreno arqueológico. Sin embargo, es bueno mencionar, que
como en el cateo anterior, en la primera capa se descubrió fragmentos de
cerámica rústica, de colores negro y rojo ladrillo, así como también restos
óseos de llama, en pequeña escala. En la segunda capa, escasos fragmentos de
alfarería fina, de paredes delgadas, de color ladrillo y bien pulido. En esta
capa existe abundante cantidad de canto rodado (piedra del río) o kollota como
llaman los nativos. Afloran también algunos fragmentos óseos humanos, con
indicios de haber sido removido hace muchísimos años.
CATEO No. 3. — La presencia de una Wanka (piedra parada) sobre un
montículo de pequeñas dimensiones, circundado por un cerco moderno, en
forma de muralla, me obligaron a determinar la ubicación del cateo de prueba
No. 3. En una superficie rectangular de 1.50 m. de largo por 1.00 m. de
ancho se perforó hasta 0.80 cm. de profundidad, observando los siguientes
estratos: una capa superior de 0.50 cm. de altura formada de tierra negruzca
de cultivo, muy suave y de color característico de fango. Debajo, una segunda
capa de tierra húmeda, color ladrillo, áspera y pegajosa, cuyo espesor no logré
precisar por haber ampliado el cateo de prueba en sentido horizontal, hacia el
Sur, en una extensión de 2.50 m., siguiendo las huellas de una mancha de
basura, rica en fragmentos de alfarería utilitaria.
El resultado del cateo fue positivo. A saber: a) en el ángulo N. E., ocupando
los dos estratos, encontré una vasija grande de arcilla cocida, totalmente aplas-
tada por el peso del desmonte, y fracturada en varios pedazos. Las paredes de
la vasija son gruesas, la pasta o arcilla tiene granos pronunciados, la cocción
no es buena, es de factura primitiva y de carácter utilitario, b) al Sur de la
vasija descrita, en el mismo estrato y al mismo nivel, encontré un cantarito
de arcilla cocida, de cuerpo globoso, gollete ligeramente tubular, borde huyente
y con pequeñas escarificaciones, sin asa. Dimensiones: 125 mm. de altura,
0.32 cm. de circunferencia en el ecuador, 0.17 cm. en la base del gollete y
0.16 cm. de diámetro en la boca. Ornamentación: pictórica, bandas rojas en
el gollete y pequeñas líneas paralelas en la cara interna de la boca, c) en la
misma dirección y a pocos centímetros de espécimen anterior encontré otro
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
135
cantante de arcilla, similar en forma y ornamentación. Tiene 0.08 cm. de
altura, 0.25 cm. de circunferencia en el ecuador y 0.05 cm. de diámetro en la
boca, d) en igual sentido, lado Sur del cateo ampliado, existe una capa de
basura con abundante alfarería rota y mezclada con restos óseos humanos. Del
nivel anterior extraje una punta de flecha, trabajada en piedra dura, de color
gris, puntiaguda y de doble filo. Mide 0.08 cm. de largo por 0.02 cm. de ancho
mayor. Conservación: buena.
CATEO No. 4. — Un pequeño promontorio de aspecto artificial deter-
minó ubicar el cateo No. 4 al S. E. del anterior. En una superficie cuadrada de
1.00 m. por lado excavé hasta 1.20 m. de profundidad.
Los estratos corresponden a los mismos descubiertos en los anteriores cáteos
de prueba: una capa de tierra de cultivo y otra de terreno pedregoso, llamado
por los naturales rama.
El resultado de este cateo fue positivo: eliminada la primera capa se des-
cubrió un muro construido con piedras rústicas, pachilla y mezcla de barro.
La orientación de muro es de Este a Oeste. Pertenece, sin lugar a dudas, a
una de las plataformas del conjunto arqueológico de Gotush. Además, del
primer estrato (superior) recogí fragmentos de cerámica rústica, restos óseos
humanos y huesos de llama; del segundo estrato, escasos fragmentos finos de
alfarería, de colores negro y rojo ladrillo. En el material óseo proveniente
de la segunda capa (inferior) cabe destacar una herramienta de hueso, trabajada
en forma de clavo para herraje, que los nativos llaman tipina y se utiliza para
despancar maiz.
CATEO No. 5. — Este cateo se ubicó a 12.00 m. del cateo No. 3, lado
Sur, en razón de que forma uno de los extremos de una lomada. En un espacio
rectangular de 1.50 m. de largo por 1.00 m. de ancho, sólo excavé 0.20 cm.
de profundidad, eliminando la tierra negruzca de cultivo, con gran cantidad
de cerámica utilitaria fragmentada y algunos restos humanos. Debajo de la
primera capa encontré un peñón que imposibilitó seguir excavando en pro-
fundidad. Por las ampliaciones efectuadas en los cuatro lados comprobé que
la configuración del terreno era natural. En este caso, el cateo de prueba
resultó negativo. Sin embargo dió a conocer la Identidad del primer estrato
y sobre todo la estructura del terreno, en este sector de Gotush.
En suma: A) El descubrimiento de cuatro Estelas (fragmentos), en el Caserío
de Challwa Yako, y el hallazgo de una Estela (fragmento), en la parte superior
del conjunto arqueológico de Gotush, demuestran claramente que Gotush es un
nuevo sitio arqueológico de la Cultura Chavín, en las Cabeceras del Pukcha.
B) El resultado positivo de los cáteos de prueba y el material encontrado, son
fuentes monumentales de importancia que sugieren practicar, en Gotush, una
verdadera excavación arqueológica. —
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
137
AN ARGENTINE-EGYPTIAN ARCHAEOLOGICAL PARALLEL
STIG RYDEN, Goteborg
An archaeological object common found in a restricted area of north-
western Argentine and northern Chile is depicted in fig. 1, a rope ending in
a loop the extreme part of which consists of an angular piece of wood,
measuring about 10 cm, between its points. On the object depicted the rope
has a length of 3 m. The rope is Z-twisted and made of three S-twined strands.
The loop is made separately in the same way and fastened to the rope as
shown in figs. 1—2. The material of the rope is llama wool and that of the
loop probably human hair. As seen in fig. 1, each point of the angular wooden
part ends in a knob which prevents the loop from slipping off. The innermost
part of the angle — marked by an arrow in fig. 1 — is always very worn,
and judging from the crossing groove-like scar the angle is worn by a rope
of the same diameter as that fastened to the loop. The angular shape of the
wood is more or less as naturally grown.
Various explanations of the object treated here have been published. By
Seler (1894 p. 410) it is called a llama-bridle, an interpretation accepted
also byLehman-Nitsche (1902 pp. 25, 29. 1 am. Ill: 41—43, IV: A; 21).
Von Rosen (1905 p. 6) is of the same opinion but presumes that it was
not placed in the animal’s mouth, but across its nose, by reason of its not
showing any traces of wear by the teeth. Ambrosetti (1902 p. 42) and
later Bom an (1906 vol. II pp. 594 and foil. figs. 75: k—n, 120) give how-
ever, an interpretation which seems more correct — it has probably been
used as a pack rope as shown in fig. 2: B. Only one fact seems to me to contra-
dict this explanation. On the objects examined by me the rope sometimes has
a length of about three metres which necessitates passing the rope twice round
the body of the llama to secure the burden. When the object depicted in fig. 1
was purchased, the rope was tied together as shown in 'fig. 2: A which also
perhaps hints at another use of the object.
The distribution of the object treated here, which may be called loop-hook
(Ryden 1944 p. 132), is limited to north-western Argentine — Quebrada
de Humahuaca and Puna de Jujuy — and to the Rio Loa region of northern
Chile (Salas 1945 pp. 179 foil. fig. 66). This closely restricted geographical
distribution area of the loop-hooks must be due to the fact that the inhabi-
tants of this region in their commercial activities traded some special article
which made the use of pack ropes necessary. I am inclined to believe this
article to have been salt. But if the traded article was salt, it was not traded
138
Ryden, An Argentine-Egyptian Archaeological Parallel
as nowadays in this region — in big square blocks — but in small pieces in
bags, as a block of salt would very soon cut off a rope such as that to which
the loop-hooks are fastened. An indication that the salt of Puna de Atacama
and Puna de Jujuy was, in earlier times, traded in another way than in
square blocks is the fact that the manufacture of salt blocks necessitates the
use of a big and relatively strong metal implement to cut out the salt blocks.
In the region mentioned here no such implements have been found. A common
archaeological object is, however, a big, bluntedged girdle stone-axe (B o m a n
1908 vol. I pp. 324, 378 vol, II pp. 461, 557 folk; Nordenskiold 1902).
These stone axes have probably been connected with the salt mining or salt
gathering. Judging from the blunt edge, these axes must have been used more
as pounders than as axes. Thus the salt procured in this way must have been
of a more or less grainy consistence and not in the form of big blocks. Stone
axes which probably have been used for salt-mining are also reported from
the territory of Neuquen by Salas (1942). These axes are celts, however,
and have no blunt edge, but as only two such celts are described, the edge
cannot be considered a decisive factor in this case.
The loop-hook eliminates the friction and makes it possible to tighten the
pack rope more than if the rope was provided with an ordinary loop. Loop-
hooks also make the pack-ropes more durable, as because of the friction the
point where the rope passes through the loop is that to be first worn out.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
139
A corresponding ability of the Rio Loa Indians to overcome, for instance, the
difficulty in tying knots on not very pliant ropes is shown by the hunting-
nets (?) used by these Indians (Ryden 1944 pp. 120 folk).
B o m a n (1906 vol. II p. 596) mentions that the Arabs use pack ropes pro-
vided with wooden loop-hooks like those from northern Chile and north-
western Argentine, and in a similar way, to secure the burdens of their camels.
Boman, however, does not mention the source of this information. It is very
interesting to note that an object of exactly the same shape and showing signs
of wear in the same way as its South American counterpart was used even by
the Egyptians in ancient times. Thus, in 1951 I observed some objects of this
kind at the Egyptian exhibition of the Metropolitan Art Museum, New York.
140
Ryden, An Argentine-Egyptian Archaeological Parallel
Fig. 3
One of these is depicted here in fig. 3. Information received at the same time
as the photograph here reproduced is to the effect the object illustrated is
from Lisht, Harth Pyramid, and represents the XX—XXII. Dynasty. At the
Metropolitan Museum exhibition the object is labelled “Pulley” and numbered
15.3.1093. No final report of the excavations of the Metropolitan Museum
of Art at Lisht has been published. The excavations are, however, dealt with
in various numbers of the Museum’s Bulletin, last time 1921, part, II: Egyptian
expedition. I am grateful to professor Torgny Sáve-Soderbergh, Uppsala, for
this information.
It is very easy to find similarity as to shape, use and manufacturing tech-
nique between archaeological finds from Egypt and western South America.
However, they indicate no cultural relations between these regions. How mis-
leading such similarities and parallels in different cultures are when given
a false interpretation is shown by recent example trying to trace the origin
of the Polynesian population to South America.
In this connection it is interesting to note how objects of not even great
importance in the life of primitive people show that a — perhaps not very
important — technical problem involving the same difficulties can be solved
by human ability in exactly the same way in two different parts of the world.
BIBLIOGRAPHY
Ambrosetti, Juan.
1902. Antigüedades calchaquíes. Articulo publicado en los „Anales de la
Sociedad Científica Argentina“. Tomo LUI y LIV (Buenos Aires).
Boman, Eric.
1908. Antiquités de la Region Andine de la Republique Argentine et du Désert
d’Atacama. Yol. I—II (Paris).
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
141
Lehmann-Nitsche, Rob.
1902. Catálogo de las antigüedades de la provincia de Jujuy, conservadas en
el Museo de La Plata. Revista del Museo de La Plata. T. XI (La Plata).
Nordenskiöld, Erland
1902. Präcolumbische Salzgewinnung in Puna de Jujuy. Zeitschrift für Ethno-
logie. 34. Jahrgang (Berlin).
Rydén, Stig
1944. Contributions to the archaeology of the Rio Loa región (Göteborg).
Salas, Alberto
1942. Hachas de piedra pulida y enmangadas del Territorio de Neuquen.
Relaciones de la Sociedad Argentina de Antropología. Yol. III (Buenos
Aires).
1945. El Antigal de Ciénaga Grande. Publicaciones del Museo Etnográfico.
Serie A. V (Buenos Aires).
von Rosen, Eric
1904. Archaeological researches on the frontier of Argentine and Bolivia
(Stockholm).
Seler, Eduard.
1894. Über archäologische Sammlungen von Dr. Uhle. Verhandlungen der
Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
1894 (Berlin).
Bacßler-Archiv, Neue Folge, Band III
143
GASPAR DE ESPINOSAS BEITRAG
ZUR KENNTNIS DES ALTEN PANAMA
HERMANN TRIMBORN, Bonn
Zu den früheren Autoren, die über Landschaft und Volk der Isthmusländer
geschrieben haben, rechnet der Lizentiat Espinosa, der 1514 mit Pedrarias
Dávila nach Castilla del Oro kam und 1519 zu den Gründern von Panama
gehörte. 1516 unternahm er von Darién und 1519 von Panama Kundfahrten in
die westlichen Isthmusgebiete von Nata, Escoria und Paris.
Der folgenden — leider bruchstückhaften — Auswertung seiner Eindrücke
sind die im Indischen Archiv zu Sevilla verwahrten und in den Bänden 2, 20
und 37 der „Colección de documentos inéditos relativos al descubrimiento,
conquista y colonización de las (antiguas) posesiones españolas en América y
Oceanía“ (Madrid 1864, 1873 und 1882) veröffentlichten Berichte zugrunde-
gelegt; es muß dabei bemerkt werden, daß die in Band 2 und Band 37 abge-
drucktem Texte identisch sind; im folgenden wird nach Band 2 zitiert (zur Text-
kritik vergleiche meinen Aufsatz: „Gaspar de Epinosa als Quelle zur Sprachen-
kunde von Panama“ [1]).
Wenn Espinosas Schilderungen auch nicht Selbstzweck wie bei Andagoya
und Oviedo sind, sondern sozusagen am Rande von Rechenschaftsberichten an-
fallen, so handelt es sich doch um Beobachtungen des ersten Augenzeugen. Und
die eigenartige altertümliche Hochkultur der Cueva und ihrer Verwandten, die
von der Forschung ein wenig stiefmütterlich behandelt worden ist, verdient es,
daß eine abschließende und vergleichende Auswertung der alten Quellen erfolgt
(vergleiche hierzu: „Pascual de Andagoya on the Cueva of Panama“ [2], auch
„Pascual de Andagoya. Ein Mensch erlebt die Conquista“ [3]).
Einen verhältnismäßig breiten Eingang hat in Espinosas Beschreibung auch
die Umwelt gefunden. Es mag dabei ein gewisses Bestreben im Spiele sein, die
neuentdeckten Gebiete als aussichtsreiches Siedlungsland darzustellen, wenn die
gesamten Küstenstriche von Paris bis Chepo als bevorzugte Erde geschildert
werden: als ebenes Land ohne den Blick behindernden Urwald, das im Sommer
und Winter ein frisches, gesundes Klima biete, geeignet zum Anbau aller hei-
mischen Nahrungsgewächse, aber auch reich an Fluß- und Seefischen wie an
Wildpret und Vogelwild, auch mit natürlichen Salzquellen (jedenfalls in Nata,
Chirú und París) (II, 519). Ergiebiger Fischfang tröstet die Abendländer auch
in Tabore, wo man in zwei Stunden 50 000 Pfund Fische fing und den Eindruck
hatte, daß es mehr Fische als Wasser gab ... (II, 519). Zwischen die einzelnen
Siedlungsgebiete der Stämme, die sich auf Flußläufe konzentrierten (s. u.),
144 Trimborn, Caspar de Espinosas Beitrag zur Kenntnis des alten Panama
schalteten sich vielfach Streifen von unbesiedeltem Ödland ein, z. B. zwischen
Chirú und Chame (XX, 15). Von den Fürstentümern China und Nata wird
uns ein überaus freundlicher Eindruck vermacht: flach wie die Hand, entbehre
dieses gesunde Savannenland der Wälder, welche die Menschen der iberischen
Halbinsel beunruhigten, und Baumbestände fänden sich nur an den Ufern der
Flüsse, so auch auf dem Wege von Nata nach Guarari. Der freundliche Küsten-
streifen selber sei flacher Strand, das ganze ein Land, das man zu allen Jahres-
zeiten bequem durchreiten könne, dazu ergiebig an Fischen und märchenhaft
reich an Jagdbeute, mochte es sich um Hirsche oder Raben und Wildgänse,
Turteltauben oder Truthühner handeln (II, 512): verächtlich der Armbrust-
schütze, der unter 50 Turteltauben ins Lager trug! Diese Schilderung wird für
Nata noch besonders ergänzt. Auch dieses Fürstentum war ein dicht besiedeltes
Flachland mit wohlbestellten Flußauen. Drei Ströme bewässerten es, deren Ufer
üppige Pflanzen säumten, die jegliche indianische Nahrung boten (XX, 42);
einer von ihnen hob sich als „río grande“ hervor, an dem offenbar auch der Sitz
des Kaziken lag (XX, 83). Nata war eine kleine, aber äußerst fruchtbare Land-
schaft, besonders in ihren südlichen Strichen, durch deren offenes, gesundes
Savannenland die mit Pflanzungen übersäten Ufer der Flüsse zum Meere wiesen
— ein Land, das auch für die Anlage einer spanischen Siedlung (die ja auch
tatsächlich erfolgte und noch heute besteht) geeignet erschien. Neben den Mög-
lichkeiten des Anbaus reizten die hier besonders reichen Salzquellen ebenso wie
die ergiebige Jagd, auf Rotwild ebenso wie auf Wildgänse, Truthühner, Turtel-
tauben und Tauben, wozu noch lohnender Fischfang kam (XX, 43) — kurz, ein
so gesegnetes Land, daß die dichte Besiedlung mit Eingeborenen — es wird ein
Dorf von über 1500 Bewohnern genannt — den Spaniern in die Augen fiel
(11,488; XX, 40,41/2).
Der Eindruck, daß die Siedlungskomplexe der politischen Gruppen sich an
den Ufern der Flüsse zusammendrängten, wird außer in Nata und Paris (s. u.)
auch in Escoria erweckt (XX, 73). Von Escoria aus gelangte man einerseits in
die Gebiete von Tauraba und Pocoa mit ihren reichen Beständen an einheimi-
schen Fruchtbäumen, dem Mamey (II, 510), andererseits nach Esqueva, wo es
außer Mameybäumen viele Ananas gab (XX, 38). Von Escoria nach Esqueva
führte ein guter Weg durch ebenes Savannenland mit merklicher Kühle und
beachtlichem Regenfall (XX, 37). Das landeinwärts zu suchende Esqueva selber
war ebenfalls kühl und regenreich, doch schon in beschwerlicherem Gebirgsland
gelegen (XX, 38).
In den Grenzgebieten der Herrschaft Paris werden zwar auch Sumpf-
strecken, Dickichte und Mangrovewälder genannt (XX, 19, 20), besonders das
küstennahe Flachland aber als luftige, fruchtbare Savanne mit freien Blicken
geschildert (XX, 32), die Küste selber als sandiger Strand mit reicher Beute von
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
145
Fischen und Kleingetier (XX, 31). Neben kleineren Flüssen und Gezeitenrinnen
weist diese Landschaft zwei größere Flußläufe auf, von denen einer den be-
zeichnenden Namen des Rio de los Miazales erhielt, die beide mit einer Wasser-
tiefe von über zwei Faden für spanische Schiffe befahrbar waren und deren Ufer
bestellte Auen mit allen heimischen Kulturpflanzen säumten (XX, 32). Neben
den Möglichkeiten des Anbaus und Salzquellen bot Paris, außer dem Fischfang,
die Aussicht auf ergiebige Jagd: Leguan, Tapir und Pekari waren eine ebenso
häufige Beute wie Hirsche, die in Rudeln von 30 bis 40 Exemplaren auftraten
— denen allerdings auch „Löwen“ (Puma) und „Tiger“ (Yaguar) nachstellten
—, und hinter ihnen stand das mit Truthühnern, Wildgänsen, Tauben und
Rebhühnern vertretene Vogelwild nicht zurück (XX, 32).
In den Landschaften Huera und Guarari, die auf der Azuero-Halbinsel
lagen, wurden die Spanier von ungewöhnlichen Regenfällen überrascht (II, 503).
Während sie aber in Guarari noch die prächtigen, für den Bau von Booten
geeigneten Bäume erfreuten (II, 501), erwies sich Huera als ein so schroffes
Gebirgsland, daß von hier aus kein Weitermarsch auf dem Landwege möglich
war (II, 503). Andererseits schloß an Paris, und zwar auch an der Küste der
heute Azuero genannten Halbinsel, die Landschaft Guanate an, wo eine Er-
kundung allerdings ebenfalls durch unvorstellbare Regengüsse verhindert war.
Dazu stellte sich dem Weitermarsch über Guanate hinaus die schroffe Gebirgs-
natur ln den Weg, wenn dann auch Flachland in Aussicht stand (II, 513).
So wandte sich die Tätigkeit der Spanier etwas zwangsläufig den vorge-
lagerten Inseln zu, der Isla Caubaco, der benachbarten „Isla de Varones“, wo
man stattliche Bestände einheimischer Mamey-Fruchtbäume fand, und der vor
der Isla Coiba gelegenen Insel Cabo (II, 513, 515, 516, 517). Die Isla de Cabo
wird als freundliches Eiland beschrieben, ebenso die gegenüberliegende Fest-
landsküste, die dichtbevölkertes, waldfreies Flachland war (II, 517). Die natür-
liche Ausstattung mit Fruchtbäumen und dem Flonig wilder Bienen wird dabei
von allen diesen neuentdeckten Gebieten gerühmt (II, 518).
Durch Espinosas Angaben wird auch die Lage einiger Landschaften genauer
als bei Andagoya bestimmt. Paris, und zwar das Kerngebiet dieses Fürstentums,
das an der Wurzel der Halbinsel Azuero gelegen war, grenzte danach im Süden
ans Meer, östlich stieß es an die ihrerseits eng benachbarten Fürstentümer
Escoria und Pacora (XX, 31, 32, 68), südöstlich an das unterworfene Usagaña
und das anscheinend unabhängige Guarari, dessen Küstenlage uns gleichfalls
vermeldet wird; in der Nähe von Guarari ist auch Huera zu suchen, ebenfalls
an der Küste der Azuero-Halbinsel, denn der Puerto de las Agujas wird mit
Fluera identifiziert (II, 503/4; XX, 32/3). Nach Norden hin schließlich wurde
Paris von den suzeränen Kazikaten Chicacora und Quema begrenzt (II, 504;
XX, 33). Nicht genannt wird von Andagoya die Landschaft Esqueva, die aber
10 Baeßler III
146 Trimborn, Caspar de Espinosas Beitrag zur Kenntnis des alten Panama
bei Espinosa ausführlich behandelt wird; und zwar hören wir, daß sie im Süden
an Escoria, im Osten an Nata — in dessen Nähe sich auch der Kazike Corte
befand (II, 492) —, im Westen an Tabara Vallpocoa stieß und nördlich von
den Sierras de Veragua begrenzt wurde (XX, 37/8). Mit Chamnä, das an
Tubanama grenzte (II, 520), ist offenbar fehlgelesen Andagoyas Chiman ge-
meint; von hier lag die Landschaft Mas in südlicher Richtung, drei Meilen vom
Südmeer entfernt (II, 475).
Darüber hinaus wird die Position zahlreicher Kleinfürstentümer des Isthmus
durch genaue Entfernungsangaben — sei es in Tagesmärschen oder in spanischen
Meilen (Leguas) — genauer bestimmt. Es empfiehlt sich hierbei, Andagoyas
Zahlen mit denen Espinosas vergleichend zusammenzustellen, da sie sich kaum
widersprechen, wohl aber gegenseitig bestätigen und ergänzen.
Espinosa Andagoya
Darién — Careta über 30 Meilen
Careta — Acia 5
Peruqueta — Chame 40
Comogre — Chiman 2
Chiman — Po(a)quina (II, 470/1) IV2 Meilen
Chiman — Pocorosa (II, 472) 3 Meilen
Pocorosa — Paruraca 2
Paruraca — To(a)mame (II, 478) 3
Paruraca — Tubanamá (II, 478) 2 4
Tubanamá — Chepo (II, 479) 7 8
Chepo— Chepobar (II, 480) 5 6
Chepobar — Pacora (II, 480) 2 2
Panamá — Pacora (II, 481) 3 4
Panamá — Paris (XX, 33)
Seeweg 30 „ Panamá — Nata:
Landweg („Otras tantas“) 60 30 Meilen
Panamá — Periquete (II, 482) 8 4
Periquete — Tabore (II, 482) 3 4
Tabore — Chame (II, 482) 3 4
Chame — Chirú (II, 483/4) 8 1 8
(II, 518) 3 Tage / 8 -
Chirú — Nata (II, 487) 4 Meilen 4
Küstenerstreckung von Nata
(XX, 43) 4
Nata — Escoria
Seeweg (XX, 39) 3
Landweg (II, 494) (6 Meilen)
(2 Tage) / 6 ”
Küstenentfernung der Residenz
Escoria (II, 494) 6 Meilen
Escoria — Esqueva (XX, 35/6)
von der Siedlung am Fluß
bis zur „Grenze“ 4
Ödlandstreifen 4
dann noch bis Esqueva 2
147
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
Espinosa Andagoya
Esqueva — Nordmeer (XX, 35) 4—5 Tage
Escoria — Tauraba (II, 509) Tocria (Torra) bei Tauraba 3 „
bis Nordmeer (II, 517) 3 „
Escoria — París (II, 495) 6 Meilen Nata — París:
Küstenerstreckung von París 12 Meilen
(XX, 33) 6 (Nata — Escoria:
París — Usagaña (II, 485) 2 Tage s. o.)
París — Chiracona (II, 507) 4 „
Chiracona — Quema (II, 504, 507) 2 „
Guararí — Huera (II, 503) Festlandsentfemung der Isla Cabo 4 „
(II, 516) 7—8 Meilen
Im Vergleich zu den vorher bekannten Völkerschaften der mittelamerikani-
schen Inselwelt, aber auch im Vergleich mit den Stämmen von Darién entging
Espinosa nicht ein gehobener Lebensstil, der sich in gepflegterem Äußeren und
in geschliffenen Umgangsformen zeigte. In Nata „nos dieron a todos también
de comer e tan concertadamente que todos nos espantamos“ (XX, 41), und dies
steigert sich zu der Anerkennung: „es la gente della (sc. provincia) de mucha
mas razón e mas limpia que otra ninguna“ (XX, 43). Eine gleiche Anerkennung
wird den Leuten von Escoria und Paris zuteil, wenn wir lesen (XX, 33): „son
los indios e gente de la dicha provincia ... gente mas sabia e mas polida e mas
concertada que los otros que se an visto“ — kurz gesagt, es zielt dies mit
tastenden Worten auf das, was wir abstrakter beginnende Hochkultur nennen.
Andagoya war dabei eine völkische Schichtung nicht entgangen; in sprach-
licher Hinsicht kam ihm z. B. das Coiba wie eine höfische Form des Cueva
vor (398). Im einzelnen fiel ihm der besondere anthropologische Typus des
Kriegeradels von Escoria auf (412), den wir nun auch bei Espinosa in der Be-
obachtung wiederfinden (II, 508): „dos hermanos del dicho cacique Escoria,
tan grandes é tan valientes, que parescian gigantes; é el uno dellos tan bar-
bado etc.“.
Verständlicherwelse begegnet bei Espinosa die gleichfalls von Andagoya ver-
merkte sprachliche bzw. dialektale Zersplitterung (412), die sich den Con-
quistadoren bei ihren Versuchen einer Verständigung aufdrängen mußte. Die
„lengua de Comagre“ wird besonders herausgestellt (II, 497), denn mit diesen
Leuten als Dolmetschern konnte man im Westgebiet von Paris und China nichts
mehr anfangen: „tiene (París) su lengua por si diferente de la lengua de Eneba
(Fehllesung für Cueba) e de la lengua Cherú“ (XX, 33); auch das Idiom der
Landschaft Esqueva war wieder eigener Art: „tiene la lengua por si e diferente
de todas las otras lenguas“ (XX, 38),
10'
148 Trimborn, Caspar de Espinosas Beitrag zur Kenntnis des alten Panama
Espinosas Beobachtungen über die Lebensweise der Eingeborenen müssen in
einem anderen Aufsatz behandelt werden.
(1) Trimborn, Hermann: Caspar de Espinosa als Quelle zur Sprachenkunde von
Panama. In: Festschrift für Hans Plischke,....
(2) Trimborn, Hermann: Pascual de Andagoya on the Cueva of Panama. In: Pro-
ceedings of the 29th International Congress of Americanists, Vol. Ill, Chicago
1952.
(3) Trimborn, Hermann: Pascual de Andagoya. Ein Mensch erlebt die Conquista.
Hamburg 1954.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
149
ÜBER EINIGE STEREOTYPE WENDUNGEN UND
METAPHERN IM REDESTIL DES A2TE KISCH EN
GÜNTER ZIMMERMANN, Hamburg
Neben bedeutsamen und teilweise umwälzenden Ergebnissen auf vielen Teil-
gebieten kann die Mexikanistik der jüngeren Vergangenheit einen erfreulichen
Fortgang in der Erschließung umfangreicher Quellenwerke in aztekischer
Sprache verzeichnen, die fast alle mit deutscher Übersetzung vorgelegt wurden.
Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch Eduard Seler, der umfangreiche
Partien aus dem berühmten und einzig dastehenden Werke des Franziskaner-
paters Fray Bernardino de Sahagun (1499—1590, seit 1529 in Mexico), der
„Historia General de las Cosas de Nueva España“ übersetzte, deren Heraus-
gabe freilich erst 1927, bereits nach seinem Tode geschah. 1937 folgte durch
K. Th. Preuß und E. Mengin die „Historia Tolteca-Chichimeca“, im folgenden
Jahr durch W. Lehmann die „Geschichte der Königreiche von Colhuacan und
Mexico“, wieder ein Jahr später von E. Mengin „Unos Anales históricos de la
Nación Mexicana“. Bald nach dem Kriege, 1949, erschienen die wiedergefunde-
nen „Coloquios de los doce frayles usw.“, Wechselreden indianischer Vornehmer
und spanischer Franziskaner mit der Übersetzung aus dem Nachlaß W. Leh-
manns; im gleichen Jahr die „Crónica Mexicayotl“ des Fernando Alvarado
Tezozomoc im Urtext und mit spanischer Übersetzung von Adrian León, bis
schließlich ab 1950 L. Schultze-Jena die Tradition Eduard Selers wieder auf-
nahm und aus dem Werke Sahaguns Buch IV, V, VII, IX und X übersetzte.
Ebenfalls seit 1950 wird von A. Anderson und Ch. Dibble eine englische Über-
setzung und Herausgabe der Sahagun-Texte veröffentlicht, die die in Florenz
aufbewahrte Reinschrift Sahaguns zugrunde legt: hiervon sind bisher die Bücher
I—III und VII erschienen1.
1 E. S e 1 e r : Einige Kapitel aus dem Geschichtswerk des Fray Bernardino de
Sahagun. Stuttgart 1927.
K.Th. Preuß und Ernst Mengin: Die mexikanische Bilderhandschrif t
Historia Tolteca-Chichimeca, in; Bäßler-Archiv, Beiheft IX, Berlin 1937.
W. L e h m a n n : Die Geschichte der Königreiche von Colhuacan und Mexico., in:
Quellenwerke zur Alten Geschichte Amerikas, hg. vom Ibero-Amerikanischen In-
stitut, Berlin, I. Stuttgart und Berlin, 1938.
E. M e n g i n : Unos Annales históricos de la Nación Mexicana, in: Bäßler-Archiv,
Band XXII, Heft 2—3, Berlin 1939.
W.Lehmann: Sterbende Götter und Christliche Heilsbotschaft. Wechselreden
indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexico 1524, in:
Quellenwerke zur Alten Geschichte Amerikas, hg. von der Lateinamerikanischen
Bibliothek, Berlin, III, Stuttgart, 1949.
150
Zimmermann, Wendungen im Redestil des Aztekischen
Diese Aufzählung könnte mit weiteren Beiträgen kleineren Umfangs von
A. Gail, E. Mengin, R. Barlow, S. Rendon, Ch. Dibble u. a. ergänzt werden,
so daß wohl mit Recht gesagt werden kann, daß für keine andere Sprache des
amerikanischen Kontinents ein so vielseitiges Quellenmaterial zugänglich ge-
macht ist wie für das Aztekische; dabei lassen die bisher noch unpublizierten
Teile aus dem Werke Sahaguns und vor allem die reichhaltigen Schätze des
Fonds Mexicain der Pariser National-Bibliothek eine beträchtliche Vermehrung
erwarten. Diese Reichhaltigkeit des vorgelegten Quellenmaterials zusammen mit
einer soliden Basis in Form zahlreicher Grammatiken spanischer Mönche und
des Wörterbuches von Alonso de Molina (Mexico 1555 und 1571) machen das
Aztekische zu einem Studienobjekt, das zu vielfältigen Untersuchungen verlockt,
von der immensen Bedeutung des Inhalts für alle Gebiete der Mexikanistik
ganz zu schweigen.
Betrachtet man nun diese Materialfülle vom vorwiegend sprachlichen Ge-
sichtspunkt, so schält sich neben der überwiegend vorkommenden unpersön-
lichen, den jeweiligen Inhalt einfach schildernden Sprache in sehr bestimmter
Weise ein besonderer Stil persönlich gefärbter Wiedergabe in Form von Ge-
beten, Ansprachen, Reden und Gegenreden heraus. Es ist nur natürlich, daß die
Forschung zunächst Quellenmaterial anging, das nach seinem Inhalt zur Er-
hellung der religiösen, mythologischen, geschichtlichen, wirtschaftlichen, sozialen
und sonstigen Verhältnisse Altmexikos in Betracht kam. Verständlicherweise
überwiegt in einem solchen Stoff der unpersönliche Berichtstil, die andere Seite
F. A. T e z o z o m o c : Crónica Mexicayotl. Traducción directa del náhuatl por
Adrian León. Publicaciones del Instituto de Historia, Primera Serie, Numero 10,
Universidad Nacional Autonoma de Mexico, Instituto de Historia. México, 1949.
L. Schultze-Jena; a) Wahrsagern, Himmelskunde und Kalender der alten
Azteken. (Aus dem aztekischen Urtext Bernardino de Sahagun’s); b) Gliederung
des Alt-Aztekischen Volkes in Familie, Stand und Beruf. Beide in: Quellenwerke
zur Alten Geschichte Amerikas. Hg. von der Lateinamerikanischen Bibliothek, IV
bzw. V, Stuttgart 1950 und 1952. (Zitate hieraus sind mit „Sch.-J., IV bzw. V“
mit nachfolgender Seiten und Zeilenzahl gegeben.)
Florentine Codex: Translated from the Aztec into English by: A. J. O.
Anderson, Ch. E. Dibble. The School of American Research and The University
of Utah. Monographs of The School of American Research, no. 14, Santa Fé, N. M.
1950 ff.
Die spanische Übersetzung des Werkes von Sahagun (nach der Tolosaner Hs. im
wesentlichen) liegt in verschiedenen Ausgaben vor. Zur Erleichterung wurden, wo
notwendig, Angaben über Buch und Kapitel gemacht, in welchen sich das Zitat
findet. Für Buch VI wurde die in der Florentiner Hs. gegebene Textfassung
angeführt, der aztekische Text wurde nach einem Mikrofilm im Besitze des Ham-
burgischen Museums für Völkerkunde und Vorgeschichte zitiert. Übernommene
Übersetzungen anderer Autoren wurden durch den Namen gekennzeichnet. Buch VI
ist in den in Madrid befindlichen Sahagun-Hss. nicht enthalten. Von einer genauen
Beachtung der schwankenden Schreibung in der Florentiner Hs. wurde abgesehen.
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Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
der Sprache findet sich nur mehr gelegentlich darin eingestreut, dazu meist
knapp und vermeidbaren Beiwerks entbehrend, so daß bis vor kurzem für
derart speziell gerichtete Studien nur ziemlich geringfügiges Material vorlag.
Erst in den von L. Schultze-Jena veröffentlichten Partien aus Sahagun finden
sich insbesondere in dem Abschnitt über die Kaufleute (= Buch IX) längere und
ergiebigere Texte, die zahlreiche Reden und Gegenreden enthalten. Dazu kom-
men ferner die von W. Lehmann übersetzten Wechselreden indianischer Vor-
nehmer und spanischer Glaubensapostel, denen gegenüber aber zunächst eine
gewisse Zurückhaltung geboten scheint, da sie nach spanischen Konzepten von
Sahagun übersetzt wurden, wenn auch unter Mitarbeit bekannter und zuver-
lässiger indianischer Helfer. Immerhin mögen spanische Akzente hineingeflossen
sein; die Fremdartigkeit der Materie blieb nicht ohne Einfluß auf die sicher
richtige, aber dennoch nicht ganz ungezwungen wirkende Sprache, wie ein Ver-
gleich In der Behandlung christlicher Materie mit der Darstellung der alten
indianischen Verhältnisse in der gleichen Quelle lehrt, wenn auch, wie von
W. Lehmann mit Recht hervorgehoben, die Fähigkeit der aztekischen Sprache
zur Wiedergabe abstrakter Thematik bemerkenswert ist.
Eine geradezu einzigartige Quelle in Betracht kommenden Materials ist bis-
her leider so gut wie gar nicht im Urtext zugänglich gemacht, obgleich gerade
sie ihrer Anlage nach für das Studium des Redestils mit seinen typischen Er-
scheinungen unerschöpflich ist. Es handelt sich hierbei um Buch VI des Saha-
gunschen Werkes, das bisher — von Kapitel 29 abgesehen, welches Seler in
seine Übersetzung aufnahm — nur in der von Sahagun selbst angefertigten
Übersetzung zugänglich ist.
Buch VI der „Historia General“ ist in verschiedener Hinsicht bemerkens-
wert. Sahagun überschreibt es: „De la retörica, filosofia moral y teologia de la
gente mexicana, donde hay cosas muy curiosas tocantes a los primores de su
lengua, y cosas muy delicadas tocantes a las virtudes morales“. Wie bei Sahagun
üblich, handelt es sich nicht um eine systematische Darlegung des in der Über-
schrift angegebenen Stoffes, sondern um eine Materialsammlung dazu. Dieses
Buch ist bei weitem das umfangreichste des Gesamtwerkes, seiner Abfassung
nach das älteste, ja, es ist lange vor der eigentlichen Planung der Historia ver-
faßt und erst später in sie eingegliedert worden. Sahagun vermerkt am Ende
von Buch VI selbst, daß es im Jahre 1577, über 30 Jahre später, nachdem es
in aztekischer Sprache niedergeschrieben war, von ihm ins Spanische übersetzt
wurde, so daß die aztekische Urform vor 1547 abgefaßt sein muß. Der offizielle
Auftrag zur Abfassung seiner Historia wurde ihm von seinem Ordensobrigen
Torral erst 1558 erteilt, die erste Niederschrift, zunächst in 4 Kapitel ein-
geteilt, das Ms. von Tepepulco, trägt an drei Stellen das Datum 1560, die
Hauptmasse des Textes wurde jedoch erst einige Jahre später in Tlaltelolco
152
Zimmermann, Wendungen im Redesr.il des Aztekischen
und Mexico gesammelt. So wurde Buch VI also noch vor Ablauf einer Gene-
ration nach der Eroberung Mexicos niedergeschrieben und über 10 Jahre vor
dem ältesten Teil der „Historia“, ein bemerkenswerter Gesichtspunkt für die
Beurteilung von Inhalt und Sprache.
Der nähere Inhalt von Buch VI mit seinen 43 Kapiteln läßt sich folgender-
maßen zusammenfassen:
Kap. 1—9
Kap. 10—16
Kap. 17—22
Kap. 23—37
Kap. 38—40
Kap. 41—43
Gebete an Tezcatlipoca anläßlich Krankheit, Armut, Krieg,
für den guten, gegen den schlechten Herrscher, Beichtgebete;
Gebete an Tlaloc um Regen.
Gebete, Reden und Ansprachen im Zusammenhang mit dem
neugewählten Herrscher.
Reden und Ermahnungen der Eltern an ihre Kinder.
Ermahnungen, Reden, Ansprachen, Glückwünsche usw. anläß-
lich Hochzeit, Schwangerschaft, Geburt, Taufe.
Reden der Eltern im Zusammenhang mit dem Eintritt ihrer
Kinder in das Calmecac (Erziehungsanstalt).
Redensarten und Redewendungen, Rätsel und Scherzfragen,
Metaphern.
Noch in einer weiteren Hinsicht ist Buch VI bemerkenswert und dadurch
unterscheidet es sich von allen anderen Teilen der Historia, nämlich in der
deutlich zum Ausdruck kommenden inneren Anteilnahme, die Sahagun selbst
für den Inhalt und vor allem die Sprache dieses Buches hegt. So verwahrt er
sich z. B. im Prolog dagegen, daß etwa sein Inhalt Erfindung sei, weil weder
Inhalt noch Sprache solchermaßen von einem menschlichen Gehirn auszudenken
sei und erklärt schließlich: „y todos los indios entendidos, si fueren preguntados
afirmarän que este lenguaje es el proprio de sus antepasados y obras que ellos
hacian.“
Noch deutlicher tritt diese Anteilnahme und Einschätzung seitens Sahaguns
in einer Reihe von Kapitel-Überschriften hervor, wo er nach der Inhaltsangabe
besondere Hinweise auf die Qualität der darin verwendeten Sprache macht,
ein einmaliges Verhalten in seinem Werk. Eine Anzahl solcher Hinweise seien
erwähnt, vor allem solche, die sich in der spanischen Fassung, die bisher allein
zugänglich ist, nicht finden, sondern nur in der Florentiner Hs., der einzigen,
die Buch VI mit dem aztekischen Text bringt:
Kap. 3 „contiene muy delicadas metaphoras y muy elegante lenguaje“
(cenca quaqualli in metaphoras, in machiotlatolli inic tlatoaia).
Kap. 5 „donde se ponen muchas delicadezas en sentencia y en lenguaje“
(miec in uncan moteneoa in quaqualli tlatolli).
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
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Kap. 6 „donde se pone muy estremado lenguaje y muy delicadas meta-
phoras“ (cenca qualli in tlatolli ioan cenca quaqualli in meta-
phoras).
Kap. 10 „tiene maravilloso lenguaje y muy delicadas metaphoras y admi-
rables avisos“ (cenca mauigauhqui inin tlatolli ioan cenca ohovi
in machiotlatolli, cenca quaqualli in tenonotzaliztlatolli).
Kap. 13 „usa en ella (d. h. der Redner in seiner Rede) de muchos colores
retóricos“ (miec in unca moteneoa tecpillatolli).
Kap. 27 „donde se ponen muchas cosas apetitosas de leer y de saber y muy
bien lenguaje mugeril, y muy delicadas metaphoras (miec in
moteneoa in neiollotiloni, cenca qualli in tlatolli, iniuh tlatoa cioa,
ioan cenca quaqualli in metaphoras).
Kap. 33 „Donde hay muy esmeralda lenguaje, en especial en la repuesta
de la partera“ (auh in tlein quitoaia mixiuhqui cenca qualli in
tlatolli, oc cenca iehoatl inic tlacuepa mixiuhqui).
Diese ungewöhnliche Betonung der in Buch VI enthaltenen sprachlichen
Qualität durch einen solchen Kenner der Sprache, wie Sahagun und die vor-
zugsweise Form der Vorlage in Gestalt von Gebeten, Reden und Gegenreden
macht dieses Buch in der Tat zu einer Quelle ungewöhnlichen Ranges für
Studien, denen wir hier unsere Aufmerksamkeit widmen wollen. Von zusätz-
lichem Wert sind ferner die letzten drei Kapitel, in denen etwa 80 Redens-
arten und Redewendungen, etwa 45 Rätsel und Scherzfragen, sowie etwa
90 spezielle Metaphern gebracht werden, ein Stoff, der nur teilweise in die
spanische Fassung Eingang fand, in Übersetzung ohnehin seines eigentlichen
Wertes beraubt sein mußte.
Mag auch der sachliche Inhalt dieses Buches nicht so ergiebig sein und wohl
auch aus diesem Grunde von der Forschung bisher zugunsten anderen Materials
zurückgestellt sein; mögen die oft ermüdend breit ausgesponnenen Wendungen
und Metaphern mit ihren ewigen Wiederholungen die Lektüre dieses Buches
nicht immer gerade angenehm gestalten: neben diesen unleugbaren Auswüchsen
eines hochgezüchteten Stils entschädigen nicht wenige andere Stellen, an denen
die dem Aztekischen eigenen, in seiner Struktur liegenden Möglichkeiten zu
Höhepunkten unverkennbarer Eleganz des Ausdrucks und nachempfindbarer
Schönheit des Stils gestaltet sind. An solchen Stellen bereitet die Lektüre des
Buches VI im Urtext einen Genuß, dem man sich über das eigentliche For-
schungsziel hinaus gerne hingeben wird.
Dieser große Umfang angegebenen Materials berechtigt zu der Annahme,
daß wir wenigstens gewisse Zweige des Redestils mit seinen Eigentümlichkeiten
erfassen können. Daß die Kunst der Rede bei den Azteken eine hohe Achtung:
genoß, dafür haben wir eine Fülle von Hinweisen aus den alten Autoren, von
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Zimmermann, Wendungen im Redestil des Aztekischen
denen nur einige angeführt seien. Schon beim Kind wurde auf geziemenden
Gruß und gute Rede geachtet (Sahagun ed. Seler, S. 328); als 13. Aufgabe des
Erziehungshauses für die vornehme Jugend wird ausdrücklich aufgezählt, „daß
das gute Sprechen eindringlich gelehrt wurde, wenn einer nicht gut sprechen,
nicht gut grüßen sollte, so Stadien sie ihn mit Agavespitzen“ (ibid., S. 353);
gute Rede war eine wichtige Voraussetzung für die Bekleidung höherer Ämter,
wegen ihrer Rede hochgeachtete Männer gehörten zu den wichtigsten Personen
der nächsten Umgebung höchster Würdenträger, um in ihrem Aufträge und für
sie zu sprechen (z. B. Sahagun, 1. VI, cap. 12, Ende); für den Vertreter Tez-
catlipocas, der diesen Gott für ein kurzes Jahr verkörperte, um dann beim
Toxcatl-Fest geopfert zu werden, wurde besonders Bedacht darauf genommen,
„daß er sich in der Rede ausdrücken lerne, daß er reden und die Leute anreden5|
sie auf er Straße begrüßen könne“ (Sahagun, ed. Seler, S. 95). Besonders ge-
schätzt wurden die Ermahnungen und Lehren der Alten; für eine Reihe der
einzelnen Redekategorien gab es besondere Termini technici, wie z. B.: „ecame-
cayotl, ecamecatl“ („Wind-Schnur“) für eine ausgedehnte, „langatmige“ Rede
verschiedenen Inhalts; „Calmecatlatolli“ wurden die speziell in den Erziehungs-
anstalten, Calmecac, gehaltenen Reden genannt; „nezcaliliztlatolli“ hießen die
„besinnlichen, erhebenden“ Reden; „tenonotzaliztlatolli“ hießen die „mahnen-
den, unterweisenden“ Reden; „ueuetlatolli, ilamatlatolli“ waren die Reden
der „Alten“, beiderlei Geschlechts; „tlatlatlauhtiliztlatolli“ war die Bezeichnung
für lange Gebete, die eher Reden an die Gottheiten gleichkamen; mit „machio-
tlatolli“, d. h. „Beispielsrede“ wurde eine Rede bezeichnet, die viele treffende
(„ohovi“) Metaphern enthielt usw. Das besonders enge Verhältnis, das zwischen
höchsten Würdenträger und den in ihrem Aufträge sprechenden Rednern be-
stand, wurde durch die Metapher „opuchtia, itzcactia“, d. h. „zur Linken, zur
Seite bzw. unter den Achseln sein“ bezeichnet, eine Metapher, die allgemein ein
intimes Vertrauensverhältnis charakterisierte, nach Sahagun jedoch vorzugs-
weise auf diese genannten Redner und ihre Aufgabe angewendet wurde.
Aus der Fülle solcher und ähnlicher Hinweise ergibt sich die Bedeutung, die
der Redekunst in Altmexiko beigemessen wurde. In der Praxis wird dies aller-
dings mehr das Beherrschen einer Redeform bedeutet haben, die sich durch
besondere Merkmale auszeichnete, nicht die Kunst der freien Rede. Jedenfalls
zeigen die uns erhaltenen „Reden“ eine durch die Konvention streng geregelte
äußere und innere Form, ein recht starres System immer wiederkehrender Wen-
dungen und Formeln. Das persönliche und geschätzte Können des Redners
äußerte sich wohl darin, wie er innerhalb dieser vorgeschriebenen Form die
Regeln beherrschte und mit ihnen seine Gedanken zum Ausdruck brachte und
dadurch die gewünschte Wirkung erzielte. Mag keine der uns erhaltenen Reden
je wirklich so gehalten sein, sie wurden aber sehr wahrscheinlich so oder in einer
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
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sehr ähnlichen Weise gehalten, wie sie sich in den Quellen finden, die Überein-
stimmungen in Anlage und Form in den verschiedensten Quellen sind ein
sicherer Hinweis hierfür.
Eine Durchsicht des einschlägigen Quellenmaterials ergibt gegenüber der
üblichen Sprache für den Redestil im wesentlichen folgende Merkmale:
1. Anwendung des Vokativs bei der direkten Anrede. Anwendung reve-
rentialer Formen bei den hierfür geeigneten Wortklassen.
2. Reichliche und meist gehäufte Verwendung von Metaphern und Koppel-
ausdrücken, d. h. Nebeneinanderstellung von meist zwei synonymen Aus-
drücken, die beide zusammen oft eine gewisse Nuancierung erzielen (sog.
„twin-forms“, „dvandva-ähnliche Formen“).
3. Anwendung eines umfangreichen Bestandes an stereotypen Redewendun-
gen und Redensarten allgemeiner Art der Bewillkommnung, des Grußes,
des Dankes, der Entschuldigung, des Bedauerns, des Abschieds, für Ein-
leitung und Abschluß der Rede usw., oder spezieller Art, je nach der
behandelten Thematik für Mahnung, Tadel, Vorwurf, Belehrung, Be-
gründung, Rechtfertigung, Warnung u. a. m.
Bevor wir uns an Hand einiger ausgewählter Beispiele mit den stereotypen
Redewendungen und damit teilweise verbunden, mit den Metaphern befassen,
mögen einige Bemerkungen über das erste Merkmal vorausgeschickt werden.
Merkmal 1 ist ein grammatisches Merkmal, die Regeln zur Bildung des Vokativs
bzw. der reverentialen Formen sind von den alten Grammatikern genügend
dargelegt. Hinsichtlich des Vokativs und seiner Anwendung mag aber noch ein-
mal ausdrücklich darauf verwiesen sein, daß in den Texten, wie einige Gram-
matiker auch betonen, sein Gebrauch fakultativ ist und dieser nur Männern (im
Umgang mit Männern und Frauen) Vorbehalten ist, Frauen ihn jedoch nicht
anwenden (weder gegenüber Männern noch gegenüber Frauen). Das lehrt sehr
deutlich folgende Stelle bei Sahagun, 1. XII, cap. 24 (ed. Seler, S. 515)), wo das
heimliche Entweichen der Spanier aus Tenochtitlan zunächst von einer Frau,
gleich darauf von einem Mann bemerkt wird, die nun mit ihren Rufen die
Mexikaner benachrichtigen:
Frau: Mexica xioalnenemican, ie quifa ie naualquija in amoiaouan, d. h. nach
Seler: „Mexikaner, kommt herbei, jetzt gehen eure Feinde, gehen heim-
lich, arglistig heraus.“
Mann: Tiacauane mexicae ie onqui$a in amoiauoan ... d. h.: „O Häuptlinge,
o Mexikaner, eure Feinde ziehen fort.“
Scheinbare Abweichungen erweisen sich als irrige Übersetzungen, wie weiter
unten in anderem Zusammenhang an einem Beispiel gezeigt wird.
Unter „reverentiale Formen“ werden mit den alten Grammatikern nicht nur
Formen der Ehrerbietung verstanden, sondern auch die der Zärtlichkeit im
156
Zimmermann, Wendungen im Redestil des Aztekischen
Umgang der Eltern mit ihren Kindern oder der Demut im Gebet zu den
Göttern.
Gebrauch oder Meidung des Reverentiales bringt wohl bewußte Nuancie-
rung im Ton mit sich, wie sich z. B. sehr auffällig an folgendem Beispiel auch
für die Auswahl der sonstigen Formen zeigt: der Vater macht zunächst seinen
Sohn, dann seine Tochter auf die bevorstehenden Aufgaben in der Erziehungs-
anstalt (Calmecac) aufmerksam:
Vater an Sohn (Sah. 1., VI, cap. 40):
Izcan taiz, izcan ticchioaz, tochpanaz, titlacuicuiz, chico tlanaoac titlavicaz,
titlatecaz, ticochi^az, ticnalquixtiz in iooalli;
d. h.: Das ist’s, was Du dort tun sollst, was Du dort machen sollst, Du sollst
fegen, sauber machen, den Unrat wegräumen, die Dinge an ihren Ort stellen,
Dich zum Nachtwachen aus dem Schlaf erheben.
Vater an Tochter (ibid.):
Izca in timailiz, izca in ticmuchiuiliz, izcan monetol, ticmocuitlaviz in
ochpaoaztli, in tlacuicuiliztli, auh niman ie iehoatl, in iatzin, in itlaqualtzin
tloque, naoaque;
d. h.: Das ist’s, was Du dort tun (rev.) sollst, das ist’s, was Du dort machen
(rev.) sollst, das ist, was dort Dein Gelübde sein soll: Du solllst Dich küm-
mern um das Fegen, das Saubermachen, und dann auch um das, um das
Wasser (rev.), das Essen (rev.) (= beides Metapher für; Speise) des All-
gegenwärtigen.
Die reverentialen Formen für die Verben ay, chiua (ailia, chiuilia) und die
Wendung „kümmern um das Fegen usw.“ statt des reinen Verbs veranschau-
lichen hier sehr schön die weichere und zärtlichere Art, mit der sich der Vater
an die Tochter wendet, die aus dem Wörterbuch allein nicht zu entnehmen ist.
Die Speise Gottes, die Opfergaben (ventli) werden gleichfalls demütig reve-
rential ausgedrückt, wobei übrigens die gleiche Metapher von Molina in seinem
Wörterbuch (Teil II) s. v. „yauh ytlaqual yn anima“ = el mantenimiento de
nuestra anima aufgeführt wird, hier als beispielsweiser Hinweis dafür gebracht,
wie gut es die spanischen Geistlichen verstanden, typisch aztekische Ausdrucks-
weise für ihre Zwecke zu verwenden.
Beiseite gelassen kann der Gebrauch des Reverential bei den Wortklassen
außer dem Verb, also vornehmlich bei Substantiven, Präpositionen, aber auch
selbständigen Fürwörtern, Adjektiven u. a. Er geschieht durch Anwendung der
Silbe -tzin (tli), einer Partikel der Verkleinerung. Die Praxis der Texte bietet
nichts, was nicht in den Grammatiken auch verzeichnet ist.
Über reverentiale Formen beim Verb mögen aber noch einige Hinweise ge-
macht werden, da sie ausschließlich im Redestil Vorkommen. Voraussetzung für
ihre Anwendung ist ein direktes oder indirektes Verhältnis zwischen zwei
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
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Partnern, direkt durch den Satz, etwa Subjekt-Objekt-Verhältnis beim transi-
tiven Verb, indirekt durch die Form des Gesprächs, das einen Partner voraus-
setzt. Transitive und intransitive Verben spielen im Aztekischen ja eine ent-
scheidende Rolle, da ein transitives Verb stets ein Objekt-Infix verlangt; falls
das Objekt nicht ausdrücklich genannt ist, wenigstens den allgemeinen Hinweis
durch „tla“ für Sachen, „te“ für Personen; die vielen abgeleiteten Verben, die
sogenannten kompulsiven und applikativen Verben sind stets transitiv,
„machen, daß jemand etwas tut“, bzw. „für jemand etwas machen“. Eine reve-
rentiale Form in der 1. Person (sing, oder plural) bei einem intransitiven Verb
ist nicht üblich, eine indirekte Beziehung wird durch reverentiale Formen auf
-tzin bei diesem indirekt beziehungsvollen Teil des Satzes ausgedrückt:
Gebet des Priesters an Tezcatlipoca: (Sah., 1. VI, cap. 1) Ca ixquichtzin
inic mixpantzinco nivetzi, ninomaiaui .. . Das ist wohl alles, weswegen ich
vor Dir (rev.) zu Boden falle, mich hinwerfe ...
Dagegen kann ein transitives Verb in der ersten Person reverentiale Formen
gebrauchen, weil durch das Objekt eine direkte Beziehung mit dem Verb her-
gestellt wird, da, wie gesagt, jedes Objekt im Aztekischen durch ein Objekt-
Infix in das Verb hineingenommen wird. Wir erhalten also etwa:
Motecuzoma an Cortes bei der ersten Zusammenkunft (Sah., 1. XII, cap. 16
= ed. Seler, S. 492):
ca ie onimitznottili (= o-ni-mitz-no-ittili): daß ich Dich gesehen
(mitz = Dich, eingeschachtelt in die für eine reverentiale Form notwendige
reflexive Form des Pronomens nino, für ni = ich; ittilia = applikative Form
von itta, wodurch im allgemeinen reverentiale Formen eines transitiven Grund-
verbes gebildet werden, während ein intransitives Verb (außer dem stets not-
wendigen reflexiven Pronomen) hierfür seine kompulsive Form verwendet.)
Die Voraussetzung scheint aber in jedem Falle zu sein, daß es sich um einen
persönlichen Partner handelt (tatsächlich, oder im Gebet als anwesend gedacht),
nicht jedoch eine Sache, die dann mit -tzin reverential gemacht wird;
Ma melleltzin nicquetz = möge ich nicht Deinen Zorn (rev.) hervorrufen,
obwohl das Objekt, deinen Zorn, auch hier durch das Objektinfix „c“ bei dem
transitiven Verb „quetza“ eingeschachtelt sein muß.
Auffallend selten sind dem Reverential entgegengesetzte Formen, die also
eine Herabsetzung im rhetorischen Sinne etwa zum Ausdruck bringen, die
jedoch in den christlichen Texten eine größere Rolle spielen. Die von den
Grammatikern angegebene Bildung bei Verben auf -poloa begegnet sehr selten,
das gleiche gilt für die anderen Wortklassen. Im Gegensatz zum Reverential
handelt es sich hierbei wohl um eine Erscheinung, die dem Aztekischen doch
ziemlich fremd war und erst unter spanischem Einfluß gebräuchlicher wurde.
Rhetorische Herabsetzung der eigenen Person durch Wahl von Ausdrücken,
158
Zimmermann, Wendungen im Redestil des Aztekischen
die als solche eine nicht besonders geschätzte Tätigkeit ausdrücken, kommt in
Gebeten öfters vor. So heißt es am Ende eines Gebetes an Tezcatlipoca (Saha-
gun, 1. VI, cap. 3):
o ca ixquichtzin ic nimitznotza, ic nimitzpopolotza
o, das ist wohl alles, worum ich zu Dir flehe, worum ich zu Dir stammele.
Oder mehrfach ähnlich lautend (Sahagun, 1, VI, cap. 10):
mixpantzinco niquiztiuitz, nacitiuitz, nitlacueiacxoluitiuitz, nitlaviltectiuitz
vor Dir (rev.) eile ich herauszukommen, anzukommen, hüpfe rasch (wie ein
Frosch = cueia-tl) vorbei, gehe eilig auf kürzestem Wege vorbei.
Der Sinn im letzteren Falle ist der, daß ich mich selbst nicht für würdig
erachte, längere Zeit in Gottes Nähe aufzuhalten, der Vergleich mit dem Frosch
soll wohl nur dieses eilige Entfernen zum Ausdruck bringen, da es sich um
„Koppel-Verben“ handelt, der synonyme Sinn ist primär die rasche Entfernung.
Wie sehr der Gebrauch reverentialer Formen (im Gegensatz zu den herab-
setzenden) aus der aztekischen Sprache gewachsen ist, zeigt ihre grammatische
Bildung, die zutiefst mit den Bildungsgesetzen der übrigen Sprache überein-
stimmt. Zur Deutung vergleiche man B. L. Whorf (1946, S. 388, § 10: 6); wie
sehr sie noch heute im lebenden Aztekischen verwendet werden, zeigt sehr schön
die Studie von R. S. Pittman über „Nahuatl honorifics“ an Hand von Material,
das von ihm in Tetelcingo, Morelos, gewonnen wurde2. Vom Standpunkt des
klassischen Aztekischen sind die von ihm gebrachten Belege in grammatischer
Form und Anwendung durchaus von gleichem Fleisch und Blut. Eine wesent-
liche Veränderung ist nur in der Behandlung der dritten Person eingetreten,
wo der Reverential durch Gebrauch des unpersönlichen „te“ erzielt wird, eine
dem klassischen Aztekischen fremde Anwendung. Die reverentiale Form „seine
Hand“ hieße im klassischen Aztekisch: i-ma-tzin, hier jedoch te:ma:, der Zu-
satz von -ci (= tzin) macht daraus eine besonders betont reverentiale Form;
ebenso hieße bei Verb „Du sahst ihn“ die klassische Form: ticmottili (= ti-c-
mo-ittili), während sie heute in Tetelcingo lautet: ti-te:mo-hti-li. Diese Stel-
lung von „te“ ist im klassischen Aztekisch unmöglich, in der Bedeutung „Du
sahst (rev.) jemand“ müßte es heißen: timoteittili, was aber niemals “Du sahst
(rev.) ihn“ heißen könnte.
Wenden wir uns nun dem Merkmal 2 und 3 des Redestils zu: im Gegensatz
zu Merkmal 1, das eine grammatische Sonderausbildung der Sprache war, rein
2 6. L. W h o r f ; The Milpa Alta dialect of Aztec with notes on the classical and
the Tepoztlan dialects, in: Linguistic structures of Native America. Viking Fund
Publications in Anthropology, n. 6, S. 367—397, New York, 1946.
R. S. Pittman: Nahuatl honorifics. In: International Journal of American
Linguistics, vol. XIV, S. 236—239.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
159
stilistisch bedingte Merkmale, da sie auch sonst belegt sind, sich lediglich durch
ihren intensiven Gebrauch im Redestil hervorheben.
Über Metaphern im Aztekischen liegen Arbeiten von G. Höltker vor, in
welchen auf Grund des damals vorliegenden Materials hinsichtlich der allge-
meinen Stellung der Metapher in der Sprache und ihre besondere Stellung im
Aztekischen anschauliches Material beigebracht ist3. Die seitdem bekannt ge-
wordenen Quellen gestatten eine sehr große Vermehrung an anführbaren Bei-
spielen, eine erschöpfende Behandlung aber setzt Sonderstudien voraus, da alle
Bereiche der aztekischen Kultur zu ihrem Verständnis herangezogen werden
müßten. Das allein würde sicher nicht ausreichen, da viele Metaphern meso-
amerikanisches Kulturgut darstellen und somit tiefere Wurzeln haben, einige
finden sich vom Otomi im Norden bis zu den Texten des Popol-Vuh im Süden;
ohne eine tiefergehende Untersuchung aller oder vieler Zwischenglieder bliebe
eine solche Arbeit fragmentär.
Grundsätzlich mag betont werden, daß es wohl einzig an dem bisher vor-
liegenden nicht allzu reichlichen Material lag, wenn nicht immer erkennbar
war, daß es sich bei einer an sich richtig übersetzten Passage eigentlich um eine
stereotype Wendung handelt, die über diesen wörtlichen Sinn hinaus durch
Gebrauch und Konvention einen zusätzlichen Gehalt erhielt. Erst an einem
reichhaltigeren Material wird durch die gehäufte Wiederkehr der Verdacht auf-
tauchen, daß es sich um eine formelhafte Wendung handelt, die offensichtlich
noch etwas mehr aussagen soll, besonders wenn sie sich immer wieder in gleichen
oder ähnlichen Situationen findet, deren Eigenart durch den Kontext überseh-
bar ist. Erwünscht ist natürlich immer eine entsprechende Interpretation durch
die alten Autoritäten, möglichst aus der ersten Zeit nach der Eroberung, um
spanischen Einflußmöglichkeiten vorzubeugen.
Das sonst so ausgezeichnete Wörterbuch von Molina gibt in erster Linie
Einzelwortschatz, sehr im Gegensatz etwa zu dem „Mayawörterbuch von
Motul“, das die Anwendung oft an Beispielen illustriert. Nicht, daß im Molina
Redewendungen (und Metaphern) gänzlich fehlen, sie sind aber von ihm in
einer zufälligen Form ihrer Anwendung verzeichnet, nicht an der alphabetischen
Stelle ihres Grundwortes. Dadurch wird das Auffinden sehr erschwert, da man
nicht weiß, unter welcher Formulierung Molina sie evtl, eingeordnet hat. (Vgl.
die oben zitierte Metapher für „Speise“.)
Wesentlich ergiebiger ist die Aufzählung von Redewendungen einschl. Meta-
3 G. Höltker: Dvandvaähnliche Wortkuppelung im Aztekischen, in: Wiener
Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik. Veröffentlichung des Instituts für
Völkerkunde an der Universität Wien, Jg. I, S. 349—359, Wien, 1930.
G. Höltker: Einige Metaphern im Aztekischen des P. Sahagun. In: Anrhropos,
Bd. 27, S. 249—259, Wien, 1932.
160
Zimmermann, Wendungen im Redestil des Aztekischen
phern, die Fray Andres de Olmos als Anhang zu seiner Grammatik und in dem
darauffolgenden Text einer Mahnrede des Vaters an seinen Sohn gibt. Gering-
fügige Konzessionen an christliche Bedürfnisse verhüllen kaum den urwüchsig
„heidnischen“ Charakter. So empfiehlt Olmos unbekümmert für: „Da Dios
hambre o enfermedad“ den aztekischen Ausdruck „Xiuhcoatl, mamalhuaztli
tepan quimotlaxilia“, d. h. „Die Türkisschlange, den Feuerbohrer wirft (rev.)
er auf die Leute“, eine bekanntlich dem Kult Uitzilopochtli’s entnommene
Wendung. Olmos überschreibt die oft sehr ausführlich gehaltenen Wendungen
mit ihrer Fülle von Metaphern mit kurzen spanischen Überschriften, die die
Tendenz zum Ausdruck bringen. Leider sind diese außerordentlich wertvollen
Sammlungen noch nie übersetzt oder kommentiert worden, was wohl auch erst
möglich ist, wenn genügend Quellenmaterial zugänglich ist, das Ihre Anwendung
bis ins Letzte kontrollieren läßt.
Für die Sahagunschen Texte — in unserem Falle speziell Buch VI — liegen
dessen eigene Übersetzungen ins Spanische vor, die bekanntlich den aztektischen
Text nicht immer getreu übersetzen, sondern umschreiben, kürzen oder auch
zusätzlich erläutern, je nachdem ihm dieses zur Erreichung seines Hauptzweckes,
seinen Ordensbrüdern gleichzeitig Material zur Kenntnis der aztekischen Vor-
stellungen und der Sprache bis in ihre letzten Feinheiten hinein zu vermitteln,
notwendig erschien.
Erweisen sich nun gewisse Passagen durch ihren häufigen gleichbleibenden
Gebrauch als stereotype Wendungen mit einem zusätzlichen Gehalt, so wird
sich doch durch die Berücksichtigung der Situationen, unter denen sie begegnen,
im Verein mit den von den alten Autoren gegebenen Interpretationen, ihr
eigener Gehalt bis zu einem gewissen Grade feststellen lassen. Sicherlich sind
die alten Autoren mit gutem Grund ihrerseits von einer wörtlichen Über-
setzung abgewichen, weil ihnen durch den praktischen Umgang die zusätzliche
Bedeutung geläufig war, deren Berücksichtigung auch für unsere Übersetzungen
von Wert sein muß. Die Fülle einschlägigen Materials gestattet eine unab-
hängige Kontrolle durch Vergleichen der Anwendung an geeigneten Stellen.
Redewendungen der Bewillkommnung und des Grußes
Über die bei der Begrüßung angewendeten Formen bringt Sahagun in dem
ersten Entwurf seiner Historia, in dem Ms. von Tepepulco, im Kapitel IV, § 10
eine Übersicht, die hiernach von Schultze-Jena (V, S. 62 ff.) übersetzt wurde.
Dieser Abschnitt wurde später, wie manches andere Material, das dort gesam-
melt wurde, von Sahagun wieder ausgeschieden, fand jedenfalls keine Aufnahme
in die endgültige Reinschrift und damit auch keine spanische Übersetzung. Be-
grüßungen kommen nun in den Texten häufig vor, so daß genügend Material
zum Vergleich vorhanden ist. Es zeigt sich, daß die von Sahagun aufgeführten
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
161
Formeln nur einen kleinen Ausschnitt geben, es waren mehr Wendungen dafür
üblich, abgestuft in der Art ihrer Anwendung und nach dem Personenkreis, der
sie anwandte.
Nach der Angabe von Sahagun antwortet ein Vornehmer, zu dem Besuch
kommt, auf dessen Begrüßung: „ma vel xomeviltitie“ (nach Sch.-J.): „daß Du
Dich wohl vom Lager erhebest“ mit den Worten: .. oticmihiyovilti, ma ye
nican timovicatz.“ D. h. „Du hast es Dir Mühe kosten lassen, doch schon
kommst Du hier an“.
Diese Formulierung findet sich nun in der Tat recht häufig in den Texten,
jedenfalls in ihrem ersten Teil, d. h. „Du hast es Dir Mühe kosten lassen“, je
nach den beteiligten Personen auch abgewandelt. Fläufiger ist eine Koppel-
bildung, mit dem synonymen Verb „ciaui“ ermüden, oder als transitives Verb
in der Bedeutung „müde werden“ (durch Arbeit usw.). In sehr vielen Fällen
wird damit die Wendung (also ähnlich wie oben) verbunden: „Du bist im
Lande angekommen.“
So begrüßt Motecuzoma Cortes bei seinem ersten Zusammentreffen (Saha-
gun, 1. XII, cap. 16 = ed. Seler; S. 491):
Totecuioe, oticmihiovilti oticmociavilti, otlaltitech tommaxitico.
O unser Flerr! mit Mühsal, mit Ermüdung hast Du es erlangt, daß du
(hier) in dem Lande angekommen bist.
An der gleichen Stelle, am Ende seiner Rede heißt es:
oticmihiouilti oticmociauilti, ma tlaltitech ximaxiti, ma ximocevitzino
ma xocommomachiti in motecpancaltzin ma xicmocevili in monacaiotzin
mit Mühsal, mit Ermüdung hast Du es erreicht, sei nun angelangt im
Lande, ruhe Dich aus, besuche Deinen Palast, ruhe Deinen Leib aus.
Ganz ähnliche Stellen finden sich bei Rückzug der Spanier, als sie in
Teocalueyacan ankommen (Seler, S. 518), oder schon vor der Eroberung sagen
die Tlaxcalteca: „oanquimihioviltique, Totecuioane“, d. h. „Ihr habt Mühsal
(auf der Reise) ausgestanden, o unsere Herren“ (Seler, S. 477). Die gleiche Wen-
dung gebraucht Ahuitzotl, als er die ankommenden Kaufleute begrüßt (Sch.-J.,
V, S. 170, 8); mit diesen Worten wird Motecuzoma empfangen, als er den ein-
geschlossenen Kaufleuten zur Hilfe eilen will, die ihm aber schon entgegen
kommen (Sch.-J., V, S. 172, 9), bei der Verabschiedung der abgehenden Kauf-
leute werden von ihrem Führer die Ältesten, die sich zu diesem Zwecke ver-
sammelt haben, mit den gleichen Worten begrüßt (ibid., 180, 18) und die
gleichen Worte begegnen, als die zurückkehrenden Kaufleute von den Ältesten
daheim begrüßt werden, hier allerdings sehr gemessen, ohne Reverential:
„otiquihiyo, oticciauh, xoletze ...“, d. h. „Du hast Not überstanden, Du hast
Dich abgemüht, mein Junge ...“ (ibid., 198, 22),
11 Baeßler III
162
Zimmermann, Wendungen im Redestil des Aztekischen
Die gleiche Formel begegnet in allen anderen Quellen sehr häufig und wird
wie an den angeführten Beispielen ganz entsprechend übersetzt.
Betrachtet man die Übersetzungen Sahaguns hierzu, so finden sich dafür
Wiedergaben, wie: Seáis muy bien venidos, Vengáis en hora buena, Sea mucha
en hora buena vuestra venida u. ä. In der Tat gibt Molina in seinem Wörter-
buch, im Teil II, s. v. oanquimihioyouilti die einzige Übersetzung: séais bien
venidos und setzt ausdrücklich dazu: Es salutación.
Überprüft man die Vorkommen an den verschiedensten Stellen, so zeigt sich,
daß diese Wendung stets dann angewendet wurde, wenn es sich um eine Rück-
kehr oder Trennung über längere Zeit oder natürlich erstmalige Ankunft han-
delt, also ein Willkommenheißen, wobei der Begrüßte gewissermaßen längere
Anstrengungen gemacht hat, „sich herbemüht“ hat. In den meisten Fällen wird
der Benutzer einer Übersetzung aus dem Zusammenhang das Empfinden haben,
daß es sich hier nicht um eine wörtlich zu nehmende Feststellung handelt, son-
dern um die kaum noch empfundene Begrüßungsformel unter den oben er-
wähnten Umständen. Daß im Aztekischen dieser eigentliche wörtliche Sinn
kaum noch eine Rolle spielte, zeigen Formen, wo diese Wendung im Futurum
gebraucht wird, das sehr oft die Bedeutung hat: Du sollst ...
So heißt es z. B. in der Crónica Mexicayotl an der Stelle, wo die Mexikaner
ihren neuen Herrscher Acamapichtli in ihrer Stadt begrüßen, den sie sich von
Acolmiztli erbeten haben:
(ed. Adrian León, S. 85, Abschnitt 117):
Noxhuiuhtzine tlatohuanie, oticmihiyohuilti, oticciyahuilti, otimaxitico
in mochantzinco . .. (und am Schluß:) ... auh ca ticiauhuiz, ca tiquihiyo-
huiz, ca titequitiz, ca titlacotiz ...“
„Mein Enkel, mein Herrscher, Du hast Not und Mühen überstanden,
Du bis in Deinem Hause angelangt, d. h, sei in Deinem Hause willkom-
men . .. (und am Schluß) . .. und Du wirst Not und Mühen über-
stehen, Du wirst arbeiten und Dich abmühen, d. h. Du sollst willkom-
men sein, Du sollst lange Dein Amt ausüben als Herrscher.“
Gerade in diesem Falle und in anderen knappen Formulierungen wird eine
wortgetreue Übersetzung ohne den Hinweis, daß es sich um einen einfachen
Gruß handelt, dem Benutzer es nicht immer leicht machen, zu erkennen, was
der Sinn der wörtlichen Übersetzung ist. (Zur Begründung der Übersetzung
des Schlusses s. u.)
Handelt es sich um eine Begrüßung, der keine längere Trennung vorher-
gegangen ist, so leitet die der vorhergehenden Form oft angehängte Wendung:
„Du bist in Deinem Hause, in Deinem Lande angelangt“, zu der hierbei üblichen
Formel über, die lediglich etwas abgestuft, die reine Anwesenheit hervorhebt
und dadurch eine Begrüßung erzielt.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
163
So heißt es in dem Kapitel über den Gruß (Sch.-J., V, S. 62, 11 und 17)
nach der Anrede:
ma vel xomeviltitie, d. h. (nach Schultze-Jena): daß Du Dich wohl vom
Lager erhebest.
Diese Form ist in den Texten nun nicht sehr häufig; wie wir sehen werden,
ist sie eine sehr gewählte Ausdrucksweise der Begrüßung, an ihre Stelle treten
meist — durch die soziale Stellung bedingt — gleichgerichtete, aber nicht so
reverentiale Ausdrücke.
Nun begegnen wir bei der Rede, mit welcher die zurückgekehrten Kaufleute
auf dieBegrüßung durch Ahuitzotl antworten (Sch.-J ,V.S.170,16),derWendung:
Totecue! ma ximeuiltihtie (nach Schultze-Jena: O Du unser Herr!
Mögest Du immer bei Kräften sein).
Die gleiche Formel findet sich bei der Rückkehr von der Reise, als sich der
Führer der Kaufleute bei den Ältesten zurückmeldet und hiermit sich an ihn
wendet; ebenfalls bei dem Opfer der abreisenden Kaufleute an den Feuergott,
vor Reiseantritt (Sch.-J., V, S. 178, 23; 198, 17), also im Umgang mit dem
Herrscher, dem Ältesten und sogar vor dem Abbild des Gottes. Schließlich
heißt es am Ende der Dankesworte, die der Sohn auf die Ermahnungen seines
Vaters spricht, gleichfalls: „Ma ximeuititie, notatzine“, also offensichtlich bei
einer feierlichen Gelegenheit, in kindlicher Ehrfurcht gesagt. Olmos (ed. Simeon,
S. 257, 264) übersetzt: „Yo os beso las manos, y esteys en buen hora.“
Die wörtliche Übersetzung aller genannter Formen führt auf das Verbum
„eua“, das „erheben“ heißt; die ganze Form ist zu zerlegen: xi-(on)-mo-euilti-
ti-ie, d. h, ein Kompositum von eua mit ca, durch die Ligatur -ti- verbunden
denn „ie“ ist der Imperativ von ca, sein; es dient bei der Komposition zur
Bezeichnung eines Zustandes, der durch das vorhergehende Verbum angegeben
ist. Das reflexive Pronomen mit der kompulsiven Form von eua — euiltia,
euitia, die beide in der Grammatik von Olmos (S. 113) als richtig angegeben
werden, zeigen, daß es sich um die reverentiale Form des Grundverbs „euatica“
handelt, in der Form des Imperativs, gemildert durch „ma“, was einen Sinn
„Mögest Du ...“ ergibt, „euatica“ heißt nun nach Molina „estar asentado“,
d. h. erhoben da sein, aufrecht sitzen. Das Aztekische hat eine Reihe von Aus-
drücken, die die Stellung sehr viel genauer kennzeichnen, als wir es tun, wenn
wir lediglich „da sein“ sagen. Ja, an einigen Stellen übersetzt Sahagun es sogar
mit „en cuclillas“.
So ist diese Wendung — die Partikel -on- kann unübersetzt bleiben — zu
übersetzen: „Mögest Du auf Deinem Platze sitzen“, Bei einer Ableitung nur
von „eua“ würde eine „Reduplikation am Schluß“, mit dem das ti-tie erklärt
wird, ohne Beispiel sein. Ursprünglich — darauf deutet die Anwendung gegen-
über höchsten Würdenträgern hin — wurde damit sicher zum Ausdruck ge-
il*
164
Zimmermann, Wendungen im Redestil des Aztekischen
bracht, daß der Betreffende auf seinem Herrschersitz seinen Platz einnahm.
Die Anwendung des Reverentials von „euatica“ mag noch an einigen anderen
aufschlußreichen Beispielen erläutert werden, die zu interessanten Folgerungen
im Zusammenhang führen.
So heißt es in einem Gebet des höchsten Priesters an Tezcatlipoca, der sich
vorher über Vernachlässigung der Pflichten durch den derzeitigen Herrscher
beklagt hat (Sahagun, 1. VI, cap. 6):
Auh in axcan, ca timeuiltitica, ca ie tle ticmatcatzintli, dein toconmone-
quiltiz, quenin connequiz in moiollo, ma xicmonequilti: auh ma iuh
muchiua ...
Und nun, Du bist fürwahr anwesend (d. h. Tezcatlipoca), erwäge gar
wohl, was Du beabsichtigst, was Dein Herz wollen mag, mögest Du es
wollen, und so geschehe es.. . (d. h., nachdem er seine Klagen vorgebracht
hat, überläßt er es dem anwesenden Gott, seine Konsequenzen daraus
zu ziehen, die der Priester allerdings im Gebet vorher angedeutet hat,
nämlich ihn zu beseitigen). Hinsichtlich „tle ticmatcatzintli“ s. Molina
s. v. „cenca tle ticmati =“ mira mucho y ten gran cuidado desto que
te encomiendo. Die vorliegende Form ist adjektivisch-reverential.
Eine ähnliche Stelle finden wir in Buch VI, cap. 7, wo der Pönitent vor dem
Priester erschienen war und zu Tezcatlipoca seine Sünden gebeichtet hat. Darauf
wendet sich der Priester an T.;
auh ca timeuiltitica, ca amo motlacaiocux, in ma^o oax, in ma90
oquichiuh: ca oitalviloc
Und Du bist fürwahr anwesend (Tezcatlipoca), fürwahr nicht (nach
Menschenart) aus freiem Willen ist es geschehen, was er auch immer ge-
macht, was er auch immer getan hat, fürwahr es ist bestimmt worden.
Sahagun übersetzt diese interessante Stelle recht ausführlich und erläutert
sie mehr: „en presencia de V. M. hablo, que sabe todas las cosas: y sabéis que
este pobre no pecó con libertad entera del libre albedrío, porque fue ayudado
e inclinado de la condición natural del signo en que nació“.
„oitalviloc“ ist das Passiv des Applikativs zu itoa, d. h. für jemanden etwas
sagen. In passivischer Form eine ganz aus dem Aztekischen gewachsene und sehr
anschauliche Form für „bestimmen“.
Die erste Form, „motlacaiocux“, leitet sich her von iocoia, nino = comedirse
a hacer algo de su motivo (Molina II), mit tlaca-tl Mensch, inkorporiert, nach
Menschenart. Diese Form gibt nun Aufschluß über eine etwas fragliche Stelle
in Sahagun, 1. V, cap. 1 (s. Sch.-J,, IV, S. 6, 1). Dort hatte jemand eine Be-
gegnung mit einem unheilvollen Vorzeichen, er begibt sich zum Wahrsager, der
ihm Rat erteilen soll und ihm nun die Rolle des Tiers, als Träger des Vor-
zeichens erläutert:
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
165
ca mopan oquinec in tlacatl, teteo! ca momotlacayocoya in tequani,
timotolinia, canel yuhcan (d. h. nach Sch.-J.): Sicherlich wollte der Herr,
wollten die Götter dich treffen! Dessen freiwilliger Mittler ist ohne
Zweifel das wilde Tier. Du bist ein armer Kerl, ja so ist’s.
Angesichts obiger Parallelstelle wird die gesperrte Stelle folgendermaßen
zu lesen sein: „ca amo motlacayocoya in tequani“, d. h. dann: denn nicht aus
freiem Willen (nach Menschenart) handelte das Tier . . (sondern im Auf-
träge des Gottes,) eine Übersetzung, die der Interpretation von Sahagun, die
er dieser Stelle gibt, durchaus entgegenkommt: „no hay que culpar al animal,
porqué el no sabe lo que hace, pues carece de entendimiento y de razón.“ Ein
anschaulicher Beweis, wie mehrfache Vorkommen gleicher Wendungen zur Er-
hellung einer vereinzelten Stelle beitragen können und andrerseits bei der oft
willkürlichen Silbentrennung der Texte zur Klärung der richtigen Abteilung
beitragen.
Noch eine weitere Stelle sei herangezogen, die den Zusammenhang in einem
neuen Licht erscheinen läßt.
In den „Anales históricos de la nación mexicana“ wird in den Abschnitten
217—225 in mehrfacher Wechselrede geschildert, wie sich die Mexikaner an den
Tepanekenherrscher Tezozomoc wandten, um von ihm seinen Sohn als Herr-
scher zu erhalten. Zweimal werden sie hingehalten, beim dritten Male treffen
sie T, und seine Mutter im königlichen Hof, sie tragen ihm (in formelhafter
Weise) ihr Anliegen nochmals vor. Dann heißt es (Abschnitt 223):
in oquicac te£09omoctzi ye conilhuia in inantzi: o nicauhtzine, ca
timeuiltitica, quen tocomitalhuia. Nima ye quiualilhuia: Motolinia y
mocolhua y machcaua, a uey y ye quihiouia ... poliuhque Chapoltepec
auh in Colhuaca, auh in hi ma xicmomacauilli, ma xiquimomaquili y
nocozqui, y noquetzal, y noxuiuhtzi.
d. h. (nach Mengin):
Nachdem sieT. angehört hatte, sagte seine Mutter zu ihm: „Mein jüngerer
Bruder! Es ist so, daß wir uns fortwährend bitten lassen. Was sagen wir
ihnen?“ Da erwiderte er: „Ew. Hoheit (wörtlich: deine Vorfahren und
Vornehmen) sind in Verlegenheit. Ist es nicht schwer genug, was sie ge-
litten haben ...? Sie, die vernichtet wurden in Ch. in C." „Ja!“, (ant-
wortet) diese: „gebt ihnen meine Perle, mein Kleinod, meinen Enkel!“
(Daraufhin sagte der König zu ihnen; Mexikaner!, geht (nur), ich gebe
Euch Epcouatl — seinen Sohn, usw.).
Auffällig erscheint, daß hier Tezozomocs Mutter den Vokativ gebraucht,
was in der korrekten Sprache eine Frau nicht darf. Nun wird die Anrede
„nicauhtzine“, d. h, „mein jüngerer Bruder“ tatsächlich vom Sohn für den
Vater und die Mutter gebraucht, wie Sahagun ausdrücklich angibt (Ms. Bibi.
166
Zimmermann, Wendungen im Redestil des Aztekischen
Real Palacio, ed. Del Paso y Troncoso, vol. VI, 2, p. 199/200; s. a. Schultze-
Jena, V, p. 3 und Wörterverzeichnis s. v.) und wie es in der Praxis vorkommt.
Der Wendung „timeuiltitica“ sind wir im Zusammenhang mit ihrer Grußform
im Imperativ bereits mehrfach begegnet, sowie auch zur Bezeichnung der An-
wesenheit einer hochgestellten Person schlechthin. Die Stelle läßt sich dann
folgendermaßen übersetzen:
Nachdem T. es angehört hatte, sagte er zu seiner Mutter: „Mein jüngerer
Bruder (d. h. meine verehrte Mutter). Du bist anwesend, was sagst Du
dazu?“ Darauf sagte sie (ihm): „Deine Großväter, Deine älteren Brüder
(d. h. die Bittsteller, die sich vorher selbst so bezeichnen, s. Absatz 218)
dauern mich, ach, schwer ist es, was sie erduldet haben ... sie sind in Ch,
in C. vernichtet worden (s. Text vorher), und weil dem so ist (= auh in
hi, s. Molina s. v. „auh ini“), gewähre ihnen, gib ihnen meine Perle, meine
Quetzalfeder, meinen Enkel. ..“ (Worauf T. dann seinen Sohn zur Ver-
fügung stellt.)
Neben der Beseitigung des unpassenden Vokativs im Munde einer Frau wird
durch diese Interpretation ein beachtlicher Einblick in die Bedeutung gewonnen,
die Tezozomoc seiner Mutter, die anwesend ist, bei der Entscheidung einräumt,
eine kulturgeschichtlich wertvolle Stelle.
Abschließend seien noch kurz Grußformen erwähnt, die gegenüber weniger
hochgestellten Personenkreisen angewendet wurden, die in der wörtlichen Über-
setzung gleichfalls nur eine Anwesenheit angegeben, im Gebrauch sich aber
durch die zugehörige reverentiale Form unterscheiden: So heißt es bei der Ant-
wort des Ältesten der Kaufleute an den Führer der abreisenden Kaufleute
(Sch.-J., V, S. 180, 36) einfach: „ca ye qualli, ca nican tica“, d. h. nach dortiger
Übersetzung: „Wahrlich es ist gut, daß Du hier bist.“ Diese gleiche formlose
Begrüßung begegnet stets dann, wenn der Höhergestellte an den Tiefergestellten
sich wendet, nachdem unlängst Begegnungen stattgefunden haben, also keine
Trennung vorlag, s. z. B. Sch.-J., IV, S. 160, 25; V, S. 184, 3; 216, 26; 228, 10.
Der auf diese Weise Angeredete gebraucht aber seinerseits die zugehörige
reverentiale Form von „ca“, „da sein“, d. h. „yetztica“, so sagt beim end-
gültigen Abschied der Führer der Abreisenden an die versammelten Ältesten
(Sch.-J, V, 184, 32):
ca nican ammoyetzticate, pillitzine ... (d. h. nach Sch.-J.) Ja, hier seid
Ihr Edlen ...
(s. a. ibid, 200, 20).
Im Umgang mit dem Herrscher begegnet noch eine Wendung, die hier auf-
geführt werden soll, weil sie einen nicht ohne weiteres ersichtlichen Sinn ange-
nommen zu haben scheint, wenn man die zugehörigen Sahagunschen Über-
setzungen vergleicht. Wörtlich übersetzt lautet diese Wendung „tlacoti, tequiti“
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
167
(eine Koppelform, die nie getrennt vorkommt!): „angestrengt arbeiten, wie ein
Sklave arbeiten“. Alle Formen erscheinen meist im Reverential.
Folgende Vorkommen sind interessant (alle Buch VI):
Kap. 10 (Ende einer Rede an den neugewählten Herrscher):
ma ximotlacotili, ma ximotequitili tlacatle, totecoe, tlatoanie, 1t. Über-
setzung von Sahagun: O señor nuestro y rey! Viváis muchos años traba-
jando en vuestro oficio real!
Kap. 11 (Ende einer weiteren Rede an den neuen Herrscher)
tle ticmatcatzintli, totecue, tlatoanie, tla90titlacatle, ma ximotlacotili,
ma ximotequitili, ma ic monanamiquili in tlacatl, in totecujo
Sahagun übersetzt: O bienaventurado señor! Vivid y reinad por muchos
años, ayudando a nuestro señor con esti oficio.
Kap. 35 (mehrfach): Ansprache des Gesandten eines fremden Herrschers an-
läßlich der Geburt des Sohnes eines anderen Herrschers:
Noxuiuhticatzine, tlacatle, totecoe, ca timotlacotilia, ca timotequitilia:
nimitznotlacaualtiliz, nimitznotlapololtiliz, in nican mixpantzinco naci,
ninoquetza.
Sahagun übersetzt: Teneis vida y Ser, y obráis; ah, no quería embara-
zaros en vuestras ocupaciones, he venido a vuestra presencia, delante de
quien estoy aqui en pie . . .
(Die Wendung: nimitztlacaualtiliz mit Koppelverb ist eine häufig vor-
kommende Formel der Entschuldigung. Sie ist reverentiale Form von
tlacaualtia bzw. pololtia, d. h. etwas „besänftigen (Zorn und dgl.)“.
Darauf, nach einigen Zwischenworten, schildert der Gesandte ausführlich,
sein Herr hätte von der Geburt erfahren und hätte ihn also geschickt:
ca conmitalhuia; Tla xoiatiuh: xiqualmottili in tlacatl, in miccauhtzin,
in tlacoti, in tequiti, xiqualmotlatlauhtili: in ipampa in otlaocux, in
otlacauhqui in iiollotzin totecuio: in oquimomacavili in iaxcatzin, in
itlachioaltzin, in piltzintli.
d. h. wörtlich: fürwahr, er (der Herrscher, der ihn absendet) sagt: Mache
Dich auf und gehe, besuche den Herrn, Deinen jüngeren Bruder, der
angestrengt arbeitet (= der seine Regierungsgeschäfte ausübt), sprich zu
ihm in feierlicher Rede, weil es Gott unserem Herrn gefallen hat, daß
er ihm als sein Eigentum, als sein Erzeugnis, ein Söhnchen gewährt hat.
(otlacauhqui-otlaocux ist mit macaua Koppelverb, beides bedeutet ge-
währen, besonders die erste Form ist eine sehr häufig vorkommende
Formel, die wörtlich: „Sein Herz hat es gewährt“, heißt, etwa den Sinn
„belieben, etwas zu tun“ haben muß).
Und endlich heißt es in dieser Ansprache des Gesandten am Ende: Ca
ixquichtzin in anquimocaquititzinoa, in ic anmotlatlatlauhtitzinoa, in
168
Zimmermann, Wendungen im Redcstil des Aztekischen
antotecujiooammaximotlacotili, maximotequitili,tlacatle, t!atoanie,totecuioe
d. h., unter Berücksichtigung der reverentialen Form, die der Gesandte
hier wählt:
Das ist wohl alles, was er Euch mitzuteilen sich erlaubt, womit er sich
an Euch in feierlicher Rede wendet, an Euch, unsere sehr verehrten Her-
ren: Möge der Herr, der Herrscher, unser Herr (man könnte übersetzen:
Seine Majestät) lange seine Regierungstätigkeit ausüben. (Sahagun über-
setzt diese letzte Stelle: Deseo que viváis mucho tiempo y ejercitéis
vuestro oficio.)
Aus den angeführten Beispielen scheint durch ihre Häufung hervorzugehen,
daß die von Sahagun gegebene Interpretation der Wendung tlacoti-tequiti bzw.
reverential: tlacotilia, tequitilia jedenfalls in dem Anwendungsbereich gegen-
über dem Herrscher in der Tat eine Formel ist, die „langes Leben“ wünscht.
Das schließt nicht aus, daß sie mitunter aber auch rein wörtlich aufzufassen ist.
Es ist eine in den Quellen sehr häufig vorkommende Formel, besonders in der
„Historia Tolteca-Chichimeca“, wo sie an manchen Stellen wenigstens sehr
wohl diesen Sinn haben kann, cf. etwa Absatz 207, 273.
Immerhin übersetzt Sahagun auch eine andere Stelle entsprechend, nämlich,
als sich eine Verwandte der schwangeren Frau an die Hebamme um ihre Hilfe
bei der bevorstehenden Geburt wendet. Es heißt hier (1. VI, cap. 27):
Ca ixquich in ticmocuilia, ticmocaquitia, ma ximotlacotili, ma ximote-
quitili, ma xicmonanamiquili in totecuio, ma xicmopalevili;
d. h. nach Sahagun: Señora, no tengo mas que decir de lo que habéis
oido: déos Dios muchos dias de vida, para que le sirviais y ayudéis en
este oficio que os ha dado.
Nun hat man in der Tat das Gefühl, daß eine wörtliche Übersetzung, wie:
„das fürwahr ist alles, was Du annehmen sollst, was Du hören sollst (eine sehr
häufige Wendung am Schluß einer Rede, die sich auf das bereits vorher Ge-
sagte zurückbezieht), arbeite angestrengt, arbeite wie ein Sklave, helfe unserem
Herrn“ (nanamiqui, paleuia sind Koppelverben gleicher Bedeutung, s. a. Mo-
lina I, Prolog aviso 5), in nicht recht befriedigender Weise den Gehalt wieder-
gibt, der sich über eine wörtliche Übersetzung hinaus hinter diesen immer und
immer wieder wiederkehrenden Wendungen verbirgt, der Sahagun und seinen
Kollegen bei ihrem Umgang mit der Sprache sicher völlig vertraut war, und
daher sehr wohl unsere Beachtung verdient.
Die angeführten Beispiele mögen zur Illustration dafür dienen, daß der
Redestil eine ganze Anzahl stereotyper Wendungen gebrauchte, die durch die
Konvention zusätzlichen Gehalt angenommen hatten, darüber hinaus sollte
erläutert werden, daß die Erkenntnis dieser Formeln mitunter geeignet Ist, auf
Stellen Licht zu werfen, die erst im Vergleich näher zu präzisieren sind.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
169
ZWEI UNVERÖFFENTLICHTE BRUCHSTÜCKE
AUS TURFAN-FRESKEN
HERBERT HÄRTEL, Berlin
Unter den Turfan-Fresken, die dem Museum für Völkerkunde in Berlin
erhalten blieben — sie machen heute etwa die Hälfte des ehemaligen Bestandes
aus — befindet sich eine beträchtliche Anzahl kleinerer Bruchstücke aus Male-
reien, die über diesen Rest hinaus am Fundort zerfallen waren. Es handelt sich
im allgemeinen um Fragmente einzelner Gestalten: Darstellungen des Buddha,
von Mönchen oder Devatäs, von denen meist nur Kopf oder Oberkörper er-
halten ist. Die Publikationen von A. Grünwedel, A. v. Le Coq und E. Wald-
schmidt haben die bedeutendsten Stücke des gesamten Materials der Turfan-
sammlungen erfaßt; viele der kleinen Freskostücke enthalten nur Repliken auf
Darstellungsweisen größerer oder besserer Malereien. Kleine und kleinste Stücke
wurden publiziert, wenn sie entweder ausgesucht schön, von eigenartiger Sti-
listik oder besonders interessanten Inhalts waren. Man wird nach diesem Vor-
gang von den unveröffentlicht gebliebenen Fragmenten kaum noch Besonderes
erwarten dürfen. Dennoch sollen hier zwei kleine, inhaltlich völlig verschiedene
Malereistücke dargeboten und besprochen werden, die einige Beachtung ver-
dienen.
1. Legendenszene
Kat.-Nr.: IB 9164a, Größe: 27X43 cm, Fundort: Kyzil, Alter: 600-650 n. Chr.
Das teilweise beschädigte Bruchstück (Taf. I) stammt aus dem Gewölbe der
Gebetmühlenhöhle zu Kyzil. Dieses Gewölbe war mit einer Vielzahl von Dar-
stellungen einzelner Legendenszenen ausgeschmückt, deren eine unser Stück ent-
hält. Im Flintergrunde der Malerei erhebt sich eine stilisierte Berglandschaft, die
sich in leuchtendem Grün gegen einen schwarzbraunen Untergrund abhebt. Vor
dieser Kulisse spielt sich ein bewegtes Geschehen ab. An den Bergesgipfeln (in
der Abbildung als helle Rundungen erkennbar) gleitet ein Adler mit hoch-
gespreizten Schwingen einher. In seinen Fängen hält er ein Affenjunges, das
erschöpft und reglos die Arme nach unten streckt. Über der Randborte mit einem
für den Betrachter im linken Rautenfeld sichtbaren Kreuzblattornament füllt
ein raubtierhaft erregter Löwe die Szene. Um den fest aufgestellten Hinter-
körper dreht sich behende der langbemähnte Vorderleib, das rechte Vorderbein
ist angewinkelt, der Rachen schmerzverzerrt aufgerissen. In das Fell des Löwen
greift die weit ausgestreckte Hand eines Affen, dessen rechter Arm in die Flug-
bahn des Adlers hinaufdeutet.
Dieser Darstellung liegt eine Erzählung zugrunde, die sich auf eine frühere
Geburt des Buddha bezieht, also eine Vorgeburtsgeschichte (jätaka). In den
170
Härtel, Zwei unveröffentlichte Bruchstücke aus Turfan-Fresken
früheren Existenzen war der spätere Buddha noch Bodhisattva, noch unterwegs
auf dem Wege zur Erleuchtung, seine Vollkommenheiten beweisend. Zahlreich
sind die Erzählungen, in denen der Bodhisattva unter Tieren seine Geburt
genommen hat. Eine solche Legende wird auch auf unserem Bilde dargestellt.
Hier ist der Bodhisattva ein Löwe, der ein seiner Obhut anvertrautes Affen-
junges nicht sorgsam genug bewachte, so daß ein Adler es rauben konnte. Der
Löwe zerreißt sich die Schulter und opfert sein Blut, um das Affenjunge los-
zukaufen1.
Die Darstellung aus der Gebetsmühlenhöhle ist nicht die einzige bildliche
Wiedergabe dieser Legende auf den Turfanmalereien1 2. Figur 1 zeigt den Affen-
vater vor dem Löwen kniend, die Hände flehend erhoben. Über ihnen schwebt,
wie in allen Darstellungen, der Adler mit dem Affenjungen dahin. Betrachtet
man allein die Begegnung zwischen dem Affen und dem Löwen, dann läßt
Fig. 2 im Vergleich zu der eben besprochenen eine Auflockerung der Szene er-
kennen. Der (jetzt links vom Betrachter) dem unter einem Baum in gleicher
Weise flehenden Affenvater gegenüberstehende Löwe verrät in seinen Bewegun-
gen, daß die Bitten des Affen Erfolg haben: gleich, so meint man, müsse der
Löwe mit seiner Pranke die eigene Flanke aufreißen, um das Blutopfer dar-
1 Die Legende ist bekannt aus St. Julien; Les Avadanas. II, p. 21 ff., Nr. LXXV1II:
Le lion et le vautour. Eine Sanskritversion der vorliegenden Legende ist bislang nicht
gefunden. In seiner Abhandlung „Über die Darstellungen und den Stil der Wand-
gemälde aus Qyzil bei Kutscha“ in Bd. VII der „Buddhistischen Spätantike in
Mittelasien“, S. 51, bezeichnet E. Waldschmidt die Legende als Simh.xkapi-Avadäna.
2 Darstellungen fanden sich auch in der Fußwaschungshöhle, der Höhle mit dem
Musikerchor, der Höhle mit dem Bodhisattvagewölbe, Schluchthöhle, drittletzten
Höhle in der kleinen Bachschlucht und in der Hauptgruppe in Kumtura.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
171
zubringen. Die Ausführung dieses Blutopfers zeigt nun Fig. 3: Der Löwe hat
bereits die linke Pranke in die rechte Schulter geschlagen, der Affenvater schaut,
noch immer flehend, der Ausführung des gewünschten Opfers zu.
Fig. 3: Aus der Höhle mit dem Bodhisattvagewölbe
(nach Waldschmidt)
Diesen und den weiteren Darstellungen in anderen Höhlen gegenüber erscheint
die Malerei der Gebetsmühlenhöhle ungemein bewegter und realistischer. Ähn-
lich Fig. 3 schlägt sich auch hier der Löwe die Pranke in die Seite3. Aber um
Das Bild läßt die Einwinkelung des rechten Vorderbeines erkennen, die Pranke ist
unter dem Hals dem Blick entzogen.
172
Härte], Zwei unveröffentlichte Bruchstücke aus Turfan-Fresken
wieviel klarer kommt der Vorgang zum Ausdruck: der vor Schmerz aufgerissene
Rachen läßt die physische Wirkung des Prankenschlages erkennen, das der
inneren Überwindung nachfolgende Opfer wird um vieles wirklicher und glaub-
würdiger dargestellt. Auch der Affenvater verharrt nicht mehr in flehender
Haltung, sondern greift handelnd in den Ablauf des Geschehens ein. Mit einem
Griff in das Fell des Löwen einerseits, der herbeirufenden Bewegung des rechten
Armes andererseits führt er im Bilde einen Zusammenhang zwischen den Ak-
teuren herbei, die Gesamtszene gleichsam verdichtend. Die künstlerische Idee
des Malers ist in dieser Darstellung dem inneren Gehalt der Legende besonders
nahe gekommen.
2. Ein altbuddhistisches Räuchergefäß
Kat.-Nr.: 9074, Größe; 32X14 cm, Fundort: Kumtura, Alter: 8. Jahrhundert.
Tafel Ila gibt ein Malereifragment aus der Apsaras-Höhle in Kumtura
wieder. Es zeigt ein Räuchergefäß in wohlerhaltener Darstellung. Das Gerät
setzt sich zusammen aus dem eigentlichen Räuchergefäß und dem Griff. Der
Gefäßkörper erhebt sich in Kelchform über einem in wenigen Strichen skizzier-
ten Fuß; der Behälter läuft nach oben in einen breiten Rand aus, auf dessen
Innenwulst bei Nichtbenutzung des Gefäßes der Deckel ruht. Der lange, flach-
geformte und zur Unterseite abgerundete Grift ist scheinbar nahtlos dem Ge-
fäßkörper angefügt. Auf dem Grift befindet sich eine fest eingefügte Kapsel.
Der Deckel fehlt; er mag sich in der Hand des Mönches befinden, dessen erhobe-
ner Unterarm hinter dem Gefäßkörper sichtbar ist. Der abwärts gebogene Aus-
lauf des Griftes wird von der linken Hand des Trägers dieses Räuchergefäßes
umfaßt. Die eine leichte Künstlerhand verratende, fast skizzenhafte Darstel-
lungsweise des Gerätes liegt ganz auf der stilistischen Ebene der übrigen Male-
reien dieser Höhle. In ihr fanden sich in buddhistisch-chinesischem Stil ausge-
führte Fresken, die zeitlich und formal der T‘ang-Epoche zugehören4.
A. v. Le Coq hat schon vor geraumer Zeit ein originales Räuchergefäß aus
Bronze publiziert, das sich unter den Kleinfunden der Berliner Turfansamm-
lungen befindet (Taf. II b)5. Dieses Gefäß stammt aus einem Tempel der Tum-
suq-Gruppe. Es ist im Gandhära-Stil ausgeführt und mit großer Wahrscheinlich-
keit älter als die Ausmalung der Apsaras-Höhle in Kumtura. Das Gefäß auf dem
hier publizierten Malereifragment entbehrt völlig der Gandhära-Stilistik des
Tumsuq-Gefäßes (dessen Urform v. Le Coq im alten Ägypten sucht), ist aber
in der Form eindeutig mit jenem verwandt. Diese Art Räuchergefäße sind auf
den Turfanfresken gegenüber solchen iranischer Herkunft, die vornehmlich in
4 Man vergleiche die Malereien der Nirväna- und Apsaras-Höhle in Bd. V bis VII
der „Buddhistischen Spätantike“.
5 Altbuddhistische Räuchergefäße aus Ostturkistan. Berliner Museen, Jahrg. XLII,
S. 87 ff.
Tafel II
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
173
den Tempeln der Turfan-Oase gemalt wurden und stiellos gleich einem be-
fußten Kelch in der Hand zu tragen sind, in der Minderzahl. Eine Spielart
des Räuchergefäßes mit Griff zeigt die von einem Mönch getragene Lampe in
Fig. 4 (nach einer von Grünwedel in Kumtura Vorgefundenen Malerei). Eine
ebenfalls in Kumtura vorkommende Darstellung eines dem unseren fast gleichen-
den Räuchergefäßes (Fig. 5) weist in einem Punkte einen Unterschied auf: es
fehlt die dem Griff aufgesetzte Kapsel6. Aus diesem Umstand darf man viel-
leicht — mit gewisser Vorsicht — den Schluß ziehen, daß die Kapsel nicht eine
technische Funktion beim Räuchervorgang, etwa die der Luftzuführung, zu
erfüllen hatte, sondern dem Zwecke der Aufbewahrung des Weihrauches diente.
Die Darstellung auf dem Fragment aus der Apsaras-Höhle in Kumtura ist
die einzige unter den Turfandarstellungen, die ein vollständiges Räuchergefäß
dieser Art wiedergibt7. Da man voraussetzen darf, daß die Vorlage des ge-
malten Gefäßes ein im praktischen Gebrauch befindliches Räuchergefäß bildete,
ergibt sich, setzt man das Bronzegerät gleich den Tumsuq-Malereien in das
6. Jhdt., eine Zeit von mindestens zwei Jahrhunderten, während welcher
Räuchergefäße dieser Art bei den Buddhisten im Gebiet zwischen Kaschgar und
Kutscha in Gebrauch waren.
6 Der Griff ist an seinem Auslauf nicht handlich gebogen, sondern ganz geradlinig
ausgeführt. Daher die etwas unglückliche Handhaltung.
7 Ein auf Tafel 24 in Bd. VI der „Buddhistischen Spätantike“ publiziertes Fresko aus
der Nirväna-Höhle zeigt einen Bodhisattva, der gerade noch den Griff eines offenbar
gleichen Gefäßes in der Hand hält.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
175
DER AHNENKULT DER MANDSCHU IN PEKING
BRUNHILD KÖRNER, Berlin / Zeichnungen von MARIA SEIDEL
Einleitung
Nach der Revolution in China im Jahre 1911 wurde der Kult der Ahnen
und vor allem die damit verbundenen regelmäßigen Opfer verboten. Die
Regierung verurteilte diese uralte Weltanschauung als unzeitgemäßen Aber-
glauben. Seitdem verfielen die Ahnentempel. Die Hausaltäre mit den Seelen-
tafeln führten in Truhen ein verborgenes Dasein oder sind überhaupt ver-
lorengegangen.
In den Jahren 1930—1934 arbeitete Ich als Ethnologin bei der Sino-Swedish-
Expedition von Dr. Sven Hedin über chinesische Volkskunde. Im Stabe der
Expedition befand sich unter den chinesischen Mitarbeitern ein Volkskundler
namens Ho Feng-ju [ 1 ]1, welcher als Abkömmling der Mandschu, des letzten
Herrschervolkes über China, hin und wieder interessante Einblicke in spezielle
Sitten und Bräuche seines Volkes gab.
Dadurch kam uns im Sommer 1932 die Idee, bei unseren mandschurischen
Freunden einmal ein mandschurisches Ahnenopfer zu zelebrieren, um die
Zeremonienfolge genau zu photographieren und zu filmen. Dieser Gedanke
erweckte in der Familie Ho nach Überwindung einer anfänglichen Behörden-
scheu einen Eifer und eine Begeisterung, die uns zunächst frappierte.
Die Opfer fanden im allgemeinen in einem besonderen Ahnentempel statt;
da ein solcher nicht mehr vorhanden war, wurde ein vorn offenes Häuschen
aus Papier und Bambusstangen im Hofe von Hos Gehöft errichtet. Es bot
durch seine Helligkeit günstige Verhältnisse zum Filmen und Photographieren.
Die Familie Ho gehörte zum Stamm der Aisin (sinisiert in Djin [2]),
welcher aus der Gegend von Tsitsihar in der Mandschurei nach Peking ein-
wanderte. Die Clan-Älteste war die vierundsiebzigjährige Frau Djin.
Nach den Erläuterungen von Herrn Ho Feng-ju bildet Dankbarkeit gegen
die Schöpfer der Familie den Grundgedanken des Ahnenkultes, ausgedrückt
durch besondere Opfergaben und die ehrerbietigen Berichte über alle wichtigen
Familienereignisse. Dabei geht man von folgenden Vorstellungen aus:
Der Mensch hat mehrere Seelen, deren eine, die Gue-Seele [3], die schatten-
haften Umrisse des von ihr bewohnten Körpers annimmt und nach dem Tode
in der Nähe der Grabstelle und der Umgebung ihres irdischen Daseins ver-
weilt. Sie ist nach dem Tode nicht frei von menschlichen Bedürfnissen und
1 Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf die Schriftzeichentabelle am Schluß
der Arbeit.
176
Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
Gefühlen, daher ist es die Pflicht der Nachfahren, ihrem Verlangen durch
Opfergaben und liebevolles Gedenken Rechnung zu tragen. Die Totenseele
stellt keine großen Ansprüche, von den Opfergaben an Speisen und anderen
Lebensgütern genügt der „Duft“, die geistige Substanz. Dafür dankt sie ihren
Nachfahren durch Segnung und 'Wohlergehen.
Gefährlich ist es, die Toten zu vernachlässigen, denn dann hören sie auf,
über die Wohlfahrt des Hauses zu wachen und werden „wilde oder hungrige
Geister“ (yä-gue oder ngo-gue [4]), welche überall verderbenbringend umher-
irren.
Die Wechselwirkung von Opfer und Segen, die als geheimnisvolles Fluidum
zwischen Lebenden und Toten schwebt, wird von den Chinesen als durchaus
real gewertet. Zu ihrer Erhaltung ist der genaue Ablauf der Zeremonien und
die fehlerfreie Anrufung der Totenseelen ausschlaggebend, denn nur dann
wird die magische Wirkung möglich.
Wir machten daher bei dem von uns inszenierten Ahnenopfer die über-
raschende Erfahrung, daß die Beteiligten alle Zeremonien mit Sammlung und
großer Ehrerbietung ausführten. Ganz augenscheinlich fühlten sie sich im
Dienste einer heiligen Handlung, Unsere Anwesenheit störte sie dabei nicht.
Allerdings wurde der Ablauf des Geschehens, der gewöhnlich 24 Stunden in
Anspruch nimmt, etwas zusammengedrängt, damit uns das Tageslicht für
unsere Aufnahmen zur Verfügung stand.
Die beteiligten Familien Djin, Ho und Yüä [5] waren sich darüber klar,
daß dies endgültig das letzte Opfer war, welches sie ihrem Ahnherrn dar-
bringen konnten und kamen daher überein, uns ihre Kultgeräte zu überlassen.
Auf diese Welse erwarb das Museum für Völkerkunde Berlin einen kom-
pletten Satz der beim Kult verwandten Geräte, eine große Seltenheit. Meiner
Kenntnis nach besitzt nur das Etnografiska Museum in Stockholm eine gleiche
Sammlung. Einzigartig in unserer Sammlung ist das Geisterschwert eines
Mandschuschamanen, von dem nach der Überlieferung nur vier Exemplare
existieren: zwei befinden sich im kaiserlichen Ahnentempel (tai-miau [6])
in Peking, eines in Tokyo und das letzte befand sich im Besitz der Familie
Yüä, die es mir schenkte.
Nach meiner Rückkehr nach Berlin mußte ich das gesamte ln China auf-
genommene Filmmaterial an die Staatliche Filmstelle abliefern. Während des
Krieges wurde mir mitgeteilt, daß der Film über den Ahnenkult auf unerklär-
liche Weise verschwunden sei. Glücklicherweise wurde dieses Ahnenopfer da-
mals von Dr. Gösta Monteil, Stockholm, ebenfalls gefilmt, so daß dieses so
einmalige Dokument nicht gänzlich verloren ist.
Ahnenkult der Mandschu
Zum Verständnis des Ahnenopfers der Mandschu, welches sich von dem
Beitrag Körner
Tafel I
Ahnenkult der Mandschu
Tafel II
a
b
«S--
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
177
der Chinesen in vielen Punkten unterscheidet, ist die Kenntnis der ihm zu-
grunde liegenden Ahnensage notwendig. Die alte Frau Djin, welche sich an
eine Fülle von Einzelheiten in der Ausführung der Riten aus ihrer Jugend
erinnerte, erzählte uns die Sage ihres Stammes.
Ahnensage
Der Stammvater der Aisin verlebte seine früheste Jugend bei seinem Onkel
(Mutterbruder. Näheres über seine Abstammung war ihr nicht bekannt.). Der
Sohn dieses Onkels verfolgte ihn ständig mit seinem Haß.
Als beide eines Tages wieder in Streit gerieten, flüchtete der jüngere (Ahn-
herr) vor der Mordwut des Vetters in das freie Feld hinaus. Er lief, verfolgt
von seinem erbitterten Gegner, so schnell er konnte, doch bald verließen ihn
die Kräfte und er sah sich verzweifelt nach einem Versteck um. Auf dem Feld
war kein Baum und kein Strauch zu entdecken.
Da kam ein Elsternpaar angeflogen, das rief ihm zu, einfach stehenzubleiben,
als wäre er ein Pfahl. Die Vögel riefen dann ihre Genossen herbei und sie alle
ließen sich auf dem Kinde nieder, so daß es völlig von ihnen bedeckt war.
Sein Feind konnte ihn nicht mehr sehen und suchte bis zur Dunkelheit nach
ihm. Aber das Kind wagte sich auch dann nicht wieder nach Hause zurück. Die
Vögel (Frau Djin war nicht ganz sicher, ob es Krähen oder Elstern waren)
wärmten ihn die Nacht hindurch mit ihren Leibern. Am nächsten Morgen wan-
derte er weiter, folgte den Vögeln, die ihm voranflogen und ihn mit Fischen und
Beeren ernährten, mitten in einen großen Wald hinein.
Am Abend erreichten sie einen großen Weidenbaum; dort sank er nieder
und weinte laut und verzweifelt.
Der Baum wurde von einem alten Ehepaar bewohnt, das in den Zweigen
sein Haus gebaut hatte. Die alte Frau stieg herab und holte den Knaben in ihr
Heim. Sie behielten ihn bei sich und ernährten ihn mit Fischen und Bohnenkäse
(don-fu [7]). Er vergalt ihnen ihre Güte, indem er Netze zum Fangen der
Fische aus Ranken flocht und Geräte aus Holz bastelte, um ihnen ihr Leben zu
erleichtern.
Nie vergaß er die Vögel, die ihn gerettet hatten. Auf der Spitze seines
Wohnbaumes legte er Fischschwänze und -därme für sie aus.
So wuchs er heran; der alte Pflegevater starb und er schloß sich noch inniger
an seine Pflegemutter (gan-ma [8]) an. Beide hingen mit großer Hingebung
aneinander.
Eines Tages gelang es ihm* das Schmieden von Eisen zu erfinden. Kurz da-
nach starb die alte Frau. Er band ihren Körper auf ein Brett und verbrannte sie.
Ihre Asche schüttete er in einen Lederbeutel.
Dann schnitt er sich eine junge Rotfichte als Wanderstab und Waffe, nahm
12 Baeßler III
178
Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
das verkohlte Brett, auf dem er seine Mutter verbrannt hatte, auf den Rücken
und wanderte unaufhaltsam Tage und Wochen nach Süden.
Schließlich kam er an den Hof des Landesfürsten. Dort wurde er bald durch
seine Schmiedekunst ein berühmter und geachteter Mann, der es zu hohen Ehren
brachte.
Nachdem er zu Jahren gekommen war und Söhne und Enkel sich um ihn
scharten, machte er sich wieder auf, um die Stätten seiner Jugend aufzusuchen.
Am Grabe seines Pflegevaters opferte er einen wilden Eber und brach dann
einen Zweig von der alten Weide, die seine Jugend beschirmt hatte.
Wieder in sein Heim zurückgekehrt, pflanzte er den Weidenzweig neben sein
Haus. Seinen alten Wanderstab aus der Rotfichte stellte er in einen Steinsockel
daneben, als Wahrzeichen seiner Herkunft. An der Spitze des Stabes befestigte
er eine Schale, aus der Elstern und Krähen sich täglich ihr Futter holen konnten.
(Dieser Brauch hat sich in der Familie bis auf den heutigen Tag erhalten.)
Das schwarz angekohlte Brett hüllte er in ein gelbes Tuch und hing es an
der Westwand auf. Darauf legte er den Lederbeutel mit der Asche seiner Pflege-
mutter und tat eine Schnur mit den Namen seiner Nachkommen dazu.
Seine Kinder und Kindeskinder handelten nach seinem Vorbild.
Vorbereitungen für das Opfer
Das Opfer darf nur vom Sippenältesten dargebracht werden, in unserm
Falle dem Vater Ho-Feng-jus. Er war der „Opferherr“, dsu-dschang [9], welcher
die Einladungen an die Sippenmitglieder zu übermitteln hatte. Von diesen sind
die unverheirateten Töchter ausgeschlossen, da sie bei ihrer Verheiratung in den
Clan ihrer Gatten aufgenommen werden.
Die Zeremonie soll eigentlich um Mitternacht beginnen, aber mit Rücksicht
auf die Lichtverhältnisse für unsere Aufnahmen verlegte man sie in die frühen
Morgenstunden.
Das Opfertier, ein jähriges männliches Schwein, war tags zuvor gekauft
worden.
Der Opferherr trug ein Festgewand aus hellblauer Seidengaze, das seitlich
bis zum Knie geschlitzt war und auch seitlich geknöpft wurde. Ein dunkelblauer
gewebter Gürtel mit Messingschließe und messingnen Haken und Ösen für
Fächer- und Brillenfutteral und den Behälter für den Bogenspannring faßte das
Gewand zusammen. Schwarze hohe Stoffstiefel bekleideten die Füße. Für die
Opferhandlung warf er später über diese Tracht noch einen violetten Mantel
aus Seidengaze, der auf Brust und Rücken mit den Rangquadraten der kaiser-
lichen Beamten (pu-dsi [10]) benäht war, und bedeckte sich mit dem Beamten-
hut, einem kegelförmigen Gazegeflecht mit einem Rangknopf auf der Spitze,
von dem rote Seidenfransen und ein Pfauenfederstutz herabhingen. (Fig. 1.)
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III 179
Das Opferhaus trug an der Westwand das „Ahnenbrett“ (dsu-dsung han-
dsi [11], vgl. Ahnensage. Im Gegensatz zu den Chinesen hatten die Mandschu
ursprünglich keine Ahnentafeln), von dessen Mitte eine weiße Papierfahne mit
einem eingeschnittenen mandschurischen Segensspruch herabhing. (Nach Mei-
nung der Familie war es der Name des Ahnherrn.) Von der rechten Ahnenbrett-
kante hing ein gelber Seidenbeutel mit Schamanenschellen und Klapphölzern,
von der linken der „Mutterbeutel“ (ma-ma kou-dai [12], d. i. der Lederbeutel
mit der Asche der Pflegemutter, vgl. Ahnensage), ebenfalls aus gelber Seide.
An diesem war eine gelbe Kordel befestigt, die quer durch den Opferraum bis
zu einem Weidenzweig am äußeren Türpfosten lief. Sie heißt „Mutterschnur“
{ma-ma, so-dsi [13]) und ist ein Symbol für die Nabelschnur, die das Kind mit
der Mutter verbindet. An ihr hingen die mit Namen versehenen Halsschnüre2
derjenigen Kinder, die noch nicht verheiratet waren.
2 Für ein neugeborenes Kind erbittet man von 100 verschiedenen Familien je einen
Seidenfaden. Diese Fäden dreht man zu einer Schnur zusammen und hängt sie
dem Kinde mit einem Silberschloß um den Hals, um es „an das Leben anzu-
schließen“, {so-dsi [17]). Bei Eintritt der Pubertät wird dieses Amulett dem Kinde
abgenommen und an der „Mutterschnur“ befestigt. (Fig. 2).
In der Provinz Shansi, in der sich besonders altertümliche Sitten erhalten haben,
näht man die Nabelschnur des Kindes in eine rote Stoffhülle und befestigt die Enden
an einem mit den Beinen zusammengebundenen silbernen Esel. Dies Amulett,
welches „Eselszügel“ {lü-djiau-djiau [18]) heißt, tragen die Kinder dort statt des
12*
180
Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
Von der Vorderkante des Ahnenbretts hing ein gelber Damastvorhang bis
zum Boden herab. Davor stand der Opferaltar, ein quadratischer Tisch, der sog.
„Achtgeistertisch“, an dem gewöhnlich gegessen wird. Als Opfergaben hatte
man 9 Messingteller mit je 9 runden Kuchen (niän-ho-ho [14]), 3 Schälchen
mit Hirsebrei (huang-mi-la-la [15]), ein Gefäß mit Sandelholz (dessen Duft
die Geisterwesen anlockt) und 3 Weinschalen aufgebaut. Zwei Kerzenhalter mit
roten Kerzen und ein sanduhrähnliches Holzgefäß mit gepulvertem Barbaren-
weihrauch (da-dsi-hsiang [16]) standen vor dem Speisenaufbau,
von Gold- und Silberbarren sowie Papierfahnen mit eingestanzten Reihen von
Münzen und anderem Papiergeld) und eine „Himmelsleiter“ (vgl. Fig. 4).
Dies alles wurde später verbrannt, um den Ahnengeistern auf ihrer Rückreise
zu dienen.
so-dsi. Während seines zwölften Lebensjahres geht man mit dem Kinde in den
nächsten Guanyin-Tempel, wo es dem Schutze der Göttin empfohlen und ihm die
Nabelschnur abgenommen wird. Sie wird von den Stoffhüllen befreit und auf einen
Baum geworfen, bei dem man wartet, bis eine Elster sie davonträgt. Damit hat
dann die Göttin den Schutz übernommen. (Fig. 3).
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
181
Unter dem Tisch stand außerdem auf einer roten Decke ein Teller mit
9 Kuchen als Gabe der Haustiere.
Der gesamte Opferraum war mit einem roten Filzteppich ausgelegt. Außer-
halb des Opferraumes hatte man am Türpfosten einen Weidenzweig ange-
bracht. — Die Weide gilt seit alters her in China als das Symbol des zum Lichte
strebenden Lebens und der Lebenskraft. Hier stand sie zugleich als Vertreter
der alten Weide, welche die Jugend des Ahnherrn beschirmt hatte. — Die An-
zahl seiner Zweige entsprach der Verästelung der Sippe. Auch von diesem
Zweige hingen aufgereihte Bündel von „Geistergeld" herab. Ein niedriger Tisch
mit Opfergaben, zwei Kerzen, einem Räuchergefäß mit Barbarenweihrauch,
einem Schälchen mit Hirsebrei und einem Teller mit 9 Kuchen, diente hier als
Opferaltar.
Der Weide wurde ebenfalls von den Tieren ein Kuchenopfer hingestellt.
Ganz besondere Aufmerksamkeit schien man der Opferstange, dem Wander-
stab des Ahnen, zu widmen. Sie besteht immer aus einer jungen Rotfichte
{hung-sung [19]). Die Spitze ist durch eine Zinnschale mit zwei Ohren gesteckt,
die mit dem Schriftzeichen für Sonne und Mond
verziert sind. Oberhalb des Steinfußes, der die
Stange senkrecht festhält, befindet sich in ihr
ein durchgehender Schlitz, in welchen eine weiße
Papierserviette geklemmt wurde. Da der Ahn-
herr auf seiner Wanderung öfter Zusammenstöße
mit feindlichen Wesen hatte, diente ihm ein Stück
Papier zum Abwischen des Blutes.
Für die Stange hatte man einen kleinen Opfer-
tisch errichtet, mit zwei Kerzen und einem
Räuchergefäß, dazu einem Teller mit Kuchen
und einer Schale Hirsebrei. An den Kerzen
hingen das übliche Opfergeld und eine Himmels-
leiter. Die Stange selbst hatte man wie auch den
Weidenzweig mit dem Schriftzeichen „Freude“
(hsi [20]) aus rotem Papier geschmückt. (Fig. 5).
Bereits um Mitternacht waren die Ahnen
ihrem Range nach eingeladen worden, sich zu
einem Opfermahl einzufinden. Der Sippenälteste
kniete dabei vor dem Hauptaltar nieder, berührte
dreimal mit der Stirn den Boden und sprach
die Einladung aus. (Für die an die Ahnen ge-
richteten Worte gibt es keine festen Formeln.)
Seine Familienmitglieder knieten in einigem Ab-
182
Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
stand hinter ihm,führten die gleichen Zeremonien aus und wiederholten seine
Worte. Danach standen alle auf, hoben die zusammengelegten Fäuste über die
Stirn, warfen sich wieder zu Boden und murmelten die gleiche Einladung. Dies
geschah dreimal, während inzwischen der Weihrauch entzündet wurde. Danach
versah man die verschiedenen Opfertische mit den oben beschriebenen
Leckereien. Die Ahnen dachte man sich von nun an anwesend.
Der Verlauf der O p f e r h a n d 1 u n g
Bald nachdem wir unsere Apparate aufgestellt hatten, erschienen die Gäste.
Man begrüßte sich durch tjing-an [21], einen feierlichen Gruß, bei dem der linke
Fuß vorgestreckt wird, während das rechte Knie den Boden berührt, wobei der
rechte Arm herabhängt und der linke über dem Magen angewinkelt wird. Der
Opferherr begrüßte jeden Gast einzeln, die übrigen Familienmitglieder folgten
gemeinsam seinem Gruß. Die Zeremonie ging schweigend vor sich (Taf. I, a).
Vor den Flauptaltar wurde nun eine rotlackierte Holzkrippe mit Hand-
griffen zum Tragen gestellt. Sie sollte das Opfertier aufnehmen.
Der Opferherr stellte sich davor, die Sippenmitglieder versammelten sich
im Hintergrund und der Koch mit zwei Gehilfen brachte das gefesselte schwarz-
haarige Schwein herbei. Es wurde trotz heftigen Sträubens vor den Altar in
kniende Stellung gebracht. Als es sich beruhigt hatte, nahm der Koch einen
Becher Wein vom Opfertisch und goß ihm dessen Inhalt in das Ohr, während
der Opferherr niederkniete und die zuvor beschriebenen „drei Kniebeugen und
neun Stirnaufschläge“ (san-gue djiou-kou [22]) ausführte. Das Schwein schrie
dabei von neuem auf und zeigte damit an, daß der Ahnherr das Opfertier an-
nehmen wollte (Taf. I, b).
Dieser erste Teil des Opfers heißt „Darbringung des lebendigen Opfertiers“
(hsiän sch eng [23]).
Während der Ehrenbezeugung des Opferherrn zieht der Koch blitzschnell
einen im Ärmel verborgenen dreikantigen Dolch hervor und stößt ihn dem Eber
ins Herz. Diese Tötungsart heißt tjiän-dschu [24]3. Es wird streng darauf ge-
achtet, daß kein Tropfen Blut fließt.
Der Opferherr verharrte bis zum endgültigen Tode des Opfertieres in knien-
der Stellung. Der Koch vertauschte dann den ursprünglichen Dolch gegen einen
gleichen aus Bambus, welcher auf dem Altäre bereitlag (damit wurde auf die
Holzwerkzeuge des ersten Ahnen hingedeutet) und brachte mit seinen Gehilfen
das Tier hinaus. Alle Familienmitglieder beglückwünschten sich darauf durch
tjing-an, knieten wieder nieder und erwarteten in dieser Stellung den zweiten
Teil des Rituals.
3 Das Schriftzeichen tjiän bedeutet: Weg von Norden nach Süden, der Weg zum
Grabe.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
183
Ein Verwandter des Kochs fungierte als Zeremonienmeister (dsan-li [25]).
Er stand zu seiten des Altars und rief die Kommandos aus, welchen die Opfern-
den zu folgen hatten [26]:
„Niederknien!“
„Erstes Niederknien und erster Stirnaufschlag!“
„Erstes Niederknien und zweiter Stirnaufschlag!“
„Erstes Niederknien und dritter Stirnaufschlag!“
„Erheben!“
„Hände erheben!“
„Niederknien!“
„Zweites Niederknien und erster Stirnaufschlag!“ ... usf.
Der Opferherr, welcher während des ganzen Tages mit Hut und Mantel
bekleidet war, übergab dem Zeremonienmeister für die Zeit des Kniens und
Stirnaufschlags seinen Hut.
Das Opfer wurde in einem Kessel mit kochendem Wasser abgebrüht und
mit Bimsstein gescheuert. Mit einem Schabemesser entfernte man die schwarzen
Borsten bis auf einen Streifen im Nacken und klebte ein rotes //si-Zeichen
(vgl. Ahnenstange und Weidenzweig) auf den Rücken.
In diesem Zustande wurde es, auf dem Bauche liegend, mit gekreuzten Vor-
derbeinen in die Opferkrippe gelegt. Als es hineingetragen und vor den Haupt-
altar gestellt wurde, warf sich alles vornüber und berührte neunmal mit der
Stirn den Boden.
Nach dem letzten Stirnaufschlag wurde das Opfertier vor die Ahnenstange
gestellt und dort ebenfalls dargebracht, indem sich die gleichen Zeremonien hier
wiederholten. Danach erhob sich die Opfergemeinde und beglückwünschte sich
gegenseitig. Das war die „Darbringung des Weißen“ (hsiän-hai [27]) (Taf. I, c).
Nun war es bereits Mittag geworden, und da jetzt eine längere Pause in den
Zeremonien zu erwarten war, zog sich die Hälfte der Teilnehmer in das Haus
zurück, um zu ruhen und der „Hitze auszuweichen“ {hi-schu [28]).
Dem Koch oblag nun die wichtige Aufgabe, das Opfertier in der vorgeschrie-
benen Reihenfolge zu zerteilen.
Zuerst wurden die vier Beine und das Hinterteil abgetrennt und sofort
gekocht. Das Hinterteil wurde schon halb gar auf eine Schüssel gelegt und dem
Opferherrn gebracht, der sie kniend in Empfang nahm. Er hob sie über seinen
gebeugten Kopf und stellte sie als erste Gabe für die Ahnen auf den Opfer-
tisch. Danach vollführte er drei Stirnaufschläge.
Nun trennte der Koch die Bauchdecke mit den Brustwarzen ab, welche
der Opferherr unter Beobachtung der vorigen Ehrenbezeigungen als Gabe für
die Ahnenvögel über die Ahnenstange hing. Inzwischen wurde das Schwein
ausgenommen, die „sieben äußeren Zipfel“ (wai-djiau [29], Ohrenspitzen,
184
Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
Rüssel und Hufe) und die „sieben inneren Zipfel“ (ne-djiau [30], Spitzen von
Herz, Leber, Lungen, Magen und Nieren) ebenfalls dem Opferherrn übergeben,
welcher die Zinnschale der Ahnenstange damit füllte.
Die Därme wurden gereinigt, mit den zerschnittenen inneren Organen gefüllt
und mit Rumpf und abgetrenntem Kopf in dem großen Kessel über offenem
Feuer gargekocht.
Fig. 6
Bis dies soweit war,
erfrischten wir uns mit
heißem grünenTee.Wein
oder Schnaps durften
nicht getrunken werden,
denn Alkoholika waren
ausschließlich den Ahnen
Vorbehalten.
In guten alten Zeiten
wurde den Anwesenden
die Wartezeit mit einer
magisch - symbolischen Darstellung
des Werdegangs des ersten Ahnen,
von dem die Sage berichtet, durch
ein Schamanenpaar verkürzt.
Das Schamanen-Ehepaar erhielt
zwei gesonderte Einladungen, und
zwar wurde die Schamanin als die
Hauptperson zuerst eingeladen und
auch zuerst abgeholt4.
Sie wurden bei ihrer Ankunft nur
mit Tee bewirtet, denn auch sie
mußten bis zum gnmeinsamenOpfer-
mahl nüchtern bleiben.
4 Lange Zeit nach diesem Ahnenopfer erklärte sich die alte Frau Djin bereit, mir
eine solche Schamanenvorstellung zu schildern. Ich lud sie zu mir ein. Sie kam mit
ihrer dreizehnjährigen Enkelin, einem stillen Mädchen mit modernem Bubikopf,
welche in ihrer Familie etwas als „Spökenkieker“ yo-ling (31) galt; ling bezeichnet
eine übersinnliche Begabung, welche Menschen, Tieren und Dingen gleicherweise
anhaften kann. Die beiden wollten mir die Sache zur besseren Anschaulichkeit vor-
führen. Wie üblich, kam ein Teil ihrer Familie mit und es war interessant zu
beobachten, wie eine an sich sachliche Demonstration die Leute so in Bann schlug,
daß sie zu hingebungsvollen Gläubigen und Priestern wurden.
Obgleich ihnen bekannt war, daß ich sie für ihre „Belehrung“ bezahlen würde, hin-
derte sie der Gedanke an den schnöden Mammon durchaus nicht, sich ganz in die
Welt des Überirdischen zu versenken.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
185
Nach einer gebühren-
den Erfrischungspause
legte die Schamanin ihr
Magiergewand an. Es
bestand aus einem eng
anliegenden und reich
gestickten Seidenhemd
mit „Pferdehufärmeln“,
auf dessen Brust ein
großer Metallspiegel und
Metallamulette in Cash-
form befestigt waren
(Cash nennt man das
früher übliche Metall-
geld), die dazu dienten,
die „wilden Geister“ (s.
Einleitung) fortzuscheu-
chen. Zu dem Hemd
wurde ein Rock aus
vielen bunten Bändern
getragen, welche an ihren
Enden mit kleinen Schel-
len versehen waren. (Fig.6)
Auf dem Kopf trug
sie eine Krone aus einem
flachen Metallband mit
drei Lebensbäumen, in
der Mitte überragt von einem Phönix5, der auf dem Scheitelpunkt zweier
sich rechtwinklig kreuzender Bügel befestigt war. Die Bügelenden waren
an dem Kronenreifen festgenietet und gaben ihm dadurch Festigkeit.
Von dem fünfstrahligen Schweife des Phönix hingen lange gestickte Seiden-
bänder fast bis auf den Boden herab. (Fig. 7)
5 Der Phönix, feng-huang [32] ist ein Fabelwesen von dem Körperbau eines Kranichs
mit einem Hahnenkopf auf dem Schwanenhals und einem Fasanenschweif mit
Pfauenfedern. Er stellt im Gegensatz zum Drachen das Emblem der Weiblichkeit
dar. Er wird häufig in Verbindung mit dem Wu-tung-Baum [33] (Sterculia
platanifolia) abgebildet. Außerdem ist er das Reittier der „westlichen Königs-
mutter“, Hsi-wang-mu [34], eine im sagenumwobenen Kunlun-Gebirge wohnende
Feenkönigin, welche dort ein paradiesisches Gebiet beherrscht mit lebenverlängern-
den Pfirsichbäumen, in dem sich auch die seeligen Geister aufhalten. Die Mandschu
haben den Aufenthalt ihrer Toten dorthin verlegt.
186 Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
Mit der linken Hand ergriff die Schamanin ihre Trommel, die „weibliche
Kraft“ (Yin-tji [35]). Sie bestand aus einem mit Pferdehaut (eigentlich soll es
Menschenhaut sein) bezogenen Weidenholzreifen, welcher auf der Rückseite
durch kreuzweise befestigte Lederschnüre gespannt wird. Die rechte Hand faßte
den halbmeterlangen, lederbezogenen Schlegel aus Bein oder Pfirsichholz8, die
„männliche Kraft“ (yang-tji [36]). Der Schamane trug einen Kinderschurz
(do-do [37]) und eine Kindermütze in Gestalt eines Tigers aus gelbschwarz
geflecktem Stoff. Er stellte den Ahnen als Kind dar. (Fig. 8—9.)
Beide warfen sich zunächst vor dem Ahnenbrett zu Boden und machten die
vorgeschriebene Ehrenbezeugung. Sodann erhob sich die Schamanin und fing
erst leise, dann immer lauter an zu trommeln, bis ihr Geist sich auf die Wander-
schaft in die Vergangenheit begab und das Leben des Ahnen nochmals miterlebte.
Der Schamane wurde durch sie in den gleichen Zustand hineingerissen und
führte das aus, was sie visionär vor sich sah.
Er lag zunächst auf dem Rücken und spielte mit Kinderschuhen, die wie
kleine Schweine gearbeitet waren. Dann rannte er in Sprüngen im Kreise 6 *
6 Pfirsichholz hat seit alters her in China dämonenabwehrende Kraft, es wird heute
noch zur Herstellung von Amuletten und Figürchen von Schutzgöttern benutzt.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
187
(Flucht vor dem Vetter), ahmte mit den Fländen das Flattern der Vögel nach
und stand zuletzt ganz still. Die Wanderung des Kindes zum Weidenbaum
deutete er durch Trippeln auf der Stelle an, während seine Hände ständig die
Vögel flattern ließen, bis er seine Arme herabhängen ließ und sich hin- und her-
wiegte („da war er der Weidenbaum“). Es folgte die Zeit friedlicher Arbeit
bis zum Tode der Pflegemutter.
Seine Verzweiflung über ihren Tod wurde höchst dramatisch dargestellt;
er schlug sich mit Fäusten, zerriß seine Kleidung und wälzte sich keuchend am
Boden.
Durch die Lautlosigkeit, in der sich Akteure und Zuschauer verhielten,
wirkte die Handlung faszinierend. Man hörte nur die flachen Töne der Trom-
mel wie hastende Herzschläge.
Schließlich sprang der Schamanen-Ahne auf. Die Schamanin, die ständig
trommelnd um ihn herumgewirbelt war, wobei sie von Zeit zu Zeit unter-
drückte heisere, kurze Rufe ausstieß, riß das Geisterschwert von der Wand
und reichte es ihm mit beiden Händen, damit er sich den Weg zu den Men-
schen erkämpfte. Er streifte ein Schellenarmband über sein linkes Handgelenk
und ergriff die bereitgelegten Klapphölzer (welche sich in einem Beutel am
Ahnenbrett befanden). Nun umsprangen sich beide in einem Scheingefecht wie
bei einem Kriegerschauspiel auf der Bühne, bis sie erschöpft zu Boden sanken.
Die Opfergemeinde, welche, mit untergeschlagenen Beinen am Boden sitzend,
dem Schauspiel zugesehen hatte, erhob sich und ehrte das Paar durch ein-
maligen Stirnaufschlag. Dann geleitete man beide in einen Nebenraum, in
welchem sie sich erholen konnten.
Natürlich nahmen sie an dem späteren Ahnenmahl als Ehrengäste teil. —
Die „Darbringung des Garen“, hsi'dn-schou [38], ist die letzte Opferzeremo-
nie. Das gekochte Opfer wurde nochmals in der Krippe als Ganzes zusammen-
gelegt. Man breitete das Bauchnetz über alles und vergaß nicht, die Vorder-
beine zu kreuzen (Taf. I, d).
Die Mitglieder versammelten sich vor dem Hauptaltar und vollzogen auf
Kommando die vorgeschriebenen Riten, welche danach vor der Ahnenstange
wiederholt wurden.
Den Beschluß der Feier bildete das gemeinsame Opfermahl, an dem dann
auch die Gäste teilnahmen; doch zuvor legte der Opferherr noch zwölf Schüsseln
mit den besten Fleischteilen für die Ahnen auf den Hauptaltar nieder.
Opfergemeinde und Gäste setzten sich, nach Gruppen von Männern und
Frauen getrennt, im Schneidersitz auf den Boden des Opferraums. Die Speisen
wurden in Holzschüsseln in ihre Mitte auf den Teppich gestellt. Außer dem
Fleisch wurde Wildgemüse (Lauch, dju-tsai [39], Löwenzahn, pu-gung-ying
188
Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
[40], Petersilienstengel, tjin-tsai [41] und Melde, ho-tsai [42]) und Hirsebrei
serviert.
Der Opferherr kniete sich vor die Männerrunde und forderte sie zum Zu-
greifen auf, indem er ihnen ein Rippenstück, in welchem ein Messer steckte,
durch eine Halbkreisschwenkung anbot.
Das gleiche wiederholte er dann bei den Damen (Taf. II, a, b).
Während des Mahles wird geschwiegen. Kinder dürfen erst dann daran teil-
nehmen, wenn sie imstande sind, diese Anstandsregel zu befolgen.
Es darf nichts von dem Opferfleisch aus dem Hause kommen und auch nichts
für den nächsten Tag aufgehoben werden, daher lädt man genügend Freunde
ein, die das Opfer vertilgen helfen. Eine solche Einladung gilt als besondere
Ehrung, da das Opfermahl durch die Ahnen eine glückbringende Segnung er-
fahren hat. Aus diesem Grunde wird sie von den intimen Freunden des Hauses
erwartet.
Nach dem gemeinsamen Mahle erfolgte das Lösen der Halsschnüre (djiä-so
[40]) derjenigen Kinder, die sich inzwischen verheiratet hatten. Es war diesmal
ein Neffe von Frau Djin.
Der in Frage kommende junge Mann kniete unter der Mutterschnur nieder,
welche quer durch den Raum vom Ahnenbrett zum Weidenzweig führte. Frau
Djin (meistens ist es die Sippenälteste oder die Mutter) löste die Halsschnur
von der gelben Kordel ab und hängte sie dem Knienden um den Hals. Wäh-
rend den Ahnen die Heiratsurkunde vorgelesen wurde, berührte der Betreffende
dreimal mit der Stirn die Erde, stand auf und streifte sich die Schnur über den
Körper bis zum Boden, wo sie einen Ring um seine Füße bildete. Nachdem er
seine Ahnen stehend um seine Entlassung aus dem Sonderschutz gebeten hatte,
den er als Nichtselbständiger genoß, stieg er aus dem Ring aus. Sein Namens-
streifen wurde von der Halsschnur abgeknüpft und wieder an der Mutterschnur
befestigt. Die Halsschnur, die ja aus vielen Einzelfäden bestand, wurde auf-
gelöst und weggeworfen (Taf. II, c).
Da das Opferfleisch nun vertilgt war, sammelte man sorgfältig alle Knochen
und legte sie nochmals zu der Gestalt des Opfertieres in der Krippe zusammen.
Man stellte sie als letzte „Darbringung" (hsi'dn-gu [44]) vor die Ahnenstange,
bis man sie am Abend an Bettler auf der Straße verteilte. Nur den dritten
Halswirbel von oben (so-gu [45]) sonderte der Opferherr aus und steckte
ihn auf die Spitze der Ahnenstange. Mir scheint dies aber ein spezieller Brauch
in der Familie Djin zu sein, weil ich in keiner Beschreibung des Ahnenopfers
diese Sitte erwähnt fand.
Noch vor Sonnenuntergang bedanke sich der Opferherr im Kreise seiner
Sippe bei den Ahnen für ihr Kommen. Opfergeld und Himmelsleitern wurden
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
189
im Hofe mittels Weihrauchstäbchen in Brand gesteckt. Das verbrannte Papier
wurde sorgfältig zerkleinert, damit es der Wind forttragen konnte (Taf. II, d).
Hiermit fand das Ahnenfest seinen Abschluß.
Sammlung von Ahnenkultgeräten der Mandschu in Peking
im Besitz des Völkerkundemuseums Berlin
1. Geisterschwert eines Mandschu-Schamanen (I.D. 34885) aus ge-
hämmertem Eisenblech. Griff und Blatt sind aus einem Stück, Bei unserem
Exemplar besteht der Knauf aus einer flachen Scheibe ohne Verzierung,
Fig. 10
während bei den beiden im Pekinger Kaiserpalast befindlichen Schwertern
der Knauf in Form des alten Cash-Geldes ausgestanzt war.
Nahe der Spitze des Blattrückens sind fünf kurze Ketten angebracht, die
aus je drei in sich gedrehten Ringen bestehen. Am oberen Blatteil befinden
sich an Rücken und Schneide je fünf und an dem flachen Knauf sieben
solcher Ketten.
Länge: 73 cm
Knaufdurchmesser: 10,5 cm
Blattbreite: 6,4 cm
2. A h n e n b r e 11 (I. D. 34720). Ein schmales Brett aus schwarzem Holz,
mit gelbem Stoff bespannt, an dem eine weiße Papierfahne hängt. Es ruht
auf zwei schwarzen Holzwinkeln.
Länge: 70 cm
Breite: 22 cm
3. Weihrauchkästen (I. D. 34721). Drei schwarze, massiv aus Holz
gearbeitete Kästen in kantiger Sanduhrform, deren Konturen durch schmale
Grate hervorgehoben werden. Oben eine flache Vertiefung zur Aufnahme
des pulverförmigen Barbarenweihrauchs.
Länge: 22 cm
Tiefe: 9,5 cm
Höhe: 12,5 cm
Fig. 11
190
Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
4. Model (I. D. 34722) aus Holz, in dem ein einfaches Mäandermuster
ausgespart ist, durch welches das Weihrauchpulver auf den Weihrauch-
behälter geschüttet wird.
Dazu ein Messingspaten zum Aufträgen und Glätten des Weihrauchs.
5. Vorhang (I. D. 34718) aus gelbem Atlas mit eingewebten Drachen-
medaillons, der beim Opfer vor das Ahnenbrett gespannt wird.
Breite: 166 cm
Länge: 150 cm
6. B e u t e 1 (I. D. 34724) aus gelbem Stoff, in dem die Mutterschnur, eine
5 m lange gelbe Seidenkordel mit den Namensschnüren der Kinder, auf-
bewahrt wird.
7. B e u t e 1 (I. D. 34725) aus gelbem Stoff zur Aufbewahrung eines Arm-
bands aus zwei kleinen und zwei größeren Tigerkopfschellen, welches der
Schamanen-Ahne benutzt.
8. Ahnenstange (I. D. 34735) aus Rotlichte, welche an ihrem Fuß mit
einem 17 cm langen Schlitz zum Einklemmen einer weißen Papierserviette
versehen ist.
Länge: 270 cm
9. Z i n n s c h a 1 e (I. D. 34736) für die Ahnenstange, die das Opfer für die
Vögel aufnimmt. Durch ihre Mitte führt ein Hohlzylinder, durch den die
Spitze der Stange gesteckt wird. An den Seiten der Schale sind zwei
„Ohren“ angebracht, welche mit den Schriftzeichen für Sonne und Mond,
umgeben von einem Wolkenornament, verziert sind.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
191
Durchmesser der Schale: 21 cm
Tiefe: 7,6 cm — Länge des Zylinders: 19 cm — Durchmesser: 5,2 cm
10. Opfergeräte aus Messing.
3 Teller für Kuchen (I, D. 34726), aus einem Stück gedreht, mit an-
gesetztem Fuß. — Durchmesser: 13,3 cm
3 Weinbecher (I.D. 34728), mit dem Fuß aus einem Stück gedreht.
Der obere Rand ist nach außen gebogen.
Höhe: 3 cm — Durchmesser: 6,1 cm
3 Schalen für Hirsebrei (I. D. 34727). Der gewölbte Boden ist aus
einem Stück gedreht, Rand und Fuß angesetzt.
Höhe: 5,8 cm — Durchmesser: 10,1 cm
11. Geräte für das Opfermahl.
Alle Speisegeräte sind aus Holz gedrechselt und mit braunroter Lackfarbe
gestrichen. Sie sind mit einem halbzentimeterhohen Fuß versehen und
tragen einen Zierrand von ein- oder zweifachen Linien.
2 große Schüsseln (I. D. 34729)
Höhe: 7 und 6 cm — Durchmesser: 21 cm
3 Speisen teller (I. D. 34730)
Durchmesser: 24, 23 und 22 cm
6 Eßschalen (I. D. 34731)
Höhe: 5 cm
Durchmesser: 12,5 cm
Fig. 13
6 Teller (I. D. 34732)
Höhe: 2,5 cm — Durchmesser: 14 cm
4 kleine Teller (I. D. 34733)
Höhe: 1,5 cm — Durchmesser: 10,5 cm
1 Löffel (I. D. 34734) von ovaler, tiefgewölbter Form mit dünnem,
geschwungenen Griff, der in einen stilisierten Vogelkopf endet.
192
Körner, Der Ahnenkult der Mandschu
Verzeichnis ; der chinesischen Schriftzi eichen
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Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
193
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Umschrift von Lessing-Othmar
1. Ho Feng-ju 27. hsiän bai 28. bi-schu
2. Djin 18. lü-djiau-djiau 29. wai-djiau
3. gue 19. hung-sung 30. ne-djiau
4. yä-gue 20. hsi 31. yo ling
ngo-gue 21. tjing-an 32. feng-huang
5. Yüä 22. san-gue djiou-kou 33. wu-tung
6. tai-miau 23. hsiän scheng 34. hsi-wang-mu
7. dou-fu 24. tjiän dschu 35. yin-tji
8. gan-ma 25. dsan-li 36. yang-tji
9. dsu-dschang 26. gue 37. do-do
10. pu-dsi i gue i kou 38. hsiän schou
11. dsu-dsung ban-dsi i gue örl kou 39. djiu-tsai
12. ma-ma ko-dai i gue san kou 40. pu-gung-ying
13. ma-ma so-dsi tji 41. tjin-tsai
14. niän-bo-bo bai 42. bo-tsai
15, huang-mi-la-la gue 43. djiä so
16, da-dsi hsiang örl gue i kou 44, hsiän gu
17. so-dsi örl gue örl kou etc. 45. so-gu
13 Baeßler III
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
195
DIE MUSIK DER LOLO
KURT REINHARD, Berlin
Von den „Südbarbaren“, den innerhalb der chinesischen Landesgrenzen
wohnenden Fremdstämmen, sind die Lolo bis auf den heutigen Tag am selb-
ständigsten geblieben. Die seit Jahrtausenden andauernde Sinisierung hat zwar
die südliche Gruppe in Yünnan weitgehend aufgespalten, völlig unabhängig
dagegen blieben die Lolo des Da-liang-schan in West-Szechuan. Sie leben dort
in den unwegsamen Gebirgen des sogenannten Kien-tschang-Gebietes, das im
Osten und Süden durch den Yang-tse-kiang, im Westen durch den Ya-lun-kiang
und im Norden durch den Ta-tung-ho begrenzt wird. Hier hat sich auch
noch die alte Schichtung erhalten. Eine stolze Adelskaste, die sogenannten
„Schwarzknochen“ unterscheiden sich wesentlich von den mit fremdstämmigen
Gefangenen untermischten, leibeigenen „Weißknochen“. Letztere besorgen die
Feldbestellung, während der Adel die Kriege führt und als Reminiszenz früherer
Hirtenkultur und einzige „Arbeit“ Pferdezucht betreibt.
Nach eigener Darstellung kommen die Lolo aus Tibet1, doch ist diese Frage
ebensowenig restlos geklärt wie es an einer erschöpfenden völkerkundlichen
Untersuchung fehlt, obwohl schon die ältesten Berichte wie die des Si-ma tjiän
oder Marco Polos diese oder jene ethnologische Einzelheit mitteilen. Häufig
findet sich die soziale Gliederung in die beiden Kasten erwähnt, ebensooft aber
auch das völlig andere Aussehen der „Schwarzknochen“ mit ihren Adlernasen
und ihrem europiden Gesichtsschnitt. Bekannt sind inzwischen auch die sprach-
lichen Zusammenhänge zwischen Lolo und Tibetern, die rassischen Übereinstim-
mungen zwischen den „mittelsiniden Nordlolo-Leibeigenen und den mittel-
siniden Miao“2. Obwohl z. B, auch die eigene Schrift der Lolo untersucht ist
und überhaupt zahlreiche Aufsätze und Bücher über diese wilden Bergvölker
erschienen sind, muß man das Fehlen wirklich umfassender Darstellungen wohl
einfach darauf zurückführen, daß bisher kein Forscher so lange Zeit in dem
Lologebiet des Da-liang-schan zugebracht hat, daß er Gültiges auszusagen ver-
mochte3, wobei einschränkend gesagt werden muß, daß möglicherweise von
chinesischer Seite Forschungen betrieben worden sind, die entweder nicht ver-
1 Dieser These stimmt von Eickstedt (Rassendynamik von Ostasien, Berlin
1944) zumindest für die Herrscherklasse zu, zumal deren anthropologische Eigen-
arten eine Bestätigung hierfür zu geben scheinen (S. 174).
2 v. Eickstedt (vgl. Anm. 1), S. 177.
3 Viele Aufsätze und Bücher über die Lolo finden sich bei v. Eickstedt (vgl.
Anm. 1) angeführt, weitere bei Herbert Mueller, Beiträge zur Ethnologie
der Lolo. Baessler-Arch. III, H. 1 (1912), S. 38—68.
13*
196
Reinhard, Die Musik der Lolo
öffentlieht oder deren Publikation nicht bekannt geworden sind. Von den durch
die Literatur bekannten Reisenden wurden nur die Ränder des geschlossenen
Wohngebietes besucht oder nur ganze schnelle Durchquerungen bzw. kurze Vor-
stöße unternommen. Gründe dafür sind, daß die chinesischen Behörden jede
Einreise in das noch nicht befriedete Land verboten, und daß der englische
Offizier J. Westen Brooke, der 1908 als erster nach der französischen Expedition
d’Ollones (1906) eine Durchquerung versuchte, von den Lolo erschlagen wor-
den war.
Die Musik der Lolo, die ja nicht nur unbedingt zur Vervollständigung des
ethnologischen Bildes herangezogen werden muß, sondern die vielleicht sogar
einiges über Herkunft, Kulturschichtungen usw. aussagen könnte, ist bislang
noch nicht untersucht worden. Nur hier und da finden sich vereinzelte An-
gaben. So nennt v. Eickstedt als einen der Unterschiede zwischen den Nord- und
den Südlolo, daß nur erstere das Jodeln kennten4, ein Umstand, der einfach mit
der Gebirgsumwelt der Nordlolo zusammenhängt. Forke5 erwähnt, daß die
Lolofrauen Tanz und Gesang lieben. Von Lietard6 hören wir einiges Unklare
über den Rhythmus der Lolo-Lieder und erfahren, daß die Melodien sehr ein-
fach und wenig abwechslungsreich sein sollen. Die Wiedergabe eines von dem
P. Badie, einem Berufsmusiker, notierten Liedes, dem bekanntesten bei den
Ou-lou p’ou in Pe-cheu-ngai, zeigt allerdings, daß hier von sinisierten Lolo die
Rede ist, denn diese Melodie trägt ganz das Gepräge eines allerdings redit
schlichten südchinesischen Liedes.
Diese Anmerkungen zur Musik der Lolo sowie auch die, die sich in den
anderen Aufsätzen finden, gehen nicht über das Maß dessen hinaus, was man
bei ethnologischen Betrachtungen der Musik im allgemeinen zubilligt.
Audi die vorliegende Abhandlung kann nicht erschöpfend sein, dafür ist das
zur Verfügung stehende Material zu gering. Vor allem wird es — das sei aus-
drücklich schon hier betont — nicht gelingen, zu den genannten strittigen
Fragen über Herkunft der Lolo usw. Wesentliches beizutragen.
Als Quelle dienten die im November 1913 von dem Ehepaar Weiß her-
gestellten Phonogramm-Auf nahmen7. Die meisten dieser Walzen haben, im
Gegensatz zu Tausenden von anderen Aufnahmen aus den Beständen des Ber-
4 v. Eickstedt (vgl. Anm. 1), S. 163.
5 Alfred Forke, Die Völker Chinas. Berlin 1907. S. 43.
0 A. Lietard, Au Yun-Nan. Les Lolo p’o. Une tribu des aborigènes de la China
méridionale. Münster i. W. 1913. S. 111: „Le rhythme, chez eux, dJabord bas,
s’élève insensiblement, pour devenir perçant, restant toujours doucement har-
monieux quand même. La musique est fort simple, et le airs trés-peu variés.
7 Ein Bericht über den „Streifzug“ von 1913 findet sich in der „Zeitschrift der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin“, Jahrg. 1915, S. 73—91 (Frau Konsul
Weiß, Von O Pien Ting nach Ma Pien Ting durchs Lololand).
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
197
liner Phonogramm-Archivs den Krieg überdauert8. Am interessantesten und
typischsten sind die Phonogramme 1—16 mit zusammen 15 Musikstücken, eben
jenen 1913 gemachten Aufnahmen. Die von dem damaligen in Cheng tu an-
sässigen deutschen Konsul Weiß beigefügte Liste enthält nur sehr sparsame An-
gaben9. Danach handelt es sich um Aufnahmen der Wu-pau-djia10. Ein paar
Einzelheiten über die äußeren Umstände finden sich in einem an Erich M. von
Hornbostel gerichteten Brief des Konsuls Weiß vom 17. Januar 1914:
„Inzwischen habe ich noch 16 andere Sachen auf genommen, die bei der
Eigenart ihres Herkunftslandes und besonders bei seiner schweren Zugaeng-
lichkeit vielleicht auch nicht ohne Wert fuer das Institut sind. Sie kommen
naemlich aus dem gegen die Chinesen fast hermetisch abgeschlossenen Lolo-
land / zwischen Yangtse und Chienchangtal / in das bis jetzt erst eigentlich
nur einmal Fremde, die franz. expedition d’Ollone ihren fuß gesetzt haben;
natuerlich Sachen wie phonogr aufnahmen haben sie nicht daran gedacht
aufzunehmen,
ich habe nun ende november eine 4 wöchentliche reise durch den Nord-
zipfel des eigentlichen lololandes gemacht und meine guten Beziehungen zu
den sehr schwer zugaenglichen und hoechst mißtrauischen eingeborenen im
Interesse Ihrer Forschung in der eingangs erwaehnten Weise ausgenutzt.
bei den umstaenden der Aufnahme war es ausgeschlossen, eine Unter-
schreibung des textes herzustellen, ich wuerde dadurch nur unnoetig den
Argwohn der leute erregt haben, was ich im interesse meiner Sicherheit und
der meiner Frau, die mich begleitete, durchaus vermeiden mußte.
Die Aufnahmen / Kriegs Jagdrufe, Aufzug der Ziegenheerden zur Alp,
Wiegenlied, Trinkgesaenge, Lieder zum Zeitvertreib beim Reisigsammeln,
Hochzelts und Neujahrslieder &c / stehen nun prinzipiell durchaus Ihrem
Institut im Interesse Ihrer Forschung zur Verfuegung . .. diese wertvolle
bis zu einem gewissen Grade doch auch von mir unter Nichtachtung er-
heblicher, persoenlicher Gefahrsmomente erworbene Sammlung ... Ich
betone noch, daß man dort durchaus auf eigene Verantwortung reist und die
Landesbehoerden ganz außer Stand sind, in diesen Gebieten ihren Schutz
8 Die Sammlung „Weiß Südchina“ umfaßte ursprünglich 40 Walzen, von denen 27
von Lololeuten gemacht waren. Davon wiederum blieben 23 erhalten. Auf ihnen
befinden sich 29 Aufnahmen einschließlich einiger Sprachaufnahmen und Fort-
setzungsteile von Musikstücken. De facto handelt es sich schließlich um 23 Musik-
stücke, und zwar um die Nummern 1, 2a, 3, 4, 6, 8al, 8a2, 9&2b, 11a, 11b, 11c,
12b, 13, 15, 16, 17, 18, 19a, 19b, 20, 22, 23, 24. Hier sollen aber nur die Stücke bis
einschließlich Nr. 16 besprochen werden, während die Lieder der mehr oder weniger
sinisierten Lolo (Nr. 17—24) später an anderer Stelle behandelt werden.
9 Auf eine Anfrage des Verfassers konnte der heutige Gesandte a. D. W y ß nach
so langer Zeit auch keine näheren Angaben mehr machen.
10 In der Schreibweise von Weiß: Wu Pao Chia.
198
Reinhard, Die Musik der Lolo
zu verleihen. Der einzige Reisende, der weiter suedlich einen Vorstoß in das
Lologebiet nach d’Ollone gemacht hat, ein engl Offizier BROOKE, wurde
von den Eingeborenen ermordet, ohne daß die Tat je gesuehnt worden
waere ... P. S. Zu den Aufnahmen gehört auch 1 solche von einer Flöte,
die Flöte11, wie ferner eine Maultrommel, die ebenfalls aufgenommen ist,
wird den Aufnahmen beigelegt.“
Aus dem genannten Aufsatz7 erfahren wir, daß die Aufnahmen zum Teil
am Hofe des Fürsten Pielu gemacht wurden, der zwei Tagemärsche von O Pien
Ting entfernt liegt. Da sich darin eine so treffende Schilderung der ganzen
Situation und der Eindrücke während und nach den Aufnahmen findet, sei hier
die ganze darauf bezogene Stelle zitiert11 12:
„Am Nachmittag versuchen wir ein paar Lolostimmen im Phonographen
aufzunehmen. Die Leute haben bald erfaßt, worauf es dabei ankommt, und
stellen sich gar nicht dumm dabei an. Aber mitten in einem Trauergesang
unterbricht der herrische Pielu plötzlich den Sänger und sagt, er hätte erst
mit seinen Leuten zu reden13. Irgend etwas paßte ihm mal wieder nicht. Um
unsern Stolz und unser Ansehen zu wahren, bitten wir die Leute nicht
wieder und gehen in unser Zelt. Aber spät am Abend, wir sind gerade dabei,
uns schlafen zu legen, kommt ein Bote ans Zelt und bittet uns, doch noch
einmal zu erscheinen, die Fürstin möchte gern die Sing- und Sprechmaschine
noch einmal hören. Bei den Lolos hat eben auch die Frau ein Wort mit-
zureden, wie ja überhaupt die Lolofrau eine viel geachtetere Stellung als die
Chinesenfrau einnimmt. In der Hütte ist schon die ganze Siedelung ver-
sammelt. Alles hockt lautlos und aufmerksam auf dem Boden. Ein junger
Höriger mit einer hübschen klaren Stimme singt. Sein Repertoir übertrifft
alle unsere Erwartungen. Wiegenlieder, Kampflieder, Hirtenlieder, Lieder,
gesungen bei Hochzeiten und Weingelagen14. Und wenn wir nach erfolgter
11 Diese Flöte ist, ebenso wie die Maultrommel, nicht mehr vorhanden, was schon
deshalb bedauerlich ist, weil keine Aufnahme einen Stimmten enthält, und weil
man mit dem Instrument die absolute Tonhöhe und das Tempo dieses Flötenstückes
und wohl auch der anderen Stücke hätte festlegen können.
12 Frau Weiß (vgl. Anm. 7), S. 85/86.
13 Es handelt sich hier offenbar um das Phonogramm Nr. 4. Dort findet sich tatsächlich
nach der 4. Strophe eine unmotivierte Unterbrechung.
14 Bei der als Wiegenlied bezeichneten Aufnahme handelt es sich um eine Rezitation
(Nr. 10). Es bleibt zu bedenken, daß die Lolosprache eine Tonsprache ist und also
gesprochener Text ohnehin wie Sprechgesang wirkt. Das gilt ebenso für die „Kriegs-
rufe im Kampfgetümmel“ (Nr. 5), für das „Fiirtenlied“, in dem der Hirte der Ziege
den Aufenthalt auf dem Da-liang-schan „schildert“ (Nr. 7) und für den „Gesang
beim Trinkgelage“ bei dem es sich lediglich um eine rhythmisch gesprochene „Auf-
forderung eines Trinkers an die anderen, ordentlich zu trinken, aber Frieden zu
halten“, handelt (Nr. 14). Nur bei dem „Jagdruf und Hundehetzen“ (Nr. 8b)
wurde der Versuch einer Übertragung gemacht.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
199
Aufnahme den Reproduktor aufschrauben und das wohlgelungene Lied wie-
derholen, so strahlen alle Gesichter, und ein so herzliches Gelächter ertönt,
wie ich es nie bei Chinesen gehört habe. Besonders der Fürst selbst weiß sich
jetzt vor Vergnügen kaum zu lassen. Wie er da am Feuer hockt, die Klei-
dung zurückgeschlagen und die nackte breite Brust im Schein der Flammen,
aus voller Kehle lachend und immer wieder ein neues Lied dem jungen
Sänger zu singen befiehlt, ist er wirklich ein Bild unbeschränkter Kraft und
strotzenden Lebens. Als gar das Kampflied erklingt, da sprühen die schwar-
zen Augen der Lolos, und sie rufen und schreien mit. So möchte man ihnen
nicht als Feinden begegnen. Es ist schon fast Mitternacht, als wir uns endlich
zurückziehen, und noch lange hören wir die lebhaften Stimmen unsrer Wirte,
ehe sie sich in ihre Mäntel gehüllt am Feuer auf dem Boden ausstrecken.
„Uns aber ist es, als hätten wir einen Blick in die Seele dieses merkwür-
digen Stammes getan. Denn sind Lieder, von jedermann gesungen, nicht der
Ausdruck der Volksseele? Wir sehen sie auf freier Alm, wie sie über Fels und
Schlucht ihren Herden munter und frisch nachspringen, wir sehen sie im
dunklen Schatten des Urwaldes, und die bedrückende schwüle Natur hat
sich auch ihren Waldliedern, die sie beim Reisig- und Wurzelsuchen singen,
aufgeprägt. Wir sehen sie in stetem Kampf mit dem ziegenraubenden
Panther und dem maisstehlenden Bär, und heftig und bekümmert zugleich
klingen nun ihre Melodien. Wir sehen sie im Kampf Mann gegen Mann,
die Nerven bis aufs äußerste gespannt, tierisch wild, frohlockend und an-
feuernd ertönen ihre Rufe. Aber auch zarte Gefühle wohnen in derselben
kriegerischen Brust. Gibt es etwas Reizenderes als das zarte Abschiedslied
der älteren Schwester an die jüngere, mit dem langgetragenen melancho-
lischen Ton, oder das zarte Wiegenlied? Und es berührt uns jedesmal eigen-
tümlich, wenn einer der wilden Männer sich still im Kreise der aufmerk-
samen Hörer niederhockt und ein kleines melodiöses Stückchen auf der zart-
tönenden Maultrommel oder Bambusflöte vorträgt. Denn Melodien, wenn
auch oft eintönige, haben alle ihre Lieder, und jedes einzelne Lied unter-
scheidet sich rein musikalisch doch bedeutend von dem anderen. Dazu singen
die Lolos mit natürlicher Stimme und nicht im Falsett wie die
Chinesen.“
Daß aber nicht alle Aufnahmen während dieser ersten Loloreise am Hofe
des Pielu gemacht worden sind, geht aus einem neueren Schreiben des Herrn
Weiß hervor. Es heißt dort u. a.: „Ich erinnere mich aber wohl, daß der
Flötenspieler sich in Gesellschaft einer großen Zahl von Geiseln befand, die
in der chinesischen Grenzstadt Openting, wo wir das Gebiet der sog. unab-
200
Reinhard, Die Musik der Lolo
hängigen Lolo verließen, gefangensaß15“. Ob sich diese Ortsangabe audi auf
die Phonogramme mit den anschließenden Nummern bezieht, ob die Num-
mern überhaupt chronologisch gegeben worden sind und welche Aufnahmen
außerdem nicht am Hofe des Lolofürsten entstanden sind, bleibt unklar.
Im folgenden werden nun Ausschnitte aus den Übertragungen mit den
notwendigen Erläuterungen gegeben. Auf eine detaillierte musikalische Analyse
wurde dabei vielfach verzichtet, da diese leicht aus der später folgenden tabel-
larischen Übersicht herausgelesen werden kann.
Beispiel 1. „Jagdruf und Hundehetzen“ (Phonogramm 8b).
Diese Aufnahme hält eine lautliche Äußerung fest, die halb Sprache, halb
Gesang ist. Ähnliches bieten die nicht wiedergegebenen Phonogramme 5
(„Kriegsrufe im Kampfgetümmel“), 7 („Hirtenlied“), 10 („Wiegenlied“)
und 14 („Gesang beim Trinkgelage“). In Nr. 5 finden sich Rufe, wie sie
ähnlich Carl Stumpf16 als Wurzel aller Musikübung sieht. Das Hirtenlied
ist gehobene Sprache, die Gurt Sachs17 an den „Anfang“ zu stellen sucht, und
das Trinklied ist einfach nur rhythmisiertes, einem Rezitationston sich
näherndes Sprechen.
In dem vorliegenden „Jagdruf“ mischen sich Exklamationen, die sich
in der aufgezeichneten oder in ähnlicher Weise fassen lassen, mit Sprechen
und Schreien sowie mit Imitationen des Hundebellens und anderer Tier-
stimmen.
Beispiel 2. „Lied, gesungen beim Wurzelsuchen“ Phon. 1. Inhalt: „Der
Sänger klagt über den Dieb, der mit den von ihm gesammelten Wur-
zeln abgezogen ist und ihm Steine in den Korb getan hat.“
15 Der Brief vom 17. 1. 54 beantwortet eine Frage des Verfassers nach näheren An-
gaben zu Phon. 11 (Beisp. 11). Mit Openting ist O Pien Ting gemeint (vgl. Anm. 7).
Im übrigen vermag W y ß die auf der Liste bei Beisp. 11 auftauchende Bezeichnung
Ahasokachia auch nicht mehr mit Sicherheit zu deuten. Er schreibt: „Möglich, daß
damit der Stamm CHIA Ahasoka, dem der Vortragende vielleicht angehörte, be-
zeichnet werden sollte, jedenfalls ist es ein Wort aus dem Lolodialekt, dessen bin
ich ganz sicher.“
18 „Die Anfänge der Musik“, 1911.
17 „Vergleichende Musikwissenschaft“, 1930.
ßaeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
201
Von den auf dem Phonogramm vorhandenen insgesamt 42 Motivvarian-
ten sind hier nur sieben unterschiedliche wiedergegeben. Die kurze Phrase
wird durch drei immer höher getriebene Floskeln charakterisiert, die —
unabhängig von dem betonten d — kreszendiert werden, wie drei An-
sprünge wirken und zumeist auf den Tönen c — d — e einsetzen. Gleich-
zeitig erfolgt, quasi als reizvoller Kontrast, eine Eindunklung der Vokale,
wie etwa durch die bei dem ersten Motiv als Beispiel angegebenen Silben.
Diese Vokale ö — a — u bleiben trotz Änderung der Konsonanten in fast
allen Phrasen die gleichen. Im übrigen scheinen wörtliche Textwiederholun-
gen ohnehin häufig zu sein. Gewisse tonliche Varianten ergeben sich im
ersten Motiv durch Veränderung des unteren „Nebenintervalls“ des c. "Wirk-
liche melodische Veränderungen ergeben sich aber erst, wenn die Akzentfolge
c — d — e zugunsten von d — d — d — oder d — d — e zurücktritt.
In beiden Fällen wird der Phraseneinsatz auf dem d dadurch vorbereitet,
daß das vorhergehende Schlußmotiv statt auf c auf d endet. An solchen
Stellen erhält man den Eindruck, als werde hier durch die Zusammen-
fassung von zwei Varianten des Motivs eine größere Formeinheit ange-
strebt. Aus der zweitaktigen Phrase wird ein viertaktiger kleiner Satz mit
den Motiven a — ar
Beispiel 3. „Gesang zum Zeitvertreib beim Reisigsammeln“ (Phon. 2a).
GLuixsi aila breve (J = ISZ) J - 76
202
Reinhard, Die Musik der Lolo
Insgesamt sind sechs zweiteilige Strophen aufgenommen. Ihre ersten
Zeilen beginnen stets mit einem ausgehaltenen d, das teils unmittelbar
einsetzt, teils vom a aus angesprungen wird. Die zweiten Teile beginnen
nach einem auftaktigen a mit einem meist sforzierten e, das zum d oder gar c
absinkt. Finaltöne der beiden Hälften sind in den sechs Strophen folgende:
1: a und d, 2, 4 (und 6): d und d; 3: d und a; 5: a und d. Die Textaussprache
des mit hoher Bruststimme singenden Lolo ist recht akzenturiert.
Beispiel 4. „Gesang des Hirtenknaben, dem der Panther die Ziege
gestohlen hat“ (Phon. 3). Text: „Drückt die Angst vor der Strafe der
Eltern aus.“
J = «6
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
203
Bei diesem melodiösen Lied erschien es vorteilhaft, alle vorhandenen
15 Strophen wiederzugeben. Nur so wird die nahezu souveräne Art deutlich,
mit der der phantasievolle Sänger die einzelnen Motive zusammenfügt und
abwandelt. Keine Zeile gleicht völlig der anderen, und darum ist es auch
nicht möglich, alle Arten der Variierung hier aufzuzählen. Da fällt zunächst
auf, daß die erste Strophe eher wie eine Einleitung wirkt. Auch die beiden
folgenden Strophen unterscheiden sich noch stärker von den späteren, obwohl
hier schon das Quintmotiv a — e zu Anfang auftaucht. Die erstmalig in der
vierten Zeile (Takte 1 und 2) gewonnene Synkopierung taucht dann sehr
häufig auf, und ähnlich entwickeln sich auch andere Motive und Rhythmen
erst im Verlaufe der Strophen. Verwandtschaften konsonanter Töne werden
durch entsprechende Vertauschungen an Parallelstellen deutlich. So vertreten
sich beispielsweise fis, a und cis in den vierten Takten der Strophen 12, 14
und 15. Bezüglich der Singweise fällt auf, daß der Sänger oftmals auf
Konsonanten, meist auf „m“, singt. Darum sind einige Schlußtöne als über-
gebundene Viertel und Halbe geschrieben, der Text verteilt sich auf sie so,
daß auf die erste Note ein Vokal, auf diezweite ein Konsonant gebracht wird.
Beispiel 5. „Trauergesang um Verlust des Maises, den der Bär gefressen
hat im 8. Monat des Jahres“ (Phon. 4).
J * es
fhrfavy nicht zu hören.
Bei diesem Lied, das auf dem Phonogramm aus insgesamt 20 Strophen
besteht, taucht die Frage auf, inwieweit sich ein nach dem Titel zu erwar-
tender Ausdruck in exotischer Musik nachweisen läßt. Wir müssen hier, wie
fast immer, diese Frage negieren. Musikalischer Ausdruck als eine einer
Gemütsstimmung oder einer Situationsatmosphäre adäquate Darstellungs-
form ist viel zu sehr von Konvention und Ästhetik abhängig, ist viel zuwenig
mit der ratio faßbar, als daß man bei exotischer, also bei uns erlebensmäßig
fremder Musik Gültiges über den getroffenen oder auch nicht getroffenen
204
Reinhard, Die Musik der Lolo
Ausdruck aussagen könnte. Vielleicht äußert sich die „Trauer“ des vorliegen-
den Stückes in den noch mehr als in den anderen Gesängen wie Schreie wir-
kenden explosiven und vorhaltigen Einsätzen, in dem fast aufgeregten,
rhythmisch vielfältigen Sprechgesang, in den oft kurz aufeinanderfolgenden
Einsätzen auf dem Spitzenton f, sowie in der schließlich doch abwärts
gerichteten Melodiebewegung. Hinter all das müssen wir aber ein Frage-
zeichen machen und an die Möglichkeit einer allzu europäischen „Deutung“
denken.
Die Unterbrechung in der vierten Strophe geht wohl, wie in Anmer-
kung 13 erwähnt, auf das plötzliche Verbot des Weitersingens durch den
Häuptling Pielu zurück. Der Sänger verkürzt da die Strophe, um wenigstens
noch zum Schluß zu kommen. Die Tonleiter ist pentatonisch, doch wird in
den ersten drei Strophen die Hauptreihe f—g—b—c—d—f als kurzfristige
Modulation gelegentlich durch eine andere Tonart ersetzt: f—g—a—c—d.
Die entscheidenden Töne a und b stehen aber niemals nebeneinander.
Beispiel 6. „Abschiedsgesang der älteren Schwester an die jüngere. Die
ältere verläßt das Elternhaus um zu heiraten, nimmt auch Abschied
von den Kühen, Schweinen usw. ...“ (Phon. 9 und 2 b.)
Das Stück ist durch große rhythmische Freizügigkeit gekennzeichnet. Eine
taktesche Gliederung ist nicht feststellbar, die vorhandenen Taktstriche
zeigen lediglich nachfolgende Akzente an. Die einzelnen Strophen — ins-
gesamt sind es 29 — sind oft fast ineinandergeschoben. Hauptmotiv des
Abschiedsliedes scheint die am Ende der Strophen ein- oder mehrmals auf-
tretende Quarte d—a zu sein. Sie trägt einen Akzent auf dem lange aus-
gehaltenen d, verläuft als Decrescendo und wirkt wie ein Ausruf. Viel-
leicht handelt es sich dabei um ein immer wiederkehrendes Abschiedswort.
Die Beispiele 2 bis 5 wurden, wie deutlich zu hören ist, vom gleichen
Sänger vorgetragen. Die folgenden Stücke wurden von einem anderen Lolo
aufgenommen, wohl von dem von Frau Weiß besonders genannten Hörigen
„mit einer hübschen klaren Stimme“. Dieser hat, nachdem der erste Sänger
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
205
in dem Trauergesang (Beispiel 5) unterbrochen worden war, vermutlich fast
alle übrigen Lieder der Wu-pau-djia gesungen (Beispiele 6—13) und nicht nur
die von Frau Weiß offenbar als Beispiele genannten Lieder der Walzen 10, 5,
7, 6 und 14.
Die meisten dieser Stücke, die Phonogramme 5, 7, 10 und 14, sind mehr
gesprochen als gesungen. Sie wurden darum hier nicht berücksichtigt. Interessant
ist aber, daß sie zusammen mit den Liedern genannt werden und daß die Lolo
sie als völlig gleichgeartet in ihre Vorführungen einfügten. Das ist aber nur
möglich, weil die Eingeborenen Lieder und Rezitationen primär als zweck-
gebundene und entsprechend geartete Lautäußerungen ansehen, ohne sie in
unserem Sinne als verschiedenen Gattungen zugehörige Dinge voneinander zu
trennen.
Beispiel 7. „Abschiedsgesang“ (Phon. 15).
e
Weiß bezeichnet diese Aufnahme als „Fortsetzung des Abschiedsgesanges
des jungen Mädchens vom Vaterhaus“. Es handelt sich aber ganz offensicht-
lich nicht um eine Fortsetzung des vorigen Beispiels. Die Aufnahme ist tech-
nisch sehr schlecht, sie läßt aber doch die einfache Struktur der pentatonischen
Melodie erkennen. Die taktliche Einteilung ist nur bedingt richtig, da in
vielen der insgesamt 27 Strophen der oft im Glissando von oben erreichte
zweite Ton (d) den stärksten Akzent trägt.
Beispiels. „Brautgesang auch zu Neujahr gesungen“ (Phon. 6).
J* io*.
Die Intonation des „neuen“ Sängers ist in diesem Lied nicht sehr gut. Sein
Singen wirkt aber klar, zumal er die Töne oft unverbunden nebeneinander-
206
Reinhard, Die Musik der Lolo
setzt, wodurch sich der Gesang allerdings bisweilen einem metrisierten
Sprechgesang nähert. Durch eine Ausnutzung mehrerer Kombinationsmög-
lichkeiten zwischen Anfangs-, Spitzen- und Schlußton in den beiden Teilen
der Strophen gleicht — abgesehen von den zu erwartenden, hier allerdings
besonders ausgeprägten Varianten — keine der sechs Strophen der anderen:
1. Strophe h — e — g / d — e — g
2. Strophe
3. Strophe
4. Strophe
5. Strophe
6. Strophe
fa-
ll-
h-
h-
h~
e—g/d—
e —g / d —
---g / d —
e — h / d —
e — h / h —
“ g
_-h
-h
— g
— g
Die Anfangshaltetöne der einzelnen Zeilen werden auf die Silbe „ei“ ge-
sungen, wobei der Sänger, ähnlich wie in Beispiel 3, und wie hier bei der
dritten Strophe genau notiert, von dem Diphthong „ei“ sofort nur noch den
Halbvokal „j“ tönen läßt. Mit der gleichen Silbe beginnt jeweils auch der
Text nach den Haltetönen.
Beispiel 9. „Totenklage“ (Phon. 12b).
j. . 10t
6
Hier steht ein sehr langer, zuweilen mit seinem oberen Nebenton ver-
bundener (klagender?) Halteton am Anfang. Ihm folgt eine kurze, kreisende
Melodiebewegung und eine sehr lange Pause vor der nächsten Strophe. Trotz
des kurzen Schlußtones c, der meist fallend von f oder g erreicht wird, dürfte
es als zentral gelegene Tonika anzusehen sein.
Beispiel 10. „Zweigesang, gesungen zum Zeitvertreib auf den Bergen“
(Phon. 16).
Dieser einzige Zwiegesang der Wu-pau-djia offenbart keine neuen Stil-
merkmale. Die ersten Zeilen der zweiteiligen Strophen sind dem einen, die
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
207
zweiten Zeilen dem anderen Sänger zugeteilt. Überschneidungen betreffen
nur Schluß- bzw, Anfangstöne, sie ergeben als Zweiklänge Quarten, große
Terzen und kleine Septimen. Die beiden Strophenhälften verwenden zum
Teil zwar ähnliche Motive, sie weichen insofern aber doch stärker vonein-
ander ab, als Sänger A nur eine erweiterte pentatonische Reihe (fis—a—h
—cis—(dis—)e) benutzt, Sänger B dazu aber wechselweise noch eine zweite
Tonleiter (fis—gis—h—cis—(dis—)e).
Der von der zweiten Hälfte der ersten Strophe an durchgehaltene Triolen-
rhythmus wird erst am Ende der ersten Zeile als Modifikation aus der
Gruppe von zwei Achteln entwickelt. Die Motive sind zwar nicht durch
Legat! kenntlich, doch wird deutlich ,daß die Achtel auftaktig zu den fol-
genden Viertel gehören. Häufig kommt da das Wort ^ | j vor.
ja-da
Beispiel 11. „Drei Flötenstücke“ (Phon. 11). Stücke A und B für kleine
Flöte, Stück C für große Flöte.
J- el»a MM. 10*» (alle Viertel s/accato)
8 vo
unSol/sfam/ty bricht ab
208
Reinhard, Die Musik der Lolo
Noch stärker als bei einigen Gesangsstücken treten hier als melodische
Intervalle Quarten und Quinten in Erscheinung. Das ist ebenso typisch für
eine Instrumentalmusik wie überhaupt die gesamte fast gezackte und sehr
bestimmte Melodiebewegung. Durch diese instrumentalen Eigenarten nähern
sich die Flötenstücke mehr als die Lieder der volkstümlichen Melodik chine-
sischer Lieder. Das hindert den Spieler jedoch nicht, hier und da instrumen-
tengerechte Verzierungen, insbesondere Pralltriller und Vorschläge anzu-
bringen. Die stark konturierte Melodie wird dadurch noch schärfer profiliert,
daß der Musikant alle Viertel staccato spielt. Nur wo diese Manier zu be-
sonders großen Verkürzungen führt, wurden die Viertel als Achtel plus
Achtelpause geschrieben.
Während das erste Stück mehr nur wie eine improvisierte Einleitung, wie
ein einfacher Lockruf wirkt, besteht das zweite Stück aus zwei Strophen,
deren zweite allerdings stark variiert ist. Das dritte Stück — an Ausdehnung
das längste — besteht aus fünf ebenfalls erheblich veränderten Strophen.
Der Flötist kann sich getrost als fast Ebenbürtiger anderen exotischen
Meistern seines Fachs an die Seite stellen. So viele instrumentale Möglich-
keiten er also nutzt, ihm erscheint die Wahrung der „primär klanglichen“
Struktur seiner Melodik doch wichtiger als eine Überladung durch Verzierun-
gen und Verschleifungen. Überhaupt kann gerade dieses Stück als Muster-
beispiel instrumentaler Melodik einer vorzugsweise klanglich eingestellten
Musikkultur gelten. Jeder Ton, der hier sogar oft unter Verzicht auf jede
melodische Bindung ganz isoliert verwandt wird, ist eine Individualität. Er
existiert nicht gewissermaßen nur In der Notation bzw. nur darum, weil er
als das Ergebnis eines spieltechnisch notwendigen Fland- oder besser Finger-
griifs zugleich als ein Bestandteil einer melodischen Phrase erkannt ist. Sein
Punktwert ist hier mindestens ebenso hoch wie seine lineare Qualität.
An sich ist ein solcher klanglich-melodischer Charakter für jede penta-
tonische Musik wesenhaft, doch gibt es da doch noch graduelle Unterschiede.
Die Melodie etwa eines Gamelanstückes, die innerhalb der pentatonischen
Skala meist stufenweise verläuft — wobei übrigens die Terz als Nachbarton
in ihrer melodischen Funktion der Sekunde gleichzuordnen ist — eine solche
Gamelanmelodie verläuft viel stärker melodisch, ihr linearer Vorwärtsdrang
ist immer noch größer als etwa der des vorliegenden Stückes.
Da tauchen neben Schritten zahlreiche Sprünge auf. Eine Auszählung, bei
der eine motivische Gliederung und die Vorschläge sowie Pralltriller unbe-
rücksichtigt bleiben, ergibt in dem ganzen Stüde 61 Sekunden, 7 kleine Ter-
zen, 13 große Terzen, 34 Quarten, 41 Quinten und 6 Sexten. Da nur Se-
kunden und kleine Terzen als melodische Schritte angesehen werden
Beitrag Reinhard
Tabelle
Beispiel Nr. Phono- gramm Nr. durch: Aufgenon wann? amen wo? Stamm Bezeichnung des Stückes Besetzung Umfang Skala Tonikalage Gerüsttöne Melodische Intervalle Melodieverlauf Rhythmus Takt Form Läi Formteil ige der Formteile Zahl der Tönel Sekunden Tempo M. M. der Zählzeiten M. M. der häufig- sten Notenwerte Dynamik Stimmklang, Singweise
1 8 b Konsul F. Weiß No- vember 1913 Wu-pau-djia (Lolo) Jagdruf und Hundehetzen Mann solo Septime 4 Töne aus Pentatonik zentral Quarte abwärts nur abwärts _ — — mit fallender Melodie decrescendo Kopf- und Brust- stimme je nach Tonhöhe
Am Hofe des Fürsten Pielu, zwei Tagemärsche —
2 1 » « » Lied, gesungen beim Wur- zelsuchen » » Sexte pentatonisch zentral — — Kleinmotive fallend, Groß- motiv steigend m JT33 6/8 Motiv-V arianten Motiv 10 3 mittel, gesteigert 80-88 240-264 mittelstark, gleichbleibend monoton gepreßte, hohe Bruststimme
3 2 a » >> » Gesang zum Zeitvertreib beim Reisigsammeln Quinte 4 Töne aus Pentatonik hoch Unterquarte Quarte und Quinte Haltetöne und wellenförmig ie>die Viertel rfd PI Fl 3/4 und 4/4 2-teilige Strophen mit An- fan gshaltetönen Strophe 24-38 12-16 mittel 76 152 Sforzati bei Haltetönen, sonst mittelstark und all- mählich decrescendo gepreßte, hohe Bruststimme
südöstlich von o Pien Ting in der Prov. Szet- schuan, oder anderswo im —
4 3 » ” ” Gesang des Hirtenknaben, dem der Panther die Ziege gestohlen hat - - Oktave pentatonisch fast zentral — Quarte ab- wärts, Quinte aufwärts wellenförmig, höchster Ton meist am Anfang ^‘faltig, häufig: In J 1 3/4 Große Anfangsgeste, 1 -teilige Strophen, starke Varianten • 10-24 6-11 sehr schnell 126 126 emphatische Einsätze mit Tonhöhe zu- u, abnehmend emphatisch, gepreßte hohe Bruststimme, klingd, Konsonanten
5 4 — >> ” Trauergesang um Verlust d. Maises, den d. Bär gefressen hat im 8. Monat des Jahres » ” Oktave 2 pentat. Reihen, Modulation tief Quarte und auch Quinte Quarte abwärts Haltetöne, wellenförmig, insgesamt abwärts Wensynkopen ( ^ J | ), sonst frei 2-er und 3-er Takte gemischt, rezitativisch 1-teilige Strophen, rezita- tivische Varianten » 13-24 4-10 schnell 8 8 176 Sforzato-Einsätze, sonst wenig differenziert, meist kräftig, laut gepreßte, hell klin- gende Bruststimme
6 9u. 2 b » » « Abschiedsgesang der älteren Septime pentatonisch tief Quarte und Quinte Quarte wellenförmig, insgesamt BJ nj b. melod. Bewegung gerader Takt. 1-teilige Strophen mit charakterist. Schlußmotiv 12-22 5- 9 sehr schnell 132 132 oft Piano-Einsätze, dann crescendo und schließlich gleichförmig bleibend gepreßte, hohe Bruststimme
Chient schang- Gebiet LC1 an tue jüngere abwärts Sonst frei
7 15 » - » Abschiedsgesang Sexte pentatonisch tief abwärts ^ Viertel, gele- , J . ifjdich Achtel und i 4^ 3/4, 4/4 kurze 1-teilige Strophen 10-12 4- 5 sehr schnell 132 132 meist piano, aber auch Sforzati gepreßte, hohe Bruststimme
zwischen O Pien Ting und Ma Pien Ting — —
8 6 — » Brautgesang, auch zu Neu- jahr gesungen Oktave pentatonisch tief Quinte und große Terz Quarte insgesamt abwärts, Halte- töne, gelegentlich Fanfare Viertel, Achtel- und |l° ^Unterteilung meist 4/4, metrisch streng 2-teilige Strophen » 23-43 17-30 schnell 104 Sforzati, sonst mittelstark gepreßte, hohe Bruststimme
. 9 12 b » » « Totenklage Sexte pentatonisch zentral evtl. Sekunde Quarte und auch Quinte abwärts Haltetöne, im übrigen wellenförmig l0^en> meist: Ul f| (4/4) 1-teilige Strophen 13-18 6- 9 schnell 104/108 208/216 laut, aber nicht überschrien gepreßte, hell klin- gende Bruststimme
— —
10 16 — » » Zweigesang, gesungen zum eitvertreib auf den Bergen Zwei Männer abwechselnd Septime 2 erweiterte pentatonische Reihen zentral oder hoch (Sekunde und Quarte) Quarte abwärts sehr betont! wellenförmig, insgesamt aber abwärts 1J ii iil usw. frei, die Triolen beherrschend Wechselgesang, 2-teilige Strophen » 26-42 7-13 schnell M2 224 laut, bei fallender Melodie decrescendo enge, hohe, gepreßte Bruststimme
11 11 ” >> O Pien Ting Wu-pau-djia oder Ahasokachia Drei Flötenstücke Je eine Flöte, ein männl. Spieler Sexte pentatonisch tief Quinte Quarte und Quinte sprunghaft, gezackt Mache Viertel und Achtel meist 4/4 sehr frei variierte Strophen B: Strophe C: stets 25-29 31-54 zunehmende L 9-11 14-20 ängen , „ A u. B 104 schnell c 108 A: 208 B: 104 C: 108 laut und scharf, aber entspr. der notwendigen An blas- stärke ab- und zunehmend —
12 13 ” » siehe oben Wu-pau-djia (Lolo) hiitation d. Flötengesanges Mann solo Undezime pentatonisch tief Sekunde und Quinte Quarte und Quinte wellenförmig aber auch Sprünge, Fanf. Haltetöne ¿■r. verschieden, meist folen 3/4 Und 4/4 stark variierte 3-teilige Strophen Strophe 59-77 26-29 zwischen schnell und sehr schnell schwankend 126/100/132/96/132 252/200/ 264/(384)/ 264 Haltetöne laut, sonst ent- sprechend der Tonhöhe ab- und zunehmend enge, hohe, gepreßte Bruststimme, zum Teil Falsett
13 8 a ” » - » Zwei Maultrommelstücke Maultrommel Sexte pentatonisch — — — wellenförmig ^fache Achtel wahrscheinlich 4/4 und 3/4 — — — — schnell 104 208 äußerst leise —
.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
209
können, haben wir also insgesamt nur 68 Schritte gegenüber 94 Sprüngen
in dieser Melodie. Und das, obwohl sie einen Umfang von nur einer Sexte
hat, man also eine mehr wellenförmige Linienführung erwarten könnte.
Der Eindruck der melodischen Statik verstärkt sich noch durch das stän-
dige Berühren des g. Manchmal wirkt das fast wie ein perforierter Orgel-
punkt, so beispielsweise besonders bei den Vorschlägen im drittletzten Takt
der dritten Strophe und an der analogen Stelle der vierten Strophe.
Beispiel 12. „Imitation des Flötengesanges. Der Sänger imitiert auf
einem Stück Holz die Flöte“ (Phon. 13).
J - ne
Auch dieses Stück ist hier vollständig wiedergegeben, da es nicht allein
sehr reizvoll ist, sondern da es auch Zeugnis davon ablegt, daß und in
welcher Weise ein relativ primitives Volk wie die Lolo sich des Unter-
schiedes zwischen vokaler und instrumentaler Melodik bewußt ist. Dieses
Stück ist nämlich alles andere als ein reines Gesangstück. Auf der einen
Seite werden Flötenmanieren, z. B. Triller, nachgeahmt, auf der anderen
Seite ist der melodische Duktus ganz ähnlich wie in dem vorigen Beispiel,
d. h. Sprungintervalle, ja fanfarenartige Gebilde sind häufig. Eine primär
14 Baeßler III
210
Reinhard, Die Musik der Lolo
melodische Linienführung kommt aber auch zu ihrem Recht. Das ist der
vokal geforderte Anteil des Stückes, ebenso wie die gelegentliche Textierung
neben der gewöhnlichen Vokalisierung auf a und i.
Ebenso frei wie die Bildung verschiedenartiger rhythmischer Gruppen,
unter denen die Triolen vorherrschen, ist auch die Form. Nur an Hand der
Haltetöne und der durch sie gegebenen Zäsuren läßt sich erkennen, daß auch
hier wieder eine Strophenform, und zwar eine dreiteilige, vorliegt.
Beispiel 13. „Zwei Maultrommelstücke“ (Phon. 8a).
1. Stück J lofc
Z.Shlck J efwo 10V
Diese beiden kurzen Stückchen sind auf der Walze so leise18, daß sie im
Zusammenhang nicht übertragen werden konnten. Zu hören sind lediglich
der für Maultrommelmusik typische rhythmisch unprofilierte Ablauf in
Achteln, ein paar Motive und die ihnen zugrunde liegende Leiter. Diese
Symptome genügen, den Eindruck chinesischer Musik zu erwecken. Welcher
der beiden bei Müller (vgl. Anm. 3) beschriebenen und abgebildeten Maul-
trommeltypen aus der Sammlung Weiß für unsere Aufnahme gespielt wor-
den ist, läßt sich nicht feststellen.
An Stelle einer längeren Zusammenfassung werden hier zunächst in einer
Tabelle alle für unsere Beispiele typischen Merkmale zusammengestellt. Die
einzelnen Spalten bedürfen kaum einer Erläuterung. Nur zu einigen Frage-
stellungen, die in den Analysen wenig oder gar nicht gestreift wurden, ist ein
Wort vonnöten.
Bei der Betrachtung der Skala wurde auf einen Vergleich der Modi inner-
halb der Pentatonik verzichtet. Dafür erschien es interessanter, die Lage der
Tonika innerhalb der Gebrauchsskala aufzuzeigen.
Neu ist die Untersuchung der Längen der Formteile. Es lassen sich daraus
hier noch keine unmittelbaren Schlüsse ziehen, da das Vergleichsmaterial fehlt,
aber irgendwo muß ja einmal ein Anfang gemacht werden. In jedem Falle
dürfte eine solche Untersuchung sehr fruchtbar sein, da sie allein etwas über die
18 Schon Weiß vermerkt auf seiner Liste: „8.1.) Maultrommel, sehr leise.“
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
211
Spannweite des musikalischen Atems aussagen kann. Auf die Floskelhaftigkeit
und die improvisatorische Variierkunst der Exoten wird mit Recht immer
wieder hingewiesen. Übersehen wird dabei aber nur allzuoft die tatsächliche
Größe der größten in sich geschlossenen Formeinheit. In den meisten Fällen
wird dies eine ganz gleich wie geartete Strophe sein, die dann variiert wieder-
holt wird. Und hier muß einmal eine besondere Untersuchung einsetzen, zumal
sich damit ein bisher nicht sonderlich beachtetes musikalisches Merkmal er-
schließen läßt. Abgesehen von den langen Fortspinnungstypen etwa der ost-
asiatischen oder malaischen Musik, werden sich auch unter den geschlossenen
Formen Beispiele größerer Ausdehnung finden, möglicherweise als Produkte
einer höheren Musikkultur, während beispielsweise kurze Motivvarianten viel-
leicht ein Zeichen von Primitivität sind. Ob diese Vermutung wirklich zutrifft,
muß noch dahingestellt bleiben, sie sollte hier nur quasi hypothetisch ein mög-
liches Ergebnis der aufgeworfenen Frage andeuten.
Gemessen wird diese Länge nach der Zahl der Töne, die mit der musikali-
schen Intensität in Beziehung steht, und rein zeitlich nach Sekunden. Letzteres
steht mit ersterem in Wechselwirkung und zeigt zugleich die absolute Dauer
an, die musikalisch in einem Bogen überspannt bzw. „in einem Atem“ ausgefüllt
wird.
Die zeitliche Wertgröße kann nicht genau angegeben werden, da den
Phonogrammen — wie schon erwähnt — der Stimmton fehlt. Es gibt also
keinen verläßlichen Anhalt für die Laufgeschwindigkeit. Daß dadurch auch
die notierten absoluten Tonhöhen sowie die Tempoangaben nur relative Be-
deutung erhalten, muß der Vollständigkeit halber betont werden. Allerdings
dürfte andererseits die gewählte Einstellung nicht so sehr von der tatsächlichen
Situation abweidien, daß nicht auch entsprechende Untersuchungen, wie bei-
spielsweise die später vorzunehmende Erörterung von Tempoproblemen, mit
einem gewissen Rechte durchgeführt werden könnten.
Die Unvollkommenheit phonographischer Aufnahmen bedingt es, daß auch
die Angaben über Dynamik, Stimmklang und Singweise nur mit Einschränkung
richtig sind.
Wenn nun noch auf ein paar hervorstechende Merkmale der Lolo-Musik
hingewiesen wird, so mag damit zugleich der Versuch verknüpft sein, Ähnlich-
keiten oder Unterschiede zu möglicherweise verwandten Musikkulturen auf-
zuzeigen.
Die Titel und die daraus hervorgehenden Verwendungszwecke der Stücke
bieten nichts Besonderes. Es fällt lediglich auf, daß sich — von der Totenklage
abgesehen — unter den Stücken keine Kultlieder finden. Sie sind zweifellos
vorhanden, und nur die Zurückhaltung der Leute, die das Ehepaar Weiß
212
Reinhard, Die Musik der Lolo
besuchte, mag Schuld daran haben, daß die Sammlung keine Kultlieder ent-
hält. — Arbeitslieder, die keine rhythmische Bindung mehr aufweisen, sondern
schon mehr unterhaltend wirken sollen, sind hier ein erster Beleg, daß wir
es nicht mehr mit einer vollends primitiven Kultur zu tun haben. Das gleiche
gilt für die reinen Instrumentalstücke und besonders für die Selbstverständ-
lichkeit, mit der bereits wieder vokal solche Instrumentalmusik nachgeahmt
wird. Die große Zahl rezitativischer Lieder oder — besser gesagt — nur wenig
melodischer Rezitative bzw. gehobener Sprachstücke darf ebenfalls nicht als
Primitivstadium gedeutet werden. Von zahlreichen entfernteren Parallelen ab-
gesehen, bietet ja gerade die chinesische Musik und da vornehmlich die Theater-
musik genügend Beispiele sehr hochgezüchteten, der Musik genäherten Musi-
zierens. Und schließlich sind solche Mischformen bei einem Volke mit einer
Tonsprache gar nichts Überraschendes.
Ob aus der Tatsache, daß unsere Walzen nur von Männern besungen
wurden, musiksoziologische Schlüsse zu ziehen sind, mag dahingestellt bleiben.
Ebenso interessant ist in diesem Zusammenhang aber der Umstand, daß nicht
die Adligen singen, die zu musischen Beschäftigungen viel mehr Zeit hätten,
sondern die „Weißknochen“. Musikausübung ist bei den Lolo also durchaus
noch, wie in den meisten feudalistischen Staatsgebilden, Sache der dienenden
Klassen, das Musikhören aber Sache des Adels, der das Musizieren gewisser-
maßen nur anzuordnen braucht. — Wenn nun der Stil der unserer Betrachtung
zugrunde liegenden Stücke gewisse Gegensätze zum Wesen der chinesischen
Musik zeigt, obwohl die Lolo-Unterschicht stark sinlsiert sein soll, so läßt sich
folgern, daß diese Unterschiede ursprünglich noch größer gewesen sind.
Die häufige Verwendung des Falsetts führt nicht zu einer Erweiterung des
Umfangs der Melodien, man falsettiert offenbar wie bei den Chinesen mit dem
Ziele der Stimmverfärbung. Der Umfang schwankt zwischen Quinte und
Undezime und beträgt im Durchschnitt eine Septime. Erstaunlicherweise hat
nicht eines der Flötenstücke die größte Reichweite. Offenbar wurden diese
Aufnahmen, die eine Sexte nicht überschreiten, von verhältnismäßig einfachen
Flöten gemacht, während andere Flötenstücke, wie die gesungene Imitation
zeigt, sonst einen größeren Umfang zu haben scheinen.
Daß alle Stücke pentatonische Skalen haben, weist die Lolo-Musik durch-
aus als im ostasiatischen Bereich beheimatet aus. Der daraus zu folgernde,
primär klangliche Charakter dieser Musik wird durch die Gerüsttöne bestätigt.
Hier überwiegt die Quinte, ihr folgt, in manchen Fällen sogar nicht mit
Sicherheit feststellbar, die Quarte. Nur einmal spielt die Terz eine Rolle,
während auch die Sekunde neben zwei nur mutmaßlichen Vorkommen uns nur
einmal sicher begegnet und auch da keine Schlüsse auf eine distanzmäßige Bil-
dung der Skala zuläßt.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
213
Der primär klangliche Charakter der Lolo-Musik wird vollends durch die
Betrachtung der melodischen Intervalle bestätigt. Und hier zeichnet sich zugleich
ein selbständiger Stil gegenüber etwa der umgebenden chinesischen Musikkultur
ab. Nicht, daß uns in der chinesischen Musik keine melodischen Intervalle be-
gegneten, in unseren Beispielen sind diese aber noch ausgeprägter. Neben fünf
Stücken, in denen die Quinte als melodisches Intervall auftritt, stehen zehn
Stücke mit melodischen Quartsprüngen. Das ist kein Zufall, sondern zweifellos
eine ausgeprägte stilistische Eigenart. Bezüglich dieser Quartbevorzugung ist
ein Vergleich mit der koreanischen Musik durchaus am Platze. Beachtet man
dazu ferner noch, daß die Quarte häufig als fallendes Intervall vorkommt
(vgl. Beisp. 1, 4, 5, 6 und 10), so wird man ganz unbefangen an indianische
Melodiebildung erinnert. Hinzu kommt, daß der naive Gehörseindruck auch
im Stimmklang, in häufig emphatischer und pathetischer Singweise denselben
Vergleich aufzwingt. Ich bin weit davon entfernt, aus solchen zunächst frap-
pierenden, im ganzen gesehen aber doch verhältnismäßig spärlichen Überein-
stimmungen irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Sie aus der Erkenntnis heraus,
daß der Stimmklang bei Phonogrammen ohnehin meist uniformiert wird, ganz
zu übergehen, verbietet aber die wissenschaftliche Akribie. Interessant ist aller-
dings, daß auch Legendre auf eine psychische Verwandtschaft zwischen den Lolo
und den amerikanischen Eingeborenen hinweist19. — Denkbar wäre — auch
das sei nur hypothetisch zur Debatte gestellt —, daß die genannten Symptome
bei den Lolo wie bei den Indianern ein musikalisches Relikt aus der Zeit dar-
stellen, in denen beide möglicherweise den nordasiatischen Raum verließen.
Die „Tonikalage“ muß im Zusammenhang mit dem Melodieverlauf be-
trachtet werden. Daß die Tonika in 6 von 12 Fällen im verwendeten Skalen-
ausschnitt (= Umfang) tief liegt, entspricht dem häufig abwärtsgerichteten
Melodieverlauf einzelner Phrasen oder ganzer Strophen. Es läßt auf eine auch
sonst beobachtete Ursprünglichkeit des Musikstils der Lolo schließen. Aller-
dings stehen dem viele wellenförmige und einzelne sogar aufwärtsgerichtete
oder zumindest bogenförmige Melodiegebilde gegenüber.
Auffallend oft begegnen Haltetöne, teils in der Mitte, teils am Ende, häu-
figer aber am Anfang. Hier läßt sich die einzige Parallele zur Musik birmani-
scher Völker ziehen, auf deren rassische Verwandtschaft einige Ethnologen
hinweisen. Insbesondere bei den nordöstlich des am mittleren Irrawaddy ge-
legenen Mandalay wohnenden Palaung konnte ich ähnliche Erscheinungen fest-
19 A. F. Legendre, The Lolos of Kientchang, Western China, Ann. Rep. Board
Regents Smithsonian Inst. 1911, S. 569—586. Auf S. 573 heißt es dort: „He (der
Lolo) displays all the atuteness, all the strategy, of the red man, which he
resembles in many respects.“
214
Reinhard, Die Musik der Lolo
stellen20. Dieser Übereinstimmung weiter nachzugehen, hieße allerdings, eine
Verwandtschaft um jeden Preis nachweisen zu wollen. Die Haltetöne begegnen
ja ebenso beispielsweise bei vielen Hirten- und Steppenvölkern Asiens, ihr
Vorkommen bei dem Hirtenvolk der Lolo bedeutet also nichts Besonderes.
Rhythmus und Takt lassen sich nicht immer voneinander trennen. Die häu-
fig auf tretenden Triolenbildungen bestimmen gelegentlich, wenn auch nur
streckenweise, die Taktart 6/s. Besondere rhythmische Komplikationen gibt es
nirgends. Am häufigsten findet sich ein lebendiger Wechsel von Viertel- und
Achtel werten. Wo sich eine Taktart eindeutig festlegen läßt, ist es nicht immer
ein gerader Takt, denn mehrfach findet sich auch der 3Ai-Takt. Dieses sowie
die häufigen Triolen sind ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber der
chinesischen Musik.
Die einfachste Formbildung, eine strophig wiederholte Zeile, überwiegt
unter unseren Beispielen. Rechnen wir die eigentlich nur aus einem Motiv be-
stehenden Zeilen des Beispieles 2 zu den einteiligen Strophen, so haben wir
7 Stücke mit einteiligen Strophen gegenüber 3 mit zweiteiligen Strophen und
nur einem dreiteiligen Stück. Der musikalische Atem ist also verhältnismäßig
kurz, was durch die Betrachtung der tatsächlichen Längen der Formteile be-
stätigt wird. Trotz der relativ großen Höchstlänge von 30 Sekunden liegt der
Durchschnitt der Längen bei knapp 12 Sekunden, da auch Motive von 3 Sekun-
den Vorkommen. Solche Kürzen kennt vergleichsweise das europäische Volks-
lied nicht, seine Längen liegen aber auch keineswegs um ein Vielfaches über dem
hier errechneten Mittelwert.
Oft bedingt das Variantenprinzip eine stets wachsende Länge der Strophen
(Beispiel 11). Die größte musikalische Reichhaltigkeit (Zahl der Töne) weist
Beispiel 12 auf. Auch hierin scheint die „Imitation“ eine naheliegende Eigen-
schaft der Instrumentalmusik festzuhalten, während das voraufgehende echte
Flötenstück hinter dieser Länge doch noch um einiges zurückbleibt.
Zur objektiven Feststellung des Tempos wurde wie gewöhnlich nach M. M.
die Anzahl der Zählzeiten pro Minute angegeben, dazu eine der Tempobezeich-
nungen „Sehr langsam“ (M. M. 36—47), „Langsam“ (48—62), „Mittel“
(63—82), „Schnell“ (83—109) und „Sehr schnell“ (HO—144). Dabei wurde
M. M. 72 als Normaltempo, seine Verdoppelung als Höchstgrenze und die
Halbierung als unterste Grenze angenommen21. Abgesehen davon, daß in unse-
rem Falle nur mittlere, schnelle und sehr schnelle Tempi verkommen, sind
20 Kurt Reinhard, Die Musik Birmas. 1939. Bcisp. 36 und 37.
21 Ob allerdings das Tempo M. M. 72 über den abendländischen Bereich hinaus auch
in der exotischen Musik als Mittelwert angesehen werden darf, muß zumindest so
lange dahingestellt bleiben, wie nicht entsprechende systematische Untersuchungen
vorliegen.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
215
solche Angaben doch unzulänglich, da die musikalische Intensität, die rhyth-
mische Belebung innerhalb der Zählwerte einen subjektiv völlig anderen Ein-
druck vermitteln können. Ein Versuch, dem gerecht zu werden, ist in der
folgenden Spalte niedergelegt. Die dortigen M.M.-Zahlen beziehen sich auf die
am meisten vorkommenden Notenwerte. Wo also nicht die Zählzeiten selbst,
d. h. meist die Viertel oder punktierten Viertel, die rhythmische Bewegung be-
stimmen, sondern ihre zwei- oder dreifachen Unterteilungen, wurde die M.M.-
Zahl entsprechend verdoppelt oder verdreifacht. Danach weist das Wurzel-
sucherlied (Beispiel 2) das lebendigste Tempo auf, ihm kommen bezüglich der
Intensität nur noch einzelne Teile der Flötenimitation (Beispiel 12) gleich.
Die hier versuchte Deutung des Tempos als einer nicht nur in einer Weise
meßbaren Eigenschaft der Musik ändert jedoch nichts an der Abhängigkeit des
Grundtempos von menschlichen Körperfunktionen. Betrachten wir unter diesem
Gesichtspunkt die M.M.-Zahlen der ersten Spalte, so suchen wir zunächst ver-
geblich nach einem dem etwa durchschnittlichen Pulsschlag nahekommenden
Tempo. Auffällig ist lediglich das häufige Vorkommen von Metronomzahlen
zwischen 104 und 108. Das Durchschnittstempo der entsprechenden Stücke
(8, 9, 11 und 13)22 beträgt M. M. 105. Dieses ließe sich aber gewissermaßen als
proportio tripla auffassen, also als das Eineinhalbfache eines „Normal-Tempos“
von 70 Schlägen pro Minute, die durchaus dem Pulsschlag der Lolo entsprechen
könnten23. Daß dieses Tempo selbst nicht vertreten ist, mag an der geringen
Zahl der verfügbaren Beispiele liegen. Die annähernd gleich schnellen Stücke
(2, 3 und 5)21 haben ein Mittel von 83 M. M. Bedenkt man dazu noch, daß
mangels eines Stimmtones unsere Tempoangaben nur Annäherungswerte dar-
stellen, so darf doch — mit dem notwendigen Vorbehalt natürlich — vom Vor-
handensein eines von M. M. 72 nicht weit entfernten Normaltempos gesprochen
werden. Vergleicht man schließlich noch das Durchschnittstempo der bisher nicht
herangezogenen Stücke (4, 6, 7, 10 und 12)21, das 124 beträgt, so haben wir hier
tatsächlich die Proportion 2 : 3 zu dem „Normal-Tempo“ 83, ein Faktum, das
durch seine Unabhängigkeit vom absoluten Tempo besonderen Wert hat.
Dynamik und Stimmklang, die sich bei phonographisch aufgenommener
Musik nur bedingt untersuchen lassen, hängen in ihren Impulsen oft eng zu-
sammen. Eine gepreßte schrille Stimme beispielsweise wird meist auch im Forte
klingen. Interessanter als dieses sind jedoch bezüglich der Dynamik die relativen
22 Dabei wurden für die im Tempo schwankenden Stücke die Durchschnittswerte
zugrundegelegt. Beisp. 2: M. M. 84, Beisp. 9: M. M. 106, Beisp. 12: M. M. 116.
Für Beisp. 11 wurden zwei Stücke gerechnet (A und B als ein Stück und C).
23 Das würde ein paralleles Ergebnis zu den neueren, u. a. von Walter Gerstenberg
durchgeführten Tempountersuchungen an europäischer Musik darstellcn, bei denen
sich etwa die Tempi 72 und 108 herauskristallisieren.
I
216 Reinhard, Die Musik der Lolo
Stufungen. Die natürliche dynamische Bewegung, crescendo bei steigender,
decrescendo bei fallender Melodie, findet sich deutlich in vier Fällen (Beispiel 1,
4, 10 und 12). Formgliedernde Bedeutung haben das crescendo zu Anfang der
Strophen in Beispiel 6 und das Schlußcrescendo in Beispiel 3. Neben einem
forte der Haltetöne (Beispiel 12) begegnet auch ein Sforzieren der Haltetöne
(Beispiel 3). Häufiger noch sind aber die emphatischen und Sforzato-Einsätze
(Beispiel 4, 5, 7 und 8). Irgendwelche Besonderheiten der dynamischen Gestal-
tung lassen sich in keinem Falle nachweisen.
Anders der Stimmklang. Hier fällt zunächst der große Unterschied zur
chinesischen Singweise (zumindest des Kunstgesangs) auf. Fistel-, Falsett- und
Kopfstimme werden weniger oft verwandt als die, wenn auch hohe und ge-
preßte Bruststimme. Der Stimmklang der Wu-pau-djia hat aber auch noch eine
andere, nicht definierbare Eigenart, eine Färbung, die gelegentlich — wie schon
erwähnt — sehr stark an Singweisen der Indianer erinnert. Die schon bei der
Betrachtung der melodischen Intervalle aufblitzende Parallele findet hier noch
einmal ihren Widerhall, und, wenn man will, sogar bei den vorhin erwähnten
emphatischen Sforzati.
Vielleicht sind diese Parallelen aber nur auf die Tatsache zurückzuführen,
daß sich in der Musik der Lolo und in der Musik der Indianer Reste eines
urtümlichen, naturnahen Musizierens finden, wie es einmal der asiatisch-ameri-
kanischen Urbevölkerung eigen war. Mehr läßt sich aus dem vorliegenden
Material nicht schließen, zumal nicht mit jeder einzelnen Erscheinung schon
Vergleiche angestellt und daraus oft fragwürdige Schlüsse gezogen werden
sollen. Abschließendes über die Musik der Lolo kann erst eine Untersuchung
bringen, die sich auf umfangreicheres Material zu stützen vermag.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
217
PYRAMIDEN IN POLYNESIEN
HANS NEVERMANN, Berlin
Das Recht zum Tragen eines Gürtels mit roten oder gelben Federn (maro-
ura oder maro-tea), das einen Adligen zum regierenden Häuptling machte, war
in den einzelnen Bezirken von Tahiti und seinen Nachbarinseln daran geknüpft,
daß er ein erbliches Recht auf einen Berg, ein Kap, einen Sammelplatz und
einen Tempelplatz (marae) in seinem Bezirk nach weisen konnte. Die marae
haben daher neben ihrer religiösen Bedeutung auch stets eine genealogische
Funktion gehabt. Sie durften nie ohne weiteres gegründet werden, sondern bei
der Errichtung eines neuen marae mußte dessen Rechtmäßigkeit und Bedeutung
dadurch bewiesen werden, daß in ihn ein Stein aus einem alten marae der
regierenden Familie überführt wurde.
Der marae des Ahnherrn der tahitischen Adelsfamilie Teva hieß Mataoa
und lag bei Vaiari im Bezirk Papara, Davon wurde auf diese Weise der marae
Taputuarai im Kreise Amo und von ihm aus wieder der marae Tooarai, beide
ebenfalls in Papara, gegründet. Rechtmäßiger Herr von Tooarai war der
Häuptling Tevahitua, der um 1720 geboren war und Te vahine Airorotua
heiratete, die den Beinamen Purea erhielt und in den Berichten der Entdeckungs-
zeit als Oberea oder Oberiea genannt wird. Als beider Sohn Teriirere um 1762
geboren wurde, dankte sein Vater Tevahitua nach alter Sitte zugunsten seines
Thronerben ab und nahm den Namen Amo (bei den Entdeckern Oamo) an.
Während seine Macht dadurch sank, nahm die der ehrgeizigen Purea damit zu,
die als Häuptlingsmutter nun beschloß, Teriireres Macht und zugleich die der
gesamten Familie erheblich zu steigern. Teriirere sollte seine Würde nicht nur
von dem kleinen marae Tooarai, sondern von einem weit eindrucksvolleren
marae ableiten können. Daher ließ sie in unmittelbarer Nähe des marae Tooarai
den Bau des marae Mahaiatea beginnen, der alles bisher in Polynesien Da-
gewesene in den Schatten stellen sollte1.
Auch auf die europäischen Besucher Tahitis hat das Bauwerk einen nach-
haltigen Eindruck gemacht. Wir besitzen von ihm zwei Beschreibungen, die eine
von Cook, der am 29. Juni 1769 Amo und Purea in Papara besuchte und hier
Mahaiatea besichtigte, und die andere von James Wilson von dem Missions-
schiffe „Duff“, der am 17. Juli 1797 „the great moral of Oberea“ sah, und
dessen Werk auch ein Stich des marae beigegeben ist. Das Bauwerk war danach
eine längliche Stufenpyramide von 267 X 87 Fuß (Cook) oder 270 X 94 Fuß
1 AriiTaimai: Denkwürdigkeiten. Hamburg 1923, S. 31 u. 43.
218
Nevermann, Pyramiden in Polynesien
(Wilson) Grundfläche, die in elf bzw, zehn Stufen bis zu einer Höhe von 44
bzw. 51 Fuß anstieg. Jede dieser Stufen bestand aus einer Lage von behauenen
großen Korallenblöcken und einer darüber gepackten Lage von kleineren Stei-
nen ohne irgendeinen Mörtel2.
Ein tahitisches Lied preist diese Stufenpyramide:
„Sieh Mahaiatea an!
Zwei Gebirge besitzt Papara:
Eins ist der Berg Tamaiti;
Das andere ist Mahaiatea.
Womit könnte man solchen Bau vergleichen?
Ein von Stufen umgebener marae ist Mahaiatea,
Felsen vergleichbar, die sich erstrecken,
Damit man hinaufklettert.“3
Die Worte „ein von Stufen umgebener marae“ lauten im Tahitischen
„e marae ahu ati“. Dabei kann ahu einfach „aus Steinen aufgeschichtet“ be-
deuten wie auch „steinerner Altarbau“ oder „Begräbnisplattform“. Nach Arthur
Baessler4 war der Bau denn auch tatsächlich kein echter marae, sondern die
oberste Plattform soll eine ausgemauerte Grabkammer aufgewiesen haben, in
der später Teriirere beigesetzt werden sollte. Sollte das nicht stimmen, so war
Mahaiatea wenigstens ein ahu in dem Sinne, daß der riesige Steinbau der über-
groß geratene Altar eines marae, d. h. eines offenen, nur von einer Steinmauer
umschlossenen Kultplatzes war. In einem anderen, von Arii Taimai überlieferten
Gedichte5, das kriegerische Ereignisse in Papara schildert, die 1768 stattfanden,
wird ausdrücklich gesagt: „Es sammelt sich die Menge nun an dem Steinhaufen
(patu ofai — Mauer aus auf geschichteten Steinen) am marae von Mahaiatea
(ite marae i Mahaiatea)“. Damit ist gesagt, daß der marae von Mahaiatea aus
dem von einer Steinmauer umschlossenen Kultplatz, der Cook und Wilson
nicht besonders erwähnenswert erschien, einschließlich der Stufenpyramide be-
stand, die als Altar oder Grabbau den ahu des marae bildete. Daß die ehr-
geizige Purea eher beabsichtigte, für ihren Sohn Teriirere und dessen Nach-
kommen ein alles überragendes Familienheiligtum zum Nutzen ihrer Dynastie
zu bauen als nur eine Stätte, an der später einmal nach seinem Tode ihm ganz
alleine ein Kult gewidmet sein sollte, ist sehr wahrscheinlich, und wenn auch
ihre Pläne nicht glückten, so war die Pyramide doch wohl zunächst der Altar
2 James Wilson: A Missionary Voyage. London 1799, S. 207 f. m. Taf. —
Arii Taimai, S. 69 f.
3 Teuira Henry : Tahiti aux temps anciens. Paris. 1951, S. 147 f.
4 Arthur Baessler: Neue Südsee-Bilder. Berlin 1900, S. 130.
5 Arii Taimai, S. 61 f.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III 219
des marae. Jedenfalls ist weder Teriirere noch ein anderer Fürst hier beigesetzt
worden.
Samuel Wallis, der Entdecker Tahitis, wurde von Purea am 11. Juli 1767
in Matavai im Bezirk Flaapape begrüßt. Als dann im April 1768 Bougainville
in Fiitiaa ankerte, erschienen weder Purea noch Amo, da beide in Papara mit
Vorbereitungen zur Weihe des marae von Mahaiatea beschäftigt waren. Ob diese
Weihe stattgefunden hat, wissen wir nicht. Der Bau selbst war zwar vollendet,
aber anderen Häuptlingen war das Machtstreben der Purea so verdächtig und
bedrohlich vorgekommen, daß die Thronprätendentin Purahi und der Häupt-
ling Vehiatua von Taiarapu („Klein-Tahiti“) ein Heer nach Papara sandten.
Amo, Purea und Teriirere konnten zwar nach Haapape flüchten, doch wurde
ganz Papara verwüstet, so daß alle Häuser verbrannt und alle Schweine ge-
raubt wurden. Noch 1769 fand Sir Joseph Banks die Umgebung des marae
Mahaiatea mit den Gebeinen der Erschlagenen bedeckt.
Die Kriegsmacht von Papara war damit gebrochen und die Gefahr einer
Suprematie über die übrigen Bezirke gebannt. Der siegreiche Vehiatua zwang
Amo und Purea, die Abdankung des minderjährigen Teriirere auszusprechen
und als Thronfolger Tu-nui-ea-i-te-atua anzuerkennen, der später unter seinem
Kurznamen Tu (Otoo der Engländer) oder seinem späteren Namen Pomare es
verstand, sich vom Distriktshäuptling zum Diktator ganz Tahitis aufzuschwin-
gen. Die alte Häuptlingsfamilie von Papara wurde zwar am Leben gelassen,
aber als Cook am 21. Juni 1769 von Amo und Teriirere (damals etwa 7 Jahre
alt) in der Matavai-Bucht besucht wurde und er bald darauf auch Purea in
Papara kennen lernte, waren alle drei nur noch ihres Adels wegen geehrte,
aber politisch machtlose Leute6.
Der marae Mahaiatea scheint damals schon etwas verfallen gewesen zu sein,
wie Cook berichtet, der außerdem bemerkt: „Oben darauf stand in der Mitte
ein aus Holz geschnitzter Vogel, nahe dabei lag ein zerbrochener, aus Stein ge-
meißelter Fisch.“ Er und seine Begleiter hielten zwar jeden marae irrtümlich
für einen Begräbnisplatz, aber von einer Grabkammer erwähnt er nichts. Unter
Tus Regierung, der sich als Usurpator unberechtigt als Herrn von Mahaiatea
bezeichnete, scheint der Verfall weiter fortgeschritten zu sein. Nach A. Baessler7
sollen die Steine 1865 von der Tahiti Cotton and Coffee Company zu Kalk
für ihre Bauten verbrannt worden sein, während Teuira Henry8 die Zer-
störung auf die Entnahme von Steinen für einen Brückenbau durch einen
Pflanzer in demselben Jahre zurückführt, obwohl die Nachkommen der Häupt-
6 A r i i T a i m a i, S. 63 u. 71 f.
7 Baessler a. a. O., S. 147 f.
8 Henry, S. 148.
220
Nevermann, Pyramiden in Polynesien
linge von Papara Einspruch erhoben. Auch Herr und Frau Salmon als Nach-
kommen der Teva-Familie bestätigten mir das 1934, meinten jedoch, der
Brückenbauer sei ein französischer Gendarm gewesen. Jedenfalls sind von dem
stolzen Bau alle behauenen Kalksteine verschwunden, und nur noch ein un-
regelmäßiger Haufen kleinerer Steine zeugt von der alten Pracht, die nur ein
Jahrhundert gedauert hat.
Ein Vergleich mit kleineren ahn der marae von Tahiti zeigt, daß die Form
einer Stufenpyramide nur gewählt wurde, um dem Aufbau einen sichereren
Halt zu geben. Die behauenen Korallenblöcke als Grundlage jeder Stufe waren
dazu bestimmt, ein Herabrutschen der Packung kleinerer Steine zu verhindern,
das sonst früher oder später unvermeidlich geworden wäre, etwa bei schweren
Regengüssen. Kleinere ahn von Tahiti, Moorea und Porapora sind dagegen
ohne Stufen ganz aus Steinen ohne Bindemittel aufgeschichtet und haben die
Gestalt eines länglichen Pyramidenstumpfes. Man merkt zwar das Bestreben,
die Seiten möglichst steil zu machen, aber auch die Unmöglichkeit, dies Vor-
haben im gewünschten Maße durchzuführen. So stelle Baessler9 beim ahu des
marae Nuurua im Bezirk Haapiti auf Moorea fest, daß bei einer Länge von
20 und einer Höhe von 4 m die Breite unten 6, oben aber nur noch 1 m betrug.
Ähnlich fand ich die Maßverhältnisse beim marae Ahui im Bezirk Pueu in
Taiarapu, der bei 4X15 Schritten Grundfläche und 2 m Höhe oben nur knapp
1 m breit war, und bei dem noch leidlich gut erhaltenen marae Arahurahu im
Bezirk Paea, den ich auf 12 X 4 m Grundfläche bei 3Ü2 m Höhe für oben noch
IV2 m breit schätze, so daß auf der flachen Oberseite an einem Ende durch
besondere Anordnung der Steine eine Vertiefung von etwa 1 m Durchmesser
Platz hat, die nach Angaben der heutigen Paea-Leute für Opfergaben bestimmt
war. Leider sind die meisten marae und ahn der Inseln in einem so verfallenen
Zustand, daß sie kaum mehr zu retten sind, z. B. der ebenfalls im Bezirk Paea
am Ufer gelegene Ufer-ahn von Papehue, dessen Steine zu Mauereinfassungen
der Straße benutzt wurden.
Über das Alter dieser marae und ahn ist nichts zu erfahren, denn sie ge-
hören nicht zu den berühmten marae. Selbst wenn man Mangel an Pflege und
sogar Zerstörungswut für ihren Verfall verantwortlich macht, so können sie bei
ihrer wenig soliden Bauweise doch kaum sehr alt sein, denn sogar von berühm-
ten und sicher besser gebauten marae wie Mataoa oderTooarai oder demKönigs-
marae Tarahoi nahe Papeete ist nichts oder nur Trümmerhaufen erhalten.
Die großen Korallensteine der Stufen der Pyramide von Mahaiatea lassen
allerdings auch den Schluß zu, daß der Bau von der Konstruktionsart beeinflußt
war, wie sie auf Raiatea, Tahaa und Huahine üblich war. Hier stellte man, um
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Bend III
221
den ahu zu konstruieren, große Platten aus Korallenkalk (ahi) senkrecht um
ein Rediteck auf und füllte den Zwischenraum mit Steinen verschiedener Art,
Korallenbruch und Erde auf. Derartige ahu haben sich noch besonders auf
Raiatea erhalten, vor allem in dem berühmten marae Taputapuatea im Bezirk
Opoa, der als das höchste Heiligtum ganz Polynesiens galt, im marae Tainuu
in Tavaitoa, im marae von Apooiti, zu dem, wie mir versichert wurde, die
Kalksteinplatten eigens aus Porapora geholt wurden, usw. Man konnte nun
auf einem solchen ahu einen kleineren von etwas geringerem Grundriß er-
richten, darauf wieder einen kleineren und so fort, wie es Teuira Henry10 11 ohne
Beschränkung auf die genannten Inseln für die ganze Gruppe der Gesellschafts-
inseln berichtet. Die Zahl der Stufen soll danach 2 bis 10 und ihre Höhe 1 bis
2 m betragen haben, so daß das Ersteigen der oberen Plattform für den Kult
schwer war. Die freiliegenden Enden der Umfassungsplatten fand ich jedoch
in Apooiti und Tainuu über 3 m hoch — ähnlich maß Baessler11 in Taputapuatea
und Tainuu —, und von Andeutungen einer zweiten Stufe ist keine Spur zu
sehen.
Falls diese Konstruktion für Mahaiatea wirklich angewandt worden sein
sollte, müssen die auf den Stufen sichtbaren Steinlagen auf dem Stich bei Wilson
tatsächlich nur ein mehr oder weniger loser Belag der einzelnen Stufen gewesen
sein. Vor allem muß aber das gesamte Bauwerk nicht, wie es anderswo geschah,
mit beliebigem Füllwerk, sondern mit lauter gleichmäßig großen Steinen ge-
füllt gewesen sein, denn von anderem Material oder Spuren einer Erdfüllung
hat sich nichts in den heutigen Trümmern erhalten. So wird man hier doch eher
an eine Umwandlung des eigentlichen Tahiti-Typs aus lose aufgeschichteten
Steinen durch eine Sicherung mit „Querriegeln“ aus Korallenkalk denken
müssen, die dann zur Gestalt der Stufenpyramide führte.
Die Bauart der marae von Temoe (Crescent Island)12 entspricht jedoch der
von Raiatea sehr gut, nur daß hier statt der Erdauffüllung waagerechte
Korallenkalkplatten übereinander hinter den senkrechten Platten aufgeschichtet
sind. So ist man bis zum Bau von drei ahu übereinander gelangt und hat so
eine allerdings sehr längliche Stufenpyramide gebaut. Da die Einwohner von
Temoe Flüchtlinge aus Mangareva waren, kann man annehmen, daß diese
Bauweise auch in ihrer Heimat üblich war. Das Datum der Ankunft der
Mangarevaner auf Temoe kann um 1760—70 angesetzt werden, und zwar
kamen sie auf Flößen. Da jedoch auf Mangareva ursprünglich Doppelboote
bekannt waren, hat es sich hier nur um den Notbehelf einer geschlagenen
10 Henry , S. 140 f.
11 Baessler a. a. O., S. 142 u. 146.
12 Peter H. Buck : Vikings of the Sunrise. New York 1938, S. 204 u. Taf. bei
S. 195.
222
Nevermann, Pyramiden in Polynesien
Kriegspartei gehandelt, und obwohl Beechey im Dezember 1825 aufMangareva
nur Flöße sah, waren Doppelboote doch bis zu dieser Zeit noch durchaus ge-
bräuchlich gewesen13. Das sei ausdrücklich erwähnt, um nicht durch die Kom-
bination von Floß und Stufenbau auf Temoe und Mangareva den Anlaß zu
Vergleichen mit Balsaflößen und amerikanischen Pyramiden zu geben.
Die Annahme, auf Maiden kämen pyramidenartige Bauten vor, hat sich als
ein Irrtum herausgestellt14. Auch die „semi-pyramidal ahus“ der Osterinsel sind
nur bis zu 3 m hohe Abarten der sonst meistens als Plattformen errichteten
ahu und in einer flüchtigeren Weise als diese gebaut. Wo es bei anderen ahu
der Osterinsel erscheint, als lägen hier Vorstufen zu etwas flachen Stufen-
pyramiden vor, da erwecken nur auf den Plattformen liegende flache Sockel-
steine für Statuen diesen Eindruck15.
Ausgesprochene Stufenbauten sind jedoch wieder von den Tonganern er-
richtet worden, um Grabstätten für ihre Könige, die Tui Tonga, zu haben.
Sie liegen auf Tongatabu und sind unter dem Namen langi = Himmel bekannt.
Nachdem bereits Wilson mit einem zuverlässigen Stich auch eine Beschreibung
einer vierstufigen Grabpyramide gegeben hat, sind von Baessler genauere Maße
veröffentlicht worden16 * 18. Danach wechselt die Grundfläche von 37,65 X 26,30 m
bis zu 50 X 42 m, und die aus zwei bis vier Stufen bestehenden sind etwa
2 bis 3,45 m hoch, im Grunde also nur recht flache Pyramiden. Bemerkenswert
ist nur die Größe der behauenen Korallenblöcke, die aber die mancher Steine
in den Plattformen marquesanischer marae nicht erreichen, und die überaus
sorgfältige Arbeit, die sogar L-förmige Ecksteine hervorgebracht hat. Das Alter
dieser langi geht nicht über das 16. Jahrhundert zurück.
Im Gegensatz zu den übrigen polynesischen Pyramiden sind diese Stufen-
bauten ausschließlich Grabstätten, und ihre Form ist auch nach dem Aussterben
der Tui Tonga von der Dynastie Tubou beibehalten worden, allerdings in
abgewandelter Form, die aus den Steinterrassen einen kleinen Grabhügel auf
einem größeren gemacht hat und statt des Korallenkalkes weißen, mit schwarzen
Steinchen in recht vergänglicher Weise ausgelegten Sand verwandte. In kleinem
Maßstabe wurden gelegentlich auch auf Samoa über dem Steinfundament der
13 F. W. Beechey : Narrative of a Voyage to the Pacific, vol. I. London 1831,
S. 142 if. — B u c k , S. 213 f.
14 Buck, S. 143.
15 A. Métraux: Easter Island Sanctuaries (Ethnol. Studies 5). Göteborg 1937,
S. 114 f. — William J. Thomson: Te PIto te Henua. Washington 1891,
Taf. 29—30.
18 Wilson, S. 283 f. m. Taf. — Arthur Baessler: Südsee-Bilder. Berlin
1895, S. 312 if.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
223
Gräber vornehmerer Leute Steinhaufen in länglich viereckiger Form aufgebaut,
die bei hohen Häuptlingen beträchtliche Ausmaße annahmen17.
Soweit man — was für Samoa wohl kaum noch angängig ist — von Pyra-
miden in Polynesien sprechen kann, handelt es sich, ob es nun Grabbauten oder
steinerne Altäre sind, in jedem Falle um Bauten mit länglichem Grundriß und
— von den „Halbpyramiden“ der Osterinsel abgesehen — um Stufenbauten.
Man ist weder zu einem quadratischen oder runden Grundriß noch zu einer
Glättung der Oberfläche gelangt. Nirgends findet sich ein zwingender Anlaß,
die Pyramiden oder pyramidenartigen Bauten Polynesiens von alt- oder neu-
weltlichen Pyramiden abzuleiten oder sie als deren Vorstufe zu betrachten.
Sie scheinen in jedem Falle das natürliche Ergebnis selbständiger Konstruktions-
versuche zu sein, und dort, wo eine zeitliche Einordnung der polynesischen
Stufenpyramiden gelingt, sind sie so jungen Datums, daß die prächtigste unter
ihnen, der marae Mahaiatea, bei der Entdeckung Tahitis noch nicht einmal
eingeweiht war und auch in den übrigen Fällen die Chronologie gegen eine
Verbindung mit der Alten und Neuen Welt spricht. 17
17 W. von B ü 1 o w : Notizen zur Ethnographie, Anthropologie und Urgeschichte
der Malayo-Polynesier. I. A. f. E. XVIII, 1908, S. 159.
'
,
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
225
KNABENSPIELE DER HAUSA
KURT KRIEGER, Berlin
Gemeinschaftsspiele werden gemeinhin von Knaben im Alter von 5 bis
15 Jahren ausgeführt. Soweit sie über 7 Jahre alt sind und dem Vater bei der
Arbeit helfen müssen, spielen sie in den freien Abendstunden oder auf dem
Wege zur Arbeitsstätte, während die jüngeren noch ungehindert den ganzen
Tag zu ihrer freien Verfügung haben.
Im folgenden werden nur die Spiele1 dargestellt, die ohne oder nur mit
wenigen Hilfsmitteln durchzuführen sind. Häufig werden sie von einem Sprech-
gesang der Beteiligten begleitet. Oft spricht ein Knabe vor, und die anderen
antworten im Chor. Inwieweit die Spiele einheimischen Ursprungs sind, aus
den Nachbarländern eingeführt wurden oder gar durch die Schulen Eingang
gefunden haben, ist zur Zeit nicht festzustellen. Alle Gewährsmänner sagten
aus, daß sie auch schon in früherer Zeit gespielt worden seien.
1. K’ayar kiji (Taf. la). Einige Knaben bilden einen Kreis und halten sich
gegenseitig an den seitlich ausgestreckten Armen fest. Einer von ihnen rennt
gebückt so herum, daß er einen der Knaben im Kreisinnern, den Nachbarn
außen, den Nächsten wieder innen usw. passiert. Nach einigen Runden bleibt er
unvermutet bei einem stehen, der dann in derselben Weise kreisen muß, wäh-
rend sich der erste einreiht usw.
2. ’Dan sansarmi. Einige Knaben bilden einen Kreis. Einer von ihnen bückt
sich nach vorne. Sein linker Nachbar steigt ihm auf den Nacken, bleibt aber
nicht oben sitzen, sondern rutscht nach vorn hinunter. Das Spiel wird reihum
fortgesetzt.
3. ’Dam ’haidu. Es wird ein Kreis gebildet. Alle Beteiligten fassen sich an den
Händen und laufen im Kreis. Sie versuchen dabei, ihren Nachbarn mit den
Füßen zu stoßen, bis sie alle umfallen,
4. Die Knaben1 stehen im Kreis und halten sich gegenseitig mit den seit-
wärts ausgestreckten Händen, indem sie jeweils die Oberarme ihrer beiden
Nachbarn umfassen. Einer beginnt mit einem Überschlag nach rückwärts, bis er
mit den Füßen den Boden berührt, um sich dann wieder nach vorn bis zum
1 Beobachtet in der Provinz Sokoto (Anka District) auf einer 1952/53 im Aufträge
des Berliner Museums für Völkerkunde mit Unterstützung der Deutschen For-
schungsgemeinschaft durchgeführten Reise nach Nord-Nigeria.
2 Die Bezeichnungen für dieses und einige andere Spiele konnten nicht festgestellt
werden. Wahrscheinlich sind sie unter je einem der folgenden Namen zu registrieren;
Atakurkure, azabaina, cimbisa, damo, jemage, labkiro, shagali, wargi aljannu, za’bo.
15 Baeßler 111
226 Krieger, Knabenspiele der Hansa
Stand abzurollen. Die Arme der beiden Nachbarn werden dabei nicht los-
gelassen. Es folgt der Nächste usw.
5. Nach der Aufstellung im Kreis steigt ein Knabe seinem rechten Nachbarn
mit dem linken Fuß auf dessen linke Hand und schlägt ihm dann mit dem
rechten Fuß in den Rücken. Dies Spiel wird reihum fortgesetzt.
6. Einige Knaben sitzen im Kreis und schlagen mit der rechten Hand jeweils
ihren rechten Nachbarn.
7. Waya. Etwa 10 Knabensitzen mit angezogenen Knien im Kreis. Die Knie
und Füße sind mit Umschlagtüchern bedeckt, unter denen die Hände verborgen
gehalten werden. Ein Knabe sitzt in der Mitte des Kreises und hält in jeder
Hand ein Stück Hirsestengel. Er sucht sich den Größten im Kreise aus und gibt
ihm die beiden Stengel. Dieser schlägt sie aufeinander, so daß sie jeder sieht.
Dann gibt er seinem Nachbarn einen Stengel und legt den anderen vor sich hin.
Der Nachbar reicht sein Stück unter den Tüchern verborgen weiter im Kreise
herum, ohne daß von außen etwas zu bemerken ist. Der in der Mitte Sitzende
muß nun denjenigen greifen, der den Hirsestengel gerade hat. Der Gegriffene
hat sich dann in die Mitte zu setzen und zu suchen. Wenn der Stengel, ohne
gefunden worden zu sein, den Ersten wieder erreicht hat, schlägt dieser die
beiden Stengel zusammen und das Spiel wiederholt sich.
8. Einige Knaben bilden eine Reihe. Jeder faßt gebückt seinem Vordermann
um die Hüften und legt den Kopf auf dessen Rücken. Einer der Knaben kommt
mit Anlauf von der Seite und macht einen Überschlag über die Rücken der
anderen. Dann schließt er sich hinten an, während der Vorderste den Über-
schlag macht usw.
9. Eine Anzahl von Knaben stellt sich gebückt in einer Reihe auf, jeder um-
faßt den Bauch seines Vordermannes. An jedem Ende der Reihe steht ein Mit-
spieler und zieht an der Menschenschlange, um sie aus dem Gleichgewicht zu
bringen.
10. Jene. Man bildet eine Reihe. Jeder Knabe legt sein gerolltes Umschlag-
tuch dem Vordermann um die Hüften und ergreift die beiden Enden. Der letzte
legt sich zuerst auf den Rücken, dann tritt sein Vordermann rückwärtsgehend
über ihn hinweg und legt sich dahinter, ohne das Tuch loszulassen. Es folgen
die anderen in der gleichen Weise. Der nunmehr letzte steht auf, läuft schnell
nach vorn (Füße links und rechts der Reihe) und zieht dabei die anderen hoch,
so daß am Schluß alle wieder stehen. Dies Spiel wird mehrmals wiederholt.
11. 5Dan dallace. Die Knaben bilden eine Reihe, wobei jeder gebückt seinem
Vordermann um die Hüften faßt und seinen Kopf auf dessen Rücken legt. Ein
Mitspieler kommt mit Anlauf von hinten und springt gegrätscht so weit wie
möglich auf die Rücken der anderen, steigt wieder ab und schließt sich hinten an.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
227
Dann springt der Vorderste usw. Wer am weitesten gesprungen ist, hat ge-
wonnen.
12. Biri kvitu hur-kutu’hur (Taf. Ib). Einige Knaben stellen sich in einer
Reihe auf, legen dem Vordermann ihr zusammengedrehtes Umschlagtuch um den
Bauch und ergreifen von hinten mit beiden Händen die zusammengelegten
Enden. Der Vorderste setzt sich in Bewegung, alle anderen müssen folgen und
laufen wie ein Wurm schnell herum. Manchmal wird so auch ein geschlossener
Kreis gebildet.
13. Jan gero. Ein Knabe aus einer Gruppe singt vor, ein zweiter antwortet,
dann die übrigen. Wenn der zweite nicht rechtzeitig antwortet und nicht genau
das gleiche tut wie der erste (der sich z. B. hinsetzt, hinlegt oder ein Bein von
sich streckt), wird er geschlagen.
14. Juki bisa tudu (Taf. II a). Ein Knabe kniet nieder und stützt die Hände
vorne auf den Boden, zwei andere legen — von jeder Seite einer — ihre Beine
auf den Rücken des Knienden und halten sich gegenseitig so an den Füßen
fest, daß sie zu beiden Seiten wie eine Esellast herunterhängen, aber nicht
den Boden berühren. Der Kniende muß mit seiner Last herumkriechen.
15. Rurugina. Einige Knaben hocken im Kreis. Einer sagt: „Rurugina,
arugina, rurugina, ru.“ Alle antworten gemeinsam das gleiche und legen dabei
ihre Hände mit den Handflächen auf den Boden. Dann sagt der erste wieder:
„Wawakita, awakita, wa.“ Alle antworten, müssen dabei die Hände liegen-
lassen oder aber mit den Handflächen nach oben drehen, je nachdem, wie es
vorher ausgemacht worden ist. Wer dies in falscher Reihenfolge ausführt, dem
wird auf die Hände geschlagen.
16. Na kwance a gani. In der Dunkelheit wird einer aus einer Gruppe von
Knaben hinter das Haus geschickt. Je zwei der übrigen tauschen ihre Um-
schlagtücher aus. Alle legen sich hin und decken sich mit den fremden Tüchern
zu. Man ruft den Knaben aus seinem Versteck hervor, der nun einen der
Liegenden erkennen muß, obwohl die Kleidung gewechselt worden ist. Ge-
wöhnlich erkennt er nur ein Kleidungsstück, unter dem sich aber nicht der
eigentliche Besitzer verbirgt, und nennt deshalb einen falschen Namen. Wenn
er das tut, stehen alle anderen auf und schlagen ihn mit ihren Tüchern. Nennt
er aber den richtigen Namen, so muß der Betreffende hinter das Haus usw.
17. Dakarido. Einige Knaben drehen ihre Hände umeinander und schlagen
dann mit ihrer rechten flachen Hand auf ihre linke Faustseite. Vorher hat man
ausgemacht, wieviele Male das zu geschehen hat, z. B. fünfmal; beim sechsten
Male muß man die rechte Hand oben behalten. Wer doch zuschlägt, wird
verprügelt. — Man bildet sitzend einen Kreis. Jeder nimmt den rechten Fuß
des Nachbarn auf den Schoß und schlägt mit der rechten Faust auf dessen
Fußsohle. Die Spielregeln sind die gleichen wie oben.
228
Krieger, Knabenspiele der Hausa
18. 5Dan duhuni duhuni. Man bindet einem Knaben einer Gruppe ein Tuch
vor die Augen und gibt ihm einen Hirsestengel in die Hand. Er muß die
anderen suchen und einen von ihnen mit dem Stab berühren. Dem Getroffenen
werden dann die Augen verbunden und er muß suchen.
19. Sha ruwan tsuntsaye. Zwei Knaben gehen nebeneinander und falten die
Hände auf dem Rücken. Ein dritter steigt mit je einem Fuß von hinten in die
gefalteten Hände und hält sich an den Schultern der beiden Untermänner fest.
So bewegt sich die Gruppe fort.
20. Zwei Knaben lassen sich auf Hände und Knie nieder, zwei andere
setzen sich auf ihre Rücken. Die Reiter ziehen sich gegenseitig an den Händen,
bis einer fällt.
21. Zwei Knaben einer Gruppe halten einen Hirsestampfer auf ihren
Schultern, ein anderer springt an den Stampfer, macht eine Bauchwelle nach
vorn und steht wieder auf dem Boden. Diese Übung wird reihum fortgesetzt.
22. Yari da bazarange. Früher versammelten sich nach der Farmarbeit oft
einige Jünglinge, deren jeder eine Anzahl von Grasringen hatte. Alle warfen
gleichzeitig je einen Ring auf eine Stelle. Der, dessen Ring zuoberst lag, bekam
alle Ringe. Wer keine Ringe mehr hatte, mußte ausscheiden. Dieses Spiel wird
heute nicht mehr gespielt.
23. ’Dan sumbu. Aus einer Gruppe junger Feute streicht sich einer mit der
Hand von hinten nach vorn über seinen Kopf und schlägt dann mit dieser
Hand seinem Nachbarn auf den Kopf. Alle anderen rennen singend fort.
Der Geschlagene verfolgt sie. Fängt er einen von ihnen, so boxen sie mit-
einander. Am Schluß des Kampfes beginnt der Geschlagene das Spiel erneut.
24. Lamhe-lambe. Beim Waschen oder Baden gehen z. B. 10 Jungen so
weit in das Wasser, daß es ihnen bis zum Hals reicht. Sie spritzen sich gegen-
seitig. Einer von ihnen hält ein kurzes Stüde Hirsestengel in der Hand und
singt: Lambe, lämbe.“ Alle antworten: „Lambe.“ Der erste: „Abu da kyau.“
Alle: „Lambe.“ Der erste: „Kyawun duri.“ Alle: „Bura.“ Der erste: „Kai
ga ’diya.“ Alle: „Ci ta.“ Anschließend wirft der erste den Hirsestengel ins
Wasser und alle suchen danach. Derjenige, der einen anderen im Besitze
des Hirsestengels findet, schlägt ihn unter Wasser dreimal mit dem Fuß.
25. Aus einer Gruppe von z. B. sechs Knaben knien drei nieder und stützen
die Hände vorn auf den Boden, während die anderen drei ihnen auf den
Rücken steigen. Diese werfen sich einen Ball aus Lumpen zu. Wenn einer
nicht fängt oder fällt, bewirft man ihn mit dem Ball.
26. Wasam ’boyo, Versteckspiel, das von Knaben und Mädchen bis zu acht
Jahren im oder am Gehöft gespielt wird. Die Menge der Mitspieler versteckt
sich, einer muß suchen. Wer gefunden wird, muß als Nächster suchen,
27. Cin dufu. Wenn die Knaben beim Spielen sind, nimmt einer einen
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
229
Stein und wirft ihn zwischen die anderen. Diese rennen auseinander, ver-
sammeln sich aber allmählich wieder. Dann wirft ein anderer wiederum einen
Stein usw.
28. Darjin da jina (wasan jini). Aus einer Gruppe von Knaben im Alter
von 5 bis 10 Jahren singt einer: „Sa da jini (Ochse mit Blut).“ Alle anderen
antworten: „Darjin.“ Erster: „Doki da jini (Pferd mit Blut).“ Antwort:
„Darjin.“ Erster: „Dutse da jini (Stein mit Blut).“ Wer daraufhin den Mund
auftut und darjin sagt, wird geschlagen.
29. La’bu-la’bu. Im weichen Morast des Flußufers schütteln die Knaben
singend ihren Körper, bis sie knietief eingesunken sind.
30. Alkali. Läßt einer aus einer Gruppe von Knaben Wind, schlägt
manchmal ein anderer vor, man wolle Alkali spielen. Man schneidet dann
neun gleich lange Grasstücke und ein längeres. Einer hält alle Stücke in einer
Hand und jeder Knabe zieht ein Stüde. Wenn jemand ein kurzes Gras zieht,
sagt derjenige, der die Gräser hält: „Du hast nicht Wind gelassen,“ Wer
aber das lange Gras greift, wird von allen angeschrien und ausgelacht, ganz
gleich, ob er der „Täter“ war oder nicht.
31. Cira dau maratayi. Ein Knabe faßt einem zweiten mit einer Hand unter
das Kinn, mit der anderen am Genick und hebt ihn so hoch.
32. Gurguri goruba. Ein Knabe greift die Hand eines zweiten und drückt
mit seinem Daumen den Daumen des anderen an dessen Handgelenk, bis
dieser schreit. Der erste Knabe sagt: „Gurgura.“ Der zweite beißt sich darauf-
hin in das Handgelenk. Dieses Spiel wird heute nicht mehr gespielt.
33. Kokuwa. Ringkampf.
34. Ein Knabe kniet und legt die Hände vorn auf den Boden, ein anderer
kommt, setzt sich auf seinen Nacken und steigt wieder ab. Dann wechseln sie
einander ab.
35. Langa. Zwei Knaben halten den linken Fuß hinten mit der rechten
Hand (oder umgekehrt), hüpfen auf dem anderen Fuß umher und stoßen sich
gegenseitig, bis einer von ihnen das Gleichgewicht verliert.
36. Ca’be (’dan lauje) (Taf. II b). Wenn die Knaben mit ihren Sicheln beim
Grasschneiden sind, fordert einer von ihnen einen anderen auf, mit ihm die
Stärke der Sicheln zu prüfen. Man schlägt mit der Schneide einer Sichel auf die
mit dem Bogen nach unten gehaltene andere. Wenn diese nicht stark ist, bricht
sie oder aber weist Scharten auf. Die Eltern sehen dieses Spiel sehr ungern.
37. Kulu’butu. Zwei Knaben setzen sich mit angezogenen Beinen so gegen-
über, daß sich die zusammengedrückten Knie des einen zwischen den Ober-
schenkeln des anderen befinden. Jeder faßt mit den Händen die gegenüber-
liegenden Beine des anderen kurz oberhalb der Knie. In dieser Haltung —
230 Krieger, Knabenspiele der Hansa
ohne loszulassen — schaukeln sie vor und zurück, so daß erst der eine, dann
wieder der andere auf dem Rücken liegt.
38. ‘Yar kadangaruwa. Ein Knabe liegt auf dem Rücken, ein zweiter legt
sich — Kopf entgegengesetzt — auf ihn. Sie halten sich gegenseitig an den
Beinen fest und rollen seitlich umeinander.
39. Gurun kolo. Ein Knabe legt im Sitzen beide Füße kreuzweise von
hinten über seinen Nacken und bewegt sich so fort.
40. Tsayin giginya. Kopstand.
41. Duk’u-duk’u. Ein Knabe legt im Sitzen oder Stehen den linken Fuß
über den Nacken und rutscht oder hüpft weiter.
42. Taharmar Barehari. Man schiebt eine Hand im glatten Sand entlang,
wobei die Handstellung nach oben und unten verschoben wird. Es entsteht
ein Muster.
43. Jirgin dalla. Knaben bringen sich auf folgende Art freiwillig Narben
bei und beweisen damit gleichzeitig ihren Mut:
a) Man reibt sich mit dem Gras Harwatse die Stirn, bis das Blut hervor-
tritt.
b) Man feuchtet einen Finger an, betupft damit einige Stellen auf dem
Oberarm, Legt jeweils ein wenig Baumwolle darauf und zündet sie an. Wenn
es zu heiß wird, nimmt man die Reste der Baumwolle ab. Es verbleiben
Narben wie von einer Pockenimpfung.
c) Man zieht das Gras Ma’da’dafi an der Innenseite der Unterlippe ent-
lang, bis das Blut hervortritt.
44. Ta ga rana. a) Zwei Knaben formen aus Sand einen länglichen Hügel.
Einer von ihnen nimmt den Kern einer Ta ga rana-Frucht, legt ihn auf ein
Ende des Sandhügels und zieht ihn mit der Zeigefingerspitze im Zickzack
auf dem Hügel entlang. Dabei läßt er ihn irgendwo im Sand verborgen
stecken, ohne daß der andere es bemerkt. Dann zieht er den Sand abwechselnd
mit den Händen nach beiden Seiten, so daß zwei Reihen einzelner Häufchen'
entstehen. Der zweite Knabe zerstört die Häufchen nacheinander und sucht
dabei den Kern. Nachdem er ihn gefunden hat, zählt man die übriggeblie-
benen Häufchen, z. B. 10, und der erste sagt symbolisch zum zweiten: „Ich
zahle 10 an dich“, während ihm selbst die Zahl der zerstörten Häufchen
gutgeschrieben wird. Dann legt der erste einen neuen länglichen Hügel an
und das Spiel wiederholt sich, nur versucht er, den Kern zur Täuschung jetzt
an einer anderen Stelle verschwinden zu lassen. Die Häufchen werden wieder
jeweils gutgeschrieben usw., bis der Kern bei einem Spiel im letzten Häufchen
gefunden wird, so daß der erste nichts mehr zu bezahlen braucht. Man rechnet
die Punkte gegeneinander auf. Wenn der Kern schon beim Ziehen aus der
Erde heraustritt, muß das Spiel wiederholt werden.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
231
b) Zwei Knaben formen vier Sandhäufchen und geben jedem den Wert 10.
Der erste hält einen Ta ga rana-Kern zwischen den Fingerspitzen der rechten
Fland und fährt mit diesen in jedes der vier Häufchen hinein, während die
linke Hand diese Tätigkeit vor den Augen des Mitspielers verbirgt. Er steckt
den Kern ungesehen in eines der Häufchen und erhöht dann alle Sand-
häufchen. Der zweite zerstört nun ein Häufchen nach dem anderen, um den
Kern zu suchen. Wenn er ihn z. B. im dritten Häufchen gefunden hat, so
verbleibt einer als Rest und wird mit 10 bewertet. Der erste Knabe zahlt
also 10 Punkte an den zweiten. Man wiederholt das Spiel, bis der Kern im
letzten Häufchen gefunden wird. Dann verbirgt der zweite Knabe den Kern
und der erste muß suchen, bis er ihn ebenfalls im letzten Häufchen findet.
Damit ist das Spiel abgeschlossen und man rechnet die Punkte gegeneinander
auf.
45. Ca’bal. a) Vier Knaben (oder Mädchen) haben je 10 kleine Steine oder
Früchte des Maje-Ba.umes. Sie legen die Steine an einer Stelle zusammen auf
den Boden. Einer greift mit einer Hand so viele Steine wie möglich, wirft sie
hoch, dreht die Hand schnell um, so daß einige auf den Handrücken fallen,
wirft sie nochmals hoch und greift sie dann beim Fallen mit der Hand. Wenn
er nicht 10 Stück greift, muß er warten, bis die anderen fertig sind; wenn
es 10 oder mehr sind, behält er sie. Dann spielt der zweite, dritte und vierte
Junge in derselben Art. Wenn der dritte oder vierte nur noch wenige Steine
auf dem Boden vorfindet, fordert er von dem, der mehr als 10 hat, einige
an, die ihm dieser einzeln mit Gewalt in die hingehaltene Hand schlägt.
b) 5 Knaben haben 5 Steine. Der erste streut alle Steine auf den Boden,
dann nimmt er einen, wirft ihn hoch, nimmt schnell den zweiten vom Boden
und fängt mit ihm in der Hand den ersten auf usw., bis zum fünften Stein.
Manche legen die gefangenen Steine jeweils schnell in die andere Hand,
manche greifen vor dem Auffangen des ersten zwei, drei oder vier Steine
vom Boden auf. Wenn ein Stein nicht gefangen wird, scheidet der Spieler
aus und der Nächste ist an der Reihe.
c) Eine dritte, kompliziertere Art wird etwa folgendermaßen gespielt:
5 Knaben haben jeder 30 Steine. Man legt alle zusammen in ein flaches Loch.
Jeder nimmt sich einen Stein. Der erste wirft seinen hoch und muß, bevor er
ihn wieder fängt, möglichst viele Steine mit der flachen Wurfhand aus dem
Loch herausstreifen. Alle machen es nacheinander, so daß dadurch die Steine
auf den Boden verteilt werden. Dann fängt der erste wieder an zu werfen
(wie unter a) und zu fangen. Er greift dabei immer bis zu 5 Stück. Wenn ein
geworfener Stein fällt, scheidet der Werfer aus und die anderen kommen an
die Reihe. Wenn dann nur noch 2 Steine übrig sind, legt man diese in das
flache Loch. Der letzte Spieler wirft hoch und muß diese zwei greifen. Dann
232
Krieger, Knabenspiele der Hansa
legt jeder alle gewonnenen Steine vor sich hin. Derjenige, der die letzten
zwei gegriffen hat, nimmt alle seine Steine und wirft sie so hin, daß nur einer
in das Loch fällt. Dann wirft und greift er, wie üblich, seine Steine und legt
die Gegriffenen in das Loch. Der rechte Nachbar macht das gleiche usw., bis
alle an der Reihe waren. Wenn einer 15 Steine so in das Loch bringen kann,
muß ihm sein linker Nachbar alle seine Steine geben und sich zurückziehen
usw., bis nur noch einer, der Gewinner, übrigbleibt.
46. Dara. Von zwei Spielern werden 30 flache Mulden derart im Sand
ausgehoben, daß die eine Seite des Spielfeldes aus 5, die andere aus 6 Teilen
besteht. Zu dem Spiel gehören 24 „Figuren“; ein Spieler hat 12 Steine, der
andere 12 kleine Hirsestengel. Man setzt abwechselnd die Figuren so, daß
der andere möglichst gehindert wird, nach Beendigung des Setzens drei seiner
Figuren leicht in eine gerade Linie nebeneinander legen zu können. Man
schiebt dann abwechselnd eine Figur in gerader Richtung um ein Feld weiter.
Wer drei seiner Figuren nebeneinander placiert hat, darf dem Gegner eine
wegnehmen, bis alle Möglichkeiten erschöpft sind. Gewonnen hat, wer seinem
Gegner die meisten Figuren abgenommen hat. Dara wird mit großer Ausdauer
nicht nur von Knaben, sondern auch besonders von Männern gespielt3.
3 Vgl. a. Fletcher, R. S. Hausa Sayings and Folklore. London 1912, S. 113.
Monod, Th. Sur quelques jeux africains à quadrillages. Notes Africaines No. 45,
1950, S. 12—13.
Beitrag Krüger
Tafel I
a
K’ayar kifi b Biri kutu’bur
Tafel II
a Jaki bisa tudu b Ca’be
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
233
EIN FIGÜRLICHER BIENENSTOCK?
WERNER STIEF, Berlin
Von der „Arbeitsgemeinschaft zur Pflege der Heimatgeschichte“, Berlin-
Tempelhof, wurde den „Ehemals Staatlichen Museen“, Berlin, Abteilung
„Museum für Deutsche Volkskunde“, Berlin-Dahlem, im April 1952 eine im
September 1945 von Rudersportlern angeblich fast unbeschädigt aus dem Wasser
der Großen Krampe unweit Grünau geborgene, durch Flerrn Verwaltungs-
sekretär Alexander Jacob sichergestellte und der Arbeitsgemeinschaft über-
gebene Statue als Geschenk überwiesen.
Es handelt sich um eine aus Holz geschnitzte und bemalte, mit einer kleinen
Assistenzfigur verbundene stehende männliche Figur. Die Art des Holzes ist
noch nicht bestimmt worden. Das Bildwerk ist etwa 1,25 m hoch, bis 40 cm
(unten ca. 60 cm) breit und bis 20 cm (unten ca. 30 cm) tief. Es steht auf einem
flachen, etwa 6 cm hohen rechtwinkeligen, aber an drei Ecken abgeschnittenen
Sockel. Die vierte Ecke, auf der die kleine Assistenzfigur sitzt, ist nicht abge-
schnitten.
Die junge männliche Gestalt erscheint barhäuptig mit ungescheiteltem, mittel-
lang herabhängendem Lockenhaar. Sie trägt einen kleinen Backen- und Kinn-
bart. Sie ist in ein langes, ärmeliges, bis auf die Füße herabreichendes Priester-
gewand gekleidet, das nur den linken Fuß sehen läßt, den rechten aber ver-
deckt. Das (allein noch vorhandene) rechte Ärmelende des Gewandes zeigt eine
in spitzen Hängebögen ausgeschnittene Zierkante. Über dem Gewand trägt der
Priester einen etwa knielangen Chorrock mit ca. 8 cm breitem Ziersaum, dessen
untere Kante mit vielen kleinen runden Hängebögen kurvig ausgeschweift ge-
schnitten ist. Mit diesem breiten Saum soll wohl der an Chorröcken übliche
Zierabschluß aus kostbarer Spitze angedeutet sein. Über dem Chorrock trägt
die Gestalt weiterhin einen oberarmlangen unverzierten Schulterkragen. Über
Chorrock und Schulterkragen ragt oben am Hals das kleine, vorn für den Kehl-
kopf dreieckig ausgeschnittene Stehbündchen des langen Priestergewandes her-
aus. Gewand und Chorrock zeigen reichen Faltenwurf; der Schulterkragen fällt
glatt. Schließlich trägt die Priesterfigur noch, über den Nacken und beide Schul-
tern gelegt, eine ca. 5 cm, an den Enden ca. 10 cm breite Stola, die mit ihren
Enden vorn über Brust und Leib bis an die Oberkante des Chorrock-Ziersaumes
ungekreuzt herabhängt. Das breite Band der Stola ist ringsum mit einem
schmalen, besonders angedeuteten, ca. 1 cm breiten Randband eingefaßt. Die
Stolaenden tragen (bzw. trugen, denn nur das rechte Ende ist noch vorhanden;
s. u.) eine Borte mit ca. 4,5 cm langen Fransen. Auf dem Stolaende ist, als auf-
234
Stief, Ein figürlicher Bienenstock?
gestickt zu denken, ein ca. 5,5 cm hohes griechisches, d. h. gleichschenkliges
Ordenskreuz in Form des „Eisernen Kreuzes“ zu sehen.
Neben dem unsichtbaren rechten Fuß des Priesters kniet oder kauert als
Nebenfigur ein kleiner nackter Teufel (zusammengekauert ca. 35 cm hoch).
Seine Nacktheit ist nicht besonders betont; Brüste, Nabel und Geschlechtsteile
sind nicht angedeutet. Der Teufel stützt sich mit der Linken auf die vordere
Sockelkante und -ecke auf; mit der erhobenen Rechten greift er sich von rück-
wärts auf den Hinterkopf. An den Händen sind Finger angedeutet. Der (allein
noch vorhandene; s. u.) linke Fuß zeigt keine Zehen. Es ist aber auch kein
„Pferdefuß“; er ist vielmehr menschlich gestaltet. Im häßlichen Gesicht stehen
dem Teufel zwei übergroß aufgerissene Augen, eine klobige Nase und ein
breiter wulstlippiger Mund. Über den Tierohren (in Form von „Teddybären“-
Ohren) sitzen zwei kleine, nach hinten gebogene dicke Hörner. Das Oberhaupt
trägt wolliges Haar; das Hinterhaupt ist glatt. Am rechten Schulterblatt ist
dem Teufel wie einem Putto ein oben runder, unten spitzer Flügel angewachsen,
auf dem durch viertelkreisförmige und senkrechte Linien Federn angedeutet sind.
Ein zweiter (linker) Flügel ist wohl nur wegen Mangels an Platz zwischen
Haupt- und Nebenfigur weggelassen worden.
Die Hauptfigur ist in ihrem Hauptteil zusammen mit dem zugehörigen
Sockelstück aus einem einzigen Baumstamm gearbeitet; vorspringende Teile
(Unterarme, Stola) sind an- bzw. aufgesetzt. Ebenso besteht die Teufelsfigur
zusammen mit ihrem Sockelteil und einem angrenzenden Gewandungsteil der
Hauptfigur aus einem Stück. Haupt- und Nebenfigur mit ihren zugehörigen
Sockelstücken sind dann zum Ganzen zusammengefügt. Durch Flügel und Sockel
des Teufels gehen lange Nägel bis zur Priesterfigur durch.
Der Erhaltungszustand des Bildwerkes ist im ganzen gut; im einzelnen feh-
len linker Unterarm mit Hand (nur noch Zapfen vorhanden), sämtliche Finger
der rechten Hand sowie das linke Stola-Ende der Hauptfigur; ferner rechtes
Handgelenk, rechter Fuß, rechtes Ohr und Nasenspitze der Teufelsfigur. Vom
Flachsockel sind einige Kantenstücke ausgesprungen und verloren. Das ganze
Bildwerk ist von mancherlei Rissen durchzogen. Der rechte Vorderarm der
Priesterfigur ist unsachgemäß mit Eisennägeln befestigt.
Wie senkrechte Bohrungen im Sockel ausweisen, war die Figur einmal auf
einer unbekannten Basis, einem Brett oder einem Postament, befestigt. Zwei
waagerecht durchgehende Bohrlöcher in Brusthöhe stammen offenbar von der
zeitweiligen Befestigung der Figur als eine Art Trophäe an der Außenwand des
Bootshauses des „Reichsbahn-Sportvereins 1951“ in Schmöckwitz nach 1945.
Von der Rückseite her ist die Hauptfigur ca. 80 X 15 cm, also in ihrer gan-
zen Körperlänge (ohne Kopf) und -breite, 12 bis 15 cm tief ausgehöhlt; die
langgestreckte, innen rundwandige Höhlung zeigt in der kantigen und stufigen
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
235
Gestaltung vor allem ihrer schmalen Seiten (oben und unten), daß sie ehedem
wahrscheinlich durch ein etwa 3 cm dickes, nahezu rechtwinkeliges Bohlenbrett
(ca. 83 X 13/15 cm) verschlossen, daß jedenfalls etwas von dieser Größe an-
gesetzt war.
Die Figur soll bei der Auffindung farblos gewesen sein; der häßliche grün-
blaue, ockergelbe, dunkelbraune, rote und silberne Leimfarben- bzw. Ofen-
bronze-Anstrich ist also willkürliche neueste Zutat. Über die früheren, zweifel-
los vorhanden gewesenen echten Farben läßt sich heute nichts mehr sagen.
Die Schnitztechnik ist derb-volkstümlich, wenn auch nicht ohne jede Routine
ausgeführt. So zeigt etwa das Gesicht der Hauptfigur nicht unedle, ruhige
Züge. Das Schnitzwerk dürfte nicht nur eine gelegentliche Liebhaberarbeit,
sondern die durchaus nicht unbeholfene Leistung eines im einfachen Bild-
schnitzen bewanderten und in seiner schlichten Art tüchtigen Flandwerkers sein.
Das Alter des Bildwerkes ist, wie bei volkskünstlerischen Werken zumeist,
mit keinerlei Sicherheit anzugeben. Vielleicht handelt es sich um eine Arbeit aus
dem 18. Jahrhundert — älter dürfte sie kaum sein —, sie kann aber ebensogut
viel jünger sein.
Dargestellt ist offenbar ein Heiliger, und zwar unserer Meinung nach
St. Cyriacus, der Diakon, einer der Vierzehn Nothelfer. Cyriakus, der Diakon,
der nicht mit dem gleichfalls kanonisierten Henker Cyriacus (J im 3. Jahr-
hundert am 15. Juli) verwechselt werden darf, wird in allgemeiner Not, bei
Krankheiten im allgemeinen, besonders aber bei Besessenheit, Versuchung durch
böse Geister usw. angerufen. In den Ruinen von Ostia bei Rom gilt ein Ge-
bäude an der Südostecke des antiken Theaters als Oratorium des Hl. Cyriacus1.
Cyriacus heilte nach der Legende die besessene Tochter des Kaisers Diokletian
(284—305) und später in Persien eine Prinzessin. Nach Rom zurückgekehrt,
wurde er in Abwesenheit Diokletians von Maximian zum Tode verurteilt und
starb, zusammen mit Largus und Smaragdus, als Märtyrer am 8. August 3031 2.
Cyriacus wird im Diakonenkleid mit einem gefesselten Drachen oder Teufel,
den er der Kaiserstochter ausgetrieben hat, unter oder neben sich dargestellt3.
1 Meyers Reisebücher: Rom und Umgebung. Leipzig 1933. S. 173.
2 Kerler, Dietrich Heinrich: Die Patronate der Heiligen. Ulm 1905. S. 33.
Schott, Anselm: Das vollständige Römische Meßbuch. 7. Aufl. Freiburg i. Brsg.
1940. S. 1024.
3 Pfleiderer, Rudolf: Die Attribute der Heiligen. 2. Aufl. Ulm 1920. S. 38,
41 und 166.
236
Stief, Ein figürlicher Bienenstock?
Ein alter Hymnus lautet:
„Cyriacus die Teufel band,
Maximian ward dies bekannt;
Wird geschleift durch alle Straßen,
Mußt sein Haupt noch drüber lassen.
Bitt zu Gott um unser Sach,
Nimm das Gift dem Höllendrach “4
Einfaches Priesterkleid mit Stola als Zeichen des Amtierens und ein Teufel
zu Füßen sind bei unserer Figur vorhanden; von der rechten, früher wohl zu-
sammengeballten Hand des Heiligen führte wohl ehedem eine heute verlorene
eiserne Kette zum (deshalb heute ausgebrochenen und fehlenden) rechten Hand-
gelenk des Teufelchens, Der hochgehobene Teufelsarm wäre damit als hoch-
gezogen erklärt. Die früher offenbar an nach vorn gewinkeltem Unterarm
sitzende linke Hand trug vielleicht früher eine Märtyrerpalme oder ein Schwert,
denn auch ein solches gilt, im Hinblick auf seine Enthauptung, als Attribut
St. Cyriaci5.
Weitere Heilige, die ikonographisch noch mit einem gefesselten Teufel6, der
hier das besiegte Heidentum symbolisiert, dargestellt werden, sind Bernhard
von Menthon (f 1008), der Begründer des Hospizes auf dem Großen St. Bern-
hard (nicht zu verwechseln mit Bernhard von Clairvaux (f 1153), dem Patron
der Bienenzüchter und Wachszieher), und Norbert, Bischof von Magdeburg
(t H34), Gründer des Prämonstratenserordens, die aber wohl für unsere Be-
trachtung ausscheiden, wenn sich auch gerade die Prämonstratenser in Deutsch-
land sehr um die Verbreitung des Christentums in den östlichen Gebieten ver-
dient gemacht haben, aus denen ja unsere Figur stammt. Bernhard von Menthon
dürfte in Ostdeutschland kaum Bedeutung haben; Norbert dagegen wird im
bischöflichen Ornat, nicht nur im einfachen Chorrock, dargestellt, und zwar mit
einem Kelch, darin eine Spinne, in der Hand, was beides bei unserer Figur nicht
zutrifft. (Daß sie den heiligen Kelch in der verlorenen Linken getragen habe,
ist ganz unwahrscheinlich.) Die Verehrung der Vierzehn Nothelfer ist dagegen
seit dem 15. Jahrhundert ziemlich allgemein, und wenn Cyriacus auch sein
Stammpatronat in Ancona (Italien) hat, wo sein unverweslicher Leichnam in
der Kathedralkirche ruht7, wird er doch z. B. auch besonders in Thüringen
4 K e r 1 e r : a. a. O., S. 137.
5 Pflei derer: a. a. O., S. 41.
fi Das Motiv des an eine Kette gefesselten Teufels ist weitverbreitet. Im Kloster
Admont (Steiermark) z. B. wird der unter der berühmten Stiftsbibliothek einge-
sperrte Teufel einmal im Jahre, am Karfreitag, zur Zeit der Grabesruhe Christi,
an einer langen Kette im Klostergarten herumgeführt. (Krause, Adalbert: Die
Stiftsbibliothek in Admont. 2. Aufl. Linz 1949. S. 42.)
7 Vgl. J. G. S e u m e : Spaziergang nach Syrakus.
Beitrag Stief
Tafel I
Ein figürlicher Bienenstock?
(Vorderansicht)
Tafel II
Ein figürlicher Bienenstock?
(Rückansicht)
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
237
(Patronat in Naumburg, Cyriaxburg in Erfurt) verehrt. Bedenklich ist nur, daß
Diakone, wie Cyriakus, die Stola bloß über die linke Schulter gelegt tragen.
Über beide Schultern, wie bei unserer Figur, hängt die Stola nur bei höher
ordinierten Geistlichen, dann allerdings auch meist über der Brust gekreuzt.
In der Tempelhofer Arbeitsgemeinschaft für Heimatgeschichte (s. o.) war die
Vermutung geäußert worden, die Figur könnte vielleicht, wegen des „Ordens-
kreuzes“ auf der Stola, zur Niederlassung des Deutschen Ritterordens in Tem-
pelhof in Beziehung stehen. Kreuze, und zwar in der Regel drei, deren künst-
lerische Gestaltung im einzelnen aber verschieden ist, finden sich jedoch auf
jeder Stola.
Es ist bekannt, daß Holzstatuen von hinten ausgehöhlt werden, damit das
in Kern und Peripherie eines Baumstammes bei Witterungseinflüssen mit ver-
schieden großer Spannung arbeitende Holz keine Risse und Sprünge bekommt.
Nur wird dann, wenigstens in den mir bekannten Fällen, diese Höhlung nicht
wieder mit einem Brett verschlossen. Die Höhlung in unserer Figur mit ihrer
deutlichen Profilstufe für ein Verschlußbrett oder ähnliches deutet also darauf
hin, daß es sich nicht nur um ein Standbild schlechthin, etwa für die Ausstattung
einer Kirche oder Kapelle, sondern, zunächst ganz allgemein gesprochen, um
einen irgendwie profan benutzbaren verschließbaren „Kasten“ handelt.
An figürlich-monumentalplastisch gestalteten „Kästen“ dieser Art sind im
profanen volkstümlichen Bereich Bienenstöcke8, sogenannte „Liebhaber-Klotz-
beuten“ (Ludwig Armbruster9), bekannt, am bekanntesten wohl die 21 Figuren
in Höfel (Kreis Löwenberg) in Schlesien, genannt die „Apostel“10 11, und ein
solcher Figurenstock scheint unsere Heiligenstatue zu sein.
Für diese Annahme spricht eben die verschließbare Höhlung, die Gestal-
tung als Heiligenfigur und die Herkunft aus Ostmitteldeutschland. Figuren-
stöcke sind oft als Heilige gestaltet, und unser Stock dürfte wohl in die Große
Krampe durch die Dahme und vielleicht eines der Verbindungsgewässer aus
etwas südlicheren katholischen Gebieten (Lausitz), die an Schlesien angrenzen,
hineingeschwemmt worden sein. Schlesien ist, neben Sachsen, Nordböhmen und
Thüringen, das Hauptverbreitungsgebiet figürlicher Bienenstöcke11.
8 Vgl. Erich, О. A. und BeitI, R.: Wörterbuch der deutschen Volkskunde.
Leipzig 1936. S. 81. s. v. „Bienenstöcke“.
9 Der Bienenstand als völkerkundliches Denkmal (1926).
10 Hahm, Konrad: Deutsche Volkskunst. Breslau 1932. Abb. S. 95; vgl. auch
Hahm, Konrad: Deutsche Volkskunst, Berlin 1928, Taf. 80, und Grund-
mann, G. u. Hahm, K.: Deutsche Volkskunst, Band Schlesien (Weimar), sowie
Spamer, Adolf: Die Deutsche Volkskunde. Leipzig und Berlin 1935. Band II,
Abb. S. 308.
11 Otto, Günter: Figürliche Bienenstöcke im schlesischen Raum. In: Volkswerk.
Jahrbuch d. Staatl. Mus. f. Dtsch. Volkskunde, Berlin. Hgg. v. Konrad Hahm.
Jena 1941. S. 255 ff.
238
Stief, Ein figürlicher Bienenstock?
Gegen die Bedeutung als Figurenstock spricht zunächst die etwas geringe
Flöhe von nur 1,25 m und der Mangel eines Flugloches für die Bienen an der
Vorderseite. Figurenstöcke sind meist aus größeren und dickeren Stämmen ge-
arbeitet, und „Flinterlader“ (mit hinten eingesetztem Verschlußbrett) weisen in
allen mir bekannten Fällen das Flugloch an der Vorderseite der Figur auf. Von
der Größe aber kann wohl abgesehen werden. Warum soll nicht auch einmal
aus einem geeigneten kleineren Stamm eine menschengestaltige Figurenbeute
gearbeitet worden sein, wie es z. B. solche kleinere Beuten in Gestalt liegender
Tiere, etwa kauernder Löwen, gibt? Und bei der Mannigfaltigkeit volkstüm-
licher Gestaltungen ist ferner die Annahme nicht abwegig, daß das Flugloch
auch einmal hinten im Verschlußbrett (oder in einem hinten angesetzten Bienen-
kasten, wie er manchmal vorkommt) gewesen sein könnte, zumal unter anderen
ein früher im Berliner Volkskunde-Museum ausgestellter schlesischer Figuren-
stock, der als „Vorderlader“ ausgebildet war, das Flugloch auch im (vorn ein-
gesetzten) Verschlußbrett trug.
So hält auch einer der besten Kenner volkstümlicher Bienenzucht, Prof. Bruno
Schier12, Münster i. W., nach dem Lichtbild unsere Statue für einen Figuren-
stock und nimmt eine rückwärtige Lage des Flugloches, etwa bei einer Stellung
der Figur am Gartenzaun mit Blick zur Straße, als durchaus möglich an13.
Obwohl die Statue längere Zeit im Wasser gelegen hat, ließen sich vielleicht
in den Holzporen der Höhlung noch Bienenwachsreste feststellen, was einer
genauen wissenschaftlichen Materialprüfung Vorbehalten bleiben muß.
Darüber, wie die Figur ins Wasser der Großen Krampe gekommen ist, lassen
sich nur Vermutungen äußern. Offenbar ist es unter den Kriegseinwirkungen im
Frühjahr 1945 geschehen, daß man die Heiligenfigur vor profanem Zugriff ver-
stecken, oder daß man sie umgekehrt, eben weil es sich um ein religiöses Bild-
werk handelte, aus Glaubensgegnerschaft beseitigen wollte. Vielleicht stammt sie
auch aus der Sammlung eines Liebhabers volkskünstlerisch gestalteter Dinge. In
früheren Zeiten hätte man die Auffindung einer Heiligenfigur im Fluß als
Wunder gefeiert und darüber in der Nähe der Fundstelle eine Wallfahrts-
kapelle errichtet!
Es sei die Hoffnung und die Bitte ausgesprochen, daß sich vielleicht auf
Grund der vorliegenden Veröffentlichung (vgl. die zugehörigen Abbildungen)
jemand melde, der unsere Bienenstock(?)-Figur von früher her kennt und etwas
darüber aussagen kann.
12 Vgl. sein Werk: Der Bienenstand In Mitteleuropa. Leipzig 1939.
13 Mitteilung an den Verf. vom 9. 4. 1952.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
239
ÜBER DIE INVENTARISIERUNG UND KONSERVIERUNG
der nach Schloß Celle verlagerten Sammlungen des Berliner Museums
für Völkerkunde von 1945—1954
HORST HARTMANN, Celle
Das altberühmte Geller Schloß hat in den letzten sechs Jahrhunderten ein
Wechsel volles Schicksal erlebt. 1292 durch Otto den Strengen aus dem Hause
der Welfen als wehrhafte Burg gegründet, wurde es im Laufe der Zeit ständig
vergrößert und oftmals umgebaut. Hier residierten die Herzoge von Braun-
schweig-Lüneburg, von denen Georg Wilhelm 1674 das heute noch bespielte
Theater einbauen ließ, hier wuchs die in Deutschland unter dem Namen
„Prinzessin von Ahlden“ bekannte Sophie Dorothee auf, und hier lebte die
Königin Caroline Mathilde von Dänemark in der Verbannung bis zu ihrem
Tode im Jahre 1775. Nachdem das mächtige Bauwerk inmitten der alten
Heidestadt im 19. Jahrhundert als zweite Residenz für die Könige Ernst
August und Georg V. von Hannover gedient hatte, wurde es mit dem Beginn
unserer Zeit anderen Verwendungszwecken zugeführt. Im ersten Weltkrieg
war es Gefangenenlager für alliierte Offiziere. Nach 1918 beherbergte es ver-
schiedene staatliche Dienststellen. Als die Kampfhandlungen des zweiten Welt-
krieges im Jahre 1945 beendet worden waren, wurde das Schloß von der
Kunstschutzabteilung der britischen Besatzungsbehörden für die Aufnahme
der in mitteldeutschen Bergwerken lagernden, mit Kunstschätzen aus den Ber-
liner Museen gefüllten Kisten ausersehen.
So geschah es, daß vom Herbst 1945 bis zum Frühjahr 1946 in ununter-
brochener Folge Kisten in den Innenhof des Geller Schlosses gefahren wurden.
Die meisten von ihnen stammten aus dem Berliner Museum für Völkerkunde,
andere aus der Ägyptischen Abteilung, der Antikenabteilung, der Islamischen
Abteilung, dem Kupferstichkabinett, der Ostasiatischen Kunstsammlung, dem
Schloßmuseum, dem Museum für Vor- und Frühgeschichte und nicht zuletzt
aus der Kunst- und Museumsbibliothek. — Später gelangten noch 230 Gemälde
der Nationalgalerie nach Celle, die zunächst zur Restaurierung nach Braun-
schweig gebracht worden waren.
Schon vor der Ankunft der letzten Kistentransporte hatten die englischen
Behörden umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen für das Schloß ergriffen. Das
Gebäude konnte nur von Personen betreten werden, die sich im Besitz eines
entsprechenden Ausweises befanden. Der Zutritt zu den Räumen, in denen
Kisten lagerten, war allen Unbefugten strengstens verboten. Die Besichtigung
der Schloßkapelle wurde untersagt. Das Theater durfte nur zu den genehmigten
240
Hartmann, Inventarisierung der verlagerten Sammlungen
Vorstellungen geöffnet werden. Ein striktes Rauchverbot für alle Lagerräume
wurde angeordnet. Die Feuerlöschvorrichtungen mußten ständig überprüft wer-
den. Die Wachleute hatten In der Nacht stündliche Rundgänge, am Tage
Kontrollen des im Schloß beschäftigten deutschen Personals und aller Besucher
durchzuführen.
Die Leitung des Zonal Fine Arts Reposltory, wie die offizielle Bezeichnung
des Kunstgutlagers bis 1949 lautete, hatte sich von Anfang an Gedanken dar-
über gemacht, auf welche Weise man die großen völkerkundlichen Bestände,
über die an dieser Stelle allein gesprochen werden soll, am besten ordnen,
inventarisieren und pflegen könnte. Zuerst mußte die Personalfrage entschieden
werden. Zu diesem Zweck verhandelte der von den Engländern eingesetzte
Leiter des Central Repository mit Prof. Termer, dem Direktor des Hamburger
Museums für Völkerkunde, über die Entsendung mehrerer Experten. Die Sach-
verständigen sollten jeweils einige Wochen bleiben und dann von anderen,
ebenfalls aus Hamburg kommenden Fachkräften abgelöst werden. Prof. Termer
stimmte der vorübergehenden Abordnung einiger seiner Mitarbeiter zu. Am
29. Januar 1946 nahmen darauf die Herren Dr. Tischner und Sievers die Arbeit
in Celle auf. Von englischer Seite waren inzwischen besondere Anweisungen für
ihre Tätigkeit herausgegeben worden. Danach mußten die Arbeitsgemeinschaften
aus zwei Personen bestehen, von denen die eine für die sichere Handhabung
des Kisteninhalts verantwortlich war. Nach der Anfertigung von Inventarver-
zeichnissen sollten die aufgenommenen Gegenstände wieder verpackt und die
bearbeiteten Kisten mit roter Farbe gezeichnet werden. Keinesfalls durfte der
Inhalt einer Kiste über Nacht ausgebreitet liegenbleiben. Diese Anordnungen
wurden später insoweit gelockert, als man auch einzelnen Personen die Öffnung
und Revision von Kisten gestattete.
Die Anfang 1946 begonnenen Inventarisierungsarbeiten schritten gut voran.
Es zeigte sich jedoch schon nach kurzer Zeit, daß neben der Neuaufnahme die
Restaurierung eines großen Teils der Ethnographica dringend erforderlich war.
Allzu viele Stücke hatten auf dem Transport von Berlin nach dem Verlagerungs-
ort Grasleben und später von dort nach Celle erhebliche Schäden erlitten. Das
galt besonders für die Tonwaren, die Hunderte von Kisten füllten; das galt aber
auch für die hölzernen Gegenstände und die Flechtwerke. Hinzu kam die starke
Gefährdung der Felle sowie der Feder- und Wollsachen durch Motten. In einem
am 8. August 1946 von Dr. Dlttmer verfaßten Bericht heißt es über die Eurasien-
Kisten u. a.: „In einigen Kisten war der Befall an Motten dermaßen groß, daß
es in ihnen von Mottenraupen geradezu wimmelte und wertvollste Gegenstände
bereits völlig vernichtet worden sind. Bei einem längeren Verbleib dieser Sachen
an ihrem jetzigen Aufbewahrungsort würden mit Sicherheit in Kürze alle Gegen-
stände durch Mottenfraß vernichtet werden und damit die Wissenschaft einen
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
241
unersetzlichen Verlust wertvollster Sammlungsobjekte erleiden. Die Sachen kön-
nen nur dann gerettet werden, wenn sie sofort fachmännisch desinfiziert, in
mottensicheren Schränken aufbewahrt und unter ständiger Kontrolle durch Fach-
leute gehalten werden."
Aus diesen Sätzen geht hervor, wie dringend notwendig die Bekämpfung
fortschreitender Schäden bereits 1946 geworden war. Am 21. Oktober dieses
Jahres faßte dann Prof. Termer seine Ermittlungen über den Zustand der in
Celle lagernden Sammlungen in einem Gutachten zusammen. Es steht darin, daß
die Überprüfung der ethnographischen Bestände eine unsachgemäße Verpackung
der überwiegenden Mehrzahl der Stücke ergeben hätte. Infolgedessen seien
speziell bei den Gegenständen aus Ton und Holz sehr viele Brüche festgestellt
worden. Die bemalten Tongefäße hätten durch Einwirkung von Feuchtigkeit
empfindlich gelitten. Nachdem auch Prof. Termer auf den katastrophalen Zu-
stand der mottengefährdeten Sachen hingewiesen hatte, schrieb er weiter, daß
es die räumlichen Verhältnisse im Schloß leider notwendig machten, die inven-
tarisierten Stücke wieder in die Kisten zu packen. Dies sei museumstechnisch
unbedingt zu verwerfen, da es weitere Schäden durch Motten und Feuchtigkeit
nach sich zöge. Wörtlich heißt es dann: „Es ergibt sich somit die Frage, wie
einem weiteren Verfall zumindest der wertvollen Gegenstände vorzubeugen ist.
Es zeigt sich nur ein Weg, nämlich diese besonders gefährdeten Objekte in das
Hamburger Museum zu übernehmen und dort zu lagern. Denn hier stehen die
technischen Kräfte zur Verfügung, die neben ihren laufenden Aufgaben zusätz-
lich auch die dauernde Überwachung der genannten Objekte übernehmen kön-
nen. Nur hier in Hamburg ist in unserer Zone die Gewähr geboten, sachgemäß
den Schutz jener Sammlungen auf die Dauer durchzuführen.“
Die Überführung ethnographischer Kostbarkeiten nach der Hansestadt
wurde jedoch von der zentralen englischen Behörde abgelehnt. Auf einen ent-
sprechenden Antrag von seiten des Direktors Otto antwortete die Monuments,
Fine Arts and Archives Section Hannover am 8. 11. 1946: „MFA & A, HQ
Bunde are not in favour of transferring specimens from the Völkerkunde col-
lections to Hamburg.“
Da es nun zunächst darauf ankam, einen Überblick über die in Schloß Celle
lagernden völkerkundlichen Bestände zu gewinnen, widmeten sich die Ham-
burger Experten in der Folge ausschließlich der weiteren Aufnahme unfertiger
Kisten. Ihre Arbeit war nicht leicht, weil es bis 1948 an den notwendigsten
Materialien, wie Holzwolle und Packpapier, mangelte. Daß die Bekämpfung
fortschreitender Schäden auch später, als schon eine große Zahl von Kisten
inventarisiert war und man wieder unbeschränkt Mottenpulver, Vergasungs-
und Rostschutzmittel beschaffen konnte, nicht anlief, ist auf den Umstand zu-
rückzuführen, daß von den Sachverständigen zu jener Zeit zumeist nur noch
16 Baeßler III
242
Hartmann, Inventarisierung der verlagerten Sammlungen
einer kurzfristig in Celle weilte. Ein Nebeneinander von Inventarisierung und
Konservierung hätte aber mehrere, ständig im Schloß arbeitende wissenschaft-
liche Fachkräfte erfordert.
Im Februar 1948 hatte Prof. Robert Schmidt, der frühere Direktor des Ber-
liner Schloßmuseums, die Leitung des Zonal Fine Arts Repository übernommen.
Er sah die Gefahr recht deutlich, die den Kisten mit Textilien, Federn und
Pelzen von den Motten her drohte. Er beauftragte auch den Hamburger
Museumsangestellten Sievers, eine größere Zahl bereits inventarisierter Kisten
mit mottengefährdetem Inhalt nochmals zu überprüfen, sie mit neuem Motten-
pulver zu versehen und notfalls zu vergasen. Eine systematische Mottenbekämp-
fungsaktion kam jedoch nicht in Gang. Als nun im Sommer 1948 auch die
Inventarisierungsarbeiten wegen der starken Beanspruchung der Hamburger
Herren an ihrem eigenen Museum einzuschlafen drohten, schrieb Prof. Schmidt
am 12. Juli an Prof. Termer einen Brief, in dem es u. a. heißt: „Die Bearbeitung
und Rettung des gesammelten Materials verlangen nach einer sehr großen
Arbeitsleistung, die ich mit meinem anderweitig stärkst beschäftigten wissen-
schaftlichen Stab von zwei Herren nicht bewältigen kann. Außerdem fehlen uns
die Fachkenntnisse. Da sind wir auf die Inventarisierung durch völkerkund-
liche Spezialisten angewiesen, die uns nur von außen kommen können. Würde
es Ihnen wohl möglich sein, im Einverständnis mit Ihrer Regierung jeweils
einen der Herren Ihres Stabes nach hier zu detachieren? Ich stelle diese Frage
im vollen Einvernehmen mit den Herren der britischen Property Control, die
natürlich ebenso wie ich das größte Interesse daran hat, daß die so ungeheuer
wichtigen Bestände des Berliner Völkerkundemuseums nach Möglichkeit intakt
gehalten werden. M. E. dürfte die frühere, jetzige und zukünftige Eigentums-
frage an diesen Beständen hier keine Rolle spielen. Es handelt sich im Moment
doch nur darum, daß diese für die Wissenschaft so ungemein wertvollen Dinge
überhaupt gerettet werden. Je länger die Bearbeitung und der Schutz der Be-
stände hinausgezögert werden, desto katastrophaler werden die Verluste sein.
Und da wäre es nach meiner Meinung eine wissenschaftliche, aber auch eine
große materielle Rettungsaktion im allgemein deutschen Interesse, wenn Ihre
Regierung und Sie sich diesem Hilferuf nicht verschließen würden.“
Man muß dankbar anerkennen, daß sich die zuständigen Hamburger Stellen
damals bereit erklärten, ihre Sachverständigen weiterhin nach Celle zu schidien.
Die Aufnahme der völkerkundlichen Sammlungen machte in der Folge gute
Fortschritte. Bis zum Juni 1950 hatten Frl. Enderlin und die Herren Dr. Bier-
henke, Dr. Dlttmer, Dr. Haetinger, Dr. Schröter, Dr. Tischner, Rühmann und
Sievers nahezu 2300 Kisten inventarisiert. Da erklärte die Regierung von
Niedersachsen, die im September 1949 die Treuhänderschaft über die nach Celle
verlagerten Kunstschätze übernommen hatte, daß sie nicht mehr in der Lage sei,
243
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
die im Kunstgutlager arbeitenden Hamburger Sachverständigen zu bezahlen.
Auf Grund des nachdrücklichen Einspruchs von Prof. Schmidt sollte dieser Be-
schluß jedoch zurückgezogen werden. Als nun aber andererseits die Kultur-
behörde der Hansestadt nicht erfüllbare finanzielle Forderungen stellte, mußte
auf eine Weiterbeschäftigung der hamburgischen Experten verzichtet werden.
Damit war die jahrelange, stets harmonisch verlaufene Zusammenarbeit zwi-
schen dem Kunstgutlager Celle und dem Hamburger Museum für Völkerkunde
beendet. Nur Frl. Enderlin, die inzwischen aus dem Dienst der Stadt Hamburg
ausgeschieden war, arbeitete noch zu Beginn des Jahres 1951 in Celle an der
Aufnahme der letzten unfertigen Afrika-Kisten.
Mit wenigen Worten mögen nun die Kenntnisse gestreift werden, die man
in Berlin über die in Celle herrschenden Verhältnisse besaß. Die Direktion des
Dahlemer Museums war 1945 der Meinung, daß der größte Teil der Sammlun-
gen verlorengegangen sei, da sie nichts von der Überführung der Kisten von
Grasleben nach Celle gehört hatte. Das ist in Anbetracht der damaligen Zu-
stände in Deutschland nicht verwunderlich. Erstaunlich ist jedoch, daß noch im
Jahre 1947 in Berlin recht verworrene Vorstellungen über den Umfang der ge-
borgenen Bestände herrschten. In einem Bericht, den Prof. Nevermann am
18. 10. 1947 verfaßte, heißt es, daß Hamburger Museumsangehörige in Celle
etwa 400 Kisten der Abtlg. Südsee, 70 Kisten der Abtlg. Afrika, viele Kisten der
Abtlg. Eurasien, mehrere Kisten der Abtlg. Indien, sehr wenige Kisten der
Abtlg. Ostasien und „wenige Kisten Amerika, die nur Topfscherben enthalten“,
festgestellt hätten. Dieser Auszug läßt erkennen, wie ungenau man in der
Hauptstadt Deutschlands unterrichtet war. Obwohl die Kunde von dem tat-
sächlichen Ausmaß der geretteten Sammlungen bald darauf nach Berlin ge-
langte, bekam die Leitung des Museums erst endgültige Aufschlüsse, als Prof.
Nevermann bei einem Besuch in Celle im Sommer 1951 eine Liste mit detail-
lierten Angaben über die Kistenzahlen der einzelnen Abteilungen einsehen
konnte.
Inzwischen hatte der seit April 1950 im Kunstgutlager tätige Ethnologe
Dr. Koch die Betreuung der im Schloß lagernden völkerkundlichen Bestände
übernommen. Er widmete sich zunächst der weiteren Aufnahme noch nicht
revidierter Kisten und ging anschließend daran, eine Ozeanien-Ausstellung auf-
zubauen, über die im folgenden noch zu sprechen sein wird.
Zu Beginn des Jahres 1951 verlagerte sich das Schwergewicht der Arbeit
mehr und mehr von der Inventarisierung auf die Konservierung der Samm-
lungen. Unter den zu bewältigenden Aufgaben stand die Ausrottung der Motten
an erster Stelle. Nachdem sich Dr. Koch an Hand der vorliegenden Listen einen
Überblick über die Kisten mit gefährdeten Gegenständen verschafft hatte, führte
er von April bis Juli die erste große Mottenbekämpfungsaktion im Kunstgut-
16*
244
Hartmann, Inventarisierung der verlagerten Sammlungen
lager durch. Dabei ist der Inhalt von über hundert Kisten ausgepackt, gesäubert
und in eigens zu diesem Zweck eingerichteten Kammern vergast worden. Von
den weiteren Arbeiten, die unter Dr. Koch in Angriff genommen wurden, seien
die Erneuerung zerbrochener Deckgläser für die Turfan-Fragmente und die
planmäßige Bekämpfung von Rost- und Grünspanschäden genannt. — Bis
Ende 1954 sind ca. 400 Glasfassungen ersetzt und eiserne Gerätschaften aus
mehreren hundert Kisten in oftmals langwieriger Arbeit entrostet worden.
Als der Verfasser dieses Aufsatzes nach dem Ausscheiden seines auf eine
Südsee-Expedition gehenden Vorgängers im Juli 1951 in das Kunstgutlager ein-
trat, befanden sich 3012 Völkerkunde-Kisten im Geller Schloß. Infolge von
Auslieferungen an das Missionskloster Knechtsteden und die Westdeutsche
Bibliothek in Marburg sowie der ständigen Arbeit an der Entlastung über-
füllter Kisten war die genannte Zahl in den nächsten drei Jahren fortwährend
geringen Schwankungen unterworfen.
Es darf gesagt werden, daß es bis zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Be-
richtes gelungen war, der drohenden Mottengefahr Herr zu werden. Bei den
von 1952 bis 1954 veranstalteten Mottenbekämpfungsaktionen sind weitere
150 Kisten überprüft worden. Ihr Inhalt wurde gereinigt, notfalls vergast und
dann unter Verwendung von Mottenpulver wieder verpackt. Im Anschluß daran
wurden die behandelten Kisten in gut abgedichteten und leicht zu kontrollieren-
den Räumen untergebracht.
Neben den auf die Bekämpfung fortschreitender Schäden abzielenden Ar-
beiten wurden die Aufstellungsbedingungen für alle Kisten verbessert. In den
Kellern und in fast sämtlichen zu ebener Erde liegenden Lagerräumen mußten
die Kisten auf Leisten gesetzt werden. Zu feuchte Keller sind geräumt worden.
Wegen drohender Schwammgefahr erhielten einige Räume im Südflügel des
Schlosses Zementfußböden. Obwohl der zur Verfügung stehende Platz be-
schränkt ist, konnten zu hohe Kistenstapel abgetragen werden. Insgesamt ver-
fügte die völkerkundliche Abteilung Ende 1954 im Geller Schloß über 30 Lager-
und 2 große Arbeitsräume.
Von den anderen im Kunstgutlager angefallenen Aufgaben sei noch auf die
Erneuerung des Verpackungsmaterials in Hunderten von Kisten und die Zu-
sammenfassung feuchtigkeitsempfindlicher Stücke in besonders trockenen Lagern
hingewiesen.
Der Mangel an Schränken und Regalen gestattete es leider bisher nicht,
größere Teile der in Celle befindlichen Sammlungen ausgepackt aufzubewahren.
Daher war die Beantwortung von Anfragen, die sich auf im Schloß lagernde
Gegenstände bezogen, stets mit großen Mühen verbunden. Es konnte jedoch
verschiedenen Ethnologen, die für ihre wissenschaftlichen Arbeiten die Berliner
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
245
Sammlungen heranziehen mußten, die Durchsicht von Kisten ermöglicht wer-
den. Seit 1951 sind nahezu 200 Kisten für auswärtige Besucher geöffnet worden.
Auf Wunsch des Senats von Berlin wurden dem Dahlemer Museum für Völker-
kunde über 2400 amerikanische Ethnographica für Ausstellungszwecke zur Ver-
fügung gestellt.
Ende 1954 belief sich der völkerkundliche Bestand des Kunstgutlagers auf
2975 Kisten. Davon entfielen 856 auf die Abtlg. Amerika, 647 auf die Abtlg.
Indien, 583 auf die Abtlg. Afrika, 526 auf die Abtlg. Südsee, 265 auf die Abtlg.
Eurasien und 43 auf die Abtlg. Ostasien. Hinzu kamen 55 Kisten mit Turfan-
Fresken. Eine 1953 an Hand der Inventarlisten durchgeführte Zählung hatte
ergeben, daß sich mindestens 175 000 Stücke in Celle befinden. Wenn man den
Gesamtbestand des Berliner Museums für Völkerkunde vor dem zweiten Welt-
krieg auf rund 400 000 Katalognummern beziffert, so bedeutet das, daß jetzt
annähernd die Hälfte davon in Celle lagert.
In Ergänzung zu den bis 1950 in Schloß Celle veranstalteten Ausstellungen,
in denen unter Zugrundelegung des aus den Berliner Museen stammenden
Materials Kunstschätze aus Europa und Ostasien gezeigt worden waren, wurde
im Februar 1951 eine Schau unter dem Titel „Kunst der Südsee“ eröffnet, in
welcher in zwei großen Sälen 306 ausgewählte Stücke zu betrachten warenT
Darunter befanden sich der Federmantel und der Kukailimoku aus Hawaii,
Schnitzereien aus Neuseeland, von den Marquesas-, Hervey-, Samoa-, Tonga-
und Fidschi-Inseln, Ahnenfiguren und Masken aus Melanesien sowie erlesene
Baststoffe und Schmuckstücke aus vielen Teilen der ozeanischen Inselwelt. Eine
hohe Besucherzahl bewies, wie groß das Interesse der Öffentlichkeit an dieser
ersten im Schloß dargebotenen ethnographischen Ausstellung war.
Nach der erfolgreichen Südsee-Schau lag es nahe, für das Jahr 1952 eine
weitere völkerkundliche Ausstellung vorzusehen. Die Wahl fiel auf Indonesien,
ein Gebiet, das wegen der im früheren Berliner Museum herrschenden Raumnot
niemals im Zusammenhang gezeigt werden konnte. Die Vorbereitungen für diese
Ausstellung gestalteten sich recht schwierig. Im ganzen sind dafür 165 Kisten
geöffnet und durchgesehen worden. Nach der Entnahme der in Frage kommen-
den Stücke wurden die geöffneten Kisten neu gepackt, nachdem vorher — soweit
sich dies als nötig erwies — fortschreitende Schäden beseitigt worden waren.
Die Indonesien-Ausstellung, in welcher 583 Stücke gezeigt wurden, u. a. zahl-
reiche javanische Wajang-Figuren, kunstvolle Batikstoffe, Plastiken aus Nias,
Bali und Ostindonesien sowie Flechtwerke aus Borneo und Celebes, lief von
August bis Oktober 1952 und fand ebenfalls großes Interesse. — Im Jahre 1954
wurden dann noch einmal im Rahmen der Ausstellung „Kostbarkeiten alter
Kunst“ 75 wertvolle Stücke aus allen Teilen des amerikanischen Doppelkonti-
nents zur Schau gestellt. Unter den ausgestellten Gegenständen waren viele
246
Hartmann, Inventarisierung der verlagerten Sammlungen
ethnographische Unika, wie das berühmte Tipi aus der nordamerikanischen
Prärie und die Xingu-Masken aus der Sammlung Karl v. d. Steinen.
So wurden das Land Niedersachsen und speziell die Stadt Celle dankbare
Nutznießer einer für die Herkunftsorte der Kunstwerke bedauerlichen Situation,
wie sich Dr. Pretzell, der jetzige Direktor des Kunstgutlagers, einmal ausdrückte.
Im Interesse der im Geller Schloß befindlichen Sammlungen wäre jedoch zu
wünschen, daß alle heute noch in Kisten lagernden Ethnographica bald ausge-
packt und zum Fortschritt unserer Wissenschaft der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
247
Nachtrag zu
„ÄLTERE ETHNOGRAPHICA AUS NORDAMERIKA“
(Baeßler-Archiv, Neue Folge Band II, 1954)
W. KRICKEBERG
Ein Schreiben des in meinem Bericht (S. 17) erwähnten Dr. HorstHart-
mann vom 5. Januar 1955 bringt die erfreuliche Kunde, daß sich bei der
weiteren Revision der Sammlungen des Berliner Museums für Völkerkunde im
Kunstgutlager Schloß Celle, wohin sie nach dem Kriege aus einem Bergwerk
bei Grasleben verlagert wurden, noch eine Reihe der bisher als verschollen be-
trachteten und in dem Bericht daher nur nach Photos, Aufzeichnungen und
Katalogangaben beschriebenen nordamerikanischen Ethnographica wiederge-
funden habe. Ich zähle sie in der Reihenfolge auf, in der sie beschrieben und
abgebildet wurden:
(Kleidungsstücke :)
1. Taf. 10 und 12a (S. 75 f.)
Lederhemd eines Schwarzfußindianers (IV B 303a).
2. Taf. 10 (S. 80)
Leggings aus Leder, dazugehörig (IV B 303b).
3. Taf. 11 (S. 75 f.)
Lederhemd eines Krähenindianers (IVB 193).
4. (S. 80)
Leggings aus Leder, dazugehörig (IVB 194).
5. Taf. 23d (S. 104, 111)
Mokkasins aus Leder mit Borstenverzierung, dazugehörig (IV B 305).
6. Taf. 18 (S. 94)
Männerhemd aus Leder, Südoststamm (IVB 106).
7. Taf. 18 (S. 94)
Durchziehschurz aus Tuch, dazugehörig (IVB 13).
8. Taf. 18 (S. 94)
Leggings aus Tuch, dazugehörig (IVB 16).
9. Taf. 18 und 20a (S. 102, 106 f.)
Mokkasins aus Leder, dazugehörig (IVB 121).
10. Taf. 17b und 18 (S. 97)
Stirnband aus Silber, Südoststamm (IV B 222).
11. Taf. 17c und 18 (S. 97)
Armspange aus Silber, dgl. (IVB 218).
248
Krickeberg, Nachtrag zu „Ältere Ethnographica“
12. Taf. 17d und 18 (S. 97)
Brusthalbmond aus Silber, dgl. (IV B 224).
(Taschen:)
13. Taf. 18 (S. 113 f.)
Jagdtasche aus Leder mit Borstenverzierung, Südoststamm (IV B 242).
(Zeremonialschmuck und - gerät:)
14. Taf. 24d (S. 244)
„Krähengürtel“, wahrscheinlich Ostdakota (IVB 147).
15. (S. 246)
Federkrone des Hundebundes, wahrscheinlich Mandan (IVB 155).
16. Taf. 49b (S. 246)
Rückenschleppe des Flundebundes, dgl. (IV B 24).
17. Taf. 48a (S. 247)
Stirnband, Abzeichen der „Schwarzschwänzigen Hirsche“, dgl. (IVB 163).
18. Taf. 50b (S. 253)
Doppelte Schnur aus Bisonwolle mit geflochtener Scheibe, Herkunft unbe-
kannt (IVB 244),
(Spielgeräte und Musikinstrumente:)
19. Taf. 41a (S. 258/9)
Ballschläger aus Holz, wahrscheinlich Nordalgonkin (IVB 171).
20. Taf. 50c (S. 259 f.)
Rasselstab, wahrscheinlich Mandan (IV B 50).
21. Abb. 59 (S. 261)
Einseitig bespannte Rahmentrommel, Herkunft unbekannt (IV B 57).
22. Abb. 60 (S. 262 f.)
Doppelseitig bespannte Rahmentrommel, dgl. (IV B 58).
23. Abb. 63a (S. 267)
Vorsatzflöte mit Grifflöchern, Mandan (IVB 36).
Entgegen früheren Befürchtungen ist es nunmehr sicher, daß der größere
Teil der kostbaren alten Indianersammlung dem Berliner Museum erhalten
blieb. Dennoch sind die Verluste noch immer beträchtlich; sie umfassen sämt-
liche bemalten und borstenverzierten Felldecken (Taf. 1—9), sämtliche Wam-
pumgürtel (Taf. 46 und 47), die beiden Skalpe (Taf. 42 und Abb. 51) und
wahrscheinlich auch die Kindertrage (Taf. 36). Ob wir je mit ihrer Wiederkehr
werden rechnen können, ist noch gänzlich ungewiß.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
249
LEONHARD SCHULTZE JENA f
Mit Leonhard Schultze Jena, der am 28. März 1955 im Alter von 83 Jahren
in Marburg a. L. seine Augen für immer geschlossen hat, ist ein Gelehrter von
internationalem Ruf dahingegangen, dessen Name bei den Vertretern verschie-
dener Disziplinen — Geographen und Anthropologen, Sprachforschern, Völ-
kerkundlern und Amerikanisten — einen gleich hervorragenden Klang be-
sessen hat.
Professor Dr. Leonhard Schultze Jena, am 28. Mai 1872 in Jena geboren,
hatte seine wissenschaftliche Laufbahn 1899 als Assistent Haeckels und Privat-
dozent der Zoologie in Jena begonnen. Er wechselte jedoch das Fachgebiet und
wirkte als Geograph zunächst an der gleichen Universität, dann in Kiel und
vor allem in Marburg, wo er das Ordinariat fast ein Vierteljahrhundert lang,
von 1913 bis 1937, dem Jahr seiner Emeritierung, innehatte.
Schon in den Jahren 1903 bis 1905 konnte Schultze Jena seine erste große
Forschungsreise antreten, die ihn nach Südwest-Afrika führte. 1910—1911
weilte er in Neuguinea als Leiter der Kommission, welche die Grenze zwischen
dem damals deutschen und dem holländischen Teil der Insel festlegen sollte.
Seine Expedition stieß dabei tief in Gebiete vor, die noch nicht geographisch
oder ethnographisch untersucht worden waren. Die wissenschaftlichen Ergeb-
nisse der Afrika-Reise sind in dem großen Werk „Aus Namaland und Kala-
hari“ (1907) sowie der Arbeit „Zur Kenntnis des Körpers der Hottentotten und
Buschmänner“ (1928) niedergelegt worden, während über die Südsee-Expedi-
tion in dem Bande „Forschungen im Inneren der Insel Neuguinea“ (1914) Be-
richt erstattet wurde.
Bereits während dieser Forschungsreisen war bei Schultze Jena zu den
geographischen, anthropologischen und völkerkundlichen Interessen die Be-
schäftigung mit den Sprachen der Eingeborenen getreten, deren erste Frucht die
1911 veröffentlichte Studie „Zur Kenntnis der melanesischen Sprache von der
Insel Tumleo“ darstellte. Durch seine ganz außergewöhnliche Sprachbegabung
und sein hervorragendes Einfühlungsvermögen in die geistige Welt der Einge-
borenen hat Schultze Jena auf sprachwissenschaftlichem Gebiet Erfolge erzielt,
wie sie selten einem Forscher vergönnt gewesen sind. Die sprachwissenschaft-
lichen Forschungen sollten eine immer größere Bedeutung in seiner Arbeit
erlangen.
So bildete auch die wissenschaftliche Erfassung einer Reihe indianischer
Sprachen das eigentliche Ziel der Mittelamerika-Reise, die Schultze Jena in den
Jahren 1929 bis 1931 durchführte. Hierbei gelang es ihm, wichtiges Gut von
250
Kutscher, Leonhard Schultze Jenaf
Sprachen zu retten, die teilweise zum Aussterben verurteilt sind. Die reichen
Ergebnisse dieser Reise sind In dem monumentalen Werk „Indiana“ nieder-
gelegt worden, dessen erster Band „Leben, Glauben und Sprache der Quiche
von Guatemala“ (1933) behandelt, der zweite Band „Mythen In der Mutter-
sprache der Pipil von Izalco in El Salvador“ (1935) bringt, während der dritte
die „Bei den Azteken, Mixteken und Tlapaneken der Sierra Madre del Sur
von Mexiko“ aufgenommenen Texte und Beobachtungen (1938) enthält. Die
eingeborenen Texte sind von analytischen Wörterverzeichnissen begleitet, die
mit größter philologischer Treue angelegt wurden. Die hohe Bedeutung des
Werkes wurde auch in Lateinamerika gewürdigt, wie die in Guatemala erschie-
nene Leilveröffentlichung des ersten Bandes in spanischer Sprache erkennen läßt.
Mit dieser so erfolgreich durchgeführten Expedition war das Gebiet be-
stimmt, dem Schultze Jena seine ungebrochene Arbeitskraft nach seiner Emeri-
tierung voll und ganz widmen sollte: die Erforschung und Übertragung indiani-
scher Sprachdokumente aus Mesoamerika. In einem Lebensalter, in dem viele
andere Gelehrte abzuschließen und auszuruhen beginnen, wandte er sich einer
neuen großen Aufgabe zu: der Erschließung ausgewählten historischen Text-
materials heute noch lebender Indianersprachen. Nach dem Tode von Walter
Lehmann (1939), mit dem ihn eine lange Freundschaft verbunden hatte, entschloß
sich Schultze Jena, an die Übersetzung des „Popol Vuh“ heranzugehen, wobei
er das von W. Lehmann in Chicago wiederentdeckte Manuskript zugrunde-
legte. Es war möglich, diese Übertragung — bis zum heutigen Tage philologisch
wie sprachlich die beste — im Winter 1944 als Band II der Reihe „Quellen-
werke zur alten Geschichte Amerikas, aufgezeichnet in den Sprachen der Ein-
geborenen“ vorzulegen. Ein umfangreiches analytisches Wörterverzeichnis ge-
stattet auch hier, die Übersetzung an jeder Stelle auf das Genaueste nachzu-
prüfen.
Nach dem Abschluß dieser Arbeit wandte sich Schultze Jena dem großen
Corpus aztekischer Texte zu, deren Sammlung auf Bernardino de Sahagün
zurückgeht. Seit dem Tode Eduard Selers, der die Übertragung ausgewählter
Kapitel aus diesem Geschichtswerk vorgenommen hatte, war die Erschließung
dieses Werkes, die eines der wichtigsten Desiderata der Mexikanistik bildet,
nicht weiter fortgeschritten. Schultze Jena ist die erstmalige Übersetzung neuer
wichtiger Teile des aztekischen Sahagün zu verdanken, die in zwei Bänden
unter dem Titel „Wahrsagerei, Himmelskunde und Kalender der alten Azte-
ken“ (1950) und „Gliederung des alt-aztekischen Volks nach Familie, Stand
und Beruf“ (1952) in den von der Ibero-Amerikanischen Bibliothek Berlin her-
ausgegebenen „Quellenwerken zur alten Geschichte Amerikas“ veröffentlicht
wurden.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
251
In seinen letzten Lebensjahren hat sich Schnitze Jena der vielleicht schwie-
rigsten Aufgabe zugewendet: der erstmaligen vollständigen Übersetzung der
„Cantares Mexicanos“, einer in der Biblioteca Nacional in Mexiko befind-
lichen Handschrift. An der Übertragung einzelner Gesänge hatte sich bisher nur
D. G. Brinton versucht. Eine zuverlässige Übersetzung der metapherreichen, in-
haltlich häufig schwer verständlichen Hymnen müßte unsere Kenntnis von der
religiösen Dichtung der alten Mexikaner entscheidend bereichern. An diese Auf-
gabe konnte sich mit Aussicht auf Erfolg als Einziger Schultze Jena wagen,
der innerhalb von nur einem Jahrzehnt so tief in den Geist dieser schwierigen
Sprache eingedrungen war. Es bleibt daher um so mehr zu beklagen, daß es
dem greisen Gelehrten nicht mehr vergönnt gewesen ist, seine Arbeit ganz ab-
zuschließen. Im klaren Bewußtsein, daß ihm keine allzulange Frist mehr zuge-
messen sei, hatte Schultze Jena die „Cantares" in zwei Teile gegliedert, um
die von ihm bereits fertiggestellte Übersetzung der ersten Hälfte der Gesänge
in diesem Jahre zu veröffentlichen, während die andere Hälfte der Hymnen,
an deren Übersetzung er noch arbeitete, bald folgen sollte. Er hat sein Ziel
leider nicht mehr ganz erreicht, sondern nur noch eine Reihe weiterer Gesänge
übertragen können, die nun in den bereits im Druck befindlichen Band mit auf-
genommen werden sollen.
Seine lange, unermüdliche Arbeit hat ein ganz plötzliches Ende genommen.
Einmal erkrankt, ist er nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt, an
dem er Jahr für Jahr immer neues Licht in das Dunkel aztekischer Prosa und
Dichtung gebracht hatte. Sein Schreibtisch war noch so, wie er ihn verlassen
hatte: hier lag aufgeschlagen die rotgebundene Faksimileausgabe der „Can-
tares", daneben die Wörterbücher des Molina und Rcmi Simeon, während
mehrere schwarze Kästen auf hunderten hellgrauer Zettel das Wörterverzeichnis
enthielten. In der Mitte jedoch befand sich das Manuskript der Übersetzung, —
geschrieben in der so dekorativen Schrift ihres Bearbeiters. Auf den länglichen
Blättern ruhte zur Beschwerung eines jener flachen Kupfermesser, die den Azte-
ken als Scheidemünze dienten, und die große Lupe. Das geringe Rüstzeug
machte deutlich, wie sehr der Verstorbene bei dieser Pionierarbeit auf seine
eigene, schöpferische Kraft angewiesen war.
Schultze Jena ist Zeit seines Lebens jeder äußeren Ehrung und Aner-
kennung abhold gewesen. Seine Arbeit vollzog sich In der harmonischen Ruhe
seines Marburger Heimes, von dessen Fenstern der Blick so weit über das schöne
Lahntal geht. Strengste wissenschaftliche Genauigkeit und ein hervorragendes
Einfühlungsvermögen in Sprache und Kultur der indianischen Stämme wirkten
zusammen, um ihn tief in die Geisteswelt der Azteken und Maya eindringen
zu lassen. Mit großer Sprachgewalt ist von ihm eine Reihe wichtiger Schrift-
denkmäler dieser Völker ins Deutsche übertragen worden. Durch seine Arbeit
252
Kutscher, Leonhard Schultze Jenaf
sind damit zum ersten Male Werke zugänglich geworden, die — wie das „Popol
Vuh“, das heilige Buch der Quiche, oder die „Cantares“ — als die bedeutend-
sten dichterischen Schöpfungen des altindianischen Geistes nicht nur für die
Fachforschung von der höchsten Bedeutung sind, sondern mit vollem Recht
einen Platz in der Weltliteratur beanspruchen dürfen.
G. Kutscher, Berlin.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
253
BÜCHERBESPRECHUNGEN
Amsden, Charles Avery: Prehistoric Southwesterners from Basketmaker to Pueblo.
Los Angeles: Southwest Museum. 1949. XIV + 163 S., 39 Taf., 46 Textabb., 2 K.
1949.
Die von dem Nestor amerikanischer Feldarchäologie A. V. Kidder geschriebene Ein-
führung, die gleichzeitig einen Nekrolog bedeutet, darf als sicherste Empfehlung für
dieses posthume Kulturgeschichtswerk Amsdens gelten, das zu den Standardwerken jeder
amerikanischen Bibliothek gehören sollte. Seit Kidder den fünfzehnjährigen Amsden
zum ersten Male zu archäologischer Feldarbeit am San Juan River mitnahm, war dieser
der Archäologie des Südwestens verfallen. Kidder erzählt, daß der Junge, als er ihn
damals seinem Vater zurückbrachte, mehr wie ein „Cliffdweller“ als wie ein Bankiers-
sohn ausgesehen habe. Seit 1927 bis zu seinem Tode im Jahre 1941 war er im South-
west Museum in Los Angeles tätig und, wie Kidder bezeugt, hielt er bis zuletzt die
Verbindung mit der archäologischen Landschaft des Südwestens aufrecht.
Das vorliegende Werk ist nur ein kleiner, doch in sich geschlossener Teil dessen,
was der Verfasser geplant hatte, nämlich der Anfang und erste Teil einer Kultur-
geschichte der „Southwesterners“, von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
Das geschichtsmorphologisch Wichtige dieses ersten Teiles kennzeichnet Kidder in
seinem Vorwort mit treffenden Worten: „Die Anfangsphase keiner einzigen Kultur,
ob sie nun in Ägypten, Mesopotamien, im Fernen Osten, in Mittelamerika oder in den
Anden erstand, liegt innerhalb unserer Erkenntnismöglichkeit. In allen jenen Regionen
haben Zeit und Naturgewalten — wahrscheinlich jenseits aller Hoffnung auf eine mehr
als ganz fragmentarische Rekonstruktion — die Spuren der Menschen zerstört, welche
die ersten Schritte dort taten. Doch in dem trockenen Südwesten mit seinem Reichtum
an bewohnbaren Höhlen, die den Menschen zum Unterschlupf dienten und auf voll-
kommenste Weise ihre gesamte Hinterlassenschaft konserviert haben, läßt sich Material
finden, das wahrscheinlich klarer als irgendwo anders in der Welt das tägliche Leben
und das handwerklidie Können einer Mensdiengruppe illustriert, die gerade aus der
Existenz von Jägern und Sammlern emportauchte und eine komplexere materielle und
soziale Kultur herauszubilden begann, welche wie jede gehobenere Kultur auf dem
Anbau einer Getreideart basierte.“
Mit einer Schilderung der Landschaft des Südwestens, die er wie kaum ein anderer
durchschweifte, beginnt Amsden seine Geschichte. Einem knappen Bericht über Erobe-
rung und Kolonisation folgt die Geschichte der wissenschaftlichen Erforschung des Süd-
westens von offizieller und privater Seite her. Sie beginnt mit der Beschreibung der
Ruinen von Casa Grande im südlichen Arizona durch Pater Eusebio Francisco Kino
im Jahre 1694, endet aber noch nicht mit den wissenschaftlichen Ausgrabungen ver-
schiedener amerikanischer Museen im Laufe unseres Jahrhunderts.
Das zweite Kapitel enthält eine glänzende Darstellung der Dendrodironologie, der
Zeitbestimmung an Hand von Baumringen als Balken benutzter Hölzer, deren älteste
Daten bis in das Jahr 11 n. Chr. zurückführen.
Der Hauptteil umfaßt eine detaillierte Wiedergabe der beiden Hauptphasen der
Basketmaker-Kultur. Gegenstände aus an sich leidit vergänglichen Stoffen, die sich in
trockenen Höhlen der Schluchten des Südwestens nahezu vollkommen erhielten — Klei-
dung, Flechtwerk, Holzgegenstände und Nahrung — sind durch treffliche Photo-
graphien und Zeichnungen wiedergegeben. Beschreibungen der beiden Haupt-
phasen der Basketmaker in bezug auf ihre Wohnung, Kleidung, Gerät usw. folgt
jeweils ein Kapitel lebendiger Rekonstruktion des mutmaßlichen Lebens in jener
entlegenen Zeit. Amsdens Vorhaben, eine lebensnahe Geschichte früher Menschen einem
größeren Leserkreis zu erzählen, ist tatsächlich gelungen. Aber auch der kritischste
254
Bücherbesprechungen
Spezialist wird dem zu früh verstorbenen Verfasser vollen Beifall spenden. Besonders
hervorzuheben sind die Kapitel über „Das Wunder des Maises“ und „Anfänge der
Töpferei“. Im Maiskapitel konstatiert der Verfasser — vermutlich mit Recht —, daß
die Indianer die größten Pflanzer der Welt waren, indem er die Vielzahl der im alten
Amerika gezüchteten Nutzpflanzen aufzählt. Nach ihm ergeben sie fünf Siebentel des
Totalproduktes der ganzen Welt. Was die jüngeren Basketmaker betrifft, so besaßen
sie außer Mais und Kürbis auch Bohnen. Es ist nicht sidier, ob die Sonnenblumenkerne,
die man unter ihrem Nachlaß findet, von angebauten oder wild wachsenden Pflanzen
stammen.
Das Kapitel über die Töpferei bringt Beschreibungen und Abbildungen frühester
Gefäße aus ungebranntem Ton, gemischt mit Baumborke. Die Zeitspanne, die der Ver-
fasser bis zum ersten Auftreten gebrannter Tonware angibt, nämlich 600 Jahre, scheint
mir etwas reichlich bemessen. Bemerkenswert ist, wie eng sidi die Muster erster Be-
malung an Flechtornamentik anschließt. Die früheste Basketmaker-Töpferei, für die
Baumring-Daten existieren, gehört in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. Sie
stammt aus einer Höhle in N.O.-Arizona.
Andere neue erworbene Elemente der späteren Basketmaker-Stufe sind Truthahn-
zucht, Pfeil und Bogen, Flöten, Türkis aus der eigenen Zone und Glycymerismuschel-
Schmuck vom kalifornischen Golf. Anbau der Bohne, Herstellung primitiver Figuren
aus ungebranntem Lehm, beinerne Nadeln mit Ohr, Vervollkommnung in Flechtwerk
und Kleidung.
„Natürlich ist die Nähnadel nicht von den Indianern zu uns gekommen", schreibt
Amsden. „Aber sicherlich kommt sie aus einer Verknüpfung ähnlicher Verhältnisse, und
dieser eine Fall illustriert die Bedeutung der Eingeborenen-Kulturen der Neuen Welt
für die Menschheitsgeschichte. Diese Kulturen offenbaren uns mit aller Klarheit und
Deutlichkeit die vielen kleinen Schritte, in denen jegliche Kultur gewachsen ist. Wie
Graubärte ihre eigene dämmerige Jugend in ihren Enkeln sehen, so mögen wir, die wir
inmitten der Zivilisation alt geworden sind, unsere kulturelle Kindheit in dem ein-
fachen Leben dieser anspruchslosen Menschen betrachten.“ Solche Sätze sind charakte-
ristisch für Amsdens Anschauungsweise. Daß er nur den ersten Teil des geplanten
Werkes abschließen konnte, ist zu beklagen. Doch das Buch über die Basketmaker bleibt
ein in sich gültiges und abgeschlossenes Werk. H. D. Disselhoff.
Disselhof}, Hans Dietrich: Geschichte der altamerikanischen Kulturen. München:
R. Oldenbourg, 1953. 8°. 376 S. mit 40 Tafeln, 25 Textabbildungen und 10 Karten.
Seit den „Culturvölkern Alt-Amerikas“ von Gustav Brühl (1887) ist dies die erste
umfassende', in deutscher Sprache geschriebene Darstellung der alten Kulturwelt, die bis
zu ihrer Vernichtung durch die Spanier den ganzen gebirgigen Westen Amerikas zwi-
schen den Wendekreisen einnahm. Wer sich in Deutschland während dieser vielen Jahre
über die altamerikanischen Völker und Kulturen unterrichten wollte, mußte zu Werken
englischer, französischer oder spanischer Autoren greifen, von denen die meisten nicht
ins Deutsche übersetzt waren und viele nicht mehr dem heutigen Stand unseres Wissens
entsprachen. Schon das würde genügen, um das Erscheinen des vorliegenden Werkes zu
rechtfertigen. Seine besondere Aktualität liegt darin, daß es erstmalig die großen
archäologischen Entdeckungen der dreißiger und vierziger Jahre auswertet, durch die
mehr als je zuvor die hohe menschheitsgeschichtliche Bedeutung jener
alten Völker offenbar wurde — eine Bedeutung, die sich nicht darin erschöpft, daß sie
auf vielen Gebieten den alten Kulturvölkern Vorder-, Süd- und Ostasiens ebenbürtig
waren, ja sie in einigen Fällen sogar überragten; wichtiger ist noch, daß sie die einzigen
Beispiele für eine im wesentlichen unabhängige Entwicklung von Hochkulturen
darstellen, denn die altweltlichen standen alle schon in ihrer Ursprungszeit irgendwie
miteinander in Verbindung und haben sich in ihrer späteren Geschichte immer wieder
gegenseitig befruchtet. Eine gediegene Popularisierung dieser Erkenntnisse tut besonders
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
255
in Deutschland not, wo, wie schon ein Bück in die Tagespresse lehrt, jede phantastische
Hypothese, die sich mit Altamerika befaßt — man denke nur an die anscheinend unaus-
rottbaren Atlantismärchen, die Welteislehre und die Theorien, die sich an die Kon-tiki-
Fahrt knüpften —, mehr Beachtung findet als die wirklichen Probleme, die Höhe, Eigen-
art und Selbständigkeit der altamerikanischen Kulturen betreffen. Dabei gibt es kaum
bessere Gelegenheiten, sich über sie zu unterrichten, als in Deutschland, das allein in
seiner Berliner Sammlung eine der reichsten und kostbarsten Sdiatzkammem amerikani-
scher Altertümer besitzt, die Europa aufzuweisen hat. Daß sie nicht so bekannt ist und
gewürdigt wird, wie sie es verdient, liegt übrigens nicht so sehr an der Öffentlichkeit,
deren Interesse für völkerkundliche Dinge vielleicht nie so rege war wie gegenwärtig,
als vielmehr an dem unglücklichen Umstande, daß das Berliner Museum für Völker-
kunde heute im Schatten von Kunstgalerien steht, mit denen es verwaltungsmäßig ver-
koppelt ist, und sich dem Willen einer oberen Museumsleitung beugen muß, die ihren
einseitigen Ästhetizismus auch auf die völkerkundlichen Sammlungen ausdehnt und
für deren in erster Linie kulturgeschichtliche Bedeutung keinerlei Ver-
ständnis aufbringt. Es ist nur zu hoffen, daß der Verfasser des vorliegenden Werkes in
seiner gegenwärtigen Stellung als Leiter des Berliner Museums für Völkerkunde, dessen
altamerikanischen Sammlungen seine besondere Liebe gehört, bald freie Hand gewinnt,
diese Schätze für die Wissenschaft und Volksbildung wieder nutzbar zu machen, wie es
vor dem Kriege schon in hohem Maße gelungen war, als das Museum noch selbständig
über eigene Mittel verfügen konnte.
Das Buck Disselhoffs besitzt den großen Vorzug, nicht nur in jedem seiner Sätze
wissenschaftlich fundiert, sondern auch in ausgezeichnet lesbarem, nicht selten schwung-
vollem Deutsch geschrieben zu sein, was ihm hoffentlich eine weite Verbreitung sichern
wird. Als Beispiel nenne ich nur die bei aller Kürze meisterhafte Darstellung der Ge-
schichte und Verfassung des Inkareiches, die die großen staatsmännischen Leistungen der
letzten Inkaherrscher würdigt und auch Atauhualpa gerecht wird, den man trotz seiner
bis zum bitteren Ende bewiesenen königlichen Haltung häufig falsch beurteilt hat.
Solcher Partien gibt es noch viele, und es schadet dem wissenschaftlichen Charakter des
Buches keineswegs, wenn wir auch einmal zu einem fingierten Spaziergang durch die
große voraztekische Metropole Teotihuacan an der Hand eines so kundigen Führers
wie des schwedischen Archäologen Sigvald Linné eingeladen werden. Den allgemeinen
Fragen der Entstehung und Entwicklung der altamerikanischen Kulturen ist das Ein-
gangskapitel gewidmet, in dem die schon erwähnten Hirngespinste zurückgewiesen wer-
den, während dem durchaus ernstzunehmenden, besonnenen und kritischen Versuch
R. v. Heine-Gelderns, einen vom 4. Jahrhundert vor bis zum 12. nach Christus mit
Unterbrechungen dauernden, höchst folgenreichen Verkehr zwischen Südostasien und
Mittelamerika nachzuweisen, volle Beachtung geschenkt wird, wenn sich auch „Zweifel
grundlegender Art“ gegenüber dieser Auffassung, die eine einheitliche Entstehung aller
Hochkulturen der Erde voraussetzt, nicht ganz unterdrücken lassen (S. 14—17). Hieran
sdiließt sich eine eingehende Schilderung der drei selbständigen Kulturkreise Alt-
amerikas: des mesoamerikanischen (S. 21—239), costaricanisch-columbischen (den
Disselhoff treffend unter der Überschrift „Die Goldländer“ behandelt, S. 240—259) und
peruanischen (S. 260—348); beim ersten und dritten folgt sie im allgemeinen den ein-
zelnen Kulturphasen, beginnend mit den ältesten, beim zweiten der ethno-
graphischen Gruppierung, weil die chronologischen Verhältnisse hier noch nicht
durch Grabungen geklärt werden konnten; doch ist in diesem Teil auch eine zusammen-
fassende Übersicht über die Goldschmiedekunst enthalten. Den Anhang bildet eine Er-
örterung der chronologischen Methoden mit einer Zelttabelle (S. 349 354) und den
Beschluß eine fast 200 Titel umfassende, für das Weiterstudium sehr brauchbare Lite-
raturübersicht sowie ein ausführliches Namen- und Sachregister.
Es ist unmöglich, näher auf die Fülle des Materials einzugehen, das Disselhoff vor
uns ausbreitet. Der Sachkenner wird keine archäologisch wichtige Tatsache vermissen
256
Bücherbesprechungen
und der Laie auch über die neuesten Entdeckungen und Auffassungen in knapper, aber
ausreichender Form unterrichtet werden. Was ich besonders begrüße, weil es das Ver-
ständnis für die unendlich reiche und verwirrend vielseitige Kulturentwicklung im meso-
amerikanischen und peruanischen Kulturkreis wesentlich erleichtert, sind die allge-
meinen Gesichtspunkte, die Disselhoff im Anschluß an die Anschauungen Pedro Ar-
millas’, Alfonso Casos, Eric Thompsons, Bennerts, Teiles, Rowes u. a. Forscher seiner
Darstellung zugrunde gelegt hat. Im mesoamerikanischen Bereich unter-
scheidet er ein bis rund 900 n. Ghr. dauerndes Zeitalter vorwiegend rheokra-
ti scher Staaten, die sich um die großen religiösen Zentren Teotihuacan, Monte
Alban, Tajin, im altolmekischen Gebiet der Golfküste und im sog. „Alten Reich“ der
Maya gebildet hatten, und ein jüngeres, in dem kampfesfrohe Völker, vor allem Nahua-
Stämrne (Tolteken und Azteken), die alten Priesterfürsten verdrängten und den bis
dahin religiös gefärbten Kulturen einen kriegerischen Zug gaben, der sich auch
im Bau der ersten Festungen (z. B. Xochicalcos) neben den bis dahin offenen Städten
äußert. Diese Unterscheidung erklärt vieles, z. B. die Überlagerung einer älteren Glau-
bensschicht, die sich auf den Kult der Federschlange und der Regen- und Vegetations-
götter gründete, durch eine jüngere, in der Sonnengötter an der Spitze des Pan-
theons standen und die früher seltenen Menschenopfer immer mehr den Kultus be-
herrschten; auf dem Gebiete der Kunst könnte man zugunsten dieser Auffassung auch
die Tatsache an-führen, daß die Tempelpyramiden der jüngeren Epoche in Mexico immer
ärmer an dekorativ-symbolischem Schmuck wurden und bei den Maya immer mehr
hinter anderen Bauten zurücktraten. — Die altperuanische Geschichte wird
durch drei große, vom Andenhochland ausgehende „panperuanische“ Kultur-
bewegungen gegliedert, von denen die beiden vorinkaischen — die Chavin-Phase zu
Beginn unserer Ära, die Tiahuanaco-Phase um 1000 n. Chr. — wahrscheinlich nicht
durch Eroberungen eingeleitet wurden, sondern Im wesentlichen der Ausbreitung reli-
giöser Ideen dienten: in der Chavin-Phase war es der Kult eines in Jaguargestalt
auftretenden Erd- und Vegetationsgottes, in der Tiahuanaco-Phase eines menschlich ge-
dachten Himmelsgottes. Zwar propagierte auch das durch die Eroberungen Pachacutics,
Tupac Yupanquis und Huayna Capacs (1438—1527) geschaffene Inka-Reich eine neue
Religion, den Sonnendienst; doch standen jetzt soziale und politische Ziele im Vorder-
grund. In den Zwischenzeiten herrschten überall Kleinstaaten mit lokalen Kulturen.
Ein bemerkenswerter Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Intervall zeigt sich
darin, daß auf die Chavin-Phase eine sehr hohe Blüte dieser Kulturen (Mochica,
Recuay, Paracas-Nazca usw.) folgte, während die Tiahuanaco-Phase eine allgemeine
Verarmung, Schematisierung und Vergröberung mindestens der lokalen Kunststile
(Chimü, Chancay, Ica usw.) bewirkt zu haben scheint.
Auf diesen Grundlagen baut sich die ganze Darstellung auf, die auch bei der Be-
handlung der Einzelfragen die neuesten Forschungen berücksichtigt. Daß wir heute noch
weit von einer Einsicht in die Ursprünge der altamerikanischen Hochkulruren entfernt
sind, ergibt sich daraus, daß man in Mexico und Peru selbst bei Grabungen, die bis
zum gewachsenen Boden hinabführten, nur selten und im Maya-Gebiet überhaupt noch
nicht auf eine „präkeramische“ und vor dem Beginn des Bodenbaus liegende Schicht
gestoßen ist (S. 34, 124, 262/3), sondern fast immer schon auf ein beachtliches kul-
turelles Niveau. Das mesoamerikanische Archaikum war alles andere als „primitiv“,
und die Chavin-Kultur stand obendrein auf künstlerischem Gebiet so hoch, daß lange
Zeiten der Entwicklung angenommen werden müssen; in beiden Fällen bildet bereits
ein intensiver Maisanbau, der auf den Hochländern entstand, die Wirtschaftsbasis. Die
eigentliche „Hochkultur“ scheint aber in Mesoamerika von der Golfküste aus-
gegangen zu sein, wo die erst 1938—40 entdeckten bzw. näher erforschten Sitze der
Olmeken lagen, die uns die frühesten Inschriften (31 und 162 n. Chr.) hinterließen
und schon auf das Spätarchaikum und die älteste zapotekische und Maya-Kultur ein-
wirkten. Auch Teotihuacan hatte seine Wurzeln an der Golfküste, wie aus
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
257
anthropologischen und archäologischen Daten zu schließen ist (S. 59, 67, 69). Aber erst
die karge Natur des mexikanischen Hochlandes mit seinen langen Trockenzeiten und
die dem Ackerbau ebenso feindliche des Tropenurwaldes im Maya-Gebiet bildeten, um
mit Toynbee zu reden, jene „Herausforderung“ der Schöpferkraft, der die zeitlich auf
die Olmeken folgende Gruppe mesoamerikanischer Kulturvölker, an ihrer Spitze
Teotihuacaner und ältere Maya, ihren Aufstieg verdankte. Mit Nachdruck geht
Disselhoff gegen die noch heute in populären Büchern beliebte Identifizierung der
Teotihuacan-Kultur mit den Tolteken vor, deren historische Realität sich aller-
dings einwandfrei erst herausstellte, als 1940 die Ausgrabung Tulas begann; heute ist es
bereits möglich, in großen Umrissen die Geschichte der Tolteken und ihres Priester-
fürsten Nacxitl Topilrzin zu rekonstruieren, dessen merkwürdige Zwiespältigkeit sich
aus seiner Identifizierung mit QuetzalcoatI, einem wahrscheinlich schon der Teoti-
huacan-Zeit angehörigen Gotte, erklärt (S. 78—81, 87—91). Dem Übergang aus der
friedlichen Teotihuacan- in die kriegerische Tolteken-Zeit entsprach bei den Maya
der Untergang des „Alten Reiches“, der viel eher begreiflich wird, wenn man eine
politisch-religiöse Umwälzung annimmt, als einen rein ökonomischen Vorgang, wie die
Erschöpfung des Bodens, die mindestens in den Flußgebieten des Usumasinta und
Motagua nicht der Anlaß für die plötzlidie Aufgabe der alten Tempelstädte gewesen
sein kann (S. 123/4). Das Ende des „Alten Reiches“ kündigt sich bereits Im 8. Jahr-
hundert n. Chr. in den kriegerischen Szenen auf Reliefen und Fresken der westlichen
Maya-Städte an und wurde durch das um die Wende des 1. Jahrtausends n. Chr. be-
ginnende und von Maya-Fürsten geförderte Einsickern toltekischer Ideen und später
durch direkte toltekische Invasionen verursacht oder wenigstens beschleunigt. Die Ent-
stehung der aztekischen Vorherrschaft hängt dagegen sehr wesentlich mit einem
ökonomischen Moment, der Intensivierung der Chinampa-Kultur, zusammen, d. h. mit
der wirtschaftlichen Nutzbarmachung der Seen des Hochtals von Mexico durch „schwim-
mende Gärten“, zwischen denen um 1370 (nach P. Kirchhoffs Berechnung) die aztekische
Metropole Tenochtitlan als Rivalin älterer tepanekischer Inselstädte entstand (S. 166/7).
Kulturell gesehen waren die Azteken „begabte Parvenüs“, deren Religion sich durdi die
Aufnahme zahlreicher nichtaztekischer Götterkulte bereicherte und deren Kunst und
Wissenschaft besonders toltekischen und mixtekischen Vorbildern verpflichtet waren. Die
Höhe der mixtekischen Kultur läßt sich sowohl an ihren Bilderhandschriften
ermessen, in denen nach A. Caso eine Überlieferung von beinahe tausend Jahren
(692—1642) niedergelegt wurde, als auch an ihrem hervorragenden Kunsthandwerk,
das olmekische und toltekische Errungenschaften vereinigte. Zur Zeit der Entdeckung
Amerikas standen die Mixteken im Begriff, die Zapoteken aus ihren alten Sitzen Monte
Albán und Mitla zu verdrängen (wohl um den vorrückenden Azteken auszuweichen):
ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte' des Unterganges der alten theokratischen
Kulturen, zu denen die Zapoteken ebenso wie die Totonaken gehörten, weil sie
beide engere Beziehungen zu Teotihuacan unterhielten; auf manchen Gebieten waren
die Zapoteken altertümlicher als die Maya (S. 204—208). In der nordwestmexikani-
schen Kultur, besonders in der Keramik Michoacans und Colimas, gibt es
manches, was an Peru erinnert, also an alte Verbindungen mit diesem Lande denken
läßt. Ich möchte den von P. Kirchhoff und Disselhoff genannten Beispielen (S. 235—239)
noch die ganz unmexikanische Ornamentik einiger Reliefplatten von Placeres de Oro
(Guerrero) und einer Tonvase von Cuicatlan (Oaxaca) hinzufügen.
Ich übergehe die Goldländer, deren Hochkulturen, abgesehen von San Agustín, nach
Disselhoff verhältnismäßig jungen Datums sind. In Peru folgt schon bald auf die
primitiven Fischer und Pflanzer von Huaca Prieta u. a. Fundorten der Küste, denen
Maisbau, künstliche Bewässerung, Llamazucht und Töpferei noch unbekannte Dinge
waren, die höchst differenzierte Chavin-Kultur, die J. Tello, wohl mit Recht,
von Völkern im Osten der Anden ableitet, da Anklänge an die ältesten mesoameri-
kanischen Kulturen (etwa die olmekische) ziemlich vage sind, während die Verehrung
17 Baeßler III
258
Bücherbesprechungen
eines Jaguardämons, die Töpferei und die Flächenkunst Chavins auf das tropische
Waldgebiet hindeuten. Ähnliche östliche Beziehungen dürfte die Tiahuanaco-Kultur
aufweisen (S. 263/4, 298/300). Mir erscheint besonders die Abneigung gegen plastische
Gestaltung als ein Zug, den die Andenvölker mit den Indianern im Osten der Anden
teilten. Es gibt in ihrer Kunst keine echten Reliefe, sondern nur Ritzzeichnungen mit
vertieftem Hintergrund („Champleve“), und nur blockförmig-starre, pfeilerartige Rund-
figuren, obwohl die altperuanischen Steinmetzen Meister ihres Handwerks waren. In
der Inka-Epoche hörten selbst diese schwachen Anläufe zu einer Plastik auf. Daher ist
es sehr merkwürdig, daß die plastische Gestaltung in einem anderen Material, dem Ton,
schon bald nach dem Erlöschen der Chavin-Kultur über einige unbeholfene Vorstufen
hinweg in steilem Aufstieg zu den unübertroffenen Gipfelleistungen der Mochica-
Keramik führte und in scharfem Gegensatz zum rein religiösen und symbolischen
Charakter der Chavin-Kunst von vornherein in einem unbekümmerten Naturalismus
schwelgte (S. 273/4). Womöglich noch schroffer als Chavin lehnte die Kunst Tia-
huanacos jede individuelle, naturalistische Formgebung ab und gestaltete nur reli-
giöse Themen. Da die Nazca -Keramik ähnlichen Grundsätzen folgte und ebenso
wie die Tongefäße von Tiahuanaco, aber im Gegensatz zu denen der Mochica, nur
polychrome und flächenfüllende Bemalung kannte, vollzog sich der Übergang zur Tia-
huanaco-Kultur im Süden der peruanischen Küste viel ruhiger als im Norden, obwohl
die gerundeten Konturen und Kurven der Figuren auf den Gefäßen von Nazca und
auf den Geweben von Paracas dem kubistischen Charakter der Kunst Tiahuanacos
zuwiderlaufen und die Götter, die sie darstellen, einer anderen Religion — derjenigen
Chavins — angehören oder wenigstens nahestehen (S. 293/5). Mehr noch als die Nazca-
entschädigt uns die Mochica-Keramik durch ihre szenenhafte Gefäßmalerei für das
völlige Fehlen einer altperuanischen Bilderschrift, das unerklärlich wäre, wenn
es zwischen Peru und Mesoamerika engere und länger dauernde Kulturbeziehungen
gegeben hätte. Daß sie zu gewissen Zeiten bestanden haben müssen, wird u. a. schon
durch die Verbreitung von Tempelpyramiden des mesoamerikanischen Typus an der
Nordküste Perus bewiesen. Auf der anderen Seite war auch der Vorsprung Perus
auf manchen Gebieten beträchtlich. Eine Megalitharchitektur gab es z. B. in Meso-
amerika nicht, und, was noch wichtiger ist, eine Metallurgie hat sich dort erst
spät und unvollkommen entwickelt. Disselhoff weist darauf hin, daß wir bereits aus
der letzten Zeit der Chavin-Kultur (um Christi Geburt) Goldarbeiten besitzen, daß
die meisten übrigen Arten der Metallbearbeitung einschließlich des Kupfergusses schon
in der Gallinazo-Kultur (um 600 n. Chr.) ausgebildet waren und daß schließlich die
Bronzelegierung in der Tiahuanaco-Epoche (um 1000 n. Chr.) entdeckt wurde, während
in Mesoamerika das Metallzeitalter überhaupt erst in der toltekischen Epoche (800 bis
1200 n. Chr.) begann (S. 12, 93, 142, 266/7, 274, 337). Bei alledem ist jedoch ein
gewisser Parallelismus zur Kulturentwicklung des Nordens in Peru unverkennbar.
Auch hier waren die älteren Staatsbildungen vorwiegend Theokratien mit wenigen
größeren Kultzentren oder Wallfahrtsorten (Chavin, Tiahuanaco, Moche usw.), die
jüngeren kriegerische Königreiche, deren Bevölkerung sich in großen Städten sammelte
und durch mächtige Grenzfestungen schützte (Chimü- und Inka-Reich).
Der Text des Buches wird durch eine große Zahl sorgfältig ausgewählter Bilder von
Bauten, Skulpturen und Werken der Kleinkunst aus den wichtigsten Gebieten und
Zeitaltern Altamerikas wirkungsvoll unterstützt und außerdem durch zehn instruktive
Karten und Pläne sowie einige Textillustrationen erläutert. Ich möchte dem vortreff-
lichen Werke zum Schluß noch den Wunsch auf den Weg geben, daß der Verfasser in
einer zu erwartenden Neuauflage auch den südlichen Ausläufern der altperuanischen
Kultur in Nordchile und Nordwestargentinien, die man vermißt, einige Seiten widmen
und verschiedene Widersprüche in der Datierung der Blüte Teotihuacans (S. 60, 76
und 118) und der Lebenszeit Nacxitl Toplltzins (S. 76, 79 und 118) beseitigen möge.
W. Krickeberg.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
259
Dittmer, Kunz: Allgemeine Völkerkunde. Formen und Entwicklung der Kultur. Braun-
schweig: Friedrich Vieweg und Sohn. 1954. 8°. Mit 24 Tafeln und 89 Textabbil-
dungen.
Die vergleichende Völkerkunde hat seit der Jahrhundertwende — etwa seit Hein-
rich Schurtz’ „Urgeschichte der Kultur“ — so bedeutende Fortschritte gemacht, daß es
geboten erscheint, von Zeit zu Zeit eine Übersicht über das Erreichte zu geben. Soweit
die deutsche Wissenschaft in Frage kommt, ist dies zum letzten Male in größerem Um-
fange 1937 in dem von K. Th. Preuß herausgegebenen „Lehrbuch der Völkerkunde“
geschehen. Es krankte trotz vieler Vorzüge daran, daß die einzelnen völkerkundlichen
Disziplinen von verschiedenen Fachleuten bearbeitet wurden, die in manchen Fragen
naturgemäß nicht immer die gleichen Ansichten hatten, und daß die soziologisch-funk-
tionalistische Betrachtungsweise der ethnologischen Tatsachen zum Nachteil der kultur-
historischen im Vordergrund stand. Der Verfasser des vorliegenden Buches verteilt die
Gewichte gleichmäßiger, weil er den heute wohl allgemein anerkannten Standpunkt
vertritt, daß beide Richtungen der Völkerkunde unentbehrlich seien und sich gegen-
seitig ergänzen, korrigieren und bereichern müßten, um ein objektives Bild vom Wesen
und Werden der menschlichen Kultur in allen Zonen und Zeiten zu gewinnen. Trotz
des bescheidenen Umfanges, den sein Werk hat (278 Seiten ohne das umfangreiche
Literaturverzeichnis, die ausgezeichneten Erläuterungen der Tafel- und Textbilder, eine
knappe Erklärung häufig gebrauchter Fachausdrücke und ein ausführliches Namen- und
Sachregister), ist darin eine Fülle von Stoff verarbeitet; in einigen Kapiteln, besonders
bei der Schilderung der Entstehung der Viehzucht und des Pflugbaus, überschreitet die
Darstellung sogar die Grenzen einer orientierenden Übersicht und weitet sich zu kleinen
Monographien aus. Um zunächst beim Äußerlichen zu bleiben, möchte ich noch hervor-
heben, daß die Auswahl der Bilder sehr sorgfältig ist, viel interessantes Material bringt
und nicht neben dem Text herläuft, sondern ihn wesentlich unterstützt. Die Textabbil-
dungen sind meist Umzeichnungen von Photos.
Nach einer Einleitung, die eine Übersicht über die Geschichte der Völkerkunde
bringt, ihren Aufgabenkreis absteckt und die Methoden der beiden oben erwähnten
Hauptschulen erläutert, beginnt die Darstellung mit einer Betrachtung der Kräfte, die
Leben und Entwicklung der Völker gestalten: Umwelt, Rasse, Sprache, Gesellung und
Kultur. Da die Begriffe Stamm, Volk, Staat und Nation den völkerkundlichen Tat-
beständen nicht immer gerecht werden, führt Dittmer den neuen Begriff der „ethnischen
Einheit“ ein, bei deren Definition (S. 26—29) er leider so abstrakte Formulierungen
gebraucht, daß sie von Lesern ohne fachliche Vorbildung, für die sein Buch doch in
erster Linie bestimmt sein soll, kaum verstanden werden dürften; mindestens hätten sie
durch konkrete völkerkundliche Beispiele erläutert werden müssen. Dieser Fehler ist
sonst vermieden worden. „K u 11 u r“ wird als organisch gewachsene Verbindung aller
Errungenschaften menschlicher Geistestätigkeit der „Zivilisation“ als der Ver-
vollkommnung namentlich technischer Kenntnisse und Fertigkeiten gegenübergestellt;
sie ist an eine bestimmte ethnische Einheit gebunden, während sich die zivilisatorische
Ausrüstung mit materiellen Gütern über verschiedene ethnische Einheiten erstrecken
kann (S. 29/30). Und weil die Kultur keine bloße Summierung einzelner Elemente dar-
stellt, sondern einen ganzheitlichen Organismus, tritt eine (fruchtbare) Entlehnung
fremder Kulturgüter nur dann ein, wenn diese ohne Schädigung der eigenen Kultur
einverleibt werden können, was oft erst nach einer gewissen Umformung oder sogar
nach einem Funktionswechsel geschieht (S. 31, 34). Hieran schließt der Verfasser eine
Erörterung der für die moderne Völkerkunde unentbehrlich gewordenen Begriffe
„K ulturmuster“ (pattem), „K ulturkreis“ und „K ulturschicht“
sowie der inneren und äußeren Voraussetzungen, unter denen Fortschritte und Rück-
schritte oder Mischungen von Kulturelementen erfolgen. Mit Recht wird die Bedeutung
führender Persönlichkeiten betont, die auch bei den Naturvölkern die eigentlichen
Träger des Fortschrittes sind, wie sich die Naturvölker überhaupt nur dem Grade der
17 •
260
Bücherbesprechungen
Entwicklung, nicht dem Wesen nach von den Kulturvölkern unterscheiden. Ältere An-
schauungen, die ihnen eine rein „kollektivistische“ oder „prälogische" Denkweise zu-
schrieben, beruhen daher teils auf unzulässiger Verallgemeinerung, teils auf Mißdeutung
(S. 67, 74/5). Sehr wesentlich für das Verständnis naturvölkischen Verhaltens ist da-
gegen der mächtige Einfluß, den magische und religiöse Ideen und Praktiken bei ihnen
auf allen Gebieten der Kultur ausüben. Zu den zahlreichen Beispielen, die der Verfasser
hierfür nennt, gehört vor allem die dualistische Vorstellung vom unlösbaren Zusammen-
wirken polarer Gegensätze (Himmel—Erde, Tag—Nacht, Leben—Tod usw.) im Kosmos
und im Menschenleben. Sie bildet den Schlüssel zu vielen Gebräuchen und Einrichtungen.
Auf diese theoretischen Erörterungen folgen die beiden Haupttelle „Formen der
Kultur“ und „Kulturentwicklung“. Um Wiederholungen zu vermeiden, hat der Ver-
fasser im ersten Teil die Wirtschaft (einschl. Technik, Gewerbe, Handel und Verkehr)
nur summarisch behandelt und alle Einzelheiten dem zweiten Teil Vorbehalten, während
er in den Kapiteln „Gesellung“, „Glaubenswelt“ und „Kunst“ auch auf Spezialfragen
näher eingeht, die ihm oft Gelegenheit zur Revision älterer, überholter Ansdiauungen
bieten. Von Verbänden, die auf natürlicher oder künstlicher Verwandtsdiaft beruhen
(Sippen bzw. Totemclanen), werden Zweckverbände unterschieden, bei denen teils
„zentripetale“ Tendenz vorherrscht (Burschenschaften, Altersklassen, Männerbünde),
teils „zentrifugale“ (Geheimbünde), d. h. das Bestreben einer Ausbreitung über die
ethnisdie oder lokale Einheit hinaus (S. 53/5). Soziale Schichtung entsteht nach dem Ver-
fasser in erster Linie aus Überlagerung durch fremde ethnische Einheiten, während der
Herrscherstand entweder auf Sippen- und Clanälteste zurückzuführen ist, die sich auf
Grund ihrer kultischen Funktionen schließlich zu Priesterfürsten und Gottkönigen ent-
wickelten, oder auf militärische Eroberer, die ihrerseits aus erwählten Kriegshäupt-
lingen hervorgingen (S. 58/60). Das naturvölkische Recht bezweckt weniger Bestrafung
als Wiedergutmachung, um die durch ein Vergehen hervorgerufene Minderung der
Lebenskraft der Sippe auszugleichen (S. 63/4). Während die Jugendweihen der Steppen-
jäger sich mehr an die Sonne richten und auf Sexualoperationen (Beschneidung) Gewicht
legen, werden sie bei den Pflanzern zum Phasenwechsel des Mondes in Beziehung ge-
setzt und gipfeln daher in einer Wiedergeburtszeremonie (S. 69). Der Ehevollzug wird
durch feindliche Kräfte bzw. Geister in hohem Maße gefährdet, woraus sich u. a. die
Defloration der Braut durch Männer mit besonderen magischen Fähigkeiten (Häupt-
linge usw.) erklärt (S. 71/2). Bei der Erörterung des Dynamismus, der jedes Sein als
„Kraft“ auffaßt, weist der Verfasser auf die Übereinstimmung mit dem modernen
physikalischen Weltbild hin, das an die Stelle des substanziellen, statischen Seins der
älteren Physik Energien und Kraftfelder gesetzt hat (S. 77). Tabu bedeutet nicht Mel-
dung schlechthin, sondern Meldung besonders „kraftgeladener“ Objekte und Personen,
z. B. der Gottkönige (S. 79). Audi Manismus und Animismus lassen sich vom Kraft-
glauben ableiten, da der erstere auf der Vorstellung von der fortwirkenden Lebenskraft
des Toten beruht, durch die Fruchtbarkeit, Regen, Kindersegen usw. erzeugt werden
(S. 83), und der letztere unter der sich im Blut, Atemhauch usw. äußernden „Organ-
seele“ nur eine personifizierte Form der Lebenskraft versteht. Erst die aus Erinnerungen,
Träumen, Schattenbildern usw. entstandene „Bildseele“ führt zur Vorstellung eines vom
Körper verschiedenen und beim Tode sich von ihm lösenden Geistwesens, durch die die
ältere Vorstellung vom „Lebenden Leichnam“ verdrängt wird (S. 86/8). Der Clan-
totemismus stammt nicht vom Individualtotemismus ab, weil dieser seinen bezeichnend-
sten Zug (die Schutzgeistersuche) erst im Schamanismus erhielt, während der Clan-
totemismus teils im älteren Wildbeuterstadium wurzelt (wegen der engen Verbindung
mit einem Tier), teils im frühen Bodenbau (weil er eine Vererbung der magischen
Kräfte des Urahns bis zur lebenden Generation voraussetzt). Der „Herr der Tiere“,
der die Erlaubnis zum Erlegen des Totemtiers gibt, wird oft mit dem Urahn oder
Stammvater identifiziert, zugleich auch mit dem „Höchsten Wesen“, das schon auf den
ältesten Kulturstufen als „Urheber“ aller Dinge dieser Welt gilt (S. 91—95). Dennoch
Baeßlet-Archiv, Neue Folge, Band III
261
kann von einem „Urmonotheismus“ nicht gesprochen werden, da das „Höchste Wesen“
nicht ein Gott im eigentlichen Sinne ist (es genießt keinen Kult) und noch viel weniger
ein Eingott (S. 98—100). Persönliche Gottesvorstellungen haben sich zuerst bei der Be-
obachtung atmosphärischer und astronomischer Vorgänge entwickelt, die als Willens-
äußerungen übernatürlicher Wesen galten; dabei spielte der Mond eine viel größere
Rolle als die Sonne, weil sein Phasenwechsel mit Vorgängen im Pflanzen- und Menschen-
leben verglichen wurde und den Glauben, daß der Tod die Vorbedingung jeden Lebens
sei, bestärkte (S. 103/4, 107/8). Dynamismus, Urheberglaube, Manismus und Animismus
standen auch an der Wiege der höheren Religionen, da Jene bereits die Vorstellung vom
Heiligen (eigentlich „Kraftgeladenen“) und von der Wirksamkeit der Riten, die Per-
sonifizierung göttlicher Wesen und den Glauben an eine unsterbliche Seele kannten
(S. 119/20). In dem leider viel zu kurzen Kapitel über die Kunst scheint mir die Dar-
stellung der Entwicklung der Musikinstrumente am besten gelungen zu sein (S. 122/3).
Der zweite Hauptteil beginnt mit der Erörterung des Problems der „U r k u 11 u r“,
von der wir uns nach den geringen, etwa noch vorhandenen Resten kein rechtes Bild
zu machen vermögen, da die für die reinsten Vertreter derselben gehaltenen Pygmäen
Afrikas und Südasiens bestenfalls eine einseitig an die Umwelt tropischer Regenwälder
angepaßte Sonderform darstellen, während die älteste Menschheitskultur sich in einer
tropischen oder subtropischen Feuchtsteppe gebildet haben muß, in der sich primitive
Wildbeute r am leichtesten mit Nahrung versorgen konnten (S. 138—142). Auch
die nächste Kulturstufe der „Großwildnahjäger“ ist nur noch in Resten in Afrika,
Asien und Südamerika (bei Westfeuerländern und ostbrasilianischen Stämmen) zu fin-
den. Die durch die Erfindung von Speerschleuder und Bogen gekennzeichneten „Fern-
jäger“ dagegen erhielten sich in Australien und Afrika und machten sogar in den sub-
arktischen und arktischen Gebieten der Alten und Neuen Welt eine bedeutende kulturelle
Weiterentwicklung durch, denn sie schufen die Eisjagd- und Schneeschuhkultur. Die
Pflanzer begannen nach Dittmer mit den „Jäger-Pflanzern“, einem Kulturkreis,
durch den er die ältere Fehlkonstruktion der „Totemkultur“ ersetzt, und entwickelten
sich dann über die „Knollenfrucht-“ zu den „Getreidepflanzern“. Ein bescheidener
Bodenbau mag zwar zuerst vereinzelt an verschiedenen Stellen der Erde als natürliche
Folge des Sammelns pflanzlicher Produkte aufgekommen sein; in größerem Maßstabe ist
er jedoch nach Ansicht des Verfassers nur einmal auf der Erde in Südasien zur Zeit
des Jungpaläolithikums entstanden und hat sich dann schon sehr früh nach Afrika und
Melanesien verbreitet. Er war erst möglich, nachdem man zu dem schon von den Wild-
beutern benutzten Grabstock das für die Waldrodung unentbehrliche Bei! erfunden
hatte (S. 161—165). Als Ursprungsland der Getreidepflanzen kommt nur Süd- und
Westasien (in erster Linie Indien) in Frage, von wo sich der Getreidebau einerseits über
die Bergländer verbreitete, wo er in Form einer intensiven Terrassenfeldkultur auftritt,
andererseits über die Steppen, in denen er den Charakter einer extensiven Regenzeit-
feldkultur annahm. Die erstere ist identisch mit der Megalithkultur, die von
größter Bedeutung für die ganze weitere Entwicklung bis zu den alten Hochkulturen
war. Der Verfasser verlegt ihre Entstehung ins Mesolithikum, ihre volle Blüte ins
Neolithikum, in dessen Verlauf sie sich über Westasien nach dem Mittelmeer, über Nord-
afrika nach den atlantischen Küsten Europas und über Indonesien bis in die Südsee
verbreitete (S. 179—189).
Amerika sind zwei besondere Kapitel gewidmet. In der Wildbeuterphase
wurde es nicht nur von Eisjagd- und Schneeschuhkultur stärkstem beeinflußt, sondern
machte in verschiedenen Gebieten noch Sonderentwicklungen durch, die sonst nicht Vor-
kommen. Die Weiterbildung von Wildbeutern zu intensiven Sammlern in Kalifornien
und zu seßhaften Fischern an der Nordwestküste läßt sich nach Dittmer nur aus der
Einwirkung von Hochkulturen — im ersten Fall mittelamerikanischen, im zweiten ost-
asiatischen — erklären (S. 156—160). In noch stärkerem Maße nimmt Dittmer fremde
Einflüsse für die Entstehung der höheren amerikanischen Pflanzerkulturen in
262
Bücherbesprechungen
Anspruch. Wenn auch die „ethnologische Monroedoktrin“ heute nur noch von wenigen
Amerikanisten anerkannt wird und die von R. v. Heine-Geldern beigebrachten Zeugnisse
für eine langdauernde Verbindung süd- und ostasiatischer Kulturen mit dem vorcolum-
bischen Amerika starkes Gewicht haben, so dürfte doch die Entschiedenheit, mit der
Dittmer jede Entstehung höherer Kulturformen in Amerika ablehnt, nur von wenigen
geteilt werden. Er postuliert eine fast restlose Übertragung der Pflanzerkulturen, ins-
besondere des Megalithkulturkomplexes, nach Amerika, weil man sonst annehmen
müsse, daß die Indianer eine Entwicklung, zu der die Alte Welt in wechselseitigem Aus-
tausch Tausende von Jahren brauchte, ohne jede äußere Anregung in einigen Jahr-
hunderten (? S. 197) zurückgelegt hätten, und weil der Bodenbau In Amerika sogleich
in hochentwickelter Form aufgetreten sei (mit Körnerfrüchten, Terrassenfeldern, künst-
licher Bewässerung, Grabscheit und Hacke), wozu noch käme, daß als Hauptpflanze
ein altweltliches Gewächs kultiviert worden sei — denn den altweltlichen Ursprung des
Maisbaus hält Dittmer für erwiesen (ebenso wie den der Baumwolle). Die Übertragung
ging ihm zufolge ausschließlich auf dem Seewege vor sich und ließ sich ohne Schwierig-
keiten durchführen, weil die Seefahrer in Amerika nur eine primitive Wildbeuter-
bevölkerung vorgefunden hätten, die den Vertretern der Megalithkultur hoffnungslos
unterlegen gewesen sei; sie sei in der 1. Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrtausends er-
folgt, als in Asien mächtige Völkerverschiebungen begannen und süd- und ostasiatische
Stämme unter dem Druck von Steppenvölkern aufs Meer auswichen (S. 194—220). —
Zu dieser durch zahlreiche Einzelbelege gestützten Hypothese, die zweifellos ernste
Beachtung verdient, kann natürlich im Rahmen einer kurzen Besprechung nicht Stellung
genommen werden. Ich möchte daher hier nur zwei Fragen stellen: 1. Besaßen Völker
der altweltlichen Megalithkultur schon im Anfang des zweiten vorchristlichen Jahr-
tausends eine so entwickelte Schiffahrt, daß sie mit ganzen Flotten Hochseefahrten nach
Amerika unternehmen konnten? (Fleine-Geldern läßt sie damit erst um die Mitte des
ersten vorchristlichen Jahrtausends beginnen, als viele amerikanische Völker schon
längst Ackerbauer waren.) 2. Warum sind die Elemente der nach Dittmer als ganzer
Komplex übertragenen Megalithkultur in Amerika so ungleichmäßig verteilt (z. B.
Megalithbau und Fischfang mit abgerichteten Vögeln nur in Peru, Gußmauerwerk,
Karyatiden und Bilderschrift nur in Mesoamerika) oder fehlen völlig (z. B. Saiten-
instrumente)?
Das letzte Kapitel des Buches, das bis an die Schwelle der alten Hochkulturen führt,
ist der Entstehung und Entwicklung der Viehzucht und des Pflugbaus gewidmet. Auch
hier geht der Verfasser manche neuen Wege. Er weist im Gegensatz zu der bisher bevor-
zugten Ansicht, daß die Viehzucht direkt aus der Jägerkultur hervorgegangen sei, mit
der Züchtung des Rentiers begonnen habe und dann erst über die Pferde- zur Rinder-
zucht fortgeschritten sei, nach, daß die Entwicklung genau umgekehrt verlief: Vieh-
züchter gingen aus Bodenbauern hervor, die schon im Mesolithikum als Knollenpflanzer
Kleinvieh (Hunde, Schweine, Hühner) züchteten und in Westasien um 6000 v. Chr.
(in Indien vielleicht noch früher) Büffel und Rinder als Großvieh hegten, zunächst
wahrscheinlich aus kultischen Gründen. Das erste sichere Auftreten gezüchteter Equiden
(Esel und Pferd) fällt erst ins 3. und 4. vorchristliche Jahrtausend, und die Rentierzucht
ist noch viel jünger, da das Ren erstens unter allen Haustieren die wenigsten Domesti-
kationsmerkmale aufweist und zweitens noch kein Haustier war, als die Schneeschuh-
kultur in Nordamerika eingeführt wurde (S. 230—251). Der Vollnomadismus entstand
nach mehreren Vorstufen (Teil- und Halbnomadismus) an der Wende vom Neolithikum
zur Metallzeit, als sich bei den Rinderzüchtern bereits Pflug und Wagen eingebürgert
hatten und damit die Voraussetzungen zu einer Wirtschaftsform geschaffen worden
waren, auf deren Basis sich die altweltlichen Hochkulturen entwickeln konnten. „Es
kann also keine Rede davon sein, daß Pflugbau wie Hochkulturen aus der ,Überlagerung
mutterrechtlicher Hackbauern durch Hirtennomaden' entstanden seien“ (S. 276/7).
W. Krickeberg.
Baeßler-Archiy, Neue Folge, Band III
263
Tischner, Herbert, und Hewicker, Friedrich: Kunst der Südsee. Hamburg: Dr. Ernst
Hauswedell & Co. Verlag. 1954. 4°, 48 S. Text, 2 Karten, 96 Taf. DM 31,50.
Es ist erfreulich, daß an die Stelle der alten Werke, die sich mit der Kunst der
Naturvölker befaßten und dazu einen Text brachten, der wenig besagte oder geradezu
falsch war, immer mehr Werke treten, die von Fachleuten geschrieben sind — beginnend
mit Nuoffer bis zu Heydrich und Fröhlich; „Plastik der Primitiven“, Stuttgart 1954 —
und dem Leser wirkliches ethnologisches Wissen vermitteln. In ganz besonders vorbild-
licher Form hat H. Tischner die Aufgabe gelöst, im Text dieses neuen Werkes, dessen
Umfang zum Glück weit über das sonst von Verlegern dem Autor zugebilligte Maß
hinausgeht, eine Einführung in die Kulturen der Südsee und die soziologische und
religiöse Bindung ihrer Kunst zu geben. Darüber hinaus ist hier zum ersten Male ver-
sucht worden, und zwar mit Glück, die Stilarten Ozeaniens zu charakterisieren und
größtenteils in Übereinstimmung mit F. Speiser ihre Besonderheiten gegeneinander ab-
zugrenzen. Eine Bibliographie und mit Liebe und Sachkenntnis gegebene Erläuterungen
zu den Bildern machen den Text noch wertvoller, der sich nicht nur im Zusammenhang
mit den vorzüglichen Aufnahmen F. Hewickers aus 17 Museen als eine der lesenswerte-
sten neueren Arbeiten über die Südsee darstellt. Es wäre wünschenswert, daß auch über
andere Gebiete entsprechende Werke mit einem so hohen wissenschaftlichen und künst-
lerischen Niveau erschienen. Leider gehört das meiste, was das Buch an Kunstwerken
zeigt, schon der Geschichte an, nicht nur die polynesische Plastik, sondern auch die
Westozeaniens. Um so dankbarer darf man für dies prachtvolle Werk sein.
H. Nevermann.
Kahlke, Dietrich: Die Bestattungssitten des Donauländischen Kulturkreises der längeren
Steinzeit. Teil I: Linienbandkeramik. Berlin: Rütten & Loening. 1954. 157 S.,
42 Taf.
Die Würdigung der Bedeutung dieses gediegenen und inhaltreichen Buches für die
Vorgeschichte muß Prähistorikern Vorbehalten bleiben. Wenn aber auch an dieser Stelle
eigens darauf hingewiesen wird, so geschieht das, weil die beschriebenen Hockergräber
von Bandkeramikern bei Sondershausen und ihr Vergleich mit anderen Gräberfeldern
auch für die Ethnologie eine besondere Bedeutung haben. Es handelt sich um grazile
kurzlebige Ackerbauer, deren Bestattungsart auf Totenfürsorge (Nahrungsopfer und
Rötelbeigaben) und Totenfurcht schließen lassen. Die Grabbeigaben muten z. T. geradezu
melanesisch an, besonders die Ringe und Scheiben und zahnförmigen Schmuckstücke aus
Spondylusmuscheln und die Steinbeilklingen, die man sich kaum anders als in mela-
nesischer Art geschäftet vorstellen kann. Obwohl dem Verfasser das Vorkommen der-
artiger Dinge in Melanesien bekannt ist, hütet er sich vor einer voreiligen Ausdeutung.
Es soll jedoch an dieser Stelle auf diese auffällige Kulturparallele, bei der Raum und
Zeit natürlich einen unmittelbaren Zusammenhang ausschließen, ausdrücklich hinge-
wiesen werden. Auch die Trepanation ist hier für die Bandkeramiker zum ersten Male
erwähnt. Man kann D. Kahlke für seine sorgfältige Veröffentlichung dieses bemerkens-
werten Materials auch als Ethnologe aufrichtig dankbar sein. H. Nevermann.
Kutscher, Gerdt: „Nordperuanische Keramik.“ Figürlich verzierte Gefäße der Früh-
Chimu. Monumenta Americana. l.Bd. Berlin: Verlag Gebrüder Mann. 1954. 80 S.,
80 Tafeln.
Mit diesem stattlichen Band ist der Anfang dazu gemacht worden, die „Bibliothek“
der Bilder, die uns die alten Bewohner der nördlichen Küstenzone Perus von ihrem
Alltag und Kult auf ihren Tongefäßen hinterlassen haben, in systematischer Ordnung
einem größeren Interessentenkreis zugänglich zu machen. Es handelt sich um 80 Bild-
tafeln, meist nach Kopien Wilhelm von den Steinens wiedergegeben und nach Themen-
kreisen geordnet. Die Originale der Vorlagen stammen zu rund zwei Dritteln aus dem
Berliner Völkerkunde-Museum. 65 Seiten dienen ausführlicher Beschreibung der Tafeln
264
Bücherbesprechungen
und Deutungsversuchen in deutscher und spanischer Sprache. Folgende Themen sind
behandelt: Umwelt, Jagd und Krieg, Zeremonien, Totenwelt, Dämonen und Götter,
mythische Szenen. Literatur und Beispiele ähnlicher Darstellungen sind reichlich heran-
gezogen. Zur „Umwelt“ zählen in der Hauptsache Tiere, nebenbei auch Pflanzen, die
richtig gedeutet sind. Die z. B. an anderer Stelle früher von Kutscher als Gürteltiere
angesprochenen Wesen sind jetzt richtig als Schnecken erkannt. Im übrigen handelt es
sich teils schon um Mischwesen und die Krebse und spinnenartigen Tiere auf Tafel 10
sind durchaus mythischer Natur.
Unter der Überschrift „Jagd und Krieg“ werden verschiedene Waffen und Kleidungs-
stücke nachgewiesen. Auf dem Gemälde von Tafel 21 erkennt Kutscher geschrumpfte
menschliche Kopftrophäen, die auf einer als Devise getragenen Platte angebracht sind.
Auch Handtrophäen sind zu sehen und verschiedene Keulenformen. Ganz richtig spricht
der Verfasser hier als A^on einem „der nur seltenen Beispiele“ von Darstellungen von
Kämpfen gegen Fremdvölker, und aus triftigen Gründen meint er, daß es sich hier um
den Kampf von Gebirgsleuten gegen Küstenbewohner handele. In diesem Zusammen-
hang sei noch einmal über die Namengebung der Kultur gesprochen, die Uhle als
erster klassifizierte und „Proto-Chimu“ benannte. Kroeber nannte sie „Early Chimu“.
Doch ist es seit mehr als einem Jahrzehnt üblich geworden, von Mochica zu sprechen.
Nur Kutscher hält konservativ an „Früh-Chimu“ fest. In einem kürzlichen Gespräch
schlug er jedoch vor, daß wohl „Kultur von Moche“ die adäquateste Bezeichnung wäre.
Er habe mit John Rowe, dem äußerst gewissenhaften Peru-Archäologen aus Berkeley,
darüber gesprochen. Da es archäologische Gepflogenheit ist, Kulturen nach Ihrem ersten
klaren Fundort zu titulieren, würde auch ich für die von John Rowe vorgeschlagene,
definitive Bezeichnung „Kultur von Moche“ plädieren, da sie abseitige Verwechselungen
mit sprachlichen und anderen Kriterien am ehesten ausschließt.
Was die Kleidung der Moche-Leute betrifft, so spricht Kutscher mehrere Male von
einem Hüfttuch, ohne sich dabei auf den Schamschurz zu beziehen. In früheren Arbeiten
hat er geradezu die Bezeichnung „kurzer Rock“ angewandt, der über dem Durchzieh-
schürz getragen worden wäre. Meines Wissens sind in Peru nie derartige Hüfttücher
oder Röcke gefunden worden. Die Standardkleidung der Männer besteht seit den sicht-
baren Anfängen lediglich aus Schambinde und aus mehr oder weniger langem oder
kurzem Hemd. Auf den Moche-Malereien werden Gürtel über den Hemden getragen
und der Einschnitt des Gürtels erscheint als deutlicher Absatz, so daß man verführt ist,
an ein zweites Kleidungsstück unterhalb des Gürtels zu denken.
Kutschers wertvolle Untersuchungen über Zeremonien der Leute von Moche und die
Welt der Toten sind uns schon aus seinen anderen Arbeiten bekannt. Diese werden hier
in Einzelheiten vervollständigt. Merkwürdig bleibt es, daß bestimmte Themen, wie die
der Totentänze, mit Vorliebe im Relief, seltener in Malerei, dargestellt werden. Das
Gleiche gilt für bestimmte Darstellungen von Dämonenkämpfen.
Was die Moche-Malerei angeht, spricht Kutscher von zwei Hauptstilen, einem
linearen und einem Silhouetten-Stil und sieht Relationen zwischen Gefäßform und Stil-
art. Auch die Form des Ausgusses ändert sich mit dem Malstil. Bekanntlich hat der
peruanische Archäologe Rafael Larco Hoyle fünf Stil-Phasen der Moche-Kultur aus-
findig gemacht, bei der die Ausgußform ein wichtiges Kriterium bildet. Gewisse Stil-
unterschiede entsprächen bestimmten Zeit-Phasen. Es ist zu hoffen, daß die Resultate
der Untersuchungen, die John Rowe in Berkeley mit seinen Schülern an Hand der von
Max Uhle ausgegrabenen Moche-Keramik in dieser Richtung gemacht hat, veröffentlicht
werden. Die Moche-Kultur hat mindestens über fünf Jahrhunderte geblüht. Es fragt
sich nur, ob wir es bei den Stilunterschieden wirklich mit Kennzeichen von Zeitphasen
oder von Region und Werkstatt zu tun haben.
Möge dem verdienstvollen l.Band der Monumenta Americana bald ein weiterer
folgen, in dem Kutscher das von ihm selbst gezeichnete und in Fülle von ihm in ameri-
kanischen Museen gesammelte Material zur Verfügung gestellt. Der dokumentarische
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
265
Wert schon dieses ersten Bandes ist so deutlich, daß er geradezu nach Vervollständigung
schreit. Kutscher darf als der beste Spezialkenner und Bilddeuter auf dem Gebiete der
Gefäßmalerei der Moche-Kultur gelten.
Zum Schluß eine Kleinigkeit: Ließe sich nicht ein besserer Name finden für die
Gottheit, die K. als „Schlangenschwanz-Gott“ bezeichnet? Es handelt sich nicht um
Schlangenschwänze, sondern um Vorderteile von Schlangen mit Köpfen. Im spanischen
Teil des Werkes ist vom „dios de los anexos serpentinos“ die Rede. Das klingt besser.
Daß Einführung und Beschreibung der Tafeln auch in Spanisch geboten wird, sichert
dem Werk internationale Gültigkeit. H. D. Disselhoff.
Muck, Otto H.: Atlantis — gefunden. Stuttgart: Victoria Verlag. 1954. 400 S., 49 Abb.
u. 4 Taf. DM 16,80.
Die Atlantis-Literatur ist groß, denn immer wieder haben sich Wissenschaftler daran
gemacht, das Rätsel des geheimnisvollen Landes zu ergründen, von dem Plato berichtet
hat. Nur wenige Theorien wie die von Borchardt und Schulten haben sich strengeren
Maßstäben gewachsen gezeigt. In diesem neuen Buche meint der Verfasser nun den
naturwissenschaftlich exakten Beweis für die frühere Existenz der Insel Atlantis er-
oracht zu haben, die am 7. Juni 8496 v. Chr. ihr Ende durch den Einschlag eines Plane-
toiden in den Atlantik gefunden haben soll. Die Nachprüfung, ob dieser Beweis ge-
glüdu ist, muß Naturwissenschaftlern Vorbehalten bleiben, die wahrscheinlich starke
Bedenken haben werden. Hier soll nur auf Ethnologisches hingewiesen werden, das als
Stütze der Theorie des Verfassers benutzt wird: die Annahme, Phönizier hätten im
9. Jahrhundert v. Chr. Spuren ihrer Anwesenheit in der Bucht von Rio de Janeiro
hinterlassen können, die Erklärung der Cromognonleute zu Indianern, die Ableitung
der alt- und neuweltlichen Pyramiden aus himmelstragenden Vulkanen und die Ver-
mutung, daß Menschenopfer einen Zusammenhang mit dem Verbreitungsgebiet der
Pyramiden hätten, daß es auf Atlantis Bananen und Kokospalmen gegeben habe (zwei
südostasiatisch-ozeanische Pflanzen!), die Benutzung der Ludendorffschen Daten zur
Mayachronologie und manches andere mehr. Mit solchem Material oder so unbewiesenen
Behauptungen läßt sich keine Theorie untermauern. Daß der Verfasser der Anschau-
lichkeit halber ein langes Kapitel eingeschoben hat, in dem er in romanhafter Form das
Leben in Atlantis schildert, soll ihm nicht verdacht werden, denn auch Stucken („Die
weißen Götter“) und Andrae („Das wiedererstandene Assur“) haben sich dieser Methode
bedient, allerdings mit gesichertem Material. Was hier jedoch über die Menschenopfer
in Atlantis berichtet wird, das ist allzu deutlich aztekisch, und Zeit und Raum spielen
bei dieser Schilderung keine Rolle mehr. Leider zieht sich durch das ganze Buch die
Klage gegen die bösen Fachgelehrten, die niemand neben sich dulden wollen, der ihre
Kreise stört. Tatsächlich ist wahrer Wissenschaft jede Hilfe recht, auch die von Laien,
aber diese Hilfe muß auf anderer Grundlage beruhen, als wir sie hier finden. Es ist
schade, daß hier so viel Liebe und Begeisterung an eine Arbeit vertan ist, die die
Atlantisforschung kaum weitergebracht hat. H. Nevermann.
Mühlmann, Wilhelm Emil: Arioi und Mamaia. Eine ethnologische, religionssoziologische
und historische Studie über polynesische Kultbünde. Studien zur Kulturkunde,
Bd. 14. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag. 1955. V und 269 S. mit 2 Kartenskizzen.
DM 19,80 (geb. DM 23,80).
Nachdem W. E. Mühlmann bereits früher Probleme der Religion und Soziologie
Polynesiens und speziell des Kultbundes der Arioi auf den Gesellschaftsinseln gründlich
untersucht hat, könnte es scheinen, als brächte diese neue Arbeit im Grunde nur eine
Wiederholung. Um so größer ist die Überraschung, wenn man feststellen muß, daß in
dieser neuen Untersuchung vieles von ganz neuen Gesichtspunkten aus gesehen ist und
sie unserer Kenntnis der Entwickelung der polynesischen Kultur ganz wesentlich weiter-
hilft. Nicht nur die neue Ausdeutung mancher alten Quellen trägt dazu bei, sondern auch
266
Bücherbesprechungen
Vergleiche mit anderen polynesischen Institutionen wie den Kaioi der Marquesasinseln
oder — zum Vergleich mit den weiblichen Arioi — des Taupou-Wesens von Samoa.
Auch der viel erörterte Sinn der Kinderlosigkeit der Arioi erhält ein neues Gesicht durch
die Heranziehung der Ursprungslegende des Bundes, die neben soziologischen Gründen
wichtig ist. Bemerkenswert sind auch die Betrachtungen über den Wechsel in der Be-
wertung der Frauen im Laufe der polynesischen Geschichte, das Alter des Oro-Kultes,
der etwa im 16. Jahrhundert entstanden sein dürfte, die nur kurzen und späterer Unter-
suchungen würdigen Andeutungen über die Möglichkeiten der Beziehungen zu mela-
nesischem und indischem Kult oder, um aus dem Ideenreichtum des Buches nur noch eins
herauszugreifen, die Ausführungen über das Verhältnis von alt- und neupolynesischer
Kultur oder den Kulturwandel nach der Berührung mit den Europäern, d. h. haupt-
sächlich in dem tragischen Konflikt mit der Mission und ihrem Kampf gegen die pseudo-
christliche Sekte der Mamaia in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, die den
letzten Versuch darstellte, das Arioi-Wesen in neuer Gestalt wieder zu erwecken. In
dieser Arbeit ist der große Schritt von den ersten, noch verständnislos staunenden Be-
richten über die Arioi über Ihre Verurteilung durch die Missionare bis zu ihrer Wür-
digung als eines Faktors im Geistes-, Gefühls- und Gesellschaftsleben der Polynesier
getan. H. Nevermann.
Die Kulturen der außereuropäischen Erdteile in Übersicht. Führer durch die Schau-
sammlungen des Instituts für Völkerkunde, Universität Göttingen. Herausgegeben
von Hans Plischke. Göttingen 1954. 101 S. mit 5 Abb. und 10 Taf.
Von der Herausgabe von Führern, die katalogartig die ausgestellten Stücke auf-
zählen, wie es noch in den meisten Gemäldegalerien üblich ist, sind die völkerkundlichen
Museen immer mehr zu Führern in Gestalt kurzgefaßter Einführungen in die Lebens-
weise und Gedankenwelt der Völker übergegangen, von denen Gegenstände ausgestellt
sind. Der vorliegende neue Führer durch die Göttinger Sammlungen löst diese Aufgabe
in ausgezeichneter Weise durch Beiträge von G. Spannaus (Afrika), W. Lang (Australien
und Stiller Ozean) und W. Nippold (Asien, Amerika) und ergänzt das durch einen
Beitrag von G. Spannaus über Musik und Musikinstrumente und Beiträge von
H. Plischke über die Ethnographische Sammlung der Universität Göttingen, in dem auf
ihre Bedeutung, ihren Zusammenhang mit der Entdeckungsgeschichte und ihre Entwicke-
lung hingewiesen wird, und über das Thema „Warum Völkerkunde?“, das zugleich eine
Einführung in die vergleichende Völkerkunde ist. Man erhält so auf gedrängtem Raum
eine kurze Ethnographie und Ethnologie, die nicht nur dem mit der Völkerkunde noch
nicht vertrauten Besucher eine Einführung bietet, sondern auch dem Fachethnologen
Freude bereiten wird und Ethnologiestudenten die ersten Schritte erleichtern und zu-
nächst teure Handbücher ersparen kann. Die Tafeln mit Bildern einiger der kostbarsten
Göttinger Sammlungsstückc und vor allem die beiden farbigen Tafeln mit Wiedergaben
hawaiischer Tapa erhöhen noch den Wert des Führers. H. Nevermann.
Schmalenbach, Werner: Die Kunst Afrikas. — Holbein Verlag, Basel. 1954. 4°. 176 Sei-
ten mit 131 Abbildungen und 16 mehrfarbigen Tafeln. Preis: DM 38,—.
Unter den europäischen Veröffentlichungen der letzten Jahre über afrikanische Plastik,
aus denen das ständig wachsende Interesse für dieses Gebiet erkennbar wird, bedeutet
der vorliegende Band des Baseler Kunsthistorikers eine sehr erfreuliche Bereicherung.
Freilich ist der Titel entschieden zu weit gefaßt, denn das Werk behandelt nur die
Plastik des negerischen Afrika, während die gewiß nicht unbedeutende Flächenkunst,
Architektur und das Kunstgewerbe unberücksichtigt bleiben.
Einleitend werden die geographischen Gegebenheiten, die geschichtlichen Hinter-
gründe und die wichtigsten Kulturtypen Afrikas kurz umrissen, wobei schon hier eine
Reihe von glücklichen Formulierungen festzuhalten ist. Während die grandiose Ein-
fachheit des im Grunde „geschichtslosen“ Kontinents in gewisser Weise in der Form
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
267
der Plastik wiederkehrt, wird die Entwicklung der Feudalkulturen von Schmalenbach
als für die künstlerische Produktion besonders bedeutsam herausgestellt.
Aus der Einheit des Lebens erklärt sich die enge Verflochtenheit der afrikanischen
Kunst mit den anderen Kulturaspekten, vor allem der Religion, aber auch die soziale
Stellung des Künstlers selbst, dessen Auftraggeber die Gemeinschaft bildet, wobei das
Künstlertum entschieden hinter dem Werk zurücktritt. Nach anfänglich fehlender
Spezialisierung zeichnet sich in Afrika vor allem die Sonderstellung des Schmiede-
handwerkes und in seinem Gefolge der Holzschnitzerei ab. Ihren eigentlichen Auftrieb
erfährt die plastische Kunstübung jedoch erst dadurch, daß sie zum Feudalgewerbe,
nicht selten sogar zur Hofkunst wird.
Alle afrikanische Kunst besitzt eine unmittelbare, außerkünstlerische Funktion,
denn das „Part pour Part“ wird von Schmalenbach als eine Spätform angesehen. Religiöse
und profane Funktion lassen sich zwar nur schwer voneinander trennen, doch hat sich
nach dem Verfasser die profane Funktion jedenfalls aus einer ursprünglich rein
religiösen entwickelt. Es will uns jedoch scheinen, als würde auf diese Weise dem
Primat des Religiösen gegenüber der ganz ursprüngliche, nicht weiter ableitbare Ge-
staltungstrieb des Künstlers allzu gering veranschlagt, — eine Tendenz, die sich heute
auch in der Felsbildforschung abzeichnet.
Unter dem Material, aus dem der afrikanische Künstler seine Werke schafft, nimmt
— wie nicht anders zu erwarten — Holz bei weitem die erste Stelle ein. Der monoxyle
Charakter der Bildwerke ist freilich durchaus nicht, wie Schmalenbach annimmt, für
alle Naturvölker schlechthin charakteristisch (Neu-Mecklenburg, Eskimo).
Eigenartigerweise verzichtet der Verfasser ganz bewußt darauf, den Charakter der
einzelnen Stilprovinzen oder gar die Stilunterschiede in der plastischen Produktion der
einzelnen Stämme näher zu bestimmen:
„Für den, der sich um das Wesen der Negerkunst bemüht, ist es von zweitrangiger
Bedeutung, zu welchem Stamm ein Kunstwerk gehört. Die stilistischen Unterschiede
innerhalb der Unmenge von Stämmen erscheinen sekundär, wenn man sich der Kunst
als Kunst und nicht als ethnologisches Material nähert.“ (S. 89.)
Gerade in der Herausarbeitung von Stilprovinzen und der näheren Charakterisie-
rung der einzelnen Stammesstile scheint uns jedoch eine Hauptaufgabe der kunst-
geschichtlichen Forschung zu liegen, die nach der vor allem von E. v. Sydow und
P. Wingert geleisteten Arbeit noch viele wichtige Erkenntnisse zu erbringen verspricht.
Hier ist allein der Kunsthistoriker imstande, auf Grund des freilich nicht immer zu-
verlässigen ethnographischen Materials eine Klärung herbeizuführen oder wenigstens
eine solche zu versuchen.
Da die afrikanische Plastik weitgehend religiösen, magischen oder kultischen Zwecken
dient, gibt Schmalenbach mit Recht eine Übersicht über die Religionsformen, die für
die Kunst bedeutsam sind. Die leitende Idee ist die Vorstellung einer „Bannung“ —
sei es von Kräften oder persönlich vorgestellten Mächten — im Bildwerk. Die stärkste
Anregung für die plastische Gestaltung liefert dabei unzweifelhaft, wie schon
E. v. Sydow gezeigt hat, der Ahnenkult, denn hier erfolgt die „Bannung“ der so be-
deutsamen Totenseele in das Bildnis. Den Ursprung der Plastik überhaupt will
Schmalenbach — wie bereits andere vor ihm — in Schädelplastik und Pfahlkult sehen,
muß jedoch zugeben, daß gerade in Afrika der Schädelkult eine vergleichsweise sehr
geringe Bedeutung besitzt.
In dem der Ahnenplastik gewidmeten Abschnitt erfolgt endlich der Vorstoß zu
einer Untersuchung der Formgebung selbst, indem hier die allgemeinen Gestaltungs-
prinzipien näher behandelt werden, die als für die figürliche Plastik der Afrikaner
charakteristisch gelten können. Zu den bekannten Gesetzen der Frontalität, des Mangels
an Bewegung und des Übergewichts des Kopfes fügt Schmalenbach noch das Prinzip
der Addition, der naiven, unverbundenen Aneinanderreihung selbständiger Teile, für
das sich in der Mythologie der Afrikaner eine interessante Parallele ergibt.
268
Bücherbesprechungen
Da es in Negerafrika nur an wenigen Stellen zur Entwicklung eines Götterhimmels
gekommen ist, blieb auch die entsprechende künstlerische Gestaltung relativ gering-
fügig. Ungleich reicher sind dagegen die Anregungen gewesen, die vom Geister- und
Zauberglauben ausgegangen sind, wobei audi hier wieder der Gedanke der „Bannung“
im Mittelpunkt steht. Das aktive Hinausdrängen der Zauberkraft oder des in die Figur
eingeschlossenen Geistes möchte Schmalenbach mit der viel stärkeren Bewegtheit der
Werke (Loango) in Verbindung bringen, obwohl sich hier wohl kaum allgemeine
Regeln aufstellen lassen dürften.
Als die beiden „Ideellen Pole“ werden abschließend die realistische Kunst des
Waldlandes und die symbolistische Kunst des Graslandes, In der Einflüsse der Vieh-
züchter wirkam sein mögen, einander gegenübergestellt, doch zeichnet sich nach Schma-
lenbach alle afrikanische Plastik durch einen expressiven Charakter — negativ for-
muliert durch eine „Distanz zum Naturalismus“ — aus.
Die anschließende kurze Bibliographie bringt rund vierzig der wichtigsten Werke
über das behandelte Thema. Auf der beigefügten Karte muß es im Stammesverzeichnis
bei Nr. 13 Ibo heißen.
Eine ganz besondere Freude bereiten die außergewöhnlich schönen, zum Teil ganz-
seitigen Illustrationen, die hervorragend wiedergegeben sind. Gegen ihre hohe Qualität
vermögen die Farbtafeln, die überwiegend einen starken Blaustich zeigen, leider keines-
wegs zu bestehen. Verständlicherweise sind In dem Bildmaterial die Schweizer Samm-
lungen besonders gut vertreten, was deshalb sehr zu begrüßen ist, weil sich in ihnen
manches Werk von erheblicher Qualität befindet.
Der Zusammenhang zwischen Text und Illustrationen ist dabei merkwürdig lose.
Von den 148 Abbildungen werden rund 60 im Text überhaupt nicht erwähnt; anderer-
seits fehlt bei im Text beschriebenen Werken mehrfach der Hinweis auf die betreffende
Tafel. Bei dem auf Abb. 7/8 abgebildeten Ife-Kopf ist das Material übrigens irrtüm-
licherweise als Ton (statt Metall) angegeben worden. Bestimmte Gebiete, vor allem der
„klassischen", zumeist aus Bodenfunden zu erschließenden Kunstübung sind leider etwas
stiefmütterlich behandelt worden. So sind die wichtigen Funde aus Nok nur mit einem
einzigen Beispiel vertreten, während Esie z. B. vollkommen fehlt.
Die außergewöhnlich schönen Abbildungen werden sicherlich bei vielen Lesern aus
dem breiteren Publikum, für das dieser Band ja im Grunde gedacht ist, den Wunsch
hervorrufen, sich eingehender mit den Einzelwerken zu beschäftigen und näheres über
die charakteristische Stilform wie die inhaltliche Bedeutung von Figuren und Masken
zu erfahren. Schmalenbach hat wohl mit Absicht weder versucht, die einzelnen Werke
in ihrer Formgebung und ihrem Aufbau näher zu analysieren, noch Angaben über ihre
tiefere Bedeutung und ihren Verwendungszweck bei bestimmten Zeremonien usw. ge-
geben. Es steht zu hoffen, daß er auf diese Fragen in einer weiteren Arbeit Auskunft
geben und der vorliegende schöne Band damit nicht sein einziger Beitrag zur Kunst-
geschichte Afrikas bleiben wird. G. Kutscher.
Sydow, Eckart von: Afrikanische Plastik. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Gerdt
Kutscher. Berlin: Gebr. Mann. 1954. 180 S. Text, 5 Karten, 144 Bildtafeln mit
369 Abb. Quart. DM 40,—.
Als Eckart von Sydow im Jahre 1930 sein „Handbuch der westafrikanischen Plastik“
vorlegte, hatte er damit das für Deutschland bisher einzige Kompendium über afri-
kanische Kunst geschaffen, das nicht nur nach ästhetischen und stilkritischen Gesichts-
punkten einzelne Gebiete herausgriff, sondern eine Gesamtdarstellung der westafri-
kanischen Kunstübung im Zusammenhang mit dem Leben, d. h. vor allem mit der
Religion der Bevölkerung, versuchte. Der schon fertiggestellte zweite Band, der die
Plastik des übrigen Afrika und den so wichtigen Tafelteil bringen sollte, fiel einem
Luftangriff zum Opfer, nachdem der Verfasser schon am 1. Juli 1942 verstorben war.
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
269
Daß der lange erwartete zweite Band nun doch noch erscheinen konnte, ist dem Heraus-
geber Gerdt Kutscher zu verdanken, der es in langwieriger und mühevoller Arbeit
unternahm, die vorhandenen, oft lückenhaften Materialien neu zusammenzustellen und
zu ergänzen. Man könnte ihm vorwerfen, die Arbeit dabei nicht auf den neuesten Stand
der Forschung gebracht zu haben. Doch erscheint dieser Vorwurf unberechtigt, da eine
derart tiefgreifende Veränderung dem einheitlichen Charakter des Gesamtwerks nicht
dienlich gewesen wäre. Im übrigen ist es für den Interessierten leicht, sich über die wich-
tigen Neufunde, z. B. von Nok oder aus der Tchadseegegend, an Hand der Spezial-
veröffentlichungen zu orientieren.
Den ersten Teil des Bandes (S. 1—36) nehmen allgemeine Betrachtungen über die
Stilunterschiede, die Verbreitung des abstrakten und des Gestaltstils und ihre kultur-
geschichtliche Bedeutung, die subjektive und objektive Psychologie der Bildwerke und
die Geschichte der Plastik ein. Es werden unterschieden: Pfahlplastik, Gestaltplastik
und Phantastische Plastik. Der Verfasser zieht Verbindungen zu den von Baumann
konzipierten Kultureinheiten der kulturhistorischen Schule. Die Pfahlplastik wird der
altnigritischen Kultur zugeschrieben, während bei der Zuordnung der westafrikanischen
Plastik keine Klarheit geschaffen werden kann. „Diese Schwierigeiten sehen wir als
produktiv an, indem sie der Forschung einen neuen Antrieb geben.“
Weiterhin offen bleibt das Problem der subjektiven Psychologie der Bildwerke,
d. h. der Gefühlsimpulse, die sie bei den Eingeborenen auslösen. Bis in die neueste Zeit
haben sich nur wenige Feldforscher eingehend diesen Beziehungen gewidmet. Die ob-
jektive Psychologie der Bildwerke, d. h. die seelisch-geistigen Impulse, denen die Werke
ihre Entstehung verdanken, war oft einer vermessenen Deutung ausgesetzt, so daß es
angenehm berührt, hier eine sachliche Darstellung zu finden. Unterteilt nach Bildwerken
profaner, religiöser und zauberkräftiger Art, werden die Beweggründe zu ihrer Schaf-
fung erläutert. Zum Problem des Fart pour Part in Afrika mag noch gesagt werden, daß
es diese Einstellung im Kunstgewerbe und in der Musik ja gibt. Warum sollte nidit
auch eine Plastik oder eine Maske aus Freude am Werk als solchem angefertigt oder
ausgestaltet worden sein? Unzweifelhaft wurde aber die größere Zahl aus religiösen
oder zauberischen Motiven geschaffen.
Da dem Verfasser die Funde aus Nord-Nigeria noch nicht bekannt waren, hält er
die Skulpturen Zimbabwes, dessen Blütezeit er in das 13. Jahrhundert verlegt, für die
ältesten bekannten in Afrika südlich der Sahara. Im übrigen kann die geschichtliche
Perspektive der Vergänglichen der Materialien und des Klimas wegen nicht tief sein.
In weiten Gebieten ist die künstlerische Betätigung auch durch das Eindringen des Islam
erloschen.
Den zweiten Teil des Buches (S. 41—114) nimmt die nach Stämmen übersichtlich
geordnete Beschreibung der Plastik im Sudan, Nord-Kongo, Ost- und Südzentralafrika
ein. Der dritte Teil schließlich, (S. 117—142) ist Nachträgen zur westafrikanischen
Plastik gewidmet.
Der auf 144 Tafeln nicht weniger als 369 Abbildungen umfassende Bildteil ist eine
Fundgrube für den, der die afrikanische Kunst kennenlernen und auch für den, der
einzelne Stücke bestimmen oder vergleichen will. Daß die Wiedergabe trotz der teil-
weise schlechten Vorlagen hervorragend gelungen ist, ist das Verdienst des Verlages,
der auch den Druck so besorgte, daß das Lesen zum Genuß wird. Die beigefügten
Karten erleichtern die Übersicht wesentlich.
Bedauerlich bleibt, daß es bisher immer noch nicht gelungen ist, eine international
einheitliche Schreibung der Stammesnamen einzuführen, die gerade den Gebrauch solcher
zusammenfassender Werke erleichtern würde.
E. v. Sydows Handbuch, das nunmehr ganz Afrika umfaßt, wird einen bleibenden
Wert behalten. K- Krieger.
270 Bücherbesprechungen
Trowell, Margaret: Classical African Sculpture. London: Faber and Faber Ltd. 1954.
103 S. Text, 2 Karten, 48 Tafeln. 30 s.
Der Titel des vorliegenden Buches spricht aus, was zwar bekannt war, aber kaum
direkt gesagt wurde. Wir müssen heute schon von einer „klassischen“ afrikanischen
Kunst sprechen, zu der die modernen Afrikaner oft keine innere Beziehung mehr haben,
obwohl sie der Religion und Magie ihrer eigenen Kultur entstammt. Unter klassisch
werden hier Kunstwerke verstanden, die allgemein als typisch und wertvoll anerkannt sind.
Die Verfasserin betont mit Recht die äußerlichen Schwierigkeiten, die einer Betrach-
tung afrikanischer Kunst entgegenstehen, wie ungenügende Beschreibungen der Mu-
seumsstücke, zerstörte Sammlungen und die oft unzureichende oder vergriffene Literatur.
Aber auch die nähere Untersuchung stößt auf Hindernisse. Eine Betrachtung vom
ästhetischen Standpunkt unter Vernachlässigung des sozialen Flintergrundes genügt
nicht. „For full realization and understanding then of any work of art we raust
attempt to have some understanding of the total purpose of its creator.“ Eine Ein-
teilung der Kunstwerke nach Rassen oder Stämmen zeigt aber, daß Kunststile und
Stammesgrenzen sich überschneiden. Da weder die ethnologische noch die rein ästhe-
tische Betrachtungsweise zum Ziel führt, werden ethno-soziologlsche Daten nur insoweit
herangezogen, als sie zum Verständnis der Kunstwerke beitragen können. Darüber
hinaus soll man sich auf die Formwerte konzentrieren. Man kann dann die Werke nach
dem ursprünglichen Zweck ihrer Herstellung einteilen in: Spirit regarding Art, Man
regarding Art und the Art of Ritual Display, Bezeichnungen, die auch nur Anhalts-
punkte bieten sollen. Der erste Typ entspringt religiösen Motiven, der zweite eher dem
Wunsch nach sozialem Prestige oder einfach der Liebe zu symbolischen sowie dekora-
tiven Gegenständen um ihrer selbst willen, der dritte stellt ein Bindeglied zwischen den
beiden ersten Arten dar, indem er, besonders durch die Masken, auf die Geister, aber
auch auf die menschliche Umwelt einwirkt. Diese Einteilung wird in den entsprechenden
drei Abschnitten des Buches durch Beispiele In klarer Sprache erklärt.
Es folgt eine knappe, aber aufschlußreiche Beschreibung der Umwelt, Geschichte
und ethnischen Stellung der Völker (Westsudan, Guinea- und Kongo-Gebiet), der sich
die Darstellung ihrer Kunstwerke anschließt. Der Bildteil bringt auf 48 Tafeln 122 gute
Abbildungen großenteils bekannter, typischer Stücke der verschiedenen Kunstprovinzen.
Das oben erwähnte Einteilungsprinzip wird hier aber nicht befolgt.
Die in M. Trowells Buch dargelegten Überlegungen werden wesentlich dazu bei-
tragen, die Möglichkeit für eine Synthese zwischen der Arbeit des Ethnologen und des
Kunsthistorikers zu schaffen. K. Krieger.
Weatherwax, Paul: Indian Corn in Old America. New York: The Macmillan Com-
pany. 1954. 253 S., 60 Tafeln, 14 Textabbildungen, 1 Karte.
Obwohl der Verfasser Im Vorwort dieses Buches betont, daß er hauptsächlich eine
botanische, keine ethnologische Abhandlung bringt, muß er doch zugeben: „Corn and
the Indian have traveled the same road for so long a time, that the two stories are
in many ways inseparable“, und tatsächlich behandelt die Mehrzahl der 18 Kapitel
dieser ausgezeichneten Mais-Monographie kulturgeschichtliche Fragen. Schon das
3. Kapitel befaßt sich mit den frühen historischen Quellen über die Maispflanze in
chronologischer Folge, beginnend mit Christoph Columbus und endigend mit Thomas
Withe. Eine ausführliche Bibliographie sowohl geschichtlicher wie botanischer Werke
begleitet das Buch. Das sorgfältig angelegte Register erleichtert seinen Gebrauch als
Nachschlagewerk.
Aus Gründen der Inkompetenz muß Ich auf eine Besprechung des komplizierten
botanischen Teiles verzichten. Nur am Rand sei vermerkt, daß der Botaniker Weather-
wax, der sich seit mindestens dreißig Jahren mit Maisproblemen befaßt, eine abwartend
skeptische Haltung einnimmt in bezug auf neue botanische Hypothesen über die Ge-
nesis des Maises. Ausführliche Kapitel sind den Verwandten dieses ertragreichen Ge-
Baeßler-Archiv, Neue Folge, Band III
271
treides gewidmet. Mit Sorgfalt sucht der Verfasser zu erklären, daß weder Kapselmais
(Zea mays tunicata) noch Teosinte (Euchlaena), wie man früher annahm, Ahnen des
Maises sein können. Die nachweisbar ältesten Reste von Mais kommen aus der Tularose-
Höhle im westlichen Neumexiko, in die sie vor fast 4500 Jahren durch Menschenhände
gelangten. Fossile Pollen der drei nächsten Maisverwandten, Mais selbst, Teosinte und
Tripsacum, sollen sich auf dem zentralmexikanischen Tiefland In erheblicher Tiefe
gefunden haben. Wenn das zutrifft, dann wuchsen diese drei Pflanzenarten nach unseren
bisherigen Erkenntnissen lange vor Beginn jeglichen Ackerbaus an irgendwelchen ande-
ren Stellen Amerikas auf der mexikanischen Mesa Central.
Die in den letzten Jahren verschiedentlich aufgetauchte Frage der Herkunft des
Maises aus Asien, mit deren Bejahung auch die Frage einer Kulturdrift aus Asien nach
Amerika klarer bejaht werden müßte, beantwortet der Verfasser mit stichhaltigen Be-
gründungen durchaus negativ.
Die älteste chinesische Darstellung einer Maispflanze (yü-cho-sn) stammt immerhin
schon aus dem Jahre 1597. Wahrscheinlich brachten die Portugiesen schon früh im
16. Jahrhundert brasilianische Malsarten nach Ostindien. Ungefähr 60 Jahre später war
die indianische Pflanze bis China gewandert.
Die Hypothese der südamerikanischen Herkunft des Maises (Mangelsdorff und
Reeves), die z. T. auf der Annahme basierte, daß Kapselmais der Urahn sei, fällt allein
mit der Tatsache, daß es überhaupt keinen wilden Kapselmais gibt. Daß im Umkreis
der alten Inkahauptstadt Cuzco in einem Radius von 100 Meilen Länge mehr Mais-
varietäten Vorkommen als im ganzen nördlichen Amerika, ist nach W. kein Beweis für
den Ursprung jeglicher Maiskultur dort, sondern eher dafür, daß die Bewohner jener
Zone zu den besten Pflanzern Altamerikas gehören.
W. behandelt genügend ausführlich die verschiedenen Formen des Maisanbaus in
Amerika, Acker- und Mahlgeräte, Vorratswirtschaft, Maisgerichte und -getränke, auch
kultische Dinge, die mit dem Mais in Zusammenhang stehen. Die ausgezeichnete Be-
bilderung vervollständigt die Qualität des Buches als eine Art Standardwerk für alle
Fragen, die die indianische Feldfrucht par excellence betreffen. Daß das indianische
Korn von ausschlaggebender Bedeutung für die Entwicklung höherer Kultur in Amerika
war, wird niemand leugnen, obwohl der Mais anscheinend in den Andenländern niemals
die gleiche, nahezu ausschließliche Rolle gespielt hat wie in Mesoamerika, ebensowenig
wie heute. H. D. Disselhoff.
Witthofl, John: Green Corn Ceremonialism in the Eastern Woodlands. Ann Arbor,
Michigan: Michigan University Press, 1949. 91 S. (Occasional Contributions from
the Museum of Anthropology of the University of Michigan Nr. 13).
Der gegenwärtige ethnologische Betrieb in den USA wird im wesentlichen von
Spezialarbeiten bestimmt. In der Fülle der engbegrenzten Themen sucht man ganz ver-
gebens nach Zusammenfassungen, sowohl sachlich wie geographisch. Die Arbeit Hallo-
wells über den Bear Ceremonialism (1926) steht ziemlich vereinzelt da und hat kaum
Nachfolge gefunden. Angesichts dieser Situation wird man Witthofts Buch mit Freude
begrüßen, zumal hier ein außergewöhnlich wichtiger Prozeß innerhalb der Primitiv-
kulturen des Kontinents aufgezeigt wird: die Umformung des Waldlandes zwischen
Mississippi und Atlantik zu einem Feldbaustratum.
Witthoft ist Staatsethnologe von Pennsylvanien; er verfügt über Felderfahrung bei
Irokesen und Cherokee und eine genaue Kenntnis der hier besonders wichtigen Literatur.
Dazu kommt noch, daß er als Schüler des unvergeßlichen Speck ein Auge für die
religiöse Seite des Problems besitzt und — Weit besser als seinerzeit Hallowell — ein
religiöses Gesamtbild zu zeichnen versteht. Witthoft geht folgenden Gedankengang. Im
Gefolge des vom Golf heraufkommenden Maisbaues, der sich im Waldland an gewisse
originale Ansätze von Bodenkultur anschließen konnte (Tabak, Sonnenblume), über-
schwemmte eine neue religiöse Philosophie den Riesenraum von Florida bis zum
272
Bücherbesprechungen
Ontario. Der Mythus von der Kornmutter, aus deren Leib die neue Pflanze aufwächst,
und das Grünkornritual, das sich mit dem Reifen des Maises verkoppelt, formten die
ursprüngliche Jagdkultur dieses Raumes um und prägten durch Amalgamierung eine
neue Lebensform. Die so entstandene Maiskultur, genau genommen ein Elend zwischen
Wildbeutertum und Feldbau, vertritt eine eigengewachsene Schöpfung, unabhängig vom
Südwesten und Mexiko.
Der Verfasser breitet ein gewaltiges und z. T. schwer zugängliches Material aus.
Wer um die Schwierigkeiten der Quellenbeschaffung weiß — man denke nur an die
Paynemanuskripte, die noch immer unediert in Chicago liegen — wird sich dankbar
einem so zuverlässigen Führer anvertrauen und auf knappem Raum einen Stoff vor-
finden, der bei den derzeitigen Bibliotheksverhältnissen in Europa nicht zu beschaffen
ist. Da auch die westlich des Mississippi sitzenden Stämme einbezogen sind, so entsteht
ein nahezu lückenloses Bild jener Religion der Erdmutter, hinter der sich fraglos die
wichtigsten Fragen der nordamerikanischen Ethnologie und Vorgeschichte verbergen.
Werner Müller.
Zerries, Otto: Wild- und Buschgeister in Südamerika. Eine Untersuchung jägerzeitlicher
Phänomene im Kulturbild südamerikanischer Indianer. (Studien zur Kulturkunde,
begründet von Leo Frobenius, hrsg. von Ad. E. Jensen. Bd. XL) Wiesbaden; Franz
Steiner-Verlag. 1954. 8°.
Obwohl Südamerika als letzter von allen Kontinenten durch Menschen besiedelt
wurde, zerfiel seine Urbevölkerung zur Zeit 'der Entdeckung bereits in drei oder vier
verschiedene Kulturkreise: niedere und höhere Jäger (bzw. Fischer), primitive Acker-
bauer und Kulturvölker, zwischen denen es noch viele Abstufungen und Übergänge
gab. Mag nun die Entwicklung von den niederen zu den höheren Stufen sich hier in
schnellerem Tempo vollzogen haben als in der Alten Welt, oder mag die Entstehung
der Bodenbaukultur in Amerika überhaupt erst unter altweltlichem Einfluß erfolgt sein;
auf jeden Fall finden sich in Südamerika auf höheren Kulturstufen häufiger Elemente,
die aus tieferen Schichten stammen, als in Asien oder Afrika. Daher blieb auch die
Weltanschauung des Jägertu ms noch bei den Bodenbauern so lebendig und formte
ihre religiösen Anschauungen In so hohem Maße, daß diese sich oft nur wie leichte
Abwandlungen der älteren Anschauungen ausnehmen und ohne Schwierigkeit auf sie
zurückgeführt werden können, und zwar nicht nur bei den Pflanzerstämmen des
Amazonastieflandes, sondern auch bei den alten Kulturvölkern des Andengebietes.
Diesen Nachweis führt der Verfasser des vorliegenden Werkes, für das er schon in
kleineren Abhandlungen Vorarbeit geleistet hat, an Hand eines reichen, fast 350 Titel
zählenden Quellenmaterials und liefert dadurch einen wesentlichen Beitrag zu einem
religionsgeschichtlichen Fragenkomplex, mit dem sich die vergleichende Völkerkunde
erst seit den Abhandlungen von J. Hallowell, A. Friedrich und H. Baumann über die
Weltanschauung des Jägertums in Nordamerika, Nordasien und Afrika näher befaßt
hat. Verglichen mit diesen Erdteilen Ist ein reines Jägertum in Südamerika nur selten
anzutreffen. Das war nicht erst die Folge der europäischen Landnahme; schon in vor-
spanischer Zeit standen die alten Jägervölker der Südspitze, des Gran Chaco und Ost-
brasiliens unter dem umgestaltenden Einfluß der indianischen Bodenbauer und Kultur-
völker, so daß der Verfasser oft gezwungen ist, zur Ergänzung Beispiele aus den ge-
nannten drei Gebieten außerhalb Südamerikas heranzuziehen.
Wie für Ad. E. Jensen beruht auch für Zerries das Verhältnis zwischen Mensch und
Tier nicht auf dynamistischen, sondern animistischen Vorstellungen. Was man
In den Riten, die damit verknüpft sind, gemeinhin Zauber nennt, stellt in den meisten
Fällen ein durchaus „vernünftiges“ Verfahren dar, denn es geht von der Voraussetzung
aus, daß Tiere, wie Menschen, eine Seele besitzen oder von Geistern beherrscht
werden, die oft göttliche Qualitäten haben, so daß Tiere sowohl wie Geister „durch
menschliche Mittel ansprechbar sind“. Den Begriff des Magischen läßt Zerries nur in
Fällen gelten, in denen der Mensch es noch nicht mit höheren geistigen Wesen zu tun
Baeßier-Archiv, Neue Folge, Band III
273
zu haben glaubt, sondern nur mit einem Einzeltier, und zu Mitteln greift, die uns
»unvernünftig“ erscheinen, indem er z. B. Teile des Tierkörpers oder Nachbildungen des
Tiers beim Jagdzauber verwendet (Pars pro toto-Vorstellung). Aber auch bei diesem
„Vitalkonnex“, wie ihn J. Gebser (Ursprung und Gegenwart, Stuttgart 1950) zum
Unterschied von dem bei uns gültigen „Kausalkonnex“ genannt hat, handelt es sich
nach Ansicht des Verfassers nicht oder nur selten um eine unpersönliche magische
Kraft, die mit dem Tier verbunden ist (im Sinne der dynamistischen Weltanschau-
ung), sondern um die Seele eines Tiers (S. 366—368). Die Beziehungen zwischen
Mensch und Tier sind im frühen Jägertum noch ganz lebendig und unterscheiden sich
dadurch von der erstarrten und meist schon sinnentleerten Mensch-Tierbeziehung des
Totemismus, so daß H. Baumann (Afrikanische Wild- und Buschgeister, Berlin 1933)
die frühe Jägerkultur „protototemistisch“ genannt hat und Zerries im Gegensatz zu
K. Dittmer den Individualtotemismus für älter als den Clantotemismus hält (S. 164).
Auf H. Baumann gehen auch die Anschauungen über Wildgeister und Buschgeister
zurück, die Zerries im wesentlichen übernimmt. Ursprünglich wandten sich die zu
diesem Komplex gehörenden Riten versöhnenden, abwehrenden oder sympathetisch -
magischen Charakters an ein für ein bestimmtes Gebiet besonders wichtiges Großtier
(Jaguar, Tapir, Hirsch, Guanako, Strauß usw,), dessen Verehrung schon auf der frühen
Jägerstufe zum Glauben an einen im Prinzip menschengestaltigen „H errn der
Tiere“, einen echten Gott, geführt hat, wie Jensen und J. Haekel annehmen, während
A. Friedrich den Glauben an viele derartige „Eigentümer“ der Tiere, die W i lü-
ge i s t e r , die nicht mehr Götter und daher durch Menschen beeinflußbar sind, für
das Primäre hält. Schließlich wird jedem Einzeltier ein „Eigentümer“ zugeschrieben
— eine Entwicklung, die wahrscheinlich nur eine Hypertrophierung der ursprünglichen
Vorstellung darstellt. Das Schwinden des göttlichen Charakters, d. h. das Herabsinken
auf die Stufe bloßer Geister, die oft eine den Menschen gegenüber feindliche Haltung
einnehmen, hält Zerries für die Folge einer Übernahme jägerischer Vorstellungen durch
Bodenbauer (S. 356—358, 368/9). Schon auf der Jägerstufe hängen die Wildgeister eng
mit den Buschgeistern zusammen, die entweder ihrem Wesen nach mit dem
Wald verbunden, also „Herren des Waldes“ (bzw. der Bäume) sind, oder
im Wald bzw. in einzelnen Bäumen nur zufällig ihren Aufenthalt genommen haben, also
ebensogut Wild- wie sonstige Geister (z. B. Totengeister) sein können. Auch hier führt
die Entwicklung dazu, daß schließlich jeder Einzelbaum seinen Schutzgeist erhält.
Die zahllosen, mit allen Einzelheiten zitierten und interpretierten Beispiele, durch
die der Verfasser diese Grundgedanken belegt, zeigen anschaulich die enge und mannig-
fache Verflechtung des Herrn der Tiere, der Wild- und Buschgeister mit den religiösen
Vorstellungen und Gebräuchen der südamerikanischen Indianer. Schon 1550 erwähnte
José de Anchieta Cor up ira oder Kaapora, den bei allen Tupi-Stämmen be-
kannten Wildgott, der nach Couto de Magalhäes (1876) auch ein Herr der Wälder war
und in vielen ähnlichen Gestalten bei anderen südamerikanischen Waldstämmen, aber
auch bei den Steppen- und Andenvölkern wiederkehrt, von der Nordküste bis zu den
Yamana des Feuerlandes, die in Watauineiwa den Eigentümer aller Tiere, insbesondere
der großen Säugetiere und Vögel, verehren. Meist hat aber der Herr der Tiere bei
diesen Stämmen seinen göttlichen Charakter eingebüßt und ist zum Wild- oder Busch-
geist herabgesunken, selbst im Bereich der Tupi, die neben oder an Stelle Corupira’s
einen koboldhaften, in der Regel bösartigen Buschgeist Anhanga oder Yurupary kann-
ten. Bei Feuerländern und Ostbrasilianern macht sich ein Zusammenhang des Wild-
gottes mit der Sonne bemerkbar, der sich auch im tropischen Waldgebiet aus gewissen
Gebräuchen (Rotfärbung und Blutentziehung der Jäger) erschließen läßt (S. 18—27).
Dem in indianischen Anschauungen häufig auftretenden himmlisch-irdischen Parallelis-
mus entspricht es, wenn die Herren der Tiere oft mit Sternbildern identisch sind oder
die Tiere als irdische Manifestationen von Sternen gelten, oder wenn riesenhafte Ur-
bilder der Tiere — zugleich ihre „Herren“ — im Jenseits lokalisiert werden (Yaruro,
274
Bücherbesprechungen
Kayapa), eine Idee, die von den Kalina an der Küste Guayanas auch auf die Bäume
übertragen wurde (S. 128—133, 123, 211). Im allgemeinen wird der Herr der Tiere,
wie gesagt, menschengestaltig gedacht; bei den Taulipang im Innern Guayanas nimmt
der Wildgott Keyeme zuweilen aber auch die Gestalt einer großen Wasserschlange an,
aus deren abgezogener und zerteilter Haut die charakteristischen Merkmale aller Tiere
entstehen. Mehr noch tritt die tierische Natur bei den Wildgeistern hervor, die Helfer
der Jäger sind und ihnen dadurch Jagderfolg verschaffen, daß sie ihnen (wie der Frosch
Wau-uta bei den Warraü) magische Pfeile geben, oder daß sie, wie die Wespen und
Ameisen in Guayana, den Jäger stechen und dadurch ihre Zauberkraft auf ihn über-
tragen; hieraus erklärt Zerries die bei den Ojana und vielen anderen Stämmen
Guayanas übliche Wespen- und Ameisenmarter, die keineswegs allein auf die Initiation
beschränkt blieb (S. 75—77). Auch die Skarifikation mit den Knochen erlegter Jagd-
tiere diente dem gleichen Zweck (S. 68).
Daß man die geistige Individualität der Tiere für durchaus gleich derjenigen des
Menschen hält, wird durch die Übereinstimmung der Gebräuche bei der Bestattung von
Menschen und Tieren, bei der Tier- und Kopfjagd, bei der sekundären Beisetzung
menschlicher Überreste und der Behandlung von Tierknochen bewiesen. Von derselben
Einstellung zeugen die Jagdgebräuche selbst, vor allem das Verhalten des Jägers vor
und nach der Jagd. Mit aller Deutlichkeit tritt dies bei den vom Verfasser ausführlich
erörterten Versöhnungsriten der alten Tupinamba, Mojo und Karaibenstämme an der
Nordküste und der modernen Bororo, Yurakare und Selknam hervor. Diese Riten
richten sich entweder an das Tier selbst oder an den „Herren“ des Tiers. Der magischen
Beeinflussung des Tiers dienen die aus vielen Teilen Südamerikas bekannten Tiertänze
mit und ohne Masken; seltener sind andere Formen des Jagdzaubers wie die Mani-
pulationen mit einzelnen Teilen des erlegten Tiers (besonders mit dem Schädel), mit
Nachbildungen aus Wachs oder Holz oder mit Sandzeichnungen. Der Jäger schützt sich
vor der Rache des erlegten Tiers u. a. dadurch, daß er es vermeidet, die Beute persönlich
nach Haus zu bringen und vom Fleisch des Wildes zu essen. Die schädlichen Wirkungen,
die von dem getöteten Tier ausgehen, können sich durch den Jäger während der
Schwangerschaft seiner Frau oder der ersten Lebenszeit seines Kindes auf dasselbe über-
tragen, so daß der Vater sich hütet, in dieser Zeit zu jagen oder vom Wildbret zu
essen: eine Form der Couvade, die besonders deshalb interessant ist, weil das Kind oft
geradezu mit dem Jagdtier identifiziert wird, dessen Geist es in sich aufgenommen hat
(Karaiben Guayanas und Guayaki). Diese Vorstellung Ist dem mittelamerikanischen
Nagualismus, dem Glauben an den Lebensgleichlauf von Mensch und Tier, nahe ver-
wandt (S. 156—159).
In Guayana, Nordostbolivien und anderwärts glaubt man auf Grund angeblicher
äußerlicher Ähnlichkeiten, daß jede Tierart eine ihr zugehörige Pflanzenart besitzt.
Dies hat zum Gebrauch bestimmter Pflanzen als Jagdzäubermittel geführt, aber auch
den Glauben an die Existenz von Pflanzen - oder Buschgeistern genährt,
die man sich meist als Waldkobolde von monströser Gestalt mit starker Behaarung,
übergroßen Genitalien und mißgestalteten Füßen vorstellt oder als Halbwesen, die nur
ein Bein oder ein Auge besitzen. Daß sie manchmal Skelettgestalt haben oder nur aus
einem Kopf bestehen und daß sie als Wächter der Unterwelt gelten, beweist ihre Ver-
wandtschaft mit den Totengeistern. Häufig spielen sie den Menschen allerlei Schabernack,
rauben Kinder und vergewaltigen Frauen. In der Mythologie gelten sie als Widersacher
der Zwillingsheroen, von denen sie schließlich überwunden werden. Dieser Glaube be-
ruht entweder auf dem der indianischen Weltanschauung so geläufigen kosmischen
Dualismus (denn die Buschgeister werden auch außerhalb der Zwillingsmythen als
Finsternis-., Gewitter- und Sturmdämonen angesehen) oder ist, wie Zerries annimmt,
kulturhistorisch zu verstehen, weil man die Buschgeister bewußt oder unbewußt als
Repräsentanten der alten Jägerkultur ansah, die vom Bodenbau, mit dem der Zwillings-
mythus entstand, verdrängt wurde (S. 311, 315). W. Krickeberg.
ARCHIV FÜR VÖLKERKUNDE
herausgegeben vom
Museum für Völkerkunde in Wien
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Dr. Etta Becker-Donner Dr. Annemarie Schweeger-Hefel
Band IX/1954 enthält u. a.:
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Nordeuropas? / König, F. W.: Gesellschaftliche Verhältnisse Armeniens
zur Zeit der Chalder-Dynastie (9. bis 7. Jahrhundert v. Chr.) / Krerns-
maycr, Heino: Schamanimus und Seelenvorstellungen im Alten China /
Ränk, Gustav: Zum Problem des Sippenkultes bei den Lappen /
Schmidt, Leopold: Schaufel-Notiz. Zu einem europäischen Arbeitsgerät
des Spätmittelalters / Schweeger-Hefel, Annemarie: Einige Bemerkungen
zu Wolof-Schmucksachen / Segy, Ladislaus: African Snake Symbolism /
Staude, W.: Die Profilregel in der christlichen Malerei Äthiopiens und die
Furcht vor dem „Bösen Blick” / Schweeger-Hefel, Annemarie: Das Museum
für Völkerkunde in W'ien in den Jahren 1945-1953 / Mylius, Norbert:
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sind technisch und in ihrer Auswahl sehr schön, und eine ausführliche
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