BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
Herausgegeben im Aufträge des
Museums für Völkerkunde Berlin
von
H. D. DISSELHOFF UND K. KRIEGER
NEUE FOLGE BAND IX
(XXXIV. BAND)
HEFT 1
Ansgegeben am 31. August
BERLIN 1961
VERLAG VON DIETRICH REIMER
INHALT
H. D. I)isselhoff, Berlin:
Dr. Rebeca Carrion Cachot de Girard f
Mil 1 Abbildung ...................................................... 1
II. D. Disselhoff, Berlin:
Berliner Museum für Völkerkunde: Neuerwerbungen mexikanischer Alter-
tümer
Mit 15 Figuren und 2 Abbildungen ..................................... 5
H. Walter, Berlin:
Geschichte, Probleme und heutiger Stand der Sambaqui-Archäologie
Mit 2 Abbildungen, 5 Tafeln und 1 Kartenskizze........................ 23
W. Haherland, Hamburg:
Tontrommeln in El Salvador
Mit 3 Abbildungen .................................................... 73
Kurt Reinhard, Berlin:
Das Berliner Pbonogramm-Archiv ....................................... 83
Margot Dias, Lissabon:
Makonde-Töpferei
Mit 22 Abbildungen und 8 Zeichnungen ................................. 95
Wolfgang Laade, Berlin:
Fiscbgatter auf den Kerkennah-Inseln und der Insel Djerba, Tunesien
Mit 17 Abbildungen und 4 Figuren • ■ • ............................... 127
Horst Nachtigall, Mainz:
Beiträge zur Ethnographie der tunesischen Nomaden
Mil 20 Abbildungen und 2 Figuren ..................................... 151
Bücherbesprecbnngen;
Kobl-Larsen: Unter roten Hibiskusblüten 4 — Lindig: Die Seri 186 —
Horkheimer- Nahrung und Nabrungsgewinn im vorspanischen Peru 188 —
Hotz; Indianische Ledermalereien 190
Band IX des „Baessler-Archiv“ erscheint im Jahre 1961 in 2 Heften. Der Preis
des Bandes von etwa 23 Bogen beträgt DM 34,—. Bestellungen sind zu richten
an: DIETRICH REIMER, Berlin-Steglitz, Wulffstr. 7, oder an jede
Buchhandlung. Manuskripte und Besprechungsexemplare werden erbeten
an: Redaktion des „Baessler-Archiv“, Museum für Völkerkunde, Berlin-
Dahlem, Arnim-Alle 23.
Für unverlangt eingehende Beiträge kann keine Haftung übernommen wer-
den. Die Mitarbeiter erhalten unberechnet 25 Sonderdrucke. Für den In-
halt ihrer Beiträge sind die Autoren allein verant-
wortlich.
Diesem Heft liegen bei ein Prospekt der Akademischen Druck- und Verlags-
anstalt Graz, den wir der Aufmerksamkeit der Leser empfehlen; ebenso eine
Ankündigung für Mühlmann „Chiliasmus und Nativismus“.
Alle Rechte Vorbehalten
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
1
DR. REBECA CARRIÓN CACHOT DE GIRARD f 6. APRIL 1960
Am 16. April 1960 starb in ihrer Wahlheimat Guatemala Frau Dr. Rebeca
Carrión C. de Girard, Ex-Direktorin des „Museo Nacional de Antropología
y Arqueología“ in Lima.
Mit der hervorragenden Kennerin der glorreichen Vorgeschichte ihres
Vaterlandes Peru machte ich meine erste Bekanntschaft im Archäologischen
Museum der Universität San Marcos zu Lima. Es war im Herbst des Jahres
1937. Die viel zu früh Verstorbene war damals Assistentin ihres von ihr
gläubig verehrten Lehrers Dr. Julio César Tello, dessen für die peruanische
1 Baessler-Archiv IX
2
Disselhoff, Dr. Rebeca Carrión Cachot de Girard f
Vorgeschichte so einschneidende Theorie von der Priorität des Beginnes der
höheren Kulturen in der Sierra vor ihrem Aufblühen im Küstengürtel sie
mit steter Leidenschaft verfochten hat.
Damals wurden gerade einige der über zweihundert Paracas-Mumien
enthüllt, deren Fund durch Julio Tello eine Reihe von Jahren zuvor sensa-
tionelles Aufsehen erregt hatte. Ich war das erste Mal in Peru, und der
Anblick der farbenprächtigen Totenmäntel, in jener Zeit noch nicht so wie
heute aus Tafelwerken bekannt, bedeutet eine Art Offenbarung für mich.
Das Thema von Doña Rebecas bereits 1931 eingereichten Doktorarbeit
„La indumentaria en la antigua cultura Paracas“ wurde später von ihr in
einer in englischer Sprache publizierten Monographie wieder aufgegriffen:
„Paracas cultural elements“, Lima 1949. Ihre darin vertretene Hypothese,
daß die Paracas-Halbinsel nicht immer nur Totenland gewesen sei, sondern
in dieser jetzt oasenlosen Wüstenlandschaft hätten einst unterirdisch be-
wässerte Baumwoll- und Fruchtgärten gegrünt und geblüht; und die Wüste
sei einmal bewohnt gewesen, scheint durch Frédéric Engels jüngste Grabun-
gen endgültig Bestätigung zu finden. Warten wir die Publikation seiner Aus-
grabungen auf der Wüsten-Halbinsel ab, die seit Teiles Entdeckung nicht
nur für die Feldarbeit ausländischer, sondern auch für die Spaten zünftiger
einheimischer Archäologen „tabu“ war (nicht für die Schatzgräber)!
Zu den Sensationen des berühmt gewordenen New Yorker Internatio-
nalen Amerikanistenkongresses im Jahre 1949 gehörte die feierliche Ent-
hüllung eines Mumienbündels aus Paracas-Nekropolis durch Rebeca Carrion C.
im Museum of Natural History. Der Inhalt dieses Bündels ist mir nicht
bekannt, und ich weiß nicht, ob es zu den kostbaren gehörte, mit erlesenen
Geweben voll Stickereien in seltenen Farbharmonien, voll dämonischen
Zaubers einer lange vergangenen Welt. Ist dies doch eine Sache des Glücks;
denn nicht jedes Paracasbündel strotzt von prächtigen Textilbeigaben. —
Auszeichnungen mit hohen südamerikanischen und europäischen Orden
waren die äußeren Zeichen einer Würdigung der wissenschaftlichen Arbeit
Doña Rebecas. Von ihren zahlreichen Veröffentlichungen seien wenigstens
einige hier angeführt: „La Cultura Chavín: dos nuevas colonias, Kuntur
Wasi y Ancón“, „Morfología de los Dioses Chavin“, „La deidad dual en
Chavin“. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um das große Rätsel Chavin,
dessen erste Lösung ihr Lehrer Tello versucht hatte. Ein Essay Rebeca
Carrions „Julio Tello y la Arqueología Peruana“ würdigt das Primat seiner
Erkenntnisse. Aber auch enger gefaßte Themen der Ethnographie Altperus
wurden von Rebeca Carrion bearbeitet, z. B. „Andas y literas de la costa
peruana“. „El culto al agua en el antiguo Peru“ usw. Auch geschichtliche
Titel treten auf, wie „El Imperio Inca a la llegada de los Españoles“.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
3
Kurz vor ihrem Tod kehrte sie zu einem religiösen Thema zurück: „La
religiön en el antiguo Peru“ (Lima 1959). — Man darf sich darüber freuen,
daß die Verstorbene Zeit fand, auch europäische Länder zu bereisen, um in
den großen Museen peruanische Altertümer zu studieren. Auch nach der
Insel Berlin unternahm sie eine Reise, obwohl man sie in Hamburg aus
unersichtlichen Gründen vor der alten Reichshauptstadt gewarnt hatte. Man
sagte ihr, daß sich die Reise nicht lohnen würde. Zu wiederholten Malen
hat sie mir später versichert, wie froh sic darüber sei, solche Ratschläge in
den Wind geschlagen zu haben. Denn allen vorherigen Auskünften zum Trotz
sei das Berliner Museum auf vielen Gebieten der peruanischen Altertums-
kunde reicher als jedes andere Museum Europas. Nirgends hätte sie eine
gleichbedeutende Moche-Sammlung, so viele Textil-Varianten des mittleren
Küstengebietes (Sammlung Reiß und Stübel), eine so reiche Inka-Sammlung
gesehen.
In den letzten Jahren lebte Rebeca Carrion in der Hauptstadt Guate-
malas, der Heimat ihres Gatten Don Rafael Girard, der ihr Interesse auch
auf Probleme der Mayaforschung lenkte. Er wird auch dafür sorgen, daß
Rebeca Carrion C.s hinterlassene Schriften veröffentlicht werden. Dort in
Guatemala ereilte sie der Tod, den nicht nur diejenigen beklagen, die das
Glück hatten, die treffliche Frau und Wissenschaftlerin persönlich zu kennen.
Stets hat sie sich mit außergewöhnlichem Interesse und Energie für die Be-
lange der peruanischen Archäologie und den Schutz peruanischer Altertümer
eingesetzt wie niemand vorher und nachher. Daß sie sich dadurch nicht
immer nur Freunde erwarb, ist verständlich. Mir persönlich hat sie mehr
als einmal mit Rat und Hilfe zur Seite gestanden. Im Grunde ihres Herzens
war sie eine warmherzige und gütige Frau. Die Erinnerung an sie wird
bleiben; ihr Werk hat Bestand.
H. D. Disselhoff
i
Bücherbesprechungen
Kohl-Larsen, Ludwig: Unter roten Hibiskusblüten. Erich Röth-Verlag, Kassel 1957.
140 Seiten, zahlreiche Abbildungen und eine Karte von Yap. Leinen 12,80 DM.
Als der Maler Max Pechstein kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs im west-
lichen Mikronesien weilte und auf Palau den Zauber der Südsee mit leuchtenden
Farben auf die Leinwand bannte, arbeitete einige hundert Kilometer nordöstlich
von ihm ein anderer Deutscher auf Yap. Es war der Arzt Dr. Kohl-Larsen, der
vor kurzem sein Ozeanienerlebnis in einer Neufassung vorlegte.
Die Insel Yap (Jap), die mit den vorgelagerten Eilanden 207 qkm umfaßt, wurde
Spanien 1899 von Deutschland abgekauft. 1920 fiel sie an Japan und nach dem Ende
des zweiten Weltkriegs als Mandatsgebiet an die Vereinigten Staaten von Amerika.
Eine ethnographische Merkwürdigkeit machte diesen winzigen Flecken Land in den
Wasserwüsten des Pazifischen Ozeans weithin bekannt: das mühlsteinartige Geld
aus Aragonit, das die Inselbewohner aus Palau importierten. Hier auf Yap ver-
brachte Kohl-Larsen nach seinen eigenen Worten die schönste und ruhigste Spanne
seines Lebens. Er träumte an weißen Stranden, fuhr mit braunen Schiffern in
schlanken Auslegerbooten über stille Lagunen und wanderte auf verschlungenen
Pfaden von einem der malerischen Dörfer zum anderen. Wenn die unbarmherzige
Sonne der Tropen hinter den Wipfeln der Palmen verschwunden und die lähmende
Hitze des Tages verrauscht war, hatte er manchmal Gelegenheit, das Leben der
liebenswerten Naturkinder vor einem der Klubhäuser der Insel in sich aufzunehmen.
Seine Aufzeichnungen über die materielle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Kultur
der Eingeborenen bilden das Gerippe des vorliegenden Buches.
Kohl-Larsen ist ein ausgezeichneter Beobachter mit der Gabe, das Geschaute in
ansprechender Form wiederzugeben. Er verfügt außerdem über ein gutes Ein-
fühlungsvermögen, wie seine Zeichnungen menschlicher Charaktere beweisen. Bei-
pflichten muß man seinen Bemerkungen über die oftmals anfechtbaren Methoden
der Europäisierung und die nicht immer glücklichen Maßnahmen, mit denen die
christliche Mission in das einst so unbeschwerte Dasein der Insulaner eingriff. Die
Darstellung der Religion der Yapleute fußt übrigens auf den Schriften von Wilhelm
Müller, der grundlegende Arbeiten über das weltferne Eiland publizierte. Zu er-
wähnen wäre noch, daß Kohl-Larsen auf der Insel eine ethnographische Sammlung
anlegte, die später in den Besitz des Völkerkundemuseums zu Oslo überging.
Der Verfasser unseres Buches hat in den vergangenen Jahrzehnten noch mehrere
Expeditionen unternommen. Durch seine Forschungen in Afrika hat sein Name in
der Wissenschaft einen guten Klang erhalten. Wenn man „Unter roten Hibiskus-
blüten“ aus der Hand legt, fühlt man, daß das Herz dieses Mannes voll Ver-
ständnis für die Naturvölker unserer Erde schlägt. Die Verhältnisse auf Yap sind
heute allerdings nicht mehr so, wie sie Kohl-Larsen schildert. Die Japanisierung der
Eingeborenen war bereits weit vorgeschritten, als Mikronesien in den vierziger
Jahren in die große Auseinandersetzung zwischen den Kriegsflotten unter dem
Sternen- und dem Sonnenbanner hineingezogen wurde. Es wäre daher angebracht
gewesen, wenn uns der Verfasser mit einigen Sätzen über den jetzigen Zustand
der Insel und die heutige Lage seiner Bewohner unterrichtet hätte.
Eine Karte von Yap und eine Reihe von Photographien, die teils aus der Samm-
lung des Verfassers, teils aus dem Archiv des Hamburger Museums für Völkerkunde
stammen, sind eine gute Ergänzung des geschriebenen Wortes. Drei farbige Dar-
stellungen von Eingeborenen gehen auf den holländischen Maler Willem van der
Does zurück. Horst Hartmann
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
5
BERLINER MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE:
NEUERWERBUNGEN MEXIKANISCHER ALTERTÜMER
H. D. DISSELHOFF, Berlin
Es ist an der Zeit, die wichtigsten Neuerwerbungen der Altamerika-
Abteilung des Berliner Museums einem größeren Interessentenkreis zugänglich
zu machen. Ist doch die Zahl der auswärtigen Fachleute, die Berlin besuchen,
relativ klein. Sämtliche in -der Folge angeführten Stücke wurden im Kunst-
handel erworben. Im nächsten Baessler-Heft soll ein Aufsatz über südameri-
kanische Altertümer folgen.
1. Weit an erster Stelle steht die Erwerbung eines überlebensgroßen
Kopfes aus der Klassischen Periode der Mayakunst (Kat.Nr. IV Ca 44 330
Höhe 30 cm. Fig. 1—2). Er ist aus Stuck modelliert. Die sparsame Be-
malung des Haares und der Mund- und Augenpartie steigern noch die Aus-
druckskraft der lebensnahen Plastik. Das seltene Stück, ein großzügiges Ge-
schenk der Deutschen Klassenlotterie, Berlin, der auch an dieser Stelle Dank
gesagt werden soll, stammt angeblich aus einem Grab in der „Sierra de
Palenque“, wo es zusammen mit einem zweiten Kopf aus Stuck gefunden
worden sein soll. Schon der Stil und das Material kennzeichnen seine Her-
kunft aus Palenque. Wenn die Herkunftsangabe stimmt, so besteht eine
Parallele zu den beiden vollplastischen Köpfen aus dem gleichen Material,
die 1952 von Alberto Ruz Lhuillier als Totenbeigaben in der Krypta der
Pyramide des Inschriftentempel zu Palenque gefunden wurden1.
Auch der Berliner Kopf war allem Anschein nach ursprünglich voll-
plastisch. Angeblich wurde er schon in zwei Hälften zerbrochen aufgefunden.
Die Meißelspuren, die er auf der Rückseite aufweist, deuten auf modernes
Metallgerät als Werkzeug. Vielleicht wollten die Grabräuber sein Gewicht
herabmindern, indem sie den Hinterkopf entfernten.
Die Köpfe des Inschriftentempels werden von Thompson etwa 690 n. Chr.
datiert. Auch das vorliegende Stück trägt die typischen Merkmale des klas-
sischen Palenque-Stiles: die kräftige gebogene Nase, die fliehende Stirn, die
auf künstliche Deformation schließen läßt. Das eigentümliche flache und
kreisrunde Loch über der Nasenwurzel mag für die Anbringung eines künst-
1 Vgl. J. Eric S. Thompson („The rise and fall of Maya civilization“, Norman
1954 PL 23). — Vgl. Ruz Lhuillier, Alberto: „La Cámara secreta del Templo
de las Inscripciones" in „Tlatoani“ Vol. 1. No. 3 u. 4 Mexiko 1952. Idem:
„Estudio de la cripta del Templo de los inscripciones en Palenque“, in „Tlatoani“
vol. I. No. 5 u. 6. Mexiko 1952. — In der mexikanischen Zeitschrift „Yan“
1958, No. 1, S. 72, werden sie als Köpfe enthaupteter Krieger bezeichnet,
6
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen mexikan. Altertümer
Füg. 1 Füg. 2
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
7
liehen Nasenaufsatzes aus anderem Material gedient haben2. Der leicht ge-
öffnete Mund, der die obere Zahnreihe sehen läßt, verstärkt den Eindruck
eines faszinierend lebensnahen Porträts. Man könnte wohl an eine Toten-
maske denken; doch die Augen sind weit geöffnet. Mandelförmig wölben
sich die Augäpfel unter den Lidern. Die Augen sind groß und so sorgfältig
modelliert wie bei keinem anderen mir bekannten Mayaporträt.
Während die Köpfe aus der Krypta des Inschriftentempels rot bemalt
sind wie die ganze Grabkammer und die wahrscheinlich ursprünglich unter
Geweben liegenden rot gefärbten Gebeine des dort bestatteten Toten, zeigt
der Berliner Kopf zwei Farben, das gleiche blutfarbene Rot, dünn aufge-
tragen, rings um die Lippen, und ein ebenso sparsames Rokokoblau auf dem
gestuften Haaransatz. Ob es sich bei den stufenförmig in die Stirn fallenden
Fransen um echtes Haar oder um eine Perücke handelt, ist schwer zu ent-
scheiden.
Die gleiche Haartracht — wie ich es der Einfachheit halber nennen will —
zeigen nicht nur die beiden Stuckköpfe des Inschriftentempels, sondern auch
verschiedene Terrakotten vom Jaina-Typ. Irmgard Groth Kymbal bildet
sieben Mayaterrakotten mit der gleichen Eigentümlichkeit ab3. Nur zwei von
ihnen (gegenüber S. 15 und 30) sind einwandfrei — am Lendenschurz kennt-
lich — männlichen Geschlechts. Immerhin mag es sich dort bei Abbildung
S. 15 um eine Tänzerfigur handeln4. In jedem Fall sind sämtliche bisher
wieder aufgefundenen fünf Terrakotten des Berliner Museums, welche die
bezeichnende Haartracht tragen, durch ihre Tracht (Obergewand „puc“ und
Wickelrock „pic“) kenntlich als Frauendarstellungen. Bei zwei Köpfchen des
Berliner Museums (Abb. 1 a und 1 b) könnte man ebensogut an Frauen-
Physiognomien denken5. Allein, es wäre vielleicht zu weitgehend, nur aus
dem Stufenschnitt des Stirnhaares auch die Zugehörigkeit der Stuckköpfe aus
Palenque (inkl. Berliner Stück) zum weiblichen Geschlecht abzuleiten. Würde
es sich tatsächlich um Frauenköpfe handeln, so würden sich damit inter-
essante Aspekte für die Kulturgeschichte der Maya eröffnen. In Figur 3 und 4
sind zwei Tonfigurinen des Berliner Museums wiedergegeben.
2 Betr. Nasenaufsätze aus Jade, die bei dem Skelett der Hohenpriester in der
Pyramide des Inschriftentempels gefunden wurden, vgl. „Tlatoani“, vol. I No. 5
u. 6, S. 83. — Auch bei Groth Kimball, Irmgard: „Mayaterrakotten“, Tübingen
1960, ist verschiedentlich von Nasenaufsätzen die Rede, wcldic das typische
Maya-Profil akzentuieren sollten.
3 Groth Kimball, o. c. gegenüber S. 2, 4, 15, 17, 20, 22, 30. Auch Köpfe mit
lächelnden Gesichtern aus Veracruz zeigen manchmal diesen Haarschnitt.
4 Bei Fig. 30 gegenüber S. 30 (Slg. Stcndahl) halte Ich cs für durchaus möglich,
daß der Kopf ursprünglich gar nicht zu der Figur gehörte.
5 Der physiognomischc Unterschied der Geschlechter ist gering. Vgl. die Frauen-
figur mit dem männlichen Gesicht bei Groth Kimball gegenüber S. 22.
8
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen mexikan. Altertümer
2. Bisher gänzlich unbekannt in der Literatur ist meines Wissens der
Typus eines großen Räucherzylinders aus Ton mit einer auf einer Schild-
kröte stehenden Götterfigur (Figur 5 a und 5 b. Höhe: 62 cm. Slg. Konietz-
ko)6. Die Figur trägt eine Krone aus senkrechten runden Stäbchen, in der linken
Hand einen sehr kleinen ovalen Schild, in der rechten das Fragment eines
Speerschaftes oder Zepters. Vom Gürtel hängen zwei Schlangen auf den
Panzer der Schildkröte hinab. Beiderseitig wird die Gestalt flankiert von
auffällig langbeinigen Menschenfiguren in Flachrelief, die einen Raubtier-
kopf mit kurvenförmigem Nasenannex tragen. Auf dem Schulterkragen der
Hauptfigur ist an jeder Seite ein kreuzförmiges Gebilde, das Maya-Symbol
für „ik“, Wind, eingeschnitten.
In diesem Zusammenhang darf nicht verschwiegen werden, daß in letzter
Zeit noch andere ikonographisch ähnliche figürliche Rauchzylinder im Kunst-
handel angeboten werden, die ebenfalls auf einer Schildkröte stehen. Alle
diese Stücke sind von einer dicken Kalksinter-Schicht bedeckt. Anscheinend ist
die Berliner Figur schon vor dem Ankauf von einer ebensolchen Schicht, die
stellenweise, vor allem auf der Rückseite, noch dick aufliegt, gereinigt wor-
den. Das läßt auf eine Herkunft aus ähnlichem Erdreich schließen. Der Ton
ist graubräunlich und relativ schlecht gebrannt.
6 Über die „Incensario“-Eigenschaft solcher Stücke cf. Rands, Robert L. und
Barbara C.: „The incensario complex of Palenque (Chiapas“, in Americ. Anti-
quity, vol. 25 Nr. 2 S. 225 ff.). Nach Drucklegung des vorliegenden Aufsatzes fand
ich ein ganz ähnliches Exemplar wie Fig. 5 in einem Katalog der Raymond
Wielgus Collection des Museums of Primitive Art. New York, 1960, p. 20.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
Fig. 3 Fig. 4
10 Disselhoft, Berliner Museum, Neuerwerbungen mexikan. Altertümer
Fig. 5 a und b
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
11
Die Applizierung eines schleifenartigen Gebildes über der Nasenwurzel,
das sich nach beiden Seiten unter den Augen verbreitert, könnte unsere Figur
als Sonnengott („kinicb abau“) ausweisen. Aber ein weiteres Attribut dieses
Gottes fehlt, nämlich die T-förmig zurecht gefeilten oberen Schneidezähne,
wie sie unter anderen das Sonnengott-Antlitz eines bemalten Räuchergefäßes
des gleichen Typus aus dem Besitz des „Museo Nacional“ in Mexiko auf-
weist. Dieser Opferbehälter, wie Siegwald Linné dies Stück nennt, ist mit
keiner ganzen Figur, sondern nur mit dem Kopf des Sonnengottes versehen7.
Auch der physiognomische Typ unserer Figur unterscheidet sich von dem
soeben genannten Stück. Das Gesicht ist realistischer und ähnelt im Typus
eher Gesichtern mancher heutigen Maya. Der Kopf ist breiter, die Nase wenig
geschwungen. Die Ohrpflöcke und der reiche Kopfputz fehlen.
Was nun das Stehen einer Figur auf einer Schildkröte angeht, so ist eine
solche Verbindung, soviel ich weiß, bisher aus dem Maya-Bezirk, ja aus dem
gesamten mesoamerikanischen Bereich nicht bekanntgeworden. Wohl kennen
wir die Schildkröte als Tageszeichen der Maya und echte Schildkrötenpanzer
als ihre Musikinstrumente. Das Insignium eines der vier „Bacab“, der gött-
lichen Gestalten, die in der Maya-Mythologie das Himmelsgewölbe tragen,
ist eine Schildkröte8. Im übrigen sind Schildkrötendarstellungen der Maya
mit einem stehenden Gott nicht bekannt. Wohl aber gibt es Darstellungen
der indischen Flußgöttin Yamuna, auf einer Schildkröte stehend, aus dem
6. und 7. Jahrhundert9. Dies erwähne ich, ohne damit irgendwelche welt-
weiten Verbindungen dokumentieren zu wollen. Für jede nähere Datierung
und Bestimmung der Berliner Figur, die wie der vorher beschriebene Kopf
aus dem mexikanischen Staate Chiapas stammen soll, bin ich dankbar. Ihr
repräsentativer Wert geht schon aus der Abbildung hervor.
Eine Besonderheit des Schildkrötenkopfes habe ich zu erwähnen ver-
gessen, die Raubtierzähne. Die Schuppen des Panzers sind durch Gravierung
vor dem Brande gekennzeichnet. Sollte es sich bei der Figur tatsächlich um
7 Abgebildet bei Sigwald Linné: „Die Kunst Mexikos und Zentralamerikas“, in
„Altamerika. Die Hochkulturen der Neuen Welt“, Baden Baden 1960. S. 102.
8 Thompson, o. c. S. 115. — J. Eric S. Thompson bildet in einem Aufsatz in der
mexikanischen Zeitschrift „Yan“ ein Tongefäß aus Mayapan ab, auf dessen
Rand eine Götterfigur sitzt. Das Gefäß ist als Schildkröte gestaltet. „El arca
Maya Norte“, in „Yan“ 1954, H. 3, S. 3—35. Die Abbildung befindet sich
auf S. 28. Fig. d. Schildkröten-Darstellungen in Maya Codices zeigen Alfred
M. Tozzer und Glovcr M. Allen in einem Aufsatz „Animal Figures in Maya
Codices“ in Papers of the Peabody Museum Vol. IV. Cambridge, Mass. 1910.
Pl. 14. Bei Nr. 2 (Tro-Cortesianus 17 b) sind die Schuppen des Schildkrötcn-
panzers ähnlich wie bei unserer Schildkröte dargestellt.
9 Mündliche Auskunft des Dr. Kalidindi Mohana Varma, z. Z. Berlin. — Eduard
Seler, Ges.Abhandlungen Bd. V, S. 273, nennt fünf tönerne Schildkröten aus
Sta. Rita British Honduras,
12
Dis seih o ff, Berliner Museum, Neuerwerbungen mexikan. Altertümer
Fig. 6
eine Darstellung des Sonnengottes handeln, so könnte man an dessen Er-
scheinung im Bereiche der Unterwelt während der Nacht denken. Aber
nirgends ist etwas darüber ausgesagt, daß der Sonnengott in den Nacht-
stunden auf einer Schildkröte reist.
3. Der schmale Steinkopf Figur 6 (Kat.Nr. IV C a 44 323, Slg. Ko-
nietzko), dessen Halsende wie eine Axtschneide ausläuft, gehört zum Typus
der „Hachas“ (Prunkäxte) oder „seitlich komprimierten Köpfe“, wie Eduard
Seler diesen Typus weniger phantasievoll benannte. Es existiert kein Beweis
und keine Aussage über die genaue Verwendung dieser eigentümlichen
Stücke, deren Verbreitung nur teilweise mit der derjenigen der sogenannten
„Palmas“ zusammenfällt. Das Material des hier abgebildeten Stückes ist
harter braungrauer Stein. Als Fundort ist San Andres Tuxtla angegeben10.
10 Vgl. Seler o. c. Bd. V, S. 552 ff. Seler meinte, daß die Hauptverbreitung der
„hachas“ in Regionen zapotekischen Sprachgebietes läge. Diese Ansicht ist heute
wohl überholt. Angaben über die Verbreitung bei Salvador Toscano „Arte
Precolombino“, Mexiko 1952. S. 209: „Las hachas aparecen frecuentemente en
el Sur de Veracruz, pero se extienden hasta la zona Pipil de la América Central,
hacia la Zona de El Baúl, Guatemala, alcanzando hasta El Salvador. Sin
embargo hachas de este tipo se han encontrado en Palenque, Teotihuacan y
otras viejas ciurdades,“
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
13
Fig. 7
Die Nasenspitze ist ergänzt. Der geöffnete Mund verleiht dem ganzen Ge-
sicht Lebendigkeit. Charakteristisch sind die breit eingemeißelten Furchen auf
beiden Wangen. Spuren weißer Bemalung sind in den Augenhöhlen.
Das Berliner Museum besitzt bereits eine stattliche Reihe von „Hachas“.
Aber die Neuerwerbung trägt als realistisch vermenschlichte Variation des
Typus zu ihrer Bereicherung bei.
4. Ebenfalls aus der atlantischen Küstenprovinz soll der große, fein
bemalte Topf mit zwei Seitengriffen in Form von grob modellierten Tier-
köpfen stammen (Fig. 7). Ungewöhnlich ist die Größe des Gefäßes
(Kat.Nr. IV C a 44 327, Sammlung Konietzko. Höhe 40 cm, Dm. 40 cm).
Bei seiner Erwerbung war es in viele Scherben zerbrochen und wurde dann
durch den Restaurator Landroch geschickt und gewissenhaft restauriert. Die
Farben sind verschiedenes kräftiges Rot, variierendes Gelb und Schwarz.
Dem Dekor nach gehört es in die Mixteca-Puebla-Kultur, die in die atlan-
tischen Provinzen ausstrahlte (ab 800 n. Chr.). Die breite bemalte Zone
unterhalb des „Sternenaugen“-Frieses wird durch senkrechte leiterartige
Ornamente in vier größere Felder unterteilt; d. h. auf jeder Seite befinden
sich zwei Felder, die sich auf der anderen Seite, nur leicht modifiziert, wieder-
holen. Das flammenartige schwarze Gebilde ist schwer zu deuten. Das zweite
14
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen mexikan. Altertümer
Fig. 8 a und b
Feld mit den drei konzentrischen Kreisen neben der verschlungenen Figur
scheint datumartigen Charakter zu haben.
Nun folgen vier Abbildungen von Keramik aus der westmexikanischen
Kulturprovinz:
5. Vielleicht das interessanteste von vier Stücken aus westmexikanischer
Kulturprovinz ist die Keramik Figur 8 a (Kat.Nr. IV C a 44 329, Flöhe
25,5 cm, Slg. Konietzko). Sie gehört zu einer Kategorie unrealistischer Drei-
fuß-Figuren, die im Kunsthandel unter der Marke „Reclinatorio“-Typus be-
kannt sind11. Zwei der Gefäßfüße haben stets die Formen menschlicher Bein-
chen, während der breite dritte Fuß als Vogel- oder Fischschwanz geformt
ist. Das Ganze scheint eine Art Mischwesen, halb Vogel, halb Fisch, darzu-
stellen. Die kleinen dreieckigen Protuberanzen könnten als Fischflossen gelten.
Aber der keglige Ansatz neben dem Ausguß von Figur 8 b sieht eher wie
ein Vogelschnabel aus. Ein tüllenförmiger Ausguß befindet sich stets am
Oberteil der Figuren. Die Rückseite ist flach, ein wenig konkav gehalten.
Wahrscheinlich hat diese letztgenannte Eigentümlichkeit zu der Bezeichnung
„Reclinatorio“ verleitet, weil man an schräge Schemel oder Kopfstützen
denken könnte. Doch existieren meines Wissens überhaupt keine Daten über
11 Vgl. Ausstellungskatalog „Kunst aus Mexiko und Mittelamerika“ Berlin Ok-
tober/November 1959, S. 12, Nr. 120.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
15
Fig. 9
Situs-Befunde in Colima-Gräbern, so daß man vorerst berechtigte Zweifel
an der Richtigkeit dieser Bezeichnung hegen darf. Noch steht bis jetzt keine
andere Erklärung der eigentümlichen Form und des Zweckes solcher Ton-
gefäße zur Verfügung.
Was nun unsere Figur vor anderen, mir bekannten des „Reclinatorio“-
Typus auszeichnet, ist die anthropomorphe Trägerfigur des „Totenkissens“.
Ihre gebückte Haltung mit den auf die Knie gestützten Armen erweckt den
Anschein, als ob sie eine schwere Last zu tragen hätte. Ihr Geschlecht ist
durch ein mit der Spitze nach oben stehendes, leicht erhabenes gleichseitiges
Dreieck verdeckt. Wenn es sich dabei um eine Art „Tanga“ handelte, müßte
die Spitze vermutlich nach unten weisen. Auch ist sie mit einer senkrechten
Ritzung versehen, die auf ihr weibliches Geschlecht deuten läßt. Bei allen
16
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen mexikan. Altertümer
Flg. 10
indianischen Menschendarstellungen ist es schwierig, nur anhand der Ge-
sichtszüge das Geschlecht zu bestimmen. Der Gesichtsausdruck der be-
sprochenen Figur ist nicht als spezifisch weiblich zu bezeichnen. Das Haar
ist wie bei einem Sklaven kurz gehalten, ohne zierenden Kopfputz. Ohren
und Nase sind ohne Schmuck. Der in Colima übliche rote Ton ist gut poliert,
aber zeigt schwarze Verfärbungen, die vom ungleichen Brand herrühren.
6. Aus gleichem Material ist der Krugträger, Figur 9 (Kat.Nr. IV C a
44 324, Höhe 19,5 cm, Slg. Konietzko), gefertigt, eine mit ihren Pausbacken
und der Stupsnase humoristisch wirkende Genrefigur. Plastisch am realistisch-
sten ausgeformt ist außer dem Gesicht der Rumpf mit der gut gegliederten
Brust, während die kurzen Beinchen, wie so oft bei den Hohlfiguren der
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
17
Fig. 11a und b
Westprovinz, übertrieben stämmig wiedergegeben sind. Die über den Schläfen
nach dem Tragband greifenden Ärmchen wirken dagegen übertrieben dünn.
Auch diese Figur trägt keinerlei Schmuck; sie ist nackt. Doch könnte der
Kopf eine Art Kappe andeuten. Die Augen sind kaffeebohnenförmig auf-
modelliert, ein altes Rezept auch der kleinen Flachfiguren aus Colima. Recht
genau ist die Bindung wiedergegeben, welche die fünf auf dem Rücken ge-
tragenen Krüge zusammenhält. Vier Krüge sind oben geschlossen, während
der in der Mitte befindliche senkrechte fünfte keinen Deckel besitzt. Dieser
Umstand mag hauptsächlich einem technischen Kunstgriff des Töpfers zu ver-
danken sein, der ein Springen der Hohlfigur beim Brande verhüten sollte.
Die Öffnung führt in das Innere der Figur.
7. Gelblicher Ton ist das Material der knienden weiblichen Figur, hier
als Figur 10 abgebildet (Kat.Nr. IV C a 44 328. Höhe: 37,5 cm. Slg. Ko-
nietzko). Der stark in die Länge gezogene Kopf mit der schmalrückigen
kräftigen Nase weist ihre Herkunft aus Jalisco aus12. Doch erscheinen Köpfe
dieses Typus, die oft mit gleicher Deutlichkeit ihre Zähne zeigen, auch im
Gebiet von Colima. Die nackten Brüste sind plastisch fein ausgearbeitet, im
auffälligen Gegensatz zu den Stummelarmen. Die Oberarme sind über und
12 Vgl. den genannten Berliner Katalog Taf. 27.
2 Baessler-Artfiiv IX
18
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen mexikan. Altertümer
Fig. 12
über mit Tonplättchen besetzt, die zweifellos Narbentatulerung wiedergeben
sollen, wie wir sie von flachen Figuren aus Colima gut kennen. Auch ähnliche
Turbane sind uns von dorther bekannt. Dieser hier scheint eine Art Schmuck-
kamm zu tragen. Verhältnismäßig gut ausmodelliert sind Augäpfel und
Lider. Der Rock ist durch braunrote Bemalung hervorgehoben.
8. An Bemalung und Schmuck leicht als Bewohner von Nayarit zu er-
kennen ist das Figurenpaar Figur 11 (IV Ca 44 320 und IV C a 44 321,
Höhe: 30 und 29 cm. Slg. Konietzko). Es sind die einzigen Exemplare figür-
licher Keramik aus Nayarit, die das Berliner Museum besitzt, obwohl Naya-
rit-Sachen, ebenso wie ganze Colima-Sammlungen in letzter Zeit verhältnis-
mäßig häufig im Kunsthandel auftauchen. Hier handelt es sich um Darstel-
lungen eines Mannes und einer Frau, die beide den gleichen Nasen-, Ohren-
und Oberarmschmuck und die gleichen Stirnreifen tragen. Der Mann scheint
mit einer Art Kniebekleidung versehen zu sein, durch weiße Bemalung ge-
kennzeichnet. Auch der Unterarm der Frau ist, als ob ein loser Ärmel wieder-
gegeben werden sollte, weiß bemalt, ebenso wie Ihr Rock. Das eigenartige
tüllenartige Gebilde, das der Mann an der Gürtelmitte trägt, ist ein Charak-
teristikum männlicher Nayarit-Figuren, ebenso das ärmellose Wams, das
durch die weiße Bemalung wiedergegeben ist und das manche Gruppen der
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
19
Fig. 13
mexikanischen Westprovinz mit den alten Bewohnern Perus gemeinsam
hatten. Solche wohlbekleideten Personen gehörten nach Kirchhof! zu einer
vornehmen Oberschicht der in Klassen eingeteilten alten Bevölkerung der
mexikanischen Westprovinz, während die niederen Klassen sich ihrer Nackt-
heit erfreuten13.
Die hier gezeigten Nayarit-Figuren sind viel weniger grotesk als die
vieler anderer Figuren aus Nayarit, die zuweilen durch barbarischen Schmuck
und Verstümmelung der Gesichtszüge förmlich verunstaltet sind. Viele von
ihnen sind polychrom, nicht nur weiß, wie die hier gezeigten Berliner Stücke,
bemalt. Paarweises Vorkommen der Figuren scheint die Regel zu sein14.
9. Die beiden folgenden Stücke sind aztekischer Herkunft: Für den Frosch
aus grauem vulkanischen Gestein (Fig. 12 u. 13, Kat.Nr. IV C a 44331.
Flöhe: 32 cm. Länge; 49 cm., Slg. Vollmöller-Zürich), gibt es eine Parallele
im mexikanischen Nationalmuseum, von der das Berliner Museum zwei ältere
Abbildungen besitzt. Während der Berliner Monumental-Frosch aufrecht
sitzt, liegt das mexikanische Parallel-Stück platt am Boden. Auch sind seine
13 Kirchhoff, Paul: „La cultura del Occidente de Mexico a traves de su arte.“
Mexiko 1946.
14 Vergleiche Berliner Ausstellungs-Katalog von 1959, Nr. 144—147.
2*
20
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen mexikan. Altertümer
Fig. 14
Hände und Füße nicht ganz so menschlich dargestellt wie bei dem Berliner
Stück. Auch scheint der Berliner Frosch, der als treffliches Beispiel aztekischer
Steinbildkunst gelten darf, etwas größer zu sein.
Auf dem Bauch beider Stücke ist die Hieroglyphe „Chalchihuitl“ (Edel-
stein) im Relief ausgemeißelt, Abzeichen eines göttlichen Wesens des Bringers
des kostbaren Regens. Eigentümlich sind ebenfalls bei den Skulpturen die an
beiden Seiten unterhalb des Kopfes angebrachten Einkerbungen, für die viel-
leicht Zoologen eine Erklärung finden könnten.
10. Die Figur der aztekischen Todesgöttin „Mictecaciuatl“ oder Herrin
des Totenreiches „Mictlanciuatl“, Gemahlin des Herren des Totenreiches
„Mictlantecutl“: Figur 14 (Kat.Nr. IV C a 44 198, Slg. Konietzko, Höhe;
41 cm) ist aus 'dem gleichen grauen vulkanischen Stein gearbeitet. Ihr Toten-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
21
gesicht mit den entblößten Zähnen und den runden Augenhöhlen ähnelt dem
der Coatlicue, der Erd- und Todesgöttin, mit der sie wohl z. T. identisch
war. Sie trägt auch die gleichen runden Ohrpflöcke. Wie einer auf einem
skulptierten Block knieenden Coatlicue Figur des mexikanischen National-
museums hängen ihr große Federn vom Gürtel herab. Doch zeigt sie keiner-
lei Schlangensymbole. Die Gebilde, die über beide Flände herabhängen, ver-
mag ich nicht zu deuten. Das Haar, das hinten bis zum gedrungenen Nacken
herabreicht, scheint aus Federn zu bestehen. Der Stirnschmuck ist identisch mit
Alfonso Casos zapotekischer Glyphe „C“, die dieser manchmal als Raubtier-
maul deutet35. Hier könnte man sie als Symbol der Unterwelt deuten. Die
Arme sind dicht an die Brust gelegt, und die Hände, von jenen unidentl-
fizierbaren Gebilden bedeckt, müssen sich auf der Leibesmitte treffen. Die
ganze gedrungene Gestalt der Todesgöttin, die fest mit dem Block verhaftet
ist, und der trotz aller Monumentalität lebendig wirkende Frosch, repräsen-
tieren zwei gegensätzliche Aspekte der aztekischen Bildhauerkunst: Realisti-
sches Können, das auf Naturbeobachtung beruht, und schablonenhafte Starr-
heit einer an bestimmte Symbole gebundener sakralen Kunst.
15
Case, Alfonso y Bemal, Ignacio: Urnas de Oaxaca. Mexiko 1962. S. 18.
23
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
GESCHICHTE, PROBLEME UND HEUTIGER STAND
DER SAMBAQUI-ARCHÄOLOGIE
Die Sambaqui-Sammlung Putzer im Museum für Völkerkunde, Berlin
H. WALTER, Berlin
Das Berliner Museum für Völkerkunde ist seit Herbst 1960 im Besitz
einer Sammlung archäologischer Objekte aus Muschelhaufen (Sambaquis) der
südostbrasilianischen Küste. Sie umfaßt 188 Artefakte und 12 menschliche
Skeletteile, die zu 140 Nummern (VB-14 000 bis VB-14139) zusammen-
gefaßt wurden.
Die Sammlung wurde von Herrn Dr. H. Putzer, Hannover, während
seines Aufenthaltes in Brasilien (1950 bis 1955) im Raume Laguna, Provinz
Santa Catarina (Südost-Brasilien), angelegt und freundlicherweise dem Mu-
seum als Geschenk überlassen.
Ein Teil der Sammlung wurde bereits von H. Putzer in seinem Aufsatz
„Epirogene Bewegungen im Quartär an der Südost-Küste Brasiliens und das
Sambaqui-Problem“ veröffentlicht1.
Bei der Bearbeitung dieser Sammlung wurde deutlich, daß das Sambaqui-
Problem — seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder Gegenstand
von zum Teil heftigen Diskussionen — während der letzten Jahrzehnte in
der deutschsprachigen Literatur kaum mehr vertreten ist. Ein Großteil der
sehr zahlreichen Sambaqui-Literatur ist dazu an schwer zugänglicher Stelle
erschienen, so daß es dem an der Sambaqui-Forschung Interessierten nicht
immer leicht fällt, sich einen halbwegs vollständigen Überblick zu ver-
schaffen. Der zitierte Aufsatz von Putzer ist zwar ein wichtiger Beitrag zum
geologischen Aspekt des Problems, läßt aber für den Archäologen verständ-
licherweise viele Fragen offen.
Der Verfasser ergreift daher vor der Veröffentlichung der Sammlung
Putzer die Gelegenheit zu einem kurzgefaßten Überblick über die Geschichte
und den heutigen Stand der Sambaqui-Forschung, speziell der Sambaqui-
Archäologie.
Das Literaturverzeichnis kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit er-
heben; es gibt aber die für die Sambaqui-Forschung und besonders deren
archäologischen Aspekt wichtigsten Titel.
1 Putzer, 1957:149—194. Die Objekte Fig. 2, 3 und 4 auf Seite 188 und
189 befinden sich nicht in Berlin.
24
Walter, Sambaqui-Archäologie
Als Sambaquis bezeichnet man die meist kegelförmigen (manchmal auch
doppelkegelförmigen) oder langgestreckten Muschelhügel im Küstengebiet
Brasiliens.
Nach ihrer Lage lassen sich drei Typen unterscheiden, nämlich marine,
lagunäre und fluviale Sambaquis. Marine und lagunäre nehmen dabei den
weitaus größten Anteil an der Gesamtzahl ein. Sie erstrecken sich entlang der
atlantischen Küste Brasiliens (besonders in den Staaten Rio de Janeiro,
Sao Paulo, Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul) bis etwa 50 km
landeinwärts.
Die marinen Sambaquis liegen in unmittelbarer Nähe der heutigen Küste,
die lagunären dagegen gruppieren sich tief gestaffelt um Lagunen und
Astuaren.
Erstere bauen sich in der Hauptsache aus Meermuscheln auf, während
letztere aus Meer- und Brackwassermuscheln bestehen. In beiden Typen finden
sich nicht selten Fisch- und Seesäugerknochen sowie Knochen von Seevögeln2.
Fluviale Sambaquis finden sich an den Unterläufen einiger großer Flüsse
besonders im Amazonas-Mündungsgebiet. Es gibt jedoch auch Berichte von
Sambaquis entlang von Flußläufen im Inland, so am Alto Parana bei
Iguassü3. Die fluvialen Sambaquis bestehen aus Süßwassermuscheln. Einge-
streut sind Gehäuse von Landschnecken, Knochen und Gräten von Fluß-
fischen, sowie Knochen von Vögeln und Landtieren4.
Die Muschelhaufen enthalten manchmal menschliche Bestattungen, Arte-
fakte und Siedlungsspuren (Feuerstellen, Asche- und Holzkohleschichten).
Ihre Größe schwankt beträchtlich. Neben solchen von nur wenigen Metern
Höhe gibt es andere von enormer Ausdehnung. So hatte der 1894 von
v. Ihering untersuchte Sambaqui von Boguajü an der Bahía de Paranaguá/
Paraná bei 100 m Länge und etwa 25 m Höhe einen Inhalt von 750 000 Ku-
bikmetern5.
In diesem Aufsatze, dessen Hauptgewicht auf der Sambaqui-Archäologie
liegt, werden nur die marinen und lagunären Sambaquis SO-Brasiliens be-
handelt. Sie standen, weil am zahlreichsten, am längsten bekannt und immer
wieder untersucht, seit jeher im Brennpunkt der wissenschaftlichen Diskussion.
2 Eine Liste der in den Sambaquis des Raumes Laguna auftretenden Muscheln
gibt Putzer, 1957 : 175. Weitere Angaben siehe Leonardos, 1938 : 34 ff.
3 Mayntzhusen, 1912.
4 Für die von Putzer, 1957 : 172, angeführten terrestrischen Sambaquis konnte
kein Nachweis gefunden werden. Einzig Serrano, 1938 a : 44, schreibt: „Hay
noticias de existir sambaquis en el interior del país (Matto Grosso).“ Daraus
geht jedoch nicht hervor, ob es sich dabei tatsächlich um terrestrische und nicht
ebenfalls um fluviale handelt.
v. Ihering, 1903 : 446—457. Weitere Größenangaben siehe Putzer, 1957 :
170.
5
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band' IX
25
Ihnen gegenüber sind die Sambaquis im Mündungsgebiet des Amazonas noch
weitgehend terra incógnita.
Über die Zusammensetzung des Tupi-Wortes sambaqui gehen die An-
sichten auseinander. Fest steht, daß tamba im Tupí Auster oder allgemein
Muschel bedeutet. Baptista Caetano6 gibt folgende Etymologie an: h’ambá-
kyb = basura de molusco. Serrano tambá-quí = restos de moluscos, oder
tambá-quí = cúmulo de ostras, colina de cáscaras de moluscos.
Eine ausführlichere Erklärung gibt B. C. de Almeida Nogueira1. Nach
ihm setzt sich das Wort aus tamba = Muschel und ky = konischer Hügel
im weitesten Sinne zusammen, (ky ist z. B. auch die weibliche Brust)8. Bei
Substantiva gibt die Änderung des Anfangsbuchstabens t in h den Übergang
in einen relativen oder reziproken Wert an. Somit wäre hamba-ky =
Muschelhügel. Da die Portugiesen aber keine Aspiration kennen, verändern
sich alle h im Anlaut in 9 oder s.
Lokale Synonyme, die auch Eingang in die wissenschaftliche Literatur
gefunden haben, sind in Para „sernambys“ (nach der Muschel Mesodesma
mactroides Dass., der „marisco de bugre“) und häufiger noch „minas de
sernambys“ oder einfach „minas“ (wegen ihres Abbaus zum Kalkbrennen).
In Sao Paulo nennt man sie „sambague“ (wahrscheinlich aus sambaqui kor-
rumpiert), früher häufiger „ostreiras“ oder „casqueiros“ (von cascas
Muschelschalen). In Paraná und Santa Catarina auch „berbigueira“ (nach
der „berbigao“, der Cryptogramma brasiliana). Andere lokale Bezeichnungen
sind „concháis“, „concheiras“, „caieiras“ und „caleiras“.
Spanisches Synonym für Sambaqui ist „conchero“, in Argentinien, Chile
und Perú „oonchal“.
Wissenschaftler wiederum benützten zum Teil eigene Bezeichnungen wie
»conchiolitos“ oder „macizos conchiológicos“9.
Nachdem die Diskussion um die Entstehung der Sambaquis begonnen
hatte, benützten die Verfechter ihrer künstlichen Entstehung häufig die Be-
zeichnung Kjökkenmöddinger (englisch kitchen-middens). Andere unterschie-
den zwischen Sambaquis = künstliche und Pseudo-Sambaquis = natürliche
Bildungen10. Einzig v. Ihering11 verwendet Sambaqui für die natürlich ent-
u Bei Serrano, 1938 a : 44.
7 Bei Capanema, 1874 : 229.
8 Putzer, 1957 : 170, gibt irrtümlicherweise tamba-ky = Frauenbrust.
9 So Wiener, 1876 a.
10 So als Erster Frois de Abreu, 1932; dann u. a. Guerra, 1950, und
Putzer, 1957. Leonardos unterscheidet zwischen sambaquis und falsos
sambaquis (1938). Die Behauptung von Frois de Abreu, daß die Ein-
geborenen nur die künstlichen Muschelhaufen als sambaquis bezeichnen, ist nach
Serrano, 1938 a : 45, unrichtig,
v. Ihering, 1904 : 542/543,
11
26
Walter, Sambaqui-Archäologie
standenen, Pseudo-Sambaqui für die künstlichen (= durch Menschen errich-
teten) Muschelhaufen.
Um zu einer eindeutigen Terminologie zu kommen, schlägt Serrano mit
Recht vor, sämtliche Muschelhaufen generell als Sambaquis zu bezeichnen.
Die natürlichen nennt er „sambaquis naturales“, die künstlichen (in An-
lehnung an frühere Autoren) „kjökkenmöddinger“12.
Gegen diese letzte Bezeichnung spricht jedoch, daß die europäische Vor-
geschichte unter Kjökkenmöddinger die Abfallhaufen ganz bestimmter meso-
lithischer Kulturen (Ertebölle in Jütland, Ellerbeck in N-Deutschland) ver-
steht. Um irreführende Assoziationen zu vermeiden, sollte ein geographisch
und kulturhistorisch so eindeutig determinierter Begriff nicht einfach auf
ähnliche Erscheinungen in einem anderen Erdteil übertragen werden. Aus
diesem Grunde folge ich im vorliegenden Aufsatz Serrano insoweit, als ich
alle Muschelhaufen generell als Sambaquis bezeichne. Natürlich entstandene
Muschelhaufen nenne ich natürlich Sambaquis, Serranos kjökkenmöddinger
dagegen künstliche Sambaquis.
Die erste eindeutige Nachricht über die Sambaquis Südost-Brasiliens ver-
danken wir P. Anchieta. Er weist gleichzeitig auf ihren schon in früher
Kolonialzeit beginnenden Abbau zum Kalkbrennen hin, wenn er 1585
schreibt: „. . . y las ostras son en tanta cantidad que se hallan islas llenas
de valvas y hace cal para los edificios que es tan buena como la de piedra13.“
Bestätigt wird die Verwendung der Muschelschalen zum Kalkbrennen von
Cardim, der 1625 berichtet, daß aus einem einzigen Sambaqui der Kalk für
Teile des Colegio de Bahia, den Gouverneurspalast und andere Gebäude
gewonnen wurde, ohne daß der Sambaqui dadurch völlig abgeräumt war14.
Fray Gaspar da Madre de Deus endlich schreibt 1797, daß die Sambaquis
des Litoral von Säo Paulo den Kalk für sämtliche Gebäude dieser Capitanía
lieferten15.
Dieser schon in der Kolonialzeit beginnende Abbau der Sambaquis (der
bis in unsere Tage andauert) hatte zur Folge, daß eine nicht einmal an-
nähernd schätzbare Anzahl von Sambaquis bereits verschwunden war, als
sich Wissenschaftler des Problems annahmen. Auf der anderen Seite kamen
aber gerade durch diesen Abbau die ersten Artefakte und Skelette zum Vor-
schein und zogen dadurch das Interesse von Sammlern (häufig die mit dem
Abbau beschäftigten Unternehmer) und Reisenden, später von Wissenschaftlern
auf die Sambaquis.
12 Serrano, 1938 a : 45.
13 Anchieta, 1886 : 50 und 1933 : 429.
14 Cardim, 1925 : 93.
15 Madre de Deus, 1920 ; 121.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
27
Zwar finden wir schon bei den frühen Chronisten gelegentlich Über-
legungen über die Natur und Herkunft der Sambaquis16, von einer wissen-
schaftlichen Untersuchung kann aber erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts die Rede sein. Innerhalb weniger Jahrzehnte erschien eine beträcht-
liche Anzahl von Beiträgen zu diesem Thema, von denen besonders die
Arbeiten von Bischoft (1887, 1928), Capanema (1874, 1876), Ferreira Pena
(1876), Hartt (1885), v. Ihering (1895, 1898, 1903, 1904, 1907), Koseritz
(1884 a), Lacerda (1885), Löfgren (1893, 1904), H. Meyer (1896), H. Müller
(1890), Nehring (1890, 1895), Netto (1885), Rath (1874), Rathbun (1878 a),
Siemiradzki (1898 a) und Wiener (1876 a, 1876 b) zu nennen sind.
Wie in dieser Ära kaum anders zu erwarten, stammen jene ersten Unter-
suchungen in der Hauptsache von Naturwissenschaftlern, besonders Geologen,
Zoologen und Anthropologen. Die archäologischen Objekte aus den Samba-
quis wurden mit wenigen Ausnahmen (v. Ihering und Löfgren) nur am Rande
behandelt und recht willkürlich interpretiert und datiert.
Immerhin schälten sich schon damals zwei Probleme heraus, die bis in
jüngste Zeit Gegenstand der Diskussion geblieben sind:
1. Handelt es sich bei den Sambaquis um natürliche Bildungen oder um die
Hinterlassenschaft von Menschen?
2. Wie alt sind die Sambaquis und die in ihnen gefundenen Menschenreste
und Artefakte?
Obgleich die genannten Autoren zum Teil scharfsinnige Argumente in
die Diskussion warfen, konnte doch von einer auch nur annähernden Klärung
der Probleme nicht die Rede sein. Kaum ein Sambaqui war bis dahin exakt
untersucht worden; die Wissenschaftler blieben zu sehr in ihren Spezial-
disziplinen verhaftet und trugen ihre Argumente nicht selten polemisch ver-
färbt vor; Vergleichsstücke für Skelettreste und Artefakte waren aus dem
Lande selbst noch nahezu unbekannt, so daß man oft weit hergeholte
Parallelen zog.
Wirkliche Fortschritte machte die Sambaqui-Forschung seit dem Beginn
des 20. Jahrhunderts, markiert durch die Arbeiten von Almeida (1935),
Backhäuser (1918, 1919), Caldas (1938), Calixto (1904), Castro Faria, (1954),
Clerot (1928), Frois de Abreu (1928 a, b, 1929, 1932, 1944), Gikovate (1933),
Guerra (1950), Krone (1902, 1914, 1917), Lopes (1925). Roquette-Pinto
(1906 a, 1906 b), Serrano (1937, 1938 a, 1938 b, 1940, 1946) und Simoens
da Silva (1934).
16 SoarezdeSousa (1938), dem nach P. A n c h i e t a frühesten Gewährsmann
über Sambaquis, hält sie 1587 für natürliche Bildungen. Card im (1925) 1625
und Madre de Deus 1797 für Abfälle muschelessender Ureinwohner.
28
Walter, Sambaquí-Archäologie
Wie bereits erwähnt, kristallisierten sich bei der Untersuchung der
Sambaquis zwei eng miteinander verknüpfte Hauptfragen heraus, die Frage
nach dem Ursprung und die nach dem Alter.
Die Verfechter einer künstlichen Entstehung, die „artificialistas“, Capa-
nema, Ham, Löfgren, Krone, Koseritz u. a., stützen sich neben geologischen
Erwägungen vor allem auf Skelettreste und Artefakte, die sich immer wieder
in den Sambaquis fanden. Man hielt sie für Überreste einer primitiven
Küstenbevölkerung, die sich fast ausschließlich von Muscheln und Schnecken
ernährte. Auf Grund zahlreicher und sorgfältig durchgeführter anthropome-
trischer Untersuchungen postulierte man einen spezifischen anthropologischen
Typ (Lacerda, 1885, spricht von einem „l’homme des sambaquis“), den man
mit dem Lagoa Santa-Menschen in Beziehung brachte und entsprechend früh
datierte1'. Die eben bekannt gewordenen jütländischen Kjökkenmöddinger17 18,
deren Morphologie keinen Zweifel ließ, daß es sich um echte Abfallhaufen
handelt, wurden als Parallelerscheinungen interpretiert und zur Stützung der
Theorie von einer künstlichen Entstehung der Sambaquis herangezogen19.
Die „naturalistas“ dagegen, die für eine natürliche Entstehung plädierten
(u. a. Rath, Calixto, v. Ihering, Siemiradzki, Roquette-Pinto, Backhäuser),
stellten die Tatsache heraus, daß durchaus nicht alle Sambaquis archäologische
Objekte oder Skelette enthalten. Sie betrachteten diese als intrusiv und be-
stritten ihren genetischen Zusammenhang mit den Sambaquis. Leider wurde
der Kampf von beiden Schulen mit unnötiger Härte geführt, wobei sich
einige Kontrahenten weit vom Boden der beweisbaren Realitäten entfernten.
v. Ihering trug durch persönliche Beobachtungen und eine kritische
Würdigung der bis dahin erschienenen Literatur viel zur Klärung des Sam-
baqui-Problems bei. 1894 untersuchte er den Aufbau des riesigen Sambaquis
von Boguafú und stellte fünf sauber getrennte, alternierende Schichten von
Cryptogramma brasiliana („berbigon“) und Ostrea parasítica fest20. Daraus
schloß er, daß es sich um eine natürliche Bildung handeln müsse, denn wenn
dieser Sambaquí künstlich wäre, so würde das bedeuten, daß seine Erbauer
mehrere Jahre lang fast ausschließlich die eine oder andere Muschel gegessen
hätten — eine für ihn unwahrscheinliche Vorstellung.
Seine speziell gegen Löfgren gerichtete Ablehnung einer künstlichen Ent-
stehung der Sambaquis ging so weit, daß er menschliche Skelette in den
Sambaquis als Reste ertrunkener Indianer bezeichnete. Später gab er diese
17 Vergl. Virchow, 1872, 1874; Lacerda, 1885, 1893 Nehring, 1895
Krone, 1902; v. Ihering, 1904.
18 Erste Grabungen 1901/02.
19 So Löfgren, 1893; K o s e r i t z , 1884.
20 v. Ihering, 1903.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
29
extreme Flaltung jedoch auf und räumte die Möglichkeit ein, daß ein Teil
der Sambaquis im Staate Santa Catarina künstlich ist21.
Aus Sambaquis dieses Staates hatte M. Fi. Müller nicht nur eine große
Anzahl von Artefakten geborgen, sondern neben Knochen von Hai, Wal,
Seehund, Walroß und Wasservögeln auch solche von Landtieren festgestellt22 23.
Die Auffassung, daß man zwischen natürlichen und künstlichen Samba-
quis unterscheiden müsse, hatten vor v. Ihering schon Rath (1871, 1875) und
Wiener (1876 b) vertreten. Dieser Auffassung schlossen sich später Clerot
(1928) und Frois de Abreu (1932) an. Clerot hält alle Sambequis für natür-
lich, die aus deutlich getrennten Muschelschichten aufgebaut sind; solche ohne
erkennbare Schichtung hält er dagegen für künstlich. Frois de Abreu betrachtet
demgegenüber das Vorhandensein, bzw. das Fehlen von Artefakten in Sam-
baquis als unterscheidendes Kriterium.
Einen ersten Versuch zur wissenschaftlichen Klärung der Altersfrage
machte v. Ihering, als er darauf hinwies, daß fast alle Sambaquis aus noch
heute lebenden Muschelarten bestehen; einzig gewisse Sambaquis der Staaten
Parana und Santa Catarina enthalten gelegentlich Exemplare der ausgestor-
benen Azara prisca var. Martens. Diese mußten nach v. Ihering also älter
• 23
sein .
Diesem Hinweis folgend gelang es später Krone, die Sambaquis von
Iguape Im Staate Säo Paulo in ältere küstenferne und jüngere küstennahe zu
unterscheiden. Erstere bestanden fast ausschließlich aus Ostrea brasiliana,
Ostrea virginica und Ostrea puelchana; letztere dagegen aus Cryptogramma
brasiliana. Die aus den Sambaquis geborgenen Artefakte entsprachen dieser
Unterteilung in eine ältere und eine jüngere Phase, d. h., die Funde aus den
küstenfernen Sambaquis repräsentieren eine altertümlichere Kultur als die
aus den 'küstennahen Sambaquis24.
Die meisten Autoren brachten die Muschelhaufen mit der Veränderung
der ostbrasilianischen Küste im Verlauf der letzten Meeresregression in Ver-
bindung. Die Gruppierung der küstenfernen Sambaquis um bereits verlandete
oder in der Verlandung begriffene Lagunen — ehemalige Meeresarme —
reflektiert nach ihrer Auffassung die schrittweise Veränderung der Küsten-
linie während dieser Regression. Da aber geologische Untersuchungen bis
dahin kaum Vorlagen, arbeitete man hauptsächlich mit zoologisch-paläonto-
logischen Argumenten, v. Ihering hält die Azara prisca und damit die
21 v. Ihering, 1904 : 541, 544.
22 Müller, 1890:459—462. Aus dem Vortrag von Müller geht die Lage der
Sambaquis nicht hervor, v. Ihering, 1904 : 544, betont jedoch, daß es sich
um solche des Staates Santa Catarina handelt.
23 v. Ihering, 1895.
24 Krone, 1914.
30
Walter, Sambaqui-Archäologie
ältesten Sambaquis für pleistozän2'’; Backhäuser dagegen hält sie für min-
destens pliozän und schließt daraus, daß die Hebung der Küste im frühen
Pliozän, wenn nicht schon Ende des Miozäns begann20. Koseritz wiederum
arbeitete mit archäologischen Überlegungen und kommt durch Vergleich mit
den jütländischen Kjökkenmöddingern zu der Überzeugung, daß die Samba-
quis nicht älter als 7000 Jahre sein können25 * 27.
Blieb so die Frage nach dem Ursprung und Alter der Sambaquis nach wie
vor Gegenstand von Diskussionen, so war man sich hinsichtlich der Artefakte
und ihrer Hersteller relativ einig. Die Anthropologen operierten mit einem
„Sambaqui-Menschen“, die Archäologen mit einer spezifischen „Sambaqui-
Kultur“.
Ihering, der Sambaqui-Funde in seiner „Archeologia Comparativa do
Brazil“ beschreibt, versucht zwar, sie in einen weiteren Rahmen zu stellen,
hält aber an der Vorstellung von einer spezifischen Sambaqui-Kultur fest28.
Als Träger dieser Sambaqui-Kultur nahm man eine primitive Bevölke-
rung von Küstensammlern an, die sich in der Hauptsache von Mollusken
ernährte und nur nebenher etwas Fischerei und Jagd auf Seesäuger betrieb,
v. Ihering29 stellt an dem von ihm untersuchten Schädelmaterial aus Samba-
quis zwei Typen fest, einen dolichozephalen und einen brachyzephalen.
Ersteren bringt er mit frühen Ge-Stämmen, letzteren mit Tupi in Verbin-
dung, ohne daß er daraus aber kulturhistorische Schlüsse zieht.
Die Anhänger der einen Schule sahen in diesen Sammlern die sporadischen
Bewohner der natürlich entstandenen Sambaquis, in denen sie auch ihre
Toten bestatteten; die andere Schule hielt die Sambaquis für Abfallhaufen
dieser Muschelesser, die dem allmählich zurückweichenden Meere und den
schrumpfenden Fagunen nachzogen und so immer neue Sambaquis auf-
schichteten.
Als sehr wichtige Beiträge zur Sambaqui-Archäologie und zum Sam-
baqui-Problem überhaupt sind die Arbeiten von Antonio Serrano zu werten.
1937 veröffentlichte er einen ersten Katalog von Sambaqui-Artefakten aus
dem Raum Torres (äußerster Norden von Rio Grande do Sul), ein Jahr
später dann seine Monographie über die Sambaquis Brasiliens30.
In dieser Monographie kommt er nach eingehendem Studium der bis da-
hin zur Verfügung stehenden Quellen und eigener Untersuchung von Sam-
baquis zu folgendem Schluß; „El problema de los sambaquis esta mal plan-
25 v. I h e r i n g , 1903 : 456; 1907 : 418 ff.
20 Backheuser, 1918 : 112.
27 Koseritz, 1884 b : 3.
28 v. I h e r i n g , 1904:529—545.
29 v. Ihering, 1904 : 544.
30 Serrano, 1937 und 1938 a.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
31
teado por la mayoría de los autores; las manifestaciones culturales que ellós
encierran son independientes a su génesis, o dicho en otras palabras, lós
pueblos portadores de aquéllas sólu vinculan a los sambaquís en razón de
habitat.“ Und weiter unten: „Para mí, el origen y antigüedad de los samba-
quís en un problema puramente geológico y perdemos el tiempo al sostener
que los artefactos indígenas en ellos encontrados son de su misma anti-
güedad, por la oircumstancia de encontrarse allí31.“
Für Serrano hat das Sambaquí-Problem also zwei Aspekte:
1. Archäologischer Aspekt; Die Funde in und auf den Sambaquís.
2. Geologischer Aspekt: Ursprung und Alter der Sambaquís selbst.
An dieser Stelle wird zunächst seine Auffassung des geologischen Aspektes
zusammenfassend referiert:
Für Serrano sind die Sambaquís Reste von Muschelbänken, die sich am
Ende des Pleistozäns entlang der Küste Südbrasiliens abgelagert hatten, durch
die Fiebung der Küste im Holozän auftauchten und dann von Wind und
Regen geformt wurden.
Eine Besiedlung dieser Muschelhaufen durch Menschen nimmt Serrano erst
relativ kurze Zeit vor der Entdeckung Amerikas an32.
Zur Unterstützung seiner Theorie lührt er u. a. den Sambaqui von
Bogua^u an33 und macht sich v. Iherings Argument zu eigen, wenn er
schreibt: „Si fuera un amontonamiento de residuos de comida, las conchas
estarían no en camadas horizontales, específicamente bien integradas, sino
en promiscuidad34.“
Selbst die ungeschichteten Sambaquís — für die „artificialistas“ ein Be-
weis für ihre künstliche Entstehung — hält er generell für natürliche Bil-
dungen: „Estos sambaquís macizos están formados por especies que viven
de preferencia en las reglones de estuarios, circunstancia por cierto favor-
able a la estructuración que los define35.“
Als weiteren Beweis für seine Auffassung führt er an, daß die Sambaquís
im allgemeinen aus Muscheln aufgebaut sind, deren Hälften noch Zusammen-
hängen. Wo dies ausnahmsweise nicht mehr der Fall ist, sieht er die Wir-
kung von Wind und Wetter. Das Argument Wieners36, die beiden Muschel-
schalen seien so elastisch miteinander verbunden, daß sie sich nach der Ent-
nahme der Weichtelle wieder schließen, läßt Serrano nur für Muschelarten
31 Serrano, 1938 a : 50. In demselben Sinne auch 1946 : 404.
32 Serrano, 1938 a : 52, 66—67, 70. Derselben Auffassung ist Caldas, 1938 :
270.
33 Vergleiche Seite 30.
34 Serrano, 1938 a : 57.
35 Serrano, 1938 : 67.
36 W i e n e r , 1876 b : 11.
32
Walter, Sambaquí-Archäologie
mit sehr harter Schale gelten, nicht aber für Mesodesma, Donax und Mytilus,
die den Hauptanteil an vielen Sambaquis einnehmen3'. Er zitiert in diesem
Zusammenhang Vignati, der über das Muschelmaterial aus cónchales von
Feuerland schreibt: „El material de cáscaras de moluscos está, en gran parte,
fragmentado, debido, cuanto se trata de bivalvos, al esfuerzo producido
para separar las valvas que y veces implicaba la ruptura de grandes por-
ciones y, por lo común, haciendo saltar pequeñas descantilladuras de los
bordes, en la reglón donde se introducía el instrumento que operaba como
palanca37 38.“
Zuletzt endlich weist Serrano darauf hin, daß die in den Sambaquis ge-
fundenen Artefakte gar keine echte Küstenkultur repräsentieren, eine conditio
sine qua non falls die Muschelhaufen aus menschlichen Küchenabfällen be-
stehen. Nach Serrano fehlen gerade die für Küstenbewohner so typischen
Harpunen und Angelhaken. Er sieht in den Sambaqui-Funden die Reste einer
weiter verbreiteten Binnenland-Kultur, die sich gelegentlich auch auf den Sam-
baquis niedergeschlagen hat39.
Die Existenz echter Abfallhaufen (künstlicher Sambaquis) stellt Serrano
aber trotz seines Eintretens für die natürliche Entstehung der Sambaquis
nicht ganz in Abrede.
So weist er auf die von ihm selbst untersuchten kleinen „kjökken-
möddinger“ auf dem Paradero von Torres hin40. Auch hält er es für mög-
lich, daß ein Teil von Krones „sambaquis antiguos“ künstlich ist41. Als Reste
menschlicher Besiedlung akzeptiert er linsenartige Einschlüsse, die sich ge-
legentlich wenig unter der Oberfläche mancher Sambaquis finden, so im
Sambaquí von Maiobinha, der 1922 von Lopes untersucht wurde42. Diese
linsenartigen Einschlüsse setzen sich aus Schalen verschiedener Muschelarten
zusammen, vermischt mit Asche und Holzkohle43.
Trotz dieser Zugeständnisse an die „artificialistas“ bestreitet er aber
energisch, daß der Mensch an der Entstehung der Sambaquis einen nennens
werten Anteil hatte: „. . . los sambaquis, en general, son simples formaciones
de playa ocupadas por indígenas como asientos estacionales. En relación
37 Serrano, 1938 : 69—70.
38 Vignati, 1927 : 91.
39 Serrano, 1938 a : 70.
40 Ais „paradero“ bezeichnet man in Argentinien in erster Linie plattformartige
Erhebungen (meist alte, mit Vegetation bedeckte Dünen oder Sandbänke), die
prähistorische, Siedlungsreste und Artefakte enthalten, dann aber auch jede
archäologische Fundstelle. Paradero von Torres siehe Serrano,
1937 : 5—8, 1938 a : 55—56.
41 Vergleiche Seite 30—31.
42 Lopes, 1931 : 162.
43 Serrano, 1938 a : 69.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
33
al volumen de estos, la contribuoion Humana es minima y la considero nula
como factor genetico44.“
Und in einer spateren Arbeit; „A sambaqui is not always a kitchen
midden (kjokkenmoddinger); a large mayority of the sambaquis are nothing
more than natural deposits of mollusks which the receding ocean left on the
shore. In the upper part of some sambaquis, which are clearly of natural
origin, I have observed shells and bones of fish and mammals that are
typical ,kitchen-refuse“. But, on the whole, the artificial contribution has
hardly affected the general size of the sambaqui45.“
Zur Klassifizierung der Sambaqui macht er46 folgenden Vorschlag:
For su origen:
naturales
{sobre bancos conchíferos
sobre alturas terreas
Por su forma:
sambaquís propiamente dicho (monticulares)
camadas conchíferas
Por su estructura:
macizos
estratificados
Somit beantwortet Serrano die Frage nach dem Ursprung der Sambaquis
kaum anders als vor ihm schon die „naturalistas“, vor allen v. Ihering. Auch
gelingt es Serrano nicht, neue, entscheidende Beweise für die natürliche Ent-
stehung der Muschelhaufen anzuführen, sieht man von seinem Hinweis ab,
daß die Artefakte aus den Sambaquis gegen eine spezifische Küstenkultur
sprechen. Gerade dieses Argument aber wird später bei der Untersuchung des
archäologischen Aspektes des Sambaqui-Problems mit einem Fragezeichen
versehen werden müssen.
Aber auch das von Serrano übernommene „klassische“ Argument für eine
natürliche Entstehung, der Hinweis auf den Aufbau einiger Sambaquis aus
alternierenden, sauber getrennten Schichten jeweils praktisch einer einzigen
Muschelart, vermag nach Ansicht des Verfassers nicht zu überzeugen.
Eine derartige natürliche Ablagerung setzt ja voraus, daß in den Ge-
wässern der betreffenden Küstenstriche aus irgendwelchen Gründen während
eines bestimmten Zeitraumes nur eine einzige Muschelart existierte. Eine von
Muscheln lebende Bevölkerung hätte unter diesen Umständen also gar keine
44 Serrano, 1938 a: 50.
45 Serrano, 1946:401.
46 Serrano, 1938 a ; 74.
3 Baessler-Ardiiv IX
34
Walter, Sambaqui-Archäologie
anderen Muscheln sammeln können — hinsichtlich der Muschelschichten könnte
sich somit ein künstlicher Sambaqui nicht von einem natürlichen unter-
scheiden.
Außerdem vermißt man bei der an sich sorgfältigen Auswertung der
Quellen durch Serrano die Erwähnung der Sambaquis von Santa Catarina.
Nach der Untersuchung von 16 Sambaquis im Raume Laguna— Desterro—
Itajahy—San Francisco war schon v. d. Steinen nach anfänglichem Zögern
zu der Überzeugung gelangt, daß zumindest die von Laguna künstlich sein
müssen47 48. Der Bericht Müllers über die Sambaquis dieses Raumes40 hatte,
wie bereits erwähnt, sogar einen v. Ihering veranlaßt, die Möglichkeit der
Existenz künstlicher Sambaquis in Betracht zu ziehen49.
Sechs Jahre später veröffentlichte H. Meyer darüber hinaus die Ergeb-
nisse einer Grabung, die der Mediziner Ranke zusammen mit Meyer vom
6. bis 10. Februar 1896 im Sambaqui Magelhaes, östlich von Laguna, durch-
geführt hatte. Diese Grabung läßt kaum einen Zweifel daran, daß dieser
immerhin 15 m hohe Sambaqui künstlich ist50. (Auf die zuletzt zitierten Un-
tersuchungen wird im Zusammenhang mit der Sammlung Putzer näher ein-
gegangen.)
Letzte Zweifel an der Existenz künstlicher Sambaquis beseitigten die Gra-
bungen von Biocca, Hoge und Schreiber in Sambaquis auf der Insel Santo
Amaro (Säo Paulo) und die von Castro Paria im Sambaqui Cabe^udas bei
Laguna (Santa Catarina)51.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Arbeit von
Biocca, Hoge und Schreiber auf der Insel Santo Amaro. Hier wurde zum
ersten Male ein Sambaqui bis zur Basis gegraben.
Außerdem wurde das Fundmaterial von einem Team aus einschlägigen
Spezialisten (Archäologen, Geologen, Anthropologen, Zoologen und Che-
mikern) bearbeitet. Bei der Vielzahl der wissenschaftlichen Aspekte, die ein
Sambaqui bietet, ist dies Voraussetzung für eine tatsächlich erschöpfende Aus-
wertung des Grabungsbefundes und Fundmaterials.
Einige sorgfältige Grabungen hätten der Sambaqui-Forschung mehr ge-
nützt als der Jahrzehnte währende Kampf zweier Schulen, deren Anhänger
meist einseitig mit Argumenten ihres Spezialfaches operierten, und die Er-
kenntnisse der Nachbarwissenschaften nur dann und dazu noch dilettantisch
verwerteten, wenn sie die eigene Auffassung zu bestärken schienen.
47 v. d. S t e i n e n , 1887.
48 Müller, 1890.
49 Vergleiche Seite 30.
50 Meyer, 1896.
51 Biocca, Hoge und Schreiber, 1947; Castro Paria, 1952.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
35
Von wenigen Ausnahmen abgesehen'’2, hat sich in letzter Zeit allgemein
die Erkenntnis durchgesetzt, daß ein Teil der Sambaquis Südost-Brasiliens
künstlich, ein Teil dagegen natürlich ist. So unterscheidet Leonardos52 53, der
den bisher vollständigsten Katalog aller noch vorhandenen oder in der Lite-
ratur beschriebenen Sambaquis gibt, zwischen „concheiros naturais ou falsos-
sambaquis“ und „sambaquis prdpriamente ditos“.
Als natürliche Bildungen läßt er nur die wenige Meter hohen langgestreck-
ten Muschelbänke gelten, die er54 folgendermaßen charakterisiert: „Em todos
ésses depósitos naturais salienta-se a estratificagäo horizontal ou entrecruzada
das conchas, geralmente sóltas as valvas, quebradas ou roladas, em camadas
alternadas com areia, e sein vazios entre as conchas, indicando acomodacäo
sob a agua.“ Im Gegensatz zu Serrano55 betrachtet er also gerade den Um-
stand, daß die Muschelhälften nicht mehr Zusammenhängen und sogar zer-
brochen sind, als Beweis für die natürliche Entstehung der Muschelhaufen.
Genau so verhält es sich mit den Sandschichten zwischen den Muschellagen.
Sie überzeugten v. d. Steinen am Beispiel einiger Sambaquis bei Laguna von
ihrer künstlichen Entstehung.
(Diese Beispiele zeigen deutlich, wie zweischneidig fast alle nicht-archäo-
logischen Argumente im Hinblick auf die Entstehungsfrage der Sambaquis
sind.)
Seine echten Sambaquis beschreibt Leonardos55 wie folgt: „Diferem os
sambaquis verdadeiros radicalmente dos depósitos do primeiro tipo. Apresen-
tam-se em montes circulares ou alongados, que se elevam sobre a planicie
onde ordinariamente se acham, até a altura de 15 a 20 metros; sao con-
stituidos exclusivamente de conchas de moluscos comestíveis, amontoados sem
estratificado regular, deixando vazios entre as conchas; e encerram ossadas
52 Als extremer „naturalista“ weist sich Caldas aus, wenn er (1938 : 270) schreibt:
„Los sambaquis . . . son simples amontonamientos de conchas de moluscos dcpo-
sitades por las corrientes marinas sobre las playas, cubiertas posteriormente y
dislocadas por la acción de los vientos." Und weiter unten: „No deben ser
considerados como producto de un trabajo artificial de los amerindios, como
ya fue demostrado por el doctor Juan Bautista de Lacerda, von Ihering y
otros.“
Im Gegensatz zu Caldas wiederum Castro Paría, der — von der Tat-
sache ausgehend, daß der von ihm untersuchte Sambaqui von Cabezudas künst-
lich ist — wie folgt generalisiert: „ .. . Bindication d’une origine naturelle pour
ces gisements connus sous le nom de sambaqui et parue dans des publications
recentes doit étre tenue comme erronée et sans fondement.“ (Castro Paria,
1952 : 91).
53 Leonardos, 1938. So auch Putzer, der (1957 : 170) von „genetisch und
morphologisch grundverschiedenen Bildungen“ spricht, ohne diese Unterschiede
jedoch zu definieren.
54 Leonardos, 1938 : 3.
55 Vergleiche Seite 34
3‘
36
Walter, Sambaqui-Archäologie
humanas, armas e utensilios indigenas, restos de fogueira, esqueletos de aves
e de ca$a de pelo, espinhas e ascamas de peixe, etc.“
Zu dieser Charakterisierung durch Leonardos ist folgendes zu sagen: Die
Form der Sambaquis scheint dem Verfasser als unterscheidendes Kriterium
nicht stichhaltig genug zu sein. Die Möglichkeit, daß ehemals langgestreckte
Muschelbänke oder Muschelterrassen durch Wind und Regen aufgeteilt und
konisch umgeformt werden können, darf nicht völlig verworfen werden'’7.
Die erhebliche Größe der Muschelhaufen könnte eher gegen als für ihre
künstliche Entstehung sprechen. Da wir außerdem nicht sicher wissen, welche
Muschelarten von den alten Bewohnern dieser Küste für eßbar erachtet
wurden und welche nicht, hat auch dieses Argument von Leonardos wenig
Beweiskraft. Daß auch künstliche Sambaquis sich aus zerbrochenen Muschel-
schalen aufbauen können, zeigen endlich die Beobachtungen Vignatisr,s.
Der amorphe, zum Teil lockere Aufbau aus verschiedenen Muschelarten,
den Leonardos als typisch für die künstlichen Sambaquis herausstellt, hat
wiederum deshalb wenig Aussagekraft, weil es künstliche Sambaquis mit deut-
lich sichtbarer Schichtung gibt, wie ein Blick auf die von Putzer abgebildeten
Sambaquis von Rio d’Una und Rogadas (beide Santa Catarina) beweist ’0.
Ebensowenig ist das Vorhandensein oder Nicht Vorhandensein von Arte-
fakten und Skelettresten ein unbedingter Beweis für die künstliche bzw.
natürliche Entstehung eines Sambaqui. Natürlich entstandene Sambaquis,
Reste ehemaliger Muschelterrassen, können wegen ihrer günstigen Lage an
Lagunen oder an der Küste Menschen als Wohn- und gelegentlicher Bc-
gräbnisplatz gedient haben und dadurch Artefakte und Skelette, wenn auch
nur in ihren oberen Schichten, enthalten. Auf der anderen Seite ist es denk-
bar, allerdings aber sehr unwahrscheinlich, daß ein von Menschen aufgeschich-
teter Abfallhaufen aus Muschelschalen weder Artefakte noch Bestattungen
enthält.
Nach dem Gesagten scheint es nur eine Möglichkeit zu geben, um die
Frage nach dem Ursprung eines Sambaquis eindeutig beantworten zu kön-
nen — eine sorgfältige, bis auf die Basis geführte Grabung. Dabei muß be-
sonderes Augenmerk auf das Vorhandensein von Siedlungsschichten gerichtet
werden. Es versteht sich von selbst, daß noch so dünne Holzkohle- und
Aschehorizonte an der Basis des Sambaquis ein eindeutiger Beweis für seine
künstliche Entstehung sind.
5,1 Leonardos, 1938 : 4.
57 Vergleiche die von Serrano (1938 a : 67) herangezogenen Beobachtungen von
Bisch off (1928) an den Sambaquis der Lagoa da Fortaleza (Rio Grande do
Sul).
58 Vergleiche Seite 34
59 Putzer, 1957 : 173/74; Abbildungen 17 und 18.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
37
Artefakte oder Bestattungen haben hinsichtlich der Entstehung des Samba-
quis nur dann Aussagewert, wenn sie ebenfalls schon nahe der Basis auftreten.
Liegen sie höher, so muß eine intrusive Lagerung zumindest in Erwägung
gezogen werden.
Treten Artefakte aber aus einem Sambaqui zutage, der keine erkennbare
Schichtung aufweist, so ist zur Vermeidung von Fehlinterpretationen eine viel
genauere Beobachtung und Dokumentation der Fundverhältnisse nötig, als
auch bei den jüngsten Untersuchungen konstatiert werden kann. Dem Ver-
fasser ist bisher nicht ein einziger Grabungsbericht einer Sambaqui-Grabung
bekannt, der auch nur entfernt den Anforderungen moderner Archäologie
genügen würde. Diese Bemerkung bezieht sich besonders auf das völlige
Fehlen von Profilzeichnungen angeschnittener Sambaquis. (Die bei Serrano60
abgebildeten Profilskizzen sind sehr vereinfachte Schemata.)
Das Alter der Sambaquis wird nach wie vor mit der Veränderung der
südostbrasilianischen Küstenlinie in Verbindung gebracht. Seit Putzers gründ-
lichen geologischen Untersuchungen (Tiefbohrungen und Feldbeobachtungen),
deren Ergebnisse er in dem bereits mehrfach zitierten Aufsatz niedergelegt
hat61, stehen wir in dieser Hinsicht endlich auf fachwissenschaftlich fun-
diertem Boden. Nach Putzer6- lief diese Oszillation der Küste wie folgt ab:
Nach einer isostatischen Absenkung des südlichen Küstenstreifens Brasiliens
(Rio Grande do Sul) im Tertiär setzte erst im Holozän eine isostatische (epi-
rogene) Emersion ein, die zum Teil noch heute anhält. Putzer schreibt63:
„Kennzeichen (= dieser Emersion) sind die landeinwärts liegenden sub-
fossilen Kliffs, Abrasionsflächen, gehobenen Strandmarken und Terrassen,
lokale Torfbildungen und das anhaltende Verlanden der Lagunen.“
Diese Hebung des Küstenstreifens wurde zunächst jedoch durch das An-
steigen des Meeresspiegels getarnt, eine Folge des Abschmelzens der polaren
Eiskappen am Ende der pleistozänen Glaciale. Dieser eustatische Anstieg
hatte zur Folge, daß Meeresbuchten und Lagunen Südbrasiliens viel weiter in
das Land reichten als heute. Erst nachdem die Zufuhr des Schmelzwassers
zurückging und durch das nachfolgende trockene Klima eine stärkere Ver-
dunstung einsetzte, konnte sich die Hebung des Küstenstreifens auch morpho-
logisch auswirken. Dazu gehört das allmähliche Verlanden der höher ge-
legenen Lagunen, deren Abfluß durch submarine Sandbänke verhindert wurde,
die gleichzeitig die Sediment-Abfuhr aus den Haffs mehr und mehr ein-
schränkten, sowie die heutige Höhenlage der marinen und lakustren Muschel-
terrassen von Montevideo bis Rio de Janeiro.
60 Ser ran o, 1937, 1938 a.
61 Putzer, 1957.
62 Putzer, 1957 : 183.
63 Putzer, 1957 : 183,
38
Walter, Sambaqui-Archäologie
Zur Lage und dem relativen Alter der Sambaquis schreibt Putzer61: „Die
Sambaquis wurden an den Rändern einst tiefer ins Land reichender Buchten
und Lagunen angelegt, also erst nach Erreichen des Maximums des eusta-
tisch angestiegenen Meeresspiegels. Zum größeren Teil liegen die Sambaquis
Südbrasiliens auf der älteren Dünen-Generation; das setzt äolischen Sand-
transport in trockenerem (als pleistozänen) Klima voraus.“ Und weiter unten:
„Die Sambaquis gehören dem Holozän an.“
Diese Datierung deckt sich, wie später nachzuweisen ist, durchaus mit den
Ergebnissen der Sambaqui-Archäologie.
Wenn Serrano auch zur Entstehungs- und Altersfrage der Sambaquis
nichts Neues beitragen konnte, und ihm sogar vorgeworfen werden muß, daß
er etwas einseitig die natürliche Entstehung betonte, so sind seine Verdienste
um die Erhellung der Sambaqui-Archäologie dagegen nicht hoch genug ein-
zuschätzen.
Schon in seiner Veröffentlichung der archäologischen Objekte aus Sam-
baquis des Raumes um Torres65 äußerte er die Überzeugung, daß man nicht
von einer einzigen spezifischen Sambaqui-Kultur sprechen könne, sondern daß
sich in diesen Muschelhaufen zwei aufeinanderfolgende vorgeschichtliche Kul-
turen spiegeln, die durchaus nicht auf die Sambaquis beschränkt sind60.
Die ältere Kultur bczeichnete er als „cultura guaiana“ und teilte sie in
zwei geographische Zonen, die „zona do planalto“ und die „zona da orla
atlantica“07.
Nach Serrano wird diese Kultur durch zoomorphe Steinschalen (sog. Zeo-
lithen), Keulenköpfe aus Stein („itaizäs“), geschliffene, keilförmige Steinbeile
und Tongefäße mit Finger- oder Fingernagel-Eindrücken charakterisiert. Dazu
kommen in der „zona da orla atlantica“ rechteckige Beilklingen mit zwei
Einkerbungen an jeder Schmalseite, ringförmige Keulenköpfe und geschliffene
Pfeilspitzen mit rechteckigem, Querschnitt.
Die Guayana-Kultur beschränkt sich nicht auf den Staat Rio Grande
do Sul, sondern erstreckt sich nach Norden über Santa Catarina und Parana;
04 Putzer, 1957 : 184.
05 S e r r a n o , 1937. Die meisten abgebildeten Stücke stammen aus der Sammlung
Freitas, Torres.
f>,i Serrano, 1937 : 37, Fußnote 1.
67 Serrano, 1937 : 37, 38. Bei der Bezeichnung „cultura guaiana“ stützt er
sich auf frühe Jesuitenberichte, denenzufolge er es für möglich hält, diejenigen
Kulturelemente, die nicht mit den Guarani in Verbindung gebracht werden
können, den Ge-sprechenden Guayana zuzuschreiben. Diese Guayana sind nach
Metraux, 1946 ; 445 ff., Vorfahren der heutigen Kaingang und gehören zum
südlichen Zweig der Ge-Stämme.
Eaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
39
im Süden finden sich einige Elemente in Uruguay und in der argentinischen
Provinz Entre Rios68.
Die zweite Kultur, die sich in den Sambaquis Südbrasiliens niederge-
schlagen hat, ist seine „cultura guarani“69.
Als Charakteristikum betrachtet er große Urnen mit spitzem oder run-
dem Boden, sowie Gefäße mit zonal angeordneter Bemalung (rotbraune und
schwarze geometrische Muster auf weißem Grund).
Die Guarani-Kultur ist in isolierten Inseln über Rio Grande do Sul ver-
breitet; entlang der Küste häufen sich diese Inseln. Funde europäischer Glas-
perlen aus Sambaquis um Torres beweisen, daß diese Guarani bis in die frühe
Kolonialzeit die Sambaquis entweder sporadisch besuchten oder sogar be-
siedelten70.
Mit dieser Arbeit hat Serrano der Sambaqui-Archäologie ganz neue
Aspekte eröffnet. Die Funde aus den Sambaquis durften fortan nicht mehr
cum grano salis als Elemente einer einzigen Sambaqui-Kultur betrachtet wer-
den, sondern mußten zumindest zwei Kulturen zugeordnet werden. Die ältere
wurde von den Ge-sprechenden Guayana, die jüngere von den später ein-
gedrungenen Guarani getragen, wobei letztere noch in direkten oder in-
direkten Kontakt mit den Europäern kamen.
Von den Sambaqui-Funden des Raumes Torres ausgehend, vergleicht
Serrano die Artefakte aus den „sambaquis antiguos“ von Säo Paulo mit
denen des Lagoa Santa-Menschen und kommt zu der Überzeugung, daß sie
zusammen einer älteren Phase der Ge-Kultur angehören, als die Funde aus
dem Raum Torres71.
Nach ihrem archäologischen Fundmaterial teilt er die gesamten Sambaquis
Südostbrasiliens in drei Fazies ein, die er aber nicht als in sich geschlossene
kulturelle Einheiten verstanden wissen will'2:
1. Facie meridional.
2. Facie arcaica (facie de los sambaquis antiguos de Sao Paulo).
3. Facie media.
Diese drei Fazies sind nach Serrano73 wie folgt charakterisiert:
68 In seiner Arbeit über die Vorgeschichte Ost-Argenpniens und Uruguays hatte
er den größten Teil der Guayana-Artefakte noch seiner „cultura tupi-guarani“
zugewiesen. Vergleiche Serrano, 1933 : 35—37.
69 Serrano, 1937 : 39.
70 Serrano, 1937 : 22, Abb. Tafel XX, 3—5 und 1938 a: Tafel XI, 2.
71 Serrano, 1938 a : 76.
72 Serrano, 1938 a : 77. Den Begriff „facie“ definiert er (a.a.O.: 81) wie
folgt: „ . . . facie es el aspecto parcial, local o regional, de un todo bien carate-
ristico.“
73 Serrano, 1938 a : 78—80, und Tafeln III—XI, XVIII—XX; 1946: Tafeln
78—80. Artefakte der facie meridional auch bei Serrano, 1937: Tafel II—
XXI,
40
Walter, Sambaqui-Archäologie
Abb. 1. Artefakte der Facie Meridional. (Nach Serrano, 1938 a)
1. Nußknacker. 2. Bola-Kugeln oder Netzgewichte. 3. Zwei Hachas planas de doble
escotadura. 4, Zwei Hachas triangulares con gargantas. 5. Vier Hachas tabulares.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
41
1. Facie meridional
Verbreitung:
In den Sambaquis der Staaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina,
Parana und im Süden von Säo Paulo.
Artefakte: (vgl. Abb. 1, 1—5 und Abb. 2, 1—5)
Z o o 1 i t h e n (litos zoomórficos oder zoolitos), d. s. flache, sorgfältig
geschliffene Reibschalen in Form hochstilisierter Tiere (meist Vögel und
Fische; es kommen aber auch Gürteltiere, Delphine und Schildkröten
vor)74 75. Die schalenartige Vertiefung im Körper fehlt manchmal.
Steinbeile. Serrano erwähnt bzw. bildet drei Typen ab:
a) Flachas tabulares. Rechteckige bis länglich-ovale, etwas unregelmäßig
geformte Beile, deren eine Seite meist völlig flach, die andere dagegen
konvex ist. Zumindest ein Teil dieser Beile war sicher quer geschäftet.
b) Flachas triangulares con gargantas. Mehr oder weniger konisch
geformte Beile mit einer umlaufenden Schäftungsrille; runder bis rund-
ovaler Querschnitt.
c) Hachas planas de doble escotadura (auch hachas planas con escota-
duras laterales). Flache, rechteckige Beile mit je zwei Kerben an beiden
Schmalseiten. Nach Serrano ist diese Form typisch für die südliche Zone
der facie meridional; sie fehlt jedoch im Hinterland des südlichen Litoral1’.
Alle drei Beiltypen sind geschliffen und in den meisten Fällen gut
poliert.
Bolakugeln. Ihre Form und Größe variieren. Es finden sich schei-
benförmige, vollkommen kugelförmige und doppelpilzförmige. Allen ge-
meinsam ist eine um die Mitte laufende Kerbe. Die kleineren Exemplare
mit einem Durchmesser von nur 2 bis 3 cm hält Serrano für Netzsenker.
Stein morse r. Klein (bis 10 cm hoch), tonnenförmig.
S t ö s s e 1 (Manos). Zylindrisch bis zigarrenförmig.
Keulen köpfe („itaizas“). Scheiben- bis ringförmig mit sanduhr-
förmiger Bohrung.
Nußknacker. In Brasilien als quebra-nozes, in Argentinien als
rompe-cocos bezeichnet. Dabei sind zwei Typen zu unterscheiden;
a) Unregelmäßig geformte Steine mit einer meist plan geschliffenen
Fläche, in die eine oder mehrere halbkugelige Vertiefungen gebohrt sind.
Von Serrano als „piedras con hoyuelos“ bezeichnet.
b) Sorgfältig polierte, bis etwa 5 cm dicke Steinscheiben. Die beiden
Flächen sind entweder plan oder schwach konkav. Bei manchen Exem-
74 Bel der anthropomorphen Steinschale von der Insel Pantano/Santa Catarina
(Serrano, 1938 a: Tafel VII,1) scheint es sich um eine sehr seltene Variante
zu handeln.
75 Serrano, 1937 : 19; 1938 a : 78.
42
Walter, Sambaqui-Archäologie
plaren befindet sich im Zentrum der Vertiefung eine zylindrische oder
halbkugelige Bohrung wie bei den Stücken unter a.
Serrano bezeichnet diese Stücke sehr treffend als „piedras en forma
de queso con hoyuelo central“.
Pfeilspitzen. Meist aus Bruchstücken von Diabas-Platten zuge-
schliffen. Ihre Basis ist gerade oder nur schwach gerundet, die beiden
Längsseiten sind ebenfalls gerade und stehen parallel zueinander, lang
auslaufende Spitze. In einigen Fällen laden die Längsseiten etwas
aus und verjüngen sich sanft zur Spitze. Der Querschnitt ist in allen Fällen
rechteckig; die vier Seiten des Rechteckes können aber schwach ausladen‘<’.
Ihre Länge variiert zwischen 3 und 9 cm.
F u s o s. Unter dieser Bezeichnung (fuso, portugiesisch = Spindel) faßt
Serrano verschieden große, meist sorgfältig geschliffene Steinobjekte zu-
sammen, deren Gemeinsamkeit ihre doppelkonische Form und ihr runder
Querschnitt ist. Grob lassen sich zwei Typen unterscheiden:
a) Fusos mit einer oder mehreren umlaufenden Rillen an einem Ende.
b) Fusos ohne Rillen. Diese sind häufig eher tropfen- als spindelförmig.
Die Länge der Fusos schwankt zwischen etwa 3 und etwa 15 cm. Ser-
rano hält sie für Schmuckanhänger'7.
„Barretas“. Auch „pilones“ oder „bastones de mando“ (Kom-
mandostäbe) genannt. Dabei handelt es sich um prismatische Basaltstäbe
verschiedener Länge und Stärke. Häufig dreieckiger Querschnitt. Manch-
mal sind sie nur an einem oder an beiden Enden spatelförmig oder spitz
zugeschliffen, manchmal sind die Längskanten ebenfalls durch Schleifen
abgerundet. Die von Serrano abgebildeten Stücke78 schwanken zwischen
20 und 45 cm Länge. Er erwähnt aber einen Stab aus der jazida de
Torres (in der Sammlung Freitas), der eine Länge von 89,5 cm aufweist'9.
Knochengeräte. Selten. Meist aus Walknochen. Serrano bildet
zwei Messer, eine Beilklinge und eine durchbohrte Scheibe ab80. Knochen-
geräte fehlen nach ihm im Norden und kommen auch Im Süden nur gele-
gentlich vor.
Keramik. Neben einer dickwandigen unverzierten Keramik finden
sich häufig mit Daumen-Eindrücken verzierte, unbemalte Scherben. Ser-
rano räumt zwar ein, daß diese Keramik auf Guarani-Stäiyime zurück-
geht, glaubt aber, daß sie schon früh in die materielle Kultur der Guayana
integriert wurde.
76 Die Abbildungen bei Serrano, 1937: Tafel IX—1, sind so stark retuschiert,
daß die Pfeilspitzen zum Teil spitzoval wirken.
77 Er faßte sie (1937 : 17) unter „adornos pessoais“ zusammen.
78 Serrano, 1937; Tafel X; 1938 a; Tafel VII—2.
79 Serrano, 1937 : 13.
80 Serrano, 1938 a : Tafel XVIII.
44
Walter, Sambaqui-Archäologie
2. Facie arcaica
Verbreitung:
In den küstenfernen Sambaquis des Staates Sao Paulo, die Krones
„sambaquis antiguos“ entsprechen81.
Artefakte : (vgl. Abb. 2, 6)
Es fehlen die für die facie meridional typischen Zoolithen und polierten
Beilformen.
Steinbeile. Die der facie arcaica sind ovaloid bis unregelmäßig
dreieckig. Sie sind in Abschlagtechnik hergestellt, ihre Schneide ist aber
zugeschliffen. (Einige Exemplare sind über die ganze Oberfläche wenig
sorgfältig nachgeschliffen.)
Sonstige Stein- Artefakte. Es kommen einige Klingen,
Schaber und Stichel vor.
Diese Fazies betrachtet Serrano als einen Ausläufer der Kultur von
Lagoa Santa82.
3. Facía media
Verbreitung;
In den Sambaquis der Staaten Rio de Janeiro und Espiritu Santo.
Artefakte:
Steinbeile. Aus Diabas, dreieckig, sehr gut geschliffen und poliert.
Ovaler bis spitz-ovaler Querschnitt. Einige entsprechen Typen der zweiten
Phase der Rio das Velhas-Kulturen (Lagoa Santa). Ihrer Form nach er-
innern sie an Beile der Facie arcaica, sie sind jedoch besser geschliffen.
Keramik. Nicht selten finden sich Scherben einer unverzierten
Keramik.
Die weitgehende Identität der Artefakte aus den Sambaquis der Facie
Meridional mit solchen aus dem Flinterland der südostbrasilianischen Küsten-
staaten veranlaßte Serrano, sie zu einer Kultur zusammenzufassen, die er als
„Cultura Lítica del Sur Brasileño“ bezeichnet83.
Nach Serrano haben sich also in den Sambaquis Südostbrasiliens zwei geo-
graphisch viel weiter verbreitete Kulturen niedergeschlagen: In den südlichen
Sambaquis (Rio Grande fio Sul, Santa Catarina, Paraná) inklusive der
küstennahen des Staates Säo Paulo die Cultura Lítica del Sur Brasileño,
deren Hauptverbreitungsgebiet die heutigen Staaten Santa Catarina und Rio
Grande do Sul umfaßt, die aber auch nach Paraná und Iguassii, sowie nach
Paraguay und in die argentinischen Provinzen Misiones, Corrientes und Entre
81 Die küstennahen Sambaquis von Sao Paulo gehören zu Serranos Facie Meri-
dional. In dieser Verschiedenheit des Fundmaterials spiegelt sich nach Serrano
das allmähliche Auftauchen der heutigen Küstenlinie im Staate Säo Paulo.
82 Serrano, 1938 a : 79.
83 Serrano, 1938 b,
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
45
Rios ausstrahlt84. Ihre Träger waren die Ge-sprechenden Guayana, Vorfahren
der heutigen Kaingang.
Die Kultur, die sich in den küstenfernen Sambaquis des Staates Sao Paulo
findet, ist nichts anderes als ein Ausläufer der ersten Phase der Rio das
Velhas-Kulturen (Minas Gerais). Ihre Träger gehören zur Lagoa Santa-Rasse.
Anthropologisch handelt es sich bei den Guayana um Imbellonis „Fue-
gide“, die Lagoa Santa-Rasse repräsentiert Imbellonis „Lagide“85.
Die Facie media scheint ein Kontaktgebiet zu sein. Einerseits finden sich
spätere Formen der Rio das Velhas-Kulturen, andererseits solche, die an
weiterentwickelte Formen der Facie meridional denken lassen86.
Der ganze Süden des Gebietes, d. h. der Raum der Cultura Lírica del Sur
Brasileño, wurde später durch die eindringenden Guarani überlagert, die
wahrscheinlich einen Teil der Guayana assimilierten. Dokumentiert wird diese
Überlagerung durch Funde der typischen Guarani-Keramik. Soweit Serrano.—
Es kann heute kaum mehr ein Zweifel bestehen, daß Serranos Zuweisung
der Funde aus den Sambaquis der Facie Arcaica zur Kultur von Lagoa Santa
richtig ist.
Walter bildet in seiner Arbeit über die Archäologie der Lagoa Santa-
Region Artefakte aus dem Abri Mae Rosa ab, die denen der facie arcaica
durchaus entsprechen87. Leider gibt der Autor dieser für die Archäologie
Südostbrasiliens so wichtigen Arbeit zwar Herkunftsangaben für die abgebil-
deten Artefakte; man erfährt aber nicht, aus welcher Schicht sie jeweils stam-
men. So ist man bei einem Versuch der Zuordnung der Sambaqui-Artefakte
zu einer der kulturellen Phasen der Lagoa Sant-Region einzig auf Walters
manchmal sehr vage Beschreibung der diese Phasen charakterisierenden Arte-
fakte angewiesen.
Zum Material von Mae Rosa, dem typologisch bisher ältesten (ohne Pa-
rallelhorizont in den anderen von Walter untersuchten Abris) schreibt er:
„It is characterized by completely flaked hand axes or choppers, others
partly polished with one edge ground and sharpened . . ,88.“ Diese Beschrei-
bung trifft genau so gut auf die Beile der facie arcaica zu.
Wahrscheinlich gehören aber einige Artefakte der facies arcaica bereits
zu Walters zweiter Periode, repräsentiert in den untersten Schichten von
84 Serrano, 1933.
85 Imbell oni, 1937. Vergleiche dazu Willems und Schaden, 1951, die
Imbellonis Klassifizierung des Paläo-Amerikaners in Lagide und Fuegide für
sinnlos halten. In seiner Antwort gibt Imbelloni (1956-—-58:243—280)
zugleich einen kritischen Überblick über die Sambaqui-Anthropologie seit 1872.
86 Diese Fazies ist bei Serrano — offensichtlich wegen des geringen Fundma-
terials aus diesem Raum — nur vage definiert.
87 Walter, 1958: Fig. 5, Fig. 14 A.
88 Walter, 1958 : 188.
46
Walter, Sambaquí-Archäologie
Eucalyptus, Samambaia und Limeira, . where pottery is absent, and the
stone tools are invariable crude shaped specimens, the hand-axes showing
evidence of polishing at one end“89.
Sowohl Mattos90 als auch Walter91 deuten auf die Ähnlichkeit zwischen
Artefakten der Lagoa Santa Region und den Sambaquis hin, ohne jedoch auf
das Problem näher einzugehen. Menghin dagegen92 bestätigt Serranos Fest-
stellung der kulturellen Zusammengehörigkeit der beiden Gebiete, wenn er
in der älteren Ethischen Industrie von Lagoa Santa und in den Sambaquis
der facie arcaica spätere (paraneolithische) Formen seiner miolithischen Faust-
keilkulturen sieht.
Problematischer hingegen scheint dem Verfasser Serranos „Cultura Lírica
del Sur Brasileño“ zu sein. Ihr Inventar93 94 deckt sich nicht völlig mit dem
der Facie Meridional. Als neue Form treten sog. adornos pectorales auf,
rechteckige, dreieckige und trapezförmige Steinplatten mit jeweils zwei neben-
einander liegenden Durchbohrungen. Dafür fehlen in Serranos Aufzählung
des Inventars der Cultura Lírica die sog. Fusos. Sie scheinen — obgleich
in den Sambaquis der facie meridional häufig — im Inland zu fehlen. Unter
den Beilformen der Cultura Lírica überwiegt der rechteckig geschliffene Typ
mit je zwei Kerben an den Längsseiten, eine in den Sambaquis relativ seltene
Form.
Hält man sich dazu noch vor Augen, daß die für die Cultura Lírica an-
geblich typischen Nußknacker bereits in der zweiten Phase der Rio das
Velhas-Kultur auftreten91 und bis Uruguay und die La Plata-Mündung ver-
breitet sind, dann bekommt man den Eindruck, daß Serrano mit seiner Cul-
tura Lírica del Sur Brasileño die tatsächliche Situation stark vereinfacht hat.
Das häufige Auftreten der Fusos in den Sambaquis der Facie Meridional
und ihr offensichtliches Fehlen im Inland ist dabei von besonderem Interesse.
Fs kann nämlich kaum ein Zweifel daran bestehen, daß es sich beim über-
wiegenden Teil dieser doppelkonischen bis zigarrenförmigen Geräte um
89 Walter, 1958 : 189.
90 M a 11 o s , 1946 : 400, im Zusammenhang mit den Artefakten von Campo Alegre,
der ersten Fundstelle, wo Knochenmatcrial der Lagoa Santa-Rasse zusammen
mit Steingeräten zutage trat: „The similarity of these artifacts to these of
the shell mounds or sambaquis, of the coast seem to indicate a relationship
between the coastal and the cave culture." Und weiter unten: „Precise cross-
dating of artifacts associated with Lagoa Santa remains with those in the
sambaquis is impossible, as the latter have been almost entirely destroyed
without scientific study.“
91 Walter, 1958 : 190, schreibt: „A rapid comparison of Lagoa Santa archaco-
logy with that of Patagonia and the sambaquí (shell mounds) people of Säo
Paulo and coastal areas, denotes a resemblance that is worth mentioning."
99 Menghin, 1957 : 181 f.
93 Serrano, 1938 b : 259—263.
94 Walter, 1958 : 23, Fig. 3.
Baessler-ArcKiv, Neue Folge, Band IX
47
Angelgewichte bzw. Teile von zusammengesetzten Angeln handelt. Bird95
bildet in seiner Arbeit über Grabungen in Nord-Chile Stücke ab, die mit den
Fusos völlig identisch sind. Als Teile von zusammengesetzten Angelhaken
(„composite sinker-hooks“) wären demzufolge Fusos mit einem Zapfen am
oberen Ende, einer plan geschliffenen Längsseite und einer bis mehreren
Rillen am unteren Ende anzusprechen96; als Angelgewicbte (sinkers) die meist
größeren zigarrenförmigen bis doppelkonischen mit und ohne umlaufende
Rillen97.
Wie Bird nachweisen konnte, waren die composite sinker-hooks mit
Muschelhaken versehen98; die cigar shaped sinkers mit Haken aus Dornen.
Beide fehlen bisher aus Sambaquis, was jedoch kein Beweis für ihr Nicht-
vorhandensein ist. Selbstverständlich werden Haken aus Muschelschalen, zu-
mal zerbrochene, in einem Sambaqui leicht übersehen. Haken aus Dornen
dürften sich aber aus klimatischen Gründen kaum erhalten haben. Knochen-
haken, die wohl nur zusammen mit einem Angelgewicht verwendet werden
konnten, wenn sie nicht sogar Teil eines zusammengesetzten Hakens waren,
bilden Tiburtius und Koehler-Bigarella von Itacoara am Rio Pira ab99.
Das Vorhandensein von zusammengesetzten Angelhaken und Angel-
gewichten zusammen mit zahlreichen Netzgewichten (zu denen man wahr-
scheinlich auch einen Teil der Bola-Kugeln rechnen muß) in Sambaquis der
Facie Meridional, spricht nach Ansicht des Verfassers sehr stark gegen Ser-
ranos Behauptung, daß die Sambaqui-Funde keine eigentliche Küstenbevölke-
rung widerspiegeln100.
Ein Vergleich des Inventars aus dem Sambaquis mit den von Bird aus
Nordchile veröffentlichten Funden zeigt im Gegenteil eine so große Ähnlich-
keit, daß man an recht enge Beziehungen zwischen den beiden Gebieten
denken muß.
Serrano selbst, der die Verbreitung von Elementen seiner Cultura Litica
verfolgt und Zoolithen in Cordoba, San Luis, im Norden von Chile und
in Perú feststellt, Netzgewichte in den prä-inkaischen Kulturen der pazi-
95 Bird, 1943 : 207, Fig. 8, i; p. 239, Fig. 18, c; p. 271, Fig. 33, b; p. 272, Fig.
34, i, j; p. 291, Fig. 43, k; p. 295, Fig. 44, k. Für diesen Hinweis danke ich
Herrn Dr. Eisleb, Berlin, auch an dieser Stelle herzlich.
06 Vergl. Sammlung Putzer, Tafel IV, 6—10.
97 Vergl. Sammlung Putzer, Tafel IV, 15—18, 22, 25—27. Bei den von Rohr,
1959 : 219, 253—255, beschriebenen „bootsförmigen Tembetas“ von der Insel
Santa Catarina dürfte es sich ebenfalls um Teile von composite sinker-hooks
handeln. Rohr betont ausdrücklich, daß diese „Tembetas“ auf einer Seite plan
geschliffen sind.
98 Einen vollständigen composite sinker-hook mit originaler Bindung bildet U h I e ,
1922 ; Tafel XI, Fig. 4, aus der Gegend um Arica ab.
99 Ti b u r t i u s und Koehler, 1953 : Tafel I, Fig. 2.
100 Vergleiche Seite 32.
48
Walter, Sambaqui-Archäologie
fischen Küste101, deutet diesen Zusammenhang an, wenn er fragt: „Representa
acaso ella (= la cultura Lírica del Sur Brasileño) una capa cultural antigua
de origen pacífico disimulado o absorbido en el occidente por las culturas
andinas más recientes y salvado en forme entegral por arrinconamiento en
el sur del Brasil102?“
Diese Frage muß — zumindest was die Funde aus den Sambaquis der
Facie Meridional betrifft — bejaht werden.
Liier scheint sich eine echte Küstensammler-Kultur niedergeschlagen zu
haben, die mit ähnlichen Kulturen der peruanischen und chilenischen Küste
eng verwandt ist. Die Untersuchung dieser Kultur wird aber durch das Zu-
sammenfassen aller Steingeräte des Raumes — Küste und Hinterland — zu
einer einzigen Ethischen Kultur unnötig erschwert.
Nur wenn es gelingt, das Inventar dieser Küstensammler-Kultur zu iso-
lieren, können ihre Beziehungen zur pazifischen Küste Südamerikas unter-
sucht werden. Dazu sind zum einen sorgfältige Grabungen in den Samba-
quis, zum anderen eine bessere Kenntnis der archäologischen Verhältnisse
in Argentinien nötig. Die im Folgenden angestellten Erwägungen können
daher höchstens den Charakter einer Arbeitshypothese haben.
Sicher wäre es falsch, wenn man einfach alle Nicht-Guarani-Artefakte
in den Sambaquis der Facie Meridional diesen Küstensammlern zuweisen
würde. Wahrscheinlich wanderten Inlandstämme zu bestimmten Jahreszeiten
zur Küste, wobei es gelegentlich zur Besetzung von Sambaquis gekommen
sein kann. Für eine solche Fluktuation Inland — Küste sprechen neben den
hier wie dort vorhandenen Artefakten Funde von Meermuscheln im Binnen-
land103.
Mit einiger Sicherheit können aber den Küstensammlern folgende Arte-
fakte zugeschrieben werden:
Die Angelgewichte, die Gewichte der zusammengesetzten Angelhaken,
die Netzgewichte, die hachas tabulares, die Pfeilspitzen und vielleicht die
wenigen Geräte aus Walknochen.
Die Pfeilspitzen unterscheiden sich so stark von sämtlichen bekannten
Typen Südamerikas, daß es fraglich erscheint, ob es sich tatsächlich um
Pfeilspitzen und nicht etwa um Geräte zum öffnen von Muscheln handelt.
Dies würde auch erklären, warum sie nicht im Inland Vorkommen. Sie fehlen
nämlich ebenfalls in Serranos Inventar seiner Cultura Litica.
101 Serrano, 1938 b : 260.
102 Serrano, 1938 b : 260/61.
joa Kunert, 1890:36, fand bei Picade Feliz (Raum Rio Cahy, Rio Grande
do Sul) neben Flußmuscheln und Landschnecken auch einige Meermuscheln.
Ebenso berichten Mayntzhusen (1912), sowie Tiburtius und Ko e li-
le r (1953) Funde von Meermuscheln vom Alto Paraná bzw. von Itacoara am
Rio Pira (Santa Catarina).
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
49
Die Stellung der Zoolithen ist unsicher. Sie gelten als typisch für die
Fade Meridional. Da sie aber sehr wahrscheinlich als Reibschalen zur Fier-
stellung von paricä-Pulver (Piptadenia colubrina) verwendet wurden, das
aus magisch-religiösen Gründen geschnupft wurde, möchte man sie eher
einer späteren, pflanzerischen Kultur zuweisen. Sie haben in NW-Argen-
tinien, Bolivien und Chile Entsprechungen aus Holz (in Agentinien „tabletas
de ofrenda“ genannt). In diesen Gebieten treten sie stets mit Keramik zu-
sammen auf. Fraglich ist ferner, welche Elemente des noch verbleibenden
Inventars von Serranos Cultura Litica den Guarani zugesprochen werden
müssen. Spuren dieser Eindringlinge sieht Serrano einzig in der polychrom
bemalten Keramik. Die mit Finger- und Fingernagel-Eindrücken verzierte
Keramik geht ihm zufolge zwar ebenfalls auf die Guarani zurück, wurde
aber schon sehr früh von seinen Guayana übernommen und völlig in deren
Kultur eingeschmolzen.
Das zeitliche Verhältnis dieser beiden keramischen Stile zueinander ist
auch heute noch nicht ganz geklärt. Seit Lothrops Grabung (Arroyo Malo)
im Paranä-Delta]04 wird der ganze keramische Komplex als Arrayo-Malo-
Keramik bezeichnet, und zwar unterscheidet man Arroyo Malo Impressed
(mit Eindrücken verzierte Gefäße, die sog. corrugated wäre), Arroyo Malo
Painted (die polychrom bemalte Ware) und Arroyo Malo Red (eine ein-
fach rot bemalte Variante). Lothrop datiert diese Keramik im Delta auf-
grund von Beifunden (Glasperlen und (spanische Scherben) in das 16. und
17. Jahrhundert. Howard und Howard und Willey40i’ haben diese Keramik,
deren Hersteller fraglos Guarani waren, eingehend beschrieben und ihre
Verbreitung untersucht. Ich beschränke mich daher auf eine Verbreitungs-
karte, in der zusätzlich einige Fundorte eingetragen sind, die bei den ge-
nannten Autoren fehlen. Siehe Seite 51. Dagegen wurden aus Platzgründen
Nordenskiölds Funde von Keramik der Arroyo Malo Komplexe (bei Taru-
payu im Tiefland von Bolivien, sowie am Parapiti und am Pilcomayo104 105 106)
weggelassen. Es erscheint mir außerdem sehr fraglich, ob man die Keramik
von Tarupayu zum Komplex Arroyo Malo Impressed zählen darf. Identische
Keramik mit Eindrücken von Maiskolben auf dem Rand findet sich in Boli-
vien bereits im Tiahuanaco-Horizont.
Zusammenfassend scheint sich für das Gebiet der Sambaquis Südost-Bra-
siliens folgendes Bild abzuzeichnen:
Im Raume von Serranos Facie Meridional lebte eine frühe Küstensamm-
ler- und Fischer-Kultur, denen die künstlichen Sambaquis zuzuschreiben sind.
104 Lothrop, 1932.
105 Howard, 1947; Howard und W i 11 e y , 1948.
106 Nordenskiöld, 1924:27—28, 40.
4 Baessler-Ardiiv IX
50
Walter, Sambaqui-Archäologie
DIE VERBREITUNG DER KERAMIK
VOM TYP ARROYO MALO IMPRESSED,
ARROYO MALO RED UND ARROYO MALO PAINTED
(Zu nebenstehender Kartenskizze)
1. Arroyo Malo (Lothrop, 1932 : 123—146).
2. Arroyo Largo (Gutes, 1918 : 153—182).
3. Isla Martín García (Outes, 1916 : 265—277).
4. Isla Vizcaíno (Devincenzi, 1927 : 324—325).
5. Oberlauf des Paraná zwischen Yaguarazapá und Puerto Union (Mayntzhusen,
1912; Ambrosetti, 1895).
6. Ipanc bei Asunción (Vera, 1930; Schmidt, 1932; Vellard, 1934).
7. Staat Mato Grosso (Lothrop, 1932 : 133—134).
8. Westlich Conceiçâo am Araguaya (KIssenberth, 1922 : Abb. 26, 27).
9. Staaten Säo Paulo, Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul (Ihering,
1895:76—79; Ihering, 1904:549—550; Kunert, 1890:33—37; Bischoff,
1887 : 186—187; Meyer, 1896 : 340; Tibiricá, 1935 : Abb. 1—3; Serrano, 1938 a :
Tafel 22, Abb. 1).
10. Guíete (Minas Gerais) (Ehrenreich, 1886:421).
11. Staat Rio de Janeiro (Netto, 1885 : 412—413).
12. Staat Bahia (Ott, 1944 : 27).
13. Sumidouro Höhle, Lagoa Santa (Walter, 1958 : 181, Abb. 43, 44).
14. Pirassununga, Sao Paulo (Perreira de Godoy, 1952 : 243—246).
15. Venancia Aires, Rio Grande do Sul (Serrano, 1937 : 34—37, Tafeln 24, 27,
28, 29).
16. Sambaquí im Süden von Santa Catarina (Boppré, 1933).
17. Itacoara am Rio Pira, Santa Catarina (Tiburtius und Koehler, 1953).
18. Am Alto Uruguay, SO des Staates Santa Catarina (Schmitz, 1957).
19. Isla Santa Catarina (Schmitz, 1959).
20. Içara, Santa Catarina (Sammlung Putzer).
Diese Kultur ist eng mit den präkeramischen Küsten-Kulturen Perus und
Chiles verwandt. Ihre Beziehungen zu den gleichzeitig im unmittelbaren
Hinterland lebenden Jägerstämmen sind noch ungeklärt. Die Sambaquis der
Fade Arcaica gehören zum Gebiet der Rio das Velhas (Lagoa Santa-)Kul-
turen. Zumindest deren frühe Phasen sind älter als die Küstensammler-
Kultur des Südens. Die ethnischen Träger beider Kulturen waren frühe
Ge-Stämme. Ihre anthropologische Zusammensetzung ist noch unklar.
Das gesamte Gebiet vom Parana-Delta bis nach Minas Gerais wurde
erst rel. kurze Zeit vor der europäischen Besitznahme von Bodenbau trei-
benden Guarini-Stämmen aus dem Inneren Südost-Brasilien überflutet,
welche einen Teil der ursprünglichen Bevölkerung assimilierten oder aus-
rotteten; ein anderer Teil lebt in den rezenten Ge-Stämmen weiter.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
4*
52
Walter, Sambaqui-Archäologie
Die Sambaqui-Sammlung Putzer
Für die Bearbeitung der Funde standen dem Verfasser folgende Unter-
lagen zur Verfügung:
1. Eine maschinengeschriebene Liste, die Dr. Putzer der Sammlung bei-
gegeben hat (registriert unter Aktenzeichen
1 B/60
14 1
2. Der zitierte Aufsatz von Putzer, Epirogene Bewegungen im Quartär
an der Südost-Küste Brasiliens und das Sambaqui-Problem.
Aus diesen Unterlagen geht hervor, daß sämtliche Funde mit Ausnahme
der Keramik-Fragmente VB-14 005 — VB-14 011 und VB-14 012 aus Sam-
baquis in der näheren Umgebung von Laguna stammen. Den Hauptanteil
(168 Artefakte und 12 Knochenfragmente) nimmt dabei der Sambaqui bei
Barra ein, 3 Objekte kommen aus dem Sambaqui bei Cabefudas, 6 von
Laguna Nord und 2 von einem Sambaqui auf dem Kap Santa Marta
Grande. (Vergleiche die Kartenskizze bei Putzer, 1957 : 180).
Wenn somit auch der Fundort für jedes Objekt feststeht, so bleibt leider
die genaue Lage im jeweiligen Sambaqui unbekannt. Ebenso fehlen Profil-
skizzen der angeschnittenen Sambaquis. Bei der wissenschaftlichen Würdi-
gung der Sammlung müssen daher drei Faktoren beachtet werden:
1. Mangels einer gesicherten Fundstratigraphie können die Objekte keinen
Aufschluß über die Besiedlungsgeschichte der einzelnen Sambaquis geben.
2. Über 84 °/o der Funde stammen aus dem Sambaqui bei Barra. Der
Anteil der übrigen Sambaquis ist so gering, daß typologische Vergleiche
zwischen den einzelnen Sambaquis kaum gezogen werden können. Somit
muß auch die Frage nach ihrem gegenseitigen Altersverhältnis unbeantwortet
bleiben.
3. Aus den genannten Unterlagen geht hervor, daß es sich bei der Ber-
liner Sammlung um eine Auswahl handelt. Sie repräsentiert also nur einen
Teil der materiellen Kultur ihrer Hersteller, soweit diese überhaupt archäolo-
gisch faßbar ist.
Trotz dieser Einschränkungen aber ist der Wert der Sammlung nicht zu
unterschätzen, stammt sie doch aus dem Zentrum von Seranos Facie Meri-
dional, und zwar aus Sambaquis, die mit großer Wahrscheinlichkeit künstlich
sind.
Leider vermißt man bei Putzer Angaben hinsichtlich von Ascheschichten
und Herdstellen gerade für die Sambaquis, aus denen die Funde stammen.
Aus Bemerkungen in seiner Arbeit geht aber hervor, daß zumindest die
Sambaquis von Perixil (an der schmälsten Stelle des Hafts von Mirim),
Rio d’Una (3 km nördlich vom heutigen Ende des Mirim-Haffs) und Rofada
307 Putzer, 1957 ; 172—174.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
53
(1 km östlich des Mirim-Haffs) Ascheschichten enthalten, die auf eine künst-
liche Entstehung dieser Sambaquis deuten107.
Im Samhaqui von Perixil, der sich auf einer flachen Muschelterrasse er-
hebt, also eine Kombination von einem natürlichen und einem künstlichen
Sambaqui darstellt, zählte Putzer elf Aschehorizonte. Der Haupthorizont
mit deutlich erkennbaren Herdsetzungen liegt 2,60 m über der Basis. Der
Sambaqui von Rio d’Una weist zahlreiche Muschellagen mit eingeschalteten
Asche- und Sandschichten auf, und bei der Beschreibung des Sambaquis von
Rofada spricht Putzer von seiner horizontalen Schichtung, „durch manche
Aschenlagen unterstrichen“108.
Skelett-Bestattungen, Skelett-Teile (die nach Putzer auf Kannibalismus
deuten) und Artefakte finden sich in den Sambaquis von Cabe9udas, Campo
de Fora, Perixil, Rio d’Una, Rofada, Caputera, Carni^a I und Magelhaes.
Sandhorizonte und Lagen von organischen Resten zwischen den Muscheln
hatte v. d. Steinen schon 1887 in den Sambaquis des Raumes Laguna fest-
gestellt109. Leider erfährt man nicht, um welche Sambaquis es sich im Ein-
zelnen handelt. Auch die Artefakte, die sich nach v. d. Steinen nur in den
oberen Lagen und am Rande des Sambaquis fanden, bleiben unbeschrieben.
Müller, der ebenfalls nicht näher bezeichnete Sambaquis bei Laguna
untersuchte, spricht von „drei Sorten von Scherben“110. Später erwähnt er
„bemalte Teller“111. Außerdem nennt er ein bemaltes Steinbeil, Mörser,
kleine Schleifwannen, polierte Steinwalzen, Reibsteine mit Resten roter
Farbe und Schmuckplättchen. Wenn er die Artefakte auch nicht näher be-
schreibt, scheinen sie sich doch zwanglos in das Inventar der Facie Meridional
einreihen zu lassen.
Bei der Keramik handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um solche
der Arroyo Malo-Komplexe, um Guarani-Keramik also. Interessanterweise
spricht Müller von „drei Schichten“ von Sambaquis (chronologisch zu ver-
stehen). „In den vorderen Sambaquis haben die Steinäxte eine entwickeltere
Form112.“ Mangels einer Beschreibung dieser Beiltypen läßt sich die Fest-
stellung Müllers leider nicht nachprüfen. Zum Aufbau der Sambaquis schreibt
er: „Die Sambaquis sind durch Schichten von Asche unterbrochen, in denen
sich ebenfalls Kulturreste finden . . ,113.“ Ranke und Meyer verdanken wir
eine für die damalige Zeit gründliche Untersuchung des Sambaquis von
Magelhäes, östlich von Laguna, aus dem Putzer einen großen, reichverzierten
108 Putzer, 1957 : 174.
109 v. d. Steinen, 1887 : 446 ff.
110 Müller, 1890 : 459.
111 Müller, 1890 : 461.
112 Müller, 1890 : 461.
113 Müller, 1890 : 461.
54
Walter, Sambaqui-Archäologie
Pfeifenkopf aus schwarzem Basalt erwähnt114 115, der sich nicht in der Samm-
lung befindet. Ranke und Meyer konnten anhand der Holzkohle- und
Humusschichten, die auch Feuerstellen enthielten, eindeutig nachweisen, daß
dieser damals noch 15 m hohe Sambaqui künstlich ist110. In ein Drittel Höhe
fanden sie zwei Skelette, in den oberen Schichten weitere fünf. An Artefakten
erwähnte Meyer einen zylindrischen Stößer, oben und unten abgerieben, einen
rundlichen Stein mit einer zentralen Rinne (Netzsenker oder Bola-Kugel),
einen Steinhammer und einen Steinsplitter von meißelartiger Form. Dazu
drei geschliffene Steine, deren Form wie folgt beschrieben wird: „Sie sind
länglich, haben stumpfe Spitze und sind auf der anderen Seite vollkommen
scharf abgesetzt. Der kleine ist etwas unregelmäßig, die anderen zeigen deut-
lich konvexe und konkave Seiten116.“
Keramik war im Sambaqui selbst nicht festzustellen, dagegen konnten
Ranke und Meyer V2 Stunde westlich von Laguna Grabungen in einem
Urnenfeld mit eindeutiger Arroyo Malo-Keramik durchführen. Eine Urne
des Typs Arroyo Malo-Impressed mit dem Skelett eines Kindes enthielt als
Beigabe mehrere hundert italienische Glasperlen, sowie durchbohrte Muschel-
scheiben117.
Der Sambaqui Cabe9udas, aus dem sich in der Sammlung Putzer drei
Objekte befinden118, wurde im Jahre 1950 und 1951 von Castro Faria
untersucht, und zwar wurde eine Fläche von 14 X 10 m teilweise bis in eine
Tiefe von 8,50 m gegraben. Diese Grabung, über die bisher nur ein Vor-
bericht vorliegt119, erbrachte nicht weniger als 125 Bestattungen, darunter
viele Kinder. Diese große Zahl deutet nach Castro Faria auf einen echten
Bestattungsplatz. Dem widersprechen aber die sehr zahlreichen, deutlich er-
kennbaren Fußböden im Sambaqui, die nur durch eine längere, periodische
Besiedlung zu erklären sind.
Castro Faria erwähnt an Artefakten Beile, Meißel aus Diabas, Bola-
kugeln, Nußknacker, Mörser und Lanzenspitzen; mit Ausnahme der Lanzen-
spitzen das übliche Lundmaterial aus den Sambaquis der Facie Meridional.
Erstaunlicherweise fehlen in allen zitierten Berichten über Sambaquis des
Raumes Laguna die Lusos120.
114 Putzer, 1957 : 178.
115 Meyer, 1896 : 338.
116 Meyer, 1896 : 339.
117 Meyer, 1896 : 340.
ns VB-14018, YB-14057, VB-14065.
119 Castro Faria, 1952.
120 Unter Umständen handelt es sich bei Castro Parias „Lanzenspitzen",
die wie das restliche Fundmaterial nicht beschrieben werden, um große Fusos,
d. h. um Angelgewichte.
Eaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
55
Die Artefakte der Sammlung Putzer, von denen nur die am besten er-
haltenen und typischen Stücke abgebildet sind, entsprechen völlig den Formen
der Facie Meridional. Da die Objekte im Katalog eingehend beschrieben
sind, beschränke ich mich hier auf einige zusammenfassende Bemerkungen.
Unter den Beilformen überwiegen bei weitem die hachas tabulares. Die
Stücke VB-14 013 und VB-14 030 (Tafel III, 3, 6) sind Ausnahmen. Sehr
zahlreich sind Fusos. Als Teile von „composite sinker-hooks“ betrachtet der
Verfasser die auf Tafel V, 6—10 abgebildeten Stücke. Im Gegensatz zu den
von Bird abgebildeten Exemplaren fehlt hier allerdings die Einkerbung am
unteren Ende, was ihre Verwendung als Teile von Angelhaken aber nicht
unmöglich macht.
Angelgewichte (sinkers) sind die auf Tafel IV, 15—18, 25—27 abge-
bildeten zigarrenförmigen und spindelförmigen Fusos mit und ohne Rillen121.
Die Verwendung der Stücke auf Tafel IV, 19—21 und Tafel V, 1—5 ist
unklar.
Das Stück VB-14 064 (Tafel IV, 24) ist nicht wie Putzer meint122 das
Gewicht eines Feuerbohrers, sondern das Bruchstück eines Spinnwirtels.
Feuerbohrer mit Schwungscheibe sind in Südamerika unbekannt.
Auffällig ist, daß die Sammlung Putzer nicht eine Pfeilspitze enthält;
weder eine solche der üblichen Typen, noch eine der von Serrano aus der
Sammlung Freitas veröffentlichten geschliffenen Exemplare123. An letztere
erinnern aber einige der im Katalog als „meißelförmige Geräte“ bezeichneten
Stücke, die unter Umständen zum öffnen von Muscheln dienten.
Die Gefäß-Bruchstücke VB-14 005 — VB-14 012 sind sehr gute Beispiele
für die Typen Arroyo Malo Painted, bzw. Arroyo Malo Impressed. Sie sind
die einzigen eindeutigen Guarani-Artefakte der Sammlung. Den Unterlagen
zufolge stammen sie jedoch nicht von einem Sambaqui. Putzer erwähnt aber
in seinem Aufsatz124 geometrisch verzierte, schlecht gebrannte Keramik vom
Sambaqui Garni^a I. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß es sich
dabei um Arroyo Malo Painted-Keramik handelt.
Somit repräsentiert die Sammlung mit ganz wenigen Ausnahmen Serranos
Facie Meridional. Hält man sich vor Augen, daß die Sambaquis dieser
Facies — soweit sie überhaupt untersucht wurden +— künstlich, d. h. Abfall-
haufen sind, und daß die in ihnen gefundenen Artefakte echte Küstensamm-
121 Putzer (1957 : 177) interpretiert das stark erodierte Stück VB-14080 (Ta-
fel IV, 18) als „phallisches Symbol'1, das als Amulett getragen wurde.
122 Putzer, 1957 : 177.
123 Bei dem von Putzer, 1957 : Tafel 6, 2 b, abgebildeten Stüde handelt cs
sidt sicher nicht um eine Pfeilspitze. Eher könnte man an den Haken einer
Speerschleudcr denken. Gegen diese Deutung spricht jedoch das Fehlen von
Speer- oder Harpunenspitzen.
124 Putzer, 1957 : 174.
56
Walter, Sambaqui-Archäologie
ler wiederspiegeln, so muß diese Fazies doch wohl als kulturelle Einheit be-
trachtet werden.
Der Verfasser schlägt für sie die Bezeichnung „Gebiet der südostbrasili-
anischen Küstensammler-Kultur“ vor.
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DIE S A M B A Q U I - S A M M L U N G PUTZER
IM MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE BERLIN
Katalog
(Größen in Zentimetern) Vgl. dazu die Tafeln I—V
VB-14000 Ungefähr zylindrisch zugeschliffener „hammerstone“ (quebra-ostra)
(T. II, Abb. 1,2) mit deutlichen Schlagspuren an beiden Enden. L. 7,9/größter Durch-
messer 6,8. Grobkörniger Diabas. Fundort: Barra.
VB-14001 Scheibenförmiger Nußknacker mit je einer flachen Vertiefung auf
(T. II, Abb. 1, 1) beiden Seiten. Durchmesser 8,2/Höhe 3,8. Grobkörniger Diabas.
Fundort: Barra.
VB-14002 Quebra-ostra mit Schlagspuren an einem Ende. L. 7,8/größter Durch-
(T. II, Abb. 1, 3) messer 4,3. Grobkörniger Diabas. Fundort Barra.
Ungefähr dreieckig zugeschliffenes Gerät unbekannter Verwendung.
Rostfarbener (Fe-schüssiger) feinkörniger Sandstein. Fundort; Barra.
Unregelmäßiges Bruchstück einer etwa 3 cm starken Platte aus grob-
körnigem, porphyrischem rosa Granit mit Schleifrillen. Der Granit
[steht im Raume Laguna an. Fundort: Barra.
Sieben Bruchstücke einer großen Urne (sog. igaqaba) aus Ton. Der
sehr grob gemagerte, schmutzigbraune Scherben (Stärke etwa 1,5
bis 1,8) ist schlecht gebrannt (dicker grauer Kern). Außen- und
Innenseite sind schlecht geglättet. Die Außenseite trägt auf
schmutzigweißem Slip rotbraune, geometrische Ornamente (Dreiecke
aus parallelen Strichen und eckige Mäander). Die Urne enthielt
nach Putzer das Skelett einer jungen Frau in Hockerstellung. Fund-
ort: Iqara (südlich der Mündung des Rio Uruqanga)/Santa Catarina.
[Typische Guarani-Keramik des Stiles Arroyo Malo Painted.
VB-14012 Bruchstück einer flachen Schale, die als Deckel auf der oben ge-
(T. I, Abb. 2) nannten Urne lag. Grob gemagerter, schlecht gebrannter schmutzig-
grauer Scherben (Stärke 1,8). Innen wenig sorgfältig geglättet und
rot bemalt. Außen mit horizontalen Reihen schräg liegender, par-
alleler Fingereindrücke versehen (sog. corrugated wäre). Fundort;
Iqara (südl. der Mündung des Rio Urufanga)/Santa Catarina.
Guarani-Keramik des Stiles Arroyo Malo Impressed.
VB-14002
VB-14004
VB-14002—
VB-14011
(T.I, Abb.l)
62
Walter, Sambaqui-Archäologie
VB-14013
(T. III, Abb. 3)
VB-14014
(T. IV, Ahb. 28)
VB-14013
(T. IV, Abb. 26)
VB-14016
(T. IV, Abb. 27)
VB-14017
VB-14018
VB-14019
(T.III, Abb. 6)
VB-14020
(T. III, Abb. 9)
VB-14021
VB-14022
VB-14023
VB-14024
(T.III, Abb. 2)
VB-14023
(T.III, Abb.l)
VB-14026
(T. IV, Abb. 23)
VB-14027
VB-14028
VB-14029
(T. III, Abb. 7)
VB-14030
(T. III, Abb. 3)
VB-14031
(T. IV, Abb. 11)
VB-14032
(T. IV, Abb. 12)
VB-14033
VB-14034
Rechteckige Beilklinge mit rund-ovalem Querschnitt. Schneide be-
schädigt. Am hinteren Ende flache, umlaufende Rille. Grob zuge-
schliffen. L. 12,8/Br. 7,3/St. 4,0. Grobkörniger Diabas. Fundort:
Barra.
Bruchstück eines Steingerätes. Vielleicht in Form eines stilisierten
Fisches. Auf einer Seite flache Vertiefung. Stärke 2,2. Mittelkörniger
Diabas. Fundort: Barra. Ev. handelt es sich bei dem Stück um das
Bruchstück eines sehr kleinen, wenig sorgfältig gearbeiteten Zoo-
lithen.
Spindelförmiges Steingerät. Sog. Fuso. L. 8,9/größter Durchmesser
2,2. Grobkörniger Diabas. Fundort; Barra.
Zigarrenförmiges Steingerät mit rundovalem Querschnitt. F. 7,7/
größter Durchmesser 2,8. Grobkörniger Diabas. Fundort: Barra.
Bruchstück einer sehr flachen, geschliffenen Beilklinge. Br. 5,2/ St. 0,8.
Feinkörniger Diabas. Fundort; Barra.
Bruchstück einer kleinen, geschliffenen Beilklinge. F. 5,0/Br. 3,5/
St. 1,1. Schwarzer Basalt. Fundort: Cabecudas.
Bruchstück einer walzenförmigen Beilklinge mit zwei Einkerbungen
am hinteren Ende. Die Beilklinge ist aus einer polygonalen Basalt-
säule grob zugeschliffen, die Fazettierung natürlich. F. 9,5/Br. 5,1/
St. 3,0. Fundort: Igara.
Meißelförmiges Steingerät. Rechteckiger Querschnitt. Geschliffen.
F. 6,1/Br. 2,3/St. 1,2. Diabas. Fundort: Barra.
Fang-rechteckige Beilklinge. Die Schneide ist zugeschliffen. Sonst
keinerlei Bearbeitungsspuren. F. 8,9/Br. 3,4/St. 2,4. Diabas. Fundort:
Barra.
Bruchstück einer geschliffenen Beilklinge. Br. 5,4/St. 2,0/L. 6,9. Mit-
telkörniger Diabas. Fundort: Barra.
Unregelmäßig (natürlich) geformter Stein. Auf einer Seite flache
Vertiefung. Vielleicht Verwendung als Nußknacker. Rot patinierter
Diabas. Fundort: Barra.
Geschliffene Beilklinge. Eine Seite plan (sog. hacha tabular). F. 11,5/
Br. 7,5/St. 4,0. Feinkörniger Diabas. Fundort: Barra.
Sorgfältig geschliffene und polierte Beilklinge. F. 10,4/Br. 6,6/St. 2,8.
Feinkörniger Diabas. Fundort: Faguna Nord.
Zigarrenförmiges Steingerät mit fast rundem Querschnitt. An einem
Ende Schlagspuren. F. 7,7/größtcr Durchmesser 3,2. Grobkörniger
Diabas. Fundort: Barra.
Bruchstück einer grobkörnigen Diabas-Platte mit Schleifrillen. Fund-
ort: Barra.
Bruchstück ockergelber, zersetzter Diabas mit Schleifrillen. Fund-
ort; Faguna Nord.
Scheibenförmiger Nußknacker mit je einer flachen Vertiefung auf
beiden Seiten. Durchmesser 9,4/FF. 3,95. Diabas. Fundort: Barra.
Bruchstück einer trapezoiden, allseitig geschliffenen Beilklinge. F. 8,6/
Br. 5,9/St. 2,6. Diabas. Fundort: Barra.
Bola-Kugel mit umlaufender Rille. Größter Durchmesser 5,8. Ver-
änderter Diabas. Fundort: Barra.
Rundovales Netzgewicht mit zwei der Fänge nach umlaufenden
Rillen. F. 4,8/Br. 3,7/St. 2,4. Mittelkörniger gelber Quarzsandstein.
Fundort: Barra.
Netzgewicht mit umlaufender Rille. 3,7 X 2,5 X 2,1. Mittelkörniger
gelber Quarzsandstein. Fundort: Barra.
Netzgewicht mit umlaufender Rille. 4,4 X 3,4 X 1,8. Mittelkörniger
gelber Quarzsandstein. Fundort: Barra.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
63
VB-14033
(T. IV, Abb. 13)
VB-14036
(T. IV, Abb. 14)
VB-14037
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(T. III, Abb. 8)
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(T. III, Abb. 10)
VB-14040
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(T. III, Abb. 12)
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(T. III, Abb. 11)
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(T. Ill, Abb. 13)
VB-14044
VB-14043—
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(T. V, Abb. 13)
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(T.V, Abb. 16)
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VB-14060
(T.V, Abb. 14)
VB-14061
(T.V, Abb. 13)
VB-14062
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(T. IV, Abb. 24)
VB-14063
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(T. III, Abb. 4)
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VB-14069
VB-14070
VB-14071
(T. IV, Abb. 16)
VB-14072
Bola-Kugel mit umlaufender Rille. 4,2 X 4,0 X 2,7. Diabas. Fund-
ort: Barra.
Bola-Kugel mit umlaufender Rille. 4,5 X 4,4 X 2,75. Diabas. Fund-
ort: Barra.
Bola-Kugel mit umlaufender Rille. 3,2 X 3,1 X 2,4. Diabas. Fund-
ort: Barra.
Lang-rechteckiges, meißelförmiges Steingerät. Geschliffen. L. 6,9/
Br./,0/St. 1,0. Feinkörniger Diabas. Fundort: Barra.
Bruchstück eines meißelförmigen geschliffenen Steingerätes. L. 5,7/
ßr. 2,4/St. 1,0. Diabas. Fundort: Barra.
Steingerät in Form einer kleinen geschliffenen Beilklinge. L. 4,5/
Br. 2,2/St. 0,9. Feinkörniger Diabas. Fundort: Barra.
Rechteckiges, sorgfältig geschliffenes Steingerät unbekannter Ver-
wendung. L. 3,3/Br. 1,5/St. 1,0. Diabas. Fundort: Barra.
Bruchstück eines meißelförmigen, sorgfältig geschliffenen Steingerätes.
L. 5,3/Br. 2,5/St. 0,9. Diabas. Fundort: Barra.
Trapezförmiges, sorgfältig geschliffenes Steingerät unbekannter Ver-
wendung. L. 3,7/Br. 1,4/St. 0,6. Sandstein. Fundort: Barra.
Bruchstück eines meißelförmigen geschliffenen Steingerätes. L. 3,5/
Br. 2,5/St. 1,0. Diabas. Fundort: Barra.
Menschliches Knochenmaterial. Vgl. Putzer, 1957 : 178 f.
Große Austernschale (Ostrea sp.) mit rechteckiger Durchbohrung.
Fundort: Cabefudas.
Großes Gehäuse einer Landschnecke (Bulimus) mit Durchbohrung.
Fundort: Barra.
Gehäuse einer Landschnecke (Bulimus) mit Durchbohrung. Fundort:
Barra.
Durchbohrte Muschelschale (Lucina jamaicensis). Fundort: Barra.
Durchbohrte Muschelschale (Lucina jamaicensis). Fundort: Barra.
7 runde Scheibchen aus Muschelschale mit je einer konzentrischen
Durchbohrung. Durchmesser der größten Scheibe 1,2. Fundort: Barra.
12 durchbohrte Schneckenschalen (Olivancillaria auriculata Lam.).
Fundort: Barra.
Bruchstück einer Scheibe aus Chloritschiefer mit konzentrischer,
schwach konischer Durchbohrung. Stärke 1,1/größter Durchmesser 6,0.
Fundort: Barra.
Halbkugel aus schwarzem, sehr dichtem Basalt. Durchmesser 5,6/
Höhe 2,7. Zerbrochenes Fossil? Fundort; Cabefudas.
Rechteckige, geschliffene Beilklinge. L. 8,8/ßr. 4,0/St. 1,6. Fundort:
Laguna Nord.
Meißelförmiges, sorgfältig geschliffenes Gerät mit rechteckigem
Querschnitt. L. 7,1/Br. 3,0/St. 2,1. Feinkörniger Diabas. Fundort:
Laguna Nord.
Bruchstück eines meißelförmigen Steingerätes. Grobkörniger Diabas.
Fundort: Barra.
Wahrscheinlich unbearbeitetes Stück Diabas. Fundort: Barra.
Bruchstück eines geschliffenen Steinzylinders mit abgerundetem Ende.
L. 4,2/Durchmesser 2,5. Fundort: Barra.
Bruchstück eines Fuso mit zwei umlaufenden Rillen. Grobkörniger
Diabas. Fundort: Barra.
Bruchstück Stein. Ursprüngliche Form und Verwendungszweck un-
bekannt. Fundort: Barra.
Walter, Sambaqui-Archäologie
64
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(T. II, Ahh. 2)
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VB-140S0
(T. IV, Abb. IS)
VB-14081
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VB-14084—
VB-14086
(T. V,
Abb. 11, 12)
VB-14087
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VB-1409'/ -
VB-14102
VB-14103
VB-14104
VB-14103
(a + b)
VB-14106
VB-14107
VB-14108
VB-14109
VB-14110
Bruchstück eines Steingerätes unbekannter Verwendung und Form.
Fundort: Barra.
Steinsplitter mit Schleifspuren. Fundort: Barra.
Flacher, ovaloider Schleifstein mit deutlichen Schleifspuren. Fein-
körniger gelber Sandstein. Fundort: Barra.
Flaches, rechteckiges Steingerät mit stumpfen Kanten. Sorgfältig
geschliffen. L. 7,35/Br. 2,6/St. 0,8. Fundort: Barra.
Flacher, unregelmäßig geformter Splitter aus feinkörnigem schwar-
zem Basalt. Eine Längskante scharf zugeschliffen. Fundort: Barra.
Bruchstück einer wahrscheinlich spitzovalen Reibschale. Diabas.
Fundort: Barra.
Bruchstück eines Fuso. Feinkörniger schwarzer Diabas. Fundort:
Kap Santa Marta Grande.
Bruchstück eines Fuso mit 4 umlaufenden Rillen. L. 4,2/größter
Durchmesser 2,05. Feinkörniger weißer Granit. Stark erodiert.
Fundort: Barra.
Bruchstück eines sehr flachen, meißelförmigen Steingerätes. Viel-
leicht Schleifstein. Fundort; Barra.
Unregelmäßig-rechteckiges Sandsteinplättchen. Fundort: Barra.
Kleiner flacher Schleifstein. Gelber Sandstein. Fundort: Barra.
Drei sehr kleine Bruchstücke Keramik. Roter, mit grobem Quarz-
sand gemagerter Ton. Auf der Innenseite parallele Kammstriche.
Wegen der geringen Größe der Bruchstücke lassen sich weder die
Form des Gefäßes noch das Ornament rekonstruieren. Fundort:
Barra.
Stark petrifizierter Knochensplitter mit einer tiefen Längsrille.
Fundort: Barra.
Knochensplitter mit Rille. Fundort: Barra.
Unregelmäßig zugeschliffener Anhänger aus stark petrifiziertem
Knochen, einmal durchbohrt. Fundort: Barra.
Knochenobjekt undekannter Verwendung. Fundort: Barra.
Nicht bearbeiteter Rochcnstachel. Fundort: Barra.
Unregelmäßig geformtes Knochenstück mit Durchbohrung. Fund-
ort: Barra.
Unbearbeiteter Knochensplitter. Fundort: Barra.
Unbearbeiteter Knochensplitter. Fundort: Barra.
Unbearbeiteter Knochensplitter. Fundort: Barra.
Unbearbeiteter Knochensplitter. Fundort: Barra.
An einem Ende mäßig spitz zugeschliffene Splitter von dünnem
Röhrenknochen. Fundort: Barra.
Unbearbeiteter Knochensplitter. Fundort: Barra.
Unbearbeiteter Knochensplitter. Fundort: Barra.
Zwei unbearbeitete Knochensplitter. Fundort: Barra.
Rundliches Netzgewicht mit umlaufender Rille. L. 2,4. Chlorit-
schiefer. Fundort: Barra.
Längliches Netzgewicht mit umlaufender Rille. L. 2,8. Chlorit-
schiefer. Fundort: Barra.
Netzgewicht mit umlaufender Rille. L. 3,2. Chloritschiefer. Fund-
ort: Barra.
Längliches Netzgewicht mit umlaufender Rille. L. 3,0. Fundort:
Barra.
Längliches Netzgewicht mit umlaufender Rille. L. 3,6. Fundort:
Barra.
4
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
65
VB-14111
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VB-14120
VB-14121—
VB-14123
(T. V, Abb. 1)
VB-14126
(T. V, Abb. 4)
VB-14127
VB-14128
VB-14129
VB-14130
VB-14131
VB-14132
(T. V, Abb. 2)
VB-14133
(T. V, Abb. 3)
VB-14134 a
VB-14134 b
(T. IV,
Abb. 13,17)
VB-14134 c
(T. V, Abb. 10)
VB-14134 d
VB-14134 e
VB-14134 f
(T. IV, Abb. 23)
VB-14134 g
VB-14134 h
(T. IV, Abb. 20)
VB-14134 i
(T. V, Abb. 7)
VB-14134 j
(T. V, Abb. 9)
VB-14134 k
Unregelmäßig geformtes Netzgewicht mit umlaufender Längsrille.
L. 3,2. Chloritschiefer. Fundort: Barra.
Rundliches Netzgewicht mit umlaufender Rille. L. 3,9. Fundort;
Barra.
Längliches Netzgewicht mit umlaufender Rille. L. 2,9. Chlorit-
schiefer. Fundort: Barra.
Längliches Netzgewicht mit umlaufender Rille. L. 4,3. Chlorit-
schiefer. Fundort: Laguna Nord.
Bruchstück eines flachen meißelförmigen Steingerätes. Fundort:
Barra.
Wenig sorgfältig gearbeiteter (unfertiger?) Fuso. L. 5,3. Diabas.
Fundort: Barra.
Vierkantiger Steinmeißel. L. 6,2/Br. 1,2/St. 0,8. Diabas. Fundort:
Barra.
Vierkantiger Steinmeißel. L. 5,9/Br. 1,7/St. 1,3. Diabas. Fundort;
Barra.
Vierkantiger Steinmeißel. L. 5,6/Br. 1,35/St. 0,7. Diabas. Fundort:
Barra.
Bruchstück eines flachen Steinmeißels. Fundort: Barra.
Bruchstücke von Fusos. Fundort: Barra. (Abgebildet Ist Nummer
VB-14121).
Bruchstück eines Fuso. Fundort: Barra.
Bruchstück eines Fuso. Fundort: Barra.
Bruchstück eines flachen Steinmeißels. Fundort: Barra.
Bruchstück eines Steinobjektes unbekannter Verwendung mit je
einer breiten Längsrille auf beiden Seiten. Fundort: Barra.
Bruchstück eines Fuso. Feinkörniger schwarzer Diabas. Fundort:
Kap Santa Marta Grande.
Bruchstück eines Fuso. Fundort: Barra.
Bruchstück eines nadelförmig zugeschliffenen Steines. L. 3,8/größ-
ter Durchmesser 0,7. Fundort: Barra.
Bruchstück eines Fuso. Fundort: Barra.
Bruchstücke von Fusos mit je zwei umlaufenden Rillen. Diabas.
Fundort: Barra.
Fuso. Am oberen Ende Zapfen, am unteren Ende vier (nicht um-
laufende) Kerben. Basalt. L. 4,1. Fundort: Barra.
Wenig sorgfältig gearbeiteter Fuso mit zwei umlaufenden Rillen.
L. 4,5. Fundort: Barra.
Bruchstück eines Fuso. Fundort: Barra.
Bruchstücke eines hakenförmigen Steingerätes mit einer umlaufen-
den Kerbe am unbeschädigten Ende. Wahrscheinlich handelt es
sich um den Haken einer Speerschleuder.
Bruchstück eines Fuso. Fundort: Barra.
Fuso ohne Rillen. L. 4,6. Fundort: Barra.
Fuso mit einer umlaufenden Rille. L. 2,9. Fundort: Barra.
Fuso mit einer umlaufenden Rille. L. 4,7. Fundort: Barra.
Bruchstück eines Fuso mit vier umlaufenden Rillen. Fundort: Barra.
5 Baessler-Archiv IX
66
Walter, Sambaqui-Archäologie
VB-14134 1
(T. V, Abb. 6)
VB-14134 m
(T. V, Abb. 8)
VB-14134 n
VB-14135 a
VB-14135 b
(T.IV, Abb. 21)
VB-14135 c
(T. V, Abb. 5)
VB-14135 d
VB-14135 e
(T.IV, Abb. 19)
VB-14136 a—
VB-14136 z
(T.IV, Abb.l,
2, 3,4,5)
VB-14137 a
VB-14137 b
VB-14138 a—
VB-14138 g
(T. IV,
Abb. 7, 9,10)
VB-14139 a—
VB-14139 k
(T. IV,
Abb. 6, 8)
Fuso mit einer umlaufenden Rille. L. 3,0. Fundort: Barra.
Fuso mit einer umlaufenden Rille. L. 2,4. Diabas. Fundort: Barra.
Rhomboides Steingerät unbekannter Verwendung. L. 5,9/größte
Breite 2,2. Basalt. Fundort: Barra.
Fuso ohne Rillen. L. 4,8. Fundort: Barra.
Fuso ohne Rillen. L. 5,4. Weißer Milchquarz. Fundort: Barra.
Kleines doppelkonisches Steinobjekt, geschliffen. L. 2,3. Fundort:
Barra.
Flaches, ovales Netzgewicht (?) ohne Rille. L. 2,4. Fundort; Barra.
Fuso ohne Rillen. L. 5,0. Basalt-Mandelstein. Fundort: Barra.
26 meist kugelförmige Netzgewichte mit einer umlaufenden Rille.
Durschmesser ca. 1,5-2,0. Fundort; Barra.
2 kugelförmige Netzgewichte mit umlaufender Rille. Fundort: Barra.
7 Netzgewichte unregelmäßiger Form. Fundort: Barra.
11 Netzgewichte. Meist rechteckig, mit umlaufender Rille. Fundort:
Barra.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
67
14005
1-1007
Tafel I, Abb. 1; 6 Bruchstücke einer Urne vom Typ Arroyo Malo Painted
5*
Tafel I, Abb. 2: Bruchstück einer Schale vom Typ Arroyo Malo Impressed
(VB-14012)
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
69
Tafel III: 1-14025 / 2-14024 / 3-14013 / 4-14066 / 5-14030 / 6-14019 /
7-14029 / 8-14038 / 9-14020 / 10-14039 / 11-14042 / 12-14041 / 13-14043
Tafel IV: 1—10: Beispiele für die Nummern VB-14136, VB-14138 und VB-14139
11-14031 / 12-14032 / 13-14035 / 14-14036 / 15-14134 a / 16-14071 / 17-14134 b /18-14080 / 19-14135e /
20-14134 h / 21-14135 b / 23-14134 f / 24-14064 / 25-14026 / 26-14015 / 27-14016 / 28-14014
-4
o
Walter, Sambaqui-Archäologie
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
Tafel V: 1-14125 / 2-14132 / 3-14133 / 4-14126 / 5-14135 c / 6-14134 1 /
7-141341 / 8-14134 m / 9-14134j / 10-14134c / 11-14084 / 12-14085 /
13-14057 / 14-14060 / 15-14061 / 16-14058
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
73
TONTROMMELN IN EL SALVADOR1
W. HABERLAND, Hamburg
Während meiner ersten, fünfzehnmonatigen Reise in der mittelamerika-
nischen Republik El Salvador widmete ich einen großen Teil meiner Zeit der
dortigen Landesaufnahme, d. h. dem Leststellen von archäologischen Fund-
punkten einschließlich ihres Inhaltes. Zu diesem Zwecke kam ich weit im
Lande herum, besonders in seinem östlichen Drittel und besuchte auch den
Ort San Francisco Javier in Departamento Usulután am Fuße der östlichen
Vulkangruppe. Der Ort selber steht auf einer alten Siedlung, die der unteren
Lempa-Kultur (Lower Lempa Culture) angehört, welche an anderer Stelle
ausführlich beschrieben werden wird.
Wie immer sammelten sich eine Anzahl Einwohner, besonders Kinder
an, während ich mit meinen Begleitern Scherben aus den Wänden der
Straßeneinschnitte barg, um später an ihnen die Lundstelle näher zu be-
stimmen, und wie immer wurden bereits nach kurzer Zeit Lundstücke zum
Kauf angeboren. Unter ihnen erregte ein Stück meine besondere Aufmerk-
samkeit. Es handelte sich um ein doppelkonisches, in der Mitte bauchiges
Tonobjekt, das man leider kürzlich mit grauer Ölfarbe überzogen hatte. Das
Auffällige war, daß es keinen Boden, dafür aber zwei gegenständige Öff-
nungen besaß. Als Gebrauchsmöglichkeit blieb für dieses Objekt nach Er-
wägung verschiedener Möglichkeiten, so als Gefäßuntersatz (potstand), nur
die einer kleinen Handtrommel übrig, obwohl das Stück mit einer Höhe von
12,5 cm zunächst recht klein für diesen Zweck erschien. Trotz sorgfältiger
Entfernung der modernen Larbschicht konnten zwischen ihr und dem Ton
keine Larbreste festgestellt werden.
Dieses Stück blieb das einzige, das ich während meiner ersten Reise zu
Gesicht bekam. Es fanden sich auch keine Bruchstücke, vor allen Dingen
nicht an dem Hauptfundplatz der Unteren Lempa-Kultur, San Marcos
Lempa, obwohl der Boden hier mit Scherben übersät war und eine längere
Testgrabung durchgeführt wurde. Es muß aber berücksichtigt werden, daß
1 Die beiden Reisen wurden finanziell durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft,
die Wenner-Gren Foundation for Anthropological Research, das Instituto Tropical
de Investigaciones Científicas de El Salvador und die Deutsche Ibero-Amerika-
Stiftung in Hamburg unterstützt. Allen diesen Institutionen möchte ich an dieser
Stelle meinen Dank für ihre Unterstützung aussprechen, ebenso den folgenden
Personen, die die Veröffentlichung von Stücken ihrer Sammlungen erlaubten:
Señora R. de Chahin, Dr. Oscar Emeterio Salazar und Mr. Stanford Scherer,
alle San Salvador.
74
Haberland, Tontrommeln in El Salvador
Abb. 1. Tontrommeln aus El Salvador:
a) Aus San Francisco Javier; b) Sammlung Chahin; c) Sammlung Scherer.
Bruchstücke sich nur in den seltensten Fällen diesem Objekt werden zuweisen
lassen. Sicher können nur vollständige Objekte, oder wenigstens solche, die
von oben bis unten gesichert sind, identifiziert werden.
Während meines zweiten Aufenthaltes in El Salvador, im Jahre 1958,
hatte lieh Gelegenheit, eine größere Anzahl von Privatsammlungen zu be-
suchen und zu fotografieren. In ihnen fanden sich zwei weitere Exemplare,
je eines in der Sammlung Scherer und Chahin, beide San Salvador, mehrere
andere im Museo Nacional, die aber leider nicht fotografiert werden konn-
ten. Sie entsprachen generell unseren Exemplaren, sind aber dort fälschlich
als „Bienenkörbe“ bezeichnet, eine Funktion, für die sie viel zu klein sind.
Eine ähnliche, allerdings doppelte Trommel aus Ton fand sich in der um-
fangreichen Sammlung des kürzlich verstorbenen Dr. Oscar Emeterio Salazar.
Da bisher Tontrommeln aus El Salvador noch nicht beschrieben wurden,
ihr Vorkommen in den benachbarten Gebieten von Guatemala und Nicaragua
aber gesichert ist, soll hier eine genauere Untersuchung und Beschreibung
folgen, die möglicherweise die Kulturzusammenhänge erkennen läßt. Die
Trommel von San Francisco Javier wird dabei mit J (Abb. 1 ä und 2) be-
zeichnet werden, die der Sammlung Scherer mit S (Abb. 1 c) und die der
Sammlung Chahin mit C (Abb. 1 b). Beiden Exemplaren fehlt ebenso wie der
Doppeltrommel (Abb. 3) eine nähere Fundangabe. Genauere Tonuntersuchun-
gen konnten nur an der Trommel J durchgeführt werden, auf die sich die
unten stehenden Angaben beziehen. Die äußeren Faktoren stimmen für alle
drei Trommeln überein, soweit nicht extra Ausnahmen gemacht werden.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
75
Abb. 2. Schnitt durdi die Tontrommel
aus San Francisco Javier.
TON
Herstellungsmethode: Zunächst wurde ein hohler Doppelkonus,
der mit den Spitzen verbunden ist, wahrscheinlich aus dem Vollen her-
gestellt. Anzeichen für eine Spiralwulsttechnik liegen nicht vorn. Der Bauch
des Objektes wurde erst später herausgedrückt, wobei am oberen Umbruch
die Fingerabdrücke teilweise erhalten sind.
Magerung: Vulkanischer Sand, kleine, abgerollte Körner, Anteile von
Bims, Quarz und Obsidian (Prozentualer Anteil etwa in dieser Reihen-
folge).
Struktur : Feiner, fester Ton, Magerung gut gemischt und gleichmäßig
verteilt; hart zu brechen.
Farbe: Rot, 10 R 5/8 (nach Munsell Soil Color Charts), soweit er-
kennbar geht die Farbe durch das Stück hindurch.
Brennen: Vollständig oxydiert?
OBERFLÄCHE
Farbe: Bräunlich, ins Rötliche spielend, alle mit schwarzbraunen
Flecken.
Bearbeitung : Bauchteil roh, unregelmäßig, aber durch die Feinheit
der Magerung gewöhnlich ohne Löcher. Typisch ist, daß die Ränder und die
daran anschließenden Teile mit einem weichen Stoff- oder Lederlappen in
lederhartem Zustand geglättet wurden. Die dadurch innen und außen ent-
standenen feinen, parallelen Rillen täuschen zunächst eine Bearbeitung auf
der Drehscheibe vor.
Härte : 2,5—3 (Mobs-Skala).
76
Haberland, Tontrommeln in El Salvador
Abb. 3. Doppeltrommel aus Ton, Sammlung Dr. Oscar Emeterio Salazar.
FORM
Ränder: Direkt, gerundet, meist leicht ausschwingend.
Wanddicke: Bei J um 0,85 cm, Bauchdicke etwas dünner.
Gewöhnliche Form: Kugeliger Körper, an dem zwei Trichter
verschiedener Größe angesetzt sind. Der untere Trichter ist länger und
schmaler als der obere. Ihr Verhältnis ist 1:2 (J, S) oder 1 : 3 (C). Beide
Trichter schwingen etwas aus. Am Bauch befindet sich immer eine Schnuröse
mit waagerechter Durchbohrung (J = 0,9 cm), die entweder am oberen Ende
ansetzt (J, C) oder sich in der Mitte des Bauches befindet (S). Letztere
Schnuröse ist etwas langgezogen. In zwei Fällen (J, C) ist im unteren
Drittel des unteren Trichters, senkrecht unter der Schnuröse, eine Durch-
bohrung in das Innere angebracht.
Die Maße der Trommeln sind:
Höhe
Durchmesser, obere Öffnung
Durchmesser, untere Öffnung
J C S
12,5 cm 13,7 cm 13,9 cm
7,25 cm 6,9 cm 7,4 cm
6,1 cm 5,6 cm 6,25 cm
Sonderform : Doppeltrommel. Diese besteht aus zwei Einzelelemen-
ten, welche den oben beschriebenen sehr ähnlich sind. Unterschiedlich ist, daß
der untere Teil nicht wie ein Trichter ausgestaltet ist, sondern röhrenförmig.
Das Verhältnis oberer-unterer Teil ist wieder etwa 1 : 2. Weiterhin fehlen
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
77
Schnuröse und Durchbohrung. Statt dessen sind zwei (volle?), im Querschnitt
runde Verbindungen vorhanden: einmal zwischen der weitesten Stelle des
Bauches, zum anderen an der unteren Öffnung, also an der engsten und der
weitesten Stelle. Die Trommel ist 19,5 cm hoch, die untere Mündung hat
einen Durchmesser von 3,35 cm, die obere einen von 7,45 cm. Der Durch-
messer des Bauches beträgt 11,2 cm und die Breite des ganzen Objektes
24,4 cm.
Verzierungen : Keine.
Aus dieser Analyse ergibt sich, daß wir es mit einer recht einheitlichen
Gruppe zu tun haben. Es ist daher um so bedauerlicher, daß, mit einer Aus-
nahme (J), keine Fundorte bekannt sind. J stammt, wie schon eingangs er-
wähnt, aus San Francisco Javier, einem Fundplatz, der ausschließlich Gegen-
stände der Unteren Lempa-Kultur lieferte. Die Analyse verschiedener Ton-
hgurenteile ergibt, daß die Magerung bei einigen von ihnen aus den gleichen
Bestandteilen besteht und daß es sich in zwei Fällen um ähnliche Prozent-
sätze handelt. Die Stücke, die einwandfrei der Unteren Lempa-Kultur an-
gehören, entstammen den Fundorten San Marcos Lempa und Espiritu Santo.
Danach müßte angenommen werden, daß es sich bei den Tontrommeln um
Elemente der oben genannten Kultur handelt. Man würde dann allerdings
eine Bemalung erwarten, die bei allen vier Stücken fehlt (auch die Exemplare
des Museo Nacional weisen keine Bemalung auf). Dieses Fehlen läßt sich
wahrscheinlich nur durch den Gebrauchszweck erklären, durch den die Farbe
abgegriffen würde.
Bezüglich der Benutzung glaube ich, daß die Bespannung, wahrscheinlich
aus Tierhaut, über der weiteren (oberen) Öffnung saß und mit einem Band
an dem sich verjüngenden Teil gehalten wurde. An einem Band oder einer
Kette, welche an der Schnuröse und der unteren Durchbohrung befestigt war,
wurde die Trommel, eventuell beim Tanz, um den Hals getragen. Wegen
seiner Kleinheit dürfte dieses Instrument nur mit den Fingern geschlagen
worden sein.
Eine wichtige, vielleicht die wichtigste Frage ist, ob Trommeln dieser Art
bisher bereits gefunden wurden, welcher Kultur sie angehören und wie ihre
Zeitstellung ist. Für El Salvador bildet nur Longyear (1944, pl. IX, 24) noch
ein in der Form sehr ähnliches Stück ab, das aus der Sammlung Soundy in
Santa Tecla stammt (es steht in der Abbildung auf dem Kopf). Obwohl es
erheblich größer als die bisher erwähnten Stücke ist (18,5 cm) und mit einem
Ritzmuster verziert wurde, scheint es doch den oben erwähnten Stücken sehr
nahe zu stehen. Auf dem Foto weist es ebenfalls am oberen (weiteren) Rand
die charakteristischen Spuren der Glättung mit einem weichen Gegenstand
auf, wie dieses schon bei den anderen Trommeln nachgewiesen werden konnte.
78
Haberland, Tontrommeln in El Salvador
Longyear stellt das Stück, für das kein Fundort angegeben ist und das aus
dem Osten des Landes stammen soll, zu seinen „braunen Waren“. Diese
braune, ritzverzierte Ware ist aber nicht für den Osten von El Salvador
typisch, sondern scheint sich mehr auf den mittleren Teil zu konzentrieren,
von wo fast alle Gefäße dieses Typs stammen. Eine genaue Zuordnung
könnte aber erst nach einer eingehenden Untersuchung am Original erfolgen.
Ob dieses Stück eine Schnuröse besessen hat, erscheint fraglich.
Eine gute Zusammenstellung von Tontrommeln der nördlichen Gebiete
gibt R. E. Smith (1955, pp. 167—168). Er geht dabei von 36 Trommeln
oder Trommelteilen aus, die in Uaxactün gefunden wurden (ibid., p. 100)
und die, bis auf zwei recht zweifelhafte Objekte, in die Phase Tepeu 1 ge-
hören. Augenscheinlich haben wir es in dem Maya-Gebiet mit drei Formen
zu tun, die etwa kontemporär sind. Eine von ihnen wird als tonnenförmig
bezeichnet (ibid., pp. 167—168, fig. 41, b, 4), während eine andere, die nicht
in Uaxactün wie die erstgenannte, wohl aber in San Jose V (Thompson,
1939, pl. 22, b, 2), Tabasco (Richards, 1910, p. 79), Piedras Negras (Satter-
thwaite, 1940, fig. 1) und anderen Orten vorkommt, als glockenförmig zu
bezeichnen ist. Bemerkenswert ist bei diesem Typ, daß bei ihm augenschein-
lich die einzige andere Doppeltrommel auftritt, welche bis heute veröffent-
licht worden ist. Sie wurde in Tabasco gefunden (Richards, 1910, p. 79).
Neben dem tonnenförmigen Typ tritt in Uaxactün in der gleichen Anzahl
(16 Exemplare) noch eine als „lampenzylinderförmig“ bezeichnete Form auf
(Smith, 1955, p. 167, fig. 41, b, 1). Diese Form kommt unserem Typ sehr
nahe, doch scheint sich der untere, hier unvollständige Teil nach unten zu
verjüngen, während er bei den salvadorehischen Stücken wie der obere Teil
ausschwingt. Ein ähnliches Exemplar stammt aus Nebaj (Smith und Kidder,
1951, p. 72, fig. 83, d). Die Gliederung ist hier wiederum ähnlich, mit Bauch-
teil, weiterer Öffnung oben, engerer unten und sogar das Verhältnis oben-
unten scheint unseren Stücken zu entsprechen. Es sind aber auch erhebliche
Unterschiede zwischen dem Nebaj-Exemplar und den Tontrommeln aus El
Salvador vorhanden. Der untere Teil des erstgenannten Stückes ist gerade
und nicht ausschwingend und entspricht so mehr der salvadorehischen Dop-
peltrommel. Ferner scheint hier, wie auch an allen anderen Stücken, eine
Schnuröse zu fehlen. Parallelen zu dem Nebaj-Stück, und damit mindestens
zur Doppeltrommel, lassen sich weit nach Norden verfolgen, wenn auch die
Abstände zwischen den einzelnen Funden sehr erheblich sind und keinen Zu-
sammenhang erkennen lassen. So bildet Drucker zwei Trommeln von Upper
Tres Zapotes ab, bei denen augenscheinlich das schmalere Ende zur Über-
spannung benutzt wurde (Drucker, 1943, p. 41, fig. 11, c, d). Dieses in sich
gerade Ende besitzt einen nach außen umgebogenen Rand, während der
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
79
untere, etwas kürzere Teil nach außen weit ausschwingt. Ebenso wie hier ist
eine der von Isabel Kelly in der Phase Middle Chametla in Sinaloa gefun-
denen Tontrommeln mit einem Bauch versehen (Kelly, 1938, pl. 14, 1). Auch
bei diesem Exemplar wird angenommen, daß der längere, nur wenig nach
außen laufende Teil oben ist, während der kürzere Teil, der hier den glei-
chen Durchmesser wie oben hat, nach unten geht. Er erweitert sich gegen
den Rand hin nur geringfügig. Wenn auch all diese Typen nicht direkte Ent-
sprechungen darstellen, so scheinen sie doch in gewisser Elinsicht verwandt zu
sein und lassen eine erhebliche Ausbreitung dieser Form mit bauchigem
Mittelteil erkennen. Zeitlich scheinen sie allermeist der spätklassischen Zeit
anzugehören, wie die Stellung Tepeu I und Upper Tres Zapotes zeigen. Dieses
würde etwa mit der Datierung der Unteren Lempa-Kultur übereinstimmen
(Haberland, 1960, p. 27). Größenmäßig liegen sie eng beieinander, wobei die
salvadorenischen Stücke die kleinsten zu sein scheinen, wenn wir sie hier ein-
schließen wollen, während das größte Exemplar das aus Sinaloa mit 21,7 cm
Höhe zu sein scheint.
Die Tendenz der Unteren Lempa-Keramik ist aber nun nicht nach dem
Westen, d. h. nach Meso-Amerika gerichtet, sondern mehr nach dem Osten
und Süden, d. h. nach Zentral-Amerika (Haberland, 1959, S. 54), wenn auch
gewisse Einflüsse, vorzugsweise aus dem Mayabereiche, vorhanden zu sein
scheinen. Eine Durchmusterung der Funde aus dem anschließenden zentral-
amerikanischen Bereiche zeigt, daß Tontrommeln aus Honduras bisher nicht
bekannt geworden sind. Dagegen lassen sich für Nicaragua und Costa Rica
drei Grundformen feststellen. Zunächst ist ein tonnenförmiger Typ zu nennen,
sehr ähnlich dem oben erwähnten aus Uaxactün (Lothrop, 1926, fig. 168, b;
pl. CXXXIII, c; pl. CXXXIV, f. Stone, 1958, fig. 10 c—d). Diese Form,
die vor allen Dingen in Nicoya beheimatet gewesen zu sein scheint, von dem
es aber auch aus dem mittleren Teil des Landes, von Retes am Südhange des
Vulkanes Irazü drei Beispiele aus Holz gibt (Stone, 1958, fig. 10, g; Aguilar,
1953, pp. 40—42, fig. 10), wird von Stone als „Talamanca-Typ“ bezeichnet.
Sie soll noch heute bei den Talamanca und Guatuso Verwendung finden und
dort mit den Fingern geschlagen werden (Stone, 1958, p. 39). Dieses scheint
durch das Vorkommen des gleichen Typs in Chiriqui bestätigt zu werden
(Holmes, 1888, pp. 157—160, figs. 236—237). Fast alle diese Exemplare,
sowohl die aus Holz als auch die aus Ton, sind erheblich größer und er-
reichen fast 50 cm Höhe. Ein weiterer Typ dieses Gebietes ist zylindrisch
(Lothrop, 1926, fig. 168 a, pl. CXXXIII, a—b; pl. CXXXIV, a—e). Er
erinnert stark an Gefäßuntersätze.Als letzter ist unser Typ zu nennen, von
dem Lothrop zwei Exemplare abbildet, die beide polychrome bemalt sind
und in die Nicoya-Tradition gehören. Die eine Tontrommel stammt aus
80
Haberland, Tontrommeln in El Salvador
Nicoya selbst (ibid., fig. 169), während die andere, die mit einer Schnuröse
versehen ist, bei Santa Helena auf der Insel Ometepe im Nicaragua-See ge-
funden wurde (ibid., fig. 170). Der Fuß dieser letztgenannten Trommel ist
sehr weit, während der obere Teil schmaler und sehr niedrig ist. Nach Brans-
ford, der das Objekt ausgrub, fand sie sich in einer Urne, welche wahrschein-
lich eine Kinderbestattung enthielt (Bransford, 1881, p. 13, fig. 110).
So scheint es, daß keine der bisher in Meso- und Zentral-Amerika ge-
fundenen Tontrommeln ganz dem hier beschriebenen salvadorehischen Typ
entspricht. Am ähnlichsten ist noch die aus Nicoya stammende Trommel
(Lothrop, 1926, fig. 169). Dieses scheint wiederum die bereits an anderer
Stelle (Haberland, 1959, p. 54, und 1960, pp. 26—27) angedeutete Verbin-
dung der Unteren Lempa-Kultur in Zentral-Amerika zu bestätigen, ebenso
wie den Einfluß der polychromen Keramik der Nicoya-Tradition auf das öst-
liche El Salvador (Haberland, 1959, pp. 56—57). Ob auch eine Verbindung
zu den „lampenzylinderförmigen“ Tontrommeln des Maya-Gebietes bestanden
hat, scheint noch nicht genügend geklärt, ist aber nicht sehr wahrscheinlich.
Allerdings müßten hier weitere Funde, besonders solche, die zeitlich gesichert
sind, Klärung schaffen. Diese können auch zu der Frage beitragen, wo diese
recht verbreitete Art der Tontrommeln ihren Ausgang genommen hat. Alle
zeitlichen Hinweise deuten auf ein recht spätes Auftreten, das etwa mit der
spätklassischen Zeit des Maya-Gebietes zusammenfallen könnte.
LITERATURVERZEICHNIS
Aguilar P., Carlos PL, 1953: Retes. Un depósito arqueológico en las faldas del Irazú;
Universidad de Costa Rica, Sección: Tesis de Grado y Ensayos, No. 5; San
José de Costa Rica.
Bransford, J.F., 1881: Archaeological Researches in Nicaragua; Smithsonian Contri-
butions to Knowledge, vol. XXV, no. 383; Washington.
Drucker, Philip, 1943: Ceramic Sequences at Tres Zapotes, Veracruz, Mexico;
Smithsonian Institution, Bureau of American Ethnology, Bulletin 140;
Washington.
Haberland, Wolfgang, 1959: Zentralamerika: Begriff, Grenzen und Probleme;
Amerikanistische Miszellen (= Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde,
Bd. XXV), pp. 53—59; Hamburg.
—, 1960: Ceramic Sequences in El Salvador; American Antiquity, vol. 26, no. 1,
pp. 21—29; Salt Lake City.
Holmes, William H., 1888: Ancient Art of the Province of Chiriqui, Colombia;
6th Annual Report, Bureau of Ethnology, pp. 1 —187; Washington.
Kelly, Isabel T., 1938: Excavations at Chametla, Sinaloa; Ibero-Americana, No. 14;
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Longyear, John M., HI, 1944: Archaeological Investigations in El Salvador;
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vol. IX, No. 2; Cambridge, Mass.
Lothrop, Samuel K., 1926: Pottery of Costa Rica and Nicaragua; Museum of the
American Indian, Heye Foundation, Contributions, vol. VIII; New York.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
81
Rickards, Constantine George, 1910: The Ruins of Mexico; London.
Satterthwaite, Linton, 1938: Maya Dating by Hieroglyphic Styles; American
Anthropologist, n. s., vol. 40, no. 3, pp. 416—428; Menasha, Wise.
Smith, A. Ledyard, und Alfred V. Kidder, 1951: Excavations at Nebaj, Guatemala;
Carnegie Institution of Washington, Publication 594; Washington.
Smith, Robert E., 1955: Ceramic Sequence at Uaxactún, Guatemala; Middle
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Stone Doris Z., 1958: Introducción a la Arqueología de Costa Rica; Museo Nacional;
San José de Costa Rica.
Thompson, ]. Eric S., 1939: Excavations at San José, British Honduras; Carnegie
Institution of Washington, Publication 506; Washington.
6 Baessler-Archiv IX
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
83
DAS BERLINER PHONOGRAMM-ARCHIV
KURT REINHARD, Berlin
Es ist fast schon zu einer Tradition des Berliner Phonogramm-Archivs ge-
worden, von Zeit zu Zeit in einer wissenschaftlichen Zeitschrift einen Rechen-
schaftsbericht vorzulegen. Abgesehen von einem kleinen Artikel im „Journal
of the International Folk Music Council“, VI (1954), erschien der letzte
Bericht des Verfassers in „Die Musikforschung“ VI (1953), wo auch die
früheren Rapporte von Stumpf, von Fiornbostel und Schneider angeführt
sind.
Der vor acht Jahren erhoffte erfolgreiche Wiederaufbau des immer noch
einzigen deutschen musikethnologischen Forschungsinstituts konnte inzwischen
zum größten Teil verwirklicht werden, obwohl die finanzielle Situation noch
keineswegs dem erforderlichen Maße entspricht. An dem damals bekannt-
gegebenen 90prozentigen Ausfall innerhalb der alten Bestände hat sich prak-
tisch zwar nicht sehr viel geändert, erfreulicherweise gerieten die Walzen
aber nicht — wie damals vermutet werden mußte — in Verlust. Ein großer
Teil von ihnen konnte gerettet werden, wiewohl er uns nicht zugänglich ist.
Vollständig haben sich im Archiv jetzt aber die alten Reisejournale mit den
Listen und Erläuterungen zu den früheren Aufnahmen wieder eingefunden.
Die Bemühungen, mit ehemaligen Sammlern Verbindung aufzunehmen,
um bei ihnen möglicherweise lagernde Walzenkopien für Bandumschnitte zur
Verfügung gestellt zu bekommen, hatten hier und da Erfolg. So entlieh uns
Frau Koch-Grünberg beispielsweise die noch fast vollständige Kollektion
ihres Mannes; die Indiana-University übersandte uns dank der Initiative von
George List Bandkopien der alten, 120 Walzen umfassenden Demonstrations-
sammlung von Fiornbostels. Das Völkerkunde-Museum München sowie das
Völkerkundliche Institut der Universität Tübingen überließen uns sogar un-
mittelbar eine große Zahl von Walzen. Damit konnte der Verlust an Phono-
grammen im Archiv selbst von 90 auf etwa 80 % gesenkt werden. Die also
vorhandenen 20'% sind alle verwendbar, da die vor acht Jahren von den
geretteten Galvanos noch nicht wieder gegossenen Kopien inzwischen eben-
falls hergestellt wurden.
Neben der Restaurierung der alten Walzenbestände konnte in den jetzt
fast 13 Jahren des Wiederbestehens des Archivs vor allem aber eine recht
umfangreiche Sammlung von Tonbandaufnahmen angelegt werden, die zu
dem Schluß berechtigt, daß das Berliner Phonogramm-Archiv bereits jetzt den
ehemaligen Umfang wieder erreicht hat. Vielleicht nicht zahlenmäßig, wohl
aber qualitativ bezüglich der wissenschaftlichen Auswertbarkeit.
6»
84
Reinhard, Das Berliner Phonogramm-Archiv
Eine Phonogramm-Aufnahme kann ja keineswegs jede Art von Musik
vollkommen wiedergeben, z. B. etwa keine Ensembles. Im übrigen sind die
dynamischen Verhältnisse der beteiligten Sänger und Spieler verzeichnet, die
Klangfarben bleiben wegen der Begrenzung des Frequenzbereichs auf etwa
200 bis 5000 Hertz unausgeprägt, der Rauschpegel (Kratzgeräusch) über-
deckt einen großen Teil der musikalischen Feinheiten. All diese und andere
Mängel werden dadurch kaum wettgemacht, daß die Phonogramme — zu-
mindest, sofern sie zeitlich weit zurückreichen — oft einen noch unverfälsch-
ten Musikstil festhalten, der für die Forschung an sich von außerordentlicher
Bedeutung ist. Was nutzt es jedoch bei alledem, wenn das Klangbild nur ein
Torso ist. Dafür vermittelt das Tonband einen wesentlich objektiveren Ein-
druck, der auch viel mehr Aspekte für die wissenschaftliche Auswertung er-
öffnet. Nicht zuletzt muß der Musik selbst jetzt kein zeitlicher Zwang mehr
angetan werden, während eine Walze ja nur zwei Minuten lief. Wie un-
vollkommen mußte da fast immer der zwangsweise gewählte Ausschnitt sein;
man denke nur an ausgedehnte, in immer weiteren Varianten sich erst recht
entfaltende Instrumental- und auch Vokalstücke.
Ein großer Teil der neu angelegten Tonbandsammlung besteht aus Kopien
originaler Aufnahmen von Forschern, Journalisten usw., die nicht zum enge-
ren Mitarbeiterkreis des Archivs gehören, uns aber dankenswerterweise und
zumeist unentgeltlich ihr Material für Umschnitte überließen. Stets wird den
Betreffenden eine schriftliche Versicherung gegeben, daß ihre Aufnahmen
„Nur für wissenschaftliche und nicht für kommerzielle Zwecke“ zu verwen-
den sind. Auch eine wissenschaftliche Publikation nach solchen Aufnahmen
wird niemals ohne Zustimmung des Urhebers vorgenommen. Allerdings ver-
binden die Sammler mit der Überlassung ihres Materials ihrerseits oft den
Wunsch, daß die Aufnahmen von uns bearbeitet werden.
Ein anderer Teil des Archivs enthält Aufnahmen, die von in Berlin oder
sonstwo in Europa weilenden bzw. auftretenden fremdländischen Musikern
gemacht wurden. Die für uns wertvollsten Bänder stammen aber von Reisen
eigener Mitarbeiter, die als Sachkenner die Auswahl ihrer Aufnahmen, die
notierten Texte und Erläuterungen schon von vornherein im Hinblick auf die
künftige Auswertung hin anlegen. Von diesen Aufnahmen lagern auch die
Originale im Archiv, ebenso gehören hier alle Rechte dem Institut. Unter
diese wichtigste Gruppe unserer Bestände fallen die Sammlungen von Chri-
stensen, Disselhoff-Walter, Koch, Laade, Munser, Reinhard, Seipoldy usw.
In einem Hauptkatalog sind alle Aufnahmen, auch Platten und Walzen,
geographisch erfaßt, zwei zusätzliche, nach der musikalischen Besetzung bzw.
nach Inhalt und Zweckbestimmung gegliederte Karteien sind in Arbeit. Ein
gedruckter Katalog konnte bisher leider nicht vorgelegt werden. An seiner
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
85
Stelle wird hier eine summarische Übersicht über die derzeitigen Gesamt-
bestände gegeben. Die zunächst erscheinende Aufzählung der Sammler knüpft
an die Handhabung in dem genannten Tätigkeitsbericht von Hornbostels an.
Sammler von Phonog rammen1
Ankermann (1909, Kamerun, 3). Archiv (1937, Ewe, 2), (1902,
Indien, 2), (1901, Japan, 2), (1909, Jaunde, 1), (1909, Kamerun, 1), (1911,
Samojeden, 1), (1909, Schweiz, 10), (1900, Siam, 1), (1907, Singhalesen, 1),
(1910, Somali, 1), (1909, Sudan, 1), (1904, Tunis, 1).
Bachmann (1911, Ostafrika, 2). B a d e n (Baden, 3). Bake (1931/32,
Indien, 5). B a r t 6 k (1936, Türkei, 65). Beagle-Bay-Mission (1910,
Australien, 1). Boas (um 1900, Thompson-River-Indianer, 1). Brüning
(1910, Peru, 10).
Crazzolara (1937, 1952/53, Uganda, 16). Czekanowski
(1907/08, Ostafrika, 1).
Dempwolff (1910, Sandawe, 2), (1906, Südsee, 3), (1910, Suaheli, 3).
D i r r (1914, Kaukasien, 29). Dubois-Reymond (1908/09, China, 15).
Evans-Pritchard (1926/30, Nordostkongo, 86).
Findeisen (1927/28, Sibirien, 2). Frizzi (1911, Salomonen, 5).
Frobenius (1937/38, Westaustralien, 4). Furlong (1907/08, Feuer-
land, 1).
Hagen (vor 1910, Sumatra, 3). Hamb ly (1929/30, Angola, 50).
Hambruch (Murino, 1). Handschin (Finnland, 1). Herskovitz
(1929, Suriname, 3), (Westafrika, 3). Herzog (1929, Navaho, 1). Ho-
cart (1908, Salomonen, 3). von Hornbostel (1906, Pawnee, 1).
Idelsohn (1913, Palästina, 1).
Jong (Indonesien, 3). Jonker (1899/1902, Timor, 14).
Kampfhenkel (1935/36, Brasilien, 1). Kissen berth (1908/09,
Brasilien, 1). Koch-Grünberg (1911/13, Brasilien, 50). Krämer
(1907, Mikronesien, 10). Krieger (1952/53, Nigeria, 19). Kroeber
(University of California 1907, Requa-Indianer, 1). Kunst (1922—31, In-
donesien, 10). Küppers (1937, Balkan, 6). Küsters (1926/28, Ost-
afrika, 98), (1926/28, Wamuera, 81), (1926/28, Zulu, 83).
L a m a n (1911, Kongo, 7). Landtmann (1910, Neuguinea, 1). Lau-
rell (Australien, 1). Leber (1911, Samoa, 1). Le Coq (1909, Ost-
turkestan, 3). Leden (1909, Eskimo, 4). Lehmann-Nitsche (1905,
Neben den in Klammern angegebenen Aufnahmejahren und Sammlungsgebieten
befindet sich die Zahl der Walzen. Die Zahl der Aufnahmen liegt durdischnittlidi
um etwa ein Viertel höher.
86
Reinhard, Das Berliner Phonogramm-Archiv
Argentinien, 30), (1909, Bolivien, 1). Lett (1909, Enggano, 1). Lichten-
eck er (1931, Südafrika, 29). Li ne ff (Rußland, 1). Lück (1936,
Nias, 16).
Mahler (Rußland, 1). Mattner (vor 1910, Ostafrika, 1). Mein-
hof (1902/03, Ostafrika, 1). Müller, Herbert (1912/13, China, 54).
Müller (Philippinen, 2).
Nadel (1936, Nigeria, 30). N e u h a u ß (1910, Neuguinea, 102).
P aas che (1910, Ostafrika, 7). Pathe (Rumänien, 8). Pelissier
(1911/12, Rußland, 27). Phonograph Ische Kommission (1915
bis 1919; Europa, 29; Rußland, 27; Kaukasus, 50; Vorderer Orient, 30;
Neger, 27; Ostasien, 17). Preuß (1905/07, Mexiko, 8).
Quick (1932, Südafrika, 15).
Roes icke (Kaiserin-Augustafluß-Expedition 1912/13, Neuguinea, 28).
Rosen (1905, Abessinien, 24). Rudel (1908—12, Borneo, 96), (1909,
Java, 14), (1912, Sibirien, 1), (1913, Celebes, 1).
Schachtzabel (1913, Angola, 5). Scherman (1911, Birma, 41).
Schiffer (1932/33, Ägypten, 19). Schl unk (1909/10, Togo, 12).
Schoede (1908/09, Sumatra, 13). Schumacher (1929/30, Ruanda, 4).
Schwarz (1906, Ostafrika, 4). Selenka (1907, Ceylon, 1), (1907, Java,
1). Seyfried (1906—09, Ostafrika, 6). Siemer (1936, Karolinen, 31).
Smend (1905, Togo, 10), (1905, Westafrika, 12). Spannaus/Stülp-
ner (1931, Mosambik, 3). Stephan/Schlaginhaufen (Deutsche
Marine-Expedition 1907/08, Neumecklenburg, 56). von Sydow (1937/39,
Haussa, 12).
Tauern (1912, Indonesien, 2). Tessmann (1907, Pangwe, 3).
Thurnwald (1906, China, 11), (1907, Melanesien, 51), (1913, Neu-
guinea, 4), (1930, Ostafrika, 48). Träger (1903, Tunis, 2).
Uhlig (1910, Ostafrika, 49).
Wald mann (Rußland, 4). Walter/Werkmeister (1911, Ja-
pan, 1). Weiß (1913, Südchina, 30), (1913, Westchina, 8). Werthei-
m e r (1906, Prag; Hebräisch, 5). Wheelright (Navaho, 4), (Pueblo, 1).
W i n t h u i s (Neupommern, 16). Wustmann (1934/36, Lappland, 12).
Folklore-Archiv Ankara (1945/55, Türkei, 13).
Zahn (1928/32, Neuguinea, 24). Z ö h r e r (Nordafrika, 31).
S am mler von originalen Platten aufnah men
(Folienschnitte)
Canadian-Broadcasting-Corporation (NW-Indianer,
12). IG Farben (Mittelamerika, 4). Körner (um 1935, China, 7).
Linga (1950, Mexiko, 13).
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
87
Sammler von Tonband-Aufnahmen2
Ackermann (1958, Nordrhodesien, 10). Archiv (1957, Bali, 1),
(1958, Bulgarien, 3), (1953, Ceylon, 15), (1956, China, 5), (1960, Deutsch-
land, 9), (1959, Hawaii, 7), (1959, Israel, 25), (1959, Neuguinea, 1), (1953/
54, Ostdeutschland, 750), (1958, Schweden, 1).
Bethge (1955, Ceylon, 12). Bjerre (1953, Himalaya, 15). Bose
(1956, Ceylon, 1). Brey ne (1953, Südafrika, 7).
Capitol-Film (1953, Zulu, 15). Caspar (1957, Brasilien, 3).
Christensen (1956, Mazedonien, 125), (1957, 1960, Hercegovina, 227),
(1958, Kurdistan, 100). Christensen, Berlin (1959, Kurden, 43).
C 1 a s s e (1959, Kanarische Inseln, 3).
Daudistel (1957/58, Island, 149). Disselhoff/Walter (1958,
Bolivien, 45). D i 11 m e r (1954, Westafrika, 223). Divina-Film-Ges.
(1953, Ceylon, 5).
Eberhard (1951, Türkei, 125).
Finnische L i t. Ges. (Lappen, 26). Fischer (1958, Neuguinea,
637). Forchert (1959, Japan, 9).
Haberland (1951/52, Äthiopien, 55). Hel f ritz (1956, West-
afrika, 73),
Keil (1958, Birma, 20). Keim (1959, Bolivien, 32). K hatschi (1960
/61, Iran, 18). Knoop-Film- Ges. (1956, Indien, 16). Knorr (1952/53,
Westafrika, 11). Koch (1951/52, Samoa, 20), (1960/61, Ellice-Islands, 221).
Laade (1955, 1956, 1958, Korsen, 400), (1955, Provence, 30), (1957,
Tschechoslowakei, 127), (1960, Tunesien, 591). Laade, Berlin (1955,
Ceylon, 22), (1956, 1957, 1959, Indien, 43\ (1956, Asien, 6), (1956, Vor-
derer Orient, 25), (1956, Schotten, 88), (1956, Europa, 9), (1956, Afrika, 2),
(1956, USA, Weiße, 28). Laade,/Christensen (1955, Lappland, 164).
Manik (1959, Indonesien, 2). Mühe (1959, Bulgarien, 38). M uns er
(1956, Lappland, 141).
von Nebesky-Wojkowitz (1956/57, Himalaya, 11). NHK
(1960, Ainu, 25). Niemann (1955, Spanien, 1). Norindr (1955, Laos,
12). NWDR (1952, Indien, 5).
Oberem (1955, Südamerika, 12). Oslo-Radio (1955, Europa, 25).
Prill (1957, Japan, 6).
2 Hier ist — als letztes in den Klammern — die Zahl der einzelnen Aufnahmen
vermerkt. Nähere Angaben fehlen überall da, wo die Urheberrcchtslage noch
nicht geklärt bzw. wo die Archivierung noch nicht abgeschlossen ist. Wenn, durch
ein Komma von dem Sammlername getrennt, ein Ort angegeben ist, so wurden
die Aufnahmen dort und nicht in dem in der Klammer angegebenen Herkunfts-
gebict der Ausführenden gemacht. „Archiv“ bedeutet stets Aufnahmen im Phono-
gramm-Archiv selbst.
88
Reinhard, Das Berliner Phonogramm-Archiv
Radio Bremen (1959, Europa, 12). Radio Brünn (1957, Tsche-
choslowakei, 12). Radio Luxemburg (1955, Luxemburg, 1). Raffelt
(1949, 1952, Vorderer Orient, 8). Reinhard (1955, 1956, Türkei, 828),
(1957, Fehmarn, 15), (1957, Dänemark, 37), (1960, Slowenen, 25), (1960,
Österreich, 9). Reinhard, Berlin (1952, 1958, 1959, Indien, 43), (1952,
Lappen, 8), (1955, 1957, Brasilien, 7), (1955, Mallorca, 33), (1956, Afrika,
29), (1956, Westafrika, 1). Reinhard, Oslo (1955, Europa, 146).
Reinhard, Wetzlar (1955, Europa, 35). RIAS (1952, Indien, 5),
(Lappen, 3). Roxy-Film (1957, Ägypten, 18).
Salchow (1954, Siam, 12). Scheepers (1959, Holland, 42).
Schmitz (1958, Neuguinea, 75), Schnabel (1953, Ostafrika, 15).
Schomburgk (1956, Afrika, 22). S e i p o 1 d y (1959/60, Lappland, 120).
SFB (1959, Indien, 12), (1959, Japan, 10), (Pakistan, 12). So leck i (1959,
Kurdistan, 49). S t o r r e r (1955, Westafrika, 27).
Uppsala-Archiv (1958, Lappland, 17).
Weinhold (1958, Rumänien, 11). Westphal-Hellbusch (1955/
56, Irak, 43). Wingenfeld (1955, Ceylon, 3), (1953, Libanon, 3). Wol-
fram, Biarritz und P a m b 1 o n a (1953, Asien, 3), (1953, Europa, 21).
Zerr i es/ Schuster (1954, Venezuela, 140).
ÜBERSICHT ÜBER DEN BESTAND3
Europa (243, 729, 3165, zusammen 4137):
Albanien (—, 12, 62). Basken (16, 5, 4). Bulgarien (1, 20, 31). Däne-
mark (—, 3, 44). Deutschland (6, 3, 816). England (—, 26, 14). Finnland
(1, 1, 14). Frankreich (—, 4, 48). F., Korsen (—, 28, 400). Griechenland
(7, 42, 7). Holland (—, —, 44). Irland (—, —, 14). Island (—, —, 159).
Italien (—, 5, 3). Juden (2, 39, 1). Jugoslawien (3, 106, 100), J., Hercego-
vina (—, —, 227), J., Mazedonien (—, 16, 125). Lappland (31, 8, 478).
Litauen (—, 3, —). Luxemburg (—, —, 1). Norwegen (—, 6, 76). Öster-
reich (—, 4, 35). Polen (—, 19, 59). Portugal (—, 16, —). P., Azoren
(—, 73, —). Rumänien (17, 23, 10). Rußland (156, 87, 6). Schottland (—,
6, 159). Schweden (—, 8, 15). Schweiz (1, 2, —). Spanien (—, 57, 45).
Tschechoslowakei (2, 56, 168). Ungarn (—, 18, —). Zigeuner (—, 33, —).
3 Einschließlich der Industrie-Schallplatten. Stand vom Mai 1961. Hinter den
Ländern, Landschaften oder Völkern ist in Klammern die Anzahl der Aufnahmen
vermerkt, und zwar getrennt nach Phonogramm-, Schallplatten- und Tonband-
aufnahmen.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
89 .
Vorderer Orient (358, 589, 1940, zusammen 2879):
Ägypten (61, 45, 55). Algerien (65, 25, —). Arabien (und arabisch)
(1, 41, —). Armenien (8, 50, —). Aserbeidschan (1, 14, —). Drusen (—,
45, 43). Israel (11, 68, 26). Kaukasien (70, 36, 2). Kurdistan (—, 23, 211).
Libanon (—, 19, 12). Marokko (3, 38, —), Mauretanien (—, 2, —). Persien
(—, 34, 18). Sahara (—, 7, —). Syrien (—, 7, 17). Türkei (116, 95, 965).
Tunesien (22, 32, 591).
Afrika (839, 596, 499, zusammen 1934):
Allgemein (15, —, 3).
Westafrika (134, 307, 367): Allgemein (5, 4, 21). Dahomey (—,
31, 2). Elfenbeinküste (—, 48, 37). Goldküste (—, 24, 26). Guinea (3,40, 22).
Kamerun (4, 19, —). Liberia (—, 44, 15). Nigeria (73, 71, 30). Ober-Volta
(—, —, 202). Senegambien (2, 12, 2). Sierra Leone (—, 5, —). Sudan (1,
7, 10). Togo (46, 2, -).
Zentralafrika (99, 150, 19): Allgemein (—, 4, —), Äquatorial-
afrika (—, 24, —). Kongo (99, 120, 16). Tschad (—, 1, 3). Ubangi-Schari
(- 1, -)•
Südafrika (172, 19, 54): Angola (5, —, —). Südafrikanische Union,
Neger (außer Zulu) (80, 12, 30), S. U., Buschmänner (5, 5, —), S. U., Inder
(1, —, 2), S. U., Malaien (—, —, 4), S. U., Zulu (81, 2, 18).
Ostafrika (419, 120, 56): Allgemein (4, 2, —). Ägyptischer Sudan
(—, 2, —). Äthiopien (26, 29, 55). Kenya (—, 3, —). Kilimandscharo (74,
1, —). Madagaskar (—, 2, —). Mosambik (5, 4, —). Nyassa (196, 6, —).
Sansibar (4, —, —). Somali (3, —, —). Suaheli (8, 11, 1). Tanganjika (46,
37, —). Uganda (53, 23, —).
Asien (435, 878, 369, zusammen 1682):
Südasien (9, 208, 251): Afghanistan (—, 4, —). Ceylon (1, 5, 72),
C., Wedda (1, —, 1). Indien (1, 25, 24), L, Nord (1, 81, 81), L, Süd (—,
29, 14), L, Tamilen (—, 31, 1). Nepal (4, 1, 11). Pakistan (1, 29,31). Sikkim
(-, 3, 16).
Zentral- und Nordasien (18, 57, 3); Allgemein (4, 14, —).
Mongolei (—, 7, —). Tibet (11, 8, 3). Turkestan (3, 7, —). Usbekistan (—,
21, -).
Ostasien (141, 397, 66): China (99, 147, 12), C., Miao (1, —, —),
C., Lolo (27, —, —). Japan (3, 227, 29), J., Ainu (—, —, 25). Korea (11,
23, —).
90
Reinhard, Das Berliner Phonogramm-Archiv
Südostasien (267, 216, 49): Allgemein (—, 4, —). Birma (9, 21, 19),
B., Volksmusik (68, —, —). Indonesien (23, 6, 3), L, Bali (1, 38, 1), L, Bor-
neo (94, 22, —), L, Flores (12, —, —), L, Java (15, 20, —), L, Nias
(19, —, —), L, Sumatra (19, 4, —). Kambodscha (—, 1, —). Laos (—, 7,
12). Malaya (4, 15, 1). Malaka (—, 3, —). Philippinen (2, 33, —). Siam
(1, 25, 12). Vietnam (—, 17, 1).
Ozeanien (410, 166, 960, zusammen 1536):
Australien (34, 45, —): Norden (1, 9, —), N., Arnheimland (—,
23, —). Westen und Süden (9, —, —). Zentral-Australien (10, —, —), 2. A.,
Aranda (14, —, —), 2. A., Pitjantjara (—, 13, —).
Melanesien (324, 80, 712): Admiralitätsinseln (4, 1, —). Bismarck-
Archipel (98, 23, —). Neuguinea (—, 4, —), N. G., Huon-Golf-Gebiet (117,
19, 712), N. G., Nordostküste (26, 19, —), N. G., Sepik-Gebiet (36, 7, —),
N. G., Süden (1, —, —). Salomonen (42, 7, —).
Mikronesien (50, —, —): Karolinen (50, —, —).
Polynesien (2, 41, 248): Ellice-Islands (—, —, 221). Gesellschafls-
inseln (—, 25, —). Hawai (—, —, 7). Marquesas-Inseln (—, 3, —). Neusee-
land (—, 13, —). Samoa (2, —, 20).
Amerika (128, 567, 301, zusammen 996):
Nordamerika (14, 223, 46): Alaska, Eskimo (—, 22, —). Britisch-
Kolumbien, Indianer (1, —, —). Grönland, Eskimo (—, —, 10). Kanada,
Indianer (1, 1, —), K., Blood-Indianer (—, 7, —), K., Cree-I. (3, 8, —),
K., Eskimo (—, 4, —), K., Irokesen (—, 32, —), K., Kwakiutl u. Nutka
(—, 12, —), K., Schwarzfuß-I. (—, 2, —). USA, Weiße (—, 6, 31), USA,
Neger (—, 58, 5), USA, Irokesen (—, 1, —), USA-Süd, Indianer (9, 69, —),
USA, Kreolen (—, 1, —).
Mittelamerika (8, 135, —); Mexiko, Indianer (8, 62, —), M.,
Kreolen (—, 2, —). Westindische Inseln, Neger (—, 2, —), W. I., Mischlinge
(—, 9, —), W. L, Inder (—, 1, —), W. I., Carriacou (—, 22, —), W. I.,
Haiti (—, 37, —).
Südamerika (106, 209, 255): Amazonas-Gebiet (—, 39, —). Argen-
tinien, Weiße (30, 18, —), A., Feuerland (2, —, —). Bolivien (1, 32, 77).
Brasilien, Indianer (45, 35, 14), B., Neger (—, 37, 7), B., Mischlinge (—,
3, —). Ekuador, Indianer (—, —, 12). Guyana, Oyanas-Caraiben (—, 14,
—). Peru, Indianer (10, 11, 5). Surinam, Neger (9, —, —). Venezuela, Weiße
(9, —, —), V., Indianer (—, 7, —), V., Waika-Indianer (—, —, 140), V.,
Kreolen (—, 3, —), V., Mestizen (—, 5, —), V., Neger (—, 5, —).
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
91
Insgesamt: Aufnahmen auf Phonogramm-Walzen 2413
Aufnahmen auf Schallplatten 35174
Aufnahmen auf Tonbändern 7234
Gesamtzahl der Aufnahmen: 13164
Arbeitsprogramm und Aufgabengebiet des Berliner Phonogramm-Archiys
sind nicht nur geblieben, sie konnten und mußten sogar erweitert werden.
So wurden z. B. der internationale Austausch, die Zusammenarbeit mit
anderen Institutionen, Forschern usw. wesentlich intensiviert. Die täglichen,
im Programm monatlich wechselnden Musikvorführungen im Museum für
Völkerkunde sind inzwischen zum festen Bestandteil der Museumsarbeit ge-
worden. Leider muß hier seit einiger Zeit allerdings auf die Wiedergabe
von Schallplatten verzichtet werden, da die GEMA, obwohl es sich aus-
schließlich um Platten, meist ausländische Platten, mit Volks- und außer-
europäischer Kunstmusik, und dazu noch um Zwecke der Volksbildung han-
delt, laufende Berichte über die Programme und eine eventuelle Lizenz-
gebührenzahlung verlangt hat, die allein aus personellen und finanziellen
Gründen nicht durchgeführt werden können.
Die apparative Ausstattung wurde in den letzten Jahren entscheidend
verbessert. Neben einem Studiogerät und mehreren anderen, für Kopier- und
Abhörzwecke zur Verfügung stehenden Magnetophonen besitzt das Archiv
allein drei Batterie-Tonbandgeräte, die für Expeditionen ausgeliehen werden
können.
1959 siedelte das Phonogramm-Archiv aus den Dahlemer Museums-
räumen in eine eigene Etage eines der dem Museum für Völkerkunde zur
Verfügung gestellten Magazingebäudes in Berlin-Lichterfelde um. Hier sind
jetzt nicht nur genügend Räume für das Archiv, die Kataloge, die tech-
nischen Einrichtungen, für Arbeits- und Studienzwecke sowie für Seminare
vorhanden, es konnte auch der langgehegte Wunsch auf Angliederung einer
Instrumentensammlung verwirklicht werden. Aus den Musikinstrumenten-
Beständen aller Abteilungen des Völkerkunde-Museums wurde eine reprä-
sentative Auswahl getroffen, die als Studiensammlung für die hier arbeiten-
den Studenten und auch für Einzelbesucher gedacht ist. Die Kollektion wird
immer weiter vervollständigt, und im Zuge ihres Ausbaus wird der Gesamt-
bestand des Museums an Musikinstrumenten erstmalig5 wissenschaftlich er-
faßt, photographiert, identifiziert, klassifiziert und aufs Genaueste be-
schrieben.
4 Darunter 49 originale Aufnahmen auf Plattenfolien.
5 Der von Gurt Sachs im ersten Weltkrieg angelegte beschreibende Katalog der
Instrumente Indiens und Indonesiens wurde nie gedruckt, vor allem aber ging
auch das Manuskript verloren.
92
Reinhard, Das Berliner Phonogramm-Archiv
Die Personalfrage ist noch nicht zur vollen Zufriedenheit geklärt. Ge-
nehmigt wurden jetzt zu der schon vorhandenen „nebenamtlichen“ Stelle des
Leiters je ein wissenschaftlicher und ein technischer Assistent. Daneben sind
zur Zeit drei Notstandsangestellte im Archiv tätig.
Die Vergrößerung der Archivbestände und die damit gebotenen einzig-
artigen Arbeitsmöglichkeiten haben in zunehmendem Maße das Interesse
vieler Studenten vor allem auch aus dem europäischen wie aus dem außer-
europäischen Ausland geweckt. Insgesamt promovierten bisher mit Musik-
ethnologie im ersten Hauptfach 5 und im zweiten Hauptfach 17 Studierende
der Freien Universität Berlin.
Ebenfalls an die älteren Berichte anknüpfend soll hier schließlich die
Liste der Publikationen fortgeführt werden, die Material des Berliner Phono-
gramm-Archivs verwenden, bzw. erstmalig veröffentlichen:
69. M. Schneider: Lieder ägyptischer Bauern. Festschrift für Zoltan Kodaly.
Budapest 1942 (Aufn. Wreszinski)
70. Ders.: El influenzo arabe en España. Anuario musical I, 1946 (Aufn.
von Kaukasus- und Turkvölkern)
71. Ders.: Australien und Austronesien. Musik in Geschichte und Gegenwart
(MGG) I, 1949/51° (Aufn. Börnstein, Kaufmann, Lett, Neuhauß, Rudel,
Zahn)
72. Ders.: Música Filipina. Anuario musical VI, 1951. (Aufn. von Takacs)
73. Ders.: Ist die vokale Mehrstimmigkeit eine Schöpfung der Altrassen?
Acta musicologica 23, 1951T
74. Ders.: Zur Trommelsprache der Duala. Anthropos 47, 1952 (Aufn.
Archiv)
75. Ders.: Contribución a la música del Mato Grosso. Anuario musical VII,
1952 (Aufn. Snethlage)
76. F. Bose: Instrumentalstile in primitiver Musik. Kongreßbericht Bam-
berg 1953, 1954 (Aufn. Brasilien; Koch-Grünberg)
77. K. Reinhard: Die Musik des mexikanischen Fliegerspiels. Zeitschrift für
Ethnologie 79, 1954 (Aufn. Llnga)
78. G. Herzog: Die Musik der Karolinen-Inseln. Ergebnisse der Südsee-
Expedition 1908—1910, II B., Bd. 9, 2, Hamburg 1936 (Aufn. Ham-
burger Südsee-Expedition)
6 Obwohl in diesem MGG-Artikel nähere Quellenangaben fehlen, Heß sich trotz
des Verlustes dieser Aufnahmen feststellen, daß es sich bei den Notenzitaten um
Transkriptionen nach Walzen des Archivs handelt.
7 In diesem Aufsatz fehlen ebenfalls alle näheren Angaben.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
93
79. F. Bose: Musikalische Völkerkunde. Freiburg 1953 (Aufn. Brasilien:
Dengler, Koch-Grünberg; Kolumbien: Preuß; Südchina: Weiß; Kongo:
Laman)
SO. K. Reinhard: Die Musik der Lolo. Baessler-Archiv, Neue Folge III,
1955 (Aufn. Südchina: Weiß)
81. Ders.: Acht Lieder sinisierter Lolo. Ebda. IV, 1956 (Aufn. Südchina:
Weiß)
82. Ders. (Übertragungen von 16 Joiken in:) E. Wustmann: Klingende
Wildnis. Kassel 1956 (Aufn. Lappen; Wustmann)
83. Ders.; Chinesische Musik. Kassel 1956 (Aufn. Dubois-Reymond, Müller,
Thurnwald, Weiß: Westchina)
84. Ders.: Tanzlieder der Turkmenen in der Südtürkei. Bericht über den
Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongreß Hamburg 1956, 1957
(Aufn. d. Verf.)
85. Ders.: Türkische Musik. Der Große Brockhaus, 16. Aufl., 1957 (Aufn.
d. Verf.)
86. Ders.: Types of Turkmenian Songs in Turkey. Journal of the Inter-
national Folk Music Council IX, 1957 (Aufn. d. Verf.)
87. D. Christensen: Die Musik der Kate und Sialum. Berlin 1957
(Aufn. Neuguinea: Neuhauß)
88. W. Laade: Musikalische Tierporträts. Die Musikforschung XI, 1958
(Aufn. Lappland: Laade/ Christensen; Singhalese!!: Laade; Ceylon:
Archiv)
89. F. Bose: Die Musik der Chibcha und ihrer heutigen Nachkommen. Ein
Beitrag zur Musikgeschichte Südamerikas. International Archives of
Ethnography 48, 1958 (Aufn. Kolumbien: Preuß)
90. D. Christensen; Heterogene Musikstile in dem Dorf Gabela (Hercego-
vina). Bericht über den Siebenten Internationalen Musikwissenschaft-
lichen Kongreß Köln 1958 (Aufn. d. Verf.)
91. Ders.: Inner Tempo and Melodie Tempo. Ethnomusicology 4, 1960
(Aufn. Jugoslawien: d. Verf.; Neuguinea: Roesicke)
92. K. Reinhard: Ein türkischer Tanzliedtyp und seine außertürkischen Pa-
rallelen. Baessler-Archiv, Neue Folge VIII, 1960 (Aufn. Türkei und
Färöer: d. Verf.; Irak; Westphal-Hellbusch; Ägypten: Roxy-Film)
93. Ders.: Trommeltänze aus der Süd-Türkei. Journal of the International
Folk Musik Council 13, 1961 (Aufn. d. Verf.)
Im Druck sind:
94. Ders.: Zur Variantenbildung im türkischen Volkslied, dargestellt an
einer Hirtenweise. Festschrift für Heinrich Besseler 1960 (Aufn. d. Verf.)
94
Reinhard, Das Berliner Phonogramm-Archiv
95. Ders.: Die Musik der Galla. Ergebnisse der Äthiopien-Expedition des
Frobenius-Institutes Frankfurt/Main (Aufn. Haberland, Paasche).
Ganz zum Schluß darf noch — wenn auch sehr zaghaft — auf den Plan
einer anderen Publikation hingewiesen werden, auf eine Schallplattenreihe,
die zwar in Zusammenarbeit mit einer namhaften Firma bereits weitgehend
vorbereitet ist, deren Herausgabe sich aber aus verschiedenen technischen
Gründen immer wieder verzögerte. Sollte dieses Unternehmen gelingen, so
würde nicht nur auch hiermit an von Hornbostel und seine „Musik des
Orients“ angeknüpft, es würde vielmehr der Name des Berliner Phono-
gramm-Archivs auch endlich wieder ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
95
MAKONDE-TÖPFEREI
MARGOT DIAS, Lissabon*
Mit Makonde bezeichnen wir in dieser Arbeit einen Bantu-Stamm, der
den Nordosten Mo9ambiques bewohnt und in der deutschen Fachliteratur
unter dem Namen „Mawia“ bekannt ist, der ihm von dem, im Süden Tan-
ganyikas lebenden Teil des Stammes gegeben wurde. Sie selber weisen aller-
dings den Namen zurück. Die beiden Teile des Stammes haben vermutlich
denselben Ursprung, wenn auch die Verschiedenheiten bekunden, daß sie sich
schon längere Zeit getrennt entwickelt haben müssen.
Beiden gemeinsam waren, auf Grund meiner Erfahrungen und Weules
Berichten1 folgende Charakteristika: Sie sind Ackerbauer, ziehen das Leben
auf der wasserlosen Hochebene dem in den Niederungen vor, sind matrilinear
orientiert und leben in vorwiegend avunkulokalen Dorfgemeinschaften mit
einem Dorfältesten als Chef. Männer und Frauen sind stark tätowiert, nicht
nur im Gesicht, sondern auch am ganzen Körper. Die Frauen tragen einen
Lippenpflock in der Oberlippe. Bei den Initiationsfesten der Knaben und
Mädchen treten Maskentänzer und Stelzentänzer auf, die Männer sind begabte
und begehrte Figuren- und Maskenschnitzer.
Bei den in Tanganyika lebenden Makonde finden wir heute keine
Schnitzer mehr, die dort lebenden Schnitzer sind meist für einige Zeit aus
portugiesischem Gebiet Eingewanderte. Auch finden wir keine Tätowierungen
mehr vor. Der Lippenpflock, soweit er noch existiert, ist aus hellem Holz,
während er bei den südlich des Rowuma lebenden Makonde aus schwarzem
Ebenholz gefertigt ist. Die Masken der Tanganyika-Makonde sind nur Vor-
steckmasken, während die der südlichen Makonde hohle Rundmasken, aus
einem Stück geschnitzt, sind.
Eine der auffallenden Verschiedenheiten ist die Existenz des reichver-
zierten Wasserholgefäßes der südlichen Makonde, das die Makonde-Töpferei
zu einer der bemerkenswertesten Ostafrikas macht. Die großen, schwärzlich-
grauen Wassertöpfe zeichnen sich durch ihre großlinige, sich über die ganze
Oberfläche erstreckende, eingeritzte und eingedrückte Verzierung aus, von
deren Phantasie beiliegende Abbildungen nur einen kleinen Begriff geben
können (Abb. 1 und 2).
* Assistentin der Missäo de Estudos das MInorias Etnicas do Ultramar Portugues.
1 Karl Weule; Wissenschaftliche Ergebnisse meiner ethnographischen Forschungs-
reise in den Südosten Deutsch-Ostafrikas. Mitteilungen aus den deutschen Schutz-
gebieten, Berlin 1908.
96
Dias, Makonde-Töpferei
Abb. 1. Chilongo chakumuto, das Wasserholgefäß der Makondefrau
Abb. 2. Chilongo chakumuto
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
97
Abb. 3. Auf dem Heimweg von der Wasserstelle
Die Töpferei liegt bei den Makonde allein in den Fländen der Frau. Im
allgemeinen stellt jede Frau pro Jahr ungefähr 8 bis 10 Wassergefäße und
gleichzeitig, je nach Bedarf, die nötigen Koch- und Eßgefäße her. Die Wasser-
losigkeit des Hochplateaus und die weite Entfernung von den Wasserstellen
hat wohl mit zu dieser besonderen Entwicklung der Töpferkunst beigetragen.
Der Wassertopf, den die Frau stundenlang jeden Tag durch den Busch trägt,
ist eine Art von persönlichem Schmuck (Abb. 3). Wer schöne Töpfe machen
kann, ist bekannt und die weniger geschickten Frauen kommen und bitten
die Begabtere, für sie ein Gefäß herzustellen, wofür sie mit Tauschobjekten
oder heute auch schon mit Geld zahlen. Früher gehörte es wohl zum un-
erläßlichen Rüstzeug jeder Frau, ihre Töpfe selber zu verfertigen, wie sie
auch kochen und Mehl zubereiten können mußte. Es gehörte zu den Dingen,
die die Mädchen in den Monaten ihrer Abgeschlossenheit, während der Puber-
tätszeit, lernen mußten. Heute kommt es unter den jüngeren Frauen vor,
daß sie — auf unsere Frage hin — bekennen, sie könnten es nicht mehr; be-
sonders diejenigen, die in der Nähe einer Administrations- oder Missions-
station aufgewachsen sind, wo die leeren, fortgeworfenen Benzinkanister
häufig die Stelle der schönen, aber leicht zerbrechlichen Tongefäße einnehmen.
Ein „Satz“ der Tongefäße gehört auch zur Ausstattung eines jeden Ma-
konde-Mädchens. Wenn sie nach monatelanger Abgeschlossenheit nach dem
7 Baessler-Archiv IX
98
Dias, Makonde-Töpferei
Abb. 4. 1—3 chilongo chakumuto, 4 chilongo cha imbogwa,
5 chilongo chikutaleka, 6 chilongo chakumeu, 7 dhlongo chagwalwa
Schlußfest ngoma k u y a 1 u k a als nun erwachsenes und heiratsfähiges
Mädchen in die Dorfgemeinschaft zurückkehrt, bekommt sie unter anderen
Dingen (wie z. B. neue Tücher, den Stampfer, die Körbe) auch die nötigen
Tontöpfe. Für diese Gaben ist zum Teil die Familie und zum anderen Teil
die mbwana (wörtlich = Freundin; in diesem Falle entspricht es aber
unserem Begriff von Patin) verantwortlich: eine erwachsene Frau, die aus-
erwählt wird, dem m w a 1 i (Mädchen im Pubertätsalter) in jeder Beziehung
alle nötigen Belehrungen in bezug auf ihre zukünftigen Pflichten als Frau zu
erteilen und für ihr körperliches Wohl in dieser Zeit zu sorgen.
Zu der nötigen Ausstattung an Tongefäßen (chilongo, pl. vilongo) einer
Makonde-Frau gehören:
1. chilongo chakumuto (muto - Quelle, Wasserloch), der
große Wassertopf, mit dem sie jeden Tag an die Wasserstelle geht
(Abb. 4, 1—3). Wie wir schon an anderer Stelle gehört haben, existiert
auf dem Makonde-Hochplateau kein Wasser. Nur an den Abhängen, in
der Flöhe einer undurchlässigen Granit-Gneis-Schicht sammeln sich die
Wasser und brechen an verschiedenen Stellen aus der Erde. Der Weg
dorthin ist weit und zum Teil steil, und die Makonde-Frau begeht ihn
täglich, meist in der Morgendämmerung. Je nach der Lage des Dorfes
legt sie 4 bis 9 km bis zur Wasserstelle zurück, also 8 bis 18 km im
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
99
Ganzen. Dort wäscht sie sich und evtl, ihre Tücher und ebenso ihre sie
begleitenden Kinder und kehrt mit vollem Wassertopf auf dem Kopf2 —
das kleinste Kind auf dem Rücken im Tragtuch, ein größeres oft an der
Seite —, zu ihrem Dorf zurück. Um die Möglichkeit des Wasserverschüt-
tens zu vermeiden, steckt sie frische grüne Zweige in die Öffnung des
Topfes. Hier folgen die Maße von drei Exemplaren des chilongo
chakumuto;
Höhe Durchmesser an der breitesten Stelle Öffnung Gewicht Inhalt
40 cm 50 cm 25 cm 8,5 kg 35 Liter
42 cm 45 cm 23 cm 31 Liter
34 cm 42 cm 22 cm 7,0 kg 26 Liter
2. Es gibt noch kleinere Wasserholgefäße, welche von den Mädchen,
bevor sie ausgewachsen sind (10 bis 14 Jahre) benützt werden; das Ge-
wicht des großen Gefäßes wäre zuviel für sie. Sie haben durchschnittlich:
Höhe Durchmesser an der Öffnung Gewicht Inhalt
breitesten Stelle
25 cm 31 cm 20 cm 3,5 kg 8—9 Liter
und werden chilongo chinamaako genannt (namaako = Mädchen).
Diese beiden Typen von Wasserholgefäßen sind diejenigen, welche
sich durch die besonders reiche, eingeritzte Verzierung auszeichnen.
3. chilongo chakumeu (kumeu = Gesicht), ein kleineres Ton-
gefäß zum „baden“ (Abb. 4, 6). Die Frauen schöpfen das Wasser mit
einem Schöpflöffel, der aus einer Flaschenkürbishälfte mpakulu ge-
fertigt ist, aus dem großen Topf in diesen kleinen, erhitzen ihn an der
Feuerstelle und tragen ihn dann in den Hof, in das durch Bambusgeflecht
abgetrennt-umzäunte „Badezimmer“ c h a g w e l o, um sich zu waschen.
Es gehört zu den ausdrücklich im ngoma gelehrten Pflichten der Frau,
warmes Wasser für den Mann bereit zu haben, wenn er von der Reise,
der Jagd oder schwerer Feldarbeit heimkommt.
Das Gefäß wird meist unverziert gelassen, da es ja vom Feuer ruß-
geschwärzt wird. Die durchschnittliche Größe beträgt:
Höhe Durchmesser Öffnung
21 cm 25 cm 16 cm
4. chilongo chikutaleka (kutaleka = kochen) oder chi-
longo chugwaali (ugwaali = täglicher Mehlbrei) (Abb. 4, 5) ist
2 Das Gewicht des größten Wasserholgefäßes, das ich in Benutzung sah, war
8,5 kg und das Fassungsvermögen 35 Liter, Gesamtgewicht demnach 43,5 kg!
100
Dias, Makonde-Töpferei
das Kochgefäß für die tägliche Nahrung, zubereitet aus Hirse- oder Mais-
mehl (uhu wadimule oder uhu wadin jele) und Wasser, aus
dem die Makonde-Frauen eine feste Masse kochen. Der chilongo
c h i k u t a 1 e k a ist im allgemeinen auch ohne Ornamente oder hat, wie
bei den benachbarten Makua, sparsame, kaum sichtbare, plastisch einge-
drückte Verzierungen am oberen Rande oder am Halse oder an der Stelle
des breitesten Umfanges. Er wird im Laufe des Gebrauchs matt ruß-
schwarz. Die Maße sind:
Höhe Durchmesser Öffnung
17 cm 31 cm 27 cm
Wie wir sehen, hat er aus funktionellen Gründen eine weite Öffnung,
ebenso wie der
5. chilongo cha imbog wa, das Kochgefäß für die Beigaben
(die Makonde nennen die Beigaben n d j e m b a , auf portugiesisch —
caril) (Abb. 4, 4). Sie bestehen, je nach der Jahreszeit oder den augen-
blicklichen Möglichkeiten aus gestampften Maniokblättern, Kürbissen
oder Tomaten, Fleisch oder Fisch, das mit einer Malaguettenart (capsicum
frutescens L.) und, als fetthaltiger Substanz, mit im Mörser gestampften
Erdnüssen zu einer schmackhaften, dicklichen Sauce gekocht wird, in die
sie die Hirsebrei-Bällchen eintauchen. Der Hirsebrei wird ohne Salz ge-
kocht, so daß aller Geschmack von der Beigabe abhängt. Der chilongo
cha imbogwa ist niedriger als das Gefäß für den Brei.
Höhe Durchmesser Öffnung
11 cm 24 cm 21 cm
6. ndamu, Zur , vollständigen Ausstattung gehört außerdem ein
Tongefäß, in dem die Makondefrau den gekochten Hirsebrei „aufträgt“,
d. h. sie bringt ihn in die c h i t a 1 a , das Männerversammlungshaus in der
Mitte des Dorfes, in dem die Männer meist die Mahlzeiten einnehmen,
oder sie stellt darin bei den großen Festen ihren Essensbeitrag in die lange
Reihe für den allgemeinen Gebrauch nieder. Maße:
Höhe Basis Öffnung
10 cm 11 cm 22 cm
Diese Art von Schüssel ist, wie Abbildung 5 zeigt, von unterschiedlicher Form
und im allgemeinen auf der Außenseite sehr reich verziert.
7. Für die Beigaben gibt es noch ein kleineres Gefäß, ndamu ndi-
k i d i k i, mit denselben Merkmalen wie das große nda m u für den
Brei (Abb. 5).
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
101
Abb. 5. Großes und kleines ndamu, Eßgeschirr
Maße: Höhe Basis Öffnung
6 cm 8,5 cm 18,5 cm
Ich muß hinzufügen, daß ndamu heute schon zu einem kleinen Teil
von den, bei den Indern oder in Tanganyika gekauften Emailschüsseln
oder -tellern ersetzt wird.
8. chilongo chagwalwa. Eine ältere erfahrene Makondefrau
besitzt auch noch ausnehmend große Töpfe, die zur Herstellung der alko-
holischen Getränke (Pombe, Makondewort = gwälwa) anläßlich der
großen Feste nötig sind (Abb. 4, 7). Sie sind nicht verziert, da sie ja auch
zum Kochen der Getränke gebraucht werden. Die Form ist etwas ver-
schieden von der der Wassertöpfe: Die breiteste Stelle liegt im Verhältnis
zur Höhe weiter oben, beim Wasserholgefäß in der Mitte, beim Pombe-
gefäß im oberen Drittel (Zeichnung 1).
Zeichnung 1. a = Pombegefäß, b = Wasserholgefäß
102
Dias, Makonde-Töpferei
Abb. 6. Wassertöpfe als Vorratsgefäße und Silos
Maße: Höhe Durchmesser Öffnung
52 cm 60 cm 36 cm
Diese Maße sind jedoch alle nur als Durchschnittsmaße zu nehmen. Bei
der völlig ohne Anhaltspunkte gemachten, freien Handarbeit versteht es
sich von selbst, daß jedes Stück innerhalb der traditionellen Grundform
mit kleinen Abweichungen ausfällt. Außer diesen, in jedem Makondehaus
unerläßlichen Tongefäßen sammeln sich mit der Zeit eine große Anzahl
von c hl longo chakumuto an. Die alten abgenützten oder gar
etwas gesprungenen Tontöpfe werden als Vorratsgefäße c h i 1 o n g o
c h a p ä i für Mais, Hirse oder Bohnen benützt. Schließen sie noch gut
luftdicht ab, so werden sie als Silo verwendet. Die Öffnung wird mit
Blättern vom Rizinus-Strauch, der wildwachsend alle Dörfer umgibt, und
einer Schicht von nasser Tonerde verschlossen, um drinnen langfristig
Bohnen oder Erdnüsse aufzubewahren. Diese Töpfe werden c h i 1 o n g o
c h i m a t i 1 u genannt (Abb. 6).
In manchen Häusern sahen wir noch einen extragroßen Tontopf, in
dem die Ernte an Erdnüssen aufbewahrt wird. Die Vorratsgefäße stehen
an den Wänden entlang oder unter dem Dach des Hauses im Hof. Wir
zählten oft 15 bis 30 solcher Gefäße.
Völlig anderen, von diesen acht Grundformen verschiedenen Gefäßen be-
gegneten wir nur selten; z. B. innerhalb des Makonde-Hochplateaus einem
Krug mit vier Henkeln und engem Hals im Dorf des Nangolo Cham-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
103
Zeichnung 2. Einzelner Krug im Dorfe Champunga
punga (Zeichnung 2). Leider war es nicht möglich, nähere Auskünfte
über die Herkunft zu erhalten.
In Mueda sahen wir eine Art Wasserkrug mit Tülle und Henkel, aber
es ist zu vermuten, daß es wohl eine einmalige individuelle Nachahmung
eines bei den Europäern gesehenen Wasserkruges durch eine geschickte Töpfe-
rin war. Die Anwesenden wußten selber nichts über die Herkunft des Kruges
auszusagen, als daß er eben von einer a y a a 1 a gemacht worden sei (ayaala
= Makondewort für „meine Mutter“, hier aber im Sinne von „älterer, er-
fahrener Frau“).
In den Niederungen zwischen Mueda und Mochnboa da Praia, in dem
Makondedorf Chumani, sahen wir einen chilongo chikutaleka mit
einem großzügigen Deckel mit Henkel auf dem Feuer stehen (Zeichnung 3).
Ein Jahr später, bei unserem Besuch des Makonde-Plateaus Tanganyikas
fanden wir die Erklärung dieses einzeln vorkommenden Deckels. Dort ist er
eine traditionelle Erscheinung und war demnach ein aus Tanganyika im-
portiertes Exemplar,
Zeichnung 3. Deckel für den chilongo chikutaleka, den Kochtopf
104
Dias, Makonde-Töpferei
Abb. 7. Wasserholgefäß aus Kutangolachochu,
von den benachbarten Andonde beeinflußt
In den Makonde-Dörfern, die an der Grenze des Makonde-Gebietes nahe
anderen Völkern (Angoni, Andonde, Makua, Yao, Matambwe usw.) liegen,
sahen wir auch deutlich schon die nachbarlichen Einflüsse. Die nebenstehende
Abb. 7 zeigt ein Gefäß aus Kutangolachochu, einem Makondedorf auf dem
Weg von Bomela nach Negomane, Enklave zwischen Angoni und Andonde.
Die Verzierung beschränkt sich auf einen eingeritzten Gürtel um die am
besten sichtbare Stelle. Leider läßt die Beschädigung nicht den oberen Ab-
schluß der Öffnung sehen. Die Form ist kugeliger und nicht so sehr in die
Breite gehend. Ich sah dort rötlich-tonerdefarbene wie auch schwarzgefärbte
Gefäße.
Außer den Tongefäßen gibt es noch einige wenige Objekte, zu deren Fier-
stellung Ton als Material verwendet wird. Der Schmied braucht für das Ver-
bindungsstück, das die Luft aus den beiden Blasbälgen durch die zwei Bambus-
rohre bis in die Glut leitet, ein feuerfestes Material. So benützt er ein aus
Ton gemachtes „Mundstück“, in das auf der weiter geöffneten Seite die zwei
Bambusrohre die Luftströme leiten, während das enge Ende in der Glut liegt
Zeichnung 4. Mundstück aus Ton für den Blasbaig des Schmiedes
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
105
(Zeichnung 4). Daß der Ton noch als Bewurf der Hüttenwände benutzt wird,
ist in vielen Teilen Afrikas selbstverständlich. Da man für so große Flächen
viel Wasser braucht, stehen die neukonstruierten Häuser oft längere Zeit nur
mit dem Bambusgerüst — oder nur von Innen beworfen — und erst in der
nächsten Regenzeit wird die Tonwand vollendet.
Rituelle Tongefäße, wie sie bei anderen Völkern Afrikas Vorkommen,
z. B. bei den Zezuru3 oder den Venda4, bei den Ungwe5, die Mondoro-Vasenf>
oder die Regentöpfe der Wakissi“, haben wir bei den Makonde nicht ange-
troffen. Es gibt neben der Ernährung noch andere Anlässe, bei denen einige
der Tongefäße Verwendung finden; es wurde uns aber nicht bekannt, daß sie
dazu ausschließlich oder erst nach speziellen Reinigungszeremonien benützt
würden. Das große ndamu sah ich beim Mädchenschlußfest ngoma
k u y a 1 u k a als Gefäß für das Rizinusöl, mit dem die m w a 1 I öffentlich
gesalbt werden, dienen.
Die Wassertöpfe werden bei jeder Beerdigung in großer Anzahl von den
Frauen gebracht und mit Wasser bereitgestellt, damit die wiederaufgeschüttete
Erde besprengt werden kann und sich besser „setzt“. Daß dies nicht nur
eine rein utilitaristische Note hat, beweist die Beobachtung, daß sie zu diesem
Zweck nur die schönsten und neuesten Wassertöpfe bringen, keine alten
abgenutzten.
Ein chilongo chakumeu wird auch bei dem 1 i p a a n d e ge-
nannten Zaubermittel verwendet. Er steht auf einem Sockel aus Ton und
Ist mit hellgrauen Tupfen aus Asche bemalt. Er enthält Wasser mit n t e 1 a
(Zaubermedizin) gemischt, und kleine Steine.
Auf einem Ahnengrab am Wege, das Gegenstand der Verehrung einiger
Dörfer ist, sahen wir einen umgestürzten chilongo, der mit weißer Erd-
farbe ngama (hellgraue kaolinhaltige Tonerde) angestrichen war. In Er-
mangelung von Zeit und anwesender Informatoren konnten wir nichts ge-
naues über den magischen Sinn erfahren. Wäre er für Opfergaben bestimmt,
so würde er nicht umgestürzt auf der Erde stehen. Sollte dieser Brauch die
Opfergabe der Frau bedeuten, der ja ausschließlich die Tongefäße gehören?
Es muß betont werden, daß er zerbrochen war. Doch das würde überein-
stimmen mit der Tatsache, daß überall bei Makonde und Makua die weißen
Baumwolltücher, die an den Ahnengräbern oder Kultbäumen befestigt sind,
mit Absicht zerschnitten waren und unbenützbar gemacht wurden. Noch
3 J. F. Schofield: Primitive Pottery, Capetown 1948, Seite 170.
4 J. F. Schofield: op. cit. Seite 174.
5 J. F. Schofield: op. cit. Seite 180.
6 J. F. Schofield: op. cit. Seite 175.
7 F. Fülleborn: Das deutsche Niassa- und Rovuma-Gebiet. Mitteilungen aus den
deutschen Schutzgebieten, Berlin 1906. Seite 414 und 315, Tafelbild 79, Nr. 1—3.
106
Dias, Makonde-Töpferei
wahrscheinlicher ist, daß es das Grab einer Frau war, da wir von anderen
benachbarten Völkern hören, daß bei dem Tod einer Frau ihre Kochtöpfe
nicht mehr benutzt werden dürfen und entweder zu ihr ins Grab kommen
oder unbrauchbar gemacht werden. Eine nachträgliche Auskunft an einem
anderen Ort ergab, daß ein umgestürzter und weiß angestrichener Topf ein
Kindergrab bedeutet. Dabei sei es ein notwendiges Element, daß der Topf
beschädigt werde. Bei einem Erwachsenen müsse der Topf zwei Wochen mit
Zaubermedizin n t e 1 a stehen bleiben, und erst dann könne er fortgenommen
werden. Für einen Erwachsenen benütze man zu diesem Zweck c h i 1 o n g o
chakumuto, für ein Kindergrab chilongo chideka ndyoko
(ndyoko = kleines Kind).
Zu diesem Thema lesen wir bei Frei Joäo dos Santos8, daß die „Kaf-
fem“ bei den Beerdigungen in die Nähe des Toten einen Wassertopf und
etwas Hirse stellen, damit der Tote auf diesem Weg in ein anderes Leben
zu essen und zu trinken hätte, und ohne weitere Zeremonien würde er mit
Erde bedeckt (. . . „junto d’elle pöem uma panella de agua e um pouco de
milho, o quäl dizem que e para o defunto comer e beber naquelle caminho
que faz para a outra vida, e sem mais ceremonia o cobrem de terra . . .“).
Fülleborn9 zitiert von Behr10: „Topfscherben werden bei den Wamakonde
beim Tod eines alten Makonde zusammen mit der Asche seiner verbrannten
Hütte und anderen wertlosen Gegenständen weiter fortgetragen und ver-
graben, da man fürchtet, daß diese Gegenstände dem Dorf Unglück bringen
könnten.“
Nicht unerwähnt lassen möchte ich einen Zwischenfall, dem ich beiwohnte,
und der zeigt, daß das Tongefäß bei den Makonde noch eine andere Bedeu-
tung hat. Wir begegneten eines Tages einer alten, aufgeregt und laut vor sich
hinsprechenden Frau, ein bei der sonst so betonten Zurückhaltung seltener
Fall. Auf die Nachfrage meiner Makonde-Bogleiter erfuhr ich, daß der Mann
ihrer Tochter in dieser Nacht in einem Zornesanfall als Symbol deren Wasser-
topf in Stücke geschlagen hatte und sie selbst mit den Kindern vor die Türe
setzte, was den grenzenlosen Zorn der Großmutter hervorrief, die nun zu
Hilfe eilte, da sie es gegen alle menschlichen Gefühle verstoßend fand, daß
man nicht nur die Tochter, sondern besonders die Enkelkinder in der Nacht
gezwungen hatte, den Weg durch den Busch bis ins Dorf der Großmutter
zurückzulegen und sie so den nächtlichen Gefahren auszusetzen. (Es machte
tatsächlich in diesen Wochen ein Löwenpaar die Wege unsicher.)
8 Frei Joäo dos Santos: Ethiopia Oriental, Lisboa 1891 (1. Edition 1609). Vol. 1,
Seite 94.
9 F. Fülleborn: op. eit Seite 64.
10 H. Fr. v. Behr: Geographische und ethnographische Notizen aus dem Flußgebiet
des Rovuma, Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten. Berlin 1892.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
107
Die von uns gemachte Beobachtung wurde in ihrer Bedeutung bestätigt
durch R. E. Moreau, der über die Rolle berichtet, die das Zerschlagen des
Kochtopfes bei den Bondei und Shambafrauen (und auch Männern), die
Selbstmord begehen wollen, spielt11.
Beim Totenfest der Makonde matanga, ungefähr ein Jahr nach dem
Tode des Betreffenden, stellt die Familie einen kleinen Topf mit Pombe und
ein gebratenes Fluhn auf das Grab, worauf die Familie des „Scherzklans“,
likola uvilu, dorthin geht, das Bier trinkt, das Huhn ißt und dafür
auf das Grab eine Münze (Esc. 0$50) oder ein kleines weißes Stück Stoff
legt. Die Information sagt leider nichts über die Art des Gefäßes aus. Es
ist zu vermuten, daß es chilongo chikutaleka ist.
Zuletzt gibt es noch ein rituelles Objekt zu erwähnen, das aus dem-
selben schwärzlich-grauen Ton gemacht, heute nur noch in den ganz ent-
legenen Makonde-Siedlungen in Gebrauch ist: der höchst naturalistisch ge-
formte Penis nkamangu, mit dem die Defloration beim Mädchen-Schluß-
fest, ngoma kuyaluka, ausgeführt wird. Er war im Besitz des Zau-
berers Mpambanda, dessen Frau das Amt des weiblichen n a 1 o m b o (na~
lombo = Leiter(in) der Pubertäts-Riten) ausübt, in einem Dorf, welches —
wie mir gesagt wurde — vor mir noch nie ein Weißer betreten hätte. Glück-
liche Umstände machten es mir möglich, ein langes Palaver mit dem Zauberer
und seiner Frau in der dunklen Hütte (unter Ausschluß der Öffentlichkeit)
zu halten, in dessen Verlauf er seine chikapu - Tasche brachte und Stüde
für Stück herauszog und mich in sein Handwerk einweihte, die Namen, die
Herkunft und die Wirkungsweise aller Heil- und Zaubermittel erklärend. Ein
geheimnisvoll eingewickelter und hinter ihm versteckter Gegenstand zog
meine Aufmerksamkeit auf sich, was ihm sichtlich unangenehm war. Erst als
ich ihm zu verstehen gab, ich vermute, was es sei und wüßte, daß der Ge-
brauch dieses Gegenstandes bei vielen afrikanischen Völkern Sitte sei, gab
er nach und verkaufte mir nach langen Verhandlungen unter anderen Zau-
bermitteln auch dieses, heute selten gewordene Instrument.
Nachdem wir die vorhandenen Grundtypen und ihre Funktionen beschrie-
ben haben, wenden wir uns der Beschreibung der von den Makondefrauen
angewandten Technik zu (Tontöpfe machen = kuumba vilongo).
Es war mir möglich, mehrere Male dem Vorgang von Anfang bis zu Ende
während mehrerer Tage beizuwohnen. Wenn die Makonde-Frau ein neues
Gefäß braucht, geht sie — meist mit einer Freundin oder Nachbarin —
in die tiefer gelegenen Regionen, wo die Frauen an einer bestimmten Stelle
nahe bei einem Fluß die Tonerde holen (Tonerde = ulongo) und nach
11 R. E. Moreau: Sulcide by „Breaking the Cooking Pot“ in Tanganyika Notes and
Records, December 1941, Nr. 12.
108
Dias, Makonde-Töpferei
Abb. 8. Das Werkzeug der Töpferin
Hause tragen. Ob sie dabei die Tonerde schon klopfen oder von eventuellen
Einschlüssen reinigen, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich beim Holen
selbst leider nicht dabei sein konnte und ihre Informationen nichts davon
erwähnten. Zwei Tage bevor die Töpferin ihre Arbeit beginnen will, legt
sie die nötige Menge Ton in einen alten chilongo und bedeckt sie mit Wasser,
damit er plastisch wird. Am betreffenden Tage beginnt die Makonde-Frau
dann, indem sie zuerst den Ton in einem alten flachen Korb c h e 1 o mit
soviel Wasser wie nötig durchknetet und dabei entfernt sie eventuell eingc-
schlossene Fremdkörper, wie Steinchen usw., bis er die gewünschte einheit-
liche plastische Konsistenz hat (kneten = kukanda). Dann stellt sie sich all
ihr Handwerkszeug bereit. Dies besteht aus einem alten herausgebrochenen
Tongefäßboden 1 i y o , der — da er gewölbt ist — als Basis dient, welche im
sandigen Boden leicht gedreht werden kann. Außerdem aus einem anderen
Tongefäßboden, auf dem sie die im Mörser feingestampften Tonscherben
eines zerbrochenen Gefäßes bereitstellt und einem chilongo chikuta-
1 e k a, den sie zur Hälfte mit Wasser füllt und in den sie ihre Instru-
mente legt.
Diese Instrumente sind, wie noch heute das meiste im Makonde-Leben,
aus dem Material des sie umgebenden Busches genommen. Die nebenstehende
Abb. 8 zeigt die Instrumente:
1. likämbangoi = die Hälfte einer Fruchtschale des Baumes
ntam a. Es ist eine harte holzartige Schale. Die Töpferin hat davon drei
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
109
Größen, wahrscheinlich um je nach Bedarf die nötige Rundung auszu-
wählen.
2. chakalimu = ausgekörnte Maiskolben. Davon sind auch ver-
schiedene Größen zur Auswahl, außerdem sind sie angekohlt, wahrschein-
lich zwecks größerer Haltbarkeit.
3. chile mbelo = ein flaches Eisenstück, das an einem Ende glatt,
am anderen Ende gezahnt ist und mit dem die Zeichnung eingeritzt wird
(zwei verschiedene Größen). Im allgemeinen wurde dieses Instrument
früher auch aus einem Stück Flaschenkürbisschale oder Bambus hergestellt.
4. ngulungu = ein runder, glatt abgeschliffener Kieselstein; auf
dem Makondeplateau eine gewisse Kostbarkeit. Er wird wohl aus einem
Flußbett der Niederungen stammen. Er dient zum Polieren der gefärbten
und getrockneten Oberfläche.
5. ingwangu = ein rundgebogenes Bambusband, mit Rindenbast
zusammengebunden. Dyunguni, die Töpferin, die in der Nähe von Mueda
lebte, hatte dies schon durch ein Eisenband ersetzt, welches wahrscheinlich
von Frachtkisten der Administration stammte. Es diente auch zum Aus-
kratzen der inneren Wölbung des Gefäßes.
6. Ein kleines Stück Tonscherbe oder Stück einer Flaschenkürbisschale,
dessen Ecken zum Eindrücken von Dreiecken verwendet werden.
Nachdem alles bereitsteht, kniet die Töpferin vor dem Korb nieder und
knetet den Ton nochmals durch, dabei die nötige Menge des sandartig zer-
kleinerten Tones daruntermengend, der der weichen Masse etwas mehr Halt
geben und vermeiden soll, daß während des Trocknens und Brennens Risse
entstehen.
Dann beginnt sie. Eine gewisse Menge wird auf der im Sandboden dreh-
baren Unterlage zu einem Klumpen geformt, in welchen sie dann in der
Mitte mit der Faust eine Vertiefung drückt und mit den beiden Händen
die seitlichen Wände nach oben streicht bis etwa zur Höhe von 15 bis 16 cm
(kuimidya lipunda = Treibtechnik), dann geht sie zu einem anderen
Verfahren über. Sie formt aus dem Ton einen etwa 30 bis 33 cm langen
dicken Wulst und setzt ihn am Rand des Gefäßes an, geschickt mit beiden
Händen durch Drücken und Streichen die Verbindung des Tons erreichend
und immer wieder nach Bedarf die Unterlage drehend (Spiralwulsttechnik).
So wächst der Topf bis zu einer gewissen Höhe, Spiralwülste aneinander-
reihend, wie wir es auf den Abbildungen 9 bis 14 sehen. Zwischendurch
nimmt sie einen von den im Wasser liegenden Maiskolben chakalimu
und glättet damit die Außenseite, während die linke Hand die Topfwand
von innen stützt und die Gleichmäßigkeit der Wanddicke kontrolliert (für
110
Dias, Makonde-Töpferei
Abb. 9. Kneten
Abb. 10. Ausstreichen der Tonwände aus dem anfänglichen Klumpen
„glätten“ konnte die Makonde-Frau kein spezielles Wort angeben. Sie nannte
es auch k u u m b a —töpfern, formen). Für die Innenseite benützt sie die
Baumfrucbtschale likämbangoi und glättet und kratzt da, wo zuviel
Ton aufliegt, bis die Wände einigermaßen gleichmäßig in der Dicke und glatt
sind. Gleichzeitig, aber unendlich behutsam und langsam, drückt sie dabei
das Gefäß in seine gewünschte Form (siehe Zeichnung 5).
112
Dias, Makonde-Töpferei
Abb. 13. Spiralwulsttechnik
Abb. 14. Glätten der Innenwand
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
113
Zeichnung 5. Allmähliches Herausbiegen der Form
Sie tut dies erst jetzt, da der nasse Ton am Anfang wohl schwer die
Spannung der Rundung aushalten würde. Dann läßt sie das Gefäß in diesem
Stadium etwas an der Sonne trocknen, damit es sich nicht zu sehr biegt. Dies
wird wohl sehr von der Jahreszeit, der Stärke der Sonne und der persön-
lichen Technik abhängen, denn Boananyama in Dyankali, die zweite Töpfe-
rin, arbeitet die Grundform in einem Zug.
Nach einer kleinen Pause fährt die Makondefrau nun fort und setzt
noch einige Spiralwülste oben an, macht auf diese Weise den Hals des Ge-
fäßes enger, verstärkt ihn oben an dem Rand, aber sie unterläßt es während
dieser Zeit nicht, immer wieder die ganze Form außen und innen mit dem
nassen chakalimu und likämbangoi zu überglätten und langsam
Abb. 15. Behutsames Herausdrücken der bauchigen Form
8 Baessler-Archiv IX
114
Dias, Makonde-Töpferei
Zeichnung 6. Randformen des chilongo chakumuto. a = chilongo chantumi,
b = chilongo munchenye
und allmählich das Gefäß in die endgültige Form zu drücken, so daß es
immer bauchiger und niedriger wird (Abb. 15). Große Geduld und Geschick-
lichkeit sind nötig, um die großen Wasser- oder Pombegefäße zu machen, da
die Töpferin nur mit fortdauernder Wiederholung des Arbeitsprozesses, dem
Ausbalancieren zwischen zu feucht und zu trocken (es gibt schnell Risse an
der Oberfläche, wenn sie nicht rasch genug immer wieder das Ganze über-
glättet) die schöne bauchige Form herausbiegen kann.
Als Randabschluß der Öffnung sah ich fünf verschiedene Grundtypen, von
denen Zeichnung 6 die Schnitte zeigt. Ich habe versucht, die Bezeichnung
dieser verschiedenen Randtypen zu erfahren, was mir aber nur bei zwei
Formen gelang. Die anderen hätten keine Bezeichnung, behaupteten die
Frauen. Die Töpferin nannte die Form chilongo chantumi (ntumi =
Löwe). Sie wußte keine andere Begründung dafür anzugeben, als daß die
Form an das Maul eines Löwen erinnere. Form b nannte sie munchenye
(angeblich = wie die Lippen des L i p i k o, des Maskentänzers). Es scheint,
daß die Makondefrauen den Rand des chilongo chantumi für den
repräsentativsten halten, denn jede, die für mich einen chilongo machte, gab
ihm diesen Rand.
Ist nun die endgültige Form vollendet, so muß das Gefäß, allerdings nun
im Schatten, 2 bis 3 Stunden trocknen. Erst dann kann die Töpferin die
Oberfläche färben. Sie schabt von einem schwärzlichen, einem abgerundeten
Stein gleichenden Material, u n u, mit einem Messer Pulver in einen alten
Tonscherben. Dieses Pulver vermischt sie dann mit Wasser und trägt diese
schwärzliche Flüssigkeit mit einem kleinen Läppchen auf die Oberfläche des
neuen Topfes auf und läßt sie eintrocknen (Farbe auftragen = k u p a k a
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
115
Abb. 16. Einritzen der großen Linien
oder kupakanga unu. Kupaka = nur einen Strich machen, kupakanga
= viele Striche machen). Die Makondefrau gab für unu folgende Erklärung
ab: sie formen unu aus einer bestimmten Erde, die sie aus den Niede-
rungen bringen, vermischen diese Erde mit feingestampfter Holzkohle und
kneten beides mit etwas Wasser durch, ballen die Masse in der Hand und
lassen sie dann lange Zeit an der Sonne trocknen bis sie hart wird. In dieser
Form heben sie unu auf und schaben nur bei Gebrauch etwas davon ab. Die
Analyse im mineralogischen Laboratorium der Universität von Lissabon er-
gab: „gres rico em mica biotitica alterada (gres psamitico) = sandige Ton-
erde, reich an umgewandeltem Biotitglimmer (psamitische Tonerde)“ = Ton-
erde mit Sand und Quarzbeimengungen.
8*
116
Dias, Makonde-Töpferei
Ist nun die Farbe aufgesogen, dann wird die Oberfläche mit dem ab-
gerundeten Kieselstein n g u 1 u n g u poliert (mit dem Kiesel polieren =
kukulungila). Dann erst kann mit der Zeichnung begonnen werden
(zeichnen = k u 1 e m b a d i n e m b o, dasselbe Wort, was die Makonde für
„tätowieren“ gebrauchen). Die Töpferin nimmt nun das flache Eisenstück
chilembelo und zieht mit der glatten Seite die Hauptlinien aus freier,
ungestützter Hand, während sie den Topf langsam mit der anderen Hand
dreht (Abb. 16). Die ersten Linien, die sie zieht, sind meist die Linien um
den Hals herum, die „Halsbänder“ n k o v a , die bei keinem Gefäß fehlen,
nkova ist auch das Makondewort für die dicke Stoff-, Fell- oder Faser-
schnur, die Männer, Frauen und Kinder aus rituellen Gründen um den Hals
binden.
Die Motive, aus denen sich die Ornamentierung zusammensetzt, sind;
einfache Linien, doppelte und drei- bis fünffache parallele Linien, deren
Zwischenräume entweder mit schrägen, kurzen Strichen (Eindrücke mit dem
glatten Ende des chilembelo) oder mit punktierten kurzen Linien (Eindrücke
des gezahnten Endes des chilembelo) gefüllt sind (Zeichnung 7 a und b):
oder
7 a
7 b
Das andere Motiv sind Dreiecksmuster, die entweder untereinander oder
gegenüberstehend die Bänder füllen (Zeichnung 7 c und d):
7 c 7 d
Die dreieckigen Ornamente werden mit den Ecken der Tonscherbe ein-
gedrückt (Abb. 17). Dieses nennen sie c h i t a 1 o 1 a. Statt mit Tonstücken
habe ich sie auch mit einem ähnlichen unregelmäßig herausgebrochenen Stück
einer Flaschenkürbisschale arbeiten sehen. Die gekurvten Linienbänder haben
die Bezeichnung n a n d o 1 o. Nandolo wird auch ein Motiv der Tätowie-
rung genannt (Zeichnung 7 e).
7 e
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
117
Abb. 17. Eindrücken der Dreiecke
Welche Vielzahl von Ornamenten sich aus diesen einfachen Motiven zu-
sammenstellen läßt, zeigen die Abbildungen besser als man es beschreiben
kann (Zeichnung 8). Wenn die Frau die Oberfläche bis über die Wölbung
hinunter gezeichnet hat, läßt sie das Gefäß über Nacht stärker trocknen und
am nächsten Morgen dreht sie es um, d. h. sie stellt es auf die Öffnung und
hat nun den leicht gewölbten Boden vor sich, der sich noch im unregel-
mäßigen, ungeglätteten Zustand befindet. Sie kratzt zuerst noch die Kruste
der Oberfläche ab, befeuchtet sie dann vorsichtig mit dem chakalimu
und glättet den gewölbten Boden so lange, bis die Form einwandfrei ist
(Abb. 18). Dann wiederholt sich derselbe Prozeß wie am Tage vorher mit
dem oberen Teil des Gefäßes. Sie läßt die Fläche etwas trocknen, trägt dann
M
Zeichnung 8 a und b. Einige Beispiele für die Anwendung der Ornamentierungsmotive
118_________ Dias, Makonde-Töpferei
Raessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
119
Abb. 18. Glätten der Bodenwölbung
die schwärzliche Farbe auf, wartet bis sie aufgesogen ist, poliert die Ober-
fläche und vervollständigt dann die Zeichnung. Dyunguni, die Töpfersfrau,
meinte auf meine Frage, sie mache nie zwei ganz gleiche Töpfe, die Zeich-
nungen fielen immer verschieden aus, was wohl zu glauben ist. Ich sah
Hunderte von solchen Gefäßen und nie gleichartige.
Ferner ist zu erwähnen, daß die Makondefrau meist eine andere Hel-
ferin an der Seite hat (jedoch nicht haben muß), die ihr die Knet- und
Spiralwulstformung vorbereitet, was ihr die Arbeit sehr erleichtert. In
Dyankali, wo ich die Herstellung eines großen Wassergefäßes filmen konnte,
war die wortlose Zusammenarbeit der zwei Frauen vorbildlich und be-
schleunigte den Vorgang wesentlich. Selbst beim Zeichnen half die andere,
nachdem die Haupttöpferin die großen Linien markiert hatte, die Bänder
zu füllen. Man muß diese Makondefrauen bewundern: die Art, wie sie kon-
zentriert und geschickt arbeiten, wie schön ihre Hände sich bei der Arbeit
bewegen, wie zartfühlend und unendlich geduldig sie mit ihren Kindern
sind, die — während der Töpferarbeit — auf ihrem Rücken schlafen oder
an ihnen herumkrabbeln und die immer bereite Nahrungsquelle nicht ent-
behren wollen, welche ihnen die mit freier Hand auf den weichen Ton zeich-
nende Mutter — ohne ihre Arbeit zu unterbrechen — auf die natürlichste
Weise darbietet.
120
Dias, Makonde-Töpferei
Der fertig verzierte Topf muß drei Tage trocknen. Er wird dazu im
Flaus an einem geschützten, doch luftigen Ort abgestellt. Am dritten oder
vierten Tag ist er soweit. Die Töpferin poliert ihn noch einmal mit dem
Kiesel und reibt ihn dann mit Holzasche, von der Feuerstelle, ein. Da die
helle Asche sich in die eingeritzten Vertiefungen setzt, tritt die Zeichnung
besser hervor. Dann trägt sie ihn aufs Feld oder in den Busch an eine gün-
stige Stelle (nahe hinter dem Haus oder ein Stück weiter weg, wo das ge-
eignete Holz bereitliegt). Dyunguni verwendete hauptsächlich trockne Bam-
bushölzer, in Dyankali waren es andere Zweige. Ich versäumte leider, die
Holzart zu erfragen, vermutlich war es aber m u 1 a. Die Frauen machen
einen niedrigen Holzstoß und blasen das Feuer mit mitgebrachter glühender
Flolzkohle und trockenem Buschgras an, bevor sie das Gefäß in die Mitte
stellen. Dann schichten sie das Holz vorsichtig um das Gefäß herum, um es
völlig zu bedecken (Abb. 19). Es raucht zuerst ziemlich, während sie die
Schichtung vollenden, bis dann nach einiger Zeit der Holzstoß von einer
schönen roten Flamme verzehrt wird. Ist das Feuer heruntergebrannt, so
holen sie den Topf mit einer Bambusstange oder einem Ast vorsichtig rollend
heraus und bespritzen ihn mittels eines Blätterwedels von innen und außen
mit Wasser, in das sie die zerstampfte Rinde eines Baumes gemischt haben.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
121
Abb. 20. Einreiben mit kaolinhaltiger Tonerde nach dem Brennen
Bei Dyunguni in Sanzala war es rötlich aussehende mula-Rinde (mula =
Chlorophora Excelsa) in Dyankali war es muunga-RInde (muunga = ein
dornentragender Strauch). Die Begründung dafür war: „damit das Gefäß
nicht so leicht bricht“. Ob diese Erklärung die richtige ist, kann ich nicht
beurteilen.
Während das Gefäß auskühlt, lösen sie in Wasser etwas von einer mit-
gebrachten weißen „Erde“ auf. Das mineralogische Laboratorium gab die
Analyse: argila cinzenta clara (contem muito material caolínico) = „hell-
graue Tonerde, sehr kaolinhaltig“. Mit dieser weißen Farbe reiben sie nun
den ganzen Topf von außen ein (Abb. 20), während er noch warm ist.
Dyunguni ließ ihn so weiß bestrichen drei Tage stehen, bis sie die Farbe
ab wusch; ebenso sah ich es in anderen Dörfern. Dagegen wuschen in Dyan-
kali die beiden Frauen an Ort und Stelle nach einiger Wartezeit (ungefähr
40 Minuten) die weiße Farbe wieder ab, indem die eine einen dünnen Was-
serstrahl aus einer mitgebrachten Kanne niederfallen ließ, während die
andere mit der Hand das Wasser über die Oberfläche verteilte; die weiße
Farbe wurde also von den erhöhten Stellen entfernt, jedoch in den ein-
geritzten oder eingedrückten Vertiefungen erhalten blieb. Damit war die
Arbeit vollendet.
In beiden Fällen hatte das Gefäß nach dem Brennen einen kleinen
Sprung. In Dyankali sagten sie; „es waren zuviel Augen, die auf den Topf
122
Dias, Makonde-Töpferei
Abb. 21. Ein beim Brennen entstandener Riß wird repariert
schauten!“ Da ich filmte, war das ganze Dorf während der Arbeit um uns
versammelt. Der Sprung wurde in beiden Fällen repariert (Abb. 21). Dyun-
guni ließ, solange das Gefäß noch heiß war, etwas „Bienenwachs“ darauf ver-
schmelzen und verstrich darüber noch dünn von der frischen Tonerde. In
Dyankali hatte die Makondefrau eine Art Harz im Hause, das sie auf einer
Tonscherbe über dem Feuer erhitzte und flüssig machte. In dieser Form
tropfte sie es mit einem Zweig auf den Sprung und „bügelte“ dann mit der
erhitzten Tonscherbe darüber. Das Harz stammt nach ihrer Beschreibung
von einem Strauch nangombe, den sie im Busch zu bestimmter Jahreszeit
aufsuchen. Die Zweigenden, an denen diese klebrige Flüssigkeit in Tropfen-
form hängt, werden gesammelt und zu Hause erhitzt. Aus der so entstan-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
123
Abb. 22. Makondefrauen bei der Herstellung von Pombe
denen klebrigen Flüssigkeit wird eine Kugel geformt, die aufbewahrt wird.
Wenn sie während des Jahres davon brauchen, brechen die Töpferinnen ein
Stück ab. Ich vermute heute, daß das angebliche „Bienenwachs“ der Töpferin
Dyunguni auch Harz vom nangombe-Strauch war, und daß an der Infor-
mation „Bienenwachs“ der Dolmetscher in seinem rudimentären Portugie-
sisch, und der allgemeinen wohl vom Klima bedingten Lässigkeit, schuld war.
Nach der beschriebenen Behandlung Ist das Gefäß gebrauchsfertig (Ab-
bildung 22). Die Herstellung der kleineren Tongefäße geschieht nach derselben
Methode und bedarf keiner näheren Beschreibung.
Die in vielen afrikanischen Völkern mit der Töpfertätigkeit verbundenen
Tabus fanden wir bei den Makondefrauen nicht vor. Ich bin deswegen aber
noch nicht überzeugt, daß keine derartigen Vorschriften existieren. Die aus-
schließliche Befragung über männliche Dolmetscher hat möglicherweise eine
offene Beantwortung der Fragen verhindert. Es muß einer nochmaligen Nach-
forschung überlassen bleiben, diese Lücke zu füllen oder mit Sicherheit die
Nichtexistenz bei den Makonde festzustellen.
Es bleibt uns nun noch das Problem zu lösen, ob das Vorkommen der
reichverzierten Wasserholgefäße bei den Makonde eine schon weit zurück-
124
Dias, Makonde-Töpferei
liegende Tradition ist, welche sie aus anderen Gegenden mitgebracht haben
oder ob es eine unabhängige Erfindung der begabten Makondefrauen war,
die eventuell vor noch nicht zu sehr langer Zeit gemacht wurde. Letztere
Annahme würde das Fehlen dieser Art von Gefäßen bei den nördlich des
Rovuma lebenden Makonde erklären. Die Makonde selber sind allerdings fest
überzeugt, daß ihre Wassertöpfe nie anders waren.
Die Nachrichten, die wir über die Töpferei der Makonde in Forschungs-
berichten früherer Ethnologen fanden, sind wenig aufschlußreich und be-
treffen ausschließlich die Makonde nördlich des Rovuma.
Weule1“, der 1906 — also vor über 50 Jahren — seine Forschungsreise
unter anderem in das Gebiet der Makonde nördlich des Rovuma machte,
beschreibt den Töpfervorgang der dort unter den Makonde lebenden Y a o
in vielen Punkten ähnlich dem unserer Makonde. Er beobachtete dort nur die
Treibtechnik, aber weder Wulst- noch Spiralwulsttechnik. Da er aber u. a.
schreibt: „die Rohform wurde auf diese Weise stets in sehr kurzer Zeit, man
kann sagen in Minuten erzielt“ — muß ich annehmen, daß er zufällig
nur der Herstellung kleinerer Töpfe beiwohnte und über die Herstellung
der größeren Gefäße keine Information bekam. Von der Herstellung der
kleineren bringt er allerdings eine Serie von interessanten Fotografien (Weule,
Tafel 15), aus denen wir die Übereinstimmung mit den Methoden unserer
Makonde in vielen Punkten zu sehen vermögen. In der Ornamentation
unterscheiden sich diese Yao-Töpfe allerdings sehr von den unseren, da Weule
von dem Aufsetzen plastischer Tonschnüre auf die Oberfläche in Ring- oder
auch Zickzack-Form spricht (siehe Weule, Tafel 17). Er scheint dort keinen
Tontöpfen mit gezeichneter Oberfläche begegnet zu sein. Allerdings erwähnt er
am Schluß, daß er über die Töpferei der Mwera (die auch als Nachbarn
der Makonde im Rovumatal leben), keine Beobachtungen machen konnte, was
er sehr bedauere, da sie „über nicht nur sehr große und stattliche, sondern
vor allem sehr schön und geschmackvoll gestaltete und wundervoll ornamen-
tierte Erzeugnisse der Keramik verfügen“. Es sieht so aus, als ob diese In-
formation ein Hinweis auf die Makondetöpfe sein könnte, da die Mwera
ja als nahe verwandt mit den Makonde (Mavia) betrachtet werden; so-
daß also damals die Makonde schon diese besondere Charakteristik ihrer
Töpferkunst besaßen. Über die Makonde nördlich des Rovuma gibt
Weule Seite 78 folgende Beobachtung: „. . . liegt sie (die Quelle) hingegen
weiter ab im Innern, so kann es Vorkommen, daß die Eingeborenen einen
großen Teil des kurzen Tropentages zum Herbeischleppen des Wassers ver-
wenden müssen. Manche Dörfer haben stundenweite Wege dabei abzulaufen.
Mit diesen weiten Wegen und dem steilen Aufstieg hängt es auch wohl
12 Karl Weule: op. cit. Seite 47 bis 48.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
125
zusammen, daß die Makonde sich nicht der schweren, großen Tongefäße
zum Wasserholen bedienen, wie das überall in der Tiefebene Sitte ist, sondern
daß sie zu dem Zweck große Flaschenkürbisse verwenden, die sie dann gleich
zu zweien oder vieren an einer Tragstange befestigen.“
Wir sehen daraus also, daß im Punkte Töpferei die beiden Teile des
sogenannten Makonde-Stammes, wenn nicht eine verschiedene Herkunft, so
aber doch eine verschiedene Geschichte seit längerer Zeit gehabt haben
müssen, da der Gebrauch der Kürbisgefäße, der bei anderen afrikanischen
Völkern als Wasserholgefäße sehr verbreitet ist (z. B. bei den Shangane und
Tchopi in Mocambique) bei unseren Makonde völlig unbekannt ist, obwohl
der von Weule angegebene Beweggrund — der weite Weg zur Wasserstelle
und das enorme Gewicht der Tontöpfe — für unsere Makonde genauso zu-
treffen würde.
Von Fülleborn13, der 1897 die nördlichen Ufer des Rovuma-Gebiets
durchforschte, hören wir, daß auf der kleinen Halbinsel Ikombe des Nyassa-
sees, am Ostabfall des Livingstone-Gebirges, Missionar Richards im „heiligen
Hain des Regenzaubers“ eine Anzahl schöner großer altertümlicher, reich
ornamentierter Tongefäße gefunden haben soll. Einer dieser Töpfe wurde
dem britischen Museum geschenkt. Jedoch die, in Fülleborns Bildband ge-
zeigte Abbildung läßt uns von der, durch den Text hervorgerufenen Ver-
mutung einer eventuellen Beeinflussung wieder Abstand nehmen. Sonst be-
richtet Fülleborn nicht viel über Tongefäße und dann hauptsächlich über
die Stämme am Ufer des Nyassasees, so daß wir also von ihm gar keine
Nachricht über die Töpferei der Makonde nördlich des Rovuma besitzen.
Aus Stuhlmanns Bericht über das deutsch-portugiesische Grenzgebiet am
Rovuma14 ersehen wir, besonders aus der beigegebenen Karte und der Be-
schreibung der Dörfer und Geräte, daß er nicht bis auf das eigentliche Ma-
konde-Plateau gelangt ist, sondern nur in einige Makonde (Mavia)-Siedlun-
gen im Mündungsgebiet des Rovuma, die wohl schon kulturell gemischte und
beeinflußte Siedlungen waren. Über die Tontöpfe ntchindu (also nicht
Makonde-Sprache) schreibt er: „letztere fallen oft durch hübsche Muster auf,
die offenbar erhabene, in geraden oder gebogenen Linien darumgelegte
Schnüre darstellen sollen. Einige Töpfe sind auch schalenförmig und haben
einen Fuß“.
Stuhlmann in seinem Werk „Handwerk und Industrie in Ostafrika“15 be-
richtet nichts über die Töpferei im Makonde-Gebiet, obwohl einige Bemer-
kungen uns sehr interessieren, wie z. Б. diese, daß er „die schönsten Töpfe
13 F. Fülleborn: op. cit.
14 Stuhlmann; Bericht über das deutsch-portugiesische Grenzgebiet am Rovuma.
Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten, Berlin 1897. Seite 188.
15 Stuhlmann: Handwerk und Industrie in Ostafrika. Hamburg 1910.
126
Dias, Makonde-Töpferei
in Uganda gesehen habe, mit großer Sauberkeit hergestellt, auch recht dünne
Schalen, die mit fein schraffierten Bandmustern verziert sind. Sie werden
nach dem Brennen sorgsam mit kieselhaltigen Blättern von Ficus exasperata
Vahl geglättet, möglicherweise auch noch mit Fiarzen oder ölen behandelt,
die nochmals gebrannt, schwarz werden“. Wir waren schon durch Margaret
Trowells Abbildungen von Ugandagefäßen10 versucht, Verbindungen zwischen
den beiden Stämmen zu sehen.
David Livingstone in „The last journals of David Livingstone in Central
Africa“1' schreibt über das Makonde-Land, welches er auf der nördlichen
Seite des Rovumatals durchquert hat: „Pottery seems to have been known
to the Africans from the remotest times, for fragments are found every-
where, even among the oldest fossil bones in the country. Their pots for
cooking, holding water and beer, are made by the women, and the form
is preserved by the eye alone, for no sort of machine is ever used. A
foundation or bottom is first laid, and a piece of bone or bamboo used
to scrape the clay or to smooth over the pieces, which are added to increase
the roundness; the vessel is then left a night: the next morning a piece is
added to the rim — as the air is dry, several rounds may be added — and
all is then carefully smoothed off; afterwards it is thorougly sun-dried. A
light fire of dried cowdung or corn-stalks, or strew, and grass with twigs,
is made in a hole in the ground for the final baking. Ornaments are made
on these pots of black lead, or before being hardened by the sun they
are ornamented for a couple or three inches near the rim, all the tracery
being in imitation of plaited basket work.“
Auch Livingstones Beschreibung der Ornamentierung entspricht nicht der
von uns Vorgefundenen. So ist es zweifelhaft, ob wir, in Ermangelung ge-
nauerer geschichtlicher Angaben, jemals die Antwort auf die Frage der Fler-
kunft der Wasserholgefäße der Makonde (Mawia) finden können16 17 18.
16 Margaret Trowell and K. P. Wachsmann: Tribal Crafts of Uganda. London 1953.
Seite 123, Abb. C, D und F.
17 Horace Waller: The last journals of David Livingstone in Central Africa from
1865 to bis death. London 1874, vol. 1, Seite 59.
18 Alle Fotos stammen von der Verfasserin, die Zeichnungen von Herrn Fernando
Galhano, Porto.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
127
FISCHGATTER AUF DEN KERKENNAH-INSELN
UND DER INSEL DJERBA, TUNESIEN
WOLFGANG LAADE, Berlin
ALLGEMEINES ZUR WIRTSCHAFT
AUF DEN KERKENNAH-INSELN
Die aus den beiden Inseln Chergui und Gharbi bestehenden Kerkennah-
Inseln werden von etwa 16 000 Menschen bewohnt. Die Inseldörfer machen
einen ärmlichen und — wenn man sie mit denen auf dem Festland ver-
gleicht — in mancher Hinsicht vernachlässigten Eindruck. Es scheint, daß
die Bewohner schon seit längerer Zeit ein recht isoliertes Dasein abseits von
den Veränderungen auf dem Kontinent führen. Ein Gefühl für ihre Rück-
ständigkeit und das Bewußtsein ihrer Armut treibt daher Tausende von
jungen Kerkennesen zur Abwanderung nach dem Festland.
Nach Magdelaine Parisot „Tunisie“ (Guide Bleu, Paris 1955, p 169),
sind die Männer auf den Kerkennah-Inseln ausnahmslos Fischer oder See-
leute, und es soll insgesamt über 600 Barken auf den Inseln geben. Neben
der Fischerei wird jedoch auch Bodenbau getrieben, der aber nur den eigenen
Bedarf der Familien decken soll.
Die folgenden Angaben stammen aus dem Ort Kellabine auf Chergui,
der nördlichen und größeren der beiden Inseln. Kellabine hat, wie es hieß,
200 bis 400 Einwohner; das bedeutet, daß am Ort ständig etwa 200 Men-
schen anzutreffen sind, während die anderen 200 für längere oder kürzere
Zeit auf dem Festlande arbeiten. 25 Fischerboote gehören zu Kellabine. —
Der Boden der Kerkennah-Inseln ist angeblich sehr fruchtbar; es fehlt
zu seiner Bestellung aber an Arbeitskräften. Die Jugend sieht diese Arbeit
als zu mühselig und zu wenig einträglich an und zieht die Abwanderung
nach -dem Festland vor. Für eine Intensivierung der Bodenbearbei-
tung fehlt es aber auch an Regen. Eine Bewässerung mit dem Wasser der
vorhandenen artesischen Brunnen ist nicht möglich, da dessen Salzgehalt den
Pflanzen schaden soll, obwohl es als Trinkwasser brauchbar ist.
Die Bodenbearbeitung fällt fast ausschließlich den Frauen zur Last, ob-
wohl die Männer gelegentlich dabei helfen. Größere Felder fehlen, und man
bebaut nur kleine Familiengärten. Der Ertrag besteht aus Hülsenfrüchten
und einigen Gemüsen, besonders den „fühl“ genannten Pepperoni, sowie
etwas Roggen und Gerste für die häusliche Brotbäckerei. Es gibt zahlreiche
Olivenbäume, Feigen- und Orangenbäume sowie einen recht guten Wein.
Eine wichtige Ergänzung der Nahrung bilden die Datteln; es soll etwa eine
128
Laade, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
halbe Million Dattelbäume auf den Inseln geben (Guide Bleu, p. 169).
Wegen des salzhaltigen Grundwassers ist die Qualität der Datteln allerdings
minderwertig, weshalb sie nur für den eigenen Bedarf verwendet werden
können. Aus den Dattelpalmen wird auch der „lägmi“ genannte Palmen-
saft, gewonnen, der frisch oder leicht vergoren — als Palmwein genossen
wird.
An Haustieren finden sich einige Kamele, doch bevorzugt man als
Reit- und Lasttier den Esel. Es gibt einige Schafe, Hühner, Haushunde und
Katzen.
Die als Fischer tätigen Männer nehmen an der Bodenbearbeitung nur
außerhalb der Hauptfangzeit teil, und auch dann nur, soweit sie nicht durch
Reparaturen der Fanggeräte und ähnliche Arbeiten in Anspruch genommen
sind. Zum männlichen Aufgabenkreis gehört jedoch auch die Herstel-
lung von Haifaflechtwerken, die über den eigenen Bedarf hin-
aus auch ein wichtiges Handelsprodukt sind. Es handelt sich um die Fabri-
kation von Schnüren und Tauen, Matten, Körben und Doppeltragetaschen
für den Kamelrücken, Kamelmaulkörben u. ä. In diesem Zusammenhang
seien nur die Fertigungen etwas näher behandelt, die in direkter Beziehung
zur Fischerei stehen: die Herstellung von Schnüren und Tauen. Das Haifa-
gras, das hier wie auf dem Festland wild wächst, wird 14 Tage lang auf der
Erde ausgebreitet und in der Sonne getrocknet. Wir sahen es in Kellabine
Mitte September am breiten, kahlen Strande vor dem Orte liegen, fanden
aber noch Anfang November auf dem Festland, bei Gafsa, Frauen beim
Abschneiden des Grases. Hierauf wird in Kerkennah das Haifa in dicken
Bündeln dicht am Strand ins Meerwasser gelegt, wo es sich voll Wasser
saugt und dadurch seine Sprödigkeit verliert. Endlich wird es mit einem
trockenen, harten Palmenwedelschaft geschlagen und spaltet sich nun in feste,
aber geschmeidige Fasern. Diese werden zwischen den Händen zu einer
dünnen Schnur gedreht. Man hält dabei den bereits fertigen Teil zwischen
dem großen und seinem Nachbarzeh und setzt am Handende fortlaufend
kleine neue Büschel Haifafasern an, die die entstehende Schnur fortsetzen.
Aus mehreren derartigen Schnüren werden endlich Stricke von verschiedener
Stärke geflochten, wie sie auch in der Fischerei Verwendung finden.
Die beiden wichtigsten Fischfangmethoden der Kerkennesen
(und Djerbis) sind:
1. Die Reusenfischerei, die mit großen Fanggattern kombiniert wird;
sie wird vorzugsweise in Winter und Frühjahr, d. h. in den Monaten Ok-
tober bis Mai betrieben.
2. Die Netzfischerei von Motorbarken aus, die, eigentlich an keine Jahres-
zeit gebunden, doch hauptsächlich im Frühjahr, Sommer und Herbst be-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
129
trieben wird. Die Angaben über die Fischfangzeiten waren übrigens sonder-
barerweise sehr unsicher und wichen verschiedentlich voneinander ab.
Angelfischerei vom Boot aus ist bekannt, spielt aber keine nennenswerte
Rolle. Die Saison der Gatter- bzw. Reusenfischerei beginnt im Oktober mit
der Erneuerung der Anlagen, die etwa ein Jahr lang Bestand haben sollen.
(Während des Aufbaues einer neuen Anlage wurde aber, wie noch zu schil-
dern ist, bereits in einer alten gefischt.)
Die Fischerei spielt sich stets in Sichtweite der Küste ab, und Fischgründe
befinden sich alle in festen Händen einzelner Familien.
Keiner Beschränkung unterliegt die Schwammfischerei, die ab
Oktober möglich wird: „die Schwämme werden dann sichtbar“, heißt es.
Vielfach liegt auf Kerkennah wie auf Djerba die Schwammfischerei in den
Händen zugewanderter Griechen. Zur Zeit der Schwammfischerei bleiben,
wie man schilderte, die Männer 20 bis 60 Tage auf dem Meere. Eine großer
Tonkrug voll Trinkwasser, an den Mast gebunden, wird mitgeführt. Zur
Zubereitung von Tee, der nur in winzigen Schlucken aus kleinen Gläschen
getrunken, aber als unentbehrlich empfunden wird, dient ein kleiner trans-
portabler Ofen, entweder ein Produkt der Töpferei von Guellala (Djerba)
oder Kaufhausware aus Blech, der mit Olivenholzkohle („diese heizt am
besten“) gefeuert wird, und eine kleine emaillierte Blechkanne. Zu dem
Proviant gehört vor allem ein rundes, recht hartes Spezialbrot, das zweimal
gebacken und dadurch wochenlang haltbar gemacht wird. Die Herstellung
dieses Brotes hat man angeblich den Italienern abgesehen. Während der Nacht
fahren die Schwammfischer zum Verkauf des Ertrages nach der großen,
Kerkennah gegenüberliegenden Küstenstadt Sfax, während auf Djerba die
Schwämme am Orte abgeholt werden.
Sfax ist für die Kerkennesen auch der Absatzmarkt für die Fische, und
in Sfax handeln sie auch alle die Dinge ein, die ihnen ihre Insel nicht liefert.
Die Fischerei kann entweder in Familiengemeinschaft oder, je nach Ver-
mögen, mit bezahlten Hilfskräften betrieben werden. Auf Hilfskräfte kann
aber auch der Ärmere zur Zeit des Aufbaues der Fanggatter meist nicht
verzichten.
DIE FISCHEREI DES AMOR BEN AM1RA
Das Fanggattersystem konnte bei dem Fischer Amor ben Amira, 42 Jahre
alt, aus Chergui, Kerkennah, besichtigt werden. Er hat vor etwa sechs
Jahren seine Heimatinsel verlassen und zunächst vier Jahre lang in Gemein-
schaft mit seinen Brüdern im festländischen Hafenort Zarzis, südöstlich von
Djerba, Fischfang nach kerkennesischer Methode getrieben. Seit 1958 wohnt
er in Houmt Souk auf der Insel Djerba und brachte als erster das kerken-
9 Baessler-Ardiiv IX
130
Laade, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
nesische Fanggattersystem hierher. Diese Tatsache ist um so bemerkens-
werter, als in dem von Kerkennah viel entfernter gelegenen Zarzis, jedenfalls
nach Amors Aussage, schon lange Zeit zahlreiche Kerkennahfischer wohnen
und in der für sie herkömmlichen Weise Fischfang treiben. Amor hält, wie
alle Kerkennah-Fischer, an seiner heimatlichen Fangmethode fest, da sie
nach seiner Meinung viel ertragreicher sei als das entsprechende System von
Djerba. Er glaubt, daß die Djerba-Fischer früher oder später die Vorteile
des Kerkennah-Systems erkennen und es übernehmen würden, doch scheinen
diese gegenteiliger Ansicht zu sein. Ein djerbischer Fischer, den Amor ben
Amira für seinen Gatteraufbau angeheuert hatte, behauptete strikt — in
vertraulichem Zwiegespräch — daß das Djerba-System besser und prak-
tischer sei. Auf die Unterschiede der beiden Anlagen sei am Schluß ein-
gegangen.
Amor ben Amira besitzt ein großes und ein kleineres Boot. Das erste
wird nur für das Aufstellen der Fanganlage, das zweite nur für das tägliche
Entleeren der Reusen benutzt. Für die Arbeit an der Anlage beschäftigte
Amor ben Amira, als ra'iss (Kapitän) der Mannschaft, vier Männer:
Flassouna Blebech, 33 Jahre alt, stammt auch auch Kerkennah und ist
ständiger Mitarbeiter und Teilhaber des rai’ss. Er erhält stets ein Viertel des
Fanges selbst als Entlohnung.
Aniran Garsala, 33 Jahre alt, stammt gleichfalls aus Kerkennah. Er
erhält ein Monatsgehalt in Bargeld. Da sein Arbeitsverhältnis nur von Monat
zu Monat verlängert wird, will Amran nach einer anderen, festeren Arbeits-
möglichkeit suchen.
Ein älterer Djerbi beteiligt sich als Tagelöhner an dem Aufbau des
Gatters und war nur für die Dauer dieser Arbeit gedungen. Ihm oblagen
nur kleine, leichte Handgriffe und Tätigkeiten auf dem Boot.
Mohamed Boubguira, ein selbständiger djerbischer Fischer von etwa
35 bis 40 Jahren, der nur ein kleines Boot und keine Helfer besitzt, nahm
ebenfalls an der Aufstellung des Gatters teil. Er erhielt dafür als Entloh-
nung einen Teil des am nächsten Tage eingebrachten Fanges, der sich nach
einer bestimmten Anzahl von Reusen bemaß.
Der Fangplatz
Wenn man sich den Kerkennah-Inseln mit dem kleinen Boot nähert, das
die Verbindung mit dem Festland, d. h. der Stadt Sfax, herstellt, so sieht
man im Meere, zum Teil auf engen Raum beschränkt, zum Teil weithin
gestreckt, Reihen von Palmwedeln und die zaunartigen Fanggatter aus dem
Wasser ragen. Die Anlage solcher Fischfängerei ist nur in seichtem Wasser
möglich, und diese Bedingung ist rings um die Kerkennah-Inseln wie um
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
131
Djerba erfüllt. Nach Auskunft der Fischer beträgt die Wassertiefe an den
Fischgründen bei Ebbe 130 bis 160 cm, bei Flut 250 bis 300 cm.
Die Gesamtform und das Fangprinzip des Fischgatters
Zu einer Fanganlage gehören mindestens drei Bestandteile: eine lange
und dichte, in den Meerboden gepflanzte Wand von Palm wedeln,
das G a 11 e r selbst und die Reusen. Das Gatter hat etwa Herzform.
Es gibt einfache und zusammengesetzte Gatter, bei welch letzteren zwei
Gatter ineinander stecken — Hauptkammer und Nebenkammer — wie Fig. 1
verdeutlicht. Das einfache herzförmige Gatter mündet an seiner Spitze in
eine Reuse. Beim zusammengesetzten Gatter sind an die Nebenkammer zwei
Reusen angebaut. Da die Anlage die Gegebenheiten bei Ebbe und Flut
berücksichtigt, streichen die Fischschwärme mit der Gezeitenströmung an der
Palmwedelwand entlang, geraten kurz vor dem Gatter in den Winkel, den
eine zweite Palmwedelwand zur ersten bildet und in dessen Scheitel das
Gatter liegt. Sie treiben so in das Gatter hinein und finden als einzigen
Ausweg nur noch den in die Reusen, die am Meeresboden in die Ver-
schnürung der Matten, die das Gatter bilden, eingebaut sind (Fig. 2 b). Für
das zusammengesetzte Gatter werden insgesamt fünf Matten benötigt, von
denen zwei große von über zehn Meter Länge die herzförmige Hauptkammer
und drei kleine von etwa der halben Länge die angehängte Nebenkammer
bilden. Das einfache, herzförmige Gatter besteht nur aus zwei Matten und
gleicht, obwohl etwas kleiner, im übrigen ganz der Hauptkammer des zu-
sammengesetzten Gatters.
Die große Fischfanganlage vervielfältigt im wesentlichen das einfache
Prinzip (Fig. 3). Die Anlage des Amor ben Amira erstreckt sich über ins-
gesamt 21/2 km. Sie ist in Zickzackform aufgebaut. An jeder Winkelspitze
der Palmwedelwände befindet sich ein Gatter, und zwar abwechselnd ein
Zusammengesetzes — in der Richtung der Gezeitenströmung — und ein ein-
faches — quer dazu —, insgesamt also sieben Gatterpaare. Die Anlage ist
so ausgerichtet, daß die Haupt-Palmwedelwände in leichter Neigung zur
Richtung der Gezeitenströmung liegen. Die großen Gatter öffnen sich also
zur Küste hin. Bei Ebbe streichen die ins offene Meer hinaus treibenden
Fische an den Hauptwänden entlang, geraten so in die Winkel der Zickzack-
linie und damit in die großen Gatter. Diejenigen Fische, die vor dem Ein-
gang des Hauptgatters noch abdrehen, geraten in den winkelig dazu an-
gelegten, trichterförmig verdoppelten Treibzaun und damit in die kleinen,
einfachen Nebengatter, die jeweils den Nebengang abschließen.
Ganz am Anfang der gesamten Anlage befindet sich aber ein Gatter,
das die Fische auch bei der Rückkehr, d. h. bei Flut, auffangen soll. Dieser
Teil hat die Form eines Pfeiles, dessen „Schaft" von der Hauptwand aus
9»
132
Laade, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
Palmwedeln gebildet wird. An der Spitze liegt ein zusammengesetztes Gatter.
Vor dessen Eingang sind — wie „Widerhaken“ — in spitzem Winkel zwei
kurze Palmwedelwände errichtet, an deren Enden einfache Gatter angebracht
sind. Auch vor deren Eingang tritt zu der Hauptwand noch ein Stück
kürzere Wand, so daß auch hier ein trichterförmiger Treibzaun zum Eingang
hinführt. So sind Vorkehrungen getroffen, daß die Fische sowohl bei Ebbe
als auch bei Flut in die Falle gehen und daß selbst bei der Ausweichung vor
den Hauptgattern sie sich doch in den kleinen Nebengattern fangen.
Insgesamt besitzt Amor ben Amira sechs derartige Anlagen, und er plant,
noch weitere acht zu errichten, was als durchaus großzügiges Vorhaben zu
bezeichnen ist.
DIE HERSTELLUNG DER FISCHGATTER
Das Material und die Vorbereitung
Zunächst werden frische, grüne Wedel der Dattelpalme mit dem in ganz
Tunesien gebräuchlichen halbmondförmigen Sichelmesser (auf Djerba ranzfi
genannt) auf eine Länge von 270 bis 300 cm zugeschlagen. Aus diesen wird
dann im Meere die lange, dichte Wand errichtet, wie noch zu beschreiben ist.
Langwieriger ist die Herstellung der Gatter selber. Sie bestehen aus ein-
jährigen, d. h. trockenen Palmwedelrippen, die mit Haifaschnüren zu Zäunen
oder besser Matten zusammengebunden werden. Der Abstand von Stab zu
Stab bei diesen Matten muß kleiner als fingerbreit sein, damit die Fische
nicht hindurchschlüpfen können. Das Gatter ist 250 bis 300 cm hoch, in
Anpassung an die Höhe der Palmwedelwand und des Wasserstandes. Die
gesamte Anlage soll auch bei Flut über den Wasserspiegel hinausragen.
Bei der Vorbereitung des Hauptgatters liegen immer zwei Matten neben-
einander, die zu einer großen Matte von etwa 10 m Länge zusammen-
geschnürt werden; gemessen wurden einmal 10,30 m und einmal 10,50 m.
Das herzförmige Hauptgatter besteht aus zwei solchen Doppelmatten. Die
Matten der Nebenkammer sind etwa halb so groß, was besagt, daß die
Matten grundsätzlich in einer Länge von etwa 5 m hergestellt werden.
Sind die Matten fertiggestellt, so werden an ihnen dickere Pfähle be-
festigt, die zum Einrammen des Ganzen in den Meeresgrund und zur Be-
festigung von Halteseilen dienen. Sie überragen die Matten um etwa 70 bis
80 cm mit den Enden, die in den Boden gesenkt werden sollen. Der Abstand
von Pfahl zu Pfahl an den Matten beträgt vier Fuß, welche Distanz sorg-
fältig vom raiss selber mit den Füßen abgemessen wurde. Wo die Matten
beim späteren Aufbau nach innen umgeschlagen werden, um den trichter-
förmigen Eingang zu bilden, wird der Pfahl nicht auf der späteren Innen-
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
133
seite, sondern auf der Außenseite der Matte befestigt. Sind nun die Halte-
pfähle mit Haifaschnur an die Matten angebunden worden, so werden diese
für den Abtransport zusammengerollt und bei der Ausfahrt dergestalt an
Bord des Bootes über der Palmwedelladung verstaut.
Die Reusen selber, die aus Palmrippen und dickeren Schnüren aus ge-
drehtem und geflochtenem Haifagras bestehen und unten eine festschnürbare
Klappe zum Entleeren aufweisen, treten bis jetzt noch nicht in Erscheinung.
Die Reusen der Djerbis maßen 97 bis 103 cm Länge und an der breiten
Seite, über der trichterförmigen Öffnung, einen Durchmesser von etwa 70 cm.
Die Reusen von Kerkennah sind z. T. bedeutend größer.
Der Aufbau der Fanganlage
Zunächst sei der Aufbau des kerkennesischen Fanggatters beschrieben, der
beobachtet und im einzelnen verfolgt werden konnte. Die Arbeit wurde bei
Ebbe ausgeführt und begann mit der Errichtung des großen, zusammen-
gesetzten Gatters, das für den Fang bei Flut bestimmt ist und den Anfang
der Gesamtanlage bildet.
Nach 11/2Stündiger Anfahrt mit dem schwer beladenen, großen Boot,
wurden die Segel eingeholt und das Boot mit einer langen Stange an die
vorgesehene Arbeitsstelle gestakt. Dieselbe Stange diente, tief in den weichen
Meeresboden gerammt, hierauf auch als „Anker“, an dem das Boot fest-
gebunden wurde. Eine der beiden großen Matten wurde ins Wasser gerollt
und unter vielen Mühen zur halben Herzform aufgestellt, indem nach und
nach die überstehenden Enden der angebundenen Haltepfähle in den Boden
gestoßen wurden. Dabei standen der raiss selber und Hasouna, sein stän-
diger Compagnon, im Wasser und zogen den Pfahl mit den Händen oben
anfassend nach unten. Währenddem drückte Amran, als Helfer vom Boote
aus, von oben auf den jeweiligen Pfahl, hing sich gar an diesen und rammte
ihn, durch Schleuderbewegungen des Körpers nach unten, noch tiefer ein.
Immer wieder mußten bereits eingestoßene Pfähle von neuem vorgenommen
werden bis alle leidlich festsaßen. Als Hilfsmittel und einziges Werkzeug
diente dabei eine 3 Meter lange Stange, an deren Ende ein eiserner Haken
angebracht war. Sie wurde „asküm“ genannt und diente zum Zurechtziehen
der Matten vom Boote aus. Die ganze überstehende Länge der Pfähle muß
in den Boden versenkt werden, damit das Gatter unten fest abschließt. Auf
gleiche Weise wurde nun die zweite Wand eingesetzt, die andere Wand
der Hauptkammer. Noch immer im Wasser schwankend, wurden die Matten
durch Verankerung nun solider gefestigt. Diese Verankerung geschah auf
verblüffend einfache Art. Haifataue wurden zunächst oben an einige Halte-
pfähle geknüpft und erhielten dann am unteren Ende einen merkwürdigen
134
Laade, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
„Anker“. Ein kleines Bündel von etwa 40 cm langen Palmwedelspitzen
wurde einmal in der Mitte umgeknickt, das Tau durch den Knick gezogen,
einmal um das Bündel geschnürt und verknotet. Darauf wurde dieser „An-
ker“ mit der erwähnten Stange — der unbenutzte Fiaken nach oben — tief
in den Meeresschlamm gedrückt, in welchem er sich sofort festsog. Die
Schnüre waren im Nu außerordentlich stramm gespannt und bewirkten einen
wirklich festen Halt des Ganzen.
Figur 2 a zeigt die Pfähle, an denen derartige Verankerungen angebracht
sind. Wo die Matten nach innen in leichter Rundung umgeschlagen sind,
um den Gattereingang zu bilden, wird eine doppelte Verankerung im Winkel
vorgenommen. Die Mattenenden bilden nun auf der einen Seite den trichter-
förmigen Zugang, auf der anderen Seite, Ter „Spitze“ der Herzform, den
offenen Ausgang, um den noch die Nebenkammer zu bauen ist.
Die ganze Konstruktion wird nun noch durch weitere Verschnürungen
gefestigt. An beiden Öffnungen des Gatters werden die Pfähle, die jeweils
Ein- und Ausgang bilden, miteinander verschnürt, und zwar einmal kurz
über der Wasseroberfläche (es war Ebbe während der Arbeit!) und noch
einmal etwa 70 bis 80 cm höher. Somit besitzen die genannten Pfähle einmal
einen Zug nach innen durch diese Verschnürung und ein andermal einen
Zug nach außen durch die vorher beschriebene Verankerung. Endlich ist das
Ganze vollständig stramm gespannt, und die Herzform des Gatters ist klar
erkennbar. Die Matten stehen aufrecht und schwanken nicht mehr im Wasser
hin und her. Die Hauptkammer ist geschaffen.
Drei kleine Matten dienen nun zur Herstellung der Nebenkammer, die
annähernd die Form eines Dreiecks bildet und in die der Ausgang der
Hauptkammer (hinein führt. Zuerst wird an jeder Seite etwas oberhalb des
Ausgangs Ter Hauptkammer eine Matte angeschnürt, nachdem ihre Halte-
pfähle ebenso in den Boden eingerammt wurden wie bei jener zuvor. Schließ-
lich wird die Querwand errichtet, die die Nebenkammer abschließt. An den
beiden Enden, wo je zwei Matten der Nebenkammer Zusammentreffen, be-
finden sich keine Haltepfähle. Diese stehen erst an den Punkten, wo die
Ausbuchtung der Nebenkammer beginnt. Bis zu diesen Punkten werden die
Enden der Matten nämlich wie zu einem schmalen Gang zusammengestellt.
Über diesen Gang werden die Matten an Ihren Enden oben zusammen-
geschnürt, darunter jedoch läßt man eine Öffnung für die Reusen, in die
der Gang direkt hineinführen soll. Da diese Öffnungen sehr breit sind, wird
ein Verschluß derselben — nachdem die Reusen eingesetzt sind —, durch
ein Bündel von drei bis vier Palmwedeln erzielt, wie später zu beobachten
war (Fig. 2 b). Im Wasser bilden diese ein undurchdringliches Hindernis.
Die Ausgangspfähle des Hauptgatters werden nun zur Festigung der Kon-
Baessler-Arch.lv, Neue Folge, Band IX
135
struktion mit der gegenüberliegenden Querwand der Nebenkammer — über
dem Wasser — verschnürt (Fig. 2 a u. Abb. 9).
Der Aufbau dieses zusammengesetzten Gatters nahm 21/2 Stunden in
Anspruch.
Nun folgte das Errichten der Fiauptwand aus Palmwedeln. Die Richtung
derselben soll genau eine Gerade mit Ein- und Ausgang der Hauptkammer
bilden. Die Wand führt daher auf die eine Seite des Eingangs der Kammer
zu. Diese wichtige Arbeit überläßt der rai'ss keinem anderen. Amran be-
sorgte nunmehr das Staken, und Hasouna reichte dem ra'iss, der sich im
Wasser befand, die Palmwedel zu. Eine Reihe von Wedeln steckte dieser
nun im Abstand von einen Meter zueinander in den Meeresboden. Als diese
Arbeit ein Stück gediehen war, begaben sich auch Amran und Hasouna ins
Wasser und füllten die Lücken aus, und zwar so, daß die Distanz zwischen
den Palmwedeln nur noch etwa 10 cm betrug. So entsteht eine dichte Wand
im Wasser. Die Spitzen der Wedel wurden bei der Arbeit mit den Händen
auf eine gleichmäßige Höhe abgebrochen. Der rai'ss fuhr fort, seine die
Richtung markierenden Wedel einzupflanzen, während die beiden anderen
diese zur eigentlichen Wand ausfüllten. Die beiden djerbischen Helfer reichten
den im Wasser Arbeitenden die Wedel zu. Nachdem ein Teil der Hauptwand
fertiggestellt war, wurden auf die gleiche Weise die beiden kürzeren Wände
im spitzen Winkel dazu angelegt. Diese Arbeit wurde nach zwei Stunden
durch das Herannahen der Flut unterbrochen.
DAS EINHOLEN DES FANGES
Eine gesamte, bereits stehende Fanganlage, die sich, wie beschrieben, über
2V2 km hinstreckte, konnte eines anderen Tages beim Einholen des Fanges
besichtigt werden. Die Fischer — diesmal nur der Compagnon des rai'ss,
nämlich Hasouna Blebech, sowie Amran und der jüngere djerbische Helfer,
fuhren diesmal mit dem kleinen Boot. Von Gatter zu Gatter, von Reuse zu
Reuse schritt die Arbeit fort, bis die ganze Anlage auf Beute hin untersucht
war. Der Djerbi war diesmal nur zugegen, um den ihm zugesicherten Anteil,
den Lohn für die Vortagsarbeit, einzuheimsen.
Bei der Ankunft an jedem Gatter, wurde das Segel eingeholt, das Boot
mit der Stakstange dirigiert und dann an dieser verankert. Dann stieg ein
Mann in das Gatter, um möglicherweise noch darin befindliche Fische in die
Reusen zu jagen. Wieder an Bord, knüpfte er nun die Verschnürung der
beiden aneinander befestigten Mattenenden auf, hob den Palmenwedelver-
schluß aus dem Wasser, und man holte endlich mit der Hakenstange die
Reuse nach oben. Die Verschnürung der Bodenklappe wurde gelöst, und
die — meist spärliche — Beute fiel in den dafür bereitgestellten breiten Korb,
136
Laaide, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
Mit der Hakenstange wurde die Reuse wieder nach unten gesenkt, die Matten
oben wieder zusammengeschnürt und das Palmwedelbüschel zum Verschluß
in die Lücke eingesetzt.
Die abweichende Anlage des Djerha-Fangsystems
Eine djerbische Anlage konnte nur im Vorüberfahren aus einiger Ent-
fernung gesehen werden. Ich ließ sie mir daher von Amors djerbischem
Helfer und Kollegen unter Hinzuziehung anderer Djerba-Fischer erklären
und aufzeichnen.
Das Material und die Einzelbestandteile der djerbischen Anlage gleichen
denen der Kerkennah-Fischer. Der Hauptunterschied liegt in der Gesamt-
anlage. Das djerbische System erstreckt sich nämlich geradehin in einer
Richtung, nicht im Zickzack. Diese Richtung ist die der Gezeitenströmung,
der entsprechend die große Palmwedelwand angelegt wird. An dieser sind
Fanganlagen in der Winkel form angebracht, wie sie auch das abschließende
Gatter der Kerkennesen, das für den Fang bei Flut bestimmt ist, zeigt. Somit
besteht die djerbische Anlage aus mehreren an einer Geraden liegenden
Fanganlagen in Pfeilform. Wie bei der kerkennesischen Anlage, so ist auch
am Anfang dieser Anlage normalerweise ein Gatter mit entgegengesetzter
Öffnung angebracht, das ebenfalls dem Fang bei Flut dient. Auf Djerba
sind zusammengesetzte Gatter unbekannt. Die Kammern haben eine etwas
breitere Herzform und münden alle unmittelbar in eine Reuse. Die einfachste
Form der Anlage ist in Fig. 4 a dargestellt. Mehrere solcher Teile kombiniert,
ergeben die große Anlage (Fig. 4 b).
Während in Kerkennah zu jedem Hauptgatter nur ein Nebengatter ge-
hört, gehören in Djerba zu jedem Hauptgatter zwei Nebengatter. Da die
große Palmwedelwand genau in der Richtung der Gezeitenströmung liegt,
mögen zu ihren beiden Seiten Fische entlangstreichen. Dem wird dadurch
Rechnung getragen, daß in beiden Ausweichrichtungen, nach rechts wie nach
links, Nebengatter liegen. Beim Ausweichen werden die Fische auch hier
durch die winkelig angesetzten Nebenwände bzw. durch die trichterförmigen
Treibzäune in die Nebengatter geführt.
Vor- und Nachteile der Gatterfang methoden
Beide Systeme von Fanggattern haben den Vorteil — unter Ausnutzung
der Gezeitenströmungen — Fische bei Ebbe und bei Flut einzubringen. In
beiden Fällen ist durch die Einzelheiten der Anlagen dafür gesorgt, daß ein
Maximum an Beute einkommen kann und ein Entkommen der Fische ver-
hindert wird. Dennoch war die zu beobachtende Ausbeute im Vergleich zum
technischen Aufwand gering.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX 137
138
Laade, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
Der Fischfang mit den beschriebenen Gattern ist nur in seichtem Meere
möglich, und er wird außerdem — wie erwähnt — stets in Sichtweite der
Küste betrieben. Erklärend heißt es außerdem, daß die Boote von Kerkennah
und Djerba für den Hochseefang ungeeignet wären.
Seit unbestimmbarer Zeit wird nun also der Fischfang in der beschrie-
benen Weise immer wieder an den gleichen Plätzen, d. h. im Umkreis upt
die Inseln und in Sichtweite zur Küste, betrieben, und es hat sich angeblich
bereits gezeigt, daß sich die Fischgründe dadurch erschöpfen. Aber noch
immer begnügen sich die Fischer von Kerkennah und Djerba mit ihrem
täglichen Fang, der trotz der riesigen Anlagen kaum mehr ausmacht als
einen Korb pro Tag.
a
-----Verankerungen
.....Verschnürungen
° Haltepfähle
Fig. 2. a) Befestigung des Gatters, b) Einsetzen der Reuse
FIg. 3. Gesamtbild einer Fischereianlage von
_ fische bei Flut
Kerkennah
140
Laade, Fischigatter auf den Kerkennah-Inseln
Fig. 4. Gatter von Djerba
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
141
Abb. 1. Die Reusen (Kerkennah)
Abb. 2. Die Palmwedel werden zu einheitlicher Länge geschlagen
142
Lande, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
Abb. 3 und 4, Die Haltestangen werden an den Matten befestigt, im Hintergrund
bereits fertige Matten für den Abtransport zusammengerollt
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
143
Abb. 5. Wo die Matte später umgeschlagen wird, um den Eingang des Gatters zu
bilden, wird eine Haltestange auf der anderen Seite befestigt
Abb. 6. Die zickzackförmige Anlage im Meer. Die Gatter heben sich durch ihre
hellere Farbe hervor. An der Ecke links im Bild liegt ein einfaches Gatter, rechts
hinten ein zusammengesetztes
144
Laade, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
Abb. 7. Ein zusammengesetztes Gatter. Im Vordergrund die Nebenkammer,
rechts dahinter die Hauptkammer. An der linken Ecke ist eines der Yer-
ankerungstaue zu sehen
Abb. 8. Von links her mündet das Hauptgatter in das Nebengatter ein
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
145
Abb. 9. Der Ausgang der Hauptkammer ist mit der gegenüberliegenden Quermatte
der Nebenkammer verschnürt
Abb. 10. Eingang der Hauptkammer. Die Haltepfähle des Eingangs sind mitein-
ander verschnürt. Auf den Eingang zu führt die große Palmwedelwand. Links die
ersten beiden Wedel, die den Gang zum einfachen Gatter hinüber bilden
10 Baessler-Archiv IX
146
Laade, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
Abb. 11. Vorn das einfache Gatter, im Hintergrund das zusammengesetzte. Vom
Letzteren führt ein durch zwei Palmwedelwände trichterförmig gebildeter Ausweich-
gang zum einfachen Gatter
Abb. 12. Das einfache, herzförmige Gatter. Im Vordergrund zwei im Meeresboden
verankerte Haltetaue
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
147
Abb. 13. Das einfache Gatter wird geöffnet. Der Mann im Vordergrund hebt die
Reuse mit der Hakenstange nach oben
Abb. 14. Die Reuse wird herausgehoben
10'
148
Laade, Fischgatter auf den Kerkennah-Inseln
Abb. 15 und 16. Die Bodenklappe der Reuse wird geöffnet
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
151
BEITRÄGE ZUR ETHNOGRAPHIE DER TUNESISCHEN NOMADEN
HORST NACHTIGALL, Berlin
1. Typologie der tunesischen Nomaden.
2. Die Marazig der tunesischen Sahara.
3. Zelte der Beni Zid Hamrna.
4. Zelte der Hamama.
5. Zelte der Zlázy.
6. Die Mehedba von Achichina.
7. Gurbis.
Im Verlaufe einer kurzen und vorbereitenden Reise, die ich im Frühjahr
1960 durch Tunesien unternahm, boten sich mir verschiedentlich Gelegen-
heiten zu ethnographischen Beobachtungen, die von mir zu einem Teil be-
reits an anderen Stellen publiziert worden sind. Im folgenden seien einige
Notizen über die nichtseßhafte Bevölkerung Tunesiens vorgelegt. Für meine
Reise erhielt ich einen finanziellen Zuschuß vom Ministerium für Unterricht
und Kultus, Mainz, dessen Herren Ministerialrat Prof. Dr. Otto Wegner und
Oberregierungsrat Albert Salm hierfür auch an dieser Stelle gedankt sei.
1. Typologie der tunesischen Nomaden
Die ethnographische Erforschung der nichtseßhaften Bevölkerung Tune-
siens ist ein sehr dringendes Anliegen der Ethnographie. Seit der Erlangung
der nationalen Unabhängigkeit, 1956, hat im ganzen Land unter der Leitung
des äußerst energischen Präsidenten Habib Burgiba eine starke Hinwendung
zur westlichen Kultur eingesetzt. Hiervon ist nicht nur die städtische Be-
völkerung betroffen, sondern in nicht geringerem Maße auch die Bevölke-
rung des Landes, sowohl die seßhaften, als auch die nomadisierenden Teile,
deren materielles Kulturgut am ersten der neuen Zeit zum Opfer fällt. Auch
die Tatauierung der Mädchen wird beispielsweise nicht mehr geübt. Ich
habe mich vergeblich bemüht, einen Tatauierer zu finden.
Das westtunesische und das angrenzende ostalgerische Gebiet entspricht
der altrömischen Landschaft Numidia, der Heimat nichtseßhafter Be-
wohner, deren Name in der Folgezeit den Terminus für die Nomaden in
aller Welt abgegeben hat. Die Herkunft des Wortes ist unsicher. Bei den
griechischen Klassikern gibt es die Begriffe Nomos = Weide und Nomeus
= Hirt. Die sizilianischen Griechen sollen für die nordafrikanischen Hirten-
völker Südlibyens den Namen „Nomados“ geprägt haben, aus dem die
Römer „Numidia“ machten.
152
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Der moderne Begriff der Nomaden ist keineswegs einfach zu umreißen.
Sowohl in der Literatur, als auch den faktischen Erscheinungen nach finden
sich beträchtliche Unterschiede. Ich möchte für Nordafrika die folgende
Unterteilung treffen: Vollnomaden und Teilnomaden, wobei die Vollnoma-
den noch einmal unterteilt werden können in Wüsten- und Steppennomaden.
Auch die Teilnomaden lassen sich noch verschieden unterteilen, je nach der
Stärke ihrer feldbauerischen Komponente. Für das Vollnomadentum — im
Deutschen verwenden wir die Bezeichnung eines Wanderhirtentums — ist es
erforderlich, daß die gesamte Bevölkerung, einschließlich ihrer Herden und
ihrer Wohnungen, oftmals und regelmäßig ihren Wohnsitz verändert, um
die nötigen Weiden für ihre Herden zu gewinnen. Der Inhalt der Definition,
daß die Ortsveränderung den ganzen Stamm umfassen muß, ist das wesent-
liche Kriterium für die Abgrenzung der Vollnomaden gegenüber den Teil-
nomaden1.
Unter den Vollnomaden unterscheiden sich die Wüsten- von den Steppen-
nomaden nach dem Anteil von Kamelen und Schafen. Bei den Wüsten-
nomaden überwiegt das Kamel. Es ist dort sowohl Milchtier, als auch Reit-
tier. Bei den Steppennomaden überwiegt die Kleinviehzucht der Schafe und
Ziegen. Die Wüstennomaden haben ihre Wander- und Weidestätten zwischen
den Oasen. Die Wanderwege der Steppennomaden unterliegen dem jahres-
zeitlichen Wechsel der Niederschläge; im Sommer ziehen sie nach Norden,
Im Winter nach Süden. Die Zugstrecken können viele hundert Kilometer
lang sein. Sie sind im einzelnen in Tunesien noch nicht untersucht. Es wäre
dies aber durchaus möglich. Man kann die Nomaden fast mit dem Auto
begleiten, denn das tunesische Straßennetz ist sehr gut ausgebaut. Allerdings
ist den Vollnomaden durch die politischen Ereignisse ihre Bewegungsfreiheit
stark eingeschränkt worden. Die Grenzen nach Algerien können nicht mehr
überschritten werden, und auch die Grenzen nach Libyen werden praktisch
kaum noch überquert.
Die zeltbewohnenden Viehzüchter, die man in Tunesien allenthalben an-
treffen kann, sind fast durchweg Teilnomaden, deren Bewegungen ständig
mehr eingedämmt werden, um sie von Staatswegen zur Seßhaftigkeit zu
veranlassen. Ein Teil des Stammes ist jeweils zeitweilig bzw. periodisch seß-
haft. Die Viehzucht von Schafen und wenigen Kamelen bildet den wirtschaft-
lichen Haupterwerb. Rinder fand ich nur im Norden des Landes, in der
Gegend von etwa 50 km südlich Tunis ab nordwärts bis fast nach Bizerta.
Ziegen werden neben den Schafen allenthalben gehalten, obwohl ihre Zucht
1 Auf Einzelheiten kann ich im Zusammenhang mit diesem Aufsatz nicht eingehen.
Ich folge in starkem Maße P.-G. Merner und R. Schickele, verweise auch auf
K. Dittmer, S. 257 ff. Eine eigene Studie über die Kulturgeschichte des nord-
afrikanischen Nomadismus befindet sich in Vorbereitung.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
153
von der Regierung verboten worden ist, da sie die junge Baum- und Strauch-
bewachsung zerstören. Die Bevölkerung kann jedoch auf die Ziegenhaltung
in geringem Umfang nicht verzichten, da sie die einzigen ständigen Milch-
tiere und damit absolut notwendige Butterproduzenten sind. Überdies be-
günstigt die Anwesenheit einiger Ziegen in einer Schafherde den Hüte-
vorgang. Die sich selbst überlassenen Schafe würden durch zu intensive
Weide die Wurzeln abfressen. Die beweglicheren Ziegen jedoch sorgen für
eine ständige Bewegung der ganzen Herde, wodurch Schäden in der Boden-
bewachsung vermieden werden.
Von den Herden befindet sich der ganze oder überwiegende Teil ständig
auf der Wanderung, entweder von der Großfamilie oder von besoldeten Hirten
mit deren Familien begleitet. Der letztere Fall trifft für viele der reichen
Herdenbesitzer zu, die selbst in der Stadt wohnen und ihre Herden durch
Berufshirten ständig auf Wanderschaft schicken. Im ersteren Falle handelt es
sich meist um weniger reiche Familien, obgleich man sich in der Wohlhaben-
heit der Herdenbesitzer täuschen kann. Im Äußerlichen sind kaum Unter-
schiede zwischen armen und reichen Herdenbesitzern festzustellen. Beide
wohnen in der gleichen Art und in der Größe übereinstimmenden Zelten,
unterschieden nur durch die Ausstattung mit Teppichen. Außerdem hat ein
Reicher öfter die Möglichkeit zum Fleischgenuß, und seine Familie trägt —
meist — mehr Schmuck.
Von einem Teil des Stammes bzw. der Familien wird Feldbau getrieben.
Anbaufrüchte sind vorwiegend Weizen, seltener Gerste und Roggen. Meist
werden die Felder nach der Aussaat verlassen, und man kehrt erst zur
Erntezeit wieder zurück. Außerdem sind viele Herdenbesitzer gleichzeitig
Besitzer von ölbäumen, die aber nur zur Ernte aufgesucht werden und die
ihren Besitzern bisweilen ein beträchtliches Einkommen sichern.
Als wohlhabender als die Ölbaumbesitzer gelten die Dattelpalmen-
besitzer der Oasen. Man spricht in Tunesien sogar von den scheinbar para-
doxen Begriffen der Ölbaum-Nomaden und der Dattelpalmen-Nomaden.
Diese letzteren können typologisch als eine eigene Gruppe der Trans-
humanten klassifiziert werden, die ich Oasen-Transhumanten
nennen möchte. Ich konnte sie kurz in den Oasen südöstlich des Schott
el-Djerid besuchen.
2. Die Marazig der tunesischen Sahara2
Es handelt sich um Teile der großen, etwa 40 000 Menschen zählenden
Gruppe der Nefzaoua, deren um Douz wohnende Untergruppe die Marazig
2 In der Transkription verwende ich aus technischen Gründen die folgende Um-
schrift: Vokale wie im Deutschen, kurz; Konsonanten wie im Englischen; s =
154
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
sind. Sprache und einige Züge ihrer geistigen und materiellen Kultur sind
1951 durch Gilbert Boris beschrieben worden. Die folgenden Informationen
stammen aus der Oase Douz und von den bis etwa 30 km südlich Douz
nomadisierenden Marazig.
Die Bevölkerung lebt teils in der Oase, teils bei den Herden in der
im Süden angrenzenden tunesischen Sahara. Feste Regeln für die jeweilige
Verteilung der Menschen konnte ich nicht ermitteln. Es ist dies in den
einzelnen Familien verschieden. Eine sehr allgemeine Zahl würde im Durch-
schnitt zwei Drittel bis drei Viertel der Bevölkerung als seßhaft in der
Oase angeben und ein Drittel bzw. ein Viertel nomadisierend in der Wüste.
Dieses Verhältnis schwankt aber jahreszeitlich. In der Erntezeit, im Oktober
und November, müssen fast alle Männer in der Oase bei der Einbringung
der Dattelernte tätig sein. Die Herden werden dann nur durch Hirten
beaufsichtigt. Vom April bis Juni hingegen wird der größte Teil der Männer
bei den Herden in der Wüste benötigt, denn Ende April findet die Schaf-
schur statt, im Mai die Ziegenschur und im Juni die Kamelschur. Vorher,
im März und April, verlangt die Oase viele Arbeitskräfte, denn die Palmen
überläßt man in der Blütezeit nicht sich selbst. Die Dattelpalme ist zwei-
geschlechtlich. Von den hohen männlichen Palmen läßt man nur wenige
stehen. Zur Zeit der Blüte klettert ein Mann in die Krone und bricht die
Staubblüten ab. Hernach steigt er in die Kronen der weiblichen Palmen,
bindet die Blütenstände zu einem Strauß zusammen und steckt einen männ-
lichen Blütenstand in jeden Strauß hinein. In dieser Zeit müssen außerdem
in der Oase die Kanäle für die Be- und Entwässerung überholt werden,
außerdem findet die Düngung der Palmen, die Beackerung der Oasenfelder
und das Jäten der bereits aufgegangenen Saaten statt. Alle diese Arbeiten
werden bei den ärmeren Familien von den männlichen Familienmitgliedern
vorgenommen, bei den reicheren Familien von armen Taglöhnern.
Entsprechend steht es mit der Arbeit und der Beaufsichtigung der Herden
in der Wüste. Während meines mehrtägigen Aufenthaltes in den Zelten taten
die Männer keinen Handschlag. Man döste vor sich hin, oder es wurde
stimmlos, z = stimmhaft, h = halbrauhes h, in der Mitte zwischen h und x;
x = wie deutsch ach; gh = entfernt ähnlich wie spanisch j; s = wie deutsch
schön; z = wie englisch Djungel; j = wie französisch Journal; dh = wie englisch
that; th = wie englisch think; £ = kurzes offenes e wie deutsch wenn; o =
kurzes offenes o wie deutsch voll; äü = wie deutsch Haus; rr = stark gerolltes
Zungen-r. — Lange Vokale werden durch einen darüber gelegten Strich (”), die
Betonung durch einen Akzent (') und der Kehlverschluß vor dem Anlaut durch '
angegeben. — Auf weitergehende Unterscheidungen habe ich als Nicht-Orientalist
verzichtet. Desgleichen habe ich von einer Transkription der aus dem klassischen
Arabischen stammenden vulgärarabischen Bezeichnungen ins Hoch-Arabische ab-
gesehen. Unterschiedliche Benennungen und Aussprachen des gleichen Begriffs bei
verschiedenen Stämmen habe ich so gelassen, wie sie aufgenommen wurden.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
155
kräftig politisiert, wozu genügender Stoff aus der Zeit des ersten und
zweiten Weltkrieges und aus Anlaß der nahegelegenen algerischen Grenze
bestand. Auf meine Frage, was die Männer denn täten, wenn ich nicht
anwesend wäre, wußte man mir zunächst keine Antwort zu geben. Schließlich
antwortete ein jüngerer Mann, daß es ja immer einmal vorkommt, daß ver-
laufene Kamele oder Schafe gesucht werden müßten. Das aber ist tatsächlich
nur die Aufgabe der Jugendlichen. Die Männer gingen früher dem Raub
nach, und seit der Pazifizierung haben sie kaum Arbeit. Abwechslung bringt
der Wochenmarkt, zu dem man bereits eine Nacht vorher aufbricht und
nach dem Markt in der folgenden Nacht ins Lager zurückkehrt.
Die eigentliche Arbeit der Beaufsichtigung der Herden obliegt den
Hirten, die meist aus den männlichen Mitgliedern ärmerer Familien gegen
Lohn engagiert werden. Ein Hirt (sera) beaufsichtigt seine Herde mit Hilfe
von einem bis zwei Hunden, die aber längst nicht so gut abgerichtet sind
wie unsere Schäferhunde. Sie werden vorwiegend durch Steinwürfe dirigiert.
Der Hirt erhält neben einem Lohn in bar von seinem Herdenbesitzer Klei-
dung und Nahrung. Mit seiner Familie wohnt er in einem eigenen Zelt im
Lager. Er bekommt seine Mittagsmahizeit mit und verläßt das Lager
morgens, um erst am Abend wiederzukehren. Die Herde soll häufig vom
Wölf (dhlb) angegriffen werden. Die Kamele laufen frei in der Nähe des
Lagers umher, stets getrennt von den Schaf- und Ziegenherden. Nur Besitzer
zahlreicher Kamele lassen diese durch einen eigenen Kamelhirten beauf-
sichtigen.
Zu genaueren Untersuchungen über das Hütewesen fehlte mir die Zeit.
Als durchschnittlicher Besitz einer Familie wurden mir 25 Kamele, 30 Schafe
und 60 Ziegen in der Wüste und dazu 2 bis 3 Kamele und ein Esel für
die Arbeit in der Oase genannt. Die beiden reichsten Familien sollen 150
bzw. 300 Kamele, 160 bzw. 200 Ziegen und je etwa 200 Schafe besitzen.
Die Werte entsprechen in Douz: 1 Kamel 35 bis 40 Dinar (1 Dinar =
10 DM), 1 Ziege 3 bis 4 Dinar, 1 Schaf 6 bis 7 Dinar, 1 Esel 15 bis 20 Dinar
und 1 Pferd etwa 60 Dinar. Pferde spielen im übrigen keine Rolle. Sie
sind für manchen Liebhaber ein Hobby, ohne daß daraus auf Reichtum oder
auf einen größeren Besitz geschlossen werden kann.
Wie bei allen Nomaden üblich, pflegen die nomadisierenden Teile der
Marazig im Familienverband zu lagern. Der Besitz an Herden gehört der
Großfamilie. Verfügungsberechtigt ist der älteste Mann, der Patriarch oder
der älteste Sohn. Die jüngeren Söhne sind über die einzelnen Tiere nicht
verfügungsberechtigt. Ein normales Lager besteht somit aus sovielen Zelten,
wie verheiratete Söhne zu einer Großfamilie gehören, also im Durchschnitt
etwa zwei bis sechs. Die größte Anzahl von beobachteten Zelten auf engem
Raum betrug fünfzehn, ohne daß ich allerdings Gelegenheit hatte, mich
156
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Abb. 1. Lebensraum der Marazig
Abb. 2. Zelt der Marazig
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
157
Abb. 3. Mittelpfahl mit Firstholz, Marazig
über die Betreffenden verwandtschaftlichen Verhältnisse des Lagers zu infor-
mieren.
Das Nomadenzelt Beherbergt grundsätzlich nur eine Familie. Der ver-
heiratete Sohn erhält es meist unmittelbar nach seiner Hochzeit von seinem
Vater. Die Kinder leben bis zu ihrer Verheiratung üblicherweise im Zelt
des Vaters. Ich fand allerdings auch ein Lager, in dem die erwachsenen,
aber noch unverheirateten Söhne einer Familie ein kleines Zelt neben dem
des Vaters erhalten hatten.
Das Zelt der Marazig (bet) (Abb. 2) ist mittelgroß und kleiner, als bei-
spielweise die unten zu beschreibenden Zelte der Hamma und Hamäma.
Der Grundriß ist rechteckig. Das Zeltdach besteht aus einer Anzahl von
nebeneinandergenäh'ten Webstoffbahnen, die durch ein Stangengerüst ge-
tragen und über Laschen, Winkelhölzer und Spannstricke durch Holzpflöcke
im Boden verankert werden.
Die einzelne Zeltbahn (flij) wird auf einem horizontal über dem Erd-
boden ausgespannten Webrahmen von den Frauen gewebt. Die Länge einer
Bahn hängt von der beabsichtigten Größe des Zelts ab und erreicht bei den
Marazig etwa 4 bis 9 Meter. Die Breite jeder einzelnen Bahn beträgt
zwischen 10 und 60 cm. Ihr Wert wird mit 3 bis 4 Dinar angegeben. Die
meisten Bahnen bestehen aus dem schwarzen Ziegenhaar. Außerdem gibt es
die schmaleren gelben Bahnen aus Schafwolle und die ebenfalls stets schmalen
158
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Bahnen aus dem braunen Kamelhaar. Die Webform ist die Leinwandbin-
dung3. Die Seiten jeder einzelnen Bahn zeigen gelegentlich eine Zierkette
(Abb. 3), die durch verschiedenfarbige Kettfäden hervorgerufen wird. Die
Schußfäden sind stets einfarbig. Die einzelnen Bahnen aus dem verschie-
denen Material werden in abwechselnden Farbzusammenstellungen über-
wendlich mit einer groben Naht (xieta) nebeneinander genäht. Von der
Innenseite her werden quer zu den einzelnen Bahnen Gurte aufgenäht, die
zur Versteifung des Zeltdachs und als Auflagefläche für die Zeltstäbe dienen.
Sie sind immer mehrfabrig, teils aus schwarzer Ziegenwolle, teils aus orange,
weiß oder rot gefärbter Schafwolle gewebt. Geometrische Muster einer Zier-
kette konnte ich nicht finden4.
Jedes Zelt har drei dieser quer genähten Gurte, einen breiten in der
Mitte (trege) (Abb. 2 und 3) und an den Seiten zwei schmalere, für die mir
die Bezeichnung träyik (pl. von trege) genannt wurde. Die Gurte sind am
Ende um einen Holzstab oder ein Saumhölzchen gelegt und umgesäumt
(Abb. 2). Vom Holzstab gehen zwei gezwirnte Schnüre (xit) zu einem ge-
winkelten Holz (zezil). Um dieses ist in der Mitte die Spannschnur (tönnob)
gelegt, die durch einen in den Boden geschlagenen Holzpflock (mothok)
gespannt wird. Ein besonderer Hammer zum Einschlagen der Zeltpflöcke ist
nicht vorhanden, sondern man benutzt dazu einen anderen Holzpflock. Ins-
gesamt finden sich an der vorderen und hinteren Breitseite des Zelts je drei
Verspannungen, gemäß den drei Zeltgurten. Bei aufkommendem Wind wer-
den noch zusätzlich zwei Hanfseile (häbel) über das Zelt gelegt und durch
Erdpflöcke im Boden verankert. Außerdem gibt es Ziegenhaarseile, arey.
Die weitere Verankerung des Zelts geschieht an den Seiten. Hierfür
werden gedrehte Hanf- oder Wollschnüre entweder auf die Zeltbahnenden
aufgenäht, oder — wenn die Bahnen die geeignete Breite haben — man näht
die Schnüre auch auf die Nähte von zwei Zeltbahnen (ähnlich Abb. 5 und 7),
wo die Haltbarkeit größer ist. Die Schnüre sind wie bei den vorderen und
3 Über das Webverfahren vgl. Rackow und Caskel, S. 154 und Taf. 1.
4 Zierketten werden von Rackow (Rackow und Caskel, S. 155) von den alge-
rischen Zelten beschrieben. Rackow hatte seinerzeit keine Gelegenheit, die tune-
sischen Zeitformen zu studieren. Sie sind, aufs Ganze gesehen, einfacher und
mit weniger Zierrat versehen als die algerischen. Allerdings hat Rackow in seinen
außerordentlich genauen und instruktiven Zeichnungen ein „Idealzelt“ mit den
Merkmalen aus einer großen Anzahl von untersuchten Zelten beschrieben. Die
hier darzulegenden Beschreibungen und Abbildungen sollen — neben den bisher
noch nicht ausführlich beschriebenen tunesischen Zeitformen — Einzeltypen in
möglicher Genauigkeit vorstellen. Grundlegend in seiner Übersichtlichkeit und
Terminologie ist jedoch die genannte Rackowsche Arbeit, auf die hier besonders
verwiesen sei. Für die marokkanisch-berberischen Zelte sei auf die sehr ausführ-
lichen Arbeiten von Laoust und Delphy verwiesen. Beiträge zu den tunesischen
Zelten liefern auch Märtel (S. 46—48); Borg (S. 49—60); Borg et Ginestous
(S. 61—67); Massabie (S. 76—80).
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
159
hinteren Gurten an einem Winkelholz — oder wenn nicht vorhanden, an
einem geraden Stab — befestigt und über eine Spannschnur an einem in den
Boden geschlagenen Holzpflock befestigt. Durch diese Spannschnüre wird
vermieden, daß die Zeltbahnen den Boden berühren. Diese traditionelle
Befestigungsart hat in Steppengebieten durchaus ihren Sinn: wird doch damit
verhindert, daß die gelegentliche Feuchtigkeit des Bodens, besonders in der
Regenzeit, vom Zelt aufgesogen wird.
Das Gerüst des Zelts besteht bei den Marazig aus drei Reihen von
Stangen, die unter den drei Gurten aufgestellt sind. Ihre Zahl richtet sich
nach der Größe des Zelts. Das Zentrum ist der im Durchschnitt knapp 2 m
hohe, stets unverzierte Mittelpfahl (rkesr). Auf diesem liegt ein leicht ge-
krümmtes Firstholz (gurtäs). Es ist etwa 40 cm lang und 8 cm breit und
in der Mitte zur Auflage für den Mittelpfahl mit einer Verdickung ver-
sehen, die bisweilen eine kunstlose Schnitzverzierung aufweist (Abb. 3).
Das ist zweifellos eine Verarmung, denn wir wissen aus älteren Berichten
von besser ausgeführtem Schnitzwerk, auch von Malereien und von Amu-
letten, die am Mittelpfahl angehängt sind. Vor und hinter dem Mittelpfahl
sind in Verlängerung des Firstholzes zwei weitere Pfähle aufgestellt. Der
vordere wird srä genannt und der hintere hames. Von den kleineren Zelt-
stangen, die unter den beiden seitlichen Gurten aufgestellt sind, fand ich
bei den Marazig-Zelten an jeder Seite vier. Sie wurden mir als amut (Pl.
ämet, „Säulen“) genannt. Über die Benennungen der einzelnen Zeltstäbe,
mit Ausnahme des Mittelpfahls sowie auch über viele Einzelteile, konnten
mir die vier Männer, sämtlich Zeltbesitzer, mit denen ich zusammen war,
keine Auskunft geben. Sie mußten erst ihre Frauen fragen, die auch das
Auf- und Abbauen der Zelte besorgen.
Die Rückseite des Zelts besteht ebenfalls aus gewebten, aber schma-
leren Zeltbahnen, die in gleicher Form wie die einzelnen Bahnen des Zelt-
dachs nebeneinander genäht sind, so daß kein scharfer, äußerlich wahrnehm-
barer Unterschied besteht. Der Mittelgurt und die beiden Seitengurte sind
auch unter den Bahnen des Hinterteils des Zelts angenäht. Die Rückseite,
wie auch die beiden Schmalseiten des Zelts, sind durch außen oder innen
dagegengestellte Gebüsche oder Sträucher (ruagät) gegen Sand und Wind ab-
gedichtet und durch darüber gespannte Seile gesichert. Die Vorderseite ist
offen. Sie ist in der Nacht durch Matten verschließbar. Die eine Hälfte der
Zeltvorderseite ist häufig ständig durch Sträucher in einem gewissen Umfang
verschlossen (Abb. 2).
Das Zeltinnere ist durch einen schmalen Teppich (klim), eine ge-
webte Decke (zäura) oder ein einfaches Wolltuch (hoyly) in zwei Abtei-
lungen geteilt, deren Mitte der Mittelpfahl bildet. Wenn man vor dem Zelt
steht, ist die rechte die Frauenseite und Küche und die linke die Männer-
160
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
seite und gleichzeitig Empfangsraum für Gäste. Da das Lager aus Ver-
wandten besteht, kommt es auch vor, daß ein eigenes Kochzelt errichtet
wird, in dem mehrere Frauen für ihre Männer gemeinsam kochen, während
sich in einem anderen Zelt die Männer gemeinsam aufhalten. So war es auch
in dem Lager der Fall, in dem ich Gast war (vgl. Abb. 2). Hier besetzten
die Männer mit mir beide Zelthälften, die in ihrem hinteren Teil vom
Mittelpfahl aus noch durch den Teppich getrennt sind. Außerdem war das
Zeltinnere durch eine insgesamt 7 m lange, dreifarbige Decke aus Schafwolle
(margüm) wie durch eine kleine Wand abgeschlossen. Die hierzu verwen-
deten Farben sind rot und schwarz, dazu die im Original gelbliche Natur-
wolle des Schafs. Als Sitzgelegenheiten dienen mit Schafwolle gefüllte Kissen
(wisede).
Die Küchenhälften einzusehen hatte ich nur geringe Möglichkeiten, und
auch erst nach Entfernung bzw. völliger Verschleierung der Frauen, die ich
in keinem Falle unverschleiert zu Gesicht bekam. Üblicherweise bewegen sie
sich unter ihren Verwandten sonst unverschleiert.
Das Kücheninventar ist nomadenhaft einfach. Die Feuerstelle besteht aus
drei Steinen (monäsep, Sg. monespa), die um eine Vertiefung aufgestellt
sind, in der das Feuer (äfie) brennt. Tontopf (berma), Metalltopf (geder),
Kuskussieb (keskes), ein zweihenkliger Tonkrug (qülla) für das Wasser (me),
Holzschüssel (gassä), Ziegenhaarsieb (arey) oder ein gekauftes Sieb aus
Pferdehaar (rhbel) für die Kuskusherstellung, Holzlöffel (rundjey) sowie
Messingmörsers (meheras) mit Stössel (erzem) sind die wichtigsten Geräte.
Dazu kommen mehrere Wassersäcke aus Ziegenfell (glrba), an denen ein
Haifa-Seile (Örra) befestigt ist. Gleichartige Ziegenfell-Säcke, allerdings mit
den Haaren nach innen, dienen auch als Buttersäcke (säkwa). Gebuttert wird
je nach Milchanfall alle zwei bis acht Tage. Der Sack wird in den Händen
gehalten und etwa 15 bis 20 Minuten wiegend auf- und abbewegt.
Neben dem täglichen Kuskus, dessen Zutaten neben dem griesförmigen
Kuskusmehl (küsuksi), Ei (athma), Bohnen (fül), Zwiebeln (bsäl), die Butter
ist (zebde, gleichgültig, ob Ziegen- oder Schafbutter), wird täglich Brot ge-
backen. Der Teig besteht aus ungesäuertem Mehl. Zum Backen wird ein
Holzfeuer auf dem sehr feinen Sandboden entfacht, dann wird die Asche
weggeschoben und der Brotteig auf den heißen Sand gelegt und mit Sand
zugedeckt. Der Backvorgang dauert etwa 20 Minuten. Außerdem wird täglich
Milch getrunken (hellb; gleichgültig, ob Ziegen- oder Schafmilch; Kamelmilch
wird nicht genossen), und außerdem die Buttermilch (Iben). Eine Delikatesse
sind im Frühjahr die großen, grünen Heuschrecken (jerat), die über Feuer
geröstet werden und geschmacklich etwa unseren „Kieler Sprotten“ zu ver-
gleichen sind. Der Fleischgenuß ist im übrigen gering. Das Fleisch von Ziege
(anis) und Schaf (näje) oder Kamel (jmel) wird von den meisten nur zweimal
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
161
im Jahr genossen, an den Beiden höchsten Festen; layt zu Ende des Ramathan
und zu asura, dem Tod des Propheten. Reiche Leute essen zu wichtigen Ge-
legenheiten Ziegenlamm (djedi, PL djedidn) oder Schaflamm (alus, PL alelis).
Gelegentlich sah ich bei den Zelten auch einige wenige Flühner (djeje, PL
djes) und einen Hahn (serdük).
Zu den speziellen und in jedem Zelt befindlichen Frauengeräten gehört
die Spindel (mörzel; mit Spindelholz söt und Wirtel nezele)5. Das ver-
breitetste Männergerät ist die gezähnte und nur leicht gebogene Sichel
(mhesye). Das Feuer wird mit gekauften Streichhölzern (uglt, Sg. ut) ent-
facht. Falls keine Streichhölzer vorhanden und auch kein Feuer von einer
Nachbarin zu entleihen ist, schlagen die Männer mit Hilfe eines Eisen-
stücks, beispielsweise einer Messerklinge (hädit), Feuer aus einem Feuerstein
(soüan). Als Zunder dient ein Stück Stoff.
Da wegen der trockenen Witterung vor dem Zelt gekocht werden kann,
ist vor der Frauenhälfte ein halbkreisförmiger Windschutz aus Gesträuch
erstellt.
Leider war es mir nicht möglich, im Rahmen meines nur kurzen Besuches
die Teile der Kleidung der Marazig abzufragen und aufzunehmen. Es stehen
einer solchen Arbeit beträchtliche Schwierigkeiten gegenüber, die von Ernst
Rackow mehrfach sehr nett beschrieben worden sind. Da ich die Rackow-
schen Arbeiten bei mir hatte, war es jeweils ein amüsanter Zeitvertreib der
Männer, sie durchzublättern und mit mir zu erörtern, welche Unterschiede
der von Rackow beschriebenen libyschen, algerischen und marokkanischen
zu der südtunesischen Tracht bestehen. Die zahlreichen Unterschiede ohne
eine positive Demonstration hier aufzuzählen, würde zu weit führen. Es sei
dies einer späteren Feldarbeit Vorbehalten.
3. Zelte der Beni Zid Hämma
Die tunesischen Bevölkerungsteile, die man fast allenthalben von den
Landstraßen aus in ihren Zelten wohnend oder auf der Wanderschaft sehen
kann (vgl. Abb. 4), gehören verschiedenen Stämmen an. Wirtschaftlich sind es
nach der oben gegebenen Definition meist Teilnomaden. In besonders star-
kem Maße finden sie sich im Tiefland Ost-Tunesiens, von Nabeul und
Zaghouan ab nach Süden bis zur libyschen und algerischen Grenze. Sie sind
dem Fremden gegenüber durchweg aufgeschlossener als die Marazig, und
man kann nach bereits verhältnismäßig kurzer Zeit mit ihnen in ein freund-
5 Ein Webapparat für die Zeltbahnen war nicht vorhanden. Nach dem sehr an-
schaulich bei Rackow und Caskel, Taf. 1, abgebildeten Webrahmen von den Ulad
Näil aus Algerien besteht nur insofern ein nennenswerter Unterschied, als der
Trennstab hier hüf genannt wird. Alle anderen Termini wurden mir als gleich-
lautend bestätigt.
11 Baessler-Archiv IX
162
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Abb. 4. Auf ein Kamel verladenes Zelt, Beni Zid Hátnma (östlich Gafsa)
schädliches Verhältnis kommen. Meist habe ich es so gemacht, daß ich auf
der Straße mit dem Auto angehalten habe, wenn in nicht allzuweiter Ent-
fernung Zelte sichtbar waren. Ich habe dann abgekocht oder mir irgendwie
zu schaffen gemacht und mein Kofferradio eingeschaltet. Bald tauchten dann
meist auch die Männer auf. Ein Gespräch kam schnell in Gang. Nach kürzerer
oder längerer Zeit machte man mir das Angebot, das Radio als Attraktion
in die Zelte zum „Harem“ zu entführen. Ich sagte unter der Bedingung zu,
daß ich in die Zelte mitkommen und sie mir ansehen könnte, was meist
erlaubt wurde. So hatte ich Gelegenheit, meine Aufzeichnungen zu ergänzen
und sie besonders um -die Aufnahme der Frauenarbeit nachzutragen. Meine
Aufenthalte erstreckten sich teils nur auf wenige Stunden, teils, wie bei den
Mehedba von Achichina, auf mehrere Tage. Weggeschickt wurde ich nie, wie
man überhaupt allenthalben außerordentlich höflich ist. Es war aber zu be-
merken, wenn es für die Leute „yezi“ „genug“ war und wenn sie sich, meist
auf Anweisung des Ältesten, einer nach dem anderen zurückzogen.
Die Beni Zid Hámma nomadisieren um die nach ihnen benannte Oase
El Hámma herum, die 28 km westlich der Oase Gabés liegt. Sie treiben zu
einem Teil Getreidebau und wohnen dabei teils in Häusern in der Oase,
teils in ihren Zelten in der Umgebung. Sie gelten als relativ reich, denn
allenthalben halten sich in der Nähe der Zelte Kamele auf.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
163
Abb. 5. Zelt der Beni Zid Hämma, Rückseite
Ihre Zelte fallen äußerlich dadurch auf, daß sie größer als die der
Marazig sind (Abb. 5.) Ihre Breite beträgt meist über 10 m, ihre Mittelhöhe
etwa 2,30 m, die durchschnittliche Zahl der Zeltbahnen ist zwölf. Das First-
holz, gurtäs, wird nicht durch einen, sonder durch zwei Mittelstangen
(erkäys) getragen, die über Kreuz gestellt sind. Nach der Vorderseite hin
sind unter dem breiten Mittelgurt in Verlängerung des Firstholzes drei Zelt-
stangen aufgestellt, von denen jede srä genannt wird. Sie unterstützen den
Gurt nicht unmittelbar, sondern haben auf ihrer Spitze ein Unterlegholz
(kürba), das natürlich erheblich kleiner als das Firstholz ist. Flinter dem
Firstholz wird das Zeltdach durch zwei Zeltstangen (hamis) getragen, die
aber unmittelbar und ohne Unterlegholz unter dem Mittelgurt aufgestellt
sind.
Rechts und links von der mittleren Reihe der Zeltstangen wird das
Zeltdach unter den beiden äußeren Gurten durch je sechs kleinere Zeltstangen
(amüt, PL ämet) unterstützt. Ihre Zahl, wie auch die der mittleren Zelt-
stangen, ist immer gleich, unabhängig von der Zeltgröße. Die Gurte, mit
denen das Zelt gleichzeitig verankert wird, heißen triga, die daran be-
festigten gezwirnten Schnüre xit triga und das Winkelholz — zum Unter-
schied von den Marazig — amira. Die Spannschnur wird wieder tönnob
genannt.
Die Einteilung der beiden Zelthälften ist umgekehrt als bei den Marazig.
Die Frauenseite ist rechts, die Männerseite links. Die Zeltmitte wird durch
Kisten und Holzgestelle, auf denen Nahrungsvorräte und die Decken für
die Nacht aufgeschichtet sind, markiert (Abb. 6). Vor dem Zelt dient jeweils
11
164
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Abb. 6. Zeltinneres mit Gestell für Vorratssäcke, Beni Zid Hämma. Die vordere
Frau beim Zwirnen der vorher versponnenen Ziegenhaare
eine Einzäunung durch Dornengestrüpp als Windschutz und zur nächtlichen
Aufbewahrung der Kleintiere. Mit dem gleichen Material werden auch die
Zelte am Boden von Innen abgedichtet.
4. Zelte der Hammama
Ich hatte auf dem Wege von Kairuan nach Thugga Gelegenheit zum
Besuch eines Elammäma-Lagers in der Nähe der Bahnstation El Akhouat. Die
Station liegt etwa 500 m hoch und je etwa 50 km nördlich Maktar und 50 km
östlich Le Kef. Die Hammama sind etwa 220 km weiter südlich bei Gafsa
in einem sehr heißen Land beheimatet. In ihrem gegenwärtigen Weidegebiet
hatten sie sich in ihrer Kleidung dem — für sie — rauhen Klima angepaßt
und die berberische kasabia, den wollenen, gelb-braun gestreiften Kapuzen-
mantel, angelegt (vgl. Abb. 7). Dazu gehört ein weißes Halstuch (lähfa) und
ein roter „Fez“ (kabüs) mit einem gelegentlich darum herumgelegten gelben
Schal (kasta).
Es handelte sich um ein Lager von sechs Zelten, in denen sechs Brüder
eines vor kurzem verstorbenen Vaters mit ihren Familien und insgesamt
etwa 40 Menschen wohnen. Die Mutter lebt — wie man mir erzählte — mit
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
165
Abb. 7. Zelt der Hamama. Zeltbesitzer in kasabia
einem siebenten Bruder in einem Haus in der Nähe von Gafsa. Sie nomadi-
sieren hier im Hochland etwa sechs Monate des Jahres, vom Januar bis
zum Juni, um dann wieder in die südlichen Steppengebiete zurückzukehren.
Die Herden umfassen etwa 700 Schafe, 20 Kamele und 10 Esel. Ziegen waren
angeblich nicht vorhanden, da sie auf Befehl des Präsidenten Burgibä ab-
geschafft werden mußten, weil sie das Laub von den Bäumen fräßen und
dadurch die Baumvegetation zerstörten. Früher hätte die Familie zwischen
40 und 90 Ziegen besessen.
Das Weidegebiet steht nicht fest. Sie erzählten mir, daß sie in anderen
Jahren auch in der Gegend von Sfax und Kaiman ihre Herden weideten.
Für die Berechtigung zur Weide zahlt der älteste Bruder, der auch den
gesamten Viehbesitz verwaltet, eine gewisse Pachtsumme an den jeweiligen
Grundbesitzer. Sie beträgt in El Akhouat für den ersten Monat 5 Dinär
(= 50,— DM) und für jeden weiteren Monat 4 Dinar. Das Zeltlager bleibt
hier etwa vier Wochen am gleichen Ort und zieht dann weiter, bleibt aber
immer noch auf dem Grund und Boden des gleichen Grundbesitzers.
Die jüngeren männlichen Mitglieder der Großfamilie verdienen Bargeld
als Hirten für die Schaf- und Kuhherden der benachbarten Dörfer. Durch
Vermittlung des nomadischen Hirten, der die Kühe des Dorfes El Akhouat
hütete, konnte ich die Zelte seiner Familie besuchen. Ich hielt mich zu der
166
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Abb. 8. Römisches Mosaik aus El Djem (Thysdrus) im Bardo-Museum, Tunis
Zeit gerade in dem genannten Dorf im Hause eines ehemaligen französischen
Soldaten auf, der mir auch als Dolmetscher diente. Weite Teile dieses Ge-
bietes sind im Besitz einer französischen Minengesellschaft. Die Dorfbewohner,
die ihre Kühe auf deren Grund und Boden weiden lassen, bezahlen dafür
monatlich 500 Francs (= 5,— DM) als Weidegeld. Außerdem erhält der
Hirt pro Kuh und pro Monat 200 Francs Hütegeld, so daß die Haltung
einer Kuh den Besitzer monatlich 700 Francs mit echten Unkosten belastet.
Der Nomadenhirt, der von seinem Vater für diese Arbeit ausgeschickt wird,
darf jedoch von diesem Hütelohn gar nichts behalten, sondern er muß das
gesamte Geld seinem Vater abliefern, was der Sohn aber als ganz selbst-
verständlich ansieht.
Sprachliche Schwierigkeiten zwischen den Hammama und den Einhei-
mischen bestehen nicht. Es werden einige andere Wörter gebraucht, vor-
wiegend aber handelt es sich um dialektisch verschiedene Aussprachen.
Das Hammäma-Zelt stimmt in seinen Teilen und in seinem Aufbau
mit den oben beschriebenen Zelten überein. Die Frauenseite ist links, die
Männerseite rechts, wie bei den Beni Zid Hämma. Beide Zelthälften werden
xelfe genannt. Die hier besuchten Zelte gehören zu dem kleineren Typ mit
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
167
nur je einem Zeltstab vor und hinter dem Firstholz, das hier gentäs genannt
wird. Es wird von zwei vertikalen Mittelpfosten gestützt. Sämtliche übrigen
Zeltstäbe, je vier an den beiden Seiten und auch der vordere und hintere
Stab unter dem Mittelgurt, wurden mir als amüt angegeben. Die Höhe des
hier zu beschreibenden Zelts beträgt knapp 2 m, die Gesamtbreite 7,60 m,
die Tiefe 3,10 m.
Die einzelnen Zeltbahnen sind zwischen 20 cm und 68 cm breit. Durch
die starke Benutzung von Schaf- und Kamelwolle sind mehr helle als
dunkle Ziegenhaar-Zeltbahnen vorhanden. Als vordere und hintere Begren-
zung des Zeltdachs werden zwei Gurte (trige) von der gleichen Art ver-
wendet, wie sie sonst als quer unter das Dach genähte Auflage für die Zelt-
stäbe dienen (Abb. 7). Die übrigen Zeltbahnen werden, unabhängig vom
verwendeten Material, als filse bezeichnet. Die Kettfäden der Gurte laufen
in je sechs gedrehte Schnüre (tirbea) aus, die an einem Winkelholz (xürp)
befestigt sind (Abb. 9). Von diesem Winkelholz geht die Spannschnur (’erua)
aus, die an dem Erdpflock (möthik) befestigt wird. Die Rückseite des Zelts
wird durch eine Zeltbahn gebildet, die am Dach angenäht ist und nach
hinten herab fällt. Zeltdach und Rückseite reichen nur bis auf 30 cm auf
den Erdboden herab, um nicht mit der Bodenfeuchte in Berührung zu kom-
men (Abb. 7). Die Zwischenräume werden mit Gestrüpp ausgefüllt.
Zum Zeltinventar gehört die aus drei Steinen bestehende Feuerstelle
(menäsep) mit der großen Tonschüssel, ganey, die hier zum Backen des
knäckebrotartigen Brotes (xübs) verwendet wird (ähnlich Abb. 13). Als
Wasserbehälter dienen Säcke aus Ziegenfell (girba). Zum Buttern werden
Säcke aus Ziegen- oder Schaffell (sekue) benutzt, allerdings, zum Unterschied
zu den Wassersäcken, mit dem Fell nach innen (vgl. Abb. 9). Die Säcke
gewinnt man dadurch, daß man dem getöteten Tier das Fell über den
Kopf zieht, ohne es auf der Bauchseite aufzuschneiden. Es werden außer den
vier Beinen dann nur noch Kopf und Afteröffnung abgebunden. Gebuttert
wird durch die Frau, die den Buttersack mit einem Seil am Mittelpfahl be-
festigt und ihn etwa 20 Minuten lang hin- und herbewegt. (Auf der Abb. 9
ist der Buttersack zur besseren Demonstration am vorderen Winkelholz an-
gehängt worden). Das weitere Kücheninventar bilden drei Kochtöpfe aus
Eisen (nhese), ein tönerner Kochtopf (bürma), ein tönernes Kuskussieb
(keskes), ein Messingmörser (meh^res), eine kleine Metallschale (masrap)
als Trinkgefäß und ein Mehlsieb (mannafsa). Die Zeltmitte wird durch ein
Holzgestell eingenommen, auf dem die aus Schafwolle gewebten Schlaf-
decken (abena), einige aus Zeltbahnstoff zusammengenähte Säcke (grära) mit
Mehl und eine geflochtene Tasche (alege) mit Wolle gestapelt sind. Der für
die täglichen Mahlzeiten, für das Brot und für den Kuskus nötige Mehl-
vorrat wird im Tausch gegen ein Schaf von den Seßhaften erworben. Eine
168
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Abb. 9. Buttersack aus dem umgedrehten Fell eines Schaf-
lamms, provisorisch am Knebel des mittleren Spannstricks
befestigt, Hamänta
Handmühle fand ich nicht vor, sondern das Getreide wird bereits gemahlen
erworben. Auf dem Boden sind als tägliche Sitzgelegenheit einige aus Haifa-
gras geflochtene, ebenfalls gekaufte Matten (lahsTr) ausgebreitet.
5. Zelte der Zläzy
Ich traf auf ein Lager der Zlazy etwa 20 km südlich der Stadt Tunis,
in der Nähe des deutschen Soldatenfriedhofes La Mornaghia. Es handelte
sich um die Hirten eines Herdenbesitzers, der in der etwa 30 km entfernten
Stadt Pont-du-Lahs wohnt. Seine Hirten sind das ganze Jahr über mit den
Herden unterwegs. Das Lager fiel mir dadurch auf, daß zu ihm neben etwa
Raessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
169
Abb. 10. Hirten der Zlazy
60 Kamelen und mehreren hundert Schafen auch große Rinderherden ge-
hören. Die genaue Zahl läßt sich immer schlecht schätzen, da die Herden
während des Tages ständig unterwegs sind. Hier war es auch, wo ich mich
nach der Zahl der Ziegen erkundigte. Man fragte zurück, ob ich denn nicht
wüßte, daß der Präsident Burgiba die Ziegenhaltung verboten hätte; jeden-
falls hielten sie keine Ziegen mehr. Am Abend kam dann aber doch eine
Ziegenherde von 20 Tieren ins Lager, die während des Tages etwas entfernt
verborgen gehalten worden war.
Eindeutige Informationen über die Zusammensetzung des Lagers und
über das Wandergebiet konnte ich nicht erhalten. Zwei ältere Hirten, von
denen der eine auf der Abb. 10 zu sehen ist, hatten libysche Ausweise und
gaben an, bis nach Libyen zu nomadisieren. Aus klimatischen Gründen ist
das aber mit den Rindern nicht möglich. Diese können nur in Nordtunesien
170
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
existieren. Nordtunesisch, d. h. herberisch, ist auch die Bekleidung der
meisten iMitglieder des Lagers. Die beiden hockenden Männer auf der
Abb. 10 tragen den wollenen Kapuzenmantel, der hier gesabia genannt
wird, der vordere außerdem auf dem Kopf die rote Kappe, kabus oder
sesia, der hintere die gleiche Kappe mit einem Schal, kasta.
Der stehende Hirt ist in der Tracht der Wüstennomaden gekleidet. Er
hat in der Hand den Krummstab der Schafhirten (akfe), mit dem die Hirten
außerordentlich geschickt jedes Schaf aus der Herde herausgreifen können.
Sie legen dazu blitzschnell die Krücke entweder um den Hals oder um den
Hinterschenkel des Schafs und ziehen es zu sich heran. Rindern kann man mit
solch einem Krummstab natürlich nicht beikommen. Für sie verwendet man
einen Stab mit Knauf, ähnlich einer Keule, als reines Schlaginstrument. Die
Kleidung des alten Hirten besteht aus einer weißen, rechteckigen Wolldecke
(hräm), die dem üblichen nordafrikanischen häik entspricht und die je nach
den Temperaturverhältnissen verschiedenartig, aber immer recht malerisch
um den Körper gelegt wird. Gut sichtbar ist der sonst verdeckte „Anfang"
des Tuchs, bei dem eine Schnur um einen Zipfel geknotet und über die linke
Schulter geführt wird6. Unter dem Umschlagtuch trägt der Hirt die tunica-
artige jibe (jiba) aus Baumwolle mit dem weiten, durch eine Zierborte ein-
gefaßten Halsausschnitt. An den Füßen hat er die in Tunesien sehr selten
anzutreffenden Männerpantoffeln mit heruntergetretenem Fersenteil, wie sie
typisch für Marokko sind. Über ihre Bezeichnung gab es eine lange Dis-
kussion. Der Besitzer bestand auf der auch in Ägypten und Libyen üblichen
Bezeichnung kuntra, während die jüngeren Leute die in Marokko gebräuch-
liche Bezeichnung balga als richtig angaben. Schließlich räumten die Jüngeren
ein, daß beide Bezeichnungen gleich zutreffend seien.
Die Kleidung der Frauen (Abb. 11) umfaßt das Kopftuch (läfe), das,
wenn es größer ist, baxnüg genannt wird und von einem Schal (simbir)
turbanartig auf dem Kopf festgehalten wird. Darunter ist der von allen
Frauen getragene künstliche Zopf (dfira) sichtbar, der über das Kopftuch
so aufgesteckt wird, daß seine Teile unter dem Schal hervorschauen. Die
Körpertracht besteht aus dem baumwollenen, vorn offenen Frauenhemd
(suria). Darüber ist das dunkelfarbige, peplosartige Gewand (häyk mtänse)
gelegt. Es besteht aus einem rechteckigen Stück Tuch, das durch zwei mit
einer Kette verbundene Silberfibeln (Fibel = xlel, Kette = silsle) und
einen um die Hüften gelegten Gürtel (hzem rüpt) gehalten wird. Als Hals-
schmuck fallen die zahlreichen Hände (xämsa) der Fatima als Unheil ab-
wchrendes Amulett auf.
0 Sehr instruktiv dargestellt bei Rackow, bes. 1943, Taf. 10—14, desgl. 1958,
Taf. 24—29 für den Frauen-häik. Weiterhin hierfür wichtig: Rackow 1953.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
171
Abb. 11. Frauen der Zläzy
Zum Schmuck gehören die großen, silbernen „falschen Ohrringe“, die
nicht durch die Ohrläppchen gezogen sind, sondern an einem über den Kopf
gelegten Band hängen. Der glatte Typ der „Ohrringe“, z. B. bei der alten
Frau der Abb. 11, heißt unis, der gezackte bei dem Mädchen links daneben
>:6rs. Unter den Armringen werden die aus Bein oder Horn von denen aus
Silber unterschieden. Die glatten silbernen Armreifen werden hdide genannt,
die mit einer gezackten oder mit Kerbschnitten versehenen Oberfläche, ähn-
lich wie bei der Frau der Abb. 16 oder bei der linken Frau der Abb. 6,
diblis7.
7 Nach den Bildern der Rackowschen Publikation wurden mir die folgenden dia-
lektischen Abweichungen zu der marokkanischen Bekleidung von Tetuan genannt,
soweit Vergleiche durch gleichartiges Vorkommen überhaupt möglich waren. Alle
Vergleiche nach Rackow, 1958: Zu Taf. XI: Frauenhose serufl dänsa; Einzieh-
stäbchen takak; Flosenband tük. — Taf. XII: Hemd suria; Ärmel kumm; Seiten-
teil jngb. — Das Schminkgerät, Taf. VIII; Spiegel und Stäbchen stimmen völlig
überein; die Tasche wird mökale genannt, die schwarze Farbe für die Augen-
winkel köll und die schwarze Farbe für Farbflecken auf Wangen, Händen oder
auch Füßen harküs. Taf. X: Die Brautsänfte wird jähfe genannt. — Taf. XXIII:
Gesichtsschleier entweder ebenfalls Item oder auch ngeb. Der für die Frauen der
Stadt Tunis typische schwarze Gesichtsschleier heißt xima oder xaima. In der
Stadt Bizerta wird ein noch größerer Gesichtsschleier aus schwarzer Seide ge-
tragen, der bis zu den Hüften herabreicht. Er wurde mir als täkrita bezeichnet;
172
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomade
Beim Zelt und Zeltinventar sind wenige Unterschiede zu den üblichen
Formen festzustellen. Das Durchschnittszeit ist 2,55 m hoch, 12,60 m breit
und 6 m tief. Als Bezeichnung für das Firstholz wurden mit guntas und
korba als „kifkif“, „dasselbe“, angegeben. Das Firstholz wird von zwei
über Kreuz gestellten Zeltpfählen getragen. Es ist anders gebildet als üblich,
wie eine Leiter mit drei Sprossen, deren äußere Sprossen die Zeltpfähle
stützen. Ein gleichartiges Gestell dient auch dem vorderen Zeltpfahl (srä)
als Auflagefläche.
Als Bezeichnungen für die rechtsseitige Frauenabteilung des Zelts wurde
mir halfa mtä nse angegeben, für die Männerabteilung hälfa mtä erjel.
Beide Hälften sind durch eine hölzerne Bank sidda mtä rhäl getrennt. Dai-
auf liegt eine von ider Frau gewebte wollene Schlafdecke usede, ein Getreide-
sack aus selbst gewebter Wolle, grära, und ein gekaufter Jutesack, skära. Die
Zeltrück- und Zeltvorderseite werden durch Schilfmatten, büdi, geschlossen
bzw. abgedichtet.
Aus dem Zeltinventar sind zu erwähnen: Eine Petroleumlampe (fnär),
ein Buttersack (säkwa), die Handmühle (räha, vgl. Abb. 15), die üblichen
Kochtöpfe, eine Emailleschüssel (sann), eine Aluminiumschüssel von 50 cm
Durchmesser für die Kuskusherstellung (gässa), eine Holzkelle (rhürraf), eine
eiserne Hacke mit einem quer gestellten Blatt (fäs oder gadüm) und als
Wasserbehälter ein Holzfaß (birmil), das hier die Stelle der sonst bei No-
maden üblichen Ledersäcke oder zweihenkligen Tonkrüge einnimmt.
6. Die Mehedba von Achichina
Soweit ich sehen konnte, sind die Mehedeb (Sg.) oder Mehedba (Pl.) ge-
nannt, heute durchweg seßhaft. Sie wohnen im Osten Tunesiens, in der Nähe
der Küste, etwa zwischen Sfax und Gabes. Wegen ihrer weitgehenden Akkul-
turation wären sie ein dankbares Studienobjekt. Teilweise bewohnen sie noch
im volkskundlichen Museum von Bizerta ist er als böstü angegeben. — Taf. XXXII
bis XXXIII: Der Turban wird genau so angelegt, aber kästa genannt. —
Taf. XLI: Kleines Kopftuch ebenfalls mhärma, großes Umschlagtuch futa. Ein
wesentlicher Unterschied in der tunesischen Männerbekleidung zu der von Rackow
abgebildeten Kleidung besteht in dem berberischen Kapuzenmantel. Er wird in Tune-
sien kasabia genannt. Rachow, 1958, Taf. LXIX und Taf. LXXII, gibt zelläba an.
Die zelläba entspricht in Tunesien dem bei Rackow auf Taf. IX, rechts unten,
unter der gleichen Bezeichnung abgebildeten Mantel. Dieser ist aber anders als
der von Rackow auf Taf. LXIX abgebildete Mantel. — Mit Rackow, 1953,
stimmen bei den Zlazy überein: S. 14—20: die Anlegung des Bandes, simbir, ge-
mäß S. 22—27; desgl. stimmen überein: S. 31—35; S. 36 ff. wurden als nicht
genau übereinstimmend angegeben. Der Schmuck auf S. 35 wurde folgendermaßen
angegeben: Fibel xlel, Kette silsle, rechteckiges Amulettkästchen hjirr, Gürtel mit
Troddel hsem. — S. 47: statt ügäiya = baxnüg. — S. 48: Brosche ebenfalls
mäduar. — S. 49: übereinstimmend. — S. 50: Fibel = xlgl bsede; Kopf-
tuch = mhärma.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
173
Abb. 12. Zeltvorplatz, Mehedeb
Abb. 13. Kochplatz vor der Frauenabteilung, Mehedeb
174
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
ihre Zelte, teilweise Gurbis (Häuser aus Stroh und Gras) und zu einem Teil
auch Steinhäuser. Die Zeltbesitzer gelten gegenüber den Gurbi-Bewohnern
als reicher, denn ein Strohhaus hat, wie man mir versicherte, praktisch keinen
Wert, während die einzelnen Bahnen eines Zelts je etwa 4 Dinar (= 40,— DM)
kosten, also den Wert eines Schafs haben. Ein Zelt soll etwa 20 Jahre lang
halten.
Die Mehedba leben teils vom Feldbau, teils von der Viehzucht, und fast
jede Familie besitzt — teilweise beträchtliche — Bestände an öl- oder Fei-
genbäumen. Die Zelte bestehen fast ausschließlich aus Bahnen von schwarzen
Ziegenhaaren (Abb. 12 und 14). Sie haben eine Breite von etwa 7 m und
eine Höhe von etwa 1,90 m und sind meist vom kleinen Typ, mit nur jeweils
einem Zeltstab (srä) vor und hinter dem Firstholz (gurtas). Das Firstholz
wird von zwei gekreuzten Mittelpfählen (rkäis) getragen. Der vordere und
hintere Zeltstab unter dem Mittelgurt trägt an seiner Spitze je ebenfalls ein
kleineres waagerechtes Holz (kirba), das auch auf den beiden vorderen der
äußeren, kleineren Zeltstäbe (rrafa) aufliegt. Außerdem findet sich bei den
Zelten der Mehedba zwischen dem mittleren und den beiden äußeren Zelt-
gurten ein kleiner, kurzer Gurt (triga), der nur unter der vorderen und hin-
teren Bahn des Zeltdachs angenäht ist (Abb. 14). Er ist an seinem freien
Ende umgesäumt. Durch den Saum ist eine gezwirnte Haifaschnur gezogen,
die an dem üblichen Winkelholz (amira) angebunden ist. Von diesem geht
die Spannschnur (tunub) zum Erdpflock (mothak).
Die Seiten des Zelts sind durch Gesträuch und durch Strohmatten (gesuäl)
abgedichtet (Abb. 12 und 14). Die rechte Seite ist die Frauenseite, die linke
die Männerseite. Da die Bevölkerung praktisch stationär ist, ist vor jedem
Zelt ein dauerhaftes System von Dornenhecken aufgehäuft (vgl. Abb. 12 und
13), durch das ein schmaler Weg zur Männerseite und von dort zur Frauen-
seite des Zelts freigelassen ist. ln den äußeren Teilen des Dornenwalls wer-
den in getrennten Abteilungen während der Nacht die Ziegen- und Schaf-
lämmer angebunden. Andere Abteilungen der nischenreichen Dornenhecke ent-
halten Futtervorräte und Sattel und Zaumzeug für Esel oder Pferd, bewacht
von den Hunden.
Der innere Teil vor der Frauenabteilung (_el hazir), mit etwa 5 m Durch-
messer, ist gleichzeitig die Küche bei gutem Wetter (Abb. 12 und 13). Auf
der üblichen, aus -drei Steinen bestehenden offenen Kochstelle, wird das Brot
(gemma) in einer Tonschüssel gebacken. Zur Mahlzeit wird das Brot in eine
Tunke aus Pfeffersoße (merrga) oder in eine Brühe getaucht, die mir als
leben bezeichnet wurde und vorwiegend aus Buttermilch (firäib) bestand. Die
Hausfrau tat mir regelmäßig eigenhändig Butterklümpchen in die Soßen,
und wenn ich nicht genug davon nahm, steckte sie mir aus Freundlichkeit
die Butter direkt in den Mund.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
175
Abb. 14. Frauenabteilung mit Konstruktion des Zeltdachs, Mehsdeb
Das geschah von hinten. Denn im Zelt sitzt der Gast auf einem Kissen
(wisedp) oder Teppich (klim) vor dem Mittelpfahl auf der Männerseite, mit
dem Rücken zur Frauenseite. Der Gastgeber sitzt dem Gast gegenüber, mit
dem Gesicht zur Frauenseite. So vermag er die Hausfrau zu dirigieren, wäh-
rend der Gast die Frau nicht zu Gesicht bekommt, sondern nur von hinten
her bedient wird. Eingehende Untersuchungen über die Zusammensetzung
des Essens vermochte ich nicht vorzunehmen, da ich nicht allzulange bei der
Küchenarbeit Zusehen konnte. Fleisch wird selten gegessen. Auf einer Hecke
fand ich etwas in der Sonne liegendes, getrocknetes Fleisch (lehem).
Unter den weiteren, auf den Abb. 12 bis 14 sichtbaren Küchengeräten,
sind zu erwähnen: der große, zweihenklige Wasserkrug (qülla), ein kleiner
Keramik-Tonkrug (yarra), ein Holzmörser (harruse) mit einer hölzernen
Mörserkeule (rsem) zum Zerstampfen von Pfefferschoten (fühl), ein Mehl-
sieb (djilbel) für die Kuskusherstellung, ein geflochtener Korb (güffa) und
eine steinerne Handmühle, raha (Abb. 15). Sie wird auf einem Schaffell auf
den Boden gesetzt. Ihre Teile sind die folgenden: ein zylindrischer Mahlstein
(räha), darüber wird der annähernd halbkugelige Läuferstein (fertin) mit
einem hölzernen Handgriff (srar) drehend bewegt. Der Handgriff ist mittels
einer Schnur, die durch eine Durchbohrung des Läufersteins geführt wird,
festgebunden und durch ein kleines Holz (gande) verkeilt. Der Läuferstein
ist in der Mitte vertikal durchlocht. Hier hinein wird das zu mahlende
176
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Abb. 15. Handmühle, Mehédeb
Getreide gefüllt. Gleichzeitig wird er um .eine hölzerne Achse (galob) ge-
dreht, die in den unteren Mahlstein eingelassen ist. (Bei den Zlazy wurden
mir für die gleiche Handmühle (raha) etwas andere Bezeichnungen genannt:
Mahlstein: sibde, Läuferstein: hjerr, Handgriff: tläy, Holzknebel des Hand-
griffs: trkeba, Achse: gelb.)
Weiterhin ist in der Frauenabteilung des Zelts eine Kinderwiege an zwei
der äußeren Zeltpfähle aufgehängt. Die handwerkliche Betätigung der Frau
beschränkt sich auf Spinnen und Weben, wofür zuvor die Wolle mittels eines
Nagelbrettes (msöt oder gurdes) gerissen und gelockert wird. Versponnen
wird Schaf- oder Kamel wolle (suf) mit der Spindel (mürrzil; Spinnwirtel
zegoala (wie Abb. 6). Mit der gleichen Spindel wird die gesponnene Wolle
(rcy) auch gezwirnt. Töpferei und Mattenflechterei aus Haifagras, desgleichen
die Korbflechterei, sind den Frauen unbekannt. Sie flechten aber die ein-
fachen Strohmatten für die Verkleidung der Zelte und Gurbis. Als
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX 177
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Abb. 16. Tatauiermuster am Frauenarm
Material dienen die mit der Wurzel aus der Erde herausgerissenen Halme
des Getreides. (Bei der sonst üblichen Getreideernte werden mit der ge-
zähnten Sichel die Halme etwa eine Handbreit unter den Ähren abge-
schnitten.) Diese Matten werden nicht gehandelt, sondern von jeder Frau
selbst hergestellt. Als handwerkliche Betätigung der Frauen ist weiterhin das
Seildrehen mit der Hand und die Fierstellung von Schnüren aus Haifagras
(habl hälfa) zu erwähnen. Auch die Kamelhaarseile von etwa 1 cm Durch-
messer (rcy), beispielsweise zur Befestigung des Zeltdachs, werden von den
Frauen geflochten.
Die früher bei der Reife der Mädchen erfolgte Körpertatauierung wird
heute wahrscheinlich in ganz Tunesien nicht mehr ausgeübt (vgl. die Zlazy-
Frauen der Abb. 11, bei denen auch die alte Frau schon nicht mehr tatauierc
ist.) Einen Tatauierer konnte ich nicht mehr auffinden8, was um so bedauer-
licher ist, als in Tunesien nicht in der sonst in der Welt allenthalben geübten
Punktiermethode tatauiert wird. Der Tatauierer verwendet statt dessen einen
kleinen Meißel und schabt (nach Taeger) oder schneidet (nach Karutz) die
Muster in langen, schneidenden Zügen von oben nach unten durch die Haut.
Eine moderne und genaue Aufnahme dieser seltenen Technik wäre höchst
8 Die Tatauierung ist bereits früher recht ausführlich beschrieben worden, u. a. von
Bazin, S. 566—579; Traeger, S. 469—477; Karutz, S. 51—61; Gobert, S. 32—41;
Bertholon et Chantre, S. 478—489.
12 Baessler-Archiv IX
178
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Abb. 17. Gurbi mit Vorplatz, der durch Gestrüpp in verschiedene Abteilungen
für Küche, Vorräte und Kleingetier (Schafe und Ziegen) unterteilt ist, Mehedeb
wünschenswert. In der Nähe von Nabeul hatte ich aber Gelegenheit, eine
reich tatauierte Großmutter zu treffen (Abb. 16). Die Tatauierung wird hier
usem genannt (in El Akhouat wurde nur /die klassische Form uesma ge-
nannt). Die Frau erhielt sie zum Teil bereits vor ihrer Reife, ließ sich aber
nach der Verheiratung auch noch tatauieren. Sie ist im Gesicht, an beiden
Beinen bis zu den Waden und auf dem rechten Arm tatauiert. Der linke Arm
ist frei. Die Muster sind sehr konventionell und umfassen vorwiegend Tiere
und Pflanzen. Ein Kreuz bezeichnet eine Fliege (zbene). Verschiedenartige
Vierfüßer wurden mir als Kamel (jmel) und Gazelle (ghselle) erklärt, men-
schenartige Gebilde als Mann (räjel) und Frosch (jräna), bäum- oder pflanzen-
artige Gebilde als Palme (naxle), Tamariske (eigentliche „Zypresse“) (serruel)
oder Palmzweig (jerida). An geometrischen Mustern sind ein Stern (nejme),
ein Pfeil (näura), eine ScherA (mekäs) und ein Wellenmuster zu erwähnen.
7. Gürbis
Nach neueren Untersuchungen wird angenommen, daß das schwarze No-
madenzelt ursprünglich nicht nordafrikanisch, sondern erst in nachchristlicher
Zeit aus Asien gekommen ist9. Somit dürften die heute noch in Tunesien vor-
handenen — zahlenmäßig allerdings ständig abnehmenden — Gürbis die ur-
sprüngliche vorchristliche Wohnform der nordafrikanischen Nomaden dar-
9 Vgl. Rackow und Caskel, S. 181—184. Zusammenfassend neuerdings Feilberg,
S. 215 ff., mit Literatur. Vermutlich kam das schwarze Zelt mit dem Dromedar
bzw. Kamel als dem geeigneten Tragtier für das relativ schwere Zelt vom
4. nachchristlichen Jahrhundert ab nach Nordafrika.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
179
Abb. 18. Gurbi ohne Mattenwände, Mehedeb
stellen. Es handelt sich um einräumige Behausungen primitivster Art. Bei den
von mir studierten Gürbis sind Dach und Wände getrennt. Sie verdienen
somit typologisch die Bezeichnungen eines Hauses. Ich hatte Gelegenheit,
bei den Mehedba von Achichina verschiedene Typen von Gürbis aufzu-
nehmen. Sie werden unabhängig von ihrer Größe kib genannt. Damit ist aber
eigentlich nur das Dach auf Pfählen bezeichnet, denn das auf der Abb. 18
dargestellte Dach wurde mir ebenfalls als kib bezeichnet.
Die Gurbis stehen bei den Mehedba von Achichina mit den Zelten ver-
mischt. Ihre Besitzer gelten als arm. Mein Gewährsmann beispielsweise,
Mansour ben Mohammed Khachroum, der auf der Abb. 18 abgebildet ist und
dem das Gurbi der Abb. 17 gehört, besitzt nur 3 Kühe, 6 Schafe und 3 Zie-
gen, dazu aber etwa 150 Olivenbäume und mit Getreide bestellte Felder.
Mein anderer Informant, Ali ben Mohammed ben Massoud, in dessen Zelt
(Abb. 12 und 13) ich wohnte, gilt als Besitzer von 7 Kamelen, 250 Schafen,
70 Ziegen, 2 Pferden und 1 Muli alleine deswegen schon als reich. Außer-
dem besitzt er noch etwa 400 Olivenbäume, deren Ernte je Baum etwa
15 Dinar ergeben soll.
Wie vor den Zelten, so ist üblicherweise auch vor den Gürbis eine Dor-
nenhecke (ruagat) aufgehäuft (Abb. 17). Sie besteht aus mehreren Abteilun-
gen. Unmittelbar vor dem Gurbi ist rechts vom Eingang der große tönerne
Wasserkrug aufgestellt, links vom Eingang ist der Platz für Gäste. Durch
einen schmalen Durchlaß getrennt, schließt sich die halbkreisförmige Abtei-
12*
180
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Abb. 19. Inneres eines Gurbis, Mehedeb
Abb. 20. Gurbi mit sorgfältig geflochtenen Wänden aus Strohmatten, Mehedeb
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
181
lung für die Kochstelle an, daran eine Abteilung für Viehfutter und daran
die Einfriedung für die Ziegen.
Für die Konstruktion des Hauses wird zunächst der Mittelpfosten er-
richtet. Aus Mangel an größeren Bäumen und entsprechend geraden Stäm-
men muß man mit ziemlich krummen Hauspfosten fürlieb nehmen. Mehrfach
habe ich auch zwei Pfosten in der Längsachse des im Grundriß ovalen
Hauses gefunden. Nach den Mittelpfosten werden die Pfosten für die Wand
in die Erde gerammt. Sie tragen die waagerechten Dachbalken (sitün) für
das Gerüst des Daches (halfi). Von diesen horizontalen Balken gehen die als
Dachsparren dienenden Balken (sgäf sitün) zu dem vom Mittelpfahl oder
den beiden Mittelpfählen getragenen Firstbalken. Als Deckmaterial (sbat)
dienen Dornenbüsche und Flalfagras. Erst nach der Fertigstellung dieser Kon-
struktion werden die Wände angefügt, die aus Strohmatten (gesuäl) bestehen
(Abb. 19 und 20), welche von den Frauen angefertigt werden.
Das Innere (Abb. 19) entspricht nicht der Einrichtung in den Zelten,
denn es gibt keine besondere Männer- und Frauenhälfte. Die obligatorische
Bank (side) mit den Säcken für die Vorräte steht auch nicht in der Mitte,
sondern an einer Schmalseite. Weitere kleinere Bänke stehen an den anderen
Seiten und Ecken des Hauses. In der Raummitte liegen die Schlafmatten für
die Familie. Eine Kochstelle ist im Haus nicht vorgesehen. Als Tür dient eine
Strohmatte, wie sie auch in gleicher Art als Wand verwendet wird.
Das tunesische Zelt
Fig. 1 (oben):
Zeltbahn fllj (Plural filse) (M)
Naht xieta (M)
Gurt trcg.e (PI. träyik) (M), trlga (B und A), trlge (H)
Schnur = xit (M), xlt trlga (B), tirbia (H)
Winkelholz zezil (M), xurp (H), 'amira (B und A),
(amlra bei Marazig = „Fransen“)
Spannschnur tonnob (M), '¿rua (H), tunub (A)
Zeltpflock möthok (M), mothik (H), mothak (A)
Hanfseil habfj (M)
Ziegen- oder Kamelhaarseil rey (M)
; seitlicher Zeltstab amüt (PI. amet oder ameid) (M, B, H)
: Hilfszeltstab rrafa (A)
Sitzkissen wisede (M)
Bank für Vorräte sidg (A)
Strohmatte büdi (Z), gcsuäl (A)
; Tontopf berma (M), bürma (H)
Kuskussieb ksskes (M, H)
Tonschüssel zum Brotbacken ganiy (H)
Handmühle raha (Z), rhä (A)
dornenloses Gesträuch zum Auffüllen der Zeltecken ruagät
(Singular: rüag)
Fig. 2 (unten):
20: Mittelpfahl rkesr (PL rkays) (M, B, H)
21: Firstholz gurtäs (M, B), gentäs (H), guntäs (Z)
22: Vorderer Zeltstab srä (M, B, Z)
23; Hinterer Zeltstab hames (ML hamls (B)
24: Unterlegholz kürba (M), kirba (A)
25: Trennvorhang als Teppich kllm (M)
gewebte wollene Decke zäura (M)
Wolltuch höyly oder margum
26: Mehlsieb arey (M), männafa (H)
27: Wassersack aus Ziegenfell girba (M, H)
28: Buttersack säkwa (M), sekue (H)
29: Mehlsack aus Wolle grära (H, Z)
30: Mehlsack aus Jute skära (Z)
Rechte Zelthälfte (M): reffa sergiya; linke Zelthälfte: reffa
garbiya
Frauenabteilung (A): el hazir
Durch die Hecke eingezäunter Platz vor dem Zelt (oder auch
vor dem Haus); zriba
182 Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
Nachtigall, Ethnographie der tunesischen Nomaden
184
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Bücherbesprechungen
BÜCHERBESPRECHUNGEN
Lindig, Wolf gang: Die Scri. Ein Hoka-Wildheuter stamm in Sonora, Mexiko. Ver-
öffentlicht im Internationalen Archiv für Ethnographie, Bd. XLVIX, Leiden
1959. 116 Seiten, 11 Karten und Zeichnungen.
Der Verfasser wollte in dieser Arbeit, die 1958 als Dissertation in Mainz vor-
gelcgt wurde, den „Platz der Seri-Kultur im Geflecht des nordamerikanischen
Kulturgcwebcs“ markieren (S. 9). Um sein Vorhaben zu verwirklichen, mußte er
sielt zunächst über alle Lebensäußerungen des zur Debatte stehenden nordwest-
mexikanischen Indianerstammes informieren. Das war nicht leicht, da die Nach-
richten über die Seri in den Missions- und Reiseberichten der letzten Jahrhunderte
ebenso wie in der neueren wissenschaftlichen Literatur im großen und ganzen als
dürftig zu bezeichnen sind. Eine Ausnahme bildet nur die umfangreiche Abhandlung
des amerikanischen Ethnologen W. J. McGee aus dem Jahre 1898 (The Seri Indians),
die eine gute Übersicht über die materielle Kultur der Seri enthält. Die Schilderung
ihrer sozialen Organisation läßt aber manche Wünsche offen. 1930 versuchte dann
A. L. Kroeber, die Kenntnisse über den geistigen Bereich der Seri-Kultur zu erweitern.
Da er jedoch nur eine Woche bei den Eingeborenen auf der im Golf von Kalifornien
liegenden Insel Tiburón wellte, war es auch ihm nicht möglich, Material in aus-
reichender Menge zu sammeln.
Die Seri sind „Wildbeuter des Wassers“ und gehören zur großen Sprachfamilie
der Hoka-Sioux. Sie nehmen insofern eine Sonderstellung In der Provinz Sonora
ein, als alle anderen sonorischen Stämme Feldbau betreiben und uto-aztckische
Idiome sprechen. Lindig beschreibt in seiner Dissertation zunächst die geographische
Umwelt des von ihm untersuchten Stammes, nämlich die 963 qkm große Insel
Tiburón und den gegenüberliegenden Festlandsstreifcn. Nach seinen Angaben um-
faßt das gesamte Scriland etwa 4800 qkm. Es ist eine von Gebirgsketten durch-
zogene, vegetationsarme Gegend, für die Wassermangel ein kennzeichnendes Merk-
mal bildet. Die Fauna besteht ausschließlich aus Tieren, die sich der Trockenheit
anpassen können. Die Jagd auf Landwild spielte bei den Scri allerdings keine
bedeutende Rolle, da ihnen das Meer den größten Teil ihrer Nahrungsmittel
lieferte. In der Beschreibung des Siedlungsbildes lesen wir, daß die Indianer seit
der spanischen Eroberung Sonoras ihre windschirmartigen Llüttcn (Jacales) nur
auf Tiburón zu semi-permanenten Lagern zusammenfaßten. Auf dem Festland gab
es wegen der von Zeit zu Zeit durchgeführten Strafexpeditionen der spanischen
Gouverneure seit der Mitte des 18. Jahrhunderts keine Ansammlungen von Jacales
mehr. Die Angaben über die Bevölkerungszahl der Seri beruhten stets auf Schätzun-
gen. Als die ersten Spanier kamen, lebten einige tausend Seri im nordwestlichen
Mexiko. Später schieden die Guayma im Süden und zum Teil auch die Tcpoka
im Norden aus dem Verband der Seri aus, so daß ab 1850 im allgemeinen nur
die Bewohner Tiburóns gemeint sind, wenn von den Seri gesprochen wird. Ab-
schließend sei zu diesem Komplex gesagt, daß heute nur noch einige hundert
Seri existieren.
Das nächste Kapitel der vorliegenden Abhandlung enthält eine sehr interessante
und aufschlußreiche Darstellung der Kontakte zwischen Seri und Weißen, von den
spanischen Konquistadoren über die Jesuitenmissionare bis zu den Ethnologen
unserer Zeit (S. 24 ff.). Die ersten brauchbaren Berichte über die Geschichte des
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
187
Landes und seiner Bewohner stammen von den Patres der Societas Jesu, die gegen
Ende des 17. Jahrhunderts im nördlichen SInaloa und südlichen Sonora cintralcn.
Die Jesuiten versuchten in den ersten beiden Dritteln des 18. Jahrhunderts, die
Seri zum Christentum zu bekehren, hatten jedoch keinen großen Erfolg mit ihren
Bemühungen. Auf die Zeit dieser Missionierungsversuche geht die spätere Teilung
der Seri in zwei Gruppen zurück: in eine freie, auf Tiburon umherschweifende
Horde, und einen parasitären, in Kontakt mit den Weißen lebenden Verband. Als
die Jesuiten 1767 vertrieben wurden, hatten bereits erbitterte Kämpfe zwischen
den Seri und der Kolonialmacht eingesetzt. Die Streitigkeiten zogen sich bis zum
Ende des 19. Jahrhunderts hin, obwohl man auf spanischer Seite mehrfach glaubte,
die unbequemen Indianer vollständig ausgerottet zu haben. Nach dem eingangs
erwähnten McGee, der sich 1894 auf dem Rancho de Costa Rica in Sonora auf-
hielt. kamen dann in der neuesten Zeit noch mehrmals Reisende in das Scriland.
Großer Erfolg war ihren Forschungen nach Findig nicht beschieden.
Im Abschnitt IV analysiert der Verfasser die „Techniken der Daseinsbewältigung“
(S. 49 ff.). Wir erfahren, daß die an den Küsten des kalifornischen Golfes vor-
kommende grüne Seeschildkröte in der Kultur der Seri einen ähnlichen Platz ein-
nahm wie der Bison in der nordamerikanischen Prärie, das Rentier in Sibirien und
der Seehund an den Küsten des nördlichen Eismeeres. Fast alle Gerätschaften der
Eingeborenen waren auf ihre maritime Wirtschaftsform abgestimmt, so zum Bei-
spiel das Balsafloß, die Harpune und der Fischspeer. Selten finden sich Überein-
stimmungen mit dem Inventar der feldbautreibenden Indianer der Provinz Sonora.
Aus dieser Tatsache läßt sich schon erkennen, daß die Seri nicht mit den unmittel-
bar benachbarten Pflanzerstämmen (Pirna, Cähita, Opata) in Verbindung zu bringen
sind. Sie hängen vielmehr mit den heute ausgestorbenen Wildbeutergruppen des
zentralen Teils der niederkalifornischen Halbinsel zusammen. Diese Feststellung
wird erhärtet durch den linguistischen und archäologischen Befund, worauf Findig
Im VI. Teil seiner Dissertation näher eingeht (S. 82 ft.). Davor hatte der Verfasser
einen Überblick über die sozialen Ordnungen der Seri gegeben (S. 63 ff.) und den
Leser unter anderem mit der Problematik der Begriffe „Sippe“ und „Klan“ im
allgmeinen und der Anwendbarkeit dieser Termini auf die von ihm beschriebenen
Indianer im besonderen vertraut gemacht. Betrachtungen über das Mädchcnpubertäts-
fest, den Brautkauf, die Ehe, die politische Organisation und den Schamanismus
vervollständigen diesen Abschnitt. Wir sollten hier erwähnen, daß es bei den Seri
eine über die Verwandtschaftsgruppen hinausgehendc Organisationsform entweder
nicht oder nur dann gab, wenn sich die Eingeborenen für eine gewisse Zeit zu
gemeinsamen wirtschaftlichen oder kriegerischen Unternehmungen zusammenschlossen.
Wenn wir den Ausdruck „Stamm“ verwenden, müssen wir uns stets vor Augen
halten, daß dieser Begriff in bezug auf die Seri und viele andere Indianervölker
Nordamerikas nicht mit einer großen, zentral gelenkten Gemeinschaft iden-
tifiziert werden darf. Man sollte auch nicht von Seri-Häuptlingen reden, wie es
in der Literatur oft geschehen ist. Findig hat für diese Gruppenführer das Wort
„Sprecher“ vorgeschlagen. Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Material über
die gesellschaftliche Struktur der Seri lückenhaft Ist und großenteils den heutigen
Anforderungen nicht mehr genügt. Das letztere machte es erforderlich, daß sich
der Verfasser im Hinblick auf diesen Punkt besonders kritisch mit den vorliegenden
Quellen auseinandersetzte. Da über die religiösen Vorstellungen der Seri nur wenige
Andeutungen vorhanden sind, mußte Findig auf eine Behandlung dieses Bereiches
verzichten. Er wies darauf hin, daß ein so bedeutender Feldforscher wie Kroeber
188
Bücherbesprechungen
1930 den Eindruck hatte, daß die Seri ihm nichts verschwiegen, als sie nach ihren
religiösen Anschauungen gefragt wurden, „sondern daß sie einfach nichts mehr
darüber zu sagen wußten“ (S. 82).
Der Verfasser hat auch in den Vereinigten Staaten studiert und 1950/51 Ute-
Indianer in einer Reservation besucht. Er hat sich tief in die mit den Seri zu-
sammenhängenden Probleme hineingedacht und seine Schlußfolgerungen mit souve-
räner Federführung zu Papier gebracht. An keiner Stelle seiner Dissertation hat
man das Gefühl, daß geschrieben wurde, weil geschrieben werden mußte. Lindig
besitzt ein großes Wissen über die Völkerkunde des von ihm behandelten Raumes.
Bei der Durchsicht der Literatur kamen ihm seine ausgeprägten Kenntnisse in der
englischen Sprache zugute. Sein Literaturverzeichnis berücksichtigt alle wichtigen
Publikationen. Man vermißt nur das 1939 in New York erschienene Werk „The
Last of the Seris“ von Dane und Mary Roberts Coolidge.
6 Karten, 4 Zeichnungen von Ethnographica und eine Abbildung mit der Wieder-
gabe von Gesichtsbemalungen der Havasupai, Mohave, Cocopa und Seri ergänzen
den Text in einigen Abschnitten. Um seine Abhandlung auch für die Kollegen aus
den benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen, die sich heute oder morgen mit
dem nordwestlichen Mexiko beschäftigen müssen, recht anschaulich zu gestalten,
hätte der Verfasser vielleicht eine oder mehrere Tafeln aus der Publikation von
McGee übernehmen sollen, auf denen Seri abgebildet sind. Es fehlt auch eine
Völkerkarte, auf der die Lebensräume bzw. Schweifgebiete aller im Text erwähnten
Indianerstämme fixiert sind. Insgesamt gesehen bleibt zu wünschen, daß die in
Planung und Ausführung vorzügliche Arbeit von Lindig von allen völkerkundlichen
Museen und Instituten erworben wird und gleichzeitig andere Amerikanisten an-
regt, ähnlich gute Srammesbeschreibungen aus der Welt der Indianer zu ver-
öffentlichen. Horst Hartmann
Horkheimer, Hans: Nahrung und Nahrungsgewinn im vorspanischen Peru. Biblio-
theca Ibero-Americana. Bd. II. Colloquium-Verlag, Berlin 1960. 156 S., 8 Taf.,
7 Textabbildungen, 4 Tabellen, 1 Karte.
Wie Band I dieser Reihe der Veröffentlichungen der Ibero-Amerikanischen
Bibliothek zu Berlin ist auch dieser zweite dem Alten Peru gewidmet. Wie für
den 1. Band als Verfasser, Max Uhle, der eigentliche Initiator der peruanischen
Archäologie zeichnet, so für den vorliegenden ein nicht minder versierter Kenner
des Landes und seiner alten Geschichte, der in dieser Schrift die letzten Erkenntnisse
der Feldforschung berücksichtigt. Außer den bedeutendsten alten Chronisten werden
mehr oder minder bekannte moderne Autoren, z. T. auch Verfasser schwer zugäng-
licher peruanischer Zeitschriften-Aufsätze kritisch herangezogen und in dem umfang-
reichen Literaturverzeichnis zitiert Ein Glossar, das Wörter amerikanischer Sprachen,
spanische Wörter und botanische Namen einbegreift, folgt dem Literaturverzeichnis.
Die ausgezeichnet wiedergegebenen Bildtafeln zeigen größtenteils vorinkaische
Keramik (vor allem solche der Moche-Kultur), die landwirtschaftliche Objekte dar-
stellt, ausschließlich aus dem Besitz des Limaer National-Museums. Niemand kann
beweisen, ob es sich bei der plastischen Figur auf dem Moche-Huaco (Taf. 3, links),
die, zwischen stilisierten Bergen stehend, in beiden Händen Nährpflanzen hält, um
einen vornehmen Mochica handelt, wie der Verfasser meint, oder um eine Gott-
heit, die etwas mit der Vegetation zu tun hat. Wichtiger sind die sieben von Hork-
heimer selbst aufgenommenen folgenden Bilder, Ansichten großartiger Ackerbau-
anlagen, Terrassensysteme, Ackerfurchen und Bewässerungsanlagen. Außerordentlich
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
189
instruktiv ist der Plan einer vorinkaischen landwirtschaftlichen Anlage vom
unteren Santa-Tal, der auf eigener Feldforschung des Verfassers basiert. Überhaupt
konstatiert man bei der Lektüre des Werkes auf Schritt und Tritt, daß Horkheimer
nicht nur in der einschlägigen neuen und alten Literatur wie kein anderer zu Hause
ist, sondern auch, daß er als ausgezeichneter Kenner des Landes selbst und seiner
alten und neuen Probleme gelten darf. Tatsächlich ist mir kein peruanischer Feld-
forscher bekannt, der das Land so weit und mit so offenen Augen wie Hans Hork-
heimer bereist hat.
Das Werk ist die verbesserte und stark erweiterte Neufassung eines in spanischer
Sprache für die Unesco verfaßten Memorandums, das im Jahre 1958 an die Mit-
arbeiter einer technischen Mission zur ersten Orientierung verteilt wurde.
Indem es die Resultate der wichtigsten Grabungen in den letzten anderthalb
Jahrzehnten berücksichtigt, geht es von den Anfängen des peruanischen Landbaues
aus, mit kritischer Betrachtung nicht völlig bewiesener Theorien. Horkheimer hebt
die besonderen Gegebenheiten des peruanischen Landbaus hervor, die durch die
Eigentümlichkeiten der gegensätzlichen Landschaften bedingt sind. Kult, Mythologie
und Kunst werden in ihrem Zusammenhang mit Anbau und Haustierzucht betrachtet.
Auf die Besonderheiten des Lamahirtentumes, die noch niemals gründlich studiert
wurden, wird hingewiesen.
Nicht vergessen ist ein kurzes Kapitel über Speisegebräuche, und die Liste an-
gebauter und wilder Nahrungs- und Genußmittel-Pflanzen ist ausführlich. Ihre
Vollständigkeit zu überprüfen wäre Sache der Botaniker. Ob es sich in Tabelle IV
wirklich um Krötenfleisch und nicht vielmehr um das Fleisch von großen Fröschen
handelt, wie sie noch heute gezüchtet werden, können nur Zoologen sagen.
Ein Kapitel über inkaische Vorratswirtschaft enthält bedeutsame neue Gesichts-
punkte. Auffällig ist die relativ geringe Rolle, welche die Kartoffelkonserven
(„chuho“ und „moraya“) in den staatlichen Vorratslagern der Inka spielten (S. 90).
Diese Tatsache braucht jedoch der Theorie Trolls, daß die Kartoffelkonserve als
wichtiger Faktor für die militärischen Erfolge der Inkaheere anzusehen wäre, nicht
unbedingt zu widersprechen. — Auch Fleisch wurde durch Deshydrierung wie nodi
gegenwärtig zur Konserve gemacht („charqui“).
Ausgezeichnet sind die Abschnitte über die hydraulischen Werke, die zum
großen Teil in vorinkaische Perioden zu datieren sind, wie — um nur ein paar
Beispiele zu nennen — die großen Aquädukte des Chicama-Tales und mit aller
Sicherheit die von Tello entdeckte Wasserleitung von Kumbemayo, die im Bergland
8 Kilometer westlich Cajamarca in den Felsen gehauen ist. Die Felsgravierungen,
die sie begleiten, sind im Chavin-Stil gehalten.
In der Welt findet die Wasserwirtschaft der Altperuaner schwer ihresgleichen.
Im Gebirge wurden Wasservorräte der Bergseen nutzbar gemacht; wo es notwendig
war, wurden gelegentlich in langwieriger Arbeit Felsen durchschnitten. Wo im
Wüstenland des Küstengürtels die Anlage von mächtigen Kanälen den Bedarf der
Oasengärten an belebendem Naß nicht genügte, wurden Anbauflächen künstlich
vertieft („wachaque“, „mahoma“), bis man unter unfruchtbaren Trockenschichten auf
unterirdische, mit Bergwasser infiltrierte Lagen stieß. Wir lernen Eigenheiten des
Terrassenanbaues im Gebirge und verschiedene Methoden der Düngung kennen.
Tabellen III und IV bringen interessante Vergleiche von Nährmitteln und Nähr-
mittelwerten in vor- und nachspanischer Zeit. Vorsichtig schätzt Horkheimer die
Einwohnerzahl des Tawantinsuyu, des Inkareiches, auf drei Millionen, sehr im
Gegensatz zu den höheren Schätzzahlen anderer von ihm angeführten Autoren.
190
Bücherb esprechungen
Der Wert des knapp gefaßten, aber gründlichen Werkchens liegt auf der Hand.
Mir ist keine andere Schrift bekannt, die eine in gleicher Weise erschöpfende Be-
trachtung von landschaftlichen Bedingungen, Flora und Fauna des Landes, soweit
sie für menschliche Nahrung in Betracht kommen, bringt, einen ganzen Abriß der
Ernährungswirtschaft im Zusammenhang mit verschiedenen kulturhistorischen Fak-
toren. Es bietet sich als Grundlage für weitere Studien auf dem gleichen Gebiet
an. Niemand, der sich mit kulturhistorischen Problemen des Alten Peru befaßt,
kann an dieser gründlichen und übersichtlich gegliederten Schrift vorübergehen.
H. D. Disselhoff
Hotz, Gottfried: Indianische Ledermalereien. Figurenreiche Darstellungen von Grenz-
konflikten zwischen Mexiko und dem Missouri um 1720. Dietrich Reimer Verlag,
Berlin 1960. 384 Seiten, 3 Kartenskizzen, 1 Zeichnung und 16 Bildtafeln. Bro-
schiert 35,— DM, Leinen 42,— DM.
In einem 1959 von George E. Hyde publizierten Werk unter dem Titel
„Indians of the High Plains“ erschien erstmals eine Bildtafel mit Ausschnitten aus
zwei Ledermalereien, die sich in Schweizer Privatbesitz befinden. Diese Bilddokumente
sind in den letzten Jahren von Gottfried Hotz, der sich durch seine Beschäftigung
mit nordamerikanischen Bisonroben fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet der Deu-
tung indianischer Zeichnungen erworben hat, eingehend untersucht worden. Hotz
bezeichnete die Stücke, die aus aneinandergenähten Bison- oder Rindshäuten bestehen,
nach ihrem Eigentümer mit dem Namen „Scgesser I“ und „Segesser II“. Nach einem
umfangreichen Quellenstudium konnte er unlängst folgendes Ergebnis im Druck ver-
öffentlichen:
Segesser I (1,36 X 5,73 m) zeigt den „Angriff eines indianischen Reitertrupps
in halb europäischer Ausrüstung gegen ein kleines Zeltdorf mit scheinbar unbe-
rittenen Bewohnern in einem baumbewachsenen gebirgigen Gebiet“. Die Figuren
dieser Zeichnung ähneln denjenigen altmexikanischer Codices. Höchstwahrscheinlich
handelt es sich hier um die Darstellung einer Strafexpedition gegen die Apache.
Näheres läßt sich nicht mit Sicherheit sagen.
Auf Segesser II (1,40 X etwa 5,85 m) wird, wie der Verfasser in seiner mit
wissenschaftlicher Akribie geführten Untersuchung nachweisen konnte, die am
13. August 1720 erfolgte Nicdermetzlung einer spanischen Expedition unter der
Führung von Don Pedro de Villasur durch die vereinigten Pawnee und Oto am
Platte River darstellt.
Die zwei Bilder wurden um die Mitte des 18. Jahrhunderts von einem gewissen
Pater Philipp, der als Jesuitenmissionar in der mexikanischen Provinz Sonora
tätig war, In die Schweiz geschickt. Sie werden sonderbarerweise von Barockbordüren
eingerahmt, obwohl sie nach Hotz im Gebiet der indianischen Dörfer am Rio
Grande entstanden sind. Segesser I geht eventuell auch auf einen sonorischen
Indianer oder einen im spanischen Sold stehenden Tarasken zurück. Hotz ver-
mutet, daß zumindest Segesser II von Antonio Valverde de Cosio in Auftrag ge-
geben worden ist. Dieser Spanier, der von 1716 bis 1722 als Gouverneur in El
Paso residierte, wurde für das Massaker der Villasur-Expedition verantwortlich ge-
macht. Um sich zu rechtfertigen, hat er vielleicht ein Bild malen lassen, auf dem
die Überlegenheit der Gegner seines Truppenkommandeurs deutlich gezeigt wurde.
Abgesehen von diesen Ergebnissen, die sich auf den Inhalt und die Herkunft
der Ledermalereien beziehen, enthält das Werk von Hotz noch eine ganze Reihe von
kleineren Untersuchungen, die mit den angeschnittenen Hauptproblemen im Zu-
sammenhang stehen. Für den Völkerkundler sind die verstreuten Mitteilungen
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
191
über die materielle Kultur der Südweststämme von Bedeutung, insbesondere die
Aussagen über ihre Wohnweise, Kleidung, Bemalung und Bewaffnung. Auch das
Kapitel über die indianische Fellbearbeitung verdient Beachtung. In Verbindung
mit den Nachrichten über die Geschichte der Apache wird — in Anlehnung an
die Forschungen von Flyde — mehrfach darauf hingewiesen, daß die unter dem
Namen „Padouca“ bekannten Indianer nicht zur Völkergruppe der Comanche
gehören, wie off angenommen wird, sondern mit den Gataka-Apache identisch sind.
Diese verbanden sich später eng mit den Kiowa und werden deshalb in der Lite-
ratur zumeist als Kiowa-Apache bezeichnet.
Trotz der klaren Gliederung des Stoffes macht das Buch von Hotz in einigen
Tellen einen unübersichtlichen Eindruck. Als Entschuldigung für diese Tatsache
läßt sich anführen, daß dieselben Fragen und Probleme Immer wieder aufgegriffen
und von allen Seiten beleuchtet werden mußten. Unglücklich ist aber die wechselnde
Wiedergabe der Stammesnamen, da sicher nicht alle Leser wissen, daß man die
Pawnee auch „Pani“ und die Ceyenne auch „Schajenne“ schreiben kann. Auch über
die Identität der Nenenot mit den Naskapi und der Nadoessis mit den Dakota
werden nur die Fachleute und die vorgebildeten Indianerfreunde informiert sein.
Bedauerlich ist, daß Hotz die von ihm benutzte Literatur nicht in einem Verzeichnis
am Schluß des Bandes zusammengefaßt hat. Auf das Fehlen eines immer nützlichen
Sachregisters sei ebenfalls hingewiesen.
Die Bildtafeln mit Ausschnitten aus Segesser I und II sind zu einem kleinen
Heft zusammengestellt, das bei der Lektüre bequem neben das Buch gelegt werden
kann. Bei der Betrachtung der Abbildungen wird dem Leser deutlich die völlige
Verschiedenheit der Segesserschen Ledermalerelen von den Zeichnungen der nord-
amerikanischen Prärieindianer vor Augen geführt. Während aut den Roben und
Zeltdeckcn der Steppenvölker neben abstrakten Symbolen im allgemeinen nur von-
einander isolierte Lebewesen erscheinen, haben wir hier richtige Gemälde vor uns,
auf denen in räumlicher Tiefe die ganze Umwelt der handelnden Personen dar-
gestellt worden ist. Von einer primitiven Wiedergabe der Menschen und Tiere kann
nicht mehr die Rede sein. Wir müssen dem Verfasser dafür danken, daß er diese
ungewöhnlichen Dokumente der Wissenschaft erschlossen hat. Horst Hartmann
Soeben ist erschienen:
WILHELM E. MÜHLMANN
Cfailiasmus und Nativismus
Studien zur Psychologie, Soziologie und historischen Kasuistik
der ümsturzbewegungcn
Mit Beiträgen von Alfons M. Dauer, Willi J. Knoob, Wolfgang H. Binding,
Ernst Wilhelm Müller, Udo Oberem, Erika Sulzmann und Helga Uplegger
472 Seiten /7,5 X 25 cm, mit 7 Kartenskizzen, aus führt. Sachregister und Literatur. 1961
Brosch. DM 45,—, Buckram DM 52,—
Das Buch befaßt sich mit dem großen Thema der „auf Zeit gestreckten Welt-
revolution“. Mit Tocqueville und Jacob Burckhardt ist Mühlmann der Über-
zeugung, daß das Prinzip der Revolution in der ganzen Welt weiter wirkt. Er
leitet es aus der spätjüdischen-frühchristlichen Apokalyptik und den von daher
durch das ganze Mittelalter hindurch gespeisten „chiliastischen Aufbrüchen“ her.
Die Erwartungen eines Tausendjährigen Reiches wirken im abendländischen wie
auch im russischen Christentum und im Islam weiter. In den „nativistischen Be-
wegungen“ kolonial überlagerter Naturvölker sind diese Wirkungen am deut-
lichsten: Selbständigkeitsbewegungen und Abwehr jeder Bevormundung durch
den weißen Mann weisen auf einen künftigen, z. T. schon verwirklichten Natio-
nalismus hin.
Mit einer Reihe von Mitarbeitern legt Mühlmann im I. Teil des Buches zwölf
Studien über nativistische Bewegungen bei Eingeborenen verschiedener Kontinente
vor. Im II. Teil bietet er psychologisch-soziologische Analysen und religions-
soziologische Vergleiche. Untersucht werden Entstehung, Ausbreitung und Ab-
läufe nativistischer und chiliastischer Bewegungen und Persönlichkeit, Rolle und
Milieu der „Propheten“ u. a. Als Träger chiliastischer Bewegungen erscheinen
durchweg Arme, Ausgebeutete und Unterdrückte, — wie auch moderne nati-
vistische Bewegungen von „Parias“ getragen werden: von dem kolonial unter-
drückten „externen Proletariat“ farbiger Völker. Die Messiasrolle ist heute durch
den Marxismus und Leninismus kollektiviert.
Zum Schluß werden die chiliastischen Grundstrukturen aufgegliedert in histo-
rische Bauelemente und überlagernde Ideologien. Sie sind erkennbar in den
Phänomenen der Utopien, des Nationalismus, Kommunismus und Totalitarismus,
und in diesem Zusammenhang wird der Nationalsozialismus besonders betrachtet.
Dem heutigen Wohlfahrtsstaat und der entstehenden Wohlfahrtswelt ist ein
Kapitel gewidmet — auch hier sind chiliastische Tendenzen nachweisbar.
Das Buch bietet im allgemeinen eine umfassende Analyse von Grundkräften
der modernen Weltgesellschaft, im besonderen eine illusionslose Analyse dieser
Kräfte, soweit sie zerstörend wirken. Die „haltenden Mächte“ der Vernunft
und des Glaubens können dieser Zerstörung entgegen wirken.
DIETRICH REIMER VERLAG IN BERLIN-STEGLITZ
Beihefte zum BAESSLER-ARCHIV, Neue Folge
Beiheft 1 erschien 1959:
MUHT KRIEGER
Geschichte von Zamfara
Sokot«-Provinz, Nordnigeria
147 Seiten im Format des Baessler-Archivs mit 12 Tafeln und einer Karte
Beiheft 1, Berlin 19>9, Broschiert DM 14,—
Gelegentlich einer Forschungsreise nach Nordnigeria hatte der Verfasser Ge-
legenheit, Manuskripte von alten Hausa-Chroniken zu studieren und örtliche
Überlieferungen zu sammeln. Hier gibt er neben einer Zusammenfassung eine
mit sämtlichen Quellen belegte Geschichte des nordnigerischen Königreiches
Zamfara und schildert u. a. die Regierungszeiten von 54 Herrschern vom
13. Jahrhundert bis heute.
Beiheft 2 erschien I960:
HERMANN TRIMBORN
Archäologische Studien
in den Kordilleren Boliviens
76 Seiten im Format des Baessler-Archivs mit 66 Abbildungen
Beiheft 2, Berlin 1959, Broschiert DM 12,—
Die alter tumskundliche Forschung steht mit der Freilegung und Auswertung
von Zeugnissen der indianischen Vergangenheit im bolivianischen Anden-
raum noch vor einem ergiebigen Feld. Als Teilergebnisse einer Forschungsreise
(1955/56) legt Hermann Trimborn, der Völkerkundler der Universität Bonn,
Beobachtungen vor, die neben einer kürzeren Würdigung anderer Denkmäler
vor allem um zwei Komplexe kreisen: Der eine ist eine bisher nicht beschrie-
bene Totenstadt auf dem Altiplano, die sogenannten „Chullpas“ von Sica-
Sica. Zum anderen wird eine umfassende Darstellung den rätselhaften Fels-
skulpturen von Samaipata gewidmet, dem Östlichsten vorgeschobenen Punkte
der Hochlandskultur.
Weitere Hefte in Vorbereitung!
DIETRICH REIMER VERLAG IN BERLIN-STEGLITZ
BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
Herausgegeben im Aufträge des
Museums für Völkerkunde Berlin
von
H. D. DISSELHOFF UND K. KRIEGER
NEUE FOLGE BAND IX
(XXXIV. BAND)
HEFT 2
Ausgegeben am 31. Dezember
BERLIN 1961
VERLAG VON DIETRICH REIMER
INHALT
H. D. Disselhoff, Berlin:
Das Berliner Museum für Völkerkunde gestern und morgen ............... 193
H. D. Disselhoff, Berlin:
Berliner Museum für Völkerkunde: Neuerwerbungen peruanischer Alter-
tümer
Mit 17 Figuren ........................................................ 199
Dieter Eisleb, Berlin:
Steinplastiken im Mezcala-Stil aus den Sammlungen des Berliner
Museums für Völkerkunde
Mit 15 Abbildungen .................................................... 217
Gerdt Kutscher, Berlin:
Ein Stammbaum des königlichen Geschlechtes von Tetzcoco. Postkolum-
bische Bilddokumente aus Mexiko im Berliner Museum für Völkerkunde: I
Mit 11 Abbildungen: .............................................. 233
Willy Schulz-Weidner, Frankfurt:
Einige Notizen über den Stamm der Gudji-Galla .........................265
Bücherbesprechungen :
Mylius: Antlitz und Geheimnis der überseeischen Maske 328 — Leuzinger;
Afrika. Kunst der Negervölker 328 — Lehmann: L’Art Précolombien 329 —
Robertson: Mexican Manuscript Painting of the Early Colonial Period
330 — Cartas de Relación de la Conquista de la Nueva Epaña. Codex
Vindobonensis S. N. 1600. 333 Gerbrands: Art as an Element of
Culture, especially in Negro-Africa 335 — Völkerkundliche Forschungen:
Martin Heydricb zum 70. Geburtstag 337
Band IX des „Baessler-Archiv“ erscheint im Jahre 1961 in 2 Heften. Der Preis
des Bandes beträgt DM 34,—. Bestellungen sind zu richten an: DIETRICH
REIMER, Berlin-Steglitz, Wulffstr. 7, oder an jede Buchhandlung. Manu-
skripte und Besprechungsexemplare werden erbeten an: Redaktion des
„Baessler-Archiv“, Museum für Völkerkunde, Berlin-Dahlem, Arnim-Allee 23.
Für unverlangt eingehende Beiträge kann keine Haftung übernommen werden.
Die Mitarbeiter erhalten unberechnet 25 Sonderdrucke. Für den Inhalt
ihrer Beiträge sind die Autoren allein verantwortlich.
Diesem Heft liegt bei eine Ankündigung zweier Neuerscheinungen von Horst
Nachtigall „Indianerkunst der Nord-Anden“ und „Alt-Kolumbien“.
Alle Rechte Vorbehalten
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
193
DAS BERLINER MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
GESTERN UND MORGEN
H. D. DISSELHOFF, Berlin
Dieser kurze Essay soll in erster Linie die Berliner Kollegen der Kunst-
museen von dem unterrichten (was die meisten nicht wissen und manche
nicht wissen können), was unser Museum sein sollte und sein muß. Aber
es soll auch Fachkollegen außerhalb Berlins gegenüber zu unserer Recht-
fertigung dienen, die sich darüber wundern, daß unsere Ausstellung, ge-
messen an der Größe des Berliner Besitzes, so wenig zeigen kann, und wie
sie das Wenige zeigt.
Viel ist in Berlin selbst in den letzten Jahren hin und her geredet worden
über Neubauten der Berliner Museen, zum Teil in mehr oder weniger er-
bitterten Diskussionen, manchmal sogar in mehr oder weniger parteiischen
Zeitungspublikationen, die der guten Sache einen Bärendienst erwiesen
haben. Die gute Sache, das ist das Anliegen der Berliner Museen in ihrer
Gesamtheit; dabei werden die Museen abendländischer Kunst auf keinen
Fall zu kurz kommen. Aber, zumal in unserer Zeit, hat auch die Völker-
kunde ihr schweres Gewicht. Wer hat noch nicht eingesehen, daß das Abend-
land nicht mehr ausschließliches Zentrum unseres Planeten ist?
Im Rahmen dieser völkerkundlichen Zeitschrift darf das leidenschaftlich
Diskutierte über Für und Wider von Museumsbauten in oder außerhalb
Dahlems keinen Platz finden. An dieser Stelle interessiert einzig und allein
das Wohl und Wehe des Berliner Völkerkunde-Museums, wohl seinem Besitz
nach des größten seiner Art auf dem europäischen Kontinent, dem Ausstel-
lungsraum nach eines des kleinsten, für das ich mich verantwortlich fühle.
Von vornherein dürfte eines feststehen: Die Nachbarschaft völkerkund-
licher Sammlungen in ein und demselben Gebäude, das früher ausschließlich
uns als Magazin gedient hat, ursprünglich für die Ostasiatischen Sammlungen
bestimmt war und im Volksmund und auf Stadtkarten immer noch Völker-
kundemuseum heißt, mit vielen Sälen voll Gemälden niederländischer, deut-
scher und italienischer Meister und anderer Zeugnisse hoher abendländischer
Kunst ist keine Dauerlösung, kann nur ein Notbehelf sein. Solch ein Zu-
stand verwirrt den Durchschnittsbesucher, muß ihn beirren; das hat man mehr
als einmal feststellen müssen.
Die meisten Nicht-Ethnologen können sich angesichts der Kargheit der zur
Zeit möglichen völkerkundlichen Ausstellungen nicht den geringsten Begriff
machen von dem Reichtum unseres Besitzes, wobei das Wort „Reichtum“
13 Baessler-Archiv IX
194
Disselhoft, Das Berliner Museum für Völkerkunde gestern und morgen
sowohl Quantität wie Qualität einbegreift. Völkerkundlich befangene Be-
schauer dagegen mögen die Nase rümpfen angesichts der vorwiegend ästhe-
tisch orientierten Ausstellungsweise und, wenn sie von unserem Besitz wissen,
angesichts des Fehlens ethnologisch wichtiger, aber unspektakulärer Objekt-
gruppen, die zum Bild der ausgestellten Kulturen gehören und erst den tat-
sächlichen kulturhistorischen Komplex veranschaulichen würden.
Ihrer Ausstellungsweise nach könnte man die deutschen Ethnographischen
Museen in zwei Haupttypen ordnen, und zwar in solche, in denen der
Hauptakzent entweder auf ästhetischen Gesichtspunkten der Darbietung
liegt, und in solche, die das ästhetische Moment mehr oder weniger zu
Gunsten einer möglichst vollständigen Schaustellung des gesamten Kultur-
bereiches der verschiedenen Völkergruppen, soweit es uns greifbar ist, ver-
nachlässigen.
Das Staatliche Museum für Völkerkunde in München, der Kunststadt par
excellcnce, verkörpert seiner Tradition nach am deutlichsten das erste Extrem,
während die Tradition des Berliner Museums eher in dem anderen Extrem
verankert ist, was durchaus nicht zu unschöner Überfüllung bis in die äußer-
sten Winkel vollgestopfter Eisenschränke zu führen braucht. Auch die syste-
matisch geordneten, aber an magazinähnlicher Überfüllung krankenden Aus-
stellungen der einzelnen Erdteile im alten Gebäude, mit seiner säulen-
getragenen, pompösen Eingangshalle im Stile der Gründerzeit, an der Ecke
Stresemann- und Prinz-Albrecht-Straße, dessen Ruinen jetzt endgültig weg-
geräumt werden, hatte seine Reize für manchen Beschauer, besonders auch
für die jugendlichen Besucher der damaligen Zeit. Das bekomme ich immer
wieder von mittlerweile zu Männern gereiften Berlinern zu hören. Doch
sah der Durchschnittsbesucher dort oft den Wald vor den Bäumen nicht.
Dennoch fehlten selbst damals in dem großen Hause einzelne Kultur-
provinzen. Der Kundige wird sich z. B. deutlich erinnern, daß unsere an-
sehnlichen und wertvollen indonesischen Sammlungen, vielleicht die besten
in Deutschland, selbst damals in dem großen Hause niemals ausgestellt
wurden, ebensowenig Europa, ebensowenig die Polarvölker der Alten Welt,
ebensowenig der Mittlere Orient, ebensowenig Objekte indischer und ost-
asiatischer Völkerkunde. Ist Indonesien etwa ein unbedeutender Raum in der
heutigen Welt oder gar das Wunderland Indien mit allen seinen Völker-
schaften, etwa das ganze weite und volkreiche Ostasien, das ausstellungs-
mäßig früher in Berlin nur in der Kunst vertreten war?
Erinnern wir uns: Was konnte nach dem Krieg ausgestellt werden? — Zu-
erst in der Eingangshalle die seltenen und gewichtigen Steinreliefs und Skulp-
turen von Santa Lucia Cozumalhuapa, zwischen denen jetzt eine spätbarocke
Diana aus weißem Marmor auf großem zu einem Brunnen gehörigen Sockel
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
195
überlebensgroß, kokett und ein wenig aufdringlich durch den Raum stolziert.
In dem Saal, der an die Halle anschließt, stand eingeengt das große Aus-
legerboot von der Südseeinsel Agomez, ein ganz einmaliges Stück und eine
Freude der Berliner Schulkinder. Seine Masten mußten gekappt werden,
damit es in dem engen Raum Platz fand; ein Ausleger fehlte. Anschloß sich
ein Saal mit Schiffsmodellen aus aller Welt und kleineren Originalen und
ein kleiner Raum mit Musikinstrumenten verschiedener Erdteile. Mein ver-
ehrter Vorgänger Walter Krickeberg hatte das Möglichste mit bescheidensten
Mitteln getan. In einem viel zu schmalen langen Raum war ein Palau-Haus
ausgestellt, über dessen Bemalung den Schulklassen viel zu erzählen war. Es
gab eine kleine Ausstellung von Behausungen aus aller Welt, teils in Mo-
dellen, teils in Originalen repräsentiert, darunter eine mongolische Jurte, in
der Frau Dr. Körner auf einer Expedition Sven Hedins viele Nächte ver-
bracht hat. Frau Körner durfte damals lim 2. Stock auch einige neu herge-
richtete Räume mit ostasiatischen Ethnographica und wenigen chinesischen
Altertümern einrichten. Auch die vielbeachtete lamaistische Kapelle fand
ihren Platz.
Krickeberg hatte im Erdgeschoß eine kleine vergleichende Ausstellung von
Schriften des Erdballes eingerichtet, angefangen mit indianischen Schrift-
zeichen auf Birkenrinde, Proben altamerikanischer Glyphen und szenischer
Bemalung auf peruanischen Bügelflaschen, bis zu arabischen und hebräischen
Schriftzeichen. Es folgten einige Räume mit Keramik, Textilien und Ge-
brauchsgegenständen aus altperuanischen Gräbern. (Die Mehrzahl der alt-
amerikanischen Sammlungen war noch evakuiert.)
Wände und Fensterkreuze waren gar notdürftig gestrichen, die Zement-
fußböden rauh und aufgerissen. Welch ein Gegensatz zu dem grünsammtenen
Wandbehang in der benachbarten Gemäldegalerie! Die ausgestellten Stücke
waren zufällig vorhandenen Magazinbeständen entnommen. Der gesamte
ausgewählte Bestand der früheren Schausammlung lag noch ausgelagert, in
Kisten verpackt, in Celle. Schweigen wir von den bitteren Kriegsverlusten
an Spitzenstücken, die schon oft aufgezählt wurden, wenn auch noch nicht
längst in aller Vollständigkeit! Erwähnen wir dankbar, daß in den aller-
letzten Jahren manches durch Neuerwerbungen ergänzt werden konnte!
Mein Vorgänger im Amt, Walter Krickeberg, hatte allen möglichen Schwie-
rigkeiten zum Trotz und trotz der Knappheit der Mittel Unmögliches zu-
stande gebracht. Schulklassen bevölkerten die Ausstellungsräume, ihre Lehrer
ließen sich durch fachmännische Führer, meistens Studenten, belehren, und so
ist es noch heute.
Als der Verfasser dieser Zeilen im Herbst 1954 Krickebergs Amt über-
nehmen durfte, waren die Mittel schon nicht mehr ganz so bescheiden. Kisten
13*
196
Disselhoff, Das Berliner Museum für Völkerkunde gestern und morgen
mit Altertümern aus Mexiko und Peru waren aus Celle zurückgeführt worden
(damals als Leihgabe!). Eine Flucht von Räumen im Erdgeschoß war mit
neuem Fußböden, Wandvitrinen und guter Beleuchtung für die Altamerika-
Ausstellung ausgestattet. Alles hatte mein Vorgänger schon bis ins Detail
geplant. Ich brauchte nur auszuwählen und auszustellen. Aber da fing es
schon an: Aus räumlichen und ästhetischen Gründen mußte ich bereits aus-
gesuchte Modelle von Pyramidentempeln in das Magazin verbannen und, so
gut es ging, durch Photographien ersetzen. Da alle Seitenwände durch Wand-
vitrinen besetzt sind, war es nicht leicht, einige wenige mexikanische Stein-
skulpturen, an denen unser Museum so reich ist, in einigermaßen günstiges
Licht zu stellen. Die neue Ausstellung hatte Erfolg vor Presse und Publikum.
Doch je mehr Zeit verfloß, desto weniger war ich zufrieden, weil das ethno-
graphische Moment nur wenig berücksichtigt werden konnte.
Andere Ausstellungen folgten. Für Flärtels Indien-Abteilung wurden im
Rohbau befindliche Räume vollständig neu ausgebaut. Während der Berliner
Tagung der Gesellschaft für Völkerkunde im Herbst 1958 konnte dort die
Ausstellung „Turfan und Gandhara“ feierlich eröffnet werden. Ohne die
ehemaligen häßlichen Eisenrahmen, dem Freskocharakter entsprechend in die
Wand eingelassen, strahlt nun eine kleine Auswahl Turfanfresken in neuem
Glanz. In guten Vitrinen präsentieren sich Plastik, Schriftproben und Klein-
kunst.
Schließlich konnte auch Kurt Krieger einzelne Beispiele seiner afrikanischen
Schätze zeigen, in dem gleichen Raum, wo früher das große Südseeschiff von
der Schuljugend bewundert wurde. Wichtige afrikanische Kulturprovinzen
mußten dennoch unberücksichtigt bleiben. Es kann sein, daß Besucher aus den
neuen afrikanischen Staaten sich deshalb gekränkt fühlen, und es ist nicht
zu ändern, daß Schulklassen und Lehrer das Schiff von Agomez vermissen,
ebenso wie die in das Magazin verbannten Häuser, nachdem Gerd Koch
dort, wo sie früher ausgestellt waren, mit ebenso sparsamen Mitteln und
ebenso geschickt wie Krieger, seine Südsee-Ausstellung eingerichtet hat. Wegen
krassen Raummangels kann die Ozeanische Abteilung weder Australien noch
Mikronesien zeigen, nicht die kleinste Probe, und auch unsere reiche Melane-
sien-Sammlung ist nur unvollkommen vertreten. Beide Ausstellungen, Afrika
und Ozeanien, geben trotz einzelner Kostbarkeiten, keinen Begriff von dem
weltbekannten Reichtum der Berliner Bestände.
Am Ende wurde auch für Horst Hartmann ein Raum verfügbar, in dem
er einiges aus dem 1958 rückgeführten Besitz der Abteilung „Amerikanische
Naturvölker“ zeigen kann. Aber nur Waldland- und Prärie-Indianer konnten
berücksichtigt werden, darunter das berühmte Medizinzelt und andere Kost-
barkeiten aus dem frühen vorigen Jahrhundert. Auf das Eskimo-Gebiet und
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
197
Nordwest-Amerika, das im alten Haus in der Prinz-Albrecht-Straße so reich
vertreten war, auf Kalifornien und das Pueblogebiet mußte verzichtet wer-
den, wieder aus Raumknappkeit. Von einer Dauerausstellung unserer glän-
zenden Südamerika-Sammlungen, die mit ihrem farbigen Reichtum gewiß
jedes Publikum anzöge, kann einstweilen überhaupt nicht die Rede sein.
Bei allen Aufzählungen dürfen auch unsere temporären Sonderausstel-
lungen nicht fehlen, um die sich Brigitte Menzel besonders verdient gemacht
hat. Bei Presse und Publikum haben sie stets das beste Echo gefunden. Aber
auch hierfür steht nur ein winziger Raum zur Verfügung, der früher „Schrif-
ten fremder Völker“ zeigte. Es sind folgende;
1957: „Textilien und Kleidung heutiger Quechua-Indianer“
1958: „Masken aus aller Welt“ und
„Hüte und Kopfputz aus aller Welt“
1959; „Moderner Silberschmuck aus Bolivien“
„Exotischer Schmuck“
„Tonga, eine Südseekultur von heute“
1960: „Exotische Waffen“
„Neuerwerbungen aus allen Abteilungen des Museums für Völker-
kunde“
„Völker sehen einander“
1961: „Wiedergefundenes — Wiederentdecktes“
(Altamerikanische Kunst)
Die in Maßen ästhetisch betonte Ausstellungsweise ist nicht allein eine Kon-
zession an die Raumnot. Man darf nicht mehr auf die gleiche Art ausstellen
wie vor 30 Jahren! Doch müßte man gleichzeitig eine ethnographische Voll-
ständigkeit anstreben, soweit sie im Bereich der Möglichkeiten liegt. Material
ist mehr als genug da. — Man kann, möchte ich sagen, das eine tun und das
andere nicht lassen. Eine glückliche Vereinigung beider Prinzipien muß für die
Zukunft angestrebt werden. Es ist zu hoffen und anzustreben, daß wir einmal
ein eigenes Haus mit genügend Raum zur Verfügung haben. Auch die Ab-
teilungen exotischer Kunst der Berliner Museen, Islamische und Ostasiatische
Kunst, würden darin Platz finden1.
Für das Völkerkundemuseum selbst habe ich folgende Zukunftsvision: Mög-
lichst alle großen Kulturkreise müssen berücksichtigt werden, das wäre die
erste Voraussetzung. Ich sehe vor mir einen weiten Saal mit dem großen
Segelschiff von der Insel Agomez, dem Lehrer und Schüler und auch ich selbst
1 Am Rande sei bemerkt, daß die Verselbständigung der Indischen Archäologie-
und Kunstabteilung von maßgeblicher Seite angeregt wird. Das würde die Bildung
einer eigenen ethnographischen Abteilung zur Folge haben, die alle südasiatischen
Sammlungen einbegreift, die z. Z. von der Indienabteilung betreut werden.
198
Disselhoff, Das Berliner Museum für Völkerkunde gestern und morgen
so nachtrauern. Es schwimmt auf einem meergrünen Grund aus Glas oder
Kacheln. Irgendwo in geeigneten Räumen finden auch andere Boote unserer
reichen Bootsammlung aus verschiedenen Erdteilen ihren guten Platz, ebenso
Häuser, Hütten und Zelte da, wo sie hingehören. Auch auf gute Dioramen
würde ich nie bei genügend Raum verzichten, die Landschaften und Menschen
verschiedener Erdräume lebendig wiedergeben, auch nicht auf Modelle von
Tempeln und dgl. Dioramen können, wenn sie wirklich gut sind, ihren ganz
großen Reiz haben und sogar schön sein. Das Pädagogische versteht sich von
selber. Es gibt gute Beispiele, zumal in USA-Museen. Man könnte z. B. auch
Gräber mit ihren Beigaben naturgetreu rekonstruieren und Gruppen lebens-
großer Menschen vor ihren Behausungen und in der Landschaft bei Handwerk,
Jagd und Ackerbau zeigen.
Die Ausstellungsweise des Bremer Übermuseums, das wohl neben dem
Berliner Museum die stattlichste Besucherzahl deutscher völkerkundlicher
Museen aufweist, ist darin kein schlechtes Vorbild.
Obwohl sich in den letzten Jahren, nicht zuletzt dank dem großzügigen
Verständnis und ausgeprägten Gerechtigkeitsgeifühl des jetzigen Generaldirek-
tors der Berliner Museen, schon vieles zum Guten gewandt hat, wobei man
nur an Neuerwerbungen und an die Behebung der schlimmsten Personalnot
zu denken braucht, fehlt dem Völkerkundemuseum einfach der gültige Raum
für eine gute und gültige Repräsentation seiner Schätze. Fast muß man sich
schämen, wenn man nach Stuttgart oder Bremen kommt — um nur zwei
Beispiele zu nennen — und im Linden- und Übersee-Museum feststellen muß,
daß bei unverhältnismäßig kleinerem Besitz viel mehr gezeigt werden kann
und auf gute Weise gezeigt wird. — Hoffen wir weiter auf morgen!
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
199
BERLINER MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE;
NEUERWERBUNGEN
PERUANISCHER ALTERTÜMER
H. D. DISSELHOFF, Berlin
Was südamerianische Altertümer betrifft, so stehen im Vordergrund der
Neuerwerbungen des Berliner Museums peruanische Stücke, unter denen
wiederum südperuanische die wichtigsten sind.
Vor dem Kriege besaß die damalige Südamerika-Abteilung außer drei gra-
vierten und bemalten Tonschalen, die erst vor kürzerer Zeit wiedergefunden
und als Paracas-Ware identifiziert wurden, keine Paracas-Keramik1. Um so
wichtiger ist der Ankauf einer Reihe von Tongefäßen, die Varianten des
Paracas-Stiles aufweisen. Ich zähle nicht jedes einzelne neu erworbene Stück
auf. Keines der Stücke kommt direkt von der Halbinsel Paracas, die dem
südperuanischen Frühstil ihren Namen lieh, sondern aus dem weiteren
Kreis des Departements Ica. Nach unserem heutigen Wissen, das sich auf
die gar nicht so umfangreiche Literatur und persönliche Nachrichten gründet,
wird Paracas-Keramik, außer auf der Halbinsel selbst, im ganzen Ica-Tal,
in den Tälern des Rio Grande de Nazca und seiner Zuflüsse und sogar noch
weiter südlich gefunden. In den letzten Jahren gelangen hin und wieder
einzelne Stücke und ganze Sammlungen der begehrten Ware in den amerika-
nischen Kunsthandel, zuweilen auch nach Europa2. Auch unsere kleinen
1 Professor Ubbelohde-Doering schickte mir vor kurzem die Zeichnung des Dekors
eines weiteren Paracas-Gefäßes aus unserem Museum, die er in den zwanziger
Jahren gemacht hat. Damals wußte noch niemand von den Funden auf der
Paracas-Halbinsel, und die Bezeichnung „Paracas-Stil“ war kein Begriff. — Wahr-
scheinlich ist dieses Gefäß — von dem Ubbelohde-Doering schreibt: „Jedenfalls
war die hier kopierte Schale ein ganz unbeschädigtes Stück und sehr repräsen-
tativ; dazu selten und heute außerordentlich wertvoll, auch die Größe (26 cm Dm.)
ist ungewöhnlich“ — im Kriege verlorengegangen. Wir haben es jedenfalls noch
nicht wieder entdeckt. (Kat. Nr. V A 51 195. Ica. Sammlung v. d. Zypern) —
Inzwischen fand Dr. Eisleb noch einige rote Schalen aus Ica (Sammlung v. d.
Zypen) in unserem Magazin, die sicher zu dem Paracas-Komplex gehören. Sie
sind meist undekoriert. Nur eine von ihnen trägt an der Innenwand eine Reihe
kaum sichtbarer runder Einstiche, welche diese Schalen ziemlich sicher als „Para-
cas-Ware“ erkennenlassen (vgl. Figur 4).
2 Gewissen Nachrichten nach, die ich aus Peru bekam, werden zur Zeit in der
Gegend von Ica in ungewöhnlichem Ausmaß alte Grabstätten ausgeplündert.
Nicht nur „Huaqueros“, Schatz- und Topfjäger, die sich aus der armen Be-
völkerung rekrutieren und von schlauen Fländlern übervorteilt werden, sind
am Werk, sondern angeblich wird in unverantwortlicher Weise von geschäfts-
200
Disselhoif, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
Fig. 1
Paracas-Sammlungen, von denen ich die eine als Sammlung X, die andere
als Sammlung Y bezeichne, wurden im Kunsthandel erworben.
Als erstes Stück (Fig. 1) greife ich eine ziemlich steilwandige kleine Ton-
schale heraus, deren Außenwand figürlich verziert ist, und zwar durch Ritzung
der Konturen und durch Bemalung nach dem Brand (Kat. Nr. V A 64356,
Dm. 14,5 cm. Slg. X). Die Hauptfarbe ist ein helles Ocker. Dazu kommt leb-
haftes Grün und nur ein wenig Kirschrot, wie wir es von anderer Paracas-
Keramik wohl kennen. Nach der vorläufigen Klassifizierung von William
Duncan Strong dürfte das Stück in die Rubrik „Juan Pablo Postfired Poly-
chrom“ gehören3. Der Fundort wurde durch den Sammler näher bestimmt;
Cerro La Peña bei Ocucaje (Dep. Ica).
Figur 2 zeigt einen ebenfalls steilwandigen Napf, der innen schwärzlich
gefärbt ist und deutliche Politurspuren aufweist, während die Färbung nach
außen allmählich in ein mittleres Braun verläuft. Das vor dem Brand von
außen her eingedrückte Ornament, das die ganze Schale umläuft, erscheint
innen erhaben wieder (Sammlung X, Kat. Nr. V A 64353. Ob. Dm. 11 cm.
tüchtigen Unternehmern mit Bulldozern gearbeitet, um so mühelos wie möglich
an Keramik und Textilien heranzukommen, die auf dem ameriKanischen Markt
Höchstpreise erzielen. Die Behörden stehen anscheinend diesem Treiben macht-
los gegenüber. Das Land ist zu weit und dünn besiedelt.
3 Strong, William Duncan: Paracas, Nazca and Tiahuanacoid cultural
relationships in South Coastal Peru, in Am. Antiquity, vol. XXII. Saltlake City
1957. Memoirs Nr. 13, S. 11. — Strong setzt für die Paracas-Phasen (früher nur
„Paracas-Cavernas“ und „Paracas-Necropolis“) neue Namen „Early and Late
Paracas“. — Eine von ihm neu entdeckte Phase ist Proto-Nazca, das auf Late
Paracas folgt und dem klassischen Nazca vorausgeht. Der bisherige Haupt-
fundort für Früh-Paracas ist Juan Pablo im oberen Ica-Tal. Der Fundort für
Spät-Paracas, Ocucaje, liegt weiter stromabwärts, Cahuachi Im Mittellauf des
Rio Grande de Nazca. Paracas-Cavernas gehört nach Strong (S. 16) zu Spät-
Paracas, während Paracas Necrópolis eine spätere Sub-Phase dazu bildet.
Baessler-Archiy, Neue Folge, Band IX
201
Fig. 2
Nähere Umgebung von Ica). Nach Strong gehört dieses Stück zum Komplex
von Spät-Paracas4.
Die folgende Tonschale (Fig. 3) ist auf zweierlei Art dekoriert. In zwei
doppelt umrandeten rechteckigen Feldern befindet sich ein für Paracas
typisches Flechtornament. Die Konturen sind vor dem Brand eingraviert,
dann wurden nach dem Brand die Ornamente mit roter und gelblicher Farbe
aus-gefüllt. Außerhalb der so dekorierten Felder läßt sich unschwer eine ein-
fache Punkt-Ornamentienung als Negativ-Malerei erkennen. Diese Art von
Doppeldekor kommt nach Strong nur in einer früheren Epoche von Paracas
vor, während negative Malerei allein in eine spätere Phase gehört5. Die Schale
wurde unter Nr. V A 64364 in den Katalog aufgenommen. Ihr oberer Durch-
messer beträgt 14 cm. (Fundort unbekannt. Sammlung Y.)
4 Strong, op. cit., „Cahuachi modeled“. Fig. 8 G.
5 Strong, op. cit., S. 11 f. — Spezielle Literatur über Negativ-Malerei, die von
Strong zitiert wird, ist mir leider nicht zugänglich. — Gordon R, Willey, Hand-
book of S. American Indians. Bd. 5. Washington 1949. S. 193 f. schreibt: „Nega-
tive Painted tradition is more difficult to place in terms of origin. Negative
styles occur early in their respective sequences from South Peru to Ecuador
and Colombia.“ — Als vermutliches Ursprungszentrum bezeichnet er dann aber
das Bergland von Nordperu oder Ekuador.
Es war mir immer ein Rätsel, warum die Keramiker in relativ früher Zeit sich
bei der Bemalung ihrer Gefäße die Arbeit erschwerten, indem sie statt ein-
facher Positivmalerei das Negativ-Verfahren (Batik-Verfahren) anwandten. —
Man könnte sich dessen Entstehung so vorstellen, daß durch Zufall oder Nach-
lässigkeit bei der Bemalung einer Fläche gewisse Teile oder Flecke mit irgend-
einem Resistenz-Material beschmutzt waren, die nach dem Brand abblätterten oder
entfernt wurden, so daß an den betreffenden Stellen der ungefärbte, hellere
Grund frei wurde. Später wurde dann absichtliche Bedeckung mit Resistenz-
material (Wachs, Harz oder dgl.) zum System einer Ornamentierung gemacht. So
gehören einfache Tupfen und Streifen wohl zu den älteren Beispielen von
Negativ-Malerei. Dies wird sich ohne Mühe nachweisen lassen.
202
Disselhoif, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
Fig. 3
Die noch kleinere Tonschale der Abbildung Figur 4 ist einfarbig ziegel-
rot und nur innen dekoriert, und zwar mit einem komplizierten Ritzmuster,
das den ganzen Boden ausfüllt und an Flechtwerk erinnert. An der Innen-
wand sind halbrunde Einstiche mit konzentrischen Punkten angebracht. (Kat.
Nr. VA 64363. Ob. Dm. 12 cm. Sammlung Y. Fundort unbekannt.) Man
darf annehmen, daß dieses Stück zu der Art gehört, die Strong als „Cahuachi
incised interior“ bezeichnet und in die Varianten des Spät-Paracas einreiht'’.
In die gleiche Reihe stellt Strong, der immer wieder als Gewährsmann
zitiert werden muß, weil keine anderen genaueren Grabungsberichte aus der
Ica-Region vorliegen, mit Politurstrichen versehene schwarze Keramik, von
der Figur 5 hier ein Beispiel bietet. Die Dekorierung beschränkt sich wieder
auf das Schaleninnere, während die außen sichtbaren (nicht in der Abb.)
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
203
Fig. 5
Politurstriche nicht dekorativ angeordnet sind, sondern unregelmäßig ver-
laufen. (Kat. Nr. V A 64354. Dm. 14 cm. Sammlung X. Gegend von Nazca.)
Die bei dieser Art von Dekoration oft parallel laufenden Linien lassen auf die
Benutzung eines Bein(?)-Instrumentes schließen. Beiläufig gesagt, erinnere ich
mich, im Jahr 1938 bei einer Probegrabung im unteren Chicama-Tal (Nord-
peru) in den untersten Schichten schwarze Scherben mit ähnlicher Politur-
strich-Verzierung gefunden zu haben. Ihre Farbe war schwarz, während die
hier vorgezeigte Tonschale innen schwarz, außen hellbraun gefärbt ist7.
Das Doppelgefäß Figuró (Kat. Nr. VA 64375) stellt zwei nicht eindeutig
definierbare Früchte dar. Die einfache gelblichweiße Bemalung läuft über
roten Grund. Anscheinend kommt -diese rotweiße Variante der Spät-Paracas-
Keramik nicht selten vor8. Bandornamentierung Weiß und Rot scheint be-
sonders häufig zu sein. Ein sehr ähnliches Gefäß findet sich in Muelles
„Muestrario de Arte Precolombino Peruano“, wo die Früchte als „pepinos“
bezeichnet werden (Solanum variegatum R. et P.)9.
Bis vor kurzem waren die meisten Autoren der Ansicht, daß Spät-Paracas
(alias „Paracas Necrópolis“) fast ausschließlich jene feine Ware aufwiese, die
von Strong „White slipped Nekropolis“ genannt wird. Doch der immer
wieder zitierte amerikanische Archäologe fand diese Ware in gleichen Schich-
ten mit polychromer, negativ bemalter, gravierter einfarbiger und rotweiß-
bemalter zusammen, aber auch in Schichten mit der von ihm als „Proto-Nazca“
7 Vgl. Strong, S. 21, und ebendort Abb.-Fig. 7 A—C.„Cahuachi Stylus De-
corated.“
8 Strong, op. cit., S. 18: „Cahuachi Red and White Decorated, like Cahuachi
Negative is a very abundant Late Paracas Type.“
9 Muelle, Jorge: Muestrario de arte peruano precolombino, Lima 1938.
Lamina 69 und S. 39; Muelle rechnet dieses Stück zu „Paracas Necrópolis.“
204
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
Fig. 6
bezeichneten Ware- Er darf daraus den Schluß ziehen, daß diese „Nekro-
polis“-Ware später als Früh-Paracas und früher als das Klassische
Nazca ist10.
Ein schönes Beispiel für chavinoide Paracas-Keramik ist die in Figur 7 ab-
gebildete Schale, deren steile Außenwandung mit der für Paracas typischen
harzigen Paste vor dem Brand dreifarbig (rot, gelb, braun) bemalt wurde,
innerhalb tief eingravierter Konturen. (Sammlung Y. Fundort unbekannt.
Kat. Nr. V A 64360. Ob. Dm. 16 cm.) Hauptmotiv ist ein stilisiertes Raub-
tiergesicht von chavinoidem Charakter11.
10 Streng, op. cit., S. 18.
11 Ein ganz ähnliches Gefäß ist abgebildet bei Pablo S o 1 d i : Chavin en Ica.
Ica 1955. Tafel, 2. Reihe rechts.
Der peruanische Archäologe J u 1 i o C. T e 11 o war der erste, der nach seiner Ent-
deckung der Cavernas-Gräber auf der Halbinsel Paracas in den Zwanziger
Jahren die Bezogenheit von Paracas zu Chavin in seinen Schriften immer
wieder betont hat. — Diese Bezogenheit ist von Wendeil C. Bennett und
anderen amerikanischen Archäologen anerkannt worden. — Bennett: The archeo-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
205
Fig-7
Bei Figur 8 (Kat. Nr. V A 64359. Höhe 18 cm. Sammlung Y, Fundort un-
bekannt) handelt es sich um ein bauchiges Tongefäß mit plastischem Vogel-
kopf, Brücke und Ausguß. Unsymmetrisch verschoben ist auf der Vorderseite
des Gefäßkörpers eine eingravierte und gemalte Verzierung angebracht, deren
Hauptbestandteil wieder ein chavinoides Raubtiergesicht ist. Eingestochene
Kreise füllen die leeren Flächen des dreilinig umrahmten, hufeisenförmigen
Ornamentfeldes aus. Nur zwei Farben wurden verwendet; ocker und ziegel-
rot12.
In Strongs viel zitierter Arbeit ist kein einziges Stück mit figürlicher
Negativ-Malerei abgebildet. Er beschreibt die negativen Muster in der Haupt-
sache als geometrisch und notiert lediglich von negativer Malerei des Gefäß-
inneren: „Interior designs ... may be rarely naturalistic“. Unsere Figuren 9
logy of the Central Andes, in Handbook of South American Indians, vol. 2.
Washington 1946, S. 95.
]2 Es ist nicht absolut klar, auf welche Phase sich Strong bezieht, wenn er
schreibt: „It is of interest that the incised simple feline designs in this early
phase defmitively show that it is an early Chavin manifestation.“ — Mir will
noch immer scheinen, daß die Technik (Bemalung vor oder nach dem Brand) nicht
immer ein sicheres Kriterium für die Entscheidung der Frage Früh- oder Spät-
Paracas ist. Da müßten reichere stratigraphische Daten vorliegen.
206 Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
Fig .8
und 10 zeigen innen Vogel- und Fischfiguren in Negativ-Malerei, außen ein-
fache geometrische Dessins in der gleichen Technik. Der Dekor hebt sich als
gelbroter Grund vor der dunkleren Färbung der Hauptfläche ab. Der Durch-
messer von Figur 9 (Kat. Nr. VA 64355) mißt 17 cm, der von Figur 10
(Kat. Nr. V A 64357) ebenfalls. Beide Schalen gehörein zur Sammlung X,
Fundort Cerro La Peña bei Ocucaje. Negativ-Malerei kommt in Strongs
„Early“ und „Late“ Paracas vor, im Früh-Paracas wohl lediglich mit ein-
fachen geometrischen Motiven, Flecken und Strichen13.
Zur „Proto-Nazca“-Phase, die nach Strong Spät-Paracas folgt, sind sicher
die beiden Doppelausguß-Gefäße (Fig. 11a und b) zu rechnen. (Kat. Nr.
V A 64264/65, Höhe 16,5 und 14 cm. Sammlung X, Fundort Palpa (Llipata)
Strong, op. dt., S. 11 und 43. — Vgl. Anm. 5 dieses Aufsatzes.
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
207
Fig. 8
Fig. 10
208
Disselhoif, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
Fig. 11a und b
bei Ica.) Die Dessins sind gemalt und graviert. Die verschiedenen Farben
(hellbraun, braunrot, schwarzbraun und weiß) sind vor dem Brand aufge-
tragen, dünner als bei der typischen Paracas-Ware, und nach dem Brand gut
poliert. Das größere der beiden Gefäße (Fig. 11a) scheint eine Art Beutel
zu imitieren, dessen Verschnürung ein dekoratives Ornament bildet. Scherben
eines zum Verwechseln ähnlich dekorierten Gefäßes sind bei Strong abge-
bildet14. Auf unserem kleineren Gefäß (Fig. 11b) sind in der gleichen Farb-
und Graviertechnik 3 zweifarbige Bohnen angebracht. Als Eigentümlichkeit
sind die beiden winzigen Ösen zu notieren, die -den Unterteil des Gefäßes
schmücken. Ein praktischer Zweck derselben ist nicht zu ersehen. Alles in
allem ist die Form der beiden Gefäße, einschließlich des Doppelausgusses mit
Brücke, als elegant, beinah raffiniert zu bezeichnen. Doch der handwerk-
lich gar nicht so einfach herzustellende Doppelausguß erscheint ja schon in
Fnüh-Paracas, und die Frage bleibt offen, wo und wie ein keramisch so
14 Strong, op. dt., Fig. 10 E. Auch Pablo Soldi bildet ähnliches Dekor ab, aber
auf einem Gefäß, auf dem ein plastischer Vogel sitzt. (Soldi, op. cit., 2. Reihe,
Mitte, rechts.) — Daß diese beiden Gefäße (Fig. 11a und b), rein technisch ge-
sehen, eine Übergangsphase repräsentieren, ist sicher. Leider liegen keine Radio-
carbon-Datenreihen bis nach Früh-Paracas zurück vor. Strong (S. 46) bringt
eine Datenreihe (124 n. Chr. ±160 bis 495 n. Chr. ± 80), die von „Late Paracas
Pottery Types“ bis „Proto Nazca Pottery Types“ reicht.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
209
Fig. 12
schwieriges Element sich entwickelt hat. Es scheint auf einmal da zu sein;
mir sind keine Vorstufen bekannt. Von Anfang an ist der Doppelausguß elegant
und gekonnt, während im Norden, wo der einfache Bügelausguß zu Hause
ist, dieser in seinen Anfängen unbeholfen erscheint15. Der Doppelausguß er-
scheint dort erst modifiziert unter Tiahuanaco-Einfluß.
An neu erworbener Keramik ist noch eine Spitzamphore zu nennen, die
aus einer alten Berliner Sammlung, zusammen mit einem Tiahuanaco-Welb-
stück (s. u.!) angekauft werden konnte. Was diesen Arrybalos (Fig. 12) aus-
15 Vgl. Larco Hoyle, Rafael: Cronología Arqueológica del Norte del
Perú. Buenos Aires 1948. S. 15 f.
14 Baessler-Archiv IX
210
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
Fig-13
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
211
zeichnet, ist die halbplastisch gestaltete Schlange, deren Schwanz sich um den
Gefäßhals windet. Der am Unterrand der Amphore sitzende Schlangenkopf
hat eine Öffnung am Maul. Die Amphore gehört also zu der Klasse typischer
Libationsgefäße, die unter dem Quechua-Namen „Paccha“ bekannt sind11’. Wie
die Form, so ist auch die Bemalung unverkennbar inkaisch, sowohl den
Farben (braunrot, schwarzbraun und weiß auf lichtbraunem Grund) als auch
der Zeichnung nach. (Kat. Nr. V A 64378, Höhe: 21 cm. Sammlung Schrei-
ber.) Der Fundort ist unbekannt.
Was die Neuerwerbung von Geweben betrifft, beginne ich wieder mit der
älteren Periode. Zu Früh-Paracas gehört die Bedeckung einer Kindermumie
aus Baumwolle (Fig. 13) in einfacher Leinenbindung gewebt und mit einer
bestimmten Dämonengestalt bemalt. Ähnliche Stücke finden sich mehrfach in
der Literatur erwähnt und abgebildet1‘. Auch im Hamburger Museum für
Völkerkunde und im Landesmuseum Hannover (Slg. Gretzer) existieren be-
malte Gewebe derselben Gattung. Die stets mit Schlangenannexen versehenen
gemalten Figuren und auch die Farben sämtlicher Stücke ähneln einander sehr.
Was unser Stück auszeichnet ist die vollständig erhaltene Kopfbedeckung aus
ungesponnener weißer Baumwolle. (Kat. Nr. V A 64272. Länge 65 cm. Samm-
lung X. Fundort Ocucaje.)
Figur 14 (Kat. Nr. VA 64262. Sammlung X. Fundort Ocucaje) stellt ein
ärmelloses Baumwollhemd dar, das auf beiden Seiten dekoriert ist. Bis zu
seiner Reinigung hielt ich den Dekor für Bemalung wie bei dem vorigen
Stück. Im Gegensatz zu diesem ist es sehr brüchig und überhaupt schlechter
erhalten, was durchaus kein Zeugnis für ein besonderes Alter zu sein braucht.
Nach der Reinigung stellte sich heraus, daß das ursprünglich mit Rand-
fransen ausgestattete Kleidungsstück, die nur teilweise erhalten sind, in
Sprangtechnik gewebt ist. Die harmonischen und matten Farben sind ver-
schiedenes Rot, Rosa, Gelb, Braun und Schwarz. Die Darstellung der Doppel-
köpfigen Schlangen neben dem Katzen- oder Affendämon ist stilistisch ganz
ähnlich den Schlangenannexen des vorigen Stückes. Fraglos gehört das Stück
in die gleiche frühe Periode wie dieses. Interessant sind die kleinen Stufen-
16 Literatur über „pacchas“ befindet sich bei Disselhoff: Trink- und Trink-
opferbräuche im Land der Inka, in „Die Brauerei“, 14. Jg., Nr. 93/94. Berlin
Nov. 1960. S. 766 ff.
11 Bird, Junius und Bellinger, Louisa: Paracas Fabrics and Nazca
Needle Work (3rd Century B. C. — 3rd Century A. D.) Washington 1954. Pi.
LXIX u. LXXX. Text S. 68. — Ferner: Introducción al arte textil peruano
desde sus comienzos (2500 a. C.) hasta el presente. Lima 1959. S. 24. —
Carrión Cae hot, Rebeca: La indumentaria en la antigua cultura de
Paracas, in Wirakocha, vol. 1. H. 1. Lima 1931. Fig. 8 H und J.
14*
212
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
Fig. 14
pyramiden-Figuren, die man manchmal auch auf Paracas-Stickereien sieht —
das Gleiche ist der Fall mit dem Kreuzzeichen18.
Ein Fragment eines Baumwollgewebes ist Leinenbindung, das mit Tupfen
und Händen lila bemalt ist und zu der gleichen Sammlung gehört, habe ich
18 Bei Bennett, Wendeil C. (Andern Art of the Andes. New York 1954.
Fig. 71) ist ein sehr ähnliches Stück abgebildet, das als „Nazca“ bezeichnet wird,
„rare in boldness and simplicity“.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
213
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
214
Fig. 16
216
Disselhoff, Berliner Museum, Neuerwerbungen peruan. Altertümer
an anderer Stelle farbig abgebildet19. Es trägt die Kat. Nr. V A 64349 und
stammt ebenfalls aus der Umgebung von Ica.
Zwei Tiahuanaco-Gewebe in Gobelin-Technik sind ein guter Ersatz für im
letzten Kriegsjahr bei der Erorberung Berlins verlorengegangene Stücke.
Figur 15 zeigt einen Ausschnitt eines großen Fragments mit stilisierten Augen,
N-förmigen Raubtierzähnen und gestuften Voluten. Die Hauptfarbe Rot,
verschiedenes Gelb und Braun alternieren in einzelnen Feldern. (Kat. Nr.
V A 64351. Größe des ganzen Stückes 212 mal 110 cm. Sammlung Konietzko.)
Eine weniger abstrakte Art der Tiahuanaco-Stilisierung zeigt Figur 16.
(Kat. Nr. V A 64377. Sammlung Schreiber.) Größe des ganzen Stückes
154 mal 53 cm, das ebenfalls nur einen Ausschnitt bringt. Mit ein wenig
Mühe lassen sich kniende Dämonenfiguren mit Kondorköpfen und Stäben in
der Hand erkennen. Die Farben sind noch lebhafter als bei dem vorigen
Stück, das Gewebe ist feiner. Hell leuchtet ein schönes Blau. Die Farben Feder-
braun, Karminrot, Rosa, Gelb, Schwarzbraun und Weiß in beiden deko-
rierten Zonen alternieren in den jeweilig gegenüberliegenden Figuren.
Der mit gedämpften Farben (blasses Weinrot, dunkles Violett, verschiedenes
Braun bis Gelb, gelbliches Weiß und ganz wenig Blau) ebenfalls in Gobelin-
technik gewebte Kolonialteppich (Figur 17) mag aus der Zeit um 1600 stam-
men. (Kat. Nr. V A 64369. Sammlung Umlauf!, 184 mal 166 cm.) Das Dekor
enthält neben spanischen Blumen noch altperuanische Motive.
Doppeladler sieht man schon auf Stickereien von Totenmänteln aus
Paracas-Necropolis. Sie brauchen also nicht habsburgisch zu sein, aber einer
trägt hier eine Krone. Neben Vögeln erscheinen auch Vierfüßler. Solche
Kolonialteppiche sind selten, besonders in Europa. Nur München besitzt
mehrere, darunter ein besonders schönes Stück mit der Darstellung des Para-
dieses mit Adam und Eva, dem Baum mit der Schlange und vielen Blumen
und Tieren. Einen sehr großen Kolonialteppich sah ich im Jahre 1953 auf den
Altarstufen der alten Jesuitenkirche in Pomata am Titicacasee. Als ich fünf
Jahre später die gleiche Kirche wieder aufsuchte, war der Teppich verschwun-
den. Ein späterer Kolonialteppich ist mir von einer Abbildung in Pal
Keleman’s Buch über mittelalterliche amerikanische Kunst bekannt'20.
19 Disselhoff, Hans-Dietrich: Die Kunst des Mittleren Andengebietes,
in Altamerika. Die Hochkulturen der Neuen Welt. Baden-Baden 1960. S. 146.
20 Pal Keleman: Medieval American Art. New York 1946. Bd. 2, PL 192 a.
Dieser Teppich ist später anzusetzen. Auf besonderen Feldern sind neben
Blumen- und Vogelmotiven vier Menschenpaare eingewebt, von denen zwei
Kostüme des 18. Jahrhunderts tragen.
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
217
STEINPLASTIKEN IM MEZCALA-STIL
AUS DEN SAMMLUNGENDES BERLINER MUSEUMS
FÜR VÖLKERKUNDE
DIETER EISLEB, Berlin
Weite Kreise Mexikos sind noch heute, wie allgemein bekannt, trotz vieler
und mannigfaltiger Untersuchungen ihrer Fundstücke, in streng wissenschaft-
lich-archäologischer Sicht unbekannt. Das ist um so schwerwiegender und
gefährlicher, als auch aus solchen Gebieten zahlreiche Altertümer gesam-
melt wurden, in den Museen lagern und nun zu zahlreichen stilistischen Inter-
pretationsversuchen Anreiz bieten. Daß bei solchen Untersuchungen das rein
Subjektive des jeweiligen Verfassers und sein Stilempfinden eine große Rolle
spielen, ist leicht einzusehen. Daß darin die große Gefahr eines Irrtums liegen
kann, ist ebenfalls klar. (Auch die folgenden Zeilen werden nicht ganz frei
davon sein.) Jedoch wird man vorderhand seine Zuflucht zu solchen rein
stilistischen Interpretationen und Vergleichen, zu deren Schlüssen und Er-
gebnissen mit all ihren Vor- und Nachteilen greifen müssen, will man nur
einigermaßen eine vorläufige Ordnung in manches Unklare hineinbringen.
Zu solchen unbekannten Gebieten gehört zweifellos der mexikanische Staat
Guerrero. Trotz einer Menge schönster Fundstücke, die jeden Archäologen
— und auch den Sammler moderner Kunst — entzücken, ist Guerrero archäo-
logisch völlig unerforscht. Außer einem oberflächlichem Überblick, erworben
zudem an Museumsstücken und Privatsammlungen, existiert weder eine
einigermaßen klare Chronologie noch ist eine stilistische Unterscheidung der
praekolumibischen Kulturen dieses Staates in allen Fällen gegeben.
Bei den Objekten aus diesem Gebiete, die sich in den Museen befinden oder
in neuerer Zeit immer häufiger auf dem Kunstmarkt erscheinen, kennt
man meistens nicht genau den Fundort, geschweige denn die Fundumstände
oder sonstige wichtige Angaben. Eine Zuweisung zu einer bestimmten Kul-
tur kann dann nur auf Grund stilistischer Vergleiche geschehen — mit ihren
erwähnten Schwächen und Fehlerquellen; und wenn man es genau besieht,
ist einem mit dem Ergebnis nicht viel geholfen. Genaue zeitliche und kultu-
relle Zuweisungen sowie deren innere Zusammenhänge bleiben uns weiter-
hin verschlossen. Jedoch, wie eben erwähnt, bietet diese Methode vorerst die
einzigen Hinweise.
Guerrero muß schon in früher Zeit, überblickt man die Sammlungen, ein
wichtiges Gebiet Altmexikos gewesen sein. Es beginnt mit den sogenannten
vorklassischen Kulturen, mit ihrer charakteristischen Keramik und ihren
218
Eisleb, Steinplastiken im Mezcala-Stil
typischen Tonfigurinen. Es folgen Objekte im olmekischen Stil, der nach
Covarruhias hier seine westlichste Verbreitung gefunden haben soll. Weiter-
hin finden sich Steinmasken des Teotihuacan-Typus, die hier zahlreicher sein
sollen als in Teotihuacan selbst. Den Schluß bilden Fundstücke der soge-
nannten historischen Periode — mixtekischen und aztekischen Stiles.
Covarruhias betont mit Recht, daß ein gut erforschtes Guerrero eines Tages
die Lösung für manches bisher ungelöste Problem der mexikanischen Archäo-
logie bieten kann. Jedoch werden dazu ausgedehnte stratigraphische Unter-
suchungen nötig sein.
Neben den oben erwähnten, in Mexiko weitverbreiteten Stilen finden sich
in Guerrero einige ausgesprochen lokale Stile (und Kulturen). Einer der
typischsten und für Guerrero charakteristischen ist der sogenannte Mezcala-
Stil. Von Covarruhias wurde er so benannt1, weil er sich hauptsächlich im
Gebiet um den Mezcala-Fluß, dem Oberlauf des Balsas-Flusses, in geschlos-
sener geographischer Einheit findet und eine lokale Kultur zu repräsentieren
scheint.
Leider haben auch hierbei rein stilistische Untersuchungen und Ver-
gleiche als Hilfsmittel gedient, unterstützt allerdings durch die geographische
Einheit des Gebietes. Weiter unten wird dargelegt werden, daß hie und da
Bedenken gegen die Zuordnung mancher Stücke erhoben werden kann.
Aus der Mezcala-Gegend sind hauptsächlich Steinfigurinen, Steinmasken
sowie kleine Tierfiguren aus Stein bekannt geworden, dazu Objekte, die an
Haus- oder Tempeldarstellungen erinnern und immer als solche inter-
pretiert werden2.
Die Ausarbeitung der Menschen- und Tierkörper ist hoch stilisiert und
schematisch mit einer starken Neigung zur Abstraktion3.
Typisch ist die Verwendung von sehr harten Steinen, die meist von dunkel-
grüner, grauer oder brauner Färbung sind. Trotz der Härte des Materials
sind die Objekte sorgfältig bearbeitet und die Oberflächen bestens poliert.
Unter den Steinfigurinen erscheinen stehende und sitzende, sowie wenige
Doppelfiguren4. Die Arme sind häufig am Körper herabhängend dargestellt
oder gebeugt über Brust oder Bauch gelegt. Alle Körperteile, auch die Kopf-
und Gesichtspartien sind äußerst sparsam ausgearbeitet. Augen, Nase, Mund,
Halspartie, Arme und Beine sind meistens nur durch in das Gestein einge-
1 Miguel Covarruhias „Mezcala“, New York 1956.
2 Vgl. Covarruhias, a.a.O., Abb. S. 23 und 31; sowie Guia oficial, Museo
Nacional de Antropologia, Sala „Miguel Covarruhias“, Mexiko 1958, Abb. S. 25.
3 Zu den Ausnahmen scheint die Fischfigur zu gehören, die abgcbildet ist bei
Dore Ashton „Poets and the past“, A. Emmerich Gallery, New York 1959.
4 Guia oficial, a.a.O., Abb. S. 24.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
219
grabene Rinnen mit scharfen Kanten hervorgehoben oder vom Körper ab-
gesetzt.
Daneben existieren Objekte, bei denen die scharfkantigen Rillen zu zarten
Wellen aufweich&n und nur leicht einige Körperteile oder Gesichtszüge aus
dem Stein heraustreten lassen.
Alles das ist bis ins Kleinste schematisiert. Jeder Zug, jeder Ausdruck er-
scheint auf das Wesentlichste reduziert. Dazu kommt eine strenge Symmetrie,
die kaum Abweichungen auf einer Seite zuläßt. Häufig sind die Figuren nur
auf frontale Ansicht gearbeitet, so daß eine Behandlung der Rückseite unter-
bleibt, und erscheinen somit sehr flach.
In allen diesen Dingen kann man jedoch einen einheitlichen Zug erkennen,
der auch in seinen mancherlei Variationen immer deutlich bleibt und sofort
ins Auge springt.
Die Steinmasken, die Covarrubias aus dem Mezcala-Gebiet veröffentlichte
und zum gleichen Stil zählt, differieren dagegen im Stil untereinander und
bilden nicht so eine geschlossene stilistische Einheit wie die Steinfigurinen.
Sie kommen in allen Größen vor, von kleinen (etwa 4 cm hoch) bis zu etwa
handgroßen Stücken. Die Umrißform kann oval, viereckig oder dreieckig sein.
Gemeinsam ist ihnen wiederum die Härte des Materials, die Symmetrie in
der Ausführung und die Sparsamkeit der Mittel bei der Ausarbeitung der
Gesichtszüge.
Neben den Masken, die in gleicher Welse wie die typischen Steinfigurinen
gearbeitet sind (scharfkantige Rillen lassen die Gesichtszüge hervortreten oder
deuten diese an), sind andere, die nur schwer noch als charakteristisch für den
Mezcala-Stil zu identifizieren sind. Sind auch schwach noch einige typische
Züge zu erkennen, so ist doch der Gesamteindruck ein anderer5.
Hier scheint die Achillesferse einer rein stilistischen Interpretation sichtbar
zu werden. Das Subjektive bei der Auslegung beginnt seine Fehlerquellen zu
öffnen.
Guerrero ist bekannt für seine kleinen Steinplastiken, für deren Aus-
führung in harten, meist dunkelgrünen Steinen. Die Art der Ausarbeitung,
das Schematische, Stilisierte, Abstrahierende ist allen gemeinsam. Dazu kommt
die gute Beherrschung des Materials. Alles das läßt sie leicht als von Guerrero
stammend erkennen.
Als Beispiele hierzu sollen zwei Stücke der Berliner Sammlung dienen.
Abbildung 1 zeigt die bekannte Darstellung einer Mutter mit Kind (Kata-
log Nr. IV Ca 38776, Slg. W. Lehmann, 1909, in Acapulco gekauft, Höhe:
5 Man vergleiche die abgebildeten Masken bei Covarrubias, a.a.O. — D o r e
A s h t o n , a.a.O., S. 23. — Roman Pina Chan „Mesoamerica“, J. N. A. H.
Memorias VI, Mexico 1960, S. 160.
■
Abb. 1
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
221
Abb. 2
40 cm) aus dunkelgrünem Stein gearbeitet mit Resten von roter Bemalung.
Zu der weichen, fast zerfließenden Ausarbeitung der Konturen treten sparsam
wenige scharfkantig eingegrabene Rillen, um das Haar, die Füße und Hände
eher anzudeuten denn darzustellen.
Abbildung 2 zeigt eine kleine Steinmaske. Das Material ist ein grüner,
dunkelgrün gesprenkelter Stein (Katalog Nr. IV Ca 26447, Slg. E. Seler,
1905, Guerrero). Die Oberfläche ist gut poliert, die Rückseite gerade und
glatt gearbeitet. Bei einer Flöhe von 7,2 cm ist die Dicke von 4,8 cm beacht-
lich. Diese Maske steht denen der Teotihuacan-Typen sehr nahe.
Trotz der vielen gemeinsamen Seiten bei den Mezcala-Steinmasken sind bei
näherem Vergleich doch Unterschiede zu spüren, die aufmerken lassen. Selten
hängt eine Gruppe so eng zusammen wie die beschriebenen Mezcala-Stein-
figurinen. Die Masken dieses Gebietes halten einem ebenso strengen Vergleich
nicht stand.
Sollten hier nicht doch zeitliche oder lokale Unterschiede spürbar werden?
Mischformen oder Einflüsse von außen? Die Fragen werden nur an Ort und
Stelle durch eingehende Grabungen zu beantworten sein.
222
Eisleb, Steinplastiken im Mezcala-Stil
Abb. 3
Im Folgenden sollen nun die Objekte der Berliner Sammlungen be-
schrieben werden, die dem Mezcala-Stil zuzurechnen sind. Die Zuweisung
geschah durch Vergleiche mit den Abbildungen bei Covarrubias6.
Abbildung 3, Katalog Nr. IV Ca 3511, Slg. Uhde, ohne Herkunftsangabe,
Höhe: 11,5 cm. Kleine Steinfigur aus dunkelgrünem, leicht schwarz gemuster-
tem Stein. Eine Durchbohrung an jeder Schulter. Die Oberfläche ist gut po-
6 Abbildung bei Covarrubias, a.a.O. Siehe auch die Abbildungen bei den in
vorhergehenden Fußnoten erwähnten Verfassern.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
225
liert, die Rückseite glatt und unausgearbeitet. Sie erscheint halbmondförmig
leicht gebogen7. Eine für den Mezcala-Stil vor allem in den Gesichtspartien
gut ausgearbeitete Figur.
Abbildung 4, Katalog-Nr. IV Ca 44341, Slg. Konietzko, 1961, ohne Her-
kunftsangabe, Höhe: 29 cm. Steinfigur aus bräunlichem Stein. Gut geglättet.
Die Rückseite ist unausgearbeitet glatt. Im Vergleich zu Abb. 3 sehr starre
Ausführung8.
Abbildung 5, ohne Katalog-Nummer. Höhe 29,5 cm. Steinfigur aus dunkel-
grünem Stein. Beide Beine sind bis auf einen Stumpf abgebrochen. Ober-
fläche gut geglättet. Rückseite teilweise in Höhe der Gürtellinie ausgearbeitet9.
Die drei bisher beschriebenen Stücke (Abb. 3 bis 5) entsprechen der oben
erwähnten scharfkantig ausgearbeiteten Gruppe, während die folgenden drei
(Abb. 6 bis 8) zu jener Gruppe gehören, bei der die Konturen weicher,
wellenförmiger erscheinen.
Abbildung 6, Katalog-Nr. IV Ca 26449, Slg. E. Seler, 1905, Guerrero,
Höhe: 10,5 cm. Kleine Steinfigur aus dunkelgrünem Stein. Gut geglättete
Oberfläche, Rückseite nicht ausgearbeitet10.
Abbildung 7, Katalog-Nr. IV Ca 24989, Slg. Bauer, 1903, Höhe: 13 cm.
Laut Katalog erworben in Cordoba, Veracruz. Steinkopf aus grünem, weiß
gesprenkeltem Stein. An der Kinnspitze (nicht sichtbar) quer eine Durch-
bohrung. Oberfläche gut poliert, Rückseite unausgearbeitet. Gute Darstellung
des „weichen Stiles“11.
Abbildung 8, Katalog-Nr. IV Ca 38478, Slg. W. Lehmann, 1909, Her-
kunftsangabe: Belén (Mexiko), Höhe: 17 cm. Abgebrochener Kopf einer
Steinfigur aus grünem gesprenkeltem Stein. Vorderseite gut poliert, Rück-
seite nur geglättet, ohne Ausarbeitung. Bei allgemein weichen Konturen ist
nur die Mundspalte scharf gezeichnet12.
Die folgenden Objekte (Abb. 9 und 10) weichen etwas von der Haupt-
linie des Stiles ab, zeigen aber noch genügend typische Mezcala-Elemente.
Abbildung 9, ohne Katalog-Nummer, Höhe: 7,5 cm. Kleine Steinfigur aus
dunkelgrünem Stein. Eine Durchbohrung in jedem Ohr sowie eine Bohrung
quer durch den Nacken auf der Rückseite, die sonst nicht weiter ausgearbeitet
ist. Bemerkenswert ist die sonst nicht übliche Herausarbeitung des Kopf-
aufsatzes.
7 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 7; Ashton, a.a.O., Abb. S. 6.
8 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 9 und 10 links.
9 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 14—15.
10 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 10 unten rechts.
11 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 28.
12 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 21.
15 Baessler-Archiv IX
226
Eisleb, Steinplastiken im Mezcala-Stil
Abb. 6
Abbildung 10, Katalog-Nr. IV Ca 31692, Slg. E. Seiet, 1910, Herkunfts-
angabe; Ruinen von La Quemada bei Zacatecas, Höhe: 7 cm. Kleine Stein-
figur aus hellem beigefarbenem Stein. Eine Durchbohrung an jeder Kopf-
seite, Rückseite nicht ausgearbeitet. Auch hier ist die Andeutung eines Kopf-
aufsatzes zu erkennen.
Die folgende Abbildung 11 zeigt die einzige Tierfigur im Mezcala-Stil der
Berliner Sammlung. Katalog-Nr. IV Ca 25749, Slg. Bauer, 1903, Herkunfts-
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
229
Abb. 11
angabe: Calixtlauaca, Länge: 6,3 cm, Höhe: 4,2 cm. Figur eines Frosches
aus grünem, stark weiß durchsetztem Stein. Zwei Durchbohrungen seitlich
an der Unterkante. Unterseite nicht ausgearbeitet13.
Zum Schluß sollen vier Steinmasken gezeigt werden, bei denen das oben
über die Mezcala-Masken Ausgeführte zu beachten sein wird.
Abbildung 12, Katalog-Nr. IV Ca 24956, Slg. Bauer, 1903, Herkunfts-
angabe; Erworben in der Gegend von Tepuxtepec, Morelos, Höhe: 6,5 cm.
Kleine Maske aus grünem Stein. Auf der Stirn eine Durchbohrung. Die einzige
der vier Masken, die ganz dem Typ der Steinfiguren entspricht14.
Abbildung 13, ohne Katalog-Nummer, Höhe: 12,5 cm. Maske aus hell-
grünem mit weißen Adern durchzogenen quarzähnlichem Stein. Das linke Ohr
und die Nasenspitze sind abgebrochen. Auf jeder Seite drei ausgebrochene
Durchbohrungen. Die Konturen sind weich gehalten, nur der Rücken der
ursprünglich sehr spitzen Nase ist scharf ausgearbeitet15.
13 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 8 links.
14 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 13 unten.
15 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 26 unten links.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
231
Abb. 14
Abbildung 14, Katalog-Nr. IV Ca 31691, Slg. E. Seiet*, 1910, Herkunfts-
angabe: Ruinen von La Quemada bei Zacatecas. Höhe: 5,8 cm. Kleine Maske
aus grünlich-braunem Stein. Ovaler Umriß. Die ursprünglich stark vor-
springende Nase ist teilweise zerstört. Zwei nicht sichtbare Durchbohrungen
seitlich der Augenbrauen. Die Rückseite ist leicht nach innen gewölbt.
Abbildung 15, ohne Katalog-Nummer, Höhe: 13 cm. Maske aus hellgrünem
weiß durchsetztem Stein. Zwei Durchbohrungen an den angedeuteten Ohren.
Die Rückseite Ist glatt und leicht nach innen gewölbt. Die Zuweisung dieses
Stückes (wie auch Abb. 14) geschieht nur mit großen Bedenken. Einzige Am
haltspunkte bilden das Material (?), die Mundschlitze sowie die Einkerbungen,
die auf Objekten bei Covarrubias erscheinen16.
An diesen wenigen Beispielen hofft der Verfasser deutlich gemacht zu
haben, daß wir es bei dem sogenannten Mezcala-Complex mit mehreren
stilistischen Elementen zu tun haben, was, wie erwähnt, vor allem bei den
Masken zutage tritt. Eine Analysierung dieser Elemente und somit die Her-
ausarbeitung eventueller kultureller Strömungen in diesem Gebiete allein
durch stilistische Vergleiche vornehmen zu wollen, wird niemals eine Lösung
des Problems bieten können.
16 Vgl. Covarrubias, a.a.O., Abb. S. 19 unten rechts.
232
Eisleb, Steinplastiken im Mezcala-Stil
Abb. 15
Auch Covarrubias’ zeitliche Einteilung der Kulturen Guerreros ist sehr
unsicher. Nach ihm haben wir es hier mit nachstehenden Abfolgen zu tun.
1. Ein Komplex sogenannter präklassischer Kulturen, vergleichbar denen
des Tales von Mexiko.
2. Eine olmekische Schicht mit einem Übergangsstil zur klassischen Teoti-
huacan-Kultur.
3. Eine lokale Ausbildung der Teotihuacan-Kultur.
4. Mehrere lokale Kulturen unbekannten Alters (!), unter denen der
wichtigste der Mezcala-Stil sein soll.
5. Als letzte die Mixteca-Puebla-Kultur.
Diese Abfolge scheint nach den gesicherten Ergebnissen anderer Gebiete
Mexikos aufgestellt zu sein, was allein schon an der Unsicherheit der Ein-
ordnung lokaler Kulturen zu ersehen ist.
Die Forderung nach eingehenden Grabungen muß, wie so oft, auch hier
erhoben werden.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
233
EIN STAMMBAUM DES
KÖNIGLICHEN GESCHLECHTES VON TETZCOCO
Postkolumbische Bilddokumente aus Mexiko
im Berliner Museum für Völkerkunde: I
GERDT KUTSCHER, Berlin
Die Dynastie von Tetzcoco, der am Ostufer des Sees von Mexiko ge-
legenen Hauptstadt der Acolhua, gehörte zur Zeit der spanischen Eroberung
des Landes nicht nur zu den ältesten, sondern auch bedeutendsten einge-
borenen Herrscherhäusern Mexikos. Denn das Geschlecht der „Chichimeken-
Kaiser“, wie man es spanischerseits im 16. Jahrhundert nannte, konnte bei
der Ankunft des Cortes auf eine Reihe von nicht weniger als neun Herr-
schern zurückbliicken, an deren Anfang der große chichimekische Eroberer
Xolotl gestanden hatte. Edelstes Sproß dieses Hauses aber war der berühmte
Nezahualcoyotl — vielleicht die interessanteste Herrscherpersönlichkeit über-
haupt, die das indianische Amerika hervorgebracht hat.
Die ereignisreiche Frühgeschichte von Tetzcoco, das eine bemerkenswert
rasche und erfolgreiche Akkulturation der kriegerischen Chichimeken, aber
auch wichtige Kultureinflüsse aus dem Bereich der Mixteca-Puebla-Kultur
erlebte, hat in dem indianischen Historiker Fernando de Alva Ixtlilxochitl
(etwa 1568—etwa 1648), einem Nachkommen des alten Königsgeschlechtes,
ihren bekannten Chronisten gefunden. Für die Abfassung seiner uns leider
nur in spanischer Übersetzung erhaltenen Werke, der „Relaciones“ und der
„Historia Chichimeca“1, hat Ixtlilxochitl noch aus alten, inzwischen längst
verlorengegangenen Bilderhandschriften schöpfen können. Freilich hat er seine
Quellen nicht immer richtig zu deuten gewußt, doch sind wir dank seines
großen genealogisch-historischen Interesses über die vorspanische Vergangen-
heit Tetzcocos weit besser als über die Frühgeschichte der meisten anderen
indianischen Stadtstaaten des Hochtales von Mexiko informiert.
Noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erinnerten sich die
Acolhua von Tetzcoco voller Stolz ihrer chichimekischen Abkunft. In den
früihkolonialen Bilderhandschriften der tetzkokanischen Schule — dem „Codex
Xolotl“, der „Mapa Tlotzin“ und „Mapa Quinatzin“2 — erscheinen an pro-
1 Alva de Ixtlilxochitl 1891/92, Bd. I—II.
2 Während der „Codex Xolotl“ in Charles E. Dibble seinen kompetenten
Bearbeiter gefunden hat (Dibble 1951), steht eine entsprechende Untersuchung
für die beiden „Mapas“ leider noch aus. Eine kurze Übersicht über den Stil-
charakter der Handschriften von Tetzcoco gibt Robertson (1959, S. 134 ff.).
234
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
minenter Stelle jene fellgekleideten, „barbarischen“ Krieger, die sich durch
den Besitz der charakteristischen Jagdtasche (matlauacalü), Bogen (tlahuitolli)
und Pfeil (mitl) sogleich als Chichimeken und damit — völkerkundlich ge-
sehen — als Vertreter einer schweifenden Jägerkultur, ausweisen3.
Unter der erfolgreichen Führung Xolotls (1115—12324 5) sollen sich diese an
den See von Mexiko vorgestoßenen Chichimeken zunächst in dem von ihnen
eroberten Tenayuca festgesetzt haben — ein Ereignis, das wohl in den An-
fang des 13. Jahrhunderts zu versetzen ist. Als zweiter Herrscher folgte
Nopaltzin (1232—1263) seinem Vater auf den Thron. Bereits unter dem
dritten Herrscher namens Tlotzin (1263—1298), einem Zeitgenossen Huitzil-
ihuitls von Tenochtitlan, wurde die Residenz jedoch an das Ostufer des
Sees, nach Tetzcoco, verlegt. Die beiden folgenden Herrscher — Quinatzin
(1298—1357) und Techotlalatzin (1357—1408) — verstanden es in ge-
schickter Weise, Macht und Ansehen ihres Staatswesens zu mehren. Unter
Huehue Ixtlilxochitl, dem sechsten Herrscher (1409—1418) aber wurde der
Fortbestand auf das Schwerste gefährdet, als Tezozomoc, der ebenso ver-
schlagene wie grausame Tepaneken-Herrscher von Azcapotzalco, sich mit
allen Mitteln die Vorherrschaft im Hochtal zu sichern suchte. Auch Ixtlilxochitl
wurde ein Opfer des Tepaneken-Tyrannen: vor den Augen seines Sohnes
Nezahualcoyotl, der sich in den Ästen eines Baumes verstecken konnte, fand
er sein Ende durch die Schergen Tezozomocs (1418 A. D.). Von dem ge-
treuen Coyohua gerettet, dessen Anstrengungen uns der aztekische Bericht
der „Historia de los Reynos“ so anschaulich schilderU, bereitete Nezahual-
coyotl (1402—1472) im Exil seine Rache von langer Hand vor. Im Bunde
mit den mehr und mehr erstarkenden Mexica Tenochca gelang es ihm, der
Zwangsherrschaft der Tepaneken ein Ende zu bereiten und im Jahre 1431
auf den Thron seiner Väter zurückzukehren.
Nur allzubald zeigte sich freilich, daß an die Stelle der Tepaneken nun
die nicht minder expansionslüsternen Mexica als neue Herren im Hochtal
getreten waren. Gewiß galten die Acolhua in der zwischen Mexico-Tenoch-
titlan, Tetzcoco und Tlacopan (Tacuba) abgeschlossenen Tripleallianz als den
Mexica gleichberechtigte Partner, doch dürfte sich Nezahualcoyotl keiner
Illusion darüber hingegeben haben, an welcher Stelle das machtpolitische
Schwergewicht nun lag. Unberührt von dieser Entwicklung aber blieb auch
weiterhin der Vorrang Tetzcocos auf kulturellem und künstlerischem Gebiet.
Noch die spanischen Eroberer staunten über die Pracht seiner Paläste, und in
3 Vgl. S e 1 e r 1904 (Bd. I), S. 808. Zur Frage der Akkulturation der chichimeki-
schen Stämme vgl. Kirchhoff 1948.
4 Regierungszeiten nach V a i 11 a n t 1948.
5 „Die Geschichte der Königreiche von Colhuacan . .1938, S. 200 ff.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
235
Tetzcoco befanden sich jene großen Archive kostbarster Bilderhandschriften,
in denen die von der Mixteca-Puebla-Kultur empfangenen Anregungen fort-
gewirkt hatten. Vielleicht schwerer noch als die furchtbare Zerstörung
Mexico-Tenochtitläns wiegt für die Altertumskunde Mexikos die Vernichtung
der Bibliotheken von Tetzcoco. Mit ihr ging das geistige Erbe des großen
Nezahualcoyotl zum allergrößten Teil verloren.
Abb. 1: Namenshieroglyphe des Königs Nezahual-
coyotl. „Codex Telleriano-Remensis“, fol. 36.
Bereits ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode war dieser Flerrscher
— als Politiker und Krieger, Gesetzgeber und Dichter, religiöser Denker
und Bauherr gleichermaßen bedeutsam — zu einer fast legendären Figur ge-
worden. Von ihm stammen nicht nur die berühmten „Ordenanzas“ juristischer
Art, sondern auch die metapherreichen Klagelieder voll schwermütiger Schön-
heit. Seinem spekulativen Geist entsprang jene eigenartige Vorstellung von
der Existenz einer höchsten, unsichtbaren und daher auch nicht im Bilde
darstellbaren Wesenheit, der alle anderen Götter Dasein und Kraft ver-
dankten. Von der wahrhaft fürstlichen Baugesinnung Nezahualcoyotls aber
legen heute die Ruinen von Tetzcotzinco, die noch immer den Namen ihres
königlichen Erbauers tragen, eindrucksvolles Zeugnis ab6: es sind die Reste
jener prunkvollen Paläste, Bäder und Gärten, die bereits im Juli des Jahres
1539 auf Befehl des Bischofs Juan de Zumärraga zerstört wurden7.
Verglichen mit den ungleich robusteren Herrschern, die in der benach-
barten Inselstadt Tenochtitlan die Geschicke lenkten, erscheint Nezahual-
coyotl wie eine Art Dichterphilosoph auf dem Königsthron. Er wirkt fast
wie ein letzter, längst nicht mehr zeitgemäßer Vertreter jener „paradiesischen“
Zeit, nach der sich die indianischen Völker Mexikos zur Zeit der Conquista
insgeheim zurückgesehnt zu haben scheinen. Gegenüber dem Glanz seines
Namens verblaßte nicht nur in der Erinnerung seines eigenen Volkes der
Ruhm der anderen „Chichimeken-Kaiser“.
G Für Tetzcotzinco vgl, W. Krickebcrg 1949, S. 81 ft.
' Datum nach Ni ekler 1919, S. 111.
236
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
So nimmt es nicht Wunder, daß das im Berliner Museum befindliche
Bilddokument, das uns hier näher beschäftigen soll, auf eine Aufzählung
der Nezahualcoyotl vorangegangenen Acolhua-Herrscher verzichtet und den
auf ihm wiedergegebenen — künstlerisch wie dokumentarisch gleich bedeut-
samen — Stammbaum mit diesem edlen Namen beginnen läßt. Ein Gleiches
ist charakteristischerweise auch bei der im Besitz von Carlos Linga befind-
lichen Urkunde über die Familie Ixtlilxochitl8 der Fall. Über die Provenienz
des Berliner Stammbaumes liegen leider keinerlei Angaben vor. Weder der
Sammler noch das Datum seiner Erwerbung sind bekannt. Vielleicht ist dieses
Dokument wie so viele andere Werke der mexikanischen Sammlung durch
Eduard Seler nach Berlin gelangt.
Das 73 cm hohe, 48 cm breite Pergamentblatt schmückt eine buntfarbige,
vorzüglich ausgeführte Aquarellmalerei, deren leuchtende Farben heute eine
starke Firnisschicht bedeckt. Das Blatt ist in später Zeit — möglicherweise
erst nach seiner Erwerbung durch das Berliner Museum — sehr sorgfältig
auf einen dicken Karton aufgezogen worden, — wohl aus dem Bestreben,
das durch mehrere Knicke gefährdete Dokument besser zu konservieren. Drei
Faltspuren, die glücklicherweise keine stärkeren Beschädigungen verursacht
haben, zeichnen sich deutlich ab: zwei von ihnen verlaufen horizontal, eine
dritte dagegen durchzieht das Blatt in vertikaler Richtung, wodurch eine
Einteilung in sechs Felder von annähernd gleicher Größe entsteht. Eine schmale
rote Linie konturiert das Blatt auf drei Seiten. Ihr Fehlen auf der rechten
Seite mag darauf zurückzuführen sein, daß das Dokument einmal in unvor-
sichtiger Weise beschnitten worden ist.
Für das ahm gestellte Thema eines großen Stammbaumes hat der un-
bekannte Künstler eine ebenso dekorative wie geschmackvolle Lösung ge-
funden. Stamm und Astwerk des Baumes sind mit zwanzig ovalen Medaillons
verziert, deren Begrenzung aus jeweils zwei einander zustrebenden, schlanken
Zweigen besteht9. In siebzehn Medaillons erscheinen je eine männliche und
eine weibliche Halbfigur, die bis zur Hälfte der Oberschenkel sichtbar werden.
Nur die beiden Medaillons in der oberen rechten Ecke des Blattes (Nr. 19
und 20) und ein weiteres Medaillon (Nr. 13) umschließen statt des Paares eine
Einzelfigur, der sich im letztgenannten Falle noch ein Vogel zugesellt. Zu
jedem Medaillon gehört ein unter ihm angebrachtes, lebhaft bewegtes Schrift-
band.
8 Anhangsweise veröffentlicht von W. Lehmann 1938, S. 389 ff.
9 Die Medaillons werden im folgenden mit den Nummern 1 bis 20 bezeichnet,
wobei die Zählung von unten nach oben und von links nach rechts fortschreitet.
Vgl. das beigegebene Schema auf S. 248.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
237
Das Blatt besticht sogleich durch delikaten Reiz der Farbgebung. Die
zarten Lasurfarben, die mit einem sehr feinen Pinsel aufgetragen worden
sind, besitzen auch heute noch — trotz der starken Firnisschicht — eine ganz
erstaunliche Leuchtkraft. Von der gelblichbraunen Grundfarbe des Perga-
mentes, das verschiedentlich leicht blaugrau getönt worden ist, hebt sich der
mächtige Stamm mit seinen graubraunen Ästen und den schmalen, zart-
grünen Blättern, deren Innenzeichnung in einem etwas dunkleren, kräftigeren
Grün erfolgt, sehr wirkungsvoll ab. In der minutiös ausgeführten Kleidung
der nur rund 5 cm hohen Halbfiguren — Einzelheiten der Tracht wie Knöpfe
und Knopflöcher, Webmuster und Stickereien werden deutlich erkennbar —
herrschen ein leuchtendes, jedoch nicht etwa grelles Hellrot und ein zartes
Blaugrau vor, zu denen noch Karmin und Dunkelblau, Tabakbraun und
Schwarzbraun sowie ein angenehm fleischfarbener Ton für Gesichter und
Extremitäten treten. Die in Schönschrift ausgeführten Texte der pergament-
farbenen Schriftbänder sind ebenfalls in einem zarten Dunkelbraun gehalten.
Zeugt schon der sehr harmonische Zusammenklang der Farben von einem
hohen künstlerischen Geschmack, :so besaß der Maler, von dem es unbekannt
bleibt, ob er spanischer oder indianischer Herkunft war, auch eine bewun-
dernswert sichere und leichte Hand. Er hat das ihm in Auftrag gegebene
Werk mit ebensoviel Sorgfalt wie Schwung und Phantasie ausgeführt. Zwar
verbot bereits die geringe Größe der Halbfiguren jeden Versuch, eine porträt-
hafte Wiedergabe der Dargestellten auch nur anzustreben10, doch überraschen
diese Miniaturen — insgesamt handelt es sich um 37 Halbfigürchen, 19 von
ihnen männlichen, 18 weiblichen Geschlechts — durch die Vielfalt und Leben-
digkeit ihrer Bewegungen. Auf eine ganz zwanglose, stets neue Weise wird
hier die Beziehung zwischen den beiden Ehepartnern hergestellt. Nur ganz
ausnahmsweise einmal stehen die Gatten in starrer Pose unbewegt und an-
einander unbeteiligt da. Stets findet der Künstler neue Möglichkeiten, um
die beiden Personen vorzuführen: bald sind Mann und Frau einander zu-
gewendet, wobei sie gern die Hände ineinanderlegen, bald reicht der heim-
kehrende Gatte seiner Gemahlin den Hut. Voll Neugierde blickt die Ehefrau
dem lesenden Manne über die Schulter (Nr. 10): eine kleine Genreszene von
bezauberndem Charme. So hat es der Maler meisterhaft verstanden, das ein
wenig starre System der zweigumrankten Medaillons mit einem pulsierenden
Leben voller Anmut und Leichtigkeit zu erfüllen.
Wie eine Art Präambel flankiert eine erläuternde Beischrift — 9 bzw.
11 Zeilen von ungleicher Länge umfassend — den Unterteil des mächtigen
10 Wieweit hier noch letzte Reste altindianischer Bildtradition eine Rolle spielten,
ist schwer zu sagen. Jedenfalls erfolgte in der vorkolumbischen Bilderhandschrif-
tentradition die Wiedergabe der Personen in einer ganz stereotypen Form.
238
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
Stammes, — von diesem durch zwei schlank aufragende, pappelartige Bäume
getrennt. Der Text gibt eine kurze Aufklärung über die Bedeutung des Doku-
mentes und eine Schilderung des 7 km ostsüdöstlich von Tetzcoco gelegenen
Berges Tetzcotzinco, des schon oben erwähnten Erholungsortes Nezahual-
coyotls11.
Zwar ist in diesem Text einleitend von einer Genealogie der Acolhua-
Herrscher und ihrer Nachkommen die Rede, doch bleibt dieses zentrale Thema
der bildlichen Darstellung überlassen. Denn der Schreiber wendet sich so-
gleich Tetzcotzinco selbst zu, das, wie er erklärt, das Besitztum der Fami-
lien Pimentei und Alvarado bildete. Es handelt sich dabei um die kolonial-
zeitlichen Nachkommen des alten Königsgeschlechtes, die uns im Stammbaum
selbst einzeln vorgestellt werden.
Abb. 2: Hieroglyphe Tetzcoco bzw. Tetzcotzinco. „Codex en
croix“, Paris (nach Krickeberg 1949). — Abb. 3: Hieroglyphe
Acolhuacan auf dem sogen. „Stein des Tizoc“ (nach Seler 1904). —
Abb. 4: Hieroglyphe Acolhuacan Tetzcoco. „Codex Mendoza“,
fol. 3 v.
Die kurze Beschreibung von Tetzcotzinco fügt der eingehenden Schilde-
rung, die uns Ixtlilxochitl in seiner „Historia Chichimeca“ hinterlassen hat12,
nichts Neues hinzu. Hier wie dort wird die große Mauer erwähnt, die den
Berg in eine Art Park wandelte. Von den zahlreichen Tieren, die in dem
Gehege gehalten wurden, nennt unser Text Hirsche und Kaninchen, Pfauen
und Enten, vor allem aber wertvolle, aus fernen Landen stammende Papa-
geien. Diesem Tierreichtum entspricht die auch von Ixtlilxochitl gerühmte Viel-
falt von Blumen und Fruchtbäumen, die aus der Fremde herbeigeschafft
worden waren. Zu den gärtnerischen Anlagen treten die mannigfaltigen Archi-
tekturanlagen: Paläste und andere prunkvolle Bauten, Bäder und Wasser-
becken, die aus kunstvoll aufgemauerten, bis zum Gipfel des Berges führenden
11 Für den Wortlaut des Textes vgl. S. 250.
12 Ixtlilxochitl 1892 (Bd. II), S. 210—212. Deutsche Übersetzung bei
W. Krickeberg 1949, S. 84—85.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
239
Leitungen gespeist wurden13. Alle diese Anlagen wurden von den Chichi-
meken14 mit großem Aufwand an Fleiß und Arbeitskraft ausgeführt. Nicht
nur Don Antonio de Mendoza, der erste Vizekönig von Neu-Spanien15, son-
dern auch sein Nachfolger Don Luis de Velasco16 pflegten zur Weihnachts-
zeit in Tetzcotzinco zu jagen. Gegenwärtig jedoch, so schließt der Text be-
dauernd, ist diese Stätte der Freuden und Erholung durch die Herden der
Spanier so sehr verwüstet worden, daß nur mehr geringe Spuren der einstigen
Schönheit übriggeblieben sind.
Bevor wir uns dem Stammbaum selbst zuwenden, gilt es, die bildlichen Dar-
stellungen an seinem Fuße kurz zu erörtern. Über der Beischrift „Tescutzingo“
erhebt sich ein mächtiges Bergmassiv, das die Wurzeln des Baumes völlig
verdeckt. Auf seinen Hängen erscheint ein muskulöser menschlicher Arm,
dessen Hand Bogen und Pfeil umspannt, während unterhalb des Gipfels ein
einfaches, bauchiges Tongefäß in kräftigem Rotbraun wiedergegeben ist. Ge-
wiß ist die Formgebung — vor allem die des zusammengesetzten, ganz „anti-
kisch“ wirkenden Bogens — europäisch, doch kommt allen Darstellungen eine
hieroglyphische Bedeutung zu. Zwei von ihnen, der aus einem Massiv und
zwei kleineren Kuppen bestehende Berg und der irdene Krug, versinnbild-
lichen in der althergebrachten Weise den Ortsnamen Tetzcoco, bzw. Tetz-
cotzinco. Denn in ihnen verbergen sich die Elemente te (von teil, „Stein“)
und co (von comitl, „Krug“), die in der vorspanischen Zeit dazu verwendet
wurden, um den Ortsnamen Tetzcoco in bilderschriftlicher Form auszudrücken.
Nicht nur in dem bereits oben erwähnten „Codex Xolotl“, sondern auch in
dem gleichfalls in Paris befindlichen „Codex en croix“ erscheinen beide Ele-
mente miteinander kombiniert17.Der nackte Männerarm dagegen gibt den
Stammesnamen Acolhua wieder, da acolli „Schulter, Oberarm“ bedeutet.
Die gleiche Glyphe kehrt auf dem sogen. „Stein des Tizoc“ wieder, wo sie
noch um das Element a (von atl, „Wasser“) bereichert worden ist18; mit der
Glyphe für Tetzcoco zusammen erscheint sie im „Codex Mendoza“19. Bogen
und Pfeil schließlich stellen einen Hinweis auf den chichimekischen Ursprung
des Herrschergeschlechtes dar, dessen Stammbaum uns hier vorgelegt wird20.
13 Über die kunstvollen Wasserleitungen des Tetzcotzinco vgl. F. Termer 1951.
14 Der Schreiber verwendet die sehr gebräuchliche Abkürzung „Mecos“.
15 Für den von 1535—1550 regierenden Vizekönig vgl. C. Perez Busta-
man t e 1928.
16 Don Luis de Velasco regierte 1550—1564 (vgl. M. Rivera 1872, Bd. I,
S. 34—38.
4‘ Vgl. W. Krickeberg 1949, Abb. 36a—b und hier Abb. 2.
18 Vgl. hier Abb. 3.
19 Vgl. hier Abb. 4.
20 Vgl. oben S. 234.
240
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
Die genealogische Wiedergabe folgt einem festen Schema: auf dem Stamm
und dem Astwerk erscheinen Medaillons, mit denen ein bald kürzeres, bald
längeres Schrifbband kombiniert ist. Wie sich später zeigen wird, teilen die
Texte dieser Schriftbänder nicht nur die Namen der in den Medaillons ab-
gebildeten Personen mit, sondern geben auch gelegentlich — wenn auch in
recht sparsamer Form — weitere Informationen genealogischer und biogra-
phischer Art. Sind mehrere Nachkommen vorhanden, so wird dies durch eine
kleine, auf dem Spruchband erscheinende arabische Zahl (2, 3 und 4) ent-
sprechend markiert21. Es darf dabei angenommen werden, daß dieser Zählung
die Altersfolge zugrundeliegt22. Die Position der beiden Gatten im Medaillon
ist genau festgelegt; erscheinen — wie fast ausnahmslos der Fall — zwei
Halbfiguren, so nimmt der männliche Teil stets den linken Platz ein23. Dies
ist auch dann der Fall, wenn — wie in den Medaillons Nr. 14 und 16 — die
Deszendenz in der weiblichen Linie erfolgt. In den Schriftbändern dagegen
wird die weibliche Linie durch Voranstellung des Namens der Frau markiert.
Die Texte der Schriftbänder werden ebenso wie die Präambel unter Beibe-
haltung der alten Orthographie, Kürzungen und Zeilentrennung im Anhang
gegeben24.
Das erste Medaillon zeigt, wie die Beischrift erläutert, Nezahualcoyotl,
„Fastenden Coyote“, den siebenten Herrscher von Tetzcoco (1418—1472), mit
seiner ausdrücklich als Hauptfrau („principal muger“) bezeichneten Gattin
Azcaxochitl, „Ameisenblume“25, — die Eltern des Thronfolgers Nezahualpilli.
Zwar erklärt das Schriftband, Azcaxochitl sei eine Tochter des aztekischen
Königs Chimalpopoca (1414—1428) gewesen, doch steht diese Angabe im
Widerspruch zu der Ixtlilxochitls, der Vater Azcaxochitls sei ein Fürst namens
Temictzin gewesen26, in dessen Tochter sich Nezahualcoyotl auf romantische
Weise bei einem Bankett verliebt habe27. An anderer Stelle vermeldet
Ixtlilxochitl, Temictzin sei der Bruder des Herrschers von Tlacopan gewesen,
nennt dessen Tochter jedoch nicht Azcaxochitl, sondern Matlalcihuatzin28.
21 So bei den Medaillons Nr. 4—5, 6—9, 11 und 18. Der Erstgeborene wird da-
gegen nicht mit einer Zahl versehen.
22 Listenmäßige Aufzählungen der Nachkommenschaft sind auch aus den aztekischen
Texten des 16. Jahrhunderts in großer Zahl bekannt.
23 Vom Beschauer her gesehen,
24 Vgl. unten S. 251—252.
25 Eine Namensvetterin hatte bereits im 13. Jahrhundert in das Herrscherhaus von
Tetzcoco eingeheiratet: eine Tochter des toltekischen Fürsten Pochotl hatte sich
mit Nopaltzin, dem zweiten Herrscher der Acolhua, verbunden. Vgl. Torque-
mada 1723, lib. I, cap. XXIX, S. 56. Ixtlilxochitl 1891 (Bd. I), S. 92.
26 Ixtlilxochitl 1892 (Bd. II), S. 214.
27 Ixtlilxochitl 1892 (Bd. II), S. 215, 217.
28 Ixtlilxochitl 1891 (Bd. I), S. 322.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
241
Nach Torquemada wäre Matlalcihuatzin dagegen die Tochter Totoquihuatzins,
des Königs von Tlacopan, gewesen und erst nach Beseitigung Temictzins, der
hier als ihr Gatte erscheint, von Nezahualcoyotl heimgeführt worden, dem sie
Nezahualpilli gebar29. Andererseits stimmen sowohl Torquemada30, als auch
Chimalpahin31 und Ixtlilxochitl32 in der Angabe überein, die Mutter
Nezahualpillis sei eine aztekische Prinzessin namens Matlalcihuatzin, eine
Tochter des Königs Huitzilihuitl (1395—1414), gewesen. Es hält schwer, bei
diesen einander so sehr widersprechenden Nachrichten eine Entscheidung zu
fällen.
Die beiden Halbfiguren zeigen die gleiche, bunte Federtracht33. Das Haupt
des Herrschers bedeckt eine fünfzackige europäische Krone. Bei dem senk-
recht auf ragenden Gegenstand in der rechten Hand Nezahualcoyotls möchte
man an eine mit Obsidianklingen versehene Kampfkeule (maquauitl) denken,
deren Form unserem Maler nicht mehr ganz geläufig war.
In der gleichen phantasievollen Federtracht wie Nezahualcoyotl und seine
Gattin erscheinen auch die beiden Halbfiguren des folgenden Medaillons
(Nr. 2): der Thronfolger Nezahualpilli, achter Herrscher der Acolhua
(1472—1516), und dessen Gemahlin Tiacapantzin, „Die Erstgeborene“34. Der
Herrscher trägt eine siebenzackige Krone, während neben seiner Gattin eine
geschlossene Krone steht, — wohl deshalb, weil es sich, wie das Schriftband
versichert, um eine Schwester Motecuzomas II. von Mexiko-Tenochtitlan
(1503—1520) handelt. Sowohl Chimalpahin als auch Ixtlilxochitl35 stimmen
jedoch in der Angabe überein, bei der leichtlebigen aztekischen Prinzessin, die
Nezahualpilli ihres serienweise betriebenen Ehebruches wegen hinrichten ließ,
habe es sich um eine Tochter des Königs Axayacatl (1469—1481) gehandelt.
Nezahualpillis berechtigte Selbstjustiz trübte die Beziehungen zwischen Mexiko
und Tetzcoco auf das Empfindlichste. Ixtlilxochitl kennt nur eine Tochter
Nezahualpillis gleichen Namens (Tiyacapantzin), die sich mit Macuil-
malinaltzin, einem Sohn Axayacatls, verheiratete36. Offenbar hat der Autor
unseres Dokumentes diese Tochter des tetzkokanischen Herrschers versehent-
lich zu seiner Gattin gemacht.
29 Torquemada 1723, lib. II, cap. XLV, S. 155—156.
30 Torquemada 1723, lib. II, cap. XIX, XXIII, S. 110, 116.
31 Chimalpahin 1889, S. 101.
32 Ixtlilxochitl 1891 (Bd.I), S. 301. 1892 (Bd. II), S. 79, 82.
33 Für eine nähere Untersuchung der Tracht vgl. unten S. 246.
34 Tiacapan lautete auch der Name der ältesten der vier Schwestern der Göttin
Tlazolteotl (S a h a g u n 1938, lib. I, cap. XII, S. 24).
35 Chimalpahin 1889, S. 148. Ixtlilxochitl 1892 (Bd. II), S. 285 ff.
36 Ixtlilxochitl 1891 (Bd.I), S. 331. 1892 (Bd. II), S. 267, 305.
16 Baessler-Ardiiv IX
242
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
Für die folgende dritte Generation verzeichnet unser Stammbaum drei
Söhne Nezahualpillis: Don Pedro de Al varado Cohuanacotzin Ixtlilxochitl
(Medaillon Nr. 3), Don Fernando Cortes Ixtlilxochitl (Nr. 4) und Don Jorge
Alvarado Yoyontzin (Nr. 5). Bei dem ältesten Sohn, in dessen Namen
indianische und spanische Elemente in der für die frühe Kolonialzeit so
charakteristischen Weise nebeneinanderstehen, hat Pedro de Alvarado, der
Feldhauptmann des Cortes und nachmalige Eroberer von Guatemala, Pate
gestanden. Sein erster indianischer Name, unter dem er auch in die Geschichte
eingegangen ist, bedeutet „Schlangen-Ohrgehänge“, während der zweite der
seines von den Tepaneken ermordeten Urgroßvaters ist. Der Name seiner
Gattin, Doña Maria Tlacoyehuatzin, mit der er, wie das Schriftband hinzu-
fügt, durch kirchliche Trauung verbunden wurde, bedeutet „Die in der Mitte
Stehende“37. Seine Ehe war mit nicht weniger als vier Söhnen gesegnet
(Nr. 6—9). Cohuanacotzin sollte der einzige der auf unserem Stammbaum
erscheinenden Söhne Nezahualpillis sein, der die Familie mit männlichen
Erben fortsetzte, denn der Ehe seines Bruders Don Fernando Cortes
Ixtlilxochitl entsproß nur eine Tochter, Doña Ana Alba Cortes, während die
des dritten Bruders Yoyontzin kinderlos blieb.
Nach dem Tode Cacamatzins, des neunten, auf unserem Stammbaum nicht
erscheinenden Herrschers von Tetzcoco (1516—1519), fiel Cohuanacotzin das
Amt der Regierung zu, das er fünf Jahre lang unter den gewiß nicht leichten
Verhältnissen der ersten „Nach-Eroberungs-Zeit“ verwaltete. Wie sein un-
glücklicher Urgroßvater Ixtlilxochitl fand auch Cohuanacotzin ein gewalt-
sames Ende: zusammen mit dem tapferen Quauhtemoc38 undTetlepanquetzatzin,
dem Herrscher von Tlacopan, wurde er auf Befehl des Cortes am Fastnachts-
dienstag des Jahres 1525 drei Stunden vor Morgengrauen in den Urwäldern
des Peten schimpflich gehängt39, nach dem Urteil F. Termers „eine der pein-
lichsten und trübsten Handlungen dieses Eroberers“40. Ein Darstellung der
Exekution ist uns im „Codex Vaticanus A“ überkommen41.
Der Henker Cohuanacotzins war zugleich Taufpate des zweiten Sohnes
Nezahualpillis, dessen indianischer Name wieder der seines Urgroßvaters ist.
37 Den Namen Tlacoyehuatl — von tlaco, „in der Mitte“ — gab man gern dem zweit-
geborenen Kinde in einer Familie, in der mehr als zwei Nachkommen vor-
handen waren.
38 Für Quauhtemoc vgl. S. Toscano 1953.
39 Für die Einzelheiten der Exekution vgl. Termer 1941, Anm. 89, S. 157—163,
in der die alten Berichte zusammengestellt sind.
40 Termer 1941, S. 157.
41 „Codex Vaticanus A.“ fol. 138. Die Gewährsmänner Sahaguns und Chi-
ra a 1 p a h i n geben der Landschaft übereinstimmend den Namen Ueimolan
(vgl. hier S. 257 und Chimalpahin 1889, S. 206—207).
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
243
Sahagún nennt in seiner Herrscherliste von Tetzcoco an neunter Stelle einen
Herrscher namens Ixtlilxochitl, dem er eine Regierungszeit von acht Jahren
zuweist42. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um unseren Don Fernando.
Aus seiner Ehe mit Doña Maria Mixcui Pepechin, die dem Schriftband zufolge
aus der Stadt Mexiko stammte, ging als einziges Kind eine Tochter, die be-
reits oben erwähnte Doña Ana Alba Cortes, hervor, die möglicherweise un-
verheiratet gestorben ist. Jedenfalls endet mit ihr diese Linie unseres Stamm-
baumes.
Der jüngste Sohn Nezahualpillis führt den indianischen Namen Yoyontzin,
„Der Schenkelstarke“43. Seine Ehe mit Nonoalcatzin, der „Stummen“, blieb
kinderlos. Wie das Schriftband vermeldet, wurde er von der königlichen
Audiencia in den Adelsstand erhoben. Nach Ixtlilxochitl war er der elfte und
letzte legitime Sohn Nezahualpillis44, der bei der Taufe den Namen Jorge
empfing45. Seine Regierungszeit als zehnter Herr von Tetzcoco betrug nach
der bei Sahagún erhaltenen Herrscherliste46 nur ein einziges Jahr. Chimal-
pahin nennt ihn Don Carlos, gibt als sein Todesjahr „8 Calli“ (1539 A. D.)
an und fügt hinzu, sein Leichnam sei auf Befehl Bischof Zumarragas wegen
Rückfalles in die Idolatrie verbrannt worden47.
Die vierte Generation unseres Stammbaumes besteht — abgesehen von Doña
Ana Alba Cortes — aus den vier Söhnen des unglücklichen Cohuanacotzin,
durch den allein das Geschlecht fortgepflanzt wird: Don Pedro de Alvarado,
dem Ältesten, in dessen Namen alles Indianische fortgefallen ist (Nr. 6), Don
Diego Tecocolchi (Nr. 7), Don Fernando Pimentei (Nr. 8) und Don Antonio
Tequanxochitl (Nr. 9).
Aus der Ehe Don Pedro de Alvarados mit Doña Antonia Pimentei stam-
men zwei Söhne, von denen der eine den Namen Juan (Nr. 10), der andere
den Namen Gabriel trägt (Nr. 11), während die Ehe Don Diego Tecocolchis
mit Doña Petronila Xóchitl kinderlos blieb. In der bei Sahagún überkom-
menen Herrscherliste folgt auf Cohuanacotzin ein nur ein einziges Jahr
regierender Herrscher namens Tecocoltzin48, der mit unserem Don Pedro zu
identifizieren sein dürfte. Don Fernando Pimentei, der eine Ehe mit Doña
Maria Teves Xóchitl schloß49, hatte einen Sohn namens Francisco (Nr. 12).
42 Vgl. hier S. 256.
43 Axtek. yoma, „amblar la muger“ (crissare, cevere). Molina 1880 s. v.
44 Ixtlilxochitl 1891 (Bd. I), S. 331; 1892 (Bd. II), S. 267.
45 Ixtilxochitl 1891 (Bd. I), S. 399 (García Granados [1953, Bd. II,
Nr. 3829] verweist versehentlich auf S. 309); 1892 (Bd. II), S. 268.
46 s. unten S. 257.
47 Chimalpahin 1889, S. 239.
48 s. unten S. 256.
49 Der auf dem Schriftband angegebene Name Teves dürfte teuetz zu lesen sein.
An Don Fernando gingen, wie das Schriftband hinzufügt, auch alle „Cédulas“.
16*
244
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
Der vierte Sohn Cohuanacotzins schließlich, Don Antonio Tequanxochitl,
dessen Name ein von Hernández näher beschriebenes Kraut bezeichnet’0,
siedelte sich in Tepoxcolula an, wo er sich verheiratete, doch ist der Name
seiner Gattin nicht überliefert.
In der fünften Generation, deren Vertreter sich nur mehr spanischer Namen
bedienen, bleibt die Ehe Don Juan de Al varados mit Doña Antonia de San
Francisco (Nr. 10) ohne Nachwuchs, während der Ehe seines jüngeren Bru-
ders Don Gabriel de Alvarado mit Doña Maria Antonia Martínez (Nr. 11)
eine Tochter Doña Catarina entstammt. Don Francisco Pimentei (Nr. 12),
der sich in der Landschaft Otumba ansiedelt'’1, heiratet Doña María Pérez. Aus
dieser Ehe geht als einziger Sohn Don Antonio Francisco Pimentei (Nr. 13)
hervor, der jedoch unverheiratet stirbt. In dem Medaillon erscheint er von
einem großen Vogel begleitet. Mit Don Antonio erlischt auch dieser Zweig
des alten Herrschergeschlechtes.
Da Don Gabriel de Alvarado (Nr. 11) kein Sohn beschieden war, vermag
sich die Familie nur in der weiblichen Linie fortzusetzen: seine Tochter Doña
Catarina Alvarado, die in dem Schriftband an erster Stelle genannt wird,
heiratet Don Santiago de ligarte de Vizcaya {Nr. 14). Don Tomas de ligarte,
das einzige Kind aus dieser Verbindung, ehelicht Doña Maria de la Orden
(Nr. 15). Erneut erfolgt die Deszendenz in der weiblichen Linie: durch die
Tochter Don Tornas’ namens Doña Marcela de ligarte, die auf dem Schrift-
band wieder vor ihrem Gatten — Don Joseph Uribe de los Reynos de
Castilla — genannt wird (Nr. 16). Zwei Kinder, welche die neunte Genera-
tion unseres Stammbaumes vertreten, stammen aus dieser Ehe: eine Tochter
Doña Juana de Uribe (Nr. 17) und ein Sohn Don Joseph de Uribe (Nr. 18).
Offenbar ist dabei Doña Juana der ältere Geschwisterteil, da das Schrift-
band des Bruders mit der Zahl „2“ versehen ist. Doña Juana vermählt sich
mit Don Joseph Galindo, doch bleibt ihre Ehe ohne Nachkommenschaft. Ihr
Bruder Don Joseph führt Doña Ana de Zarate Galindo als Gattin heim. Aus
dieser Ehe entstammen zwei Kinder: Doña Rosa de Viterbo Uribe (Nr. 19)
und der jüngere Don Joseph Raphael de Uribe (Nr. 20)5‘2. Beide Geschwister
— die Vertreter der zehnten und letzten Generation — waren zu dem Zeit-
punkt, an dem unser Dokument entstand, noch unverheiratet. Doña Rosa
und Don Joseph Raphael sind die letzten, jugendlichen Vertreter des alten
indianischen Herrschergeschlechtes, von dem uns nicht weniger als zehn Ge-
nerationen vorgestellt worden sind.
50 Vgl. die Beschreibung der nach Hernández mit der Tlacoxochitl Hoaxtepe-
censi identischen Pflanze (Hernández 1790, Bd. III, S. 149).
51 Im Schriftband findet sich noch die Angabe „Asta cameca“.
52 Auch sein Schriftband trägt die Zahl „2“, während auf dem seiner älteren
Schwester ein großes „S“ erscheint.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
245
10. Don Joseph Raphael de Vribe ® /'“'s Doña Rosa de Bitervo Vribe
9. h ■■ Doña Juana de Vribe ' 1 0 1 Don Joseph Galindo 1 1 Don Joseph de Vribe 1 1 Doña Anna de Saratc Galindo
8. 7. I Doña Marzela Vgarte ® 1 1 1 1 I Don Joseph Uribe de Id's Reynos de Castilla
I Don Thomas de Vgarte 0 1 1 Dona Maria de la O(rden)
6. 1 Doña Catharina Albarado 0 1 1 Don Santiago de Vgarte de Biscalla Don Antonio Francisco Pimentel ®
Don Juan /'“■s Doña Antonia Don Graviel /'“"S Doña Maria Don Francisco /'"•v Doña Maria
de Albarado y J de San Francisco de Albarado V Antonia Martinez Pimentel Perez
1
Nesahualcoyotzin
-------!
Hascaxqchil
.Tochter
Chimalpopocas
Kinderlose Ehe
Deszendenz in
weiblicher Linie Der Berliner Stammbaum
des Königlichen Geschlechtes von Tetzcoco
246
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
Abb. 5: Namenshieroglyphen der Herrscher von Tetzcoco. Obere Reihe:
Tlaltecatzin, Techotlalatzin, Ixtlilxochltl, Nezahualcoyotl, Nezahualpilli,
Die nächtliche Himmelserscheinung, Cacamatzin. Untere Reihe: Cohuana-
cotzin, Tecocoltzin, Ixtlilxochitl, Yoyontzin, Tetlaueuetzquilitzin, Don
Antonio Tlauitoltzin, Don Hernando Pimentei. Nach Sahagún 1954.
Damit erhebt sich sogleich die Frage, wieweit eine Möglichkeit besteht,
das Entstehungsdatum des Dokumentes näher zu bestimmen. Leider liefern
weder die Präambel noch die Schriftbänder ein Datum indianischer oder
christlicher Zeitrechnung. Eine Altersbestimmung vermag also nur auf in-
direktem Wege versucht zu werden. Sieht man einmal von der üblichen Rech-
nung nach Generationen ab, so stehen zwei weitere Möglichkeiten zur Ver-
fügung, um die Entstehungszeit des Stammbaumes etwas genauer zu fixieren:
gewisse kostümkundliche Kriterien und zum anderen die Verknüpfung der
auf dem Blatte erscheinenden Personen mit festen Daten, die sich in anderen
Quellen erhalten haben.
Dank seiner überaus sorgfältigen Ausführung ist das Dokument in kostüm-
ktmdlicher Hinsicht recht aufschlußreich. Mit aller Deutlichkeit werden zu-
nächst die Vertreter der vorspanischen Zeit von denen der Kolonialperiode
unterschieden. Die Repräsentanten der heidnischen Vergangenheit — die
Könige Nezahualcoyotl und Nezahualpilli mit ihren Gattinnen (Nr. 1
und 2) — erscheinen in bunter indianischer Tracht. Das kurzärmelige, mit
einem runden Halsausschnitt versehene Hemd zeigt alternierend schmale rote
und blaue Horizontalstreifen. Ganz offensichtlich hat der Künstler dabei an
Federgewänider gedacht, wie sie in kunstvoller Mosaikarbeit von den Aman-
teca, den „Federarbeitern“, hergestellt wurden53. Auch der unter einem
schmalen Gürtel herabfallende Rock ist aus dem gleichen Material gefertigt
53 Über die Amanteca und die von ihnen angewendeten Techniken vgl. den Bericht
bei Sahagún (1927, S. 387 ff).
Raessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
247
zu denken, doch scheinen hier längere Federn verarbeitet worden zu sein. Ein
Unterschied zwischen der Männer- und der Frauentracht ist nicht festzustellen.
Charakteristischerweise vollzieht sich der Wechsel zur europäischen Tracht
beim männlichen Geschlecht schneller als bei den Frauen. Bereits die Ver-
treter der ersten kolonialen Generation, die drei Söhne Nezahualcoyotls
(Nr. 3—5), tragen ausnahmslos spanische Kleidung: ein schwarzes, eng an-
liegendes Wams mit geschlitzten Oberarmen, eine weiße Halskrause und den
weiten, ärmellosen spanischen Mantel. Nur bei dem jüngsten Sohn (Nr. 5),
dessen Wams mit einem Tressen- oder Litzenbesatz versehen ist, tritt an die
Stelle der Halskrause ein flacher, gesteifter Leinenkragen, die Vorstufe zur
„golilla“. Der schwarze Hut besitzt eine schmale Krempe, wie sie freilich
erst für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts charakteristisch ist54.
Die Frauen dagegen behalten die aus einem weiten Hemd und langem
Rock bestehende indianische Tracht bei. Das bis über die Hüften herab-
fallende Hemd besitzt Seitenschlitze zum Durchstecken der Arme (Nr. 3)
oder aber weite, dreiviertellange Ärmel. Eingewebte oder aufgestickte Muster
sind deutlich zu erkennen. Auch der weite Rock ist in rechteckige Felder
(Nr. 4) oder schmale Horizontalstreifen (Nr. 5) gegliedert. Bei zwei Frauen
bleibt das Haupt unbedeckt, die dritte dagegen (Nr. 5) trägt ein einfaches
weißes Kopftuch.
Die Männertracht der folgenden vierten Generation weist nicht unerheb-
liche Veränderungen auf. Wams und Mantel zeigen lichtere Farben. An die
Stelle der Halskrause tritt ein Halstuch mit lang herabhängenden Zipfeln.
Der Maler nimmt hier wiederum eine spätere Mode vorweg, denn dieses
Kleidungsstück war in der Mitte des 16. Jahrhunderts noch nicht üblich. Das
Wams besitzt kurze Schöße und auf der Hose werden mit Klappen ver-
sehene Taschen erkennbar (Nr. 8). Die weiten Hemden der Frauen sind ein-
facher geworden. Doña Antonia Pimentei (Nr. 6) hat sich sehr dekorativ
ihr Tuch turbanartig um den Kopf geschlungen.
Für die Männertracht der fünften Generation ist vor allem ein flacher Hut
mit breiter Krempe charakteristisch. Auf dem Schoßrock zeichnen sich die
Knöpfe deutlicher als bisher ab. Von den Frauen hat Doña María Pérez die
indianische Tracht zugunsten eines europäischen Kleides mit weitem, faltigem
Rock aufgegeben (Nr. 12).
In der sechsten Generation erscheint bereits eine Art Reifrock (Nr. 14),
während die Männer von nun an Röcke mit leicht abstehenden Schößen
04 Für eine Reihe wertvoller kostümkundlicher Hinweise sei Frau Dr. Eva
N i e n h o 1 d t, Staatliche Kunstbibliothek Berlin, auch an dieser Stelle der
verbindlichste Dank abgestattet.
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
248
Abb. 6: Schema des Berliner Stammbaumes des Königlichen Geschlechtes von Tetzcoco.
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Der Stammbaum des königlichen Geschlechtes von Tetzcoco
Museum für Völkerkunde Berlin
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
249
(Nr. 16), Taschen, großen Knöpfen und breiten Ärmelaufschlägen tragen, wie
sie für die Mode des frühen 18. Jahrhunderts charakteristisch sind. Die Frauen
schmücken sich nun mit der dunklen, über den Kopf gelegten Mantilla, zu der
ein mächtiger Reifrock getragen wird (Nr. 16—19).
Ganz offensichtlich war der unbekannte Maler von dem freilich nicht
immer geglückten Bestreben geleitet, bei den einzelnen Generationen die je-
weils zeitgenössische Tracht anzudeuten: von den indianischen Federgewän-
dern führt die Entwicklung über die von dunklen Tönen beherrschte Tracht
des 16. Jahrhunderts bis zur Mantilla und dem Reifrock, die in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Einzug hielten.
Die zweite Möglichkeit — eine Verknüpfung mit an anderer Stelle er-
haltenen historischen Daten — ist bereits bei der Besprechung der einzelnen
Figuren unseres Blattes weitgehend ausgeschöpft worden. Sie liefert keinen
Anhaltspunkt, der über die vierte Generation und damit über die Mitte des
16. Jahrhunderts hinausreichen würde. Das jüngste historische Datum liegt
für Don Fernando Pimentei (Nr. 8), den dreizehnten Herrscher von Tetzcoco,
vor, der — den Angaben der Gewährsmänner Sahagüns zufolge — im
Jahre 1559, in dem der Stammbaum Sahagüns abgefaßt wurde, bereits
15 Jahre im Amte war. Der Regierungsantritt Don Fernando’s würde nach
Sahagün also im Jahre 1544, bzw. 1545 erfolgt sein, sein Tod dagegen
dürfte in das Jahr 1564 fallen55. Damit ergäbe sich ein gewisser Fixpunkt
für die vierte Generation unseres Stammbaumes.
Billigt man nun jeder nachfolgenden Generation — der fünften bis zehn-
ten — ein Minimum von 25 Jahren zu, so ergibt sich ein Zeitraum von 6 X 25
= 150 Jahren, die — von 1564 ab gerechnet — uns in das zweite Dezennium
des 18. Jahrhunderts führen.
Auch die künstlerische Stilgebung unseres Bilddokumentes deutet darauf
hin, daß es sich hier um ein Werk aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
55 In dieses Jahr versetzt Chimalpahin den Tod Don Antonio Pimentei
Tlahuitoltzins, des 12. Herrn von Tetzcoco, mit der ausdrücklichen Angabe, er
habe sein Amt 25 Jahre lang innegehabt (Chimalpahin 1889, S. 261). Der
Beginn seiner Amtszeit ist entsprechend zuvor für das Jahr 1540 von Chi-
malpahin vermeldet worden (1889, S. 240). Mit diesem Herrscher endet
bei Chimalpahin die Reihe der Herrscher von Tetzcoco, obwohl seine
„7. Relacion“ bis in das Jahr 1591 reicht. Chimalpahin erwähnt den
von Sahagün genannten 13. Herrscher Don Fernando Pimentei, der 1559 (bei
der Abfassung des Stammbaumes Sahagüns) bereits 15 Jahre im Amte war,
dagegen mit keinem Wort.
Dieser Widerspruch mag wie folgt aufzuklären sein: in der Regierungszeit von
25 Jahren, die Chimalpahin dem 12. Herrscher Don Antonio zuweist,
dürften die Amtsjahre des von ihm nicht erwähnten Nachfolgers Don Fernando
mitenthalten sein. Nach Sahagün regierte Don Antonio nicht 25, sondern
250
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
handelt, das möglicherweise in Tetzcoco selbst, jedenfalls aber im Valle de
Mexico von einem Maler unbekannten Namens geschaffen worden ist.
Vielleicht ist es kein bloßer Zufall, daß auch die eingangs erwähnte
Urkunde der Familie Ixtlilxochitl56, die über neun Generationen Auskunft
erteilt, im Jahre 1710 bzw. 1711 ausgestellt worden ist. Hier wie dort
bestand der Wunsch, eine Abstammung aus dem hervorragenden Herrscher-
hause von Tetzcoco zu beweisen: bei dem Schriftstück der Sammlung Carlos
Tinga geschah dies in einer rein urkundlichen Form, bei dem Pergament-
blatt des Berliner Museums dagegen in der Gestalt eines reizvollen Kunst-
werkes, dessen Autor uns leider wohl für immer unbekannt bleiben wird
ANHANG
TEXT DER BEISCHRIFT57
„Genealogía (!) y tronco de los Reyes de Tescuco
y recreación del Cerro llamado tescutzingo del
Señorío perteneciente ä los Pimenteles, y Albara-
dos, dho Cerro sercado de pared em donde tenían
para su recreación de todos Animales, Senados Co-
nejos. y Pabos Reales, y Patos, y Pujaros de valor como Pe-
ricos traídos de muchas tierras extrañas. Arboles inicía-
les traídos de muchas tierras en Lomos de los Indios
y flores de distintas calidades con vnas Cassas Reales y
Edificios sumamte costosos con el dho Cerro de Baños
y tanques que a mucho Costo Sacaron las Aguas
de los Montes mas altos y con targea de calican-
to hasta venia a dar a la cumbre del Cerro lle-
gando desde arriba hasta abajo y con mucho
pujanza de Indios que se ocupaban en su
cultibo y defenza que circumbalaban
el Cerro los Mecos para su Guardia, en donde el S.or Visorrey
D" Antonio de Mendoza, y D11 Luyz de Velasco por Pasquas de Na
tividad venían a Cazar, y dha recreación ha venido a tanta ruina
por los Ganados de los Españoles que apenas parecen las Señales.
nur 6 Jahre, also von 1540 bis 1545 (s. unten S. 257). Zieht man nun diese
von den bei Chimapahin angegebenen 25 Jahren ab, so würden für Don
Hernando 19 Amtsjahre übrigbleiben. Bei einem Amtsantritt im Jahre 1544/45
würde sein Tod also im Jahre 1563 bzw. 64 eingetreten sein.
56 Vgl. oben S. 236.
57 Wie bei den Texten der Schriftbänder erfolgt die Wiedergabe unter Beibehaltung
der alten Orthographie, Kürzungen und Zeilentrennung.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
251
TEXTE DER SCHRIFTBANDER
Nr. 1;
Nesahual Coyotzin Rey de Tescoco fue su Principal Muger Hascaxochil
Princesa
de México Hija de Chimal Popoca Padres de Nesahual Pilzintle
Nr. 2:
Nesahual Pilzintle Rey de Tescoco Hijo del anterior y fue su Consorte
Tiacapanzin
Hermana del Emperador Moctesuma tubieron por Hijos los Siguientes
Nr. 3:
D("). Pedro de Albarado Cohuanacohzin Yxtlisuchil Caso según
Orden de N.S.M.Y. y fue su Muger Da. Ma. Tlaco Yehuatzin
Padres de los Siguientes
Nr. 4:
Dn. Fernando Cortez Yxtlisuchil Caso con Da. Ma. Mixcui Pepechi
de México y tubieron por Hija á Da. Anna Alba Cortez — 2
Nr. 5:
Dn. Georxe Albarado Yoiotzin que la R1 Auda. de México le
declaro por Sr. y Caso con Nonoalcachi no tubieron Hijos — 3
Nr. 6:
Dn. Pedro de Albarado Caso con Da. Antonia Pimentel
y tubieron los Hijos Siguientes
Nr. 7:
Dn. Diego Tecocolchi Caso con Da. Petronila
Xóchil, sin Hijos — 2
Nr. 8:
Dn.Fernando Pimentel Caso con Da. Ma. Teves Xóchil y
pr. este se consiguieron todas las Cédulas y tubieron el q sigue — 3
Nr. 9:
Dn. Antonio Tequanxochil Fundo en Tepoxcolula
donde Caso y no se sabe con quien. — 4
Nr. 10:
Dn. Juan de Albarado Caso con Da. Antonia de
San Franco. sin tener Hijos.
Nr. 11:
Dn. Graviel (!) de Albarado Caso con Da. Ma. Antonia
de Vgarte de Biscalla y tubieron un hijo
252
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
Nr. 12:
D'1. Franco Pimentel Fundo en la Pro(u)incia de Otunba Asta
cameca Caso von Da. Ma. Perez y tubieron el q sigue.
Nr. 13:
D'1. Antonio Franeo. Pimentel que
Murió sin tomar Estado.
Nr. 14:
Da. Catharina Albarado Caso con D11. Santiago
de Vgarte de Fiscalía y tubieron un hijo
q es el q sigue
Nr. 15:
Dn. Thomas de Vgarte Caso con Da. Maria de La O. y tubieron la
Hija q se sigue
Nr. 16:
Da. Marzela de Vgarte Caso con D". Joseph Vrib(e)
de los Rnos de Castilla q tubieron los q siguen.
Nr. 17:
Da. Juana de Vribe Caso con D". Joseph Ga
lindo no tubieron Hijos.
Nr. 18:
D'1. Joseph de Vribe Caso con Da. Anna de Sarate
Galindo y tubieron pr. hijos los de Arriba — 2
Nr. 19:
Dtt. Rosa de Bitervo Vribe — S
Nr. 20:
D". Joseph Raphael de Vribe — 2
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
253
GENERATIONENFOLGE
7.
8.
Berliner Stamm- baum Herrscher- liste bei Sahagún Chimal- pahin (7. Rel.)
Nezahualcoyotl — Azcaxochitl 1 4. X
Nezahualpilli — Tlacapantzin Don Pedro de Alvarado Cohuanacotzin 2 5. X
Ixtlilxochitl — Doña María Tlacoyehuatzin Don Fernando Cortés Ixtlilxochitl — Doña 3 7. X
María Mixcui Pepechi Don Jorge Alvarado Yoiontzin — Nonoal- 4 9. X
cachi ...................................... 5
4. Don Pedro de Alvarado — Doña Antonia
Pimentel ................................... 6
Don Diego Tecocolchi — Doña Petronila
Xóchitl .................................... 7
Don Fernando Pimentel — Doña María
Teuetz ..................................... 8 13.
Don Antonio Tequanxochitl — (Name der
Gattin unbekannt) .......................... 9
Doña Ana Alba Cortés — (kein Gatte ge-
nannt) ..................................... 4
5. Don Juan de Alvarado — Doña Antonia
de San Francisco.................... 10
Don Gabriel de Alvarado — Doña Antonia
Martínez .................................. 11
Don Francisco Pimentel — Doña Maria
Pérez........................ 12
6. Doña Catarina Alvarado — Don Santiago
de Ligarte de Biscalla.............. 14
Don Antonio Francisco Pimentel (unver-
heiratet) ................................. 13
Don Tomas de ligarte — Doña María de
la Orden .................................. 15
Doña Marcela de ligarte — Don Joseph
Uribe de los Reynos de Castilla ...... 16
9. Doña Juana de Uribe — Don Joseph Galindo 17
Don Joseph de Uribe — Doña Ana de Za-
rate Galindo .............................. 18
10. Doña Rosa de Viterbo Uribe .............
Don Joseph Raphael de Uribe......... 20
254
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
DIE HERRSCHER
Nach der von Bernardino de
(fol. 52 r.) Izcate in tetzcoco tlatoque
inic izqui xiuitl tlatocatque.
Quipeoalti in tlatocayutl in tetzcoco
yehoatl in tlaltecatzin
fa napoaliluitl in tlatocat
atle ipan mochiuh
chichimeca tlatoque y.
Auh ynic ome tlatoani mochiuh
in quioaltoquili in Tlaltecatzin
yehoatl yn Techotlalatzin chichimecatl
auh in tlatocat yepoalxiuitl yoan
matlacxiuitl
amo tle ipä mochiuh
Auh inic ei tlatoani mochiuh acolho(a)cä
yehoatl in veve yxtlilxochitl
in tlatocat epoalxiuitl yoan macuilxiuitl
amo tle ipan mochiuh.
Auh inic naui tlatoani mochiuh tetzcoco
yehoatl y Neqavalcoyutzin
in tlatocat epoalxiuitl yoan matlacxiuitl
yoan cexiuitl
VON TETZCOCO
Sahagun überlieferten Liste58
Hier (folgen) die Herrscher von Tetz-
coco
(und) insgesamt die Jahre, die sie
regierten.
(1.) Es begann die Herrschaft in Tetzcoco
der Tlaltecatzin.
Nur achtzig Tage lang herrschte er.
(80 Tage)
Nichts (Berichtenswertes) ereignete sich
unter ihm.
Chichimeken (waren) die Herrscher
(von Tetzcoco).
(2.) Und zweiter Herrscher wurde,
dem Tlaltecatzin folgte nach
der Techotlalatzin, der Chichimeke.
Und er herrschte siebzig Jahre.
(70 Jahre)
Nicht (Bemerkenswertes) ereignete
sich unter ihm.
(3.) Und dritter Herrscher wurde von
Acolhuacan
der Alte Ixtlilxochitl.
Er herrschte fünfundsechzig Jahre.
(65 Jahre)
Nichts (Bemerkenswertes) ereignete
sich unter ihm.
(4.) Und vierter Herrscher wurde in
Tetzcoco
der Nezahualcoyotzin.
Er herrschte einundsiebzig Jahre.
(71 Jahre)
58
Nach Sahagun : Liste in den „Primeros Memoriales“, fol. 52 r.—53 r. (Paso
y Tr on co s o 1905, Bd. VI/2, S. 115—117).
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
255
auh y yehoatl i y neqaoalcoyutzin ypan
peuh yn yauyutl
yrn omextin yn tenochtitlan tlatoani
Itzcoatzin
ynic q’peuhque tepaneca
auh i novian tepeuhque
quiehoatl quipeualti y Neqaoalcoyutzin
yn quitecac in petlatl in icpali yn
acolhoacan tetzcoco.
Auh inic macuili mochiuh tlatoani
yehoatl in Neqaoalpilli
auh in (fol. 52 v.) tlatocat vmpoalxivitl
v(m) matlactli yoa exiuitl
ln ipan mochiuh in yavyutl
y nouian ic tepeualoya
auh y yeodtin i ym omextin y neqaoal-
coyutzin yoan Neqaoalpili
yniquac tlatocatq
tzacuticatca in tlaxcalla ioan vexotzinco
auh in Neqaoalpilli ipan peuh
yn dein oalmoquequetzaya ylhuicatitech
ln iuhqui tlanextli in iuhqui tlemiaoatl
y ceyoal tlanextiticaca
zuh nauhxiuitl yn ipd mochiuh
ypan xiuhtonali chicome tecpatl
yn yancuican neqico
aah in poliuh ipan xiuhtonali matlactloce
tecpatl i
auh inic tlamanca nauhxiuitl
Und unter Nezahualcoyotzin begann
der Krieg (gegen die Tepaneken).
Beide — (er und) der Herrscher von
Tenochtitlan, Itzcoatzin —
besiegten die Tepaneken (von Azca-
potzalco).
Und überall unterwarfen (die
beiden) sie.
Nezahualcoyotzin begann (die Herr-
schaft):
er legte hin Matte und Sitz (begrün-
dete die königliche Herrschaft) in
Acolhuacan Tetzcoco.
(5.) Und fünfter Herrscher wurde
er, der Neizahualpilli.
Er herrschte dreiundfünfzig Jahre.
(53 Jahre)
Unter ihm gab es Krieg.
Überall wurden sie (seine Gegner)
(von ihm) unterworfen.
Und die beiden — Nezahualcoyotzin
und Nezahualpilli —
damals, als sie herrschten,
waren eingeschlossen (blockiert)
Tlaxcala und Uexotzinco.
Aber unter Nezahualpilli begann
das, was am Himmel sich zu zeigen
pflegte:
(es war) wie ein Leuchten, wie eine
Flamme.
Jede Nacht erschien es.
Und vier Jahre(lang) geschah dies.
Im (Jahre) der Jahresrechnung
„7 Feuerstein“ (= 1512 A.D.)
erschien es zum ersten Male,
und es verging (hörte auf) im (Jahre)
der Jahresrechnung „11 Feuerstein“
(= 1516 A.D.).
Und in dieser Weise war es vier Jahre
lang vorhanden.
256
Kutscher, Bin Stammbaum aus Tetzcoco
miecca xitin tepetl in texcali
auh iniquac poliuh in tlein valmo-
quequetzaya
vc iuh nauhxiuitl açiquiui in españolesme
auh qc°9 mic in Neçaoalpili
aucmo ixpan.
Auh inic VI. tlatoani mochiuh tetzcoco
yehoatl in Cacamatzin
in tlatocat nauhxiuitl
yehoatl ipan mochiuh
inic açico nican castillan tlaca.
Inic VIL tlatoani mochiuh
yehoatl in Coanacotzin
in tlatocat macuilxiuitl
yehoatl ipan mochiuh
inic peoaloque mexica
neoantin quauhtemoctzin tenochtitlan.
Inic VIII. tlatoani mochiuh
yehoatl in tTecocoltzin
in tlatocat cexiuitl
ye imixpan in castillan tlaca
ye iquac in tetzcuco catea margues
vncan moyauchichiuh
ini(c) quinpeuh mexica.
Inic IX. tlatoani mochiuh
yehoatl iN ixtlilxuchitzin
in tlatocat chicuexiuitl
auh iniquac peoaloque mexica
An vielen Orten zerbarsten die Berge
(und) Felsen.
Aber damals, als das verging, was sich
(am Himmel) zu zeigen pflegte,
(waren es) noch vier Jahre, (daß) die
Spanier eintreffen würden.
Und als Nezahualpilli starb,
waren sie (die Spanier) noch nicht da.
(6.) Und sechster Herrscher wurde in
Tetzcoco
der Cohuanacotzin.
Er herrschte vier Jahre. (4 Jahre)
Unter ihm ereignete es sich,
daß hier ankamen die Leute aus
Kastilien.
(7.) Siebenter Herrscher wurde
der Cohuanacotzin
Er herrschte fünf Jahre. (5 Jahre)
Unter ihm ereignete es sich,
daß unterworfen wurden die Mexica,
beide — (er und) Quauhtemoctzin
von Tenochtitlan.
(8.) Achter Herrscher wurde
der Tecocoltzin.
Er herrschte ein Jahr, (1 Jahr)
schon vor dem Angesicht (in Anwesen-
heit) der Leute aus Kastilien.
Bereits zu dieser Zeit weilte in
Tetzcuco der Marques (Cortes).
Dort rüstete er sich zum Kriege,
um die Mexica zu unterwerfen.
(9.) Neunter Herrscher wurde
der Ixtlilxochitzin.
Er herrschte acht Jahre. (8 Jahre)
Und nachdem unterworfen worden
waren die Mexica,
59 Lies: iquac.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
257
quivicatiuia in margues
ytlan omoquetz
ivan quivicaya in veimolan
yehoantin ymixpa mochiuh
ynic vel motlatlali altepetl
inic tlavelalali margues neoan coanacuchtli.
(fol. 53 r.)
Inic X. tlatoani mochiuh
iehoatl in yuyontzin
in tlatocat cexiuitl.
Inic XL tlatoani mochiuh
yehoatl y tetlavevetzquilitzin
in tlatocat macuilxiuitl.
Inic XII. tlatoani mochiuh
yehoatl in Don anto0 tlavitoltzin
in tlatocat chiquacexiuitl.
Inic XIII. tlatoani mochiuh
yehoatl in axcä tlatoani Don hernando
pimentel
in tlatocati e castolxiuitl
in axcan ipan ticate
Auh ye ixquich cauitl quipia in tlatocayutl
in acolhoaque
y ye ic mocempoa castolpoalxiuitl yoan
napoalxiuitl yoan nauhxiuitl
nahm der Marques’ ihn mit sich.
An seiner (des Marqués) Seite befand
er sich.
Und er (der Marques) nahm ihn mit
sich nach Ueimolan.
Vor ihrem Angesicht (zu ihrer Zeit)
ereignete es sich,
daß sich die Stadt (Tetzcoco) gut
ordnete,
dadurch daß der Marques zusammen
mit Cohuanacochtli die Dinge gut
in Ordnung brachte.
(10.) Zehnter Herrscher wurde
der Yoyontzin.
Er herrschte ein Jahr. (1 Jahr)
(11.) Elfter Herrscher wurde
der Tetlaueuetzquilitzin.
Er herrschte fünf Jahre. (5 Jahre)
(12.) Zwölfter Herrscher wurde
Don Antonio Tlauitoltzin.
Er herrschte sechs Jahre. (6 Jahre)
(13.) Dreizehnter Herrscher wurde
der jetzige Herrscher Don Hernando
Pimentel.
Er herrscht schon fünfzehn Jahre,
(15 Jahre)
jetzt (in dem Jahre), in dem wir uns
befinden.
Und die gesamte Zeit, (während derer)
die Herrschaft bewahrten (inne-
hatten) die Acolhua:
zusammengerechnet (sind es) dreihun-
dert und vierundachtzig Jahre,60
(384 Jahre)
60 In Wahrheit beträgt die Summe der Regierungszeitcn nicht 384, sondern nur
304 Jahre, die auch im „Codex Florentinus“ angegeben werden: caxtolpoal
xiujtl ioan nauhxiujtl, 304 Jahre (Florentine Codex, Book 8, 1954, S. 11). Die
falsche Angabe von 384 Jahren erklärt sich daraus, daß bei der Regierungszeit
17 Baessler-Archiv IX
258
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
yn ixquichica axcä ipan ticate von damals bis beute, dem (Jahre), in
xiuhtonalli vmacatl. dem wir uns befinden, in der Jahreszählung „2 Rohr“ (= 1559 A.D.).
B e i s chriften zu den H errscher bildern
(fol. 52 r.)
tlaltecatzin (1.) Tlaltecatzin:
icogoyaoalol ytlauitol seine gelbe Rosette, sein Bogen,
ymagayeuatilma yquauhxiuicpal seine Hirschfell-Decke, sein Adler- Türkis-Sitz61.
techotlalatzin (2.) Techotlalatzin:
icogoyaoalol itlauitol seine gelbe Rosette, sein Bogen,
ymagayeoatil( ma ) iquauhxiuicpal seine Hirschfell-Decke, sein Adler- Türkis-Sitz.
ixtlilxuchitl (3.) Ixtlilxochitl;
icogoyoyavalol itlauitol seine gelbe Rosette, sein Bogen,
imagayevatilma ixiuicpal62 seine Hirschfell-Decke, sein (Adler-) Türkis-Sitz.
negavalcoyotl (4.) Nezahualcoyotl:
ixiuhtzon ixiuhyacamiuh seine Türkis-Krone, sein Türkis- Nasenpfeil,
ixiuhtilma ytepotzoicpal techilnavayo63 seine Türkis-Decke, die am Rande mit roten Augen versehen ist, sein Lehnsitz64.
des ersten Herrschers statt mit 80 Tagen, einer Angabe, die sich sowohl in den
„Primeros Memoriales“ als auch im „Codex Florentinus“ findet, versehentlich
mit 80 Jahren gerechnet worden ist.
61 In der Ausstattung der drei ersten Herrscher erscheinen noch jägerische Ele-
mente: die Decke aus Flirschfell und der Bogen. Auch die auf dem Scheitel
getragene „Gelbe gedrehte Scheibe“ gehörte zur alten Chichimekentracht
(Seiet 1915 Bd. III, S. 158).
62 Ergänze wie oben zu: iquauhxiuicpal.
63 Lies: ten-chil-nava-yo.
64 Nezahualcoyotl und seine Nachfolger zeichnen sich durch neue Insignien aus:
die „Türkis-Krone“ anstelle der „Gelben Rosette“, den „Türkis-Nasenpfeil“,
die „am Rande mit roten Ringen (oder Augen) versehene (königliche) Decke“
(Seiet 1902, Bd. I, S. 199; 1904, Bd. II, S. 515) und den aus Rohr geflochtenen
Lehnsitz (S e 1 e r 1902, Bd. I, S. 199),
Baessler-Archlv, Neue Folge, Band IX
259
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Abb. 8; Die Herrscher von Tetzcoco I: Tlaltecatzin, Techotlalatzin, Nezahualcoyotl
und Nezahualpilli. „Codex Florentinus“, fol. 52 r.
17*
260
Kutscher, Bin Stammbaum aus Tetzcoco
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heilikuchiil.
y+Wia-pdifrL
Abb. 9: Die Herrscher von Tetzcoco II: Cacamatzin, Cohuanacochtli, Tecocoltzin
und Ixtlilxochitl. „Codex Florentinus“, fol. 52 v.
negavalpili
ixiuhtzon
ixiuhtilma
itepotzoicpal
(5.) Nezahualpilli:
seine Türkis-Krone,
techilnavayo seine Türkis-Decke, die am Rande mit
roten Augen versehen ist,
sein Lehnsitz.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
261
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ifcpofpofcpal-
Abb. 10: Die Herrscher von Tetzcoco III: Yoyontzin, Tetlaueuetzquilitzin, Don
Antonio Tlauitoltzin und Don Hernando Pimentei. „Codex Florentinus“, fol. 53 r.
(fol. 52 y.) cacamatzin ixiuhtzon lxiuhtilma tetlapal65
ltepotzoicpal
coanacochtli ixiuhtzon ytlatlapaltilma ytepotzoicpal
tecocoltzin ytlatlapaltilma ytepotzoicpal
(6.) Cacamatzin:
seine Türkis-Krone,
seine Türkis-Decke,
das mit rotem Saum versehene
(Hüfttuch)66,
sein Lehnsitz.
(7.) Coanacochtli:
seine Türkis-Krone,
seine buntfarbige Decke, sein
Lehnsitz67.
(8.) Tecocoltzin:
seine buntfarbige Decke, sein Lehnsitz,
65 Lies: tentlapal(li).
66 Das rotgeränderte Hüfttuch erscheint verschiedentlich unter den Göttertrachten
(vgl. Sei er 1904, Bd. II, S. 437, 487, 488, 490, 499).
67 Cohuanacochtli trägt als letzter unabhängiger Herrscher noch die Türkis-Krone,
doch fehlt ihm bereits die Türkis-Decke. Seine Nachfolger in der spanischen
Zeit sind nur mehr mit der buntfarbigen Decke und dem Lehnsitz ausgestattet.
262
Kutscher, Ein Stammbaum aus Tetzcoco
ixtlilxuchitl ytlatlapaltilma itepotzoicpal
(fol. 53 r.) yoyontzin ytlatlapaltilma itepotzoicpal
tetlavevetzquilitzi itlatlapaltilma itepotzoicpal
Don Anto° tlauitoltzin itlatlapaltilma itepotzoicpal
Don hernando pime(n)tel yuian
itlatlapaltilma itepotzoicpal
(9.) Ixtlilxochitl:
seine buntfarbige Decke, sein Lehnsitz.
(10.) Yoyontzin:
seine buntfarbige Decke, sein Lehnsitz.
(11.) Tetlaueuetzquilitzin:
seine buntfarbige Decke, sein Lehnsitz.
(12.) Don Antonio Tlauitoltzin:
seine buntfarbige Decke, sein Lehnsitz.
(13.) Don Hernando Pimentei Yuian:
seine buntfarbige Decke, sein Lehnsitz.
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Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
265
EINIGE NOTIZEN
ÜBER DEN STAMM DER GUDJI-GALLA
WILLY SCHULZ-WEIDNER, Frankfurt
Vorbemerkung
In den Jahren 1950/51 war es mir als damaligem Assistenten des Fro-
benius-Instituts an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt
vergönnt, an der ersten Nachkriegsexpedition des Instituts teilzunehmen. Die
unter der Leitung des Institutsdirektors, Herrn Professor Dr. Adolf
E. Jensen, stehende Forschungsexpedition führte nach Süd-Äthiopien, wo ins-
besondere bei den dortigen Altvölkern („Splitterstämmen“) völkerkundliche
Studien betrieben wurden. Weitere Teilnehmer der Expedition waren Frau
E. Pauli-Jensen und Herr Dr. E. Haberland, der sich nach Abschluß des
Hauptunternehmens noch bis 1952 einer Untersuchung des Galla-Stammes
der Borana widmete1. Die ethnographischen Arbeiten der Expedition waren
bereits abgeschlossen und die Rückreise mit dem expeditionseigenen Last-
wagen schon angetreten, als am 10. September 1951 ein Achsenbruch mitten
in der Gudji-Steppe einen unerwarteten Zwangsaufenthalt schuf. Die Unfall-
stelle, an der ein provisorisches Camp errichtet wurde, befand sich 50 km
nördlich von Yavello, auf der Strecke nach Agremaryam. Es erwies sich als
notwendig, eine Ersatzachse aus Addis-Abetba zu besorgen. Während alle
übrigen Expeditionsteilnehmer mit Fahrzeugen von zufällig vorbeikommen-
1 Die Publikation der Ergebnisse dieser Expedition hat sich um einige Jahre ver-
zögert, da noch vor endgültiger Auswertung der gesammelten Materialien eine
zweite Expedition (1954—1956) nach Süd-Äthiopien durchgeführt wurde. Die
Stoffsammlung beider Frobenius-Expeditionen wird nunmehr in einer Serie von
Veröffentlichungen vorgelegt. Als erster Band, herausgegeben von Professor Dr.
Adolf E. Jensen, mit Beiträgen von Eike Haberland, Ad. E. Jensen,
Elisabeth Pauli und W. Schulz-Weidner, ist bereits „Altvölker Süd-
Äthiopiens“ (Stuttgart 1959) erschienen. Da zur Zeit der Abfassung der vorlie-
genden Studie über die Gudji-Galla der erwähnte Band noch nicht vorlag, fehlen
für die gelegentlich zum Vergleich herangezogenen Altvölker-Stämme, z. B. der
Baka oder Schangama, die Quellen-Hinweise. Es sei daher hiermit auf den Band
„Altvölker . . .“ verwiesen.
Ein weiterer Band, von Herrn Dr. H. Straube verfaßt, mit einem Beitrag des
Verfassers über den Kuschiten-Stamm der Sala, wird im wesentlichen die Ometo-
Völker behandeln. Das Manuskript geht im Herbst 1961 In den Druck. Ein vor-
läufiger Bericht über die Sala, die in der hier vorgelegten Untersuchung eben-
falls erwähnt sind, erschien bereits vor einigen Jahren: W. Schulz-Weid-
ner: „Die Zala, ein kuschitisches Volkstum in Südwest-Abessinien“, in den
,Actes du IVe Congres International des Sciences Anthropologiques et Ethnolo-
giquesc, Vienne 1952, Tome III (veröffentlicht 1956), S. 36—41.
266
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
den Angehörigen der Norwegian Ludieran Mission die Reise nach Addis-
Abeba fortsetzen konnten, blieb ich mit zwei unserer Galla-Boys zur Be-
wachung des Fahrzeugs zurück.
Etwa 20 Minuten vom Lager entfernt befand sich zufällig eine kleine An-
siedlung von Gudji-Galla, die in dieser Gegend ihre Viehherden weideten.
Der Kontakt mit den Bewohnern der Siedlung war schnell hergestellt, und
täglich gaben sich einige Männer oder Frauen ein Stelldichein im Camp, wo
sie vom frühesten Morgen bis Sonnenuntergang im Schatten des Lastwagens
herumlungerten. Bei aller Neugier und allem Interesse für die Vorgänge im
Lager und die ihnen fremden Ausrüstungsgegenstände zeigten sie nur sehr
geringe Neigung, sich in Unterhaltungen über ihr eigenes Leben und ihre
Kultur einzulassen Mehr als bei allen übrigen Stämmen, die wir zuvor
untersucht hatten, mußte ihre Mitteilungsbereitschaft durch Geschenke und
Belohnungen geweckt und erhalten werden. Die wenigen Gewährsleute, die
sich schließlich zur Verfügung stellten, waren hinsichtlich der Qualität
ihrer Auskünfte sehr unterschiedlich. Besondere Aufgeschlossenheit und
Intelligenz zeigte ein junger Mann von etwa 20 bis 25 Jahren. Ihm,
seinem Vater und einem Alten der Gruppe sind die nachstehenden Aus-
führungen im wesentlichen zu verdanken. Die besonderen Umstände meiner
Tätigkeit bei dieser Gudji-Sippe und die Kürze der zur Verfügung stehen-
den Zeit mußten leider den gewonnenen Materialien den Stempel der Un-
zulänglichkeit auf drücken: Von einem Tag auf den anderen auf die Rück-
kehr von Herrn Dr. Haberland wartend, der dann schließlich nach knapp
drei Wochen, am 29. September 1951, mit einer Ersatzachse aus Addis-Abeba
wieder bei uns eintraf, angewiesen auf die wenigen Eingeborenen, die als
Gewährsleute in Frage kamen, sich aber nicht regelmäßig im Camp ein-
stellten, ferner durch die Aufgabe der Fahrzeugbewachung in der Bewegungs-
freiheit sehr gehindert, konnte sich die ethnographische Tätigkeit nur auf
die Gewinnung eines allgemeinen Überblicks und sporadischer Materialen
erstrecken. Manches blieb noch zu erforschen und vieles zu klären übrig2.
Land und Volk
Die Gudji sind ein Zweig der großen Galla-Gruppe in Äthiopien. In
älteren Reisewerken und auf den Landkarten werden sie meist als Djam-
Djam (Jam-Jam) bezeichnet, ein Name, der ihnen offenbar von ihren süd-
lichen Nachbarn, den Borana zugelegt worden ist. Zuweilen begegnet man
2 Wohl die neueste und vermutlich recht ausführliche, mir inhaltlich aber nicht be-
kannte Untersuchung über die Süd-Galla Äthiopiens (Borana, Gudji) stammt von
Dr. E. Haberland, der diese Stämme während der Frobenius-Expedition
1954—1956 besuchte. Seine Arbeit befindet sich m. W. im Druck.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
267
auch der Auffassung, daß die Gudji und die Djam-Djam (Giamgiam) zwei
verschiedene Völker seien. Der „Guida dell’ Africa Orientale Italiana“ (Milano
1938) bezeichnet als Grenzen des Wohngebietes der Djam-Djam im Norden
Sidamo, im Westen den Fluß Galane, im Süden die Linie Burdji-Neghelli
und im Osten den Oberlauf des Flusses Ganale Doria. Sie seien ein heid-
nischer Galla-Stamm, verwandt mit den Gudji und Borana, und vorwiegend
Viehzüchter (S. 561). Die Gudji oder eigentlich Djam-Djam-Gudji (!) da-
gegen seien Hirtennomaden, die wahrscheinlich von den Galla abstammten,
etwa 15 000 bis 20 000 Menschen auf 2000 bis 3000 km2, in einem Gebiet
zwischen den Flüssen Ghidabo und Lagadara im Norden, der Autostraße
Alghe (oder Agremaryam)—Wondo im Westen, dem Margherita- (oder
Abbeia-)See im Westen und dem Galana-Fluß im Süden (S. 560).
Herr Dr. Haberland bestätigte mir jedoch nach seinen eigenen Erkun-
digungen und Beobachtungen, -daß die Djamdjam und Gudji identisch seien.
Ihre Sprache ist das Gallinja, das nur ganz geringfügige dialektische Ab-
weichungen gegenüber den anderen Galla-Idiomen aufweist. Rassisch ge-
hören die Gudji zu den Äthiopiden, doch läßt ihre enge Nachbarschaft mit
den Darassa und Sidamo vermuten, daß von dorther noch ein anderes Rassen-
element bei ihnen eingedrungen ist.
Das Wohngebiet der Gudji erstreckt sich über eine sehr große Fläche. Ihre
Nachbarn im Süden und Südosten sind die Borana-Galla, mit denen sie eng
verwandt sind. Im Westen grenzen sie an die Burdji und Koira, im Norden
an die Sidamo, im Osten und Nordosten an die Arussi-Galla. Das Gebiet
der Darassa reicht im Norden wie eine breite Halbinsel in das Gudji-Land
hinein. Die Landschaft stellte sich in der Umgebung des Camps als typische
Dornbusch-Steppe dar, etwa 1500 bis 1600 m ü. M., mit eingestreuten Schirm-
akazien, Kandelaber-Euphorbien und den zahllosen Termiten-Hügeln: ein
sehr weites, wasserarmes Gebiet, in dem die kleinen Gruppen der Gudji mit
ihren Rinderherden und Ziegen umherziehen.
Die Herkunft der Gudji ist in historisches Dunkel gehüllt. Für die Angabe
von Wohlenberg, daß sie von den Niederungen des Abbeia-Sees herge-
kommen seien, habe ich keinen weiteren Beleg gefunden. Sehr wahrschein-
lich stellt das Gudji-Land eine Etappe der großen Galla-Wanderungen dar,
die im 16. Jahrhundert begannen und bis in das abessinische Hochland hinein-
führten. Während die Ausläufer dieser Wanderung, z. B. die Schoa-, Djimma-
und Wollo-Galla, seßhaft wurden, blieben die Galla in der Gudji-Steppe
den Kerngebieten ihres Volkes enger verbunden und behielten die nomadische
Lebensweise bei. Es liegt jedoch nahe, daß im Laufe der Zeit auch einige
fremde Bevölkerungsteile bei ihnen Eingang fanden. Die heutigen Gudji sind,
268
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, in zwei Haupt-Gruppen geteilt,
die Uraga und die Aladu.
Es fragt sich natürlich, ob nicht diese Zweiteilung nur eine lokale Bedeutung
hat, und ob nicht andere Unterabteilungen3 des Stammes — an Ort und
Stelle untersucht — ebenfalls den Eindruck einer Zwei- oder Dreiteilung
des Stammes erwecken könnten. Dieser Mutmaßung läßt sich aber entgegen-
halten, daß auch die benachbarten Borana eine Unterteilung der Gudji in
zwei große Gruppen, die Uraga und die Alabdu, behaupten. Und inter-
essanterweise geben sie noch an, daß die Uraga die ältere der beiden Gruppen
seien. Dieser Dualismus scheint aber nicht zum ursprünglichen Gefüge des
Stammesauflbaus zu gehören, sondern dürfte eher auf den Anschluß und die
Eingliederung eines fremden Volksteiles zurückgehen. So behaupten die Uraga,
daß sie die Aladu-Gudji allein an ihrem Aussehen und ihrer Sprache er-
kennen könnten.
Jede der beiden Gruppen hält sich selber bezeichnenderweise für die bessere
und höherstehende; man schätzt sich gegenseitig nicht allzu sehr. Es wird
erzählt, daß die Aladu von einem unehelichen Kinde abstammen, das in
grauer Vorzeit geboren und entgegen der Sitte nicht getötet, sondern auf-
gezogen wurde. Diese Aladu werden von den Uraga „Darassa“ genannt.
Vermutlich handelte es sich bei den Aladu um eine Bevölkerungsgruppe aus
dem nordwestlichen Grenzgebiet zwischen den Gudji und Darassa, die in
den Gudji-Galla aufging bzw. sich mit den Uraga zu dem heutigen Gudji-
Stamm vereinigte.
Dieser Prozeß vollzog sich vielleicht erst vor wenigen Jahrzehnten, denn
den Angaben einiger alter Gudji zufolge sollen die Aladu erst nach der An-
kunft der Amhara eingewandert sein.
Auf die enge Verzahnung und den Kulturaustausch zwischen den Gudji
und Darassa hat schon Wohlenberg deutlich verwiesen4, und insofern bereitet
es keine große Schwierigkeit, in den Aladu gudjisierte Darassa zu erblicken.
Für diese Annahme spricht auch noch die Tatsache, daß alle Aladu, die mir
begegneten, etwas Sidamo (Darassa) sprachen. Ferner gibt es an der West-
grenze des Gudji-Landes einen großen Marktort Alada. Die Namensgleich-
heit mit „Aladu“ ist gewiß nicht zufällig. Wie mir Dr. Haberland noch
mitteilte, wird die Gegend südwestlich von Di 11a, Zwischen Abbeia-See und
Darassa, „Alabda“ genannt.
3 C h i m i o, P. Giovanni, „Da Harro Uolabu al Uabi“, in „Studi Etiopici“,
Rom 1945, S. 134, wo z. B. auch noch die Hocu- und Mati-Gudji erwähnt werden.
4 Wohlenberg, H., bei A. E. lensen (Hrsg.), „Im Lande des Gada“, Stutt-
gart 1936, S. 103 f.
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
269
Der Name „Uraga“ findet sich wieder in gleichlautender Bezeichnung für
eine Landschaft östlich des Ortes Tore und für einen Teil des großen Gebirgs-
zuges im Zentrum des Gudji-Gebietes, der sich in Richtung Darassa-Sidamo
erstreckt. Vielleicht ist in dieser Gegend das Ausbildungs- und Verbreitungs-
zentrum der Gudji zu suchen, die sich seit einiger Zeit in einem allmählichen
Vorrücken nach Süden zu befinden scheinen. Beide Gudji-Gruppen sind heute
nahezu völlig kultur- und sprachgleich. Rein äußerlich unterscheiden sich
aber z. B. die Aladu-Frauen von den Uraga-Frauen dadurch, daß sie große
Messingspiralen am Unterarm tragen und angeblich stets nur einen Messing-
Armreif anlegen, selbst wenn sie mehrere davon besitzen. Geringfügige Ab-
weichungen finden sich schließlich noch im Bestattungsritual beider Gruppen.
Irgendeine zeremonielle Bedeutung kommt aber dieser Stammes-Teilung,
die man besser als eine Stammes-Zusammensetzung bezeichnen würde, nicht zu.
Über ihren Ursprung erzählen die Gudji folgende Geschichte:
In ältester Zeit lebte ein Mann auf Erden, der vom Fdimmel herabge-
kommen war. Er hieß Gudjo Annassora und war ein Zauberer. Er besaß
Vieh, das aus einem niedrigwachsenden Baum hervorgekommen sein soll;
diese Baumart ist noch heute den Gudji heilig.
Eines Tages fiel nun bei Adola, einem Ort im Osten des Gudji-Landes,
ein weiterer Mann vom Himmel, eingerollt in Tücher. Ein Hirte (es gab
also außer Gudjo offenbar noch andere Menschen auf der Erde) sah diesen
Vorfall und berichtete Gudjo darüber. Dieser suchte den Mann, der den
Namen Mäta führte, auf, gab ihm von seinem Vieh und heiratete dessen
Tochter, die angeblich mit ihm zusammen vom Himmel gefallen war.
Die Tradition von der Abstammung des Gudji-Volkes verwirrt sich dann
etwas. Einige sagen, die Gudji stammen von Mäta und dessen Frau Boro
oder Boru (= Sonnenaufgang, Morgenröte) ab. Dieser Mäta gab den Gudji
von dem Vieh ab, das er selber von dem Manne Gudjo erhalten hatte.
Andere behaupten, die Gudji seien der Verbindung zwischen Gudjo und
Mäta’s Tochter entsprossen. Sie hatten fünf Söhne, mit Namen Bordmo, Darasso,
Gurago, Mato und Hoco.
Aus irgendeinem, nicht mehr bekannten Grunde tötete eines Tages Boramo
einen Sohn seines Bruders Gurago. Danach nahm er zwei Stück Vieh und
zog nach Süden, ins heutige Land der Borana. Seit dieser Zeit besteht Fehde
zwischen den Gudji und den Borana.
Der zweite Sohn, Darasso, grub eines Tages in der Erde. Sein Vater fragte
ihn, was er dort treibe. „Ich grabe, um die Früchte der Erde zu essen“,
antwortete ihm Darasso. — Da bestimmte ihn sein Vater für alle Zeit zur
Feldbestellung und zum Genuß der Feldfrüchte. Seine Nachkommen sind
die Darassa, die seitdem den Ackerbau betreiben.
270
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Den dritten Sohn, Gurago, der das Vieh hütete, bestimmte sein Vater
zur Viehzucht. Er lehrte ihn, Mdch und Blut zu trinken, und wie das Vieh
zu töten sei. — Seine Nachkommen, die Gurago, leben in Koira.
Über das Schicksal der beiden letzten Brüder, Mato und Hoco, wurde mir
nichts berichtet. Doch sollen ihre Nachkommen heute noch als selbständige
Völker mit einem eigenen Häuptling leben, und zwar die Mato oder Mali
zwischen Sidamo und Darassa, die Hoco an der Grenze nach Arussi. Diese
beiden „Stämme“ sind natürlich identisch mit den bereits erwähnten Mati und
H aco, die Chiomio als Gudji bezeichnet. Meine Uraga-Gewährsleute taten
jedoch so, als ob die Mati und H aco völlig selbständig wären und mit den
Gudji nichts mehr zu tun hätten.
Etwas undeutlich und meinem Eindruck nach jüngeren Datums ist ein
Zusatz zu der obigen Erzählung, wonach ein Gudji-Mann namens Safarro
seinem Vater den Koran und Kamele stahl und damit ins Somal-Land aus-
wanderte.
Soziales Leben
1. Das Häuptlingstum
Das Häuptlings- oder Königtum der Gudji ist in seiner mir berichteten
heutigen Form etwas undurchsichtig. Seit der Amhara-Zeit herrschen mehrere
Häuptlinge über die verschiedenen Stammesteile. Sie scheinen die Stellung
von Gaufürsten oder Gebietsherren zu bekleiden. So unterstand z. B. der Gau
oder das Gebiet D’ud’a, in dem unsere Autounfallstelle lag, dem Balabat
Grasmadj Harsso Uschoo. Der amharische Titel „Grasmadj“ war schon
seinem Vater verliehen worden, zu dessen Regierungszeit die Amhara ins
Land gekommen sein sollen. Er beschenkte die Eroberer reichlich mit Elfen-
bein und soll dafür zum Eläuptling ernannt worden sein. Sein Sohn Harsso
übernahm dieses Amt noch vor der italienischen Besatzungszeit.
Nach Osten zu regiert in Daua der Häuptling (Balabat) Garba. Das eben-
falls im Osten liegende Gebiet Oddo, in dem sich Marktort und Festplatz
Adola befinden, untersteht dem Häuptling Otura. Chiomio5 erwähnt dagegen
den Ort Adola als Sitz des Häuptlings Bonneia-Solo. Im Westen, nach
Burdji zu, herrscht der Häuptling Odessa über das Gebiet Galana. Gewiß
ist die Anzahl der Distriktschefs des Gudji-Gebietes mit dieser Aufzählung
noch nicht erschöpft.
Einstimmig erklären aber die Gudji, daß sie außerdem noch einen wahren
Oberhäuptling hätten, den Abbaia-a-Gadda (Abba Gadda), den „Vater des
Gadda“ oder „König des Landes“, der dem Klan Darartu angehört. Seit
Generationen befindet sich seine Residenz dort, wo jetzt die äthiopische Stadt
5 Chiomio, P. G., op. cit., S. 134.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
271
Agremaryam steht. Er ist der wirkliche Führer seines Volkes, verehrt und
gefürchtet als sakraler König. Ihn schmückt das phallische Stirnband
(Kallatscha). Seine Würde überträgt sich stets auf den ältesten Sohn oder,
falls ein solcher nicht vorhanden, auf einen seiner Brüder.
Wohlenberg schreibt, daß die Gudji noch bis zum Herbst 1934 einen eigenen
Stammeshäuptling hatten, der zugleich oberster Priester war. Nach seinem
Tode sollen die Amhara versucht haben, in die Nachfolge-Ordnung einzu-
greifen; sie wollten die Würde „auf die gefügigere Enkelgeneration über-
tragen“, stießen damit aber auf den Widerstand der Gudji6. Dieser Streit
ist offenbar auch heute noch nicht entschieden: Die Amhara erkennen nur die
von ihnen eingesetzten oder gebilligten Häuptlinge der verschiedenen Gaue
an, während die Gudji darüber hinaus in dem Abbaia-a-Gadda den wahren
Gebieter des Stammes erblicken. Es heißt, daß dieser Abba Gadda sein Ge-
höft niemals verlassen darf, doch widerspricht das anderen Informationen,
die ich erhielt. In diesem Gehöft befindet sich auch ein „heiliges“ Schlangen-
paar, männlichen und weiblichen Geschlechts, buti mit Namen. Sie werden
mit Fleisch und Butter gefüttert, und die Familienmitglieder des Königs
können ungefährdet mit diesen Schlangen umgehen. Die Nachkommen dieses
Schlangenpaares verlassen jeweils das Gehöft und gehen in die Wälder und
Steppen. Sie dürfen von Niemandem getötet werden. Der Klan Galaltscha
soll mit dieser Schlange, die als etwa zwei Meter lang und sehr dick be-
schrieben wird, verwandt sein. Es handelt sich dabei aber nicht um den
Häuptlings- oder Königs-Klan, wie eigentlich zu vermuten wäre7.
Die Bezeichnung Abbaia-a-Gadda gebrauchen die Gudji nur im Gespräch
unter sich. Die Anrede des Königs (moti) sei Abba malka (malka = gute
Tränke für das Vieh) oder Abba girdschä. Seine Aufgabe ist es, von Zeit
zu Zeit das Land zu „segnen“, um dadurch Krankheiten von Mensch und
Vieh, Unfruchtbarkeit, Dürre oder allzulang anhaltenden Regen fernzu-
halten. Um eine Trockenzeit zu beenden, schlachtet er beispielsweise in einem
bestimmten Monat einen Ochsen oder einen Ziegenbock, der nicht von weißer
Farbe sein darf8.
Für diese, dem Lande segensreiche Tätigkeit erhält der König von seinen
Untertanen Geschenke und Gaben in Form von Honig, Kaffee, Getreide
usw. — Unterläßt man diese Ehrung des Landesoberhauptes, treten die er-
wähnten Übel und Notstände ein. — Neben ihm oder, streng genommen, ein
6 Wohlenberg, H., bei Jensen, op. cit., S. 104; Jensen, a.a.O., S. 395 f.
7 Totemistische Beziehungen zur Buti-Schlange finden sich auch bei den Borana.
8 Jensen berichtet von der Opferung eines roten Stieres beim alljährlichen
Stammesfest. — Auf seine weiteren Ausführungen über den K’allo der Gudji, die
das vorliegende Material wesentlich ergänzen und erläutern, sei besonders ver-
wiesen (op. cit., S. 393 ff.).
272
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
wenig unter ihm, steht noch ein zweiter Stammesführer, der die Bezeichnung
„abbaya-a-balbela“, „Vater der Türen“, führt9 und dem Klan Obitu an-
gehört.
Es scheint, als hätte die politische Organisation des Stammes mit ihrer
Führungs-Hierarchie terminologische Anleihen bei der sozialen Organisation
aufgenommen: So heißt der König auch Abba gössa, Vater der Klane. Die
Existenz eines „Vaters der Häuser“ möchte ich wenigstens vermuten.
Die Gudji bezeichnen diesen zweiten Landesvater, der in Alaba lebt und
die erbliche Stellung eines „Priesters“ innehat, offiziell als „K’alu“ („K’allo“).
Nach den Ermittlungen von Jensen10 ist „K’allo“ aber der Titel und Name
des obersten Stammesführers der Gudji. Obwohl mir gegenüber diese Be-
zeichnung niemals für den König gebraucht wurde11 12, sondern allein auf den
„Vater der Türen“ beschränkt war, möchte ich doch annehmen, daß auch
der König den Titel „K’allo“ führt. Der K’allo spielt ja bei allen Galla-
Stämmen eine große Rolle als geistiger und religiöser Führer seines Volkes,
und besitzt auch eine dementsprechende politische Macht. Neben und unter
ihm gibt es dann immer noch eine ganze Anzahl größerer und kleinerer
„K’allos“, die mit bestimmten Funktionen innerhalb des Stammes be-
traut sind.
Bei dem K’allo, von dem hier die Rede ist, handelt es sich jedenfalls
nur um den sogenannten „Vater der Türen“, der dem Landeskönig nach-
geordnet zu sein scheint. Jedoch herrscht nicht jene Rivalität zwischen ihnen,
wie sie etwa für den Galla und den Bamballe der Konso so kennzeich-
nend ist1'“.
Sowohl der König als auch dieser K’allo weisen In ihrer Stellung manche
Gemeinsamkeiten auf. Beide dürfen nicht oder nur zu ganz bestimmten An-
lässen ihr Gehöft verlassen, beide haben heilige Schlangen, beide werden
vom Volk sehr verehrt und mit reichen Gaben bedacht, und beide üben
Funktionen im Zusammenhang mit dem Gada-Fest aus, von denen weiter
unten noch zu sprechen sein wird.
2. Das Dualsystem und die Klane
Außer der erwähnten Stammesgliederung gibt es bei den Gudji noch zwei,
vornehmlich exogame Hciratsklassen, über deren Entstehung jedoch nichts
in Erfahrung zu bringen war. Gewichtiger für die Heiratsordnung ist, jeden-
9 Über die „Häuser“, „Türen“ usw. s. den folgenden Abschnitt 3, „Einzelheiten
über die Klane“.
10 Jensen, op. cit., S. 393.
11 Auch bei den Borana ist nach den Feststellungen von E. Haberland „Abba
Gada“ der höchste Titel für den Stammeshäuptling.
12 Jensen, op. cit., S. 384 ff.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
273
falls heutzutage, das Klansystem. Beide Gudji-Gruppcn, die Uraga und die
Aladu, haben die gleichen Heiratsklassen, Kontoma und Darimu. Bei den
Uraga weisen aber diese Heiratsklassen andere Klane auf als bei den Aladu.
Die Aladu-Klane sind, mit einer Ausnahme, nicht an die Heiratsklassen-
Exogamie gebunden. Auch von dieser Seite her verstärkt sich also der Ein-
druck, daß die Aladu eine jüngere Komponente im Stammesverband der
Gudji sind, in deren bestehendes Heiratsklassen-System sie wohl erst spät
Integriert wurden.
3. Einzelheiten über die Klane
Für die zwei Heiratsklassen der Uraga-Gudji konnte ich nur je sechs Klane
ausfindig machen — eine verhältnismäßig bescheidene Anzahl, für die aber
gewiß nur das schlechte Gedächtnis
wörtlich ist.
Kontoma
Ball’a
Goll’a oder Gola
Hallo
Sarbortu
Waidjittu
Orborra
wenigen Gewährsleute verant-
Darimu
Agantu
Darartu
Galaltscha
Insale
Mitschile
Wessettu, Woissittu
Die mir bekannt gewordenen Klane der Aladu sind:
Obitu Anoltu
Antu
Meritu.
Innerhalb einer Heiratsklasse werden bestimmte Klane als „verwandt“,
andere als „nicht-verwandt“ bezeichnet. Aus solchen „nicht-verwandten“
Klanen der eigenen Heiratsklasse darf man ohne weiteres heiraten. Von
dem Kontoma-Klan Orborra heißt es aber, daß seine Angehörigen strenge
Heiratsklassen-Exogamie bewahren, also nur aus Darimu-Klanen heiraten
dürfen. Von besonderer Bedeutung ist auch, daß alle Klane noch in soge-
nannte „Häuser“ (manna) und „Türen“ (tbalballa) unterteilt sind. Wenn
man heiratet, fragt man nicht nur nach der AAirc-Zugehörigkeit des Mäd-
chens, ssondern auch danach, welchem „Haus“ und einstmals auch noch,
welcher „Tür“ sie zugehört. Ein Gewährsmann konnte mir für drei Klane
zwei, drei und fünf „Häuser“ nennen; über die Anzahl der „Türen“ war
er dagegen nicht informiert. Aus denjenigen „Häusern“, denen die eigene
Mutter und Großmutter angehörten, darf ein Mann keine Frau wählen. Nach
anderer Aussage ist nicht nur das „Haus“ der Mutter, sondern ihr ganzer
18 Baessler-Ardiiv IX
274
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Klan (also mit sämtlichen „Häusern“) für den Sohn und selbst noch Söhn es -
sohn heirats-tabuiert.
Diese Unterteilung der Klane ist eine weit verbreitete Erscheinung und
enthüllt sich auch in Äthiopien, wo sie bisher meines Wissens gar nicht oder
kaum beachtet wurde, als ein deutliches sogenanntes „Lineage“-System.
Fortes13 gibt mit seiner Unterscheidung von „minimal“ und „maximal
lineages“ eine recht gute Erklärung für den Aufbau dieses Systems. Unter
„maximal lineage“ versteht er sämtliche Nachkommen in männlicher Linie
von einem bestimmten, namentlich bekannten Vorfahren, der am Anfang
der Generationsreihe (soweit sie noch im Bewußtsein der Nachkommen ist)
steht. Von Generation zu Generation stuft sich diese „maximal lineage“ in
nächst-kleinere Lineage-Abschnitte („segments“) ab, bis mit der Gemein-
schaft von einem Manne und seinen Kindern die kleinste und jüngste
Einheit, die „minimal lineage“, erreicht ist. — Mehrere „maximal lineages“
bilden zusammen einen Klan.
Es ist nicht schwer, in den „Häusern“ und „Türen“ der Gudji-Klane der-
artige „lineage-segments“ zu erlblicken.
Bei den ßorana findet sich die gleiche Unterteilung der Klane, und bei
den Arussi gibt es daneben noch den Begriff der „Feucrstelle“, worunter dann
wohl eine „minimal lineage“ zu verstehen wäre. Etwas abweichend, aber im
Grunde genommen wohl dasselbe meinend, sind die Angaben von Pau-
litschke14, daß die Stämme der Somal in eine Reihe von Unterabteilungen
oder „Häuser“ (rer tolkäj, auch mit der Bedeutung von „Kraal“) zerfallen,
die sich dann in eine Anzahl von Klanen gliedern würden. Möglicherweise
liegt hier eine Verwechslung, im Sinne einer Umkehrung der Verhältnisse, vor.
Interessant ist, daß sich ein entsprechendes System auch bei den Bantu
findet. G. Wagner15 berichtete z. B., daß die patrilinearen und exogamen
Klane der Kavirondo in Untergruppen (lineages) aufgeteilt sind, die in der
Eingeborenen-Sprache die Bezeichnung „Haus“ (oder „Hütte“) und „Tor“
führen! Eine solche Lineage geht auf einen gemeinsamen Vorfahren (Groß-
vater, Urgroßvater) zurück. Im Gegensatz zum Klan können die Angehörigen
einer Lineage ihre wechselseitigen Verwandtschaftsbeziehungen genealogisch
verfolgen.
Bei den mutterrechtlichen Bemba, dem größten Bantu-Stamm in Nord-
rhodesien, ist die kleinere Einheit innerhalb des Klans das „Haus“, d. h.
13 Fortes, M., „The Dynamics of Clanship among the Tallensi“, zitiert nach der
Besprechung dieser Arbeit im „Anthropos“, Bd. XLV, 1950, S. 955—958.
14 Paulitschke, Ph., „Ethnographie Nordost-Afrikas“, Berlin 1893, Bd. I,
S. 41.
15 Wagner, Günther, „The Bantu of North Kavirondo“, London 1949, Bd. [,
S. 54.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
275
„eine Verbindung von Personen, die von der gleichen Frau abstammen und
das Dorf kennen, in dem sie wohnte“16.
Die Klane führen dort ihren Ursprung auf eine Urmutter zur Zeit der
ersten Besetzung des Landes zurück. Das erinnert auffällig an die Angabe
von Paulitschke (op. cit. S. 41), „daß die Benennung der Unterabtheilungen
bei den Somal häufig nach der weiblichen Deszendenz geschieht“. — Es er-
scheint als eine reizvolle Aufgabe, den gemeinsamen Elementen der Klan-
Organisation bei den Hamiten, Niloten und Bantu in einer gesonderten
Untersuchung einmal nachzugehen.
Die Klan-Zugehörigkeit vererbt sich auf die Kinder beiderlei Geschlechts
patrilinear.
Eine Frau aus dem Klan Galaltscha zu heiraten, soll Kindersegen und
Reichtum an Vieh bringen. Interessanterweise ist es gerade dieser Klan, der
— wie erwähnt — Beziehungen (vermutlich totemistische) zur ¿wii-Schlange,
daneben angeblich aber auch zum Elefanten und zur Hyäne hat. Dieser
Klan Galaltscha führt auch noch die Bezeichnung „baddi“ (Gallinja: bada,
get lost, escape usw.17). Damit hat es folgende Bewandtnis: Einem Manne
starb einst die Gattin. Er bestattete sie nicht, sondern behielt sie im Hause
und hatte auch weiterhin mit ihr Verkehr. Die Tote wurde schwanger und
gebar einen Sohn, von dem der Klan Galaltscha bzw. Baddi abstammt.
Dieser Name Baddi soll an diese Begebenheit erinnern und etwa bedeuten:
„escaped frorn, born by a dead woman“; deutlicher vermochte sich mein
Dolmetscher nicht auszudrücken.
Bevorzugt heiraten sich gegenseitig Angehörige dieses Klans Galaltscha und
des Klans Goll’a, der Beziehungen zu einer Giftschlange haben soll. Der
Klan Sarbortu ist mit dem Löwen und einer bestimmten Baumart (garri)
verbunden, und der Klan Woissittu soll aus der Ensete-Wurzel stammen.
Näheres wußten die Gudji leider nicht über diese, bei den Viehzüchtern
so interessanten Spuren von totemistischen Beziehungen zu berichten.
Die Flandwerker schließlich, von denen mir Schmiede (tumtu), Leder-
arbeiter (birra) und Töpfer (wata) genannt wurden, haben wiederum eigene
Klane. Es soll nur noch wenige Handwerker im Lande geben. Sie leben
alle in den sogenannten „Städten“, wo sie ihre Produkte an Waffen, Ge-
räten und Schmuck auf den Markt bringen (Yavello, Agremaryam).
4. Das Gada-System
Das sogenannte Gada-System in seinen verschiedenen komplizierten For-
men ist schon mehrfach ausführlich beschrieben worden, so daß sich hier
16 W h i t e 1 e y , W., „Bemba and Related Peoples of Northern Rhodesla“, nach
der Besprechung durch D. Westermann in „Sociologus“, N.F., Jg. 2, H. 1,
S. 78.
17 F o o t, E. C., „Galla-English — English-Galla Dictionary“, Cambridge 1913, S. 5.
18*
276
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
eine erneute Darstellung seines Aufbaus und seiner Funktionen erübrigen
dürfte. Da nach der geographischen Lage des Gudji-Gebietes — zwischen den
Darassa, den Borana (beide mit Gada-System) und den Konso (mit ent-
sprechender Djila-Institution) — zu vermuten war, daß auch die Gudji-Galla
über eine solche Stammesverfassung verfügen würden, versuchte ich, wenn-
gleich auf diese Aufgabe völlig unvorbereitet, einige Informationen darüber
zu sammeln. Die spätere Auswertung der diesbezüglichen Notizen, deren
mannigfache Ungereimtheiten schon bei der Aufnahme nicht aufzuklären
waren, zeigte jedoch, daß es ohne genaue Vorstellung vom Untersuchungs-
gegenstand kaum möglich ist, befriedigende Ergebnisse zu erzielen. Eine bis
in die Einzelheiten genaue Kenntnis des Gada-Systems bei anderen Völkern
hatte ich damals nicht. Die zur Verfügung stehende Zeit und die Arbeits-
bedingungen erlaubten es mir andererseits nicht, die Struktur des Gada-
Systems von Grund auf neu zu ermitteln. Die Gewährsleute berichteten dar-
über natürlich nicht im Zusammenhang, sondern gaben nur auf bestimmte
Fragen (die ich aber nicht alle „parat“ hatte) einige Auskünfte, die zudem
sehr widersprüchlich waren. So kommt es, daß meine Notizen über das
Gada-System der Gudji-Galla nur die zu Grunde liegende Altersklassen-
organisation mit ihren Initiationsperioden oder Graden (gada-grades) er-
faßten, nicht aber das System der periodisch wiederkehrenden (zyklischen)
Gada-Gruppen (gada-sets) und ihre Bezeichnungen.
Diese Gada-Gruppen entsprechen den Altersgruppen (age-sets) der hamito-
nilotischen Völker. Bei den Galla z. B. besteht das System, dem alle männ-
lichen Stammesmitglieder angehören, in seiner reinen Form aus insgesamt
zehn solcher Gada-Gruppen, die in zwei Hemizyklen zu je fünf Gruppen
zusammengefaßt sind. Die Gada-Gruppen sind durch die Vater-Sohn-Be-
ziehung paarweise miteinander verbunden, d. h. den Gruppen des zweiten
Hemizyklus gehören die Söhne der Mitglieder des ersten Hemizyklus an. Die
Gruppen 1 und 6, 2 und 7, 3 und 8, usw. umfassen also jeweils die Genera-
tionen der Väter und ihrer Söhne. Die zehn Gada-Gruppen haben eigene
Bezeichnungen: Fünf Namen für die Gruppen der Väter, fünf Namen für
die Gruppen ihrer Söhne. Bei manchen Stämmen sind auch nur insgesamt fünf
Gada-Gruppennamen in Gebrauch; die Gruppen der beiden Hemizyklen
führen dann die gleichen Bezeichnungen.
Beide Flemizyklen (= 10 Gruppen) umfassen zusammen 80 Jahre; die
Söhne durchlaufen die Gada-Gruppen gegenüber ihren Vätern in einem Ab-
stand von 40 Jahren. Jede Gruppe ist normalerweise acht Jahre „an der
Macht“, d. h., sie hat für diese Zeit die politische Führung des Stammes inne.
Die betreffende Gruppe wählt sich für diese Zeit den Abba Boku, den „Vater
des Szepters“, der für acht Jahre Führer des Stammes (Hayu) ist.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
277
Über den Aufbau, die Periodizität und die Namen dieser Gada-Gruppen
(gada-sets) bei den Gudji-Galla habe ich, wie erwähnt, keine Ermittlungen
angestellt. Dagegen war es mir möglich, über die Gada-Klassen (Gada-
Grade, gada-grades) der Gudji einige Informationen zu erhalten. Im Gada-
System der Gallavölker, soweit es noch ungestört ist, teilt sich das Leben
eines männlichen Individuums in fünf Perioden von je acht Jahren ein. Jede
dieser Perioden (gada-grades), die ebenso wie die Gruppen die Bezeichnung
,gada‘ führen, ist mit einer Reihe von Zeremonien verknüpft. Die ein-
zelnen Grade oder Klassen haben Eigenbezeichnungen, die bei den Galla-
völkern im großen und ganzen recht einheitlich sind. Huntingford18 hat
für die äthiopischen Galla-Völker (mit Ausnahme der Süd-Galla, also der
Gudji und Borana) an Hand der vorliegenden Quellen (namentlich Cerulli
und Cecchi) eine Zusammenstellung des Systems der Klassen-Bezeichnungen
und seiner Varianten vorgenommen, die ich hier, ergänzt durch die m. W.
bisher unbekannten Bezeichnungen bei den Gudji-Galla, wiedergeben möchte:
Jahre System Ia) Varianten System II4) Gudji
1. Grad • • • 1— 8 Daballe A 6) Dobolle I B<) Debele Debedle Daballe
2. Grad • . • 8—16 Folie Dobolle II Pole Folle Dobi
3. Grad • ■ -16—24 Qondala Qondala Condalla Qondala Kussa
4. Grad ■ a) • • • • • -24 28 Dori \ ( Raba Gadoma 4 a Raba
4. Grad • b) .... • -28—32 > Euba Euba )genannt ) ^ Euba od. Daroma Luba 4 aa 4b 4 bb Dori Gadda Batu
5. Grad • • • 32—40 Yuba Gula Buba Yuba Yuba
a) C e r u 1 1 i, E., „Etiopia Occidentale“, Rom 1930, Bd. I, Kap. III, S. 37.
b) C e r u 1 1 i , E., „Fo!k-Literature of the Galla of Southern Abyssinia“ (Harvard
African Studies III: Varia Africana III, 1922), S. 169.
c) Cecchi, A., „Da Zeila alla frontiere dal Caffa“, 3 Bde., Rom 1885, Bd. I,
S. 526—530. Daroma ist vermutlich kein Alternativ-Name für den Grad, sondern
bezeichnet wohl nur dessen zweite Hälfte.
4) Cerulli, E., „Etiopia Occidentale“, a.a.O., S. 39.
Nach bereits länger zurückliegender Mitteilung von Herrn Dr. Haberland
finden sich die Gudji-Bezeichnungen für die gada-Klassen in gleicher Weise
bei den Borana-Galla — ausgenommen jedoch, wenn ich mich nicht irre, Dobi
und Batu. Endgültiges darüber wird der 1961 erscheinenden Borana-Mono-
18 Huntingford, G. W. B., „The Galla of Ethiopia / The Kingdoms of Kaffa
and Janjero“ (Ethnographie Survey of Africa, ed. by Daryll Forde, North
Eastern Africa, Part II), London 1955, S. 41 ff. — Huntingford behandelt nur
die Nord-Galla; die angekündigte Arbeit über die Süd-Galla lag bei Abfassung
der vorliegenden Untersuchung noch nicht vor.
278
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
graphie von Herrn Haberland zu entnehmen sein. Der Vergleich mit den
in der Übersicht von Huntingford angeführten Namen zeigt, daß bei den
Gudji nur die Bezeichnungen für die „Eingangs“- bzw. die „Ausgangs“-Stufe
(Daballe bzw. Yuba) identisch sind mit den entsprechenden Klassen-Namen
der nördlichen Galla. Es sei erwähnt, daß einige Gudji die Aufzählung
der Gada-Grade nicht mit „Daballe“ begannen. — Wie gestört die Gada-
Einrichtung der Gudji bereits ist, zeigt sich auch daran, daß der erste Grad,
Daballe, dem theoretisch die Kindheitsstufe des Alters von 1 bis 8 Jahren
entspricht, durchaus nicht mehr dieser Forderung genügt. Knaben, Jüng-
linge und Männer, die noch nicht in der Gada-Institution stehen, antworten
auf die Frage nach ihrer Stellung im „System“: „Wir sind Kinder (idjole),
wir haben noch keinen Namen“. — Der Gudji-Name für den zweiten Grad
fällt im Vergleich zu den Bezeichnungen der Nord-Galla aus dem Rahmen,
wenn man nicht in der Variante A, die für die ersten beiden Grade gleich-
lautende Namen hat (Dobolle), einen Anklang an „Dobi“ erkennen will.
Der eventuelle Zusammenhang der Stämme doh und dah wäre zuständigkeits-
halber von einem Linguisten zu prüfen. Die Bezeichnung für den dritten Grad
des Gada-Systems der Gudji steht im Vergleich zu den entsprechenden Namen
der Nord-Galla wiederum völlig isoliert, soll aber (als „kusa“?) bei den
benachbarten Borana zu finden sein.
In bezug auf den vierten Grad ist zunächst festzustellen, daß die fast über-
all bei den Galla zu beobachtende Unterteilung dieses Grades in zwei „Halb-
grade“ auch bei den Gudji zu finden ist. Streng genommen handelt es sich
bei ihnen aber nicht um „Halbgrade“, da sie auf der Angabe bestanden, daß
die Raba-Zeit sechs Jahre und die Dori-Zeit zwei Jahre umfasse. Ja, es hat
sogar den Anschein, als seien die „Halbgrade“ nochmals unterteilt, in „Drit-
tel“- oder „Viertel“-Grade. Anders lassen sich die mir wiederholt genannten
vier Bezeichnungen Raba, Dori, Gadda und Batu (? s. u.) kaum inter-
pretieren, da der nächste und letzte Grad (Yuba) so deutlich mit der End-
stufe im Gada-System aller anderen Galla-Völker zusammenfällt, daß kein
Platz mehr für eigenständige Grade von achtjähriger Dauer (als Gadda
und/oder Batu) bleibt. Auffälligerweise findet sich die laut Tabelle für den
vierten Grad so weitverbreitete Bezeichnung „Euba“ bei den Gudji nicht
als selbständige Grad-Bezeichnung wieder. Hingegen wurde mir erklärt, daß
man unter „Euba“ sämtliche verheirateten (und das heißt wohl auch „be-
schnittenen“! — vgl. Foot, S. 40: luba = Penis, Phallus, als Adjektiv:
„circumcised“) Männer versteht, die im Gada-System stehen. Noch unver-
heiratete Männer innerhalb des Systems werden k’erro genannt. (Vgl. dazu
Foot, S. 34; karro, man of equal age, S. 35: kero, bachelor.) Will man die
Stellung eines Mannes in der Gada-Institution erfahren, fragt man ihn: „Was
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
279
für ein Luba bist Du?“ Mit Ausnahme der Kinder und der Angehörigen
des Daballe-Grades (s. u.) antwortet der Befragte mit dem Namen seines
Gada-Grades. Da im System I und in seiner Variante A „Luba“ auch als
Gesamthezeichnung für den vierten Grad angeführt ist und im System II
als alleiniger Name für diesen Grad vorkommt, halte ich es nicht für aus-
geschlossen, daß die Bezeichnung „Luba“ für den „Halbgrad“ 4 b entweder
auf einem Mißverständnis beruht (nämlich entweder den ganzen Grad
oder, wie bei den Gudji, alle verheirateten Männer im Gada-System
meinend) oder aber bei den nördlichen Galla irgendwann einmal an die
Stelle eines möglicherweise zuvor in Gebrauch gewesenen anderen Namens
für den zweiten „Halbgrad“ getreten ist. Der Name „Dori“, den ich bei den
Gudji mit Vorbehalt dem zweiten „Viertelgrad“ des vierten Grades zuweisen
möchte, findet sich im System I als Kennzeichnung für den ersten „Halb-
grad“ des vierten Grades wieder. Welche Stufen-Position dieser Name in der
Gada-Institution der Borana-Galla bezeichnet, wird die erwähnte Arbeit von
Dr. Haberland erweisen.
Abweichend von den Grad-Bezeichnungen der nördlichen Galla ist auch
der Name „Gadda“ (Gada) für den ersten Teil der zweiten „Halbstufe“
(oder dritte „Viertelstufe“) des vierten Grades bei den Gudji. Die Schwierig-
keit liegt hier vor allem in der Vieldeutigkeit dieser Bezeichnung, da sie der
allgemeine Terminus sowohl für die Gruppen als auch für die Grade der
Institution ist, für die sie namengebend wurde. Da der Name „Gadda“ oder
„Gada“ als Grad-Bezeichnung auch bei den Borana und bei den Konso be-
legt ist, dürfte er wohl auch bei den Gudji seine Richtigkeit haben.
Anders verhält es sich vermutlich mit dem Grad-Namen „Batu“: Ich kann
für ihn in dem mir zur Verfügung stehenden Vergleichsmaterial keine Ent-
sprechung finden. Eine Verwechslung mit der Bezeichnung „Buta“ (= Be-
schneidungsfest, zum Abschluß der Gadda-Stufe?) ist nicht von der Hand zu
weisen, womit dann das Vorhandensein einer Grad-Bezeichnung „Buta“ odetf
„Batu“ sehr in Frage gestellt wäre. Wenn dem so ist, fällt auch unsere
gemutmaßte Viertelung des Grades 4 in sich zusammen; sie wäre unter den
gegebenen Umständen nur durch eine recht hypothetische Dreiteilung zu
ersetzen.
Die zahlreichen Komplikationen, die die Gada-Institution enthält, ergeben
sich, wie Jensen mehrfach sehr deutlich herausgearbeitet hat, vor allem da-
durch, daß bei den meisten Völkern, die die Gada-Einrichtung kennen, das
System infolge der zunehmenden Diskrepanz zwischen dem Zahlenschema
und der Lebenswirklichkeit durcheinander geraten ist und nur durch umständ-
liche Korrekturen (Heiratsregelung) einigermaßen funktionsfähig erhalten
werden kann. Die Gudji sind sich selber über die einzelnen Grade und ihre
280
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Dauer nicht mehr ganz im klaren. So bezeichneten manche den Dori-Grad
als eine Zwischenperiode von zwei Jahren zwischen den Graden Raba und
Gadda, während andere meinten, Dori sei nur eine Bezeichnung für die
letzten beiden Jahre des Raba-Grades. Wenn man nun davon ausgeht, daß
der bei anderen Galla-Stämmen ermittelte Zeitraum von 40 Jahren je Hemi-
zyklus verbindlich, d. h. typisch für das ursprüngliche System ist, dann sieht
man sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, die bei den Gudji in Erfahrung
gebrachten Gada-Grade gewissermaßen diesem Schema ein- und anpassen zu
müssen, „damit die Rechnung stimmt“. Doch was die Gada-Grade der Gudji
anbelangt, kann man es drehen und wenden, wie man will; die Rechnung
stimmt nicht, es sei denn, man wollte Begriffe und Zahlen willkürlich mani-
pulieren. Es würde hier zu weit führen, das Zahlenspiel im einzelnen durchzu-
gehen. Es seien lediglich zwei Möglichkeiten (ml, m 2) angedeutet;
Anzahl der Jahre
ml m 2
Gada-Grad:
Daballe ................. 8 8
Dobi .................... 8 8
Kussa ................... 8 8
Raba .................... 4 6
Dori .................... 2 2
Gadda ................... 2 8
Batu .................... — —
Yuba .................... 8 —
Erste Möglichkeit (m 1): Um auf einen Zeitraum von 40 Jahren pro Hemi-
zyklus zu kommen, müßte man — immer vorausgesetzt, daß die ermittelten
Grade im großen und ganzen richtig sind — wenigstens den zweifelhaften
Grad Batu aus dieser Reihe ausschalten und die Bezeichnungen Raba, Dori
und Gadda als Teile eines einzigen Grades von zusammen acht Jahren be-
trachen.
Zweite Möglichkeit (m 2): Um einen Hemizyklus von 40 Jahren zu er-
reichen, müßte man außer dem dubiosen Batu-Grad auch den Yuba-Grad bei
der Zählung unberücksichtigt lassen, wobei der Raba-Dori-Grad (6 + 2 Jahre)
und der Gadda-Grad wieder je 8 Jahre umfassen dürften. Ungewöhnlich bei
diesem Vorgehen wäre lediglich die rechnerische Ausschaltung des Yuba-
Grades, der in den meisten Aufstellungen als die Endstufe des Systems und
von gleicher Dauer (acht Jahre) wie die übrigen Grade gewertet wird. Ganz
logisch ist das nicht, denn eine zeitliche Begrenzung dieser Yuba-Endstufe hat
insofern keinen rechten Sinn, weil der Eintritt in diese Stufe das Leben des
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
281
Individuums nicht beschließt oder auf nur noch acht Jahre begrenzt, sondern
den Mannn lediglich aus den Funktionen im öffentlichen Leben des Stam-
mes entläßt. Man hat die Eigenständigkeit dieses letzten Gada-Grades damit
zu behaupten und zu rechtfertigen versucht, daß man den in diesen Grad
aufgerückten Männern noch für acht Jahre beratende Tätigkeit in der Stam-
mesgemeinschaft zuschrieb. Gada-Systeme, die den Yuba-Grad nicht aufweisen
oder nicht in dem eben angeführten Sinne verstanden, hat man als unvoll-
ständig, verstümmelt und ergänzungsbedürftig bezeichnet (Fluntingford, op.
cit., S. 48/49). In diesem Zusammenhang ist es aber bemerkenswert, daß
meine Gudji-Gewährsleute behaupteten, sämtliche Männer, die dem 40jährigen
Hemizyklus entwachsen sind, also alle (in der Theorie fünf) Altersklassen-
perioden (Grade) zu je acht Jahren hinter sich gebracht haben, seien „Yuba“.
Sie gehören keinem Gada-Grade mehr an, bleiben aber ihrer Gada-Gruppe
(gada-set) zugehörig.
Ich habe den Eindruck, daß zumindest die Gudji dieses „Yuba“ eher als
einen Zustand, eine zeitlich unbegrenzte Lebensstufe, denn als einen zeit-
lich fixierten Grad (Stufe) der Gada-Institution empfinden und betrachten.
Für diese Vermutung spricht auch, daß Angehörige des ersten oder Daballe-
Grades auf die Frage nach ihrer Stellung innerhalb der Gada-Einrichtung
antworten müssen: „Ich bin Sohn eines Gadda“. Wenn man „Gadda“, und
nicht „Yuba“, als den letzten Funktionsgrad der Gada-Institution versteht,
wäre diese Antwort durchaus sinnvoll: Die Söhne (zweiter Hemizyklus des
Gada-Systems) rücken mit einem Abstand von 40 Jahren gegenüber ihren
Vätern in das System ein; mit dem Übergang der Väter vom Gadda-Grad
zum Yuba-Status vollzieht sich der Eintritt der Söhne in den Daballe-Grad.
Über den Charakter von Konstruktionen und Rekonstruktionen kommen
diese Lösungsversuche allerdings nicht hinaus.
Die Zählung der achtjährigen Periode erfolgt angeblich nach Regenzeiten
und kann von jedermann vorgenommen werden. Nach Azais und Chambard
(zit. bei Huntingsford, op. cit., S. 43) soll eine ,dallac genannte Pflanze, die
eine Lebenszeit von acht Jahren hat und nach der Blüte abstirbt, die Gada-
Perioden in ihrem Wechsel bestimmen.
Einzelheiten über die Gada-Grade
Die Zugehörigkeit zu den einzelnen Stufen dieses Systems wird äußerlich
durch bestimmte Haartrachten, Schmuck usw. gekennzeichnet.
Die in die Daballe-Stufe eintretenden Knaben oder Männer scheren sich
das Haar im Genick, salben das übrige Haar mit Butter und legen mit
Kaurimuscheln besetzte Lederstreifen um den Kopf. Wer während der Zuge-
hörigkeit zu dieser Stufe stirbt, wird im Hause begraben.
282 Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Nach 8 Jahren, beim Übergang zum Dobi-Grad, wird das Haar zunächst
ganz geschoren. Wenn es wieder nachgewachsen ist, schert man eine Tonsur.
Sobald die Tonsur zugewachsen ist, wird das Haar ringsherum wegrasiert, so
daß in der Mitte, wo zuvor die Tonsur war, ein Haarbüschel stehenbleibt.
Diese Prozedur wird stets abwechselnd wiederholt.
Beim Eintritt in die Kussa-Stufe wird der Kopf wieder ganz geschoren. Vor
dem Übergang zur nächsten Stufe ziehen die Kussa-Mitglieder zum Gada-
Festplatz.
Es gibt für alle Gudji nur einen Gada-Platz, den in Adola, auf dem Wege
zwischen Agresalam und Neghelli.
Die nächste Stufe, Raba, ist die erste von größerer Bedeutung. Besonders
die beiden letzten (Dori-) Jahre (oder auch nur das letzte Jahr) vor dem
Übergang zur Gadda-Stufe sind wichtig und ereignisreich. Beim Eintritt in die
Raba-Stufe wird das Haar am Hinterkopf mit Rindenbast des heiligen Gada-
Baumes dambi (Foot, S. 13: dambi = contract, deed, allowance) zu einem
Zopf verflochten, der auf den Rücken herabhängt.
In „alter“ Zeit, d. h. vor Ankunft der Amhara, konnte nur in der Raba-
Stufe geheiratet werden, jedoch wurden lediglich diejenigen Kinder aufge-
zogen, die am Ende dieser Stufe, also in den Dori-Jahren, oder zu Beginn der
Gadda-Stufe geboren wurden. Genau die gleichen Verhältnisse finden sich
auch bei den Borana.
Zu Beginn dieser Dorl-Stufe ziehen diejenigen, die ihr angehören, zum
König, wo einer aus ihrer Mitte, der von ihnen auserwählt wurde, ein paar
Straußenfedern empfängt und daheim verwahrt.
In dieser Zeit schneiden sich die Don-Männer auch Stöcke, die etwa 1,5 m
lang sind und einen Durchmesser von etwa 4 cm haben. Sie müssen von
einem bestimmten Baum (wod’essa == Cordia Abyssinica) genommen sein,
werden geglättet und mit Butter gesalbt. Bei der Tötung eines Ochsen oder
einer Kuh wird der Stock gegen die Rippen des am Boden liegenden Tieres
gehalten und Gott (Waqa) um Gesundheit und langes Leben gebeten.
Über der Schulter getragen, nimmt man diesen Stock zum Gada-Fest mit,
an dem für die Dori-Leute der Übertritt zur Gadda-Stufe erfolgt. Wenn ein
Mann stirbt, bekommt er diesen Stock aufs Grab gelegt (vgl. die Kallitta-
Stäbe der CheLa bzw. die phallischen gumma-Stäbe der Gada-Männer beim
Djila-Fest der Konso19.
Gegen Ende dieser Dori-Stufe gehen die Angehörigen derselben zum be-
reits erwähnten K’allo (k’alu). Sie grüßen ihn mit den Worten „k’alu yoya,
yoya“, und fragen ihn, wann es ihm angenehm sei, einige Geschenke ent-
gegenzunehmen. Sie bekommen einen Zeitpunkt genannt und gehen am ver-
19
J e n s e n , op. cit., S. 370.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
283
abredeten Tage zu dem „habru bunaka“ genannten Platz (,Platz, wo der
Kaffee niedergelegt wird“), der sich weit entfernt vom Hause des K’allo
befindet. Dieser ist selber nicht anwesend, sondern sendet einen Vertreter dort-
hin, der ebenfalls ein K’allo ist, jedoch von niedrigerem Range. Dieser nimmt
nun die Geschenke in Empfang: Ungeschälten Kaffee, der zusammen mit Butter
genossen wird, und Jungvieh. Der K’allo segnet die Kandidaten für den
nächstfolgenden Gadda-Rang und wünscht ihnen, sie mögen so zahlreich wer-
den (= so viele Nachkommen haben), wie der Kaffee es sei.
Bei dem nun bald folgenden Gada-Fest ziehen die Dori-Leute zum
Abbay-a-gadda, dem Oberhaupt des Landes. Zwei Wochen lang wird hier
mit Gesang und Tanz gefeiert. Der König selber tanzt ebenfalls mit, und
auch die Frauen der im Gada-System stehenden Männer sind beteiligt. —
Der König trägt das Kallatscha und Straußenfedern im Haar. Ein auser-
wählter Dori-Mann empfängt vom König ein Kallatscha.
Dieses wird zusammen mit den schon früher empfangenen Straußenfedern
aufbewahrt und beim nächsten Gada-Fest an den König zurückgegeben, der
diese Embleme dann erneut an diejenigen Männer austeilt, die in die Dori-
Stufe eintreten.
Vom Hause des Königs aus begeben sich alle Festteilnehmer zum Gada-
Platz in Adola. Der König zieht in weitem Abstand voraus, das Volk folgt
langsam nach. Insbesondere darf niemand vor ihm ein Gewässer durchqueren.
Bald nach seinem Aufbruch sendet der König einen Gadda-Mann zu dem
erwähnten, zweithöchsten K’allo und teilt ihm mit, daß es an der Zeit sei,
zum Gada-Fest zu gehen; er selber wäre bereits aufgebrochen. Der dieser Art
Aufgerufene bricht eiligst auf, um möglichst noch vor dem König den Fest-
platz zu erreichen.
Alle Leute, die zu einem Gada-Fest gehen, außer den Daballe, bemalen
Gesicht und Speere mit roter Farbe (Ocker von einem bestimmten Platz,
gemischt mit Butter). Diese rote Bemalung wird erst nach Rückkehr von dem
Fest wiederentfernt. Von den jungen Männern wird auch einiges Vieh zum
Festplatz getrieben, damit für die lange Zeit des Feierns die Ernährung
gesichert ist.
Während somit Ter Raba-Grad dadurch gekennzeichnet ist, daß nun
geheiratet wird und daß seine Schluß-Phase, die Dori-Stufe, den Auftakt
für den Übergang zu der wichtigen Gadda-Stufe gibt, zeichnet sich diese vor-
nehmlich dadurch aus, daß in ihr die Beschneidung stattfindet. Alle Knaben
und Männer, die neu in diesen Grad eingetreten sind, werden auf dem Gada-
Platz beschnitten. Jeder einzelne baut sich auf dem Festplatz eine kleine
Hütte (gösse), die von den Frauen nicht betreten werden darf. Die Be-
schneidung wird von einigen kundigen Männern mit einem kleinen Messer
284
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
(hadu, vgl. Foot, op. cit., S. 26: hadu, razor) vorgenommen, das auch zum
Haarschneiden benutzt werden kann. Die abgeschnittene Vorhaut wird vom
Beschneider an die Frau des Beschnittenen oder — wenn dieser unverheiratet
ist — an die Frau eines seiner Freunde gegeben. Die Frau begräbt die Vor-
haut daheim unterm Bett. 14 Tage lang bleiben die Beschnittenen in ihrer
Hütte; niemand darf zu ihnen. Die Frauen bereiten ihnen die Speisen und
legen sie vor der Tür nieder. In dieser Zeit dürfen sie nur Milch, jedoch kein
Wasser trinken. Dieselben Bestimmungen gelten auch für die Frauen der Be-
schnittenen, die jetzt ebenfalls beschnitten werden. Die Beschneidung wird von
einigen Frauen ausgeführt, die sich auf diese Kunst verstehen. Die Rekon-
valeszenz-Zeit dauert, wie bei den Männern, zwei Wochen. — Das abge-
schnittene Stückchen der Klitoris wird zusammen mit der Vorhaut des Gatten
daheim unter dem Bett vergraben. — Ferner legen die Frauen dieser in die
Gadda-Stufe eingetretenen Männer einen bestimmten Haarschmuck an.
Der König wird beim Eintritt in die Gadda-Stufe ebenfalls beschnitten,
und zwar von einem erfahrenen Batu- oder Yuba-Mann. Das Beschnei-
dungsmesser wird sieben Tage lang geschliffen und im Feuer gehärtet, seine
Schärfe wird an einem Grashalm erprobt. Die Vorhaut, die mit einem ein-
zigen Schnitt entfernt werden muß, wird der Gattin des Königs übergeben.
Diese Gada-Feste dauern etwa 1 bis 2 Monate. Es wird Tag und Nacht
getanzt, Männer und Frauen für sich. Die Männer, mit geschultertem Speer,
rühmen sich ihrer etwaigen Heldentaten, und die Frauen, die etwas abseits
In dem großen Haus des Königs tanzen, preisen die Taten ihrer Männer
oder meist ihrer Liebhaber. Das für den König extra hier erstellte Haus soll
etwa 50 m lang sein und zwei Eingänge haben.
Im übrigen sei der Festplatz durch nichts gekennzeichnet. Es gibt weder
irgendwelche Steinsetzungen, noch sind Holzplastiken, Masken, Schwirren
usw. im Zusammenhang mit dem Gada-Fest bekannt.
Der Verkehr mit Frauen kann beliebig lange erfolgen, auch noch über die
letzte Yuba-Stufe hinaus. Das Anlegen von Frauentracht seitens irgendwelcher
Würdenträger nach Erreichen einer bestimmten Stufe ist unbekannt.
Nach der Beschneidung findet das d’id’a statt, ein Raubzug gegen die
Borana, bei dem Menschen oder Großwild getötet werden müssen.
Von größerer Wichtigkeit ist aber ein gleichartiger, dula genannter Raub-
zug am Ende der Gadda-Stufe. Die beteiligten Männer oder Jünglinge
scheren sich den Kopf und lassen nur in der Mitte einen Haarschopf stehen.
Sie legen alle Armringe ab, die sie eventuell anläßlich früherer Großwild- und
Menschentötungen angelegt haben und geben sie ihren Frauen oder Geliebten
zu tragen. Derjenige, der von dem Unternehmen erfolgreich zurückkehrt,
schert sich den Haarschopf, salbt den Körper mit Butter und legt die Arm-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
285
ringe wieder an, vermehrt um einen neuen. Die Teilnehmer ziehen zum
Gehöft jedes einzelnen von ihnen, der bei dem Unternehmen erfolgreich
gewesen ist. Jeder Töter schlachtet ein Stück Vieh, das gemeinsam verzehrt
wird. Der Töter rühmt sich seiner Tat im Gesang. Hat er einen Menschen
getötet, so legt er sich für sieben Tage eine Perlenkette um, die schon von
einer Frau getragen wurde. — Bei Tötung eines Elefanten war früher an-
geblich auch ein Frauen-Tanz üblich. Als Beweis für die Tötung eines Men-
schen werden die Waffen des Erschlagenen mitgebracht. Penisraub „soll ja
vorgekommen sein, wäre doch aber sehr verwerflich“ — meinten die schlauen
Gewährsleute.
Heute ist es nicht mehr üblich, daß alle Gadda-Kandidaten nach Adola
gehen. Sie suchen sich ein Stück von ihrer Siedlung entfernt einen geeigneten
Platz aus, wo sie die Beschneidungshütten errichten.
Über die darauffolgende Batu-Stufe habe ich nichts weiter erfahren. Nach
den acht Jahren dieser Stufe scheiden die Männer aus dem Gada aus, sie
gelangen in die fiktive Yuba-Stufe und führen die Bezeichnung „gomarra“
oder auch „gad.dam.adji“. Sie arbeiten nichts mehr, töten keine Tiere — kurz,
sie sind wieder Kinder —, wie die Gudji sagen. Äußerlich sind sie durch einen
Haarschopf in der Mitte des Kopfes gekennzeichnet. Ein Mann, der das Gada
durchlaufen hat, wird nach seinem Tode vor dem Eingang zum Viehkral
begraben. Es wird eine Kuh geopfert, von deren Fleisch seine Eltern (man
sollte sich wundern, falls sie noch leben) nichts essen dürfen.
Ein Mann, der vor seinem Ausscheiden aus dem Gada-System starb, wurde
früher im Hause begraben. Es wurde weder um ihn getrauert noch ein Stück
Vieh für ihn geschlachtet. Dies entspricht der Bestattungsform für Kinder
(innen kurz vorm Eingang, auf der linken Seite) und Gada-Anwärter
(Daballe, vor dem Hütteneingang, aber noch unter dem Dach).
Das Gada-System der Gudji hat heute seine ehemalige Bedeutung weit-
gehend verloren. Die Einrichtung ist erstarrt und gibt keinen echten Aus-
druck mehr für die sinnvolle Lebensordnung des einzelnen und seiner Stam-
m esgemei nsch aft.
Die Heiraten werden völlig beliebig vollzogen. So stand z. B. einer meiner
Gewährsleute, Vater eines etwa 20jährigen Sohnes, kurz vor dem Eintritt
in die Kussa-Stufe. Sein Sohn könnte also erst im Alter von etwa 60 Jahren
die Raba-Stufe erreichen, in der allein früher das Heiraten erfolgte. — Eine
gewisse Rolle spielt die Zugehörigkeit zu den Gada-Graden noch beim Ein-
gehen eines illegalen Liebesverhältnisses. Ein Mann der die Gelegenheit sucht
oder wahrnimmt, mit einer ihm unbekannten, verheirateten Frau eine Nacht
zu verbringen, fragt sie zuvor nach dem „Namen“ ihres Gatten, d. h. nach
dessen Stellung im Gada-System. Entspricht diese Stellung seiner eigenen
286
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
(oder auch der seines Vaters z. B.), dann gibt der betreffende Mann sein Vor-
haben auf. Wir finden das auch z. B. in den Altersklassen der Niloten.
Lediglich die Beschneidung wird noch ausschließlich in der Gadda-Stufe
vorgenommen, unabhängig vom Lebensalter des Beschneidungskandidaten. Mit
dem durch die Amhara erlassenen Verbot der Kriegs- und Jagdzüge ist dem
System jedoch eines seiner ehemals wesentlichsten Elemente genommen. Be-
dauernd und resigniert vermerken die älteren Gudji diesen Wandel der Zeiten,
mit dem sie ihre zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem Bestand ihrer
alten Sitten und Einrichtungen begründen.
Irgendeine Mythe oder Legende im Zusammenhang mit dem Gada-System
war nicht zu ermitteln. Zwei sehr schwache Spuren deuten auf die Möglich-
keit, daß die in diesem System verankerte soziale Ordnung ihren Ursprung
und ihr Vorbild in einem mythischen Geschehen der fernsten Vergangen-
heit gehabt haben könnte:
a) Der Gada-Festplatz in Adola ist interessanterweise die gleiche Stelle, wo
nach der Entstehungssage Mäta, der Stammvater der Gudji, vom Himmel
gefallen war.
b) Die in der Gadda-Stufe beschnittenen Männer und Frauen dürfen in ihren
Hütten auf dem Gada-Platz kein Wasser, sondern nur Milch trinken.
Vgl. damit die Erzählung, daß es in der „Urzeit“ nur Milch gegeben
habe!
Die soeben erwähnte Lokalisierung des Gada-Platzes der Gudji erinnert
an das Stammes-Heiligtum der Baka, den Platz Gurder, an dem Geh, das
mythische Urzeit-Mädchen, ebenfalls vom Himmel herabgekommen war.
Ferner ist an beiden Plätzen den Vorgängen anläßlich der großen Stam-
mesfeste der Charakter einer Initiation nicht abzusprechen. Im Lichte neuerer
Auffassungen über die Entstehung der Viehzüchter-Kulturen gewinnen die
Hinweise auf solche Gemeinsamkeiten zwischen „Viehzüchtern“ und „Pflan-
zern“ eine besondere Bedeutung.
5. Die Gesellschafts-Organisation
Die tragende soziale Einheit der vorwiegend nomadisch lebenden Gudji ist
die Großfamilie. Sie oder die Sippe bildet eine sehr selbständige Wohn-
und Wirtschaftsgemeinschaft. Die verheirateten Söhne bleiben grundsätzlich im
Hause des Vaters wohnen; die Größe der Hütten richtet sich dement-
sprechend nach der Zahl der Familien- und Sippenangehörigen.
Mehrere Familien oder Sippen bilden gewöhnlich einen Siedlungsverband,
an dessen Spitze ein erwähltes Sippenoberhaupt steht. Diesem Anführer der
Siedlungsgemeinschaft fallen z. B. die Aufgaben zu, kleinere Streitigkeiten zu
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
287
schlichten, bestimmte, für den Verband wichtige Opfer oder Zeremonien zu
vollziehen, neue Weiden und Viehtränken zu erkunden und den Zeitpunkt
zu bestimmen, wann der Siedlungsplatzwechsel vorgenommen werden soll.
Die Familien und Sippen sind streng patriarchalisch organisiert. Neben dem
Familien-Vater nimmt auch der Vaterbruder eine wichtige Stellung ein. Er
bezeichnet die Kinder seines Bruders, die er mit einem Handkuß zu begrüßen
pflegt, als „Söhne“ und „Töchter“ und wird von ihnen dementsprechend
„Vater“ genannt.
Das religiöse und geistige Leben
1. Gottheit und Geister
Die Gudji glauben, wie alle Galla-Stämme, an den Himmelsgott Waka
(Wak, Waq), dessen Gestalt hier nicht näher beschrieben zu werden braucht.
Sie kennen jedoch nicht (oder nicht mehr?) die Unterscheidung zwischen dem
roten und dem schwarzen Waka. Im alltäglichen Leben, bei Beteuerungen
usw., wird dieser Gott unter der Bezeichnung „rabbi“ angerufen. In einer Er-
zählung wird Gott auch unter dem Ehrentitel des Königs, abba gadda, ge-
nannt (s. S. 302).
Über die sonst von den Galla häufig berichtete weibliche Gottheit Atete
oder eine ihr entsprechende Erscheinung wissen die Gudji nichts.
Außerordentlich vage sind auch ihre Vorstellungen von der Existenz, dem
Aussehen und dem Treiben irgendwelcher Geister. Von bestimmten Un-
wesen, durissa genannt, glaubt man, daß sie in Gewässern leben. Menschen,
die sich in der Nähe solcher Gewässer aufhalten und einander etwas Zu-
rufen, werden durch Antwortrufe dieser Geister genarrt. Eine Suche nach
ihnen ist vergeblich, da sie den Augen der Sterblichen unsichtbar bleiben. —
Etwas ausführlicher lauten die Berichte über Dämonen, die zuweilen einen
Menschen „entführen“. Erst nach Wochen kehrt der Betreffende wieder in
seine Behausung zurück. Er soll in der Zwischenzeit keinerlei Nahrung zu
sich genommen haben und hat nicht die geringste Erinnerung daran, was mit
ihm geschehen ist. — Ähnliche Erscheinungen sind ja aus vielen Teilen der
Welt bekannt. Sie finden sich meist bei Völkern, die den Schamanismus
kennen, und werden immer auf die Tätigkeit von Geistern oder Dämonen
zurückgeführt.
Auf die Existenz von Baumgeistern läßt die Mitteilung schließen, daß ein
Mensch erkrankt, wenn er bestimmte Bäume (der Beschreibung nach vermut-
lich eine Sykomoren-Art) fällt, die aus irgendwelchen Gründen (hervor-
gehoben wurde, daß dieser Baum viel Schatten spendet) besonders wert-
geschätzt werden.
288
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Unheimlich sind den Gudji vor allem die Totengeister (ekkerra), die her-
umirrenden Seelen der Verstorbenen. In den Nächten hört man sie schreien,
ein hohes, schrilles „rrrrrrrr . .
Wenn die Menschen in den Hütten das hören, schlagen sie mit den flachen
Händen das Sitzfell auf der Lagerstatt und sagen: „Hier sind nur Raba-Leute
in der Nähe, gehe weiter und suche nach alten (d. h. Yuba-) Männern und
Frauen!“ Es hat also den Anschein, als ob diese Totengeister Unglück, Krank-
heit oder Tod über die Lebenden bringen könnten.
Die Gudji erklären, daß die Totengeister die Angehörigen der Raba-Stufe
nicht leiden können. Wenn man berücksichtigt, daß Raba derjenige Gada-Grad
ist, in den früher geheiratet wurde, eine Stufe also, auf der die Menschen in
der vollen Kraft ihres Lebens stehen und wo der Tod noch verhältnismäßig
wenig Macht über das Leben hat, dann ist diese Erklärung der Gudji durch-
aus einleuchtend.
Nebenbei erhebt sich die Frage, ob das geschilderte Schlagen des Sitzfelles
mit den flachen Händen, offenbar als Geisterabwehr gedacht, einen ent-
fernten Zusammenhang haben könnte mit einem ganz ähnlichen Brauch der
Schangama, wo die Frauen bei den Totenfeiern am Boden ausgelegte Blätter
der Musa Ensete mit den Händen schlagen. Diese Blätter bilden die übliche
Unterlage zum Sitzen oder Schlafen.
2. Orakel und Krankenhehandlung
„Seher“, „Zauberer“, „Medizinmänner“ usw. behaupten die Gudji nicht zu
kennen. Dem widerspricht aber eine Mitteilung, wonach es Menschen geben
soll, die der „Schwarzen Magie“ kundig seien und sich dazu eines schwarz-
weiß-gezeichneten Vogels bedienen. Dieser Vogel lebt im Gehöft solcher Ma-
gier; er sitzt auf der Hütte oder im Viehkral, auf dem Rücken der Rinder.
Wenn der Besitzer dieses Vogels einem anderen Menschen schaden will, dann
sendet er den Vogel zu ihm. Daraufhin erkrankt der Betreffende, Blut dringt
ihm aus der Nase, und eventuell stirbt er sogar. Um den Besitzer des Vogels
zu versöhnen, bringt man ihm — selbst, wenn der Erkrankte sterben
sollte — Getreide, Kaffee, eine Ziege oder ein Rind oder Stoffe als Geschenk.
Das Sandalen-Orakel ist zwar bekannt, doch sind nur noch ganz wenige
Leute mit dieser Kunst vertraut. Mit Hilfe dieses Orakels wurde ermittelt,
ob erkrankte Menschen sterben würden oder Leute, die von einer Reise nicht
zurückkehrten, unterwegs vielleicht verstorben waren.
Gegen Krankheiten, über deren Ursachen man sich angeblich wenig Ge-
danken macht, gibt es keinerlei zweckentsprechende Heilmittel. Bei den
Gada-Festen ist es Aufgabe des Landesherrschers, Land und Leute und das
Vieh zu „segnen“ und darum zu bitten, daß sie von Not und Krankheiten
ßaessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
289
verschont bleiben mögen. Wenn diese oder andere Plagen dennoch auftreten,
sind sie als von Gott gesandt hinzunehmen, so vor allem die Geisteskrank-
heiten. — Schmerzende Körperteile werden nach weit verbreiteter Sitte mit
einem Feuerbohr-Holz gebrannt. Diese Methode wird besonders beim Vieh
angewandt. Beulen und Schwellungen z. B. werden rundherum und in der
Mitte gebrannt.
Auch gegen den „Bösen Blick“ (budda) wollen die Gudji kein Abwehrmittel
kennen.
3. Zeremonien
Es war mir nicht vergönnt, in der kurzen Zeit meines Aufenthaltes bei
den Gudji irgendeine der nachstehend erwähnten Zeremonien persönlich mit-
zuerleben. Die mehr oder weniger ausführlichen Berichte meiner Gewährs-
leute bilden daher die einzige Grundlage für die Beschreibung der religiösen
Sitten und Gebräuche dieses Volkes.
Abgesehen von den bereits erwähnten feierlichen Handlungen in Verbin-
dung mit den Gada-Festen sowie einigen Bräuchen, die sich auf die Jagd
von Großtieren oder den Bau einer neuen Siedlung beziehen, hängt nahezu
das gesamte Zeremonial-Leben irgendwie mit dem Viehzucht-Komplex zu-
sammen. Nur vor dem Hintergrund und im Rahmen der ausgeprägten vieh-
züchterischen Lebens- und Wirtschaftsform, deren charakteristische und weit
verbreitete Elemente H. Baumann einst zu der Aufstellung seiner „osthami-
tischen Großviehzüchter-Kultur“ veranlaßten, erweisen die Zeremonien ihren
Sinn und Inhalt.
a) Wie nicht anders zu erwarten, findet sich bei den Gudji die Mehrzahl
der typischen Viehzüchter-Elemente wieder; einiges erscheint jedoch nur ange-
deutet oder abgeschwächt, und manches mag vielleicht verlorengegangen oder
nie vorhanden gewesen sein.
Das sogenannte „Kuhblasen“ erfolgt, wenn der Milchfluß der Kühe aus
irgendeinem Grunde nachläßt oder aufhört. Nur erwachsene Jünglinge und
Männer üben diese Handlung aus.
Die den Kühen zur Anregung des Milchflusses vorgehaltene „Kalbspuppe“
findet Verwendung, wenn ein junggeborenes Kalb stirbt. Tritt der Tod noch
am Tage der Geburt ein, so nimmt man das ganze Fell des Kalbes, auf
einige Stöcke aufgezogen, um die Kalbspuppe herzustellen.
Wenn das Kalb einige Tage nach seiner Geburt stirbt, so verwendet man zu
diesem Zwecke nur das Kopffell mit den daran sitzenden Ohren.
Das Melken der Kühe (in Ledergefäße) kann auch von den Frauen vor-
genommen werden, wenn nicht genügend männliche Arbeitskräfte zur Ver-
19 Baessler-Archiv IX
290
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Fügung stehen. Lediglich während der Menstruation ist den Frauen das Mel-
ken grundsätzlich untersagt.
Ein Verbot, Milch und Wasser in einem Gefäß zusammenzubringen, besteht
nicht. Milchgefäße dürfen auch mit Wasser gereinigt werden; eine Reinigung
mit Kuh-Urin, der auch zum Waschen der Lederkleidung und als Heilmittel
Verwendung findet, erfolgt angeblich nur an den Außenwänden der Gefäße.
Das Hüten der Rinder ist eine ausschließlich den Männern vorbehaltene
Tätigkeit. Diese Arbeitsteilung der Geschlechter ergibt sich aber aus den Lebens-
verhältnissen eines reinen Flirtenvolkes ganz natürlich. Lediglich das Jung-
vieh sowie Schafe und Ziegen werden von den Mädchen und Frauen betreut.
Ein sogenannter „Rinder- oder Split-Totemismus“ ließ sich bei den Gudji
nicht feststellen. Auch die Institution eines „Heiligen Stieres“ ist nicht über-
zeugend nachzuweisen. Zwar besitzt jede Familie (oder Sippe?) einen Stier,
von dem sie sich nicht trennen mag, doch darf er angeblich nach Belieben
getötet werden. Seine Ohren sind nicht mit dem üblichen Besitzerzeichen ver-
sehen; er trägt aber zuweilen eine Glocke umgebunden. Wenn man in dieser
kleinen Sonderstellung eines Familien- oder Sippenstieres den Ansatz zu einer
Verehrung des „Heiligen Stieres“ sehen will, so ist dieses „Kulturelement“
hier jedoch weitaus geringer ausgeprägt als bei vielen anderen Viehzüchter-
stämmen, — immer vorausgesetzt, daß die diesbezüglichen Angaben der
Gudji vollständig und richtig waren.
Die offenbar wichtigste Rolle unter allen Zeremonien spielt
b) Die rituelle Tiertötung. Nur der Familienvater darf ein Rind töten. Nach
seinem Tode steht dieses Recht allen seinen Söhnen zu, aber erst dann, wenn
der älteste Sohn an einem bestimmten „Glückstage“ (am gidada-Tage) einen
Teil des Viehs, die Bekleidung und den Speer des verstorbenen Vaters an
dessen ältesten Bruder ausgehändigt hat. Niemals steht einer Frau das Recht
zu, irgendein Tier zu töten. Man glaubt, daß in diesem Falle ein Mann sterben
müßte und sich das Vieh nicht mehr vermehren würde.
Man unterscheidet zwischen der gewöhnlichen Schlachtung, die zur Nah-
rungsgewinnung nach Bedarf stattfinden kann, und der rituellen Tier-
tötung zu „Opfer“zwecken.
Das Tiertöten findet im Viehkral statt. Nachdem das Kehlfell des zur
Tötung ausersehenen Tieres andeutungsweise mit einem Speer angeschnitten
wurde, wird die Kehle mit einem großen Messer durchschnitten. Bei einer
Tötung anläßlich des Todes eines Elternteiles entfällt der vorherige Anschnitt
durch die Speerklinge.
Zweimal im Jahr, und zwar in den Monaten abrarsa und hadolesa, ist
es üblich, dem Gotte Waka ein Rinderopfer darzubringen. Man bittet dabei
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
291
Waka um gute Gesundheit für Mensch und Vieh und um reiche Vermehrung
der Herden. Dieses Opfer wird in den gleichen Monaten auch vom Abba
Gadda vollzogen, um Regen hervorzurufen. Grünes Gras wird in das Blut
des Opfertieres getaucht, und damit bestreicht man dann Mensch und Vieh.
Alle Knaben und Männer, die im Gada-System stehen, malen sich mit dem
Blut einen von der Stirn bis zur Nasenspitze reichenden Strich ins Gesicht.
Alle diejenigen aber, die noch nicht in das System eingetreten sind bzw.
erst in der „Anwartsstufe“ stehen (Daballe) oder bereits wieder ausgeschieden
sind (Yuba), dürfen das Blut nicht selber berühren. Ein Luba-Mann, d. h.
ein Angehöriger irgendeiner „echten“ Gada-Stufe, streicht ihnen das Blut
zunächst auf die Kehle, wobei er ihnen ein langes Leben wünscht. An-
schließend werden die beiden nebeneinandergestellten Füße der betreffenden
Personen mit dem Blute beschmiert, begleitet von dem Wunsch: „Tritt auf
(oder: schreite über . . .) etwas Gutes, finde etwas Gutes!“ (etwa in dem
Sinne von: „Möge Dir etwas Gutes begegnen!“).
Das Fell des Opfertieres wird in Streifen geschnitten. Die Frauen und
die Angehörigen der Daballe-Stufe tragen einen solchen Fellstreifen um den
Hals, alle übrigen (wahrscheinlich aber mit Ausnahme der Yuba) binden
ihn um die Stirn.
Das Fleisch der zeremoniell getöteten Tiere wird in der Hütte desjenigen
Mannes, der das Opfer veranstaltet, unter Beteiligung vieler Gäste verzehrt.
Bevor der Festschmaus beginnt, läßt sich ein anwesender Luba-Mann etwas
Milch zum Trinken reichen. Dann fordert er die erste Frau des Gastgebers
auf, sich auf das Bett zu setzen, und zwar so, daß ihre gekreuzten Füße
das Abschlußholz (gulanta) am Fußende des Bettes berühren (vgl. den ähn-
lichen Vorgang bei der Hochzeitszeremonie, S. 313). Der Ehemann nimmt,
ebenfalls mit gekreuzten Lüßen, neben dem Bett auf einem Schemel Platz.
Nun reicht der Luba-Mann der Frau ein Gefäß mit Milch, die seitlich ge-
haltene Öffnung mit einem dagegengehaltenen Deckel verschließend. Die Frau
gibt, ohne zu trinken, das Gefäß an ihren Mann weiter. Dieser trinkt von
der Milch und reicht das Gefäß an seine Frau zurück, die es auf dem Boden
absetzt, nachdem sie zuvor ebenfalls getrunken hat. Beide werden dann von
dem Luba-Mann mit den Worten „gesegnet“: „Liebt Euch, lebt lange und
glücklich zusammen!“.
Es hat fast den Anschein, als ob mir hier eine Hochzeitszeremonie be-
schrieben worden wäre; die Gudji versicherten aber, daß dieser Brauch im
Zusammenhang stünde mit dem Verzehr des Opfertieres.
Die Lungen sowie der Schädel und die Knochen des Tieres werden weg-
geworfen.
19*
292
Schulz-Weidner, Der Stamm der GudjI-Galla
Bemerkt sei hier noch, daß bei den Gudji, entgegen dem Brauch bei man-
chen anderen Viehzüchter-Stämmen, Fleisch und Milch offensichtlich am
gleichen Tage genossen werden dürfen.
Interessant ist, daß die in der Nähe meines Camps lebenden Gudji diese
Opferzeremonie bisher noch nicht vollzogen hatten, da sie sich hier nicht
„auf dem Boden ihrer Väter“, sondern im ehemaligen Borana-Land be-
fänden. Die Grenze zwischen den Gudji und den Borana soll früher weiter
nördlich verlaufen sein. Das Gebiet, von dem hier die Rede ist, läßt sich
mehr oder minder noch als ein Niemandsland kennzeichnen, in dem sich
beide Völker berühren. Langsam, aber unaufhaltsam rücken die Gudji nach
Süden vor.
Einen wesentlichen Bestandteil der zeremoniellen Tiertötung bildet
c) die Eingeweideschau. Sie darf nur von einem Euba-Mann (also einem
Angehörigen der Gada-Stufen Dobi bis (?) Batu) vorgenommen werden.
Jedes Opfer oder jede sonstige Zeremonie, nicht aber die gewöhnliche
Schlachtung eines Tieres zu Nahrungszwecken, gibt einen Anlaß, aus den
Eingeweiden das Orakel zu lesen. Auch wenn ein Mann einen sehr bösen
Traum gehabt hat, werden die Eingeweide befragt. Über alle wichtigen Er-
eignisse im Leben eines Einzelmenschen, z. B. ob er erkranken oder sterben,
heiraten oder ein Kind bekommen wird, sucht man sich mit hülfe der Ein-
geweideschau zu orientieren. Wenn das Ergebnis ungünstig lautet, schlachtet
man am nächsten und eventuell auch noch am übernächsten Tage ein zweites
oder drittes Tier. War die Auskunft des Orakels sehr schlecht, dann werden
die weiteren Tiere noch am gleichen Tage getötet. Das zuerst geschlachtete
Tier, das vorsichtshalber noch nicht ganz aufgebrochen wird, wirft man weg,
wenn die Eingeweide-Befragung auch bei den übrigen Tieren zu keinem
guten Ergebnis führte. Nachdem einige Tage verstrichen sind, tötet man ein
viertes Tier, das diesmal aber eine Ziege sein muß. Angeblich soll dieses
letzte Orakel immer günstig sein.
Über die Entstehung des Eingeweide-Orakels erzählen die Gudji folgende
kleine Geschichte:
Gott verteilte einst an alle Völker „etwas Geschriebenes“. Auch Urago,
der Stammvater der Gudji, erhielt ein Schriftstück. Er nahm es mit nach
Hause, doch begegnete ihm das Mißgeschick, daß eine seiner Kühe das
Schreiben auffraß. Urago schlachtete die Kuh, konnte das Schreiben aber
nicht mehr finden. Dessen Inhalt erkannte er aber in der Zeichnung (Muste-
rung) der Eingeweide wieder. Seit jener Zeit kann man also in den Ein-
geweiden „lesen“, sie sind die „Heilige Schrift“ der Gudji.
d) Die Jagd auf Großwild ist ebenfalls mit einigem Zeremoniell verbunden,
das zum Teil einen recht altertümlichen Eindruck macht.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
293
Möglicherweise handelt es sich um Elemente der Steppenjägerkultur, mit
der die Gudji, ebenso wie andere Viehzüchterstämme, in frühem Kontakt
gestanden haben, wenn nicht gar die „jägerischen“ Elemente den Viehzucht-
Kulturen immanent sind.
Vor Antritt einer Großtierjagd erkundigt sich der Mann bei seiner Ge-
liebten (jeder Gudji-Mann hat — man möchte fast sagen: ganz legal — eine
Geliebte, die in seinem Leben meist eine größere Rolle spielt als seine
legitime Frau), ob deren Gatte am Vorabend des Auszugs zur Jagd daheim
ist. Wenn ja, dann schickt er seine Frau zu der Geliebten, mit der heimlich
vorzutragenden Bitte, sie möchte ihm etwas Milch und Tabak als Geschenk
überreichen. Seine Bitte findet immer Gehör; die Frau des Jägers bringt ihm
die gewünschten Dinge mit.
Ist der Gatte der Geliebten zu der fraglichen Zeit nicht anwesend, dann
verbringt der Jäger eine Nacht bei ihr. Bevor er sie am Morgen verläßt,
kauert sich seine Geliebte mit weit-gespreizten Beinen und leicht gebeugten
Knien zu Boden. Der Mann muß dann von hinten her unter ihrem rechten
Bein durchkriechen20.
Alsdann kehrt er in seine Hütte zurück, wo er sich von seiner Mutter und
seiner Frau ebenfalls für die bevorstehende Jagd „segnen“ läßt. Seine Mutter
salbt ihm die Mitte des Kopfes mit Butter, wobei sie den Wunsch äußert:
„Finde etwas Gutes! Töte!“ Dann stellen sich seine Mutter und seine Frau
mit dem haroresa-Stock (s. „Hochzeit“, S. 313) vor ihn hin und halten
den Stock so vor sich auf den Boden gestützt, daß er geduckt durch das
von Leib, Armen und Stock gebildete „Tor“ hindurchgehen kann.
Für diese Form der „Passage-Riten“ gibt es viele Parallelen bei anderen
Stämmen und Völkern. Bei allen Anlässen, wo vom Menschen die Er-
neuerung und Reinheit seines Wesens gefordert wird, um für einen neuen
Lebensabschnitt oder eine besondere Handlung bereit und reif zu sein, sich
somit des Glücks, des Segens und des Erfolges versichernd, gewinnen diese
Riten ihre sinnvolle Bedeutung.
Die Wesenserfüllung des Mannes sowohl wie der Frau liegt zu einem
großen Teil darin, daß sie — jeder auf seine Art — „fruchtbar“ werden,
d. h. daß ihre Anstrengungen und Tätigkeiten zu einem sichtbaren Ergebnis
führen. Erst die Bewährung im Leben, der Erfolg bei der Bewältigung der
naturgegebenen bzw auch von der Situation vorgeschriebenen oder selbst-
gesetzten Aufgaben, macht den Mann und die Frau geschlechts-spezifisch
20 Eine wertvolle Ergänzung und Vertiefung der hier dargelegten Gedanken, ihnen
eine beste Fundierung bietend, findet sich in dem großangelegten Werk von H.
B a u m a n n, „Das Doppelte Geschlecht“ (Berlin 1955), insbesondere S. 64/65.
Auch diese Arbeit stand mir leider bei der Ausarbeitung meines Manuskriptes
noch nicht zur Verfügung.
294
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
„echt“, d. h. zum ganzen Mann und zur wahren Frau. Der Erfolg, das
„Fruchttragen“ im geistigen, körperlichen und biologischen Sinne ist das Ziel,
auf das Wunsch und Wille der Menschen gerichtet sind. Um zu diesem Ziel
zu gelangen, gibt es — neben der eigenen Anstrengung — viele Mittel und
Wege, von denen eines eben jene Zeremonien sind, die der Läuterung und
Reinigung des Menschen (in Vorbereitung auf seine Aufgaben oder eine neue
Lebensphase) dienen, und ein anderes in solchen Bräuchen liegt, die dem
Menschen irgendwie zur Fruchtbarkeit, im weitesten Sinne des Wortes, ver-
helfen sollen. Sehr häufig hängen daher die hierhergehörigen Zeremonien
mit der Sphäre des Sexuellen zusammen, in der sich ja das Phänomen der
Fruchtbarkeit mit am sinnfälligsten äußert. Die polare Spannung der Ge-
schlechter, das natürliche Gesetz des Zu-, Für- und Miteinander von Mann
und Frau, verlangt aber die Gemeinschaft beider, oder zumindest die wechsel-
seitige Berücksichtigung. Es geht darum, Antrieb zu finden, irgendwie an
der Kraft, an der „Mächtigkeit“ des anderen teilzunehmen. Liier liegt der
Ansatzpunkt zum Verständnis der vielen Bräuche, die — beispielsweise im
vorliegenden Falle — von dem Manne verlangen, zu Beginn eines wichtigen
Unternehmens die Berührung mit der weiblichen Wirkkraft zu suchen, sei
es durch den intimen Verkehr mit der Geliebten (der gegenüber die Span-
nungsgeladenheit und die Intensität der Empfindungen stärker sein können
als gegenüber der eigenen Frau), sei es durch einen kaum weniger intimen
Kontakt, wie ihn etwa das Hindurchkriechen durch die gespreizten Beine
oder durch das von den Frauen gebildete „Tor“ darstellt.
Man vergleiche damit, um nur ein Beispiel unter vielen anzuführen, den
Bericht von Esterman21, wonach bei den Kwanyamas in SW-Angola an-
läßlich des Festes der Heiratsfähigkeit die Mädchen in der Schlußszene eines
Tanzes zwischen den Beinen eines Mannes hindurchkriechen
Wenn der Jäger von seinem Auszug zur Jagd oder zur Menschentötung
erfolgreich zurückkehrt, ist er berechtigt, seine Taten durch Anlegen eines
bestimmten Schmuckes öffentlich auszuweisen. Von der Tötung eines Men-
schen zeugt ein Elfenbein-Ring am rechten Oberarm oder ein schmaler Metall-
Reif (mitschiro) am linken Handgelenk.
Wurde ein Elefant erlegt, schmückt sich der Jäger mit einem ornamentier-
ten Kupfer- (oder Messing- ?)Rcif (sagitu) am rechten oder linken Unter-
arm, oder trägt am linken Oberarm einen Elfenbein-Ring (hirbora22). An seine
Stelle kann auch ein Messing-Reif (laka) treten, der gewöhnlich nach erfolg-
reicher Rhinozeros-Jagd angelegt wird. Die Tötung eines Büffels wird durch
21 Esterman, P. G., „Le bétail sacré chez quelques tribus du sudouest de
l’Angola“, in „Anthropos“, Bd. XLV, 1950, S. 731.
Foot, op. cit., S. 30: irbora = bracelet for the upper arm.
22
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
295
das Tragen eines Aluminium-Reifes (malda23 24) am rechten Unterarm gekenn-
zeichnet. Da die Verwendung dieses Metalls nur ganz jung sein kann, ist
zu vermuten, daß früher ein Messing-, Kupfer- oder vielleicht Eisen-Arm-
reif getragen wurde.
Über die sonstigen, mit der Tötung von Mensch oder Großwild zusammen-
hängenden Bräuche wurde oben bereits berichtet.
4. Naturbeobachtung und Kalender
Wie alle Menschen, die in engster Verbindung mit der Natur und in teil-
weise unmittelbarer Abhängigkeit von ihr leben, verfügen die Gudji über
einen ganzen Schatz an „Volksweisheit“, der das bekannte Konglomerat von
Erfahrungstatsachen und Glaubensvorstellungen aufweist. Im Vordergrund
steht hier die Beobachtung derjenigen Anzeichen und Erscheinungen, die mit
der Ernährung und dem Wirtschaftsleben Zusammenhängen, somit also für
die Existenz der Familien oder des ganzen Stammes von besonderer Be-
deutung sind.
a) zu den Verhaltensweisen, die z. T. auf empirischer Grundlage, d. h. auf
Beobachtung und Erfahrung, beruhen, gehört auch die Berücksichtigung des
Vogelrufes — das Vogel-„Orakel“. Die Gudji kennen zwei Vögel, dschoge
und tum’adissa, deren Stimme sie „verstehen“ und deren „Rat“ sie befolgen
würden. Zur Erklärung dieses Phänomens berichten sie: Schon zu der Zeit,
als Gott noch auf der Erde lebte, waren die Menschen in arm und reich ge-
schieden. Eines Tages versuchten die Armen, Gott zu töten, was ihnen aber
nicht gelang. Daraufhin gab Gott den Menschen diese beiden Vögel, die ihnen
künftig sagen sollten, was gut oder böse, recht oder unrecht sei. —
Bei der Wahl eines neuen Siedlungsplatzes richtet man sich nach dem Ruf
eines dieser Vögel. Hört man ihn zur Linken, dann wendet man sich bei
der Suche nach dem geeigneten Lagerplatz zur linken Seite, hört man ihn
zur Rechten oder zwei Vögel zu beiden Seiten des Weges, so zieht man nach
rechts. —
Den bevorstehenden Tod eines Menschen oder drohende Kriegsgefahr
wissen die Vögel ebenfalls zu verkünden. Vor allem aber zeigen sie den
Menschen an, wo sich Jagdwild und Bienen-Nester befinden. Ganz ohne
Zweifel handelt es sich bei dem einen dieser Vögel um den weitverbreiteten
Honigvogel (cuculus indicator), der auch z. B. bei den Galla, Massai, Nandi,
Hottentotten, Zulu, Buschmännern und Bambuti-Pygmäen in der gleichen
Funktion bekannt ist21.
23 Foot, op. cit., S. 41: maldaya = Bracelet.
24 Vgl. dazu Bodenheimer, P. S., „Insects as Human Food“, Den Haag 1951,
S. 171, 178 f. — Ferner L e s 1 a u , Wolf, „Populär Interpretation of Bird Sounds
in Ethiopla“, in „ Journal of American Folklore“, Bd. 65, Nr. 258, Okt.-Dez. 1952.
296
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
b) Besondere Aufmerksamkeit schenkt man den atmosphärischen Erschei-
nungen, die z. T. mit dem lebenswichtigen Regen Zusammenhängen.
Ein nicht ganz zu einem Ring geschlossener „Hof“ um den Mond herum
bedeutet in der Trockenheit, daß die Regenfälle bald einsetzen werden. Daß
der Regenbogen (hi tu waqa, „Gürtel Waka’s“) die Beendigung eines Regens
anzeigt, ist den Gudji bekannt. — Wind, Sturm, Wolken und Gewitter
kommen von Osten — eine Feststellung, die für die Zeit meines Aufenthalts
bei den Gudji den Tatsachen entsprach. Die weiße Wolke wird dumessa ge-
nannt, die schwarze, Regen- oder Gewitterwolke waqa (== Bezeichnung für
„Gott“). Über die Entstehung von Blitz und Donner gibt es eine kleine Er-
zählung (s. S. 305).
Als ein Vorzeichen für bevorstehenden Krieg gilt es, wenn der Mond trübe
und rot verschleiert ist. Wenn ein Flecken im Mond die Gestalt eines Leo-
parden hat, dann bedeutet das die Geburt eines Leoparden auf Erden. Es
ist interessant, bei den Gudji einen solchen Beleg für den Parallelismus
astraler und irdischer Vorgänge wiederzufinden, der nach den Untersuchungen
von O. Zerries25 eindeutig ein Element jägerischer Geisteshaltung ist. Wenn
bei den Gudji auch nicht klar gesagt ist, daß der Leopard im Mond als
Herr und Besitzer dieser Tierart auftritt, so ergibt sich doch aus dem Zu-
sammenhang, daß hier eine gleichartige Vorstellung vorliegt wie etwa bei
den Arawak von Guayana oder den Kalinja, wo die herrschenden Geister
der Tierarten ihren Sitz in den Sternbildern haben und wo sich die be-
treffende Tierart vermehrt, sobald im Laufe des Jahres ein Sternbild am
Himmel erscheint. Dieselbe Idee findet sich auch bei den Taulipang und
Arekuna. Die Bedeutung der Mondflecken leitet über zu dem
c) Kalenderwesen der Gudji. Man unterscheidet 27 Mondflecken, von denen
jeder den günstigen oder ungünstigen Charakter eines Monatstages bestimmt.
Da der Monat angeblich zu 28 Tagen gerechnet wird, ist demnach jeweils
ein Tag „ohne Charakter“. Mein bester Gewährsmann, ein Gudji-Jüngling,
war in der Lage, ohne größere Schwierigkeit die Namen und die Bedeutung
dieser 27 Tage aufzuzählen. Er begann dabei, ob zufällig oder absichtlich,
vermag ich nicht zu sagen, mit dem Tage, der auch für den Aufbruch des
Stammeshäuptlings zu dem alle acht Jahre stattfindenden Gada-Fest am
günstigsten ist. Zu der Zeit meines Aufenthaltes bei den Gudji fiel dieser
Monatstag z. B. auf den 12. September 1951.
Die Namen und Eigenschaften der Monatstage sind folgende:
25 Zerries, O., „Sternbilder als Ausdruck jägerischer Geisteshaltung in Süd-
amerika“, in Paideuma, Bd. V, H. 5, Wiesbaden 1952, S. 222, 225.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
297
1. róda gut
2 garbitti gut geeignet für Heirat, Schlachtfest, sonstige Zeremonien
3. ballo gut dto.
4. adulla k’arra sehr gut Kinder, die an diesem Tage geboren werden, erhalten den Namen Adulla (mask.) oder Adulle (fern.)
5. adulla age gut
6. harattu unbestimmt Feste werden vermieden
7. dati gut günstig für Geburten und Tiertötung
8. dulatti schlecht
9. bitta k’arra schlecht
10. bitta age schlecht
11. sórsa unbestimmt
12. alga dschima gut Feiertag (Arbeitsruhe)
13. arba gut möglichst keine Zeremonien an diesem Tag. Kind, das an diesem Tage geboren wird, hat ein rastloses Wesen
14. bólla sehr gut
15. bassa k’arra ungünstig besonders für Geburt, Hochzeit und Tod un- günstig.
16. age ungünstig
17. tsch’arra gut
18. durarti sehr gut besonders gut für das Vieh
19. dulatti gut
20. bidirsa gut
21. tschalbana gut
22. karabitscha gut
23. gardaduma gut
24. bussa k’arra schlecht
25. bussa tdd’u schlecht
26. bussa age schlecht
27. gid’ada schlecht (?)
Daß der 8. und der 19. Monatstag den gleichen Namen führen, wird wohl
auf einen Irrtum beruhen, zumal dieser Tag einmal als „gut“ und das andere
Mal als „schlecht“ bezeichnet wurde.
Die Monate werden von Neumond zu Neumond gezählt. Zweimal 14 Tage
ergeben einen Monat.
Die Namen für die zwölf Monate sind teilweise identisch mit den Monats-
namen der Wollega-Galla, wie mir mein Dotmetscher-Boy, ein Wollega-
Jüngling, versicherte. Die Bezeichnungen für die Monate lauten (Woll.
= Wollega-Galla):
April bad’essa
Mai bissidotessa
Juni tsch’amsa (Woll.)
Juli ebilla
August wot’abedji
September hadolesa (Woll.)
Beginn der Regenzeit
298
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Oktober hagaia (Woll.)
November birra (Woll.)
Dezember onkolesa
Januar sadesa
Februar abrärsa
März k’ämu (Woll.)
Kleine Regenzeit
Über die Bedeutung der einzelnen Monats- und Tagesnamen habe ich nichts
in Erfahrung gebracht. Nähere Bemerkungen zu dem Kalender der Gudji
würden eine Spezial-Untersuchung über das Kalendersystem bei den Galla
erfordern, für die hier aber nicht der Raum ist. Nur ganz zufällig bietet
sich uns zum Vergleich eine kurze Abhandlung von L. Reinisch über den
„Astrologischen Kalender der ,Afar£ “ an. Bei den Afar ist es das Vorrecht
der Könige, das Amt des Regenmachers auszuüben und zu bestimmen, welche
Tage für ein wichtiges Unternehmen oder Geschehen günstig oder ungünstig
sind. Besonders bei Geburt und Hochzeit spielt das Horoskop eine große
Rolle. Sämtliche in dem astrologischen Kalender der Afar vorkommenden
Gestirnsnamen tragen, nach Reinisch, ein fremdes Gepräge und lassen sich
nicht aus der Afar-Sprache erklären. Von den vier Namen, die Reinisch mit
Vorbehalt auf eine arabische Bezeichnung zurückführen zu können glaubt,
scheinen wenigstens zwei auch bei den Gudji vertreten zu sein;
Afar: adälla, aus arab. ad-dalu, „Wassermann“, Gudji: adulla
Afar: salbana, aus arab. iz-zu-banyä, Stern in der Waage,
Gudji: tschalbana.
Für einige Monatsnamen findet sich eine Deutung in dem mit Vorsicht zu
benutzenden „Galla-English—English-Galla Dictionary“ von E.C.Eooi (Cam-
bridge 1913): Chamsa — very dry weather (was hier für den Juni aber
nicht zutreffen würde), birra = spring, about October to January (hier:
November). Weitere Vergleiche wären lexikalisch zwar noch möglich, sind
aber zu unsicher.
3. Das Erzählgut
Die Gudji haben, wie alle vorwiegend viehzüchterischen Stämme Nordost-
und Ostafrikas, zahlreiche kleine Erzählungen, die hauptsächlich aus Tier-
fabeln, ätiologischen oder Moralgeschichten bestehen. Eigentliche Mythen
waren kaum zu erwarten und konnten auch nicht festgestellt werden; in
manchen ätiologischen Erzählungen steckt aber ein kleiner mythologischer
Kern. Lieder, Gebete und Sprichwörter sind bestimmt vorhanden, wurden
aber von mir nicht aufgezeichnet.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
299
I. Tierfabeln und ätiologische Erzählungen
a) In alter Zeit hüteten Löwe und Hyäne gemeinsam ihr Vieh. Dem Löwen
gehörten die Ochsen und Stiere, der Hyäne die Kühe. Immer abwechselnd
hütete einer von ihnen die Tiere. Als der Löwe eines Tages wieder an der
Reihe war, fraß er einige von den Kühen, die der Hyäne gehörten. Am
Abend trieb er das Vieh von der Weide zurück und sagte zur Hyäne, sie
möge ihr Vieh zählen, jedoch nicht die Körper, sondern die Beine. Die
Hyäne tat dies, und beim Zählen der vielen Beine bemerkte sie nicht, daß
ihr einige Stück Vieh fehlten. Jedesmal nun, wenn der Löwe an der Reihe
war, das Vieh zu hüten, fraß er einige Kühe der Hyäne, bis zum Schluß
nur noch zwei übrig blieben. Beide Tiere waren trächtig. Als der Tag heran-
kam, wo sie kalben sollten, sagte der Löwe zur Hyäne: „Heute werde ich
das Vieh hüten“, und er zog mit den Tieren auf die Weide. Die Kühe
kalbten. Der Löwe nahm die Nachgeburt und steckte sie einem seiner Ochsen
in das Hinterteil. Nach Rückkehr von der Weide sagte er zu der Hyäne;
„Mein Ochse hat heute gekalbt!“ Die Llyäne fürchtete sich vor dem Löwen
und getraute sich nicht, ihm etwas zu antworten. Sie rief aber alle alten
Leute ( = Tiere) zusammen. Sie konnten jedoch mit ihrer Beratung nicht
beginnen, weil das Kaninchen noch fehlte. Endlich kam es, und es wurde
von den Anwesenden aufgefordert, Platz zu nehmen. Das Kaninchen kam
diesem Wunsche aber nicht nach, sondern ließ sich nur auf seine Hinter-
beine nieder. „Warum bist Du nicht pünktlich gekommen?“, fragte man das
Kaninchen. „Ich habe einen zerbrochenen Stein wieder zusammengenäht“,
antwortete das Kaninchen. „Wie“, fragte der Löwe — „hat man je so etwas
gehört oder gesehen?“ „Hat man je einen Ochsen kalben gesehen?“, ent-
gegnete das Kaninchen, sprang auf und ergriff sofort die Flucht. Die Hyäne
bekam die ihr rechtmäßig zustehenden Kälber zugesprochen. Seit jener Zeit
aber sind Löwe und Kaninchen Leinde.
b) Löwe und Luchs lagerten einst zusammen. Der Löwe hatte seine
Wohnung auf der Erde, der Fuchs aber auf einem Baum. Fern von ihren
Wohnungen töteten sie eines Tages einen Ochsen. Der Löwe sprach zum
Fuchs: „Nimm die Leber, Nieren und Eingeweide, mein Bruder, und trage
sie zu Dir nach Hause. Das übrige Lleisch aber bringe in mein Haus.“ Der
Fuchs verfuhr aber gerade umgekehrt: Jedes gute Stück Fleisch, das der
Löwe ihm gab, nahm er zu sich nach Hause, jedes Stück Eingeweide aber
brachte er zur Wohnung des Löwen. Nach getaner Arbeit ging der Löwe
heim und bat seine Lrau um ein großes, gutes Stück Fleisch. „Ich habe kein
solches Fleisch“, sagte die Löwin, „ich habe nur Leber, Nieren und Ein-
geweide bekommen.“ Da wurde der Löwe sehr böse und machte sich auf
den Weg zur Wohnung des Luchses. Dieser hatte inzwischen einen großen
3oo
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Stein mit Fett umwickelt und ins Feuer gelegt. Danach war er zum Wasser
gegangen. Der Löwe traf den Fuchs nicht an und ging ebenfalls zum Wasser,
um nach ihm zu suchen. Er fand ihn dort und sprang auf ihn zu, um ihn
zu fangen. Der Fuchs ergriff die Flucht und der Löwe setzte ihm nach. Ge-
rade am Fuße des Baumes, auf dem der Fuchs seine Wohnung hatte, holte
er ihn ein und packte ihn am Schwanz. Der Fuchs löste sich vor Angst und
sagte rasch zum Löwen: „Es ist ja ganz verkehrt, daß du das weiche Ding
da (den Schwanz) ergriffen hast, du mußt das harte (die Losung) packen!“
Der Löwe ließ den Schwanz los und griff nach der Losung. Diesen Augen-
blick benutzte der Fuchs, um auf seinen Baum zu springen, wohin ihm der
Löwe nicht folgen konnte. Dann sagte der Fuchs zum Löwen:
„Binde deinen Schwanz an diesem Baum fest, lege den Kopf auf die Erde
und strecke den Hintern hoch; dann werde ich Dir gutes Fleisch hinunter-
werfen.“ Der Löwe tat so. Da nahm der Fuchs den fettumwickelten, heißen
Stein und steckte ihn in das Gesäß des Löwen. Dieser starb sofort.
c) Der Fuchs tötete einst ein Büffelkalb. Das sah die Krähe und bat den
Fuchs, mit ihr das Fleisch zu teilen. Der Fuchs willigte ein, teilte das Fleisch
und wies die Krähe an, jeweils ein Stück davon in ihr bzw. in sein Haus
zu tragen. Als er mit dem Ausschlachten des Kalbes fertig war, ging er
heim, fand aber kein Fleisch vor, weil die Krähe alles zu sich gebracht hatte.
Da bestrich der Fuchs seinen Körper mit Blut, legte sich auf die Erde und
stellte sich tot. Die Krähe kam herbei, setzte sich auf einen Baum, krähte
und war im Zweifel, ob der Fuchs wirklich tot sei. Lfm sich zu vergewissern,
sagte sie: „Wenn in unserem Land jemand stirbt, dann wackelt er mit den
Ohren.“ Der Fuchs hörte das und wackelte mit seinen Ohren. Da sagte die
Krähe: „Oh, er ist ja gar nicht tot“, und flog davon. Einige Zeit später
kam sie wieder zurück und sagte noch einmal: „Wenn in unserem Land je-
mand stirbt, dann wackelt er mit den Ohren.“ Diesmal fiel der Fuchs aber
nicht darauf herein. Da glaubte die Krähe, daß er wirklich tot sei. Sie flog
herab und pickte zunächst die Blutstropfen auf, die der Fuchs verspritzt
hatte, als er sich mit dem Blut beschmierte. Langsam kam sie ihm näher
und versuchte, auf ihn einzuhacken. Da packte der Fuchs zu und schickte
sich an, die Krähe mit einer Keule totzuschlagen. Die Krähe sprach in ihrer
Angst: „Es war mir bestimmt, in einem Loch zu sterben, nicht aber, mit
einer Keule erschlagen zu werden.“ Da nahm sie der Fuchs an beiden Füßen
und schleppte sie zu einem Loch, um sie dort hineinzustecken. Diesen Augen-
blick benutzte die Krähe, um zu entfliehen. Der Fuchs zog ärgerlich In ein
anderes Land.
d) Der Pavian war früher ein Mensch. — Ein Knabe bat einst seine
Mutter, ihm etwas geröstetes Getreide zu geben. Die Mutter trug ihm auf,
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
301
eine Pfanne zu nehmen und auf das Feuer zu setzen. Er tat dies. Als die
Pfanne heiß war, bat der Knabe erneut seine Mutter um etwas Getreide
zum Rösten. „Ich habe kein Getreide“, sagte die Mutter ärgerlich, „geh’
in den Wald und iß die Früchte des Waldes!“ Da setzte sich der Knabe
(vor Wut?) auf die heiße Pfanne, verbrannte sich das Gesäß und lief in
den Wald. Noch heute haben daher die Paviane ihr „verbranntes“ Hinterteil.
e) Das Rhinozeros war früher ein Mensch, und zwar ein geisteskranker.
Noch heute betrachtet man das Nashorn als „verrückt“. Es nimmt, beispiels-
weise, den Menschen an, anstatt davonzulaufen, wendet sich gegen die eigenen
neugeborenen Jungen usw. In einem Gesang anläßlich der Tötung eines Nas-
horns spotten die Gudji noch heute über die Verrücktheit dieses Tieres.
f) Als der Löwe noch ein Mensch war, bat er einmal Gott, ihm die Stärke
von acht Männern zu verleihen und es so zu fügen, daß er bei einer Ver-
wundung an irgendeiner Körperstelle alsbald sterben würde. Gott gewährte
ihm dies, der Mann wurde ein Löwe, und noch heute weisen die Löwen
die genannten Eigenschaften auf.
g) Gott schickte sich eines Tages an, an den Löwen, Leoparden und die
Hyäne Farben zu verteilen. Er rief dazu alle Leute zusammen, darunter
auch das Kaninchen. Dieses kam aber nicht pünktlich. Gott gab inzwischen
dem Leoparden als erstem seine Farbe. Dann rief er die Hyäne. Unterdessen
war auch das Kaninchen herbeigekommen. „Warum bist du so lange ausge-
blieben?“, fragte man das Kaninchen. Dieses antwortete: „Die Leute haben
Fleisch auf den Boden gelegt, Blut auf den Weg vergossen und diesen mit
Knochen versperrt!“ Als das die Hyäne hörte, sagte sie: „Oh, mein Vater,
laß mich gleich dorthin gehen, dieses zu sehen; niemals zuvor sah ich der-
gleichen!“ Und sie machte sich sofort auf den Weg. Nirgends aber konnte
sie etwas entdecken. So kehrte sie schließlich um, um nunmehr von Gott
ihre Farbe zu erhalten. Gott war aber inzwischen weggegangen.
Bis heute ist die Hyäne ein dummes Tier geblieben26.
Der Löwe, der hier ebenfalls seine Farbe bekommen sollte, erbat sich statt-
dessen von Gott die Stärke von acht Männern.
h) Die Hyäne versuchte eines Tages, den Mond zu fressen. Sie kletterte
höher und höher, konnte ihn aber nicht erreichen. Schließlich fiel sie herab
und brach sich einen Lauf. Seitdem haben alle Hyänen ein Hinkbein.
i) Gott (waqa) lebte früher auf der Erde. Eines Tages sandte er die Ziege
aus, ihm etwas Wasser zu holen. Die Ziege ging zum Wasser und tummelte
sich darin herum, so daß es ganz schlammig wurde. Dieses schmutzige Wasser
26 Als das gescheiteste Tier betrachten die Gudji einen kleinen Affen, der die Feld-
arbeit der Menschen genau beobachtet und sich gleich ihnen von Feldfrüchten
ernähren würde.
302
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
brachte sie dann zu Gott, der sie deswegen schalt und bestimmte, daß ihr
Schwanz künftig nach oben zeigen sollte. Dann sandte er das Schaf aus,
ihm Wasser zu holen. Das Schaf brachte ihm klares Wasser, und dafür
durfte es seinen Schwanz weiterhin herabhängend tragen.
k) Vor langer, langer Zeit lebte ein Mann auf Erden. Er ging eines Tages
spazieren, und als es Abend wurde, schlief er am Wege. Ihn fror, und er
bat Gott (Abba Gadda!), ihm Wärme zu schenken. Gott lehrte ihn das
Feuerbohren. Der Mann setzte sich in den Schatten eines großen Baumes
und tat, wie ihm geheißen war. Er quirlte die Hölzer, sagte „h—n“ dabei
und erzeugte das Feuer. Ein Löwe im Walde beobachtete ihn dabei und
ahmte ihn nach, um ebenfalls das Feuer zu gewinnen. Es gelang ihm nicht,
aber noch heute machen auch die Löwen „h—n“ (ein Laut des Röchelns
oder Ächzens).
l) Gott (waqa) lebte früher auf der Erde. Eines Tages schlug ihn ein
Maultier. Böse darüber ging Gott zum Himmel und fluchte dem Maultier,
daß es in Zukunft unfruchtbar sein solle. (Ein weitverbreitetes Motiv, u. a.
auch bei den Wollega-Galla zu finden. Vgl. auch die Erzählung der Zala
über die Trennung von Himmel und Erde.)
m) In alter Zeit lebte einmal eine Frau. Sie erwartete ein Kind. Eines
Tages verspürte sie starken Hunger und bat ihren Mann, er möge ihr
Nahrung verschaffen. Dann legte sie sich schlafen und sagte zu ihren Kindern:
„Weckt mich nur, wenn der Vater mit einer Kuh zurückkommt. Wenn er
nur eine Ziege bringt, laßt mich schlafen.“ Ihr Mann kehrte mit einer Ziege
heim. Dennoch weckten die Kinder ihre Mutter. Diese sprach ärgerlich:
„Wie kann ich von der Milch dieser Ziege satt werden?“ Sie nahm den
(Mittel- ?)Pfosten der Hütte und das Fell, auf dem sie schlief, und ging in
den Wald, wo sie sich in einen Elefanten verwandelte. Der Hüttenpfosten
wurde zum Stoßzahn (? oder zum Rüssel), das Fell zum großen Ohr.
II. Moralisierende Erzählungen
a) Es lebten einmal ein Mann, eine Frau und deren beider Sohn. Sie wech-
selten eines Tages ihren Wohnplatz und bauten sich eine neue Hütte. Als
sie fertig war, fragte der Mann seine Frau: „Was kann ich nun noch für
dich tun, was wünschst du dir am meisten?“ „Ich wünsche mir, daß du
bald stirbst und daß ich mir dann mein Haar schön ordnen und zu einem
anderen Mann gehen kann, um mit ihm zu schlafen!“, sagte die Frau. Da
richtete der Mann dieselbe Frage an seinen Sohn. „Ich wünsche mir, daß
du bald stirbst und daß ich dann dein Vieh bekomme, um mir dafür Maul-
tiere und schöne Kleider für meine Geliebte kaufen zu können“, antwortete
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
303
der Sohn. Und er fügte hinzu: „Da du nun uns alle gefragt hast, was wir
uns am meisten wünschen, so sage auch du uns, was du am liebsten hättest.“
Da sprach der Mann: „Ich wünsche mir, mit euch allen zusammen, mit Weib
und Kind und Vieh, in Glück und Frieden zu leben!“
b) Es waren einmal sieben Freunde: Löwe, Schlange, Feuer, Wasser, Bokku
(Getreidestampfer), Lüge und Wahrheit. Sie zogen gemeinsam auf Raubzug
aus. Der Löwe war der stärkste von ihnen und führte sie auf guten Wegen.
Sie beratschlagten miteinander, wie sie bei ihrem Vorhaben vorzugehen
hätten. Als sie zu einer Ansiedlung kamen, zerbrach der Löwe Zäune und
Tore, und das Leuer fraß sie auf. Die Bewohner wunderten sich, was das
für Wesen seien, die so etwas tun konnten, und beschlossen fortzuziehen. Die
sieben Freunde eigneten sich das Vieh an, das sie vor allem der Tat des
Löwen und des Feuers zu verdanken hatten, und machten sich auf den
Heimweg. Am Abend des ersten Tages sagte die Lüge zur Schlange: „Wir
wollen den Löwen nicht mehr mitnehmen; er hat das viele Vieh gestohlen.
Töte ihn!“ Die Schlange biß den Löwen und dieser starb. Am nächsten
Abend sagte die Lüge zum Bokku: „Wir wollen die Schlange nicht mehr mit-
nehmen; sie hat den Löwen getötet und sich das ganze Vieh angeeignet.
Schlage sie in’s Genick und töte sie!“ Der Bokku tötete die Schlange. Am
dritten Abend sprach die Lüge zum Feuer: „Wir wollen den Bokku nicht
mehr mitnehmen; er hat die Schlange getötet und das ganze Vieh an sich
genommen. Töte ihn!“ Das Feuer fraß den Bokku.
Die übriggebliebenen Freunde wurden nun von der Lüge auf schlechten
Pfaden über das Gebirge geführt. Sie befahl dafür folgende Marschordnung:
Das Leuer, als der stärkste von ihnen, sollte am Schluß gehen. Vor dem
Feuer sollte das Wasser gehen. Der Wahrheit wies die Lüge einen Platz
hinter sich selber und dem Vieh an. So zogen sie weiter heimwärts. Das
Feuer kam dem vor ihm gehenden Wasser zu nahe und wurde ausgelöscht.
Die Wahrheit konnte der Lüge nicht so schnell folgen; sie ging so langsam
wie eine Schildkröte. Drum sagte sie zur Lüge; „Geh du nur voran, ich
werde morgen nachkommen.“ Die Lüge nahm das Vieh und zog nach Hause.
Hier tötete sie einige Stück Vieh und prahlte gegenüber ihrer Familie, daß
sie ganz allein das ganze Vieh erbeutet hätte.
Die Wahrheit folgte indessen den Spuren des Viehs und gelangte endlich
am späten Abend zum Haus der Lüge. Sie bat, ihr das Tor zu öffnen, doch
die Lüge verweigerte das und wies die Wahrheit an, durch ein Loch in der
Hüttenwand hereinzukommen. Die Wahrheit aber zog es vor, die Nacht
im Freien zu verbringen. Am nächsten Morgen, als das Tor zum Haus der
Lüge wieder geöffnet wurde, schlüpfte sie hinein. Dann rief sie einige alte
Männer herbei und sprach zu ihnen: „Wir waren sieben Freunde, die ge-
304
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
meinsam auf Raub auszogen. Nun sind wir nur noch zwei; alle anderen
hat die Lüge um’s Leben bringen lassen.“
Da sprachen die Alten die Lüge für schuldig und jagten sie davon. Die
Lüge brach in drei Stücke. Das eine Stück ging in den Mann ein, blieb aber
schon in seiner Kehle stecken. Das zweite Stück ging in das Vieh ein und
blieb dort ebenfalls schon eingangs stecken. Das dritte Stück aber ging in
die Frau ein und gelangte tief in ihr Inneres. Seitdem lügen alle Frauen.
c) Zwei Freunde unterhielten sich einst. Der eine behauptete im Gespräch,
daß alle Frauen lügen würden. Der andere widersprach ihm heftig. „Gut,
ich will es dir beweisen“, sagte der erste. „Wir werden jetzt gemeinsam zu
mir nach Haus gehen. Ich werde meine Frau um etwas Milch bitten, und
wenn sie diese bringt, werde ich sie auffordern, zuerst dir die Milch anzu-
bieten. Wenn sie dir dann das Gefäß reicht, dann kratze sie unauffällig
mit deinen Fingernägeln an ihrer Hand27.“ Sie taten wie besprochen. Als
der Mann die Frau seines Freundes kratzte, flüsterte diese überrascht: „Oh,
mein Freund, was ist?“ „Was hast du?“, fragte sie ihr Mann. „Ach, nichts!“,
antwortete ihm die Gattin, „mir wäre nur beinahe das Milchgefäß aus den
Händen geglitten.“ „Siehst du nun, mein Freund“, sprach darauf der Gatte
zu dem anderen, „hatte ich nicht recht, wenn ich behaupte, daß die Frauen
immer lügen?!“
d) Ein Knabe hütete einst Kälber. Er zog mit ihnen in den Wald und
kehrte nicht mehr zurück. Lange Zeit suchten die Leute vergeblich nach ihm.
— Der Knabe wuchs indessen mit den Kälbern auf. Diese wurden groß
und hatten selber wieder Kälber. Eines Tages fand man ihn bei Galläbba28,
an einem Platz K’uke djabbibaddi29. Als der inzwischen herangewachsene
Knabe die vielen fremden Leute sah, hob er einen Ochsen aus seiner Herde
auf und schleuderte ihn gegen sie. Er tötete zwei Menschen. Als alle Ver-
suche, ihn zur Heimkehr zu bewegen, ohne Erfolg blieben, ließen die Leute
von ihm ab. Doch sandte man ihm nach einiger Zeit zwei Frauen. Der Bursche
wunderte sich sehr bei ihrem Anblick und unterließ es, mit einem Ochsen
nach ihnen zu werfen. Die Frauen zogen sich nackt aus; da mußte der
Bursche lachen. Er nahm sie beide und schlief zwei Monate lang immer
abwechselnd mit ihnen. Als die Leute dann wiederkamen, um ihn zu holen,
konnte er nicht einmal ein Kalb mehr heben und gegen sie schleudern. Er
mußte sich ergeben.
27 Dies offenbar als ein verstecktes Zeichen „illegaler“ Werbung.
28 Dieser Ort soll heute eine Polizeistation östlich unseres Notlagers in der Gudji-
Steppe sein.
29 „Hügel, wohin die Kälber entwichen“, oder ähnlich. Vgl. Foot, op. cit., jabbi
= calf, bada = escape. K’uke ist eventuell verwandt mit karka = füll (?).
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
305
III. Sonstige Erzählungen
a) In alter Zeit ging einmal eine Kuh von der Weide zurück zu dem An-
wesen ihres Besitzers, um nach ihrem dort befindlichen Kalb zu schauen.
Die Frau des Hauses schlug sie dafür und trieb sie fort. Da rannte die Kuh
in den Wald und verwandelte sich in einen Büffel (wohl; Büffelkuh).
b) In alter Zeit gab es kein Wasser auf Erden. Es floß nur Milch, und
nur die Männer durften sie holen. Eines Tages ging nun eine Frau zu einem
solchen Milch-Fluß und nahm darin ein Bad. Da verwandelte sich alle Milch
in Wasser, das seitdem von den Frauen geholt werden muß.
c) Ein Mann stritt einst mit seiner Frau. Er setzte sich auf ein Löwen-
fell, das mit ihm gen Himmel fuhr. Die Frau fuhr ihrem Manne nach,
um ihn zu suchen. Das Funkeln ihres Messingarmreifens erzeugt die Blitze,
und mit dem Löwenfell des Mannes wird der Donner gemacht.
Dieselbe Geschichte erfuhr ich von einem anderen Gewährsmann wesent-
lich ausführlicher:
d) Ein Löwe nahm sich einst mit Gewalt ein Mädchen zur Frau. Er
brachte sie zu seiner Höhle in einen Felsen. Des öfteren ging er auf die
Jagd, um Fleisch für seine Frau zu beschaffen. Eines Tages, als er wieder
auf Jagd war, kamen zufällig die Brüder des geraubten Mädchens zu dem
Felsen, um hier ihre Schafe und Ziegen zu hüten. Sie standen oben auf
dem Felsen. Das Mädchen in der Löwenhöhle spürte sie auch und sprach
vor sich hin: „Ich rieche meine Brüder, was mag das wohl sein?“ Die
Brüder hörten die Stimme ihrer Schwester, gingen heim und berichteten es
dem Vater. Dieser machte sich auf den Weg zur Höhle, fand seine Tochter
und nahm sie mit nach Hause.
Als der Löwe von der Jagd zurückkehrte, fand er die Höhle leer. Er
ging zu dem Vater des Mädchens und fragte ihn: „Warum hast du mir
meine Frau genommen? Gib sie wieder zurück!“ Der Mann aber tötete den
Löwen mit dem Speer. Sie nahmen das Fell, trockneten es und legten es ins
Haus. Das Mädchen kam nun eines Tages von der Arbeit heim und fragte
die Mutter: „Ich bin müde, wo kann ich mich mal ausruhen?“ „Setz dich
auf das Fell deines Gatten“, sagte die Mutter. Die Tochter tat das, und
das Fell ging mit ihr sofort zum Himmel. Wenn Gott (waqa) das Fell
schüttelt, ertönt der Donner. Die Blitze aber sind das Funkeln des Messing-
Armringes (sagetu), den das Mädchen trug.
e) Die Wahrheit bat einst Gott, er möge sie auf die Erde senden. Als sie
auf die Erde kam, zog sie über das Meer und gebar die Europäer. Diese
kamen später in das hiesige Land; sie sprechen immer die Wahrheit.
f) Eine verheiratete Frau hatte einen Liebhaber. Als sie wieder einmal
mit ihm zusammen war, sagte sie zu ihm: „Ich liebe dich sehr!“ „Nein, ich
20 Baessler-Ardiiv IX
306
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
glaube nicht, daß du mich wirklich liebst“, sagte der Mann. „Doch, ich
liebe dich sehr“, erwiderte sie ihm. „Wenn du mich liebst“, sprach ihr Ge-
liebter, „dann beweise es mir, indem du deinem Manne den After weg-
schneidest!“ „Wenn weiter nichts ist — das kann ich tun“, meinte die Frau
und ging heim. Ihr Mann, mit dem sie einen Sohn hatte, war beim Yieh-
hüten. Als er nach Hause kam, saß sie da und weinte. „Was ist denn los,
sag’ es mir!“, fragte ihr Gatte. „Ach, frag mich nicht, das kann ich dir nicht
sagen“, antwortete die Frau. „Sag es mir doch!“, bat er sie noch einmal. Da
sprach sie: „Ein Mann kam zu mir und sagte, daß unser Sohn sterben müßte.
Und es gäbe nur ein Mittel dagegen: den After des Vaters wegzuschneiden“.
“Wenn’s weiter nichts ist, das will ich gerne für meinen Sohn ertragen“,
sagte der Mann, „schneide mir den After ruhig weg!“ Sie gingen nun gemein-
sam hinaus an den Platz, wo sie ihre Notdurft zu verrichten pflegten. Die
Frau schnitt ihrem Gatten den After weg, und sie gingen damit in die Hütte
zurück. „Nun braucht unser Sohn nicht zu sterben!“, erklärte die Frau,
„aber es müßte jetzt auch noch ein Ochse geschlachtet werden.“ Denn es lag
in ihrer Absicht, ihren Geliebten mit ausreichend Fleisch zu versorgen. Ihr
Mann willigte ein, um das Leben seines Sohnes um jeden Preis zu erhalten. —
Bei günstiger Gelegenheit ging die Frau wieder zu ihrem Liebhaber und
händigte ihm den After ihres Mannes aus. Ihr Geliebter steckte sich diesen
auf seinen Finger und war zunächst zufrieden.
Einige Zeit später besuchte er den betrogenen Gatten, der kurz zuvor
den Ochsen geschlachtet hatte, und als sie gemeinsam beim Brettspiel saßen,
machte der Liebhaber ständig einige Anspielungen, indem er sagte; „Ich
,schneide* dich30, wie die Frau, die ihrem Manne den After wegschnitt!“
Schließlich wußte der Gatte Bescheid, was gemeint war. Als der Gast die
Hütte verlassen hatte, ging der Mann hinaus und setzte sich hinter den
Viehkral. Nach einiger Zeit kam auch seine Frau dorthin, denn sie hoffte,
ihren Liebhaber hier zu treffen. Sie sah im Dunkeln eine Gestalt dort sitzen,
glaubte, es wäre ihr Geliebter und fragte: „Hat er den Ochsen geschlachtet?“
„Ja, das hat er getan!“, antwortete ihr Mann. „Und habe ich nicht, wie
versprochen, den After meines Mannes weggeschnitten und dir gegeben?“,
fragte sie weiter. „Ja, das hast du“, sagte ihr Mann, sprang auf, ergriff sie
und schnitt ihr zur Strafe für den Betrug die Nase ab.
Lebenslauf
1. Gehurt
Die Kinder werden in der Wohnhütte zur Welt gebracht. Der Gatte ist
bei der Geburt zugegen, ferner eine kundige Frau als Hebamme. Vor dem
30 „Schneiden“ ist hier ein spieltechnischer Ausdruck.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
307
Gatten kauernd, auf dessen Knie gestützt und von der seitlich stehenden
Hebamme um den Leib gefaßt, bringt die junge Frau ihr Kind zur Welt.
Die Nabelschnur wird von der Hebamme zunächst mit einem Stück Bambus
symbolisch angeschnitten, danach mit einem kleinen Messer abgeschnitten.
Wenn ein Knabe geboren wurde, gibt man die Nabelschnur (hanura) einer
Kuh zu fressen; diese Kuh gehört dann dem Knaben. — Bei Geburt eines
Mädchens heftet sich die Mutter die Nabelschnur ans Gewand, wo sie hängen
bleibt, bis sie abfällt. Erfolgte die Geburt an einem Unglückstag, so wartet
man mit dem Abschneiden der Nabelschnur, bis ein Glückstag kommt. Früher
wurden die Kinder, die an einem Unglückstage geboren wurden, an ein
kinderloses Ehepaar weggegeben oder ausgesetzt, weil man sonst den Tod
des Vaters befürchtete. Die Nachgeburt (hobäti) und der an ihr haftende
Rest der Nabelschnur werden in den Viehmist gelegt, den man zu diesem
Zweck vom Viehkral ins Haus trägt. Dieser Mist mit der darin enthaltenen
Nachgeburt wird dann von niemandem mehr berührt. Irgendwelche Feiern
oder Zeremonien anläßlich der Geburt finden nicht statt. Nur bei der Geburt
eines Kindes für den Abba Gadda wird von den Angehörigen und Gästen
getanzt. Die Namensgebung erfolgt während des Abschneidens der Nabel-
schnur durch den Vater. Die Namen für Knaben und Mädchen sind ver-
schieden.
Einige festgestellte Namen bezogen sich auf den Sonnen- oder Mond-Auf-
und Untergang.
Kinder, die ihre ersten Zähne im Oberkiefer bekommen, werden weg-
gegeben.
Zwillings-Geburten gegenüber verhält man sich indifferent; Zwillinge wer-
den auf jeden Fall aufgezogen.
Drillings- oder Vierlingsgeburten sind unbekannt. Fälle von angeborenem
Schwachsinn sollen nicht Vorkommen.
Nach der Geburt erhält die junge Mutter einen Aufguß von Kaffeeblättern
zu trinken, gemischt mit Butter, Milch und Salz. Sie soll nur gute, kräftige
Nahrung zu sich nehmen, und so wird extra ein Stück Vieh für sie ge-
schlachtet, das nur von ihr und ihrem Gatten verzehrt wird. Wie üblich
gehen aber die Mahlzeitreste an die Kinder.
Eine Woche nach der Geburt des Kindes findet das erste rituelle Haar-
schneiden statt. Handelt es sich um einen Knaben, dann gibt man etwas von
seinem Haar einer Kuh zu fressen, die dann ebenfalls sein Eigentum wird.
Dieses Geschenk von 2 Kühen an einen neugeborenen Knaben ist fest-
stehender Brauch. Darüber hinaus kann er aber noch von seinen Brüdern
oder anderen Verwandten Vieh geschenkt bekommen.
20*
308
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Bei einem Mädchen befestigt die Mutter etwas von dem abgeschnittenen
Haar an ihrem Gewand.
Das „Wochenbett“ der Frau dauert drei Monate. Sooft sie während
dieser Zeit das Flaus verlassen muß, verhüllt sie ihr Haupt und benutzt
einen Weg, der nicht zum Viehkral oder durch diesen hindurchführt. Sie
hat zwar eigene Eß- und Trinkgefäße, doch können diese angeblich auch von
ihrem Mann benutzt werden.
Während dieser drei Monate beschmiert sich die Frau beide Augenlider
bzw. die Augenpartie mit Ruß (tsch’ile).
Im Gegensatz zu den anderen Stämmen, die ich kennenlernte, verbargen
die Gudji-Frauen — zumindest in meiner Gegenwart — beim Stillen die
Brust, obwohl sie sonst die Brust frei tragen. Das Männerkindbett ist un-
bekannt.
Nach der Geburt eines Kindes enthalten sich die Ehegatten angeblich zehn
Monate lang des Verkehrs. Diese Angabe ist jedoch unwahrscheinlich. Eher
dürfte eine andere Aussage richtig sein, wonach man sich früher bei Geburt
eines Knaben für 6 Monate, bei Geburt eines Mädchens für 5 Monate des
Verkehrs enthielt. Heute sollen diese Fristen um je zwei Monate reduziert
sein.
Die Ehisicherheit der Gudji gegenüber diesem Brauch deutet darauf hin,
daß er sich in einem allmählichen Verfall befindet.
2. Verlobung und Hochzeit
Wegen des offenbar herrschenden Frauenmangels bei den Gudji — wobei
dieser Ausdruck relativ zu werten ist, da die Gudji ja in Polygamie leben
und durchschnittlich 3 bis 4 Frauen haben — werden die Mädchen schon als
kleine Kinder verlobt. Es ist aber auch möglich, ohne vorangegangene Ver-
lobung zu heiraten.
Die Gattenwahl ist insofern beschränkt, als die Heiratsklassen- und Klan-
zugehörigkeit berücksichtigt werden müssen. Die Einzelheiten dazu wurden
bereits dargelegt. Ein Mädchen darf aber auch dann nicht geheiratet werden,
wenn dessen Vater denselben Gada-Grad bekleidet wie der Vater des Be-
werbers. In diesem Falle wäre nämlich das Mädchen eine „Schwester“
des Freiers.
Der junge Mann, der sich mit einem noch nicht heiratsfähigen Mädchen
verloben will, geht eines Tages gegen Abend zum Viehkral der Eltern dieses
Mädchens, kurz bevor dieser verschlossen wird. Wenn die Eltern den Kral
verlassen und in ihre Hütte gehen, folgt er ihnen. Er beobachtet alles genau,
erkundigt sich nach dem Befinden der Leute und des Viehs, spricht im
übrigen aber kein Wort. Nachdem er die Nacht in der Hütte verbracht hat
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
309
geht er am nächsten Morgen nach Hause. Einige Tage später, jedoch immer
nur an einem „Glückstag“, geht er zusammen mit seinem Vater auf die
gleiche Weise erneut zu den Eltern des erwählten Mädchens. Sein Vater
ruft den Vater des Mädchens heraus und fragt ihn, ob seine Tochter schon
verlobt sei. Wenn nicht, dann erklärt er ihm, daß sein Sohn beabsichtige,
dieses Mädchen zu heiraten. Vater und Sohn verbringen die Nacht in der
Hütte und gehen am frühen Morgen heim. Nach etwa einer Woche stellt
sich der junge Freier wieder im Hause der künftigen Schwiegereltern ein,
wo er nun einige Tage lang (etwa 3 bis 14 Tage, nach Belieben) bei ihnen
arbeitet, Zäune errichtet oder ausbessert, das Vieh zur Tränke führt, usw.
Mit dem Mädchen selber spricht er kein Wort. Das Kind wehrt sich gegen
die geplante Bindung und sträubt sich heftig gegen jeden noch so freund-
lichen Annäherungsversuch des jungen Mannes. — Nach dieser ersten Arbeits-
leistung ruft der Schwiegervater in spe den Vater des Freiers zu sich und
erklärt ihm, je nachdem, ob er den Bewerber anerkennt oder nicht, daß er ihm
seine Tochter geben oder aber verweigern wolle.
Den Zeitpunkt der Heirat bestimmt der Vater des Mädchens; er richtet
sich danach, wie jung dieses bei der Verlobung noch ist, und es kann unter
Eimständen sieben Jahre dauern, bis der junge Mann das Mädchen heim-
führen darf. Zwischenzeitlich muß er immer wieder einmal bei seinen
Schwiegereltern arbeiten. Auch bringt er ihnen zuweilen Kaffee und Tabak
als Geschenk mit. Das Mädchen selber aber bekommt nichts; es verhält
sich nach wie vor feindselig gegen den Freier.
Wenn dem jungen Manne die Wartezeit zu lange dauert, kann er in-
zwischen ein erwachsenes Mädchen heiraten. Ohne dessen Eltern um ihr Ein-
verständnis zu bitten, versucht er, mit dem betreffenden Mädchen selber
einig zu werden. Er läßt sie entweder durch einen Freund bitten und fragen,
oder er übernimmt das persönlich. Nach Verständigung seiner eigenen Eltern
knüpft er mit dem Mädchen ein Verhältnis an, das er dann bald zur Heirat
führt.
Während der Verlobungszeit ist es in das Belieben des Bewerbers gestellt,
den Brauteltern, zumal wenn sie arm sind, etwas Vieh (etwa 1 bis 5 Kühe)
zu schenken. Man tut das gewöhnlich, um sich die Gunst der Schwiegereltern
zu erhalten und ihnen die Möglichkeit zu nehmen, ihre Tochter wieder zu-
rückzunehmen, bevor sie noch „gekauft“ ist. Dieser „Kauf“, d. h. die Zahlung
des Braut- oder richtiger: des Kindpreises31 erfolgt dadurch, daß die Schwie-
gereltern drei Kühe erhalten, sobald die junge Frau nach der Hochzeit das
erste Kind geboren hat. Von nun an ist die Frau ein „Eigentum“ des Mannes.
31 Vgl. die Arbeit von Jeffreys, M. D., „Lobolo is child-price“, in „African
Studies“, Bd. 10, Nr. 4, Dezember 1951.
310
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Sie darf ihn nicht mehr verlassen, ihre Eltern haben keinerlei Anrechte mehr
auf sie, und sie dürfen angeblich nicht einmal einschreiten, wenn ihre Tochter
vor ihren Augen von dem Schwiegersohn erschlagen werden würde. Die
Gudji-Männer betrachten ihre Frauen durchaus als einen materiellen Besitz.
Eine ihrer Redensarten lautet; „Die Frau ist mein Geld; also braucht sie
selber kein Geld.“ Sie halten die Frauen für rechtlos und behaupten, sie
beliebig schlecht behandeln zu können. Das ist jedoch reine Theorie, die Praxis
sieht, wie wir noch kennenlernen werden, ganz anders aus.
Vor der Geburt eines Kindes und dementsprechend vor Zahlung des Kind-
preises hat die junge Frau noch immer die Möglichkeit, bei schlechter Be-
handlung durch ihren Gatten in das Elternhaus zurückzukehren. In diesem
Falle muß ihr Mann „alte“ Männer (die aber noch im Gada-System stehen)
bitten, den Frieden zwischen ihnen wieder herzustellen. Die Frau konnte aber
auch bei einem Bruder oder einem anderen männlichen Verwandten ihres
Gatten Zuflucht nehmen. Von dessen Freundlichkeit hing es dann ab, ob er
die Frau gutwillig wieder herausgab und einen Vergleich zwischen beiden
Eheleuten herbeiführte. Er konnte aber auch eine Männerversammlung ein-
berufen, den angeschuldigten Gatten wegen seines schlechten Verhaltens zur
Rede stellen und ihn sogar bestrafen lassen, was gewöhnlich in Form einer
Tracht Prügel geschah. Diese Aktion vollzieht sich etwa folgendermaßen:
Die ohne Wissen des Ehemanns einberufene Versammlung berät sich zu-
nächst eingehend über die zum Gegenstand der Klage gemachten Vorfälle
und das Verhalten des Mannes. Dann wird dieser herbeigeholt und nach
Betreten der Flütte sofort umringt. Man befragt ihn, ob er sich die von seiner
Frau angegebene Verfehlung hat zu Schulden kommen lassen. Wenn er diese
eingesteht, wird er an Armen und Beinen gepackt, festgehalten und mit
Stöcken, die von den Männern gleich mitgebracht wurden, solange verprügelt,
bis er verspricht, seine Verfehlung nicht zu wiederholen. Hartgesottene „Sün-
der“, die evtl, zu stolz sind, dieses Versprechen abzulegen, werden unter
Umständen totgeschlagen.
Auch bei den Schwiegereltern kann die Frau gewöhnlich Schutz finden. Ein
Mann, der seine Frau aus irgendwelchem Grunde verprügeln will, ist daher
oft gezwungen, dies abseits von der Hütte zu tun; er muß ihr auflauern,
wenn sie das Vieh hütet, Holz oder Wasser holen geht. Bei tätlichen Ausein-
andersetzungen innerhalb der Hütte oder des Gehöftes mischen sich die Eltern
ein, stellen sich, wenn es angebracht erscheint, schützend vor ihre Schwieger-
tochter und greifen sogar den eigenen Sohn an, wenn dieser keine Vernunft
annimmt.
Je nach Reichtum des Bräutigam-Vaters betrug früher der Kindpreis 20 bis
100 Stück Vieh. Dieser Substanz-Verlust kompensierte sich aber meist da-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
311
durch, daß die Mitgift der Tochter normalerweise ebenso hoch sein sollte.
Außerdem kann der Vater des jungen Mannes von dem Vieh, das er für
ihn als Kindpreis zahlte, einige Stück zurückverlangen, sobald sich dieses
Vieh vermehrt hat.
Ob und in welcher Höhe der Kindpreis gezahlt wird, ist heutzutage an-
geblich ganz in das Belieben des Freiers gestellt. Mit einiger Resignation er-
klären die Gudji; „Die alten Zeiten sind ja doch vorbei, alles ist im Ver-
fall begriffen, warum sollen wir also gerade noch an dieser Sitte fest-
halten?!“
Während die Hochzeit mit einem erwachsenen Mädchen, das ohne Befragen
seiner Eltern gefreit wird, in jedem beliebigen Monat erfolgen kann, findet
die Eheschließung mit einem offiziell anverlobten Mädchen nur in einem
der vier Monate hadolesa, birra, abrarsa und tsch’amsa statt, — selbst-
verständlich nur an einem „Glückstag“. Zu dem vom Schwiegervater festge-
setzten Termin geht der Bräutigam mit seinem Speer und nur in Begleitung
eines Freundes zum Flaus der Schwiegereltern, um seine Braut abzuholen32.
Hier erhält er zunächst vom Schwiegervater die etwas seltsame Instruk-
tion, seine junge Frau in der Hochzeitsnacht nach allen Regeln der Kunst
zu verprügeln; er soll aber aufpassen, daß er ihr kein Auge und keinen
Zahn ausschlägt.
Die Gudji-Männer geben übereinstimmend an, daß die Frauen eine solche
Behandlung unbedingt nötig hätten. Sie müssen immer „In der Furcht des
Herrn“ leben, weil sie sonst gar zu leicht übermütig und unverschämt werden,
und außerdem wollen die Frauen auch in dieser Hinsicht von der Kraft und
Gewalt des Mannes überwunden sein, um ihn wirklich als „Mann“ aner-
kennen zu können. Diese Auffassung ist sehr weit verbreitet und wird auch,
um in Äthiopien zu bleiben, von den Amhara und Galla geteilt. „Esel und
Frauen brauchen den Knüppel“, heißt es in einem ihrer Sprichwörter.
Wenn auch ein Körnchen Wahrheit darin stecken mag, und wenn auch ver-
mutlich bei diesen Völkern die weibliche Psyche etwas anders geartet sein mag
als die, beispielsweise, einer Europäerin, so vermag doch die von den Gudji-
Männern abgegebene Erklärung nicht ganz zu befriedigen. Es scheint, daß
sie sich das Verhältnis zu ihren Frauen recht leicht und bequem machen, wenn
sie diese ausschließlich nach den Gesetzen ihrer „Herren“-Moral behandeln,
deren ultima ratio dann die Prügelstrafe und das Faustrecht sind. Gewiß, die
Frauen mögen „schwierig“ sein, ihr Verhalten mag oftmals provozierend
wirken, — aber man darf nicht vergessen, daß diese Verhaltensweise größten-
teils nur als eine Reaktion auf ein Jahrhunderte- oder jahrtausendealtes
32 Brautraub soll nicht bekannt sein, auch nicht in angedeuteter, symbolischer Form.
312
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Behandlungsschema seitens der Männer zu betrachten ist, und daß ferner
— zumindest auf Seiten der Frau — der Begriff „Liebe“ so gar keine Be-
deutung für das Zustandekommen der ehelichen Gemeinschaft hat! Der
Widerstand des ohne seinen eigenen Willen verlobten jungen Mädchens oder
der ohne ihre Zustimmung verheirateten jungen Frau in ihrer Hochzeitsnacht
und in den ersten Monaten oder Jahren ihrer Ehe ist sicherlich zum Teil
nur als das Spiel ihrer traditionellen weiblichen Rolle zu bewerten; daneben
bleibt aber viel von einer echten, verzweifelten Abwehr und tiefen Tragik
übrig. Audiatur et altera pars! Manches Gespräch mit den Frauen der ver-
schiedenen Bevölkerungen konnte davon überzeugen, daß sie sich anfangs nur
schwer mit ihrem Schicksal abfanden. Zeit und Gewöhnung vermögen viel,
und auf die Dauer erwerben sich die Frauen auch eine beachtliche Routine,
sich für das Leid ihrer schlechten Behandlung und ihres immer wieder ge-
demütigten Stolzes schadlos zu halten. Die Formen, in denen das geschieht,
lösen dann auf Seiten der Männer Maßnahmen aus, die für die Frauen höchst
unliebsam sind, und die oft generalisierend verächtlichen Werturteile der
Männer finden ständig eine neue Rechtfertigung.
Andererseits muß man sich vor Augen halten, daß gerade bei den Vieh-
zuchtstämmen die „von Mann zu Mann“ abgegebenen Erklärungen und Aus-
sagen über die Frau stets etwas selbstüberheblich, übertrieben und prahle-
risch sind, und daß in der Praxis die Stellung der Frau keineswegs so nied-
rig ist, wie die Männer mit einer gewissen Eitelkeit behaupten.
Die Beziehungen zwischen Mann und Frau sind, hier wie überall, sehr
komplexer Art, und das Prinzip der Wechselseitigkeit und des Ausgleichs
bleibt im großen und ganzen durchaus gewahrt.
Die häufig vertretene Meinung, daß bei den Viehzüchtern die Frau nur eine
verachtete und mißhandelte Kreatur, Besitz und Sklavin des Mannes sei,
kann nur auf unzulänglichen Beobachtungen beruhen. Die gleichen Männer,
die so leichthin die Prügel für ihre Frauen propagieren und sie als unnütze,
dreiste Wesen hinstellen, können sich gar nicht genug tun, den von ihnen
geliebten Mädchen und Frauen Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten zu
erweisen, oder ihre Schönheit, Treue und Fürsorglichkeit im Lied zu preisen!
Doch zurück zur Gudji-Hochzeit: Die Braut, die jetzt von ihrem jungen
Gatten heimgeholt werden soll, hat sich zur Feier des Tages ein völlig neues,
reich mit Kaurimuscheln verziertes Ledergewand und viel Schmuck angelegt.
Das Haar ist reichlich mit Butter gesalbt. Ausgerüstet mit einem Gefäß voll
Milch und einem Stab aus dem Holz des haroresa-Baumes zieht sie gemeinsam
mit ihrem Bräutigam zu dessen Elternhaus. Hier wird die von ihr mitge-
brachte Milch mit einem kleinen Vorrat an Milch zusammengeschüttet, den
die Mutter des jungen Ehemannes für diesen Tag aufgespart hatte. Aus
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
313
dieser Milch werden Butter und Quark bereitet und von den Eheleuten ge-
meinsam verzehrt. Als eine weitere symbolische Handlung ist das Ab-
schlagen eines beblätterten Zweiges vom mjessa-Baum zu verstehen, der neben
das Abschlußholz (gulanta) am Fußende des Bettes gelegt wird. Die Braut
muß sich so auf das Bett legen oder setzen, daß sie diesen grünen Zweig
berührt. Er bleibt dort liegen, bis der Siedlungsplatz gewechselt und die Hütte
aufgegeben wird, und wird danach nicht mehr erneuert.
Fand der Ehemann in der Hochzeitsnacht seine Frau unberührt, so be-
kommt sie am nächsten Morgen von der Mutter des Mannes flüssige Butter
zu trinken; andernfalls bittet er seine Mutter, davon abzusehen. Die Yir-
ginität der Mädchen bis zu ihrer Hochzeit wird von den Gudji strengstens
behütet. Ein vorehelicher Verkehr ist daher nahezu völlig ausgeschlossen.
Die Formen des Liebesspieles sind zwar recht vielseitig und führen bis zum
coitus inter femora, aber eine Verletzung des Hymens wird möglichst ver-
mieden.
Sollte sich bei der Hochzeit ein Virginitäts-Verlust herausstellen, wird die
Frau nicht verstoßen, muß sich aber im Haushalt des Mannes mit einer sehr
untergeordneten Stellung begnügen.
An dem der Hochzeitsnacht folgenden Tage erhält die Braut von ihrem
Mann eine Kuh und ein männliches Kalb geschenkt, über die sie aber nicht
frei verfügen darf. Sie schlägt dieses Vieh mit dem von ihr mitgebrachten
haroresa-Stock.
Eine Woche lang verbleibt der Ehemann nach der Hochzeit in der Hütte,
seine Frau hält sich sogar 1 bis 2 Monate dort auf, ohne etwas zu arbeiten.
Die Mahlzeiten bekommt sie von ihrer Schwiegermutter zubereitet.
Es wird extra Vieh geschlachtet, das die Eheleute gemeinsam verzehren.
Nach einigen Monaten erfolgt dann eine Einladung seitens der Schwieger-
eltern des Mannes. Ohne diese Einladung und ohne ihren Gatten darf die
junge Frau ihre Eltern nicht besuchen.
Hochzeitstänze sollen nur bei den Aladu-Gudji, nicht aber bei den Uraga-
Gudji bekannt sein.
Eine richtige Scheidung gibt es bei den Gudji nicht. Wie schon erwähnt,
darf die Frau bei schlechter Behandlung durch den Ehemann zu ihren Eltern
zurückkehren, solange sie noch kein Kind geboren hat. Bei Einschaltung von
Friedensstiftern muß sie jedoch zu ihrem Manne zurückkehren, falls dieser
darauf besteht. Er kann aber auch versuchen, sie mit Gewalt zurückzuholen,
indem er ihr auflauert, wenn sie Holz oder Wasser holen geht. Dem
Manne dagegen steht es frei, seine Frau zu ihren Eltern zu schicken, wenn sie
ihm nicht gefällt. Er muß aber auf eine Rückzahlung des Kindpreises ver-
zichten.
314
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Heiratet eine Frau, die ihren Mann verlassen hat, erneut und bevor es
noch ihrem Mann gelang, sie zur Änderung ihres Entschlusses zu bewegen,
dann wendet sich dieser an den abba malka. Diese Bezeichnung ist, wie wir
gesehen haben, auch ein Beiname des Landesvaters, abba gadda. Im vor-
liegenden Falle kommt sie aber angeblich dem Führer der Siedlungsgemein-
schaft zu, der bei ernsteren Streitigkeiten als Richter fungiert.
Vor diesem abba malka verklagt er seine Frau und deren neuen Gatten,
und gewöhnlich erhält er das Recht, seine Frau wieder zurückholen zu
dürfen. Die erwähnte Appellation an einen Verwandten des Ehegatten steht
der Frau aber immer offen, so daß von einer Willkürherrschaft des Mannes
oder einer völligen Rechtlosigkeit der Frau bei den Gudji keineswegs die
Rede sein kann. — Kinderlosigkeit ist kein Grund, die Frau zu verstoßen
oder die Anzahlung auf den Kindpreis zurückzufordern.
3. Die Stellung der Frau
Über die Stellung der Frau im Rahmen der Familie ist das Wesentlichste
schon gesagt worden. Die verschiedenen Frauen eines Mannes stehen ungefähr
gleichberechtigt nebeneinander. Wenn sie sich miteinander vertragen, leben sie
in einer Hütte zusammen; sonst werden innerhalb des Gehöftes getrennte
Hütten für sie errichtet. In möglichst täglichem Wechsel gesellt sich der Mann
zu einer seiner Frauen. Rassische Konstitution, Lebensweise und die Art der
Ernährung bewirken offenbar eine starke Sinnlichkeit und beachtliche Potenz;
der Beischlaf wird angeblich in jeder Nacht bis zu fünfmal ausgeübt. Die
Frauen sollen dabei sehr aktiv sein.
Neben seinen legitimen Frauen hat jeder Gudji-Mann noch seine Geliebte.
Es handelt sich dabei stets um verheiratete Frauen, Witwen oder Frauen,
die ihren Mann verlassen haben und noch nicht wieder verheiratet sind.
Diese außerehelichen Verhältnises werden mit keinem großen Geheimnis um-
geben, jedenfalls nicht von Seiten der Männer. Über den geplanten Besuch
bei einer Freundin wird die Ehefrau von ihrem Mann informiert; sie muß
sich damit abfinden.
Wie schon erwähnt, spielt die Geliebte eine sehr wichtige Rolle im Leben
des Mannes; gegenüber seinen rechtmäßigen Frauen nimmt sie oftmals eine
sehr bevorzugte Stellung ein. Wenn ein Gudji-Mann von erfolgreicher
Rhinozeros-Jagd heimkehrt, macht er die Trophäe (das Horn) seiner Ge-
liebten zum Geschenkt, nicht aber seiner Ehefrau. Wurde ein Büffel erlegt,
dann erhält die Geliebte das eine und die Gattin das andere Horn. Die
gleiche Aufteilung erfolgt mit den Stoßzähnen eines Elefanten. Wenn außer
der Geliebten mehrere Ehefrauen des Jägers einen Anspruch auf diese Tro-
phäe haben, dann verkaufen sie das Elfenbein und teilen sich den Erlös.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
315
Wenn ein Borana-Mann getötet wurde, erhält die Geliebte einen Elfenbein-
Ring oder ein Stück des geraubten Viehs zum Geschenk. Bei erfolgloser Rück-
kehr von einem Jagd- oder Kriegsunternehmen wird sie mit einem Stück
Vieh entschädigt, das aus der Flerde ihres Liebhabers stammt.
Diese Liebesgeschenke werden von den Frauen sorgfältig vor dem eigenen
Ehegatten verborgen. Wo das nicht möglich ist, z. B. bei Geschenken von
Vieh, gebrauchen sie Ausflüchte und Lügen, lassen sich aber bis an ihr Lebens-
ende weder durch Drohungen noch durch Züchtigungen bewegen, den Namen
ihres Liebhabers preiszugeben. Nur wenn dieser vom Ehemann in flagranti
ertappt wird, gibt es ernstliche Auseinandersetzungen. Der überführte Lieb-
haber darf sich dabei angeblich nicht zur Wehr setzen, sondern muß schleu-
nigst das Weite suchen. Es ist ihm aber verboten, bei dieser Flucht das
Elternhaus aufzusuchen. Gegen eine Sühnezahlung von einem Stück Vieh
kann der Friede zwischen den Eheleuten wieder hergestellt werden, wobei alte
Leute als Vermittler tätig sind. Da praktisch jede Ehefrau zugleich auch die
Geliebte eines anderen Mannes ist, können aus dem ehebrecherischen Ver-
halten des einen oder anderen Gatten keine größeren Komplikationen und
Zerwürfnisse entstehen. Die familiär-sozialen Verhältnisse sind gut ausbalan-
ciert; die (in extreme) entrechtete, gedrückte und mißhandelte Ehefrau findet
ihren Ausgleich in der echten Liebe zu einem anderen Mann. Sie versorgt
den Geliebten bei seinen nächtlichen Besuchen mit Milch, bereitet ihm bei
seinem Fortgang ein Frühstück aus Milch, Butter und Getreidebrei, und be-
liefert ihn laufend mit Tabak. Kein Gudji-Mann kommt je in die Verlegen-
heit, sich Tabak kaufen zu müssen; alles, was er braucht, erhält er von seiner
Freundin. Diese Freundschafts- und Liebesbeziehungen sind allerdings sehr
ausschließlicher Natur. Ein Mann kann zwar mehrere Ehefrauen, aber nor-
malerweise nur eine Geliebte haben. Denn wenn er etwas fürchtet, dann ist
es die Eifersucht bzw. Rache seiner Geliebten.
4. Einzelzüge aus dem Individual- und Familienleben
a) Die Menstruation. Die erste Menstruation wird in keiner Weise be-
sonders beachtet; die Mädchen sprechen nicht einmal mit ihrer Mutter darüber.
Während der Menstruation dürfen die Frauen keine Tätigkeit ausüben, die
irgendwie mit dem Vieh zusammenhängt (melken, füttern usw.). Der eheliche
Verkehr oder auch nur das Zusammenliegen auf der Lagerstätte ist ver-
boten. Die Frau legt in dieser Zeit ihr übliches Ledergewand ab und trägt
stattdessen Tuchkleidung. Die Benutzung von eigenem Geschirr ist nicht vor-
geschrieben. Besondere Speiseverbote bestehen ebenfalls nicht. Bezeichnung
für die 1. Menstruation: hin-dubartofte, mit der angeblichen Übersetzung:
„sie wurde Frau“ (dubarti, Frau). Der Ausdruck für „Menstruation“ im all-
316
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
gemeinen lautet „honko tsch’afdtte“ oder, seltener, „turi“ — ein Wort, das
auch bei den Wollega-Galla verwendet wird33.
b) Das Vorkosten von Nahrungsmitteln. Alle Nahrung, die ein verhei-
rateter Mann zu sich nimmt, wird von seiner Frau vorgekostet. Wenn er,
wie meist, mit seinen Eltern zusammenlebt, dann gibt seine Frau die Speise
oder das Getränk zunächst an ihre Schwiegermutter weiter; diese reicht sie
ihrem Mann, der sie an den verheirateten Sohn weiterreicht. Ist ein Ehe-
mann für einige Tage abwesend, wird für ihn sein Anteil Milch aufbewahrt.
Nach seiner Rückkehr gibt seine Frau die Dickmilch an ihre Schwieger-
mutter zum Kosten, die sie dann ihrem Mann reicht. Der Mann gibt die
Milch an die Schwiegertochter zurück, die davon kostet, um sie nun dem
Gatten vorzusetzen.
5. Tod und Bestattung
Beim Tode eines Menschen erheben die Angehörigen dreimal eine schrille
Totenklage, um die nächsten Nachbarn und Freunde zu verständigen. Um
möglichst weit gehört zu werden, begibt man sich dazu, sofern es die Land-
schaftsform erlaubt, auf einen Hügel oder Berg. Weiter entfernt lebende An-
gehörige werden durch Boten verständigt.
Wenn ein Familienvater verstorben ist, schert die Witwe ihr Haar ganz
kurz und legt allen Schmuck ab. Falls sie aber schon einen Sohn geboren
hat, behält sie eine Halskette sowie einen Eisen- und einen Messingring am
rechten Unterarm. Der Schmuck wird in einem Beutel aufbewahrt und nach
einem Jahr wieder angelegt. Während dieses Trauerjahres darf auch nicht
der Kopf mit Butter gesalbt werden. Eine etwa vorhandene Tochter des
Verstorbenen schert sich, sofern sie noch nicht verlobt ist, ebenfalls den Kopf.
Ist sie schon einem Manne versprochen, unterbleibt das Scheren des Haares,
doch darf sie ebenfalls nicht den Kopf mit Butter salben.
Die Gattin des Verstorbenen beginnt mit der Aushebung des Grabes
(irresa). Durch Schrägstich von links und rechts hebt sie ein Stück Grasboden
aus und legt es beiseite. Dasselbe tut nach ihr der Sohn, während sich eine
Tochter nicht daran beteiligt. Das Grab wird dann von allen übrigen Ver-
wandten und Trauergästen fertig gegraben. Die Grabstätte liegt am Eingang
zum Viehkral. Männer werden rechts, Frauen links vom Eingang bestattet.
Das Grab muß immer an der Westseite des Krals liegen. Befindet sich der
Eingang zufällig an einer anderen Seite des Krals, dann wird er geschlossen
33 Foot, op. cit., S. 54, übersetzt das Substantiv ,turi‘ mit ,sin‘, das gleichlautende
Adjektiv u. a. mit ,unclean‘. — Die Wollega-Galla bezeichnen die Menstruation
mit „garrad’uk’ubbi“, was etwa die Bedeutung von „Frauenkrankheit“ haben
mag; bei Foot findet sich garradi = female servant (S. 22) und dukuba = illness,
ill, sick (S. 17).
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
317
und ein neuer Eingang nach Westen zu angelegt. Die Grabform ist recht-
eckig, von einer Länge, Breite und Tiefe, die etwa den Größenmaßen eines
Menschen entsprechen. Die Form des Nischen-Grabes ist nicht oder nicht
mehr bekannt, angeblich auch nicht beim Häuptlingsgrab.
Die Beisetzung erfolgt möglichst am Tage des Todesfalles, sofern es nicht
gerade ein Unglückstag ist. Wenn der Tod am Abend oder in der Nacht
eintrat, findet die Bestattung am nächsten Morgen statt. Die Uraga-Gudji
entzünden in der Hütte des Verstorbenen ein kleines Feuer vom Holz eines
wohlriechenden Baumes und räuchern den Leichnam (refi)34. Die Aladu-Gudji
waschen den Toten mit Honigwein, salben ihn mit Butter und räuchern ihn
außerdem noch. Früher wurde der Verstorbene nur in Leder gehüllt, heute ist
er meist in Tücher und in das Lell der Schlafstätte gehüllt. Auf den Leib
des Toten wird seine lederne Hüftschnur gelegt und mit ihm zusammen
begraben. Außerdem erhält ein Mann noch seinen Gada-Stock (s. S. 282) mit
in oder auf das Grab gelegt. Unmittelbar vor der Beisetzung des Toten wer-
fen dessen Frau und ältester Sohn die zuvor ausgehobenen Grassoden in die
Grube. Dann wird der Leichnam in das Grab gesenkt, mit dem Blick immer
nach Westen. Der Körper ist in Hockerform gebracht, indem die Unter-
schenkel an die Oberschenkel geschnürt, die Ellbogen zusammengebunden und
die Hände an den Kopf (an die Wangen) gelegt werden. Um das Kinn zu
halten, wird der Kopf mit einem Tuch umbunden. Die Grube wird zuge-
worfen und das Grab, das sonst keinerlei Beigaben enthält, mit Baum-
stämmen abgedeckt. Der Brauch, einen Steinhaufen über dem Grab zu er-
richten, soll angeblich jüngeren Datums und nur deswegen aufgekommen sein,
weil die feindlichen Borana bei ihren Raubzügen die Holzstämme auf den
Gudji-Gräbern zu verbrennen pflegten. Aus diesem Grunde werden Personen,
die im „Niemandsland“ versterben, also in einem Gebiet, das früher den
Borana gehörte und von diesen zuweilen noch streitig gemacht wird, in
heimatliche Gebiete überführt und dort bestattet.
Das Ritual beim Tode einer Frau ist im wesentlichen das gleiche. Ihr Mann
beginnt mit dem Ausheben des Grabes und wird dann vom ältesten Sohn
abgelöst. Eingehüllt in ihr Ledergewand und in Tücher wird die Verstorbene
in Hockerstellung beigesetzt.
Drei Tage nach der Bestattung eines Mannes wird an der Grabstätte ein
Ochse oder Stier geschlachtet und mit dem Lell zusammen aufgeschnitten.
Nur Männer, die schon aus dem Gada-System ausgeschieden sind (also dem
Yuba-Grad angehören), dürfen von diesem Fleisch essen. Zum Teil werden
sie von weither geholt und man wartet bis zu einer Woche auf ihre Ankunft.
Für eine verstorbene Frau wird ein weibliches Stück Vieh geschlachtet.
34 Foot, op. dt., S. 47: refa = corpse.
318
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
An dem einem Todesfälle nächstfolgenden gid’ad’a-Tage bringt der hinter-
bliebene älteste Sohn dem ältesten Vater-Bruder etwa 30 bis 50 Stück Vieh,
Kleidung und Waffen des verstorbenen Vaters. Sobald die Übergabe erfolgt
ist, scheren sich beide den Kopf. Das Haar läßt man anschließend wieder
nachwachsen, doch wird der Kopf ein Jahr lang nicht mit Butter gesalbt.
Ist der älteste Bruder des Vaters schon verstorben, erhält der nächstjüngere
Bruder oder — wenn keiner vorhanden — ein männlicher Verwandter des
Vaters das Vieh und die genannten Sachen. Wenn gar kein männlicher Ver-
wandter des Verstorbenen mehr am Leben ist, dann hängt der Sohn die
Kleidung und den Speer seines Vaters in einen garri-Baum, der den Gudji
als heilig gilt. Ein Jahr oder, unter Umständen, auch zwei Jahre nach dem
Tode eines Familienvaters geht der älteste Sohn, eventuell begleitet von seiner
Frau und seinem eigenen Sohn, noch einmal zum Grabe des Vaters. Er
nimmt Tabak, Kaffee, Butter, saure Milch und Gerste mit dorthin. Es wird
der ganze Tabak und von den Lebensmitteln jeweils ein kleiner Anteil auf
das Grab gelegt, mit den Worten: „Iß das! Trink das! Meines Vaters Gott,
hilf mir, erhalte mich gesund . . .“
Den Rest der Speisen nimmt der Sohn wieder mit nach Hause, um sie
zu verzehren. — Das Grab einer Frau wird ebenfalls nur von ihrem ältesten
Sohn, nicht aber von dem hinterbliebenen Gatten oder einer Tochter auf-
gesucht. Die zum Grabe mitgenommenen Gaben sind die gleichen wie für
einen verstorbenen Mann.
Ein Jahr nach dem Tode des Mannes darf die Witwe wieder ihren Schmuck
anlegen, ihr Haar mit Butter salben und an die Öffentlichkeit gehen. Sie
empfängt Besuch durch den ältesten Bruder ihres Mannes, der sie nun auch
als seine eigene Frau zu sich nimmt. Waisenkinder werden ebenfalls vom
Vater-Bruder aufgenommen.
Die Gräber werden später nie wieder aufgesucht. Nur wenn man zufällig
auf einer Wanderung oder aus einem sonstigen Anlaß wieder auf das Grab
der Eltern oder eines Elternteiles trifft, legt man dort etwas Tabak nieder.
Die Gudji haben keine Vorstellung von einem Totenreich im Westen oder
an irgendeinem anderen Orte. Man glaubt auch nicht an eine Wiederkehr
der Toten. Verstorbene können aber einige Jahre nach dem Tode ihren
Angehörigen im Traum erscheinen und ihnen etwas Gutes oder Schlechtes
„geben“. War der Traum ungünstig (so z. B., wenn man in ein Loch fiel oder
von Menschen, wilden Tieren oder Schlangen verfolgt und getötet wurde),
dann tötet man am nächsten Morgen ein Stück Vieh, trinkt Kaffee, den man
— den Blick zum Himmel gerichtet — in alle Richtungen speit, und spricht
dabei: „Hilf uns, unser Väter Gott!“
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
319
Von dem normalen Brauche abweichend ist die Bestattung für Personen,
die dem Daballe- oder Yuba-Grad angehören (und somit meines Erachtens
außerhalb des Gada-Systems im engeren Sinne stehen) oder die eines
„schlimmen Todes“ gestorben sind.
Es wurde bereits erwähnt, daß Kinder und Gada-Anwärter (Daballe-
Stufe) in bzw. an der Hütte begraben werden (S. 285). Das gleiche gilt für
einen Mann, der noch vor dem Ausscheiden aus dem Gada-System verstarb.
Die Ehefrauen solcher Männer teilen diese besondere Bestattungsform.
Ob die Angabe, daß die Yuba-Leute im Viehkral begraben werden, eine
Abweichung gegenüber der normalen Bestattungsart am Eingang zum Vieh-
kral darstellt, ist mir nicht ganz klar geworden. Das Grab der Yuba-Leute
wird mit Viehmist bedeckt. Männer, die bei der Jagd oder bei einem Kriegs-
zug gegen die Borana ums Leben kommen, werden nicht begraben. Man läßt
sie an Ort und Stelle liegen und bedeckt ihren Körper mit Gras und Laub.
Wenn ein Mann bei einer Straf-Exekution sein Leben verlor, z. B. durch die
Stockhiebe, die einem angeklagten, brutalen Ehegatten von der einberufenen
Männerversammlung versetzt wurden, dann wird sein Leichnam ausgesetzt
und mit Blättern desjenigen Baumes zugedeckt, von dem die Prügelstecken
stammten.
Menschen, die den Freitod wählten, werden dort begraben, wo man ihren
Leichnam entdeckte. Das Grab wird mit einem kleinen Stein oder einem
Stück Holz gekennzeichnet. Ein solcher Freitod ist sehr selten. Er kommt vor
bei Lebensmüdigkeit oder völliger Verarmung und wird gewöhnlich im Walde
durch Erhängen vollzogen. Frauen, die im Wochenbett versterben, erhalten
die übliche Bestattung. Der Witwer gibt eine Bier-Einladung, tötet ein Stück
Vieh und bittet einen Euba-Mann, die Eingeweideschau vorzunehmen.
6. Das Erb- und Besitzrecht
Nach dem Tode eines Mannes erbt dessen ältester Sohn das gesamte Eigen-
tum, mit Ausnahme des meisten Viehs, das dem ältesten Bruder des Vaters,
der ja auch die Witwe zu sich nimmt, übertragen wird. Wenn der älteste
Sohn bereits Großwild getötet hat, kann er die Schmuckstücke (Armringe)
seines Vaters, soweit sie mit der Erlegung von Großwild Zusammenhängen,
an sich nehmen; anderenfalls gibt er die Ringe ebenfalls an den Vaterbruder.
Allen übrigen Schmuck des Vaters darf der erbende Sohn ohne weiteres be-
halten. — Eine Verpflichtung zum Aufteilen des Erbes besteht nicht, doch
wird es meist getan. Der älteste Sohn beansprucht dabei den weitaus größten
Teil für sich. Die Töchter eines Verstorbenen erben grundsätzlich nichts. Der
älteste Sohn kann aber seinen Schwestern z. B. eine Kuh überlassen. Auch
die Witwe ist an der Erbschaft nicht beteiligt. Sie lebt nun mit dem ältesten
320
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Sohn zusammen und genießt das bisherige Nutzungsrecht, bis sie nach einem
Jahre von dem Bruder ihres Mannes geheiratet wird. Ein in eine solche Ehe
mitgebrachter Sohn erbt beim Tode seines Stiefvaters (der zugleich sein Onkel
ist) nichts. Auch außereheliche Söhne sind voll erbberechtigt.
Stirbt eine Frau, dann wird ihr Schmuck unter die Töchter, Nebenfrauen
und Schwiegertöchter verteilt.
Frauen haben an sich wenig oder gar kein Besitzrecht. Ich habe erlebt, daß
Männer Ihren Frauen die Messingarmringe Wegnahmen, um sie an mich zu ver-
kaufen. Die Frauen wurden zwar „anstandshalber“ um Erlaubnis gefragt,
doch im Falle der Weigerung mußten sie es sich gefallen lassen, daß ihnen
das betreffende Schmuckstück abgenommen wurde. Nur der von der Mutter
ererbte Schmuck wird dabei geschont. — Keinerlei Anrechte hat eine Frau
auf das Vieh. Selbst über Rinder, die sie von ihrem Vater, ihrem Gatten
oder einem Freund geschenkt bekommen hat, darf sie nicht verfügen. Sie
darf aber aus der ihrem Manne gehörigen Herde z. B. ihrer Schwieger-
töchter bei der Hochzeit eine Kuh schenken.
Milch und Butter werden heute teilweise von den Frauen auf dem Markt
verkauft. Das eingenommene Geld muß dem Ehemanne abgeliefert werden,
sofern sie nicht Kaffee und Tabak dafür einkaufen. Es läßt sich aber nicht
verhindern, daß die Frauen auch heimlich etwas verkaufen und das Geld für
sich selber verwenden oder z. B. Tabak für ihren Geliebten kaufen. Geschenkte
Gegenstände oder Münzen dürfen Frauen sowohl wie Kinder angeblich für
sich behalten und beliebig darüber verfügen.
Eine gute Frau wird aber das Geld ihrem Gatten geben, — meinten die
Gudji-Männer !
Wirtschaftsleben und materielle Kultur der Gudji
1. Die Wirtschaft
Die Gudji sind, soweit ich es beurteilen kann, reine, halbnomadische Vieh-
züchter. Herr Dr. Haberland, der im Gudji-Fand weiter herumgekommen
ist als ich, bestätigte mir diese Ansicht. Erst in verhältnismäßig sehr junger
Zeit sind die Gudji in den Grenzgebieten nach Sidamo und Darassa auch
zum Ackerbau übergegangen und haben dort eine gemischt-wirtschaftliche
Kultur ausgebildet. Diese Situation ist schon früher klar erkannt worden’55.
Die eigentliche Gudji-Steppe ist klimatisch für den Ackerbau nicht geeignet.
Die hier lebenden Bevölkerungsteile sind also ausschließlich auf die Vieh-
haltung angewiesen. 35
35 Vgl. J e n s e n , op. cit., S. 104, 393.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
321
Getreide zu Nahrungszwecken wird von Händlern oder Stammesgenossen
gekauft, die in den höher gelegenen Teilen des Landes Ackerbau betreiben.
Die Gudji z. B. in der Gegend des an der Autostraße gelegenen Marktortes
Agremaryam sollen heute fast nur noch Getreide (Gerste und Täft) an-
bauen, da sie ihr Vieh durch Seuchen verloren haben.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf diejenigen
wenigen Gudji, mit denen ich persönlich zu tun hatte.
Bei der Viehhaltung nimmt das Rind mit Abstand die größte Stellung ein.
Daneben sind noch einige Ziegen vertreten.
Die allein zu beobachtende Rinderrasse ist die des kurz-hornigen Buckel-
rindes. Vereinzelt kaufen die Gudji von durchreisenden Somal einige Stück
Vieh. Die Größe der Herden richtet sich nach dem Reichtum des Besitzers.
Es soll Männer geben, die bis zu 10 Krale ihr eigen nennen, wobei jeder
Kral 40 bis 100 Stück Vieh aufnimmt. Jedes Tier hat seinen Namen, der dem
Besitzer selbst bei sehr großen Herden genau bekannt ist. Die allen Vieh-
züchtern eigene Fähigkeit, ihren gesamten Viehbestand genauestem unter-
scheiden zu können, findet sich auch bei den Gudji. Sie behaupten, Kälber, die
etwa in fremdes Gebiet entlaufen sind, noch nach Jahren, wenn die Tiere
längst ausgewachsen sind, wiedererkennen zu können36. In stockdunkler Nacht
können sie nur durch Betasten der Tiere die zu den einzelnen Kühen ge-
hörigen Kälber herausfinden.
Ferner kennen sie alle Tiere genau an der Stimme.
Außerdem tragen alle Rinder Eigentums-Kennzeichnungen in Gestalt von
verschiedenartigen Verstümmelungen (Einschnitte, Auslappungen usw.) der
Ohren. Es handelt sich dabei um Individual-, nicht aber um Klan-Marken.
Vor allem die Aladu-Gudji sind es, die ihren Rindern die Ohren verstüm-
meln; die Uraga-Gudji tun es nur vereinzelt.
Hörnerverstümmelung und Brand-Markierung sind hier nicht üblich; die
Gudji halten letztere für einen Somal-Brauch.
Der äthiopische Staat erhebt eine Steuer von jährlich 1 äth. Dollar je
Stück Großvieh. Um die dafür erforderliche Viehzählung zu vermeiden, die
nach Auffassung der Gudji Unglück bringt, versuchen sie, möglichst mit einer
Pauschalzahlung davonzukommen. Die Steuereinnehmer werden dafür meist
mit einer Geldsumme bestochen, die zum Teil recht erheblich sein kann (bis
etwa 100 äth. Dollar).
Die Jagd spielt heutzutage bei den Gudji wirtschaftlich gar keine Rolle,
und es scheint, als hätte sie auch in der Vergangenheit keine größere Bedeu-
36 Sie dürfen in diesem Fall dem neuen Besitzer ohne weiteres die Tiere wieder
abnehmen, einschließlich der inzwischen eventuell geborenen Kälber.
2la Baessler-Archiv IX
322
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
tung für den Lebensunterhalt gehabt. Wildfallen sind ungebräuchlich. —
Bienenzucht ist, zumindest in den tiefer gelegenen Steppengebieten, unbekannt.
Die Gudji beuten aber den wilden Honig von Erd- oder Baumbienen.
Hühnerhaltung hat sich erst in jüngster Zeit eingebürgert. Die Eier werden
nicht gegessen; man verkauft sie oder läßt sie ausbrüten.
2. Die Ernährung
Die Gudji leben ganz überwiegend von den Produkten ihrer Viehwirt-
schaft. Wenn auch gewöhnlich keine profanen Rinderschlachtungen vorge-
nommen werden, so sind doch die Anlässe zu zeremoniellen Tiertötungen so
häufig, daß eine ausreichende Fleischnahrung gewährleistet ist. Früher, d. h.
vor etwa 2 Generationen, wurde auch Elefantenfleisch verzehrt. Der Viehbe-
stand soll damals geringer gewesen sein als heute, und nur vom Hunger ge-
trieben wäre man auf die Fleischjagd gegangen. Büffelfleisch würde man auch
heute noch essen, wenn man es bekäme. Angehörige von Klanen mit Be-
ziehungen zu diesen Tierarten dürfen angeblich ebenfalls Elefanten oder Büffel
z. B. töten und verzehren. Diese Auskunft stammt allerdings von jungen
Männern, bei denen die Gefahr besteht, daß sie über einige alte Sitten doch
nicht mehr ganz im Bilde sind. — Perlhühner werden nicht gegessen. Milch,
meist in Form von Sauer- oder Dickmilch, und Rinderblut, das mit Hilfe
des Aderlaßpfeiles gewonnen wird, bilden die wesentliche Grundlage der
Ernährung.
Während der Regenzeiten wird angeblich nur Milch und in der Schale
gerösteter Kaffee mit geschmolzener Butter genossen; Fleisch- und Getreide-
nahrung entfallen dann völlig. Butter in fester Form dient im übrigen nicht
als Nahrung.
Getreide muß gekauft werden und fällt daher im Wirtschaftsleben kaum
Ins Gewicht. Erdgruben als Speicher sind unbekannt.
Die Gudji trinken keinen Aufguß von gemahlenem bzw. zerstoßenem
Kaffee, sondern nur eine Abkochung von Kaffeeblättern. Wie erwähnt, wer-
den außerdem die Kaffeefrüchte schwarz geröstet, in Butter geschmort und
unter Zugabe von etwas Milch verzehrt.
Tabak wird nur selten geraucht, sondern von Männern und Frauen gekaut.
Nur alte Feute rauchen angeblich auch die Wasserpfeife (gaia). Zum Kauen
wird der Tabak, der auf den Märkten gekauft werden muß, mit einem
pulverisierten Mineral vermischt, das wie feines Salz aussieht und einen
scharfen, bitteren Geschmack hat. Im Rohzustand ähnelt es einem schwarz-
weiß-gemaserten Steinbrocken. Dieses Mineral (magado) wird von den Borana
gekauft; es dürfte sich wohl um Steinsalz handeln.
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
323
3. Siedlung und Hütten
Die Wasserarmut des Gebietes und die Kärglichkeit des Steppenbodens
zwingen die Gudji zu einer halb-nomadischen Lebensweise. Sobald eine Weide
in weiterem Umkreis abgegrast und die Wasserstellen erschöpft sind, wird die
Siedlung verlegt. Ein solcher Wechsel kann unter Umständen mehrmals im
Jahr erfolgen. Man zieht aber möglichst nicht weiter als nur 1 Tagesmarsch.
Der Siedlungsführer, gewöhnlich ein Sippenältester, leitet das Unter-
nehmen, das meist in die Regenzeit verlegt wird. Bei der endgültigen Wahl
des neuen Siedlungsplatzes folgt man dem „Rat“ zweier Vögel, dschoge und
tum’adissa. Nach der Ankunft an diesem Platz wird des abends ein großes
Feuer entzündet. Wenn nicht genügend Brennholz vorhanden ist, darf aus-
nahmsweise bei dieser Gelegenheit (aber nur einmal jährlich) das Holz des
sonst heilig gehaltenen garri-Baumes verbrannt werden. Man vermeidet aber
dabei, den Baum bei seinem Namen zu nennen, sondern umschreibt ihn mit
„schwarzer Baum“ u. a. m.
Anläßlich des Wohnplatzwechsels, aber wiederum nur einmal im Jahre,
findet eine zeremonielle Tiertötung statt.
Die Rückkehr an einen alten Siedlungsplatz erfolgt nur zufällig, wenn
Gott bzw. einer der Orakel-Vögel sie dorthin führt. — Die Siedlungen
liegen in weitem Abstand voneinander und bestehen, soweit ich gesehen und
erfahren habe, nur aus 2 bis 5 Gehöften, die einige, häufig miteinander
verwandte Großfamilien aufnehmen. Die Anlage einer Siedlung erfolgt mög-
lichst weit abseits der großen Straßen, unter Vermeidung von verräterischen
„Trampelpfaden“.
Unmittelbar anschließend an jedes Gehöft befindet sich ein Viehkral, der
einen Eingang von außen und einen weiteren Zugang vom Gehöft her hat.
Der Viehkral ist mit einer starken Dornenhecke umgeben. Zum Antransport
des Dornengestrüpps dient ein etwa 1,50 bis 2,00 m langer Stock (Kabalu),
der am Griffende gegabelt und an der Spitze spitzwinklig abgebogen ist
(Haken-Form). Innerhalb des Viehkrals befinden sich 1 bis 2 Kälber-Stal-
lungen in Gestalt kleiner reisiggeflochtener und lehmverschmierter Hütten,
die z. T. auf Pfähle gesetzt sind, um das Jungvieh vor Erdflöhen zu schützen.
Etwa in der Mitte des Krals liegt ein leicht ausgehöhlter langer Baumstamm,
der als Trog für das Viehsalz dient. — Die Hütten, die nur einen verhältnis-
mäßig kleinen Vorhof haben, sind in Anbetracht dessen, das sie nur tempo-
rären Charakter haben, recht ordentlich gebaut. Es handelt sich um gras-
gedeckte Kuppeldach-Hütten, etwa 5 bis 6 m im Durchmesser, deren Wände
aus dünnen Stöcken geflochten sind. Das Dach wird von innen durch 2 bis
3 Pfosten gestützt; Mittelpfosten habe ich nicht gesehen.
21 Baessler-Archiv IX
324
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Gleich eingangs der Hütte befindet sich rechts (oder manchmal auch zu
beiden Seiten) eine kleine Stallung für das Jungvieh. Dazwischen liegt die
Feuerstelle, neben der gewöhnlich eine niedrige Sitzbank steht. Die Bank
ist ähnlich gebaut wie auch die Betten: Etwa 3 bis 4 dicke Knüppel, etwa 2 m
lang und dicht nebeneinander gelegt, ruhen an beiden Enden auf 2 kurzen
Stämmen. Die Betten sind mit Gras und Fellen bedeckt.
Ein am Boden liegender Baumstamm, der sich quer durch die Hütte zieht,
teilt etwa das hintere Drittel der Hütte, wo sich die Schlafstellen und das
große Vorratsregal befinden, von dem Vorderraum etwas ab. Die Schlaf-
stellen sind gegeneinander und gegen den „Tagesraum“ hin durch an Schnüren
herabhängende Felle abgeteilt. Das Inventar der Hütte ist äußerst einfach:
Ledergefäße zum Melken und Wasserholen für das Vieh (totu); geflochtene
Gefäße für die Milch, seltener Kalebassen. Alle Gefäße sind sehr schön mit
Kauri-Muscheln (die auf dünne Lederstreifen aufgenäht sind) oder einge-
nähten Ornamenten verziert.
Von den ledernen Aufnahme-Behältern, in denen die Gefäße an der dem
Eingang gegenüberliegenden Wand hängen, fallen breite Leder-Schmuckbänder
(sepani) herab, 1 bis 2 m lang, die sehr geschmackvoll mit aufgenähten
Ornamenten aus Kauri-Muscheln verziert sind.
Vereinzelt finden sich auch gekaufte Kochtöpfe aus Ton, Eisen oder
Aluminium. In den Wänden stecken Kuhhörner, die zur Aufbewahrung von
Muscheln, Perlen und dergleichen dienen. Eintentbehrlich ist noch ein kleines
Gestell (tsch’ässa), das an einen großen kuppelförmigen Vogelkäfig erinnert
und zum Räuchern der darüber gelegten Lederbekleidung der Frauen dient.
In seinem Innern wird eine wohlriechende Baumrinde, K’aia, verbrannt. Ver-
schiedene Messer, Löffel und Näpfe vervollständigen den Hausrat. An
Waffen sind heute nur noch Speere (oft mit einer Messingspirale als Zwinge)
und lange Messer in Gebrauch. Früher soll es auch Rundschilde aus Büffel-
und Schweinsleder gegeben haben. Wurfeisen und Schlagringe sind unbekannt.
Pfeil und Bogen, in kleiner Ausführung, dienen nur dem Aderlaß des
Viehs. Der Pfeilschaft (d’äka = die bevorzugte Holzart für den Schaft) ist
vorne gespalten. In diesen Spalt wird die Pfeilspitze (daia) eingeklemmt und
durch Bast-Umschnürung (marsu, von der Rinde des Kiddo-Baumes) befestigt.
Bogen und Pfeil werden beim Schuß waagerecht gehalten, der Pfeil mit
Daumen und Zeigefinger entlassen.
Bogen: g’ube, Sehne: misina.
Jede Hütte ist von einer Familie oder auch Großfamilie bewohnt, so
daß oft 8 bis 10 oder auch mehr Menschen Zusammenleben. Die Betten sind
so breit gebaut, daß drei Erwachsene oder Eltern mit 2 kleinen Kindern
nebeneinander liegen können. Das Feuer in den Hütten wird ständig unter-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
325
halten. Es gilt als ein ungünstiges Vorzeichen, wenn es ausgehen würde. In
diesem Fall holt man beim Nachbarn neuen Brand. Nötigenfalls muß das
Feuer mit Hilfe eines Feuerbohrers (utschume) neu erzeugt werden. Das
Quirlholz wird ilme, „Sohn“, das liegende Bohrholz hada, „Mutter“, genannt.
4. Tracht und Lebensweise
Das Gewand der Frauen besteht aus einem langen Lederrock und einem
ledernen Obergewand, das meist über einer Schulter verschnürt ist und die
Brust gewöhnlich frei läßt. Die Gewänder sind mit aufgenähten Leder-
stücken, Ornamenten aus Metalldraht, Lederfransen und Randborten ver-
ziert, die ornamental ausgeschnitten sind. Charakteristisch für die Gudji-
Frauen ist ein Kopf-Schmuckband (gurro) aus kleinen Aluminium-Spiralen,
Perlen usw., das in den Ohrschmuck übergeht (malde). Die Frauen trennen
sich unter gar keinen Umständen von ihrem Gewand und diesem Schmuck.
Um ein Gewand zu erwerben, muß man sich ein neues anfertigen lassen,
das aber niemals so schön und sorgfältig gemacht wird wie die Original-
stücke. Halsketten aus mehreckigen Aluminium-Perlen, Kallima genannt,
werden angeblich von den Borana gekauft.
Die Perlen-Halsketten (bule), meist aus hellblauen und rosa Perlen be-
stehend, stammen aus dem Marktort Alaba.
Sehr reich und geschmackvoll ist der Messing-Armschmuck. Es handelt sich
gewöhnlich um Erbstücke, die einst mit Vieh bezahlt wurden, oder um Hoch-
zeitsgeschenke des Mannes. Von den wirklich alten Stücken trennen sich die
Frauen auf gar keinen Fall.
Heute werden die Schmucksachen auf den großen Märkten des Landes
und der Nachbargebiete gekauft (Yavello, Agremaryam, Alaba). Aus Alaba
stammen z. B. die großen Messing-Arm„spiralen“ (wotschato) der Aladu-
Gudjifrauen. Dieser Schmuck täuscht eine Spirale vor, besteht in Wahrheit
aber aus etwa 25 übereinandergesetzten Ringen, die von unten nach oben
jeweils etwas größer werden. Für einen solchen wotschato zahlte man früher
einen Ochsen.
Sehr hübsch sind auch die üblichen, etwa 2 cm breiten Messing-Armreifen
(sagito), die aus Darassa stammen sollen. Ihr charakteristischstes Ornament-
Motiv ist der kleine Kreis mit eingezeichnetem Mittelpunkt37.
Über die Männer-Tracht gibt es nicht viel zu berichten. Khaki-Shorts und
Umschlagtücher aus grober Baumwolle, zuweilen auch alte, zerrissene Hemden
und Jacken bilden die ganze Bekleidung.
37 Vgl. dazu S e g y , L., „Circle-Dot, symbolic design on African ivory carvings“,
in „Zaire“, Bd. VII, 1. Januar 1953.
21*
326
Schulz-Weidner, Der Stamm der Gudji-Galla
Ein offenbar sehr altes Tracht-Element ist dagegen der schmale, lederne
Hüft- oder Beckenriemen, den alle Knaben, Jünglinge und Männer tragen
(gurda). Den ersten gurda bekommt man schon in der Kindheit. Er wird
ausgewechselt, sobald der Knabe groß genug ist, um die Kälber zu hüten.
Der Riemen besteht aus dem Rindenbast des heiligen dambi-Baumes — ein
Gada-Baum, dessen Holz nicht für Feuerungszwecke verwendet werden
darf. — Die Enden des vorne geknoteten Gürtels sind meist metall-verziert
(sie sind z. B. in eine kleine Messinghülse eingeführt) und hängen bis zum
Penis herab. Die Männer tragen diesen Riemen, der niemals abgelegt wird,
unter der Khaki-Hose. Beim Tode wird er, wie schon erwähnt, ihnen in das
Grab mitgegeben. Wer diesen Gurt nicht besitzt oder nicht trägt, wird ver-
ächtlich als ein „Weib“ betrachtet. Wie wesentlich — im tiefsten Sinne dieses
Wortes — der gurda ist, ergibt sich auch aus folgendem: Wenn ein Mann
nichts mehr besitzt, was ihn an sein Volk und seine Heimat bindet, wenn
er allen Besitz und alle Angehörigen verloren und keine Freunde mehr hat,
dann gibt er seinen Leibriemen einem Klangenossen und zieht in die Fremde,
zu den Borana. Hier schließt er sich einer Familie an und läßt sich einen
neuen gurda geben. Dies ist gewissermaßen ein Adoptionsvorgang; er gilt
nun als Borana. Er schert sich sein Haar und bekommt von seinem Adoptiv-
vater, der ihn als „Sohn“ bezeichnet, einige Stück Vieh geschenkt. Er gehört
nun auch zu dem gleichen Klan wie sein Adoptivvater.
5. Skizzen aus den Verhaltens- und Lebensweisen
Die Gudji sind dem Fremden gegenüber zunächst mißtrauisch und zurück-
haltend. Manche von ihnen, besonders Frauen, haben angeblich noch keinen
Weißen gesehen. Sie wirken herrisch, stolz, hochmütig und verschlossen. Das
schließt nicht aus, daß sie zugleich von einer stummen, aber beharrlichen und
aufdringlich wirkenden Neugierde sind. Ihre Arbeit und Lebensweise läßt
ihnen sehr viel Zeit für den Müßiggang. Die Männer brachten es fertig,
vom frühen Morgen bis zum späten Abend im Camp herumzuliegen, im
Schatten des Lastautos zu hocken, mit nichts anderem beschäftigt, als stunden-
lang zu schauen, vor sich hin zu dösen und unaufhörlich zu speien, wozu
sie wohl hauptsächlich durch das Tabakkauen und den Gebrauch des Zahn-
pinsels angeregt wurden. Ausgedehnte Mittagsschläfchen unter dem Wagen
waren sehr beliebt.
Es dauert aber nicht sehr lange, bis man ihr Vertrauen erringt. Sie er-
weisen sich dann als recht liebenswürdig, gefällig und freundschaftlich. Aller-
dings zeigen sie nun auch keinerlei Hemmungen mehr, unaufhörlich um
kleine Geschenke zu betteln. Die Kinder beschränken sich dabei meist auf
Geld und nahmen im übrigen, was man ihnen gab. Die Frauen waren vor
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
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allen an Stoffen, Spiegeln und Talmi-Schmuck, den sie jedoch sehr kritisch
auswählten, interessiert. Und vor den Wünschen der Männer waren nicht
einmal die Camp-Ausrüstung und die Autoreifen sicher! Meine Boys, selber
Galla-Jünglinge, konnten sich köstlich über die maßlos übertriebenen Wünsche
und Bitten amüsieren. In dem Verhalten mir gegenüber zeigten sich starke
individuelle Unterschiede, zumal bei den Frauen und größeren Kindern.
Einige waren und blieben zurückhaltend, scheu und ängstlich, andere waren
sehr bald aufgeschlossen, zutraulich und rührend anhänglich. Größtes Ver-
gnügen bereitete es mir zu beobachten, wie sich junge Mädchen im Alter
von etwa 10 bis 12 Jahren schon als wahre Evas-Töchter entpuppten, die
alle Register weiblicher Schmeichelkunst zogen, um ein kleines Geldgeschenk
zu erhalten; sie scherzten, lachten und neckten, zeigten ein schelmisches oder
ein trauriges Gesicht und ließen es nicht an Tränen fehlen, wenn ihre Be-
mühungen zu keinem Erfolge führten. — Eine gewisse Fotografier-Scheu
war fast allen Frauen eigen.
Die Männer, soweit sie öfters ins Camp kamen und meine Gewährsleute
wurden, blieben stets höflich, ruhig und liebenswürdig. Sowohl ihre Bereit-
schaft als auch ihre Fähigkeit, über ihr Leben, ihre Sitten und Bräuche zu
berichten, waren viel größer als etwa bei den Schangama. Sie haben viel
Zeit, und sind phantasiebegabt und intelligent genug, um Betrachtungen an-
zustellen. So gemessen wie ihr Wesen, so spielt sich, wenigstens nach außen
hin, anscheinend auch ihr Leben ab. Es fällt auf, daß hier der Tanz keine
große Bedeutung hat. Zuweilen finden sich Männer und Frauen zum Tanz,
wenn abends das Vieh heimgetrieben worden ist. Männer und Frauen stehen
sich in einer Linie gegenüber; einzelne Paare treten heraus, stellen sich im
Abstand von 1 bis 2 m voneinander auf und tanzen. Die Tänze werden
nur von Gesang begleitet. Musik- oder Rhythmus-Instrumente soll es nicht
geben.
Mein kurzer Aufenthalt unter den Gudji genügt nicht, um irgendwelche
Aussagen darüber zu machen, wo nun eigentlich die auch dem Europäer auf-
fälligen Lebens-Höhepunkte liegen, wo innere Erhebung und Entäußerung,
Überschuß und Leidenschaft ihren Ausdruck finden. Nur theoretisch muß
man annehmen, daß die Gada-Feste, die zeremoniellen Tiertötungen und die
für uns kaum faßbare Liebe zum Viehbesitz die Wesens-Mitte der Kultur
darstellen.
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Bücherbesprechungen
BÜCHERBESPRECHUNGEN
Mylius, Norbert: Antlitz und Geheimnis der überseeischen Maske. Verlag Notring
der Wissenschaftlichen Verbände Österreichs. Wien 1961. 53 Seiten, 30 Bildtafeln.
Das Buch ist in erster Linie geschrieben worden, um den Besuchern völker-
kundlicher Museen das Verständnis der überseeischen Masken zu erleichtern, und ist
von diesem Standpunkt aus zu betrachten. Doch auch der Fachmann findet hier eine
kurze und In das Problem des Maskenwesens schnell einführende Zusammenfassung.
Mylius bietet zuerst eine Einteilung nach Materialtypen (Ffolzmasken, Schädel-
masken, Metallmasken, Steinmasken usw.) und nach der Verwendungsart (Gesichts-
masken, Aufsatzmasken, Stülpmasken). Mit dem Blick auf den Museumsbesucher, der
von exotischen Masken meist nur die Gesichtsteile kennt und diese in statischer
Ruhe hängen sieht, ist die Erklärung der „Gesamtmaske“, also Gesichtsteil und
Maskenkleid einerseits und des dynamischen Elements, die ständige Verbindung von
Maske und Tanz andererseits, zu begrüßen. Dies wird noch durch den Bildteil des
Bandes unterstützt, der neben den üblichen Maskenfotos auch Expeditionsbilder
von Maskentänzen und Kulthandlungen enthält. Leider läßt dieser, rein technisch
gesehen, manches zu wünschen übrig.
Den Ffauptteil des Buches bildet dann die Frage nach der Funktion der Maske
(religiöse und profane Masken), dem kultischen Element und „ihrem geistigen inne-
ren Gehalt“. Es wird dargelegt, daß die mystischen Verbindungsmasken und die
mystischen Umwandlungsmasken, wie Mylius sie nennt, den „eigentlichen Kern des
Maskenwesens“ überhaupt enthalten. Die oft verwirrende Vielfalt der exotischen
Masken spiegelt die gleiche Sehnsucht der Menschen wieder, mit dem Transzendenten,
seien es Götter, Geister oder Ahnen, in mystischen Kontakt zu treten. So ist die
mystische Wirksamkeit letztlich die eigentliche Funktion der Maske.
Dieter Eisleb
Leuzinger, Elsy: Afrika. Kunst der Negervölker. — „Kunst der Welt. Ihre geschicht-
lichen, soziologischen und religiösen Grundlagen. Die außereuropäischen Kul-
turen.“ — Holle Verlag. Baden-Baden 1959. 235 S. mit 64 eingeklebten farbigen
Abbildungen, 144 Randzeichnungen und 4 Karten. Preis: DM 29,80.
Das hoch über dem Züricher See gelegene Rietberg-Museum verdankt seinen
Weltruf jener exquisiten Sammlung von Meisterwerken der außereuropäischen Kunst,
die hier dank der Sammelleidenschaft und Generosität Eduard v. d. Heydts ver-
einigt worden ist. Von gleich hoher Qualität ist auch die Einführung in Wesen und
Stilform der afrikanischen Kunst, die Elsy Leuzinger, der verdienstvollen Leiterin
dieses Museums, in der auf sechzehn Bände berechneten Reihe „Kunst der Welt“ zu
verdanken Ist. In angenehm lesbarer Form wird in diesem Bande ein Maximum an
wohlfundierter, klarer Information vermittelt: eine Leistung, zu der man der Ver-
fasserin gratulieren darf.
Der erste, rund ein Drittel des Gesamttextes umfassende Teil liefert dem Leser
die allgemeine Grundlage für ein besseres Verständnis der Negerkunst, deren ästhe-
tische „Entdeckung“ — vor allem durch die revolutionären Künstler Frankreichs und
Deutschlands — sich kurz nach der Jahrhundertwende vollzog. Der kurzen Über-
sicht über den Kontinent und seine Bewohner folgen zwei Kapitel, in denen nicht
nur das religiöse Weltbild, das die künstlerische Produktivität Negerafrikas weit-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
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gehend inspirierte und den Themenkreis der Werke maßgeblich bestimmte, sondern
auch die soziologischen Faktoren — in erster Linie Initiationszeremonien und Ge-
heimbundwesen — gebührend gewürdigt werden. Die Diskussion von Werkstoff und
Technik liefert den Übergang zu einer eingehenden, erfreulich sachlichen Analyse
der Gestaltungsprinzipien, die der Plastik der Afrikaner zugrundeliegen. Aus dem
starken Ausdruckswert der Formen erklären sich die zunächst befremdenden, vom
Naturvorbild oftmals stark abweichenden „Bedeutungsproportionen“. Tendenzen zur
Abstraktion (im sogen. „Primärstil“ [Speiser] und in dem ihm verwandten „Pfahl-
stil“) stehen in der Plastik einer Neigung zum Naturalismus (im „Rundstil“) oft
unvermittelt gegenüber, ohne daß es bislang gelungen wäre, diese Polarität der Stile
befriedigend zu erklären. Gegenüber der Plastik, zu deren Herstellung in Afrika
vornehmlich, ja in vielen Gebieten ausschließlich Holz diente, treten alle anderen
Zweige der Kunstübung erstaunlich an Bedeutung zurück, denn weder in der Archi-
tektur noch in der Malerei vermag Negerafrika zumindest in der historischen Zeit
erheblichere Leistungen vorzuweisen. Die großartige Felsmalerci des Schwarzen Erd-
teils bleibt hier unberücksichtigt, da sie im Rahmen eines anderen Bandes der Reihe
gewürdigt wird.
Ist damit die allgemeine Basis geschaffen, so dienst der zweite, doppelt so um-
fangreiche Teil des Werkes dazu, die einzelnen Stilprovinzen systematisch Revue
passieren zu lassen. Die Verfasserin unterscheidet dabei nicht weniger als sieben
große Areale: 1. den West-Sudan, 2. die westatlantischen und 3. ostatlantischen
Küstenländer, 4. Kamerun und Französisch Äquatorial-Afrika, 5. Belgisch-Kongo,
6. Ost-Afrika, 7. Südost-Afrika und Madagaskar. Die Stilmerkmale werden oft-
mals stenogrammartig charakterisiert, unterstützt von den zahlreichen Umzeichnun-
gen besonders repräsentativer Werke, die — wie in den Veröffentlichungen Paul
Wingerts — am Seitenrand erscheinen. Leider ist eine Reihe von Zeichnungen allzu
einfach geraten.
Wie heute so häufig, vermögen auch in diesem Bande die Farbtafeln vielfach
nicht zu überzeugen. Die radikale Veränderung, ja geradezu Verfälschung der Werte
ist nicht nur bei den Werken der Benin-Kunst erschreckend, sondern auch bei mehr
als einer Holzplastik erscheint statt des warmen schwarzbraunen Tones der Ober-
fläche ein unerfreulich kaltes Violettblau. Aus den Sammlungen vor allem des
Rietberg-Museums und der Universität Zürich stammen hervorragende, bisher un-
veröffentlichte Werke, denen man — aber auch den bereits bekannten Stücken —
eine farblich zutreffendere Wiedergabe gewünscht haben würde.
Das breitere Leserpublikum, an das sich der Band ja richtet, wird nicht nur das
erläuternde Verzeichnis der wichtigsten Fachausdrücke, sondern gewiß auch die nütz-
liche Literaturauswahl begrüßen. Ein sorgsam gearbeitetes Abbildungsverzeichnis und
ein Register von 9 Seiten erhöhen die Bedeutung des schönen Bandes, den auch der
Fachmann, will er sich über die Kunst Negerafrikas zuverlässig orientieren, stets
gern zu Rate ziehen wird.
Gerdt Kutscher, Ibero-Amerikanische Bibliothek Berlin
Lehmann, Henri: UArt Précolombien. — Collection „Carrefour des Arts“. Editions
Charles Massin. Paris 1960. 78 S. mit 94, davon 14 farbigen Abbildungen.
Das Schwergewicht des nur dreiviertelhundert Seiten starken, großformatigen
Kunstbandes liegt — dem Charakter der Reihe „Carrefour des Arts“ entsprechend —
eindeutig auf dem außergewöhnlich schönen Bildapparat, zu dem der knappe Be-
330
Bücherbesprechungen
gleittext die notwendigen Erläuterungen liefert. Der Bogen wurde dabei vom Ver-
fasser weiter als in manchem anderen, umfangreicheren Werk über die Kunst des
vorkolumbischen Amerika gespannt. Denn nicht nur Mexiko, Zentralamerika und
die Andenländer, die dem Leser treffend als „Die Länder der Pyramiden“, des
„Goldes“ und der „Mumien“ vorgestellt werden, sind in den Kreis der Betrachtung
einbezogen, sondern auch die „am Rande der großen Strömungen“ gelegene Kunst
der Antillen und Brasiliens wird erfreulicherweise wenigstens kurz berücksichtigt.
Mit sicherer Hand sind charakteristische Beispiele der Architektur, Stein- und
Holzskulptur, Keramik, Metall- und Webkunst ausgewählt worden, wobei die vom
Verfasser verwalteten Sammlungen des „Musee de l’Homme“ verständlicherweise
besonders stark herangezogen wurden. Zu dem Repertoire sozusagen „klassischer
Werke“, auf die auch hier nicht verzichtet werden durfte, tritt eine begrüßenswert
große Zahl bislang unpublizierter Stücke von zumeist hoher Qualität. Nur vier
der farbigen Abbildungen entstammen früheren Veröffentlichungen. Freilich Ist den
leider recht grellen, zudem noch mit einer sehr störenden Lackschicht überzogenen
Farbtafeln gegenüber eine gewisse Reserve am Platz. Um so mehr besticht die hohe
Qualität der in Kupfertiefdruck ausgeführten Abbildungen.
Bei einer Reihe von Werken fehlt leider jede Größenangabe, während bei dem
mosaikverzierten Messergriff aus Rom (Abb. 48) die Höhe (8,8 cm) versehentlich
verzehnfacht wurde. Bemerkenswert ist die Ablehnung, die H. Lehmann allen bisher
vorgeschlagenen Deutungen der sogen. „Joche“ und „Palmas“, also auch ihrer, wie
mir scheinen will, überzeugenden Interpretation als Steinrepliken von Ballspieler-
Attributen zuteil werden läßt (S. 24). Die anthropomorphe Stela aus Castillo de
Teayo (Abb. 33), die dem toltekischen Stil zugewiesen wird, dürfte huaxtekischen
Ursprungs sein, ebenso wie ein bereits von Seler abgebildetes Werk ganz ähnlichen
Charakters („Gesammelte Abhandlungen . . .“, Bd. II. Berlin 1904. S. 175, Abb. 16).
Mehr als ein Leser des für einen breiteren Kreis berechneten Bandes wird eine
Karte der indianischen Völker, Kulturen und Ruinenstätten vermissen. Auch eine
kurze Bibliographie hätte gewiß noch Platz gefunden.
Gerdt Kutscher, Ibero-Amerikanische Bibliothek Berlin
Robertson, Donald: Mexican Manuscript Painting of the Early Colonial Period.
The Metropolitan Schools. — „Yale Historical Publications. HIstory of Art“:
12. George Kubier, Editor. — Yale University Press. New Haven 1959. XIX
und 234 S., 88 Tafeln.
Eine der ergiebigsten, wenngleich noch nicht genügend beachteten Quellen für
die Erkenntnis des großen Akkulturationsprozesses, den die indianischen Kulturen
Mexikos im 16. Jahrhundert durchmachten, stellen die frühkolonialen Bilderhand-
schriften dar. Begrüßenswerterweise hat dieses Gebiet nun in Donald Robertson —
aus der Schule George Kublers stammend, dessen fördernde wissenschaftliche Ein-
flußnahme sehr deutlich ist — seinen kompetenten Bearbeiter gefunden. Die aus
dem Hochtal von Mexiko stammenden Codices, — auf sie allein beschränkt Robert-
son den Kreis seiner Betrachtung, — gestatten es, in der Veränderung ihrer Form-
gebung diesen Kulturwandel über einen Zeitraum von rund 80 Jahren hindurch sehr
anschaulich zu verfolgen. Indianische, in der alten Tradition wurzelnde Elemente
und europäische Stilformen mischen sich dabei in sehr verschiedenem Grade.
Folgen die frühesten, kurz nach der Conquista entstandenen Werke (wie der
„Codex Boturini“) noch weitgehend den altindianischen Malkonventionen, wobei die
spanischen Beischriften sich (wie im „Codex Telleriano-Remensis“) den Ansprüchen
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
331
des Malers zunächst ganz unterordnen, so wird in den folgenden Dezennien die
europäische Inspiration immer stärker spürbar, indem das Bild nur mehr eine Art
Textsupplement darstellt. Entsprechend ist der Wandel in der Auffassung von Raum,
Linie und Farbe. An die Stelle der flachen, zweidimensionalen Welt der präkolum-
bischen Künstler tritt der illusionistische, dreidimensionale Raum der abendlän-
dischen Renaissance-Kunst. Der geschlossenen Umrißzeichnung der indianischen Tra-
dition steht der kursiv geführte Kontur der Alten Welt gegenüber, während die
gleichmäßige, flächige Farbgebung der mit Tonwerten arbeitenden, modellierenden
Licht- und Schattentechnik weichen muß.
Es fällt dabei durchaus nicht leicht, den im Valle de Mexico vor der Eroberung
vorhandenen Flächenstil zu präzisieren, hat sich doch kein einziges Manuskript aus
dem Nahuatl-sprechenden Gebiet erhalten, das völlig frei von europäischem Ein-
fluß wäre. Auch der „Codext Borbonicus“, für den gemeinhin ein vorkolumbisches
Alter angenommen wurde, erweist sich bei der näheren Untersuchung durch Robert-
son als ein frühkoloniales Werk, denn in seiner Vorzeichnung ist bereits Platz für
geplante, wenn auch nicht ausgeführte spanische Glossen vorgesehen! Die Rekon-
struktion des präkolumbischen Stils vermag daher nur auf Umwegen zu erfolgen,
wobei die aus dem gleichen Gebiet stammenden nachkolumbischen Handschriften,
die stilistisch verwandten Flachreliefs in Stein oder Ton, vor allem aber die sogen,
mixtekischen Handschriften sich als Hilfsmittel bewähren. Es zeigt sich dabei, daß
die vorkolumbische Flächenkunst der Nahua dem Mixteca-Puebla-Stil viel näher
gestanden hat, als man bisher anzunehmen geneigt gewesen ist.
Ist damit die allgemeine Grundlage gelegt, so wendet sich Robertson sogleich
seiner eigentlichen Aufgabe zu: das reiche Handschriftenmaterial der „hauptstädti-
schen Schulen“ zu ordnen und in seiner Altersstellung zu fixieren. Nicht weniger
als vier große Schulen gelingt es ihm zu unterscheiden: die von Mexiko-Tenochtitlan,
Tetzcoco, Tlatelolco sowie die Gruppe der Sahagün-Manuskripte.
Die künstlerische Entwicklung der ersten Schule vollzieht sich in zwei Phasen,
wobei als Grenze das Jahr 1541 gelten kann, in dem die Arbeit an dem vom Vize-
könig Mendoza bestellten Codex gleichen Namens begonnen wurde. Der ersten
Periode sind vier Werke von hohem Range zuzuweisen: die „Matricula de Tributes“,
deren vorkolumbischen Prototyp Robertson in sehr geistreicher Weise zu rekon-
struieren versucht, den die Hauptstadt wiedergebenden „Plano en Papel de Maguey“,
den „Codex Boturini“ (Robertson bevorzugt für dieses Dokument die Bezeichnung
„Tira del Museo“) und der bereits oben erwähnte „Codex Borbonicus“. Die zweite
Periode ist durch den endgültigen Sieg der europäischen Buchform über das india-
nische Faltbuch („tira“) gekennzeichnet. Aus dieser Zeit stammen nicht weniger als
sieben Dokumente: der „Codex Mendoza“, bei dem uns der Name des indianischen
Malers überkommen ist, der „Codex Telleriano-Remensis“, der „Codex Osuna“, der
„Codex Mexicanus Nos. 23—24 (Paris)“, sowie der „Magliabecchiano“, zu dem sich
die beiden mit ihm verwandten Codices „Tudela“ („Cödice del Museo de America“)
und „Ixtlilxochitl“ gesellen.
Während die Schule von Mexiko-Tenochtitlan die neuen Ideen und Formen mit
eklektischer Leichtigkeit übernahm, besaß die nicht minder bedeutende Schule von
Tetzcoco dagegen die Kraft, den fremden Einflüssen in weit stärkerem Maße er-
folgreich zu widerstehen. Für Tetzcoco steht ein halbes Dutzend wichtiger Doku-
mente zur Verfügung, wobei die drei historischen „Mapas“ aus der frühesten nach-
kolumbischen Zeit stammen: die 1542 bzw. 1546 datierte „Mapa Quinatzin“, die
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Bücherbesprechungen
„Mapa Tlotzin“ und der „Codex Xolotl“ mit seiner kartographischen Darstellung
des Valle de Mexico. Zu ihnen treten der In seiner Formgebung einzigartige „Co-
dex en Croix“ (vor 1557 entworfen), das sogen. „Kalenderrad der Slg. Boban“ (wohl
nach 1564 zu datieren), sowie die Abbildungen zu den „Relaciones de Tequisistlan“
und den „Relaciones Geográficas de Tetzcoco“, wobei bestimmte Teile des „Codex
Ixtlilxochitl“ von Robertson mit plausiblen Gründen nicht als die Kopien, sonderh
als die bisher verlorengeglaubten Originale zu Pomar angesehen werden. Im Ge-
gensatz zu den Buchmalern von Mexiko-Tenochtitlan, bei denen die Farbe im
Vordergrund stand, bevorzugten die Künstler von Tetzcoco als wichtigstes Aus-
drucksmittel die Linie. Eleganz und Verfeinerung sind die Attribute dieser weit
kultivierteren Schule, für deren Entstehung Einwirkungen aus dem Gebiet der
Mixteca-Puebla-Kultur in den alten Quellen belegt sind.
Das Zentrum der dritten Schule bildete das berühmte „Colegio de Santa Cruz“
in Santiago Tlatelolco: ein „Treffpunkt der beiden Kulturen auf intellektuellem
Boden“ (S. 155), denn hier wirkten die beiden des Nahuatl mächtigen Patres Saha-
gún und Motolinia. Dieser Schule sind drei Manuskripte zuzurechnen: der 1552
datierte „Codex Badianus“, die zwischen 1555/56 und 1562 entstandene „Mapa de
Santa Cruz“ (Uppsala) und der in „Tira“-Form gemalte „Codex de Tlatelolco“,
der stilistisch enger mit Tetzcoco als mit Mexiko-Tenochtitlan zusammenhängt.
Die letzte Gruppe umfaßt die Illustrationen zu den Handschriften Sahagúns,
bei denen sich nicht weniger als drei verschiedene Stile unterscheiden lassen. Leider
wurden in Tlatelolco alle weiteren, vielversprechenden Entwicklungsmöglichkeiten
radikal abgeschnitten, als das „Colegio“ zur einfachen Parochialkirche herabsank: das
Ende des geistlichen Patronatentums bedeutete den Tod der Manuskriptkunst, ln
den Illustrationen zur „Historia General“ Sahagúns spiegelt sich noch einmal m
geradezu beispielhafter Weise jener Prozeß zunehmender Europäisierung, der den
Stil der Handschriften in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bestimmte.
Seiner tiefschürfenden Untersuchung der vier großen Handschriftengruppen läßt
Robertson einen kurzen Exkurs über die Codices von Techialoyan folgen, die der
Forschung noch zahlreiche Probleme bieten. Im Jahre 1795 zur Justifizierung be-
stimmter Landansprüche von den Indianern vorgelegt, sind diese Werke keinesfalls
kontemporär mit den anderen Dokumenten. Der Verfasser plant, die Dokumente
dieser Gruppe noch eingehender zu untersuchen (vgl. die inzwischen erschienene Stu-
die Robertsons: „The Techialoyan Codex of Tepotzotlán: Codex X. (Rylands Me-
xican Ms. 1).“ In: „Bulletin of the John Rylands Library“. Vol. 43, No. 1. (Aber-
deen 1960).
Robertsons gedankenreiche Ausführungen werden durch einen vorzüglich gedruck-
ten Abbildungsteil unterstützt, dessen 88 Tafeln charakteristische Proben aus der
Produktion der verschiedenen Malerschulen vorführen. Das Register und die 20
Seiten umfassende Bibliographie sind mit der größten Sorgfalt gearbeitet. Zwei
kleine Schönheitsfehler lassen sich leicht berichtigen: versehentlich ist zweimal von
dem „tecpatl or rock sign of the native writing“ die Rede (S. 121, 122), doch ist
ganz offensichtlich nicht tecpatl, sondern t e 11 gemeint, während die Unter-
schrift zu Tafel 61 nicht Auhymmalqualiztli, sondern Auh y atamal-
q u a 1 i z 11 i , das „Wasserkrapfen-Essen“, lauten muß.
Robertsons Werk über die frühkolonialen Bilderhandschriften erfüllt voll und
ganz die hohen wissenschaftlichen Ansprüche, die sein früherer Lehrer an sich selbst
wie an Andere zu stellen gewohnt ist: in mustergültiger Weise ist hier erstmalig
Ordnung auf einem bisher vernachlässigten Gebiet geschaffen worden. Wir verfügen
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damit über die zuverlässige Grundlage für alle weiteren Arbeiten, unter denen die
hoffentlich bald vorliegenden Beiträge des Verfassers nach dieser eindrucksvollen
Ouvertüre gewiß mit einem besonderen Interesse rechnen dürfen.
Gerdt Kutscher, Ibero-Amerikanische Bibliothek Berlin
Cartas de Relación de la Conquista de la Nueva España. Escritas por Hernán
Cortés al Emperador Carlos V y otros Documentos relativos a la conquista, años
de 1519—1527. Codex Vindohonensis S.N. 1600. Geleitwort: Josef Stumm-
voll, Introduction and BIbliography: Charles Gibson.. Kodikologische
Beschreibung: Franz Unterkirche r. — „Codices Selecti Phototypice
Impressi. Moderante Francisco Sauer. Yol. II.“ — Akademische Druck- und
Verlagsanstalt. Graz 1960. XXVII S. und 336 Blatt.
Während dem „Codex Vindobonensis Mexic. 1“, einer der schönsten uns erhalte-
nen präkolumbischen Bilderhandschriften, bereits im Jahre 1929 eine prachtvolle,
längst vergriffene Lichtdruckwiedergabe zuteil geworden ist, hat das zweite Juwel
in der Handschriftensammlung der österreichischen Nationalbibliothek, der „Codex
Vindobonensis Series Nova 1600“ bis jetzt auf eine Faksimileausgabe warten müssen.
Genau fünfzig Jahre, nachdem der stattliche Pergamentband nach langen, auch
heute erst teilweise aufgeklärten Irrfahrten wieder an seinen alten Platz in der
Wiener Bibliothek zurückkehrte, legt nun ein österreichischer Verlag diese wichtige
Dokumentensammlung aus der Entdeckerzeit in einer Ausgabe vor, die höchstes Lob
verdient.
Schon 1927 hat Rudolf Payer von Thurn alle verfügbaren Daten über dieses
seltsame Bücherschicksal zusammengetragen, dem — ausnahmsweise einmal —
ein glückliches Ende beschieden gewesen Ist. Als Geschenk Kaiser Franz Josephs an
seinen unglücklichen Bruder Maximilian überquerte der Codex im Jahre 1865 den
Ozean, um nach dem tragischen Ende Maximilians weiter in Mexiko zu bleiben. In
den achtziger Jahren scheint die kostbare Flandschrift sich zeitweise im Besitz
Alfredo Chaveros befunden zu haben, um dann wieder nach Europa zurückgebracht
zu werden: erst aus dem Nachlaß des diplomatischen Vertreters Mexikos am öster-
reichischen Hofe kehrte sie im Jahre 1911 in die Wiener Bibliothek zurück.
Wie lange sich der 336 Folioseiten starke Band vor seiner abenteuerlichen
Reise nach Mexiko in Wien befunden hat, läßt sich nicht mehr mit Genauigkeit
sagen. Dagegen stehen das Jahr und die Umstände seiner Wiederentdeckung für
die Wissenschaft fest. Bei den Vorarbeiten zu seiner bekannten „History of America“
hatte der schottische Historiker William Robertson vergeblich die spanischen Ar-
chive nach der „Primera Relación“ des Hernán Cortes durchforscht, als ihm der
Gedanke kam, nach dem Dokument in Wien zu fahnden. Dieser Versuch führte im
Jahre 1777 zur Wiederentdeckung des „Codex Vindobonensis“, doch ist der von
Robertson so sehr begehrte erste Bericht des Cortes an seinen Souverän bis zum
heutigen Tage verschollen geblieben. Denn an seiner Stelle enthält der Wiener Sam-
melband vielmehr die „Relación del regimiento de Vera Cruz“ (fol. 2 v. — 19 r.),
an die sich eine interessante Liste der Goldobjekte und anderen Kostbarkeiten an-
schließt, die im Aufträge des Cortes zusammen mit der eben erwähnten „Relación“
nach Spanien gebracht wurden, um Karl V. im April 1520 in Valladolid vorgelegt
zu werden.
Die drei späteren Berichte des Cortes, welche die folgenden 190 Blatt unserer
Handschrift füllen (fol. 22 r.—212 r.) waren zur Zeit Robertsons längst bekannt.
Der zweite Bericht (datiert vom 30. Oktober 1520 aus Tepeaca [Segura de la Fron-
tera]), der dritte (datiert vom 15. Mai 1522 aus dem der Hauptstadt benachbarten
334
Bücherbesprechungen
Coyouacan) und der vierte (vom 15. Oktober 1524 aus der Hauptstadt selbst) waren
bereits in den Jahren 1522, 1523 und 1525 in Sevilla und Toledo gedruckt worden.
Sie sind in viele Sprachen übertragen und in so zahlreichen Neuauflagen wieder
vorgelegt worden, daß ihre Bibliographie, um die sich José Toribio Medina besonders
verdient gemacht hat, bereits zu einer Art Spezialwissenschaft geworden ist.
Anders steht es dagegen mit dem fünften Bericht des Cortes, der fol. 229 r. bis
287 r. des Bandes einnimmt: diese „Relación“ ist erst durch die Wiederentdeckung
des Bandes im Jahre 1777 bekannt geworden. In der Hauptstadt Mexiko am 3. Sep-
tember 1526 verfaßt, schildert sie den abenteuer- und strapazenreichen Zug des
Conquistadors nach Honduras. Leider ist in der Bibliographie die deutsche, sehr
eingehend kommentierte Ausgabe, die Franz Termer zu verdanken ist (erschienen
unter dem Titel: Durch Urwälder und Sümpfe Mittelamerikas. Der fünfte Bericht
des Hernán Cortes an Kaiser Karl V. „Ibero-Amerikanische Studien“: 15. Ham-
burg 1941), nicht aufgeführt worden.
Zwischen die vierte und fünfte „Relación“ des Cortes sind vier weitere Doku-
mente eingeschoben: der erste und zweite Brief Pedro de Alvarados über die Er-
oberung Guatemalas, die „Relación“ des Diego Godoy, sowie der Bericht über die
in den Jahren 1524 bis 1527 erfolgte Expedition Francisco Pizarros und Diego
Almagros nach Peru. Als Autor dieses letzten Dokuments ist Francisco de Xerez
anzusehen, aus dessen Bericht hier ein Resumé gegeben wird.
An den fünften Bericht des Cortés schließt sich eine Gruppe von Dokumenten,
die sich auf die in den Jahren 1525 bis 1527 von Mexiko aus unternommenen, mit
dem Namen des Cortés verknüpften Molukken-Expeditionen beziehen (fol. 298 r.
bis 320 v). Das erste dieser Schriftstücke — die „Memoria del despacho que lleba
Anto. Girai para Albaro de Saavedra Qeron“ —, ist nach Charles Gibson bislang
unveröffentlicht geblieben.
Den Band beschließen die kostbaren Urkunden über die Entsendung der „Doze
Frayles“ nach Mexiko (fol. 326 r.—331 v.). Gibson läßt die Frage offen, ob es
sich hier um die Originale der „Obediencia“ und „Comision“, die von jenen berühm-
ten Glaubensaposteln in die Neue Welt mitgenommen wurden, oder aber — was
wahrscheinlicher ist — um sehr frühe Kopien dieser Dokumente handelt. Der latei-
nische Text der „Obediencia“ bildet das zweite, bisher ebenfalls unveröffentlicht
gebliebene Dokument des Codex.
Bereits Pascual de Gayangos hatte im Jahre 1866 die Vermutung ausgesprochen,
daß der Sammelband auf Verlangen Juan de Sámanos’ zusammengestellt wurde:
wirkte Sámanos doch als „Secretario“ des „Consejo Real y Supremo de las Indias“
gerade in jenem Zeitraum, in dem sich die im Wiener Codex beschriebenen Ereig-
nisse abspielten. Die Handschrift schildert mit aller Breite Geschehen aus dem
Sommer des Jahres 1527, um dann abrupt zu enden. Gibson verlegt daher mit Recht
die Komplikation des Codex in die zweite Hälfte des gleichen oder in den Anfang
des folgenden Jahres.
Eine eingehende kodikologische Beschreibung des Einbandes, auf dessen Vorder-
seite ein lateinischer und zwei griechische Sprüche in der Schrift des 16. Jahrhunderts
erscheinen, der alten Signaturen sowie des Buchblockes mit seiner Lagenzusammen-
setzung und seinen Wasserzeichen hat Franz Unterkircher, der Direktor der Hand-
schriftensammlung der österreichischen Nationalbibliothek, dankenswerterweise bei-
gesteuert.
In der kurzen Einleitung, der eine sorgsam gearbeitete Bibliographie von rund
250 Titeln folgt, hat Charles Gibson ganz bewußt darauf verzichtet, die zahl-
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reichen mit der Handschrift verknüpften bibliographischen und historischen Pro-
bleme eingehender zu diskutieren. Für alle zukünftigen Untersuchungen dieser Art
liefert das prachtvolle Faksimile nun die beste Grundlage. Der hervorragend aus-
gestattete Band reiht sich den früheren Handschriftenpublikationen der öster-
reichischen Nationalbibliothek auf das Würdigste an. Die Veröffentlichung des
„Codex VIndobonensis S. N. 1600“, in dessen Dokumenten sich jene faszinierende
Expansion Spaniens wiederspiegelt, in der von Franz Sauer herausgegebenen Reihe
der „Codices Selecti“ stellt eine verlegerische Höchstleistung dar, die gerade in
der heutigen Zeit kaum noch hoch genug anerkannt werden kann. Die beispielhafte
Initiative und Opferbereitschaft des an der Amerikanistik so lebhaft interessierten
Grazer Verlagshauses, dem auch eine sukzessiv erscheinende Neuauflage der „Ge-
sammelten Abhandlungen“ Eduard Selers zu verdanken ist, verdient die höchste
Anerkennung und jede nur mögliche Förderung — verbunden mit der Hoffnung,
daß sich auch die weiteren, nicht weniger wichtigen Veröffentlichungspläne des
Verlages in nicht allzu weiter Zukunft realisieren lassen werden!
Gerdt Kutscher, Ibero-Amerikanische Bibliothek Berlin
Gerbrands, A. A.: Art as an Element of Culture, especially in Negro-Africa. —
„Ministerie van Onderwijs, Künsten en Wetenschappen. Mededelingen van het
Rijksmuseum voor Volkenkunde, Leiden. No. 12.“ — E. J. Brill. Leiden 1957.
158 S. mit 1 Karte und 10 Textabb., 16 Tafeln.
Bereits vor der Jahrhundertwende hat Ernst Grosse mit Nachdruck die Ansicht
vertreten, die Kunst eines Volkes vermöge nur vor dem Hintergrund der Gesamt-
kultur richtig verstanden zu werden. Erst heute aber, nachdem völkerkundliche und
ästhetische Betrachtungsweise zueinander gefunden haben, eröffnet sich die Mög-
lichkeit, das so wichtige Thema „Kunst als Kulturelement“ nicht mehr rein theore-
tisch, sondern auf Grund von Feldforschungen erfolgreich zu diskutieren. A. A. Ger-
brands hat sich in seiner grundsätzlichen, ungemein gründlichen Untersuchung zwar
ganz bewußt auf Afrika beschränkt, ihr jedoch eine Darstellung der Entwicklung
vorangestellt, die dieser jüngste Zweig der Kunstwissenschaft genommen hat.
Vor allem ist dem Verfasser zunächst an einer zutreffenderen Namengebung
gelegen, als sie diesem Gebiet bisher zuteil geworden ist. Der Bezeichnungen gibt es
nicht wenige: sieht man einmal von dem regional bestimmten und daher zu eng
gefaßten Terminus „Negerkunst“ ab, so sind nicht nur die Bezeichnungen „Primi-
tive Kunst“, „Kunst der Naturvölker“ und „Exotische Kunst“, sondern neuerdings
auch noch „Stammeskunst“ und „Traditionelle Kunst“ vorgeschlagen worden. Ger-
brands, der sich mit keinem dieser Termini zu befreunden vermag, tritt dafür ein,
den Begriff „Nichteuropäische Kunst“ zu verwenden. Diese Bezeichnung erscheint
jedoch deshalb wenig glücklich, weil sie in keiner Weise erkennen läßt, daß sie —
nach Gerbrands eigener Begrenzung — nur auf die „Werke der eingeborenen Völker-
schaften Negerafrikas, Australiens, des Pazifik und auf bestimmte Kunstformen
Amerikas, Asiens und Indonesiens“, nicht jedoch z. B. auf die Kunst der asiatischen
Hochkulturen oder Alt-Amerikas angewendet werden soll.
Ungleich ergiebiger ist Gerbrands Überblick über die historische Entwicklung und
Wandlung dieser kunsthistorischen Disziplin, die zunächst fast ausschließlich — eine
bedeutsame Ausnahme bildete freilich der geniale Gottfried Semper — in den Hän-
den der zumeist nicht allzu kunstinteressierten Völkerkundler lag. Die reihenmäßige
Ableitung von Ornamentformen, wie die Probleme der Flächenkunst überhaupt,
standen dabei im Vordergrund des vom Evolutionismus beherrschten Interesses. War
336
Bücherbesprechungen
man anfangs geneigt, den Ornamentschatz auf Prototypen zurückzuführen, deren
Formgebung in den verwendeten technischen Verfahren begründet war, so ver-
suchte die „Degenerationstheorie“ dagegen das Ornament als eine Fortentwick-
lung aus einem primären Naturalismus zu erklären. Die heftig umstrittene Frage
nach dem zeitlichen Primat von „physioplastischer“ und „ideoplastischer Kunst“
(Verworn), also von naturnäherer und abstrakterer Formgebung, wurde schließlich
durch das prähistorische Fundmaterial dahin entschieden, daß sowohl naturalistische
als auch geometrisch-abstrakte Formen am Anfang der Weltkunst nebeneinander
erscheinen.
Nach der Jahrhundertwende richtete sich das Interesse mehr und mehr auf die
plastische Kunstübung. Die epochemachende Entdeckung der „Negerplastik“ brachte
zunächst die Vorherrschaft einer rein ästhetischen Schau mit sich, der jede Kenntnis
völkerkundlicher Daten nicht hilfreich, sondern im Gegenteil belastend erschien
(Carl Einstein). Am Ende der zwanziger Jahre betonten in Deutschland dann vor
allem Eckart von Sydow und Ernst Vatter, der eine von der Kunstgeschichte, der
andere von der Ethnologie her kommend, die Notwendigkeit, durch eine Kombi-
nation kunsthistorischer und völkerkundlicher Betrachtungsweise zu einer „Kunst-
geschichte der Naturvölker auf ethnologischer Grundlage“ zu gelangen, wie der Titel
eines der Sydowschen Kollegs bezeichnenderweise lautete. Aus dieser überaus frucht-
baren, heute allgemein herrschenden Einstellung heraus resultieren auch die ver-
schiedenen Versuche, durch eingehende Feldforschungen die über Bedeutung und
Funktion der Kunst vorhandenen Theorien mit der Realität zu konfrontieren und
auf ihre Gültigkeit hin zu erproben.
Nicht weniger als sechs Versuche dieser Art, die kulturelle Funktion der Kunst
Negerafrikas bei einzelnen Gruppen näher zu erfassen, werden in dem zweiten
Teil der Arbeit von Gerbrands ebenso systematisch wie kritisch untersucht: an der
Elfenbeinküste durch FF. Fiimmelheber (Atutu, Guro) und P. J. Vandenhoute (Dan,
Diomande, sowie in geringerem Maße Gere und Wöbe), bei den Dogon (M. Griaule
und seine Mitarbeiter), bei den Yoruba und Bini (Mrs. Cordwell) und im Kongo-
Gebiet durch Fiimmelheber (Yaka) und die Patres Jan und Frans Visser (Cabinda).
In Jedem Falle bildet dabei der Künstler selbst den Ausgangspunkt: die ihn
zur Schöpfung bewegenden Motive und Inspirationsquellen, die Phasen der In-
spiration und der Gestaltung des Werkes, wobei die Gewährsleute mehr als ein-
mal das den Entstehungsprozeß begleitende „Nachdenken“ als eine schwere Last
bezeichnen, aber auch die Formen der Ausbildung, der Arbeitstechnik, die ökono-
mischen Faktoren und die soziale Stellung des Künstlers in der Gruppe werden
der Reihe nach behandelt. Ein weiteres wichtiges Thema bildet die bisher noch un-
genügend geklärte Frage der ästhetischen Kriterien, gesehen sowohl vom Künstler
als auch von der Gruppe. Verschiedene Versuche, dieses Problem durch „Schön-
heitswettbewerbe“ mit entsprechender Befragung der Eingeborenen einer Lösung
näherzubringen, haben zu interessanten Ergebnissen geführt. Der im weitesten Sinne
soziale Aspekt der Kunst liegt unzweifelhaft in der religiösen Sphäre, da die Werke
die Möglichkeit bieten, das Übermenschliche in sichtbar-faßbarer Form auszudrücken,
doch mag das Kunstwerk zum anderen auch als Symbol von Stand und Prestige die-
nen. Zum politischen Aspekt (Verwendung der Maske zu politischen Zwecken) und
zur ökonomischen Seite (Entlohnung des Künstlers durch den Besteller) treten tech-
nologische Faktoren (die manuelle Fertigkeit des Künstlers, die auffallende Ver-
schlechterung der Qualität bei Verwendung europäischer Werkzeuge) und der Spiel-
Aspekt, durch den ein reines Vergnügungsbedürfnis befriedigt wird: sämtlich außer-
Baessler-Archiv, Neue Folge, Band IX
337
halb des ästhetischen Bereiches liegende Aspekte, die bei der eingehenden Unter-
suchung des kulturellen Hintergrundes die überaus enge Verflechtung des Werkes
mit der Gesamtkultur erweisen. Gerbrands’ sorgsame Analyse des bedauerlich ge-
ringen Materials zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wieviel der ethnologischen
Kunstforschung im Felde hier noch in allerletzter Stunde zu tun bleibt.
Gerdt Kutscher, Ibero-Amerikanische Bibliothek Berlin
Völkerkundliche Forschungen. Martin Heydrich zum 70. Geburtstag überreicht von
Freunden und Schülern. Herausgegeben von Willy Fröhlich. — „Ethnolo-
gien“, Neue Folge, Band 2. — E. J. Brill G.m.b.H. Köln 1960. XIX und 557 S.,
zahlr. Textabb. und 46 Tafeln.
Die stattliche Festschrift, die Martin Heydrich von seinen Freunden, Mitarbei-
tern und ehemaligen Schülern zum 70. Geburtstag dargebracht worden ist, wobei
W. Fröhlich als der Amtsnachfolger des Jubilars die Redaktionsarbeit übernom-
men hat, enthält drei Dutzend völkerkundlicher Arbeiten des verschiedensten Um-
fanges. Fast ein Drittel von ihnen kam aus dem Ausland: England ist mit zwei
Beiträgen von Chr. von Fürer-Haimendorf („The Role of the Monastery in Sherpa
Society“) und R. Firth („The Plasticity of Myth: Gases from Tikopia“) und
Österreich mit drei besonders interessanten Aufsätzen von W. Köppers („Zur Frage
der bildnerischen Darstellung des Hochgottes“), R. Heine-Geldern („Politische Zwei-
teilung, Exogamie und Kriegsursachen auf der Osterinsel“) und J. Haekel („Der
Hochgottglauben der Delawaren im Lichte ihrer Geschichte“) vertreten, zu denen
noch Arbeiten von S. Lagercrantz, Uppsala („Becher aus Hörnern des Nashorns“),
R. Mohr, Nijmwegen („Beobachtungen und Erkundigungen zur Soziologie und Re-
ligion der Naudeba in Nord-Togo“), F. J. de Hen, Antwerpen („A propos de quel-
ques chants de fable Bolia“), P. Leser, Hartford, Gönn. („Felder und Bodenbau-
geräte der Nyakyusa“), J. Wilbert, Caracas („Nachrichten über die Curipaco“) und
A. Metraux, Paris („Documents sur la transe mystique dans le Vaudou“) treten.
Selbstverständlich ist Köln auf das Beste vertreten: durch F. W. Funke („Be-
trachtungen zur Kulturgeschichte der Thai“), W. Stöhr („Eine Skulptur der Dajak
von Zentral-Borneo“), H. Petri („Die Altersklassen der Vorinitiation bei Einge-
borenengruppen Nordwest-Australiens“), C. Niessen („Vorformen der Maske“), O.
Köhler („Sprachakkulturation im Herero“), W. J. Knoob („Die Rolle des Pro-
pheten in den afrikanisch-christlichen Sekten"), W. Fröhlich („Das westafrikanische
Elfenbeinhorn aus dem 16. Jahrhundert“), M. Schneider („Nochmals asiatische
Parallelen zur Berbermusik“) und I. Bolz („Die stilisierte Darstellung des Rochen
in der Moche-Kunst“).
Das dem Jubilar dargebotene Material ist geographisch geordnet, wobei Asien
mit nur 5 Beiträgen den Anfang macht: außer den oben bereits genannten Arbeiten
noch zwei weitere von H. Niggemeyer („Ritualjagd und Fruchtbarkeltsvorstellung . . .
der Kuttia Kond“) und H. E. Kauffmann („Das Fadenkreuz, sein Zweck und seine
Bedeutung“). Ozeanien und Afrika sind je 10 Aufsätze gewidmet: zu den schon
oben aufgeführten Autoren treten noch H. Plischke („Insulaner aus der Südsee in
Europa am Ende des 18. Jahrhunderts“), A. Lommel („Die Südsee-Sammlung Lamare
Picquot“), H. Damm („Versuch einer Deutung der sogen. Fetische von den Anacho-
reten-Inseln“), C. A. Schmitz („Ornamentik der Komba auf Neu-Guinea“), FI. Ne-
vermann („Völkerkundliches von Aoba“), G. Koch („Zum Problem der polynesischen
Fernfahrten“), Th. S. Barthel („Wer waren die ersten Siedler auf der Osterinsel?“),
A. E. Jensen („Prä-kuschitische und prä-nilotische Survivals in Süd-Äthiopien“),
338
Bücherbesprechungen
H. Himmelheber („Einige Eigentümlichkeiten westafrikanischer Plastiken“) und
S. Wolf („Afrikanische Elfenbeinlöffel des 16. Jahrhunderts“). Amerikanistische Bei-
träge stellten außer Haekel, Métraux und Bolz zur Verfügung: O. Zerries („Medizin-
mann und Geisterglaube der Waika-Indianer“), K. Hissink („Notizen zur Aus-
breitung des Ayahuasca-Kultes bei Chama- und Tacana-Gruppen“), H. D. DIsselhoff
(„Notizen zur Archäologie Westmexikos“) und H. Trimborn („Mehrfaltige Götter in
den Mythen von Huarochiri“).
Erfreulich reich vertreten ist in dieser Festschrift das Gebiet der ethnologischen
Kunstwissenschaft, das dem Jubilar, dessen Verdienste W. Fröhlich in der kurzen,
von bibliographischen Hinweisen begleiteten Einleitung würdigt, seit seiner Studie
über „Afrikanische Ornamentik“ (1914) stets besonders am Herzen gelegen hat.
Der Verlag — der gleiche, in dem vor fast einem halben Jahrhundert die preis-
gekrönte Dissertation Heydrichs erschienen war, — hat für eine vorbildliche Aus-
stattung des Bandes Sorge getragen.
Gerdt Kutscher, Ibero-Amerikanische Bibliothek Berlin
Soeben ist erschienen:
WILHELM E. MÜHLMANN
Chiliasmus und Nativismus
Studien zur Psychologie, Soziologie und historischen Kasuistik
der Umsturzbewegungen
Mit Beiträgen von Alfons M. Dauer, Willi J. Knoob, Wolfgang H. Lindig,
Ernst Wilhelm Müller, Udo Oberem, Erika Sulzmann und Helga Uplegger
472 Seiten 17,5 X 25 cm, mit 7 Kartenskizzen, ausfiihrl. Sachregister und Literatur. 1961
Brosch. DM 45,—, Buckram DM 52,—
Das Buch befaßt sich mit dem großen Thema der „auf Zeit gestreckten Welt-
revolution“. Mit Tocqueville und Jacob Burckhardt ist Mühlmann der Über-
zeugung, daß das Prinzip der Revolution in der ganzen Welt weiter wirkt. Er
leitet es aus der spätjüdischen-frühchristlichen Apokalyptik und den von daher
durch das ganze Mittelalter hindurch gespeisten „chiliastischen Aufbrüchen“ her.
Die Erwartungen eines Tausendjährigen Reiches wirken im abendländischen wie
auch im russischen Christentum und im Islam weiter. In den „nativistischen Be-
wegungen“ kolonial überlagerter Naturvölker sind diese Wirkungen am deut-
lichsten; Selbständigkeitsbewegungen und Abwehr jeder Bevormundung durch
den weißen Mann weisen auf einen künftigen, z. T. schon verwirklichten Natio-
nalismus hin.
Mit einer Reihe von Mitarbeitern legt Mühlmann im I. Teil des Buches zwölf
Studien über nativistische Bewegungen bei Eingeborenen verschiedener Kontinente
vor. Im II. Teil bietet er psychologisch-soziologische Analysen und religions-
soziologische Vergleiche. Untersucht werden Entstehung, Ausbreitung und Ab-
läufe nativistischer und chiliastischer Bewegungen und Persönlichkeit, Rolle und
Milieu der „Propheten“ u. a. Als Träger chiliastischer Bewegungen erscheinen
durchweg Arme, Ausgebeutete und Unterdrückte, — wie auch moderne nati-
vistische Bewegungen von „Parias“ getragen werden: von dem kolonial unter-
drückten „externen Proletariat“ farbiger Völker. Die Messiasrolle ist heute durch
den Marxismus und Leninismus kollektiviert.
DIETRICH REIMER VERLAG IN BERLIN-STEGLITZ
Zum Schluß werden die chiliastischen Grundstrukturen aufgegliedert in histo-
rische Bauelemente und überlagernde Ideologien, Sie sind erkennbar in den
Phänomenen der Utopien, des Nationalismus, Kommunismus und Totalitarismus,
und in diesem Zusammenhang wird der Nationalsozialismus besonders betrachtet.
Dem heutigen Wohlfahrtsstaat und der entstehenden Wohlfahrtswelt ist ein
Kapitel gewidmet — auch hier sind chiliastische Tendenzen nachweisbar..
Das Buch bietet im allgemeinen eine umfassende Analyse von Grundkräften
der modernen Weltgesellschaft, im besonderen eine illusionslose Analyse dieser
Kräfte, soweit sie zerstörend wirken. Die „haltenden Mächte“ der Vernunft
und des Glaubens können dieser Zerstörung entgegenwirken.
Ende 1961 erscheinen:
Horst Nachtigall
INDIANER KUNST DER NORD-ANDEN
BEITRÄGE ZU IHRER TYPOLOGIE
Etwa 320 Seiten mit 619 Abbildungen und einer Karte. 1961.
Broschiert DM 42,—, Leinen DM 50,—
Horst Nachtigall
ALT-KOLUMRIEN
VORGESCHICHTLICHE INHIANERKULTUREN
208 Seiten mit 31 Abbildungen und einer Karte. 1961.
Broschiert DM 35,—, Leinen DM 42,—
Ausführliche Ankündigungen sind erhältlich
DIETRICH REIMER VERLAG IN RERLIN-STEGLITZ
BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
Herausgegeben im Aufträge des
Museums für Völkerkunde Berlin
H. D. DISSELHOFF UND K. KRIEGER
NEUE FOLGE BAND IX
(XXXIV. BAND)
BERLIN 1961
VERLAG VON DIETRICH REIMER
INHALT
Margot Dias, Lissabon:
Makonde-Töpferei
Mit 22 Abbildungen und 8 Zeichnungen ................................. 95
H. D. Disselhoff, Berlin:
Dr. Rebeca Carrion Cachot de Girard t
Mit 1 Abbildung ...................................................... 1
H. D. Disselhoff, Berlin:
Das Berliner Museum für Völkerkunde gestern und morgen ............... 193
H. D. Disselhoff, Berlin:
Berliner Museum für Völkerkunde: Neuerwerbungen mexikanischer Alter-
tümer
Mit 15 Figuren und 2 Abbildungen ..................................... 5
H. D. Disselhoff, Berlin:
Berliner Museum für Völkerkunde: Neuerwerbungen peruanischer Alter-
tümer
Mit 17 Figuren ........................................................ 199
Dieter Eisleb, Berlin:
Steinplastiken im Mezcala-Stil ans den Sammlungen des Berliner
Museums für Völkerkunde
Mit 15 Abbildungen .................................................... 217
W. Haberland, Hamburg:
Tontrommeln in El Salvador
Mit 3 Abbildungen ...................................................... 73
Gerdt Kutscher, Berlin:
Ein Stammbaum des königlichen Geschlechtes von Tetzcoco. Postkolum-
bische Bilddokumente aus Mexiko im Berliner Museum für Völkerkunde; I
Mit 11 Abbildungen: .............................................. 233
Wolfgang Laade, Berlin:
Fischgatter auf den Kerkennah-lnseln und der Insel Djerba, Tunesien
Mit 17 Abbildungen und 4 Figuren ................................. 127
Horst Nachtigall, Mainz:
Beiträge zur Ethnographie der tunesischen Nomaden
Mit 20 Abbildungen und 2 Figuren ..................................... 151
Kurt Reinhard, Berlin:
Das Berliner Phonogramm-Archiv ....................................... 83
265
Willy Schulz-Weidner, Frankfurt:
Einige Notizen über den Stamm der Gudji-Galla
H. Walter, Berlin:
Geschichte, Probleme und heutiger Stand der Sambaqui-Archäologie
Mit 2 Abbildungen, 5 Tafeln und 1 Kartenskizze .......................
Bücherbesprechungen:
Cartas de Relación de la Conquista de la Nueva España. Codex Yindo-
bonensis S. N. 1600. 333 — Gerbrands: Art as an Element of Culture,
especially in Negro-Africa 335 — Horkheimer: Nahrung und Nahrungs-
gewinn im vorspanischen Peru 188 Hotz; Indianische Ledermalereien
190 — Kohl-Larsen: Unter roten Hihiskushlüten 4 Lehmann: L’Art
Précolombien 329 — Leuzinger: Afrika. Kunst der Negervölker 328 —
Lindig: Die Seri 186 — Mylius: Antlitz und Geheimnis der überseeischen
Maske 328 — Robertson: Mexican Manuscript Painting of the Early
Colonial Period 330 — Völkerkundliche Forschungen: Martin Heydrich
zum 70. Geburtstag 337
23
Beihefte zum BAESSLER-ARCHIV, Neue Folge
Beiheft 1 erschien 1959:
KURT KRIEGER
Geschichte von Zamfara
Sokofo-Provinz, Nordnigeria
147 Seiten im Format des Baessler-Archivs mit 12 Tafeln und einer Karte
Beiheft 1, Berlin 1959, Broschiert DM 14,—
Gelegentlich einer Forschungsreise nach Nordnigeria hatte der Verfasser Ge-
legenheit, Manuskripte von alten Hausa-Chroniken zu studieren und örtliche
Überlieferungen zu sammeln. Hier gibt er neben einer Zusammenfassung eine
mit sämtlichen Quellen belegte Geschichte des nordnigerischen Königreiches
Zamfara und schildert u. a. die Regierungszeiten von 54 Herrschern vom
13. Jahrhundert bis heute.
Beiheft 2 erschien 1960:
HERMANN TRIMBORN
Archäologische Studien
in den Kordilleren Boliviens
76 Seiten im Format des Baessler-Archivs mit 66 Abbildungen
Beiheft 2, Berlin 1959, Broschiert DM 12,—
Die altertumskundliche Forschung steht mit der Freilegung und Auswertung
von Zeugnissen der indianischen Vergangenheit im bolivianischen Anden-
raum noch vor einem ergiebigen Feld. Als Teilergebnisse einer Forschungsreise
(1955/56) legt Hermann Trimborn, der Völkerkundler der Universität Bonn,
Beobachtungen vor, die neben einer kürzeren Würdigung anderer Denkmäler
vor allem um zwei Komplexe kreisen: Der eine ist eine bisher nicht beschrie-
bene Totenstadt auf dem Altiplano, die sogenannten „Chullpas“ von Sica-
Sica. Zum anderen wird eine umfassende Darstellung den rätselhaften Fels-
skulpturen von Samaipata gewidmet, dem östlichsten vorgeschobenen Punkte
der Hochlandskultur.
Weitere Hefte in Vorbereitung!
DIETRICH REIMER VERLAG IN BERLIN-STEGLITZ
STUDIEN ZUR SOZIOLOGIE DER REVOLUTION
Herausgegeben von
WILHELM E. MÜHLMANN
o. ö. Professor der Soziologie und Ethnologie an der Universität Heidelberg
Soeben erschien als erster Band:
WILHELM E. MÜHLMANN
CHILIASMUS UND NATIVISMUS
Studien zur
Psychologie, Soziologie und historischen Kasuistik
der Umsturzbewegungen
Mit Beiträgen von Alfons M. Dauer, Willi J. Knoob, Wolfgang H. Lindig,
Ernst Wilhelm Müller, Udo Oberem, Erika Sulzmann und Helga Uplegger
472 Seiten im Format dieser Ankündigung, mit 7 Kartenskizzen, ausführlichem Sachregister
und Literaturhinweisen. 1961. Brosch. DM 45,—, Buckrara DM 52,—
Das Buch befaßt sich mit dem großen Thema der „auf Zeit gestreckten
Weltrevolution“. Mit Tocqueville und Jacob Burckhardt ist Mühlmann der
Überzeugung, daß das „Prinzip der Revolution“, das in der großen französichen
Revolution zum ersten Male unabweislich in Erscheinung trat, nicht erloschen
ist, sondern seither wie ein schwelendes Feuer weiter wirkt, sowohl bei uns wie
in der ganzen Welt. Mühlmann führt aber dieses Prinzip historisch weiter
zurück als seine Vorgänger: Er leitet es her aus der spätjüdischen-frühchrist-
lidien Apokalyptik und den von daher durch das ganze Mittelalter hindurch
gespeisten „chiliastischen Aufbrüche n“. Diese wirken in der
abendländischen Christenheit weiter, aber auch im russischen Christentum und
im Islam. Ihre Wirkungen sind heute psychologisch am aufschlußreichsten und
symptomatisch am deutlichsten erkennbar in den sogenannten „nativisti-
schen Bewegungen“ bei kolonial überlagerten Naturvölkern. Hier
weisen Selbständigkeitsbewegungen und massive Abwehr jedwelcher Bevor-
mundung durch den weißen Mann auf einen künftigen, z. T. sogar schon ver-
wirklichten Nationalismus hin.
VERLAG VON DIETRICH REIMER IN BERLIN
Mit einer Reihe von Mitarbeitern legt Mühlmann im I. Teil ein Dutzend
„Studien“ über nativistische Bewegungen bei Eingeborenen Amerikas,
Afrikas, Nordeurasiens, Melanesiens, Polynesiens und Indonesiens vor. Dabei
treten charakteristische Varianten in Erscheinung: escapistische, quietistische,
revivalistische, reformistische, pazifistische, aber auch terroristisch-subversive.
Ursprünglich religiöse Bewegungen münden häufig in ein politisches Fahrwasser
ein und enden mit dem Aktionsprogramm, die weißen Herren zu vertreiben,
auszurotten, oder die Rolle von Herren und Sklaven zu vertauschen. Viele
dieser Bewegungen gehen ursprünglich von missionschristlichen Gemeinden aus,
andere entwickeln sich auf islamischer Basis.
Im II. Teil bietet Mühlmann psychologisch-soziologische Analysen und
religionssoziologische Vergleiche nativistischer und chiliastischer Bewegungen,
wobei auch die gnostisch-manichäischen Sekten, die Hussiten, die Täufer, die
russischen Altgläubigen und andere Sektierer herangezogen werden. Untersucht
werden das „charismatische Milieu“ der Entstehung, die Persönlichkeit und
Rolle der „Propheten“, die Weisen der Ausbreitung und Abläufe, die eschato-
logische Thematik mit ihren universalistischen, integralistischen, egalitaristischen
und anarchistischen Elementen. Für basal hält M. bei allen diesen Bewegungen
die mythischen Strukturen; die Idee eines „reinen Urzustandes“, der keine
Störung von außen verträgt, woraus sich das bis heute nachwirkende Motiv
der „Säuberung“ ergibt; die davon abgeleiteten Ideen eines „Goldenen Zeit-
alters“, das durch einen „anaklitischen Regreß“ wiederbelebt wird (z. B. in
der Konzeption eines „Tausendjährigen Reiches“); die Heilbringer und Mes-
siasse; vor allem aber das „Mythologem von der verkehrten Welt“, das in
seinen sozialen Konsequenzen auf einen Umsturz der Sozialordnung hinzielt
(„Die Letzten werden die Ersten sein“). Der Verf. zeigt die entscheidende
Bedeutung der „verfehlten Prophetien“ und dementierten Weissagungen einer-
seits für den Übergang von der „Bewegung“ zur Sekte oder Kirche, anderer-
seits für die Entwicklung vom eschatologischen Erwartungsstadium zum Han-
delnsstadium (Adventismus — Aktivismus) und den daraus resultierenden
Umschlag in Terror und Umsturz, — selbst bei ursprünglich pazifistischem
Grundprogramm. Die „verkehrte Welt“ wird pragmatisch, die „Parias erklären
sich zur Elite“ („der verworfene Stein wird zum Eckstein“). Als Träger der
chiliastischen Bewegungen erscheinen durchweg die Armen, Elenden, Zukurz-
gekommenen, Erniedrigten und Beleidigten, Ausgebeuteten und Unterdrückten.
Die modernen nativistischen Bewegungen werden ebenfalls von „Parias“ ge-
tragen, nämlich von dem kolonial unterdrückten „externen Proletariat“ der
farbigen Völker. Die Messiasrolle ist heute durch den Marxismus und Leninismus
kollektiviert. Das „externe Proletariat“ beginnt, sich als Heilsträger und Garant
der Zukunft zu fühlen. In allen Sozialrevolutionären Bewegungen sind die
miteinander verflochtenen Motive komplex. Neben idealistischen Impulsen
finden wir vulgäre, neben dem Hauptstrang die Nebenbewegungen des „mar-
ginalen Pöbels“.
Im Schlußabschnitt wird die komplexe Erscheinung der chiliastischen Grund-
strukturen — nebst ihren gnostizistischen Seitenlinien — aufgegliedert in histo-
rische Bauelemente und überlagernde Ideologien. Sie sind erkennbar in den
Phänomenen der Utopien (wobei M. eine selbständige, von K. Mannheim
unabhängige Auffassung vertritt), ferner des „Primitivismus“, Nationalismus,
gnostischen Dualismus, Kommunismus, Anarchismus und Totalitarismus (mit
besonderer Betrachtung des Nationalsozialismus).
Ein eigenes Kapitel ist unter dem Stichwort „Sozialhedonismus“ dem heutigen
Wohlfahrtsstaat und der entstehenden „Wohlfahrtswelt“ gewidmet, in dem
M. das Weiterwirken chiliastischer Grundtendenzen nachweist; zugleich sind im
Wohlfahrtsstaat die ehemaligen utopischen Entwürfe real eingeholt, z. T. sogar
überholt worden.
Das Buch bietet im allgemeinen eine umfassende Analyse von Grundkräften
der modernen Weltgesellschaft nach ihren psychologischen Tiefenmotiven und
soziologischen Verursachungen und Ablaufsgesetzen, im besonderen aber auch
eine illusionslose Analyse dieser Kräfte, soweit sie zerstörend wirken.
Doch wird immer wieder, und am Schluß noch einmal konzentriert, hingewiesen
auf die „haltenden Mächte“ der Vernunft und des Glaubens, die diesen zer-
störenden Kräften entgegenwirken können.
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort ........................................................................ 7
I. Regionaler Teil ............................................................ 17
Wanderungen der Tupi-Guarani und Eschatologie der Apapocüva-Guarani.
Von Wolfgang H. Lindig (München) ..................................... 19
Prophetismus und Geistertanz-Bewegung bei nordamerikanischen Eingeborenen.
Von Wolfgang H. Lindig (München) und Alfons M. Dauer (Rüsselsheim) 41
Die Aufstandsbewegung der Pende bei den Quijo Ost-Ekuadors im Jahre 1578,
Von Udo Oberem (Bonn) .............................................. 75
Die Bewegung der Antonier im alten Reiche Kongo.
Von Erika Sulzmann (Mainz) ........................................... 81
Ethnologische Aspekte der religiösen Bewegungen im südlichen Afrika.
Von W. J. Knoob (Köln) .............................................. 87
Zwischen Erweckung und Terror: Der Mau-mau-Aufstand in Kenya.
Von W. E. Mühlmann (Heidelberg) ...................................... 105
Die Koreri-Bewegung auf den Schouten-Inseln (West-Neuguinea).
Von Ernst Wilhelm Müller (Heidelberg) ................................ 141
Die Cargo-Kulte in Neuguinea und Insel-Melanesien.
Von Helga Uplegger (Mainz) und W. E. Mühlmann (Heidelberg) ........... 165
Polynesische Beispiele. Von W. E. Mühlmann .............................. 191
Hyperboräische Eschatologie. Von W. E. Mühlmann.......................... 197
Islamische und hinduistische Bewegungen. Von W. E. Mühlmann ............. 223
II. Vergleichender Teil. Von W. E. Mühlmann.................................. 241
Einleitung; Religionssoziologisches Vergleichsmaterial .................. 243
Persönlichkeit und Milieu ................................................. 251
Charismatisches Milieu und charismatische Typen 251 — Persönlichkeits-
faktoren 256 — Die kollektiven Symptome 261
Abläufe und Ablaufsregeln ................................................. 267
Räumlich 267 — Zeitlich 269 — Die Rolle der verfehlten Prophetie 272 —
Institutionalisierung 277
Die eschatologische Thematik .............................................. 281
Universalismus und Integralismus 281 — Der Topos der „messianischen
Wehen“ 282 — Egalitarismus und Anarchismus 284
Die mythischen Strukturen ................................................. 291
Die Wiederherstellung des reinen Urzustandes 291 — Das irdische Para-
dies 296 — Die psychologische Struktur des „Goldenen Zeitalters“ 298 —
Das „Tausendjährige Reich“ 300 — Der Heilbringer 304 — Das Mytho-
logem von der verkehrten Welt 307
Die Dialektik von Erwartung und Handeln (Adventismus und Aktivismus).. 313
Adventismus und Escapismus 313 — Der Übergang zur Aktion 317 — Die
irenische Illusion: Der Umschlag in Terror 323
Der Umsturz .............................................................. 329
Das Motiv der Säuberung 329 — Die „verkehrte Welt“ wird pragma-
tisch 333 — Die Parias als Elite 335 — Die soziologische Verortung des
Chiliasmus 344 — Die farbigen Völker als „externes Proletariat“ 351
Geschichtliche Wurzeln ................................................... 357
Die historischen Ursachen für das Auftreten diiliastischer Bewegun-
gen 357 — Eschatologie und Geschichte 364 — Methodologische Einschal-
tung: Das Prinzip der Schichtenkongruenz 369 — Die apokalyptische Em-
pörung und die „haltenden Mächte“ 371 — Eschatologie und Revo-
lution 374
Weiterverfolgung historischer Einzellinien .............................. 377
Der Weg zur Utopie 377 — Primitivismus 380 — Nationalismus 382 —
Dualismus 388 — Kommunismus 391 — Anarchismus 397 — Totali-
tarismus 398 — Perfektionismus, Anomismus, Dogmatismus 403 —
Sozialhedonismus (Wohlfahrtsstaat und Wohlfahrtswelt) 406 — Die Trans-
formation der Chiffren 418 — Die Reduktion auf Zeitstufe 422
Versuch einer Gesamtwürdigung des Chiliasmus .............................. 425
Quellenkritik 425 — Das Urteil der „oberen Region“ 429 — Nihilismus
und Transzendenz 436
Register ................................................................. 453
VERLAG VON DIETRICH REIMER IN BERLIN
Berlin-Steglitz, Wulffstraße 7
Die Lieferung erfolgt durch:
VERLAG VON DIETRICH REIMER IN BERLIN
Im Herbst 1961 werden erscheinen:
Horst Nachtigall
INDIANERKUNST DER NORD-ANDEN
BEITRÄGE ZU IHRER TYPOLOGIE
Etwa 320 Seiten mit etwa 600 Abbildungen und einer Karte. 1961.
Broschiert etwa DM 42,—, Leinen etwa DM 50,—
Zum ersten Mal werden altindianische Kunstschätze, die z, T. seit vielen Jahr-
zehnten in den kolumbianischen Museen und Sammlungen angehäuft sind, in
Originalabbildungen vorgelegt. Damit wird die Lücke zwischen den Regional-
veröffentlichungen über den mittelamerikanischen und den peruanisch-bolivia-
nischen Kulturkreis geschlossen. Als eine zusammenfassende Vorlage der Formen
der nordandinen keramischen Kunst und der indianischen Goldkunst erfüllt die-
ses Buch ein dringendes Desiderat.
Die künstlerischen Hinterlassenschaften der Indianer des Nordandenraumes
zeigen, daß auch in diesem von der Forschung bisher vernachlässigten vorge-
schichtlichen Bereich Hervorragendes geleistet worden ist. Zwar fehlen uns hier
indianische schriftliche Äußerungen, und auch an Bauwerken ist auf unsere Tage
nichts Wesentliches überkommen. Dafür aber ist der Reichtum der kolum-
bianischen Goldkunst an Techniken und Formen in ganz Amerika unübertroffen.
Auch der Typen- und Dekorationsschatz der keramischen Kunst zeigt nahezu
alle wesentlichen in Amerika aus den unterschiedlichen Kulturkreisen bekannten
Muster, die der besten Kunst der amerikanischen Indianer aller Zeiten an die
Seite gestellt werden können.
So rundet dieses Buch unsere Kenntnis der Altertumskunde der nordandinen
Indianer ab, der der Verfasser bereits zwei Bände gewidmet hat: „Die amerika-
nischen Megalithkulturen“, Berlin, 1958, und „Tierradentro, Archäologie und
Ethnographie einer kolumbianischen Landschaft“, Zürich, 1955.
Horst Nachtigall
ALT-KOLUMBIEN
VORGESCHICHTLICHE INDIANERKULTUREN
Etwa 220 Seiten mit 31 Abbildungen und einer Karte. 1961.
Broschiert etwa DM 35,—, Leinen etwa DM 42,—
Die Forschung über die Indianerkulturen Alt-Kolumbiens erhält mit dieser Ver-
öffentlichung ihre zusammenfassende Darstellung. Der Verfasser hat als Chef-
Archäologe ausgedehnte völkerkundliche und vorgeschichtliche Feldforschungen
VERLAG VON DIETRICH REIMER IN BERLIN
in Kolumbien unternehmen können und alle wesentlichen altindianischen Fund-
plätze durch eigenen Augenschein kennengelernt und photographiert.
Anhand der Quellen aus der Zeit der Eroberung wird ein anschauliches Bild
über die Altertumskunde des kolumbianischen Raumes entworfen. So bringt der
Verfasser in diesem 4. Band seiner Forschungen in Kolumbien eine in sich ge-
schlossene und abschließende Zusammenfassung über die Altertumskunde der
Nord-Anden.
Dem Fachmann bietet ein Anhang mit ausführlicher Bibliographie und einem
umfangreichen Anmerkungsteil die nötigen Hilfsmittel, ohne den kulturgeschicht-
lich interessierten Leser in der flüssigen Lektüre über eines der bemerkenswertesten
Kapitel der amerikanischen Kulturgeschichte zu behindern.
Horst Nachtigall
DIE AMERIKANISCHEN MEGALITHKULTUREN
VORSTUDIEN ZU EINER UNTERSUCHUNG
Erschienen als 1. Band der von Wilhelm Emil Mühlmann herausgegebenen
„Neuen Ethnologischen Forschungen“
272 Seiten mit 4 Karten und 256 Abbildungen auf Tafeln. 1958.
Broschiert DM 32,—, Leinen DM 38,—
Die vorliegende Arbeit ist der Versuch, in Amerika das Vorkommen megalithi-
scher Konstruktionen und mit ihnen verbundener Motive aufzuzeigen, zu ver-
gleichen und miteinander in einen kulturhistorischen Zusammenhang zu bringen.
Interkontinentale Beziehungen sind außer acht gelassen . . . Die Bestandsauf-
nahme der amerikanischen Megalithkulturen zeigt außer einem Zusammenhang
untereinander auch, wie Nachtigall meint, daß sie die Basiskulturen der amerika-
nischen Hochkulturen bildeten . . . Abschließend sagt Nachtigall, daß „die Ver-
breitung der mit den Megalithen zusammenhängenden Ideen über eine Distanz
von etwa 12 000 Kilometern und einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren die
größte kulturell einheitliche Leistung der amerikanischen Indianer ist“. Nachtigalls
Arbeit ist ein mutiger Versuch der erstmaligen Zusammenschau bestimmter Kultur-
eigentümlichkeiten Amerikas, die von ihm unter dem Oberbegriff des Megalithi-
schen verstanden werden ... „ZeitschriftfürEthnologie“
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