BAESSLER-ARCH1V
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS MITTELN DES BAESSLER-1NST1TUTS
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGISCHEN
ABTEILUNGEN DES KÖNIGLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
IN BERLIN REDIGIERT VON
P. EHRENREICH
BAND 1
MIT 177 ABBILDUNGEN IM TEXT
SOWIE 12 EINFARBIGEN UND BUNTEN TAFELN
Qa
LEIPZIG UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER
INHALTSVERZEICHNIS.
Max Schmidt, Über altperuanische Gewebe mit szenenhaften Darstellungen. Mit Tafel I—IV und Seite
49 Fig. im Text...................................................................... I—61
Otto Dempwolff, Sagen und Märchen aus Bilibili............................................. 63-102
Felix von Luschan, Zur Ethnographie des Kaiserin Augusta-Flusses. Mit 35 Fig...............103—117
Heinrich Stönner, Ein brahmanisches Weltsystem. Mit Tafel V—VII............................119—134
Wilhelm C rahm er, Über beilartige Waffen im indischen Kulturgebiet. Mit 18 Fig............135-142
Wilhelm Planert, Religiöse Bettler in Südindien. Mit Tafel VIII—XI und 8 Fig...............143-154
August Eichhorn, Beiträge zur Kenntnis der Waschambaa. Nach {unterlassenen Aufzeichnungen von
A. Karasek. Mit 27 Fig............................................................... 155—222
P. Josef Reiber, Kinderspiele in Deutsch-Neuguinea......................................... 227—256
P. O. Meyer, Die Schiffahrt bei den Bewohnern von Vuatom (Neupommern, Südsee), Mit Tafel XII. . 257-268
P. J. Wendler, Zur Feuer- und Nahrungsbereitung der Marshall-Insulaner (Südsee)............ 269-276
KLEINERE MITTEILUNGEN.
C. Spieß, Zum Kultus- und Zauberglauben der Evheer (Togo). Mit 3 Fig................ 223—226
C. Spieß, Zum Fetisch- und Zauberglauben der Evheer. Mit 4 Fig...................... 277—279
O. Witte, Menstruation und Pubertätsfeier im Kpandu-Gebiet (Togo). Mit 1 Fig........ 279-280
MUSEUMSNOTIZEN.
1. Vier alte Helme aus Polynesien................................................... U8
TAFELVERZEICHNIS.
Tafel I. Bemaltes Gewebe von Pachacamac.
„ 11. Mythische Darstellung. Gewebe von Pacha-
camac.
„ 111. Mythische Kampfszene. Gewebe von Pacha-
camac.
Tafel IV. Opferszenen. Gewebe von Pachacamac.
„ V—VII. Das brahmanische Weltsystem.
„ VIII—XI. Südindische Bettlerkasten.
„ XII. Zeremonial-Schiffsschnäbel (tabatoba) von
Vuatom.
REGISTER.
(Abkürzungen: Ng. = Neuguinea; W. = Waschambaa.)
/*?
Agrikultur der W. 173 ff.
Ajantä, Wandgemälde 140
aklama, Fetische der Evhe 224
amrita, Gewinnung der 123
Ändi, indische Bettlerkaste 147
Angälammei, südind. Gott 151
Auslegerkahn, Vuatom 259 ff.
azadagli-Stein der Evhe 225
Badespiele Ng. 230
Ballspiel Ng. 247
Beilartige Waffen in Indonesien 135 ff.
Bemalung der W. 166.
Bemalte Gewebe der Peruaner 20 ff.
Beschneidung der W. 191
Betelkalkbüchsen Ng. 112
Bettler in Südindien 143 ff.
Bilderschrift s. Pictographie
Bilibili Ng., Sagen und Märchen 63 ff.
Blasinstrumente Ng. 110
Blasrohr in Peru 48
Brahma 124
Buddha 140
Chimu-Kultur 60
Dörfer der W. 186 ff.
Ehe der W. 186
Evheneger, dzogbemesikpo 276
—, gbone-Fetisch 276
—, gläkpedzo-Zauber 278
—, Kultus und Zauberei 223 ff., 277
—, Menstruation u. Pubertätsfeier 279
Fadenspiele Ng. 251
Fangspiele Ng. 246
Fetische der Evheer 223, 224, 276
Feuer,Sage vom Ursprung des — Ng. 98
—, Bereitung auf den Marshallinseln
— -Spiele Ng. 249 [269
Figuren auf peruanischen Geweben
26 ff., 36, 38, 40
Fischfang, Peru 35
Fischereispiele Ng. 231
Flechtarbeiten Ng. 112
Flächenornamente, peruanische 16 ff.,
Floß auf Vuatom 258 [29
Gangedlu, Bettlerkaste in Südindien
Geburt der W. 187 [149
Geisterglaube der W. 193
Gewebstechnik, peruanische 3ff.
— der Tiahuanacokultur 4
—, Fachbildung 6
—, Spaltenbildung 3, 5
—, Struktur 3 ff.
Haartracht der W. 166
—, Zierate Ng. 109
Hanumän 121
Heilbringersage Ng. 69
Heilige Plätze, brahmanische 125
Helme aus Polynesien 117
Himmelswelten, brahmanische 123
Höllen, brahmanische 133
Holzschnitzerei Ng. 108
Hütten der W. 162
Jagdspiele Ng. 237
Jünglingshaus der W. 162
Kawa, Sage vom Ur^rung der —, Ng.100
Keramik Ng. 104 ff.
Kinderspiele Ng. 227 ff.
Kleidung der W. 171
Kochherd, Marshallinseln 270
Kokosnuß, Sage vom Ursprung der —,
Bilibili, Ng. 93
Krankheiten und Therapie der W.198ff.
Kreiselspiele Ng. 250
Kriegsspiele Ng. 229
Kulturpflanzen der W. 176 ff.
Legba- Kult der Evheer 223
MannärsvämT, südind. Göttin 151
Märchen und Sagen aus Bilibili 63 ff.
- der W. 210
- der Marshallinsulaner 275 ff.
Märiyammen, südind. Pockengöttin
Masken Ng. 112 [152
Medizin der W. 195
Menstruation bei Evheern 279
Mogan, Pandanusmuß 273 ff.
Mythen s. Märchen
mythologische Darstellungen auf
peruanischen Geweben 56 ff.
Nahrung der W. 162
Narbentatauierung der W. 168
Opfer in Peru 59
Ornamentik, peruanische Gewebe 16
—, Pflanzenmotive 45
Pachacamacgewebe 17, 29, 45
- -Kultur 3, 60
---Webstuhl 7, 8
Palmblattflechterei in Peru 5, 6
Pandanus als Nahrungspflanze 273
Pandäram, indische Bettlerkaste
Pariakaka 58 [143ff.
Perlfischerei, Peru 41
Peru, Gewebe 1 ff.
—, Kulturperioden 60
Pflanzenmotive, peruanische Ge-
webe 45 ff.
Pflanzungsspiele Ng. 241
Pfeilwurzel als Nahrungspflanze 270
Pictographie, Peru 16 ff., 27 ff.
Pubertätsfeier der Evheer 279
Rämasage 121
Ratespiele Ng. 248
Regengottheit, Peru 54, 55
Regenkappe Ng. 116
Regendämon der W. 193
Reigenspiele Ng. 242
Sagen s. Märchen
Sänfte, peruanische 30
Sakyamuni s. Buddha
Sanniyäsi, Bettlerkaste in Südindien
Siva 120 [149
— -Verehrer 143
Schädel, präparierte von Ng. 116, 117
Scheibenschießen Ng. 228
Schiffahrt, Peru 33 ff.
—, Vuatom 257
Schiffbau von Vuatom 257 ff.
Schiffsschnäbel Ng. 111
— von Vuatom 261 ff.
—, verzierte bei Leichenfeiern 267
Schiffspiel, Vuatom 259
— Ng. 252
Schleuderspiele Ng. 247
Schmuck der W. 163
Schnitzereien vom Augustafluß von
Vuatom (Kanuschnäbel) 267
Schwimmender Insulanervon Vuatom
— der Kinder auf Ng. 230 [248
Sprachen, Sage von der Entstehung
der —, Ng. 279
Springspiele auf Ng. 244
Strandrecht auf Vuatom 266
Tabak der W. 183
—, Sage vom Ursprung des - Ng. 101
Täder, Täser Täsari, Bettlerkaste in
Südindien 148
Tätowierung W. 168
Tiahuanaco, Gewebe 18, 19
— -Kultur 3, 21, 27, 29, 60
— -Steintor 20
— -Stil 3, 18, 21
Tierspiele Ng. 232
Tonspiele Ng. 248
Totem. Sagen auf Ng. 63 ff.
Visnu 120
---Inkarnationen 120
— -Verehrer 121, 147
Webeschwert von Truxillo 60
Webestuhl, peruanischer 5 ff.
— der Naturvölker 15
Weltsystem der Brahmanen 119ff.
Wiedergeburten 131
Wurfbrett, Peru 57
Zauberei W. 194
— der Evheer 224, 278
Zauberlieder beim Schiffbau, Vuatom
262 ff.
Zeichnen der Naturvölker 26
— der Kinder auf Ng. 252
Ziel- und Schießspiele Ng. 227
№• U
BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZÜR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS MITTELN DES BAESSLER-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGISCHEN
ABTEILUNGEN DES KÖNIGLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
IN BERLIN REDIGIERT VON
P. EHRENREICH
BAND 1 HEFT 1
MIT 4 TAFELN IN SCHWARZ- UND MEHRFARBEN-LICHTDRUCK
SOWIE 49 ABBILDUNGEN IM TEXT
LEIPZIG UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER
1910
bv.“
■B ■ .'1
Das Baessler-Archiv erscheint vorläufig in zwanglosen Heften,
von denen 6 einen Band von ca. 36 Druckbogen zum Preise von
2Ô Mark bilden. Einzeln sind die Hefte zu einem je nach dem
Umfang bemessenen, etwas erhöhten Preise käuflich.
Das Honorar beträgt 80 Mark für den Bogen von 8 Seiten;
außerdem erhalten die Mitarbeiter 50 Sonderabzüge.
Für umfangreichere wichtige Arbeiten werden nach Bedarf
Beihefte ausgegeben, die besonderen Vereinbarungen unterliegen.
Das Archiv- ist in erster Linie für die Bearbeitung des ethno-
logischen Materials unserer Museen bestimmt. Daher können
Arbeiten über allgemeine Themata nur ausnahmsweise, solche
aus dem Gebiet der physischen Anthropologie und speziellen
Linguistik überhaupt nicht berücksichtigt werden.
Sendungen, Zuschriften und Anfragen sind zu richten
an den Redakteur
Dr. P. Ehrenreich, Berlin W., Lutherstraße 29
vom 1. Oktober ab Heilbronner Straße 4.
Inhalt des ersten Heftes:
Max Schmidt, Über altperuanische Gewebe mit szenenhaften Dar-
stellungen. Mit 4 Tafeln und 49 Abbildungen im Text.
Die nächsten Hefte des Baessler-Archivs werden enthalten:
0. Dempwolff, Sagen und Märchen aus Bilibili.
H. Stönner, Ein brahmanisches Weltsystem. Beschreibung eines
im Museum für Völkerkunde zu Berlin befindlichen Bildes.
W. Crahmer, Beilartige Waffen im indischen Kulturgebiet und
Verwandtes.
W. Planert, Religiöse Bettler in Südindien.
J, Reiber, P., Kinderspiele in Deutsch-Neuguinea.
W. Thalbitzer, Der ethnographische Zusammenhang zwischen
den Eskimos Grönlands und der Hudsonsbai.
mm
ÜBER ALTPERUANISCHE GEWEBE
MIT SZENENHAFTEN DARSTELLUNGEN.
VON
Dr. Max SCHMIDT.
In der Januarsitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Ur-
geschichte hatte ich in kurzer Form die Ergebnisse meiner Studien über szenenhafte Darstel-
lungen auf altperuanischen Geweben mitgeteilt1). Die vorliegende Abhandlung bringt eine
weitere ausführlichere Verarbeitung und macht zugleich das wertvolle einschlägige Material,
durch welches unser Museum vor einigen Jahren bereichert worden ist, der Öffentlichkeit zu-
gänglich2).
Wenn ich von den Ergebnissen meiner längeren Studien an altperuanischen Geweben zu-
nächst dasjenige bringe, was ich in bezug auf die Bedeutung der szenenhaften Darstellungen
auf ihnen herausbekommen zu haben glaube, so bin ich mir dessen sehr wohl bewußt,
daß ich die bisher nicht unternommene Aufgabe einer systematischen Verarbeitung der alt-
peruanischen Gewebe eigentlich von hinten anfange, indem ich den kompliziertesten, den Aus-
fluß der höchsten Entwicklung altperuanischer Webetechnik bildenden Teil der Gewebe zuerst
behandle. Aber dennoch habe ich mich dazu entschlossen. Einmal, weil bei einer erschöp-
fenden Verarbeitung des überaus umfangreichen und vielseitigen Materials in der Reihenfolge
vom Einfachen zum Weiterentwickelten die, wohl den interessantesten Teil bildenden, Gewebe
mit szenenhaften Darstellungen noch jahrelang der Veröffentlichung harren müßten und sodann,
weil sich mit diesem Teile der zu lösenden Aufgabe der Zusammenhang mit den übrigen, die
altperuanische Kultur betreffenden Arbeiten der letzten Zeit besser hersteilen läßt, und somit
die große Bedeutung des Studiums der Gewebe für die Klärung der altperuanischen Kultur-
verhältnisse deutlicher zutage tritt.
Um zweierlei handelt es sich bei der wissenschaftlichen Verarbeitung dieser szenenhaften
Darstellungen auf altperuanischen Geweben: erstens um die Bestimmung ihres Stils und
damit zugleich um die möglichst genaue Fixierung der Kulturperiode und des Kulturkreises,
dem sie angehören, und zweitens um die Deutung ihres Inhalts und damit zugleich um die
Aufdeckung neuer Quellen zur Erforschung der alten Kultur ihrer Verfertiger. In beiden
Beziehungen, sowohl ihrem Stil als auch ihrem Inhalt nach, liefern diese szenenhaften
Darstellungen auf den Geweben wichtige, ganz neue Gesichtspunkte zur näheren Erforschung
der altperuanischen Kulturentwicklung.
1) Vgl. Zeitschrift für Ethnologie. Jahrgang 1910. Heft 1, S. 154-164. 2) Die unermeßliche Schätze
enthaltende Sammlung peruanischer Altertümer, der wir das vorliegende Material zum größten Teil zu verdanken
haben, wurde von Herrn Gretzer aus Hannover während seines 33 jährigen Aufenthaltes in Lima gesammelt und dem
Königl. Museum für Völkerkunde zu Berlin im Jahre 1907 in hochherziger Weise von dem leider zu früh ver-
storbenen Herrn van der Zypen gestiftet. Einige der der vorliegenden Abhandlung als Material zu Grunde
gelegten Gewebe sind der reichhaltigen Sammlung entnommen, die dem Berliner Museum von Arthur Baessler
im Jahre 1899 geschenkt worden ist. Die letzteren sind im Text als solche hervorgeboben.
Baessler-archiv i.
1
2
MAX SCHMIDT
I.
TECHNIK UND STIL DER
SZENENHAFTEN DARSTELLUNGEN AUF ALTPERUANISCHEN GEWEBEN.
A. ART DER TECHNIK.
An sich besteht bei den Geweben ebenso wie bei den Geflechten eine derartig innige Be-
ziehung zwischen den Mustern und der Technik, daß eine getrennte Behandlung beider in den
meisten Fällen ganz unmöglich ist. Wie sich einerseits die Muster in den mehr oder weniger
engen Rahmen der durch die im bestimmten Falle vorliegende Webetechnik gebotenen Mög-
lichkeiten einfügen müssen, so sind andererseits die verschiedensten Mittel der Technik an-
gewendet worden, um diesen Kreis der Möglichkeiten den menschlichen Bedürfnissen ent-
sprechend immer mehr zu erweitern. Diese gegenseitige Abhängigkeit von Muster und Technik
geht bei den altperuanischen Geweben so weit, daß es, wie mich eine mehrjährige Praxis ge-
lehrt hat, ziemlich gleich ist, ob wir die Gewebe rein äußerlich nach der verschiedenen Be-
schaffenheit des Musters oder der Technik ordnen; denn in jedem Falle bekommen wir das
unter beiden Gesichtspunkten Gleichartige zusammen. So steht es auch mit den hier speziell
in Frage stehenden Geweben mit szenenhaften Darstellungen, bei denen Menschen, Tiere und
Pflanzen in irgendwelche Beziehung zueinander gebracht sind; denn es kommt hier, soweit
es sich um wirklich eingewebte Muster handelt, eigentlich nur eine bestimmte Technik in Be-
tracht, auf die ich im folgenden näher einzugehen habe. Daneben findet sich noch eine Anzahl
bildlicher Szenen, die in ganz freier Form stickereiartig in Baumwollstoff eingewebt sind,
sowie mit Farben auf einfachen Baumwollstoff aufgemalte Darstellungen, die wohl das
wichtigste Ouellenmaterial zur Erforschung altperuanischen Wesens überhaupt darstellen.
1. DIE STRUKTUR DER GEWEBE MIT SZENENHAFTEN DARSTELLUNGEN UND IHR UNTERSCHIED VON DER
STRUKTUR DER GEWEBE DER FRÜHEREN KULTURPERIODE.
Wie wohl bei allen Geweben, so liegt auch bei den altperuanischen Geweben der Haupt-
unterschied darin, ob das Muster durch die Kettenfäden oder durch die Einschlagfäden oder
durch beide zugleich gebildet wird. Liegen die Kettenfäden im Vergleich zu den Einschlag-
fäden sehr nahe aneinander, so überdecken sie bei der gewöhnlichen Webart diese letzteren
vollständig, liegen sie aber umgekehrt im Vergleich zu den Einschlagfäden weit auseinander,
so werden sie ihrerseits von diesen letzteren vollständig überdeckt. Im ersteren Falle ver-
laufen die Maschen des Gewebes naturgemäß in der Richtung der Kette, im zweiten Falle in
der zu ihr senkrecht stehenden Richtung. Nur bei ganz losen Geweben, vor allem auch häufig
bei den sogenannten Hohlgeweben, bleiben Kette und Einschlag beim fertigen Gewebe sicht-
bar. Es liegt in der Natur der Sache, daß bei den durch die Kettenfäden gebildeten Mustern
diesen letzteren ein viel engerer Spielraum gelassen ist als bei den durch den Einschlag ge-
bildeten, da die Kettenfäden ihrer Natur nach durch das ganze Gewebe hindurchlaufen1), und
somit bei einem Längsstreifen des Gewebes immer nur eine Variation von zwei Farben mög-
lich ist2). Anders bei den durch den Einschlag gebildeten Mustern. Hier kann jeder Einschlag
in beliebig viele verschieden gefärbte Fäden zerlegt werden, so daß sich mit den verschieden
gefärbten Fäden in freier Form jedes beliebige Muster gewissermaßen in das Gewebe hinein-
malen läßt (vgl. z. B. Fig. 43), nur daß hierbei, wie wir im folgenden näher sehen werden,
1) Auf die sich bei einer Art von Geweben aus Ica findende Ausnahme von dieser Regel kann ich hier
nicht näher eingehen. 2) Die Variation von zwei Farben bei einem Längsstreifen des Gewebes ist dadurch
ermöglicht, daß dieselben Kettenfäden bei jedem Einschlag immer abwechselnd auf der Vorder- und Rückseite
des Gewebes sichtbar werden. Sind daher z. B. die geraden Nummern der Kettenfäden schwarz und die unge-
raden Nummern weiß, so wird eine schwarz und weiße Querstreifung als Muster auftreten. Vgl. hierzu meine
Ausführungen über die Gewebe der Quato-Indianer. (Max Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. Erlebnisse
und ethnologische Ergebnisse einer Reise in den Jahren 1900 bis 1901. Berlin 1905. S. 242.)
ALTPERUANISCHE GEWEBE
3
gewisse Übelstände an der Grenze der verschieden gefärbten Einschlagfäden vermieden werden
müssen. Es liegt also auf der Hand, daß nur die letztere Art der Technik, bei der das
Muster durch den Einschlag gebildet wird, bei den Geweben mit eingewebten szenenhaften
Darstellungen Verwendung finden konnte.
Die Struktur der hier in Frage stehenden Gewebeart mit den szenenhaften Darstellungen,
die im wesentlichen unserem modernen Kelim-Gewebe entspricht, wird aus dem in Fig. 1
wiedergegebenen Schema ersichtlich, das einem Gewebestück von Pachacamac Masche für
Masche genau entnommen ist. Wir haben es hier mit einem roten, einem weißen und einem
braunen Einschlagfaden zu tun, von denen jeder durch eine
gewisse Anzahl von Kettenfäden nach beiden Richtungen
hindurchgeht. Immer da, wo der betreffende Einschlagfaden
auf den benachbarten andersgefärbten stößt, kehrt er zurück,
um das ihm zukommende Kettenstück wieder in entgegen-
gesetzter Richtung zu durchlaufen. Wie die Figur 1 zeigt,
können auf diese Weise ganz schmale Streifen ins Muster
eingewebt werden. Dies geht so weit, daß der be-
treffende Einschlagfaden an einigen Stellen überhaupt nur
noch um einen Kettenfaden herumgewickelt erscheint.
Zugleich sehen wir an dem vorliegenden Schema sehr
deutlich den schon erwähnten Übelstand dieser Gewebeart,
nämlich die breiten Spalten, die an der Grenze zwischen
zwei Farben in der Kettenrichtung auftreten und die Halt-
barkeit des Gewebes überaus beeinträchtigen. Diese für
die ganze Webart der hier in Frage stehenden Gewebe mit
szenenhaften Darstellungen so typische Spaltenbildung
ist, wie wir noch weiterhin deutlicher sehen werden, von der
größten Wichtigkeit für die zeitliche Bestimmung der ein-
zelnen Gewebe und damit die Abgrenzung der einzelnen
Kulturperioden überhaupt. Auch in den ältesten nachweis-
baren Kulturperioden des alten Peru, aus denen uns Ge-
webe erhalten sind, hat die Webetechnik schon eine
derartige Entwicklungsstufe erreicht, daß durch verschie-
dene Färbung der Einschlagfäden eine mehr oder weniger
freie figürliche Darstellung möglich ist. Es läßt sich
aber eine deutliche Unterscheidung der Gewebe der ver-
schiedenen Kulturkreise nach der verschiedenen Art machen, wie die erwähnte Spalten-
bildung zwischen den verschiedenen Farben im Gewebe vermieden ist.
Dank den systematischen Ausgrabungen Uhles1) in Pachacamac sind wir in der Lage zu
konstatieren, daß die Gewebe mit den szenenhaften Darstellungen einer Kulturperiode angehören, von
der sich wenigstens in Pachacamac deutlich eine noch frühere Kulturperiode abhebt-), deren Er-
zeugnisse sich aufs engste an die alte Kultur von Tiahuanaco anschließen. Uhle hebt be-
sonders hervor, daß diese zu einer gewissen Zeit plötzlich auftretende neue Kultur in vollständigem
Gegensätze zu der früheren Kultur dieser Gegend steht. Nach ihm muß diese plötzliche Ver-
änderung durch irgendwelche unbekannte Umstände herbeigeführt sein, die wirksam genug waren,
um eine Revolution der Kulturform von Pachacamac hervorzurufen. Er hält die Unterschiede
zwischen beiden Kulturperioden für so groß, daß sie auf eine Verschiedenheit der jeweilig vor-
herrschenden Bevölkerung schließen lassen. Die genaue Untersuchung der Gewebetechnik beider
1) Uhle, Max: Pachacamac, Report of the William Pepper, Peruvian Expedition of 1896. Published by the
Department of the University of Pennsylvania. Philadelphia. 2) Uhle: 1. c. S. 44/45.
Fig. i.
Struktur der Gewebe mit szenenhaften Darstellungen.
4
MAX SCHMIDT
Kulturperioden bestätigt diese Anschauung Uhles vollkommen, denn die Struktur der Gewebe,
die der früheren Kulturperiode — wir können kurz sagen, der Tiahuanaco-Kultur — an-
gehören, ist eine durchaus verschiedene von der Struktur der späteren Gewebe mit den szenen-
haften Darstellungen.
Wie sich aus dem Schema in Fig. 2 ersehen läßt, wird auch hier wieder das verschieden-
farbige Muster durch verschiedene Färbung der einzelnen Einschlagfäden hervorgerufen, aber
die bei der vorher beschriebenen Gewebeart an den
Grenzen zwischen den verschieden gefärbten Ein-
schlagfäden auftretenden Spalten finden sich hier
nicht vor. Sie sind dadurch vermieden, daß die Ein-
schlagfäden an der Berührungsstelle um einander
geschlungen sind. Daß diese Verschlingung der Ein-
schlagfäden tatsächlich auf den angeführten Zweck
zurückzuführen ist, geht aus einem Vergleich des
Schemas in Fig. 2 mit demjenigen in Fig. 3 hervor. Bei diesem letzteren, das ebenfalls einem
typischen „Tiahuanaco-Gewebe“ entnommen ist, sehen wir, daß diese Umschlingung nicht statt-
hat, wenn die Berührungsstelle der betreffenden Einschlagfäden nicht in gerader Linie zwischen
zwei Kettenfäden, sondern stufenförmig von Kettenfaden zu Kettenfaden verläuft, da in diesem
letzteren Falle die Festigkeit des Gewebes an der Grenze zwischen
den verschiedenen Farben in keiner Weise beeinträchtigt wird.
Nicht nur bei den Geweben von Pachacamac im Tiahuanaco-Stil
findet diese Umschlingung der verschiedengefärbten Einschlagfäden an
ihren Berührungsstellen statt. Auch das bekannte schöne Gewebe vom
Totenfeld zu Ancon aus der Reiß und Stübel-Sammlung, dessen Dar-
stellungsweise ebenfalls dem Tiahuanacostil angehört, weist genau
dieselbe Struktur auf1).
Von besonderem Interesse aber ist es für die Frage nach der
Stellung, die diese in sehr frühen Zeitperioden an der peruanischen
Küste nachweisbare Tiahuanaco-Kultur zu der Kultur der weiter süd-
lich gelegenen Gegend von lea eingenommen hat, daß genau dieselbe
Besonderheit, die die alten „Tiahuanaco-Gewebe“ aufweisen, auch bei
den Geweben von Ica etwas ganz Gewöhnliches ist. Und nicht nur
findet sich diese Verschlingung der Einschlagfäden bei denjenigen Ge-
weben von Ica, die auch der Anlage ihres ganzen Musters nach2) den „Tiahuanaco-Geweben“
von Pachacamac verwandt sind, sondern auch bei einem großen Teile der für Ica so typischen
Gewebe mit einfach geometrischem Muster.
Als wichtige Tatsache muß hier endlich noch erwähnt werden, daß diese Verschlingung
der Einschlagfäden in genau derselben Weise auch bei einem Gewebe aus der Sammlung
Centeno3) wiederkehrt, das, wie aus den mit Silberdraht umwickelten Fäden, mit denen
das Gewebe durchwirkt ist, geschlossen werden kann, jedenfalls aus der Zeit der spanischen
Eroberung stammt. Auf diesem letzteren Gewebe sind mannigfache figürliche Darstellungen
ganz in der Art der Gewebe mit den szenenhaften Darstellungen der späteren Periode von
Pachacamac wiedergegeben, während, wie schon erwähnt, die Struktur des Gewebes genau der-
jenigen der „Tiahuanaco-Gewebe“ oder der Gewebe von Ica entspricht, die aller Wahrschein-
lichkeit nach auch bei den alten Inkaperuanern bis zur Zeit ihrer Berührung mit der Küstenkultur
allgemein verbreitet gewesen ist.
1) Reiß und Stübel: Das Totenfeld von Ancon in Peru. Berlin 1880-1887. Tafel 49. 2) Vor allem ist
dies in ganz auffälliger Weise bei dem in Fig. 11 wiedergegebenen, unter Nr. VA 16297 der Berliner Sammlung
verzeichneten Gewebe der Fall. 3) Verzeichnet unter Nr, VA 8839 der Berliner Sammlung.
Fig. 3. Struktur eines Gewebes
der Tiahuanaco-Kultur.
Struktur der alten Gewebe der Tiahuanaco-Kultur.
ALTPERUANISCHE GEWEBE.
5
Diesen Fällen gegenüber muß konstatiert werden, daß bei den Geweben der peruanischen
Küste nördlich von Ica, soweit sie nicht ihrer Musterung nach entweder der alten Tiahuanaco-
Kultur oder der später auch an die Küste vorgedrungenen Inkakultur angehören, diese Ver-
schlingung der Einschlagfäden') niemals als Mittel zur Vermeidung der Spaltenbildung im Ge-
webe angewendet worden ist, daß man dagegen auf verschiedene andere Weise versucht hat,
diesem Übelstande nach Möglichkeit abzuhelfen.
Einmal hat man überhaupt die in der Richtung der Kette verlaufende Grenze zwischen
den verschiedenen Farben des Musters zu vermeiden gesucht, worauf die bei den Geweben
dieser Periode so auffällige Tendenz zur diagonalen Musterbildung hauptsächlich zurück-
zuführen ist. Besonders stark tritt dies bei der größten Anzahl der geometrischen Muster
hervor, bei denen die Grenzlinien der verschiedenen Farben entweder in diagonaler Richtung
zum Gewebe oder senkrecht zu der Richtung der Kettenfäden verlaufen. Konnte man, wie
dies gerade bei den Geweben mit den szenenhaften Darstellungen häufig der Fall ist, die in
der Richtung der Kettenfäden verlaufenden Grenzlinien nicht ver-
meiden, so griff man von Zeit zu Zeit mit dem betreffenden Ein-
schlagfaden über den schon dem benachbarten anders gefärbten
Einschlagfaden zukommenden Kettenfaden hinüber, wie es das in
Fig. 4 wiedergegebene Schema veranschaulicht. In anderen Fällen
hat man in dieser Periode die im Gewebe entstandenen Spalten
durch nachträgliches Vernähen beseitigt.
Es steht also nach dem Obigen die Tatsache fest, daß bei den
Geweben mit szenenhaften Darstellungen, die in Pachacamac zu
einer gewissen Periode auftreten, verschiedene Mittel versucht worden
sind, um die nachteilige Spaltenbildung zu vermeiden, ohne daß
man dabei auf das einfachste und auch wohl zweckmäßigste Mittel
verfallen ist, das in der früheren Kulturperiode in dieser Gegend
allgemein im Gebrauch war. Es läßt sich diese auffällige Erschei-
nung nur so erklären, daß die Webetechnik der späteren Kulturperiode eine von der
früheren Tiahuanaco-Kultur ganz unabhängige Entwicklung gehabt hat, und daß
zwischen den Trägern beider Kulturen bis zum Endpunkte einer gewissen selbständigen Ent-
wicklung auf beiden Seiten keine engeren Beziehungen geherrscht haben können.
2. HERSTELLUNGSWEISE DER GEWEBE MIT SZENENHAFTEN DARSTELLUNGEN. DER ALTPERUANISCHE
WEBSTUHL.
An gewissen Merkmalen1 2) der Gewebe der Tiahuanaco-Kultur läßt sich deutlich erkennen,
daß diese Gewebe ohne irgendwelchen besonderen Apparat zur mechanischen Fachbildung, das
heißt ohne besonderen Apparat zum gemeinsamen Heben und Senken der geraden resp. un-
geraden Kettenfäden hergestellt sind. Es müssen also diese Gewebe nach Art einfacher
Geflechte dadurch zuwege gebracht worden sein, daß durch eine Anzahl parallel verlaufender
Fäden, welche der Kette beim Webstuhl entsprechen, in senkrechter Richtung andere Fäden,
entsprechend dem Einschlag beim Webstuhl, hindurchgeführt worden sind, derart, daß, wenn
der eine dieser senkrechten Fäden über den geraden und unter den ungeraden Kettenfäden
hindurchläuft, der nächste unter den geraden und über den ungeraden Kettenfäden hindurch-
läuft. Von der von mir an anderem Orte3) als einmaschiges Palmblattgeflecht, und zwar für
1) Bei dem modernen, der in Frage stehenden Gewebeart seiner Struktur nach durchaus entsprechenden
Kelim-Gewebe wird ebenfalls die Verschlingung der Einschlagfäden von Zeit zu Zeit angewendet, um größere
Spaltenbildungen im Gewebe zu vermeiden. 2) Es treten an einzelnen Stellen des Gewebes Unregel-
mäßigkeiten in der Struktur auf, die ohne jedesmalige vollständige Umänderung des ganzen Mechanismus der
Fachbildung unmöglich sind. Irgendwelche besondere Bedeutung, die eine derartige Aufwendung von Arbeit
begründen würde, kommt aber diesen ganz sporadisch auftretenden Unregelmäßigkeiten keineswegs zu.
3) Vgl. Max Schmidt, Indianerstudien 1. c. S. 330f.
Fig. 4. Struktur eines Gewebes von
Pachacamac. Übergreifen einzelner Ein-
schlagfäden zur Vermeidung der Spal-
tenbildung.
6
MAX SCHMIDT
diesen speziellen Fall als einmaschiges Fächerblattgeflecht bezeichneten Geflechtsart unter-
scheidet sich die vorliegende Webart, abgesehen von dem andersgearteten Material, eigentlich
nur dadurch, daß die eine, dem Einschlag entsprechende Fadengruppe nicht aus einzelnen Ein-
heiten besteht, sondern als zusammenhängender Faden abwechselnd von rechts nach links und
links nach rechts durch die andere Fadengruppe hindurchgeführt wird.
Wenn somit die Webart bei den Geweben der alten Tiahuanaco-Kultur sich eigentlich nur
als ein spezieller Fall der im größten Teile von Südamerika und speziell auch in der alten
Kultur von Ica und Umgebung allgemein verbreiteten Palmblattflechterei erweist, so können
wir uns nicht wundern, wenn die besonderen Erscheinungsformen, die diese Geflechtsart
gezeitigt hat, in ähnlicher Weise auch bei den altperuanischen Geweben dieser Zeitperiode
wiederkehren. So ist im Prinzip, was vor allem im Gegensatz zu den späteren, mit Hilfe des
Webstuhls hergestellten Geweben von Wichtigkeit ist, wie bei der Fächerblattflechterei mit der
Möglichkeit beliebig langer Geflechtsstreifen resp. Gewebefäden auch die Möglichkeit be-
liebiger Dimensionen des herzustellenden Gewebes gegeben. Wie denn auch die Tiahuanaco-
Gewebe im Verhältnis zu den entsprechend feinen Geweben der späteren Periode, die zu-
meist aus einzelnen, ziemlich schmalen Streifen bestehen, unverhältnismäßig große Gewebe-
einheiten darstellen. Ebenso entspricht der erwähnten Geflechtsart die Gliederung des ganzen
Gewebes in einzelne quadratische resp. rechteckige Grundeinheiten, die, worauf ich noch
im folgenden bei der Behandlung des Stils der Darstellungen auf den Geweben zurück-
kommen werde, für die Tiahuanaco-Gewebe so typisch ist.
Zu erwähnen bleibt noch, daß der ganze Befund der größeren Sammlungen, die das
Berliner Museum aus der Gegend von Ica besitzt, darauf schließen läßt, daß auch die Gewebe
dieser Gegend, die wie gesagt auch in ihrer Struktur den „Tiahuanaco-Geweben“ von Pachacamac
zum großen Teile entsprechen, ohne mechanische Fachbildung hergestellt sind, wenigstens
soweit sie noch aus der Zeit vor der Beeinflussung vom Hochland oder vom nördlichen Küsten-
gebiet herstammen. An einem unter VA 16223 der Berliner Sammlung verzeichneten, un-
vollendetem Gewebe läßt sich deutlich ersehen, daß jedenfalls dieses Gewebe ohne Webstuhl
hergestellt ist.
Soviel über die Herstellungsweise der der Tiahuanaco-Kultur angehörenden Gewebe, sowie
der Gewebe von Ica, um damit den Gegensatz besser zu markieren, der zwischen der Her-
stellungsweise dieser Gewebe und der eigentlich für uns in Betracht kommenden Gewebe
der späteren Periode mit szenenhaften Darstellungen besteht. Diese letzteren sind, wie sich
an der Hand der vielen uns aus den Gräbern erhaltenen Webstühle für viele Einzelfälle nach-
weisen läßt, mit Hilfe einer mechanischen Vorrichtung zur Fachbildung gewebt, d. h. mit
Hilfe des Webstuhls. Hierdurch tritt wie mit einem Schlage ein ganz neues Element in die Ent-
wicklung altperuanischer Technik ein, das in Pachacamac nachweislich die bisherige Webe-
technik mit ihren Vorteilen und Nachteilen vollständig verschwinden läßt und das mit der Zeit
seine Wirkung selbst über die Grenzen des altperuanischen Kulturkreises hinaus geltend
gemacht hat.
Um der Wichtigkeit dieser Tatsachen Rechnung zu tragen, füge ich hier kurz die Resultate
ein, welche mein eingehendes Studium der in unseren Berliner Sammlungen befindlichen Web-
stühle ergeben hat. Hierzu sehe ich mich um so mehr veranlaßt, als in der Literatur über
dieses wertvolle Material bisher nichts Näheres angeführt ist1), und die genaue Kenntnis des
altperuanischen Webstuhls meiner Ansicht nach die erste Vorbedingung zum Verständnis der
zu behandelnden Gewebedarstellungen ist.
1) Vgl. H ugo Ephraim, Über die Entwicklung der Webetechnik und ihre Verbreitung außerhalb Europas.
Mitteilungen aus dem Städtischen Museum für Völkerkunde zu Leipzig. Bd. 1, Heft 1. Leipzig 1905. Dem Ver-
fasser stand zu seiner zusammenfassenden Arbeit, abgesehen von den von ihm angeführten allgemeinen Bemer-
kungen in der Literatur, über den altperuanischen Webstuhl nichts weiter zur Verfügung.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
7
Es liegt in der Natur der Sache, daß von der verhältnismäßig großen Anzahl von alt-
peruanischen Webstühlen, die sich in unseren Sammlungen befinden, nur der kleinere Teil der-
artig gut erhalten geblieben ist, daß sie als Unterlage für das Studium der Webetechnik verwendet
werden können. Dafür haben es aber andrerseits glückliche Umstände gefügt, daß uns einzelne
Exemplare durch die doch jedenfalls nach Hunderten von Jahren zählende Zeit hindurch, die sie
in den Gräbern unter der Erde gelegen haben, in derartig gutem Zustande überliefert sind, daß
sich nach geringfügiger Restaurierung ohne weiteres das Gewebe auf ihnen weiterweben ließe,
so vor allem bei dem unter VA 30952 verzeichneten Webstuhl in Fig. 9. Diese verhältnis-
mäßig vereinzelten, gut erhaltenen altperuanischen Webstühle sind vollständig ausreichend, um
uns ein genaues Bild der Webstuhltechnik der Kulturperiode zu geben, die in Pachacamac
auf die Tiahuanaco-Kultur gefolgt ist und hier die Gewebe mit den szenenhaften Darstellungen
gezeitigt hat.
Zwei verschiedene Arten von Webstuhltypen dieser Kulturperiode müssen wir unter-
scheiden, die zwar, wie wir später sehen werden, beide auf dem Prinzip der Fachbildung beruhen,
im übrigen aber doch manche Verschiedenheiten untereinander aufweisen. Bei beiden wiid
die Fachbildung mit Hilfe des noch im einzelnen zu erklärenden Schlingstabes beweikstelligt,
aber in dem einen Falle handelt es sich um einen Webstuhl in vertikaler, im anderen um
einen solchen in horizontaler Lage.
Wir gehen im folgenden zunächst auf den ersten Typus näher ein, von dem ein sehr schön
erhaltenes Exemplar mit allem Zubehör in Fig. 5 wiedergegeben ist.
Den ersten Anfang bei der Anfertigung von Geweben auf einem Webstuhl von diesem
Typus bildet natürlich die Herrichtung der Kette, die bei dem in Fig. 5 wiedergegebenen
Webstuhle aus blauen, weißen und braunen Fäden besteht. Bei diesem Webstuhle, der, wie
das angefangene Gewebe zeigt, schon in Funktion gewesen ist, sind die Kettenfäden an jedem
8
MAX SCHMIDT
Ende an einer quer verlaufenden Schnur befestigt, die ihrerseits der Länge nach an einem
Rohrstabe durch Umwicklung festgehalten wird.
Die nötigen Vorarbeiten zur Herrichtung dieses Stadiums des Webstuhls zeigt deutlich
das Schema in Fig. 6, das einem von Pachacamac stammenden Apparat (Nr, V A 30947
der Berl. Sammlg.) entnommen ist. Eine weiße Baumwollschnur ist an einem Ende mit
einer Schlinge an dem einen von vier dünnen Rohrstäben befestigt und wird dann fortlaufend
um die vier Rohrstäbe in der aus der Figur ersichtlichen Weise herumgewickelt. Der Abstand
der beiden äußeren Rohrstäbe beträgt etwa 32 cm. Dadurch, daß der jedesmal um die beiden
Enden der äußeren Rohrstäbe herumlaufende Faden das eine Mal über dem unteren und
unter dem oberen der beiden inneren Stäbe, das nächste Mal über dem oberen und
unter dem unteren Stabe
hinwegläuft, ist die erfor-
derliche Gestalt der her-
zustellenden Kette von
vornherein gesichert. Zu-
gleich ist aber auch hier-
durch gleich bei der An-
lage das für den „Trenn-
stab“ x) erforderliche Fach
gebildet, indem der eine
von den beiden inneren
Stäben eben einfach den
Trennstab bildet, oder ein
solcher an seiner Stelle
eingeschoben wird. Eben-
so sondert der zweite
innere Stab von vorn-
herein alle die Fäden aus,
welche durch die Schlinge
der um den Schlingstab
herumzulegenden Schnur
gefaßt werden sollen.
Von Apparaten, wie
Fig. 6. Erstes Stadium des vertikalen Webstuhls von Pachacamac. ^ ^ ß wiedergege_
benen, der das erste Stadium des herzustellenden Webstuhls darstellt, enthält die Berliner
Sammlung vier ihrem Wesen nach ziemlich gleichartige Exemplare, zwei von Pachacamac,
zwei aus der Umgegend von Lima. In allen vier Fällen besteht die Kette wie gewöhnlich bei
dieser Art von Geweben aus Baumwollfäden. Bei dem in Fig. 6 wiedergegebenen Webstuhle
ist sie einfarbig, und zwar weiß, während sie bei den drei übrigen verschiedenfarbige Streifung
aufweist.
Nachdem die Kette so weit hergerichtet ist, läßt sich der bisherige Apparat leicht in die in
Fig. 5 wiedergegebene Form bringen. An Stelle der beiden äußeren Rohrstäbe wird je eine
verhältnismäßig starke mehrsträhnige Schnur durch die Kettenenden hindurchgezogen, und diese
Schnuren werden dann in der in der Figur ersichtlichen Weise an je einem ziemlich dicken
Rohrstab durch Umwicklung befestigt. Dann werden alle oberhalb des zweiten (in der Fig. 5
des oberen) inneren Stabes liegenden Fäden mit einer fortlaufenden Schnur um einen anderen
Stab, den sogenannten Schlingstab, so lose herumgewickelt, daß dieser Teil der Kettenfäden
an etwa 4 cm langen Schlingen an diesem Schlingstab befestigt erscheint.
1) Siehe unten S. 10,
ALTPERUANISCHE GEWEBE
9
Um an dem so weit hergerichteten Webeapparat mit dem Durchführen des Einschlags
und somit mit dem eigentlichen Weben beginnen zu können, muß er vorher an einem Gestell
befestigt werden, das imstande ist, die beiden an jedem Ende der Kette befestigten Rohrstäbe
auseinander zu halten und damit die Kettenfäden in straff gezogener Lage zu erhalten. In den
meisten Fällen sind uns diese Gestelle zu den Webstühlen nicht erhalten, so auch bei dem in
Fig. 5 abgebildeten, aber dennoch genügt das vorhandene Material vollständig, um ein
klares Bild von diesen Gestellen geben zu können. Unser Museum besitzt die Reste dreier
solcher Gestelle, zum Teil mit den zugehörigen Webeapparaten, an denen die Größenverhältnisse
und die Art der Benutzung noch zu ersehen sind (VA 23841, VA 23843 und VA 23844 der
Berl. Sammlg.). An zweien von diesen Apparaten sind noch deutlich die Schlingstäbe zu
erkennen, so daß daraus hervorgeht, daß diese Gestelle der in Frage stehenden Webstuhlart
zugehören.
Jedes Gestell besteht aus zwei gegen 2 m langen Bohrstangen, die nachweislich mit dem
einen Ende in der Erde gestanden haben und an den anderen Enden gabelig zusammen-
gebunden gewesen sind, und an denen offenbar der eigentliche
Geweberahmen in ähnlicher Weise, wie es das kleine Webe-
gestell von Marquez in Fig. 7 wiedergibt, befestigt gewesen ist.
Bei diesem letzteren kleinen Webegestell, dessen besonderes,
vom gewöhnlichen Schema abweichendes Gewebe ohne mecha-
nische Fachbildung hergestellt ist, und bei dem die beiden Stäbe
des Gestells nur ca. 80 cm lang sind, ist der Geweberahmen
mit seiner unteren, das angefangene Gewebe enthaltenden Seite
mit Bast fest an die beiden Stäbe des Gestells angebunden.
Der die obere Seite des Geweberahmens bildende Rohrstab ist
mit seinen beiden Enden an der die beiden Stäbe des Gestells
verbindenden Bastschnur in der Weise befestigt, daß durch ein
Verschieben der Verbindungsstelle der beiden Gestellstäbe die
Kettenfäden des Geweberahmens nach Belieben straffer gespannt
oder mehr gelockert werden können.
Einen interessanten Beleg für das eben geschilderte Webe-
gestell finden wir auf der in Fig. 49 wiedergegebenen Gewebe-
darstellung vor, auf welcher eine webende Person vor einem
solchen in die Erde gesteckten, also senkrechten, Webegestell
arbeitet.
Wir müssen uns demnach den in Fig. 5 wiedergegebenen
Geweberahmen während der Arbeit auf einem Gestell der eben
geschilderten Art angebracht denken.
Nach der von Ephraim1) aufgestellten systematischen Ein-
teilung der hauptsächlichsten Formen, in denen der Web-
stuhl bei den Völkern der verschiedenen Erdteile auftritt, haben
wir es bei dem behandelten altperuanischen Webstuhle mit einem typischen Apparat der
Halb Weberei zu tun, wie er mit dem gleichen Prinzip sowohl in Afrika als auch in Ostasien
und Ozeanien wiederkehrt. Alle wesentlichen Bestandteile dieses Webstuhltypus finden sich
an unserem Webstuhle wieder, bis auf eine besondere „Kreuzvorrichtung“ zur richtigen Instand-
haltung der Kettenfäden, die bei dem abgebildeten Webstuhle fehlt, die aber, wie weiter unten
ausgeführt werden wird, bei dem zweiten altperuanischen Webstuhltypus in ganz besonderer
Form wieder auftritt.
____jj16 beiden dem Kettenbaum und Brustbaum entsprechenden Rohrstäbe, zwischen denen
1) Vgl. Ephraim, 1. c. s. 14ff,
Baessler-archiv i. 2
10
MAX SCHMIDT
die Kette ausgespannt ist, sind schon vorher erwähnt worden, es bleiben hier nur noch die
vier übrigen Bestandteile: Trennstab, Schlingstab, Webeschwert und Webeschiffchen, zu erörtern.
Von diesen dienen die beiden ersteren zur eigentlichen Fachbildung, deren mechanische
Erzielung eine für die Entwicklung weiter Kulturkreise höchst wichtige Erfindung voraussetzt.
Das Problem der mechanischen Fachbildung, das darauf beruht, einen Mechanismus zu er-
finden, der imstande ist, fortgesetzt mit einem Griff die Kette in der Weise zu verändern,
daß das eine Mal die Kettenfäden gerader Zahl über dem Einschlagfaden, die ungerader Zahl
unter dem Einschlagfaden zu liegen kommen und das nächste Mal die Fäden ungerader Zahl
oben, die gerader Zahl unter dem Einschlagfaden liegen, kann auf verschiedene Weise gelöst
werden. Es ist daher von besonderem Interesse zu konstatieren, daß die mechanische Fach-
bildung, welche zu einer gewissen Zeit bei den Webstühlen an der Küste Perus auftritt und
sich von dort aus weiter verbreitet hat, im Prinzip genau der Fachbildung entspricht, die in
den östlichen Teilen Ostasiens weit verbreitet ist und die da, wo der Webstuhl in der Südsee
nachweisbar ist, die ausschließlich angewendete Methode darstellt.
Wie die mechanische Fachbildung mit Hilfe des uns hier beschäftigenden Trennstabes und
des Schlingstabes bewerkstelligt wird, läßt sich leicht an der Hand des in Fig. 5 wieder-
gegebenen Schemas verstehen. Der dicke runde Rohrstab, welcher als Trennstab dient, ist in
der Weise durch die Kette hindurchgeführt, daß die Fäden gerader Zahl über ihn hinweg, die
Fäden ungerader Zahl unter ihm hinweglaufen. Dieses Stadium können wir bei straff an-
gezogener Kette als den Ruhezustand des Webstuhls bezeichnen. Die Schwierigkeit bei der
Lösung des Problems der mechanischen Fachbildung liegt nun darin, dieses erste, durch den
Trennstab gebildete Fach in der Weise in das zweite Fach, bei dem die Fäden ungerader
Zahl oben, die gerader Zahl unten liegen, umzuwandeln, daß sich nach Durchschlagen des
zweiten Einschlagfadens sogleich wieder ohne weiteres das von uns als Ruhezustand bezeichnete
Stadium des Webstuhls herstellen läßt. Mit Hilfe der um den Schlingstab herumgewickelten
Schlingen ist es nun möglich, die beim Ruhezustand zu unterst liegenden Fäden durch An-
heben des stets oberhalb der Kette befindlichen Schlingstabes durch die obere Reihe der
Kettenfäden hindurchzuziehen, so daß diese letzteren nunmehr zu unterst zu liegen kommen.
Durch Loslassen des Schlingstabes wird dann durch die Spannung der Kette von selbst ohne
weiteres wieder der Ruhezustand hergestellt.
Die Vorrichtung zum Anschlägen des durchgezogenen Einschlagfadens an das fertige Ge-
webe, die „Lade“ des modernen Webstuhls, wird in dem Webstuhle Fig. 5 durch ein 17 cm
langes Webeschwert aus Taquararohr ersetzt. Dasselbe liegt bei dem gegenwärtigen Zustande
des Webstuhls in dem durch den Trennstab gebildeten Fache, wo es gerade den zum vierten
Male durch die Kette hindurchgeschlagenen Einschlagfaden gefestigt hat.
Als „Webeschiff“ dient ein dünner, oben mit einem Baumwollplusch versehener Rohr-
stengel, der mit dem auf ihn aufgewickelten Einschlagfaden in abwechselnder Richtung durch
das in der oben beschriebenen Weise hergerichtete jeweilige Fach hindurchgeführt wird.
Eine besondere Kreuzvorrichtung, die bei anderen Webstühlen dazu dient, die Ketten-
fäden in der gewünschten Ordnung zu erhalten, findet sich bei diesem vertikal gerichteten alt-
peruanischen Webstuhltypus nicht vor. An Stelle ihrer ist an der dem angefangenen Gewebe
gegenüberliegenden Seite des Webstuhls ein Faden nach Art des Einschlagfadens einige Male
durch die Kette hindurchgeführt.
Von dem senkrechten Webstuhltypus ist uns in der vollständigen Weise wie bei dem
eben geschilderten Apparat mit allem Zubehör nur noch ein zweites, dem vorigen fast
gleiches Exemplar (VA 30946 der Berl. Sammlg.) erhalten geblieben, das ebenfalls aus Pachacamac
stammt. Bei den übrigen Webstühlen dieser Art, bei denen das angefangene Gewebe vielfach weiter
fortgeschritten ist als beim obigen, fehlen überall die einen oder die anderen zu ihrer Funktion
nötigen Teile, sei es, daß sie dem Toten nicht mit ins Grab gegeben, oder daß sie, was
ALTPERUANISCHE GEWEBE
11
wahrscheinlicher ist, später aus der Kette herausgefallen sind. Es kann hier für unsere
spezielle Aufgabe, das Wesen der altperuanischen Gewebe mit szenenhaften Darstellungen
zu erforschen, nicht darauf ankommen, allen den verschiedenen Erscheinungsformen der
überaus zahlreich in unseren Sammlungen vorhandenen einzelnen Bestandteile dieses Web-
stuhltypus nachzugehen. Für eine eventuelle Abhandlung über die altperuanische Webetechnik
überhaupt harrt hier noch ein unerschöpfliches, oft reich ornamentiertes Mateiial dei Verarbei-
tung. Für uns können die verschiedenen Formen hier nur insoweit in Betracht kommen, als
sie das Wesen und die eigentliche Funktion des Webstuhles betreffen, und da bleiben nur
noch einige Besonderheiten hinsichtlich der Beschaffenheit des Schlingstabes zu erwähnen.
Zunächst findet sich an einem Webstuhl von
Marquez (VA 30951 der Berl. Sammlg.) als Be-
sonderheit am Schlingstab, daß an seinen beiden
Enden eine Schnur nach Art einer Bogensehne
befestigt ist, offenbar um als bessere Handhabe
zu dienen.
Bei dem in Fig. 8 wiedergegebenen kleinen
Geweberahmen von Chuquitanta (VA 24137 der
Berl. Sammlg.) wird der Schlingstab durch eine
dreimal nach Art eines Einschlagfadens durch die
Fäden der einzelnen Schlingen hindurchgezogene
Baumwollschnur ersetzt. Auch die auf diese
Weise hergerichtete Schlingenvorrichtung bietet
eine ganz bequeme Handhabe zum gemeinsamen
Heben des betreffenden Teiles der Kettenfäden.
Im Prinzip erweist sich diese ihrer Form nach
anders geartete Schlingenvorrichtung als genau
dieselbe wie vorher. Wie denn zu ihrer Her-
stellung ohne Zweifel zunächst auch hier ein
Stab durch die Schlingen hindurchgezogen ge-
wesen ist, der dann nachträglich, nachdem die
durch ihn in der richtigen Lage erhaltenen
Schlingen miteinander in der geschilderten Weise
verwebt waren, herausgezogen wurde.
Es liegt auf der Hand, daß bei dem gleichmäßigen Verlauf der Gewebemaschen bei den
für die szenenhaften Darstellungen in Betracht kommenden Gewebearten die Bildung von zwei
miteinander abwechselnden Fächern zur Herstellung dieser Gewebe genügt, daß also zu ihrer
Herstellung nur ein Schlingstab neben dem Trennstab erforderlich ist. Der Vollständigkeit
halber möchte ich aber doch schon an dieser Stelle anführen, daß auch im alten Pem die füi
Gewebe mit komplizierterer Struktur erforderliche mehrfache Fachbildung bekannt gewesen
ist. So sind in der Berliner Sammlung Webstühle (VA 5711 und VA 2373) vorhanden, an
denen mit fünffacher und vierfacher Fachbildung gearbeitet worden ist, bei denen also neben
dem den Ruhezustand darstellenden Trennstab 4 resp. 3 Schlingstäbe in der vorbei ge-
schilderten Weise in Funktion getreten sind. Der unter VA 5711 der Berliner Sammlung ver
zeichnete Webstuhl hat mit seiner immerhin komplizierten Vorrichtung zur Herstellung eines
köperartigen Gewebes gedient.
Wie schon aus der Figur 7 hervorgeht, hat der oben geschilderte senkrechte Webstuhl
keineswegs nur zur Herstellung der für die Gewebe mit szenenhaften Darstellungen in
Betracht kommenden Gewebeart gedient. Es sind auf ihm Gewebe der verschiedensten Art
hergestellt worden, so vor allem auch die Gewebe, bei denen die Muster nicht durch den
2*
12
MAX SCHMIDT
Einschlag, sondern durch die Kettenfäden gebildet werden, worauf ich hier nicht im einzelnen
näher eingehen kann. Uns interessiert hier vor allem der Gesichtspunkt, daß das vorhandene
Material völlig ausreicht, um zu konstatieren, daß jedenfalls ein großer
Teil der altperuanischen Gewebe, welche die bei den Geweben mit
szenenhaften Darstellungen übliche Struktur aufweisen, mit Hilfe des
eben geschilderten Webstuhltypus hergestellt ist. Außer von Pacha-
camac sind uns Webstühle der eben geschilderten Art aus Ancon,
Copacabana, Marquez und Chuquitanta überliefert,1)
Zwar dasselbe Prinzip der Fachbildung, aber sonst wesentliche
Abweichungen vom ersten weist der zweite Webstuhltypus auf, der
offenbar ebenfalls im alten Peru weite Verbreitung gefunden hat und
ebenfalls zur Herrichtung von Geweben mit der oben geschilderten
typischen Struktur der Gewebe mit szenenhaften Darstellungen ver-
wendet wurde.
Durch die Art des Gestells, an welchem bei dem oben geschil-
derten Webstuhltypus der Geweberahmen während der Arbeit befestigt
ist, sind den Größenverhältnissen des herzustellenden Gewebes ver-
hältnismäßig enge Grenzen gesetzt. Vor allem konnten in dieser Weise
nur Gewebe von nicht allzu großer Länge hergestellt werden. So
mußte man bei den in der Sammlung zahlreich vorhandenen schmalen
Gewebestreifen von oft beträchtlicher Länge einen anderen Webstuhl-
typus verwenden, von dem uns auch einige vorzüglich erhaltene
Exemplare überliefert sind.
Der Hauptunterschied dieses zweiten Webstuhltypus vom ersten
beruht darin, daß wir es hier nicht wie vorher mit einer vertikalen
Webstuhlsform, sondern mit einer horizontalen zu tun haben. Leider
ist aus dem vorhandenen Material nicht zu ersehen, wo und wie dieser
wagerechte Webstuhlrahmen während seines Gebrauchs befestigt ge-
wesen ist; auch sind wir bei diesem Webstuhltypus nicht wie vorher
in der Lage, über eine bildliche Darstellung von ihm auf den Geweben
zu verfügen. Aus seiner ganzen Beschaffenheit aber läßt sich wohl
schließen, daß er an der einen Seite ähnlich wie bei der aus anderen
Gegenden des Erdballs, vor allem auch aus Mittelamerika bekannten
Form des wagerechten Webstuhls irgendwie gürtelartig an der Weberin
resp. dem Weber befestigt gewesen ist, während das andere Ende der
Kette mit irgend einem anderen festen Gegenstand verbunden war.
Das Körpergewicht des Webers diente auf diese Weise zum Anspannen
der Kette.
Wie die Abbildungen Fig. 9 und 10 zeigen, wird die Fach-
bildung im wesentlichen auf dieselbe Weise erzielt wie bei dem oben
beschriebenen vertikalen Webstuhltypus. An beiden Webstühlen findet
sich die Schlingenvorrichtung genau wie vorher. Auch hier haben wir
das eine Mal den wirklichen Schlingstab, der durch die Schlingen
mit der einen Hälfte der Kettenfäden verbunden ist, und das andere
Mal die oben beschriebene besondere Schlingenvorrichtung, bei der
die einzelnen Fäden der Schlingen durch eine Baumwollschnur nach
Art des Einschlagfadens miteinander verwebt sind.
Fig. 9. Horizontaler Webstuhl.
Pachacamac.
1) Vgl. VA 23834, 23844 (Ancon), VA 24135 (Copacabana), VA 24813, 24814 (Chuquitanta), VA 30955, 30956
(Pachacamac) der Berliner Sammlung.
■». i-jr - x prprwrai
ALTPERUANISCHE GEWEBE
13
Insoweit stimmen die beiden Webstuhltypen im Prinzip noch vollständig überein. Auch
hat wohl keine wesentliche Verschiedenheit zwischen den Webeschwertern und den Webe-
schiffchen beider Webstuhltypen bestanden, die allerdings bei den Webstühlen in wagerechter
Lage nirgends mehr in Verbindung mit dem Webstuhl selbst erhalten sind. Dagegen tritt hier
im Gegensatz zu dem vorigen Webstuhltypus eine neue sinnreiche Vorrichtung auf, die die
sogenannte Kreuzvorrichtung bei Webstühlen anderer Völker vertritt und in gewissen Fällen
auch einen besonderen Trennstab, wie er sonst überall beim Auftreten des Schlingstabes Vor-
aussetzung ist, entbehrlich macht. Bei der oft sehr beträchtlichen Länge der Kettenfäden bei
dem horizontalen Webstuhltypus des alten Peru kam man ohne besondere Vorrichtung, die
Kettenfäden in Ordnung zu erhalten, nicht aus.
Man nahm zu diesem Zwecke einen runden Stab,
ganz ähnlich der Form des Trennstabes, und wickelte
jeden Faden der Kette einmal um diesen Stab herum,
und zwar in zweifach verschiedener Weise. Das
eine Mal, bei dem in Fig, 9 wiedergegebenen Web-
stuhle (VA 30952 der Berl. Sammlg,), sind alle
Fäden in derselben Richtung um den Stab herum-
gewickelt'), so daß sie vor und hinter dem Stabe
einfach in einer Reihe nebeneinander zu liegen
kommen. Zur fortgesetzten Fachbildung ist in
diesem Falle neben dem Schlingstabe unbedingt
noch ein besonderer Trennstab nötig, der bei dem vor-
liegenden Exemplar (VA 30952) jedenfalls heraus-
gefallen ist. Der runde Stab, um den die Ketten-
fäden herumgewickelt sind, hat hier lediglich die
Funktion einer Kreuzvorrichtung zu erfüllen.
Anders bei dem Webstuhl VA 30953 in Fig. 10.
Hier sind die Kettenfäden gerader und ungerader
Zahl in entgegengesetzter Richtung um den runden
Stab herumgewickelt, derart, daß die einen, von
der Oberseite des runden Stabes kommend, nach
unten zu um ihn herumlaufen und dann von der
Oberseite desselben aus wieder weiterlaufen, wäh-
rend die anderen Fäden, vom unteren Rande
kommend, um die Oberseite des Stabes herumlaufen und unten wieder weiterlaufen. Hier-
durch werden, zumal da der Stab einen ziemlich beträchtlichen Durchmesser hat, die Ketten-
fäden gerader und ungerader Zahl ebenso wie vorher durch den Trennstab voneinander ge-
trennt, und dadurch wird ein besonderer Trennstab überhaupt in diesem Falle entbehrlich.
Der runde Stab hat in diesem Falle also zugleich die Funktion der Kreuzvorrichtung und des
Trennstabes zu verrichten. Als ein besonderer Vorzug der eben geschilderten besonderen Art
von Kreuzvorrichtung muß es angesehen werden, daß sich der runde Stab, um den die Fäden
berumgewickelt sind, leicht je nach Bedarf an der ganzen Kette entlang rollen läßt, so daß
inan auch bei längeren Ketten an der gerade in Arbeit befindlichen Stelle bequem die erfor-
derliche geordnete Lage der Kettenfäden erzielen kann.
Mit den oben gegebenen Ausführungen sind jedenfalls die beiden Hauptformen des hori-
zontal gelichteten Webstuhltypus im alten Peru erschöpft. Es finden sich außerdem einzelne
^ ^ei VA 30952 im speziellen Falle immer zwei Fäden miteinander zugleich um den runden Stab
diesem^C^Un^Cn S'n<^’ macht für das Wesen der ganzen Vorrichtung nichts aus, da die Fäden vor und hinter
a je auch hierbei einfach in eine Reihe nebeneinander zu liegen kommen.
Fig. 10. Horizontaler Webstuhl. Pachacamac.
14
MAX SCHMIDT
Webeapparate, bei denen weder das Vorhandensein eines Schlingstabes noch eines Trenn-
stabes nachweisbar ist, bei denen vielmehr die Kettenfäden gerader oder ungerader Zahl nur
durch eine gemeinsame Schlinge zusammengehalten werden. Bei einem Webstuhl aus Pacha-
camac1) findet sich diese einfache Vorrichtung neben einem als Kreuzvorrichtung dienenden
runden Stabe, wie sie im vorigen näher beschrieben worden sind, und bei einem Webstuhl
aus der Umgegend von Lima2) ist neben dieser, die eine Hälfte der Kettenfäden umfassenden
Schlinge überhaupt keine weitere Vorrichtung vorhanden. Entweder hat man mit den hier in
Frage stehenden Apparaten, bei denen es sich jedesmal um die Herstellung ganz schmaler
Gewebestreifen handelt, immer nur das eine Fach mechanisch durch Anziehen der die eine Hälfte
der Kettenfäden umfassenden Schlinge bilden können, und muß dann das zweite Fach ohne
mechanische Hilfe gebildet haben, indem man das Webeschwert mit der Hand abwechselnd durch
die Kettenfäden hindurchführte, oder aber es sind die übrigen Teile zur Erzielung der mecha-
nischen Fachbildung bei diesen Exemplaren einfach verloren gegangen. Da sich diese Frage
bisher nicht entscheidend lösen läßt, können wir hier aus der eben geschilderten Besonder-
heit keine weiteren Schlüsse über das Wesen des horizontal gerichteten Webstuhltypus ziehen.
Es ist klar, daß diese beiden Webstuhltypen, der vertikal und der horizontal gerichtete,
deren Auftreten an gewissen Teilen der peruanischen Küste zu gewissen Zeiten nachweisbar
ist, mit der Zeit immer weitere Verbreitung gefunden und ihren Einfluß bis über die Grenzen
des peruanischen Kulturkreises hinaus geltend gemacht haben.
So sind uns auch aus Ica, wo ursprünglich, wie oben ausgeführt wurde, die der
Struktur der Tiahuanaco-Gewebe entsprechende Gewebeart gebräuchlich war, eine Menge von
Geweben erhalten geblieben, deren Struktur derjenigen der auf dem Webstuhl hergestellten
Gewebe entspricht, wenn auch kein Webstuhl mit Schlingenvorrichtung nachweisbar ist. Auch
wird ohne Zweifel die spätere Inkakultur, neben den vielen anderen Kulturgütern, die sie von
den Küstenbewohnern empfangen hat, auch jedenfalls schon sehr früh die Webstuhltechnik
übernommen haben und dann mit der dieser Kultur anhaftenden Großzügigkeit für ihre weitere
Vervollkommnung und Ausbreitung innerhalb des Inkareiches gesorgt haben. Die großen
Dimensionen, die die Gewebe selbst ebenso wie die auf ihnen zur Darstellung gebrachten
Figuren im Lauf der Entwicklung angenommen haben, ist wohl erst auf den von der Inkakultur
ausströmenden Impuls zurückzuführen. So sind in unseren Sammlungen in großer Zahl Webe-
messer von über 80 cm Länge vorhanden, und zwar aus den verschiedensten Fundorten, die
ohne weiteres auf entsprechende Dimensionen der Webstühle sowie der darauf angefertigten
Gewebe schließen lassen.
Leider ist uns von diesen größeren Webstühlen nur ein Exemplar aus Huacho erhalten,
und auch dieses nur als ein kümmerlicher Rest. Aber dennoch ist dieses Stück als inter-
essante Mischform geeignet, einige Aufschlüsse über die spätere Entwicklung der an bestimmten
Gegenden der Küste zuerst nachweisbaren Webstuhltechnik zu geben. Die Breite der Kette
beträgt bei diesem Webstuhl von Huacho ca. 80 cm, während Schlingstab und Webeschwert
eine Länge von 92 cm aufweisen. Es läßt sich an den Maßen des Webstuhls noch genau er-
kennen, daß die Fachbildung ganz nach Art des typischen altperuanischen Webstuhles mit
Trennstab und Schlingstab bewerkstelligt worden ist. Aber das Gewebe selbst, bei dem das
Muster durch den Einschlag gebildet wird, weist nicht die typischen Merkmale der sonstigen
derartigen auf dem Webstuhl hergestellten Gewebe auf. Die Einschlagfäden umschlingen sich
vielmehr in gleicher Weise wie bei den der Tiahuanaco-Kultur angehörenden, ohne mechanische
Fachbildung hergestellten Geweben, sowie bei den entsprechenden Geweben von Ica, aber auch
gegenüber dieser letzteren Gewebsart besteht eine wesentliche Verschiedenheit, die diese Art von
Weberei als eine noch unvollkommene Mischform charakterisiert. Im Gegensatz zu den der
l) VA 30957 der Berliner Sammlung,
2) VA 30958 der Berliner Sammlung.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
15
Tiahuanaco-Kultur angehörenden Geweben, die zwei gleiche Seiten1) aufweisen, haben wir es
bei diesem angefangenen Gewebe von Huacho mit einer rechten und einer ,linken' Seite
zu tun. Wir sehen hier in Huacho, wo die erhalten gebliebenen Kulturerzeugnisse überhaupt
eine merkwürdige Mischung zwischen der alten Hochlands- resp. der Ica-Kultur einerseits und
der nördlicheren Küstenkultur andererseits zur Schau tragen, einen Versuch, auch die alteinhei-
mische Webestruktur mit Hilfe des Webstuhles herzustellen. Derselbe Versuch ist, nach dem
Befund der erhaltenen Gewebe zu urteilen, auch in der Gegend von Ica unter dem Einflüsse
des weiter vordringenden Webstuhles gemacht worden, und zwar mit demselben Erfolge, der
Bildung einer ,linken' Rückseite des Gewebes.2) Im Zentrum der Inkakultur scheint
allerdings dieses Problem der Herstellung der alteinheimischen Gewebestruktur mit Hilfe des
neu hinzutretenden Webstuhls im Laufe der Entwicklung besser gelöst worden zu sein; denn
wir müssen doch jedenfalls annehmen, daß das schon aus spanischer Zeit stammende Gewebe
VA 8839 aus der Sammlung Centeno, von dem schon oben (S. 4) die Rede war, und das in
Verbindung mit szenenhaften Darstellungen die Struktur der alten Tiahuanaco-Gewebe auf-
weist, auf dem Apparat mit mechanischer Fachbildung hergestellt ist.
Es genügt somit das zur Zeit in unserem Museum vorhandene Material vollständig, um
das Wesen und die Entwicklung des altperuanischen Webstuhls in großen Zügen festzu-
legen, und nur hierauf konnte es uns bei der gegenwärtigen Untersuchung, die die Unterlage
zum richtigen Verständnis der szenenhaften Darstellungen auf den Geweben bilden sollte, an-
kommen.
Auch da, wo sich bei den an das peruanische Hochland angrenzenden Naturvölkern ein
den altperuanischen Webstühlen entsprechender Webstuhltypus vorfindet, wird dieser jeden-
falls auf den Einfluß der altperuanischen Kultur zurückzuführen sein. Es ist daher überall da,
wo wir bei den heutigen Naturvölkern in der engeren oder weiteren Nachbarschaft Perus auf
den Webstuhl stoßen, zunächst die Frage zu entscheiden, ob wir es hier mit einem Einfluß
dei altperuanischen Kultur, oder mit einem solchen der europäischen Kultur, oder endlich mit
einem solchen der schon in den ersten Jahren der Eroberung überall mit den Europäern zu-
gleich auftretenden Negerkultur zu tun haben. Bei der großen Verschiedenheit der europä-
ischen und der altperuanischen Webstuhltechnik kann es nicht schwer fallen, zu entscheiden,
\on welchem dieser beiden Kulturkreise die Beeinflussung ausging. Schwieriger aber liegt
die Frage bei der Unterscheidung der altperuanischen und der afrikanischen Webetechnik,
da in Afiika ganz entsprechende Webstuhltypen mit Trennstab und Schlingstab Vorkommen3)
und über das Wesen des über Südamerika jedenfalls weit verbreiteten afrikanischen Einflusses
bishei wenig systematisch gearbeitet worden ist. Jedenfalls aber konnte die altperuanische
Webetechnik, da wo sie durch Vermischung in die europäische Kultur eingedrungen ist, in-
diiekt auch durch Ausbreitung der europäischen Kultur auf weitere Kreise der Naturvölker
übertragen werden.
Im Berliner Museum sind Webstühle von den Jevero (VA 929) und von den Piro
A 14462) vorhanden, bei denen die mechanische Fachbildung ganz in der bei dem altperu-
anischen Webstuhl üblichen Weise mit Trennstab und Schlingstab bewerkstelligt wird. Da
nuT6 ^6r ^ac^kildung mit dem europäischen Webstuhl nichts zu tun hat, so kann hier
s r r °der indirekte Übertragung des altperuanischen Webstuhls oder einer ent-
AlJ1^611 ^°rm ^es afrikanischen Webstuhls vorliegen,
in Nordh^anZ ^emse^en Prinzip beruht der Webstuhltypus, mit dem nach Koch-Grünberg1)
Schilder raS1 *en ^än£erna^en gewebt werden. Koch-Grünberg gibt von ihm eine ausführliche
-------_ung und fügt hinzu, daß die Stämme des oberen Tiquie, die Tuyüka und Barä,
z. B. die Nummter ^ e'nen ^e‘te stellt natürlich das Spiegelbild von dem der anderen Seite dar. 2) Vgl.
4) Th. Koch-Grn™! ^ 14275 und VA 16351 der Berliner Sammlung. 3) Siehe Ephraim, 1. c.
un erg. Zwei Jahre unter den Indianern. II. Band. Berlin 1910. S. 211 ff.
16
MAX SCHMIDT
ihn nicht kennen, ebensowenig die Kobeua und andere Stämme des oberen Caiary, während
er unter den Tukäno, Desäna und Tariäna und den Aruak-Stämmen des Icäna-Aiary, „die mit
den Weißen in gewissem Zusammenhang stehen und längere Zeit hindurch Missionseinflüssen
ausgesetzt waren“, mehrfach im Gebrauch vorgefunden wird.1)
B. STIL DER GEWEBE MIT SZENENHAFTEN DARSTELLUNGEN.
1. NATURALISTISCHE DARSTELLUNGSWEISE UND FLÄCHENORNAMENTIK IM ENGEREN SINNE.
Bei der großen Unklarheit, die bisher noch über die räumliche und zeitliche Abgren-
zung der einzelnen altperuanischen Kulturschichten herrscht, ist es nur mit Aufwendung aller
zu Gebote stehenden Mittel möglich, den Geweben von Pachacamac mit den szenenhaften
Darstellungen einen festen Platz in der Entwicklungsgeschichte der altperuanischen Kultur
anzuweisen. An der Hand der Gewebetechnik war es im vorigen Abschnitte möglich, wich-
tige Unterscheidungsmerkmale der in Frage stehenden Gewebearten gegenüber den Geweben der
früheren Periode sowie den Geweben anderer Gegenden Perus zu konstatieren. Im vorliegenden
Kapitel über die Darstellungsart auf diesen Geweben werden wir die im vorigen Abschnitte
aufgestellten Gesichtspunkte vollauf bestätigt finden und den engen Zusammenhang, der zwischen
diesen Gewebedarstellungen und den uns von gewissen Teilen der peruanischen Küste her
bekannten Gefäßdarstellungen besteht, näher kennen lernen. Auf dem Anthropologenkongreß in
Straßburg hatte ich seinerzeit Gelegenheit genommen, auf die Entwicklung der geometrischen
Ornamentik auf den Gefäßen und Geweben von Ica näher einzugehen und hatte hierbei am
Anfänge2) auf die Gruppierung der ganzen südamerikanischen Flächenornamentik nach zwei
ganz verschiedenen Ausgangspunkten hingewiesen. Als die beiden Hauptgruppen der süd-
amerikanischen Flächenornamentik müssen wir hiernach unterscheiden einmal die zunächst
als Geflechtsmuster entstandenen und erst sekundär auf Flächen überhaupt übertragenen
Flächenornamente im engeren Sinne, und sodann die von der Flächenornamentik unab-
hängige naturalistische Darstellung. Wir werden im folgenden sehen, wie diese Einteilung
der Ornamentik gerade für die nähere Bestimmung der in Frage stehenden Gewebe mit szenen-
haften Darstellungen von größter Bedeutung ist, da diese ohne jeden Zweifel der zweiten
Gruppe angehören und hierin in direktem Gegensatz zu den auch der Technik nach ver-
schiedenartigen Geweben der früheren Tiahuanaco-Periode stehen, welche letzteren ihrerseits
wieder mit den Geweben von Ica aufs engste verwandt sind und somit der ersten Gruppe der
südamerikanischen Ornamentik zufallen.
In der im Archiv für Anthropologie an angegebener Stelle abgedruckten Arbeit habe ich
eingehend das Wesen der ersten Gruppe südamerikanischer Ornamentik, der Flächenorna-
mentik im engeren Sinne, behandelt. Ich habe den Nachweis zu liefern gesucht, daß die
geometrische Ornamentik auf den Gefäßen und Geweben von Ica auf die Muster einer be-
stimmten Geflechtsart zurückzuführen ist, die ich wegen ihrer engen Beziehung zum Palm-
blatte als Palmblattflechterei und innerhalb dieser Hauptgruppe wieder als Fächerblattflechterei
unterschieden habe3), und daß diese ursprünglichen Geflechtsornamente in ihrer weiteren
Entwicklung zur Darstellung von Vögeln, Vierfüßlern und Menschen geführt haben. Ich
kann hier nicht wieder auf die Einzelheiten meiner damaligen Beweisführung eingehen. Es
kann sich an dieser Stelle nur noch darum handeln, den Nachweis dafür zu liefern, daß die
uns erhalten gebliebenen Tiahuanaco-Gewebe aus Pachacamac, also aus derselben Gegend,
in welcher in der späteren Zeitperiode die Gewebe mit den szenenhaften Darstellungen an-
gefertigt worden sind, auch in ihrer Darstellungsart den alten Geweben von Ica entsprechen, so
wie sie nach Obigem diesen letzteren in der Art ihrer Gewebetechnik entsprechen. Natürlich ist
1) Koch-Qrünberg, 1. c. S. 213. 2) Max Schmidt, Über altperuanische Ornamentik. Archiv für
Anthropologie. Neue Folge. Band Vll (1903), Heft 1, S. 23. 3) Max Schmidt: 1. c. S. 23.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
17
es untunlich, bei dieser Vergleichung zunächst die höchstentwickelten figürlichen ars e unge
der alten Tiahuanaco-Kultur heranzuziehen, die zusammen mit den bekannten Relie iguren au
dem Tor von Tiahuanaco wohl den Höhepunkt der Entwicklung darstellen, die die äcien
Ornamentik im engeren Sinne mit ihrer geometrischen Grundlage in Südamerika über raup
erreicht hat. Direkte Gegenstücke zu diesen finden wir unter den entsprechenden ewe e
darstellungen von Ica nicht. Aber ein Vergleich der Dar-
stellungsart des in Fig. 11 wiedergegebenen Gewebes von
Ica mit dem kleinen, der Tiahuanaco-Kultur zuzuschreibenden
Gewebestück aus Pachacamac in Fig. 12 zeigt deutlich die
nahe Verwandtschaft, die schon rein äußerlich zwischen den
Erzeugnissen der alten Kultur von Ica und der alten so-
genannten Tiahuanaco-Kultur besteht. Eine genauere Betrach-
tung der uns erhaltenen alten Tiahuanaco-Gewebe wird
zeigen, daß wir auch bei ihnen, selbst da, wo es sich um
die höchstentwickelten figürlichen Darstellungen handelt,
deutlich die typischen geometrischen Bestandteile der Flächen-
ornamentik erkennen können, ganz ebenso wie bei den ent-
sprechenden Geweben von Ica.
Bei dem in Fig. 12 wiedergegebenen Tiahuanaco-Gewebe
(VA 30960 der Berl. Sammlg.) sehen wir die für die
Flächenornamentik so typische Gliederung der ganzen zu
ornamentierenden Fläche in einzelne Rechtecke resp. Qua-
drate deutlich gekennzeichnet. Durch hellgelbe und dunkel-
braune Linien sind diese Flächeneinheiten mit ganz beson-
derer Schärfe betont. Durch das auf diese Weise auf der
rechten Seite am unteren Teile des Gewebes abgegrenzte
große Quadrat verläuft eine durch eine weiße Linie be-
sonders markierte Stufe in ungefähr diagonaler Richtung
und teilt den ganzen Flächeninhalt des Quadrates in eine
im Grundton dunkler gefärbte und eine im Grundton heller
gefärbte Hälfte. In der dunkler gefärbten Hälfte grenzt eine
ungefähr in der Richtung der Stufe verlaufende dunkelbraune
Linie einen besonderen, dem entsprechenden Teile des Ica-
gewebes genau gleichenden Flächenteil ab, während die
Ecke der anderen Hälfte des Quadrates von einer dunklen,
weißumrahmten Figur in Hakenform eingenommen wird, wie
sie in der altperuanischen Flächenornamentik so häufig in
Verbindung mit der Stufe auftritt. Links neben der eben beschriebenen quadratischen äc
einheit sehen wir dann jene an sich geometrische Figur angebracht, die in ganz ähn ic
Form bei den Geweben dieser Art häufig als Tierkopf Verwendung findet.
Besonders typisch treten uns auch die rechteckige resp. quadratische Anordnung, sowie
die geometrische Natur der einzelnen Bestandteile der dargestellten Figuien an dem m &
wiedergegebenen Gewebe, das einen Teil eines Ponchos darstellt, entgegen. Die auf geo
trischer Grundlage beruhenden figürlichen Darstellungen wechseln auf diesem Poncho mi
Reihen geometrischer Muster mit den typischen Merkmalen der Geflechtsmuster ab. en<*u
so wie diese letzteren zerfällt auch die von den figürlichen Darstellungen eingenommene Flache
in deutlich zu unterscheidende einzelne Rechtecke, ja es heben sich hier ebenso wie be
rein geometrischen Gewebestreifen die mehr quadratischen Flächeneinheiten deutlich von den
sie beiderseitig umgebenden schmalen rechteckigen Flächenteilen ab. Was aber die ursprung-
Baessler-archiv 1. J
Fig. 11. Gewebe von Ica.
Fig. 12.
Gewebe von Pachacamac im Tiahuanacostil.
18
MAX SCHMIDT
lieh geometrische Natur dieser Darstellungen besonders kenntlich macht, ist der Umstand, daß
nur in der oberen linken Ecke des Musters die geometrischen Bestandteile derartig geordnet
aneinander gereiht sind, daß sie eine deutlich erkennbare menschliche Figur mit Raubvogel-
kopf und Flügelandeutung bilden. Bei genauer Betrachtung können wir hier deutlich die
nach Art der Darstellung in Fig. 14 gezeichnete, in diesem Falle in ihren Hauptkonturen weiß
umrahmte Figur erkennen. Sie ist nach rechts gerichtet und hält in der Hand einen langen,
an beiden Enden mit Tierköpfen versehenen szepterartigen Gegenstand. Das eine Bein ruht
mit dem Knie auf dem Boden, das andere ist rechtwinklig im Knie gebeugt. An jedem Fuß sind
durch je drei kleine weiße Quadrate drei Zehen resp. Zehennägel markiert, ebenso wie drei
Finger an der das Szepter tragenden Hand. Auch an dieser Figur sind ähnlich wie bei den
Figuren auf dem bekannten schon oben1) erwähnten Tiahuanaco-Gewebe von Ancon aus der Reiss
und Stübelschen Sammlung die Beinknochen als solche an den Beinen gekennzeichnet. Inter-
ne [Wnd
m
E
Fig. 13. Qewebedarstellung im Tiahuanacostil. Pachacamac.
essant ist auch ein Vergleich mit den erwähnten Darstellungen auf dem Gewebe von Ancon
in bezug auf den Tierkopf (vielleicht Vogelkopf) in der rechten unteren Ecke gerade vor dem
vorgestreckten Fuß der dargestellten Figur. Außer bei der Figur in der oberen linken Ecke
und der mit Mühe auch noch kenntlichen Figur unten rechts, sind die einzelnen geometrischen
Bestandteile auf dem Gewebe Fig. 13 so wild aneinandergereiht oder ineinander geschach-
telt, daß auch für das geübte Auge keine zusammenhängenden Figuren mehr mit Sicherheit
herauszusehen sind. Nur sind in den meisten Fällen die nach der oben geschilderten Art
gebogenen Beine sowie die szeptertragenden Hände erkennbar, woraus sich ersehen läßt, daß
im ganzen sechs einzelne Figuren in drei Reihen übereinander auf dem Gewebe zur Dar-
stellung gebracht werden sollten, von denen die zwei Figuren der obersten und untersten
Reihe nach rechts gerichtet, die zwei Figuren der mittleren Reihe nach links gerichtet sind.
1) Siehe S. 4.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
19
Auf die Schwerfälligkeit der Flächenornamentik bei der figürlichen Darstellung deutet auchi das
bei der rechten Figur der unteren Reihe in zweifacher Wiederholung wie ei^e^e
mit der es umfassenden Hand hin, ,
Eine der vorigen verwandte Darstellung haben wir auf dem in Fig. wie ergege
Gewebestücke vor uns.1) Dies Gewebe mit der hochinteressanten Darstellung^ im yp
alten Tiahuanaco-Stil ist leider nur noch sehr schlecht erhalten, und auch die 1 ar en sin
den meisten Stellen zu
einem unkenntlichen
Braun verblichen. Wie
bei dem vorigen Gewebe,
handelt es sich auch hier
um die Darstellung einer
mit dem einen Bein auf
dem Boden knieenden
Figur, die einen szepter-
artigen Gegenstand in der
Hand hält. Die Figur ist
auf dem Gewebe in zwei-
facherWeiseübereinander
angebracht. Am unteren
Rande ist dann noch
der Anfang einer dritten
gleichartigen Figur zu er-
kennen, und am oberen
Rande eine ebensolche
im Spiegelbild. Auch an
dieser Darstellung ist
deutlich die rechteckige
resp. quadratische Glie-
derung der ganzen Fläche
zu erkennen. So wird
vor allem der große Kopf
durch ein scharf abge-
grenztes Rechteck gebil-
det, in dem nur schwer
die einzelnen Gesichts-
Fig. 14. Qewebedarslellung im Tiahuanacostil. Pachacamac.
teile mit Sicherheit fest-
gestellt werden können. Am deutlichsten erkennbar ist (an der obeien Figur) das gro e
Auge, das durch ein von zwei verschieden gefärbten Linien umrahmtes, durch verscue
dene Färbung in vier Felder zerlegtes Sechseck gebildet wird. Die ganze Armut an
Hilfsmitteln, mit der diese Flächenornamentik bei figürlichen Darstellungen zu rechnen a,
tritt bei der Bildung der übrigen Gesichtsteile zutage. Vergleichen wir den vorderen Strei en
des Gesichts der oberen Figur mit dem unteren Teile des szeptei artigen Gegenstan
unteren Figur mit Einschluß der Hand, so sehen wir, daß hier ganz ähnliche Flächenbes
teile zur Darstellung ganz verschiedener Gegenstände verwendet worden sind, mit dem
wesentlichen Unterschiede nur, daß an Stelle des Mundes des Tierkopfes am unteren Ende des
Szepters für das Gesicht der Figur eine Mund- resp. Schnabeldarstellung gewählt ist, wie sie sich
1) VA 30962 der Berliner Sammlung. Größte Länge und Breite betragen 111 cm und 68 cm. Die Struktur
dej Gewebes entspricht dem in Fig. 2 wiedergegebenen Schema.
3*
20
MAX SCHMIDT
z. B. an den Vogelköpfen im Nacken der beiden Figuren vorfindet. Welche Teile dieses von
der Hand umfaßten Szepters im speziellen den einzelnen Gesichtsteilen der Figur entsprechen
sollen, ob z. B. der Mund der Figur durch den Vogelschnabel am unteren Rande oder durch
die vielleicht die Zähne markierende, im anderen Falle das Szepter umfassende Hand zum
Ausdruck gebracht werden soll, ist mit Sicherheit schwer zu entscheiden. Durch die gabel-
förmige Figur oben rechts neben dem Kopfe sollen offenbar die auch an der Figur des vorigen
Gewebes vorhandenen Flügel angedeutet sein.
Interessant für die Erkenntnis des Wesens dieser ganzen Flächenornamentik auf den alten
Geweben von Tiahuanaco ist auch eine besondere Betrachtung der an der Rückseite der Figuren
angebrachten Tierköpfe, sagen wir einmal ihrer äußeren Gestalt nach „Adlerköpfe“. Wie wir
besonders deutlich an dem untersten dieser Köpfe (hinten an der unteren Figur) sehen können, sind
diese in hellerem Ton gehaltenen nach rechts schauenden „Adlerköpfe“ so geformt, daß auch der
dunklere tlrund, von dem sie sich abheben, die Form eines Tierkopfes, und zwar eines nach links
gewendeten Tierkopfes, annimmt. Die den Hintergrund, wir können vielleicht zur besseren
Charakterisierung sagen, das „Negativ“ der Darstellung bildende Figur war offenbar das Vor-
bild für den schlangen-
artigen Kopf am unteren
Ende des Szepters, wie denn
auch jedenfalls die Tierköpfe
am Rande der später zu
behandelnden, in Fig. 15
und 16 abgebildeten Dar-
stellung auf diese „Negativ-
figur“ zurückzuführen sind.
A. a. O.1) habe ich diese
bei der vorliegenden Ge-
webedarstellungals Negativ-
figur auftretende Flächen-
einheit näher behandelt und
an der Hand mehrerer Ab-
bildungen den Nachweis
geliefert, daß auch dieses
Flächenornament, das als
Tierkopf in der Tierornamen-
tik von Ica eine große Rolle
spielt, als weitere Entwicklungsform der ursprünglichen Geflechtsmuster aufzufassen ist.
Auf die weiteren Einzelheiten der in Fig, 14 wiedergegebenen Darstellung kann ich hier
nicht näher eingehen, ich will nur kurz auf die Verschiedenheit der szepterartigen Gegenstände,
die die beiden Figuren in den Händen halten, hinweisen.
Ganz denselben Typus wie die Figuren auf den beiden soeben geschilderten Geweben
zeigt die bei Uhle2) PI. 4 Fig. 2 als Rekonstruktion abgebildete Gewebedarstellung. Auch bei
diesem Gewebe war, wie Uhle ausdrücklich hervorhebt, die ganze gemusterte Fläche in ein-
zelne Quadrate eingeteilt, von denen jedes von der an genannter Stelle abgebildeten Figur mit
nach oben gerichteten Vogelkopf und Flügel eingenommen wurde.
Was die Bedeutung der hier besprochenen Darstellungen anlangt, so weist schon Uhle
auf die genaue Übereinstimmung der von ihm abgebildeten Figur mit denen hin, die auf dem
bekannten Steintor von Tiahuanaco in der zweiten Reihe zu beiden Seiten der großen Mittel-
figur angebracht sind. Diesen Figuren entspricht in genau derselben Weise die in Abb. 13
Fig. 15. Bemaltes Gewebe von Pachacamac.
1) Max Schmidt: Über altperuanische Ornamentik 1. c. S. 35.
2) Uhle: Pachacamac 1. c. S. 23.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
21
wiedergegebene szeptertragende Figur mit dem nach oben gerichteten Vogelkopf, während die
Figur in Abb. 14 in ähnlicher Weise den Figuren der obersten und untersten Reihe auf dem
Tiahuanaco-Tore entsprechen würde.
Zur weiteren Deutung dieser Darstellungen aus dem Bereiche der Tiahuanaco-Kultui
fehlen uns bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft bisher jedwede methodisch
zu billigende Anhaltspunkte, wie denn auch meines Erachtens alle bisher gemachten Er-
klärungsversuche der bekannten Relieffiguren auf dem Tore von Tiahuanaco als jeder in-
duktiven Grundlage entbehrend von der Fland zu weisen sind.
Einen den vorigen Geweben ähnlichen Charakter, wenn auch mit Unterschieden in den
Einzelheiten der Darstellung, weist das
unter VA 30963 der Berliner Samm-
lung verzeichnete Ponchostück auf, das
leider in sehr defektem Zustande er-
halten ist, so daß die einzelnen figür-
lichen Darstellungen nur noch sehr
schwer zu erkennen sind. Wir haben
es auch hier wieder mit Reihen szepter-
tragender Profilfiguren zu tun, in der
Anordnung, daß die Figuren der einen
Reihe immer in entgegengesetzter Rich-
tung zu denen der benachbarten Reihe
stehen. Im Gegensatz zu den obigen
Darstellungen ist die Figur aufrecht
stehend gezeichnet. Bei ihr selbst wie
bei dem am unteren Ende des szepter-
artigen Gegenstandes angebrachten Tier-
kopfe ist die Zahnbildung besonders
deutlich zum Ausdruck gebracht. An
der den szepterartigen Gegenstand um-
fassenden Hand ist neben drei anderen
Fingern deutlich der herumfassende
Daumen mit Nagel gekennzeichnet. Auf
Unterscheidung der Fingerstellung der
rechten und linken Hand ist dabei aller-
dings keine Rücksicht genommen.
Neben diesen Geweben im Tiahuanaco-Stil, bei denen die figürlichen Darstellungen als
Muster eingewebt sind, finden sich auch solche, wo sie mit Farbe auf einfaches Baumwoll-
gewebe aufgemalt sind. Natürlich dürfen wir von diesen bemalten Geweben nur diejenigen
der 1 iahuanaco-Periode zuschreiben, bei denen auch am aufgemalten Bilde der flächen-
ornamentale Charakter erhalten geblieben ist. Wir werden weiter unten noch sehen, daß
dies nicnt bei allen gemalten Darstellungen, die dieselben Motive wie die alten Tiahuanaco-
Gewebe zum Gegenstände haben, der Fall ist, daß man vielmehr auch in der späteren Periode,
dei die Gewebe mit szenenhaften Darstellungen angehören, die in der Flächenornamentik dei
älteren 1 iahuanaco-Periode überlieferten Figuren zum Darstellungsmotiv wählte und sie in freier
natuialistischer Weise nicht mehr als Flächenornament, sondern einfach durch Umrißlinien
wiedergab, so wie es die Darstellungsmethode dieser neueren Kulturperiode mit sich brachte.
Gerade für die richtige Bewertung der auch aus der späteren Periode stammenden Gefäßdar-
stellungen von Pachacamac mit Motiven, die der alten Tiahuanaco-Periode angehören, ist meines
Erachtens dieser Gesichtspunkt von größter Bedeutung.
Fig. 16. Bemaltes Gewebe von Pachacamac.
22
MAX SCHMIDT
Von Geweben aus der alten Tiahuanaco-Periode mit als Flächenornament aufgemalten figür-
lichen Darstellungen besitzt die Berliner Sammlung nur wenige Fetzen, die interessante Einzel-
heiten zeigen, bei denen sich aber nur kleine Bruchteile der ganzen Darstellungen erhalten haben.
Bei dem unter VA 21 184 der Berliner Sammlung1) verzeichneten Gewebestück ist die
schlangenartige Fortsetzung am Fuß der menschlichen Figur bemerkenswert, da sie der oben2)
erwähnten Erscheinung an der einen Figur auf dem bekannten Tiahuanaco-Gewebe von Ancon
entspricht.
Auf dem Gewebe VA 21189 der Berliner Sammlung3) ist eine große, nur zum kleinsten
Teile erhaltene Enfacefigur dargestellt, bei der die vollständig geometrisch gezeichnete Nase
bemerkenswert ist.
Drei zusammengehörige größere Gewebestücke mit Bemalung im typischen Tiahuanaco-Stil
aus Pachacamac hat Uhle in seinem Werke4) abgebildet und eingehend beschrieben. Den
Mittelpunkt der interessanten Darstellung bildet eine Enfacefigur, die in der einen Hand ein
Messer und in der anderen ein abgeschlagenes menschliches Haupt hält.
Das nunmehr zur Verfügung stehende Material an Gewebedarstellungen aus der alten
Tiahuanaco-Periode genügt vollständig, um darzutun, daß wir es auch hier ganz ebenso wie
bei den Geweben von Ica mit einer typischen Flächenornamentik im engeren Sinne zu tun
haben und daß sich auch rein äußerlich die große Verwandtschaft in der Darstellungsweise
beider konstatieren läßt. Wenn schon die im vorigen Abschnitte geschilderte auffällige Über-
einstimmung in der Technik zwischen den alten der Tiahuanaco-Kultur angehörenden Geweben
und den entsprechenden Geweben von Ica darauf hindeutet, daß es sich hier um zwei durchaus
verwandte Kulturkreise handelt, so berechtigt uns die Wesensgleichheit ihrer Flächenornamentik
vollends, diese beiden Kulturen, die alte Kultur von Tiahuanaco und die alte Kultur von Ica,
gewissermaßen als Schwesterkulturen zu betrachten, die nicht einander gegenüberstehen, sondern
auf engste miteinander verknüpft sind.
Wir haben schon oben gesehen, wie in diesen durch engste Verwandtschaft verbundenen
Kulturkreis, der deutlich erkennbare Spuren in Pachacamac, in Ica und im Gebiete des fernen
Tiahuanaco hinterlassen hat, plötzlich zu einer gewissen Zeit ganz fremde Kulturelemente
eingedrungen sind, die in Pachacamac den Webstuhl eingeführt haben und mit ihm zugleich
eine ganz andere Herstellungsweise der Gewebe mit figürlichen Darstellungen.5) Der vorliegende
Abschnitt wird zeigen, wie diese neu eindringenden fremden Kulturelemente auch eine ganz
neue Darstellungsmethode in ihrem Gefolge mit sich brachten, indem sie für figürliche Dar-
stellungen die alte schwerfällige Flächenornamentik im engeren Sinne durch die auf ganz
anderer Grundlage beruhende naturalistische Darstellungsweise ersetzten.
Bei der Flächenornamentik im engeren Sinne setzte sich das ganze Muster aus einer Anzahl
bestimmt beschaffener Flächeneinheiten, gewissermaßen „Flächenelementen“, zusammen. Nur
durch eine Variation dieser Flächenteile konnte eine Variation im ganzen Muster bewerkstelligt
werden. Ganz anders bei der naturalistischen Darstellungsweise, wo die einzelnen Figuren
nicht durch das legespielartige Zusammensetzen der im Laufe der Entwicklung in größerer
Anzahl verfügbar gewordenen einzelnen Flächeneinheiten, sondern durch freie Linienführung
gebildet werden. Nur dadurch, daß wir uns diesen prinzipiellen Unterschied klar vor Augen
halten, ist es möglich, den plötzlichen Umschwung in der ganzen Ornamentik eines weit-
verbreiteten Kulturkreises zu erklären.
Wenn auch, wie wir später noch näher sehen werden, mit der neuartigen Technik auch
ganz neue Darstellungsmotive in die alte Kultur von Pachacamac eingedrungen sind, so sind
1) Größte Länge und Breite dieses Gewebestückes betragen 58 cm und 58 cm. Die Figuren sind in dunkel-
brauner Farbe auf grobes weißes Baumwollgewebe aufgemalt. 2) Vgl. S. 18. 3) Größte Länge
und Breite betragen 125 cm und 70 cm. 4) Uhle: Pachacamac 1. c. Taf. 4. 1, a—c. S. 22 u. 23. 5) Siehe
oben S. 4; 6.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
23
daneben doch die alten, zur Zeit der Tiahuanaco-Kultur beliebten Motive erhalten ge-
blieben, wie uns durch die Darstellung in Fig. 15 und 16 bewiesen wird. Für die Hauptaufgabe
dieser ganzen Untersuchung, einen auf rein induktiver Methode basierenden Ansatz zur Deutung
der szenenhaften Darstellungen der späteren Periode zu finden, ist diese Tatsache insofern
von besonderer Wichtigkeit, weil sie uns den Nachweis liefert, daß auch die mythologischen
Vorstellungen der alten Tiahuanaco-Kultur — denn um solche handelt es sich offenbar bei den
in Fig. 15 und 16 abgebildeten Darstellungen — im Vorstellungskreise der Träger der späteren
Kulturperiode noch vorhanden gewesen sind und hier neben dem von außen eingedrungenen
neuen Ideenkreise eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Während die natura-
listische Darstellungsmethode und die Webstuhltechnik der späteren Kultur bei ihrem Ein-
dringen in Pachacamac die alte figürliche Flächenornamentik und die alte Webemethode ohne
mechanische Fachbildung vollständig verdrängt haben, hat sich aus dem Zusammentreffen
der mythologischen Vorstellungen zweier ganz verschiedenartiger Kulturkreise schon in jenen
frühen Zeitperioden eine Vermischung ergeben, welche die Deutung der mythischen Darstel-
lungen besonders erschwert und zu besonderer Vorsicht vor zu weitgehenden Schlüssen in
dieser Beziehung mahnt.
Bei den beiden in Fig. 15 und 16 abgebildeten Gewebedarstellungen, die meiner Meinung
nach das einzige bisher bekannt gewordene Material ihrer Art sind, sehen wir also Motive der
alten Tiahuanaco-Kultur in der Darstellungsweise und mithin auch in der Auffassungsweise
der späteren Kulturperiode wiedergegeben. Da uns aus dem vorhergehenden die Wiedergabe
gleicher oder ähnlicher Motive mit den Hilfsmitteln, die die Flächenornamentik im engeren Sinne
an die Hand gibt, bekannt ist, so erscheint mir ein Vergleich der vorliegenden beiden Gewebe
mit den entsprechenden Darstellungen der früheren Periode besonders geeignet zu sein, uns
das Wesen dieser durch ihre freie Linienführung charakterisierten naturalistischen Darstellungs-
weise näher klar zu machen.
Bei den beiden in Fig. 15 und 16 abgebildeten Gewebedarstellungen ist die Anlage sowie
die ganze Art der Zeichnung dieselbe. Auch auf dem leider nur teilweise erhalten gebliebenen
Gewebe Fig. 15 sind an den Rändern der drei defekten Seiten von der Randzeichnung noch
hinreichende Reste vorhanden, um mit Sicherheit darauf schließen zu können, daß die große
Mittelfigur von den am rechten Rande noch vorhandenen Musterstreifen mit den gleichen
lierköpfen vollständig umrahmt gewesen ist, in derselben Weise wie die Darstellung in
Fig. 16.
Die größte Länge und Breite des erhaben^
des gewöhnlichen Gewebes aufweist, nur mit der Beson e ’ i,;n(iurchlaufen. Die von
fäden gemeinsam über zwei Kettenfäden hinweg-, resP- u" 1 . hellbrauner Farbe aus-
den Linien umrahmten Flächenteile sind zum Teil m.t hellb auer oder hellbraun ^
gefüllt, jedoch in der Weise, daß zwischen der betreen den ™*und Art
Figur noch ein weißer Streifen unbemalten Gewebes sici ar Kreisbogen unterhalb
sind blau gefärbt: die Beine, der Gürtel, der Hals (d. h. der "^^¿Uckes, der
des Kopfes abgegrenzte Kreisabschnitt), der T-förmige ml er an ¿er großen Mittel-
Außenkreis des Ohrschmuckes und der obere Außenrand es deg Blattes der Holz-
figur, sowie die beiden durch Querlinien voneinander getrennten ac e der Rump{j der
keule und der Querstreifen am Schwänze des Vogels. Hellbraun ge e-n Ted der
Kopf, der nicht blau gefärbte Teil des Kopfschmuckes, der tie er ^ abstehende Ver-
am Rande angebrachten Vogelköpfe. Auch der Arm, die schräg^ Rande scheinen
längerung des Gürtels sowie die nicht braun ausgefullten g kenntlichen Spuren
ursprünglich mit einer jetzt vollständig verblichenen und nur noc in
24
MAX SCHMIDT
vorhandenen Farbe (vielleicht rot?) bemalt gewesen zu sein. Die Zacken am Halse sowie
am Flügelrande der Figur, der größte Teil des Vogels, Teile der Schlangen und das untere
Ende der Keule sind einfach mit dem Braun der Randlinien ausgefüllt, ohne die erwähnte
weiße Linie zwischen dieser letzteren und der Farbfläche frei zu lassen.
Ein Blick auf die vorliegende Darstellung genügt, um zu erkennen, daß es sich hier um
die Charakterisierung einer ganz bestimmten Persönlichkeit handeln muß, und zwar einer
Persönlichkeit, die, wie schon erwähnt, auch in der eigentlichen Flächenornamentik von
Pachacamac in ähnlicher Weise vorkommt, und der gerade wegen dieses häufigen Auftretens
mit Sicherheit eine ganz bestimmte mythologische Bedeutung beizumessen ist. Bei der ganzen
Darstellung selbst ist nichts von der Gliederung der ganzen Fläche in einzelne rechteckige
Flächeneinheiten wie vorher zu erkennen, wenn auch natürlich gewisse Besonderheiten der
Formen, die in ihrer Entstehung auf die Darstellungsweise der früheren Periode zurückzuführen
sind, sich vielleicht als Charakteristika der darzustellenden Figuren auch in der neuen natura-
listischen Darstellungsweise erhalten haben, so der große hauptsächlich durch rechtwinklig
verlaufende Umrißlinien gebildete Kopf der Hauptfigur, so auch die schlangenartigen Tierköpfe
an dem erhalten gebliebenen Teile der Randborte. Neben solchen Anklängen an die Darstel-
lungsweise der früheren Periode ist aber die Formenbildung der freien Zeichnung durch Um-
rißlinien vollständig durchgeführt, und zwar mit allen ihren charakteristischen Merkmalen, von
denen in einem späteren Abschnitte noch ausführlicher die Rede sein wird. Wir treffen auch
hier schon deutlich das merkwürdige Gemisch von Enface- und Profilstellung, das Miß-
verhältnis in der Größe der einzelnen Teile, sowie die sonstigen auf dem Mangel der Emp-
findung für richtige Perspektive beruhenden Besonderheiten der Darstellung an. So sehen wir
bei der Hauptfigur den Kopfputz mit dem T-förmigen Mittelstück enface gezeichnet, den Kopf,
den Rumpf, die Beine und den die Keule haltenden Arm im Profil, den Halsschmuck resp. die
am Halse angebrachte Verzierung des Ponchos dagegen wieder enface, und die Füße, in ihrer
Form an einen Fußabdruck erinnernd, in der Ansicht von oben resp. von unten. Der Arm
setzt sich, ohne daß aus der Darstellungsweise selbst zu entnehmen wäre, ob damit der
rechte oder der linke Arm gemeint ist, einfach an der den Rumpf nach vorn abschließenden
Linie gleich unterhalb des Kopfes an. Die fünf Finger sind durch fünf in paralleler Richtung
zwischen Armende und Keule verlaufende Linien gekennzeichnet, ohne daß es, wie bei den
entsprechenden Darstellungen in der Flächenornamentik der früheren Periode, besonders zum
Ausdruck gebracht wäre, daß diese Hand die Keule umfaßt. Die Zehen an den, wie erwähnt,
in der Form eines Fußabdruckes gestalteten Füßen sind nur durch vier kleine Linien wieder-
gegeben. Die Keule, die die Figur in der Hand hält, entspricht ihrer Form nach genau einer
Holzkeule aus Pachacamac, die in der Sammlung des Berliner Museums unter VA 28241 ver-
zeichnet ist. Der an dem Keulenblatt durch die beiden braunen Linien markierte Streifen
charakterisiert sehr gut einen erhaben gearbeiteten Streifen an der erwähnten Keule aus Pacha-
camac. Für den oben behandelten engen Zusammenhang zwischen der alten Tiahuanaco-Kultur
und der alten Kultur von Ica ist es bemerkenswert, daß ganz ähnliche Keulenformen uns
auch aus Ica übermittelt sind. An diesen zeigt das Keulenblatt dieselben quer verlaufenden
erhabenen Streifen zwischen Blatt und Stiel. Da, wo auf der Keulendarstellung durch die
kleinen Querlinien ein Stück des Stieles abgegrenzt ist, ist bei den entsprechenden Ica-
Keulen ein geschnitzter menschlicher Kopf zwischen Blatt und Stiel eingefügt.
Interessant ist die Art wie die vorliegende Darstellung die besondere Bedeutung, die man
dem aus der früheren Zeitperiode entnommenen Motiv beigelegt hat, zum Ausdruck bringt.
Wir haben bei der näheren Betrachtung der Darstellungen auf den entsprechenden Geweben
der Tiahuanaco-Kultur auf den Tierkopf am unteren Ende des szepterartigen Gegenstandes,
den die Figur in der Hand hält, sowie auf den am vorgestreckten Fuß angebrachten Tierkopf
aufmerksam gemacht. Daß diesen Tierköpfen eine besondere Bedeutung zuzuschreiben ist, läßt
ALTPERUANISCHE GEWEBE
25
sich daraus erkennen, daß bei der vorliegenden naturalistischen Darstellung, diesen Tierköpfen
entsprechend, neben der Keule und neben dem vorderen Fuße der Hauptfigur je eine ganze
Schlange dargestellt ist, deren Identität mit einer speziellen Schlangenart sich mit Hilfe der
deutlich charakterisierten Rückenzeichnung sowie der ohrenartigen Fortsätze am Hinterkopfe
unschwer zoologisch festlegen lassen wird. Ebenso entspricht die deutlich als fliegender
Vogel gekennzeichnete Figur zwischen dem Kopf der Hauptfigur und dem Keulenblatte dem
am Hinterkopfe der entsprechenden Tiahuanaco-Figuren erscheinenden adlerartigen Vogelkopfe.
Leider ist von der hinter dem Kopfputz angebrachten Figur nur noch ein Bein erhalten ge-
blieben, so daß sich aus ihrer Form und Haltung keine Schlüsse mehr ziehen lassen.
Durch den Vergleich dieser vorliegenden Darstellung in Fig. 15 mit den entsprechenden
Darstellungen auf den Geweben der Tiahuanaco-Periode ist für diesen speziellen Fall mit
Sicherheit der Nachweis erbracht, daß die Tierfiguren neben der Hauptfigur jedenfalls mit dazu
dienen, diese Hauptfigur zu charakterisieren. Damit ist also das Auftreten einer Art von Bilder-
schrift auf den altperuanischen Geweben einer bestimmten Zeitperiode erwiesen.
Einen ganz ähnlichen Charakter wie die vorige zeigt die in Fig. 16 abgebildete Gewebe-
darstellung. Auch hier handelt es sich um die Wiedergabe einer bestimmten Persönlichkeit
durch Umrißzeichnung und teilweise Ausfüllung der von den Umrißlinien abgegrenzten Figuren-
teile durch verschiedene Farben. Der nur teilweise erhaltene Randstreifen ist ebenso wie bei
dem vorigen Gewebe von einer Reihe nebeneinandergereihter Tierköpfe besetzt. Allem An-
scheine nach haben wir es hier mit der Darstellung derselben mythischen Figur zu tun, wie
vorher, wenn sich auch im einzelnen mancherlei Unterschiede zeigen. So hält die Figur im
Gegensatz zur vorigen einen menschlichen Kopf in der linken Hand, während sie die Keule
über die rechte Schulter gelegt hat. Hierdurch ist es bedingt, daß beide Arme der Figur
gekennzeichnet werden und je nach ihren Ansatzstellen als rechter oder linker Arm zu unter-
scheiden sind. Auch diese Figur ist im Profil dargestellt, nur der mittlere Teil des Kopf-
aufsatzes sowie der Halsschmuck zeigen Enfacestellung. Die Kopfform mit ihren rechten
Winkeln entspricht im ganzen derjenigen der vorigen Figur. Außer der vom Auge aufwärts
verlaufenden Linie zieht sich eine rechtwinklig gebrochene Linie abwärts, das ganze Gesicht in
zwei Hälften teilend, von denen die hintere rot, der obere Teil der vorderen braun ausgefüllt ist.
Das Haar ist deutlich am Hinterkopf gekennzeichnet, der Ohrpflock weiter nach unten gerückt.
Am Kopfaufsatz läßt sich deutlich der geflochtene Teil mit dem typischen Geflechtsmuster
erkennen, an dem hinten Schmuckfedern angebracht sind. Der T-förmige Schmuck in der Mitte
entspricht dem der vorigen Figur und soll offenbar eine der ähnlich geformten Metallplatten
darstellen, wie sie aus Silber und Kupfer aus verschiedenen Gebieten Perus erhalten sind.
Als Halsschmuck dienen drei blaue Ketten. Der Poncho ist am unteren Rande und an der
Hinterseite von einer roten Borte mit einer Reihe weißgelassener Kreisflächen umsäumt. Je
zwei einander berührende Halbkreisringe an den Füßen sollen jedenfalls die Sandalenschnüre
zum Ausdruck bringen, die genau in dieser Form an einer großen Anzahl im Original erhaltener
Sandalen zu sehen sind und zur Befestigung des Fußes in der Sandale gedient haben. Die
Keule mit den acht rotgefärbten Rhomben am Keulenblatt weicht von der Keulenform dei
vorigen Darstellung ab, entspricht aber im allgemeinen einem Keulentypus, der in Ica ver-
tiefen ist, und bei dem die hier durch die roten Rhomben bezeichneten Stellen durchbrochen
geai beitet sind. Der merkwürdige Flügel unterscheidet sich sehr wesentlich in seinei Form
von dem der vorigen Figur. Von den wohl als Schwungfedern gedachten einzelnen Streifen
sind je zwei blau und rot, die übrigen sechs braun gemalt. Der hinter dem Bein vom Güitel
herabfallende Behang ist rot gefärbt. Von besonderem Interesse sind die zwischen Gürtel und
Flügel heraustretenden Schlangenfiguren, da die obere mit blauem Leib und rotem Kopf
enface, die untere mit blauem Kopf im Profil gezeichnet ist, und der Kopf der letzteren genau
den Tierköpfen, die rings um die Hauptdarstellung als Randzeichnung angebracht sind,
BAESSI.RR-APruni .
26
MAX SCHMIDT
entspricht. An der im Profil dargestellten Schlange gleicht der ohrförmige Ansatz am Hinter-
kopfe genau den ähnlichen Ohransätzen der oberen enface gezeichneten Schlange, und wir
haben somit den bestimmten Nachweis, daß es sich tatsächlich auch bei den Köpfen der Rand-
zeichnung um die Köpfe dieser selben, zu der Hauptfigur irgendwie in Beziehung gedachten,
Schlangenart handelt. Der Menschenkopf, den die Figur in der Hand hält, ist bis auf die
einzelnen weiß gelassenen Sinnesorgane rot bemalt.
Daß den einzelnen um die Figur herum zerstreuten geometrischen Figuren ein ganz
bestimmter, für die Deutung der ganzen Darstellung wesentlicher Sinn beizumessen ist, ist
durch Analogieschluß aus den Schlangendarstellungen in der vorigen Figur 15 anzunehmen.
Leider fehlt hier bisher noch jeder Schlüssel zur Deutung dieses Sinnes.
Auffällig und jedenfalls für weitere Forschungen beachtenswert ist die Farbe der am
äußeren Randstreifen aneinandergereihten Schlangenköpfe, da sich in ihr ganz bestimmte Gesetz-
mäßigkeiten konstatieren lassen. Soweit der Randstreifen erhalten ist, folgen immer vier
verschieden gefärbte Köpfe aufeinander in der Weise, daß nach dem vierten Kopfe jedesmal
dieselbe Farbenfolge wieder beginnt. Fangen wir in der Ecke unten links an, so ist der
erste Kopf rot mit braunem Hals, der zweite Kopf blau mit braunem Hals, der dritte Kopf
braun mit rotem Hals, der vierte Kopf braun mit blauem Hals, und so fort, bis der obere
Rand bei dem braunen Kopf mit rotem Hals unterbrochen wird und in der unteren Reihe mit
dem roten Kopf mit braunem Hals wieder beginnt. Die Färbung ist bis auf den letzten Kopf
der untersten Reihe links, bei dem der rote Hals fehlt, in der angegebenen Weise genau
durchgeführt. Bei fortschreitender Klärung des zur Verfügung stehenden Materials wird es
vielleicht späteren Forschungen gelingen, der Deutung dieser besonderen Färbung näher zu
treten. Bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft auf altperuanischem Gebiet muß es
genügen, hier diese auffällige Erscheinung zu konstatieren, die beweist, daß wenigstens in
gewissen Fällen bei der Deutung der altperuanischen Darstellungen auch ihrer Färbung eine
gewisse Bedeutung beizumessen ist.
2. ALLGEMEINE BEMERKUNGEN ÜBER DEN STIL DER SZENENHAFTEN DARSTELLUNGEN
AUF DEN GEWEBEN DER SPÄTERN PERIODE.
Da es sich bei den naturalistischen Gewebedarstellungen trotz der geschmackvollen Farben-
wirkung, der Feinheit der Technik und der oft kunstvollen Stilisierung der Figuren doch immer-
hin um eine verhältnismäßig primitive Darstellungsweise handelt, so finden sich bei ihnen viele
der Haupterscheinungen wieder, die bei den naturalistischen Zeichnungen der Naturvölker Süd-
amerikas in letzter Zeit wissenschaftlich festgestellt worden sind; vor allem an der Hand von
Bleistiftzeichnungen, die zuerst von Karl von den Steinen auf seiner zweiten brasilianischen
Reise im Xinguquellgebiet1), später von mir in demselben Gebiet2), und endlich in größerem
Umfange von Koch-Grünberg vornehmlich im Rio Negro- und Yapurä-Gebiet gesammelt worden
sind.3)
Bei diesen erst infolge besonderer Aufforderung zustande gekommenen Handzeichnungen
handelt es sich naturgemäß mehr um eine möglichst genaue Mitteilung als um die ästhetische
Wirkung. Daraus, daß einzelne Individuen eines bestimmten Volksstammes durch äußere An-
regung oder Nachahmungstrieb veranlaßt, imstande sind, mit größerem oder geringerem Ge-
schick Handzeichnungen der genannten Art anzufertigen, lassen sich wichtige Schlüsse auf das
Auffassungsvermögen und die Handfertigkeit des betreffenden Volksstammes ziehen, aber es ist
damit nicht zugleich ohne weiteres gesagt, daß derartige naturalistische Zeichnungen, zu deren
1) Karl von den Steinen: Unter den Naturvölkern Zentralbrasiliens. Berlin 1894. S. 243 ff. 2) Max
Schmidt im Globus Bd. LXXXVI S. 119 ff. Derselbe: Indianerstudien. 1, c. S. 395 ff. 3) Theodor Koch-
Qrünberg: Anfänge der Kunst im Urwald. Indianer-Handzeichnungen, auf seinen Reisen gesammelt. Berlin 1905.
— Der Vollständigkeit halber seien hier auch noch einige wenige Zeichnungen erwähnt, die Crevaux von den
Eingeborenen Guayanas erhielt. (Crevaux, J.: Voyages dans l’Amérique du Sud. Paris 1883. S. 211 f.)
ALTPERUANISCHE GEWEBE
27
Herstellung der betreffende Volksstamm nachweislich erst auf äußere Veranlassung hin gebracht
worden ist, auch tatsächlich ohne derartige äußere Veranlassung bei dem betreffenden Stamme
zum Zwecke der Mitteilung allgemein geübt werden. Den Trägern der alten Tiahuanaco-Kultur,
die nachweislich in Pachacamac der Kulturperiode mit den szenenhaften Darstellungen voraus-
ging, standen auf ihren Gefäßwänden und Geweben dieselben Flächen für mitteilende Darstel-
lungen zur Verfügung wie den Peruanern der späteren Periode, die Bemalung als solche war
auch ihnen bekannt und von ihrer relativen Kulturhöhe besitzen wir hinreichende Zeugnisse,
um ihnen mindestens dieselbe Fähigkeit zum Anfertigen naturalistischer Zeichnungen zusprechen
zu dürfen wie denjenigen unter den heutigen Naturvölkern Südamerikas, von denen uns Hand-
zeichnungen überliefert sind; aber dennoch besitzen wir aus jener Zeit keine naturalistischen
Darstellungen. Es hat erst eines heftigen Anstoßes von außen her bedurft, um sich von den
althergebrachten Regeln der Flächenornamentik loszumachen, den ganzen bisherigen Entwick-
lungsgang der Darstellungsweise abzubrechen und die Fläche frei als solche in den Dienst
der mitteilenden naturalistischen Darstellung zu stellen.
Natürlich soll mit dem Gesagten der große Wert des reichen zurzeit vorliegenden Ma-
terials an südamerikanischen Handzeichnungen in keiner Weise geschmälert werden. Ab-
gesehen von der hohen psychologischen Bedeutung, die diesen Untersuchungen zukommt,
liefern die wertvollen Ergebnisse, die Karl von den Steinen und Koch-Grünberg an der
Hand der von ihnen gesammelten Bleistiftzeichnungen in bezug auf das Wesen der primitiven
Darstellungsart südamerikanischer Naturvölker festgestellt haben, wichtige Anhaltspunkte zum
Verständnis und zur richtigen Deutung der in Frage stehenden altperuanischen szenenhaften
Darstellungen. Im besonderen gilt dies bezüglich der Charakterisierung des darzustellenden
Gegenstandes, der Verwechslung von Seiten- und Vorderansicht, sowie der eigenartigen Be-
handlung von Perspektive und Proportionen.
a) Mitteilender und ornamentaler Charakter der szenenhaften Darstellungen auf
den altperuanischen Geweben. Altperuanische Bilderschriften. Stilisierung der
naturalistischen Darstellungen.
Während bei den naturalistischen Handzeichnungen, die von den gegenwärtigen Natur-
völkern Südamerikas gesammelt werden konnten, der mitteilende Charakter des Zeichnens
bei weitem den ornamentalen überwiegt, müssen wir bei den naturalistischen Gewebedarstel-
lungen von Pachacamac mit beidem rechnen und können auch bei den szenenhaften Darstel-
lungen nur im Einzelfalle unterscheiden, ob bei ihnen mehr der mitteilende oder mehr der
ornamentale Charakter in den Vordergrund zu rücken ist. Wir haben gesehen, daß die natura-
listische Darstellungsmethode in Pachacamac die figürliche Flächenornamentik auf den Geweben
zu einer gewissen Zeit ganz verdrängt hat, und somit hat sie natürlich diese auch in ihrer
ornamentalen Rolle ersetzen müssen, die ursprünglich der alleinige Ausgangspunkt jeder
Flächenornamentik im engeren Sinne ist. Eine große Anzahl von Gewebedarstellungen zeigt
deutlich, daß die ursprünglich rein mitteilenden Charakter aufweisende naturalistische Dar-
stellungsweise im Laufe ihrer Entwicklung sehr wohl einen mehr ornamentalen Charakter
annehmen kann, ebenso wie umgekehrt, z. B. auch bei dem bekannten Ancon-Gewebe der
Reiß- und Stübel-Sammlung, das die typischen Merkmale der Flächenornamentik an sich
trägt, die ursprünglich rein ornamentale Flächenornamentik auch mitteilende Symptome auf-
weisen kann.
Dei spezielle Zweck des einer Darstellung als Grundlage dienenden Gewebes entscheidet
hauptsächlich darüber, ob die Darstellung mehr als Ornament oder mehr als Mitteilung gelten
soll. Da, wo es sich wie bei vielen dieser Gewebe resp. Gewebeteile um Kleidungsstücke,
zumal I onchos handelt, wird wohl meistens mehr das erstere der Fall sein. Hat aber
andererseits das Gewebe den alleinigen Zweck, einer mitteilenden Darstellung als Unter-
A *
28
MAX SCHMIDT
läge zu dienen, so bewahrt natürlich diese letztere auch mehr ihren ursprünglichen, mit-
teilenden Charakter.
Von mehreren alten Geschichtsschreibern1) ist behauptet worden, daß den Amauta, einer
Art von Lehrern bei den Inka-Peruanern, historische Gemälde zu Gebote standen, um ihre
Erinnerungen aufzufrischen. Acosta hat vor allem diesen Standpunkt geltend gemacht, und
es heißt, daß diese historischen Gemälde auf „paños“, gewebten Tüchern, aufgemalt
gewesen- seien. Bisher war von solchen altperuanischen Bilderschriften nichts bekannt ge-
worden, und so ist noch Tschudi2) mit aller Schärfe diesen Behauptungen der alten Autoren
entgegengetreten, indem er das Vorhandensein altperuanischer Bilderschriften trotz dieser be-
stimmten Angaben geleugnet hat.
Durch das reichhaltige Gewebematerial, das mit der von Herrn van der Zypen gestifteten
Sammlung in den Besitz des Berliner Museums überging, ist diese eminent wichtige Streitfrage
über Bestehen oder Nichtbestehen von altperuanischen Bilderschriften entgegen der Ansicht
Tschudis, zugunsten Acostas und der übrigen alten Autoren entschieden. Denn zur großen
Überraschung hat sich unter diesen Geweben eine größere Anzahl solcher „paños“ mit auf-
gemalten figürlichen Darstellungen gefunden, für die keinerlei Anzeichen vorhanden sind, daß
sie irgendwie als Kleidungsstücke Verwendung gefunden haben, die vielmehr lediglich als
Unterlage für die inhaltsreichen Szenen, die wir auf ihnen abgebildet sehen, gedient zu haben
scheinen. Die genauere Untersuchung hat ergeben, daß sich auch unter den Geweben der
dem Berliner Museum von Arthur Baessler gestifteten Sammlung von Pachacamac zwei hierher
gehörige Stücke befinden (Fig. 16 u. 41), von denen das eine schon weiter oben (S. 25) ein-
gehend behandelt worden ist.
Mit vollem Recht kommt den seltenen figürlichen Darstellungen der vorliegenden Art die
Bezeichnung einer altperuanischen Bilderschrift zu, deren Aufdeckung, wie bemerkt,
durchaus mit dem übereinstimmt, was uns die alten Autoren berichten. Hoffentlich gelingt es,
diesen alten peruanischen Bilderschriften, die hier zum ersten Male der Öffentlichkeit über-
geben werden und die eine ganz neue Quelle zur Erforschung altperuanischen Wesens bilden,
mit der Zeit noch weitere Funde anzugliedern. Bis dahin werden wir uns mit der Erklärung
mancher Einzelheiten der bildlichen Darstellungen noch gedulden müssen, wenn ich auch der
festen Überzeugung bin, daß sich auch schon aus dem bisher vorhandenen Material durch Ver-
gleichung nach und nach immer mehr feste Anhaltspunkte werden gewinnen lassen.
Es liegt auf der Hand, daß die Darstellungen auf diesen Geweben ihrer Bestimmung gemäß,
zur Auffrischung der Erinnerung zu dienen, mehr mitteilenden als ornamentalen Charakter
tragen. Nach der Art der zum Teil ziemlich inhaltsreichen Handlungen können wir haupt-
sächlich drei Gruppen dieser altperuanischen Bilderschriften unterscheiden, von denen die
eine Motive aus der zeitlich vorausgehenden Tiahuanaco-Kultur zum Gegenstände hat. Ihre
in Fig. 15 u. 16 abgebildeten Vertreter sind schon oben S. 23—26 näher geschildert. Von den
beiden anderen Gruppen, deren Vertreter im zweiten Hauptteile dieser Arbeit besprochen werden,
behandelt die eine die Fischerei, die andere den Schutz der Pflanzungen gegen Tierschaden
sowie die Einbringung der Früchte.
Wenn im bisherigen Verlauf der Abhandlung mehrfach hervorgehoben wurde, daß von
einer bestimmten Zeit an in Pachacamac die ältere Flächenornamentik durch die natura-
listische Darstellung verdrängt worden ist, so muß hier zur Vermeidung von Mißverständnissen
besonders betont werden, daß natürlich nur von einem Verdrängen der figürlichen Flächen-
ornamentik auf den Geweben die Rede ist. Wenn es auch die ursprünglich rein geometrische
Flächenornamentik im Laufe ihrer Entwicklung dazu gebracht hatte, selbst kompliziertere figür-
liche Darstellungen2’) zu erzeugen und somit sogar einen mitteilenden Charakter anzunehmen,
1) Vgl. Tschudi: Kulturhist. u. sprachl. Beiträge z. Kenntnis d. alten Peru. Wien 1891. S. 35.
Tschudi: Beiträge 1. c. S. 35. 3) Vgl. oben S. 16 ff.
2) Vgl.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
29
so bot doch die an der Küste Perus zu einer gewissen Zeit auftretende naturalistische Dar
stellungsart eine ganz andere Handhabe zur mitteilenden Wiedergabe irgendwelcher dem Vor-
stellungskreise der Verfertiger angehörender Motive, und somit ist es leie t vers an ic , a
diese letztere Darstellungsweise bei dem Aufeinanderstoßen der beiden versc ie enen u uren
ein so entscheidendes Übergewicht da, wo es sich um mitteilende figürliche ewe e ars e
lungen handelte, erlangen konnte. Ganz anders verhält es sich aber mit der geometnsc en
Flächenornamentik, die ihrem rein ornamentalen Zwecke vollkommen entspiach, und die von er
mehr mitteilenden Charakter an sich tragenden naturalistischen Darstellungsweise keineswegs
in ihrer mannigfachen Entfaltung beeinträchtigt wurde, wenn sie auch, wie schon oben ) er
wähnt wurde, mancherlei Veränderungen infolge der gleichzeitig mit dei naturalistischen
Darstellungsweise an der peruanischen Küste auftretenden neuen Webetechnik unterworfen
war. Die naturalistische Darstellungsweise aber wurde wiederum dadurch, daß sie auf den
gewebten Kleidungsstücken neben ihrem mitteilenden Charakter auch ornamentale Anfoide-
rungen zu erfüllen hatte, in ganz be-
stimmter Richtung beeinflußt. Durch immer
weitergehende Stilisierung der einzelnen
Figurenteile nimmt die ganze Darstellung
äußerlich immer mehr einen geometrischen
Charakter an. Wir erhalten so zwar durch
Stilisierung der figürlichen naturalistischen
Darstellungen geometrische Ornamente,
aber niemals eine geometrische „Flächen-
ornamentik“ in unserm Sinne, die den
oben angeführten, in ihrer ersten Ent-
stehung auf der Flechttechnik beruhenden
Gesetzen unterworfen ist. Sowie die ur-
sprünglich geometrische Flächenornamen-
tik in ihrer weiteren Entwicklung zur figür-
lichen Flächenornamentik, aber niemals zu
der auf ganz anderer Grundlage beruhen-
den naturalistischen Darstellung hinführen
kann, so kann die naturalistische Dar-
stellung durch Stilisierung sehr wohl einen
geometrischen Charakter annehmen, niemals aber kann sie sich zu der duich Aneinanderfügen
einzelner Flächenelemente entstehenden Flächenornamentik entwickeln. Als Ergebnis voistehendei
Ausführungen läßt sich der Entwicklungsgang der Ornamentik auf den Geweben von Pachacamac
sowie anderer, ähnlichen Verhältnissen unterworfener Küstengegenden kurz folgendei maßen
zusammenfassen:
Zunächst zur Zeit der Tiahuanaco-Kultur; Geometrische Flächenornamentik rein ornamen-
talen Charakters und daneben, aus ihr weiterentwickelt, eine figürliche Flächenornamentik mit
mitteilendem Charakter neben dem ornamentalen.
Dann in der folgenden Zeitperiode: Fortbestehen der geometrischen Flächenornamentik,
Verdrängung der mitteilenden figürlichen Flächenornamentik durch die naturalistische Dar-
stellung und Entwicklung dieser letzteren zu geometrischen Ornamenten durch Stilisierung.
Ich kann hier nicht im einzelnen auf die Stilisierung der figürlichen naturalistischen Dai
Stellung zu mehr geometrischen Formen eingehen. Dieses Thema würde bei der Fülle des
vorhandenen Materials und der verhältnismäßig umfangreichen, aber wenig fördernden Literatur,
die wir hierüber besitzen, eine ganze Abhandlung für sich in Anspruch nehmen. Ich habe
1) Vgl. oben S. 14 f.
Fig. 17. Stilisierte Bootsszenen auf Geweben von Pachacamac.
MAX SCHMIDT
hier als charakteristische Beispiele nur die beiden in Fig. 17 a1) und b2) abgebildeten Gewebe-
stücke von Pachacamac herausgegriffen. Ein Vergleich mit verschiedenen charakteristisch
gestalteten Bootsszenen der naturalistischen Darstellungsweise läßt es keinem Zweifel unter-
liegen, daß wir es auch in diesen beiden Fällen mit der Darstellung einer solchen Bootsszene
zu tun haben. An dem Boot ist deutlich der schräg nach oben gerichtete Schiffsschnabel
kenntlich. Die beiden im Boote knieenden Personen sind einander zugekehrt. Das knieende
Bein würde ohne die übrigen Bestandteile der Darstellung ebensowohl an einen Vogelkopf
erinnern. Vor allem aber sind die einzelnen Teile der Darstellung vollständig voneinander
getrennt, und die durch eine diagonale Flächenteilung bedingten Raumverhältnisse haben mehr-
fach willkürlich einzelne Teile der Darstellung aus ihrem Zusammenhänge herausgerissen.
b) Besonderheiten in der Perspektive. Verwechslung von Seiten- und
Vorderansicht.
Ein gutes Beispiel für die eigenartigen Grundsätze, die bei den szenenhaften Darstellungen
auf den Geweben der späteren Periode angewandt werden, liefert das in Fig. 18 wieder-
gegebene Gewebestück, das zusammen mit
einer Bootsdarstellung in mehrfacher Wie-
derholung einem von A. Bastian veröffent-
lichten Gazeponcho der Berliner Sammlung
aufgenäht ist. Es läßt sich leicht erkennen,
daß es sich bei dem Gewebestück in Fig. 18
um die Wiedergabe des mehrfach auf Ge-
fäßen3) wie auf Geweben wiederkehrenden
Motivs handelt, das eine hochgestellte
Persönlichkeit in einer Sänfte ge-
tragen zeigt. Länge und Breite des Gewebe-
stücks betragen 16 und 12 cm. Das Muster
wird in der gewöhnlichen Art durch den
Einschlag gebildet. Die Kettenfäden be-
stehen aus Baumwolle, die Einschlagfäden
zum Teil aus Baumwolle, zum Teil aus ver-
schiedenfarbiger Wolle. Die Farben der ein-
zelnen Figurenteile sind auf dem in Fig. 18
wiedergegebenen Besatzstück rot, blau,
schwarz, gelb, weiß und grün. Die Zu-
sammensetzung der Farben ist bei den ein-
zelnen sonst die gleiche Darstellung auf-
weisenden Besatzstücken des Ponchos ver-
schieden.
Die Sänfte selbst besteht aus zwei
langen, an den Enden mit Tierköpfen ver-
sehenen Stangen, die durch ein als Sitz dienendes Mittelstück, das dem Muster nach zu urteilen
wahrscheinlich aus einem Geflecht besteht, verbunden sind. Sie ist bis auf die Profilköpfe an den
Enden der beiden Stangen in der Aufsicht wiedergegeben und wird von vier Personen getragen,
deren perspektivisch ziemlich richtige Stellung zueinander wohl mehr dem ängstlichen Streben,
1) VA 30 965 der Berliner Sammlung. Länge und Breite betragen 68 cm und 13 cm. Das Muster wird in
der bei den Geweben mit szenenhaften Darstellungen üblichen Weise durch den Einschlag gebildet. Der letztere
besteht aus verschiedenfarbigen Wollfäden, während die Kette durch Baumwollfäden gebildet wird. 2) VA
30 966. Länge und Breite betragen 26 cm und 13 cm. Struktur des Gewebes wie bei VA 30 965. 3) Ver-
gleiche meine Abhandlung im: The Magazine of fine Arts. London, November 1905. S. 48f.
Fig. 18. Sänftenträger auf einem gewebten Besatzstück.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
31
jegliches Überdecken der einzelnen Figuren zu vermeiden, zu verdanken ist als bewußten Grund-
sätzen der Perspektive. Obgleich der getragene Würdenträger doch jedenfalls auf der Mitte
der Sänfte sitzend gedacht werden muß, ist er auf dem äußersten Rande der hinteren Stange
der Sänfte angebracht, und zwar in vollständiger Profilstellung.1) Der hoch aufragende Kopf-
putz der Hauptfigur gibt wohl jedenfalls einen jener Federaufsätze mit nach allen Seiten gleich-
mäßig überhängenden Federn wieder, wie sie in der Berliner Sammlung aus verschiedenen
Fundorten vertreten sind. Der Kopfaufsatz kann demnach ebensowohl in Profil- wie in
Vorderansicht dargestellt sein. Die Abflachung an der vorderen Seite ist offenbar nur auf
den rein äußerlichen Grund zurückzuführen, daß ein Zwischenraum zwischen dem Kopfputz
und dem Stab, den die Figur in der Hand hält, freibleiben soll, um beides sich besser von-
einander abheben zu lassen. Die vier Träger sind ebenso wie die Hauptperson in Profil gezeichnet.
Mit ganz entsprechenden perspektivischen Verhältnissen haben wir es bei den Boots-
darstellungen auf demselben Poncho zu tun. Obgleich das Boot in beiden Fällen in seinem
mittleren Teile in der Ansicht von oben gezeichnet ist, sind die im Boot befindlichen Profil-
figuren über dem oberen Rande der Bootsdarstellung angebracht. Bemerkenswert ist bei
diesen beiden Darstellungen der Übergang der Ansicht von oben in die Profilansicht bei den
Schnäbeln am Vorderteile der Boote.
Neben den eben erwähnten Bootsdarstellungen kommen andererseits aber auch solche
in reiner Profilansicht vor, für die dann der stufenförmige Abfall der Hinterseite charakte-
ristisch ist, wie in Fig. 22, 23 und 24. In Fig. 22 bezeichnet eine durch die Mitte der Schiffs-
wand verlaufende Linie einen Absatz, wie er durch die höher als die mittlere Binsenrolle an-
gebrachten beiden seitlichen Binsenrollen, aus denen die Balsas bestehen, gebildet wird.
Auf den ersten Blick schwer verständlich ist die Szenerie der Bootsdarstellung in Fällen, wo,
wie in Fig. 21, das Boot wie vorher in der Ansicht von oben mit Übergang in die Profilansicht
am Schiffsschnabel gezeichnet ist und die Figuren am oberen Rande angebracht sind, aber
nicht der Richtung des Bootes entsprechend in Profilstellung, sondern in Enfacestellung. Wie
wichtig die Feststellung dieser verschiedenen Erscheinungsformen für die Deutung der ein-
zelnen Szenen auf den Geweben werden kann, zeigt die in Fig. 26 wiedergegebene Darstellung,
bei der sich überhaupt nur bei genauer Kenntnis der verschiedenen perspektivischen Möglich-
keiten eine Bootsdarstellung mit Sicherheit herausfinden läßt.
Menschliche Figuren kommen bei den Gewebedarstellungen dieser Zeitperiode als voll-
ständige Enfacefiguren, als vollständige Profilfiguren und als Mischformen zwischen beiden
vor. Vollständige Enfacefiguren haben wir z. B. auf den Geweben Fig. 21 und 26 vor uns,
während als reine Profilfiguren die Bootsinsassen auf den Geweben Fig. 22 und 24 auftreten.
Über die merkwürdigen Mischformen zwischen Enfacestellung und Profilstellung der mensch-
lichen Figuren sind die Einzelheiten bei der Beschreibung der einzelnen Gewebe im zweiten
Hauptteile der Abhandlung angegeben. Nur einige Beispiele seien hier erwähnt. So ist in
den in Fig. 19 und 20 abgebildeten Geweben der Kopf bei den menschlichen Figuren in Enface-
stellung wiedergegeben, während der übrige Körper Profilstellung hat. Bei der obersten Person
in Fig. 34 sind Rumpf und Kopf im Profil dargestellt, während die eine Hacke haltenden Arme
auf einer Seite angebracht sind und die der Enfacestellung entsprechend nebeneinander am
D-----e
1 en dem Tierreiche entnommenen Darstellungen wechselt die Profil- und Enface-
,. ^ nach den charakteristischen Merkmalen des jeweiligen Tieres. So sind Säuge-
un 1 ipfii wiedergegeben, wie z. B. die Llamas in Fig. 47 und 48, die Vierfüßler in Fig. 47
Rumpfe angesetzten Beine durch die auf der gleichen Seite angebrachten Kniescheiben und
Füße^jedes für sich im Profil gezeichnet sind.
^ Ve^Ieiche ^'e entsprechende Stellung der Figuren bei Koch-Qrünberg 1. c. Tafel 45. 2) Ihrer be-
P r orm entsprechend sind Fledermäuse ausgenommen, die wie fliegende Vögel in der Ansicht von
32
MAX SCHMIDT
und 48, sowie in Fig. 36 und 37. Ebenso sind sitzende Vögel stets im Profil dargestellt (so
in Fig. 27, 35, 37, 38), während hingegen frei in der Luft fliegende Vögel gewöhnlich in der
Ansicht von unten, allerdings mit Profilkopf (vgl. Fig. '15 und 32-34), oder auch von oben, wie
in Fig. 19, gezeichnet werden.
Bei der besonders häufig auftretenden Fischdarstellung besteht naturgemäß ein Unterschied,
je nachdem es sich um Fische von gewöhnlicher Form oder um Flachfische handelt. Während
die ersteren stets im Profil gezeichnet werden, und-zwar gewöhnlich, wie in Fig. 20, mit ge-
nauer Berücksichtigung der charakteristischen Merkmale der betreffenden Fischart, gelangen
die Flachfische stets in der Ansicht von oben zur Darstellung, wie z. B. in Fig. 20,
Schlangendarstellungen kommen in der Ansicht von oben, wie in Fig. 15, oder auch im
Profil vor, wie die sich vom Baume herabwindende Schlange in Fig. 38. Offenbar um die
Darstellung derselben Schlangenart handelt es sich bei den beiden Schlangen, die hinten vom
Gürtel der Person in Fig. 16 herabhängen, nur daß die obere Schlange in der Ansicht von
oben, die untere Schlange im Profil gezeichnet ist. Von den niederen Tieren seien hier nur
die Krebsdarstellungen in der Ansicht von oben in Fig. 27 erwähnt.
Besonders stark treten die durch die Perspektive gebotenen Gesetze dann in den Hinter-
grund, wenn es sich um die Darstellung irgendwelcher Gebrauchsgegenstände handelt. Hier
nimmt die Zeichnung in manchen Fällen einen absolut mitteilenden Charakter an, wie z. B. bei
der morgensternartigen Waffe, die die mittlere Person des in Fig. 34 wiedergegebenen Gewebe-
stückes in der Hand hält. Der Kopf der Waffe ist in der typischen Ansicht von oben, mit
dem runden Loch in der Mitte dargestellt, während der Stiel, der doch in Wirklichkeit in dem
runden Loch steckt, einfach seitlich angefügt ist.
Während die Weberin auf dem Gewebe Fig. 49 Profilstellung hat, ist der Weberahmen,
an dem sie beschäftigt ist, vollständig in der Ansicht von vorn gegeben.
c) Darstellung der in Wirklichkeit unsichtbaren Teile des
wiederzugebenden Gegenstandes. Größenverhältnis der einzelnen Figuren und
Figurenteile zueinander.
Eine große Übereinstimmung unserer szenenhaften Gewebedarstellungen mit den von den
Naturvölkern Südamerikas erhaltenen Bleistiftzeichnungen findet sich auch insofern, als auch
hier die sämtlichen charakteristischen Merkmale des betreffenden Gegenstandes dargestellt
werden ohne Rücksicht darauf, ob sie in Wirklichkeit sichtbar sind oder nicht. So sehen wir
z. B. auf den Geweben Fig. 29, 30, 31 und 33 die Wurzeln der Pflanzen, obgleich sie in Wirk-
lichkeit vom Erdboden verdeckt werden, mit derselben Genauigkeit gezeichnet wie die übrigen
Teile. Die Kiele der Boote in den Figuren 22 und 24, die im Wasser schwimmenden Fische
und sonstigen Wassertiere (vgl. Fig. 2 und 27), sowie die Taucher in Fig. 24 sind ohne Rück-
sicht auf das sie in Wirklichkeit überdeckende Wasser wiedergegeben. Auf einem hier nicht
abgebildeten Gewebestück von Pachacamac sind sogar die von den Wasservögeln verzehrten
Fische in den Bäuchen dieser Vögel gezeichnet.
Eine weitere wichtige Eigenschaft der altperuanischen Gewebedarstellungen ist das Miß-
verhältnis in der Größe der einzelnen Figuren sowie der einzelnen Figurenteile. So sind z. B. auf
den Geweben Fig. 29-31 Menschen und Vögel ungefähr gleich groß gezeichnet, während anderer-
seits die Maisstauden in Fig. 31 im Vergleich zu den mit der Schleuder herannahenden Feldhütern
viel zu groß sind. Auch steht in derselben Figur die Größe der Schleudersteine zu ihrer tat-
sächlichen Größe in gar keinem Verhältnis. Wenn somit die Proportionen der einzelnen Figuren
zueinander der Wirklichkeit keineswegs zu entsprechen brauchen, so sind sie darum doch keines-
wegs immer für die Deutung der betreffenden Darstellungen gleichgültig. So ist es z. B. ein durch-
gehender Zug, daß die durch Rang und Bedeutung hervorragenden Personen resp. Gegenstände
durch unverhältnismäßige Größe aus dem Rahmen der übrigen Darstellungen herausgehoben werden.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
33
IL
INHALT DER SZENENHAFTEN DARSTELLUNGEN AUF ALTPERUANISCHEN
GEWEBEN.
A. DARSTELLUNGEN MIT BOOTSMOTIVEN.
Ein häufig wiederkehrendes Motiv auf den Geweben von Pachacamac sind Bootsszenen
verschiedener Art, die bald mehr in naturalistischer Weise, bald mehr in stilisierter Form
wiedergegeben werden. Als Muster eingewebte Bootsszenen kommen neben solchen vor, die
auf einfaches Baumwollgewebe aufgemalt sind.
' Ein typisches Beispiel für dieses Motiv haben wir in Fig. 19 vor uns. Zwei Figuren mit
je einem Ruder in den Händen hocken knieend auf dem Boote, das seiner Struktur nach auf
jene aus Binsen bestehenden „Bal-
sas“ hinweist, die noch heutigen Tags
an den Küsten Perus sowie auf dem
Titicacasee im Gebrauch sind.1)
Die kleinen peruanischen Balsas
dieser Art, genannt caballitos, die
zum Vergleich in Betracht kommen,
bestehen aus ein bis drei walzen-
förmigen Binsenrollen, die seitlich
aneinander befestigt werden. Ihre
vorderen, den Bug der Balsa bilden-
den Enden laufen flach und spitz
zu und ragen, wenn das Fahrzeug
beladen im Wasser schwimmt, ziem-
lich hoch und steil nach oben.2)
Waren drei Rollen miteinander zu
einem solchen Fahrzeuge vereinigt,
so lag die mittelste am tiefsten und
bildete so gewissermaßen den Kiel,
während die beiden anderen halb seitlich und halb auf ihr aufliegend so befestigt wurden,
daß sie dem Fahrzeug beiderseitig einen erhöhten Rand verschafften. Es wild sich im fol-
genden zeigen, daß diese durch die Anordnung der einzelnen Bestandteile bedingte Form der
peruanischen Binsenbalsas für das Verständnis der Bootsdarstellungen auf den Geweben von
großer Wichtigkeit ist.
So werden auch die Einzelheiten der in Fig. 19 wiedergegebenen Bootsdarstellung erst durch
den Vergleich mit der Form der in Peru bis in die heutige Zeit gebräuchlichen Binsenbalsas
verständlich. Das Gewebe selbst, dessen Länge und Breite 36,5 cm und 32,5 cm betragen, ist
aus Baumwolle in der für die Gewebe mit szenenhaften Darstellungen typischen Art toewebt.
Die bei dieser Webetechnik entstehenden Spalten in der Richtung der Kettenfäden sind
wo sie zu große Dimensionen angenommen haben, vernäht. Die schmalen Umrißlinien an
den Figuren, z. B. an den Augen der menschlichen Figuren und bei den fliegenden Vögeln
sind, wie es’häufig bei dieser Art von Geweben vorkommt, nicht durch den regelrechten Ver-
ruf der Einschlagfäden, sondern durch von Gewebespalte zu Gewebespalte in diagonaler
Richtung überspringende Fäden gebildet. Das Gewebestück stellt ein abgeschlossenes Ganze
dar und ist auf einfaches Baumwollgewebe aufgenäht. Kettenfäden und Emschlagfa en
1) Ve-l Friederici Georg: Die Schiffahrt der Indianer. Stuttgart 1907. S. 18. Squier, E. George: Peru.
d.| ^ ’ . - . . inra«? Ins Deutsche übersetzt von Prof. Dr. J. Heinr. Schmick.
Feise- und Forschungserlebnisse in dem Lande der incas.
Leipzig- 1883. S. 406. 2) Friederici 1. c. S. 19. 3) Vgl. oben . , . g
Baessler-archiv i.
Fig. 19. Fischereiszene auf einem Gewebe von Pachacamac.
34
MAX SCHMIDT
bestehen ausschließlich aus Baumwolle. Die auf der Vorderseite stark verblaßten Farben sind
auf der Rückseite unter dem Schutze des Baumwollstoffes, auf den das Gewebe aufgenäht
ist, verhältnismäßig gut erhalten. Hiernach wird das Muster vornehmlich durch weiße, sepia-
braune, rötlichbraune und blaue Fäden gebildet. Von andern Farben kommen an dem Boot
ganz wenig Rot und auf der unteren Borte ein wenig Blauschwarz an den Rechtecken innerhalb
der Stufe vor. Der Hintergrund ist weiß, die Färbung der Umrißlinien der einzelnen Figuren
sepiabraun. Die eine Figur hat einen weißen Rumpf, rotbraunes Gesicht mit blauer Nase, weißen
Augen und weißem Mund und blauen Kopfputz, die andere Figur blauen Rumpf, weißes Gesicht
mit brauner Zeichnung der einzelnen Teile und rotbraunen Kopfputz. Schon aus diesen An-
gaben läßt sich ersehen, daß die Färbung in diesem Falle als rein ornamental mit der natür-
lichen Farbe der darzustellenden Personen und Gegenstände in keinem Zusammenhänge steht
und somit in diesem Falle für die Erklärung des Inhalts der Darstellung ohne Bedeutung ist.
Nur mit Hilfe der oben1) über die Perspektive angegebenen Gesichtspunkte läßt sich die
Darstellung des Bootes verstehen. Wir haben auch hier ein merkwürdiges Gemisch der ver-
schiedenen Ansichten des betreffenden Bootes vor uns. Während Rumpf und Hinterteil offen-
bar in der Ansicht von oben dargestellt sind, geht die Darstellung nach der vorderen Spitze
zu immer mehr in die Profilansicht über.
Am hinteren und vorderen Teile des Bootes ist je ein Rechteck mit sich kreuzenden diago-
nalen Linien ausgefüllt, wodurch offenbar ein bestimmtes Geflecht angegeben wird, das ent-
weder zur Umschnürung der einzelnen Binsenrollen, aus denen sich das Boot zusammensetzt,
gedient hat, oder als Unterlage für die oberhalb dieses Rechtecks hockenden Figuren gedacht
ist. Der in seinem Untergrund weiß gefärbte Teil in der Mitte zwischen diesen Geflechtsstücken
wird durch zwei braune Querlinien in drei Felder geteilt, offenbar die drei nebeneinander
liegenden Binsenbündel, die auch am hinteren Rande durch die drei mittleren der Dreiecke, in
die das Boot nach hinten zu ausläuft, gekennzeichnet sind. Jedes dieser drei Felder wird von
einem der Rückseite des Bootes zugekehrten Fische eingenommen, und zwar sind die Fisch-
figuren in den beiden äußeren Feldern blau gefärbt, während der Fisch in der Mitte braune
Färbung aufweist.“) Offenbar handelt es sich hier um Fische, die von den im Boote hockenden
Leuten gefangen sind, und die wir uns, der merkwürdigen Auffassung der Perspektive ent-
sprechend, auf dem mittleren Teile des Binsenbootes liegend denken müssen. Wie vielfach
bei den Bootsdarstellungen, ist auch hier auf die Charakterisierung des Vorderteils des Bootes
mit dem senkrecht nach oben gerichteten Ansatz ganz besondere Sorgfalt verwendet
worden.
Wir gehen nunmehr zur Erklärung der einzelnen Figuren der Darstellung über, bei der
es sich offenbar um eine Fischereiszene handelt. Obgleich, wie schon erwähnt, die Darstel-
lung des Bootes der Ansicht von oben entspricht, sind die in dem Boote befindlichen Figuren,
mit Ausnahme der schon erwähnten flach auf der Oberfläche desselben liegenden Fische, auf
der oberen Randlinie angebracht. Die beiden Schiffer hocken auf den Knien im Boote, wie
wir es auch bei den plastischen Bootsdarstellungen der Tongefäße sehen. In der Hand hält jede
der beiden Personen ein einfach als Stange gezeichnetes Gerät, das offenbar zur Fortbewegung
dient. Da die peruanischen Balsas durch Ruder vorwärts bewegt werden’) und auch bei
ähnlichen Bootsdarstellungen, z. B. bei den in Fig. 20 und 21 abgebildeten, das entsprechende
Gerät durch die Verbreiterungen an beiden Enden unzweifelhaft als Doppelruder gekennzeichnet
ist, so läßt sich daraus schließen, daß auch die einfachen Stangen in Fig. 19 solche Ruder
sein sollen.
1) Vgl. S. 31. 2) Leider sind diese Fischfiguren wegen der stark verblaßten Färbung auf der
Vorderseite des Gewebes in der Fig. 19 so gut wie gar nicht sichtbar. Auf dem Original sind sie, zumal auf der
Rückseite, deutlich erkennbar Sie entsprechen ihrer Art und Form nach genau den Fischen, die auf dem in
Fig. 20 wiedergegebenen Gewebestück an der gleichen Stelle im Boote angebracht sind. 3) Vgl. Squier,
1. c. S. 406.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
35
Die vordere Person im Boote hält einen hinter ihr sitzenden Vogel an einem Bande, das
offenbar um seinen Hals liegt. Dasselbe Band ist auch an der entsprechenden Stelle des
Rückens der hinteren Person zu sehen, aber da hier dem Weber kein Platz mehr zur An
bringung des zweiten Vogels zur Verfügung stand, so wurde dieser in fliegender Stellung
hinter der Figur angebracht. Die Andeutung des Bandes zusammen mit dem Vogel genügen
dem Darsteller, um der vorderen Gruppe des Gewebes sowie der Darstellung in Fig. 20 ent-
sprechend einen hinter der zweiten Person sitzenden Vogel zu markieren. Zwischen den Köpfen
der beiden Ruderer ist ein fliegender Vogel zu sehen, der einen großen Plattfisch heranträgt.
Vor dem Boote im Wasser befindet sich ein großer Fisch, dessen Stellung mit dem Kopfe
nach oben nebst dem offenstehenden Maul anzudeuten scheinen, daß er nach dem kleinen
quadratischen Gegenstand, wohl einem ins Wasser geworfenen Köder, schnappen will.
Um die ganze Darstellung in Fig. 19 zieht sich eine 5 cm breite Borte herum, deien
Muster das bekannte, viel benutzte Motiv: Stufe mit Haken1) zeigt. Wenn auch natürlich diesem
Muster ursprünglich seiner geometrischen Natur nach ein rein ornamentaler Charakter zu-
kommt, so ist es doch auffällig, daß es gerade außer auf diesem und dem ganz gleichartigen,
unter VA 30968 der Berliner Sammlung verzeichneten Gewebestück auch als Musterung auf
dem Schiffsrumpf der Bootsszene Fig. 26 auftritt, d. h. also in den beiden Fällen, wo nicht,
wie bei den Profildarstellungen der Boote, der stufenförmige Abfall an der Hinterseite des
Bootes besonders gekennzeichnet ist.
Es ist klar, daß es sich bei unserer Gewebedarstellung um einen Fischfang handelt. Die
erbeuteten Fische liegen im Boote. Ein anderer Fisch schwimmt vor dem Bug des Schiffes.
Ausgeübt wird der Fischfang mit Hilfe von Vögeln, und dadurch werden wir vor das für
die ganzen altperuanischen Kulturverhältnisse höchst wichtige Problem gestellt. Haben die
alten Peruaner dieser Gegend wirklich abgerichtete Vögel zum Fischfang verwendet, vielleicht
in ähnlicher Weise, wie es in Ostasien üblich ist? und welche Vogelait hat hieibei Verwendung
gefunden? Ich glaube, die drastische, bestimmte Darstellungsalt dei voiliegenden sowie dei
nahe verwandten Gewebedarstellung in Fig. 20, das wohl ausnahmslose Auftreten des Voge s
bei allen Fischereidarstellungen sowie die sonst kaum zu erklärende gioße Rolle, die
Vogel mit dem Fisch im Schnabel in der altperuanischen Ornamentik spielt, weisen uns darau
hin, die tatsächliche Verwendung abgerichteter Vögel bei der altperuamschen Fischeiei
der in Frage stehenden Zeitperiode zu bejahen, und in diesem Falle nicht nui an die Wieder
gäbe irgend eines nur in der mythologischen Vorstellung begründeten und den Tatsachen nicht
entsprechenden Vorganges zu denken.
Über die Vogelart selbst läßt sich wegen der starken Schematisierung der dargestellten
Vögel aus unserem Gewebe nichts schließen. Aber aus anderen Darstellungen, insbesondere
dem häufig auftretenden Motiv eines Vogels mit einem Fisch im Schnabel können wir darauf
schließen, daß es sich hier um einen Wasservogel mit langem Hals und verhältnismäßig langem
Schnabel handeln muß. Auf dem Gewebe Fig. 48 erscheint am unteren Rande dieser nämliche
Vogel selbständig fischend im Boote mit dem großen, von hochgestellten Personen getragenen
Federkopfschmuck. Er zieht gerade mit dem langen gebogenen Schnabel einen Fisch aus em
WaSDie sdmn erwähnte Darstellung auf dem unter VA 30968 der Berliner Sammlung verzeich-
neten Gewebestücke entspricht fast genau der soeben beschriebenen; nur .st der Bug des
Bootes hier höher nach oben gerichtet, der an seiner Spdze angebrachte Ansatz dafür aber
etwas vereinfacht und verkürzt. Außerden, tritt bei diesem Gewebe, m der Färbung auch Grün
auf, wofür die rote und blauschwarze Farbe des vorigen Gewebes m Wegfall kommt.
Eine ähnliche Fischereidarstellung enthält das in Fig. 20 abgeb.ldete Gewebestuck VA 30969
der Berliner Sammlung. Die Figuren des 87 cm langen und 29 cm bre.ten Gewebes and
-----^¡T^idi, über Altperuanische Ornamen.ik. Archiv für Anthropologie N. F„ Bd. VII S. 34.
36
MAX SCHMIDT
nicht wie vorher als Muster eingewebt, sondern mit blauen und verschieden schattierten braunen
Baumwollfäden auf weißes Baumwollgewebe aufgestickt. Leider sind auf dem zerfetzten Ge-
webestück nur Bruchstücke der dargestellten Handlung erhalten geblieben.
Die Darstellung auf diesem Gewebestück zerfällt in zwei durch einen unbestickten Ge-
webestreifen getrennte Teile. Auf beiden ist ein Teil einer genau der eben beschriebenen
entsprechenden Bootsszene erhalten geblieben. Die Boote sind, soweit sie erhalten sind, genau
in derselben Weise als dreiteilige Binsenbalsas gekennzeichnet. Die in dem Boote liegenden
gefangenen Fische, die in der Fig. 19 wegen der ver-
blichenen Farben nicht herausgekommen sind, sind
hier deutlich zu erkennen.
Die Fischer, von denen im oberen Boot nur noch
einer erhalten geblieben ist, haben genau denselben
Ohrschmuck, und, außer einem, auch denselben Kopf-
putz wie vorher. Das Gerät in ihren Händen ist als
Doppelruder zu erkennen. Besonders beachtenswert
ist die Kopfstellung der im übrigen als Profilfiguren
gezeichneten Personen. Während bei der hinteren
Figur des unteren Bootes die Enfacestellung des Kopfes
der Darstellung auf dem vorigen Gewebe entspricht,
ist der Kopf der beiden übrigen Personen so gedreht,
daß die beiden Augen übereinander, die Nase hori-
zontal und der Mund vertikal zu liegen kommen. Wie
ein Vergleich der beiden unteren Personen zeigt, ist
bei beiden die Umrißzeichnung des Kopfes ungefähr
dieselbe, nur sind Nase, Mund und Augen bei der
rechten Person anders gerichtet wie bei der Linken,
und der Kopfputz mußte dementsprechend von der
oberen Kante auf die linke Seite verlegt werden. An
die Stelle des mehr schmalen Gesichts mit kleinem
Mund tritt auf diese Weise ein mehr breites Gesicht
mit großem Munde.
Von den hinter diesen Figuren sitzenden, wie
vorher an einem Halsband gefesselten Tierfiguren
sind nur die beiden der unteren Darstellung durch
die auf dem Rücken als Flügel angebrachten kleinen
Fortsätze als Vögel gekennzeichnet, während das
entsprechende Tier der oberen Darstellung an sich
mehr einem sitzenden Vierfüßler ähneln würde. Aber
wir werden auch dieses Tier ohne weiteres als Vogel deuten müssen, bei dem der Flügel
entweder aus Platzmangel weggefallen ist, wie z. B. auch das rechte Ohr mit dem Ohrschmuck
bei den beiden menschlichen Figuren des unteren Bootes, oder vielleicht auch in dem von der
Tierfigur getrennt dargestellten hakenförmigen Gegenstände oben links neben der Figur zu
erblicken ist.
Als neues Motiv kommt in der oberen Darstellung der hinter dem Boot gekennzeichnete
Gegenstand hinzu, der in ähnlicher Weise auf mehreren Geweben von Pachacamac wiederkehrt.
Ein Vergleich mit verwandten Darstellungen, vor allem mit der auf dem Gewebe VA 30970
der Berliner Sammlung, läßt es keinem Zweifel unterliegen, daß wir es hier mit einer aus
Gestrüpp irgendwie hergerichteten reusenartigen Fischfalle zu tun haben. Der ganze Apparat
zerfällt in vier Fächer. In zweien sind die kleinen mit einem Stiel versehenen Kugeln ange-
Fig. 20. Fischereiszene auf einem Gewebe von Pachacamac.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
37
bracht, die auch bei den übrigen Fischfallendarstellungen wiedei kehren un o ar
Art von Köder kennzeichnen sollen. In die mit Köder versehenen ist je ein isci
schwömmen. Die beiden anderen Fächer werden von je einem Taschen re s eingenommen,
der offenbar den in diesem Fache vorhandenen Köder verzehrt hat, wie ja er asc len re s
überall da, wo er vorkommt, als der Hauptfeind dieser Art Seefischei ei au tri , a ei \ie
den ins Wasser geworfenen Köder schon abgefressen hat, bevor ein Fisch an ei
Bemerkenswert ist es, daß jeder einzelne der neben der Falle und dem. oo e a ge
deten Fische eine ganz besondere, von den übrigen verschiedene Fischspezies resp. isci
gattung repräsentiert, vor allem, daß auch die Fische der unteren Darstellung sic . a s er
treter anderer Arten erweisen als die der oberen. Die Fische sind, wie allgemein ü ici,
bis auf den in der Ansicht von oben dargestellten rochenartigen Flachfisch im Profi . ar
gestellt und würden einem genauen Kenner der peruanischen Fischsorten sicherlich einen
wertvollen Anhaltspunkt für genauere Einzelstudien nach dieser Richtung hin gewähren. ei
der unteren Darstellung ist, außer den erwähnten Figuren, auch der vordeie Teil eines Voge s
erhalten geblieben, der einen Gegenstand, vielleicht einen
Fisch, im Schnabel hält.
Die Bootsdarstellung Fig. 21 ist zwar keine Fischerei-
szene, gliedert sich aber wegen ihres Gegenstandes am
besten hier ein. Es handelt sich um ein 83 cm langes
und 34 cm breites Baumwollgewebe, in das die Figuren
mit Woll- und Baumwollfäden eingestickt resp. stickerei-
artig eingewebt sind. Die aus dem Boote und zwei
Ruderern bestehende Gruppe wiederholt sich sechsmal
übereinander. Die drei oberen Boote sind mit rotbrauner
Baumwolle und schwarzer Wolle, die drei unteren mit
rotbrauner Baumwolle und dunkelbrauner Wolle auf den
weißen Untergrund eingestickt. Das wie vorher in der
Ansicht von oben gegebene und nur beim Bug einen
Übergang in die Profilansicht aufweisende Boot läßt auch Fig 2\. Bootsszene auf einem Gewebe von Pachacamac.
hier deutlich die Zusammensetzung aus drei Binsenrollen . . , , , •
erkennen, deren drei Enden vorne am Bug getrennt hervorragen. Die Figuren sin a
wieder am oberen Rande des Bootes angebracht, aber nicht im Profil, son ern in n
Stellung.1) Das Doppelruder ist hier quer vor dem Ruderer angebracht, so daß wir hier einen
der bei unseren Bildern verhältnismäßig seltenen Fälle vor uns haben, wo ein Oege -
stand von einem anderen auf der Darstellung verdeckt wird. Aus dem deutlich
sierten rechten Fuß der Personen ist ersichtlich, daß diese auch hier auf den Knien hock
gedacht sind. Von den das Ruder haltenden Armen ist nur der linke sichtbar ' ^
der Enfacefiguren sind nur Augen und Mund angegeben, nicht aber Nase und Ohren Der o
bar nach hinten überhängende Kopfputz sieht hier aus. als ob er nac' de; e F schereiszene'
Eine weitere von den bisher beschriebenen in vielen Punkten * "aü
haben wir in Fig. 22 vor uns. Auf einen verhältnismäßig groben, ungefähr «ij*
zwei Stücken zusammengenähten Baumwollstoff von f ^ kaufende
die einzelnen Darstellungen in bunt“M^L^dT Naht 'zeigen, daß die einzelnen Teile
Bemalung sowie die Unterbrechung des t ^ nachträg,ich aneinander genäht wurden.
des Gewebes zunächst bemalt wo de ^ natürlichen seitlichen Abschluß des Gewebes
Während der untere Rand des Stoff<* h an den beiden geilen das Gewebe noch fort-
gebildet wird, hat sich am oberen Ra stückes nicht mehr festzustellen ist.
gesetzt, so daß die ursprüngliche Große g
1) Vgl. oben S. 31.
38
MAX SCHMIDT
Auf dem erhalten gebliebenen Teile des Baumwollstoffes wiederholt sich die Angelszene,
bei der zwei mit ihrem Heck einander zugekehrte Boote beteiligt sind, sechsmal nebeneinander
und dreimal übereinander. In der untersten Reihe ist an Stelle der Doppelangel eine einfache
Angel getreten, was jedenfalls auf den der Darstellung zur Verfügung stehenden be-
schränkten Platz zurückzuführen ist.
Leider ist die ursprüngliche buntfarbige Bemalung nur noch an einem schmalen Streifen
am oberen Rande erhalten geblieben, während die Farben im ganzen übrigen Teile des Ge-
Fig. 22. Fischereiszene auf einem Gewebe von Pachacamac.
webes zu einem hellbraunen Untergrund mit dunkelbraunen Umrißlinien verblichen sind. Wie
sich aber an dem Randstreifen nachweisen läßt, ist der ganze Hintergrund ursprünglich himmel-
blau gefärbt gewesen. Die Färbung der mit dunkelbraunen Umrißlinien gezeichneten einzelnen
Figuren hat zwischen verschiedenen Farben gewechselt, unter denen rot und grün noch nach-
weisbar sind.
Im Gegensatz zu den obigen Bootsdarstellungen haben wir es hier ausschließlich mit einer
Profilansicht zu tun. Boote, menschliche Figuren, Fische und Vögel sind alle in reine Profil-
stellung gebracht, wodurch die ganze Darstellung äußerlich einen ganz anderen Charakter
annimmt.
Das Boot selbst zeigt den typischen hochgerichteten Bug und an der Hinterseite den
schon mehrfach erwähnten stufenförmigen Abfall. Eine der Länge nach durch die Mitte der
Schiffswand verlaufende Linie entspricht dem Absatz, der durch die höher als die mittlere an-
ALTPERUANISCHE GEWEBE
39
gebrachten beiden seitlichen Binsenrollen gebildet wird. Die beiden Ruderer sitzen nicht
dem Bug, sondern dem Heck zugekehrt, was sehr wohl mit der darzuste enden Hand ung,
bei der das Boot in Ruhestellung zu denken ist, übereinstimmt. Aus dei a er mgs se r un
beholfen wiedergegebenen Beinstellung ist deutlich erkennbar, daß wir uns auch hier die beiden
Fischer auf den Knieen hockend denken müssen. Der Profilstellung entsprechen sie man
nur je ein Bein. An den Profilgesichtern ist Nase und Mund, sowie je ein Auge un ]e
ein Ohr gezeichnet. Der nach hinten herabhängende Haarschopf mit dei Troddel am unteiv.11
Ende entspricht im Profil genau einem Haarschmuck, der uns aus Pachacamac ei halten
ist, und dessen Verwendung sich an der Haartracht einer Mumie genau ersehen läßt, deren
Fundort zwar nicht angegeben, aber aller Wahrscheinlichkeit nach doch Pachacamac ist. Die
Enden der in zwei Büscheln lang herabhängenden Haare sind ringförmig von einei aus
Menschenhaar geflochtenen Schnur umknotet, deren beide Enden in zwei dicke Quasten aus
kleinen Haarsträhnen auslaufen.
Die hintere der beiden im Boote befindlichen Personen hält ein wie voiher einfach als
dicken Stab gezeichnetes Ruder in der Hand, offenbar das Boot damit in der Ruhelage und
im Gleichgewicht haltend, während der Fischer am Heck eine dicke Angelschnur ins Wasser
hält, an deren beiden Enden je ein seiner Art nach gut gekennzeichneter Fisch angebissen la.
Außer diesen Figuren erscheint noch in der Mitte über den beiden einander zugekehrten ooten
ein sitzender Vogel in Profilstellung. Wenn auch dessen Zweck nicht ersichtlich ist, so er är
sich sein Auftreten wohl schon aus der großen Rolle, die eine bestimmte Vobe ait bei
Fischerei überhaupt gespielt hat. . u
Die kleinen halbkreisförmigen Figuren mit den drei Zacken, die neben en augezä
Figuren die freibleibenden Stellen ausfüllen, kehren auf mehreren weiter unten esc ne enen
Gewebedarstellungen wieder. So sind solche Figuren auf dem Gewebe Fig. 27 unter einer nza
verschiedener Wassertiere anzutreffen, und auf dem Gewebe Fig. 24 scheint sic le ganze
Handlung um die durch diese Figuren bezeichneten Gegenstände zu drehen. Es ist jedenfalls
ein Objekt, das sich im Wasser befindet und im Leben der alten Peruaner eine gewisse Rolle
gespielt hat. Meiner Ansicht nach kann da nur jene zackige rotrandige Muschel m Be iaci
kommen, die als Material für Perlschmuck und Schmuckanhänger, sowie als Farbennapf und
sonstiger Behälter ein überaus wichtiger Gebrauchsartikel im Haushalte der alten Peruaner
gewesen und daher auch in den Sammlungen in zahlreichen Exemplaren vorhanden ist.
Erst durch den Vergleich mit der vorigen Gewebedarstellung wird die interessante Angel-
szene in Fig. 23 verständlich. Von dem Gewebe, das ursprünglich von großen Dimensionen ge-
wesen sein muß, sind zwei Teilstücke erhalten, auf die die Figuien wie vorher mit verschie
denen Farben aufgemalt sind. Das größere Teilstück, von dem die Photographie genommen
ist, mißt 93 cm in der Länge und 123 cm in der Breite und ist in der Mitte aus zwei Teilen
zusammengenäht. Das kleinere 42 cm lange und 67 cm breite Stück schließt nie unmi e ar
an das größere Stück an, so daß es, zumal da es nur Teile der gleichen Dars e ung wie e
gibt, für die folgenden Ausführungen nicht weiter in Betracht kommt Die in gleichmäßiger
Wiederholung in mehreren Reihen über- und nebeneinander wiederkehrende= A"gels"e"e
auf gelbem Untergrund mit schwarzbraunen Umrißlinien aufgezeichnet. le ac
zelnen Figuren sind teils mit verschiedenen Schattierungen von Braun oder mit Rot ausgrfullt
teils wo es der Wirklichkeit entsprach, weiß gebheben. Die Zusammense zung
Farben wechselt bei den einzelnen Szenen. ftrK IpiVm Pr-
Aus dem Obigen ist trotz der eigentümlichen Verschiebung der Proportionen leicht er
sich,.ich, daß es sich auch hier um eine Angelszene handelt, aller mgs nicht™ all-
tägliche, wie beim vorigen Gewebe, sondern um einen orgnng "T ... . D eigentliche
Das Boot selbst ist leicht an seinem stufenförmigen Heck kenntlich. De, eigentliche
Schiffsrumpf ist seiner Länge nach auf ein Minimum reduziert, wofür aber de, nac, en
40
MAX SCHMIDT
gerichtete Schiffsschnabel enorm vergrößert ist. Die auf dem Schiffsrumpf und Schiffsschnabel
angebrachten Fische erklären sich allenfalls aus einem Vergleich mit den Fischen, die wir auf
dem in der Ansicht von oben dargestellten Binsenboote kennen gelernt haben. Beachtenswert
sind auch die gestielten Ringen gleichenden Figuren, die an der unteren Kante des Bootes an-
gebracht sind. Diese Besonderheit kehrt im Gegensatz zu den oben besprochenen realistischen
Bootsszenen fast ausschließlich überall da wieder, wo wir es mit einer mehr mythologischen
Bootsdarstellung zu tun haben, und erweckt den Anschein, als ob in früheren Zeiten zur
Beschwerung Steine unter den Balsas befestigt waren, vielleicht um das Gleichgewicht besser
zu erhalten.
Die hinten auf dem Boote hockende menschliche Figur entspricht bis auf den hohen
Fig. 23. Mythologische Angelszene auf einem Gewebe von Pachacamac.
Kopfaufsatz vollkommen dem Angler auf dem vorigen Gewebe. Auch der Gesichtsausdruck
der vollständig im Profil wiedergegebenen Figur ist genau derselbe. Sie ist gerade im
Begriff, ein großes fischartiges Wesen, offenbar auch mythologischer Natur, aus dem Wasser
zu ziehen, wobei ihr ein langschnäbeliger Vogel, der auf der Angelschnur zu sitzen scheint,
behilflich ist. Die groteske Darstellung, in die der Schiffsschnabel übergeht, entzieht sich
vorläufig noch jeder Deutung. Jedenfalls aber werden durch sie, wie sich aus der ganzen Art
dieser Darstellungen schließen läßt, die für das vorliegende spezielle Motiv charakteristischen
Merkmale bilderschriftartig bezeichnet.
Im folgenden gehe ich zu der interessanten Darstellung Fig. 24 über, die leider so
schlecht in den Farben erhalten ist, daß eine Photographie in der Reproduktion die Einzelheiten
nicht genügend kenntlich gemacht hätte.
Das Gewebestück mißt, soweit es erhalten ist, 76 cm in der Länge und 121 cm in der
Breite. Während der untere sowie die beiden seitlichen Ränder den natürlichen Abschluß des
ALTPERUANISCHE GEWEBE
41
Gewebes bilden, hat es sich nach oben zu ursprünglich noch fortgesetzt, so daß das blatt-
artige Ornament am äußeren Rande der oberen Borte nur noch zum Teil erhalten geblieben ist.
Von der ursprünglich jedenfalls mehrfarbigen Bemalung sind nur noch Reste vorhanden, die
nur die Umrißlinien sowie die mit dunkleren Farbentönen ausgefüllten Flächenteile erkennen
lassen.
Sehen wir von der oberen Borte des Gewebes mit dem schon erwähnten blattartigem
Ornament sowie einer Reihe tierartiger Wesen, die in der peruanischen Ornamentik häufig
Vorkommen, ab, so besteht die Darstellung aus einer sich öfter wiederholenden Bootsszene, die
wesentlich von der vorhergehenden abweicht. An Stelle der Person, die in Abbildung 22 mit
einer ausgeworfenen Schnur Fische angelte, sehen wir hier eine, die an der Schnur eine
andere offenbar im Was-
ser schwimmende Person
festhält. Am unteren Ran-
de des Gewebestückes
wiederholt sich der obere
Teil derselben Szene,wird
aber durch den Gewebe-
abschluß plötzlich unter-
brochen.
Das Boot mit seinem
steil hochragenden Bug
und stufenförmigenAbfall
am Heck entspricht im all-
gemeinen derDarstellung
in Fig. 22, ebenso die
beiden im Boote hocken-
den Personen, die auch
genau denselben Gesichtsausdruck und dieselbe Haartracht der Personen dort aufweisen.
Nur sollte neben der Profilansicht des Bootes offenbar auch ein Teil der Ansicht von oben
m dem karrierten Teil wiedergegeben werden.
Die im vorderen Teile des Bootes sitzende Person hält wie im obigen Falle ein Ruder in
dei Hand, die andere aber hält das eine Ende einer langen mehrfach gewundenen Schnur
icst, deren anderes am Rücken einer in oder unter Wasser schwimmenden Person befestigt
ist. Das Gesicht dieser letzteren gleicht genau dem der anderen Personen. Charakteristisch
ist, daß die im Wasser schwimmende Person den Haarschmuck abgelegt hat. Anstatt am
unteren Ende in die oben näher geschilderten Schmuckquasten überzugehen, läuft das Haar
hier in einen losen Schopf aus.
Unter jedem der Bootspaare und zum Teil noch zwischen ihnen empoi ragend sieht man
eine merkwürdige Figur, die sich leider bisher noch nicht näher erklären läßt. Die beiden
auf den Knien darauf hockenden Personen mit Rudern resp. Stangen in den Händen deuten
jedenfalls darauf hin, daß wir es auch hier mit einem im Wasser treibenden Fahrzeug, vielleicht
einer bestimmten Floßart zu tun haben, und diese Annahme wird, wie wir weiterhin sehen
werden, durch die Handlung selbst bestätigt.
Schon auf dem in Fig. 22 abgebildeten Gewebe haben wir die kleinen halbkreisförmigen,
mit drei Zacken versehenen Figuren kennen gelernt, die auf dem vorliegenden Gewebe jeden-
falls eine große Rolle spielen. In den Windungen der Schnur, mit der die schwimmende
Person gehalten wird, auf dem floßartigen Gegenstände, sowie vor allem auch in den Säcken,
welche die Schiffer auf dem letzteren Fahrzeuge auf dem Rücken tragen, sind diese Gebilde
angebracht, die ich oben als Muscheln gedeutet habe. Auch die vorliegende^ Darstellung
Baessler-archiv I.
Fig. 24. Taucherszene auf einem Gewebe von Pachacamac.
42
MAX SCHMIDT
bekommt durch diese Deutung einen sehr wohl annehmbaren Sinn. Es handelt sich danach
hier um einen Akt der Muschelfischerei, wobei wir vielleicht an die bei den alten Peruanern
nachweislich übliche Perlfischerei zu denken haben. Nun wissen wir, daß die Tragfähigkeit
der kleinen Binsenbalsas eine sehr beschränkte war, daß jedenfalls die zum Tauchen nach
den Muscheln bestimmte Person neben dem Ruderer und der das Tau festhaltenden Person
keinen Platz mehr gehabt hätte. Man brauchte also ein stabileres Fahrzeug, von dem aus
der Muscheltaucher ins Wasser gelassen werden und auf dem er bequem seine Beute deponieren
konnte. Andererseits ist es leicht erklärlich, daß neben diesem stabileren Fahrzeug die leichte
Binsenbalsa zum Dirigieren des Tauchers am Bande vorteilhafte Verwendung fand.
Einen interessanten Vergleich mit der soeben erklärten Darstellung gewährt die Abb. 25,
bei der es sich offenbar um dieselbe Szene handelt, nur daß sie in ganz stilisierter Form
wiedergegeben ist.
Die mit weißer und
brauner Baumwolle
auf blauem Baum-
wollstoff eingestickte
Darstellung kehrt in
gleicher Weise auf
zwei Gewebestücken
wieder, die offenbar
ursprünglich ein Stück
bildeten. Länge und
Breite betragen bei
beiden 18 cm und
17 cm. Daß wir es
hier mit derselben
Handlung wie vorher
zu tun haben, zeigt
deutlich das lange ge-
wundene Tau in der
Hand jeder der beiden
Personen, die zu bei-
den Seiten des großen,
die Mitte der Darstel-
lung bildenden Vier-
ecks zu sehen sind; es ist offenbar mit dem anderen Ende an dem Taucher, der in jeder der
unteren Ecken des Gewebes erscheint, befestigt. In der Tauwindung finden wir auch den der
Muschel entsprechenden Gegenstand, freilich hier in sehr stilisierter Form wieder. Allerdings
haben wir hier nicht die Binsenbalsas vor uns, die beiden, die Taucher am Strick festhaltenden
Personen befinden sich vielmehr auf dem rechteckigen Gegenstände, dem „Floß“ der vorigen
Darstellung, worauf durch die zwischen den beiden Personen befindliche Stange mit dem be-
sonderen Aufsatz hingewiesen zu sein scheint. Die beiden noch nicht erwähnten unteren, ein-
ander zugekehrten Personen mit den Stangen in den Händen würden dann den beiden Schiffern
auf dem „Flosse“ der vorigen Abbildung entsprechen. Der ihnen angewiesene Platz dürfte
meiner Ansicht nach mit der eigenartigen Auffassung von der Perspektive sehr wohl
vereinbar sein. Da der obere Rand der „FIoß“-Zeichnung schon besetzt war, setzte man die
übrigen Personen mit demselben Rechte an den unteren Rand. Vor allem aber würden
mit dieser Deutung auch die so häufig in altperuanischen Darstellungen vorkommenden zwei
einander zugekehrten Figuren, die gemeinsam einen Pfahl umfassen, eine erwünschte Erklärung
Fig. 25. Taucherszene auf einem Gewebe von Pachacamac.
Tafel I.
Fig. 26. Bemaltes Gewebe von Pachacamac.
BAESSLER-ARCHIV I. (M. SCHMIDT: Über altperuanische Gewebe.)
V
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ALTPERUANISCHE GEWEBE
43
finden. Danach dürften diese beiden Figuren die beiden uns bekannten Schiffer darstellen,
bei denen die in unserer Abbildung noch deutlich erkennbaren Stangen zu einer einzigen ver-
schmolzen sind.
Daß die in den unteren Ecken angebrachten Taucherauch in den beiden oberen wiederkehren,
ohne hier in der geschilderten Weise mit dem Taue in Verbindung zu stehen, ist wohl auf
die Tendenz zu einer symmetrischen Anlage der ganzen Darstellung zurückzuführen.
ln ganz gleicher Weise kehrt das eben Geschilderte auf einem unter VA 30977 der
Berliner Sammlung verzeichneten Gewebestück wieder, das etwas kleiner wie das vorige ist,
und bei dem die Figuren mit weißer, dunkelbrauner und blauer Baumwolle auf hellbraunem
Baumwollstoff aufgemalt sind. Diese letztere Darstellung muß hier deshalb angeführt werden,
weil sich aus ihr noch deutlicher als bei der vorigen ergibt, daß die Figuren in den unteren
Ecken des Gewebes wirklich an den von den oberen Personen gehaltenen Tauen befestigt sind.
Ein wahres Prachtstück, sowohl was die Art der Bemalung als auch die Erhaltung der
Farben anlangt, haben wir in dem unter VA 30979 der Berliner Sammlung verzeichneten
Gewebe Fig. 26 (Taf. I) vor uns, dessen größte Länge 181 cm und größte Breite 143 cm betragen.
Leider ist auch hier nicht das ganze Gewebestück unversehrt erhalten geblieben, es fehlen
vielmehr an zwei Seiten beträchtliche Teile. Aber mit Hilfe eines kleinen losen Fetzens läßt
sich auch der an dem Hauptgewebestück gänzlich fehlende Rand der einen Schmalseite un-
gefähr rekonstruieren, so daß hiernach das ganze Gewebe in seinem ursprünglichen Zustande
einen ungefähren Flächeninhalt von 212 x 143 qcm besessen haben muß. Eine Naht zieht sich
der Länge nach durch das ganze Gewebe hindurch. Es läßt sich aber feststellen, daß die
Bemalung erst nach dem Zusammennähen beider Hälften stattgefunden hat. Die Bemalung
weist drei verschiedene Schattierungen auf: braun, eine rote und eine blaue Farbe.
Die ganze Oberfläche des Gewebes wird von 30 Einzeldarstellungen bedeckt, die in
Reihen zu je 5 sechsmal übereinander wiederholt sind und zwar derart, daß die Darstellungen
der drei oberen und der drei unteren Reihen in umgekehrter Richtung zueinander stehen, so
daß die dritte und vierte Reihe mit ihren oberen Kanten aneinander stoßen. Unter jeder Reihe
zieht sich ein ohne Unterbrechung fortlaufendes Hakenornament mit menschlichen Köpfen ent-
lang, das, wie wir unten sehen werden, zur Charakterisierung von Wellen verwendet worden
ist. Bis auf den mit einer gewissen Regelmäßigkeit vor sich gehenden Wechsel in der Färbung
der einzelnen Figuren und Figurenteile stimmen alle 30 Einzeldarstellungen im wesentlichen
untereinander überein, so daß die kleinen Unterschiede in den Einzelheiten höchstwahrschein-
lich nur auf die Verschiedenheit der Ausführung und nicht auf die Verschiedenheit der Motive
zurückzuführen sind. Wenn wir einmal mit der Erklärung der Hieroglyphen der altperuanischen
Bilderschriften, die in der vorliegenden Arbeit zum erstenmal versucht wird, weiter fortgeschritten
sein werden, so wird es auch auf die nähere Bestimmung der verschiedenen Varianten der
Einzelfiguren ankommen. Da uns aber vor der Hand zur Erklärung der Einzelheiten noch
nicht die genügenden Hilfsmittel zur Verfügung stehen, so genügt es, im folgenden nur eine
allgemeine zusammenfassende Charakteristik der Figuren zu geben.
Aus einem Vergleich mit mehreren anderen Darstellungen von Wasserszenen') läßt sich
mit Bestimmtheit schließen, daß wir es bei dem unter jeder Figurenreihe entlanglaufenden
hakenförmigen Ornament mit der Charakterisierung des Wassers zu tun haben, wobei in den
einzelnen Haken der Figur vielleicht die Wellen des Wassers gesehen wurden. Jeder einzelne
Haken läuft in einen nach unten gerichteten menschlichen Kopf aus, dessen besondere Haar-
tracht der Stellung des Kopfes entsprechend nach oben gerichtet ist.
Noch deutlicher als auf dem vorliegenden Gewebe läßt sich das Wesen dieser für das
weitere Studium altperuanischer Bilderschriften so überaus wichtigen Hieroglyphe des Wassers
auf beiden Gewebestücken in Fig. 27 erkennen, weshalb wir ihre Beschreibung hier einschieben.
1) Vgl. die hier nicht abgebildeten Gewebe VA 30980 und VA 30981 der Berliner Sammlung.
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I
44
MAX SCHMIDT
Bei den beiden Stücken (VA 30982a und b der Berl. Sammlg.), die Teile ein und
desselben Gewebes sind, ist die Darstellung in verschiedenen Schattierungen von Braun auf
einfaches Baumwollgewebe derart aufgemalt, daß ein dunkles Braun den Hintergrund bildet,
von dem sich die einzelnen Figuren heller abheben. Größte Länge und Breite des oberen
Stückes betragen 29 cm und 51 cm, des unteren 44 cm und 27 cm. Das Gebilde mit dem
menschlichen Kopf, die Personifizierung der Wasserwelle, ist hier als Kopfputz an einer auf
beiden Gewebestücken nur teilweise erhaltenen menschlichen Figur angebracht, die hierdurch
sowie durch ihre Stellung mitten zwischen allerlei Seegetier offenbar als Wassergottheit
gekennzeichnet werden soll. Im Gegensatz zur vorigen Darstellung Ist das menschliche
Gesicht der Wasserwelle hier enface anstatt im Profil
wiedergegeben. Der gebogene, in Zacken auslaufende
Kopfschmuck ist aber bei beiden Darstellungen genau
derselbe.
An der enface gezeichneten Wassergottheit selbst
ist der Halsschmuck bemerkenswert, da er mit der
„Wasser-Hieroglyphe“ identisch ist. Außer den durch
die kleinen zackigen Figuren repräsentierten Muscheln
schwimmen neben der „Wassergottheit“ sehr schön in
der Ansicht von oben gezeichnete Krebse, ferner Wasser-
vögel, ein leider nicht vollständig erhaltenes wurm-
artiges Tier, sowie die drei merkwürdigen Gebilde ober-
halb des Kopfschmuckes, die vielleicht Tintenfische dar-
stellen sollen, herum.
Nach dieser Abschweifung kehren wir zur Erklä-
rung der einzelnen Figuren auf dem Gewebe Fig. 26
zurück. Der seitlich an dem rechteckigen Gebilde unter
den beiden menschlichen Figuren angebrachte schiffs-
schnabelartige Gegenstand berechtigt uns wohl zweifel-
los, die vorliegende Darstellung als Bootsszene zu deuten.
Das Auftreten der Hieroglyphe des Wassers unter den
Booten würde damit in gutem Einklang stehen. Die
Perspektive dieser Bootsdarstellung würde dann ohne
weiteres durch einen Vergleich mit der in Fig. 21 ab-
gebildeten verständlich werden.2) Auch hier haben wir
die beiden Schiffer trotz der Profilstellung des Bootes in Enfacestellung vor uns, obgleich
sie doch in Wirklichkeit mit dem Gesicht nach dem Bug des Schiffes gerichtet zu denken
sind. Auf dem Schiffsrumpf selbst sehen wir das in der peruanischen Ornamentik so häufig
auftretende Muster, die Verbindung der Stufe mit dem Haken, von dem schon weiter oben3)
die Rede gewesen ist, und das vielleicht in irgendwelchem ursächlichen Zusammenhang mit
der Bootsdarstellung steht.
Die verschränkte Beinstellung der beiden Hauptfiguren läßt vermuten, daß man auch hier
die knieende Stellung der Schiffer hat ausdrücken wollen. Über jeder der beiden menschlichen
Figuren ist ein Vogel mit krummem Schnabel dargestellt, der denselben Gegenstand im
Schnabel hält, den die beiden Schiffer in den Händen halten und der auch bei den seitlich
neben der Hauptszene angebrachten Figuren mehrfach wiederkehrt. Ich glaube, daß wir
namentlich mit Rücksicht auf das runde Auge, das genau dem der Vögel und der seitlichen
menschlichen Figuren entspricht, annehmen müssen, daß es sich hier um ein Lebewesen handelt,
und dieses kann wiederum mit Rücksicht auf die ganze Szenerie nur irgendeine Fischart sein.
2) Vgl. oben S. 37. 3) Vgl. oben S. 35.
1) Vgl. oben S. 41.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
45
Wir hätten es also auch hier mit einer Fischereiszene zu tun, wie wir sie ähnlich schon
weiter oben kennen gelernt haben, wo auch die Vögel hilfreich beim Fischfang tätig waren.
Leider fehlt bisher zur Deutung der einzelnen Figuren, die um diese Hauptszene herum
sich gruppieren, noch jeder Anhaltspunkt. Das fischartige Wesen zwischen den Köpfen der
Hauptfiguren scheint dem Fische zu entsprechen, der in Fig. 23 mit Hilfe des Vogels von dem
Fischer aus dem Wasser gezogen wird. Die merkwürdige Figur über der eigentlichen Boots-
szene, bestehend aus einem mit federartigen Fortsätzen versehenen rechteckigen Mittelstück
und zwei seitlichen, an der Hypotenuse mit denselben Fortsätzen versehenen rechtwinkligen
Dreiecken, unter denen sich ein mit Flechtornamenten bedecktes Band entlang zieht, kehrt in
genau derselben Form wiederholt auf den Geweben wieder. Die Art, wie diese Figur den
verschiedenen Darstellungen eingefügt ist, läßt darauf schließen, daß wir es auch hier mit
einer ganz bestimmten Hieroglyphe zu tun haben, durch die irgendein bisher leider nicht
bestimmbares Moment des Darstellungsmotivs ausgedrückt werden soll. Auf dem kleinen
Gewebestück in Fig. 50 (VA 31004 der Berl. Sammlg.) ist die nämliche Figur dachartig auf
Pfählen liegend gezeichnet, wir haben es also wohl mit einer bestimmten Art Dach zu tun,
dem irgendeine besondere Bedeutung zukommen muß.
Unter den seitlichen Figuren sind besonders die fünf übereinander dargestellten mensch-
lichen Gestalten bemerkenswert. Oberhalb eines runden Kreises, der durch zwei senkrecht
aufeinander stehende Durchmesser in vier Teile geteilt ist, ist ein menschlicher Profilkopf und
eine menschliche Hand angebracht. Die so charakterisierte Figur hält einen bisher nicht zu
erklärenden Gegenstand in der Hand, Daneben sehen wir außer den schon erwähnten Fischen
Vögel, zum Teil fliegend, sowie eine in der Hauptsache aus einem Dreieck und einem Kreise
zusammengesetzte Figur, die ganz ähnlich auch am Bootsrande zwischen den beiden Haupt-
personen angebracht ist.
Wenn es auch leider noch nicht möglich ist, aus den Nebenfiguren, die sicherlich auf
den Hauptvorgang Bezug haben, die Einzelheiten des Darstellungsmotivs festzulegen, so bildet
doch das vorliegende Gewebestück ein schönes Beispiel dafür, wie die alten Peruaner dieser
Zeitperiode es verstanden haben, durch mitteilende Zeichnung einzelner typischer Figuren ganz
bestimmte Szenen zur Anschauung zu bringen, ein Beispiel altperuanischer Bilderschrift, zu
deren Entzifferung sich hoffentlich an der Hand der in vorliegender Arbeit gemachten Vor-
studien immer mehr feste Anhaltspunkte gewinnen lassen werden.
B. DARSTELLUNGEN MIT PFLANZENMOTIVEN.
Nunmehr gehen wir zu einer anderen Gruppe von Gewebedarstellungen über, bei denen es
sich um Pflanzenmotive handelt. Unserem Thema entsprechend werden hier natürlich nur die-
jenigen Gewebe herangezogen, bei denen diese Pflanzendarstellungen mit irgendeiner szenen-
haften Handlung verknüpft sind. Das reichhaltige, für den Botaniker gewiß höchst wertvolle
Material von Einzeldarstellungen der verschiedensten Pflanzensorten muß zunächst noch einer
späteren Bearbeitung Vorbehalten bleiben.
Die Pflanzenmotive, die an der peruanischen Küste zugleich mit der naturalistischen Dar-
stellungsweise auftreten und in der in Pachacamac nachweislich auf die Tiahuanaco-Periode
folgenden Kulturperiode auf den Geweben ziemlich häufig Vorkommen, sind deshalb von be-
sonderem Interesse, weil sie etwas den übrigen Kulturgebieten und Kulturperioden Südamerikas
ganz Fremdes darstellen. Es ist meines Erachtens nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet,
daß die Pflanzendarstellungen auf den dieser Kulturperiode angehörenden Chimu-Gefäßen1)
und Pachacamac-Geweben sowie in der entsprechenden peruanischen Kleinkunst überhaupt
1) Vgl. die Pflanzen, vor allem die schönen Kakteen auf dem schon früher von mir a. a. O. (Amtliche
Berichte aus den Kgl. Kunstsammlungen. XXIX. Jahrgang. Nr. 1. Oktober 1907. S. 26) veröffentlichten Rassel-
gefäß von Chimbote, das die Einbringung Gefangener durch peruanische Krieger in lebensvollen Figuren zeigt.
46
MAX SCHMIDT
die einzigen Fälle sind, in denen das Pflanzenmotiv in der südamerikanischen Ornamentik
Verwendung gefunden hat. Es ist selbstverständlich, daß hier nur die südamerikanische Or-
namentik, soweit sie von europäischen Einflüssen unberührt geblieben ist, gemeint sein kann.
Auch kommen für diese Frage natürlich nicht die von Forschern gesammelten Handzeichnungen
Eingeborener1) in Betracht, da diese nach anderen Gesichtspunkten so wertvollen Zeichnungen
keine Gewähr dafür bieten, daß dieselben Motive, die in ihnen zur Darstellung gelangt sind,
auch ohne den entsprechenden Impuls von den
Eingeborenen verwendet wären.
Wie die folgenden Abbildungen zeigen, handelt
es sich bei den szenenhaften Darstellungen mit
Pflanzenmotiven ausschließlich um die Wieder-
gabe von Kulturpflanzen, die ganz schematisch
mit Wurzeln, Stengeln, Blättern und Blüten, natür-
lich ohne jeden Anklang an geometrische Orna-
mentik, auf die Gewebe aufgemalt oder in sie
eingewebt sind. Eine ganze Kollektion solcher
Pflanzen zeigt das in Fig. 28 wiedergegebene,
unter VA 30983 der Berliner Sammlung verzeich-
nete, aus Marquez stammende Gewebe, bei
dem die Pflanzendarstellungen in verschiedenen
Schattierungen von Braun auf ziemlich grobes
Baumwollgewebe aufgemalt sind. Dem Botaniker
wird es voraussichtlich möglich sein, die deutlich
ihrer Art nach charakterisierten Pflanzen näher
zu bestimmen, uns ist es zunächst nur möglich,
die beiden in der untersten Reihe dargestellten
Pflanzen mit Sicherheit als Maisstauden zu er-
kennen. Wie fast überall bei diesen Pflanzendar-
stellungen, sind auch hier die Wurzeln mit ab-
gebildet. Die Maiskerne sind durch Karrees
angedeutet, die von sich kreuzenden Linien ge-
bildet werden, und die männlichen Blüten sind
aus Platzmangel mehr in horizontaler als in ver-
tikaler Richtung ausgebreitet.
Zum Verständnis der szenenhaften Darstel-
lungen, die sich in Pflanzungen abspielen, ist
es nötig, sich an die große Rolle zu erinnern, die
im alten Peru die Feldhüter gespielt haben; ja,
Fig. 28. Verschiedene Pflanzendarstellungen auf einem Gewebe wir wissen SOgar durch VillagOITieZ"), daß Über
ihren Ursprung viele Sagen und Überlieferungen
von den Vorfahren her existierten und großer Aberglaube herrschte. Noch zur Zeit der Inka-
herrschaft wurden, wenn der Mais anfing, Kolben zu treiben, von der Gemeinde solche Feld-
hüter bestellt, die „Pariana“ hießen und die Maisäcker vor Diebstahl und Vogelschaden zu
schützen hatten.3) Dieses Amt dauerte zwei Monate lang bis zur Einbringung der Ernte, war
sehr angesehen und scheint einen gewissen religiösen Anstrich gehabt zu haben. Während
der ganzen Funktionsdauer mußten die Feldhüter fasten, d. h. sich gewisser Gewürze und des
Umgangs mit Frauen enthalten. Zu ihren Verpflichtungen gehörte es auch, die ersten Mais-
1) Vgl. die interessanten Zeichnungen bei Koch-Qrünberg, Anfänge der Kunst im Urwald, 1. c. Tafel 46
und 54 und S. 34 f. 2) Tschudi 1. c. S. 121. 3) Vgl. Tschudi 1. c. S. 120 f.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
47
kolben zu pflücken und der Gemeinde zu übergeben. Bei den unten näher beschriebenen
Darstellungen von Pflanzungen handelt es sich offenbar um Szenen, die das Amt des
Pariana und die sich daran anknüpfenden Mythen betreffen.
Auf dem Gewebestück Fig. 29 (VA 30984 der Berl. Sammlg.) haben wir es mit der
Anpflanzung einer Kulturpflanze zu tun,
die durch die großen Wurzelknollen ge-
kennzeichnet und, soweit meine botanischen
Kenntnisse reichen, wohl als Mandioka-
staude anzusehen ist. Die Darstellung des
sehr defekten, seiner größten Länge nach
90 cm und seiner größten Breite nach
60 cm messenden Gewebestückes ist in ver-
schiedenen Farben auf einfachen Baum-
wollstoff) in der Art aufgemalt, daß die
Umrißlinien in dunkelbrauner Farbe ge-
zeichnet und die Flächen der Figuren teil-
weise mit grüner, blauer und hellbrauner
Farbe ausgefüllt sind. Die schematische
Darstellung der einzelnen Pflanzenteile ent-
spricht ungefähr dem Bilde, das eine ge-
preßte Pflanze im Herbarium geben würde.
Die Wurzelknollen sind in einer Reihe
nebeneinander, die Blätter in der Ansicht
von oben dargestellt. Während die Blätter
und Stengel mit grüner Farbe ausgefüllt
sind, sind die vertikalen Linien an dem
horizontal verlaufenden Wurzelstock sowie Fig- 29. Darstellung einer Pflanzung mit Feldhüter. Pachacamac.
die unteren Hälften der einzelnen Blüten
hellblau, die runden Scheiben, denen die
Blüten aufsitzen, hellbraun mit grünem
Fleck in der Mitte gefärbt. Der mensch-
lichen Figur, die in der Mitte der Pflanzung
mit einem großen Gerät, vielleicht einem
Grabholz, bewaffnet einherschreitet, ist
leider der Kopf nicht erhalten geblieben.
Die Stellung ist halb Profil, halb Enface,
und die Körperflächen sind bis auf die
weißbleibenden Fußspitzen und die Finger
hellbraun ausgefüllt. Blaue Bänder ziehen
sich um die Fußgelenke, während der
deutlich markierte Gürtel abwechselnd
weiß, grün und braun gestreift ist. Das Griffende des Grabholzes ist blau. An den Blüten dei
unteren Pflanzen hängen zwei kolibriartige Vögel mit blauem Mittelkörper, auf deren Verfol-
gung es die auf die Pflanzung zueilende Person abgesehen zu haben scheint.
Eine besonders interessante Darstellung haben wir auf dem in Fig. 30 wiedeigegebenen
kleinen Gewebefetzen (VA 30985 der Berliner Sammlung) vor uns, dessen größte Länge und
Breite 25 cm und 51 cm betragen. Die Struktur des Gewebes entspricht genau der des in
Fig. 30. Darstellung einer Pflanzung mit Blasrohrschützen. Pachacamac.
1) Die Struktur des Gewebes ist derart, daß immer zwei Einschlagfäden über zwei Kettenfaden hmweg-
resP- unter ihnen hindurchlaufen.
48
MAX SCHMIDT
der vorigen Figur abgebildeten. In ganz derselben Art wie vorher ist hier eine andere Kultur-
pflanze ebenfalls mit dunklen Umrißlinien und grün ausgefüllten Stengeln und Blättern dar-
gestellt. Auch hier hängt ein kolibriartiger Vogel mit blauem Mittelkörper und lang hervor-
tretenden einzelnen Schwanzfedern unter der einen Blüte. Neben dieser steht zwischen den
einzelnen Pflanzen wieder der „Feldhüter“, und zwar diesmal mit einem unverkennbar als
Blasrohr gezeichneten Gerät vor dem Munde, dem ein von der Schulter herabhängender Pfeil-
köcher entspricht. Der Gürtel dieser „Parianafigur“ ist, wie vorher, braun, grün und weiß
gestreift. Ein blau ausgefüllter Kreis ziert den vorderen Kopfputz. Von besonderem Interesse
ist die vorliegende Darstellung deswegen, weil sie die einzige bisher aus Peru bekannt ge-
wordene eines Blasrohrs enthält und somit mit voller Bestimmtheit die für die Kenntnis der
Fig. 31. Darstellung einer Pflanzung mit Feldhütern. Pachacamac.
Verbreitung und Entstehung des Blasrohrs in Südamerika so wichtige Tatsache vor Augen
führt, daß das Blasrohr zu gewissen Zeiten auch im alten Peru seine Verwendung gefunden hat.
Mit wiederum einer anderen Waffenart sehen wir zwei Feldhüter auf dem in der Fig. 31
wiedergegebenen Gewebestück (VA 30986 der Berl. Sammlg.) herannahen. Auf dem in
seiner größten Länge und Breite 134 cm und 52 cm betragenden, leider sehr defekten Gewebe
sind, wie vorher, die Figuren mit dunkelbraunen Umrißlinien auf einfaches Baumwollgewebe
zunächst aufgezeichnet und die einzelnen Flächenteile dann zum Teil mit verschiedenen Farben
ausgefüllt. Unter den teilweise stark verblichenen resp. ausgelaufenen Farben läßt sich noch
deutlich das Grün der Stengel und Blätter der Pflanzen erkennen. Andere Figurenteile sind
hellbraun resp. blau.
Zwei verschiedene Pflanzenarten kommen auf dem vorliegenden Gewebe vor. Links ein
Knollengewächs mit schotenartigen Früchten, die blau gemalt sind, und rechts daneben in
Gruppen zu zweien angepflanzte Maisstauden, die deutlich als blühende gekennzeichnet sind.
Natürlich sind auch hier die offenbar als typisches Merkmal der Kulturpflanzen angesehenen
Wurzeln mit angedeutet. Deutlich sieht man die Knoten am Stengel der Pflanze unterhalb der
Blattansätze. Aus den blühenden, braun gemalten weiblichen Kolben der Maispflanze ragen
oben die Grannen hervor. Trotz der verdeckenden Hüllblätter des Kolbens sind die Frucht-
knoten durch grüne Punkte markiert. Die männlichen Blüten ragen nach oben empor, und
ALTPERUANISCHE GEWEBE
49
an der einen von ihnen macht sich ein araraartiger Vogel zu schaffen. Zwei Feldhüter gehen
mit nach oben gerichteten Blicken auf die Maisstaude zu. ln der vorgestreckten Hand halten
sie je eine typisch gezeichnete Schleuder mit der Schleuderkugel, und um die Schulter hängt
ihnen eine mit Muster und Troddeln versehene Tasche, die wohl zur Verwahrung des nötigen
Vorrats an Schleuderkugeln dient. Beide tragen denselben Gürtel, den wir bei den Feldhütern
der oben behandelten Gewebe kennen gelernt haben,
aber jeder einen verschiedenen Kopfputz. Gerade
oberhalb des araraartigen Vogels sind, wenn auch
nur sehr undeutlich erkennbar, die Füße eines wei-
teren Feldhüters zu sehen.
Eine schön charakterisierte Maisstaude sehen
wir auf dem Gewebe Fig. 32, das der Umgegend
von Lima entstammt und unter VA 30987 der Ber-
liner Sammlung verzeichnet ist. Größte Länge und
Breite des Gewebestückes betragen 130 cm und
65 cm. Die Maisstaude sowie die menschliche Figur
sind mit dunkelbrauner, die fliegenden Vögel sowie
die auf der Photographie neben der Maisstaude
nur undeutlich erkennbare Bohnenpflanze mit hell-
braunen Linien auf einfaches Baumwollgewebe auf-
gezeichnet. Der Untergrund ist hellbraun ausgefüllt,
jedoch so, daß ringsum die Umrißlinien der ein-
zelnen Figuren ein unbemalter weißer Zwischenraum
freibleibt. Die Maisstaude ist im Unterschied zur
obigen Darstellung mit schon entwickelten Frucht-
kolben wiedergegeben, auf denen die einzelnen
Kerne durch einfache Karrees angedeutet sind. Von
dem männlichen Blütenstand sind entsprechend dem
entwickelten Stadium der Kolben nur die Stiele
wiedergegeben. Etwa in halber Höhe neben der
Maisstaude befindet sich eine eigenartige, von den
bisher betrachteten „Parianafiguren“ abweichende
menschliche Gestalt mit lang herabhängendem Penis
und quer durch das ganze Gesicht verlaufendem
Gebiß, die offenbar als Totenfigur aufzufassen ist.
Den Bestattungsgebräuchen der altperuanischen
Küstenbevölkerung entspricht es vollkommen, daß
die Toten nicht als Skelette, sondern als Mumien
wiedergegeben werden, und als solche haben wir
auch die hier betrachtete Person mit den dünnen Gliedmaßen, den unter der angetrockneten
Haut hervortretenden Kniescheiben, den hervorstehenden Rippen und den zusammengeschrumpf-
ten Bauchteilen aufzufassen. Die auf die Pflanzung zufliegenden Vögel sind ziemlich schema-
tisch in der Ansicht von unten dargestellt, wobei allerdings der Kopf mit dem einen Auge ,n
der Mitte Profilstellung hat. ... onnQQ .
Von einem ebenfalls aus der Umgegend von Lima stammenden, unter VA 30988 der Ber-
liner Sammlung verzeichneten Gewebe sind fünf Teilstücke vor an en, von
den Figuren 33 und 34 wiedergegeben sind. Größte Länge und Breite des Gewebestuckes
. D. g ‘ x . 197 Her Figur 34: 125 cm und 40 cm. An den erhaltenen
der Figur 33 betragen 116 cm und 127 cm, cmr ngui _
_ s 0 ,• Darstellung aus einem großen mittleren
leilstücken läßt sich erkennen, daß die ganz 7
Baessler-archiv I.
Fig. 32. Darstellung einer Pflanzung mit Feldhüter.
Umgegend von Lima.
50
MAX SCHMIDT
Rechteck mit Maisstauden und Bohnenpflanzen und zwei herumlaufenden Borten besteht. In dem
rechteckigen Mittelstück sind Bohnenpflanzen und Maisstauden in zwei Reihen übereinander
derartig angeordnet, daß immer die eine Pflanzenart mit der anderen abwechselt. Die Figuren
sind mit dunkelbrauner Farbe auf Baumwollgewebe aufgezeichnet, wobei die Blattflächen der
Bohnenpflanzen mit derselben Farbe ausgefüllt wurden. Der Untergrund zwischen den ein-
zelnen Figuren ist rot gemalt, und zwar wie beim vorigen Gewebe so, daß rings um die
Umrißlinien der Figuren ein unbemalter weißer Zwischenraum bleibt. Die Maisstaude ist in
derselben Art wie vorher mit schon entwickelten Kolben und den Stielen des männlichen
Blütenstandes gezeichnet. Besonders schön ist die charakteristische Darstellung der Bohnen-
pflanze mit den der Wirklichkeit entsprechenden verhältnismäßig kleinen Wurzeln, mit den
Fig. 33. Darstellung einer Pflanzung. Umgegend von Lima.
gefiederten Blättern und den deutlich erkennbaren Schoten. Ebenso wie bei den Maisstauden
sind auch hier die Blattstellung und der Ansatz der Früchte genau der Natur nachge-
bildet. An dem einen Maiskolben der Pflanzung macht sich ein sehr stilisierter Vogel
zu schaffen.
Bei den beiden Borten ist im Gegensatz zu dem eben geschilderten Mittelstück der Unter-
grund braun anstatt rot ausgefüllt, wohingegen die einzelnen Flächen der Figuren rote Farbe
aufweisen. Die Figuren der inneren Borte stellen ausschließlich Vögel dar, teils in Profilansicht,
teils in der Ansicht von unten mit Profilköpfen. Auf der äußeren Borte wechseln fliegende
Vögel mit menschlichen Figuren ab, die wohl den auf die Pflanzung zukommenden Feldhüter-
figuren der vorigen Darstellungen entsprechen.
Ein paar schöne Vertreter dieser hier auf der äußeren Borte erscheinenden Feldhüter
haben wir auf dem Gewebeteil Fig, 34 vor uns. Der breite Mund, die großen runden Augen
sowie die Kniegelenke dieser Figuren scheinen anzudeuten, daß wir es auch hier, ebenso wie
ALTPERUANISCHE GEWEBE
51
vorher, mit Mumien von Toten zu tun haben. Hieraus läßt sich
auch sehr gut die eigenartige Form der unteren Körperhälfte der
beiden unteren Figuren erklären, die das typische Bild einer
hockenden Mumie mit den hervortretenden Beckenknochen wieder-
gibt. Die oberste der drei Figuren hält eine Hacke in den Händen,
die, obgleich die Figur im übrigen bis auf die Füße in Enface-
stellung ausgeführt ist, beide auf der einen Seite angebracht sind.
Die mittlere Figur hält in der Hand als Waffe einen Morgenstern,
bei dem der Steinknauf in der typischen Form mit den Zacken
und dem runden Stielloch in der Mitte gezeichnet ist, während
der Stiel nicht, wie es der Wirklichkeit entsprechen würde, durch
dies Loch hindurchgeht, sondern einfach daneben gezeichnet ist.
Die unterste Figur endlich ist durch den zylinderförmigen Hut
und den herabhängenden Ohrschmuck besonders gekennzeichnet.
Einen Teil eines Gewebestückes, bei dem von Vögeln heim-
gesuchte Maisstauden mit braunen, blauen und gelblichweißen
Baumwollfäden in einfaches Baumwollgewebe eingestickt sind,
haben wir in Fig. 35 vor uns. Das unter VA 30989 der Berliner
Sammlung verzeichnete Gewebe beträgt seiner größten Länge und
Breite nach 66 cm und 83 cm, und bildet nur einen Teil eines
offenbar weit größeren Gewebes.
Die Maisstaude ist, ähnlich wie in Fig. 31, mit blühenden
Kolben und blühendem männlichen Blütenstand dargestellt, wobei
auch hier die oben aus dem Kolben hervorragenden Grannen sowie die Fruchtansätze deutlich
markirt sind. Araraartige Vögel fallen in großer Schar über die Früchte her. Vögel einer
kleineren Art haben sich auf den Blattspitzen niedergelassen. Zwei Feldhüter mit Stäben in
den Händen sind als Enfacefiguren neben der Maisstaude dargestellt, allerdings in umgekehrter
Stellung. Dies wird aber dadurch verständlich,
daß auf dem sich rechts an das Gewebestück
Fig. 35 anschließenden Stück auch die Maisstaude
dieselbe umgekehrte Stellung hat. Bisher un-
erklärlich bleiben die als besondere Stoffteile
eingenähten braunen Stufenfiguren mit den in
Reihen angeordneten blattförmigen Gegenständen.
Um die Darstellung von Maispflanzen handelt
es sich offenbar auch auf dem kleinen, ein ab-
geschlossenes Ganze darstellenden Gewebe Fig 36.
Das 26 cm lange und 45 cm breite Gewebe ist
unter VA 30990 der Berliner Sammlung verzeich-
net. Von den dunkelfarbigen Umrißlinien sowie
der grünen Farbe einzelner Flächenteile sind nur
noch verhältnismäßig schwache Reste erhalten.
Ein vierfüßiges Säugetier mit langen Ohren und
langem Schwänze, dessen Art sich aus der Zeich-
nung nicht bestimmen läßt, eilt auf die Früchte
der Pflanzung zu. Eine menschliche Figur folgt
ihm unmittelbar nach. Wir haben hier offenbar
denselben vierfüßigen Feind der Maispflanzungen
vor uns, der in gleicher, aber mehr stilisierter
Fig. 34. Darstellung von Feldhütern.
Umgegend von Lima.
52
MAX SCHMIDT
Fig.36. Darstellung einer Pflanzung mit Feldhüter. Pachacamac.
Form auch bei den häufig als Muster eingewebten „Parianamotiven“ am Stamme der Mais-
staude emporklettert und dem, nach der gleichbleibenden Form seines Auftretens zur urteilen,
jedenfalls eine wichtige Rolle in dem sich an das Pariänaamt und die Maispflanzungen an-
knüpfenden Mythenkreise zukommt.
Ein typisches Beispiel für die mehrfach in ähnlicher Form ausgeführte Szene, bei der das
eben geschilderte vierfüßige Tier und Vogelscharen über die von den Feldhütern bewachte
Maispflanzung herfallen, haben wir in Fig. 37 vor uns.
Das Gewebe (VA 30991 der Berl. Sammlg.) ist
35 cm lang und 36,5 cm breit. Das Muster wird in
der bei den Geweben mit szenenhaften Darstellungen
gewöhnlichen Weise durch den Einschlag gebildet
und weist die für diese Gewebeart typische Struktur
auf, wobei ebenso wie bei dem Gewebe Fig. 19 als
Umrißlinien einzelner Figurenteile diagonal durch die
Kette hindurchlaufende Fäden hinzugefügt sind. Als
Farben treten bei den Figuren willkürlich wechselnd
verschiedene Schattierungen von braun, ferner blau,
weiß und gelb auf, wobei die gelbe Färbung durch gelbe Wollfäden, die übrigen Farben aber
durch entsprechend gefärbte Baumwollfäden hervorgerufen werden.
Den Mittelpunkt des Ganzen bildet eine im Vergleich zu den übrigen Figuren übergroße
Maisstaude, bei der deutlich die Wurzeln, die Blätter, die blühenden weiblichen Kolben und
die männlichen Blüten gekennzeichnet sind.
Namentlich durch einen Vergleich mit der
in Fig. 35 wiedergegebenen Maisstaude läßt
sich deutlich erkennen, daß die stilisierten
Figuren in den Blattwinkeln tatsächlich als
die weiblichen Blütenkolben der Maispflanze
mit den seitlich umgebogenen Grannen auf-
zufassen sind, ganz ebenso wie die letzteren
wieder darauf hinweisen, daß die kleinen
mit Haken versehenen Rhomben, die über
die ganze Darstellung zerstreut, z. B. unten
links neben der menschlichen Figur in der
rechten Ecke auftreten, als Maiskolben
aufzufassen sind. Vögel sitzen auf den
Maisblättern und machen sich offenbar über
die Maiskolben her. Ein durch besondere
Größe ausgezeichneter Vogel sitzt oben auf
dem männlichen Blütenstande der Pflanze
und hält ein schlangenartiges Tier im
Schnabel, das in ähnlicher Form auch
zwischen den verschiedenen Figuren ver-
streut, sowie an der rings herumlaufenden Borte wiederkehrt. Dasselbe vierfüßige Tier, das
wir, rein realistisch gezeichnet, auf dem vorigen Gewebe kennen gelernt haben, tritt in mehr
stilisierter Form auch auf diesem Gewebe auf. Auch hier ist das mit langem Schwanz ver-
sehene, im Profil dargestellte Tier gerade im Begriff, die Maisstaude zu erklimmen. Zwischen
die eben geschilderte Darstellung sind dann noch weitere Vogelfiguren, zum Teil mehr stilisiert
als die auf dem Baume selbst, sowie merkwürdigerweise auch verschiedene Arten von Fisch-
figuren eingestreut.
Fig. 37. Darstellung einer Maisstaude mit Schädlingen und Feldhütern.
Pachacamac.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
53
Die eben geschilderte Szene mit der Maispflanze im Mittelpunkte, mit den in derselben
Weise angeordneten Vögeln, mit dem vierfüßigen Tier, das die Maispflanze erklettert, und den
Feldhütern kehrt auf einer ganzen Reihe von Exemplaren, z. B. auch auf dem unter VA 30995
der Berliner Sammlung verzeichneten, erst halb vollendeten Gewebe wieder.
Schon oben, S. 46/7, ist erwähnt worden, daß es den Feldhütern neben der Bewachung
der Pflanzen gegen Diebstahl und Tierschaden auch oblag, die ersten reifen Früchte zu
pflücken und der Gemeinde zu übergeben. Eine diese Angaben bestätigende Szene sehen
wir auf dem Gewebe Fig. 38 vor uns, wo zweimal in verschiedener Form dargestellt ist, wie
Fig. 38. Darstellung eines Fruchtgartens. Pachacamac.
eine aut den Baum zuschreitende Person eine Frucht von ihm abbricht ^s^ehr defekte
Gewebestück, das unter VA 30992 der Berliner Sammlung verzeichnet , Stücken zu-
Länge und Breite nach 108 cm und 112 cm. Die Darstellung ist auf em aus dmStucken^^
sammengenähtes Baumwollgewebe aufgemalt, die einzelnen ar en sin pjauren sind mit
daß sich nur noch schwach einzelne Farbentöne erkennen assen. wurzeln Äste
dunklen Umrißlinien gezeichnet, und der Untergrund ist braun ausge u . bläulichen
und Blätter waren ursprünglich wohl mit einem erst nachträglich zu einem
Ton verblichenen Grün gefärbt. . , , Rö,,mpn
Die Hauptdarstellung auf diesem Gewebe besteht aus einer mit frucl iag 7 : hner
besetzten Anpflanzung; was es für Bäume sind, wird sich wahrscheinlich nac
SS
54 MAX SCHMIDT
angegebenen Merkmalen bestimmen lassen. Die Wurzeln, die fiederförmigen Blätter und die un-
gefähr birnenförmigen Früchte sind genau gekennzeichnet. Auch die Samenkerne im Innern
der Früchte sind angedeutet. Eine interessante Schlangenfigur windet sich an dem Stamme
des in der oberen Reihe rechts stehenden Baumes herunter, und ein Vogel sitzt auf einem Ast
zwischen den Früchten. Auf jeden der beiden auf der rechten Seite stehenden Bäume geht eine
in Profilansicht gezeichnete Person zu. Die obere, durch hohen, spitzen Kopfputz ausgezeichnete
Figur ist gerade im Begriff, mit ihren sehr breiten und plump gezeichneten Händen eine vom
Ende eines Baumastes herabhängende Frucht zu pflücken, während die untere Figur in der
linken Hand eine abgepflückte Frucht emporhält und außerdem zwei weitere Früchte unter
dem rechten Arme trägt.
Unter dieser Szene ist auf dem an das obere Gewebe angenähten Teil eine andere Baumart
dreimal wiederholt, die im Gegensatz zur vorigen einfache Blätter trägt und bei der die Blüten an
den Spitzen der Zweige gezeichnet sind. Rechts neben zweien dieser Bäume sind noch die oberen
Teile von menschlichen Figuren erkennbar, die eine Last auf dem Rücken zu tragen scheinen.
An der rechten Seite des Gewebes schließt
sich, durch einen mit geometrischem Muster
bemalten Streifen von den übrigen Figuren
getrennt, die Darstellung eines mehrfach in
ganz ähnlicher Form neben den Pflanzungen
vorkommenden mythischen Wesens an. Leider
ist auf dem vorliegenden sowie dem in Fig. 40
wiedergegebenen Gewebestück nur der obere
Teil dieser Figur erhalten, so daß wir zu ihrer
Erklärung ein drittes Gewebe heranziehen
müssen, auf dem von der Darstellung der
Pflanzung allerdings nur sehr geringe Reste,
dafür aber von der hier in Frage stehenden
Figur der größte Teil erhalten geblieben ist.
Die Bemalung des in seiner unteren Hälfte in
Fig. 39 wiedergegebenen Gewebes entspricht
im ganzen der des vorigen. Die Figuren sind mit dunkelblauen Umrißlinien gezeichnet, die
Flächenteile zum Teil mit Blau und Grün, zum Teil mit verschiedenen Schattierungen von
Braun ausgefüllt.
Charakteristisch für das in Fig. 39 abgebildete mythologische Wesen ist vor allem die
merkwürdige Mischform zwischen Mensch und Tier. Trotz der für einen Vierfüßler charakte-
ristischen Haltung sind deutlich Fuß und Hand der beiden in der Zeichnung angegebenen
Extremitäten als solche gekennzeichnet, wobei allerdings die Finger- und Zehenzahl viel zu
hoch angegeben ist. Durch ganz bestimmte, auf allen entsprechenden Darstellungen in ganz
derselben Weise wiederkehrende Merkmale an dem großen Kopfputz, am Schwänze und an
der Brust sind offenbar die charakteristischen Eigenschaften dieses mythischen Wesens — wir
können wohl sagen dieser Gottheit — ausgedrückt. Dank den Ergebnissen, die sich im
vorigen Abschnitte dieser Arbeit aus den dargestellten Wasserszenen gewinnen ließen, sind
wir in der glücklichen Lage, wenigstens die am Schwänze der Gottheit angebrachten Elemente
als die typische Hieroglyphe des Wassers zu erkennen, wie wir sie in ganz ähnlicher Weise
an dem Kopfputz der in Fig. 27 abgebildeten Gottheit kennen gelernt haben. Wir haben es
hiernach im vorliegenden Falle jedenfalls mit einer Gottheit zu tun, die in gleicher Weise zum
Wasser als zu den Pflanzungen in Beziehung steht, und diese Beziehung ist bei der großen
Wasserarmut der peruanischen Küste, wo der Ertrag der Ernte von dem richtigen Einsetzen
der periodisch auftretenden Regenzeiten abhängt, leicht erklärlich. Es liegt hiernach am
Fig. 39. Darstellung der ,,Regengottheit“, neben der Pflanzung.
Pachacamac.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
55
nächsten, bei der durch die Hieroglyphe des Wassers angedeuteten Beziehung zum Wasser
an das „Regenwasser“ zu denken, so daß wir es hier offenbar mit einer Gottheit zu tun haben,
die den Regen bringt, womit natürlich noch sehr wohl andere Eigenschaften verbunden sein
können.
Auch im vorliegenden Falle besteht die Hieroglyphe des Wassers aus einem menschlichen
Kopfe, der sich an eine, hier den Schwanz der Gottheit bildende gewundene Figur ansetzt.
Wie immer, trägt dieser Kopf der Wasserhieroglyphe auch in diesem Falle einen halbkreis-
förmigen Aufsatz, an dem zwei federquasten-
artige Fortsätze angebracht sind, die hier, wo
der Kopf nach unten hängend dargestellt ist,
ebenfalls einfach nach unten hängen, während
sie bei anderen Darstellungen1) nach hinten
vom Kopfe herabhängen. Die verschiedene Fär-
bung der einzelnen Halbkreisringe - der äußere
Ring ist gelbbraun, der folgende grün, der
innere Teil des Halbkreises blau gemalt - ist auf
alle Fälle bemerkenswert. Es wird bei späteren
Untersuchungen darauf zu achten sein, ob
dieser ringförmigen Farbenzusammenstellung
ein tieferer Sinn beizumessen ist, ob wir es
vielleicht mit der Andeutung der Regenbogen-
farben zu tun haben, so daß der runde Kopf-
aufsatz bei der Hieroglyphe des Wassers also
den Regenbogen bedeuten würde. Noch drei-
mal wiederholt sich dieser regenbogenförmige
Kopfaufsatz bei unserer „Regengottheit“, zwei-
mal innerhalb des großen Kopfaufsatzes links
und rechts von dem stufenpyramidenförmigen
Mittelstück und außerdem bei der vor der
Brust der Gottheit angebrachten Figur.
In ganz ähnlicher Weise kehrt die soeben geschilderte Gottheit auf dem Gewebestück
Fig. 40 wieder, auf dem leider nur ein Teil von ihr erhalten geblieben ist. Das unter VA 30994
der Berliner Sammlung verzeichnete Gewebe beträgt seiner größten Länge und Breite nach
43 cm und 65 cm. In der Art der Bemalung entspricht es dem vorhergehenden. Auch hier ist
die Figur der Gottheit durch dasselbe geometrische Ornament von der Pflanzung getrennt, von
der leider auch nur noch ein kleiner Teil erhalten geblieben ist. Soweit es sich aus dem
Rest erkennen läßt, scheint es sich in diesem Falle um eine noch junge Pflanzung zu handeln,
bei der die jungen Keimlinge eben erst aus dem Erdboden hervorgewachsen sind. Eine mit
einer großen Hacke versehene Person ist augenscheinlich mit dem Reinigen der Pflanzung
beschäftigt. Der Kopf eines araraartigen Vogels ist an der anderen Seite des Gewebes
kenntlich.
Ich lasse hier am Schlüsse dieser Darstellungsgruppe in Fig. 41 noch den Teil eines aus
der Baesslerschen Sammlung stammenden Gewebes folgen, das als Ganzes eine hochinter-
essante Szene wiedergegeben und durch seine reiche Farbenpracht eine große Wirkung aus-
geübt haben muß. Das Gewebestück (VA 21191 der Berl. Sammlg.) beträgt seiner größten
Lange und Breite nach 87 cm und 36 cm. Die Figuren sind mit blauer, grüner, roter und
gelbbrauner Farbe auf einfaches Baumwollgewebe aufgemalt, dessen unbemalte Stellen die
^£jße__Farbe ersetzen. Der Untergrund ist dunkelbraun gefärbt.
0 Vgl. Fig. 27.
56
MAX SCHMIDT
Auch hier bildet den Mittelpunkt eine stilisierte Pflanze, die ihre zu dreien an einem Stiele
sitzenden Blüten nach oben und unten hin ausbreitet. Bei den an den roten Stengeln sitzenden
Blättern ist deutlich die Äderung durch grüne Linien auf gelbbrauner Blattfläche wiedergegeben.
Eine Reihe bunt gemalter Vögel fliegt auf die oberen Blüten zu. Auch an den unteren Blüten
machen sich langschwänzige Vögel zu schaffen. Durch verschiedenartigen Kopfputz charak-
terisierte menschliche Figuren sind unterhalb der Pflanzung mit bisher nicht zu erklärenden
Geräten in den Händen gezeichnet. Leider sind von einer großen Hauptfigur, die auf dem
oberen Teile des Gewebes, von einem Stufen-
muster eingerahmt, dargestellt gewesen ist, nur
noch die Beine erhalten geblieben. Links da-
neben sieht man ein Tierwesen, das durch
besonderen Kopfputz und besondere im Um-
kreis angeordnete charakteristische Elemente
hieroglyphenartig näher bestimmt ist. Viel-
leicht haben wir in der Figur hinter dem
Rücken dieses Tierwesens eine stark redu-
zierte Form der Hieroglyphe des Wassers vor
uns, wie sie sonst vielfach direkt an dem
Schwänze der mythischen Wasserwesen ange-
bracht ist, so z. B, bei der oben geschilderten,
in Fig, 39 und 40 abgebildeten „Regengottheit“.
C. SONSTIGE DARSTELLUNGSMOTIVE.
Zum Schluß fasse ich noch eine Anzahl
von Gewebedarstellungen verschiedenen Inhalts
zusammen, die zum Teil wegen ihres mytho-
logischen Inhalts von größtem Interesse sind.
Von dieser letzteren Art ist eine größere An-
zahl in der Sammlung vorhanden, deren inter-
essante Szenen sich mit der Zeit auf dem
in dieser Arbeit eingeschlagenen Wege er-
klären lassen werden. Ich habe im folgenden
von diesen mythologischen Szenen zunächst
nur diejenigen herausgegriffen, bei denen sich,
gestützt auf die obigen Ausführungen, einige
Züge in der Darstellung erklären lassen, wenn
auch natürlich noch viele Einzelheiten ihrer
Deutung harren.
In näherem Zusammenhänge mit den geschilderten Parianaszenen scheint die in Fig. 42
(Taf. II) wiedergegebene inhaltsreiche Darstellung zu stehen. Das unter VA 30996 der Berliner
Sammlung verzeichnete Gewebestück mißt seiner größten Länge und Breite nach 37 cm und
24,5 cm und ist scheinbar gewaltsam in zwei Stücke zerrissen. Die am oberen Teile des
Gewebestückes dargestellten Figuren lassen erkennen, daß sich nach oben zu dieselbe Dar-
stellung wie auf dem unteren Teile im Spiegelbilde fortgesetzt hat. Die einzelnen Figuren
sind mit verschiedenfarbiger Wolle durch die Einschlagfäden gebildet. Der Untergrund be-
steht aus weißer Baumwolle, die auf der Oberseite rosa gefärbt ist.
Den Mittelpunkt bildet eine große drachenartige Figur, die sich auf einen Baum gestürzt
hat und feindliche Dämonen mit dem Maule und dem einen Hinterfuße vernichtet. Verschiedene
andere Dämonen liegen besiegt unter dem Baume, während über dem Baume andere mit
Fig. 41. Darstellung einer Pflanzung mit Schädlingen und Feldhütern.
Pachacamac.
'
.
Fig-. 42. Mythische Darstellung-. Gewebe von Pachacamac.
BAESSLER-ARCHIV I. (M. SCHMIDT; Über altperuanische Gewebe.)
Tafel II.
t
ALTPERUANISCHE GEWEBE
57
Gepäck abzuziehen scheinen. Seitlich von der großen, die Mitte ausfüllenden Baumszene
treten menschliche Figuren auf, die Waffen in den Händen tragen, die im Vergleich mit den
Wurfbrettdarstellungen in Fig. 43 und 44 auch hier als Wurfbretter und Wurfpfeile zu er-
kennen sind. Einige gezackte Wurfpfeile fliegen auf den Baum zu.
Was die Erklärung dieser Szene anlangt, so lassen sich im Anschluß an die Ergebnisse
der bisherigen Untersuchung mancherlei Anhaltspunkte zu ihrer Deutung wenigstens in großen
Zügen finden. Es handelt sich offenbar um einen Kampf gegen schädliche Dämonen, und
zwar treten hier als solche dieselben Schädlinge der Pflanzungen auf, die wir im vorigen
Abschnitte bei den Parianadarstellungen kennen gelernt haben. Der Kopfputz des großen
drachenartigen Wesens, das den Mittelpunkt der Darstellung bildet, stimmt im wesentlichen
mit dem Kopfputz der Hauptpersonen bei den Szenen Fig. 43 und 44 sowie mit dem der
„Regengottheit“ in Fig. 39 überein. Es geht daraus hervor, daß wir es bei dieser drachen-
artigen Figur keineswegs mit einem der Menschheit
feindlichen Dämonen zu tun haben, sondern mit
einem mythischen Wesen, das die neben der
Pflanzung erscheinenden menschlichen Figuren
tatkräftig im Kampfe gegen die der Pflanzung
feindlichen Dämonen unterstützt. Wir haben im
Laufe der Abhandlung mehrfach Fälle kennen ge-
lernt, in denen eine bestimmte Figur durch daneben-
stehende andere ihrem Wesen nach näher charak-
terisiert wurde1). Ganz dasselbe ist bei der vor-
liegenden Darstellung der Fall. Der besiegte Dämon
in der unteren linken Ecke ist durch den daneben
angebrachten grünen Papagei deutlich als solcher
gekennzeichnet, ebenso die über der Pflanze mit
der Last abziehende Figur als roter Arara. Der
Wesen - sagen wir die hilfreiche Gottheit - mit den Zähnen zermalmt, setzt sich in ein
vierfüßiges Tier fort, das im wesentlichen demjenigen Tier entspricht, das wir in der vorigen
Parianadarstellung in mehrfacher Wiederholung als Schädling der Pflanzungen kennen ge-
lernt haben.
Wenn auch bei der Gewebedarstellung Fig. 43 der Baum fehlt, so haben wir es dennoch
offenbar mit einem ähnlichen Motiv zu tun wie vorher. Das unter VA 30998a verzeichnete
Gewebestück, von dem die Fig. 43 nur einen Teil abbildet, mißt seiner ganzen Länge und Breite
nach 39 cm und 19 cm. Die Figuren sind mit verschiedenfarbiger Wolle als Einschlag ein-
gewebt. Der Untergrund besteht aus weißer Baumwolle.
Auch bei dieser Darstellung geht ein durch Körpergröße hervorragendes Wesen, das hier
menschliche Gestalt hat, siegreich gegen die feindlichen Dämonen vor, die von seinen Füßen
zermalmt werden. Sein Kopfputz entspricht dem der Hauptfigur auf dem vorigen Gewebe.
Die Waffe, die es auf der Schulter trägt, zeigt sich bei näherer Betrachtung jedenfalls der-
jenigen ähnlich, die die Hauptfigur in Abbildung 44 in den Händen trägt und kann, nach Ver-
gleichung dieser beiden Darstellungen miteinander und mit den in Fig. 44 durch die Luft
fliegenden Wurfpfeilen, nur als Wurfbrett und Wurfpfeil gedeutet werden. Ein Vergleich mit
der Blasrohrszene Fig. 30 läßt darauf schließen, daß wir es bei dem langen Gegenstände, den
die vordere der beiden im Siegeszuge mit heranziehenden menschlichen Figuren vor ihr
Gesicht hält, auch mit einem solchen Blasrohre zu tun haben.
Um eine Kampfszene zwischen mythologischen Wesen handelt es sich offenbar auch bei
dem Gewebejug. 44 (Taf. III). von diesem unter VA 30997 der Berliner Sammlung verzeichneten
1) Vgl. z. B. S. 24/5.
Baessler-archiv I. o
Fig. 43.
Mythische Darstellung auf einem Gewebe von Pachacamac.
Fuß des Dämons, den das drachenartige
58
MAX SCHMIDT
Gewebe sind zwei Stücke erhalten, von denen das größere 43 cm x30 cm, das kleinere
21 cmxll cm mißt. Wenn auch das kleinere Stück nicht direkt an das größere heranpaßt,
so gehört es doch sicherlich zu demselben Gewebe wie das größere Stück und läßt deutlich
erkennen, wie sich die Darstellung des größeren Stückes nach der linken Seite hin fortgesetzt
hat. Wie bei dem Gewebe Fig, 42 setzt sich auch hier die Darstellung des unteren Teiles
nach oben zu im Spiegelbilde weiter fort. Die Figuren sind ebenfalls mit verschiedenfarbiger
Wolle in den weißen Untergrund aus Baumwolle eingewebt.
Leider fehlen zur Erklärung der Einzelheiten noch die nötigen Anhaltspunkte. Vor allem
kann es zunächst noch zweifelhaft erscheinen, ob wir es im Mittelpunkt der Darstellung mit
einem stark stilisierten Baume zu tun haben. Sicher scheint es sich hier ebenso wie bei
den beiden vorigen Darstellungen um einen Kampf mit Wurfpfeilen zu handeln. Die durch
Fig. 45. Darstellung „hilfreicher Tiere“ auf einem Gewebe von Pachacamac.
ihre Größe und ihren Kopfputz hervorragende Persönlichkeit rechts neben dem „Baum“ hält
in der linken Fland einen Wurfpfeil, der ebenso beschaffen ist, wie die Waffen in den Händen
mehrerer anderer Personen, sowie die durch die Luft fliegenden Pfeile.
Auf den beiden Gewebestücken Figur 45 und 46 haben wir es, wie die Pfähle ganz
deutlich erkennen lassen, mit der Errichtung eines Hauses zu tun, und dieses Dar-
stellungsmotiv findet eine interessante Parallele in den Sagen, die uns die alten Quellen über-
liefern. So heißt es in der bei Avila erhaltenen Sage der Yunka von Huarochiri, daß Huathiacuri,
der Sohn des Sturmgottes Pariakaka, einen Wettstreit mit seinem Schwager zu bestehen hat,
wobei ihm verschiedene Proben auferlegt werden. Unter anderem wird ein Hausbau proponiert,
wobei der Held durch die Mitwirkung hilfreicher Tiere siegt.1)
Das in Fig. 45 abgebildete Gewebe (VA 31001 der Berl. Sammlg.) ist ein Teil eines
in mehreren Stücken vorhandenen größeren Gewebes, bei dem die Figuren in verschieden-
farbiger Wolle durch den Einschlag eingewebt sind. Größte Länge und Breite betragen 40 cm und
1) Markham: CI. Narrative of de rites and laws of the Yncas. London 1873. (Works issued by the Hacluyt
Society) S. 135.
50 cm Die Gewebeart unterscheidet sich insofern von
der gewöhnlich bei den Geweben mit szenenhaften Dar-
stellungen üblichen, als die Tiere durch Lockerung der
einzelnen Gewebemaschen gleichsam als wollhaarig ge-
kennzeichnet sind.
Das in Fig.46 abgebildete, unter VA 31002 der Ber-
liner Sammlung verzeichnete Gewebe mißt seiner größten
Länge und Breite nach 38 cm und 18 cm. Die Figuren
sind in der gewöhnlichen Weise mit verschiedenfarbiger
Wolle und weißer Baumwolle auf roten Untergrund
durch den Einschlag eingewebt.
Das Gewebestück Fig. 47 enthält die Darstellung
von Llamas, und zwar speziell einer beladenen Llama-
herde, was ganz im Einklänge mit dem Umstande steht,
daß das Llama in den Küstengebieten Perus nicht ge-
züchtet wurde, sondern nur als Last-, Opfer- oder
Schlachttier von den Hochlandstämmen zur Küste ge-
bracht wurde1).
Das unter VA 30999 verzeichnete, seiner größten
Länge und Breite nach 14 cm und 38 cm messende
Gewebestück gehört zu einer Reihe mehrerer zusammen-
gehöriger Teile. Die Llamas sind ebenso wie die Tiere
in Fig. 45 durch Lockerung der Gewebemaschen als
wollhaarig gekennzeichnet. Von dem Hirten ist auf dem
abgebildeten Gewebestück nur der obere Teil erhalten.
Von besonderem Interesse ist auf den drei in Fig. 48
wiedergegebenen, zu einem Gewebe gehörigen Feilstücken die Opferung eines schwarzen
Llamas etwa in der Mitte des oberen rechten Teiles. Wir wissen aus den Quellen, daß
schwarze Llamas nur bei ganz besonderen Feierlichkeiten geopfert wurden ).
Das überaus buntfarbige, unter VA 31000 der Berliner Sammlung verzeichnete Stück ist
leider nur in sehr defektem Zustande erhalten geblieben Von den drei Teilstücken in der
Figur 48 (Taf. IV) mißt das untere nach größter Länge und Breite 91 cm und 73 cm, das obere
linke 32 cm und
26 cm, das obere
rechte 42 cm und
102 cm. Die Figuren
sind wie gewöhn-
lich buntfarbiger
Wolle3) als Ein-
schlag eingewebt.
Auf die Dar-
stellungdesfischen-
den Vogels im Boo-
te, der durch den
Wasserstreifen da-
rüber von den anderen Szenen getrennt wird, ist schon oben (S. 35) eingegangen.
Schon im ersten Hauptteile wurde die Darstellung Fig. 49 erwähnt, auf der eine Weberin
1) Vgl- Tschudi 1. c. S. 96. 2) Tschudi 1. c. S. 42. 3) Im Gegensätze zu anderen Geweben
dieser Art ist auch die weiße Farbe im vorliegenden Falle durch Wolle und nicht durch Baumwolle gebildet.
8*
Fig. 46. Darstellung „hilfreicher Tiere“ auf einem Gewebe
von Pachacamac.
Fig. 47. Beladene Llamaherde. Pachacamac.
60
MAX SCHMIDT
an einem Webegestell arbeitet, das zu der vertikalen Webstuhlform
gehört. Das ganze unter VA 31003 der Berliner Sammlung ver-
zeichnete Gewebestück, von dem nur der obere Teil in Fig. 49 wieder-
gegeben ist, mißt in seiner größten Länge und Breite 80 cm und
11 cm und war als Streifen auf ein Gazegewand aufgenäht. Die
kleine Webeszene kehrt auf dem ganzen Gewebestück dreimal über-
einander wieder. Die Figuren sind mit verschiedenfarbigen Fäden
in der gewöhnlichen Weise als Einschlag eingewebt, wobei die
weiße und die graue Farbe durch Baumwolle, die übrigen Farben
durch Wollfäden gebildet werden.
Das dargestellte Webegestell mit seiner angefangenen Arbeit
entspricht im wesentlichen genau dem Gestell, das in Fig. 7 ab-
gebildet ist.
Zum Schluß habe ich dann noch in Fig. 50 eine kleine gewebte
Tasche wiedergegeben, die auf jeder der beiden Seiten dieselbe
mythologische Darstellung aufweist. Das unter VA 31004 verzeich-
nete Gewebe mißt seiner größten Länge und Breite nach 23 cm und
19 cm. Es handelt sich hier um Tierwesen, die halb Vogel- und
halb Menschengestalt angenommen haben und sich mit Fischen zu
schaffen machen. Mir kommt es bei dieser Darstellung, auf die ich
hier im übrigen nicht näher eingehen kann, nur darauf an, auf die
Verzierung oben auf dem durch die Hauspfähle gekennzeichneten
Gebäude hinzuweisen, da diese in genau derselben Weise auf dem
in Fig. 26 wiedergegebenen Gewebe sowie auch in Fig. 44 wieder-
kehrt und sicherlich eine ganz bestimmte Bedeutung hat.
Fig. 49. Darstellung einer Weberin.
Pachacamac.
lassen sich kurz
SCHLUSS.
Die Resultate der obigen Ausführungen
folgendermaßen zusammenfassen:
Die Gewebe mit den szenenhaften Darstellungen aus der Ge-
gend von Pachacamac gehören einer Kul-
turperiode an, die sich scharf von der
vorhergehenden abhebt. Als Beispiele
dieser jüngeren Kultur mit der der
die wir mit dem üblichen Namen als
für die Wesensgleichheit
nördlichen Küste Perus,
Chimu-Kultur bezeichnen wollen, mögen die Schnitzereien auf den
in Fig. 51—53 abgebildeten Holz-
geräten aus Trujillo dienen. Die
Bootsszene auf dem unter VA 31108
der Berliner Sammlung verzeich-
neten Rasselstabe von 103 cm Länge
entspricht genau den Szenen, die
wir im ersten Abschnitte des zweiten
Hauptteiles kennen gelernt haben.
Auch unter den Schnitzereien an
dem unter VA 31109 verzeichneten,
in Fig. 52 und 53 wiedergegebenen
Webeschwert (88 cm lang) finden
wir die uns aus den vorigen Ab-
Fig. 50. Mythologische Darstellung auf einer
gewebten Tasche. Pachacamac.
Fig. 51.
Rasselstab mit Bootsszene.
Trujillo.
ALTPERUANISCHE GEWEBE
61
schnitten bekannten Szenen wieder; so am Griffe die über die Maisstaude herfallenden Vögel,
und so unter den verschiedenen Darstellungen auf dem Blatt eine stark stilisierte Bootsszene,
bei der der stufenförmige Abfall am Heck des Bootes und der hohe
Schiffsschnabel hervorgehoben sind, und bei der sich deutlich die hier
über den Schiffern an der Schnur befestigten Vögel erkennen lassen.
Zugleich mit dem Webstuhl, mit einer anderen Webetechnik, mit
ganz anderen Motiven der Darstellung, unter denen vor allem die pflanz-
lichen eine große Rolle spielen, tritt diese neue Kultur
als etwas absolut Fremdes zu einer gewissen Zeit an der
Küste Perus auf, zeitigt bedeutende Reiche, wie das von
Chimu, und geht dann mehr oder weniger in der alles
nivellierenden Kultur des Incareiches auf.
Wir können nach den obigen Ergebnissen es als
sicher annehmen, daß diese neu auftretende Kultur nicht
vom peruanischen Hochlande gekommen sein kann. Daß
sie sich in völliger Abgeschlossenheit an irgend einem
Teile der Küste aus sich selbst heraus entwickelt hätte,
wäre nicht zu verstehen. Es bleibt also nur noch die
Möglichkeit, daß sie von außenher irgendwie in diese
Gegenden eingedrungen ist, sei es zu Lande, vom fernen
Norden her, oder sei es zu Wasser, vom Norden oder
vom fernen Westen her. Der Webstuhl, die pflanzlichen
Motive der Darstellung, sowie die auffälligen Überein-
stimmungen in der Mythenwelt dieses Kulturkreises mit
Ostasien, auf die in letzter Zeit vor allem Ehrenreich1) aufmerksam gemacht hat, richten
unsere Blicke unwillkürlich nach dem fernen Westen. Aber bei dem gegenwärtigen Stande
der Wissenschaft läßt sich diese verfängliche Frage des „Woher“ nur anschneiden, nicht
beantworten.
I) Ehrenreich, Paul; Die Mythen und Legenden der südamerikanischen Urvölker und ihre Beziehungen
zu denen Nordamerikas und der Alten Welt. Zeitschrift für Ethnologie. Supplement 1905, S. 93-95.
Fig. 53. Griff eines
Webemessers von
Trujillo.
Fig. 52.
Webeschwert von Trujillo
mit Bootsdarstellung.
BAESSLER-ARCH1V
BEITRAGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS MITTELN DES BAESSLER-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGISCHEN
ABTEILUNGEN DES KÖNIGLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
IN BERLIN REDIGIERT VON ,
P. EHRENREICH
BAND I HEFT 2
\ •' ' * l ■ / ; , ' • ' ;,v ; .
O. Dempwolff, Sagen und Märchen aus Bilibili
F. v. Luschan, Zur Ethnographie des Kaiserin-Augusta-Flusses
Museumsnotizen
LEIPZIG UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER
1911
Das dritte Heft des Baessler-Archivs wird enthalten:
H. Stönner, Ein brahmanisches Weltsystem. Beschreibung eines
im Museum für Völkerkunde zu Berlin befindlichen Bildes.
W. Crahmer, Beilartige Waffen im indischen Kulturgebiet und
Verwandtes.
W. Planert, Religiöse Bettler in Südindien.
y ■
■
Das Baessler-Archiv erscheint vorläufig in zwanglosen Heften,
von denen 6 einen Band von ca. 36 Druckbogen zum Preise von
20 Mark bilden. Einzeln sind die Hefte zu einem je nach dem
Umfang bemessenen, etwas erhöhten Preise käuflich.
Das Honorar beträgt 80 Mark für den Bogen von 8 Seiten;
außerdem erhalten die Mitarbeiter 50 Sonderabzüge.
Für umfangreichere wichtige Arbeiten werden nach Bedarf
Beihefte ausgegeben, die besonderen Vereinbarungen unterliegen.
Das Archiv ist in erster Linie für die Bearbeitung des ethno-
logischen Materials der deutschen Museen bestimmt. Daher
können Arbeiten über allgemeine Themata nur ausnahmsweise,
solche aus dem Gebiet der physischen Anthropologie und spe-
ziellen Linguistik überhaupt nicht berücksichtigt werden.
“• w ' ...., i. .
“ v ..^Ur-
sendungen, Zuschriften und Anfragen sind zu richten an den
Redakteur
Dr. P. Ehrenreich, Berlin W. 30, Heilbronner Straße 4.
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1LIBIL1.
VON
Dr. OTTO DEMPWOLFF,
OBERSTABSARZT IN DEN KAISERLICHEN SCHUTZTRUPPEN.
Das folgende Material ist mir im März und April 1906 in Daressalam von einem etwa
18jährigen Eingeborenen aus Bilibili (Astrolabebai, Kaäser-Wilhelmsland, Deutsch-Neu-Guinea),
namens Ngomu, diktiert worden, der mit fünf gleichaltrigen Landsleuten zu den 150 Rekruten
gehörte, welche damals aus Deutsch-Neu-Guinea für die Deutsch-Ostafrikanische Schutztruppe
angeworben waren, aber bereits im April und Mai wieder heimgesandt wurden.
Eine Bearbeitung der Bilibili-Mundart beabsichtige ich an anderer Stelle zu veröffentlichen;
die folgenden Übersetzungen lehnen sich möglichst an den Wortlaut der Texte an, eine genaue
Wortübertragung ist durch ( ), eine freie Umschreibung oder Ergänzung durch [ ], eine
zweifelhafte Wiedergabe des Wortsinns durch (?) gekennzeichnet.
I.
ZWEI TOTEMISTISCHE SAGEN.
Totemismus, als Glaube an Verwandtschaft mit - oder als Abstammung von " Tl^e"’
ist in Deutsch-Neu-Guinea mehrfach angetroffen; meines Wissens zuerst im ismarc P
vom Grafen Pfeil, später nach mündlicher Mitteilung (1902) vom P. Meyer . • •
Admiralitäts- Inseln, neuerdings von Pöch (Kol.-Bl. 1906 p. 653) für Neu - Meck en urg
zwar nur hier vorgefunden —; im Huongolf vom Neuendettelsauer Missionar am er,
Material Köhler im Archiv für Völkerrecht (1899) verwertet hat.
An der Astrolabebai stieß ich 1903 zum erstenmal auf diesen Glauben, ic z^ige ™
etwa 14jährigen Diener Sisao aus Graged (Fischel-Insel, Friedrich-Wilhelms a en ie
graphie eines lebenden Krokodils, das gefesselt von Siarleuten (Ali-lnsel, nnz einr*c
getragen wird, mit der Äußerung, daß die Siarleute es erbeutet hätten. Er bestritt dies, u
behauptete, seine Graged-Landsleute hätten es gefangen. Auf meine Einre e, an
diese es auch verzehrt haben, erwiderte er, das sei nicht angängig, da seine ippe
kodil zum Ahnen habe. Er ließ sich dann bewegen, die dazu gehörige Sage in sein. P
— er war Missionsschüler gewesen — niederzuschreiben. Diese Aufzeichnung a ® 1
dem inzwischen verstorbenen Rheinischen Missionar Bergmann auf dessen Wunsc u
An den Inhalt dieser Sage anknüpfend, erfuhr ich 1906 von dem Bilibili gomu,
er von Vatersseite das Krokodil zum Ahnen habe, und erhielt von ihm die abe
Mundart in folgender Fassung:
tomol pain — i vongei pain
he — i ai peragob inou. inoug
ta pain ta vongei, vongei tomol.
„ime i alan: vongei“ ibol. bireg
amb paruklo ile ijen. ijenlag ujan.
BAESSLER-ARCH1V 1. 2.
Eine Menschenfrau — sie war kein Krokodil — gebar
Zwillinge, ein Mädchen und ein männliches Krokodil. „Dies
ist schlimm: es ist ein Krokodil!“ sprach sie. Sie warf
es fort, es ging unter das Haus und lag [dort]. [So] lag
es gut. Keine Yams, nur Ameisen, nur Sand aß es, das
64
OTTO DEMPWOLFF
ma he, kederak moi ijeni, lis moi
ijeni, jenilak ujan. tinan idu ibol:
,,i voñgei ña nou bireg amb pa-
ruklo ile muñ ufan ijende“. eñ-
gade ibol. gana voñgei rien. pain
tomol i uratve diaó. diaóndeg i —
voñgei - idunde. idundeg hiñ-
andin ai makan i huninde, ñalep
ilap amb paruklo janinde. ndep
tinan taman didunde. ,,o hañu
ai domde ilene?“ voñgeimos ijeni
hunig ijeni. tinan tamandi ditande.
sansan eñgemoi itonde, hiñan-
din bor hiñandin gaon voñgei,
i irnos sansan ñandin bor ñan-
din gaon ñandin ai makan san-
san i irnos pana janinde. eñe ito.
itokwi voñgei taman buhen alank-
wi ibol: ,,o bañbañ añ ju esigini
hui esigini, amb paruklo tomol
tuhunive. i aowan alan, o ai
makan jani jaónde, bor jani jaón-
de, gaon jani jaónde. i i aowan
alan.“ taman eñgade ibol. taman
ileg burlo ai tere, ari sipeli, ñeleg
iseg ari ipou, ari makan ipou,
i ar ta irinde doboki eñgade ta
i pou. ileg ta irinde ipou mas
tinmoklo ipou. ibenig nali inou:
,,o melop ase, bañbañ. tomol tu-
hunive.“ tinan ita - voñgei tinan
— ; iseg ipei: ,,o nanuñu, o hiba
aowa alankwi, tama ju iñele bañ-
bañ ipeinde duhunuve. tama ibol,
hiñandin ai makan benitehe, hi-
ñandin bor benitehe sansan o muñ
huni waninde, o aow’alan, kelagu
rarai ibol. bañbañ ju dañaleg
boilap disande, o duhunaóve.“
voñgei ibol: ,,nen, ña dodog na-
tokwi, duhunuñuve? mam ibol!
ao, mam ihiben ibolpa duhunuñu,
ta ñabol“ eñgade voñgei ibol.
seselig bañbañ ju ise. voñgei
taman idu. ,,o bañbañ añ ase. ao,
ujan ase. hiboñu ñabolkwi ase,
ujan ase. ña muñ ari ñapou.
hiboñu nanuñu tuhunive.“ eñgade
ibol. taman iduga ju huti. ju
war gut [genug]. Seine Mutter ging herzu und sprach:
„Es ist ein Krokodil, das ich geboren habe; nachdem ich
es fortgeworfen habe, ging es unter das Haus; [da] liegt
es schon gut.“ So sprach sie. Später wurde das Krokodil
groß. Die Frau und der Mann entfernen sich zur Arbeit,
unterdessen geht das Krokodil herzu, erschlägt ihr kleines
Kind, nimmt es, geht weg und frißt es unter dem Hause.
Darauf kommen seine Mutter und sein Vater herzu. „Oh, wo
ist mein kleines Kind wohl hingegangen?“ Das Krokodil
hatte es gefressen, erschlagen und gefressen. Seine Mutter
und sein Vater weinen.
Oft (?) handelte es so, ihre Schweine, ihre Hunde fraß das
Krokodil, es fraß oft ihre Schweine, ihre Hunde, ihre kleinen
Kinder gar oft heimlich auf. Weil es so handelte, sprach
der Vater des Krokodils, weil sein Herz betrübt (schlecht)
war: „Oh, Dorfgenossen, schärft die Speere, schärft die Schuß-
waffen, unter dem Hause den Kerl müssen wir erschlagen,
er ist gefräßig (hat ein schlechtes Maul), Er frißt kleine
Kinder und entfernt sich, frißt Hunde und entfernt sich, er,
er ist gefräßig.“ So sprach sein Vater. Sein Vater ging
in den Wald, fällte Holz, flocht ein Gehege, brachte es her
und stellte einen Verhau her. [Erst] errichtete er einen
kleinen Zaun, [dann] einen anderen Verhau parallel (?) wie
eine Falle (?). Er ging und errichtete parallel [noch] einen
anderen Verhau, einen großen recht im tiefen Meere. Als
er fertig war, berief er eine Versammlung: „Oh, kommt hier-
her, Nachbarn, um den Kerl zu erschlagen.“ Seine Mutter
weinte — des Krokodils Mutter —, sie kam und sagte zu
ihm; „Oh mein Kind, weil du selbst so gefräßig bist, hat
dein Vater Speere ergriffen und den Nachbarn gesagt, daß
sie dich erschlagen sollen. [So] hat dein Vater gesagt:
ihre kleinen Kinder, die [noch] nicht erwachsen waren,
ihre Schweine, die [noch] nicht erwachsen waren, hast
du schon oft erschlagen und gefressen. Du bist gefräßig,
deine Kehle knurrt. Die Nachbarn ergreifen die Speere,
morgen kommen sie, um dich zu erschlagen.“ Das
Krokodil antwortete: „Mutter, weil ich was getan habe,
wollen sie mich erschlagen? - Der Vater sagt es! Ja,
wenn der Vater selbst es sagen würde, daß sie mich
erschlagen, [dann] werde ich etwas anderes reden.“ So
sprach das Krokodil.
Am anderen Morgen kam die bewaffnete Dorfschaft (der
Speer der Dörfler). Des Krokodils Vater trat herzu: „Oh
Nachbarn, ihr seid gekommen, jawohl, [es ist] gut [daß]
ihr gekommen seid. Weil ich selbst es gesprochen habe,
seid ihr gekommen. Es ist gut, daß ihr gekommen seid.
Schon habe ich Gehege hergestellt, um mein eigenes Kind
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1LIB1L1
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hutiga disega, amb paruklo von-
gei ijen. diseg depaneg vongei
ijenke imais. maisg: „o duhunu-
fmnde“ ibol, imaisg idu. idulag
arilo gag inou ari isai, iseig ilen-
deg idipenendeg idiseitehe; hem-
bas dipene berini, disei berini, i idu.
ari ta soror ibob, idu tan idu. „ha-
lande“ ibob, ari ta gag inou. von-
gei ibol: „o mam, god umoug, ari
riela mok upou. kete upoupa o
god nou.“ ari ta idusi deseindeg
depanendeg Heg idu. Heg mas
tinto arime idusi, idusindeg ban-
ban dibol „o tomol muh idunde.“
banban engade diboi. dibolndeg
tomol rien i doù bas rienme se,
doù rienme ise. buia jere, sao-
war rien — badir saowar — jao-
ware. ndeg idug mas tinto pur-
teni, purtenig itour: „idup nana-
hibe“. engade ibol itor. vongei
ibol: ,,ao, hegad tourndep nadup
nenihaòbe.“ vongei engade ibol.
tomol ibol: ,,ar’ usop nenihaòbe“
engade ibol. ndeg vongei idu,
idug idug sesirnde, sesirndeg tomol
„badir saowar hasainde“ ibol.
vongei aten kekeri, iso atepe ile.
vongei ipolu, tomol lulunlulun jere,
neleg joù tin idu, idug iìeleg jou
tin ile. ilendeg banban diboi ,,o
vongei!“. taman dipei: ,,o god nou,
eselaghama toinol vongeimos fiele,
neleg joù tin ile.“ banban vongei
taman dipele. vongei taman ibol:
,,hiiiandin ai makan pana jeni,
bor pana jeni. meveg bubeh alan,
nabol. eselag hihemi tomol jeni —
vongeimos jeni.“ — engade ibol.
zu erschlagen.“ So sprach er. Sein Vater trat herzu und
schwang den Speer, da kamen sie; unter dem Hause schlief
das Krokodil. Sie kamen und schossen [Pfeile], da stand
das Krokodil, das geschlafen hatte, auf und sprach: „Oh, sie
erschlagen mich. Es stand auf und ging herzu, in den
Zaun riß es eine Öffnung (?), und stieß gegen den Zaun.
Während es fortging, schossen sie, verletzten es [aber]
nicht; umsonst schossen sie vorbei. Es ging heraus, der
andere Zaun krachte, es ging heraus auf die Erde. „Ich
gehe fort“, schrie es und riß in den andern Zaun eine
Öffnung. Das Krokodil sprach: „Oh Vater, du hast mich
betrogen, du hast gar zu große Verhaue hergerichtet. Einen
einzigen mache [nur, so aber] hast du mich betrogen.“ Über
den zweiten Zaun war es geklettert; während sie warfen
und schossen, ging es hin und her. Es ging ins tiefe Meer
und kletterte über diesen [dritten] Zaun. Als es hinüber-
kletterte, riefen die Nachbaren: „Oh, der Kerl entwischt uns
schon.“
Während die Nachbarn so redeten, kam ein großer Mann,
[wie] ein gewisser großer lebender Paradiesvogel, dieser
große Paradiesvogel1) kam. Er biß auf den Hundezahn-
schmuck* 1 2), er trug einen großen Muschelspeer — die Schneide
war eine Muschel —. Dann ging er herzu, tauchte (?) ins
tiefe Meer, stand [dort] und sprach: „[So wie] er hervor-
kommt, werde ich ihn angreifen (anschauen)“. So sprach
er und schritt dahin. Das Krokodil sprach: „Jawohl, wenn
du noch lange (?) dastehst, werde ich herzugehen und dich
angreifen.“ So sprach das Krokodil. Der Mann sprach:
„Vorwärts, komm her, ich werde dich angreifen.“ So sprach
er. Dann kam das Krokodil herzu, kam herzu, ganz nahe.
Als es nahe war, rief der Mann: „Ich steche mit der Muschel-
schneide.“ Das Krokodil zog den Leib ein, [der Speer]
kommt und ging unten hin. Das Krokodil lief, biß den
Mann in die Rippen und schleppte ihn in den tiefen
Fluß.3) Als es im tiefen Fluß mit ihm verschwand, riefen
die Nachbarn: „Oh Krokodil“. Sie sagten zum Vater des
Krokodils; „Du hast uns betrogen; nachdem wir ge-
kommen sind, hat das Krokodil unseren Mann gepackt und
ist mit ihm in den tiefen Fluß gegangen.“ Die Nachbarn
schalten den Vater des Krokodils. Der Vater des Kroko-
dils antwortete: „Ihre kleinen Kinder hat es heimlich ge-
fressen, Schweine heimlich gefressen. Deswegen habe ich
aus traurigem Herzen geredet. Nachdem ihr gekommen
seid, hat es eueren Mann gefressen. Das Krokodil hat ihn
gefressen.“ So sprach er.
1) Vielleicht der totemistische Ahne einer anderen Sippe. 2) Das zungenförmige Schmuckstück wird ge-
wöhnlich an einer Schnur um den Hals getragen, im Kampf und bei Tänzen aber mit den Zähnen gehalten.
3) Ngomu nannte später einen Fluß Joholo an der Rei-(Maklay-)Küste, während Sisao den Schauplatz des Kampfes
an den Felsen Babobmolon im Prinz-Heinrichhafen verlegt hatte.
9
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OTTO DEMPWOLFF
ndeg tinan idug kuled umlo
ñele, ñeleg idug joule nimanlo
jese, ñeleg musilo bire. bireg Heg
musi tin Heg loü ile. Heg onde
imais, jaö ibol: „voñgei!“ ibob
,,voñgei ohunuñuvo?“ voñgei ibol:
,,ña voñgei he, na bilaowa tibud“
,,o, mam ña hunuñubehe, ña bi-
laowa tibud na bas imul, ña ao-
woñu alan, aba panuñu, ña mam
ñenitehe, ña piteli ñajen, omos
ña ma, hañu ma panuñu, ñanive,
aba panuñu“ engade ibol.
Dann trat seine Mutter herzu und holte aus dem Felde
eine Zauberpflanze, trat herzu, zerrieb sie in der Hand mit
Wasser, warf sie ins Meer und ging in die Tiefe. Dort
stieg sie empor und rief von weitem: „Krokodil!“ sie schrie:
„Krokodil, willst du mich erschlagen?“ Das Krokodil ant-
wortete: „Ich bin kein [wirkliches] Krokodil, ich bin Bilaua1)
unser Ahne. Oh, der Vater wird mich nie erschlagen, ich
bin Bilaua, unser Ahne. <Er ist in mir lebend zurück-
gekehrt (ich bin lebend, er kehrt zurück).) Ich bin ge-
fräßig. Gib mir Opfer (Sachen, Gaben), [so] werde
ich den Vater nicht angreifen. Ich liege hungrig da, gib
du mir meine Speise, so werde ich essen, gib mir
Opfer.“
So sprach es.
Auf meine Bemerkung, daß Sisao die Sage noch weiter in der Form erzählt habe, daß
die Mutter dem Krokodil nach dem Gautafluß (Prinz-Heinrichhafen) gefolgt sei und von ihm
abwechselnd Menschen und Krokodile geboren habe, erwiderte Ngomu: vongei masilo He,
tinan vadan iletehe. Das Krokodil ging ins Meer weg, seine Mutter ist nicht hinterhergegangen.
Dann setzte er von selbst hinzu; hanu tibunu nian bilaowa belani; vongei hanu tibun,
meveg na vongei nanindehe. Wir nennen den Namen meines Ahnen Bilaua, das Krokodil
ist mein Ahne, dazu [deswegen] esse ich kein Krokodil.
Die zweite totemistische Sage, in der das Schwein Ahne ist, erhielt ich von meinem
Gewährsmann Ngomu und seinem Landsmann Kankan unbeabsichtigt bei einer Unterhaltung
über Haustiere, auf meine Frage, ob etwa die Schweine auf Bilibili von anderwärts her ein-
geführt wären.
Die nachstehende Fassung hat mir Ngomu diktiert; da es eine meiner letzten Aufzeich-
nungen war, habe ich den Text nicht so oft mit ihm auf Richtigkeit prüfen und in allen
Einzelheiten durchsprechen können, wie die meisten anderen, so daß mir ein Teil nicht ganz
verständlich geblieben ist (s. Anm. auf S. 6).
muñ bor he.
mindir tomol i taindi jamb dile.
dileg tain matu jambañ He, tain
mirim i jambañta He. Heg tain
matu hiñan ma dinaip dipenig
jeni. ma ñarndep dipoug dipeni,
neleg idu. tain mirim ihe, i piteli
idu. idug dalndeg: ,,kaka, ma
holalep tanivo“ ibol. iboltag tain
matu: ,,gana tadupa, dalndep
ñeholalbe, tanibe“ eñgade ibol.
didug daltalo: „kaka, ma hola-
Früher gab es keine Schweine.
Ein Mann aus Mindir2) und sein Bruder gingen zusammen
in die Berge. Der ältere Bruder ging in ein Bergdorf, der
jüngere Bruder ging in ein anderes Bergdorf. Für den
älteren Bruder kochten sie Yams, gaben ihm, und er aß;
dann banden sie [ein Bündel] gekochten Yams und gaben
es ihm. Er nahm es und ging heim. Der jüngere Bruder
hatte nichts [bekommen], er ging hungrig heim. Unterwegs
sprach er: „Bruder, knüpfe die Yams auf, wir möchten
essen.“ Obwohl er so sprach, sprach sein älterer Bruder
so: „Später, wenn wir weitergehen, unterwegs werde ich
aufknüpfen und wir werden essen.“ Sie gingen weiter, auf
1) bilaowa ist für die Sippe durchaus nicht „tabu“, wie anscheinend es in Bilibili überhaupt kein Verbot
gibt, Namen von Verwandten auszusprechen, bilaowa ist z. B. auch Rufname für Schweine. Sprachlich
erinnert das Wort über Vuvulo (Maty-Insel): pilaua = Fremder an Neu-Pommern: aperau = Fremder, das auf
Malayisch prau = Segelfahrzeug zurückgeführt wird. 2) Mindir, Dorf an der Maklayküste.
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1L1BILI
67
lep tanivo“ ibol. „gana talap
hande amb vadandep tamandepa
tanibe“ ibol. tain mirim buben
alan, didug amb vadande: ,,kak,
та holalep“ ipei. ipeig tain matu
ibol: „gana; en umandep fialap
nabeöp ñasop tanibe“ ipei. ipeig
„ao“ ibol. та fiar ailo señeni,
señenig ikukindeg i beöve Не.
ilendeg tain mirim idug var ipe-
sini, pesinig livonlo inou — i bor
buli, var i permat buli. bor bulig
He, Heg tain matu vadan suleg
hire, tain matu ibol: „o vair ala,
kobol alan пои, haúu vadañ
ñabedke waninde, kobol и alan
пои“ ibol. ibolndeg tain matu i
jaög bañ idu. idug Unan ibol:
„tai domde He“? ibol. iboltag
tomolmeibol:,,kakganagisande.“
eñgade ibol.
ib oiga journdeg ondeg idu,
livon permat indi idu. idug tinan
ibol: ,,o kobol alan nou, bor
bulad use.“ ibol. idug i bor buli
idug, bañ itor. itorlag tain ibol:
„bañbañ disai“, tain idug, lu bule,
buleg journdeg sese, niman sese,
amb paruklo sese Hour, itourndeg
tain nali inou. bañbañ dise. diseg
dimandeg tain bala jebi, bala
jebig hiñan bali badam bede-
meni, bedemenig hiñan bula ibu-
ruan, mal huneri, hiñan ju kubu
ñeleg, talad pesini kubulo ipou,
ipouga ñeleg ise, tain isaive ise.
iseg niman bise, biseg tain isaive
itor. itorndeg tain i aowan buli,
bulig: ,,o kak, af usuoñuve
utornde?“ ibol. iboltag tain Нед
giginde Ha . italag imulga ise.
iseg ipei: ,,o kak, o muñ bor
bulad, at uve tomol hiñandin
ogmu ubolnde? bein, o benipabor
einem anderen Wege [= nach einer Weile] sprach er; „Bruder,
knüpfe die Yams auf, wir möchten essen.“ Er antwortete;
„Später, wenn wir ankommen, hinter dem Hause werden wir
sitzen und essen.“ Der jüngere Bruder wurde traurig. Sie
gingen weiter, und hinter dem Hause sagte er ihm; „Bruder,
knüpfe die Yams auf.“ Der ältere Bruder antwortete ihm;
„Später, bleibe du hier, ich gehe austreten, wenn ich komme,
werden wir essen.“ Als er ihm das gesagt hatte, sprach er:
„Jawohl.“ Er hängte die gekochten Yams an einen Ast.
Als sie hingen, ging er weg, um auszutreten. Als er weg-
gegangen war, trat der jüngere Bruder herzu und löste den
Bindfaden, mit den Zähnen machte er es — [da] wurde er
ein Schwein, der Bindfaden wurde zu Eberzähnen.1)
Als er ein Schwein geworden war, ging er hin und wühlte
den Kot des älteren Bruders [mit dem Rüssel] auf und warf
ihn [umher]. Der ältere Bruder sprach; „Du schlimmer
Zauberer2), du treibst arge Künste; meinen Kot, den ich
gemacht habe, frißt du, du treibst die Kunst arg. Der ältere
Bruder entfernte sich und ging zum Dorf. Seine Mutter
sprach; „Wohin ist dein Bruder gegangen?“ Jedoch dieser
Mann antwortete: „Der Bruder kommt später,“ So sprach er.
Als es Abend wurde, ging [jener] dorther, die Zähne in
Eberzähne verwandelt (zusammen mit seinem Zahn, einem
Eberzahn) ging er herzu. Seine Mutier sprach; „Du hast
arge Künste getrieben, du bist ein Schwein geworden, [so]
bist du gekommen.“ Er, der ein Schwein geworden war,
trat herzu und lief im Dorf umher. Sein* Bruder dachte:
„Die Nachbarn erstechen ihn.“ Sein Bruder ging, drehte einen
Strick, abends fesselte er ihn, fesselte seine Hände, unter
dem Hause band er ihn an, da stand er. Dann berief sein
Bruder eine Versammlung. Die Nachbarn kamen und blie-
ben. Unterdes schmückte der Bruder sich, hing seinen
Rucksack'*) um, band seinen Halsschmuck4) um, zog seinen
Gurt fest, ergriff seinen Tanz(?)speer, knickte Zierpflanzen
ab und band sie an den Tanzspeer, ergriff ihn und kam,
um seinen Bruder zu erstechen. Er erhob seinen Arm und
schritt hin, um seinen Bruder zu erstechen. Wie er dahin-
schritt, bekam sein Bruder die Sprache wieder (er wurde
Mund) und sprach: „O Bruder, was kommst du gegangen,
um mich zu erstechen?“ Aber sein Bruder ging abseits (?)
und weinte. Nachdem das Weinen vergangen war, kehrte
er um, kam und sagte zu ihm: „O Bruder, der du schon
ein Schwein geworden bist, wozu sprichst du mit Menschen-
sprache? Hör’ auf, oh hör’ auf und sprich mit Schweine-
clie Spitze di^W6' ^UrC*1 Ausbrechen der Eckzähne des Oberkiefers so lang und kreisförmig ausgewachsen, daß
der Südsee ^ berührt, sind der wertvollste Schmuckgegenstand an der Astrolabebai und anderwärts in
geeignet ' ry °* ^ naC^ ^em ^aul:>en ^er Eingeborenen in der Gegend besonders zur Verzauberung
) ie Männer tragen einen kleinen mit Hundezähnen (bali) besetzten Rucksack, aus Fäden ge-
il einer Anmerkung zur ersten Sage beschrieben.
knüpft.
68
OTTO DEMPWOLFF
hinandin gomu ubol“ ipei, ipeig
haon ise, iseg ju bise, bisendeg
tainme bor hinandin gomu ibol.
ibolg: „aria, ganaga ujanme,
ehgadep huswaòbe“, ibol „hembas
bahbah he horendeke diseg di-
mande“ ibol. ibolg iseg tain isei,
seiga „a“ ibol, ibolga bor ibol:
„o kak, niohu nimoiìu patarihu
tihaihu nahohu bahbah pinindi,
jaihu permat livohu permatme
bahta so pinindimoi, me o uhal,
halep livohu permat pasipa naop
ijen. amb hiben usas, o amb
seseke ponuhu, ha hibohu haman-
dove. ha ondi tamandebehe“, eh-
gade ibol, ,,o rei vahdep ujo.
moundep sao rien, timu rien,
masi rienme o ujobehe. me ha
hajove“; ibolg ,,o ma naipa, ha
hutohupa,ha hajobe“. ehgade ipei.
ndep tain bor bulike imat.
imatga tain ile, ileg suli hele,
heleg ise lahalah inou, tain jo-
were jowereg iseg memeri. me-
merig heleg iseg tele, badirlo
itele, iteleg nien ipesig, niman
ipesig, masapen ipesig, pataren
ipesig, tihain ipesig, bahbah
penindi. penindindeg gumbu ti-
bundin ivadanga ile, ileg ibol:
„hahu bor dom?“ ibol. tomoime
idug: ,,o muh domde ule?“ tain
matu ipei: „usop, borujan uhalbe.
utorlag, and lat ise, iseg use, o
bor tihain uhalove.“ ibolg bor
tihain ipeni. ipenig jowereg ise.
iseg: „geija, menelo hepitiveno“
— „joùme sesirmok, henihaònde,
pik ulapa, me beni jaowara.“
ise, iseg: „geija menelo hepiti-
veno“ — „he, me sesirmok, heni-
haònde, pik ulapa“ ipei. ipeig
spräche.“ Als er ihm [dies] gesagt hatte, kam er wieder und
hob seinen Speer, da sprach dieser, sein Bruder, mit Schweine-
sprache. Da sprach er: „Vorwärts, später [mag] es gut sein,
also werde ich dich erstechen, [so] habe ich die Nachbarn
nicht umsonst belogen, die gekommen sind und warten.“
Mit diesen Worten kam er und erstach seinen Bruder, in-
dem er „Ah!“ rief. Da sprach das Schwein: „O Bruder,
meine Beine und Arme, meine Brust, meine Eingeweide und
mein Fleisch gib den Nachbarn, [aber] meines Unterkiefers
Eberzähne, diesen meinen Zahnschmuck (meines Zahnes Eber-
zahn) gib keiner anderen Sippe (Dorf), diese nimm du,
mach’ die Eberzähne los und behalte sie. Dann baue ein
Haus für sich, und gib mir das Haus, das du gebaut hast,
ich will allein [darin] wohnen; ich und du zusammen werden
nicht darin wohnen.“ Und er fuhr fort: „Fahre zu Schiff
fern nach Osten.1) Im Norden ist großer Regen, großer
Wind und hohe See, [dorthin] fahre du nicht. Ich will dort-
hin fort.“ Er sprach: „Wenn du Yams kochst und mich
sättigst, werde ich mich entfernen.“ So sagte er ihm.
Dann starb der Bruder, der ein Schwein geworden war.
Als er tot war, ging sein Bruder weg und holte trockene
Kokosblätter, kam und legte Baumstämme lang, schleppte
seinen Bruder herzu und sengte ihn ab. Dann zerlegte er
ihn, mit einem Messer zerlegte er ihn, die Beine löste er,
die Arme, den Rücken, die Brust, die Eingeweide löste er
und gab sie den Nachbarn. Dann ging er hinter [das Dorf]
der Vorfahren der Gumbuleute2) und dachte: „Wo ist mein
Schwein?“ Da trat dieser Mann3) herzu und sagte zu ihm:
„Woher bist du schon gegangen?“ [Er antwortete:] „Komm
schon, und du wirst ein gutes Schwein holen. Wenn du
weiter geschritten sein wirst, und die Sonne hoch gekommen
ist, wirst du ankommen, um des Schweines Eingeweide zu
bringen.“ Mit diesen Worten gab er ihm des Schweines
Eingeweide. Der trug sie und kam. [Nach einer Weile]
sprach; „Vetter, hier möchte ich sie wohl aufschlitzen.“ -
„Das Wasser ist sehr nahe, ich sehe dich, gehe ein bißchen
weiter.“ Er kam weiter; „Vetter, hier möchte es wohl auf-
schlitzen.“ - „Nein, es ist sehr nahe, ich sehe dich, geh’ ein
bißchen weiter,“ sagte er zu ihm. Da hob er des Schweines
Eingeweide auf und trug sie weiter. Er kam zum Labui-
hafen1) und ging ins Süßwasser. Ins Süßwasser legte er
1) Mit dem Worte rei = Osten wird die Maklayküste der Karten bezeichnet. Indem der Erzähler das
sterbende Schwein von Schiffahrt sprechen läßt, vergißt er, daß der Ort der Sage Mindir an der Maklayküste
liegt, und bleibt bei seiner Anschauung als Bewohner der Insel Bilibili, von der aus Rei nur über See erreichbar
ist. 2) Qumbu, Dorf am Konslantinhafen. 3) Wer „dieser Mann“ ist, und wer jeweils das Subjekt der
folgenden Unterhaltung ist, habe ich zu erfragen versäumt, so daß der Rest dieses Absatzes unverständlich bleibt
und hier nur um der philologischen Vollständigkeit willen nicht unterdrückt wird. 4) Ein Bach Labui mündet
westlich Gumbu hafenartig in die Astrolabebai,
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1LIB1LI
69
bor tiúain biseg joivere. iseg iseg
labui ilon ile, ileg joülo, joülon-
deg bor tiúain inou. moug ibob
„geija!“. tag iloñtehe. taor ñeleg
bibi. bibitag iloñtehe. „menelo
ùepitibe“ ibol. ibolga badir ma-
tan pitig ñeleg bor tiñain piti,
pitig ende ñeleg ileg ende piti.
pitig labui ilon bor tiñain he,
i mirberab itornde, i bor tibun.
ndeg bor permat tainmos pesi,
pesig i amb hiben seseg ijende.
hiñan bañlo iliñandehe, i hibekete
tiñlan to ibolp imande, i bor per-
mat ijende, mindir bañ, o muñ
hiñan badilo ijende. tomol gugul
i dinahindehe, bodilo ijende. hiñan
tibunmos dinahinde. indirne tana-
hibehe, tasabehe, masi loünde
tapadalbe. permatmos hande vañ
terpaleb hunaindebe. hande bañ
tasabehe.
amar hibin imande, mindir
tomol irnos inahinde jabinde,
bañbañ gugul he.
eñgade hema.
des Schweines Eingeweide. Dann schrie er; „Vetter.“ Je-
doch er hörte nichts. Er nahm sein Muschelhorn und blies.
Jedoch er hörte nichts. [Da] sagte er: „Hierin werde ich es
aufschlitzen.“ Dann wetzte er ein langes Messer, nahm es
und schlitzte des Schweines Eingeweide, dabei ging er hin
und her und schlitzte es auf.
Während er schlitzte, war das Eingeweide des Schweines
nicht im Labuihafen [= es verschwand?], es geht als Geist (?)
umher, es ist der Schweineahne.
Darnach löste der Bruder des Schweines Eberzähne. Dann
baute er ein Einzelhaus, da liegen sie. Bei ihrem Platz
(Dorf) flüstert er nicht, er ganz allein lauscht dort schwei-
gend (sitzt, indem sein Ohr „stille“ sagt). Sie, des Schwei-
nes Eberzähne, liegen da, [im] Mindirdorf, in ihrem ganz
alten Topf liegen sie. Alle [anderen] Menschen sehen sie
nicht, im Topf liegen sie. Nur ihre Enkelschaft sieht sie.
Sie liegen da, wir werden sie nicht sehen. Wir würden
(werden) nicht heimkommen, auf offenem Meere würden wir
ertrinken (fallen). Die Eberzähne würden unser Boot zer-
stören (zerbrechen) und uns erschlagen; zu unserem Dorf
würden wir nicht heimkehren,
Amar wohnt allein. Er sieht die Mindirleute und beschützt
(betastet) sie, alle Nachbarn nicht.
So ist der Schluß.
Auf meine Frage, was amar bedeute, erhielt ich die Antwort, amar peimat tibun m
tomol. Amar ist der Eberzähneahne, der Mindirmann.
Über die Beziehung von Bilibili zu Mindir bekam ich die Auskunft; mindir mun hama agei.
Die Mindirleute waren früher unsere Feinde.
II.
EINE HEILBRINGER-SAGE.
Der Rheinische Missionar Hoffmann hat auf 6 Z . , jy^anUmbu erwähnt, mit deren
Astrolabebai verbreitete Sage von dem Brüderpaar 1 1 ° . Wiedergabe des Inhalts dieser
Tätigkeit die Eingeborenen ihre Herkunft erklären. n seine ^ , en(^ ihm bekannte Variante.
Sage anknüpfend, erfragte ich von meinem Gewährsmann ie ’ Übersetzung aus-
Daß sein Diktat nicht ganz einwandsfrei ist, werde ich im Anschluß
einandersetzen.
bezeichnet ^e^sc^en Missionaren jener Gegend pflegte diese Sage als Schöpfungsmythos
der Ah]16 Unt^ ^6r ^ame Kilibob mit dem Wort Schöpfer wiedergegeben zu werden. Aus
1906 S von Ehrenreich „Götter und Heilbringer“ in der Zeitschrift für Ethnologie
ei e 536ff. entnehme ich den obigen Titel, der mir passender erscheint.
70
OTTO DEMPWOLFF
Kilibob hiñan tain mirim ma-
numbu.
manumbu i vatuve itande, itan-
deg loii He. ilendeg manumbu
evan ban surueni. kilibob i hui
deleg ndoruve jaö, ijaöga burbur
itor, iseg mulik pene bedeni, ndeg
tu iseg badate idu, idug manum-
bu evan nehi, nehig dele, ideleg
ideledeni, deledenig ibol: ,,o, tu
vari gereke ujan mok, tomol eit
hinan tu?“ deleg ileg amblo inou,
inoug ijendeg kilibob idu, idug
ibol: ,,hadu tu dom?“ manumbu
evan ibol: „amblo donoug ijende.“
„dalep usop ponudu“ ibol. ibolg
pain deleg idu. painme ibol: „tu
vari ujan mok, kobol ujan mok
ugereke. dahadu dilodu edade
ugar“ ipei. ipeig kilibob ibol: „da
damai.“ ibolg paini gagaon inou:
„hadu dilodu ugarve.“ kilibob i
ileg jalid titi, ileg dalat idele, ise.
pain dadir pesi, i tande ijen. *z
lande ijendeg kilibobmos dalat
deleg hunduman gaten dalatlo
hunig; mat alud ijendeg, jalidlo
hunduman gaten gere. gereg dar
idu. simiag daran deleg ise, iseg
dar soli, sotig masilo hire, bireg
masimos reig loii He.
ileg manumbu i ieve rai inou,
inoutag ie he, simiag iseg railo
He. manumbo rai bise, biseg simi-
ag nehi, dehig ibol: „mene aiata
alantg ise railo He?“ ibol. pesig
hire, haon rai inou, inoutag simi-
ag haon iseg railo He. iletag
rai bise, nehig: ,,o ababa alan
gaidegaide isendeg railo Hände“
ibol, deleg vadlo inou.
ndeg timi ipolu, ipolug bainde
irei, ijog ise, isendeg bari ibolg
iman iholeni, holenig iseg ibalve,
"indeg masi rien imais ise, iseg
'palndeg evan polug ise, iseg
sam jebi, jebindeg manumbu
mah* rere, rer eg ilelag evan
'lien nehi, dar idug nehi, kobul
Kilibobs jüngerer Bruder war Manumbu.
Manumbu fährt von Land, um mit Reusen [zu fischen].
Von Land ging er auf die hohe See.
Während er weggegangen war, fegte Manumbus Gattin
das Dorf.
Kilibob nahm seinen Bogen und entfernte sich um der
Vögel willen; so schritt er durch die Wälder. Er kam und
verfehlte beim Schießen eine Taube. Da kam der Pfeil auf
den Dorfplatz hinunter. Ihn sah Manumbus Gattin, hob ihn
auf, betrachtete ihn und sprach: „Ei, [man] hat den Pfeilschaft
verziert, [er ist] sehr hübsch, welches Mannes Pfeil [ist es]?“
Sie nahm ihn, ging fort und legte [ihn] ins Haus. Als er
da lag, trat Kilibob herzu und sprach: „Wo ist mein Pfeil?“
Manumbus Gattin antwortete: „Ich habe [ihn] ins Haus ge-
legt, da liegt er.“ — „Hole [ihn], komm und gib [ihn] mir,“
sprach er. Da holte die Frau [ihn] herbei. Die Frau sprach:
„Der Schaft des Pfeiles ist sehr hübsch, du hast ihn sehr
hübsch kunstvoll verziert. Verziere mir ebenso meine Scham,“
sagte sie zu ihm. Da antwortete Kilibob: „Ich mag nicht.“
Aber die Frau drängte ihn: „Meine Scham sollst du tatau-
ieren.“
Kilibob ging fort, zerklopfte einen Feuerstein, ging fort,
holte Färbekraut und kam [wieder]. Die Frau löste [ihren]
Schurz und lag auf der Erde. Als sie auf dem Boden lag,
nahm Kilibob das Färbekraut und rieb mit dem Färbekraut
ihren Venusberg ein; auf einem Baumstamm (?) liegend,
tatauierte er mit dem Feuerstein ihren Venusberg. Dabei
floß Blut heraus. Er holte rotes Moos, kam [zurück], wischte
das Blut ab und warf es ins Meer. Das Meer zog [es] auf
die hohe See.
Manumbu warf der Fische wegen das Netz, aber keine
Fische, das Moos kam und ging ins Netz. Manumbu hob
das Netz, sah das Moos und sprach: „Was ist hier wohl für
ein schlechtes Zeug gekommen und ins Netz gegangen?“
Er machte es los und warf es weg. Wiederum warf er das
Netz, wiederum kam Moos und ging ins Netz. Er hob das
Netz, sah hin und sprach; „O, schlechte Sachen kommen
immer wieder und gehen ins Netz.“ Er nahm [es] und legte
es ins Schiff.
Dann kam eine Brise auf, er zog das Segel [hoch], er
entfernte sich und kam. Unterwegs sprach er Zauber, wusch
seine Hand, und kam um zu landen. Als er sich näherte,
erhob sich eine große See und kam [rollte eine große
Welle heran]. Während er so landete, kam seine Gattin
gelaufen und ergriff den Ausleger. Als sie ihn ergriff [und
dabei sich hochschürzte] richtete Manumbu seine Blicke auf
die Scham seiner Gattin, sah Blut herausfließen und sah
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BILIBIL1
71
fiunduman gaten nehi. nehig
ibol „o painme dihen eitmos di-
lien kobul gere?“ ibol (matain
iboltehe, ilonmoi ibol) ibolg ban
ile, bandeg daremlo imandeg,
euan ma sereni, serenig neleg
ileg ipeni. penig manumbu i
kesu nele, neleg bireg paruklo
ile. ileg iveni, evan ipei: ,,usop,
hanu sai paruklo ibalg ile, usop
nelep ponunu“ ibol. evan iseg
paruklo ile, ileg: „sai hahalnde“
ibolg manumbu i ma tor vana-
nan gugul sereni, idug evan ma-
sapen neni. pain i ibol: „o tor
neniununde“ ibol, masi tin idu idug
ileg fioni buli. bulig masi tinlo
die Kunst am Venusberg. Da sprach er: „0, wer hat die
Scham der Frau künstlich tatauiert?“ Laut sprach er nicht,
nur zu sich sprach er.
Dann ging er ins Dorf. Während er im Männerhaus saß,
trug seine Gattin das Essen auf, nahm [es], ging, und gab
[es] ihm. Manumbu nahm den Löffel, ließ ihn hinunter-
fallen, rief und sagte zu seiner Gattin: „Komm, meine
Muschel ist hinuntergefallen, komm, hole [sie] und gib [sie]
mir.“ Seine Gattin kam, ging nach unten und sprach: „Ich
hole die Muschel.“ Manumbu schüttete die ganze heiße
Yamsbrühe hinunter, [so daß] sie den Rücken seiner Gattin
verbrühte. Die Frau schrie „Au! die Suppe verbrüht mich“;
sie sprang ins tiefe Meer und wurde eine Schildkröte,1) So
verwandelt ging sie ins tiefe Meer. Manumbu saß kummer-
voll da.
ile. manumbu buben alan imande.
painme nanun makan tomol,
su jenike, nanun painta rien,
painme liun pepeni, neleg idug
lande iveni, tinan iveni: „nen o
kak su imate, kabo kaboka“
engade iveni. ivendeg tinin Hon,
ilonga tinan ise, iseg irinde imais,
imaisga nanun makan su penig
jeni. jenig las neleg su pipi,
pipi g peni: „journdep fialep ulap
panip jani“. tinan engade ibol.
ibolg mesilo idu. idundeg nanun
pain liun pepenig ban dile. dileg
taman ibol: „sume eitmos pipi,
penig neleg use?“ engade ipei.
aipain ibol, taman ipei: „he, nen
ileg masi tinlo ileg, tinin alan,
i honi buli“ taman engade ipei.
taman i ibol; „boilap haon udup
uvanipa, tinavanip isa. ndep
na nanahive.“ engade ibol. ibolg
bog dijen. seselig liun pepenig
idu. idug imandeg taman iseg
mumunig itour, itourndeg aipain-
me tinan vefii. veiiig ise, iseg
taman nehi, nehig ibol: „o hanu
pain tinin alan, i honi buli, he!“
Diese Frau [hatte] einen kleinen Knaben, der die Brust
bekam, und ein großes Mädchen, Dieses Mädchen hockte
ihr Brüderchen auf, ging mit ihm zum Meer hinunter und
rief am Strande ihre Mutter: „Mütterchen, o Brüderchen
durstet nach Milch zu Tode, ...?.. ,2)“ Also rief sie.
Da hörte die Mutter ihr Rufen, kam heran, stieg in der
Nähe (?) ans Land und gab ihrem kleinen Kinde die Brust
zu trinken. Dann nahm sie eine Schale, drückte die Brust
aus und gab [die Milch der Tochter] mit den Worten:
„Abends nimm und geh und gib ihm zu trinken.“ Dann
ging die Mutter ins Meer.
Die Tochter hockte den Bruder auf und sie gingen ins
Dorf. Da sprach ihr Vater: „Wer hat diese Milch ausge-
drückt und ihm gegeben, mit der du herkommst?“ Das
Mädchen antwortete und sagte zu ihrem Vater: „Nein, die
Mutter kam aus dem tiefen Meer, ihr Körper ist häßlich,
sie ist eine Schildkröte geworden.“ Ihr Vater sprach:
„Morgen geh wiederum hin, ruf sie; wenn du deine Mutter
rufst, kommt sie. Dann will ich sie sehen.“ So sprach er.
Nachts schliefen sie. Tags drauf hockte sie den Bruder auf
und ging hinunter. Als sie angekommen war, kam ihr
Vater und stand verborgen. Während er dastand, rief das
Mädchen seine Mutter. Die kam auf den Ruf, da sah sie
der Vater und sprach: „Oh, meine Frau ist häßlich, sie ist
eine Schildkröte geworden, pfui!“ so sprach er und weinte.
Dann ging er fort ins Dorf und blieb dort. Unterdes gab
die Frau ihrem Kind die Brust; als es getrunken hatte,
l <;phildkröte aus sprach-
isl die Übersetzung honi (hum) i - Sb ein Dugong
1) Nach brieflicher Mitteilung des Vecfasser ®- 1|eicht annehmen können, P % Luschan).
liehen Gründen einwandfrei; man wird aber trotzd eigenartige Absender g ■’ ¡,abokaboka war
gemeint war; dazu würde dann das Milchgeben unddte. K ^ Bedeutung des Schluss
2) Diese Worte werden als Beschwörungsformel g &
meinem Gewährsmann angeblich unklar.
Baessler-archiv i. 2.
10
72 OTTO DEMPWOLFF
eñade ibol ibolg itaga bañ ile. Heg imandeg painme nanun su penig jeniga i masi tin idu, idu- ndeg nanun pain i liun pepenig i bau ise. iseg imandeg taman ibol: „o bañbañ, añ rain abulep, dobe osai, asaipa hañu pain tabive“. ibol ibolga tomol he i ndoru mulik, ala, boni, sihu, kenke, ndorndor gugul rain dubule, du- buleg dob disei. diseindeg keri- kendu Heg rain buie, bulendeg ala boni makak idiñeñ: „o kerikendu, ome tomol ria he, orne nimapikpik, nia pikpik, aowa makan, dodog o bobuve o penduve ? rain ubulande“ kerikendu ibol: „ao añ amuñ alap, dob onaobe, ñame vadande ñonaobe“ eñgade ibol, ibolg dob disei. tomoime manumbu idug bor jebi, jebig sei, seiga inei, ineig serenig ñeleg iseg ndoru- ndoru penindeg dijeni. dijenindeg tuan dibire, dibireg ile abur bu- buni. kerikendu i ileg bor tuan iñeleg abur soti, sotig ijeni. bor diani benig dimais dob deñale dileg metilo dob disei, diseig ijendeg, kerikendu i hiñan dob makan ñeleg ileg o vadande inou. ijendeg i dob dobihun imande, mumunig imande, ima- ndeg dileg duri painme durig ise, iseg hiñandin dob ufan ufan ñelendeg perigisip inounde. ndeg boni ile, ileg ileg dibol: ,,o ilande“ dibol. ileg kerikendu hiñan doblo ile. kerikendu i jebi, jebig biseg peteñeninde: „mene anahije?“ ibol. ndorundoru id- ibol: ,,o kerikendu tvabi gagaon, so benimoi“ dipei. dipeig keri- kendu buben alan, i bor tuan dibireke ñeleg jenikwi, imañu. honi bireg masilo ile. tauchte sie ins tiefe Meer, ihre Tochter hockte den Bruder auf und kehrte ins Dorf zurück. Als sie zurück war, sprach ihr Vater: „Oh Nachbarn, dreht Schnüre, flechtet Netze, wir wollen meine Frau fan- gen.“ [Es waren aber] keine Menschen, die Vögel, Taube, Krähe, Nashornvogel, alle Vögel drehten Schnüre und flochten Netze. Während sie flochten, ging der Zaunkönig1) fort und drehte [seine] Schnur, da schalten die Krähe, der Kakadu: „Oh Zaunkönig, der du kein großer Mann bist, der du winzige Hände, winzige Füße und einen kleinen Schnabel hast, was willst du schreien und pfeifen? du drehst Schnüre!“ Der Zaun- könig antwortete: „Ja, ihr werdet vorangehen und das Netz werfen, ich werde dahinter werfen.“ So sprach er und sie flochten die Netze. Der Mann Manumbu ging hin, ergriff ein Schwein, erstach es, kochte es, richtete es zu, nahm es, kam und gab es den Vögeln; sie aßen es. Beim Essen warfen sie die Knochen weg, [so daß] der Sand sie be- schmutzte. Der Zaunkönig ging fort, holte die Schweine- knochen, wischte den Sand ab und aß sie. Als sie das Schwein fertig gegessen hatten, standen sie auf, holten das Netz und warfen es auf dem Riff aus. Als es da lag, holte der Zaunkönig sein kleines Netz und legte es ganz hinten hin. Als es lag, setzte er sich verborgen auf den Netzgriff. Während er da saß, gingen sie fort, holten [das Netz] ein, holten diese Frau ein, sie kam, nahm ihr sehr gutes Netz, zerriß (?) es und ging als Schildkröte davon. Als sie davon ging, sprachen sie: „Oh sie geht fort!“ Sie ging fort in das Netz des Zaunkönigs. Der Zaunkönig ergriff sie, hob sie hoch und zeigte sie ihnen: „Ihr seht diese hier doch wohl?“ sprach er. Die Vögel sprachen: „Oh Zaunkönig, halte fest, laß nicht los“ sagten sie ihm. Der Zaunkönig war ärger- lich; weil er die Schweinsknochen genommen und gegessen hatte, die sie weggeworfen hatten, grollte er. Er warf die Schildkröte, sie ging ins Meer,
1) Kerikendu ist ein ganz kleiner Vogel, dessen zoologische Bezeichnung ich nicht weiß, die Übersetzung
mit „Zaunkönig“ ist in Anlehnung an das deutsche Märchen ein Notbehelf; ebenso konnte ich die Übersetzung
von boiri und kenke, offenbar zwei Arten Vögel, nicht ermitteln.
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BIL1BILI.
73
Heg baúbañ diñen: „o keri-
kendu, o god nou, tomol hiñan
pain bireg masito ile.“ kerikendu
„ao“ ibol „hiñemi bor nañon eni,
tuan iberega, aburlo Heg, ña-
ñeleg ñeni“ eñgade ibol. ,,meve
bubeñu alan, honi ibireg He.“
ibolga tomoime manumbu Heg
boria jebi, jebig ñeleg isei, iseiga
inei, ineig sereni. ,,o kerikendu,
o usop bor wani. ndep hañu pain
wabi. ndorundoru i tuendin bo-
dok.“ eñgade ibol. kerikendu
iseg bor jeni. jenig kerikendu
ibol: „aria, mirme tala“ ibolg
dile. dileg dob disei, diseindeg
kerikendu i Heg vadande hiñan
abigulo dob isei. iseig honi durig
ise iseg hiñandin dob ufan ñele-
ndep pergesig inoundeg He . ,,o
Hände“ dibolndeg ise. iseg, iseg
kerikendu hiñan doblo He. Heg
kerikendu imais jebi: „hahaha
o ñebig ijendediseg su dipou,
dejaoware deñaleg dile dileg
bañde dinou. dinoug ijendeg
painme i muñ masi tin ileke,
tinin alan, i honi bulike, itandeg
miaron alan tibilan idu. ma-
numbu evan imui. imuig masito
dibire, dibireg He.
manumbu ibol: „o kilibob, da-
rem tasasuve“ ibol. ibolga bañ-
bañ ipeinde: „bañbañ asop sulum
esigani“ eñgade ibol. ibolg bañ-
bañ dise, diseg sulum di si g eni.
disigenitag alanalan disi geni,
manumbu iseg nehi; nehitag
alanalun, bañta ipeinde. diseg
disigeni, disigenitag alan, alan-
kwig journdeg idug, manumbu-
mos kilibob ipei: ,,o kak bañ-
beñ sulum disigenindeg alaude,
hibed bañ maraonde odupa su-
lumta siganip tanahi ujanbe
tombo“, eñade ipei. kilibob ibol
,,o bañbañ disigenmdeje, manejo,
ind atwe tesiganive?“ seselig
bomuñ kilibob idug adiu malan
Da schalten die Nachbarn: „Oh Zaunkönig, du betrügst,
hast des Mannes Frau weggeworfen, sie ging ins Meer.“
Der Zaunkönig antwortete: „Jawohl, ihr habt das Fleisch
des Schweines gegessen, ich habe die weggeworfenen, in
den Sand geworfenen Knochen genommen und gegessen,“
so sprach er, „deswegen bin ich ärgerlich, die Schildkröte
ist weggeworfen und weggegangen.“
Da ging der Mann Manumbu fort und ergriff ein
anderes Schwein, holte es, erstach es, kochte es und setzte
es vor. „Oh Zaunkönig, komm und iß das Schwein. Dann
fange meine Frau. Die Vögel sind zu schwach (ihre Knochen
sind schwach)“ so sprach er. Der Zaunkönig kam und aß
das Schwein. Dann sprach der Zaunkönig: „Vorwärts, jetzt
gehen wir.“ Da gingen sie, warfen das Netz, und der Zaun-
könig ging hinterher und warf das Netz mit seinem Steiß (?).
Die Schildkröte wurde eingeholt, kam, zerriß ihr gutes Netz
und entkam. „Oh, sie entwischt uns,“ riefen sie. Sie kam,
kam und ging in das Netz des Zaunkönigs. Da sprang der
Zaunkönig auf, ergriff sie: „Haha, oh, ich habe sie gefangen,
da liegt sie.“ Da kamen sie, banden die Brüste (?), nahmen
und trugen sie, gingen und legten sie ins Dorf. Als sie
dalag, die Frau, die früher ins tiefe Meer gegangen war,
deren Körper häßlich war, die eine Schildkröte geworden
war, da weinte sie, daß häßlicher triefender (?) Eiter (?)
herauskam. Manumbu mochte seine Gattin nicht [mehr].
Da warfen sie sie ins Meer, und sie schwamm fort.
Manumbu sprach: „Oh Kilibob, wir wollen ein Rathaus
bauen.“ So sprach er und sagte zu den Nachbarn: „Nach-
barn, kommt und schnitzt ein Bildnis.“ So sprach er; die
Nachbarn kamen und schnitzten ein Bildnis. Aber, was sie
schnitzten, war sehr schlecht. Manumbu kam und sah es
an; aber als er sah, daß es sehr schlecht war, sagte er es
zu einer anderen Dorfschaft. Die kamen und schnitzten,
aber was sie schnitzten, war schlecht. Weil es schlecht
war, ging Manumbu nachmittags zu Kilibob und sagte ihm;
„Oh Bruder, das Bildnis, das die Nachbarn schnitzten, ist
schlecht. Wir selbst wollen abseits (?) vom Dorfe ein
anderes Bildnis schnitzen, dann sehen wir, ob es vielleicht
gut wird.“ So sagte er zu ihm. Kilibob antwortete: „Ei,
die Nachbarn schnitzen doch, was soll dies doch, wozu
sollen wir schnitzen?“ Am andern Tage in der Dämmerung
ging Kilibob herzu, ergriff eine scharfe Klinge, und schnitzte
[das Bildnis] ebenso aussehend wie Manumbus Gattin; die
Hände meißelte er, die Füße schnitzte er ebenso meißelnd,
10*
74
OTTO DEMPWOLFF
jebi, jebig idug manumbu evan
eúgade teñenig sigeni. sigenig
niman tere, nien eúgade ter eg
sigeni, dilen hunduman gaten
teñenig sigeni. ijendeg dilen gere,
gereg üou ipou (sao hunip ala-
nde kwi sulum üou ipou). ijendeg
bañ idu. idug kilibobmos ma-
numbu ipei: ,,ulapa aialanta burlo
úonoug ijende. ulap unahi.“ ma-
numbu ile, Heg burlondeg üou
ipesi inehi; inehig ilonmo ibol:
„kilibob irnos hañu pain dilen-
gere“ eúgade ibol, idug baúdeg:
,,o sulum ufan sigeni“ ipei, ipeig
bagi tan desere. tan desereg
sulum dejaowareg didu, didug
dinoug ijendeg kilibob manumbu
Hon ula“ ipei. ipeig manumbu
pag imam, imamga laslo inou,
inoug Heg gaten lat inou, inoug
ijendeg gobugobu tan desere.
gobugobu iloumo ser eg He. üeg,
Heg manumbu hiñan amblo imais,
imaisga manumbu loslo He itour-
ndeg ibol: „aria, kilibob, bagi
bisap isa“ ibol. manumbu bagi
hun jebi, kilibobmos eúgade jebi
manumbu isei, iseitag manumbu
hiñan tan üou He, tan iloumo
üeg hiñan amblo imais mumunig
imande, imandeg ibol: „hañu
pain dilen gerekeve ñoswao, ba-
glio ñousuoñu, hundaman hiba
kobol alan noukwi ñuhunao“
eúgade ibol. manumbu begime
ai sulum pag imam las gugul
terpele pag imais bagi ibubuni
daran, kilibob ibol: „manumbu
ñuhunig dar idu.“ (ihunitehe
imumuni) eúgade ibol. manumbu
iloumo ibol: ,,o kilibob o hiba
alakwi ñiohuna“ eúgade ipei,
ipeindeg kilibob iloúdeg imande
ibol: ,,úa huúutehe, ña mumunig
úamande“.
seselig baúbaú dise, diseg di-
mandeg darem desese, deseseg
kilibob bor jebi maror inouve.
den Venusberg der Scham schnitzte er ähnlich. Liegend
zeichnete er die Scham, und hüllte [das Bildnis] mit Nipa-
palmblättern ein — weil es schlecht wird, wenn der Regen
es schlägt, hüllte er das Bildnis in Nipapalmblätter. Als es
dalag, ging er ins Dorf und sagte — er, Kilibob — zu Ma-
numbu: „Geh hin, ein schlechter Baum liegt im Walde, geh
hin und sieh.“ Manumbu ging hin, löste im Walde die
Palmblätter und sah. Da sprach er in seinem Inneren:
„Kilibob ist es, der meiner Frau die Scham tatauiert hat.“
So sprach er, und ging zum Dorf; dort sagte er zu ihm;
„Du hast das Bildnis gut geschnitzt.“ Dann gruben sie die
Erde für den Pfosten aus, trugen das Bildnis herzu und legten
es hin. Kilibob sagte zu Manumbu; „Gehe hinein.“ Da
kaute Manumbu wilden Betel (?), tat ihn in eine Schale,
ging und legte sie oben auf seinen Kopf. Die Termiten
gruben in der Erde, die Termite ging nur innen grabend
immer weiter, bis sie in Manumbus Haus hinaufstieg. Da
ging Manumbu in das Loch und stand da. Er sprach: „Vor-
wärts Kilibob, hebe den Pfosten, daß er herkommt.“ Ma-
numbu ergriff den Stumpf des Pfostens, Kilibob die Spitze.
Also griff Kilibob zu und stieß auf Manumbu ein — aber
Manumbu ging innen in seinem Erdloch weg, nur innen in
der Erde ging er, und stieg in seinem Haus heraus, wo er
verborgen blieb. Er sprach: „Weil du die Scham meiner
Frau tatauiert hast, ersteche ich dich; mit dem Pfosten stachst
du auf mich ein; weil du allein den Venusberg künstlich
schlecht gemacht hast, erschlage ich dich.“ So sprach er.
Manumbu hatte an dem Pfosten, dem Holzbildnis, die ganze
Schale mit dem wilden Betel, den er gekaut hatte, zer-
schlagen, der wilde Betel war hervorgespritzt und hatte den
Pfosten beschmutzt wie Blut. Kilibob sprach: „Ich habe
Manumbu erschlagen, das Blut kommt hervor.“ — Er hatte
ihn [aber] nicht erschlagen, er war verborgen, — So sprach
er. Manumbu dachte in seinem Herzen: „Oh Kilibob, weil
du wirklich so schlecht bist, erschlage ich dich.“ Wie er
so zu ihm sagte und wie er Kilibob hörte, blieb er und
sprach: „Ich bin nicht erschlagen, ich bleibe verborgen.“
Am andern Tage kamen die Nachbarn, blieben und bauten
das Rathaus. Während sie bauten, ergriff Kilibob ein Schwein,
um ein Fest zu bereiten. Das Schwein band er [aber] nicht
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BIL1BILI
75
bor jebig raiñhe, bur hiñan var
mambut vario bor sese. manum-
bu i hiñan ai gobugobu ipei:
„ulap burlo dahiu var tarep usop
raiñ bula, balapa bor usas.“
eñgade ipei. ipeig gobugobu ileg
dahiu var tereg iseg raiñ buleg
bor sese, bari seseg, ijendeg ki-
libob i bala jebi. bala jebindeg,
manumbu i amblo i eñgade bala
jebi, hiñan bali badam, hiñan bula
hiñan permat, hiñan bali kolekole
hiñan gue hiñan sar bala jebi,
hiñanivirlalaon sumsum bala jebi,
nien mariu sei, luán ardo sesesag
niman ari niman udun ari sei.
kilibob ipolu ibol: ,,o kak hiba
alakwi ñohuna“ipolundeg i eñgade
ibolndeg itandeg— bañate itandeg
tainve — ipolundeg, manumbu
imumunig imande, hiñan saowar
— karakar saowar — jowere
idug idug hiñan amb dal aowa
itour, mumunig itour. itourndeg
ibol, ibob: „o kilibob domonde
hunikwi ubolnde? ña hañu am-
blo ñamande“. eñgade ibob.
ibobdeg ipolu, ilendeg kilibob
hiñan bor var alan itaote, bor
bur dila beni. manumbu hiñan
bor dahiu vario raiñ buleke bor
seseke ujan dijen, itaotehe. ndeg
kilibob buhen alan ,,o tomolme
ñohunikeme ñabolkeme domde
imumunig imandene i mirme
idune?“ eñgade ibol.
ibolg manumbu ihiñan bor teleg
bañbañ penindeg deñale dijaó. di-
jaóndeg kilibob ibol: ,,o bañbañ
ju añal asop manumbu tuhunive“
eñgade ibol, ibolg ju deñele, dise,
diseg amb dililiti. eñgadeg dililitig
ditourndeg manumbu hiñan ai be-
gabeg gobugobu iseg ipei: ,,o mam
duhunaove dise, diseg dililitig
ditournde“ eñgade ipei. ipeig
,,ao, denip duhunuñuvo“ ibol.
mit Stricken, sondern mit Ranken aus dem Walde, mit
Windenranken.1) Manumbu sagte zu seinen Dienern, dem
Gewürm: „Geh hin, fälle im Walde Rotangranken, komm,
drehe einen Strick und binde ein Schwein.“ So sagte er
zu ihm; das Gewürm ging hin, fällte Rotangranken, drehte
einen Strick und band ein Schwein, band es fest. Während
es lag, schmückte sich Kilibob. Unterdes schmückte sich
Manumbu im Hause ebenso, schmückte sich mit seiner
Hundezahntasche, mit seinem Halsumhang, mit seinen Eber-
hauern, mit seinen Hundezahnperlen, mit seinen Muscheln
und mit seinen Vogelfedern, er schmückte sich mit seinem
Kasuarfederputz, legte seine Fußbänder an, schnürte seinen
Leib mit Geflecht, legte Geflecht am Arm, Geflecht am
Handgelenk an.
Kilibob lief und sprach: „Oh Bruder, weil du selbst schlecht
bist, schlage [erschlug] ich dich!“ Er lief und sprach also
und weinte — auf dem Dorfplatz weinte er um seines
Bruders willen. Unterdessen blieb Manumbu verborgen.
Seinen Muschelspeer aus Karkarmuschel2) trug er, trat
heraus und stand in seiner Haustür, verborgen stand er,
sprach und rief: „Oh Kilibob, weil du wo geschlagen hast,
redest du? Ich bin in meinem Haus verborgen!“ Also rief
er, und lief. Als er weg war, hatten die Schweine des
Kilibob die schlechten Ranken zerrissen und waren im
Walde verschwunden. Die Schweine des Manumbu, die er
mit Rotangranken, aus dem er einen Strick gedreht hatte,
gefesselt hatte, lagen schön da, sie hatten nichts zerrissen.
Da wurde Kilibob ärgerlich; „Wo hat dieser Mann, den
ich geglaubt hatte erschlagen zu haben, sich wohl ver-
borgen aufgehalten und ist jetzt wohl hingegangen?“ So
sprach er.
Derweil hatte Manumbu seine Schweine geschlachtet und
den Nachbarn gegeben; die hatten sie genommen und
waren fortgegangen. Da sagte Kilibob [zu seinen Leuten]:
„Oh Nachbarn, holt Speere, und kommt, wir wollen Ma-
numbu erschlagen.“ So sprach er. Und sie holten Speere,
kamen und umzingelten das Haus. Als sie so im Kreise
dastanden, kam das Gewürm, die Dienerschaft Manumbus,
und sagte zu ihm: „Oh Vater, um dich zu erschlagen, sind
sie gekommen, haben umzingelt und stehen da.“ Er ant-
wortete: „Jawohl, laß sie mich erschlagen wollen,“ So
sprach er. Dann ging Manumbu weg und verwandelte sich
1) Was mambut und dahiu für Rankengewächse sind, habe ich nicht ermitteln können; die Übertragung ist
also sehr frei. 2) Karakar = Dampier-Insel.
t
ibolg manumbu ileg pain kavai
alari ibuli, gas iiìeleg ehgade
itor: ,,ah fu esene, ao, manumbu
ambio imande, sesalipa idup
ohuni“ efigade ipeinde. ipeindeg
idug dur ile. ileg seselig i diboi:
manumbu idupa tuhunive“ dibol-
tag he ambio he bur tombo ile.
dileg hinandin bandeg diboi:
„mirma talap me pain kavai tu-
hunibe“ efigade diboi. dibolg ju
deneleg diseg ditourndeg gobu-
gobu ileg: ,,o mam mirmeme
diboi pain kavaime tuhunibe“ efi-
gade ibol. manumbu ibol ,,ao,
benipa disop duhununuvo, bor
gaon hegad duhunivo“ ndep gaon
alan buli. bulig idug tomol nehig
,,iìiel< ibob, gaon efigade ibol.
tomol aintamos diboi ,,se gaon
alanme hunivo“ tomol aintamos
diboi; „ujankep tuhunivo, alanke
benip davo“ efigade diboi. di-
bolndeg seselig he, ambio tomol
he, manumbu he, gaon bulig
bur ile. ileg calo ile, tomol buli,
ai latende ile, ai rien lat ile.
ileg imandeg bahbaiì dijaò di-
seg manumbu dinehi ai lat
imandeg: ,,o tomol ileg latende
imande“ diboi, dibolg kilibob ibol:
,,ah ir malan abi, abip asop ai
tatar, tatarep ai ibalpa tomol tu-
hunive,11 baiìbah ir malan dijebi,
ai ditere, diterendeg bo, botag
dibeni, dibenig bah didu . bondeg
manumbu idug ai pah heleg haon
abenaben inou — hihan ai gobu-
gobumos inou — inoundeg ai bog
abenaben ile rien. seselig diselag
dinehi: ,,o carne nor teterekeme
haon abeabe ile.“ ehgade diboi
„mirmeme tatarbe“ diboi. ai haon
detere. detereg ndeg bo. botag
dibeni bah didu. didundeg ai
makan kilibob nanun ileg ai pah
makan ihele, iheleg ain inou vario
in ein altes Weib, nahm einen Stock und schritt so1): „Ihr
seid mit Speeren gekommen, jawohl, Manumbu sitzt im
Hause, wenn es Tag wird, tritt er heraus, dann erschlagt
ihn.“ Also sagte er zu ihnen, ging heraus und ging in den
Wald. Als es Tag geworden war, sagten sie; „Wenn Ma-
numbu herauskommt, wollen wir ihn erschlagen.“ Aber er
war nicht da, im Hause war er nicht, er war wohl in den
Wald gegangen.
Sie gingen in ihr Dorf und sprachen; „Jetzt wollen wir
gehen und werden dieses alte Weib erschlagen.“ So
sprachen sie, nahmen die Speere, kamen und warteten. Das
Gewürm ging und sprach; „Oh, Vater, jetzt eben sagen sie,
wir werden dieses alte Weib erschlagen.“ Manumbu ant-
wortete: „Jawohl, laß sie kommen und mich erschlagen
wollen. Schwein und Hund mögen sie ohne Erfolg er-
schlagen.“ Dann verwandelte er sich in einen elenden Hund.
So ging er herzu und winselte wie ein Hund; „Ngi.“ Ein
Teil der Leute sprach: „[Paß auf] es kommt, diesen schlechten
Hund wollen wir erschlagen.“ Ein Teil der Leute sprach;
„Wenn er schön wäre, wollten wir ihn erschlagen; da er
schlecht ist, laß ihn gehen.“ Darauf, als es Tag wurde,
war niemand da, im Hause kein Mensch, kein Manumbu.
Er war ein Hund geworden und in den Wald gegangen.
Dort ging er zu einem Baum, wurde Mensch, ging oben
auf den Baum, hoch auf einen großen Baum. Als er da
saß, kamen die Nachbarn von ferne und sahen Manumbu
oben auf dem Baume sitzen. Da sprachen sie: „Oh, der
Mann entkam oben auf den Baum,“ und Kilibob sprach:
„Ergreift scharfe Beile, kommt und laßt uns den Baum
fällen; wenn der Baum umfällt, wollen wir den Mann er-
schlagen.“ Die Nachbarn ergriffen scharfe Beile und hieben
auf den Baum ein. Unterdessen wurde es Nacht, in der
Nacht aber hörten sie auf und gingen zum Dorf. In der
Nacht stieg Manumbu herunter und legte die Späne des
Baumes wieder an ihre Stelle — seine Leute, das Gewürm,
legten sie -, so wuchs des Nachts der Baum wieder zu
(das Holz ging in seine Spuren, wurde groß). Tags darauf
kamen sie und sahen; „Oh, dieser Baum, den wir gestern
angehauen haben, ist wieder zugewachsen“; so sprachen
sie: „Jetzt, heute werden wir ihn fällen.“ Aufs neue hieben
sie auf den Baum ein, bis es Nacht wurde. Aber in der
Nacht hörten sie auf, und gingen zum Dorf. Dabei ging
ein kleines Kind, Kilibobs Sohn, nahm einen kleinen Span,
machte mit einer Ranke einen Griff daran und sprach:
„Vater, [sieh] meinen Schild.“ Sprachs, nahm ihn und ging
[nach Hause]. In der Nacht stieg Manumbu herab, das Ge-
würm kam, und sie legten das Holz wieder in die Spuren.
1) Der Erzähler machte humpelnde Gesten und sprach die nächsten Worte mit Fistelstimme.
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BILIB1LI
77
ñeleg ibol: „mam hañu madiu
eñgade ibol. ñeleg idu. bondeg
manumbu idu, gobugobu ise, äi
haon abeabe dinou, dinoug pañ
cä inou, benig aowan, tahe: „o
eitmos ñeleg ijaöne?“ ibol. rereg
itor itorlo hunihe, hetag ho. bañ
idu idug ambio ili, ilelag ai ma-
kanme ai mboi ñeleg tovenig ijen.
ijendeg manumbu ise, iselag nehi,
nehig ai makan niman bise, ai
mboi iñalove. ndeg ai makanme
ibob: ,,o mam hañu madiu pana
diñalnde.“ iboltap manumbu ni-
uian ipasinde, ilap giginde ito-
urnde. eñ itondeg seseli, seseli-
tag ibeni. Heg cä lat ile. Heg
imandeg bañbañ diseg äi dinehi,
ai aowan aben dinehi: „ao, eñ
itondeg imande“ dipoi „mirmeme
reñe huti ja malan atamani in-
ani, inanindep äi tetarap pañ
tenaop inanive“ eñgade dipoi,
dipolndeg ai diterendeg pañ
jalo didirindeg ineni, inenindeg
journdeg äi ibal. ai ibal lot
ile lot ilendeg tomol gugul di-
polug lot dile. manumbu äi haon
imais lot ibalg Heg eñ itondeg
lot dipolug dilendeg manumbu ai
gugul ibalg masilo ile. Heg ai
gugul ñeleg masi tinlo He, Heg
dibol: ,,oh, tomol tuhuni híñanme
masilo He, hema“ dibol, dibeni,
dibenig dimande.
dimandeg manumbu i vañ rien
ipou. masi tinlo ipoug, kilibob
i latende vañ alón mambut vario
ipou. ipoundeg manumbu bondeg
iseg, Unan ipei: ,,nen nima du-
lime niad ulime rugusip ponuñu.
melo vañ ñapaove.“ eñgade ipei.
ipeig tinan niman duli nien duli
tinin duli rugusig ipeni. ñeleg
idug vañ ríen ipou, ipoug kilibob
i latende vañ alan — hama to-
rnai hiñandin vañ alan — ipou.
Da wuchsen die Späne zum Baum; [aber] als sie fertig
waren, blieb ein Loch, ein [Span] fehlte. Er sprach: „Wer
hat den wohl genommen und sich entfernt?“ Er richtete
[seine Augen] und schritt [= er suchte], fand aber nichts
(beim Schreiten schlug er nicht); darüber aber wurde es
Nacht, Er ging zum Dorf ins Haus, wo das kleine Kind,
welches das Holzstück genommen hatte, auf der Seite
schlief. Da kam Manumbu hinzu, sah [es], und hob den
Arm des kleinen Kindes hoch, um das Holzstück zu nehmen.
Da schrie das kleine Kind: „Oh Vater, man stiehlt meinen
Schild.“ Aber als es sprach, ließ Manumbu seinen Arm
los, ging weg und stand abseits. Darüber wurde es Tag
und er ließ von seinem Unternehmen ab. Er ging fort auf
den Baum. Als er da saß, kamen die Nachbarn, sahen den
Baum, und die Spur des Loches im Baum und sprachen:
„Jawohl, wenn man also verfährt, bleibt es. Heute raffen
wir Reisig, häufen einen Scheiterhaufen; wenn der den Baum
röstet, fällen wir ihn und legen die Späne hinein, um sie zu
verbrennen.“ Sie fällten den Baum und schütteten die
Späne ins Feuer, daß sie verbrannten, am Abend fiel der
Baum um; er fiel auf eine Seite, alle Leute sprangen auf
die andere Seite. Manumbu stieg wieder auf einen Baum,
fiel auf die Seite, ging fort, und trieb es so, daß bei seinem
Springen alle Bäume fielen und Manumbu ins Meer ent-
kam.1) Da nahm er alle Bäume mit sich ins tiefe Meer.
Da sagten sie: „0 weh, der Mann, den wir erschlagen
[wollten], ist in sein Meer gegangen. Jetzt ist es fertig.“
Sie hörten auf und blieben.
Unterdessen zimmerte Manumbu ein großes Boot. Er
zimmerte es im tiefen Meer, Kilibob zimmerte oben [auf
dem Lande] ein schlechtes Boot mit Windenranken. Unter-
dessen kam Manumbu eines Nachts zu seiner Mutter und
sagte ihr: „Mutier, reiße aus deinen Armen und Beinen die
Sehnen und gib sie mir, damit will ich das Boot zusammen-
binden,“ So sagte er ihr, und seine Mutter riß aus ihren
Armen und Beinen und aus ihrem Körper die Sehnen und
gab sie ihm. Dann ging er und zimmerte ein großes Boot
während Kilibob auf dem Lande ein schlechtes Boot —
schlecht ist unser, der Eingeborenen, Boot - zimmerte. In
der Nacht kam Manumbu und fragte seine Mutter: „Mutter,
1) Der Erzähler fügte hinzu, daß auf der Dampier-Insel diese baumlose Stelle noch heute zu sehen sei.
78
OTTO DEMPWOLFF
ipoundeg bo. manumbu isendeg
tinan ipainde: „neri, kak van do-
dog ipaonde?“ tinanmos ibolnde:
„van alan vario ipao, mambut
vario ipaonde.“ erìgade ipainde.
kilibob hiñan van alan ipoug
masilo isog idu, idug hiñan be-
gabeg diri, dirig didug vañlo ditor.
ditorndeg manumbu ihiñan ai
begabegme noulo diri — (kilibob
hiñan ai tomol, manumbu hiñan
ai kaderak, gobu, kurumek, ma-
landò, miepa, rari, karoahek,
mot) — . dirindeg hototime patun
vañlo diri, vañ isog masilo imais,
imaisiga eñgadeg manumbu i
kilibob veñi: „kilibob, e, me ñi-
hunuñuve11 ibol. ibolg manumbu
sebur ñele, ñeleg god inoug, ulum
ireig bise, god inoug ileg vañ lai
hototi huni, hototi huniga boroug
masilo bire. gereg: „kilibob, e,
o hiña ai hunivo, ñahañu ai ñe-
huni, masilo ñebire“ ibol. kilibob
i ibol ,,mok e“ ibol, ibolg sebur
ñeleg hiñan ai begabeg hunig idu
masilo bire, kurum rieia masilo
bire. bireg manumbu i ileg nouta
ñeleg terpele, hiñan ai kurum idu,
idug vañlo ijen. ijendeg nouta
iñele, iñeleg samde nou terpele,
terpeleg ai kurum idu, nouta
ñeleg vañ domonlo nou terpele,
terpeleg ai kurum didu, nouta
iñeleg vañ vadande nou terpele,
ai kurum didu. hiñan ai doü ñeleg
miegi ñeleg kikai ñeleg hiñañdin
baiabaia ñeleg dugu parok vañ
hunde ditarindeg dile. kilibob
ibol: ,,o manumbu, he urioñuga
hañu ai begabeg ñehunig didu.
hiña ai noulo dirig minjenig dijen.
god onoug, hototi patun boroug
masilo bire. ña ñabol ,mok tombo
manumbu hiñan ai hunig masilo
bire‘. ñabol. ñabolga hañu ai
ñehunig didu.“ eñgade ibol.
was für ein Boot zimmert der Bruder?“ Seine Mutter ant-
wortete ihm: „Er baut ein schlechtes Boot mit Ranken, mit
Windenranken baut er.“
Als Kilibob sein schlechtes Boot gebaut und ins Meer
geschoben hatte, ging er hin, schiffte seine Dienerschaft
ein und stieg ins Boot. Unterdessen füllte Manumbu seine
Dienerschaft in Bambusbüchsen. — Kilibobs Leute waren
Menschen, Manumbus Leute Ameise, Fliege, . . . .,.......,
.........................*) Schlange. Dann lud er Knall-
schoten(?)früchte ins Boot, schob das Boot ins Meer, stand
auf und rief — Manumbu zu Kilibob —: „Kilibob, he, diese
wollen mich erschlagen!“ Bei diesen Worten ergriff er sein
Holzschwert, betrog aber, indem er das Ruder zog und
hochhielt, betrog, indem er ging und auf dem Verdeck auf
die Knallschoten einschlug, sie forttrug und ins Meer warf.
Er gestikulierte; „Kilibob, he, erschlag deine Leute, ich habe
meine Leute erschlagen und ins Meer geworfen,“ sprach er.
Kilibob antwortete: „Gut so,“ sprachs, nahm sein Holz-
schwert, erschlug seine Dienerschaft, ging und warf sie ins
Meer, gar sehr viele warf er ins Meer. Da ging Manumbu
hin, holte eine Bambusbüchse und zerbrach sie, da kamen
viele seiner Leute heraus, und blieben im Schiff liegen; er
holte eine andere Bambusbüchse, zerbrach auf dem Aus-
leger die Büchse, da kamen viele Leute heraus; er holte
noch eine Büchse und zerbrach sie auf dem Bug, da kamen
viele Leute heraus; er holte noch eine Büchse und zerbrach
sie auf dem Heck, da kamen viele Leute heraus. Seine
Leute nahmen Paradiesvögel, Hahnenschwänze und bunte
Blätter, sowie allerlei Schmuck und tanzten den Parok(?)tanz
im Schiffsraum. Kilibob sprach: „Oh Manumbu, du hast
mir nicht die Wahrheit gesagt, ich habe meine Diener er-
schlagen, sie sind fort. Deine Leute haben versteckt in die
Büchsen gefüllt gelegen. Du hast betrogen, Knallschoten-
früchte hast du weggebracht und ins Meer geworfen. Ich
dachte, in Wahrheit wohl hat Manumbu seine Leute er-
schlagen und ins Meer geworfen. So dachte ich und er-
schlug meine Leute, daß sie hin sind.“ Also sprach er. 1
1) Die anderen Bezeichnungen für Gewürmarten kann ich nicht übersetzen.
79
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1L1BILI
ndeg manumbu ileg karakar
lande ibal. ibaìg evan duri, liun
duri, ndorundoru iñeleg vanto
diri, vola mele, kokorek jebi vanto
diri, bomuñdeg il ansa loiì ile.
ileg ileg bagabag lari ibal. iman-
deg joiì he , joiì he kwi, liun duri,
niu numbu mele, dite, manumbu
hiñan vaja gereg mele, daldal
ireindeg gum grasgras ibobdeg
jemb imamdeg dite, dileg ma-
numbu i menda pesi abur bedi,
bedig joiì imais. imaisga ma-
numbu ibol: „liuk mar jesivoi“2)
(„liuñu joiì sirivo“) ibol, ibolga
liun numbu iùeleg joiì sirive batu.
batundeg manumbu nima kukunlo
liun dilen begi. begig liun imaisg
ibol„o manumbu ata diloñu begi“
ibol. manumbu ibol „liuk tia ivok
jako“ („liuñu he, o evoñu“). iboln-
deg dite, joiì sirig dite, dileg bon-
deg vañ diso, disog dise, diseg
bañbañ tomai bah dinoundeg ;
„0 goni eñgade ubol“ iseg ma-
tugir inou, inoug ,,o gom eñgade
ubol“ eñgade ipeindeg iseg erempi
inou: „erempi o gom eñgade
ubol.“ iseg bel inou, inoug: „bel
o gom eñgade ubol“ ipei. ipein-
deg tibud hiñan huime sega ti-
bun ipeni ipenitag segu tibundin
diboi: ,,e“ diboi ,,em ai tutuk ujan-
nemo naknak ñegejo panakdo
ñamoi“ („ai tukuranme dodog
ñatove ponuñunde, ñamui“) ibol-
taga ibeni, ibenindeg tomol hi-
ñandin hui voldai ipeni, penig
„fui gua panakdo.“ ibol. ibolndeg
Dann fuhr Manumbu weg und landete am Strande von
Karkar; darauf holte er seine Gattin, holte seine Schwester,
nahm Geflügel und lud es ins Schiff, nahm Buschhühner,
ergriff Haushühner und lud sie ins Schiff. In der Dämmerung
verließ er das Land und stach in See. Er fuhr und landete
am Strande von Bagbag.1) Während er dort sich aufhielt
mangelte es an Wasser. Weil kein Wasser da war, holte
er seine Schwester, nahm ein Gefäß aus Kokosnuß, und sie
gingen, Manumbu tupfte seinen Kalk, nahm ihn, zog ihn
unterwegs [durch die Zähne (?)], klapperte mit der Kalk-
büchse, und kaute Betel; so gingen sie. Dann nahm Ma-
numbu den Kalkspatel heraus und stieß ihn in den Sand:
da sprang Wasser hervor. Manumbu sprach: „Schwester,
schöpfe Wasser.“ Seine Schwester nahm das Gefäß und
bückte sich, um Wasser zu schöpfen. Während sie sich
bückte, betastete Manumbu mit dem Finger die Scham seiner
Schwester. Da richtete seine Schwester sich auf und sprach:
„Oh Manumbu, was betastet du meine Scham?“ Manumbu
antwortete: „Du bist nicht meine Schwester, du bist meine
Gattin.“ Dann gingen sie, nachdem sie Wasser geschöpft
hatten, gingen sie weg. Nachts schoben sie das Schiff,
kamen und gründeten die Eingeborenendörfer in der Nach-
barschaft mit den Worten: „Du sollst die Sprache also reden.“
Er kam und gründete Matugir3) und sagte ihm: „Du sollst
diese Sprache reden.“ Er kam und gründete Erempi4): „Du
sollst diese Sprache reden.“ Er kam und gründete Bel5)
und sagte ihm: „Du sollst diese Sprache reden.“ Dabei gab
er den Vorfahren der Segu das Gewehr der Europäer. Aber
die Vorfahren der Segu sprachen; „He, was soll ich mit
diesem kurzen Holz tun, das du mir gibst; ich mag es nicht.“
Da unterließ er es und gab ihnen den Bogen mit Sehne
der Eingeborenen. „Das ist ein guter Bogen, den du mir
gibst“, sagten sie. Darauf ging er weiter und gründete
SiarG) und Jam7) — damals waren [die Jam] noch nicht
fortgezogen, erst neulich sind sie von hier weggezogen —.
Er kam und gründete Bailas): „Baila, du sollst diese Sprache
reden.“ Er kam und gründete Bantibun9): „Graged '), du
sollst diese Sprache reden.“ Er kam und gründete Mite-
bok9): „Mitebok, du sollst diese Sprache reden, du und
mehrmals ^ }ÜSe^ der ^arten> die nächste bei der Dampier-lnsel (Karkar). 2) Manumbu spricht hier und ferner
lieh die^lt rCn(1lden ^undarten; die Übersetzung in den Bilibilidialekt setzte der Erzähler später hinzu. 3) Wört-
Küste NemG^uf11 ' Z.U er8'änzen „Brüder“. In der Form des Siardialektes „Matugas“ als großes Dorf an der
pin“ südlich11111638^ SÜdlich von Kap Croisilles auf Karten verzeichnet. 4) ln der Form „Erempin“, „Rem-
verzeichnet V°n atu^as auf Karten verzeichnet. 5) Als Insel „Segu“ oder „Seg“ am Alexishafen auf Karten
Wilhelmshafen f ^iar = ^|y'lnsel am Prinz Heinrichhafen. 7) Jam, früher ein Dorf am Friedrich
dem Siardiale^'t T' aItSn ^arten noch a^s östlicher Teil der Schering-Halbinsel verzeichnet. 8) Baila, nach
nach dem Siard’^S ”^edao<l °der als Eickstädt-Insel am Friedrich Wilhelmshafen verzeichnet. 9) Bantibun,
„Ahnen des D ^ ,,^>ari^^)un“> sonst als Qötz-Insel am Prinz Heinrichhafen verzeichnet, ban tibun heißt
Wilhelmshafen ^rv ' wolinen Gragedleute, nach denen die Fischel-lnsel der Karten am Friedrich
geborenengru ” J*a|’ed oder verstümmelt „Raketta“ genannt ist. Mitebok ist der Name einer anderen Ein-
Baessler archivU i ^ ^ischeI'*nsel> Macklay hat sie nur unter dem letzten Namen (Mitebog) gekannt.
OTTO DEMPWOLFF
Graged sollst dieselbe Sprache reden.“ Er kam und grün-
dete Jabob1): „Jabob, du sollst diese Sprache reden.“ Er
gab Jabob Töpfe: „Du verkaufe diese Töpfe, tausche die
Ernte der Nachbarn ein und verzehre sie.“ Er kam und
gründete Bilibili, Gapen2 *) auf Bilibili; „Dir werde ich Töpfe
geben, verkaufe die Töpfe und lebe vom Ertrag der Töpferei.“
So sprach er, ging weiter und gründete Boget"); „Boget,
du sollst diese Sprache reden.“ Er ging und gründete
Bongu4). Die Vorfahren von Bongu lebten wie die Hunde;
als Manumbu sie rief und „ja“ sagte, sprachen die Vorfahren
von Bongu „jo“, dabei heulten sie ganz wie Hunde. Als
aber die Vorfahren von Bongu Sprache bekamen, redeten
sie Hundesprache. Da sagte Manumbu; „Jawohl, Hunde-
sprache sollst du reden.“ Also setzte er die Eingeborenen
in der ganzen Nachbarschaft ein und ging davon.
80
idug ile Heg siar ime jam inou.
— idiondehekß nor meneg dion-
de — iseg baila inou: „baila o
gom engade ubol.“ iseg banti-
bun inou, inoundeg: „gedaged o
gom engade ubol“ iseg mitebok
inou: ,,mitebok o gom engade
ubol o gedaged indi gom ketei
ubol“ ibol. iseg jabob inou, inoug:
„jabob o gom engade ubol“ jabob
bodi peni: ,,o bodime vaipa ban-
ban hinandin naon udadepa wani“
iseg bilibili inou, bilibili gapen
inou, inoug „o bodi na panbe
bodi uvaipa, bodi naon wani“
engade ibol. Heg boget inou:
„boget o gom engade ubol“ Heg
bonu inou. bonu inouga bonu
tibundin i gaon irinde dimande,
dimandeg manumbu iveni „ja“
ibol, iboltag bonu tibundin di
„jo“ dibol; ibolndeg gaon irinde
diroi, diroitag bonu tibundin i
aowan buli, gaun handin gomu
ibol. iboltag manumbu ibol: „ao
gaon hinandin gomu ubol.“ eh-
gadeg o banbah gugul tomol in-
oundeg ile.
Heg Heg nom handin bah ibal.
ibalg eh ijendeg tantan vahlo
diri, bondeg ijo, van isog ijog
loü ile, ilendeg manumbu ibol:
„ha pikata hajenpa“ ibol ,,mo-
lohu i jes ibol“ ibolga Heg vah
lat ijen. ijendeg hinan begabeg
ulum jebi, jebiga dile, dilendeg
hinan ai gom karakar gom ketei
memo dibol. manumbu malan-
mbas ijen, dibolkwi i jembu — uli
engade burlo —patun alindi heleg
jalo memeri, memerig neniga alin
terpeleg ibob: „buha“ ibob. hinan
ai dimaisga „ha tinako“ dibol,
aowandin buli, aowandin bulig
garani gom dibol. dibolndeg ma-
1) Jomba-lnseln der Karten, in der Astrolabebai. 2) Außer Gapen nannte mein Gewährsmann noch
Dugus, Luan, Nungun und Murpat auf Bilibili. 3) Boget = Bogadyim der Karten bei Stephansort.
4) Bongu, wie Bogadyim im Süden der Astrolabebai. 5) Nom an der Maklayküste der Karten; östlich
von Bongu. 6) Garani = Sir Georges Rook-Insel der Karten. 7) Labun ist ein mir unbekannter
Name; möglicherweise ist es ein Sammelbegriff für die einzelnen verwandten Mundarten.
Er fuhr davon und landete beim Dorf von Nom.5 *) Nach-
dem er dort geschlafen hatte, füllte er Erde ins Boot und
fuhr nachts fort; nachdem er das Boot hinabgeschoben hatte,
fuhr es aufs offene Meer. Da sprach Manumbu: „Ich will
ein bißchen schlafen, meine Augen fallen mir zu.“ Er ging
aufs Deck und schlief. Während er schlief, ergriff seine
Dienerschaft das Ruder und fuhr darauf los. Unterwegs
sprachen seine Leute in Karkarsprache, nur in dieser einen
Sprache. Manumbu lag mit offenen Augen da; weil sie so
sprachen, nahm er wilde Brotbaumkerne — wie Brotbaum,
aber im Walde [wachsend] — mit der Schale und legte sie
zum Rösten ins Feuer. Da zersprang die Schale mit lautem
Krach (sie rief buha). Seine Leute sprangen auf und riefen:
„Ha, meine Mutter (?)“; ihre Sprache verwandelte sich, so
daß sie Garani°)sprache redeten. Da sagte Manumbu: „Also
ist es gut, daß wir eine besondere Sprache reden, ist gut;
Kilibobs Sprache zu reden, ist übel. Wir reden die Labun7)-
■ * '«
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BILIBILI
81
numbu ibol :,,eñgadep ufan, gomu
hiben tabolp ujanme, kilibob hi-
ñan gomu tabolp alan, labun
hiñandin gomu tabolnde.“ di-
bolndeg manumbu ijen . van loü
rielamok ile. ai dipuñoni, dipu-
ñonig Unáis, imaisg ibol: ,,o loü
rielamok tese“ ibol „pik sisir
tahaotipa god onoug, jembir rie-
lamok tese“ ibol. ibolg ulum dirai
dibise, van Heg bebere bebereg
dihaotindeg pati muñ idu, masilo
ile, Heg ileg pati lat ise. iseg
ijendeg tantan dibire, dibireg ijen-
deg kokorek dipesi dinou, volu
dipesi dinou. inoug ileg amb isese,
niupiei, ariir piei, aju kurum piei,
ababa kurum ipiei, volu ipesig
inoug tan seregenig bañ ileg
rien. ndeg manumbu ijen garani
imande.
eñgade hema.
spräche.“ Darauf schlief Manumbu [wirklich]. Das Schiff
ging gar sehr weit ins offene Meer. Die Leute weckten ihn,
er stand auf und sprach: „Oh, gar sehr weit aufs offene
Meer sind wir gekommen, laßt uns etwas näher an den
Wind gehen; ihr habt euch geirrt, gar sehr fernhin sind
wir gekommen.“ Da legten sie das Ruder um, und das
Boot ging dwars. Als sie am Winde lagen, tauchte zuerst
ein Fels auf, trat aus dem Meer, und stieg immer höher.
Als er da lag, warfen sie Erde aus, als die da lag, machten
sie die Haushühner und Buschhühner los, und setzten sie
aus. Dann ging er hin, baute Häuser, pflanzte Kokospalmen,
pflanzte anir1), pflanzte viel Kawa, pflanzte vielerlei Sachen.
Die ausgesetzten Hühner scharrten den Boden auseinander,
gingen aus (?) dem Dorf und wurden groß. Darauf blieb
Manumbu in Garani wohnen.
■i
Also ist der Schluß.
Die Sage setzt sich aus drei Teilen zusammen: 1. der Ehebruch, den einer von zwei
Brüdern mit seiner Schwägerin begeht, die Entdeckung und Bestrafung der Ehebrecherin;
2. die Entdeckung des Ehebrechers und der Streit der beiden Brüder; 3. die Auswanderung
des einen Bruders, verbunden mit Gründung von Insel- und Küstendörfern.
Ich vermute, daß im zweiten Teil mein Gewährsmann die beiden Brüder verwechselt hat.
Denn die Logik einer solchen Sage scheint mir zu verlangen, daß der Ehebrecher ebenso wie
die Ehebrecherin der Verfolgte ist, der sich durch seine List rettet. Derartige Logik mag dem
Europäer naheliegen; ein Beweis wäre sie nicht. Hauptgrund meiner Vermutung bilden die
Namen; Manumbu bedeutet eine Taubenart, Kilibob heißt Schmetterling. Nun sind im ersten
Teil Manumbus Nachbarn die Vögel; das im zweiten Teil als seine Dienerschaft auftretende
Gewürmf besonders die Termite, passen nur zum Schmetterling Kilibob. Endlich kommt mir
der Stil der Erzählung an der Stelle des zweiten Teils, wo das Gewürm auftritt, unsicher
gegenüber dem Fluß der übrigen Darstellung vor, so daß ich hier einen Gedächtnisirrtum meines
Gewährsmannes annehme.
Dieser selbst bestritt ihn; deshalb und um der philologischen Genauigkeit willen habe ich
keinerlei Änderung an seinem Diktat vorgenommen.
Die einzelnen Züge der Sage scheinen in Neu-Guinea weit verbreitet zu sein. Wenigstens
hatte mir der Neuendettelsauer Missionar Bamler 1902 den Inhalt einer Sage vom Huongolf mit-
geteilt, worin der Ehebruch, seine Entdeckung, die Flucht des Ehebrechers auf einen Baum,
und dessen nächtliches Wiederzuwachsen durch Einfügung der Späne ganz dieselben Bilder
bot, zum Schluß verwandelt sich aber der Verfolgte in das Sternbild der Plejaden.
1) Die Pflanze ahir ist mir unbekannt, am ist Piper methysticum, dessen polynesischer Name kaiva uns
geläufig- ist.
II*
82
OTTO DEMPWOLFF
III.
KLEINERE SAGEN UND MÄRCHEN.
Nur die erste Erzählung (No. 4) ist als eigentliche Sage, und zwar als Familientradition
des Bilibili Kankan, aufzufassen, die übrigen werden offenbar nicht „geglaubt“ und deshalb
ohne Scheu im Anschluß an Unterhaltungen über die Heimat vorgetragen; gewöhnlich als
Erklärung, woher das Feuer, die Kokosnuß usw. zu den „Tomol“ gekommen sei.
In den Übersetzungen habe ich eine etwas freiere Wiedergabe als in den beiden ersten
Abschnitten gewählt, ohne jedoch den Sinn zu verändern.
pain nian honpain. latende,
sabalat pain.
tomol, jabobtomol idug lande
varilo ijen. ijendeg potu inehi,
inehig ibol: „monome pain tom-
ba? odupa, heniliaöve.“
ilpolga kerikendu ise, iseg ibol:
„o gei, ata ubolnde?“ — „hejo!
na monove habolnde, mono pain
tombo nabolnde.“ kerikendu ibol:
„o gei, pain ijende.l‘ tomol ibol:
„god unaondejo . o ta unahibehe,
me god unaonde.“ tomol engade
ibol.
tomol i ibol: „gei, o ulande-
kene?“ kerikendu ibol ipei: „na
nalandeke latende ari.“ tomol
ibol: „mirme ulap paip kasi pik
ipanpa, halep udup pononube,
ponun narai.“ „ari“ kerikendu
ibol „omandep, nalande‘l.
kerikendu Heg, Heg, Heg la-
tende, sabalate He. Heg pain
ipei: „tomolta i ove ibol“ lat pain
ibol: „tomol domande imande?“
ibol. kerikendu ibol: „tomol tande
imande; kasive ibolkwi nese.“
ao, painmos kasi ipeni. kasi
neleg idu. idug tomol ipeni, kasi
peni. tomol „ao moke“ ibol. to-
mol ivendi, ivendiga kasa inou,
inouga kerikendu ipeni. neleg
sabalate He, Heg kasi pain ipeni.
pain kasi irei, ireiga pain ibol:
4.
DIE HIMMELSFRAU.
Der Name der Frau ist Honfrau. Oben, im Himmel hoch
[wohnt] die Frau.
Ein Mann aus Jabob1) ging zum Strande und legte sich
in ein Boot. Wie er dalag, schaute er zu den Sternen und
sprach: „Ob es dort wohl eine Frau gibt? Tritt hervor, ich
habe Sehnsucht nach dir.“
Wie er so sprach, kam ein Zaunkönig2) und fragte: „Oh
Vetter, was sprichst du?“ „Nichts doch! Ich spreche dort-
hin (um des dort willen), ob dort wohl eine Frau ist, frage
ich.“ Der Zaunkönig antwortete; „Oh Vetter, eine Frau ist
[dort].“ Der Mann sprach: „Das lügst du doch, du wirst
keine finden, das lügst du.“ So sprach der Mann.
Der Mann fragte; „Vetter, bist du wohl [dorthin] geflogen?“
Der Zaunkönig antwortete: „Gewiß, ich bin nach oben ge-
flogen.“ Der Mann sprach: „So fliege jetzt und sage ihr,
sie soll dir ein bißchen Tabak3) geben; nimm ihn, geh her
und gib ihn mir, dann rauche ich.“ „Gewiß,“ sprach der
Zaunkönig, „warte du, ich gehe.“
Der Zaunkönig flog davon, flog, flog nach oben, bis hoch
zum Himmel flog er. Dort sprach er zu der Frau: „Ein
Mann begehrt dich.“ Die Frau oben fragte; „Wo lebt der
Mann?“ Der Zaunkönig antwortete: „Der Mann lebt auf
der Erde; weil er nach Tabak fragte, bin ich gekommen.“
Wirklich, die Frau gab ihm Tabak. Er nahm den Tabak,
flog hinunter und gab dem Mann den Tabak. Der Mann
sagte: „Ja, wirklich!“ Der Mann machte Liebeszauber, be-
reitete den Tabak zu und gab ihn so dem Zaunkönig. Der
nahm ihn und flog zum Himmel empor, gab der Frau den
Tabak; die rauchte davon und sprach: „Geh hin und sage
dem Manne, er soll oben im Dach seines Hauses eine Öff-
nung machen. Nachts werde ich unter schlimmem Regen,
1) Jabob = Jomba-Inseln der Karten. 2) kerikendu, sehr frei durch „Zaunkönig“ übertragen, wie S. 72
Anm. 1 auseinandergesetzt. 3) Tabak dient zum Liebeszauber; Austausch von Tabak und gemeinsames Rauchen
gehört zur Liebeswerbung und -erhörung.
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BILIB1L1
83
„ulap tomol upai. hiñan amb
hoiñ lat aowan ipasi. bondep
sao alan tim alan vail ríen idun-
dep, ña ñadnbe“. pain eñgade
ibol. kerikendu idu, idug tomol
ipei. tomol ,,ao“ ibol.
tomol iseg, hiñan amb hoiñ
aowan pesi, pesig pain bondeg
idu. niman gileñ gileñ indi, ti-
nin gileñgileñ indi, pain bog idu;
tomol amblo ijendeg, bog idu.
tomol ibol: ,,o, hañu pain idu.
o ufan mok. o hañ gei keri-
kendu o ufan mok“ ibol.
tomolme taman pain nahitehe,
Unan pain nahitehe; i amblo
mumunig imande, imadneg tain
makan bor kelabel disei. diseig
ditor, ditorlag bor kelabel amb
ilon ile. „veje, do dog tañalvene?“
eñgade dibol. aimakan tamos
ibol: ,,ulap uñalvo“ ,,ehe, ña kak
hunoñube, o ulap ñal“ irirnde.
,,ehe, o tai heke, o ulap uñal.“
eñgade ibol. ai makan tet ta
inou isei, iseig lat ile, ileg bor
kelabel ñele, ñeleg idup ibol: ,,ña
maja hunuñu, añ aó, ña maja
hunnñu, ña ñajenve“ eñgade ibol.
ai makanmakan tirangir dijaó.
dijaóndeg i ileg ijen. ijendeg ti-
ñan taman dise. diseg ai ma-
kanme ileg Unan irin imande,
imandeg tinan nehi, nehig, i jen.
Unan ibol: ,,o nanuñ atave riela
nihoñunde?“ ai makanme ibol:
,,o nen, o wi alan, o sañaro alan
o nao alan, kak painta, iñele-
keme, ujan mok, gabisala. bañ
eü tombo pain kak iñele? ujan
mok, gabisala. amblo imande“
eñgade ibol.
taman isega, pam evanmo ipei:
,,o hañu tomol, o hañu evoñu,
ai makanme eñgade ibolnde,
painta kakmos iñele, amblo iman-
de“. eñgade ibol. tomolme ilon
,,ao mok tombo“ ibol. ibolga
tomol, aime taman, urat inou,
bösem Wind und großem Blitz herunterfahren.“ Also sprach
die Frau; der Zaunkönig ging und sagte es dem Manne;
der stimmte zu.
Der Mann kam, machte eine Öffnung im Dach seines
Hauses, und nachts kam die Frau herunter. Ihre Arme
waren voll Schmuck, ihr Leib war ganz geschmückt, so
kam die Frau nachts herunter, während der Mann im Hause
lag. Da sprach der Mann: „Oh, meine Frau kommt her;
du bist sehr schön. Oh, mein Vetter Zaunkönig, du bist
sehr gut.“
Dieses Mannes Vater hatte die Frau nicht gesehen, seine
Mutter hatte die Frau nicht gesehen; sie lebte verborgen im
Hause. Unterdes spielten seine jüngeren Brüder mit einer
Schweinsblase. Beim Spiel sprangen sie umher, beim
Springen fiel die Schweinsblase innen ins Haus. „Wozu
doch, was für eine sollen wir wohl nehmen?“ So sprachen
sie, und ein kleines Kind sagte: „Geh hin und hole sie.“
„Nein, der Bruder wird mich schlagen, geh du hin und hole
sie.“ Er fürchtete sich. „Nein, dein Bruder ist nicht da, geh
du hin und hole sie.“ So sagte sie. Der kleine Junge legte
die Leiter an, stieg nach oben, nahm die Schweinsblase, stieg
herunter und sprach: „Ich bekomme Fieber, entfernt euch,
ich bekomme Fieber, ich will mich hinlegen.“ So sprach er.
Die kleinen Kinder, seine Freunde, entfernten sich. Als
sie weg waren, ging er hin und schlief. Unterdessen kamen
seine Eltern. Als sie kamen, blieb der kleine Junge neben
seiner Mutter liegen, blinzelte sie an und machte die Augen
wieder zu (sah seine Mutter, gesehen habend schlief er).
Seine Mutter fragte; „Oh mein Kind, was willst du, daß du
mich so seltsam [gar sehr] anschaust?“ Der kleine Junge
antwortete: „Oh Mutter, [was hast du für] eine häßliche
Nase, für häßliche Lippen, für ein häßliches Gesicht. Die
Frau, die sich der Bruder geholt hat, ist viel hübscher, sie
ist wunderschön. Aus welchem Dorf mag sich der Bruder
wohl die Frau geholt haben? Sie ist sehr hübsch, wunder-
schön. Im Hause sitzt sie.“ So sprach er.
Als der Vater kam, sagte die Frau zu ihrem Gatten: „Oh
mein Mann, oh mein Gatte, also spricht dieser kleine Junge,
der Bruder hat eine Frau genommen, im Hause sitzt sie.“
So sprach sie. Der Mann [aber] dachte in seinem Herzen;
„Vielleicht ist es wirklich so.“ Dann ging der Mann, des
Kindes Vater, an die Arbeit, pflanzte Yams und stellte Stangen
auf. Dann stach er Taroknollen (-fleisch); dann ging der
84 OTTO DEMPWOLFF
urat inoug dabei piel dudi guai, dudi gunig, ma nañon isei; to- moime idug bor laben pesi, gaon laben pesi, bor kurum, gaon kurum, kokorek kurum ijendeg, laklak tère, laklak inou. laklak inoug bañbañ itoti, nah inoug: ,,o melop asa“ ibol. seseliga bañbañ itoti; ma iseike laklaklo diri, ndeg aime evandi ambio baia dejebi, dejebig ta- rn an tet inou, tet malain inou. painme tomoime ibol, painme ipei: „0 umuñ“ painme ibol: ,,ehe о tomolke umuñ, ña painke ñavadan“. tomol: „о painke umuñ, ña tomolke vadan.“ to- mol imuñ, mal burun ipesi, pain ijebi. tomol imuñ, imuñg idu tet ta pere, taman idug bor ta sei; idug tet ta pere, bor ta isei; idug tet ta ipere, kokorekta huni; idug tet ta ipere, gaon ta hui; idug tet ta pere, bor rienme isei; idug tan pere, bor rien permat indi isei. iseig bañbañ aidamag diseg painme dinehi, mimiai ihu. ai ta ibol „ñaterememoi, ñalande“ ibolga ile, hiña bañ ile, mimiai hunig ijaö. ai kurum rien dise, mimiai ihu dijaö beni, mimiai ihukwi, dijaö beni. taman bor tele, teleg bañbañ peninde, penindega ibol: ,,o bañ- bañ, ña nanuñu pain, ñelekeme, ñanehitehe. i tain makanmos, tirangir bor kelabel diseig ditor- lag, amb lat ilekwi, ai makan ilelag nehi. nehikwi, idu ibol tinan ipei, ña pioñutehe. tiñan- mos ña piuñukwi, urat ñonou, ma ñepiei, dudi ñuguni, laklak ñetere, laklak ñonou. a meveg ,,bañbañ asa“ ñabol, ñabol, ese. aba ujan he. meveg ñabol.“ ndeg taman bañbañ bor peninde. bañbañ dijaö. dijaöndeg aime evandi ditor. Mann herzu und kastrierte Schweine und Hunde, Als viele Schweine, viele Hunde, viele Hühner [beisammen] waren, fällte er [Stangen] zum Festgerüst und baute es. Dann lud er die Nachbarn ein (?) und berief eine Versammlung. „Oh kommt hierher“, sprach er. Am nächsten Tage lud er die Nachbarn ein und füllte die Taro, die er gestochen hatte, auf das Gerüst. Unterdes schmückten sich sein Sohn (das Kind) und seine Gattin im Hause, und der Vater legte eine lange Leiter an. Der Mann der Frau sprach und sagte zur Frau; „Geh du voran.“ Die Frau antwortete: „Nein, du, als (?) Mann, geh voran, ich als Frau, ich folge.“ Der Mann; „Du, als Frau, geh voran, ich, als Mann, folge.“ [Schließlich] ging der Mann voraus, machte den Zipfel seines Gurtes los, gab ihn der Frau und die Frau ergriff ihn. Der Mann ging voran, er ging heraus und trat auf die erste Stufe, da trat sein Vater herzu und erstach ein Schwein; er trat auf die zweite Stufe, da erstach er noch ein Schwein; er trat auf die nächste Stufe, da er- schlug er ein Huhn; er trat auf die nächste Stufe, da er- schlug er einen Hund; er trat auf die letzte Stufe, da erstach er das große Schwein; er trat auf die Erde, da erstach er das Schwein mit Eberzähnen. Es waren unter den Nachbarn Jünglinge mitgekommen; als die diese Frau sahen, wurden sie ganz verschämt. Ein Junge sprach: „Ich muß nur Wasser lassen, ich gehe.“ Er ging [aber] in sein Dorf, verschämt entfernte er sich. Noch sehr viel Kinder waren gekommen, verschämt entfernten sie sich ganz; weil sie sich schämten, gingen sie ganz davon und ließen [das Festmahl im Stich]. Der Vater zerlegte die Schweine, gab sie den Nachbarn und sprach: „Liebe Nachbarn, die Frau, die mein Kind ge- nommen hat, hatte ich nicht gesehen. Sie hat sein kleiner Bruder, weil die Schweinsblase nach oben ins Haus fiel, als seine Freunde damit spielten und herumsprangen, der kleine Junge hat sie gesehen, als er hingegangen war. Weil er sie gesehen hat, ist er zu seiner Mutter gegangen und hat ihr es gesagt, mir hat er nichts gesagt. Weil seine Mutter dann es mir gesagt hat, habe ich [all diese] Arbeit getan, Taro gepflanzt, Stangen aufgestellt, das Festgerüst errichtet. Deshalb habe ich gesagt: „Ihr Nachbaren, kommt,“ Ich sprachs, ihr kamt. Gut ist die Sache nicht. Deshalb habe ich gesprochen.“ Darauf gab der Vater den Nachbarn die Schweine. Die Nachbarn entfernten sich, und der Sohn und seine Gattin gingen offen umher.
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1L1B1L1
85
ditorlag fionpain ai kete inou,
ai tomol inou.
imandelag ai rien ufan, ai
ujanga tinan dii ile. ndeg ai
makan tibun peni, tibun bah su-
rueni, tutuar ñeleg. ai makan
hui nele itor, sisive itor. itor-
lag sisita ipene, ñeleg iseg tibun
peni. ipenig tibun i jalo memeri,
memerig ijendeg bañ surueni. sisi
mumuti. ai makan ise: ,,o ses,
hañu sisi dom?“ tibun ibol: „0,
jalo mumuti.“ ai makan ita. „ses,
hañu sisi ponoñu, ñanive“ ita.
„0 ses, domde ñaponove? muñ
mumuti.“ tibun eñgade ibol. ai
makan ita. tibun ileg bor ñeleg
idu ipeni. tag imui. ileg ie ñe-
leg idu ipeni. tag imui „hañu
sisi ponuñu, ñani“ eñgade ibol.
tag tibun ineñ: „0 tina jabob
pain he, o tina sabalat pain.
useg tuoñu wabinde, tuoñu iror.“
tibun eñgade ibol. ai makan ibol:
„a, ses, ata ubolnde?“ tibun ibol:
„he, ña gomu ñabolnde.“ ai ma-
kan ibol: „ao, ses, hiña gomu
ña muñ ñaloñ“ ibol.
ai makan ileg tinan hiñan amb
paruklo ijen. ijendeg tinangir
ditande dise, diseg dibal. ndeg
bañbañ ai makamaka didug masi
disuñundeg : „nen, ña du ta“ hi-
behibe hiñandin ai makamaka
„nen, ñadu ta, nen ña lamai ta
ponuñu, nani“ eñgade dibol.
painme ibol: „0 hañu ai ma-
kan domde ilene? maijata hu-
nine? hembas ijende.“ eñgade
ibol. tinan tañ bubusi, iseg
amblo mou, idug joü bodi jao-
were ñeleg ise amblo inou . inoug
haon imulg idu, idug jarumlas
ñele heo jaowere, jaowereg ise.
iseg jarumlas inou, heo ñeleg
amb paruklo isog ile, isog ileg
matan paruklo rereg ile. rereg
ileg ai makan nehi: „o hañu ai,
dodogkwi useg amb paruklo
[Später] gebar die Honfrau ein Kind, einen Knaben.
Das Kind wuchs hübsch heran; als es größer war, ging
seine Mutter aufs Festland. Unterdessen gab sie das kleine
Kind seinem Großvater. Der Großvater fegte mit einem
Besen den Hof. Das kleine Kind nahm einen Bogen und
jagte Heuschrecken. Es schoß einen Heuschreck und brachte
ihn seinem Großvater. Der Großvater röstete ihn am Feuer,
ließ ihn liegen, und fegte den Hof. Der Heuschreck ver-
kohlte. Das kleine Kind kam: „Großvater, wo ist mein
Heuschreck?“ Der Großvater antwortete: „Ach, der ist im
Feuer verbrannt.“ Das kleine Kind weinte: „Großvater, gib
mir meinen Heuschreck, ich will ihn essen“; es weinte.
„Oh, Enkel, woher soll ich ihn dir holen? längst ist er ver-
brannt.“ So sprach sein Großvater, das kleine Kind aber
weinte weiter. Der Großvater ging hin und holte ein Stück
Schweinefleisch, kam her und gab es ihm. Doch es wollte
nicht. Er ging hin und holte einen Fisch, kam her und gab
ihm. Doch es wollte nicht: „Meinen Heuschreck gib mir
zu essen“, so sprach es. Da fing sein Großvater aber an
zu schelten: „[Das kommt davon, daß] deine Mutter keine
Jabobfrau ist, daß deine Mutter vom Himmel hoch ist. Du
hast meine Knochen glühen gemacht [mich erzürnt].“ So
sprach der Großvater, das kleine Kind aber fragte: „Ei,
Großvater, was sagst du da?“ Der Großvater antwortete:
„Nein, ich erzähle ein Märchen.“ Das kleine Kind ant-
wortete: „Ja, Großvater, dein Märchen habe ich schon früher
gehört.“
Das kleine Kind ging weg, und legte sich unter seiner
Mutter Haus. Underdessen kamen die Mütter vom Lande,
kamen und landeten. Da gingen die kleinen Kinder der
Nachbarn hinzu, stiegen ins Wasser und riefen: „Mutter,
mir eine Nuß!“ Jedes einzelne ihrer kleinen Kinder rief:
Mutter, mir eine Nuß; Mutter, gib mir einen Apfel zu essen.“
Da sprach diese Mutter; „Oh, wohin ist wohl mein kleines
Kind gegangen? hat es wohl Fieber bekommen? Nun liegt
es ohne Pflege da.“ So sprach seine Mutter, hing ihren
Rucksack um, kam und legte ihn ins Haus, ging heraus und
trug den Wasserkrug, kam mit ihm und stellte ihn ins Haus.
Dann kehrte sie wieder um, ging hin, holte die Wasser-
schippe [das Oesfaß], trug das Paddel und kam zurück.
Sie legte die Schippe weg, nahm das Paddel und schob es
unter das Haus; dabei richtete sie ihre Blicke nach unten.
Da sah sie das kleine Kind: „Oh mein Kind, weswegen bist
du gekommen und hast dich unter das Haus gelegt?“ sprach
sie, nahm es und wischte seinen Leib ab.
86
OTTO DEMPWOLFF
ujende?“ ibol. Heg ñele, ñeleg
tinin soti.
ñeleg iseg, amb latende su pe-
nig, ijeni, jenilag tinan guide ne-
blig ijen. tinan ibol: „o nanuñu,
atwe nihoñu?“ ai makan ibol:
„nahe, ninihaöje. nen, o bañ eite
painne?“ ibol. tinan ibol: „o
nanuñu, ña fabob pain he, o, ña
didi pain, sabalat pain“ eñgade
ibol. ai makan ibol ,,ao, ña ses
meuve ibol eñgade piuñu.“ ,,ao
mok ibol“ tinan ibol, ipei: „bodi
kubulindep, tibu isop nima jebi-
tap umui, umuip uta. tama isop
nima jebitap umui, umuip uta.
o hegad uta. ña bodi kubulibe,
o kelaguñlo ufen, nimoñ webig,
gagaon maña pani.“ eñgade ibol.
Dann kam sie mit ihm nach oben ins Haus und gab ihm
die Brust zu trinken. Als es getrunken hatte, sah es seine
Mutter wiederholt an und machte die Augen zu. Seine
Mutter fragte: „Oh mein Kind, wozu siehst du mich an?“
Da antwortete das kleine Kind: „Ich nicht, ich sehe dich
doch an. Mutter, aus welchem Dorf stammst du wohl?“
Die Mutter antwortete: „Oh, mein Kind, ich bin keine Jabob-
frau; oh, ich bin eine Bergfrau, eine Himmelsfrau.“ So
sprach sie; das kleine Kind sagte; „Jawohl, mein Großvater
hat dies über dich gesprochen und mir dasselbe gesagt.“
„Er hat die Wahrheit gesprochen,“ antwortete die Mutter
und fuhr fort: „Wenn ich töpfere, und dein Großvater kommt,
und wenn er auch deine Hand ergreift, dann weigere dich
und weine. Wenn dein Vater kommt und dich bei der
Hand nehmen will, so weigere dich und weine; weine um
nichts. Ich werde töpfern, du liegst an meinem Halse. Er-
greife meine Hand, fasse fest zu und lasse nicht los.“ Also
sprach sie.
tinan bodi kubuli. kubulindeg
tibun ise, ai makan niman jebi.
jebitag ita. turnan iseg niman
jebitag ita. taga tinan bodi ku-
buli, ja jas hunindeg, ai makan
me hegad itandeg, pain sañasañ
inou. inoug reñ diri, dirig bodi
diri, bodi dirig ja iso, suli tinig
iso. isog sasa diri, ja jas alan
matalun imais, imaisndeg pain-
me taman bu inoug idu, bodi hun
i jen. ijendeg painme ibol: ,,o
nanuñu o kelaguñ webi, maña
pañi, nima gagaon“ eñgade ibol,
ipeig: ,,ao nen, kelagu ñebi, maña
ñapanibe“ eñgade ibol. honpain-
me bu jebi, i kuki, i kukig lat He,
jajas urig He, Heg, Heg o latende.
madibu bañdeg direreg dise di-
bol: ,,o kakon, painme amuikwi,
ilande“ dibol, ,,tag pain domde
ilande? o, muñ hiñan bañ ilande,
dodog epeikwi, dandi?“ kakon
dibol: ,,ehe, a gomuta epeitehe,
hembas ijaóga Hunde.“ eñgade
dibolg, bu dijebig dinin tag muñ
lat He.
Die Mutter töpferte. Da kam der Großvater und wollte das
kleine Kind bei der Hand nehmen. Aber es weinte. Sein
Vater kam, aber als er seine Hand fassen wollte, weinte es.
Unterdessen töpferte seine Mutter, der Rauch umhüllte sie.
Während das kleine Kind ohne Ursache weinte, schichtete
seine Mutter den Holzstoß, häufte Reisig, stellte die Töpfe
hinein, schob Feuer hinunter, indem sie einen Zunder an-
steckte. Dann häufte sie dürres Laub, daß ein dicker Rauch
wie ein Baumstamm emporstieg. Unterdessen ließ der Vater
dieser Frau einen Strick herab, dessen Ende lag bei den
Töpfen. Da sprach die Frau: „Oh, mein Kind, hänge dich
an meinen Hals, laß nicht los, halte fest mit deinen Armen.“
Als sie so sprach, antwortete es ihr: „Ja, Mutter, ich hänge
an deinem Halse, ich werde nicht loslassen.“ So sprach
es, und die Honfrau ergriff den Strick, sie hing, sie ging
nach oben. Der Rauch umhüllte, sie stieg immer höher.
Im Dorfe Madibu1) sahen sie zu, kamen und sprachen:
„Oh, Leute von Kakon1), die Frau geht fort, weil Ihr sie
nicht gemocht habt. Aber wohin geht die Frau? Oh, in
ihr früheres Dorf geht sie; was habt Ihr ihr gesagt, daß sie
davongeht?“ Die Kakonleute antworteten: „Nein, wir haben
ihr keine [schlimmen] Worte gesagt; ohne Anlaß ist sie von
hinnen gegangen.“ Also sprachen sie, ergriffen den Strick
und schüttelten ihn, aber sie war längst nach oben ge-
gangen.
1) Madibu und Kakon: zwei Dörfer auf Jabob.
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BILIB1LI
87
ilendeg nanun ipei: „o balve
tomba“ ipol. ipoltag nanun ipei:
„o nen, habalbehe, hegad tala“
ibol. tinan ikuki ile, Heg, Heg,
lat idusi. lat idusig, nanun be-
leg, Heg, Heg paimne taman, ai
makanme tipun hinan amb dal
aowan laklaklo inou, inoug
imandeg, pain Heg tarn an hinan
ir kalog heleg idu. ai heleg,
iseg, inoug ijendeg bu toroitig bu
urur ipolg idu. idug bodi ter-
gete, bodi gugul terepele. bodi
palah petekei, o Heg hotuhotu
idu. idundeg joü bodi ketei pe-
tekei gigin ijendeg He. tomol
lihan: „oho, o hohpain hinan
bah He, Heg latendeg bu toroiti
idug bodi terpele.“ dipoi. dipolg
„joü bod aowan oru“ dipoi
„ijende: mane“ dipoi, danaleg
dileg ambio dinoug; ijen.
hema.
Unterwegs fragte sie ihr Kind: „Wirst du auch nicht
fallen?“ Aber das Kind antwortete ihr; „Oh, Mutter, ich
werde nicht fallen; wir gehen ohne Gefahr.“ Seine Mutter
hing und kletterte, kletterte bis nach oben. Da nahm sie
ihr Kind, ging bis zum Hause ihres Vaters, des Großvaters
des kleinen Kindes, und legte es auf das Gerüst vor dem
Eingang hin. Dann ging sie hin und holte ihres Vaters
schärfstes Beil. Sie trat herzu, nahm das Kind, kam zurück,
legte das Kind hin, und hieb den Strick ab. Der Strick fuhr
mit Donner hinunter, und zerbrach die Töpfe, zerbrach alle
Töpfe. Er streute die Topfscherben umher und fuhr überall hin.
Dabei traf er einen einzelnen Wassertopf und fuhr abseits
davon. Die Leute stammelten: „Oho, die Honfrau ist in ihr
Dorf gegangen und hat oben den Strick abgehauen. Der
ist heruntergefahren und hat die Töpfe zerbrochen.“ Sie
sprachen: „Der Wassertopf hat zwei Öffnungen [bekommen],
hier liegt er.“ Sie sprachen und nahmen ihn, und gingen
fort und legten ihn ins Haus. Da liegt er [noch].
Fertig.
EIN MÁRCHEN
ndum ibibike hiñan gom
bor ai inou, inoug bor kurum,
kete tomol inou. inouga bor ipol;
,,o mene tomol honou.“ ehgade
ipol. sumo ijeni. bor tinan hiñan
su ijeni. jenilag ujan. ujanga
imaisg itour. ndeg ujan. ñenga
hiben reilo urat inou. urat inoug
ma dabel mamok tabú hundí
gomoh tubai abai dobolou bara
jemb piei, beb piei. pieiga um
ta jebi, me ehgade ababa kurum
piei. ndum hiñan ababa kurum
riela.
ehgadeg pain kavai, i vombu,
idug, tah heleg bubusig kerikeri
heleg burlo He, bur hiñan tubai,
bur hiñan abai, bur hiñan beb,
bur hiñan gomoñ isere, sereg
nañon heleg tañ diri. dirig heleg
bubusig idu bañ idu. idug seseg,
Baessler-archiv, 1. 2.
5.
VON DUM, DER DIE FLÖTE SPIELTE.
Eine Sau gebar Kinder, viele Ferkel und einen Knaben.
Da sprach die Sau: „Ei, dies hier ist ein Mensch, den ich
geboren habe.“ So sprach sie. Er bekam nur Milch, seiner
Schweinemutter Milch zu trinken. So war es gut, er rich-
tete sich auf und stand. Als er groß geworden war, be-
stellte er ein Feld in der Steppe allein, und pflanzte Yams,
Taro, wilden Zucker, Bananen, Bohnen, Kartoffeln und Betel-
nüsse. Dann suchte er ein anderes Feld und pflanzte auf
diesem ebenso viele Sachen. Dums Besitz war sehr groß.
Alsobald kam eine alte Frau, eine Witwe, herzu. Die
hatte ihren Rucksack genommen und umgehangen, ihren
Spatel genommen und war in den Wald gegangen, um
wilden Zucker, wilden Taro, wilden Yams, wilde Früchte zu
graben und die Früchte in den Rucksack zu füllen. Dann
hing sie ihn um und ging ins Dorf. Da schälte sie die
Früchte und kochte sie. Dann schüttete sie sie in eine
12
88
OTTO DEMPWOLFF
badirlo seseg inei. ineig daigulo
serení, serenig tibundi, aipain
oru, dijeni. dijenig bo dijen.
dijenig seseli. seselig pain kavai
ibol: „sesgir añ amandep, ña
mave burñalande. journdep tani.
mave ñalande“. ibolg bur He.
abai serendeg, tub ai serendeg
ndeg He. ileg, ileg, ileg ndum
hiñan um nehi. nehig „0 ma
riela, ababa riela, ta pana ña-
ñalove“ ibol. ndeg dabelpana sere,
sereg ndum i mumunig itour.
itourndeg pain kavaimapana sere.
ndumi ibol: „se hañu um, o
ma pana uñalnde“ ibol. pain
kavai iruti. irutig: „hihihihi, ña
bur hiñan tombo ma ñabol ña-
sarnde“. ndum ibol ,,ao, bur
hiñan he, ña hañu um“ eñgade
ibol. ibolg ,,ma uñal“ ibol. ndum
ileg dabel sereg mamok rebeg,
tabu ñeleg, hundí ter eg, toü
tisinig, dobolou sereg, jemb ti-
sinig ñeleg iseg malan temeni,
pain kavai hiñan tañlo iteñe.
iteñeg penig pain kavai ibol: „0
ñia eite?“ ibol. ndum i „ña
ndum“ ibol. pain kavai ,,ao“
ibol „0 ses, hañu amblo aipain
biresi oru dimande, o bop ula,
ulap hañu amblo o udusi, udu-
sipa wolati“ eñgade ipei. ipeig
Ndum ibol ,,ao boilap ñalabe“
ibol. ibolg „hañu awoñu uloñ
uloñpa o ndum isande ubol“.
ndeg pain kavai idu, idug
bañde. bañdeg ma seseg inei.
ineig tibungir oru „0 ses, abá-
bame domonde ñeleke?“ dibol.
pain kavai ibol „hañu burlo
ñeñeleke“ ibol. ibolg ma nei,
meig daigulo serenig tibungir
dijeni. dijenig bog dijen. dijendeg
ndum i bala jebi, bog ndumi
bibi. bibig pain kavai i ibol „0
ses isande“. ibolndeg bañbañ
tomol idiloñ dibol ,,ndoru tombo
mo tombo ibobde“ eñgade dibol.
Schüssel, und sie aßen davon, sie und ihre Enkel, zwei
Mädchen. Als es Nacht wurde, gingen sie schlafen. Am
anderen Tage sagte die alte Frau; „Enkel, ihr bleibt hier,
ich gehe in den Wald, um Nahrung zu suchen; abends essen
wir; um Nahrung zu suchen, gehe ich weg.“ Dann ging
sie in den Wald, scharrte wilden Taro und wilden Zucker
und ging weiter. Da sah sie Dums Feld. „Oh, da ist viel
Nahrung, da sind viel Sachen, etwas will ich heimlich
nehmen,“ sagte sie. Dann stahl sie Yams. Während sie
stahl, stand Dum verborgen dabei.
Er sagte: „He, das Feld gehört mir, du stiehlst!“ Die
alte Frau erschrak. „Hihihi, ich dachte, vielleicht sind es
wilde Yams, die ich grabe.“ Dum antwortete: „Jawohl, wild
sind sie nicht, mir gehört das Feld.“ Dann fügte er hinzu;
„Nimm dir Taro.“ Dum ging selbst hin, grub Yams, riß
Taro aus, nahm wilden Zucker, brach Bananen ab, schnitt
Zuckerrohr ab, scharrte Süßkartoffeln aus, schnitt Betel-
nüsse ab, kam damit an und schüttete alles auf einen Haufen,
dann füllte er es in den Rucksack des alten Weibes. Als
er ihn ihr gab, fragte das alte Weib: „Wie heißt du?“ Dum
antwortete: „Ich bin Dum.“ Das alte Weib sprach: „Jawohl,“
sie sprach, „oh Enkel, in meinem Hause leben zwei Jung-
frauen. Geh du nachts hin, klettere du ins Haus, dann
wirst du sie lieb gewinnen.“ Also sprach sie zu ihm. Dum
antwortete: „Ja, morgen werde ich hingehen,“ er sprach;
„Höre meine Stimme; wenn du sie hörst, wirst du merken,
daß Dum kommt.“
Dann ging das alte Weib zum Dorf. Dort kochte sie die
Mahlzeit. Da fragten ihre beiden Enkel; „Oh Großmutter,
wo hast du diese Sachen hergeholt?“ Das alte Weib ant-
wortete: „Aus meinem Walde habe ich sie geholt.“ Sie
kochte das Essen, füllte es in eine Schüssel, und ihre Enkel
aßen. Dann, des Nachts, legten sie sich schlafen. Unter-
dessen schmückte sich Dum, und, als es Nacht war, blies
er die Flöte. Da sprach das alte Weib: „Oh, der Enkel
kommt.“ Aber die Nachbarn, die es hörten, sprachen: „Ein
Vogel singt wohl noch.“ Also sprachen sie.
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1L1B1L1
89
pain kavai amb idusig ibol:
,,ses usene?“ ,,ao ña ñese“ ibol
„paiñ oru amblo dijende o volati“
ibol. ndum ileg voleti. voletig
ijendeg kokorek ibob. ibobdeg
ndum idu. idug hiñan bañ ise.
ise imandeg ivendi. ivendiga ma
memerig jeni, jou he, niu tor he,
ma naig he, ma memerig mo
i jeni. jeniga i jen toli. toligame
var iñele mene kasi inou, kasi
inouga bem bala jebi. hiñan
kaluñ, hiñan kodeñ, hiñan
kwamb, hiñan tondi igere. ige-
rega badam swinse, swinsega
ton badamlo diri. dirig niman
ah bise, nien ari bise, luán
sagasag bise, gaten sere, kodeñ
sei, kaluñ kwambdi biseg sei.
ndeg bem itur. iturg mor hunig
memeri. memerig and malan
nehindeg imandeg and bo.
and boga imais hiñan ndumi
ñele; ñeleg bo bañ ujan mok,
sinasin potu idug bañ kaberan,
bañ ujan mok. bog imais ile.
dalndeg ndumi bibi. bibig pain
kavai ibol ,,o ses isande.“ aipain
orume dibol: ,,ao“ dibol „ses
ata ibobde?“ pain kavai ibol:
„hiñemi evemi isendeg dalndeg
ibobende.“
ndum ileg amblo idusi. idusig
ibol: „ña kasi mamari.“ pain i
kasi ñele . dañeleg memeri direi.
direig ndum ibol: „hañu kasi
tukuran, ponoñu“ ibol. ibolg
kasita ipeni. ipenig gomu dibol-
lag idu. idug hiñan bañ ile, ileg
imanlag haon imulgise, iseg vo-
letinde. voletilag ndum idu.
idundeg pain oru idibol ,,o hama
tomol, andi hiña bañ talave.“
ndum ibol: ,,añ hibemi adup
tala.“ pain oru didug hiñandin
tañ deñeleg didu. didug dile.
dileg ndum hiñan bañ didu. di-
dug dimande, dimandeg seseli.
sesehg aipainme tinangir taman-
Als er in das Haus des alten Weibes stieg, fragte sie:
„Enkel, kamst du wohl?“ „Ja, ich bin wirklich gekommen,“
antwortete er. „Die beiden Mädchen liegen im Hause, du
wirst dich verlieben.“ Dum ging hin und gewann sie lieb.
Dann schlief er, bis der Hahn krähte. Da ging Dum zu
seinem Dorf zurück. Dort blieb er und trieb Liebeszauber,
aß den Taro geröstet, trank kein Wasser, keine Kokosmilch,
aß keine gekochte Speise, nur gerösteten Taro aß er. So
lebte er drei Tage. Am dritten Tage nahm er Blätter und
bereitete den Tabak zu. Dann schmückte er sich mit roter
Farbe, und verzierte seinen Federbusch, seinen Kamm,
seinen Kopfputz (?) und seinen Brustschild. Dann hing er
seine Tasche um, und tat den Brustschild hinein. Dann
schob er seine Armbänder hinauf, seine Beinbänder ebenso,
schnürte seinen Unterleib und schob das Leibband hinauf.
Er ordnete sein Haar, steckte den Kamm hinein und schob
den Federbusch mit dem Kopfputz oben hinein. Dann legte
er rote Farbe auf. Dann beräucherte er sich mit Basili-
kum. Als er dann sah, daß die Sonne noch hoch stand,
wartete er.
Als die Sonne sank und es Nacht wurde, brach er auf
und holte seine Flöte hervor. Das Dorf lag in der Nacht
so schön da, der Mond und die Sterne waren aufgegangen;
das Dorf war ganz hell und schön. Da brach er in der
Nacht auf und ging hin; unterwegs blies er die Flöte. Da
sprach das alte Weib: „Oh, der Enkel kommt.“ Die beiden
Mädchen fragten; „Ja, Großmutter, was pfeift da?“ Das
alte Weib antwortete: „Euer Gemahl kommt und flötet
unterwegs.“
Dum ging hin und stieg ins Haus. Da sprach er: „Glühe
meinen Tabak an.“ Ein Mädchen nahm den Tabak, beide
nahmen ihn, glühten ihn an und rauchten. Dann sagte Dum:
„Mein Tabak geht zu Ende, gebt mir von euerem.“ Da
gaben sie ihm frischen Tabak, Nachdem sie sich unter-
halten hatten, ging er hinaus und nach seinem Dorf. Nach-
dem er dort gewesen war, kam er zurück und liebte sie.
Als sie sich geliebt hatten, wollte Dum Weggehen. Da
sprachen die beiden Frauen; „Du bist unser lieber Mann;
wir wollen zusammen in dein Dorf gehen.“ Dum antwortete:
„Ihr müßt von selbst herauskommen, dann wollen wir gehen.“
Die beiden Frauen nahmen ihre Rucksäcke, kamen heraus
und gingen fort. So kamen sie zu Dums Dorf und blieben
dort. Unterdessen wurde es Tag. Da fragten die Eltern,
Geschwister und Verwandten der Mädchen: „Wo sind diese
beiden Mädchen wohl hingegangen?“ Da antwortete das
alte Weib: „Wer mag das wohl wissen, ich habe sie nicht
12*
90
OTTO DEMPWOLFF
gir liungir dovalingir vajangir
diboi: „aipain orume domande
dilene?“ diboi. dibolndeg pain
kavaime ibol: ,,i jo, na nenehi-
tehe, na lot hafen aipain oru i
lot dijen.“• engade ibol. tamangir
direreg ditor. ,,domande lombo
dile?“ diboi.
dibolg aipain orume i engade
dimande, ma kurum difeni, ababa
kurum difenilag dita: „hama bah
domande ifendene?“ diboi dita,
ditag ndum i ibol: „hihemi ban
fembir i he, sesir mok fende.“
ibol. ibolga seselig bomuiì dimais
umlo dile. dileg ababa dehele,
ma tabu, hundi dabel toù femb
ababa kurum dehele, deneleg tan
didiri, didirig didu. didug bog
dijen. difenig seseli. seselig bo-
muhdeg ,,aria“ diboi ,,talare“, i
tan dububusi, dububusig pain
orume dimuiì, dimundeg ndum
i vadan. ndum fu fiele, hui fiele,
badam bedemeni, hinan baia febi,
hinan perniai buruan, hinan
koleloi buruan, noki gereg tihelan
kodeh sei. ndeg idimuhdeg, i
vadan dile.
dileg, dileg, bah didu, bah
didug tomol i painme tinan ta-
man liun dovalin ,,o kakgir
isande, o hahu nanuhu isande.“
febiga dita, dilaga diboi „ah
domondeg ese?“ i diboi: „a fem-
bir he, sisir mok a amande, ah
abobdeg a alohde, ah urat an~
oundeg ai eterendeg, ir i lihan,
a alohde.“ engade diboi. diboln-
deg dimandelag four. four ma
dinei, ayu derei, duhunig dimu.
dimug dita. engade g difenig a
seseli. seselig ndum nuli inou.
nuli inoug ibol: „pain alan
niendindi so imandemoi, tomol
alan niendindi so imandemoi,
tomol alan kavai fain hundeke
so imandemoi, gugul gugul mok
amaispa hahu bah ala“ ibol,
gesehen, ich habe abgesondert geschlafen, und die beiden
Mädchen haben für sich geschlafen.“ So sprach es, die
Väter aber suchten umher und fragten: „Wo mögen sie
wohl hingegangen sein?“
Die beiden Mädchen blieben also dort, sie bekamen viel
Taro, viele Speisen zu essen. Trotzdem fingen sie an zu
weinen; „Wo mag unser Dorf liegen?“ So sprachen sie
und weinten. Da aber sagte Dum: „Euer Dorf ist nicht fern;
ganz nahe liegt es.“ So sprach er.
Am nächsten Tage standen sie früh auf und gingen ins
Feld. Sie holten Nahrungsmittel, Taro, wilden Zucker,
Bananen, Yams, Zuckerrohr, Betelnüsse, vielerlei holten sie,
füllten die Rucksäcke voll und gingen zurück. Des Nachts
schliefen sie. Am nächsten Tag in der Frühe sprachen sie:
„Vorwärts, laßt uns gehen.“ Sie bängten die Rucksäcke
um, dann gingen die beiden Frauen voraus, Dum folgte
ihnen. Dum hatte seinen Speer genommen, seinen Bogen
genommen, seine Tasche umgehängt, seinen Schmuck an-
gelegt, seine Eberzähne und seine Perlen umgehängt, seinen
Nasenpflock hineingesteckt, seinen Kamm übers Ohr ge-
steckt; so gingen sie voraus und er folgte.
Sie gingen, gingen bis sie zum Dorf kamen. Da riefen
die Leute, die Eltern, Geschwister und Vettern der Frauen:
„Oh, die Geschwister kommen, oh, meine Kinder kommen.“
Sie umarmten sie und weinten. Dann fragten sie: „Woher
seid ihr gekommen?“ Sie antworteten: „Wir wohnen nicht
weit, sondern ganz nahe; wenn ihr gerufen habt, haben wir
es gehört; wenn ihr gearbeitet und Bäume gefällt habt,
haben wir die Äxte klingen gehört.“ So sprachen sie. Dann
blieben sie, bis zum Abend. Abends kochten sie Taro,
holten Kawa hervor, zerklopften sie, und tranken. Dabei
weinten sie. Also schliefen sie, bis es Tag wurde. Dann
berief Dum eine Versammlung, und sprach; „Die kranken
Frauen sollen nicht zu Hause bleiben, die kranken Männer
sollen nicht zu Hause bleiben, die alten kranken Leute,
deren Kinn wackelt, sollen auch nicht bleiben; alle, alle
sollt ihr aufbrechen und in mein Dorf gehen.“
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1LIBIL1
91
ñeteñen ,,ao“ ibol. ibolg ndum
i evangir durindeg imul hiñan-
din bañ dise. diseg nati dipasi
beni. benig tali dijendeg ndum
ileg var tere, tereg iseg bo. seselig
and dirig, nenig, mandan sesi,
mandan sesig ñeleg ileg amblo
diri. dirig seselig bomuñdeg
ñeleg idug rain bule, bor rain
bule, buleg evangir ipeinde: ,,añ
umlo ala. alap ma añal, hundí
atar, to tisini, beb asar, bara
añal, tabu añal.“ eñgade ibol.
evangir oru dijaog umulo dile,
ababa dañale. didug journdeg
taingir — ndum hiñan tain bor
— voñeinde: „dirine, aobne“
voñeinde. didu, didug jebi. je-
bindega sesei. seseindeg ijendeg
seseliga dise. diseg ndum hiñan
bañ dimandeg, ndum idug; ma
ineig, neteñengir nimbengir pe-
ntade dijeni. dijenig ndum idug,
idug bor ivai, ivaig peninde. bor
lie hete painme taman peni,
penig i mui. ndum ileg permat
pesi, penig imui. ileg bali kole-
kole pesi ñeleg idu peni, tag i
mui. tomoime ibol: „ña ñamui,
ña amb paruklo bor ríen paiat
rienme ñañalove.“ ndum i ibol:
„hañu nen ña panbehe“ ibol.
neteñen ibol: ,,o tíñame ña po-
noñuve“ ibol. ndum ibol „hoho,
hañu nen bubeñu“ ibol. ndum
mañu, idug Unan jebi, jebig su
ipou, ipoug neteñen peni. neteñen
ibol: „aria, ganaga bubeñ ufan,
eñgadep ña hañu bañ ñalabe“.
tomol idug bor paiat ñeleg ile.
ilendeg ndum i mañu, mañu
daremlo ijen itandeg ijen tinanve
itandeg . jourga evangir ma dinei,
dineig diserenig deñeleg dile.
dileg daremlo dipeni, ibol: „ña
ma ñamui“ ibol. evangir ma
dañaleg dimul, hibendin digeni,
digenig bo. bondeg di jen. dijendeg
ndum idug dal aowan honeti,
Sein Schwiegervater stimmte zu. Dum holte seine Frauen
und kehrte in sein Dorf zurück. Da lösten sie die Ver-
sammlung auf. Als drei Tage vergangen waren, ging Dum
hin, hieb Lianen ab, und kam nachts wieder. Am nächsten
Tag legte er sie in die Sonne zum Trocknen, schälte den
Bast ab, nahm ihn und verwahrte ihn im Hause. Am
nächsten Tag in der Frühe nahm er ihn, ging hinaus und
drehte Stricke zu Schweinefesseln. Dann sagte er zu seinen
Frauen: „Geht ins Feld, holt Taro, brecht Bananen ab,
schneidet Zuckerrohr, grabt Kartoffeln (?) aus, holt Bohnen (?),
holt wilden Zucker.“ So sprach er. Seine beiden Frauen
entfernten sich, gingen ins Feld und holten die Sachen,
Als sie gingen, rief er abends seine Brüder — Dums Brüder
waren Schweine —, er rief sie: „Aub! Diri!“ Als sie her-
kamen, ergriff er sie und fesselte sie. Als sie da lagen,
da kam auch am nächsten Tag [seine Schwägerschaft].
Während sie in Dums Dorf saßen, ging er herzu, kochte
Essen und gab es seinen Schwiegereltern und Schwägern
zu essen. Dann trat Dum wieder herzu, verteilte Schweine
und gab sie ihnen. Ein großes Schwein gab er dem Vater
der Frauen. Der lehnte es ab. Dum ging hin und machte
Eberzähne los. Er gab sie ihm, aber jener lehnte ab. Er
ging weg, holte sein Hundezahnhalsband und gab es ihm.
Aber der Mann lehnte es ab und sagte: „Ich will dies nicht,
ich verlange das große fette Schwein, das unter dem Hause
liegt.“ Dum antwortete: „Meine Mutter kann ich dir nicht
geben.“ Sein Schwiegervater sagte: „Diese deine Mutter
sollst du mir geben.“ Dum erwiderte entrüstet: „Meine
Mutter ist mein Liebstes [meine Brust].“ Dum grollte, aber
er ging hin und ergriff seine Mutter, fesselte sie und gab
sie seinem Schwiegervater. Der sprach: „Vorwärts, jetzt
bin ich zufrieden, also werde ich in mein Dorf gehen.“
Der Mann trat herzu, nahm das fette Schwein und ging
weg. Als er weg war, lag Dum grollend im Männerhaus,
und weinte wegen seiner Mutter. Abends kochten seine
Frauen Taro, trugen ihn auf und brachten sie ihm ins
Männerhaus. Er sprach: „Ich mag nichts essen.“ Seine
Frauen nahmen die Taro weg und aßen sie allein. Dann
wurde es Nacht und sie legten sich schlafen. Während sie
schliefen, ging Dum herzu, verschloß die eine Tür und ver-
riegelte sie mit Lianen. Dann ging er hin und verschloß
und verriegelte die Tür der anderen Frau.
92
OTTO DEMPWOLFF
vario sekikiri. ileg painta hiñan
dal aowan honeti sekikiri.
ambtalo ile, ileg hiñan tutavar
iñele, hiñan vajai iñele, hiñan
hui iñele, idug bañ atendeg hiñan
jemb isepeñeni. ñeleg idu, idug
tandeg hiñan badam bedemeni,
hiñan hui inele, vajai ndep inele,
hiñan vajai gum iñele, idug ile.
jemb imamdeg tikivol jasundeg,
tu iseindeg ile. ileg ileg noñlo
itour, hiñan tu, hiñan ju, hiñan
hui nien hun diri, dirig ijendeg
i bom buli. bom bulig imais lat
ile, ileg latende, latendeg imande,
imandeg seseli, seselig hiñan
gum seig „buho buho“ ibol.
ibolndeg evangir seselig evan
ta idug pesi. pesilo huni, gagaon.
ileg kairgat ñeleg dal aowan
var toruti, torutig bañate idu.
idug tiranta ipei: ,,o unahije?“
ipei ,,o ña dal honeti je, usop
pesip ponuñuve“ ibol. tiranta
ileg dal pesi, pesig tiran, idu,
idug dileg, düeg daremlo dire-
relag, he „hega domonde ilene?“
dibol. dibolg dal durig dile.
dilelag jemb gamir vajai ibereke.
tu iseike, dinehi. dinehig dibol
,,o dal menelo ile“ dibol. dibolg
dal durig dile. dileg dileg didu.
ditanlag dinehi, dinehig dibol
,,o iseg imande mane“ dibol.
dibolg maru bulinde. bulindega
bom luán durig dipalailiga dile.
dileg, dileg latende dilendeg di-
bol; ,,a moloñu abibe.“
,,añ so esemoi, añ tememi
aowan alan, i tomol ríen, i aowan
alankwi, ña duga hañu nen ñebi,
ñepenig ile, meveg bubeñu alan,
ña mañu. hiñemi ma, eneike,
meve ñamui. añ ñumumunemi.
bo ajendeg dal aowan ñuhoneti,
ñaóg ñese. añ atave ese?“
eñgade ibol. ibolndeg latende
imande, hiñan gum sainde;
„buho, buho“ ibolnde, maror
Er ging in das dritte Haus, holte seinen Köcher (?), seinen
Kalk und seinen Bogen, trat heraus und pflückte seine Betel-
nüsse ab. Dann hing er draußen seine Tasche um, ergriff
seinen Bogen, nahm seinen Kalk und die Betelbüchse und
brach auf. Er kaute Betel und spuckte den Saft (?) aus,
stieß den Pfeil [wie einen Stock in die Erde] und ging fort.
Er ging bis zu einem Sumpf (?), legte seinen Pfeil, seinen
Speer und seinen Bogen zu seinen Füßen hin; als sie da
lagen, wurde er eine Sagopalme. Zur Sagopalme geworden,
wuchs er empor, immer höher und blieb oben. Dann wurde
es Tag und seine Kalkbüchse klapperte dumpf [im Winde].
Als es Tag geworden war, stand eine von seinen Frauen
auf und [versuchte die Tür] aufzumachen. Aber sie war
kraftlos, die Riegel hielten fest. Dann holte sie ein Stein-
werkzeug und schnitt die Lianen an der Tür durch, so
konnte sie auf den Dorfplatz heraus. Da fragte sie ihre
Freundin: „Hast du ihn gesehen?“ Die antwortete: „Oh,
meine Tür ist verschlossen, komm und gib mir die Frei-
heit.“ Ihre Freundin ging hin und machte den Weg frei.
Da kam ihre Freundin heraus, und beide gingen zum
Männerhaus und suchten ihn, aber er war nicht da.“ „Er
ist nicht da, wohin ist er wohl gegangen?“ fragten sie. Sie
verfolgten den Weg, da sahen sie die Spuren an dem Kalk,
den er ausgeworfen hatte, und von dem Pfeil, den er hinein-
gestoßen hatte. Da sagten sie: „Auf diesem Wege hier ist
er fortgegangen.“ Sie verfolgten den Weg weiter und
gingen hin und her. Sie schauten auf die Erde (?), sie
sprachen: „Da ist er angekommen und geblieben.“ Dann
wurden sie zu Lianen, so umklammerten sie den Sagopalm-
stamm und rankten sich empor. Oben angekommen sprachen
sie: „Ach, unsere Augen haben ihn erblickt.“
„Ihr hättet nicht kommen sollen; euer Vater ist habgierig;
er ist ein angesehener Mann, aber weil er so habgierig ist,
habe ich hergehen und meine Mutter ergreifen und ihm
geben müssen; deswegen bin ich traurig und zornig. Des-
wegen habe ich die Taro, die ihr gekocht hattet, verschmäht.
Ich hatte mich verborgen; als ihr nachts schliefet, habe ich
die Türen verschlossen und mich hierher entfernt. Wozu
seid ihr gekommen?“ So sprach er und blieb oben. Seine
Kalkbüchse klapperte dumpf, er blieb feierlich sitzen, seine
Nase zerbrach den Kalk und färbte sich weiß (?), er blieb
sitzen. Seine Frauen fuhren unter Donner zur Erde und
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1LIB1LI
93
inoug imande. win vajai gorubu
terpele, imande.
evangir urur dibol didu, didug
tande bom luan divoletig di-
Tnande. ndum i latende imande.
eiigade hema.
umklammerten in Liebe den Sagopalmstamm, Dum blieb
oben.
Also ist es fertig.
6.
ENTSTEHUNG DER KOKOSNUSS.
aipain rien i lian indi rañ de-
penendeg, nanon dibirendeg, du-
ñain vario detuñurindeg, rabati
depenendeg, gaten detuñurindeg
dise. disega du dinehi.
aitomol makanmemos ibol, hun
ipei: ,,kaka, hañu due ñelep po-
nuñu ñaniveje“ ibol. ibolga ai-
painme Heg niman iuot He, god
inoug ibol: ,,e lat riela, ña tu-
kuroñu. ulap ñiou ñalep usa“
ibol. ibolg ilendeg liunmos du
ñeleg jeni. jenig liun makan ise:
,,kak, du domne? he domde tombo
ile, o god nou pana o weni, he
urioñu, ñiouve ñelendeg pana
meni.“ eñgade ipei. ipeig ita.
itandeg bañ dise, diseg vajan-
gir du ñunin dinou, dinoug du
nañon idu, idug riñum idu, riñan
imairndeg gur inou, ileg dobuki
rierie ileg, tinin penepene ileg,
mangarum inou, ileg imande.
mandega sarer dipiri — niu raon
dañaleg — ndeg du disei. diseig
sarer didiri, didirig diñaleg dise,
du aimakan dipeni, „wani, meve
utake“ eñgade dipei, sarerta jani
beni, ileg tañía irinde imande —
tañlo du ijen — me jani beni.
,,kaka, ta usopa, urioñu, wanivo“
ipei, ipeitag „hiña, meve utake,
wani.“
,,huñu usop, ta wanivo.“ „he,
hiña, meve utake, wani.“
,,gei]a tasop, urioñu, wanivo.“
„hiña, meve utake, wani.“
Ein großes Mädchen und ihr Bruder hatten zusammen
Krebse gefangen, den Leib weggeworfen und die Schwänze
auf Fäden gezogen, hatten Fische geschossen und die Köpfe
aufgefädelt. Auf dem Heimweg erblickten sie einen Nußbaum.
Der kleine Knabe sagte zu seiner Schwester: „Schwester,
hole mir Nüsse und gib sie mir zu essen.“ Das Mädchen
ging hin und streckte ihre Hand aus, betrog und sprach:
„Ach, es ist sehr hoch, ich bin zu kurz. Geh und hole
einen Haken.“ Als er weggegangen war, pflückte seine
Schwester selbst die Nüsse und aß sie. Da kam ihr kleiner
Bruder zurück: „Schwester, wo sind die Nüsse? wo sind
sie wohl geblieben? Du hast mich betrogen und sie heim-
lich gegessen; du hältst nicht Wort; während ich den Haken
holte, hast du sie heimlich gegessen.“ So sprach er und
fing an zu weinen.
Unter Tränen kam er ins Dorf. Da legten seine Onkel
und Vettern Nüsse zum Keimen, und die Pflanzen wuchsen
empor, die Bäume blühten, die Blüten fielen ab und die
jungen Früchte blieben, sie setzten in großen Büscheln an,
die Äste bogen sich unter ihrer Last, und sie wurden reif.
Da flochten sie Körbe — aus Kokospalmblättern - schüttelten
die Nüsse herunter und füllten sie in die Körbe. Dann
brachten sie sie hin und gaben sie dem kleinen Jungen:
„Da iß, das ist es, weswegen du geweint hast.“ So sprachen
sie zu ihm. Einen Korb aß er zu Ende. Noch einen Ruck-
sack voll, der daneben lag — in dem Rucksack waren
Nüsse — aß er zu Ende. Dann sagte er: „Bruder, komm
doch einmal, ich halte Wort, du darfst davon essen.“ Jedoch
der antwortete: „Es gehört dir, das ist es, weswegen du
geweint hast, nun iß.“
„Schwester, komm, du darfst davon mal essen.“ — „Nein,
es gehört dir, das ist es, weswegen du geweint hast, nun iß.“
„Vetter, laß uns kommen, ich halte Wort, du darfst davon
essen.“ — „Es gehört dir, das ist es, weswegen du geweint
hast, nun iß.“
94
OTTO DEMPWOLFF
„vaova usop, ta urioñu, wa-
nivo.“ „hiña, meue utake, wani.“
„bea usop, urioñu, wanivo.“
„hiña, meve utake, wani.“
„bia usop, urioñu, wanivo.“
„hiña, meve utake, wani.“
o, devalin, o nimbengir, na-
gengir, nimbingir, tibungir, tinan-
gir, tamangir ipeinde, tag eñgemo
diboi, dimui beni, hiben jenilaga
jani beni, vadak huni.
huniga Heg, jaliñ dailme ter-
gete, terpeleg ñeleg ile. Heg i
beo. ibeondeg jaliñ bireg idu,
vadaklo ile. Heg bor ise. bor
iseg vadak i jeni. vadak ijenig
jaliñdi vadaki te jeni. jaliñmos
bor kelagun hun toroti, torotig
imat. imatig ijendeg aimakanme
iveñi. iveñindeg sesair tomol ise,
iseg ibol: „kaka, ata uvene?“
ipei. ipeitag aimakanme ibol: „o
kak eñ he, o sesair tombo jo.“
ipei. eñ ibolndeg sesair imulg He.
ilendeg tain ise: „ata uveñin-
dene?“ „he, bor taowarve ña-
vañinde.“ ipeig bor daoware dise.
diseg dinouga, ijendeg tain ma-
kanme jave He. Heg sesair pain
kavaime amblo imandeg ai ma-
kan: „ses, ña ja pik ponuñu“
ibol. „ata mamarive?“ „sisi ñe
mamarip ñanive“ ibol. sesair
painkavai ibol: „sisi ña nahin-
dehe“ ibol. tag ai makan ipei
„bor amamarive.“
ja ipeni, ñeleg ise. ñeleg iseg
bor dimemeri, dimemerig, deteleg
dinei. dineig sesair pain kavai
ise, isendeg, ai makan bor tiñain
pitive He, ilendeg tain rienme
imande. imandeg sesair pain
kavai ise, iseg tainmos jebi, jebig
bor amblo vario seseg ijen. ijen-
deg tain makan ise, iseg, bor
dipesi, dipesig dijenindeg sesair
pain kavai dohuni. dohunig imat.
Onkel, komm du, ich halte aber Wort, du darfst davon
essen.“ — „Es gehört dir, das ist es, weswegen du geweint
hast, nun iß.“
„Schwager, komm du, ich halte Wort, du darfst davon
essen.“ — „Es gehört dir, das ist es, weswegen du geweint
hast, nun iß.“
„Tante, komm du, ich halte Wort, du darfst davon essen,“ —
„Es gehört dir, das ist es, weswegen du geweint hast, nun iß.“
Oh, seine Vettern, seine Schwäger, seine ganze Sippe,
seine Tanten, seine Großeltern, seine Mütter, seine Väter,
allen bot er an, aber sie antworteten nur ebenso, sie lehnten
es durchaus ab. Allein aß er und aß, bis er fertig war.
Da bekam er Stuhldrang.
Er ging fort, zerschlug einen Obsidiansplitter, nahm ihn
und ging zu Stuhl. Dabei warf er den Obsidian fort, daß
er in den Kot kam. Dann kam ein Schwein und fraß den
Kot, fraß den Kot mit dem Obsidian zusammen. Der Ob-
sidian zerstach dem Schwein die Luftröhre, daß es starb.
Als es tot dalag, rief der kleine Junge. Da kam ein Zwerg
und sprach: „Bruder, was willst du denn?“ Aber der kleine
Junge antwortete: „So sieht ein Bruder nicht aus, du bist
doch ein Zwerg.“ Als er so sprach, kehrte der Zwerg um
und ging weg. Unterdes kam sein Bruder: „Was rufst du?“
„Nein, ich rufe, damit wir das Schwein wegtragen.“ Da
trugen sie das Schwein heim, und legten es hin. Als es da
lag, ging der kleine Bruder weg, um Feuer zu holen. Er
traf die alte Zwergin im Hause sitzen und sprach: „Groß-
mutter, gib mir ein bißchen Feuer.“ „Was willst du braten?“
„Ich will einen Heuschreck braten und essen.“ Die alte
Zwergin sprach; „Ich sehe keinen Heuschreck.“ Da sagte
ihr der kleine Junge: „Wir wollen ein Schwein braten.“
Sie gab ihm Feuer und er brachte es heim. Dann rösteten
sie das Schwein, zerschnitten und kochten es. Da kam die
alte Zwergin, aber als sie kam, war der kleine Junge weg-
gegangen, um das Eingeweide des Schweines aufzuschlitzen;
unterdes war der große Bruder dageblieben. Als die alte
Zwergin nun kam, packte dieser Bruder sie, band sie und
sperrte sie in einen Schweinestall. Unterdes kam der kleine
Bruder zurück, sie zerlegten das Schwein und aßen. Dann
schlugen sie die alte Zwergin tot und schnitten ihr die Scham-
teile heraus. Die hingen sie ins Haus zum Räuchern. Dann,
am nächsten Tag, kam der Gatte der alten Zwergin, ihr Mann,
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BIL1B1LI
95
düen ditoruti deñele. deñeleg
amblo digesig i jen. ijendeg se-
selig sesair pain kavai i evan
tomol ise, iseg ibol: ,,añ hi-
ñemi tibum alanme en isene?“
idibol ,,ehe, en isetehe, domde
tombo ile?“ eñgade dibol. di-
bolndeg evan düen dinei dipenig
ijeni. jenindeg imulig ise. imulg
iseg imandeg, hiñan bañ imandeg,
diseg amb dal dehoneti, honetig
suli tinig amb memerie. sesair
tomol kavai ibol: ,,o ses o ja
nenioñunde“ ibol, ibolndeg aime
dibol: ,,o god onou.“ — ,,oa, eñ-
gade ja nenioñunde“ ibolndeg,
sesair tomol kavaime jamos neni.
tuan petekeindeg deñaleg disen-
deg jalo dibireg ilendeg eñgemo
ditondeg i inani jamos gaten kete
petekei iñal hiben ile, dinahitehe,
i jen.
ijendeg jamb i masive didu.
didundeg jamb tomol alanta ka-
vai i nou he, numbu he, bembas
idu. idulag tomol gaten nehi,
inehig ibol: ,,veje, hañu, ujan
mok, masi ñesirive“ ibol. ibolg
ñele ñeleg vario ain inou, bede-
meni. bedemenig lañ idu, masi
i siri, sirig bedemeni ise, isendeg
sesair kavai gatenmemos babaten
kokoitinde. i: „ataje nenioñun-
dene?“ ibol. iseg amb vadande
ibol: „kokoiti“. kokoititag to-
moime iroiti. iroitiga ipesi, pesig
bire, amb vadande burlo bire.
bireg ijendeg bondeg niu buli.
bulig imais, imaisga tomoime
iselag nehi: „ñor aba alanta.
ñebireke, imais“ ibol. seselig ileg,
nañon idu. nañon idug, nañon
kurum seleiselei ijendeg, bañbañ
gugul umlo dila beni, dila be-
nindeg ai painme liundi ban di-
,, .„iílíi ti i m
itandeg aipainme ibol: ,,~.
panip, janivene?“ ibol. heg
niume kete iñele. ñeleg isec
Baessler-archiv i. 2.
und fragte: „Ist euere alte häßliche Großmutter wohl hierher
gekommen?“ Sie antworteten: „Nein, hierher ist sie nicht ge-
kommen, wo mag sie wohl hingegangen sein?“ So sprachen
sie, kochten die Schamteile seiner Frau und gaben sie ihm
zu essen. Dann ging er wieder heim. Als er in seinem
Dorf war, kamen sie und verrammelten den Eingang, zün-
deten trockene Kokosblätter an und steckten das Haus an.
Der alte Zwerg rief: „Oh, Enkel, oh, das Feuer verbrennt
mich.“ Da sprachen die Kinder: „Du irrst dich!“ — „0 weh,
so verbrennt mich das Feuer.“ Also verbrannte der alte
Zwerg. Sie zerstreuten seine Knochen und warfen sie ins
Feuer. Als sie es so taten, wurden sie verbrannt. Nur der
Kopf allein war besonders verstreut, so daß sie ihn nicht
sahen.
Der lag lange da. Einstmals gingen Bergleute zum Meere.
Unter ihnen war ein alter häßlicher Bergbewohner, der hatte
keine Büchse, kein Gefäß, der ging umsonst mit. Als
der herzutrat, sah er den Menschenschädel und sprach:
„Wozu das? Das gehört mir, das ist sehr nützlich, ich will
damit Meerwasser schöpfen.“ Er nahm ihn, machte aus
Ranken einen Griff daran und hing ihn unter den Arm. So
schritt er zum Strande, schöpfte Meerwasser und hing ihn
wieder um. Während er heimging, kniff ihn der Schädel
des alten Zwerges in die Achselhöhle. Er sprach: „Was
brennt mich da?“ Daheim, hinter dem Hause sprach er: „Es
kneift.“ Als es aber kniff, erschrak der Mann, machte den
Schädel los, und warf ihn hinter das Haus in den Wald.
Als er dalag, wurde er über Nacht zur Kokosnuß.
Die wuchs zur Palme empor. Als der Mann kam und
sie sah, sprach er: „Das böse Ding, das ich gestern weg-
geworfen habe, ist emporgewachsen.“ Über Tag ging er
weg, da kamen die Früchte hervor. Viele Früchte kamen
in Büscheln hervor. Die Leute alle waren ins Feld gegangen,
nur ein Mädchen war mit ihrem Bruder im Dorf geblieben.
Der Bruder war klein und weinte nach Milch. Als er weinte,
dachte das Mädchen: „Was soll ich ihm zu essen geben?“
Weil nichts da war, holte sie eine Kokosnuß. Sie kam,
spleißte die äußere Schale ab, zerbrach die Nuß und gab
ihrem Bruder den Saft zu trinken. Dann aß das Mädchen
13
96 OTTO DEMPWOLFF
gat femiñeni, terbebe, Hum penig tor imu. imug aipainme hiben nañon pikata jeni. tag ufan, ujantag jani bent, ndeg Hun tanto inou, bubusi, ñeleg itorlag, matan i fes, ifendeg ñeleg iseg amblo señeni. señenig i kuki. ikukindeg tinangir didu. didug: „Hum ifen- dene?“ dipei. ,,ifende“ ibol. ma dinei, difeni. bondeg at makanme imais, imaisg ita. itatag tinan- mos ileg ñele ise, iseg su penig ifeni. ifenig seselig ai painme ibol: ,,nen, ña ababa monome — niu ñian iloñtehe — ufan mok ña kák, itakvji, ña ñelega ketei ñe- ñelega ñepenig ifeni. meve ifen. ifendeg bo.“ eñgade ipei. tinan ,,ao“ ibol. ibolg niu motounme imairg idug dubin hun alan ku- rum ifen. ifendeg painmemos evan ipei „hande nanunde pain eñgade ibol ai patun monome ufan mok.“ tomolme ileg ketei iñele. ñeleg iseg femiñenig di- feni; difenitag ufan, gamun, ga- mun mok. ,,ehe, ufan mok“ i dibol. tag ibolg bañbañ dise nali inou, bañbañ diseg niu moto- unme iñelegivai ibol: „ata tombo alanta abol. aipainmemos ñeleg Hun penig ifeni. Hun and ifeni- ndeg, bokeme ufan mok . meveg ñabol añ ese . mene añ alap ipiai, imais, oni. alan he. ufan mok, gamun“ ibol. bañbañ eñgade ipeinde. ndeg deñeleg difao, hiñandin bañbañ dipiei. hema. selbst etwas von dem Kern. Wider Erwarten war es gut, da aß sie ihn ganz auf. Dann legte sie ihren Bruder in den Rucksack, hängte den um, und trug ihn umher, bis er müde wurde. Als er schlief, brachte sie ihn ins Haus und hing den Rucksack auf. Dann kamen die Mütter heim und fragten: „Schläft dein Bruder?“ „Er schläft“, antwortete sie. Sie kochten Taro und aßen. Nachts wurde das kleine Kind wach und fing an zu weinen. Deshalb holte seine Mutter es und gab ihm die Brust. Am anderen Tag sagte das Mädchen; „Mutter, meine Sachen, die dort — den Namen „Kokosnuß“ kannte es noch nicht — sind sehr schön. Weil mein Bruder weinte, habe ich eins geholt und ihm zu essen gegeben. Deswegen hat er geschlafen bis zur Nacht.“ So sagte sie ihrer Mutter und die stimmte zu. Da fiel eine reife Nuß herab, und an dem Ende des Palmstammes lagen viele schlechte Nüsse. Da sagte die Frau zu ihrem Manne: „Unsere Tochter erzählt so: Die Baumfrüchte dort sollen sehr schön sein.“ Der Mann ging hin und holte eine. Er kam, spleißte sie ab und sie aßen sie; sie war schön und süß, sehr süß. „Nein, ist das schön“, sprachen sie. Als dann die Nachbarn kamen, veranstaltete er einen Markt. Er nahm die reifen Nüsse, verteilte sie unter die Nachbarn und sprach: „Ihr werdet sagen, was ist das wohl für schlechtes Zeug, Dies Mädchen hat davon ihrem Bruder zu essen gegeben. Ihr Bruder hat am Tage davon gegessen und war noch satt, als es Nacht geworden war. Deswegen habe ich gesagt, ihr möchtet kommen. Geht hin und pflanzt dies, es wird aufgehen und ihr werdet davon essen. Schlecht ist es nicht, sondern sehr schön und süß.“ Also sprach er zu den Nachbarn. Dann nahmen sie es, entfernten sich und pflanzten es in ihren Dörfern. Fertig.
muñ bañbañ gugul fa he. pain kavaime ríen hiñan dilienlo fa ifen. fambur didilo imande, ma bodilo inaindepa seperañanip imandep ma inainde, ma inanip 7. DAS FEUER. Früher kannte man in allen Dörfern das Feuer nicht. Es war in der Scham eines großen alten Weibes. Die lebt im Bergwalde. Um Speisen im Topfe zu kochen, sitzt sie mit gespreizten Beinen da und kocht; wenn das Essen gar ist, dann ißt sie. Die Leute in den Dörfern essen den Taro
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1LIB1L1
97
janinde. banbaiime ma mbas
idijaninde, ie andlo dinaop nanip
karara ibol dijaminde, borme
duhunipa ditalepa and didirip
inanip karara ibolp di janinde,
dar gugul ilonme ijendep dar en
ijendep dimunde.
ai oru damag dite jambur dile-
lag pain kavai hinan umlo didu.
didug umlo ma dinehi dibol:
„mameta pana tanalvo“ dibol.
dibolga ma nie dedale, aita ileg
nie fiele, ineleg iseg tan isei
dabel isarve. seg ijendeg niman
pesilo huni — pain kavai ime
bar ibol — tir an ipei: „nimonu
nepesilo hehunonunde“. ibolg
taint a ise, iseg nie jebi jebig i
engade niman gagaon demeti
dipesilo ihu. ijendeg pain kavai
ise, iseg: „an dodog atone?“
ibol, ibolg ai orume terere, dibol:
,,ii hunaindepa janiaindebe lom-
bo“ dibol. ai orume pain kavai
dipei: „0 fmnumupa waniumbe
tombo“ dipei. dipeig pain kavai
ibol: ,,na nehunanpa nananbehe“
engade ipeindega pain kavai
inele, hundi tere, mamok rebe,
ileg ababa inele toü tisini, aria
isega niman bar ibol ibolga nie
peleti, peletiga ai orume, nime-
ndin demetike, pergele. pergelega
ipeinde: hundime aï var, mamok
simbi, nepoukeme, aï var, aï
varepa ban tala“ ipeinde.
dileg pain kavai hinan bande
dimande dimandeg pain kavai
ma sese, seseg bodi garen rien-
me inei, ineig ai orume dibol
„marne mbas tani, hinanme do-
dogkwi en itondene?“ engade
dibol. dibolndeg pain kavai ma
mei, ma ineiga seperenenig
imande, imandeg dilenlo ja bodi
nemg ma ineni gurgurgur ibol
ibolga uri mais, uri maisga
roh, sie legen die Fische an die Sonne zum Dörren und
essen sie, sie schlagen die Schweine tot, zerschneiden sie,
legen sie an die Sonne zum Dörren und essen sie, das
ganze Blut, das drinnen ist, das trinken sie.
Zwei Jünglinge gingen in den Wald von Jam1) und
kamen zum Felde des alten Weibes. Sie sahen die Taro
und sprachen: „Den Taro wollen wir stehlen.“ Da nahmen
sie die Spaten; der eine Junge nahm den Spaten, kam herzu
und stach ihn in die Erde, um Yams auszugraben. Dabei
wurde seine Hand von Lähmung befallen - es war das alte
Weib, das den Zauber ausgesprochen hatte — und er sagte
zu seinem Gefährten: „Meine Hand ist gelähmt.“ Da kam der
andere Junge und ergriff den Spaten. Da wurden seine
Hände ebenso starr ausgestreckt und gelähmt. Wie dies
geschehen war, kam das alte Weib und sagte: „Was macht
ihr hier?“ Da zitterten die beiden Jungen und dachten:
„0 weh! sie wird uns wohl erschlagen und auffressen!“ Sie
sagten zu dem alten Weib: „Du wirst uns wohl erschlagen
und auffressen?“ Das alte Weib antwortete: „Ich werde euch
nicht erschlagen und auffressen.“ Dann holte das alte Weib
Taro, hieb Bananen ab, riß Taro aus, holte allerlei Nahrungs-
mittel, schnitt Zuckerrohre ab, kam vorwärts und besprach
ihre Hände: da fiel der Spaten hin (?) und die beiden Jungen,
deren Hände ausgestreckt waren, wurden frei. Da sagte sie
zu ihnen: „Knüpft diese Bananen an ein Holz, knüpft die
Taro, welche ich mit Halmen zusammengebunden habe, an
das Holz, dann gehen wir nach Hause.“
Sie gingen in das Dorf des alten Weibes und blieben dort.
Da schälte das alte Weib die Taro und kochte sie in einem
großen Kessel, Da dachten die beiden Jungen; „Solchen Taro
essen wir roh, was ist der ihrige wohl für einer, daß sie es so
treibt?“ Wie sie so dachten, kochte das alte Weib die Taro;
indem sie mit gespreizten Beinen dasaß, erwärmte das Feuer
aus ihrer Scham den Topf und die Taro. Es loderte auf,
bis der Dampf warm emporstieg. Da nahm das alte Weib
einen Pfeil, stach in die Taro, hob sie heraus und füllte sie
in eine große Schüssel. So trug sie sie herzu und gab sie
den beiden Jungen, aber sie erbrachen. Weil sie den Dampf
) etzt Schering-Halbinsel am Friedrich Wilhelmshafen.
13*
98
OTTO DEMPWOLFF
ineni, ineniga pain kavai tu
iñeleg, ma isei inehi, inehitag
bise, biseg daigu rienme sereni,
eñgade jaowereg iseg ai orume
peninde penitag dilu, ruñan ihu
dilu . dilug bar mbas ie mbas ma
mbas difenikeme, dilug idu. di-
lug iduga, hega ma dijeni. dibol
,,amatbe tombo“ pain kavai ibol
„hiñem bañme ja he. ma mbas
enike, alu. mirme hañu ban ma
bodilo ñeneike, uri ruñan hunañ-
kwi, alu“ eñgade ipeinde „hegad
ani, mirme amatbehe“ eñgade
ipeindega dijani béni, o, dimande
kurum, sinasin sinasin ile.
hinandin bañ tamandingir ti-
nanaingir ,,depadal dijaôve“
dibol, jomu dinao, eñgadeg di-
mande. dimandelaga ai orume-
mos pain kavai dipei: „a hama
bañ alove“ ,,aaa“ pain kavai
ibol „hiñemi bañ alabe“ ibol.
ibolg „rabop alabe“ ipeinde.
haon dijen seseli, haon dijen
seseli, haon dijenga seseliga
daremlo bala dijebi, ai orume
dijebiga pain kavai irnos ibol
iseg ipeinde: „añme, ñajendep,
asopa diloñu lalaon kete atatepa
añal. añalep noulo onou, mirme
imatbehe, inanindep ijenbe.“ di-
leg bala dijebi, beniga dimaisga
nou deñele, deñeleg dileg, pain
kavai ijendeg, dilen lalaon toli
ditete, ditetetag ja bubu ibolg
imais aime niman neni jamos.
,,o ses, nimoñu ja ineni“ ibol.
pain kavai imaisga ja hunig
imat. imatga bar ibolga, ai ni-
manme dei he. hega ja tutuk,
dilen lalaon toli ñelega, noulo
inou, peninde. hundí iñeleg ma
iñeleg, ai oru peninde.
didug dalndeg piteli ihu. ihu-
tag reñ dihutig dise diseg ja
malan detemeni. detemeniga di-
leg suli kete deñeleg noulo diso.
ile ineniga ir or, ir or g ja livon
rochen, erbrachen sie. Weil sie Schweine und Fische und
Taro roh gegessen, ■ mußten sie erbrechen. Darnach, weil
nichts da war, aßen sie die Taro. Sie dachten: „Vielleicht
werden wir sterben.“ Das alte Weib sprach: „Bei euch zu
Hause gibt es kein Feuer. Ihr hattet die Speisen roh ge-
gessen, und erbrecht. Weil euch jetzt in meinem Dorf der
Geruch des Dampfes der Speisen, die ich gekocht habe, in
die Nase steigt, deshalb erbrecht ihr.“ Sie fuhr fort; „Eßt ohne
Angst, jetzt werdet ihr nicht sterben.“ Da aßen sie zu Ende.
So blieben sie lange Zeit, Monat auf Monat verging.
In ihrem Dorf sprachen ihre Väter und Mütter; „Sie sind
fern verloren gegangen“ und bereiteten die Totenfeier. Also
blieb es. Unterdessen sagten die beiden Jungen zum alten
Weibe; „Wir möchten nach Hause gehen.“ „Ei, ei,“ ant-
wortete das alte Weib, „Ihr wollt nach Hause gehen.“ Sie
setzte hinzu: „Übermorgen könnt ihr gehen.“ Nach drei
Tagen legten sie im Männerhaus ihren Schmuck an, da
sagte das alte Weib zu den beiden Jungen: „Kommt, wenn
ich schlafe, und zupft aus meiner Scham ein Haar. Nehmt
es und legt es in eine Büchse, alsdann wird es nicht er-
löschen, es wird warm bleiben.“ Als sie sich fertig ge-
schmückt hatten, standen sie auf und holten eine Büchse,
gingen hin, und als das alte Weib schlief, zupften sie drei
Haare aus. Da flackerte das Feuer auf und die Hände des
Jungen wurden vom Feuer verbrannt. „Oh, Großmutter,
meine Hände werden vom Feuer verbrannt,“ sprach er.
Das alte Weib stand auf und blies das Feuer aus. Dann
besprach sie die Hand des Knaben, so daß keine Wunde
blieb. Dann nahm sie eine kurze Flamme in Gestalt von
drei Schamhaaren, legte sie in die Büchse und gab sie
ihnen. Sie holte Bananen und Taro und gab sie den beiden
Jungen.
Die gingen fort. Unterwegs wurden sie hungrig. Sie zer-
kleinerten Reisig, kamen und schütteten einen Haufen zum
Feuermachen auf. Dann gingen sie und holten ein dürres
Kokosblatt und schoben es in die Büchse. Es wurde warm
und glühte, da bliesen sie die Flamme an. Als das Feuer
»
SAGEN UND MÄRCHEN AUS B1L1B1L1
99
dinou. ja inenig, ma dememeri,
hundi dimemeri, dimemerig di-
jeni. dejenig tuendin gagaonga,
dal didu. didug, didug hinandin
ban didu. diduga ihihandin ta-
mandingir, tinandingir : „domdeg
asene?“ dipeinde. dipeindetag
diboi: „a barbar atorke ese.“
,,ao“ diboi. dibolga i ma mbas
dijenindeg ai orarne dimui. di-
dimuindeg hinandin bahdeg, ma
deheleg, damumuniga ja malan
detemeni, ma dimemeri dijeni.
dijenig seseliga bor disei, gaon
dihuni, ma idu, hundi idu dehe-
leg diseg malan detemeni. dite-
meniga tinandingir dipeinde:
,,asop ma asas,“ tamandingir
dipeinde „asop bor gaon ama-
marip atal“. ai orarne dileg
bodi deheleg didug lanaiuòlo
dinou, derereg, ile, ileg ijendeg,
reh deheleg, diseg duhutig, and
inenindeg, karara ibolndeg, di-
leg sali deheleg, reh diso, sali
atepe diso, disog ijendeg, ma
dinei, bor dinei. deneig joù di-
veli, jendeg biriou deheleg di-
seg, bodi aowan detaoweni.
ditaoweniga tamandingir diboi:
„dodog ditone ehgade ditondene?“
diboi.
tain ta ipei: „ulap, nou halep
usa“ ipei. ipeiga ileg nou heleg
iseg lahalah hun ditourndeg, ja
sali durugusig, noulo disog ile.
ileg ja sull nenig, iror, irorga
heleg, lahalah atepe diso, diso-
ga ja ineni, barbar ibol. ja
balen imais. ndeg bahbah di-
raoite: ,,jame domde deheleg
disene?“ diboi. diboltag ai ora-
rne diboi ,,a barbar atorlag,
burlo ijendeg enehikwi, eheleg
ese . ehgade dipeinde. ma in-
eni, inenig, uri idu, uri idug
journdeg ma dipesi, disereni,
diserenig bahban dipeninde, di-
jeni. ,,o“ diboi „ehgade ujan.
brannte, brieten sie Taro und Bananen und aßen. Da fühlten
sie sich stark und zogen ihres Weges. Sie gingen weiter,
weiter bis zu ihrem Dorf. Da fragten ihre Väter und Mütter:
„Woher kommt ihr?“ Sie aber antworteten; „Wir waren
im Walde spazieren gegangen.“ „Wirklich?“ sagten sie.
Dann, als jene die Speisen roh aßen, mochten die beiden
Jungen nicht. Sie holten deshalb aus ihrem Dorf Taro,
machten an verborgenem Orte ein Feuer an, rösteten die
Taro und aßen. Am nächsten Morgen erstachen sie ein
Schwein, schlugen Hunde tot, holten Taro und Bananen,
und schütteten einen Haufen auf. Dann sagten sie zu ihren
Müttern; „Kommt und schält die Taro“, sagten zu ihren
Vätern; „Kommt und bratet und zerschneidet Schweine und
Hunde.“ Die beiden Jungen holten Töpfe und setzten sie
auf Baumstämme, richteten sie aus, daß sie festlagen,
holten Reisig, zerkleinerten es, legten es in die Sonne
zum Trocknen, holten trockne Kokosblätter, schoben das
Reisig unter, schoben die Kokosblätter noch tiefer, um
die Taro und das Schweinefleisch zu kochen. Dazu
gossen sie Wasser hinzu, holten breite Blätter und
deckten die Töpfe zu. Da sprachen ihre Väter: „Wozu
machen sie das?“
Der eine Bruder sagte zum andern; „Geh hin und hole
die Büchse. Der holte die Büchse. Dann stellten sie sich
an das eine Ende der Baumstämme, rissen ein Kokosblatt
als Zunder heraus und schoben es in die Büchse. Da wurde
der Zunder warm und glühte, sie nahmen ihn und schoben
ihn tief unter die Baumstämme, bis es brannte und loderte
und die Flamme emporstieg. Da erstaunten die Nachbarn:
„Wo haben sie dies Feuer herbekommen?“ Aber die beiden
Jungen antworteten; „Wir haben es genommen, weil wir es
im Walde liegen sahen, als wir dort spazieren gingen,“
So sagten sie zu ihnen. Die Speisen wurden gar, der
Dampf stieg empor, und gegen Abend hoben sie die Speisen
ab, schütteten sie aus und gaben sie den Leuten zu essen.
„Ei,“ sagten die, „so ist es schön. Bei den früheren Mahl-
zeiten haben wir es dumm gemacht, wir haben Taro und
Schweine und Fische roh gegessen. Das ist jetzt eine feine
Kunst, so werden wir es auch machen und dann essen.“
100
OTTO DEMPWOLFF
ma muñme god tanou, ma mbas
bor mbas ie mbas teni. mirme
me kobul ujan; eng ade tatobe,
ndep tanibe“. eñgade dibolga
bañbañ dise, ja didadeke, de-
fieleg dijaö. dijaög hiñandin
bañ dile, ma mbas dijenikeme,
hundi mbas dijenikeme, bor
mbas dijenikeme, gaon mbas
dijenikeme, ie mbas dijenikeme,
dibeni; dibeniga jalo dineindeg
dijeni.
hema.
Darnach kamen die Nachbaren und kauften sich Feuer,
nahmen es und entfernten sich. Sie gingen in ihre Dörfer
und sie, die Taro, Bananen, Schweine, Hunde und Fische
roh gegessen hatten, ließen es sein, sie kochten mit Feuer
und aßen.
Fertig.
muñ tomol i aju he i bor hi-
ñan aju. ajume burlo imais ijen.
borme ileg, journdeg ileg, boku-
boku kete tisinig jeni, jenig idu.
bañde painmos ma kete bor peni,
bor ijeni. jenig bor ajumos huni,
hunig bor matan kilili ibol ijen.
ijendeg seseliga haon ileg kete
itisinig jeni. idug bañdeg tinan-
mos ma kete penig ijeni, jenin-
deg ajumos huni, matan kilili
ibol. eñgemo itokwig, Unan ibol:
„borme ilendeg burlo ata top
janinde? idundeg ma kete ña-
panip janinde. ndep matan ki-
lili ibolnde. ndep ijende. eñgemo
donde.“ Unan eñge ibol. ndeg
bor toman, bor rie ilendeg, la-
man vadan hun ile. ileg bor i
aju itorndeg bokuboku kete tisi-
nig jeni. jenig ma kete tinanmos
penig jeni, jenig matan kilili ibol
ijen. bor taman ibol: ,,ao, mirme
ña ñenehi, eñ itondeg: bañ idun-
deg ma kurum janindehe, ma
kete janinde, ndep matan kilili
ibol; mirme ña nehi.“
taman eñgede ibol. ibolg tomol
bañate ma dinei. ndeg tomolme
ileg burlo tan sere, sereg aju vara-
ton pikata iñele, iñeleg raon pi-
8.
DAS KAWA.
Früher kannten die Menschen kein Kawa; es gehörte den
Schweinen. Dies Kawa wächst im Walde hoch. Ein Schwein
ging nachmittags fort, biß eine Knolle Kawa ab, aß sie und
ging heim. Im Dorf gab die Hausfrau dem Schwein einen
Taro, und das Schwein aß ihn. Dann wurde das Schwein
von Kawa berauscht, seine Augen blickten starr, und es
schlief ein. Am nächsten Tage ging es wiederum hin, biß
eins ab und aß es. Als es ins Dorf kam, gab die Mutter
ihm einen Taro, den aß es, dann wurde es von Kawa be-
rauscht, und seine Augen blickten starr. Weil es es so trieb,
sprach die Mutter: „Was hat dies Schwein im Wald ge-
trieben oder gegessen? Wenn es heimkommt und ich ihm
einen Taro gebe, so frißt es nicht mehr, seine Augen blicken
starr, und es schläft ein. So nur lebt es.“ So sprach die
Mutter. Da ging des Schweines Hausvater dicht hinter ihm
her, so weit es auch ging. Als das Schwein beim Kawa
angekommen war, biß es eine Knolle ab und aß. Als ihm
dann die Mutter einen Taro gab, aß es ihn, dann aber wur-
den seine Augen starr und es schlief ein. Da sprach des
Schweines Vater: „Ja, jetzt weiß ich es, so geschieht es:
wenn es ins Dorf kommt, nimmt es nicht viel Nahrung zu
sich, einen Taro ißt es, dann wird sein Auge starr; jetzt
weiß ich es.“
So sprach der Vater. Als man dann auf dem Dorfplatz
Taro kochte, ging der Vater in den Wald, scharrte die Erde
auf, nahm ein bißchen Kawawurzel, nahm ein paar Blätter
und brach einige Knollen ab. Er holte es heimlich und
SAGEN UND MÄRCHEN AUS BILIBIL1
101
kata iñele, bokuboku pikata ti-
sinig ñele. idu, miñienig ñeleg
idu. idug iseg hiben amblo jere.
jereg joü pikata laslo iveli, ive-
lig aju jereg, limanlo inou pipi,
pipig aju numuran idug joülo
ile. Heg ñeleg imu. imug iseg
banale ma kete ijeni, ma tor pi-
kata imu, imuga aju huni. hu-
nig malan kilili ibol, ibolg ijen.
jendeg seseli. seselig malan para
ibol. seselig bomuñudeg ile, joü
isuñu, isuñuga iseg Heg ir ñeleg
umlo ile urat inou . maijamb idu,
tinin mbas, tinin alan tehe, tinin
ujan mok . haon journdeg idug
me eñgade ito, aju ñeleg imu.
ajumos hunig, malan kilili ibol,
ijen . ijendeg seseli, Heg joü isuñu
Heg iseg ibol; „o, bañbañ, hañu
ababa makanta, ña ñejenindeg
hunuñunde, moloñu kilili ibolnde.
sesalipa ñalap joü ñasuñunde.
joü ñasuñupa iri ñeñalepa urat
nañaonde. ndep maijamb idunde,
ña alan tombo ñabol. tag ujan.
ña moloñu gamun.“ eñgade ibol
,,ña ñenehitehe, bor hiñan aju.
hiñan eñgade itondeke; ña vadan
ñenehi“ ibol. ndeg pambul ñele,
ivei, bañbañ peninde, dipiei. imais
ríen. ndeg bañbañ i ta deñele,
deñeleg dimu. ihuga malendin
kilili ibol. ndeg di jen . di jendeg
seseli. seselig dileg joü disuñuga,
dileg ir diñelega urat dinou, urat
dinoug maijamb idu, tindin mbas,
timndin alan tehe. didug, ma
dineiga dijeni, dejeniga ujan.
dibol: ,,ho, ababa ujan mok“ di-
bol . dibolga a tomol aju di-
munde, umlo dipiainde, tomol
dimunde. eñgadema hema.
kasi mene bui.
arme tomolme daremlo ijen.
painme amblo ijendeg buime idu,
kam zurück. Allein im Hause kaute er es, goß ein bißchen
Wasser in eine Schale, nahm den gekauten Kawa in die
Hand, und drückte ihn aus, so daß der Saft des Kawa im
Wasser lief. Dann nahm er es und trank. Dann kam er
auf den Dorfplatz, aß einen Taro und trank ein bißchen
Tarobrühe, da wurde er von Kawa berauscht, seine Augen
blickten starr und er schlief ein. Er schlief bis zum andern
Morgen. Da schlug er die Augen auf, ging in der Morgen-
dämmerung zum Bach und badete. Dann kam er, holte
sein Werkzeug und ging zur Arbeit auf den Acker. Der
Schweiß brach aus, aber er blieb gesund, sein Körper
wurde nicht schlapp, sein Leib blieb ganz frisch. Da ging
er nachmittags wieder hin und machte es ebenso, holte
Kawa und trank. Er wurde berauscht, seine Augen wurden
starr, und er schlief bis zum anderen Morgen. Dann ging
er zum Bach, badete, kam zurück und sprach: „Oh Nach-
barn, ich habe eine kleine neue Sache, wenn ich die esse,
werde ich berauscht und meine Augen werden starr. Am
anderen Morgen gehe ich zum Bach, bade, hole das Werk-
zeug und arbeite. Dann bricht Schweiß aus und ich denke,
ich werde vielleicht schlapp. Aber ich bleibe frisch mit
klaren Augen.“ So sprach er. „Ich habe es nicht gesehen,
es ist des Schweines Kawa. Ihm geschah so, ich habe es
hinterher nachgemacht.“ Dann holte er Saat, verteilte sie
unter den Nachbaren, und die pflanzten. Es ging auf und
wurde groß. Dann nahmen die Nachbarn ein Stück und
tranken. Sie wurden berauscht, ihre Augen blickten starr,
und sie schliefen bis zum anderen Morgen. Dann gingen
sie zum Bach, badeten, holten das Werkzeug und arbeiteten.
Dann brach Schweiß aus, aber ihr Körper blieb frisch und
wurde nicht schlapp. Sie kehrten heim, kochten Taro und
aßen; sie blieben gesund. Da sprachen sie: „Ei, die Sachen
sind sehr gut.“ Unsere Leute trinken Kawa, pflanzen sie
auf den Feldern und trinken.
Also ist es fertig.
9.
DER TABAK.
Der Tabak hier stammt von den Sternen.
Es war einmal ein Mann, der schlief im Männerhaus.
Während seine Frau in ihrem Hause schlief, kam ein Komet
102
OTTO DEMPWOLFF
iduga painme jeli. jelindeg se-
seliga jaöga, lat ile, sabalat ile.
gaidegad jelindeg painmemos to-
moime evan pei: „na tomalta bo
isega jeliuhunde, o bondep so
ujenmo, usop amb dal umandepa
tomoime unahi.“ eh ibolga to-
moime iseg amb dal aowa itor,
mumunig itour, itourndeg buime
idu, iduga palamlo pane, penega
imat.
imatga darme amb dal idu.
ndeg me buime denal los dinou,
ndeg darme kasi mais. kasi
maisga tomoime direitehe. en-
gade jenlag patun imais. imais-
ndeg pambul divai, banban pe-
nindeg, ketekete peni, beniga
urat dinouga, patunme umlo di-
bire. dibirega kasi imais. ndeg
dereg titig, and didirig karara
ibol. karara ibolg direi, ujan.
herunter und begattete die Frau. Dann am Morgen ent-
fernte er sich und flog nach oben zum Himmel. Nachdem
er sie wiederholt begattet hatte, sprach die Frau zu jenem
Mann, ihrem Gatten: „Nachts ist ein Fremder gekommen
und hat mich begattet; in der nächsten Nacht schlafe du
nicht, sondern warte an der Haustür, dann siehst du diesen
Mann.“ Als sie so gesprochen hatte, kam der Mann und
stellte sich verborgen an die Haustür. Da kam der Komet
herunter; er schoß auf ihn mit einem Pfeil, daß er starb.
Als er tot war, floß das Blut vor die Tür. Da nahmen
sie diesen Kometen und begruben ihn. Da gingen aus dem
Blut Tabakspflanzen hervor. Damals rauchten ihn die Men-
schen noch nicht, also konnte er da bleiben und die Saat
heranreifen. Da verteilten sie die Körner und gaben auch
den Nachbarn, jedem einzeln davon. Als das fertig war,
gingen sie an die Arbeit und warfen die Körner auf den
Acker. Da ging der Tabak auf. Dann pflückten sie die
Blätter, klopften sie und legten sie zum Trocknen in die
Sonne, Als sie trocken waren, rauchten sie, und fanden,
daß es gut war.
10.
WARUM DIE HUNDE NICHT MEHR SPRECHEN.
mun gaon gomu dibolke.
taman ambio evan jeli. jeli-
ndeg gaon ile, ileg taman tinan
jelindeg nehi, nehig idug dal
aowa ibol: ,,o tomol, nen mam-
mos jeilnde.“ engade ibol. gaon
„taman ibol: ,,o mimiai hunufm.
i bubeiìwe, bubenu alan“ ibol.
buben titi.
taman ma inei, gaon ipei: „usop
ma o wani“ ipei. taman badir
malan piti, pitig minienig imande.
imandeg gaon ise, iseg ma jeni.
jenig ta iiìeleg jeni. jenindeg ta-
man niman i dobok ile, ileg gaon
balen jebi, jebig ireig idu idu-
ndeg badirlo balen toroiti. gaon
gomu alan ibol: „haolololo.“
mun gaon i gomu dibolke,
mirme he.
Früher verstanden die Hunde Menschensprache.
Der Vater begattete im Hause die Mutter. Unterdessen lief
ein Hund herzu, sah, wie der Vater die Mutter begattete
ging zur Tür und rief; „Leute, die Mutter wird vom Vater
besprungen.“ Also sprach er. Sein Vater dachte: „Oh, wie
schäme ich mich, es geht mir ans Herz, ich bin ganz traurig.“
Sein Herz klopfte.
Der Vater kochte Taro und sagte zum Hunde: „Komm
her und iß Taro.“ Er wetzte ein langes Messer, versteckte
es und wartete. Unterdessen kam der Hund her und aß
einen Taro. Dann nahm er einen zweiten und aß ihn. Da
fuhr der Vater mit der Faust dazwischen, ergriff die Zunge
des Hundes, zog sie heraus und schnitt sie mit dem Messer
ab. Da heulte der Hund schrecklich auf: „Haulololo.“
Früher konnten die Hunde mit Menschensprache reden,
jetzt nicht mehr.
1-ig. 23. Verschlußslück für einen Belelkalk-Zylinder. Neuhauß Igt. Elwa */3 d. w. Gr.
ZUR ETHNOGRAPHIE
DES KAISERIN-AUGUSTA-FLUSSES.
VON
FELIX v. LUSCHAN.
Seit dem Bekanntwerden der Altertümer von Benin, 1897, ist den Ethnographen kaum
wieder eine so große und freudige Überraschung zuteil geworden, als durch die Erschließung
des Kaiserin Augusta-Flusses in Neu-Guinea in den Jahren 1908 und 1909. Und diese Über-
raschung war um so größer, als dieser Fluß schon 1885 von Finsch entdeckt und schon 1886
von dem damaligen Landeshauptmann Frh. v. Schleinitz mit dem Dampfer „Ottilie und
mit einer Barkasse in einer Ausdehnung von fast 300 Seemeilen befahren worden war; aber
Finsch hatte nur eben die Mündung entdeckt und v. Schleinitz war es lediglich um eine
geographische Rekognoszierung zu tun gewesen, so daß er keine Berührung mit den Einge-
borenen suchte. Diese selbst sind scheu, und die Dörfer sind meist nicht in unmittelbarer
Nähe des Ufers angelegt, und so blieb auch die wissenschaftliche Expedition der Neuguinea-
Kompagnie von 1887 fast ohne jedes ethnographische Ergebnis.
21 Jahre scheint dann niemand den Strom befahren zu haben. Erst 1908 sandte die Neu-
guinea-Kompagnie zwei kleine Dampfer den Strom aufwärts, um Arbeiter anzuwerben, und auf
einem diesem Schiffe, der „Langeoog“ befuhr als erster Ethnograph Hauptmann Dr. Frie-
derici den Strom. Seine Sammlungen sind in das Berliner Museum gelangt und vermittelten
uns die erste Nachricht von einer dort vorhandenen neuen und bis dahin ganz ungeahnten Kultur.
Das nächste Jahr, 1909, brachte die große Hamburger Expedition mit dem Dampfer „Peiho“
unter der Leitung von Prof. Fülleborn; die „Peiho“ bereiste den Fluß in den Tagen vom
23. Mai bis zum 5, Juni und fand ganz besonders günstigen Wasserstand, so daß sie ohne
wesentliche Schwierigkeiten einen Weg von über 400 km zurücklegen konnte. Einen vor-
läufigen Bericht über diese Fahrt mit einer Kartenskizze des Flußlaufes hat O. Reche im
„Globus“ 1901, Bd. 97 p. 277 veröffentlicht. Die Publikation der ethnographischen und an-
thropologischen Ausbeute wird von den Fachleuten mit Ungeduld erwartet.
Sehr umfangreich sollen auch die Sammlungen sein, die nach Chicago gelangt sind, durch
die Bemühungen Dorseys, der sich in Begleitung des Gouverneurs einer Anwerbungsfahrt
der „Siar“ hatte anschließen können.
Das Berliner Museum aber erhielt zu dem ersten Kern von der Reise Friedericis noch
drei große Serien von unvergleichlicher Schönheit, von dem Kommando S. M. S. Cormoran,
von Herrn Administrator Heine und last not least von Prof. Neuhauß, der erst vor einigen
Monaten von seiner Forschungsreise in Kaiser Wilhelmsland zurückgekehrt ist und dessen
ausführliches Reisewerk von ungewöhnlicher Bedeutung für die Völkerkunde sein wird. Zwei
einzelne präparierte Schädel vom Augusta-FIuß haben wir schließlich noch aus Hamburger
Privatbesitz erwerben können.
Baessler-archiv i. 2. 14
104
FELIX v. LUSCHAN
Den Reigen der Pioniere auf diesem gewaltigsten und ethnographisch wichtigsten unter
den Strömen Neu-Guineas schließt O. Schlaginhaufen, der nach Abschluß der für das Ber-
liner Museum ausgeführten Deutschen Marine-Expedition noch einige selbständige Touren für
das Museum in Dresden ausführte, deren eine ihn gleichfalls nach dem Augusta-Fluß führte
und eine große Anzahl schöner Schnitzwerke und anderer Kostbarkeiten ergab. Ein vor-
läufiger Bericht über diese Reisen findet sich in Bd. XIII der Abh. u. Berichte der Kgl, zool,
u. anthr, ethnogr. M. zu Dresden 1910.
Im folgenden beabsichtige ich, nur einige Proben aus den Beständen des Berliner
Museums mitzuteilen; sie werden eine wenigstens ungefähre Vorstellung von der eigen-
artigen Kultur geben, die uns in den letzten Jahren am Kaiserin Augusta-Flusse erschlossen
wurde. Dabei verzichte ich auf eine Einteilung nach Stämmen, die gegenwärtig wohl auch
verfrüht wäre. Einstweilen wissen wir nur, daß an der Mündung ganz andere Leute wohnen,
als weiter flußaufwärts; in den Sagosümpfen des Mündunggebietes findet sich dieselbe Kultur,
die wir bereits vom unteren Ramu her kennen, was ja bei der Nähe der beiden Fluß-
mündungen auch nicht weiter erstaunlich ist; am mittleren und oberen Stromlauf aber be-
gegnet man ganz anderen Kulturen, die sich von denen der Küstenlandschaften völlig unter-
scheiden. Sie scheinen auch untereinander verschieden zu sein; ich bin aber noch nicht
imstande, sie scharf zu trennen. Nach den mit sehr genauen Angaben versehenen Sammlungen
von Prof. Neuhauß möchte ich vermuten, daß man im mittleren und oberen Laufe mindestens
drei verschiedene Kulturen anzunehmen haben dürfte, von denen die am meisten landeinwärts
gefundene zugleich die höchst entwickelte ist. Dieser gehören auch die schönen, großen, auf
Pfählen ruhenden und reich verzierten Häuser an, die von allen Reisenden so lebhaft bewundert
werden. Ihr hoher Giebel ist mit einem menschlichen Gesicht geschmückt, aus dem eine lange
Zunge weit heraushängt — ein Apotropaion, das uns sofort an Neu-Seeland erinnert, wie denn
auch die großen, mit geschnitzten menschlichen Figuren versehenen Hauspfosten eine ähnliche
Erinnerung wachrufen. Über den Verkehr zwischen den einzelnen Stämmen sind wir noch kaum
unterrichtet. Die sehr starke Strömung gestattet Bootfahrt stromaufwärts wohl nur während der
Trockenzeit und unter erschwerenden Umständen; das Berliner Museum besitzt aber schon seit
Jahren einen jener schönen, farbig und im Relief verzierten Tondeckel, die vom oberen Laufe des
Flusses kommen; dieser Deckel war aber auf Seleo eingehandelt worden, und kürzlich erhielten
wir mit der großen Sammlung, die uns Herr Schoede geschenkt, eine bedeutende Anzahl
jener Deckel, die er unweit von Dallmannhafen erworben hatte. Das stimmt gut zu einer Erfah-
rung Reches (a. a. 0.): „Diese kleinen Schalen bekömmt man gelegentlich auch in den Dörfern
weiter flußabwärts, selbst an der Mündung zu Gesicht. Doch sind sie dort selten und stehen
hoch im Preise. Sie werden dort offenbar nicht hergestellt, sondern gelangen durch den Han-
del flußabwärts.“ Vom anderweitigen Verkehr zwischen den verschiedenen Stämmen des
Augusta-Flusses ist mir bisher nichts bekannt geworden.
Die nun mitzuteilenden Proben stammen fast durchweg vom mittleren Laufe des Flusses.
Für die Keramik des oberen Teiles des Mittellaufs besonders charakteristisch sind große,
aus freier Hand gedrehte Tongefäße, die in der Art unserer prähistorischen Gesichtsurnen mit
einem Schweinskopf verziert sind. Vgl. Fig. 1 und 2. Der weit vorragende Rüssel scheint
als Handhabe zu dienen; er hat zwei durch Vertiefungen angedeutete Nasenlöcher, ist aber
sonst massiv. Die Augen sind als große kreisrunde Scheiben geformt, in deren Mitte
ein niedriger, mit einer Delle versehener Zylinder die Iris darstellt. Die Ohrmuscheln sind
wie die von Menschen gebildet, jede mit zwei Löchern, in die kleine Grasbüschel geknotet
sind. In der Stirngegend verläuft ein bandartiger Schmuck,aus zahlreichen kleinen, leicht
dellenartig vertieften kreisrunden Scheiben; gleichfalls plastisch ist auch der Halsschmuck:
sieben große Scheiben, die ungefähr wie die Augen des Tieres gebildet sind, verbunden durch
kleine und einfache Scheiben oder Ringe. Bei dem Berliner Stück — ein sehr ähnliches ist
ZUR ETHNOGRAPHIE DES KAISERIN-AUGUSTA-FLUSSES
105
auch nach Hamburg gelangt - war auch noch wei-
terer Hängeschmuck durch bloße Bemalung angedeutet
gewesen; er ist jetzt aber größtenteils verschwunden
und, wie die Abbildung zeigt, nur in undeutlichen
Resten vorhanden.
Weniger monströs und ästhetisch sehr viel be-
friedigender sind die bereits oben erwähnten Tonscha-
len, von denen hier, Fig. 3 bis 10, einige Stücke abge-
bildet sind, die alle der uns von dem Kommando S. M. S.
„Cormoran“ überwiesenen Sammlung angehören. Sie
scheinen im oberen Teil des Mittellaufs sehr häufig
zu sein und werden — nach einer mündlichen Mit-
teilung von Prof. Neuhauß — meist als Deckel
verwendet. Neuhauß sah eine solche Schale
direkt auf eines der großen Gefäße mit
dem Schweinskopfe gestülpt, mit der kon-
vexen und verzierten Seite nach oben.
Diese Stücke sind alle aus freier
Hand gedreht, meist kegelförmig,
innen glatt, außen mit Erdfarben be-
malt und in oft recht stark hervor-
gehobenem Relief verziert. Die Verzie-
rungen sind schon vor dem Brand mit
einem schneidenden Gerät — vermutlich
mit einem scharfen Holz- oder Knochen-
spatel — teilweise ausgeschnitten, teilweise
eingedrückt und scheinen ursprünglich alle auf
menschliche Gesichter zurück zugehen. Bei mehre-
ren Gefäßen sind diese Gesichter aber schon so stark
stilisiert, daß sie kaum mehr überhaupt als solche
noch erkennbar sind. Zum besseren Verständnis
gebe ich hier neben den Photographien auch flächen-
treue Zeichnungen des ganzen aufgerollten Kegel-
mantels, für die ich Herrn stud. Kopp zu sehr
großem Danke verpflichtet bin.
Am deutlichsten sind die Gesichter auf dem hier
Fig, 3 a und 5 abgebildeten Gefäße. Da sieht man
sofort zwei große Gesichter mit dem Stirnende nach
der Spitze des Kegels zu orientiert und mit der
Kinnseite nach dem Rand des Gefäßes. Zwischen
diesen beiden Gesichtern aber scheinen noch andere
Köpfe dargestellt, gleichfalls in der Ansicht von vorn,
aber sehr viel mehr stilisiert, mit mächtigen Spiral-
systemen statt der Augen und mit den Kinnenden
gegen die Spitze des Kegels zu orientiert, so daß
die Augen gegen den freien Rand zu stehen kommen.
Die Zeichnung Fig. 5 gibt etwas mehr als den ganzen
Kegelmantel. Man müßte, um eine genaue Nachbil-
dung von diesem zu bekommen, den weißgelassenen
Fig. 1.
Großes Ton-
gefäß in der
Art einer Qesichts-
urne. VI. 30 166.
Geschenk von Herrn
Administrator Heine.
Etwa Vs d. w. Gr.
Fig 2 Hals des Fig. 1 abgebildeten Gefäßes. Seitenansicht.
14*
106
FELIX v. LUSCHAN
Sektor ausschneiden und dann die beiden Schnittflächen so übereinander bringen, daß die
punktierten Linien zur Deckung kommen. Sehr schön sind auch noch auf dem Fig. 3c und 7
abgebildeten Stücke die beiden Hauptgesichter zu erkennen, während die beiden anderen schon
so stilisiert sind, daß es Mühe macht, zu sehen, wie sie überhaupt orientiert sind. Jedenfalls
bemerkt man aber schließlich, daß auch sie anscheinend ebenfalls wie die beiden anderen
Gesichter mit dem Kinnende nach der Spitze des Kegels zu gerichtet sind, also abweichend
wie bei dem zuerst beschriebenen Gefäß.
Verhältnismäßig sorglos ist das große Fig. 3 b und 6 abgebildete Gefäß behandelt, das
auch vier Gesichter zeigt, die mit dem Kinn nach der Spitze des Kegels zu orientiert sind,
außerdem aber noch auf jeder Seite zwei breite Streifen hat, jeden mit zwei weiteren Gesichtern.
Fig. 3 a—c. Schalenförmige Deckel, Ton. VI. 30068 bis 70. Vs d. w. Gr.
Fig. 4 a—c. Schalenförmige Deckel, Ton. VI. 30072, 71, 73. Etwa Vs d. w. Gr.
Eine ähnliche Dreiteilung in einen über die Spitze des Kegels gehenden und in zwei
seitliche Streifen zeigt auch das Gefäß VI. 30071, Fig. 4b und 9, bei dem aber die stilisierende
Entartung so weit vorgeschritten ist, daß man überhaupt nicht mehr mit Sicherheit von mensch-
lichen Gesichtern sprechen kann. Am weitesten ist dieser Verfall bei den Gefäßen Fig. 4
und 4c (8 und 10) vorgeschritten; diese zeigen überhaupt nur mehr drei Systeme von rohen
Spiralen, die wohl auch noch als Reste von Augen aufzufassen sind.
Höchst eigenartig sind krugähnliche Töpfe von der Art des hier Fig. 11 abgebildeten
Stückes. Dieses hat die Form einer menschlichen Fratze. Die Augen sind ähnlich gebildet,
wie bei der „Gesichtsurne“ Fig. 1; aber auch die riesig großen Nasenlöcher sind in derselben
Weise stilisiert. Die Nasenspitze läuft in ein henkelartiges Gebilde aus, das in den Mund
reicht. Wenn das Gefäß überhaupt als solches benützt werden sollte, müßte es bei diesem
Henkel mit dem offenen Halse nach oben gehalten werden; hier ist es des leichten Verständ-
ZUR ETHNOGRAPHIE DES KAISERIN-AUGUSTA-FLUSSES
107
Fig. 5—10. Schalenförmige Gefäße (oder Deckel?) aus Ton. Sammlung S. M. S. Co
Fig. 5 vgl. Fig. 3a: VI. 30068, V4 d. w. Gr. Fig. 8 vgl. Fig. 4a; VI 30072, etwa ’/» d^ w. Gr.
„ 6 „ „ 3b: VI. 30 069, •/. d. w. Gr. „ 9 „ 4 b: VI 30071 / d. w Or. Qr_
7 „ „ 3c: VI. 30070, etwa */. d. w. Gr. „ 10 „ „ 4c: VI. 300/3, etwa .*
FELIX v. LUSCHAN
nisses willen mit der Halsöffnung nach unten ab-
gebildet. Einen ähnlichen Topf, Dr. 24954, bildet
Schlaginhaufen in der eingangs erwähnten
Arbeit Taf. 1 Fig. 1 ab. Er stammt aus Kambrimi,
Kaiserin Augusta-Fluß.
Ein wirkliches Kunstwerk ist der hier Fig. 12
abgebildete Kopf eines Schweins mit weit vor-
gestreckter Zunge. Der Kopf ist aus Ton geknetet,
schwach gebrannt und mit Erdfarben bemalt, nur die
rot gefärbte Zunge ist aus Holz und mit einem kleinen
Holzdübel nachträglich befestigt. Über Zweck oder
Bedeutung dieses merkwürdigen Stückes ist einst-
weilen nichts bekannt. Es ist so sorgfältig gearbeitet,
daß man es kaum für Spielzeug wird halten dürfen.
Im Anschluß an die Keramik seien nun zunächst
einige Proben der Holzschnitzkunst mitgeteilt, die
am Augusta-Fluß gleichfalls in durchaus eigen-
artiger und überraschender Weise entwickelt ist.
Besonders charakteristisch ist da eine Reihe von
Schmuckstücken, von denen typische Vertreter hier,
Fig. 13 bis 17, abgebildet sind. Das Material ist ein
sehr weiches und markähnlich leichtes Holz, das
auch sonst schon mehrfach aus der Südsee bekannt
geworden, aber bisher noch nicht mit Sicherheit
bestimmt ist; nach einer gütigen Mitteilung von
Prof. Volkens dürfte es sich um eine Erythrina-
Art handeln. Meist sind es Stücke in Form mensch-
licher Gesichter, in der Regel flach, wie Masken
und mit einer oder zwei eingesteckten spitzen Holznadeln zum Aufstecken, etwa auf den Haar-
schopf eingerichtet. Sie sind mit Erdfarben, meist rot, weiß und schwarz bemalt, genau wie
wir das von den Lebenden am mittleren Augusta-Fluß wissen. Daß einige von ihnen an euro-
päische Fastnachtsmasken erinnern, ist sicher nur „Zufall“, d. h. in diesem Falle wohl Konver-
genz. Ganz besonders auffallend ist das Fig. 16 abgebildete Stück, das auch einen Archäo-
logen interessieren könnte; vom Material abgesehen, etwa nur nach der Abbildung, würde man
schwanken können, ob man es für ein archäisches
Gorgonaion oder etwa für provinzial-römisch halten
solle. Ein anderes dieser Stücke, Fig. 17, hat
die Form eines Vogels und zeigt auf einer
Seite in der Ohrgegend ein paar ein-
gesteckte weiße Federchen. Es ist
durchweg schwarz bemalt, aber
ein großer Teil des Kopfes
und der Brust sind über
dieser schwarzen Be-
malung noch mit einer
stellenweise abgeblät-
terten Schicht weißer
Kalkfarbe versehen.
Abweichend von den
Fig. 11. Tonkrug in Form eines menschlichen Gesichts.
155 Seemeilen von der Mündung. Sammlung Neuhauß 1105
Etwa Va d. w. Gr.
Fig. 12. Schweinskopf. Ton, bemall; Geschenk von Herrn Administrator Heine. VI. 30165. Etwa '/x d. w. Gr.
ZUR ETHNOGRAPHIE DES KA1SER1N-AUGUSTA-FLUSSES
109
Fig. 13. Haarschmuck aus Ery-
thrina-Holz, bemalt. Neuhauß 1109.
155 Seemeilen von der Mündung.
*/? d. w. Gr.
maskenähnlichen Stücken, die nur auf einer Fläche geschnitzt
und bemalt sind, ist dieses eine als Rundskulptur behandelt; es
ist aber in der gleichen Weise wie jene auf eine spitze Holznadel
gesteckt und hat sicher denselben Zwecken gedient.
Aus verwandtem Material wie diese „Haarnadeln“, jedenfalls
auch aus auffallend weichem und
leichtem Holz, ist auch das Fig. 18
abgebildete Stück hergestellt,
über dessen ursprüngliche Ver-
wendung ich nicht unterrichtet
bin. Es ist auf beiden Flächen
nahezu identisch behandelt und
ist gleichfalls auch nach rechts
und links vollkommen sym-
metrisch. Ebenso aber auch ist
die Ansicht von oben der von
unten so ähnlich, daß man
nicht mit Sicherheit sagen kann,
was eigentlich oben und unten
ist. Richtet man sich nach dem
größeren der beiden mensch-
lichen Gesichter, so muß das
Stück so orientiert werden, wie
es hier abgebildet ist. Wir sehen
dann auf der Mitte einer ungefähr
halbmondförmigen Sichel, die mit
einem, vermutlich auf Cypräa-
Schnecken zurückgehenden Schmuck-
Fig. 14. Haarschmuck aus Ery-
Ihrina-Holz, bemalt. Neuhauß 1081.
140 Seemeilen von der Mündung.
®/„ d. w. Gr.
band veizieit ist, einen schmalen Balken sich erheben, der oben in ein großes menschliches
Gesicht ausgeht, aber auch unten ein solches trägt, das mit
dem Kinn nach oben gewandt ist. Zu beiden Seiten dieses
Mittelstückes sind zwei große Vögel angebracht, die mit
ihren Füßen auf den Mittelbalken, mit ihren Köpfen an den
menschlichen Kopf stoßen. Aber auch die Vögel haben
nach unten wiederum Köpfe, so daß, wenn man das ganze
Schnitzwerk auf den Kopf
stellt, wiederum ein ganz
ähnliches Bild sich
ergibt - ein Bal-
ken, der oben
in ein mensch-
liches Gesicht
endet und zu
dessen beiden
Seiten je ein
großer Vogel
angebracht
Fig. 15. Haarschmuck aus Erythrina-
Holz, bemalt. Neuhauß 1082. 140 See-
meilen von der Mündung. •/« d. vv. Gr.
erscheint. Das
ganze Stück
Fig. 16. Haarschmuck aus Erythrina-Holz, bemalt.
Neuhauß 1108. 155 Seemeilen von der Mündung.
110
FELIX v. LUSCHAN
ist schwarz bemalt, in den Vertiefungen sind überall noch Reste von
bohrung, die vielleicht zum
Aufhängen des Stückes ge- r J|
dient hat. Am unteren Ran- ^
de der „Sichel“ sind mehr- 4 iMMwiSrBa
fach kleine Grübchen sicht- mjmgk
bar, die vielleicht von Bau !|Sl mSlL mk
Stiften zur Befestigung ir- jaflV W&m /
gend eines Behanges her- |9I WjjfgU
rühren. . p; W m3sFJMT AlMölil
Über die Bedeutung die- | {:
ses höchst eigenartigen «'■HL -SJ, 'c
und anscheinend recht alten uMk
Schnitzwerkes ist einst-
weilen gar nichts bekannt.
Ich möchte annehmen, daß es
sich um eine ganz bestimmte
Fig. 17. Haarschmuck mythologische Darstellung handelt, Fig 18 Schnitzwerk. Neuhauß 1150. 168 See-
die vielleicht mit einer der aller- meilen von der Mündung. Etwa v» ci. w. Gr.
schönsten, überhaupt bekannt gewordenen Maori-Skulpturen in Parallele zu
setzen ist, von der ich hier Fig. 19 eine Abbildung gebe.
aus Erythrina-Holz, be-
malt. Neuhauß 1113.
155 Seemeilen von der
Mündung. Vs d. w. Gr.
Gleichfalls an Neu-Seeland erinnern die großen, aus Holz geschnitzten Tuthörner, die be-
reits mehrfach vom Augusta-Fluß bekannt geworden sind. Schlaginhaufen hat zwei kleinere
Stücke dieser Art mitgebracht und erwähnt größere, „die eine Länge bis zu 2 m haben mochten“.
Das Berliner Stück, vgl. Fig. 20, das aus der Sammlung von S. M. S. „Cormoran“ stammt,
ist 111 cm lang, fast rein kegelförmig, das eine Ende in einen Vogelkopf ausgehend, das
andere kreisrund mit 13 cm im Durchmesser. Die Blasöffnung befindet sich auf dem Rücken,
etwa an der Grenze des ersten und mittleren Drittels; auf der Bauchseite, dem Halse des
Vogels entsprechend ist eine aus dem vollen geschnitzte Öse zur Aufnahme einer Tragschnur.
Den ganzen Rücken des Instrumentes zwischen Blasloch und der mit einem Dreieckmuster
verzierten trichterförmigen Öffnung nimmt die stilisierte Darstellung eines Sägefisches ein.
Hölzerne Tuthörner sind in der Südsee im allgemeinen sehr selten; da ist die Tritonsmuschel
das von der Natur gegebene Blasinstrument; nur die alten Maori hatten lange Tuben aus
Holz, in der Regel allerdings - soweit mir bekannt ist - aus zwei symmetrischen Hälften
zusammengesetzt und mit einer Schnur sorgfältig umwunden.
Fig. 19. Geschnitztes Brett. Maori. VE 27460. Geschenk von Geh. Rat Prof. Dr. Hans Meyer. V22 d. w. Gr.
ZUR ETHNOGRAPHIE DES KA1SERIN-AUGUSTA-FLUSSES
111
:ig. 20. Blashorn aus Holz. VI. 30066. S. M. S. Cormoran. Etwa V; ci. w. Gr.
Von mächtiger Wirkung sind die reich geschnitzten Schiffsschnäbel dieses Gebietes; am
häufigsten haben sie die Form eines Krokodiles oder auch nur eines Krokodilkopfes. Fig. 21
sind zwei solche Schnäbel abgebildet; bei dem kleineren sind die Vorderfüße in Wegfall ge-
kommen; aber beide Schnitzwerke sind von gewaltiger Kraft und trotz aller Stilisierung auch
von wunderbarer, fast wissenschaftlich exakter Naturtreue; allerdings ist das Krokodil am
oberen Augusta-Flusse auch in Wirklichkeit sehr häufig und der bildenden Kunst dadurch ge-
nugsam nahegerückt. Fig. 22 zeigt einen dritten dieser Schiffsschnäbel, bei dessen Verzierung
gleichfalls das Krokodil die überwiegende Rolle spielt. Am vorderen Ende ist noch eine
menschliche Maske geschnitzt.
Noch ungleich bedeutender aber sind die kleinen Schnitzwerke von der Art der Fig. 23J)
bis 25 abgebildeten Stücke. Sie stehen sicher auf dem höchsten Gipfel der melanesischen
Kunst und können ohne Bedenken auch irgend welchen verwandten künstlerischen Leistungen
bei Kulturvölkern an die Seite gestellt werden. Es sind Verschlußstücke anscheinend für
Betelkalkbüchsen und stellen gleichmäßig einen Hahn vor, der auf einem Krokodilkopf steht. Der
Kamm und die Lappen des Hahns erinnern in der Behandlung an den Stil mancher unserer
Basilisken und auch der Körper des Tieres ist ungemein kräftig stilisiert. Man wird selbst
in der europäischen Kunst lange suchen müssen, ehe man wieder auf mit ähnlich urwüchsiger
Kraft behandelte Hähne oder Basilisken stößt.
Auch das hier Fig. 26 abgebildete Stück gehört in denselben Kreis, wenigstens hat es
demselben Zwecke gedient; aber es ist von einem geringeren Manne geschnitzt und von
schwächlicher Art. Alle diese Stücke enden in einem runden Pfropfen, auf den ein konisches
oGimrsscnnaDel. VI. 28131 und
1) Fig. 23 siehe Seite 103, Titelvignette.
Baessler-Archiv 1. 2.
15
112
FELIX v. LUSCHAN
Fig. 22. Schiffsschnabel. Neuhauß 1136.
Geflecht paßt;
dieses wiede-
rum wird an-
scheinend auf
ein zylindri-
sches Bambus-
gefäß gestülpt,
das für Kalk
zum Betelkauen
bestimmt sein
dürfte.
Im Anhangzu
denSchnitzwer-
ken sei hier noch der Verzierung von Kalebassen durch Ritzen, Schneiden und Brennen
gedacht. Ein besonders gutes Stück dieser Art ist eine große 50 cm lange etwa flaschen-
förmige Kalebasse für Betelkalk, mit einem ringsum laufenden Band, das hier, Fig. 27 repro-
duziert ist. Es zeigt zwei größere Gesichter, die nach unten zu orientiert sind und zwei
kleinere, die nach oben sehen. Bemerkenswert ist übrigens auch der zu dieser Kalkflasche
gehörige Spatel; er ist 122 cm lang, steht also mit weit mehr als der Hälfte seiner Länge aus
der Flasche heraus; sein oberes Drittel trägt Anschwellungen und Löcher, in welche letztere zahl-
reiche Faserbüschel eingeknüpft sind; fast der ganze Rest seiner Länge aber ist tief eingekerbt,
wie ein Rasselstab; anscheinend hat der Spatel auch wirklich als Lärminstrument dienen sollen.
Sehr entwickelt ist in unserem Gebiete auch die Flechttechnik; hiervon geben schon seit
langen Jahren einzelne Stücke Zeugnis, die sich fast zufällig in unsere Sammlungen ver-
irrt hatten. Schon 1895 hat A. B. Meyer als Geschenk R. Parkinsons1) eine geflochtene Maske
mit einer Art von Echidna-Rüssel vom Augustafluß veröffentlicht, seit 1888 besitzt auch die
Berliner Sammlung ein solches Stück, und jetzt sind zwei neue dazugelangt, die hier, Fig. 28
und 29, abgebildet sind; das letztere ist durch ein großes tellerähnliches Geflecht bemerkens-
wert, das wie Bäffchen unter der Mundöffnung der Maske herabhängt.
Völlig einzig in seiner Art ist das große Flechtwerk, das hier, Fig. 30 und 31 abgebildet
ist. Auf der ersteren Abbildung ist es wie eine Janusmaske auf den Kopf einer Gipsfigur
Fig. 24 und 25. Verschlußstücke für Betelkalk-Zylinder. Neuhauß 1179, 1112.
Etwa Va d. w. Gr.
I) Vergl. A. B. Meyer in Publ. a. d. König! ethnogr. Museum zu Dresden. Bd. X. Das Stück stammt
von der Reise der „Ottilia“ 1886, und wurde etwa 200 engl. Meilen landeinwärts erworben. Auch nach Ham-
burg und in das Brit. Museum sind schon früher solche Masken gelangt.
ZUR ETHNOGRAPHIE DES KAISER1N-AUGUSTA-FLUSSES
113
Fig. 26. Verschlußstück für Betelkalk-Zylinder. Neuhauß 1180.
Etwa Vs d. w. Gr.
gesetzt — völlig willkürlich: Es ist nicht unmöglich, daß es wirklich wie eine solche getragen
wurde, und besonders aus Westafrika ließen sich vielfache Analogien solcher Janusmasken bei-
bringen, aber es ist ebenso möglich, daß wir nur eine Tragvorrichtung, vielleicht für ein großes
Tongefäß vor uns haben. Jedenfalls können die beiden Hälften nach oben weit aus-
einander klaffend gemacht werden und ebenso
endet jede Hälfte oben mit einer richtigen
Schleife, die gut als Handhabe funktionieren
könnte. Über die Technik ist im einzelnen
nicht viel zu sagen nötig, da fast alles Wesent-
liche sich schon aus den beiden Abbildungen
ergibt. Die Grundlage des Ganzen bildet ein
fest und derb geflochtener Ring; auf diesem
sitzen, senkrecht aufstrebend, zwei große
Lappen, von denen jeder aus drei
miteinander verbundenen festgefloch-
tenen Rahmen besteht; von diesen
Rahmen trägt der vorderste je
zwei gleichfalls geflochtene Masken.
Fig. 30 zeigt die Anordnung dieser
Rahmen und in dreiviertel Profil die
beiden Masken der einen Seite; die
Masken der anderen sind Fig. 31
zu sehen. Auf beiden Seiten sind die oberen Masken sehr viel größer, stellenweise weiß
bemalt und mit einem langen Bart versehen, der aus menschlichen Haupthaaren hergestellt
ist; die unteren Masken sind kleiner, weniger menschlichen
Gesichtern ähnlich als die oberen, bartlos und nicht
bemalt; ob sie menschliche oder vielleicht Tier-
gesichter vorstellen sollen, wage ich nicht zu
entscheiden.
Ganz besonders sorgfältig und schön
geflochten sind auch die Regenkappen
unseres Gebietes; sie haben
dieselbe Form,
die schon
Fig. 27. Verzierung einer Kalebasse für Betelkalk. S. M. S. Cormoran.
1/.i d. w. Gr. I
Fig. 28. Geflochtene Maske. VI. 30312. 1 , d. w. Gr.
FELIX v. LUSCHAN
Fig. 29.
Geflochtene Maske.
VI. 30311.
Geschenk von Herrn
Administrator Heine.
65 Seemeilen von
der Mündung.
Vs d. w. Gr.
lange aus dem Bismarckarchipel und von den Salo-
monen bekannt ist, aber sie sind sehr fest, wie un-
verwüstlich geflochten, durch verschieden gestellte
Reihen kleiner Knötchen verziert und außerdem
noch bunt bemalt. Fig. 32 zeigt eines dieser
Stücke, der größeren Deutlichkeit wegen in der
üblichen Art auf einen unserer bemalten Gips-
köpfe gesetzt
Zum Schlüsse seien hier noch die über
wirkliche menschliche Schädel modellierten
Köpfe hervorgehoben, die in den letzten
Jahren in großer Anzahl vom mittleren Augusta-
fluß zu uns gelangt sind. Viele von ihnen sind von
großer Schönheit und Museumsstücke allerersten Ranges.
Ob sie An-
denken an
nahe Verwandte
vorstellen oder
etwa als Trophäen
von erschlagenen
Feinden stammen, ist noch unbekannt. Ich halte
einstweilen das erstere für wahrscheinlicher; jeden-
falls unterliegt es keinem Zweifel, daß sie mit
großer Liebe und Sorgfalt hergestellt sind. Drei
unserer schönsten Stücke sind als Fig. 33 bis 35
abgebildet. Alle, auch die anderen, hier nicht
abgebildeten Köpfe sind in derselben Technik her-
gestellt. Die Schädel sind erst vollkommen ge-
reinigt, auch ganz entfettet, stammen also nicht
etwa von frischen Leichen, sondern sind erst
längere Zeit, wohl wenigstens ein Jahr, nach der
Bestattung dem Grabe entnommen. Dann wird
der Unterkiefer befestigt und hierauf das ganze
Gesicht bis etwa zur Kranznaht mit einer plasti-
schen Masse, anscheinend Ton und Harz, über
die Knochen in vollkommen naturähnlicher Weise
modelliert und dann noch bemalt, vermutlich so,
wie einst der lebende Träger des Kopfes sein
Gesicht zu bemalen pflegte. Die Augen werden
in sehr realistischer Weise durch Cypraeaschnecken
dargestellt, deren quergestellte Öffnung mit den
dunklen Furchen genau wie die Lidspalte mit den
Wimperhaaren wirkt. Etwa der Kranznaht ent-
sprechend verläuft quer über den Kopf ein Wulst
aus derselben Masse, aus der das Gesicht mo-
delliert ist. In diesem Wulst, der nach vorne mit
großen Cypraeaschnecken verziert ist, sind nach
hinten zahlreiche lange Haarzotteln befestigt, die l lgAPpaiat “iTagen vonleSßfnasvi: sos“1
vollkommen die natürliche Behaarung des Kopfes Geschenk V0Etwaev"dAd™mGr.trator Heine-
ZUR ETHNOGRAPHIE DES KA1SERIN-AUGUSTA-FLUSSES
115
wiedergeben. Die Figuren lassen die Art dieser Zotteln genau er-
kennen. Wir wissen nicht, ob die Leute von Natur aus so sehr
lange Haarspiralen bekommen, die bis zu 20 cm und darüber
messen, oder ob sie da, ähnlich wie bei vielen Sudänstämmen
vom Senegal bis zum Osthorn von Afrika durch fortwähren-
des Drehen und Wickeln um ein ganz dünnes Stäbchen
nachhelfen. Die Ohrmuscheln sind auch plastisch wieder-
gegeben.
Laien versichern, daß diese Köpfe „genau“ wie Maori-
köpfe aussehen. Das ist natürlich cum grano zu verstehen:
Maoriköpfe sehen in Wirklichkeit völlig anders aus und
sind ja auch völlig anders präpariert, da bei ihnen die
richtige Haut mit der wirklichen und ursprünglichen Tatauie-
rung erhalten ist. Immerhin läßt sich nicht leugnen, daß
besonders die Spiralverzierungen in der Bemalung der
Köpfe vom Augu-
stafluß etwas an
die Tatauierung
der Maori erinnern.
Einige unserer
Köpfe sind wesent-
lich einfacher be-
malt. Bei anderen
ist der Stirnwulst
mit den Haaren
Fig. 32. Regenkappe. VI. 30 313. Geschenk von Herrn
Administrator Heine. 65 Seemeilen von der Mündung.
V» d. w. Qr.
Fig. 31. Flechtwerk, vielleicht Maske, vielleicht
Apparat zum Tragen von Gefäßen. VI. 30310.
Geschenk von Herrn Administrator Heine.
weggebrochen, so Etwa 1/7 d- w- ür-
daß solche Köpfe verhältnismäßig unscheinbar aussehen;
ich habe aber den Eindruck, als ob der Wulst mit den
Haaren ursprünglich immer vorhanden gewesen wäre;
wenigstens habe ich selbst niemals einen solchen Kopf
in der Hand gehabt, der nicht wenigstens noch eine
Spur des Wulstes hätte erkennen lassen.
Wenn ich im vorstehenden einige besonders schöne
und kostbare Stücke der Berliner Sammlung ver-
öffentliche, so bin ich mir natürlich der vielen Un-
vollkommenheiten einer derartigen Veröffentlichung
durchaus bewußt; ich habe mich trotzdem zu ihr ent-
schlossen, in erster Linie aus Dankbarkeit gegen die
Sammler, aber auch um bei dieser Gelegenheit mit
Nachdruck auf die Notwendigkeit einer Expedition hin-
zuweisen, deren alleiniges Ziel einzig nur die Erfor-
schung der Stämme am mittleren und oberen Kaiserin
Augustafluß sein sollte. Die Hamburger Expedition
hatte knapp zwei Wochen an die Befahrung des Stromes
wenden können, die anderen Unternehmungen sogar
nur wenige Tage. Das konnte natürlich genügen, zu
einer vorläufigen Übersicht über den materiellen Besitz
und über die Kunstleistungen von Stämmen zu ver-
helfen, die uns bis dahin nicht einmal dem Namen
FELIX v. LUSCHAN
nach bekannt waren, — aber noch ist uns deren
geistige Kultur völlig fremd geblieben, und wir
wissen nichts über die großen Zusammen-
hänge, die zwischen diesen Stämmen und
den anderen Bewohnern Neu= Gui-
neas bestehen, und wir wissen
nichts über ihre frühere Geschichte
und ihre alten Wanderungen.
Die Expeditionen der letzten
Jahre sind natürlich nicht spurlos
an den Eingebornen vorübergegan-
gen; nach Jahrhunderte langer eige-
ner und eigenartiger Entwicklung
sind sie nunmehr mit einem Schlage
den zersetzenden Einflüssen der
europäischen Kultur preisgegeben. Es
wird uns deshalb zur dringenden Pflicht,
da die alten und zweifellos höchst merk-
würdigen Zustände zu studieren und
für die Nachwelt festzuhalten, ehe sie
für immer zerstört und verschwunden
sind. Und hier ist wirklich Gefahr im
Verzüge: Das Stromgebiet des Augusta-
Präparierter3 Schädel. flusses soll jetzt regelmäßig von An-
vi. 29157. Sammlung werbungsschiffen befahren werden, und
Irma Sonne.
jedes dieser Schiffe hat natürlich min-
destens einen Kuriositätensammler an
Bord, der eiserne Messer und Äxte sowie
schlechte Tausch waren aller Art mit vollen
Händen ausstreut und so zur raschen
Umwertung aller Begriffe beiträgt. „Ku-
riositäten“ aber haben wir nun nach
gerade genug in unseren Samm-
lungen — was uns fehlt, ist die sorg-
fältige Erforschung der materiellen,
vor allen aber der geistigen Kultur.
Das aber ist nicht die Arbeit von ein
paar Tagen oder Wochen, dazu ist ein
mindestens einjähriger Aufent-
halt an Ort und Stelle nötig, wirk-
liche Erlernung wenigstens einer
der Eingebornensprachen mit Eman-
zipation von dem gräßlichen Pidgin,
sowie zielbewußte und aufrichtige
Anfreundung mit den Eingebornen.
Dann, und nur dann wird es sicher
gelingen, eine Kultur zu erkennen und
zu verstehen, von der wir bisher nur
ganz schattenhafte Umrisse besitzen.
mAi> W'WM|№№
ZUR ETHNOGRAPHIE DES KAISERIN-AUGUSTA-FLUSSES
Fig. 34a und b. Präparierter Schädel. Neuhauß 1066. 130 Seemeilen von der Mündung.
r, 35a u. b. Fräparierter Schädel. VI. 30315. Geschenk von Herrn Administrator Heine. 130 Seemeilen von der Mündung.
Bis dahin scheint es mir, wenigstens für mich persönlich, richtiger, mit billigen Hypo-
airf860 n°C^. zuriickzuhalten; ohnehin dürfen da und dort auftauchende Analogien nicht etwa
, emen direkten Zusammenhang bezogen werden, sondern viel eher auf gemeinsame Ab-
angigkeit und Beeinflussung von dritter Seite.
MUSEUMSNOTIZEN.
1. VIER ALTE HELME AUS POLYNESIEN.
Bei einem englischen Händler erwarb ich vor einigen
Jahren die. beiden hier Fig. a und b abgebildeten Helme.
Die damalige Herkunftsangabe, Marquesas, ist sicher
unrichtig, aber ich bin einstweilen nicht imstande, sie
durch eine ganz einwandfreie zu ersetzen. Immerhin
erinnern sie an zwei kostbare Stücke unseres ältesten
Bestandes, die hier in Fig. c und d abgebildet sind.
Diese stammen von Cook und haben bei uns die An-
gabe Tubuai.
Fig. a und b.
Fig. c.
Fig. d.
Alle vier sind aus Kokosfasern in echter Spiral-
wulst-Technik geflochten. Zwei Stücke sind mit Feder-
büscheln verziert, eines mit großen Ovula ovum
Schnecken. Dieses trägt auch einen Kranz von ur-
sprünglich etwa wallnußgroß gewesenen rundlichen
Klumpen mit roten Paternoster-Bohnen; die meisten
dieser Gebilde sind jetzt beschädigt, so daß man sehen
kann, wie sie aus einem Holzkerne bestehen, um den
herum die roten Kerne mit einem bernsteingelben Harz
angekittet sind. v. L.
EIN BRAHMANISCHES WELTSYSTEM.
BESCHREIBUNG EINES IM KGL. MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE ZU BERLIN BEFINDLICHEN BILDES.
VON
HEINRICH STÖNNER.
(Hierzu Taf. V-VII.)
Das Original dieses Bildes befindet sich in der Bibliothek zu Tanjore.1) Unsere Kopie ist
seinerzeit von Bastian mitgebracht und mit einer Reihe von anderen kosmologischen Bildern
in seinem Buche: Ideale Welten, Berlin 1892 (Taf. I), schematisch veröffentlicht worden. Die
dort angefügte kurze Erläuterung des Bildes rührt von Professor Grünwedel her. Im folgenden
soll nun versucht werden, die Erklärung der einzelnen Partien ausgiebiger zu gestalten und
die Legenden, die zur Erklärung notwendig sind, wenn auch natürlich nur kurz, zu geben.
Als Hilfsmittel hierbei haben außer dem kleinen Petersburger (Sanskrit-) Wörterbuch haupt-
sächlich folgende Werke gedient:
1. Ziegenbalg, Bartholomaeus. Genealogie der malabarischen Götter. Erster, ungeänderter.
notdürftig erweiterter Abdruck besorgt durch Dr. Wilhelm Germann, Madras. Erlangen 1867,
Die Originalausgabe ist unter dem Titel: Beschreibung der Religion und heiligen Gebräuche
der malabarischen Hindous, nach Bemerkungen in Hindostan gesammelt. 4 Teile. Berlin 1791
erschienen. In einem kurzen Nachbericht am Schluß gibt der ungenannte Herausgeber als
Verfasser den „sei. Propst Ziegenbalg“ an.
2. Ward, W. A view of the History, Literature and Mythology of the Hindoos: including
a mmute description of their manners and customs, and translations from their principal works.
In three volumes. London 1822.
3. Hunter, W. W. The Imperial Gazetteer of India. 14 Bde. 2nd Ed. London 1885—1887.2)
4. Apte, V. Sh. The practical Sanskrit-English Dictionary. Poona 1890. Für Realien
eines der besten Wörterbücher, die wir haben.
Manchmal war es jedoch trotz aller Hilfsmittel nicht möglich, alles zu erklären. Die ein-
geschriebenen Bezeichnungen der Felder, die in Sanskrit mit Nägarl-Schrift abgefaßt sind, sind
m Orthographie und Grammatik sehr mangelhaft. Da es sich nicht um Sprachwissenschaft-
liches hier handelt, ist beides ohne weiteres richtig gestellt worden. Auch in den Ortsbestim-
mungen laufen Fehler unter, und Heiligtümer des Siva werden hier als Visnu zugehörig geschildert.
Das Bild des Berliner Museums ist eine ziemlich rohe Kopie in Wasserfarben. Es mißt
54 x 83 cm. Die Darstellung erweist es als südindischen Ursprungs, und Visnu ist die Gott-
heit, welche hier verehrt wird. Als nach Ausrottung des Buddhismus das Brahmanentum sich
regenerierte und wieder mächtig erstarkte, traten zwei Götter in den Vordergrund, Siva und
isnu, wobei Brahma bei dem Volk gänzlich in den Hintergrund geschoben wurde. Zwei
Mo e Sekten bildeten sich, deren Bestreben naturgemäß dahin ging, den speziell von ihnen
unc^B^11 m°^chst hervorzuheben und zu glorifizieren. Überall fanden sich heilige Orte
n a eplätze, an die sich die Erinnerung an eine hervorragende Tat des Gottes oder an eine
ege enheit aus seinem Leben oder dem seiner näheren oder weiteren Verwandtschaft und
anntschaft anschloß. Die Mythologie dieser beiden Götter gehört daher zu den inter-
santesten Untersuchungen dieses an Göttergeschichten so reichen Landes. Dazu gibt unser
Bild einen kleinen Beitrag.
Sanskrh h überall konsequent die englische Orthographie gegeben. Im übrigen ist die Transkription der
R»!rLnamen d*e ^etzt aHgemein gebräuchliche. 2) Die neue Auflage stand mir noch nicht zur Verfügung.
Baessler-Archiv i. 3. 16
120
HEINRICH STÖNNER
Die Anschauung des Inders teilt die Welt in drei Teile (Triloka): die Himmelswelt, die
Menschenwelt und die Höllenwelt, die erste über die letzte unter der Menschenwelt. So ist
auch die Darstellung auf unserem Bilde angeordnet, wo selbstverständlich Visnus Himmel der
oberste ist. Daß das Bild zwischen den kosmologischen Partien auch moralische Darstellungen
bietet, darf uns bei der geistigen Veranlagung der Inder nicht Wunder nehmen.
Bevor wir nun näher den Inhalt des Bildes betrachten, müssen wir noch kurz auf eine
grundlegende Anschauung der Anhänger Visnus eingehen: Es ist dies die Lehre von den
Avatäras oder Inkarnationen Visnus. Jedesmal, und es ereignet sich nicht selten, wenn der
Welt oder den Göttern eine Gefahr droht, sei es von den Asuras oder Dämonen, sei es von
den Räksasas oder Riesen, oder sei es von Menschen, so wenden sich die Götter hilfeflehend
an Visnu, der dann im mancherlei Gestalt auf Erden wiedergeboren wird und dem betreffenden
Störenfried gründlichst das Handwerk legt. Nach Anschauung des Visnupuräna, d. i. des alten
Legendenbuches über Visnu, sind die Dämonen schon vor den Göttern entstanden, also überirdischen
Ursprungs. Sie liegen in ständigem Kampfe mit den Göttern (vgl. Titanen), denen sie aber zuletzt
unterliegen. Ähnlich steht es mit den Riesen, die aber irdischen oder halbirdischen Ursprungs
sind. Diese sowie auch Menschen können durch religiöse Handlungen ein derartiges Verdienst
erwerben, daß sie den Göttern nicht nur an Macht gleichkommen, sondern sie auch übertreffen.
Offiziell werden zehn Inkarnationen oder Fleischwerdungen Visnus gezählt. Ihre Reihen-
folge jedoch ist schwankend, und einzelne Avatären werden verschieden benannt. Ich gebe als
Beispiel hier die Listen von Ward und Ziegenbalg nebeneinander.
Nach Ward: Nach Ziegenbalg:
1. Mütsyü als Fisch 1. Matsya = Nr. 1
2. Küchyûpù 55 Schildkröte 2. Kürma = 55 2
3. Vu rah û 55 Eber 3. Varäha 55 3
4. Nûrûsinghù 55 Mannlöwe 4. Räma = 55 7
5. Vamûnû 55 Zwerg 5. Parasuräma = 55 6
6. Pûrûshoo-ramû 55 Räma mit der Axt 6. Veguttuvam = 55 9
7. Ramû 55 Königssohn Räma 7. Narasinha = 55 4
8. Bülûramû 55 Balaräma 8. Vämana = 55 5
9. Boodhû 55 Buddha 9. Krischna
10. Kalkee 55 Pferd 10. Asva (Kalki) == 55 10
Außer diesen gibt es noch einige andere, nicht orthodoxe Avataren. Im folgenden zitiere
ich die Avatären nach den Nummern von Ziegenbalg.
Der obere Teil des Bildes (s. Taf. V) wird eingenommen von einem großen Mittelfeld und zwei
schmäleren Seitenfeldern. Im Mittelfeld erhebt sich eine auf Pfeilern ruhende Halle, die fünf Rund-
bogen aufweist, in dessen mittelstem Visnu thront. Es stellt dies den Götterhimmel Visnus, Vaikuntha,
vor, wonach er auch Vaikunthaväsl, der im Himmel Vaikuntha Thronende, genannt wird. Er ist
sitzend mit vier Armen dargestellt, von denen der untere linke mit der Hand auf dem linken Knie
aufruht, das rechte Bein ist nach vorn und tiefer gestellt, die rechte untere Hand ist segnend halb
erhoben. Das reiche Gewand und der kostbare Schmuck sowie die Kopfbedeckung sind bezeichnend
für den vornehmen Südinder, der seine Götter sich naturgemäß anähnelt, ihnen aber als Zeichen
der Allmacht vier und mehr Arme gibt. Visnus beiden anderen Arme sind erhoben und
tragen in ihren Händen die für ihn typischen Attribute, rechts das Cakra und links den Sahkha.
Das Cakra ist eine flache, nach der Mitte zu sich verdickende kreisrunde Scheibe mit haar-
scharfem Rand und einem Loch in der Mitte. Man hat es häufig mit dem Diskus der Griechen
verglichen, doch sind die Unterschiede sehr groß. Der Diskus der Griechen ist eine runde
Metallplatte mit abgerundetem Rand mit oder ohne Öffnung in der Mitte. Er wird entweder
am Rande mit der Hand oder an einem Lederriemen, der durch das Mittelloch gezogen ist,
geschleudert. Das Cakra dagegen wird durch den scharfen Rand zu einer viel furchtbareren
EIN BRAHMANISCHES WELTSYSTEM
121
Waffe. Geschleudert wird es dadurch, daß man den Zeigefinger durch das Loch steckt, es
ein paarmal um den Kopf wirbelt und dann fliegen läßt. Es wird oft in seiner Anwendung
im Kriege bei den Dichtern, so im Mahäbhärata und Rämäyana, beschrieben.
Der Sahkha ist eine Muschel, nach der Überlieferung ein Schlag- oder Blasinstrument,
in beiden Fällen jedenfalls für kriegerische Unternehmungen bestimmt.
Der Körper Visnus ist nicht von menschlicher Farbe, sondern traditionell blau. Auf der Stirn
trägt er das unterscheidende Sektenzeichen der Vaisnavas, d. i. der Visnuverehrer, einen roten Kreis.
Neben ihm links1) sitzt, nach orientalischer Manier mit gekreuzten Beinen, seine Gattin
Laksml, gleichfalls als Gottheit vierarmig. Auch ist sie kenntlich an den Lotusblumen, die sie
in den beiden erhobenen Händen trägt. Ihre Körperfarbe ist immer gelb. Kleidung und
Schmuck (Nasenring, Ohrschmuck usw.) sind wie bei einer reichen Südinderin. Auf der Stirn
trägt sie ebenfalls das kreisrunde rote Sektenzeichen. Laksml gilt als Glücksgöttin und Göttin
der Schönheit. Sie heißt als solche auch Sri, das ist „Glück, Reichtum, Schönheit“.
Rechts von Visnu sitzen zwei Frauen, aber nur mit je zwei Armen und ohne jedes charak-
terisierende Symbol. Wir haben unter ihnen Devadäsls Götterdienerinnen zu verstehen, die
hier gewissermaßen als Raumfüller verwendet sind. Diese vier Personen, Visnu und Gattin
sowie die beiden Dienerinnen, sitzen auf dem Leib einer aufgerollten Schlange, deren neun-
köpfiges Haupt sich hinter dem Rückenpolster Visnus erhebt und diesen baldachinartig über-
schattet. Es ist der Schlangenkönig Sesa oder Ananta, von dem es heißt, er trage die Erde.
Gewöhnlich wird Visnu liegend auf der Schlange dargestellt, wobei Laksml an seinen Füßen
sitzt. Aus seinem Nabel wächst dann eine Lotusblume, aus der Gott Brahma viergesichtig
geboren wird. Rechts und links von dieser Gruppe, in den äußeren Bogen der Halle, stehen
noch zwei Türhüter Dvarapälakas, beide vierarmig in der Körperfarbe Visnus und mit seinen
Attributen versehen. Damit ist die Darstellung des Himmels erledigt. Gegenüber den groß-
artigen Schilderungen der Dichter eine etwas nüchterne Wiedergabe.
In den beiden großen Eckbildern rechts und links vom Götterhimmel Vaikuntha befinden
sich unter einem großen Baume eine Reihe verehrender Personen, ebenfalls ohne nähere Be-
zeichnungen, deren Zusammenhang mit Visnu ein sehr enger ist. Auf dem linken Felde steht
zunächst dem Palast ein Affe namens Hanumän, der Feldherr des Affenkönigs Sugriva, der
ein Verbündeter Visnus in seiner vierten Inkarnation als Räma war. Darüber berichtet uns
das Rämäyana, das eine der beiden großen Heldengedichte der Inder und noch jetzt in höchstem
Ansehen unter ihnen, folgendes:
Räma war ein Sohn des Königs Dasaratha von Ayodhyä (jetzt Oudh). Nach seiner Ver-
heiratung mit Sltä (Inkarnation von Laksml, der Gattin Visnus), der Tochter des Königs Janaka
von Mithilä, geht er infolge von Intriguen mit seiner Frau und seinem Bruder Laksmana als
Einsiedler in den Wald. Dort wird ihm seine Gattin durch den zehnköpfigen Dämonenfürsten
Rävana, König von Lanka (Ceylon), geraubt. Auf der Suche nach ihr verbündet er sich mit
Sugriva und Jambavän, den Königen der Affen und der Bären. Des ersteren Feldherr Hanumän
findet Sltä auf Ceylon wieder, und nach furchtbaren Kämpfen, in denen Hanumän eine große
Rolle spielt, wird Rävana mit seinen Dämonen vernichtet und Räma erlangt seine Gattin wieder.
Diese Vernichtung Rävanas und der Dämonen ist aber der Zweck, weswegen sich Visnu zum ^
Gertenmal inkarniert, da diese Dämonen den Menschen und Risis, d. 5. den ehrwürdigen Weisen,
heftig zusetzten. Die Gestalt Hanumäns ist daher infolge dieser Geschichten eine sehr beliebte
und oft voi kommende Darstellung auf Bildern und Reliefs.
Neben Hanumän steht Närada, das Haupt der Gandharvas, d. i. der Musiker der Götter.
Er ist traditionell bekleidet mit einem Tigerfell und hält in seiner rechten Hand die Vinä, ein
lautenartiges Musikinstrument, als dessen Erfinder er gilt. Die Legende verbindet seine Person
mit Visnu in dessen neunter Inkarnation als Krisna. Er tritt dabei als Freund und Bundes-
1) Rechts und links gilt immer vom Beschauer aus.
16*
•122
HEINRICH STÖNNER
genösse Krisnas auf. Vor diesen beiden stehen zwei Brahmanen mit verehrungsvoll zusammen-
gelegten Händen, dem gewöhnlichen Ausdruck der Ehrfurcht und Andacht vor Göttern und Höher-
gestellten. Dicht am Baum endlich steht wieder ein vierarmiger Türhüter mit mächtiger Keule und
den Attributen Visnus. Seine Körperfarbe ist blan wie die Visnus, er hat aber ein weißes Gesicht.
Auf dem rechten Eckbilde folgen andere Verehrer Visnus, zunächst Garuda, der König der Vögel,
und zugleich das Reittier Visnus, eine ebenfalls sehr oft dargestellte Persönlichkeit. Er wird
mehr oder minder vogelähnlich abgebildet - siehe hier die Flügel —, kommt aber manchmal
auch in menschlicher Gestalt vor, kenntlich nur an der gebogenen, wie ein krummer Vogel-
schnabel aussehenden Nase. Auch dieses Kennzeichen ist ihm auf unserem Bilde gegeben.
Neben ihm steht ein zweiter Gandharve namens Tumburu, zu erkennen an seinem Pferdekopf
und an der Laute, Vlnä, die er in der einen Hand hält. Daß er hier als besonderer Verehrer
Visnus auftritt, muß uns wundernehmen, denn nach den Legenden hat er nichts mit diesem
zu tun, sondern ist ein Verehrer Sivas, durch dessen Gnade er infolge seiner Bitten und
seiner Verehrung zum Gandharva wurde. Infolgedessen gehört er auch zum gewöhnlichen
Gefolge dieses Gottes. Vor Garuda und Tumburu stehen wieder zwei verehrende Brahmanen und
rechts von diesen ein Türhüter wie auf dem linken Bilde. Es fällt auf, daß diese beiden Brahmanen
zusammen mit den beiden im linken Bilde von rechts nach links eine ansteigende Linie bezüglich
ihrer Größe haben. Sie stellen augenscheinlich die vier Lebensstadien eines Brahmanen vor:
1. Brahmacärin, Schüler.
2. Grihastha, Haushaltsvorstand, verheiratet.
3. Vanaprastha, Einsiedler im Walde.
4. Bhiksu, religiöser Almosenempfänger (Mendikant).
Diese beiden Eckbilder mit Verehrern Visnus gehen, wie wir im Bilde sehen, weiter nach
unten als der Himmel Vaikuntha. In dem dadurch entstehenden Raum werden nun andere
Götterwelten aufgezählt, die durch einen breiten Streifen, Virajänadi1) der Fluß Virajä bezeichnet,
von Vaikuntha getrennt werden. Dieser Fluß, Nadl, das Wort ist im Sanskrit Femininum, ist
dargestellt als ein hellblaues Band mit darin schwimmenden Fischen (?). Virajä war der Name
einer Freundin Visnus in seiner neunten berühmtesten Inkarnation als Krisna. Sie wurde wegen
ihrer Angst vor Rädhä, der Gattin Krisnas (Inkarnation der Laksml), in diesen Fluß verwandelt.
Das Krisna-Avatära ist das bei weitem Wichtigste, da es bedeutend auf das religiöse Leben
Indiens eingewirkt hat. Da der Raum hier für die ganze Legende nicht langt, so teile ich nur
das Hauptsächlichste mit. Es handelt sich um den großen Kampf, der in dem Epos Mahäbhä-
rata erzählt wird, den Kampf der Kurus mit den fünf Söhnen Pändus, welch letztere von Krisna
unterstützt werden. Hierbei kommen große philosophische Exkurse vor, indem Krisna als
Wagenlenker Arjunas, des am meisten hervorvortretenden Pändava, religiöse Probleme ent-
wickelt, z. B. das Bhagavadglta, Unter diesem Fluß folgen nun verschiedene Himmelswelten,
zuerst Satyalokah, die Welt der Wahrheit. Inmitten derselben sitzt in einem niedrigen gelben
Hause Gott Brahma, kenntlich an seinen vier Gesichtern. Diese Welt heißt daher auch Brahma-
lokah. Es folgt Tapolokah, dunkelrot gemalt, die Welt der Askese, darauf Janalokah, die Welt
der Risis, d. i. der göttlichen Weisen. Zum Schluß Maharlokah in grüner Farbe, die Welt
der Gandharven. Es sind dies in richtiger Reihenfolge die vier höchsten Himmelswelten der
sieben Oberwelten, die drei anderen heißen Svarlokah (d. i. der im folgenden erwähnte Svargam),
Bhuvarlokah und Bhulokah, dieses die Menschenwelt, jenes die Welt der Siddhas, d. i. eine
Klasse von Halbgöttern, die fliegen können. Es folgt ein längeres Feld Nandanavanam (s.Taf.VI),
ein mythischer Götterhain namens Nandana, „der Erfreuende“. Zwischen herrlichen Palmen und
blühenden Bäumen sieht man im Hintergrund verschiedene Berge. Wildes und zahmes Getier
belebt ihn. In der Luft fliegen mehrere Vögel. Unter diesem Wald folgt ein großes Feld, dessen
Mitte von Svargam, dem Himmel Indras, eingenommen wird. Auf einer Estrade in einer aus
1) Hier beginnen die Inschriften der Felder, welche zum Unterschiede von anderen Namen kursiv gedruckt sind.
EIN BRAHMANISCHES WELTSYSTEM
123
einem Bogen bestehenden Halle sitzt Indra mit seiner Gattin Indränl. Sie ist in Schmuck und
Kleidung ähnlich wie Laksml dargestellt. Der Zusammenhang Indras mit Visnu ist ein viel-
seitiger. Bald tritt dieser alte und berühmte Gott des Rigveda, jener großartigen uralten reli-
giösen Liedersammlung der Inder, als Diener Visnus auf, bald wird er mit ihm identifiziert.
Als Gott ist Indra vierarmig dargestellt, in einer rechten und linken Hand hält er etwas Un-
definierbares. Die Farbe seines Antlitzes ist ebenso wie die der Indränl gelb, Kleidung und
Schmuck wie die eines südindischen Königs. Um den Palast Indras herum fließt die Bhägi-
rathi, dargestellt als ein Fluß, dessen beide Enden in goldene Drachenhäupter auslaufen. Die
Legende erzählt: Bhaghlratha war ein Nachkomme des Königs Sagara. Als dieser einst das
heilige Pferdeopfer darbringen wollte, verschwand das Pferd. Seine 60 000 Söhne wurden auf
der Suche nach ihm von dem Weisen Kapila als Strafe für die ihm versagte gebührende Ver-
ehrung zu Asche verbrannt. Um der Asche der Verbrannten das sühnende Wasser zuzuführen,
leitet Bhaglratha die Gahgä zu ihnen. Darauf erscheint Brahma und verleiht ihr den Namen
Bhäglrathl. Sie entspringt auf dem Himälaya und gilt heute als Quellfluß des Ganges. Das
Meer, in welches die Asche der Verbrannten gespült wird, erhält nach ihrem Vater den Namen
Sägara, d. i. Ozean. Rechts und links von der Bhäglrathl stehen Indras Reittiere, der weiße
Elefant Airävata und der Schimmel Uccaihsravas. Beide entstanden bei der Quirlung des
Milchmeeres. Darüber heißt es: Die Götter wollten sich das Amrita, den Unsterblichkeitstrank
verschaffen. Dazu aber bedurften sie der Hilfe der Asuras, der Dämonen. Sie nahmen den
Berg Mandara und stellten ihn als Quirl in das sog. Milchmeer. Als Quirlseil nahmen sie die
Schlange Väsuki, aber der Berg versank immer. In dieser Not sprang Visnu ein, inkarnierte
sich in eine Schildkröte (zweites Avatära) und gab als solche die Basis für den Berg ab. Nun
konnte die Quirlung beginnen, und es kamen eine Reihe von Gegenständen dabei zum Vor-
schein, unter anderem auch der Elefant und das Roß. Bevor aber das Amrita erschien, bildete
sich Gift, das, da nicht weiter gequirlt werden konnte, Siva trank. Davon erhielt er einen
blauen Hals, woher der Name Nilakantha, der Blauhalsige stammt. Dann endlich erschien der
Unsterblichkeitstrank, wobei es den Göttern gelang, die Asuras um ihren Anteil zu bringen.
Uber den beiden Reittieren Visnus fliegen zwei geflügelte Götterwagen.
Zu beiden Seiten von Indras Himmel liegen je acht Felder, welche uns Annehmlichkeiten
des Himmels und seine Bewohner vor Augen führen. Die linken acht stellen folgendes vor,
in der oberen Reihe:
1. Vähanam, der Wagen. Dargestellt ist ein mit einem Buckelochsen bespannter Wagen.
Er ist mit vier Rädern versehen und hat einen thronhimmelartigen Überbau. Das gewöhnliche
Transportmittel der Eingeborenen im Südosten Asiens ist der zweirädrige Ochsenkarren mit
und ohne Dach zum Schutz gegen die Sonne.
2. Punyaslokaräjänah, die Könige, welche in schönen Gesängen gepriesen werden, zwei
einander gegenübersitzende Personen, links noch eine stehende, die sich zu unterhalten scheinen.
3. Astabhogham, die acht Genüsse. Dies sind nach Rottier, Tamil Dictionary, die folgenden.
1. Woman; 2. garments, clothes; 3. jeweis; 4. food; 5. beetel, beetelnut; 6. fragrance, 7. singing,
8. flowerbed. Wie wir sehen werden, wiederholen sich einige dieser acht Genüsse in den
folgenden Feldern dieser Serie, nämlich Nr. 3 = Feld 5 links; Nr. 4, 6, 7 = Feld 2, 4, 6 rechts
Auf dem Bilde sieht man einen sitzenden Mann, hinter dem ein Diener mit einem Wedel steh .
4. Sridharakathäsravanam, das Zuhören bei Erzählungen über Srldhara = den Träger
der Sri oder Laksml, d. i. Visnu. Dargestellt ist ein Brahmane, dem ein Schüler zuhöit.
ln der unteren Reihe:
5. Bhüsanam, Schmuck; Ein Mann, der einem anderen eine Kette aus Gold um eg .
6. Astavasavah, die acht Vasus, eine bestimmte niedere Götterklasse; Apa, Dhruva, oma,
Dhara, Anila, Anala, Pratyusa und Prabhäsa. Sie sind Herren der Tithis, d. i. der lunaren
Tage. Auf dem Bilde acht gekrönte Personen.
124
HEINRICH STÖNNER
7. Manavah, die Manus, das sind die Schöpfer und Erhalter der Weltperioden, sieben an
Zahl. Cf. Manus Gesetzbuch I, 62, wo ihre Namen gegeben werden: Svayambhuva-M., Sväro-
cisa-M., Tämasa-M., Raivata-M., Caksusa-M., Vivasvatsuta-M. Apte führt in seinem Wörterbuch
die Namen von vierzehn Manus an. Das Bild zeigt uns vier gekrönte Personen.
8. Jalakndä, Spiel im Wasser. Dargestellt: Zwei badende Personen.
Es folgen rechts von Indras Himmel in der oberen Reihe:
1. Kalpavriksah, Kämadhenuh, der Wunschbaum und die Wunschkuh. Beide erfüllen alle
Wünsche. Der Baum wächst in Indras Himmel, während über die Wunschkuh schon im Rigveda be-
richtet wird. Dort ist sie Streitobjekt zwischen dem König Visvämitra und dem Risi (Weisen) Vasistha.
Die Darstellung zeigt uns diese beiden begehrenswerten Gegenstände: einen Baum und eine Kuh.
2. Divyabhojanam, göttliche Speise. Im Bild ein essender Brahmane.
3. Adityah, die Sonne. Dargestellt der Sonnenwagen in der flammenden Sonnenscheibe.
4. Sugandham, Gitam, Wohlgeruch und Gesang. Im Bilde zwei Personen, eine mit einer
Riechflasche, die andere mit einer Laute.
In der unteren Reihe:
5. Marutah, der Gott des Windes: eine vierarmige Gottheit auf einer Gazelle reitend.
6. Nrityam, Vädyam, Tanz und Instrumentalmusik; zwei Natschmädchen, die eine tanzend,
die andere eine Handtrommel schlagend.
7. Visvedeväh, die Allgötter, eine bestimmte Klasse von Göttern, bei Apte werden sie in
folgendem Sloka (Vers) aufgezählt:
Vasuh, Satyah, Kraturdaksah, Kälah, Kämo, Dhritih, Kuruh |
Purüravä, Mädraksasva Visvedeväh praklrtitäh [|
Das Bild zeigt vier Figuren ohne Attribute.
8. SrTbhagavadbhaktih, Ergebenheit oder Verehrung gegenüber dem Erhabenen (= Visnu).
Das Bild zeigt uns einen Brahmanen, der das Linga, das Symbol Sivas verehrt. Dergleichen
kleine Fehler machen unserem Maler nichts aus.
Rechts und links von diesen sechzehn Feldern stehen in einem großen Feld je eine Tän-
zerin in vollem Schmuck. Auf dem linken Felde befindet sich noch ein Baum, in den die
Tänzerin mit der linken Hand hineingreift, ein bekanntes und vielfach vorkommendes Motiv
der indischen Kunst (vgl. Grünwedel, Buddhistische Kunst in Indien. 2. Aufl., S, 104).
Hiermit sind die Himmelswelten abgeschlossen. Es erscheint jetzt wieder ein kleines Feld
wie oben das, in dem Brahma sitzt. An dessen Stelle ist hier ein Mensch abgebildet. Wie
oben die Figur Brahmas den Beginn der Himmelswelten unterhalb der Welt Visnus andeutet,
so hier der Mensch, daß die Menschenwelt beginnt. Die Bezeichnung ist Dhavamandalam,
der Kreis der Menschen. Dhava für Mensch ist nicht das gewöhnliche Wort in diesem Zu-
sammenhänge. Man würde eher Manusyamandalam erwarten. Dieses kleine Feld wird dann
von drei Seiten von einem großen Feld umschlossen, das uns eingehender in die Menschen-
welt einführt. In der Mitte erhebt sich ein großer, nach oben hin nach allen Seiten über-
stehender Berg ohne Bezeichnung. Gemeint ist der Berg Meru, der nach indischer Auffassung
im Mittelpunkt der Erde liegt, um den sich also alle Länder gruppieren. Auf diesem in brauner
Farbe gehaltenen Berge ist ein dunkelbraunes Wasser in Form eines Sees eingezeichnet. Dieser
See führt den Namen Brahmagangä. Es ist dies einer der Namen des Ganges, und wir können
annehmen, daß damit die Quelle des Ganges gemeint ist, als dessen Ursprung speziell der
Kailäsa im Himälaya genannt ist. Links vom Berge Meru sehen wir einen großen Baum mit
breitem Geäst. Die Bezeichnung dieses Baumes finden wir in dem kleinen roten Feld neben
ihm; Jambuvriksah, der Jambubaum. Es ist dies Eugenia Jambolana, der Rosenapfel. Auch
dieser spielt in der indischen Mythologie eine große Rolle, hat er doch sogar Indien einen
Namen gegeben, Jambudvlpa, d. i. die Jambuinsel. Außer diesem Feld finden wir noch an-
schließend fünf andere gleich große Felder, welche folgendes enthalten. Zuerst ein Feld mit
"«r ‘
Kjm»
EIN BRAHMAN1SCHES WELTSYSTEM
125
28 goldenen Punkten, Naksaträni oder die Mondhäuser, die wie auch die folgenden Felder eine
große Rolle in der indischen Astronomie und Astrologie spielen. Sie werden auch personi-
fiziert als Töchter eines mythischen Königs Daksa und Gattinnen des Mondes. Daksa stellt
man sich vor als einen der zehn Söhne Brahmas. Er hatte 27 Töchter, daher es auch früher
nur 27 Mondhäuser gab. Erst in späterer Zeit wurden daraus 28. Es folgt ein Feld mit einem
goldenen Kreis und darin ein goldener Halbmond, bezeichnet Candrah, der Mond. Daneben
zeigt ein Feld einen goldenen, mit goldenen Strahlen versehenen Kreis, es ist Süryah, die
Sonne. Nun folgt ein Feld mit neun goldenen Punkten, Navagrahah, die neun Planeten. Dies
sind; 1. Sürya, die Sonne; 2. Candra, der Mond; 3. Mahgala, Mars; 4. Budha, Merkur; 5. Briha-
spati, Jupiter; 6. Sukra, Venus; 7. Sanaiscara, Saturn; 8. Rähu; 9. Ketu. Wie man sieht, er-
scheinen hier Sonne und Mond zum zweiten Male, einer von den kleinen Fehlern, die unserem
Maler unterlaufen. Nummer drei bis sieben sind die auch uns bekannten Planeten. Es bleiben
noch Nr. 8 und 9 zur Erklärung über. Rähu war ein Dämon, dem es gelang, von dem bei
der Quirlung des Milchmeeres entstandenen Amrita oder Unsterblichkeitstrank zu trinken. Dies
sahen Sonne und Mond und zeigten es an. Darauf schlug Visnu ihm zur Strafe den Kopf ab.
Dieser wurde unter dem Namen Saimhika (der von einer Löwin geborene) oder Ketu, ebenso
wie Rähu unter die Planeten versetzt. Um sich zu rächen, verschlingt Ketu gelegentlich Sonne
und Mond und verursacht dadurch die Finsternisse. Es folgt noch ein letztes Feld, Räsi, mit
zwölf goldenen Punkten. Es sind die zwölf Zodiakalbilder (je V12 der Ekliptik) oder astro-
logischen Häuser. Unter diesem das oben erwähnte einschließenden großen Felde befindet
sich ein kleineres, das fünf andere Felder umfaßt. Vier davon führen uns die Hauptopfer vor.
Oben das Asvamedham, das Pferdeopfer in alten Zeiten das bedeutendste Opfer, das nur von
Königen veranstaltet wurde. Es dauerte ein Jahr. Wir sehen auf dem obersten Bilde zwei
Brahmanen zu beiden Seiten eines Feuers, hinter dem rechts sitzenden zwei Tiere, die augen-
scheinlich Pferde sein sollen. Im linken Felde sehen wir wieder zwei Brahmanen zu beiden
Seiten eines Feuers. Es stellt Sattrayägam, das große Somaopfer vor, das mehr als zwölf
Tage dauerte. In der Mitte Paundarlkam, das elftägige Somaopfer: ein Brahmane sitzt vor
einem Feuer, davor steht rechts eine Kuh. Endlich rechts das Räjasüyayägam, die religiöse
Königsweihe. Das Bild zeigt wieder zwei Brahmanen, zwischen ihnen ein Feuer. Als fünftes
Feld finden wir einen einzelnen Brahmanen vor einem Feuer. Es ist bezeichnet Jnänasädhanam,
das Erlangen des religiösen Erkenntnisses (des Einsseins mit der Weltseele, dem Brahman).
Zu beiden Seiten der Felder, in denen sich der Meru und darunter die Opfer befinden,
sind vier Abteilungen zu je zwölf Feldern. Sie stellen nach den Himmelsrichtungen die heiligen
Orte und Badeplätze vor, häufig mit Nennung des Namens des Flusses, an dem der heilige
Platz liegt und unter Anführung, in welcher Form Visnu dort verehrt wird. Daß dabei einige
kleinere oder auch größere Fehler unterlaufen, darf uns nicht Wunder nehmen.
Wir beginnen links mit der oberen Hälfte Uttarayäträh, die nördlichen heiligen Plätze
genannt. In der oberen Reihe befinden sich:
L Brindauanam, Gokulam, Mathurä. Brindäban, „Brindäwald“, ist eine sehr heilige Stadt
am rechten Ufer der Jumna (Jamunä). In seiner Nähe liegt das Dorf Gokul. Beide sind nicht
weit von Muttra (Mathurä) entfernt. Brindäban war der Schauplatz der Liebesspiele Krisnas,
der neunten Inkarnation Visnus, mit Vrindä, d. i. Rädhä, der Inkarnation Laksmls. In Brindäban
erschien Visnu -Krisna ferner dem Telegubrahmanen Vallabha (geboren im Anfang des 16. Jahr-
hunderts), der die Verehrung des jugendlichen Krisna unter dem Namen Bäla Gopäla, „der
junge Hirt“, einführte. Gokula ist ferner bekannt dadurch, daß Krisna-Visnu sich voi dem
Riesen Kamsa, den er töten wollte, flüchten mußte. Das Bild zeigt ein blaues Feld mit zwei
Heiligtümern, zwischen denen ein Fluß fließt.
2. Ayodhyä, Sarayü, heute Oudh, an der Sarju. Ayodhyä war ursprünglich eine der be-
rühmtesten Städte des alten Indien. Es war die alte Hauptstadt von Kosala, das von Dasaratha,
BTJv
Ui
126
HEINRICH STÖNNER
dem Vater Rämas (siebente Inkarnation Visnus) beherrscht wurde. Sarayü, die heutige SarjG,
ein Zufluß der Gogra in Oudh. Bild: Ein weißes Feld mit einer festungartigen Stadt, in dem
zwei Heiligtümer an einem Flusse liegen.
3. Sitäkundam, Badarik äsramam. Sltakund oder Chandranäth ist eine heilige Quelle auf
dem Sltäkundberge in Bengalen, Chittagong-Distrikt. Es heißt, daß Räma und seine Gattin
Sltä zusammen diese Quelle besuchten. Der Platz bildet daher, trotzdem die Quelle ver-
schwunden ist, noch heute einen aus allen Teilen Indiens besuchten heiligen Ort. Badarikä-
Badarä, Name einer der Gangesquellen und einer daran gelegenen Einsiedelei des Nara und
Naräyana. Unter beiden Namen wird Visnu verehrt. Bild: Im blauen Felde oben die Quelle
als kleiner See dargestellt, darunter ein Heiligtum, unter diesem ein roter undefinierbarer Klecks.
4. Kimpurusakhandam, Srirämah, Älakänadi. Kimpurusakhandam, das Land der Kim-
purusa, der Zwerge oder Kobolde, ist ein Land im Himälaya. Es sind mythische Wesen im
Gefolge des Gottes des Reichtums, Kubera. .Srirämah, der erhabene Räma, wie wir gesehen
haben, die vierte Inkarnation Visnus, wird hier verehrt. Älakänadi, der Fluß Alakä, heute
Alaknanda, heiliger Fluß im Garhwal-Distrikt, in den sog. Nordwestprovinzen. Er entspringt
auf dem Himälaya und bildet nach seiner Vereinigung mit der Bhägirathl die Gahgä (den
Ganges). Bild: Im dunkelroten Feld ein Heiligtum, unten ein Fluß.
5. Harivamsakhandam, Srmrisimhah, Gangä. Harivamsakhandam, das Reich des Ge-
schlechtes des Hari, d. i. Visnu, ist nicht weiter bestimmbar, dort wird Visnu unter der Form
als Srlnrisimha, der erhabene Narasimha oder Mannlöwe, d. i. die siebente Inkarnation, verehrt.
Die Legende erzählt, daß einst ein Riese Hiranya oder Hiranyakasipu durch seine Buße große
Macht erlangte. Dadurch übermütig gemacht, verlangte er als Gott verehrt zu werden. Sein
Sohn Prahläda, ein Anhänger Visnus, weigerte sich, und als Hiranya ihn töten wollte, trat
Visnu in furchtbarer Gestalt, halb Löwe, halb Mensch, aus einer Säule und zerriß dem Riesen
die Eingeweide. Bild; Im blauen Felde ein Heiligtum, darunter zwei parallel laufende Flüsse.
6. Kailäsam, Snmahädevah. Kailäsa, ein Berg im Innern des Himälaya, nahe den Quellen des In-
dus, ist weitbekannt alsSitzSivas und seiner Gattin Pärvati. UnterSrimahädeva (dem Mahadö Goethes)
wird Siva verstanden. Dieses Feld bildet wieder einen der vielen Verstöße unseres Malers. Bild:
Im roten Felde ein felsenstarrender Berg mit einem Heiligtum, zu beiden Seiten des Berges ein Fluß.
Es folgt die zweite Reihe der nördlichen heiligen Plätze:
7. Gayä, Visnupädam, Phalgunadi. Gayä ist ein uralter Wallfahrtsort in Bengalen am
Flusse Phalgu. An diesem einst heiligsten Orte des Buddhismus, Buddhagäyä, befand sich ein
Buddhapädam, eine Fußstapfe Buddhas, das nach Verdrängung des Buddhismus aus Indien von
den Visnuiten in Besitz genommen wurde. Derartige Fußstapfen finden sich an manchen Orten,
so die bekannte Fußstapfe Buddhas auf dem Adamspik in Ceylon. Bild: Im roten Felde ein
Heiligtum, rechts und links davon ein weißes Viereck = die beiden Visnupädas, unten ein Fluß
durch einen schmalen Streifen Landes abgetrennt.
8. Avimuktah, VaränasT, Visvesvarah. Avimukta, ein heiliger Badeplatz (Tlrtha) bei Varä-
nasi, d. i. Benares, der heiligsten Stadt und dem berühmtesten Wallfahrtsorte von ganz Indien.
Nebenbei ist Avimukta ein Beiname Sivas, paßt also nicht hierher. Unter Visvesvara, „dem
Herrn des Weltalls“, wird ebenfalls nur Siva verstanden. Bild: Im blauen Felde ein Heiligtum
und links noch ein halbes sichtbar, dazu ein Fluß.
9. Prayägä. Opferplatz par excellence, liegt am Zusammenfluß von Gangä und Jamunä
Heute liegt dort Allahabad. Bild: In rosa Felde ein Heiligtum an einem durch zwei schmale
Streifen getrennten Fluß. Diese beiden Streifen sollen Ganges und Jumna vorstellen.
10. Dharmapuri, GodävarT, Dharmapuri eine Stadt in der Präsidentschaft Madras.
GodävarT, ein Fluß ebendort, an dem aber Dhamapuri nicht liegt. Da der Maler unseres Bildes
augenscheinlich keinen “nördlichen“ Wallfahrtsort mehr wußte, nahm er eben einen aus dem
Süden. Bild; Ein blaues Feld mit einem Heiligtum an einem Fluß.
EIN BRAHMANISCHES WELTSYSTEM
127
11. Pantanksetram, Candrabhägä. Das erstere ist nicht bekannt. Die Chandra ist ein
Fluß im Kangra-Distrikt, Panjab. Sie vereinigt sich mit der Bhägä und bildet dann die Candra-
bhagä, heute Chenab in Kashmir. Bild: In weißem Felde ein Heiligtum an einem Fluß,
12, Satasringam, der Hundertgipflige, ein Berg, dessen Lage unbekannt, vielleicht nur
Beiname eines bekannten Berges, nämlich des Kailäsa. Bild: Ein Heiligtum an einem fluß-
ähnlichen Gebilde, dem der Maler nachträglich nach oben hin runde Erhebungen gegeben hat,
um einen Berg daraus zu machen.
Unter diesen nördlichen heiligen Plätzen folgen die Pascimagäträh, die heiligen Plätze des
Westens. In der oberen Reihe liegen:
1. Sälagrämaksetram. Der Wallfahrtsort von Sälagräma vom Dorf des Sälabaumes
(Vatica robusta) an der großen Gandak (Gandaki), auch Näräyanl oder Salgräml genannt. Sie
fließt später in den Ganges. Bild: Im blauen Felde befindet sich ein rechteckiger See. Da
sonst die Seen oval sind, so wird dadurch angezeigt, daß es sich hier um einen künstlich
angelegten Teich, einen Tirtha oder Badeplatz für einen Tempel handelt.
2. Kotitirtham, der heilige Badeplatz von Koti. Eine nähere Bestimmung ist nicht mög-
lich. Bild: Weißes Feld, darin Heiligtum mit Fluß. Vielleicht Kotipalli, eine Stadt in der
Madraspräsidentschaft. *
3. Sringen. Heiliger Ort auf der linken Seite des Tungaflusses in Mysore. Hier soll
Risyasrihga, bekannt aus dem Rämäyana, geboren sein. Als Gründer gilt der sivaitische
Asket Sankaräcärya, der etwa um die Mitte des 8. Jahrhunderts gelebt haben soll. Bild:
Blaues Feld mit einem Heiligtum und einem schwarzen See.
4. Mükämvikä, UmänadT. Mükämbikä, eine Form der Durgä, der Gattin Sivas. Umänadl,
der Fluß Umä ist nicht bekannt. Umä ist ebenfalls ein Name der Gattin Sivas. Bild: Rotes
Feld, Tempel und Fluß.
5. Gokarnaksetram, der Wahlfahrtsort Gokarn = Rinderohr, dem Siva geweiht, liegt in
der Präsidentschaft Bombay, zehn Meilen von Kumta. Dort wird ein Fragment des Linga,
den Siva an Rävana den Dämonenfürsten von Ceylon für seine große Askese schenkte, auf-
bewahrt, Bild: Blaues Feld, zwei Heiligtümer, ein Fluß.
6. Pascimasamudram, der westliche Ocean. Bild: Eine schöne, festungsähnliche Stadt wie
in Feld zwei der Uttarayäträh, ebenfalls an einem Fluß, In der Stadt ein Heiligtum.
7. Pärijätaksetram, der Wahlfahrtsort Pärijäta. Dies ist der Name eines mythischen
Baumes, der bei der Quirlung des Milchmeeres entstand. Später kam er in Indras Besitz und
wurde von Krisna-Visnu geraubt. Bild: Rotes Feld, ein Heiligtum und ein weißer See.
8. Udupl, Mädhavasarovaram. Udupl oder Udipi, einer der heiligsten Orte im Kannaresi-
schen, Präsidentschaft Madras. Unter anderem befindet sich dort ein berühmter Krisnatempel,
der von Mädhaväcärya gegründet wurde. Mädhavasarovaram, der Teich des Madhava, von
ihm angelegt oder aber, da Mädhava ebenfalls ein Beiname Visnus ist, der heilige Teich Visnus.
Üd. Blaues Feld mit Heiligtum und Teich.
9- Balabhadraksetram, Heiligtum des Balabhadra oder Balaräma, eine Inkarnation, dieZiegen-
g nicht hat. Germann gibt dagegen in seinen Erklärungen zu Ziegenbalg Balabhadra als neuntes
a ara an. Ward führt es unter No. 8 an. Die Angaben aber sind nicht einwandsfrei. Sonst
versteht man unter Balabhadra oder Balaräma oder Baladeva einen älteren Bruder Knsnas.
n ich gibt es noch eine Legende, die ihn mit Visnu Halabhrit, d. i. Träger des Pfluges, identifi-
ziert. Darnach wird Visnu als Beschützer des Ackerbaues mit dem Pflug in der Hand dargestellt
und als Kultivator des Südens von Indien verehrt. Bild; Weißes Feld mit Heiligtum und Fluß.
10. Nrisimhaksetram, Heiligtum des Narasimha oder Mannlöwen, wie oben mitgeteilt,
siebente Inkarnation Visnus. Heute heißt ein Berg in den Zentralprovinzen Narsingha. Dort
befindet sich ein altes Bild Visnus als Narasimha. Ein Städtchen Narsinghpur liegt am Fuß
des Berges. Bild: Feld blau, sonst wie No. 9.
Baessler-Archiv i. 3.
17
128
HEINRICH STÖNNER
11. Subrahmanyaksetram, Heiligtum des Subrahmanya, des Kriegsgottes, Sohnes des
Siva. Subrahmanya heißt heute ein Berg in den Western Ghats, in Coorg, Südindien, ebenfalls
eine Stadt. Bild: Rotes Feld, sonst wie No. 9.
12. Hariharaksetram, Heiligtum des Hari, d. i. Visnu und des Hara, d. i. Siva. Harihar
ist eine Stadt am rechten Ufer der Tuhgabhadrä in Mysore. Der Haupttempel wurde im Jahre
1223 errichtet. Er steht heute noch. Die Legende erzählt; Als einstmals Visnu und Siva zu-
sammenkamen, bat Siva den Visnu, noch einmal die Gestalt der schönen Apsaras (göttliche
Nymphe) anzunehmen, die er angenommen hatte, um die Asuras beim Quirlen des Milchmeeres
vom Unsterblichkeitstrank fortzulocken. Visnu tat das und Siva wurde so von Begierde er-
griffen, daß er sich auf die schöne Nymphe stürzte, die sich zur Flucht wandte. Eingeholt,
war die Begierde Sivas so groß, daß im Augenblick der Umarmung beide eins wurden.
Hierüber existieren noch andere Versionen. Diese Verwandlung in eine Nymphe bei der
Quirlung ist das Apsaras-Avatära, das nicht zu den orthodoxen Avatären gehört,
Rechts vom Meru stehen zu oberst die Pürvayäträh, das sind die östlichen Wallfahrtsorte,
ebenfalls in zwölf Feldern dargestellt. In der ersten Reihe:
1. Tungäbhadränadlksetram, das Heiligtum an der Tungabhadrä (Toomboodra) eines
Flusses im Dekhan, der aus dem Zusammenfluß von Tungä und Bhadrä entsteht. Vgl. No. 12
der letzten Serie. Bild: Hellgelbes Feld, zwei Heiligtümer, ein breiter Fluß.
2. Ästatirtham, der Badeplatz der acht (?). Bild: Blaues Feld, Festung mit einem Heilig-
tum an Fluß.
3. Pürvasamudram, das östliche Meer. Bild; Zwei Heiligtümer an Fluß, rechts ein Berg,
das Feld rot.
4. Bhuvarähaksetram, das Heiligtum des Erdebers, d. i. Visnu in seiner dritten Inkar-
nation. Die Tradition lautet; Im Anfang der Welt war die Erde völlig von Wasser überflutet,
so daß sich nichts entwickeln konnte. Da baten die Götter Visnu, er möchte ihnen doch
helfen. Darauf inkarnierte sich Visnu als Eber und hob mit seinen Hauern die Erde über das
Wasser empor. Bild: Blaues Feld, zwei Heiligtümer an einem Fluß zwischen zwei Bergen.
5. Känciksetram, das Heiligtum von Kähcl, einer der sieben heiligen Städte, heute Con-
jeveram in der Madraspräsidentschaft. Kähcipur oder Gürtelstadt war eine Stadt im Chola-
königreich und im 14. Jahrhundert die Hauptstadt von Tondamandalam. Vgl. die folgende
Nummer. Bild: Hellgelbes Feld, zwei Heiligtümer, ein Fluß.
6. Colamandalam, das Land der Cola (engl. Chola) in Südindien in Tanjore. Aus Cola-
mandalam ist das Wort Coromandel entstanden. Bild: Ein Heiligtum an einem Fluß, blaues Feld.
Zweite Reihe:
7. Pampätiram, das Ufer der Pampa, eines Flusses in Orissa, Südindien. Abgebildet sind
zwei Heiligtümer und ein leeres Rechteck. Blaues Feld.
8. Srisailam, der heilige Berg. Gemeint ist Srlsailapura in Tamil Tiriselpalli, beides heißt
„die Stadt des heiligen Berges“, Aus der Tamilübersetzung ist dann im Englischen Trichinopoli
geworden, eine Stadt in der Madraspräsidentschaft. Hier liegt der Berg, auf dem Visnu den drei-
köpfigen Asura Trisiras tötete, Bild: Zwei Heiligtümer, unten ein Gebirge, hellgelbes Feld.
9. Ahobalam, Dorf im Karnool-Distrikt in der Präsidentschaft Madras. Es befinden sich
dort drei Tempel von außerordentlicher Heiligkeit auf einem in der Nähe liegenden Hügel,
Einer derselben ist mit Reliefs, Szenen aus dem Ramäyana darstellend, geschmückt. Bild:
Blaues Feld, ein Heiligtum, unten ein Gebirge.
10. Ärunäcalam, der rote Berg. Arunäcalesa, der Herr des Aruna, ist ein Beiname Sivas.
Bild: Weißes Feld, ein Heiligtum, unten ein Gebirge.
11. CidambaraksetraTn, das Heiligtum von Cidambaram (engl. Chillambaram oder Chittam-
balam). Als Wallfahrtsort in Südindien weit berühmt. Der hauptsächlichste Tempet ist Siva
und seiner Gattin Pärvati gewidmet. In diesem Tempel befindet sich eine Halle, die Halle der
EIN BRAHMANISCHES WELTSYSTEM
129
tausend Pfeiler, von großartiger Pracht. Ebenfalls befindet sich dort auch ein Visnutempel,
aber nicht entfernt von dem Ansehen, das der Tempel Sivas besitzt. Abgebildet ist ein Heilig
tum mit einem Brunnen(?).
12. Svetavarähaksetram, das Heiligtum des weißen Ebers, d. i. wieder Visnus in seiner
dritten Inkarnation. Vgl. No. 4 dieser Serie. Bild; Rotes Feld, ein Heiligtum.
Endlich kommen die Daksinayäträh, die Heiligtümer des Südens. In der ersten Reihe.
1. Srirangaksetram. Srlrahgam, eine Tempelstadt, liegt auf der Insel, die der Kaveri im
Trichinopolidistrikt bildet. Präsidenschaft Madras. Hier befindet sich einer der berühmtesten
Tempel des Visnu, der auch architektonisch weit über seine engere Heimat hinaus bekannt
und berühmt ist. Auch dieser Tempel besitzt eine Halle mit tausend Pfeilern. In dieser Stadt
lebte und starb der berühmte Reformator des Visnuismus im 11. Jahrhundert. Rämanuja.
Bild: Blaues Feld mit einem auf drei Seiten von Wasser umgebenen Heiligtum, die Insel an-
deutend, unten eine Quelle.
2. Darbhasayanam, das Lager von Darbhagras. Das Darbhagras gilt als heilig, da es bei den offi
ziehen Opfern rituell verwendet wird. Bild: Blaues Feld mit acht spitzen Säulen an einem Fluß.
3. Navapäsänam, der Stein der Neun oder die neun Steine (?). Bild: Rotes Feld, ein
Heiligtum an einem Fluß.
4. Daksinasamudram, das südliche Meer. Bild: Blaues Feld mit einem Heiligtum in er
Mitte, rechts und links am Rande noch je ein halbes Heiligtum zu sehen, darunter ein Bade
platz in Kreuzform.
5. Rämesvaram, das Herr-Räma-Sein. Ramesseram, Name einer Stadt auf einer Inse im
Golf von Manaar im Maduradistrikt in der Präsidentschaft Madras. Die Tradition berichtet, da
Räma selbst (vierte Inkarnation Visnus) sie auf der Suche nach seiner Gattin Sita gegrün e
habe. Ein berühmter Tempel ist noch jetzt ein besuchter Wallfahrtsort in Südindien,
nähere Beschreibung dieses Tempels sowie der oben erwähnten Tempel von Snrahgam
ringham), Chillambaram, Conjeveram, s. Fergusson, History of Indian and Eastern Architecture.
London 1891, p. 340ff. Bild: Rotes Feld, ein Heiligtum, darüber ein Baum, darunter eineQue e.
6. Dhanuskoti — das gekrümmte Ende eines Bogens ist heute Kap Calimeie.
viereckige blaue Insel in einem Fluß.
In der zweiten Reihe; # , . . ,
7. Janärdanam, Janärdana ist ein alter Volksgott, der später mit Vispu Kiisna i en i Jz
wurde. Die betreffende Örtlichkeit ist unbekannt. Bild; Blaues Feld, ein ganzes ei ig
und ein halbes an der linken Seite, ein Fluß. # . . x
8. Agastyatirtham, der heilige Badeplatz des Agastya, eines der sieben isis
Er gilt als Kultivator Südindiens. Bild: Rotes Feld, zwei Heiligtümer, ein Flu . _
9. Daksinasamudram, vgl. Nr. 4 dieser Serie. Bild: Blaues Feld em Heilig um, em .
10. Tämraparmtlram, das Ufer des Flusses Tämbraparni bei Palamkottah. Bild. Rotes
Feld, ein hoher Berg links und darauf em Heiligtum. . , « Indra
11. Mahendräcalam, der Berg des Mahendra, d. 1. Mahendragin, der Berg des großen •
Er '¡egt im Ganjämdistrikt in der Präsidentschaft Madras, ln der Na_e ^ mmlerer
mehrere Tempel, darunter an der Spitze ein dem Siva geweihter. Bi .
Eerg rechts, darauf ein Heiligtum. . «-ipirhlautenden Dorfe.
12. KanydkumärT, heute Kap Comorin in Travancore mit einemgj
Ziegenbalg führt als einen Namen der ParvatI den Namen anya on,
entspricht Kanyä-Kumärl. Bild: Rotes Feld, Heiligtum un u * dieLotusblüten
D„ Bildes SSI». -
zeigen, und ein halbes solches Feld, das le , g 1 ^ Reihen entha„, von denen
finden sich vier Gruppen, deren oberste je g Lotusblüten zeigen. Die übrigen Felder
Feld zehn und elf in der ersten Reihe ebenfalls nur 17*
130
HEINRICH STÖNNER
stellen gute Eigenschaften und Werke der Menschen dar, denen man nacheifern soll. Eine
gesamte Überschrift, wie wir sie im folgenden bei den drei anderen Abteilungen finden, fehlt hier.
Erste Reihe:
1. Ekapatnivrittam, das Leben mit einer Ehefrau. Das Bild zeigt einen Mann mit einer Frau.
2. Pavitrabhojanam, das Genießen reiner Speisen, d. h. von Speisen, die für die drei oberen
Klassen, die Brahmanen, die Ksatriyas und die Vaisyas, rituell zubereitet sind. So darf z. B.
ein Brahmane nur Speisen essen, die von einem Brahmanen bereitet sind. Auf dem Bilde sitzt
ein Mann, der mit einer Hand etwas zum Munde führt, vor ihm steht ein Krug und dahinter
- undeutlich - zeigt sich ein Frauenkopf (?).
3. Atithipüjä, Ehrung des Gastes. Ein auf den Schenkeln sitzender Mann rechts — der
Gast -, davor links eine kleine Figur, kniend, mit verehrend erhobenen Händen.
4. Brindävanapradaksinam, das Umwandeln rechts herum, d. h. indem man den zu um-
wandelnden Gegenstand immer zur Rechten hat, des Heiligtumes von Brindäban, vgl. Nr. 1 der
nördlichen Heiligtümer. Darstellung: Ein verehrender Brahmane umwandelt ein Heiligtum.
5. Devapüjäniriksanam, die Beobachtung der Verehrung der Götter. Zwei betende Figuren,
davon eine mit einem Buch, sitzen unter einem Baum.
6. Satkathäsravanam, das Zuhören beim Erzählen moralischer Geschichten. Auf dem Bilde
zwei Personen, von denen die eine erzählt und die andere zuhört.
7. Saucäcäram, ein Lebenswandel in Sauberkeit. Baden zu bestimmten Zeiten und Ge-
legenheiten ist von der Religion vorgeschrieben. Das Bild zeigt eine Person, die ins Bad steigt.
8. Satyaväkyam, das Reden der Wahrheit; eine Person mit rechts erhobenem Arm.
9. Satsangam, Umgang mit Guten: rechts eine sitzende, links eine stehende Figur.
10. 11. je eine Lotusblüte.
Zweite Reihe;
1. Räjyapräptih, die Erlangung der Herrschaft (infolge guter Taten). Im Bilde: Eine kniende
Person, davor eine mit rechts erhobenem Arm, also wohl befehlend.
2. Svämikdryaparatvam, als Hauptbeschäftigung, die Beschäftigung mit den Angelegen-
heiten seines Herrn haben: Rechts eine Figur mit einem erhobenen Arm wie vorher, davor eine
Figur mit verehrungsvoll gefalteten Händen, also Befehle empfangend.
3. Saranägataraksakatvam, das Schützen jemandes, der sich schutzflehend naht: Im Bilde
drei Figuren von rechts nach links gehend und jede etwas kleiner als die vorhergehende.
4. Dharmärthasädhakam, das Verrichten von Taten, wie sie die Religion vorschreibt. Das
zugehörige Feld ist einförmig rot, ohne Darstellung.
5. Dusfanigraham, Bestrafung der Bösen; Links eine kleine Figur, davor eine größere mit
Peitsche.
6. Sattamamänakatvam, das Richten des Geistes auf die höchsten Dinge. Das Feld zeigt
eine zuhörende und eine lehrende Pesson.
7. Nirmalahridayam, ein reines Herz haben. Das Feld zeigt eine lehrende Figur.
8. Jnänapräptih, das Erlangen der Erkenntnis (der höchsten Sätze der Religion). Das Bild
wie Nr. 6.
9. Stnputrädisampattih, das Zuteilwerden von Frau, Kind usw. Auf dem Bilde sehen wir
einen Mann mit einer Frau und dazwischen ein Kind.
10. Vedapäräyänam, sich mit allem Eifer dem (Studium des) Veda widmen. Die Veden
sind die alten heiligen Schriften der Brahmanen, und das Studium derselben von höchster Be-
deutung. Wir sehen im Bilde einen sitzenden Brahmanen, der eine Handschrift in der Hand hält.
11. Godhanasampattih, das Erlangen von Rindern und Reichtümern. Das Bild zeigt einen
Mann mit großem schwarzen Kopftuch und einer Peitsche, der Rinder hütet.
Es folgt ein Zwischenraum, der die Überschrift zu den folgenden acht Fächern gibt.
Diese lautet:
EIN BRAHMANISCHES WELTSYSTEM
131
Tirthayätränantaram Astaisvaryädibhogäh, die acht Genüsse wie die Herrschaft usw., die
unmittelbar nach den Wallfahrten zu den heiligen Badeplätzen und heiligen Orten eintreten.
Diese acht Freuden sind;
1. Stnputrädi, Frau, Sohn usw. Man sieht im Felde ein Haus und darin ein Weib und
ein Kind sitzen, davor sitzt ein Mann. Vgl. Nr. 9 der vorhergehenden Reihe.
2. Bandhujanah, Verwandtschaft. Auf dem Bilde vier sitzende Personen.
3. Däsi, Dienerinnen, zwei solche sind dargestellt.
4. Bhrtyah, Diener, ebenfalls zwei dargestellt.
5. Vähanam, Wagen. Im Bilde ein vierrädriger Wagen mit Pferd.
6. Vastu, Gold. Im Bilde ein Mann vor drei Goldhaufen.
7. Kosah, Schatz, ein Mann vor einer geöffneten Kasette.
8. Dhänyam, Getreide. Abgebildet zwei Haufen Getreide.
In dieser Zusammenstellung fehlt der in der Überschrift erwähnte Genuß; „die Herrschaft
Wie Grünwedel zeigt, hat Rottier, Tamil Dictionary (s. Eissuvariyam), das Richtige. Er
zieht Nr. 3 und 4 in Dienerschaft zusammen und bringt dafür als Nr. 8 die Herrschaft.
Es folgt ein Zwischenraum, der den Titel für die folgende Reihe von fünf Feldern bringt.
Dieser lautet:
Dussangapatanänantaram Räjadandanam, die Bestrafung durch den König, die unmittelbar
auf das Verfallen in schlechten Lebenswandel folgt.
1. Paranindä, Neid auf den Nächsten. Das Bild zeigt einen Herrn auf einem Sitz, davor
kniet ein Diener mit einer Wasserpfeife.
2. Paradroham, Feindseligkeit gegen den Nächsten; Ein Mann mit erhobenem Schwert un
Schild schlägt auf einen anderen ein.
3. Kärpanyam, Geiz; Ein Bettler wird von einem Reichen abgewiesen.
4. Präptiparäbhavam. Das Verschwinden des glücklichen Loses: Ein gut. gekleideter
Mann trägt in jeder Hand eine Schale. Die Bezeichnung dieses Feldes paßt nicht in
Rahmen. Grünwedel (bei Bastian) übersetzt daher „Hochmut , was ja ohne weiteres
übrigen Feldern entsprechen würde.
5. Sakalahimsa. Das Töten von allem: Ein Mann mit Schwert und Schild wu e gegen
Tiere, zwei vierbeinige sind schon tot, zwei andere and ein Fisch leben noch.
Da diese fünf Felder fünf Hauptverbrechen darstellen, so ist die Überschrift arm n
vereinbar. Grünwedel nimmt an, daß die sogenannten Räjaparusyas, die Sün en ar
der Fürsten dargestellt seien, was ja weit besser passen würde. Dazu summt aber
Überschrift nicht, die etwa lauten müßte: Die Härten der Fürsten, deren unmit e a g
das Hinabrücken in die Höllenwelt oder die Erlangung einer schlechten Wiedergeburt sein wur e
Im Anschluß an diese fünf Felder, nur durch einen schwachen Streifen getrennt, folgt
ein einzelnes Feld, betitelt: Pmhrvo
Svargalokapatanänantaram PunarjanagaMam. Das Werden zum menschl
unmittelbar nach dem Sturz aus der Himmelswelt als Folge der eben genannten Vergehen.
A“f dem Bilde sehen wir nur ein undefinierbares Chaos. .. , d f I_
Hieran schließen sieh nun die verschiedenen Arten der
genden Reihe zusammengestellt sind. Sechs Felder wer ™ un ® Wiedergeburt als
Narakäd Uddharanänantavam Tiryagyompraphh. Das Erlangen
Tier unmittelbar nach dem Herauskommen a“s^ ^ auf dem Felde zwei Krebse.
1. Jalajayonilaksam. Wiedergeburt a unbeWegliches Ding: Ein Felsen mit zwei
2. Sthavarayonilaksam. Wiedergeburt a
Bäumen, letztere aber nur als Ausschmückung. Ril, , • vöp-el.
3. Paksiyonilaksam. Wiedergeburt a's “ jgm zugehörigen Felde mehrere Bäume.
4. Udbhiiayonilaksam. Wiedergeburt als Pflanze. Auf dem zugehörig
132
HEINRICH STÖNNER
5. Mrigayonilaksam. Wiedergeburt als vierbeiniges Tier; Ein Elephant und ein Pferd.
6. Nänäyonilaksam. Wiedergeburt in verschiedenen Formen: Ein Vogel und ein vier-
beiniges Tier. Dieses letzte Feld paßt nicht zu den vorhergehenden, die diese Klasse der
Wiedergeburten erschöpfen. Grünwedel bei Bastian faßt daher dieses Feld als nachträglichen
Titel auf, was ja vielleicht möglich wäre. Auch die Reihenfolge der fünf ersten Felder und
ihr Inhalt sind nicht ganz genau. Vgl. Rottier unter Pirappu (Grünwedel):
1. Immoveable things (2) 4. Birds (3)
2. Reptiles 1 . 5. Beasts (5)
3. Aquatic creatures / ' '
Darnach fällt das Feld mit den Pflanzen bei Rottier ganz weg, bzw. gehört zu Immoveable
things, während er reptiles extra aufführt.
Neben diesen sechs Feldern findet sich dann noch ein leeres Feld mit der Bezeichnung:
Manusyayom die Wiedergeburt als Mensch.
Damit ist die Reihe der Wiedergeburten auf dem Bilde erledigt. Es bleibt uns noch die
rechte untere Hälfte des Bildes. Es kommen zuerst mehrere Reihen kleiner Felder. In der
ersten dieser Reihe haben wir elf Abbildungen, deren erste keine Inschrift, sondern eine Lotus-
blume enthält. Die verbleibenden zehn Felder bilden mit den folgenden vier Reihen von eben-
falls je zehn Feldern ein zusammenhängendes Ganze. Eine Überschrift ist nicht vorhanden.
Aus dem Inhalt der Inschriften der Felder ergibt sich, daß wir lauter Sünden und Fehler der
Menschen vor uns haben, die wir vermeiden sollen, um nicht in die darunter genannten Höllen
zu kommen. Die einzelnen Felder haben keine figürlichen Darstellungen, sondern sind wie
alle übrigen Felder blau und rot usw. bemalt. Mehrere Felder wiederholen sich und zwischen-
durch kommt auch wohl einmal ein Feld, dessen Inschrift hier nicht hergehört.
Erste Reihe (abgesehen vom Lotusfeld):
1. Dussangam, schlechte Neigungen.
2. Suräpänam, das Trinken geistiger Getränke.
3. Saucäcäravihmam, schmutziger Lebenswandel.
4. Sthänabhrastam, seiner Stellung verlustig gehen.
5. Duhsästrasravanam, das Hören auf schlechte Unterweisung.
6. Narastutih, Verherrlichung von Menschen.
7. Parastnninksanam, das Schauen nach eines anderen Weibe.
8. Nicäcäram, gemeines Betragen.
9. Ghritapänam, das Trinken von Ghee (geschmolzener Opferbutter).
10. Dyütam, Würfelspiel.
Zweite Reihe:
1. Paranindä, das Schmähen auf andere.
2. Pasuhimsä, das Töten von Vieh (Rindern).
3. Svedajädikrimimäranam, das Töten von Ungeziefer (von Würmern), die aus dem
Schweiß usw. entstanden sind.
4. Paländubhaksanam, das Essen von Zwiebeln.
5. Kapatam, Betrug.
6. Ädätrtvam, Filzigkeit (das Nichtgeber sein).
7. Pasupadapraharanam, das Einhauen auf die Füße (= Beine) des Viehes (wohl wegen
der besonderen Empfindlichkeit der Beine gegen Züchtigung?).
8. Siddhapattnbhaksanam (?), das Genießen von ?. Die Übersetzung ist mir nicht klar.
Grünwedel: Senf essen.
9. Nicasevä, Verehrung des Gemeinen.
10. Vesyägamanam, das Besuchen von Hetären.
EIN BRAHMANISCHES WELTSYSTEM
133
Dritte Reihe.
1. Suräpänam, das Trinken geistiger Getränke. — Vgl. Reihe 1, No. 2.
2. Satkathäsravanabähyam, Nichtzuhören beim Erzählen frommer Geschichten (d. i. der
Legenden über Gott Visnu).
3. Brahmahatyä, Brahmanenmord.
4. Gurutalpam, die Entweihung des Ehebettes des Lehrers (eine der allerschwersten Sünden).
5. Svänasükarädipälanam, Sichabgeben mit Schweinen, Hunden usw.
6. Snehavirodham, Feindseligkeit gegen Zuneigung (Belohnung von Liebe durch Haß).
7. Änritabhäsanam, das Reden der Unwahrheit.
8. Svadattäpahäram, das Zurücknehmen von Almosen, die man selbst gegeben hat.
9. Paradattäpahäram, das Wegnehmen von Almosen, die durch andere gespendet sind.
10. Karnajäpam, das Ohrenbläser sein.
Vierte Reihe.
1. Änyadevatäbhajanam, Verehrung anderer Gottheiten (nämlich als Visnu).
2. Ekädasivratabhrastatvam, das Aufgeben des Ekädasi-Gelübdes, d. i. des Gelübdes am
elften Tage im Monat zu fasten.
3. Kanyävikrayam (?), Mädchenverkauf. Grünwedel verbessert Kravyavikrayam, Fleisch
verkaufen, was entschieden besser paßt, da das Töten von Tieren streng verboten ist.
4. Anyäyärjanam, das Erwerben auf unrechtmäßige Weise.
5. Ätmaghätakam, der Selbstmord.
6. Svasurarthopapvanam, Lebensunterhalt vom Vermögen der Schwiegereltern haben.
7. Krimimäranam, das Töten von Würmern (überhaupt kleinen Lebewesen, die einem be-
schwerlich fallen, vgl. Reihe 2 No. 3).
8. Asüyä, Mißgunst.
9. Bhaktibhedam, Verletzung oder Vernichtung der Frömmigkeit.
10. Dänavirodham, Gegner sein vom Almosengeben.
Fünfte Reihe:
1. Pratyangaghätakatvam, das Abhauen der Nebenglieder des Körpers (das sind Nase,
Ohren, Kinn, Finger usw.).
2. Suvarnasteyam, Diebstahl von Gold.
3. Visväsaghätakatvam, Vertrauensbruch.
4. Stnghätakatvam, das Töten seines Weibes,
5. Mätäpitrivirodham, Feindseliges Verhalten gegen Vater und Mutter (Ungehorsam),
6. Svämidroham, Feindseligkeit gegen seinen Herrn.
7. Brahmasväpaharanam, das Wegnehmen von Brahmaneneigentum.
8. Devasväpaharanam, das Wegnehmen von Göttereigentum.
9. Gurudroham, Feindseligkeit gegen den Lehrer.
10. Kritaghnatvam, Vernichten der Wohltaten. (Gutes mit Bösem vergelten.)
Die letzte Ecke des Bildes füllen die Höllen aus. Ein größeres Rechteck zeigt oben und
unten je neun und an der linken Seite zwei Felder, welche Höllennamen enthalten. Weitere
Höllennamen finden sich an der rechten Seite auf fünf schmalen, durch kleine Zwischenräume
getrennten Rechtecken. Alle Höllen bis auf zwei sind ohne bildnerischen Schmuck. Diese
beiden sind Nr. 1 und 3 der ersten Reihe, erstere hat ein Schwert als Zeichen, letztere einen
roten Kreis. Von diesen Höllen eingeschlossen sehen wir eine sitzende Person mit Aureol,
dahinter ein Diener. Es ist Yama, der Totenrichter und Fürst der Höllenwelt, in goldenem
Gewände mit großer, goldener Krone, seine Farbe ist blau, wie die Visnus, ebenso ist er auch aus-
gestattet mit den Symbolen Visnus. Vor ihm stehen, seines Winkes gewärtig, verschiedene Höllen-
diener, darunter einer mit einem Tierkopf. Alle Diener sind nur mit einem Lendentuch bekleidet.
134
HEINRICH STÖNNER: EIN BRAHMANISCHES WELTSYSTEM
Die Namen der Höllen finden sich in einschlägigen Werken, wie die Puränas, Manns
Gesetzbuch usw., nicht alle, auch ist die Reihenfolge und Anzahl überall anders. Vgl. hierzu
Feer, L’enfer Indien im Journal asiatique VIII, 20, S. 185 und IX, 1, S. 112. Schilderungen der
Höllen und ihrer Strafen mit Feder und Pinsel sind sehr beliebt in Indien und seinen kultu-
rellen Ausläufern. Auch auf Reliefs kommen sie vor. Sie überbieten einander an Furchtbar-
keit und Scheußlichkeit und machen der zügellosen Phantasie ihrer Urheber alle Ehre.
Obere Reihe der Höllen:
1. ÄsTpatram, eine Hölle mit Bäumen, deren Blätter scharfe Messer und Schwerter sind.
Den Verdammten fallen diese auf den nackten Körper und zerschneiden ihn. Heißt auch
Aslpatravana, der Wald, dessen Blätter Messer sind.
2. SücTmukhl, die Hölle ist mit Gras bewachsen, dessen Spitzen aus scharfen Nadelspitzen
bestehen, auf denen die Verdammten herumwandern.
3. Ändhaküpam, die Hölle der Finsternis, sonst Andhatämisra genannt, eine Hölle, die
durch die darin herrschende Finsternis Grausen erregt.
4. Vajrakantakam, deren Dornen aus Diamant bestehen, eine Hölle mit Dornenbäumen
dieser Art.
5. Sulaprotam, auf den Pfahl gespießt werden.
6. Karmavicäram, Prüfung der Taten, ein Name, der für eine Hölle nicht paßt. Dieses
Feld würde seinen Platz am besten vor den Höllen haben.
7. Mütrapunsabhaksanam, Harn trinken und Kot essen.
8. Kantakamärgam, der Dornenweg, vgl. Nr. 4.
9. Rudhiram, Blut. Die Übeltäter werden in einen See von Blut geworfen.
Die beiden Seitenfelder links enthalten:
1. Pränarodhanam, das Ersticken, im Bhagavatapumna Pränarodha.
2. Raksogunabhedanam, im Bhagavatapumna, richtig: Raksoganabhojanam, das Gefressen-
werden von den Scharen der Dämonen.
Untere Reihe:
1. Retopänam, Trinken von Sperma.
2. Marnakrintanam, Zerschneiden der Gelenke.
3. Krimibhojanam, das Gefressenwerden von Würmern.
4. Taptaloham, glühendes Eisen. Die Verdammten werden in geschmolzenes Eisen geworfen.
5. Taptavälukä, glühender Sand, über den die Übeltäter mit nackten Füßen schreiten müssen.
6. Lohabhaksanamy Fressen von Eisen, nämlich von glühendem. -
7. Malabhaksanam, Fressen von Unrat, vgl. obere Reihe No. 7.
8. Visabhaksanam, Fressen von Gift.
9. Leeres Feld.
Die fünf schmalen Rechtecke;
1. Tamadväram, die Tür der Finsternis, vgl. No. 3 der oberen Reihe.
2. Agnibädhäy Verbrennen durch Feuer.
3. Kumbhipäkam, das Gekochtwerden im Topf.
4. Räksasahimsä, Vernichtung durch Dämonen, vgl. No. 2 der Seitenfelder.
5. Krimikundam, der Topf mit Würmern, von denen man bei lebendigem Leibe auf-
gefressen wird, vgl. No. 3 der unteren Reihe.
Damit ist unsere Kosmologie zu Ende, die, so dürftig sie auch ist, uns einen interessanten
Einblick in das Geistesleben des Inders gestattet. Die außerordentliche Mannigfaltigkeit und
die große Vielheit der Legenden und Erzählungen verwirren den Neuling im Anfang. Dringt
man aber tiefer hinein, so sieht man bald Richtlinien, mit deren Hilfe man leichter den Ideen
dieser ungeheuren Mythenwelt folgen kann.
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BAESSLER-ARCH1V. I. 3. (H. STÖNNER : Ein brahm. Weltsystem.)
ÜBER BEILARTIGE
WAFFEN IM INDISCHEN KULTURGEBIET.
VON
Fig. 1. Waffe mit eiserner Klinge.
Reichsmuseum, Leiden. (Nach
Schmeltz.)
WILHELM CRAHMER, BERLIN.
Unter dem Stichwort „Stoßwaffen aus China?“ veröffentlichte Schmeltz im Jahre 1889
zwei merkwürdige Geräte, über deren Herkunft nichts Genaueres bekannt war1). Es handelte
sich um eine Waffe mit glatter eiserner Klinge (Fig. 1) und um eine ganz ähnliche, aus einer
Bronzelegierung bestehende
(Fig. 2). Die Klinge der eiser-
nen Waffe, die annähernd halb-
mondförmig ist, geht in einen
platt ellipsoiden Stiel über. „Die
Angel des letzteren war mit dem
Schaft, der nicht vorhanden,
mittels einer runden messingenen
Büchse, deren Obenrand einen
breiten ellipsoiden Kragen trägt
und durch welche zwei eiserne
Nieten getrieben, verbunden.“
Herkunftsangaben waren nicht
vorhanden.
Das Bronzegerät, in der Form ganz ähnlich, trug die Angabe: „Hache de guerre. Pièce
curieuse et rare, très ancienne, provenant d’une fouille. Java.“ Klinge und Stiel sind hier
aus einem Stück. Die Enden der Klinge sind stumpf ab-
geschnitten, anscheinend etwas beschädigt. Die ursprüngliche
Form des Gerätes ist aus einem
im Berliner Museum befindlichen
Stück (Fig, 3) und aus einer
ebenfalls dort aufbewahrten
Photographie (vgl. später) genau
ersichtlich. „Der scharfkantige,
platt ellipsoide Stiel ist auf der
abgebildeten Seite in seiner
ganzen Ausdehnung konvex, auf
der anderen, da wo er aus der
Klinge hervorgeht, längs der
Mitte des oberen Drittels kon-
kav, nach dem Unterende hin
nimmt der Stiel stark an
Breite zu und ist ausgehöhlt, um als Büchse zu dienen“; genau derselbe Befund, wie
bei dem oben erwähnten Berliner Exemplar (vgl. später).
Fig. 3. Waffe aus Bronze. Berliner Museum,
(ca. Vr d. w. Gr.) mit Querschnitten (a', b).
(Nach Lindenschrait.)
1) Internationales Archiv für Ethnographie, Band II, S. 169 und Tafel XII, Fig. 5 und 6.
Baessler-Archiv 1, 3.
18
136
WILHELM CRAHMER
In der Antwort1), die bald darauf Bahnson in Kopenhagen, R. Andree in Leipzig und
C. Leemans in Leiden gaben, wurde schon festgestellt, daß das betreffende Bronzegerät
bereits von Lindenschmit irrtümlich in seinen „Altertümern“2) abgebildet sei, als von
Gaualgesheim stammend. (Fig. 4 und 5.) Lindenschmit beschreibt die beiden Beile als
„Werkzeuge von bis jetzt unerklärter Bestimmung. Der obere Rand . . . bildet eine scharfe
Schneide, der untere Teil des Griffes ist hohl, allein bei der Form und Weite seiner Öffnung
nicht zur Befestigung eines längeren Schaftes, höchstens eines
krückenartigen Heftes geeignet. Möglicherweise dienten diese In-
strumente zum Gebrauche der Gerberei oder der Bearbeitung von
Leder.“ (Am unteren Ende des Stieles scheinen sich Ösen zu be-
finden, die wohl auch bei anderen Stücken, wie z. B. dem Berliner
Exemplar [vgl. Fig. 8] vor-
handen sind.)
Leemans bemerkt hierzu;
Es handle sich wahrscheinlich
um ein Werkzeug, das in der Hindu-
zeit zum Ackerbau auf Java gedient haben
mochte; „als wapentuig, althans op Java, zal
het wel nimmer gediend hebben.3)“
Das Berliner Museum für Völkerkunde besitzt ein ähn-
liches Stück4) aus Bronze (Fig. 3 und 6), das s. Z. von
dem Händler Rohde mit der Angabe erworben wurde:
„Altes Richtschwert aus der ersten Hinduzeit Javas,
500 n. Ch.“ Auf welche Quellen diese Angaben zurück-
gehen, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls ist die Orna-
mentik auf dem Berliner Stück nicht als „javanisch“
bekannt. Sie scheint dieselbe zu sein wie auf dem von
Schmeltz veröffentlichten Gerät: Auf der in der Abbildung
sichtbaren Seite des Stieles besteht das Ornament (Fig. 7)
„aus einigen Paaren, mit dem Obenende gegeneinander
geneigter, nicht mehr deutlich sichtbarer S-förmiger Figu-
ren.“ Zwischen diesen ist, wenigstens auf dem Berliner
Stück, ein Flechtmuster dargestellt. Auf der anderen Seite
(Fig. 8) sind „einander kreuzende schwach erhabene Strei-
fen“ zu erkennen, die Rauten bilden. Auch hier spielt das
Flechtmotiv eine besondere Rolle. Das Ornament schließt
auf beiden Seiten am Griffende mit einer Reihe paralleler
Querleisten ab.
Das erhaben aufliegende Spiral- und Schnurornament hat als solches auf Bronzegeräten
eine sehr große Verbreitung. Für uns kommt hier nur in Betracht, daß es sich auf Celebes
und Sumatra, in Kambodscha und den südlichen China, bei den Schan, Abar, Kondh, in Orissa
usw. findet, d. h. also in dem ganzen Gebiete der großen alten Kultureinheit, die sich
vom nordöstlichen Indien über den Himalaya, Hinterindien und Süd-China zum Archipel
hinzieht,5)
Auch irgendwelche literarischen Nachweise für eine Entstehung und vor allen Dingen
für eine Verwendung des Gerätes auf Java sind bisher nicht gegeben worden. Auch die
Ftg. 5. Waffe aus Bronze.
(Nach Lindenschmit.)
Fig. 6. Waffe aus Bronze. (Siehe Fig. 3.)
1) Ebenda S. 230, 2) Lindenschmit, Die Altertümer unserer heidnischen Vorzeit. Mainz 1858. Band I,
Heft 5. Tafel 111, Fig. 1 und 2. 3) Leemans, Internationales Archiv für Ethnographie a. a. O., S. 230.
4) 1, C. 30799. 5) Material im Kgl. Museum für Völkerkunde, Berlin.
ÜBER BEILARTIGE WAFFEN IM INDISCHEN KULTURQEB1ET
137
Eingeborenen wissen mit den „Beilen“ nichts mehr anzufangen. Moderne javanische Fürsten,
die Waffen- und Kuriositätensammler sind, reihen die Stücke unter ihre Prunkwaffen ein. Auf
einer Photographie im Berliner Museum1), auf der die „Waffen des Regenten von Bandong,
Java“ dargestellt sind, finden wir jedenfalls zwei Exemplare (Fig. 9 und 10). Beide scheinen
mit einem Holzstiel geschäftet
zu sein, der jedoch dem Charak-
ter der „Waffen“ in keiner Weise
entspricht. Hieraus aber auf einen
javanischen Ursprung unserer
Gerätform zu schließen, wäre
natürlich vollständig verfehlt. Die-
selbe Photographie zeigt türkische
und holländische Waffen zu-
sammen mit solchen aus Bali,
Madura und typisch javanischen.
Die Fürsten, insbesonders des
Archipels, tragen ja oft Waffen
fremder Herkunft: Der Karijs
pandjang, das ursprüngliche
Werkzeug des Henkers, wird
zur Waffe, zum Abzeichen des
Fürsten (z. B. auf Borneo).
Das ethnographische Reichs-
museum in Leiden besitzt meh-
rere solcher Beile.2) Außer dem
bereits erwähnten, von Schmeltz
veröffentlichten Stück erwähnt
Juynboll im neuen Katalog ein
„Beil (Zeremonialwaffe?) für
Bodenbearbeitung, das Zerschla-
gen von Baumwurzeln usw. von
Bronze.“ Das Gerät unterscheidet
sich von sämtlichen übrigen da-
durch, daß die offene Rück-
seite des Stieles nach hin-
ten in einen Fortsatz aus-
läuft (Fig. 11). Die eine
Spitze der Schnei-
de ist abgebrochen.
Der Fundort des
Stückes ist un-
bekannt; es
stammt aus
dem Nach-
laß von
Kinder
de Camarecq, des Hauptinspek-
tors der Kulturen auf Java, ist
also vermutlich dort (in der Erde
oder in einer Fürstensammlung)
gefunden (vgl. die übrigen Stücke).
Ein zweites Stück, das sich
durch einen Fortsatz am Griff-
ende auszeichnet, befindet sich
in einer kleinen Sammlung in
Java selbst3): „In de desa Ka-
wali, de vroegere hoofdplaats
van het rijk Padjadjaran, . . .
bestaat . . . een huisje, waar
verscheidene uit den boeddha-tijd
afkomstige voorwerpen bewaard
worden.“ „Het voornaamste stuk
heb ik afgeteekend . . . Het is
van zeer hard rood koper, wordt
Prangkolan genoemd, en is
stellig . . . zeer oud.“ (Fig. 12.)
Prangkul ist im Java-
nischen4) „een klein brechijzer“,
Prangkulan also: ein dem Brech-
eisen ähnliches Gerät.
1) VIII. 3812. 2) H. H. Juynboll,
Katalog des Ethnographischen Reichs-
museums. Band V. Javanische Altertü-
mer, Leiden 1909. S. 194. Das in Fig. 11
dargestellte Beil ist bereits von C. M.
Pleyte in: Die Buddhalegende in den
Skulpturen des Tempels von Börö-
Budur. Amsterdam 1901, S. 181 ver-
öffentlicht. 3) F. C. Wilsen,
Oudheden in Cheribon door
Tijdschrift voor Indische Taal-,
Land- en Volkenkunde. Deel
IV. Batavia 1855. S. 487/8
und Tafel II, Fig. 9.
4) Javaansch - Neder-
duitsch Handwoorden-
boek van J. F. C. Ge-
ricke en T. Roorda,
vermeerderd en
verbeterd door
A. G. Vreede.
Amsterdam
1886.
138
WILHELM CRAHMER
Außer den oben erwähnten bewahrt die Leidener Sammlung noch ein Bronzebeil auf und
das Fragment eines solchen, die beide nahe dem Desa Tjibogo hilir, Distrikt Darangden, Abt.
Krawang, Res. Batavia gefunden sind1).
Als Fundort sämtlicher Stücke ist demnach wohl Java anzusehen.
Die Form der Geräte scheint, von der kleinen bereits erwähnten Abweichung zweier
Beile abgesehen, immer genau dieselbe zu sein. Irgend einem praktischen Zweck vermag
sie wohl kaum zu dienen, sie ist als „Richtschwert“ und als Beil für Bodenbearbeitung in
jeder Beziehung unbrauchbar. Gegen die Annahme von dem täglichen Gebrauch dienenden
Werkzeugen für den Ackerbau spricht auch die reiche Ornamentik, Wir können die Stücke
nur als Zeremonialwaffen ansprechen, die sich aus älteren wirklichen Waffen, seien es
Beile oder Hellebarden, herausgebildet haben. Man mag hierbei an die Hoheitsabzeichen
denken, die den Fürsten bei ihren Ausfahrten voran- und nachgetragen werden.
Prof. Grünwedel konnte
mich nun auf eine Miniatur auf-
merksam machen, die vielleicht
geeignet ist, die Herkunft unserer
rätselhaften Waffe etwas genauer
zu bestimmen. Das Bild gehört
einem Album2) an, das in Pe-
king im 18. Jahrhundert gemalt
ist und Darstellungen von Groß-
Lamas von Taschilhumpo ent-
hält.3) In der Mitte der be-
treffenden Miniatur sitzt der Lama
Sa-sky a-pandita auf einem
schön geschnitzten Thron. Die
vier Ecken des Bildes sind von
Einzelkompositionen ausgefüllt,
die zum Leben des Pan-tschhen
in irgendeinem Bezüge stehen.
Im Hintergründe links ist ein
Tempel mit der Statue des Mai-
treya (Byams-pa). Im Ge-
spräch mit der Mittelfigur
des Sa-skya-pandita ist
ein Tlrthika Harinan-
da(na)4) (im Vorder
gründe rechts) (Fig. 13)
begriffen, der auf
einem mit einem
Antilopen- Felle
bedeckten
Holzgestell
sitzt. Hin-
terHari-
nanda
steht
sein Diener, durch Turban und die
Felle über dem sonst nackten
Körper als der indischen Bevölke-
rung angehörig gekennzeichnet.
Diese Nebengruppe ist für uns
deshalb sehr wichtig, weil sie
wie die Hauptdarstellung und alle
derartigen Heiligenbilder auf eine
feste Tradition zurückgeht (vgl.
später). In der rechten Hand
hält der Begleiter eine Stange,
die mit Bändern verziert ist und
von der eine Wasserkanne für
die offiziellen Ablutionen (Wa-
schungen) der Hauptperson herab-
hängt. Am oberen Ende dieser
Stange ist ein Gerät (Fig. 13
und 14) befestigt, das mit unse-
rer fraglichen Waffe eine unleug-
bare Ähnlichkeit in der ganzen
Form besitzt. Der besondere
1) Vgl. Juynboll, Katalog ..., S. 194/5.
2) Im Berliner Museum, 1. D. 7525.
3) Vgl. A. Grünwedel, Notizen
zur Ikonographie des Lamais-
mus. Originalmitteilungen aus
der ethnologischen Abtei-
lung der königlichen Mu-
seen zu Berlin, S. 38ff.
und 103 ff.
4) Sahkaradhvaja bei
Grünwedel, a. a. O.,
S. 128 und Jour-
nal of the Asia-
tic Society of
Bengal. Vol.
LI. Part. I.,
S. 19.
Fig. 8. Ornament au! dem Stiel des Bronzebeiles. Rückseite.
(Im Berliner Museum.) In n. Gr.
ÜBER BEILARTIGE WAFFEN IM INDISCHEN KULTURGEBIET.
139
Wert der Darstellung liegt für uns auch darin, daß wir einen Aufschluß über die ursprüng-
liche Schäftung derartiger Geräte erhalten.
Genau dieselbe Komposition (Fig. 15) findet sich auf einem lamaistischen Tempelbild der
Sammlung F. W. K, Müller, gleichfalls im Berliner Museum1): auch hier wieder unsere Waffe
(Fig. 15 und 16), allerdings in etwas abweichender Form, die jedoch das Charakteristische
Fig. 9. Abbildung einer
Bronze-Waffe mit Holz-
stiel (?) nach einer Photo-
graphie im BerlinerMuseum.
Fig. 10. Abbildung einer
Bronze-Waffe mit Holz-
stiel (?) nach einer Photo-
graphie im BerlinerMuseum.
des Gerätes noch scharf erkennen läßt. Die Schäftung der Klinge scheint
eine ganz ähnliche zu sein wie die der anfangs erwähnten eisernen Waffe.
Eine weitere Abbildung ist in der Sammlung des Fürsten Uchtomskij,
die Prof. Grünwedel beschrieben hat2). Prof. Grünwedel bemerkt daselbst
auch noch, daß G. Z. Cybikov eine Reihe von Abbildungen
des Pan-tschhen aus Tibet mitbrachte, die uns genau die-
selbe Komposition zeigen. Es sind Abdrücke von Holzdrucken,
die als Unterdrücke für Malereien dienten (von Oldenburg Prof.
Grünwedel 1904 bei seinem Aufenthalt in Petersburg vorgelegt).
Es handelt sich in allen Fällen um die traditionelle
Wiedergabe des Sa-skya-pandita mit immer denselben Neben-
figuren, die durch Kleidung, Embleme usw. auf ihre Herkunft
und Bedeutung hin genau zu bestimmen sind.
AusderLebensgeschichtedes Pan-tschhen3)
wissen wir, daß er nach seiner Rückkehr aus
Kaschmir das in Nepal liegende Kloster Kyi-
rong besuchte und dort seine berühmte Unter-
redung mit dem Brahmanen Harinanda hatte
(vgl. oben).
Aus den Miniaturen geht also hervor, daß
es sich bei der betreffenden „Waffe“ um ein
Gerät handelt, das nach der Überlieferung
seine Heimat im nördlichsten Indien, vielleicht
in Nepal, hatte. Hieraus auf den Ursprung der veröffentlichten Beilform irgendwelche bin-
denden Schlüsse zu ziehen, ist natürlich voreilig. Die Möglichkeit der Identität besteht
jedenfalls, für eine andere Herkunft sind Belege ja bisher nicht gebracht worden.
1) I. D. 22531. 2) Albert Grünwedel, Katalog' einer Sammlung von Objekten des lamaistischen
Kultus des Fürsten E. Uchtomskij. St. Petersburg 1905 (russisch). (Bibliotheca Buddhica VI). 3) Contri-
butions of the religion, history etc. of Tibet, by Babu Sarat Chandra Das. Journal of the Asiatic Society
of Bengal. Vol. LI. Part I, S. 19.
Fig. 12. Waffe aus
Bronze. In einer
javan. Sammlung.
(Nach Wilsen.)
140
WILHELM CRAHMER
Flg. 13. Nebenkomposition auf einer lamaistischen Miniatur (im Berliner
Museum). Darstellung eines brahmanischen Lehrers und seines Begleiters.
Eine Waffe, die unzweifelhaft in diesen Zusammenhang gehört, ist auf den Fresken der
Höhlen von Ajantä (im Tal des Tapti, nahe der Grenze von Berar und Khandesh gelegen)
abgebildet. Diese Höhlen sind mit buddhistischen Bildern ausgemalt; einige von ihnen
haben die Lebensschicksale des Säkya-Muni oder Gautama zum Vorwurf. Die Fresken
sind sehr alt, die Mehrzahl gehört dem 6. nachchristlichen Jahrhundert an, einige sind älter,
ÜBER BEILARTIGE WAFFEN IM INDISCHEN KULTURGEBIET
141
Fig. 15. Nebenkomposifion auf einer lamaistischen Miniatur (im Berliner
Museum). Darstellung eines brahmanischen Lehrers und seines Begleiters.
andere jünger. Die frühesten gehen bis in das 2. Jahrhundert zurück, in die Zeit der An-
dhrabhritya Könige, der großen Schutzherren des Buddhismus* 1).
Die auf diesen Wandgemälden dargestellten Waffen sind sämtlich von sehr altertümlicher
Form, wie wir sie vom heutigen Indien nicht mehr kennen. Hierbei ist die Tatsache sehr
I) Vgl. James Fergusson und James Burgess, The Cave Temples of India. London 1880. S. 285.
142
WILHELM CRAHMER
interessant, daß die ältesten und ursprünglichsten Waffenformen sich in den Händen von
Dämonen und Räkschasas finden, die ja in der Kunst und Mythologie der Hindu an die Stelle
der in langen Kämpfen niedergeworfenen dunkelfarbenen Urbevölkerung getreten sind.
Das erwähnte Beil ist auf einer Wandmalerei abgebildet, die uns die Versuchung des letzten
Buddha durch Mära, den „Zerstörer und Herrn der fleischlichen Wünsche“ zeigt1). Dämonen
verlocken" ihn in Gestalt schöner Frauengestalten, oder suchen ihn als Hexen und Furien zu
erschrecken, und eine von ihnen - Kali, die Verkörperung des Todes - schwingt in ihrer
rechten Hand die halbmondförmige Waffe. Das Beil (Fig. 17)1 2), der Farbe nach
Fig. 14. Vergrößerte Darstellung
des Gerätes aus Figur 13.
Fig. 16. Vergrößerte
Darstellung des Gerätes
aus Figur 15.
Fig. 17. Darstellung
einer beilartigen Waffe
auf den Fresken von
Ajantä. (Nach Qriffiths.)
Fig. 18. Darstellung einer
haumesserartigen Waffe
auf den Fresken von
Ajantä. (Nach Griffiths.)
seiner ganzen Form nach sehr wirksame Waffe. Der Griff weicht vollständig von dem der
beschriebenen Stücke ab, die Klinge dagegen zeigt in auffallender Weise eine ganz ähnliche
Form: die charakteristischen Merkmale sind genau dieselben.
Mit diesem Beil im engsten Zusammenhänge steht eine andere Waffe, die sich
gleichfalls auf den Fresken von Ajantä abgebildet findet (Fig. 18)3). Ist die Klinge eine
Weiterbildung der eben beschriebenen Form, so kommt auf der anderen Seite ihr Handgriff
dem der javanischen Stücke sehr nahe.
Es dürfte sich also bei den javanischen Geräten um die kulturelle Stilisierung
einer besonderen Form der beilartigen Waffen handeln, die in bunter Mannig-
faltigkeit im Himalaya, in Hinterindien und im Archipel auftauchen, und zu deren
endgültigen systematischen Bearbeitung von rein ethnographischer Seite nur auf
Grund archäologischer und ikonographischer Arb eiten Aufschlüsse zu erwarten sind.
1) Rajendralala Mitra, Buddha Gaya. The Hermitage of Sakya Muni. Published under orders of the
Government of Bengal. Calcutta 1878. Plate II. Mara’s Assault on Buddha, from a Fresco Painting in Cave
No. 1. Ajanta, vgl. S. 50/51 und John Qriffiths, The paintings in the Buddhist Cave-Temples of Ajanta, Khandesh,
India. Vol. 1. (Pictorial Subjects). London 1896. Plate 8. Ajanta. Cave 1. Wall-painting, X. „The temptation of
Buddha by Mara“, pp. 9, 23, 25. 2) Vgl. auch Griffiths, The paintings . . . S. 15. Fig. 37. Weapons.
3) Ebenda.
RELIGIÖSE BETTLER IN SÜDINDIEN.
VON
WILHELM PLANERT.
(Hierzu Tafeln VIII—XL)
Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung folgenden Umständen: Erstens sind die
ziemlich weit verstreuten Angaben über das Leben und Treiben der religiösen Bettler Süd-
indiens, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu den niederen Kasten für die Ethnographie besondere
Wichtigkeit haben, bisher noch nirgends zusammengestellt worden. Zweitens konnte als haupt-
sächlichste Quelle eine stattliche Sammlung südindischer Originalzeichnungen benutzt werden,
die sich im Besitz des Berliner Museums für Völkerkunde befinden. Der eine der betreffenden
Bände, der ein Geschenk des verstorbenen Kommerzienrates Gilka ist, führt den Titel: „Recueil
de 200 dessins, temples, cérémonies, castes, arts, végétaux de l’Inde; à M. F. D. Gonfreville.
Pondichéry 1829.“ Von den in Frage kommenden Aquarellen habe ich genaue Pausen her-
gestellt, so daß auch alle Verzeichnungen usw. getreu wiedergegeben sind.
Unter denjenigen Bettlern, die den Verehrern des Si va1) zuzurechnen sind, verdienen die
sog. Pandäram die größte Beachtung,1 2) Sie gehören der Südra-Kaste an und wohnen haupt-
sächlich im Tinnevelly-Distrikt. Gewöhnlich ziehen sie in den Straßen umher, indem sie um
Almosen bitten und Loblieder singen; sie verehren Subrahmanya (Suppiramaniyen), Ganésa
und das Sivalingam. Ein auf sie bezügliches Sprichwort3) der Tamulen lautet: pandäram
pindattukku arugifän, lihgam pal sott ukku arugiradu d. h. der Pandäram schreit nach einem
Mund voll Nahrung, das Lingam, das er verehrt, nach Reis und Milch. Ihren kurz geschorenen
Kopf bedeckt oft ein Turban; um den Hals tragen sie ein Lingam aus Stein oder Kristall.
Ihre Hals- und Armbänder bestehen aus den Kernen von Elaeocarpus ganitrus (lanceolatus),
die Rudräkschamälä (Uruttirätsam) genannt werden.4) In der Hand halten viele Pandäram ein
Bündel Pfauenfedern. Sie behängen sich mit allerlei Lumpen, jedoch nicht ausnahmslos mit
Zeugstücken von gelber Farbe. Das Gesicht, die Brust und die Arme bestreichen sie mit
Kuhmistasche (Tirunîru oder Vibhüti). Auf der Stirn sieht man drei horizontale, weiße Striche
(Tripundra), den mittelsten mit einem Punkte, Dreimal am Tage nehmen die Pandäram ein
Bad. Einige führen eine kleine Trommel bei sich, an welcher zwei kleine bewegliche Kegel
befestigt sind, die durch eine Bewegung der Hand an die Trommel schlagen. Damit geben
sie den Takt zwischen jeder Stanze ihrer Lieder und zeigen in den Bazars und bei den Ein-
wohnern ihre Ankunft an. Es wäre keinem Inder zu raten, die Pandäram ohne Gabe zu ent-
lassen, wenn er sich nicht ihren Schimpf- und Fluchwörtern aussetzen wollte.5) Daß die
Pandäram nicht gerade in hoher Achtung stehen, läßt folgendes Sprichwort erkennen: payitti-
yamö pandäramö vendäl ippodudän todarugiradu endän „wenn ich ihn frage, ob er ein Ver-
rückter oder ein Pandäram sei, so sagt er, es folge das eine aus dem andern“. Sie leben
durchaus nicht immer streng nach Vorschrift, sondern genießen auch geistige Getränke und
1) Hinsichtlich der Transkription sei erwähnt, daß ein Punkt unter dem Konsonanten die cerebrale, ein
Komma drüber die palatale Aussprache angibt; c = tsch; J = j in engl, jest; z = j in franz. jardin; t ist gleich
dem g der Norddeutschen in „sage“; n ist eine bisher nicht bestimmbare Art n. 2) Muhamedanische
Fakire sind in dieser Arbeit nicht berücksichtigt. 3) Vgl. Percival, Tamil Proverbs. Madras 1874.
4) Rudräkscha = Rudra-Auge; die Kerne sollen aus Tränen Siva’s entstanden sein. 5) Der Pandäram
bezeugt seine Dankbarkeit den Mildtätigen gegenüber, indem er ihnen Asche von Sandelholz bzw. Kuhmist
überreicht, die er angeblich von heiligen Stätten mitgebracht hat.
Baessler-Archiv 1. 3.
19
144
WILHELM PLANER!
Fleisch, wenn ihnen irgend ein vornehmer Sudra so etwas zukommen läßt. Die Pandäram
sind gewöhnlich verheiratet; diejenigen, welche ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben, heißen
Tavasi (Tapasvi), führen aber im Gegensatz zu den Sannyäsl, tarn. Sanniyäsi (vgl. weiter unten)
kein einsiedlerisches Leben. Es ist Sitte bei den Pandäram, daß die Leichen in einer sitzenden
Stellung, das Gesicht nach Norden gewandt, begraben werden. Bisweilen fungieren die Pan-
däram auch als Priester, machen Blumengirlanden zur Ausschmückung des Lingam oder blasen
Messingtrompeten bei Opfern bzw. Prozessionen. Bei der Verehrung des Aiyanär werden die-
jenigen Opfer, die aus starkem Getränk, Schweinen, Böcken, Hühnern und anderen Tieren be-
stehen, nicht von Brahmanen, sondern von einem Pandäram in Empfang genommen. Das Gleiche
ist der Fall mit allen übrigen Opfern, die dann und wann an gekochtem Reis und andern Eß- und
Trinkwaren herangebracht werden. In den Pagoden der Grämadevatas (Kirämadevadeige})1)
werden die Pandäram ausnahmsweise auch zu öffentlichen Opfern zugelassen. Die Pandäram
haben einen eigenen Wortschatz, zu dessen Charakteristik folgendes Schema dienen möge;
Deutsch Tamil Pandaram
gekochter Reis Reis Betel Tabak Fisch Fleisch Barbier söfu arisi vet't'ilei pugeiyilei min ireicci ambatten ponam tandalam (= mullaigan vädduvan slrämal asaiyan nakara-k-kalukan
Die Pandäram zerfallen in verschiedene Gruppen, die sich an der Hand der Original-
zeichnungen folgendermaßen beschreiben lassen:
Figur 1 (IC 27727 No. 151 )1 2.)
Der Pandäram trägt eine Mütze aus rotem und grünem Zeug. An der Stirn sieht man
drei Striche von Kuhmistasche3) und darunter einen Fleck von gelber Farbe. Hals, Brust und
Arme sind ebenfalls bemalt. Die Hals- und Armketten bestehen aus Elaeocarpus ganitrus. In
der linken Hand hält er eine kreisförmige Metallplatte. Der Unterkörper ist in ein rotgelbes Tuch
gehüllt; das Hüfttuch ist hellrot. Der der Zeichnung beigegebene Text lautetet: pandärah
semakkalam adikkiradu „der Pandäram schlägt das Semakkalam“.
Figur 2 (IC 27727 No. 153).
Der Kopf ist mit einem rotbraunen Turban bedeckt. Hinsichtlich der Bemalung sowie der
Hals- und Armketten besteht kein Unterschied gegenüber Figur 1. Der Pandäram trägt außer-
dem ein Lingahalsband. Ein derartiges, im Besitz des Mu-
seums befindliches Halsband (siehe nebenstehende Abbildungen)
ist mit einer silbernen Kapsel versehen; ein anderes Abzeichen
der Liiigäytas, als Bazuband am rechten Oberarm getragen,
zeigt zwei silberne Halbkugeln, die ein Lingam-Yoni aus Stein
sowie Blüte und Blatt von Mayelkone,4) in Seide eingewickelt,
enthalten. In der rechten Hand hält der Pandäram eine Schale,
in der linken einen Fächer von Pfauenfedern. Um den Leib
ist ein hellrotes Tuch geschlungen. Über der linken Schulter hängt ein schwarz und weiß ge-
färbtes Band (Bähupattä-, VäTuppattei, richtiger Päiuppattei), das der Pandäram beim Sitzen
1) D. i. Schutzgottheiten der Dörfer und Häuser (Aiyanär, Pidäri, Märiyammen, Eilammen, Ahgäjammen).
2) Bezieht sich auf die Katalognummern der Museumsgegenstände. 3) Kuhmistasche wird als heilig
erachtet, weil sie Siva als den alles einäschernden Zerstörer darstellt. 4) Im Malayälam „mayilkannu“
Odianthum melanoleucum.
RELIGIÖSE BETTLER IN SÜDINDIEN.
145
zum Stützen der Füße benutzt. Der begleitende Text besagt: sadei-pandäram oru kaiyil mayil
visuriyum oru kaiyil patiramum eduttuk kondu pitseiyedukkiradu „der Sadei-Pandäram1), in
der einen Hand den Fächer aus Pfauenfedern, in der andern eine Schale haltend, geht betteln“.
Figur 3 (IC 23652 No. 125).
Der Pandäram trägt einen Strohhut. Sein Oberkörper ist mit Asche bestrichen. Er hat
Arm- und Halsketten sowie das Lingahalsband angelegt. In der rechten Hand hält er das
Semakkalam, in der linken Pfauenfedern. Er trägt über der linken Schulter ein Bündel und
ein Sembu (metallenes Gefäß). Das Hüfttuch ist von hellroter Farbe.
Figur 4 (IC 23652 No. 126).
Die Frau des Vorigen. Sie hat sich gleichfalls mit Asche bestrichen und mit Halsketten
geschmückt. In der linken Hand trägt sie eine (wahrscheinlich nachgemachte) Blume.
Figur 5 (IC 23 652 No. 144).
Der Piccei-kära-pandäram hält in der rechten Hand ein Uruttirätsam, in der linken einen
rot und grün gefärbten Beutel. Rechts von ihm liegt auf dem Boden eine Messingschale, in
die von den Mildtätigen Geld hineingeworfen wird. Der Name des Pandäram bedeutet nichts
weiter als Bettler.2)
Figur 6 (IC 23653 No. 207).
Der Tanni-kaväda-pandäram (unkorrekt für tannlrkkaväda) transportiert Wasser in Sembu’s
die er einem Zebu aufgeladen hat.
Figur 7 (IC 23 653 No. 208).
Das Weib (penriädi, genauer pensädi) des Tanni-kavädakära-pandäram, gleich diesem mit
Kuhmistasche bemalt und an Hals bzw. Armen mit Rudräkschamälä geschmückt.
Figur 8 (IC 23 653 No. 242).
Dieser Pandäram ist als rävana-asuttam-pädugifa bezeichnet, da er das Irävanästam spielt.
Das betreffende Instrument ist rot gefärbt, mit zwei Saiten bespannt und wird mittels eines
Bogens gespielt. Der Riese Irävanen, König der Insel Ceylon, soll der Erfinder dieser Art
Violine gewesen sein. Sie endigt oben in eine Hand und führt daher den Namen Rävanahasta,
auf welches Sanskritwort die tamulische Bezeichnung zurückgeht.
Figur 9 (IC 23653 No. 255).
Der Valluva-Pandäram trägt einen roten Turban. In der rechten Hand hält er ein Buch
aus Palmblättern, sog. ölei’s. Wie sein Name besagt, gehört er zur Unterkaste der Valluver.
Diese sind die Priester der Pareiyer (gewöhnl. Pariahs genannt) und nehmen unter ihnen die-
selbe Stellung ein wie die Puröiider (Puröhita, Wahrsager) unter den Brahmanen.
Figur 10 (IC 23 653 No. 256).
Velluva(sic!)-pandäram pensädi, die Frau des Vorigen. Sie zeigt keinerlei Bemalung mittels
Kuhmistasche. Auf ihrem Kopfe trägt sie einen großen Korb, in dem eine Schaufel aus Stroh steckt.
Figur 11 (IC 23 653 No. 275).
Diese Art Bettler, sich gleichsam für die Pandäram кат5 eHoyriv haltend, nennen sich Saiva-
Pandäram. Das Kopfhaar des hier abgebildeten Pandäram ist abrasiert. Er trägt um Stirn,
Hals und Arme Rudräkscha-Ketten. In der rechten Hand hält er ein Rudräkschamälä, in der
linken einen roten Beutel.
Figur 12 (IC 23 653 No. 276).
Saiva-pandärasi, die Frau des zuletzt erwähnten, dieselben Gegenstände wie dieser in den
Händen haltend.
1) sadei „Haarlocke“ geht auf sanskr. WiTT zurück.
2) Vgl. sanskr. bhiksakara.
19*
146
WILHELM PLANERT
In Palani (Palni, Pulney) in der Nordwestecke des Madura-Distriktes wird im Januar, wenn
das Sternbild Püsanatsattiram (Puschya-nakschatra) „einfällt“, das Fest Taippusam (Taipuschya)
gefeiert. Man verehrt in dieser Stadt den Suppiramaniyen (Kumära), der deshalb den Bei-
namen Pajanivelen1) führt. Es werden dem Schrein daselbst nicht nur Gelübde dargebracht,
sondern es lassen auch z. B. Leute, denen der Vater gestorben ist, ihr Haar ein Jahr lang
wachsen, um es dann in Palani, wohin sie pilgern, abschneiden zu lassen.2) Der Palani-Pilger
trägt ein sog. Kävadi. Es gibt deren zwei Arten, ein Milch- und ein Fischkävadi. Das Ge-
lübde kann in bezug auf jedes von beiden dargebracht werden, je nach den vorwaltenden Um-
ständen. Wenn die Zeit des Aufbruchs herannaht, legt der Pilger rotgelbe Kleider an, nimmt
sein Kävadi auf die Schulter und zieht von dannen. Zusammen mit einem Mann, der eine
Glocke läutet, und vielleicht einem Tamtam-Schläger, spielt er, sein Gesicht mit Asche be-
streichend, die Rolle eines Bettlers. Die Pilger gehen gewöhnlich in größerer Anzahl zusammen
unter der Führung eines Püsäri. Die Opfer bestehen aus Geld, Zucker, Honig, Kampfer, Milch,
Butter, Kokus usw.
Figur 13 (IC 27 727 No. 150).
Der Pajanikkävadikkären trägt einen rot und grün gefärbten Hut. An der Stirn sieht man
drei Striche von Kuhmistasche und zwischen den Augenbrauen einen gelben Fleck. Hals und
Arme sind mit Rudräkscha-Ketten geschmückt. Das Kävadi ist mit einem Dach versehen, das
außen mit rotem und innen mit grünem Tuche überzogen ist; an den Seiten sind zur Zierde
Pfauenfedern angebracht. Das Dach soll angeblich dazu dienen, den Pilger vor der Glut
der Sonnenstrahlen zu schützen. Auf jeder Seite des geschnitzten Holzgestells steht ein
Sembu, Der Pandäram hält einen Stock in der linken Hand, Der die Abbildung begleitende
Text lautet: pazanikkävadikkäran tolira kävadiyei yeduduk kondu pazanikkup pöfadu „der Pan-
däram geht mit dem Kävadi nach Palani“. Er trägt Wasser, Milch und Zucker als Opfergaben.
Der Kaste nach gehört er zu den Vehäler, welche Ackerbau treiben und den Bante in Süd-
Canara oder Näyer in Malabar entsprechen.
Figur 14 (IC 23653 No. 205).
Der Pandäram trägt ein dem vorigen durchaus ähnliches Palani-Kävadi überder linken Schulter.
Figur 15 (IC 23653 No. 206).
Die Pandärasi, die Frau des eben Genannten, hält in der rechten Hand Pfauenfedern, in
der linken wahrscheinlich eine aufgeblühte Blume (imitiert und Trisul vorstellend).
Ähnlich wie nach Palani pilgern viele Pandäram nach Käsi (Benares), von wo sie Ganges-
wasser in irdenen Gefäßen heimbringen. Sie müssen es bis nach Rämesvaram3) tragen, wo
ein sehr berühmter Tempel des Siva steht. Dieses Wasser wird über das Lingam des Tempels
ausgegossen, dann wieder gesammelt und an die Gläubigen verteilt, die es ehrfurchtsvoll auf-
bewahren. Wenn ein Kranker im Sterben liegt, gießt man ihm davon einen oder zwei Tropfen
in den Mund bzw. auf den Kopf.
Figur 16 (IC 23653 No. 243).
Der Pandäram trägt sein Käsikävadi (rolifakäsikkävadi)4) über der rechten Schulter. An
jedem Ende des Balkens hängt ein Gefäß, das mit Wasser aus dem Käsittlrttam5) angefüllt ist.
Figur 17 (IC 23653 No. 244).
Die Käsikävadikkäri, die Frau des Vorigen, trägt gleichfalls ein Kävadi. An ihrer Stirn sieht
man einen Strich von roter Farbe.
Eine andere Art Pandäram, die Sonnerat6) Care-Patre-Pandaron nennt, fordert von ihren
Mitgliedern das Gelübde des Schweigens. Ein solcher Pandäram geht in die Häuser und
1) vel Waffe, Lanze. 2) Vgl. E. Thurston, Gastes and Tribes of Southern India. Vol. V, pag. 398 ff.
3) Ramisseram, zwischen Ceylon und der Coromandelküste. 4) folifa = tolira. 5) tTrtha im Sanskrit.
6) Sonnerat, Voyage aux Indes et ä la Chine.
9 a
RELIGIÖSE BETTLER IN SÜDINDIEN 147
bittet um Almosen, indem er mit den Händen klatscht, ohne jedoch ein Wort zu sprechen.
Der Mildtätige bringt ihm gekochten Reis und schüttet ihn in die offen gehaltenen Hände des
Bettlers. Der Pandäram verzehrt die Gabe an Ort und Stelle und geht weiter von Haus zu
Haus, bis er seinen Hunger gestillt hat. Sein Name ist für sein Tun und Treiben bezeichnend:
kara heißt „Hand“, pätra „Teller“. Sonnerat gibt eine Abbildung eines solchen Pandäram auf
Platte 70.
Ebenfalls den Sivaiten zuzurechnen sind die den Pandäram an Rang nachstehenden Andi.
Jedoch werden oft die Bezeichnungen Pandäram und Ändi unterschiedslos für einander ein-
gesetzt, wie überhaupt das Wort Ändi einen noch viel weiteren Begriff annehmen kann. Die
Pandäram sind gewöhnlich Velläjer, während die Ändi sich aus allen möglichen Klassen der
Südra (Süttirer) zusammensetzen. Sie zerfallen demzufolge in mehrere Unterabteilungen, die
nach dem Namen derjenigen Kaste benannt sind, der ihre Mitglieder ursprünglich angehörten.
Besonders zu erwähnen sind die sog. Kömanändi, deren einzige Kleidung in dem Komanam1),
der Schambedeckung, besteht, sowie die Mudavändi (von Mudaven „Lahmer“), denen es freisteht,
jedes mißgestaltete Kind aus der Konga Velläler-Kaste für sich zu beanspruchen. Ziegenbalg
gibt von den Ändi folgende Schilderung: „Die Ändi haben entweder aus Stein oder aus Kristall
ein kleines Lingam um den Hals, oder um den Arm oder auch auf dem Haupte. Diese nun,
wenn sie des Morgens früh aufgestanden sind, sich gereinigt haben und in einem Flusse oder
Teiche gewaschen, auch mit Asche bestrichen haben, nehmen sie das um sich habende Lingam
hervor, legen es auf eine Treppenstufe desselben Teiches, gießen mit Händen Wasser darauf
und baden es. Alsdann bewerfen sie es mit Blumen und sagen, es ist alles Siva’s Spielwerk,
beten das Lingam an, wickeln es darauf wieder ein und binden es an ihren Hals, Arm oder
auf den Kopf. Wenn solches verrichtet ist, gehen sie in die Stadt oder Dorf, fragen in den
Häusern nach Almosen, nehmen solches und essen es. Alsdann legen sie sich auf die Piäle
(gleich Tinnei) vor den Häusern oder in den Ruhehäusern nieder, und gehen des Abends
gleichfalls vor den Häusern herum, schlagen an ein messingnes Becken, singen ein sonder-
liches Lied und bekommen aus diesem und jenem Hause gekochten Reis zum Almosen.
Selbigen nehmen sie, legen ihn vor das Lingam zum Speiseopfer, verrichten ihre Gebete und
Zeremonien dabei und alsdann essen sie erst solches Almosen.“ Ein auf die Ändi bezügliches
Sprichwort lautet: ändiyum ändiyum kattikkondäl, sämbalum sämbalum ottikkollum „wenn ein
Ändi den andern umarmt, so klebt Asche an Asche“.
Was nun die Bettler, die sich als Verehrer Visnu’s bekennen, anbelangt, so seien zuerst
die Sättädaver erwähnt. Sie sind die Priester einiger Südra-Kasten und entsprechen in dieser
Hinsicht den Pandäram. Die Sättädaver (wörtl. die nicht tragen oder anlegen, nämlich den
heiligen Faden und die Kronenlocke) bilden eine gemischte Sekte, die von Zeit zu Zeit aus
anderen Kasten ergänzt wird, mit Ausnahme der Pareiyer, Lederarbeiter und Muhammedaner.
Der entgegengesetzte Ausdruck ist Sättinaver, ein Beiname der Vaisnava-Brähmanas, die Faden
und Locke tragen. Die ersteren heißen auch Sigeiyekkiyöbavldahjättädavergel, von sigei (sikhä)
„Kronenlocke“ und yekkiyöbavldam2) „heiliger Faden“. Wenn Mitglieder verschiedener Unter-
abteilungen der Vaisnavas zu den Sättädaver übergehen, so wird dadurch gleichzeitig alle
Unterscheidung aufgehoben; sie sollen auch unter sich Weibergemeinschaft haben. Die Sättä-
daver stehen zu den Vaisnavas in einem ähnlichen Verhältnis wie die Vira Saivas zu den
Saivas; daher das Sprichwort; sädigettavan sättädavan sädigettavan sangaman „wer (unter den
Vaisnavas) seiner Kaste untreu geworden ist, wird ein Sättädaven, wer unter den Saivas, ist
ein Sangamen (oder Lingadhärl bzw. Vira Saiva)“. Neben der Bezeichnung Sättädaven existiert
die korrumpierte Form Sätäni (= cätäladava im Kanaresischen). Die Sätäni verehren hauptsächlich
den Bhäsyakära (Päsiyakkärer, Commentator, anderer Name für Rämänuja), den sie für eine
Inkarnation Visnu’s halten. Sie sind fast gänzlich auf die großen Städte beschränkt. Was
I) Vgl. sanskr. kaupina. 2) yekkiyam -f- ubavldam; verstümmelt aus sanskr. wörtl. Opferschnur.
148
WILHELM PLANER?
ihre Beschäftigung betrifft, so verrichten sie Dienste in Visnu-Tempeln, betteln, pflegen Gärten,
verkaufen Blumengirlanden, machen Fächer, mahlen Sandelholz zu Pulver und handeln mit
Parfüms. Mancher Sätäni lernt verschiedene Lieder zu Ehren Srlrangam’s und seiner Gottheit
auswendig und verdient durch Singen seinen Lebensunterhalt. Er steht morgens früh auf und
schmückt, nachdem er gebadet, seine Stirn und Brust mit dem Nämam (dem Abzeichen der
Vaisnavas in Gestalt eines Dreizacks), bindet um seinen kahl geschorenen Kopf eine Schnur
aus Tulasi (Tulas!, TulsI, Ocimum sanctum) -Kernen, bekannt als Tiru-pavittiram, und um den
Hals eine Tulasi-Girlande, nimmt einen Fächer (Gajakarna „Elefantenohr“) in seine rechte Hand
und hält in der linken ein wie ein Kürbis gestaltetes Kupfergefäß.
Als die interessantesten Bettler unter den Visnu-Verehrern dürften wohl die Täder (Täser,
Täsari) bezeichnet werden. Sie führen ihren Ursprung auf einen wohlhabenden Südra aus
einem der nördlichen Distrikte zurück. Dieser war kinderlos und gelobte, falls ihm Nach-
kommen beschert würden, einen davon dem Dienste seines Gottes zu weihen. Als sein Wunsch
erfüllt wurde, nannte er den einen Sohn Däsa (Sklave, Diener) und widmete ihn ganz dem
Dienste Visnu’s. Däsa verzichtete auf jedes väterliche Erbe, so daß seine Nachkommen durch
Betteln ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Die Kaste wird gleich der der Sätäni durch
allerlei müßige Mitglieder der niederen Sudra-Klassen ergänzt, die, durch die Gurus von Tirup-
padi und anderer Schreine mit dem Brandmal versehen, dadurch Täsari werden. Einige Südra-
Kasten geben ihnen Bezahlung, damit sie bei Begräbnissen vor dem Leichnam ihre Lieder
singen; andere Täsari begleiten Pilgerzüge nach Tiruppadi, indem sie die religiöse Begeisterung
durch heilige Gesänge anreizen. Die Täder entsprechen den Ändi unter den Saivas. Über
das Verhältnis zwischen Täden und Ändi besagt ein Sprichwort folgendes: ändiyum tädanum
töndiyum kayirum „der Ändi und der Täden sind wie ein Wassertopf und sein Strick (ver-
einigt oder getrennt)“. Erwähnt sei auch folgende landläufige Redensart: ideiyändiyum kusattä-
danum illei „unter Hirten gibt es keinen Ändi, unter Töpfern keinen Täden“. Der Täden geht
bettelnd von Haus zu Haus, indem er Visnu und dessen Metamorphosen besingt. Um sich zu
begleiten, schlägt er mit der einen Hand auf eine flache, runde Trommel. Vgl. hierzu: tappei
adittavan tädan, sahgu üdinavan ändi „der Täden schlägt eine Trommel, der Ändi bläst eine
Muschel“. Sobald er einen Vers beendet hat, klopft er mit einem Stocke, den er zwischen
den beiden ersten Fingern der andern Hand hält, auf eine kupferne Platte, Segandi oder
Semakkalam genannt. Diese hängt ihm unterhalb des Handgelenkes herab und gibt einen
durchdringenden Ton von sich. Um die Fußknöchel trägt der Täden Ringe aus Kupfer, die
man Silambu nennt. Diese Ringe sind hohl und mit kleinen Kieselsteinen gefüllt, die viel
Geräusch verursachen und gleichfalls als Begleitung und Takt für Gesang und Tanz dienen.
Die Täder bekleiden sich gern mit gelbem Tuch. Wenn sie sich in den Dörfern vereinigen, haben
sie einen Anführer, der von den übrigen nur durch eine große, rote Mütze unterschieden ist.
Ihr Ende ist nach vorn umgebogen und läuft vogelkopfartig aus. Die andern Täder tragen oft
eine einfache Kopfbedeckung von gelber Farbe. Die Tamulen beschäftigen sich mit dem Täden
sehr häufig in ihren Sprichwörtern, von denen hier noch einige angeführt seien: ennadä tädä
purattäsimädam muppadum oru kandäyam „o Täden, die dreißig Tage des September (in
Tiruppadi) sind alles Tage der Einnahme“, ari endäl ändikkuk köbam, ara endäl tädanukkuk
köbam „wenn man Ari sagt, ist der Ändi wütend; sagt man Ara, so ist der Täden wütend“.1)
Figur 18 (IC 23 653 No. 245).
Ein Täden, an seiner (rot und grün gefärbten) Mütze als Anführer erkennbar. Eine der-
artige, im Besitz des Museums befindliche Mütze aus Tanjore (vgl. Abbildung auf Seite 149)
ist aus rotem Zeug gefertigt und 44 cm hoch. An der umgebogenen Spitze sind zwei Puscheln
I) Ari ist ein Beiname des Visnu (Vittunu), wie Aran ein solcher des Siva. Jede der beiden Sekten hält
den betreffenden Namen für heilbringend und seligmachend.
RELIGIÖSE BETTLER IN SÜDINDIEN
149
aus gelber bzw. violetter Seide angebracht. Die Verzierungen, aus aufgenähtem Stoff von
weißer, gelber und roter Farbe bestehend, stellen einen Diskus (cakra, sakkaram), einen Drei-
zack (Trisula) und eine Muschel (sahkha, sahgu) dar, also die Waffen bzw.
Abzeichen Visnu’s. Von der Mütze aus hängt dem Täden über den Rücken
hinweg ein Tuch herab. Bezüglich der Bemalung und des Schmuckes seien
die für die Visnuiten im allgemeinen geltenden Angaben Ziegenbalgs an-
geführt: „Sie machen auf der Stirn das Zeichen Tirunäma, bestreichen sich
mit roter Farbe Tiruccüranam und mischen das Sandelholzmehl mit gelber
Farbe, wenn sie sich damit bestreichen, welches Köbisandanam (Göplcan-
dana, weiße Erde von Dvärakä in Guzerat) heißt. Sie behängen sich auch
mit einer Perlenschnur Tulasimanittävadam (tulasi = Ocimum sanctum,
Basilienkraut; aus der weißen Wurzel werden Mani „Perlen“ zum Tävadam
„Halskette“ gemacht)“. Der Täden hält in der rechten Hand das Semakkalam,
in der linken die flache Trommel (Tappu). Über der linken Schulter trägt er ein Sembu.
Figur 19 (IC 23653 No. 246).
Die Tädacci, die Frau des Vorigen, hält in der rechten Hand eine Kette, in der linken ein
Sembu. Ihre Stirn ist gleichfalls mit dem Tirunäma bemalt.
Figur 20 (IC 23653 No. 315).
Der Velakku-Täden (von vilakku „Lampe“) hat ein Semakkalam und ein Tappu bei sich.
Er steht vor einer auf langem Ständer befindlichen Lampe, aus der zwei Flammen emporzüngeln.
Figur 21 (IC 23 653 No. 316).
Die Frau des zuletzt Genannten (velakku-täden pensädi) trägt in der linken Hand eine Schale.
In entfernter Beziehung zu den Täsari (Däsari) stehen die sogen. Gangedlu-Bettler (oder
Perumäl-Mädukkärer).1) Sie erwerben mißgestaltete junge Bullen und richten diese ab. Der-
artige Tiere sind sehr wohlfeil, da sie nach allgemeinem Aberglauben als unheilbringend an-
gesehen werden. Die Gangedlu-B. sind Visnuiten, und zwar gehören sie zum Südzweige
(Tengalei).1 2) Obgleich sie sich als Täsari bezeichnen, haben sie doch keine eheliche oder
andere Verbindung mit diesen. Der Gangeddu-Bettler ist gleich seinem Bullen malerisch ge-
kleidet. Er hält sehr darauf, seine Stirn mit dem Sektenzeichen zu bemalen, trägt beständig
einen Turban und umhüllt seinen Körper mit einem langen, weißen Tuche. Wenn die Gan-
gedlu-B. mit ihrem dressierten Bullen herumziehen, gehen sie gewöhnlich zu zweien; der eine
trägt eine Trommel, der andre ein Semakkalam. Einer von ihnen hält in der einen Hand die
Nasenschnur des Bullen, in der andern eine Peitsche. Die Bullen sind mit einer Steppdecke
(mit zwei Augenlöchern darin) bekleidet. Man gibt ihnen gern den Namen Räma oder Laks-
mana. Die Tiere scheinen das, was man zu ihnen sagt, zu verstehen und machen auf Befehl
ihrer Eigentümer allerlei Kunststücke. Das abergläubische Volk, das den Bullen eine gewisse
Heiligkeit zuschreibt, zahlt dafür an die Gangedlu-Führer.
Als letzte Gruppe unter den visnuitischen Bettlern seien die Sanniyäsi (Sannyäsl) genannt,
wörtl. Leute, die auf alles (sam) Verzicht (niyäsam) geleistet haben. Sie zerfallen in zwei
Klassen: Der Yegadandasanniyäsi (Ekadandasannyäsi, einer, der einen einzigen Stock trägt)
gehört zur Sumärttam-Sekte (Smärtas), die sich hauptsächlich auf die Smritis (Gesetzbücher)
stützt.3) Der Tiridandasanniyäsi, der ein Bündel von drei Stäben trägt und daher auch Muk-
köfbagaven (mu „drei“, köl „Stock“, bhagavant „erhaben“) heißt, betet Visnu (Vittunu) an und
1) Gangeddu bedeutet „Bulle der Ganga“; vgl. tel. yeddu (yedlu) und tarn, mädu = Bulle.
2) Der Südzweig Tengalei, bestehend aus Manavalas Schülern, verlängert die Mittellinie (beim Tirunäma)
bis über die Nasenwurzel, um sich vom Nordzweige Vadagalei zu unterscheiden.
3) Der Begründer der Sekte ist Sahgaräsäriyer (sahkara-äcärya).
Weiber verkleideten Neben-
tänzer beim Kuhtanz.
150
WILHELM PLANER!
ist zur Vaisnavam-Sekte zu rechnen, die in erster Linie die Vedas zugrunde legt. Die Sanni-
yäsi sind Süttirer, tragen mit rotem Ocker gefärbte Kleidung und lassen ihr Haar lang wachsen.
Sie behaupten, die Fähigkeit des Weissagens zu besitzen. Viele von ihnen sind verheiratet,
und ihre Nachkommen erwählen denselben Beruf. Die Sanniyäsi schmücken sich mit dem
Sälagräma (Ammonit), das dem Lingam der Siva-Verehrer entspricht. Beim Begraben einer
Leiche läßt man den Kopf zuerst frei, zerbricht ihn mit Kokusnüssen und überschüttet ihn
dann mit Erde. Es soll der Seele des Verstorbenen dadurch die Möglichkeit gegeben werden,
auf einem ehrenvolleren Wege aus dem Körper zu entweichen. Diese Art der Bestattung kann
sich jedoch nur auf die sivaitischen Sanniyäsi beziehen, da die Visnuiten ihre Toten zu ver-
brennen pflegen. Es scheint auch, daß die sivaitischen Sanniyäsi im Gegensatz zu den anderen
ihr Haar abrasieren.
(Figur 22 (IC 23 652 No. 137).
Der Läda-Sannäsi (sic!), der fast nackt geht, ist am Tirunäma als Visnu-Verehrer zu er-
kennen. Sein Kopf und Rücken sind mit Schnüren (vielleicht mit Filz verlängertes Haar) be-
deckt. In der rechten Hand hält er eine Schlafkrücke (bairägä). An seiner linken Schulter
hängt ein länglicher Korb herab. Die Fingernägel der linken Hand sind lang gewachsen und
zugespitzt. Die Läda (Läta) sollen infolge Hungersnot von Benares nach Maisür gekommen
sein, aber ihr Kastenname scheint zu beweisen, daß ihre frühere Heimat nicht in Benares,
sondern im südlichen Gujarät oder Lät Desh war. Buch an an berichtet, daß die Lädas haupt-
sächlich der Göttin Bhavänl (Durgä) opfern. Die Priester, welche Bombolas1) heißen, beob-
achten die Vorschriften der Sanniyäsi und gehen vollständig nackt. Ihre Schüler, die auch
Sanniyäsi sind, dürfen sich infolge geringerer Heiligkeit nicht ganz entblößen.
Im Räma-Tempel zu Ändavar-kövil (Kulittalai Taluq, Trichinopoly District) steht auch unter
anderen das Idol einer niederen Gottheit, die den Namen Läda Sanniyäsi führt. Es stellt einen
Gott gewordenen Zauberer dar, der kranken Leuten in ihren Träumen Medizin geben soll.
Figur 23 (IC 23 652 No. 138).
Die Frau des Läda Sanniyäsi, als Pitseikäricci (Bhiksäkän) „Bettlerin“ bezeichnet, trägt in
der rechten Hand ein Sembu.
Als letzte größere Gruppe treten uns die sogen. Püsäri gegenüber. Der Name Püsäri
ist aus Püsäsäri kontrahiert und von sanskr. Püjä „Verehrung“ abgeleitet. Die Püsäri gehören
zur Südra-Kaste und verrichten ihre Zeremonien in kleinen, nicht brahmanischen Tempeln.
Sie verheiraten sich und können aus ihrem Stande austreten, wann es ihnen gefällt. Das Amt
eines Pusäri kann jeder mit Ausnahme des Pareiyen (Pariah) übernehmen. Ist jemand krank,
so wird nicht selten die Hilfe gewisser Pusäri nachgesucht, welche dann die Ursache der
Krankheit dem Mangel an Ehrerbietung gegenüber irgendeinem Dämon zuschreiben. Sie be-
dienen sich bestimmter Aussprüche und Zeremonien, um den Kranken von dem Dämon zu
befreien. Hiernach opfern sie noch ein oder zwei Stück Geflügel zwecks gänzlicher Besänf-
tigung des bösen Geistes. Die Beschreibung der verschiedenen Arten von Püsäris soll nun
in der Weise gegeben werden, das zuerst die sich hauptsächlich aufs Betteln legenden und
zuletzt die mehr priesterlichen Charakter tragenden Pusäri Erwähnung finden.
Der Püsäri des MannärsvämT zieht in den Straßen umher und setzt sich an den belebten
Plätzen nieder. Er singt Loblieder auf Siva und Suppiramaniyen und begleitet sich mit dem
Silambu. Mehrere Akoluthen stehen ihm zur Seite. Der eine schlägt mit den Fingern auf
eine kleine Trommel, Udukkei (sansk. damaru) genannt, während die andern von Zeit zu Zeit
mit in den Gesang einstimmen, um die Aussagen des Püsäri zu bekräftigen. Dieser trägt in
einem Behälter Kuhmistasche bei sich, die er an die Almosengeber verteilt. Die Anhänger
1) = Pombada?; unter Pombada (Pambade) versteht man gewöhnlich eine bestimmte Sorte von Teufels-
tänzern im Tululande und in Süd-Canara (Kannada).
!Tir&LL<ffTCir)p&6UiruP
des Visnu-Kultes sind niemals Püsäri des Mannärsvämi, da sie behaupten, daß dieser Gott nur
eine Transfiguration des Suppiramaniyen, Sivas Sohn, sei.
Große, menschliche Figuren, die den Mannärsvämi sitzend darstellen, aus Mauersteinen
und Mörtel gefertigt und bemalt sind, finden sich in der Nachbarschaft der Lawrence Asylum
Press, Mount Road, und im Kottawäl bazar, Madras. Im Dorfe
Tirumalavayal bei Ävadi ist ein ähnliches Idol
zu sehen, das so hoch wie eine Palmyrapalme
ist und neben sich einen Schrein der Paccei-
yammen (grünen Mutter) hat. Mannärsvämi
wird besonders von den Palli (Vanniyer) ver-
ehrt, die von Beruf Landwirte sind. Er trägt
(vgl. nebenstehende Abbildung a; Räsa-mannär-
suvämi) in der rechten Hand eine Schlafkrücke,
einen Pfeil und eine Blume. Mit dem linken
Arm stützt er sich auf einen Stock und hält in der
linken Hand ein kurzes Schwert. Einen Bogen,
einen Köcher mit Pfeilen sowie einen runden
Schild führt der Mannärsvämi ebenfalls bei sich.
Der Püsäri des Dharma-Räja (Tarumaräsen)
kann sowohl der Visnu- als auch der Siva-
Sekte entstammen. Um die Leute anzulocken,
bedient er sich nur einer Glocke. Sein Weib
begleitet ihn mit Kastagnetten und ruft beim Ende jedes Verses: amma! „gib acht“, um über
das, was der Püsäri gesungen hat, ihren Beifall auszudrücken. Bisweilen führt er Bilder mit
sich, auf denen das Leben und die Kriege des Gott gewordenen Königs dargestellt sind, und
auf die er dann während seines Gesanges hinzeigt. Tarmafäsä (vgl. nebenstehende Abbildung b)
war ein unglücklicher König, dem es gelang, die Götter durch seine Tugenden zu rühren. Er
erlangte von ihnen viele Reichtümer, den Sieg über seine Feinde und schließlich die Apotheose.
Figur 24 (IC 27727 No. 152).
Der Angälammei-kovil-püsäri d. h. der Püsäri im Tempel (kövil) der Angälammei (Ahgä-
lammen) trägt einen rötlichen Turban. Seine Stirnbemalung
besteht aus drei wagerechten Strichen und einem gelben Punkt
darunter. In der rechten Hand trägt er eine Schale, in der
linken eine Glocke. Sein Gewand ist reihenweise mit Tuch-
stückchen besetzt. Der die Abbildung begleitende Text lautet:
angälammei-kovil-püsäri oru kaiyil maniyum oru kaiyir kabä-
lamum eduduk kondu pitseikkup pöradu „der Püsäri, in der
einen Hand eine Glocke (mani), in der andern einen Schädel
(kabälam) haltend, geht betteln“. Der Kaste (sädi, jäti) nach
gehört der Püsäri zu den Vanniyer.
Die Göttin Angäjammen (vgl. nebenstehende Abbildung)
ist eine von den Schutz- oder Landgöttinnen. Sie hat die
Wald-, Feld- und Hausteufel fern zu halten, damit sie von
den Menschen nicht Besitz ergreifen, noch ihnen sonst Übles
zufügen. Man stellt sie als vierarmig dar. In den rechten
Händen hält sie ein Schwert und eine Trommel (damaru), in
den linken die Hirnschale von Brahmas abgerissenem Haupte und eine Art Blume. Um die
Schultern trä°i sie einen Strick (päsa), mit dem sie die Seelen der Verstorbenen an sich zieht.
^ ?n
Baessler-Archiv I. 3.
152
WILHELM PLANERT
Figur 25 (IC 23653 No. 233).
Derselbe Pusäri wie der vorige, dem er in allen Stücken gleicht,
Figur 26 (IC 23653 No. 234),
Die Frau (pensadi) des zuletzt Genannten hält in der rechten Hand einen Stock, in der
linken eine Schale.
Figur 27 (IC 23653) No, 211).
Der Märiyammen-kövil-pusäfi d. h. der Pusäri im Tempel der Märiyammen balanciert auf
dem Kopfe mittels eines Stockes einen Topf, aus dem Margosablätter herausragen. In der
Linken hält er eine Trommel.
Märiyammen (von märi „Töten, tödliche Krankheit“ ab-
geleitet) ist die Göttin der Pocken, Masern und Blattern. Auf
dem Haupte (vgl. nebenstehende Abbildung) trägt sie eine
Krone, hinter der sich Flammen und Schlangen in die Höhe
recken. Die Göttin ist vierarmig und hält in der einen Rechten
die Trommel Damaru, in den beiden linken Händen einen
Dreizack (Trisüla) und die Hirnschale von Brahma’s Haupt,
das zu ihren Füßen liegt. Von dieser Hirnschale erzählt man,
daß sie alles Blut an sich zöge, das auf der Welt an Menschen
und Tieren vergossen wird, und dennoch niemals voll werden
könne. Die Märiyammen ist eine der neun Gespielinnen der
Paräsakti und wurde gleich den andern wegen ihres Hochmuts
aus der Seligkeit in die Welt verstoßen. Nach einer andern
Sage war sie das Weib des Weisen Dschanaka, verliebte sich
aber in einen Engel und wurde daher von ihrem Gatten ver-
flucht. Als ihr Haupt infolge des Fluches bereits von Flammen
verzehrt war, gelang es ihrem Sohne, den Vater zur Zurück-
nahme der Verwünschung zu bewegen. Er setzte dem kopf-
losen Körper das Haupt eines Ungeheuers auf und bestimmte,
als er die Brandflecke an ihrem Körper bemerkte, daß sie die
Göttin der Pocken werden sollte. Der Nimba- oder Margosabaum ist der Märiyammen heilig;
aus ihm ist ihr Wagen hergestellt, auf seinen Blättern ruht sie und liebt den Geruch seines Harzes.
Das Gelübde, das man der Märiyammen darbringt, enthält gewöhnlich das Versprechen,
einen irdenen Topf (karagam) auf dem Kopfe zu ihrem Tempel zu tragen.
Figur 28 (IC 23 653 No. 212).
Die Frau (peniijädi) des Pusäri schlägt eine große, flache Trommel.
Von den folgenden vier Pusäri, die sich ebenfalls dem Dienst der Märiyammen widmen
und zu ganz besonderen Festen ihre Zeremonien auszuüben scheinen, ist der dritte der Be-
gleiter des ersten und der vierte der des zweiten.
Figur 29 (IC 27 727 No. 154).
Der Pusäri, seiner Kaste nach ein Vanniyen, hält in der linken Hand eine
mit bunten Seidenschnipseln verzierte Trommel. Derartige Handtrommeln (vgl.
nebenstehende Abbildung) werden „Udukkei“ genannt. Sie ähneln in ihrer
Gestalt einer Sanduhr. An der Stirn des Pusäri sieht man drei weiße Striche
und darunter einen kleinen Kreis von gelber Farbe. Der der Miniatur bei-
gefügte Text lautet: püsäriy udukkei kaiyif pidittuk kondu picceiyedukkiradu
„der Pusäri, das Udukkei in der Hand haltend, geht betteln“.
IC 6311a.
Etwa Vs d. w. Gr. Hand-
trommel, aus Ton ge-
fertigt, schwarz lackiert
und mit Schlangenhaut
bespannt. Madras.
153
RELIGIÖSE BETTLER IN SÜDINDIEN 153
Figur 30 (IC 23 653 No. 286).
Der Püsäri ist derselbe wie der vorige. Er trägt einen roten Turban. Die Unterschrift
(udukkeiy adikkira püsäri) besagt, daß er auf dem Udukkei spielt, das er in der linken Hand hält.
Figur 31 (IC 27727 No. 155).
Der Träger des Karagam (karagam edukkiraven) begleitet, wie oben erwähnt, den
Püsäri (sub Figur 29). Der erklärende Text ist der folgende: oru kaiyir kattäriyum oru
kaiyir pirambum veppileiyum yeduduk kondu.........pitseiyedukkiradu „in der einen Hand
ein Schwert (kattäri), in der andern einen Stock (pirambu) und Margosablätter (veppilei)
haltend, bittet er um Almosen. Das Karagam, das der Püsäri auf dem Kopf trägt, wird
(oft in Blumen) verhüllt und oben mit einer Zitrone geschmückt. An der Spitze des
Schwertes steckt ebenfalls eine Zitrone. Ein im Besitz des Museums befindliches
Pirambu (vgl. nebenstehende Abbildung) besteht aus Rotang und ist mit Silber- oder
Weißblech umwickelt. Die Stirn des Püsäri ist mit drei gelben Strichen und einem roten
Kreis bemalt. Auch an Brust und Armen sind Striche von gelber Farbe sichtbar.
Figur 32 (IC 23 653 No. 285).
Der Püsäri, der mit dem vorigen identisch ist, trägt das Ammen-Kafagam unter
einer kegelförmigen Hülle, die mit einer Zitrone sowie mit bunten Fähnchen verziert *=*
ist. In jeder Hand hält er ein Schwert, dessen Spitze mit einer Zitrone versehen Pirambu, 106
ist. Es ist wahrscheinlich, daß unter einer solchen Art von Karagam die Märiyammen “Madras^
selbst dargestellt und verehrt werden soll.
Es seien schließlich noch zwei verschiedene Bettler angeführt, die den Übergang zu den
Selbstpeinigern schlimmer Art bilden. Unter den Näyer ist es üblich, ein Mundschloß anzu-
legen, wenn sie nach Palani pilgern. Desgleichen finden sich unter den Visnu-Verehrern einige,
die mit einem solchen Schloß am Munde herumziehen. Solche Palani-Pilger durchbohren ihre
Wangen mit einer silbernen Nadel, die die Mundhöhle durchquert. Außerdem durchstechen
sie die Zunge mit einem silbernen Pfeil, der senkrecht zu dem vorgestoßenen Organ steht,
und hängen ein silbernes Schild vor den Mund, so daß er nicht geöffnet werden kann, aus-
genommen wenn sie Milch trinken. Einige Täsari haben in ihren Wangen dauernde Löcher,
in die sie die Nadeln stecken, wenn sie umherziehen und ihre Zeremonien verrichten.
Figur 33 (IC 23 653 No. 303).
Der Väyipüttukären trägt am Munde ein Schloß, das den Namen Väyppüttu führt. Er ist
am Tirunäma als Visnuit erkennbar. Seine Mütze ist rot gefärbt und hat grüne Seitenteile.
Der Bettler hält in der rechten Hand eine Schale.
Figur 34 (IC 23653 No. 304).
Die Frau (pensädi) des Väyipüttukären hat sich ebenfalls die Stirn mit dem Tirunäma bemalt.
Figur 35 (IC 23653 No. 235).
Der Bettler trägt um den Hals ein eisernes Gitter, welches Arigandam genannt wird. Das
Wort ist nach Rottier von ari „Feind“ abgeleitet. Die Bemalung an Stirn, Brust und Armen
besteht immer in je drei parallelen Strichen. Der berühmte Prophet Agastiyer (Agastya) wird
gleichfalls mit dem Arigandam um den Hals abgebildet.
Figur 36 (IC 23 653 No. 236).
Die Frau des Vorigen hat sich in derselben Weise bemalt. In der rechten Hand trägt
sie eine (wahrscheinlich nachgemachte) Blume.
Möchte die kleine Arbeit an ihrem Teile dazu beitragen, für das von den Ethnographen
so stiefmütterlich behandelte Südindien wieder einiges Interesse zu erwecken! Zum Schlüsse
sei es mir gestattet, meinem verehrten Chef, Herrn Prof. Grünwedel, für seine bereitwilligst
gewährte Unterstützung meinen ergebensten Dank auszusprechen.
Kiiü
m
20*
»
LITERATUR.
Außer den bereits angeführten Büchern wurden noch folgende benutzt:
C. Best, Briefe über Ost-Indien, das Vorgebirge der guten Hoffnung und die Insel St. Helene. Leipzig, 1807.
F. Buchanan, A journey from Madras through the countries of Mysore, Canara and Malabar. London, 1807.
Chabrelie et Burnouf, l’Inde française, Paris 1827.
Gover, The Folk-Songs of Southern India. Madras, 1871.
Hemingway, Gazetteer of the Trichinopoly District. Madras, 1907.
F. Kittel, A Kannada-English Dictionary. Mangalore, 1894.
J. P. Lewis, Slang of Tamil Castes. The Indian Antiquary. Vol. 19.
L. Mateer, Native Life in Travancore. London, 1883.
S. Miley, Canara Past and Present. Madras, 1884.
Q. Oppert, Die Gottheiten der Indier. Zeitschr. f. Ethn. 1905.
Renouard de Sainte-Croix, Voyage aux Indes orientales.
I. P. Rottier, Dictionary of the Tamil and English Languages. Madras, 1834—41.
E. Thurston, Ethnographie Notes in Southern India. Madras, 1906.
Vinson, Ethnographie Dravidienne: Les castes du sud de Tlnde. Revue Orientale, 1867.
Watson and Kaye, The People of India. A Series of Photographic Illustrations of the Races and Tribes
of Hindustan. With Descriptive Letterpress by Col. Meadows Taylor. London, 1875. Vol. VIII.
Ziegenbalg, Genealogie der malabarischen Götter. Erster, ungeänderter, notdürftig erweiterter Abdruck
besorgt durch Dr. Wilhelm Germann. Madras, 1867.
Lettere SulT Indie Orientali. Filadelfia, 1802.
I
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BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA.
NACH HINTERLASSENEN AUFZEICHNUNGEN VON A. KARASEK.
HERAUSGEGEBEN VON AUGUST EICHHORN.
I.
A. Karasek, der eine Reihe von Jahren in verschiedenen Orten Usambaras sich auf-
gehalten hat, ist im Frühjahr 1910 verstorben. Er war kein Ethnograph von Fach, doch zeich-
nete ihn scharfe Beobachtungsgabe und tiefes Verständnis für die Psyche der Waschambaa
aus. Es ist sehr zu bedauern, daß er seine zahlreichen Notizen nicht selbst zu einer Gesamt-
darstellung hat verarbeiten können; es liegt nur ein Teil einer nicht druckfertigen Stoffsamm-
lung vor. Nach Möglichkeit hat der Herausgeber den Charakter der Karasekschen Nieder-
schriften gewahrt und die Sichtung und Anordnung des Materials in Anlehnung an die Dispo-
sition vorgenommen, die Prof. F. v. Luschan der „Anleitung für ethnographische Beobach-
tungen und Sammlungen in Afrika und Ozeanien“ zu Grunde gelegt hat.
STATISTIK. WOHNSTÄTTEN UND EINRICHTUNG.
Geographische Angaben fehlen bei Karasek; zur Statistik bemerkt er: Die behördliche
Anordnung, betreffend Vereinigung der Wohnstätten, hat zur Folge gehabt, daß die früher nur
aus 3 bis 4 Hütten bestehenden Weiler der Waschambaa zu größeren Ortschaften zusammen-
geschlossen wurden; die Wirkung war: Rückgang der Landwirtschaft; denn die bisher an-
gebauten Flächen wurden wegen zu weiter Entfernung in der ursprünglichen Ausdehnung nicht
mehr kultiviert. Jetzt hat ein Dorf durchschnittlich 25 Hütten; dagegen zählen die Häuptlings-
Residenzen Wuga, Bumbuli, Bungu und Mlalo über 100. Weiler von nur 3 oder 4 Hütten
sind eine Seltenheit geworden; sie werden zumeist von Wapare oder Wambugu bewohnt.
Mit Vorliebe werden die Dörfer auf Bergrücken und Bergnasen, an Hügeln und Berg-
lehnen um des trockenen Baugrundes willen angelegt; das Wasser muß man unter Umständen
aus einem einige hundert Meter entfernten Bache herbeiholen. In alten Zeiten erbaute man
die Ortschaften an sehr schwer zugänglichen Stellen, entweder auf steilen Berggipfeln oder
im dichten Busch; gegenwärtig, wo dank der deutschen Verwaltung so große Sicherheit im
Lande herrscht, daß, wie die Eingeborenen sagen, ein kleines Mädchen nach Wuga gehen
kann, legt man Siedelungen auch in den Niederungen an.
Bestimmte Regeln für die Dorfanlage existieren nicht. Die Hütten gruppieren sich un-
regelmäßig um ein Zentrum; sämtliche Türen sind dem Dorfinnern zugekehrt. Liegt eine Ort-
schaft an einem schmalen Bergrücken, so läuft die Straße auf ihm entlang und die Hütten
ihr parallel.
Verschiedene Mittel werden angewandt, um einem Dorfe eine versteckte Lage zu geben;
das einfachste ist: man läßt den Busch rings um den Ort stehen; der Zugangsweg ist gewunden.
Die Pflanzungen befinden sich dann nicht in unmittelbarer Nähe der Ortschaft. Solche Busch-
dörfer werden leicht übersehen, wenn kein kundiger Führer zur Verfügung steht; bei einem
plötzlichen Überfalle ist das Entschlüpfen in den angrenzenden Busch erleichtert. Wenigei
zweckmäßig wird ein Ort durch Anlage einer lebendigen Heckenumzäunung maskiert, denn in
kahlen und trockenen Gegenden wirkt dieser saftgrüne Zaun gleichsam als ein Ausrufungs-
Baessler-Archiv i. 4/5. 21
156
KARASEK-EICHHORN
Dor{ IVCrA RADI Hang Anlage .
:/ :
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Mai. 5
\.-*
Fig. 1.
Zeichen. Und doch soll er zweifellos zur Verdeckung des Dorfes dienen, da der Zugangsweg
so gekrümmt verläuft, daß man die Häuser erst sieht, wenn man unmittelbar vor ihnen steht.
Vielleicht dienen diese saftigen Hecken auch als Schutz gegen Steppenbrände und nicht bloß,
wie die Eingeborenen angeben, zur Verhinderung des Ein-
dringens von Ziegen in die anstoßenden Pflanzungen,
Als Heckenpflanze wird um ihres schnellen Wachstums
willen tugutu, eine großblättrige, strauchartige Acanthacee ver-
wendet; hie und da trifft man auch mwumo1) eine Ficus-Art;
ferner die schnellwachsenden Sträucher aus der Klasse der
Labiaten wie z. B. alake, meugwe; sodann die rosablühende
Bixa Orellana; eine strauchartige Euphorbiacee (lingo-lingo);
endlich Jatropa curcas, eine doppelt wertvolle Heckenpflanze.
Fig. 1, Dorf Ngaradi gibt ein Beispiel für die Anlage eines
Orts an einem Hang. Fig. 2 zeigt eine Anlage auf einem
Hügel. Bei diesem Dorfe Kerei haben die Waschambaa die
Umgebung vortrefflich zur Maskierung des Ortes zu benutzen
verstanden. Das Dorf, in der Landschaft Bumbuli gelegen, ist
alt und dadurch bemerkenswert, daß es von den Wakilindi
nicht betreten werden darf. Kommt man auf dem Fußpfade
von Ngaradi her, so nähert man sich der Seite des Dorfes, die
von der Natur gegen einen feindlichen Überfall nicht geschützt
ist; von weither ist Kerei zu überblicken bei dem sehr lichten Buschbestand der Hänge. Je
näher dem Ort, um so dichter wird der Busch und wechselt mit Wald ab; plötzlich beginnen
die Hütten zu verschwinden. Unfehlbar würde man an Kerei vorüber nach Nguelo zu gehen,
machte nicht ein orts-
kundiger Führer auf
eine nur schmale Öff-
nung im Busch auf-
merksam. Sie führt zu
einer Erdspalte von
einem Meter Breite
und dreifacher Höhe
mit steil abfallenden
Wänden. Schlangen-
artig windet sich an
vierzig Meter der Pfad
zwischen den hohen
Erdmassen hin. An
seinem Ende steht
man unversehens vor
dem mafingo (Dorf-
zauber), und es grü-
ßen die Hütten, Wie
enorme Ausschachtungsarbeiten hat der kunstvolle Zugangspfad erfordert!
Kerei besteht aus 23 Hütten (ya mundi); auf abgegrabenen Terassen von durchschnittlich
ll/2 m Höhe sind sie erbaut. Einst standen wohl auch auf der obersten Terasse Hütten; jetzt
hier zu weilen bringt Unglück (muiko des Dorfes). Auf der Situationsskizze bezeichnet J die
1) Durchweg ist die von Karasek gebrauchte Schreibweise beibehalten worden, zumal er eine große Reihe
von Wörtern angibt, die das mir zur Verfügung stehende Vokabular nicht enthält.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
157
Hütte des Häuptlings; M das Jünglingshaus mbueni, das ausnahmsweise in der Mitte des Ortes
gelegen ist; G das Frauenhaus; К = kitala, Häuser des Jumben. Zwei mächtige mwumo -
Bäume (m) laden zum Ruhen und Plaudern in ihrem Schatten ein.
Wie erwähnt, ist in der Regel vor jedem Dorfe ein Schutzzauber mafingo, gereta usw.
angebracht. In früheren Zeiten war der Eingang des Ortes mit Palisaden bewehrt; nahe dem-
selben liegt ein großer Abfallhaufen (kishumo) — ein Charakteristikum für jedes Dorf. Gleich-
falls charakteristisch sind (vgl. Kerei) ein oder zwei Schattenbäume, entweder am Eingang
oder inmitten des Ortes; hier ruhen Erholungsbedürftige sich aus, hier rasten die Herden über
Mittag, hier werden wichtige
Angelegenheiten gemeinsam
besprochen. Die Grenze zwi-
schen dem Dorf und den Fel-
dern bildet ein Zaun, der sich
von Hütte zu Hütte in der
Weise zieht, daß das Halbrund
der Hütten selbst die Grenze
nach der Pflanzung zu abgibt.
Was den Hüttenbau an-
langt, so ist die alte echte Waschambaa -Hütte (mundi)
(Fig. 3) von bienenkorbähnlicher Gestalt; der kreisrunde
Durchmesser beträgt 5-6 m, die Höhe ungefähr 7 m.
Soll eine Hütte gebaut werden, so wird der Grundriß in
der Art auf den Boden gezeichnet, daß man an einem
Stock oder Pflock im Zentrum des Bau-
platzes das eine Ende eines Bindfadens be-
festigt, diesen spannt und mit einem am
anderen Fadenende angebundenen Hau-
messer die Grundlinie zieht. Mit einem zu-
gespitzten Pflock hebt man die Erde in
der Richtung dieser Kreislinie aus, steckt
abwechselnd stärkere und dünnere Stäbe —
das Gerüst für die künftigen Wände — in
den kleinen Graben und stampft die aus-
gehobene Erde wieder ein. Die Stäbe werden durch außen und innen wagerecht‘) angebundene,
biegsame Ruten (Fig.4), die man mit Lianen (lingo-lingo Paullinia) oder Bast befestigt, zu einer
Art Fachwerk verbunden. Ist dieses bis zur Höhe von 2-2% m hergestellt, so richtet man im
Zentrum des Grundrisses zwei oben gegabelte Stämme auf, ebenso je einen in der Peri-
pherie, doch so, daß man in die in gleicher Richtung stehenden Gabelungen dieser vier Pfähle ein
Querholz legen kann. Auf dieses wird in der Mitte, also über den beiden Mittelstützen, ein
Dachpfahl, der unten mit einer Kerbe versehen ist, aufgesetzt und zunächst durch einige Stäbe
aufrecht erhalten. Nun schiebt man weitere Stäbe in die Seitenwände ein, bindet Querruten
an und biegt schließlich das Gerüst zentripetal, um die Dachwölbung zu erzeugen. Der Dach-
pfahl des bienenkorbförmigen Baues wird an vier kreuzweis in die Dachhöhlung eingefloch-
tenen Holzstücken (kingango) festgebunden, um ihn unverrückbar zu halten. Zur Bedeckung
der Hütte benutzt man trockene Bananenblattscheiden (mlamba) oder grobes Gras, doch letzteres
nur ungern. Ist diese Arbeit von der Dachspitze bis zur Querbalkenlage gediehen, so be-
ginnt das Verputzen der Hüttenwandung. Sie wird bis zwei Meter Höhe oder wenig darüber
1) Bei den nisonge-Häusern verläuft die Befestigung der Querruten nicht in wagerechter, sondern in
senkrechter Richtung (Fig. 5).
Fig. 3.
21*
158
KARASEK-E1CHH0RN
mit Lehm von innen und außen verstrichen. Nach dem Abtrocknen findet erneutes Verputzen
statt, um die Trockenrisse der Wand zu beseitigen; wo letztere den Erdboden berührt, bindet
man aufrechtstehende Grasbüschel an.
Nunmehr wird ein Vorraum (muhindolo) angebaut. Sein Grundriß ist sichelförmig, das Dach
ragt wenig über und reicht nie bis zum Boden; oft stützen schief eingerammte Pfähle das Dachende.
Die Dichtung dieses Vorbaues geschieht ebenfalls mit Lehm. Grasbüschel werden am Wand-
sockel nicht angebracht.
Beim Innenbau der Hütte ist das Wesentlichste der Bodenraum (talai), er dient zur Auf-
bewahrung der Ernte, von Vorräten u. a. m. Von kleineren Ausstattungsarbeiten kommt zu-
nächst das Zimmern des Pfahlbettes (msasa), einer Art Pritsche, in Betracht; sie befindet sich
nahe dem Eingang und nimmt, da sie der ganzen Familie als Schlafstätte dient, durchschnittlich
ein Viertel des Hüttenraumes ein. Sie hat Rechtecksform. Auf vier eingelassenen Gabelpflöcken
ruhen zwei schwächere Stämmchen, auf denen flachbehauene Stammstücke von einer leichten Holzart
oder Raphiablattstiele nebeneinander gelegt sind. Letztere werden bevorzugt, da Rille und Wölbung
sich gut zusammenfügen lassen. Unter dem „Bett“ ist gewöhnlich ein Holzvorrat aufgespeichert.
Zwischen der Schlafstatt und der Feuerstelle (mafigo) nahe den Mittelpfählen der Hütte,
Fig. 6.
bleibt ein 3/4—1 m breiter Gang. Der Herd besteht entweder aus drei flachen Steinen, die
in Dreiecksform so aneinander gelehnt sind, daß der eine dem Anbrennen der Hüttenpfähle
vorbeugt, oder aus einem Stein und zwei umgekehrt in den Boden eingelassenen Töpfen.
Seltener ist die Feuerstelle an der dem Eingang gegenüberliegenden Wand angebracht.
Erwähnenswert sind zwei Gestelle (megoschi); das größere befindet sich gegenüber dem
Eingang, das kleinere (kuschaga), eine Art Hängebrett, über dem Herd etwa 10-20 cm unter
dem talai. Verschiedenerlei Gegenstände liegen auf diesen Gestellen, auf dem kleineren nament-
lich Salz, Gewürze, Rauchfleisch usw.
An Mobiliar sind nur einige Stühlchen vorhanden.
Den übrigen Innenraum der Hütte, gut die Hälfte bis an dreiviertel, nimmt der Viehstall
(ngoi) ein; seine Grenze gegen den Wohnraum bildet ein auf dem Erdboden liegender Stamm,
der oft auch erhöht angebracht ist. Seltener stellt man eine Scheidewand aus Fachwerk
her, an der zuweilen ein kleiner Vorrat von Holz lagert. Im Stallraum sind Pflöcke in den
Boden geschlagen, an denen Stricke mit Schlingen für die Ziegen und Schafe - diese werden
an den Füßen angebunden - befestigt sind.
Der Vorbau der Hütte dient zur Aufbewahrung von Holzmörsern, Töpfen aus Ton, ge-
flochtenen Körben; hier befindet sich auch in riesigen Töpfen der Wasservorrat.
Außer der zznmciz-Konstruktion kennen die Waschambaa zwei Arten von Hütten, die sie beide
mit banda bezeichnen (Fig. 6). Charakteristisch ist der viereckige Grundriß und das Giebeldach.
Diese Bauart ist seltener in den Bergen, und hier nur bei reicheren Besitzern und zugewanderten
Küstenleuten, dagegen häufig in tieferen Lagen sowie in den Ebenen von Usambara zu finden.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
159
.O N n Z N
Die eine banda-Form gleicht den Häusern im Stil der Küste von Deutsch-Ost-Afrika,
also mit rechteckigem Grundriß, mit einer die ganze oder doch einen Teil der Hauslänge
einnehmenden barasa und mit einem Firstbaum, der so lang wie die ganze Hütte ist. Die
Tür befindet sich gewöhnlich in der Mitte der Längswand, ein Mittelgang teilt das Hütteninnere
in zwei Abteilungen, deren jede wieder aus zwei Räumen besteht. Seltener ist die Eingangstür
nahe einer Hausecke angebracht; der Hüttenraum besteht dann aus einem Vordergemach, das
als Wohnung und Küche, und einem hinteren Abteil, das als Schlafgemach benutzt wird. Zu-
weilen ist auch eine zweite Tür angebracht. Die an der Küste gebräuchliche Erhöhung der
barasa sowie die Einzäunung des Hofes findet sich in Usambara nur selten.
Die andere banda-Form weist auch rechteckigen Grundriß auf, doch sind die Hüttenecken
abgerundet; diese Hütten sind nicht sorgfältig gebaut und etwas kleiner als die vorgenannte
Art. Der Firstbalken hat nur die halbe Hüttenlänge; zwei Dachstützen, die auf dem Haupt-
mittelbalken stehen, tragen ihn. Diese Bauweise ist in den mittleren Lagen von West-Usam-
bara sehr häufig, das Hütteninnere gleicht dem dermnnrfz-Hütte.
Die Wasch am baa, die viel Großvieh besitzen, errichten
auch Hütten im Wambugu-und Wahare-Stil, sogenannte
kande. Ihr Grundriß ist kreisförmig, sehr selten oval, die
Hütte höher als breit, für das Dach sind die kingango charak-
teristisch; zum Bewurf der Wände dient ein Gemisch von
Erde und Mist. Die Inneneinteilung entspricht der der
mundi-Hütte. Links vor der Tür vieler Hütten ist ein manns-
hoher Stock in den Boden getrieben, um morgens und abends
Rinder dort anbinden zu können.
Außer dem Hüttenbau der Waschambaa hat Karasek
auch den ihrer südlichen Nachbarn, der Wasegua, be-
schrieben; seine Aufzeichnungen lassen Übereinstimmung
und Abweichung in den beiderseitigen Baukonstruktionen
deutlich erkennen und sollen deshalb hier Erwähnung finden.
Die typische Wasegua-Hütte (msonge) (Fig.7) ist ein kreisförmiger1) Bau mit einem Durch-
messer und einer Höhe bis zu 5 m. Um den Hauptbau läuft in einer Entfernung von 2 m ein
konzentrisch angelegter Vorbau (lukomela), der jedoch selten in ganzer Ausdehnung die Hütte
umschließt; in der Lücke der Umfriedigung (iuai, mzengwe kish.) sind Vorräte trocknen
Holzes aufgestapelt.
Die Baukonstruktion der Hütte selbst ist im wesentlichen die bei den Waschambaa
gebräuchliche. Zwei oben gegabelte Pfosten stehen in der Mitte des Hüttenrundes, auf ihnen
ruht der horizontale Mittelträger für den talai, dem der Dachträgerpfahl aufsitzt. Die Wände
sind aus Fachwerk hergestellt, der Bewurf aus einem Gemisch von Lehm und Mist. Bei der
Erbauung der Hütte nimmt man zunächst die runde Innenseite in Angriff. Oft erst nach Jahren
wird sie, wenn die Familienverhältnisse es erfordern und das Vermögen es gestattet, durch den
Vorbau (lukomela) erweitert. Seine Dachstützen bilden gegabelte Träger, die an den hervor-
ragenden Köpfen der Balken des talai befestigt werden.
Zum Schutz des Holzwerks eines neuerbauten Hauses gegen Insektenfraß werden Zweige
und Früchte von pile-pile aufs Feuer gelegt, um mit ihnen im Hause zu räuchern.
Die Türöffnung (kifigwe) ist im Lichten 1 m breit und nur 1% m hoch, so daß man in
gebückter Stellung die Hütte betreten muß; die Türe (luvr) läßt sich wegen des überhängenden 1 2
Fig. 7.
1) Karasek betont, daß von einem schneckenförmigen Grundriß der Wasegua-Hütte in den Landschaften
West-Usambara, im Luengera Tal und in den Niederungen nahe den Usambara-Bergen keine Rede
2) luvi = Chamäleon weist nach Karasek auf die Möglichkeit hin, daß die Türe wegen ihrer pendeln-
Bewegung, wie sie für das Chamäleon charakteristisch ist, diesen Namen erhalten habe.
160
KARASEK-E1CHHORN
Vordaches nicht nach außen zu öffnen; man stellt sie aus Flechtwerk her, das mit Lehm und
Mist überstrichen wird. Ursprünglich wurde dieses Flechtwerk, was heutigen Tags auch noch
hin und wieder geschieht, nur vor die Türöffnung vorgesetzt.
In älterer Zeit sind wahrscheinlich gleichlange, horizontal gelegte Baumfarnstämme, die
durch drei durchgesteckte Hölzer zusammengehalten wurden, zur Herstellung des Türkörpers
verwendet worden (nach Karaseks Beobachtung in Ngurui) (Fig. 8).
Andere Türen bestehen aus vertikal gestellten Holzstücken, die oft roh nebeneinander
gefügt (Fig. 9), zuweilen auch mit Axt und Messer behauen sind (Fig. 10); zwei bis drei
durchgesteckte Querstäbe (mlumbue) halten die Hölzer fest zusammen. Die gleiche Her-
stellungsmethode wird bei Benutzung der Blattrippen der muale-Palme
(Raphia) angewandt. Diese Türen sind ziemlich leicht.
Den Türrahmen bilden die beiden Türpfosten (magogo) und die obere
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iÄA/kAAJ
Fig. 9.
Fig. 11.
6
Fig. 10.
Fig. 12.
Fig. 13.
Fig. 14.
und untere Schwelle, (kisingisi), die zuweilen fehlt. Alte Hütten haben als Bodenschwelle einen
Gabelast; die Gabelung umfaßt den einen Türpfosten, ein Einschnitt in dem anderen Astende
paßt sich dem zweiten Pfosten an (Fig. 11). In neuerer Zeit dagegen wird als untere Schwelle
ein vierkantig behauener halber Baumstamm verwendet, dessen rechtwinklige Einschnitte an
den Enden den Türpfosten anliegen. Noch jünger ist die Herstellung der Schwelle an einem
mit zwei Stufen versehenen Baumstamm, in dessen eines Ende ein Loch eingelassen ist,
worin der Türzapfen sich dreht (Fig. 12).
Was die Aufhängung der Türe anlangt, so entspricht dem unteren Türzapfen ein Loch
oben in der Türachse (kiga), durch das eine im Dachfachwerk befestigte Schlinge läuft. Eine
andere Art der Türbefestigung, die auch in den echten Waschambaa-Hütten häufig zu finden
ist, besteht im Anbringen eines unteren und oberen Zapfens an der Türachse;
letzterer bewegt sich in dem Loche eines an der oberen Türeinfassung befestigten
flachen Holzstückes (mtamlamu), das sich nach der Mitte zu verjüngt und am
anderen Ende gleichfalls mit einem Loche versehen ist; dieses dient zum Durch-
stecken eines Pflockes, der das Öffnen der Türe von außen her verhindert (Fig. 13).
Ein anderer Türverschluß von innen her besteht im Anlehnen einer Stange
an die Tür, deren Ende sich gegen den Hauptpfosten der Hütte stemmt (Fig. 14).
Wo neuere und sorgfältigere Bauart angewandt ist, stehen neben dem Tür-
rahmen hinter der Schwelle zwei Pfosten, die mit ein bis zwei Löchern in gleicher
Höhe über dem Boden versehen sind, um Querhölzer zum Türverschluß durchschieben zu können.
Von außen wird die Türe, wenn die Hüttenbewohner auf dem Felde oder auf Reisen sind,
in der Weise verschlossen, daß durch eine Schlinge, die in der Mitte der Tür angebracht ist,
ein Querholz (muhingulo, muhindo) oder auch das Mörserpistill durchgesteckt wird (Fig. 15).
Zum Offenhalten der Tür benutzt man gewöhnlich einen Stein, den man unter sie schiebt;
einmal sah Karasek auch ein dreibeiniges Holzstück (kihanda) zu diesem Zweck gebraucht.
Durch die Hüttentür gelangt man zunächst in den Vorbau (lukomela). Radial verlaufende
Wände mit Türöffnungen trennen ihn in mehrere Abteilungen (kihara), von denen jede einem
Fig. 15.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA 1
161
besonderen Zweck dient, eine zur Aufbewahrung von Vorräten, eine andere für Geräte usw.
Rechts nahe der Tür befindet sich der Herd (a), aus drei Steinen oder umgekehrten Kochtöpfen
bestehend. Küchengerät, Wassertöpfe, Holzmörser, Feuerungsmaterial u. a. m. liegt umher; an
den Wänden hängen Hühnerkörbe und Zauberbeutel, dazwischen Büschel von Kräutern zur Be-
arbeitung von Saucen. Da in diesem Raume der Gast empfangen und bewirtet wird, stehen
hier einige Stühlchen, zuweilen ist eine Sitzbank (b) aus Lehm (fumbi) angebracht; statt der
Bank oder Stühle befindet sich hier hin und wieder ein Bett.
Schräg gegenüber der Eingangstür öffnet sich die Tür zum Hütteninnern; eine Wand aus
aufrecht stehenden Holzstücken, die zuweilen auch mit Lehm verputzt ist, trennt es in zwei
Räume: den Stall für die Ziegen oder Schafe — die Kühe stehen im lukomela — und eine
zweite Küche mit Herd (aa), Küchengerät und einem Bett (c). In der typischen Wascham-
baa-Hütte findet man immer nur einen Herd; bei den Wasegua dient der zweite ausschließ-
lich der Bereitung der Zuspeise (mboga), während der Herd im lukomela zur Bereitung der
Hauptspeise (ugali), zum Kochen von Bananen usw. benutzt wird; gilt es besonders wichtige
Angelegenheiten geheim zu beraten, so muß die Hausfrau, die sonst ausschließlich hier waltet,
das Feld den Männern räumen.
Neben der Tür stellt man die Stöcke ab; auf Holzpflöcken in der Wand hängen Bogen,
Pfeile, Musikinstrumente, Kränze aus Bananenblattscheiden, die als Unterlagen für die
schweren auf dem Kopfe getragenen Wassertöpfe dienen, sowie einige trockene Spindeln von
Maiskolben, um sie zum Reinwischen der kleinen Kinder bei der Hand zu haben. Ein Loch
im Boden nahe der Tür benutzen die Hühner zum Auslaufen; an der anderen Türseite ist ein
Topfscherben eingelassen und mit Stäbchen umzäunt, die Tränke für das Federvieh. Sehr oft
wird hier auch Hühnerzauber fingo angebracht.
Soviel von der typischen Wasegua-Hütte. Wir kehren zu den Waschambaa-Baulich-
keiten zurück. Die Christenhäuser weisen den Typus der Häuser an der Küste auf; sie sind
solid gebaut, gut beworfen und mit Kalk weiß getüncht; sie könnten als Muster dienen, aber
der Durchschnitts-mschambaa macht sich weder die Mühe noch hat er das nötige Geld,
solche Bauten aufzuführen.
Es erübrigt einige Baulichkeiten der Waschambaa zu erwähnen, die Sondermerkmale
oder eine Sonderbestimmung haben. So hat der Häuptling gewöhnlich eine sorgsamer her-
gestellte Wohnstätte als die anderen Dorfbewohner. Große Jumben, die mehrere Frauen haben,
vereinen ihre Hütten zu einem Gehöft kitala; mit letzterem Wort wurde ursprünglich nur die
Umzäunung bezeichnet, im weiteren Sinne wird es auch für Gehöft gebraucht, wie aus der
Frage in der Begrüßungsformel hervorgeht: ho kitala?
Unter den Baulichkeiten innerhalb des Häuptlingsgehöfts ist von Wichtigkeit das Haus
der Hauptfrau (numba kula), für dessen Bau und Besuch folgende Regeln (muiko) gelten: 1. die
ganze Hütte muß in einem einzigen Tage gedeckt werden. 2. Das Deckmaterial darf nur aus
malamba ga mahuti (Banane) bestehen. 3. Hat man die Hütte betreten, so nimmt man erst
Platz und begrüßt dann die Hauptfrau. 4. Der Eingetretene darf sich nicht anlehnen. 5. Es ist
nicht gestattet in der Hütte im Stehen zu essen.
An sonstigen Baulichkeiten mit Sonderbestimmung sind hervorzuheben: das Frauenhaus
und das Jünglingshaus.
Ersteres (gane) ist bereits aus den meisten Ortschaften verschwunden. Nach Anschauung
der Waschambaa schickt es sich nicht, daß eine entwickelte Jungfrau unter einem Dach
mit dem eigenen Vater schläft; daher wohnen die Mädchen des Dorfes bis zu ihrer Verheira-
tung im Frauenhaus; außerdem finden hier geschiedene sowie fremde ledige Frauen Unterkunft;
Verheiratete dagegen dürfen nur bei Verheirateten schlafen. Da heutigen Tags im gane häufig
Anstößigkeiten Vorkommen, ziehen viele Mädchen es vor, bei Verwandten zu nächtigen; geradezu
tongulo (tongolo) „Bordell“ wird jetzt vielfach das Frauenhaus genannt, wiewohl, wenn ein un-
162
KARASEK-EICHHORN
verheirateter Mann hineinschlüpfen will, die Mädchen Lärm schlagen und die Alten den Ein-
dringling hinausweisen.
Ein Jünglingshaus (mbueni) hat fast jedes Dorf; in größeren Orten wie Bumbuli stehen
drei, in Wuga vier. In seinem Äußern unterscheidet es sich in nichts von der mundi-Hüiie;
in Gegenden, wo der msonge-Sül herrscht, ist es nach Art der Wasegua-Hütten gebaut;
neuerdings wird es der Bequemlichkeit wegen als banda hergestellt. In früheren Zeiten hatte
das Jünglingshaus keine Türe. Meist steht es unweit des Dorfeinganges. Früher wurde es
durch die ganze Gemeinde gemeinsam erbaut, heute dagegen errichten es gewöhnlich nur die
Jünglinge und unverheirateten Männer; letztere wohnen, sofern sie keine eigenen Hütten haben,
ebenfalls im mbueni; auch Fremde, die ohne Verwandte im Dorfe sind, übernachten hier.
Erwähnt sei an dieser Stelle die Institution der Jünglingsgemeinschaft, die demnächst ganz
verschwunden sein wird; es steht nämlich den Unverheirateten ein Jünglingswart vor, ein Be-
amter des Häuptlings, der dementsprechend besonderes Ansehen genießt; beleidigt ihn eine
Frau, so hat sie Sühnegeld (teno) zu zahlen. Seine Aufgabe ist, die Jünglinge zum Reinhalten
der Hütte und Herbeiholen von Brennholz anzuhalten; jede Brennholz holende Frau ist ver-
pflichtet, jedesmal ein Scheit (ziro) vor dem Dorfeingang zu Nutz der Jünglinge niederzulegen.
Für den Häuptling haben die unverheirateten Männer ein Stück Feld zu behacken; die Jünglinge
von Bumbuli müssen dem Oberhäuptling die Maissteuer nach Wuga tragen.
Das Leben und Treiben im Jünglingshause ist nicht harmloser Natur; die Scherze sind
grob. So banden einmal in Kerei zwei wachende Jünglinge die Geschlechtsteile ihres schlafenden
Freundes mit einer Schnur am Boden fest. Onanie und homosexuelle Vorkommnisse sind an
der Tagesordnung. Unfug wird zuweilen streng bestraft. Es schlich sich einmal ein Zauberer,
mshawi (mshai), bei Nacht ins Jünglingshaus, rasierte den Schlafenden die Schamhaare ab und
bemalte ihre Gesichter; früh erschraken sie voreinander; sie gingen und klagten dem Jumben
ihr Leid. Dieser bereitete einen Zauber; am Abend gelang es den nackten Zauberer zu fangen.
Er hatte nur eine mkatu-Kette um die Hüften gehängt, in der einen Hand ein Schwert aus
einem Bananenschaft, in der anderen ein Horn mit Zaubermitteln. Am nächsten Morgen führte
man ihn zum Richtort, schlug ihn tot und stieß seine Leiche in den Abgrund.
Allerneusten Datums - seit Juli 1909 - ist die regierungsseitig angeordnete Anlage von
Aborten, um die Verbreitung der Wurmkrankheit wirksam zu bekämpfen. Jede Familie hat
ein tschu zu erbauen gehabt; es wurde in banda- oder mundi-Art hergestellt, und diese
Aborthäuser ziehen sich nun um jedes Dorf herum; sie werden jedoch nicht ständig benutzt;
einmal mag sich der Mschambaa nicht darein finden, daß beide Geschlechter zu demselben
tschu gehen sollen; zum andern ist’s alte Gewohnheit, draußen vor dem Dorftor das Freie
aufzusuchen.
ERNÄHRUNG; VGL. ACKERBAU.
Zu diesem Kapitel hat Karasek nur wenige Notizen hinterlassen.
Das kuzu wird aus Kürbiskernen hergestellt, die an der Sonne getrocknet und dann ge-
stoßen werden.
Halala ist eine Heuschreckenart, von der zwei Stück nach einem heute nicht mehr exi-
stierenden Brauche der Washele vor jedem Fest gefangen wurden; von jeder bekamen den
einen Schenkel die Fremden, den anderen die Einheimischen zu essen; nach diesem Voressen
begann die eigentliche Festmahlzeit mit Rindfleisch usw.
Bei den Washele, die auch in der Sprache von den übrigen Waschambaa etwas abweichen
und die viele Sitten bewahrt haben, die in anderen Gegenden Usambaras längst geschwunden
sind, ist es Brauch, den kungu-Samen derartig zur Zukost zu bereiten, daß er zerkaut und
mit Speichel vermischt wird, während die Waschambaa ihn in Holzmörsern zerstoßen. Nach
einem anderen Rezepte schabt man den kungu-Kern und zerreibt ihn dann mit einem Axtstiel.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
163
Auch das Zuckerrohr wird bei den Washele und Wapare zur Weinbereitung anders be-
handelt als sonst: es wird an Steinen zerrieben und nicht in Holzmörsern zerstampft.
Das Fleisch des Buschbocks wird weder von den Waschambaa noch von den Waki-
lindi kraft eines Speiseverbots genossen. Hat sich ein Bock bei der Jagd durch die Wa-
schambaa in das Gehöft eines Mkilindi verirrt, so wird das Tier freigelassen, doch den
Jägern als Ersatz eine Ziege gegeben.
Die Wakipundii genießen kein Schweinefleisch.
Wenn die Waschambaa-Frauen Sauce {kibibi) aus zerstoßenem kungu-Samen bereiten,
so reiben sie die Hälfte des letzten Samens in der Hand, damit die Speise nicht bitter werde.
Der Genuß von Menschenfleisch wird allgemein verabscheut; ebenso fast durchweg das
Fleisch der Affen, weil sie den Menschen ähneln. Man erzählt sich als Fabel, daß ein Teil der
Menschen von den Affen abstammen, so die Araber und die Wasegua; schreit ein Affe „ua
ua‘\ dann spricht er kisegua. Anthropophagie trauen die Waschambaa nur den Wauhei zu.
SCHMUCK UND HAARTRACHT.
Schmuck, luhambo, früher sama genannt, tragen hauptsächlich die Waschambaa-
Frauen und -Mädchen. Der Ehemann erwirbt ihn für verhältnismäßig viel Geld für seine Frau,
und ein Mädchen gibt mehr als die Hälfte ihres in der Plantage erworbenen Wochenlohnes
für den Kauf von Perlen aus, aus denen sie unter Mitbenutzung von Eisen, Kupfer, Zinn und
Messing, sich selbst den Schmuck herstellt.
Ursprünglich ging man wohl schmucklos einher. Im Gegensatz zu den Suaheli-Weibern
haben sich die Waschambaa-Frauen im allgemeinen bis jetzt von Überladung mit luhambo frei-
gehalten und in Zusammenstellung der Farben und Muster ihrer Schmuckstücke Geschmack gezeigt.
Beginnen wir mit dem Kopfschmuck. Um Scheitel und Stirn wird mbe, eine einfache
Perlenschnur, ein- oder zweimal geschlungen. In West-Usambara ist die häufigste Farben-
zusammenstellung: vorn schwarze, auf den Seiten weiße, hinten gelbe oder rote Perlen.
Der Halsschmuck ist ganz besonders reichhaltig. Manche Frauen, vor allem die reicheren,
tragen so zahlreiche Perlenbänder, daß sie unter deren Last kaum noch aufrecht zu gehen
vermögen.
kifuta sind Halsbänder, die hinten durch ein Knöpfchen geschlossen werden; sie bestehen
aus zahlreichen, oft bis zwanzig, Fäden mit kleinen schwarzen Perlen.
shinga, barabara, senekusi und pafu sind gleichfalls Halsbänder, die aber Karasek nicht
näher beschrieben hat.
kipingu ist in Usambara und Pare am meisten verbreitet; bei diesem Halsband sind
einige Fäden kleiner Perlen durch zwei bis vier karata-Perlen abgeschnürt.
fundo ya kopwe und fundo ya maschalu sind Schnüre mit großen Perlen von weißer
oder schwarzer Farbe.
ubagi hat wie hole (siehe später!) auf der Brust- oder auf der Nackenseite einige Perlen-
franzen oder viereckige Perlenbesatzstücke hängen.
kumba ist eine Halsschnur aus Zinnperlen; diese sind gegossen und werden dann durch-
bohrt. Die Schnur wird einmal um den Hals geschlungen und vorn so geknotet, daß ihre
Enden auf der Brust herunterhängen.
sama besteht aus einigen Schnüren mit weißen Perlen; sie wird ebenfalls vorn gebunden
und ihre Enden, die mit Fransen versehen sind und mit einer roten Perle abschließen, hängen
wie bei kumba frei herab.
Sehr selten trägt man um den Hals einen anderen Schmuck, der nicht aus Perlen besteht.
Karasek sah innerhalb von vier Jahren nur einmal einen msß/ß-BIattstreifen mit aufgefädelten
Hiobstränen (Coix) und einmal einen solchen mit Samen von Canna indica als Halsband.
BaESSLER-ARCHIV 1, 4/5. 22
164
KARASEK-EICHHORN
Der Brustschmuck (pambafu) setzt sich aus mehreren Schnüren länglicher weißer Perlen
zusammen und wird von jungen Männern und Mädchen bei größeren Festen kreuzweise über
der Brust getragen.
Um die Hüften wird ausschließlich Perlenschmuck geschlungen.
birika besteht aus 60—160 Schnüren (mafundo) mit runden weißen oder schwarzen
Perlen; über diesen Hüftschmuck wird Zeug straff gespannt. Nach Waschambaa-Begriffen ist
eine derart gezierte bibi von unendlichem Reiz; in Wirklichkeit gleicht sie einer Schiffbrüchigen
im Rettungsring. Beim Feste goma rosa wird die birika sichtbar oberhalb der Tücher befestigt.
mkatu ist eine einfache Schnur mit großen weißen Perlen; schwangere Frauen tragen sie
von goma pala ab bis zu goma ulezi (Beschneidungsfest). Selbst in der bittersten Not wird
dieser Hüftschmuck nicht verkauft; er gilt als Familienschmuckstück. Die Mutter hebt ihn auf
und hängt ihn ihrem Sohne bei goma rosa um; hat er eine Braut gefunden, dann erhält ihn
die zukünftige Schwiegertochter; wird jedoch jenes Mädchen nicht die Frau des Sohnes, so
verlangt man mkatu zurück.
mtulunja und utundu heißen die Hüftschnüre, die aus drei einzelnen Fäden mit länglichen
Perlen zusammengesetzt sind; die oberste und unterste Schnur bilden weiße, die mittelste
Fig. 16.
Fig. 17.
Fig. 18.
schwarze oder gelbe Perlen; zuweilen sind auch abwechselnd weiße und schwarze Perlen auf-
gefädelt. mtulunja hat die früher sehr beliebte birika zurückgedrängt.
kisegere tragen nur bei Festen die Männer und zwar auf einer Hüfte; es ist ein Perlen-
band mit Fransen aus demselben Material; am Ende jedes herabhängenden Schnürchens ist
eine Zinnperle (kumbo) befestigt, kisegere gleicht der Riemenschürze kleiner Kinder, die eben-
falls kisegere heißt.
funga tumbo „Bauchschließer“, ist eine Perlenbinde mit prächtigen Mustern.
Die bis 9 cm breiten Perlengürtel makoa sind nicht häufige Prunkstücke der Frauen und
Mädchen. Zu ihrer Herstellung benutzt man kleine runde, verschiedenfarbige Glasperlen, wie
sie die Inder in den Dukas, die Strähne zu 12 Heller, anbieten. Das Material zum Auffädeln
liefern die feinen und dabei äußerst dauerhaften Blattfasern von msigissi, einer in feuchten
Steppenniederungen sehr häufig vorkommenden wilden Dattelpalme, die von den Waschambaa
für eine eigene Art gehalten wird, im Gegensatz zu den Botanikern, die diese msigissi mit
msala, einer in den Usambarabergen zahlreich wildwachsenden Dattelpalme (Phoenix reclinata
Jacq.) zusammenwerfen. Auch Fasern von Sanseviera und Banane benutzt man, doch nur im Notfälle.
Ein altes Waschambaa-Hüftband, das aus der Zeit stammt, als noch keine Europäer im
Lande waren, stellt Fig. 16 dar.
Bei dem anderen Perlenband (Fig. 17) aus Mkulumusi in Ost-Usambara sind Wa-
bondei-Einflüsse auf die Musterung unverkennbar. Das auf der schmalen Seite aufrecht-
gestellte Rechteck nennen die Wabondei dirischa, Fenster.
Für die Wasegua-Gürtel ist das Muster kiwugo, die Nachbildung einer stilisierten Doppel-
glocke, die beim Befragen des Orakels gebraucht wird, charakteristisch (Fig. 18).
Zur Erklärung der Dreieckszeichnung auf dem alten Waschambaa-Gürtel sei bemerkt,
daß zunächst alles Nachforschen nach der Bedeutung dieses Motives ohne Resultate blieb;
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
165
doch hörte Karasek oft sagen: „So ein Gürtel sieht wie eine Schlange aus“; oder: „Würde
man so einen Gürtel auf den Weg werfen, dann passiert diese Stelle kein Mensch aus Furcht
vor der Schlange.“ Ferner ließ sich feststellen: Beim fika-Opferfest beschwor das Familien-
oberhaupt, mit einem Perlenband um die Hüften angetan, die Geister der Ahnen. So früher;
sehr alte Leute erzählten, wie der umgürtete moangani mit mbugi-Schellen an den Waden
die wazimu herbeirief.
Sodann spielt auch in dem Schlangenzauber (ngoka ya schaküisi), der zu der Kategorie
des utschai, des bösen Zaubers, gehört, ein geflochtenes Band eine Rolle, die Rolle der Schlange.
Zürnt nämlich jemand und denkt an Rache, so geht er zum Zauberer und läßt sich in der
Kunst, den Feind durch eine Schlange zu töten, unterrichten. Er flicht dann aus msa/a-Blättern
eine Schlange, genauer gesagt, einen Streifen, wie er zur Herstellung geflochtener Körbe be-
nutzt wird, und näht seine Ränder so zusammen, daß ein schlangenähnlicher Körper entsteht;
durch Einschnürung wird der Kopf markiert; zwei Zähne von fuko, einem Maulwurf, werden
eingesetzt und mit Tabakssaft eingerieben. Diese Art Giftschlange bringt der Rachsüchtige
an eine einsame Stelle, beschwört sie, daß sie den Feind beiße, und wirft sie ins Gebüsch;
dort, glaubt er, wird sie lebendig und bringt seinem Gegner den Tod.
In diesem um seiner interessanten Einzelheiten willen ausführlicher dargestellten Schlangen-
zauber kommt hier als Hauptsache in Betracht; das die Schlange darstellende geflochtene
Band. Solch ein Band nun um die Hüften gelegt diente früher dem Mschambaa zur Befestigung
seiner aus Palmblattfiedern hergestellten Fransenschürze (mkisambo). Aus diesem Umstand
folgert Karasek für die Entwicklung der makoa-Bänder mit ihren Dreiecksmustern: Das erste
Stadium stellt die geflochtene Hüftbinde mit daranhängender mkisambo dar; das zweite: das
Perlenband, das als Nachahmung der Schlangenhaut um die Hüften gelegt und bei Zauberei
getragen ward; das dritte: die gegenwärtige, nur noch als Schmuck von den Frauen getragene
Hüftbinde, die zur Steigerung sexueller Reizung dienen soll. Karaseks Vertraute behauptete:
„Wenn des Mannes Finger solch ein Band berühren, dann ist er besiegt.“ Und: „Wenn eine
Frau ihren geheimen Liebhaber erwartet, bindet sie sich dies Band um.“
Gewöhnlich wird nur bei großen Festen (mwiga) das Hüftband (mkoa) getragen; ein Tuch
ist straff darübergespannt, so daß die Körperformen deutlich hervortreten und die einzelnen Be-
wegungen beim Tanzen markierter erscheinen. Bei gewissen Tänzen, die Frauen allein und
nur unter sich aufführen, sind über die makoa keine Kleider gezogen. —
Was die Schmückung der Extremitäten anlangt, so ward früher am Oberarm ein Grasring
(ndoma) getragen; jetzt ist er fast verschwunden; er wird nur noch bei sehr alten Leuten und
Kindern hie und da angetroffen. Seinen feinen Goldglanz erhielt dieses Armband, das meistens
ans dem lutete-Gras hergestellt war, durch drei Tage langes Einlegen in Ziegenmistjauche.
Der Oberarmschmuck malimosha besteht aus vier eisernen Spangen.
Mit kidanga bezeichnet man flache Eisenarmbänder von %—1 cm Breite und mit ver-
dickten Enden; sie werden von den Wasiagi angefertigt; es kommen auch kidanga aus vier-
eckigen gedrehten Eisenstäben oder aus starkem Kupferdraht (ngandu) vor. Meist schmücken
die Männer, seltener die Frauen mit kidanga die Oberarme.
galo tragen die Waschambaa-Frauen nach Sitte der Wanyamwezi an den Hand-
gelenken, gewöhnlich mehrere übereinander; es sind mit Messing- oder Kupferdraht umsponnene
Saitenringe. Eingewanderte Wanyamwezi fertigen sie an, seltener Waschambaa, die erst
von jenen die Herstellung erlernten. Die galo über die Hand zu ziehen, ist eine schmerzhafte
Prozedur; der fundi, bei dem sie gekauft wurden, führt sie meistens selber aus. Er seift erst
die Hand der Käuferin und dann die Ringe ein und zieht mit Hilfe einer Tuchschlinge jeden ein-
zelnen über die Handknochen; der Schmerzen wegen muß diese Arbeit öfter unterbrochen werden.
galo-Ringe dienen auch als Liebeszeichen; das Mädchen oder die Frau steckt in einem
unbeobachteten Augenblick dem begehrten Manne einen Ring als Liebeserklärung zu.
22*
166
KARASEK-EICHHORN
schango, Wurm, ist eine um den Unterarm geschlungene Messingspirale mit dicht anschlie-
ßenden Windungen). Früher war dieser Schmuck sehr beliebt, jetzt tragen ihn in ab-
gelegenen Gegenden alte Frauen; er reicht beim rechten Unterarm nur bis zur oberen Hälfte,
um bei der Arbeit nicht zu stören, dagegen ist er um den ganzen linken Unterarm gewunden;
einzig die Häuptlingsfrau trägt zwei vom Handgelenk bis zum Ellenbogen sich windende
Messingspiralen. Die Wambugu nennen diesen Schmuck kitindi.
kidja ugali, ein Tuchstreifen, der mit verschiedenfarbigen kleinen Perlen dicht umwickelt
ist, reicht vom Handgelenk ab bis zur Hälfte des Unterarms.
hote, dem kidja ugali ähnlich, hat nur eine Umwindung mit Perlen, die zwei oder drei
verschiedene Farben zeigen.
kipongo ist ein Faden, auf dem zwei verschiedenfarbige kleine Perlsorten so auf-
gereiht sind, daß sie miteinander abwechseln; er wird um das Handgelenk gewickelt.
mpete, Fingerringe, sieht man nur in Ost-Usambara, wo sie das Volk von den Indern
(silberne Ringe) oder von den Wabondei (zinnerne) einhandelt. In West-Usambara wickeln
sich die Männer galo um die Finger.
Der Schmuck der unteren Extremitäten steht an Reich-
haltigkeit nach.
Um die Fußknöchel trägt man madodi, breite Bastringe
von maseju-, sie sind mit feinem Messingdraht umsponnen.
Auch als Wadenschmuck dienen sie und bilden oft einen
Messingpanzer, der vom Knie bis zur Mitte der Wade
hinabreicht; durch seine Schwere beeinträchtigt er den Gang.
njolo sind Eisenkettchen, die von den Wakamba gekauft werden. Kindern, die noch
nicht gut laufen können, befestigt man an dem Kettchen eine eiserne Schelle, um das ver-
laufene Kleine leichter wiederzufinden. Hin und wieder wird mit njolo auch der ganze
Unterarm umwickelt. Ein fundo ja njolo hat den Wert eines Ziegenbockes, für zwei erhält
man eine Ziege. Aus solchen Eisenkettchen stellt der Medizinmann allerhand Amulette, so
mapande, kipini usw. gegen Fußkrankheiten und Schlangenbiß her. Fig. 19: Fußkettchen mit
zwei in der Mitte durchbohrten Hölzchen und einer kupfernen Hülse.
HAARTRACHT.
Die meisten Waschambaa, Männer wie Frauen und Kinder, lassen sich das Kopfhaar
bis auf ein kleines Büschel in der Mitte des Scheitels abrasieren. Es geschieht mit einem
sehr scharf gemachten gewöhnlichen Messer; auch die billigen Rasiermesser aus den Läden
der Inder werden benutzt; zuweilen dienen einige frisch geschlagene Glasscherben diesem
Zweck. Meist feuchtet man den Kopf zuvor an; man ölt ihn auch ein; manchmal rasiert man
den ganzen Schädel, manchmal nur die eine Hälfte und die andere am nächsten Tage.
Früher gab es die Strafe, vor versammelter Menge mit einem stumpfen Messer rasiert zu
werden.
Das Wachsenlassen der Haare gilt als Zeichen des Krankseins sowie der Traurigkeit.
Stirbt ein Häuptling, so lassen seine Untertanen sich die Haare stehen.
Einer Frau darf die kleine runde Haarstelle des Kopfes (tschungi) erst dann mit abrasiert
werden, wenn ihr Kind größer geworden ist. Mädchen tragen tschungi am Hinterhaupt kibaba
beim rosa-Fest.
Ist das Haar rund um den Kopf abrasiert, so spricht man von denge ya kipare. Mit
maumla bezeichnet man das Ausrasieren von zwei Winkeln oberhalb der Stirn.
Die abrasierten Haare werden sorgfältig verwahrt und im geheimen vergraben, damit sie
den Wabondei nicht in die Hände fallen können, die damit Unfug treiben und Unheil an-
richten würden.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA 1
167
Zauberer trugen früher langes Haar, in Zöpfchen geflochten und in einen aufrecht
stehenden Schopf zusammengebunden. Diese Frisur ist verschwunden, seit ein Europäer in
Bulva den mganga Funguo an seinem Schopf gepackt und, so sagten die Zauberer, wie einen
Hammel herumgezerrt hat.
Wie gesagt, lassen nicht alle Waschambaa-Frauen sich das Kopfhaar abrasieren, manche
flechten es in kleine Zöpfchen, die strahlenförmig um den Scheitel angeordnet sind. Auch
Kindern macht man Zöpfchen und flicht gewöhnlich in eins derselben erst ein durchbohrtes
Wurzelstück dago und dann eine große weiße Perle katu. Dago riecht angenehm und wird
meist dann angewandt, wenn es gilt die Milchwitterung des Kleinen nach der Mutterbrust zu
übertäuben.
In Ost-Usambara und auch bereits an vielen Orten des Westens lassen sich jetzt die
Waschambaa-Frauen die Haare nach der an der Küste üblichen Mode behandeln. Dünne
parallele Strähnen laufen von der Stirne nach dem Hinterhaupt, wo sie in kleinen Schwänzchen
enden. Zur Herstellung dieser Frisur ist mehr als ein halber Tag nötig, vierzehn Tage hin-
durch wird sie dann aber auch nicht erneuert; sie kostet 8-16 Pesa. Klatschgeschichten
kürzen der Friseurin, die auf einem Stühlchen sitzt, und der auf dem Erdboden ausgestreckten
Putzsüchtigen die Zeit.
Das Barthaar wird mit ngosa, einer Pinzette epiliert (Fig. 20); meist trägt sie der Mann
an einem Kettchen bei sich.
Die Genitalhaare werden bei Männern wie bei Frauen durch Abrasieren entfernt. Letzteren
war das Abrasieren vordem verboten; sie mußten zunächst eine Einreibung mit Asche, dann
eine Betupfung mit dem roten mkutu-Saft und schließlich das Ausraufen der
Haare mit der Hand in der Richtung von unten nach oben vornehmen. Erwähnt
sei hier die Vorstellung, daß eine Frau, bei der keine Genitalhaare erscheinen,
krank sei und nie gebären könne; um dem abzuhelfen, lassen die Verwandten
sie schnell durch einen Zauberer behandeln, der den Mangel durch Besprechen
und Schröpfen (tschanschana) zu beseitigen sucht. Sodann ist die Annahme viel
verbreitet, daß die Unfruchtbarkeit der Frau oft durch ein in die Harnröhre
des Mannes gelangtes weibliches Schamhaar bedingt sei; letzteres soll auch den Tod des
Mannes verursachen können. Mit diesen Vorstellungen hängt es zusammen, daß, wenn ein
Mädchen oder eine Jungfrau ihre Schamhaare, statt sie auszurupfen, wachsen läßt, sie für
unrein gilt und dann die jungen Männer beim Jumben die Klage Vorbringen: „Die Pflanzung
der Frau ist unrein“. Der Jumbe zitiert die Schuldige und droht ihr mit Heiratsverbot, falls
sie fernerhin unrein umhergehe.
KÜNSTLICHE VERUNSTALTUNGEN.
Bemalung kommt nur noch bei zwei festlichen Gelegenheiten vor:
1. Beim Großjährigkeitsfest; Jünglinge und Mädchen bestreichen sich mit weißem Lehm,
mit roter Erde oder Ruß.
2. Beim kudikuka-Fesie] der mschusamisi (Wöchnerin) werden, wenn sie einen Knaben
gebar, schwarze Ringe um die Augen gemalt.
In früheren Zeiten soll es oft geschehen sein, daß sich Jünglinge und Jungfrauen Augen-
wimpern und -Brauen schwärzten.
Das Einätzen von Figuren in die Haut ist eine von der Küste her übernommene Sitte;
kanzu, so genannt wegen der mit dem Einbrennen verbundenen „Schmerzen“, gilt für ein
Schönheitsmittel. Noch vor wenigen Jahren ließ sich nur die neuvermählte Frau oder ein
Mädchen, das das kimbizi-Fest bereits mitgemacht hatte, kanzu einbrennen; jetzt lassen sich
lebenslustige Mädchen jedesmal, wenn sie ein größeres Fest besuchen wollen, mit dunkleren
Stellen in der Haut des Gesichts versehen. Das Einbrennen geschieht derart: Eine Same von
Fig. 20.
168
KARASEK-E1CHH0RN
Anacardium occidentale, der von einem durchreisenden Händler erstanden ist, wird halbiert;
eine kundige ältere Freundin der jungen Mädchen taucht ein Hölzchen mit stumpfer Spitze in
den Saft des Samens und betupft bestimmte Stellen des Gesichts. Zurzeit ist es Mode, in
der Mitte der Wange einen Kreis zu zeichnen - man bedient sich dazu eines „großen“ Hellers,
den man mit etwas Speichel sich aufklebt und an seinem Rande mit dem ätzenden Hölzchen
entlang fährt - und dessen Fläche (nach Entfernung des Geldstückes, des Lohnes für die
Operateurin) in verschiedener Linienführung auszufüllen.
Die Formen des kanzu*) sind:
1. mazito (auch manjiti oder funda genannt): Kreise von bis zu 3 cm Durchmesser, deren
Fläche vollständig geätzt ist; ein Kreis befindet sich auf der Mitte der Backe, einer umschließt
das lunindi auf der Stirn.
2. Ein gerader Strich, der von der Nasenwurzel auf dem Nasenrücken entlang läuft.
3. Ein nur aus Tupfen bestehender Kreis, der konzentrisch den Kreis auf der Backe1 2)
umrandet.
4. mscheschote: einige Reihen kleiner Tupfen, die meist ein Viereck bilden.
5. tando (mbarikia): konzentrische Kreisstücke um den Ohransatz.
Auf den betupften Stellen bildet sich eine Kruste, die nach vier bis sechs Tagen entfernt
wird; die geätzten Stellen sehen weiß aus. Nun wird Ruß mit kungu-Ö 1 in die Zeichnung
eingerieben; sie erscheint dadurch bedeutend dunkler als ihre Umgebung.
Für das fennzn-Einbrennen bestehen folgende muiko:
1. Eine Wöchnerin darf sich bis zur mwiga kulu kein kanzu einätzen lassen.
2. Dasselbe gilt für ein Mkilindi-Mädchen während des galo-Festes.
3. Steht ein Kind in Behandlung der Zahndoktorin, so ist der Mutter kanzu verboten.
4. Das Einbrennen der gesamten kanzu-Verzierung darf nicht an einem Tage — wohl der
Schmerzen wegen - vollführt werden. Man teilt z. B. so ein: jetzt zwei Kreise auf den
Backen; in einem Monat einen Kreis auf der Stirn, nach Jahresfrist den Rest der Zeichnung.
5. Der Samenhändler darf den letzten Samen nicht verkaufen, sondern muß ihn weg-
werfen, da sonst die Mädchen an schwer heilenden Wunden oder gar an den schwarzen
Pocken erkranken würden.
Das kanzu-Brennen ist an Stelle des bei den alten Waschambaa üblichen kilambito-
Brennens getreten; dieses wird heutigentags nur noch in abgelegenen Gegenden geübt. Man
befestigt mit maschiru-Saft einen Stengel der kilambito-Pflanze vom lunindi-Zeichen bis zur
Hälfte des Nasenrückens; je zwei Stengel in paralleler Richtung zwischen Auge und Nase - die
entstehenden Striche nennt man makwanu — und ebenso je zwei auf der Schläfe (mubala).
Am nächsten Tage löst man mit warmem Wasser diese ätzenden Pflanzenteile ab; wo sie auf-
lagen, hat sich eine tiefe Schwärze gebildet. Beide Geschlechter bringen sich kilambito bei.
Von Tatauierung sind bei den Waschambaa nur spärliche Reste erhalten geblieben.
1909 lebten noch ungefähr zwanzig alte Frauen, die am Bauche tatauiert waren. Karasek
ist der Meinung, daß diese Bauchtatauierung (mindari) sexuellen Gründen ihre Entstehung ver-
dankt. Die Muster bekam er nicht zu Gesicht.
Nach einer alten, leider kopflosen, männlichen djini-Figur aus Lehm aus dem Dorfe Kerei,
die dort zusammen mit einer Tondüse aus einer Schmiede als Schutzzauber in einer Hütte
aufgehängt gefunden wurde, läßt sich auf die ursprünglichen Formen der Tatauierung schließen;
„es sind vier Linien mit drei Reihen dazwischen liegender Punkte“.
An der Brandnarbe (lunindi) erkennt man den Mschambaa; sie befindet sich auf der Mitte
der Stirn. Karasek faßt sie nicht als eigentliches Stammeszeichen anf; zwar findet es sich
1) Die Wadigo- und Wasegeju-Frauen lassen sich beide Oberarme mit runden Mustern durch Ätzung
mit kunguma-Saft bedecken.
2) Geckenhafte Jünglinge lassen sich in der Mitte der Wangen ein Kreuz (tschapa) einbrennen.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA 1
169
bei Männern, Frauen und Kindern, aber zumeist wird die Prozedur nur bei solchen Personen
vorgenommen, die ständig kränkeln und auffallend licht werden. Die Behandlung mit dem
Feuerholz (lunindi) ist sehr schmerzhaft. Der Vater oder Großvater bringt es herbei; einige
Personen halten das Kind — bei Erwachsenen geschieht das Brennen nur selten —, man reibt
ihm die Stirn mit Asche ein und drückt das glimmende Feuerholz einige Male hintereinander in
der Mitte der Stirn oder in der Gegend der Nasenwurzel auf. Nach zwei Wochen, oft auch
erst nach einem Monat, ist die Brandwunde unter Zurücklassung einer rundlichen Narbe verheilt.
Hält der Vater es für nötig, so wird das lunindi andern Körperstellen eingeprägt; bei den
Mädchen unter der linken, bei Knaben unter der rechten Brustwarze; zuweilen auch dem Nacken.
Ein Mann mit zwei lunindi auf der Stirn gab als Grund dieser doppelten Brandwunden
an: „Ja, der mir lunindi gebrannt hat, war ein Patzer“.
Viele Waschambaa verzichten heutigentags auf dies Brandzeichen.
Ndeji mariko, zwei auf den Oberarmen verlaufende Reihen von Narben, kommen nur bei
Männern vor; sie werden durch Einschnitte erzeugt, die bei der ngoma arama den Jünglingen
beigebracht werden, um sie als erwachsen und volljährig zu kennzeichnen. Diese Merkmale
der Volljährigkeit sind nicht mit daua ya bunduki, dem Jagdzauber, zu verwechseln; bei ihm
handelt es sich um makaua, Einschnitte am Unterarm, in die das Blut des erlegten Groß-
wildes oder Raubtieres eingerieben wird.
Was die Verunstaltung der Ohren anlangt, so gilt ein Loch im Ohrläppchen als Stammes-
zeichen der Waschambaa. Die männliche Jugend von heute verzichtet zumeist darauf; sie
wird deshalb von den Alten gescholten: „Ihr schaut wie die Wanjamwesi aus“. Die Wa-
schambaa-Mädchen lassen sich durchweg das Ohrläppchen durchlochen und in Ost-Usam-
bara auch die Ohrmuschel zwei- und dreimal durchbohren.
Die Operation ist nicht besonders schmerzhaft; ein kundiger Mann oder ein altes Weib
nimmt sie vor. Knaben und Mädchen werden an einem vereinbarten Tage gemeinsam be-
handelt, nur darf eine Mutter nicht zweien ihrer Töchter an demselben Tage die Ohrläppchen
durchbohren lassen, weil dann angeblich die Wunden nicht heilen. Der Vorgang vollzieht
sich in der Weise: Die Mütter bringen dem Operateur Honig, Fleisch, Hühner und Eier. Bevor
er sich seiner Aufgabe zuwendet, geht er etwas abseits, um ein wenig Honig und Fleisch zu
genießen. Dann nimmt er sein Instrument, eine Nadel (mtunga), an deren dickerem Ende ein
Fiederstück von msala angebunden ist, zieht das Ohrläppchen des Kindes lang, durchsticht
es von oben her, zieht das msa/a-Blattstück durch und knotet es an beiden Enden nahe der
Stichwunde; diese reibt er hernach mit einem Tropfen Öl (von Telphairia) und etwas Honig
ein. Nach Vollendung seiner Arbeit spricht er den Eßwaren, die sein Honorar bilden, tüchtig zu.
Am folgenden Morgen wäscht die Mutter mit lauem Wasser die Wunde, die in drei bis
vier Tagen heilt. Nun beginnt die Prozedur zur Erweiterung des Loches (die Männer tragen
bis zum Vernarben der Wunde eine Feder im Ohrläppchen). Zwei kleine Röllchen aus kaniky,
msala- und mhoje-(Bananen-)Blatt werden durch die vernarbte Öffnung gesteckt; später
immer größere und größere Rollen, bis das Loch einen Durchmesser von fast 3 cm hat.
Dauernd werden dann Rollen aus geflochtenen Streifen oder aus Papier, das mit konzen-
trischen Kreisen und metallisch glänzenden Sternchen bedruckt ist, getragen; die Mädchen
kaufen sie von den Manema-Frauen in den Plantagen. Ohrpflöcke aus Ebenholz mit Zinn-
einlage sind bei den Waschambaa selten, bei den Wabondei allgemein im Gebrauch. So
große und schwere Ohrpflöcke, wie sie die Masai verwenden, werden in Usambara nicht benutzt.
Die Ohrlochrollen heißen mawagu; in Ost-Usambara auch maholio; die Bezeichnung
iohapale stammt wohl von den Masai und wird durchgängig von den Wabondei gebraucht.
Zerschlitzte Ohren sieht man als einen Schönheitsfehler an. Wer bei einer Rauferei dem
Gegner die Ohrmuschel zerreißt, büßt seine Tat mit ein bis drei Rindern. Den Wakilindi
war es verboten, ein Mädchen mit zerschlitztem Ohr (oder mit krüppelhaftem Fuß) zu heiraten;
170
KARASEK-EICHHORN
der Häuptling fürchtete, alle seine Leute im Kriege zu verlieren, wenn der Feind ein solches
Mädchen zu Gesicht bekäme. Dieser Glaube wurde von den Waschambaa-Vätern aus-
genutzt; sie zerschlitzten absichtlich die Ohren ihrer Töchter; viel war damit nicht geholfen,
denn einmal mußte der Vater die Bestrafung durch den Mkilindi-Jumben fürchten und dann
verstanden die Waschambaa-Ärzte, das Ohrläppchen wieder zusammenzunähen.
Künstliche Verunstaltungen der Nase sind nur beim weiblichen Geschlecht beliebt, sie
treten in zweierlei Form auf.
Erstens als Durchstechen der Nasenscheidewand. Nachdem mit dem Finger vom rechten
Nasenloche aus der Knorpel untersucht worden ist, durchbohrt ihn eine Freundin der zu
Operierenden mit einem Dorn; in Mgila benutzte man den Dorn eines Apfelsinenbusches; das
operierte Mädchen zuckte mit keiner Miene; ein mit warmem Fett getränkter Strohhalm wurde
dann durch das Saeptum gesteckt, um das Zusammenwachsen der Wundränder zu verhindern.
Zweitens als Durchbohrung des rechten Nasenflügels; so bei den Frauen in Ost- und im
südlichen West-Usambara, die nach Suaheli-Art ein kipini tragen. Letzteres ist meistens
ein Annastück mit einem angelöteten, spiralig gewundenen Haken, wie es die Silberschmiede
und Inder für ]/4 bis V2 Rp. verkaufen. Ärmere Frauen stecken oft nur einen Strohhalm oder
ein Stückchen Draht, woran sie einige Senekui-Perlen befestigen, durch den Nasenflügel.
Die Durchbohrung der Nase ist eine von der Küste her eingeschleppte Sitte. Charakte-
ristisch ist: Als Kibanga 1907 ein großes Fest veranstaltete, hatte er auch eine aus Wabondei-
Männern und -Frauen bestehende Musikbande kommen lassen. Kaum verließ die Gesellschaft
Bumbuli, so ließ sich ein großer Teil der einheimischen Weiblichkeit die Nasen durchbohren
und der Inder machte mit seinen kipini ein glänzendes Geschäft. (Seit jenem Fest ist auch
der Wabondei-Tanz Tandaro in Bumbuli und Umgebung allgemein üblich; wer nicht mit-
tut, gilt nicht als — fein).
Zahndeformation wird bei den Waschambaa fast ohne Ausnahme noch geübt. Einige
allgemeinere Bemerkungen seien vorausgeschickt. Der Ms chambaa verfügt über kräftige,
weiße Zähne, die er sorgfältig pflegt. Es heißen die oberen mittleren Schneidezähne zino ya
tschasa, die seitlichen Schneidezähne kiambala, die Eckzähne kikuli, die Backenzähne magego,
der Weisheitszahn fumu, die Oberkieferzähne meno ya hischi, die untere Zahnlücke mweko.
Von den Weisheitszähnen erzählt man sich: Wenn zwei Frauen an ein und demselben
Tage geboren haben, so bekommt nur jene, deren Kind später zur Welt kam, sowie ihr
Ehemann diese Zähne.
Bald nach dem Eintritt der zweiten Zahnung findet die Zahndeformation statt; sie ge-
schieht in der Weise, daß der ins Haus gerufene Zahnschärfer (fundi), der auf dem Fußboden
sitzt, den Kopf des zu behandelnden Jünglings, der mit dem Rücken auf dem Boden liegt, in
seinem Schoß hält; er schlägt mit einem kleinen Knüppel so lange auf sein Messer, das er
auf einen der beiden mittleren oberen Schneidezähne aufgesetzt hat, bis ein Stück des Zahnes
abspringt; die abgesplitterte Stelle wird mit Hilfe des Messers - der Jüngling hat ein Sperr-
holz im Mund - weiter geformt, vor allem auch geebnet.
Die zwei mittleren Schneidezähne des Unterkiefers werden mit dem Messer gelockert und
dann herausgehebelt. Der Operateur erhält ein Abendessen und etwas Pombe als Lohn.
Dem Geschmack des Jünglings bleibt es heutigentags überlassen, ob er die Absplitterung
der oberen und auch die Entfernung der unteren Zähne vornehmen lassen oder sich nur mit
einer dieser Verschönerungen nach Was chambaa-Begriffen begnügen will.
In alten Zeiten schlug man alle vier Schneidezähne des Unterkiefers aus; jetzt entfernt
man nur die beiden mittleren; die entstandene Lücke heißt mweko; tschasa dagegen ist die
Lücke der oberen Zahnreihe, die früher allgemein durch das „diagonale Absprengen der
mittleren Hälfte der zwei mittleren Schneidezähne“ hergestellt wurde. Tschasa ist jetzt noch
beliebt, auf mweko wird meistens verzichtet.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
171
Hat ein Jüngling unausgesplitterte Zähne, so necken ihn die Mädchen aus dem Dorfe; sie
nehmen eine Banane, beißen hinein und sagen: „Sieh, da (wo der Eindruck der oberen Zähne
ist) ist eine Tür!“ und „dort (wo die unteren Zähne Spuren hinterließen) ist die andere Türe!“
Der so Geneckte entschließt sich gewöhnlich zu der Operation und, zeigt er sich dann den
Dorfschönen wieder, so ruft die erste, die ihn sieht, ihre Freundinnen herbei; sie insgesamt
loben ihn: „Jetzt bist du schön!“
In Dindila empfahl ein fundi den Jünglingen, die oberen Schneidezähne ganz kurz ab-
zufeilen, damit tschasa nicht zu sehen und man den Wasuaheli ähnlich sei; man lachte ihn
aus; „wenn du solch ein fundi bist, gehe zur Küste!“
Als Grund für die Herstellung der oberen Zahnlücke geben die Waschambaa die Ab-
sicht an, beim Rauchen oder Pombetrinken in einem recht langen Strahle - das gehört zum
guten Ton — ausspucken zu können. Diesem Erklärungsversuche widerspricht die Tatsache,
daß viele leidenschaftliche Raucher und Trinker trotz ihres jugendlichen Alters der schmerz-
haften Zahnoperation sich nicht unterziehen.
Auch die Begründung der Sitte mit der Eitelkeit der früheren Generationen dürfte nicht
stichhaltig sein; ebensowenig die dritte Erklärung, die eine alte Frau aus Bumbuli gab. Viele
Schwerkranke beißen die Zähne so fest zusammen, daß man ihnen keine Nahrung beibringen
kann; ist eine Zahnlücke vorhanden, so vermag man dünnen Maisbrei (usafu) einzuflößen;
Wasuaheli dagegen, die keine Zahnabsplitterung haben, müssen Hungers sterben.
Amputationen kamen früher häufiger vor. Wenn eine Mutter weißen Staar bei ihrem Sohn
oder ihrer Tochter befürchtete, so ließ sie sich die Spitze des kleinen Fingers abschneiden und
träufelte des Blut in das leidende Auge. Wenn jemandem die Hütte über dem Kopf zusammen-
brach, er aber unversehrt blieb, so wurde die Spitze des letzten Fingers abgeschnitten und
begraben; hernach schlachtete man eine Ziege. Wenn durch eine eitrige Wunde der Finger
unbrauchbar geworden war, schnitt man ihn ab.
Abhacken der Hand war Strafe für unverbesserliche Diebe.
Kastration fand bei den Männern statt, die ihre Blutsbrüderschaft gebrochen hatten.
Über Beschneidung siehe „Beschneidungs-Fest“. Die Clitoris wird den Waschambaa-
frauen teilweise exstirpiert; Unterlassung hat Unfruchtbarkeit zur Folge; ihre Nichtentfernung
ist gleichbedeutend mit Verunstaltung. Als Instrument bei der Operation benutzt die damit
betraute kundige Frau einen Bambussplitter; die Wunde wird mit lauwarmem Wasser ge-
waschen und mit Öl eingerieben. -
KLEIDUNG.
Die heutige Kleidung der Waschambaa gleicht der der Küstenbewohner. Vor 40-50 Jahren
trug man nur selbstgefertigte Kleider aus Ziegenleder; in entlegenen Bergdörfchen sind sie noch
im Gebrauch. In zivilisierten Gegenden bindet sich nur der Feldarbeiter, wenn er früh in die
Pflanzung geht, einen Fellschurz um.
Die frühere Männerkleidung bestand aus zwei Teilen; aus einem großen Stück weich ge-
walkten und enthaarten Ziegenleder, das um die Hüften befestigt wurde und rockartig bis auf
die Mitte der Waden herabhing und nicht selten durch ausgekratzte und dann weiß erschei-
nende Stellen verziert war; und aus einem anderen Stück Ziegenleder, das nach Art einer
Mantille um die Schultern geworfen wurde. Den Rock machte man durch Einrollen des
oberen Randes oder mit einem Riemen über den Hüften fest.
Noch einfacher war die Frauenkleidung. Sie bestand aus einem aus der ukindu-Palme her-
gestellten gefransten Rock, der bis zu den Knieen reichte; er ähnelte der Knabenkleidung bei
ngoma-galo. Unter dem Rock wurde vorn ein rundes Stück Ziegenleder, das notdürftig die
Blöße deckte, und hinten ein gleiches Stück des weicheren Sitzens halber getragen.
Eine Kopfbedeckung kannte man nicht.
Baessler-Archiv 1. 4/5. 23
172
KARASEK-EICHHORN
Die Waschambaa von heute, so die in Ost-Usambara und in den größeren Orten
VVest-Usambaras, kleiden sich wie die Suaheli, doch.scheuen sie meistens größere Kosten.
Vier Rupien für einen weißen durchsichtigen kwanzu ist ihnen zu teuer; „für vier Rupien kaufe
ich mir lieber eine Ziege.“ Die Männer sehen schmutzig aus; sie tragen oft ein Stück Tuch,
ein Hemd oder einen kwanzu solange, bis er buchstäblich in Fetzen vom Leibe fällt. Selten
wird gewaschen. Ist der Mann arm, so schlingt er ein billiges weißes Tuch um die Hüften,
der Oberkörper bleibt nackt. Nicht selten muß die Frau mit ihrem Zeug aushelfen; statt der
weißen schuka wickelt er sich dann — zum Gespötte der Wabondei und Suaheli - eine
bunt gemusterte kanga um.
Macht sich der Mschambaa auf eine größere safari, um einen Freund zu besuchen, dann
wäscht er vorher seine Lappen aus; auch wenn er zum Markte geht, verwendet er auf seine
Kleidung größere Sorgfalt. Ein kikoj (für 1 ya—2 Rp.) oder ein kikoj gogo (% Rp. 40 Ps.), ein
handtuchähnliches weißes Tuch mit buntem gefransten Rand oder, ist die Ausgabe zu groß, ein han-
gungu (% Rp.), ein weißes Tuch mit Rand, doch ohne Fransen, wird dann um die Hüften getragen.
kupuhng, schwarzes Zeug, oder schiti, bunt bedruckter Stoff, wird zu einer Art Röcken,
die bis zu den Knöcheln reichen, verarbeitet. Früher diente dem gleichen Zwecke shuka oder
boma, das sind zwei zusammengenähte shukas; die Waki-
lindi vereinigten in derselben Weise zwei fan zu einem
Rock. Diese Bekleidungsstücke wurden mit einem aus
geklopfter Rinde geflochtenen riemenähnlichen Gurt
(makomue) zusammengehalten.
Der gemeinsame Name für alle Arten von Unter-
kleidern ist nguo za kignidg (nguo za tschini kis).
Riemen (mschipi wa ngozi) oder gewebte ukanda
oder lusangu (ein aus weißem Zeug zusammengenähter schmaler Geldsack) halten die
Unterkleidung über den Hüften fest.
Den Oberkörper bedeckt zibao, ein Hemd aus weißem Zeug mit kurzen Ärmeln; es hängt
lose bis zu den Knieen herab.
fulana, trikotartige Leibchen, sind sehr beliebt.
khazu ist ein hemdartiges Gewand aus weißem oder gelbem, auch gelbbraunem Stoff,
das über Unterzeug und Leibchen angezogen wird und bis zu den Füßen hinabreicht. Nur
bei feierlichen Veranlassungen, am Sonntag und bei Marktbesuch wird es getragen. Zur Arbeit
geht der Mschambaa mit dem Leibchen oder mit zibao, oft auch mit bloßem Oberkörper.
kasihoti, bankale, narduff, garnati und viele andere Gewebe werden zu den weißen khazu
verwendet.
schamia sind schlafrockähnliche, einfarbige oder rote, bzw. schwarze, mit Silber- und
Goldborten verzierte oder gestickte Kleider, die von den reichen Jumben und Akiden ge-
tragen werden. Bei Festlichkeiten gleichen die Waschambaa-Jumben den Arabern, selbst
der silberne krumme Dolch fehlt nicht; den Kopf bedeckt ein grellroter Fez, ohne Quaste,
oder, allerdings seltener, eine weiße flache Mütze, die zuweilen reich bestickt ist; eine solche
bujbuj kostet über vier Rupien. In früheren Zeiten waren sumberere, gewebte Nachtmützen,
als Kopfbedeckung sehr beliebt.
Die wohlhabenden Waschambaa benutzen als Fußbekleidung Suaheli-Sandalen; einfache
Leute gehen barfuß; nur wenn sie in die Steppe hinabsteigen, binden sie sich selbstgefertigte
primitive Ledersandalen um (Fig. 21).
Was die weibliche Kleidung anlangt, so sah man vor etwa fünfzig Jahren Frauen und
Mädchen mit entblößtem Oberkörper in der Öffentlichkeit; später trugen sie ein um die Brust
geschlungenes Tuch (demo), während der übrige Körper nackt war; einige Zeit darnach wurde
ein Tuch (bakulo) in der Weise um die Hüften geschlungen, daß auf der linken Seite ein Schlitz
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
173
blieb. Jetzt wickeln sie den Körper in ein indigoblaues Tuch (kaniki bomani oder kuphuni)
das sie oberhalb der Brust durch Einrollen des Randes befestigen.
schiti, buntbedruckten Kattun, tragen die reicheren Frauen für gewöhnlich, die ärmeren nur
Sonntags, wie kaniki wird er benutzt und ein zweites Stück malerisch um die Schulter geworfen.
In West-Usambara schlagen die Frauen drei bis vier Tücher, von denen eins länger
als das andere und das äußerste am längsten ist, übereinander, so daß das Sonnenlicht nicht
durchscheinen und die Körperkonturen nicht kenntlich machen kann. Weniger sittsam ist man
in Ost-Usambara; Mädchen und Frauen begnügen sich mit einem Tuch und je mehr vom
Körper durchscheint, nach ihrer Meinung um so besser! Dennoch ist nach Karaseks Ansicht
das Schamgefühl der Waschambaa jetzt mächtiger als in früheren Zeiten entwickelt. Zog
vor einigen Dezennien die Jugend zu einem Fest, so sangen die Mädchen: leka kunitoza mare
gere (in freier Übersetzung: Laßt uns die Leibesanhängsel greifen!) und die Jünglinge ant-
worteten: na mi nikutoza kinukire (und uns eure Scham!)
Wenn heutigentags ein Mann einem nackten badenden Weibe begegnet, so geht er erst
dann vorüber, wenn sie ihre Blöße bedeckt hat.
Der Freund, der Nachts die Hütte seines Freundes betritt, räuspert sich stark.
Viele Waschambaa-Frauen legen sich während des Geschlechtsgenusses ein Tuch über
die Augen.
Karasek beobachtete in Kwakibomi, wie sein Begleiter, dem er eine Tasse Milch zum
Trinken gereicht hatte, zwar begehrlich nach der Milch, dann aber unschlüssig nach den nahebei
sitzenden Mädchen schaute und schließlich äußerte: „Ich kann nicht; die Europäer kennen keine
Scham.“ Da stellte sich sein Freund so vor ihn hin, daß ihn die Mädchen nicht sehen konnten
und nun schlürfte er behaglich seine Milch.
Die Kinder laufen in den ersten Lebensjahren, die Knaben sogar bis zum vierten Jahre
nackt umher.
Die kleinen Mädchen erhalten frühzeitig eine Hüftschnur (kisegere), die vorn viele Fransen
hat und notdürftig die Blöße deckt. Wird das Mädchen größer, so lehrt ihm die Mutter, ein
Tuch um die Brust schlingen; da es dort keinen Halt hat, rutscht es oft herunter. Das kisegere
wird weiter getragen für den Fall, daß jenes Tuch, trotzdem es angebunden ist, doch noch
herabfallen sollte.
Zur Ausrüstung jedes Mschambaa gehört ein Stock, den die steilen Bergpfade nötig
machen. Der einfachste ist ein aus einem geraden, ungeschälten Ast hergestellter Knüttel,
in den einige Kerben eingeschnitten sind und dessen Griff hin und wieder eine aufgesteckte
leere Patronenhülse bildet. Bei Mkulumusi sah Karasek Stöcke mit gebogener Krücke,
deren Spitze ein Vogelkopf mit langem Schnabel bildete; in Tamota fiel ihm eine in ihrer Art
wohl einzig dastehende Form auf: der Stock war aus einem Brett herausgearbeitet und mit
mehreren Griffen versehen.
Die hohen Bergstöcke sind mit großer Sorgfalt hergestellt, aus hartem Holze geschnitzt,
unten mit einer Spitze, oft aus Eisen versehen; zuweilen sind sie mit Messing- oder Kupfer-
draht umwunden. In neuester Zeit hat sich von der Küste her das Spazierstöckchen der
Swaheli- Gigerl in Ost-Usambara stark verbreitet. —
ACKERBAU.1)
Es erzählen die Waschambaa, daß ihre Vorfahren schon seit uralten Zeiten Pflanzungen
gehabt hätten. Als die Wakilindi ins Land kamen, fanden sie Ackerbau vor. Angeblich
brachte der erste Mschambaa von jeder Pflanzenart nur ein Samenkorn mit, aus dem dann
die Nachzucht hervorgegangen sein soll.
1) Vgl. Holst, D.K.Z. 1893, S. 23ff.; S. 113ff.; S. 128. Warburg, M. a. d. Sch. 1894. S. 131 ff. Stuhlmann
B. L. u. F. 1907.
23*
174
KARASEK-EICHHORN
Alte Leute wissen nach Hörensagen von ihren Ahnen, daß sie mit zugespitzten Hölzern
den Boden bearbeiteten; mit Einzug des Eisens wurde die Bodenkultur in- und extensiver be-
trieben, während die Form der Geräte die gleiche blieb; das Handwerkszeug wurde nur um
Buschmesser bereichert.
Soll eine neue Pflanzung angelegt werden, so fällt man zunächst mit Axt und Busch-
messer die auf dem Grundstück stehenden Bäume, doch nur in Brusthöhe schlägt man sie
ab, denn die kurzstielige Axt läßt ein Abhauen nahe dem Boden um der für den Arbeiter be-
deutend gesteigerten Lebensgefahr willen nicht zu. Monate lang bleiben die Stämme am
Boden liegen und trocknen; kurz vor der Regenzeit werden sie angezündet; ihre Asche düngt
dann ziemlich gleichmäßig das Grundstück. Besonders große Bäume läßt man stehen.
Bis zu einer Tiefe von höchstens 15 cm wird der Boden gelockert; meist begnügt man
sich mit 10 cm. Diese Lockerung geschieht mit der Hacke; der Pflug könnte nicht dazu
benutzt werden, denn dann müßten die Baumwurzeln ausgegraben und die zahlreichen Steine
entfernt sein. Zudem sieht der Mschambaa das Ackern mit dem Pflug als unham an; man
erzählt: Als Waschambaa und Wambugu zum erstenmal in den Pflug gespannte Rinder
ackern sahen, weinten sie. Übrigens eignet sich das wenigste Land von Usambara zur
Pflugkultur.
Je nach Bedürfnis wird der Erdboden vor der Aussaat ein- bis zweimal gelockert; bei
der zweiten Bodenlockerung vertilgt man gleichzeitig das Unkraut. Träge Leute bearbeiten
ihr Feld nur kurz vor dem Säen; das alsbald hervorwuchernde Unkraut schneiden sie dann
mit ihren Buschmessern kurz ab.
Ausschließlich Männerarbeit ist das Roden des Urwaldes, das Schlagen und Niederbrennen
des Busches; in das Behacken der Felder teilen sich Männer und Frauen. Außerdem kann
die Frau nach Beendigung ihrer Arbeit in der gemeinsamen Pflanzung noch ein ihr besonders
gehöriges Stück Land kultivieren; ihr allein gehört dann dessen Ertrag,
Bei der Aussaat sind Männer und Frauen tätig; nur die Tabakspflanzung ist ausschließlich
Männersache. Das Reinhalten der Felder vom Unkraut wird von beiden Geschlechtern besorgt.
Die Bewachung der Felder geschieht am Tage durch die Frauen, durch die Männer bei Nacht.
Das Verscheuchen der Vögel, besonders der Krähen, und der Affen sowohl kurz nach der
Aussaat wie zur Zeit der Fruchtreife ist Aufgabe der Kinder und Frauen. Bei der Ernte sind
beide Geschlechter tätig; den Verkauf besorgen meistens die Weiber. Aus dieser Arbeits-
teilung ergibt sich, daß die Frau keineswegs „Arbeitstier des Mannes“ ist. Früher war
allerdings die Bodenarbeit ausschließlich der Frau zugedacht, doch dem faulen Mann, der auf
dem Felde ganz untätig war, drohte die Ehescheidung; heutigentags wird dieser Scheidungs-
grund noch weit mehr gefürchtet. Die angegebene Verteilung der Arbeit ist nicht als eine
unumstößliche anzusehen; nicht bloß in Krankheitsfällen, auch aus Gefälligkeit und Liebe helfen
sich Eheleute gegenseitig. Allgemein herrscht der Brauch, daß der Bräutigam den künftigen
Schwiegervater bei der Feldarbeit unterstützt; wenn ein reicher Mann seine Schwiegersöhne
und sonstigen Verwandten für sich arbeiten läßt, so entschädigt er sie mit einem Pombe-
Gelage. Allerdings wird das Herzuziehen zu solcher Arbeit nicht gerade freudig begrüßt, aber
„was hilft’s!“ seufzt der Schwiegersohn, zumal wenn er den Kaufpreis für seine Frau noch
nicht ganz erlegt hat.
Düngung der Felder in unserem Sinne, also das Unterbringen des Mistes unter die Acker-
krume, ist nicht bekannt; doch man düngt in anderer Form. So wird der Tabak mit Vorliebe
am kishumo, dem Platz, an den alle Abfälle, auch Ziegen- und Rindermist, geworfen werden,
gepflanzt. Asche wird allgemein zur Oberflächendüngung verwandt und für bestimmte Ge-
wächse bevorzugt, so für Kürbis; um kungu-Pflanzen streut man Asche und Ziegendünger,
man gräbt beides sogar unter, Abbrennen des Grases und Busches auf neugerodeten Grund-
stücken ist üblich; die Unkrauthaufen auf den Feldern läßt man verrotten und düngt mit dem
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA 1
175
Kompost. Der Viehmist reicht zur Düngung im großen nicht aus; der Unterschied zwischen
einem gut gedüngten und ungedüngten Felde ist noch nicht zur Genüge bekannt.
Auf dem Gebiete der Bewässerung der Felder sind die Leistungen der Waschambaa
staunenswert. Da in der kleinen Regenzeit die Regenmenge oft für den Feldbau nicht genügt,
so würde nur eine Ernte im Jahre möglich sein, doch dank der künstlichen Bewässerung
erntet man zwei-, ja in tieferen Lagen sogar dreimal. In West-Usambara ist fast an jedem
Hang ein Wassergraben viele Hunderte von Metern entlang geführt; Tausende von Hektaren
werden bewässert. Die Gräben sind flach, selten über 1 — 1V2 m breit und haben ein un-
merkliches Gefälle; sie ziehen sich um Bäume, die ihnen im Wege stehen, herum; kleine
Steine sind weggewälzt oder untergraben worden; durch aufeinander gelegte Baumstämme
werden die Grabenränder erhöht und die Fugen mit Erde und Rasenstücken verstopft. Das
Bewässern geschieht von Seitengräben aus. Befindet sich das Feld unterhalb des Grabens, so
legt man einen Stein in den Wasserlauf; das nunmehr übertretende Wasser genügt zur Be-
rieselung. Soll ein Grundstück besonders stark bewässert werden, so baut man einen Damm
aus Erde und Gras in in den Graben hinein; als Faulheit wird es ausgelegt, wenn jemand den
Grabenrand mit der Hacke öffnet. Die
Besitzer von Feldern an den Wasser-
gräben liegen oft miteinander im Streit;
zwar wird der Wasserverbrauch durch
gegenseitige Vereinbarung geregelt,
sollte aber einmal ein Feld zu trocken
geworden sein, so durchsticht der schlaue Besitzer die Grabenwand mit einem Stock, läßt
das Wasser nachts überlaufen und schilt am nächsten Tag in Anwesenheit der Nachbarn
über die Maulwürfe und Krabben, die angeblich die Durchlöcherung verursacht haben.
Heutigen Tags liegen viele Wassergräben trocken, weil die Feldbewässerung im Abnehmen
begriffen ist.
Mit vorgenannten Gräben sind jene anderen nicht zu verwechseln, die für Zeiten einer
drohenden Hungersnot hergestellt wurden. War nämlich infolge anhaltender Dürre ein Ernte-
ausfall zu befürchten, dann baute jede Landschaft eine lange Wasserleitung, um schnellstens
viele Hektare berieseln zu können; schnellwachsende Früchte, wie Bohnen, Süß-Kartoffeln usw.
wurden angebaut. Diese Gräben waren Eigentum der Landschaft, sie wurden durch gemein-
same Arbeit hergestellt und von den Bewohnern jenes Gebietes gemeinschaftlich benutzt.
Das Ziehen von Bewässerungsgräben ist Spezialität der Alten; sie graben ein Stück, lassen
das Wasser einfliessen, heben den Graben eine Strecke weiter aus und führen so langsam
ihre Arbeit zu Ende. Instrumente zum Abmessen werden nicht verwendet, einzig entscheidet
das Augenmaß; akkurat wird die Arbeit ausgeführt.
Das landwirtschaftliche Instrumentarium bilden die Hacke, die Axt und das Buschmesser.
Erstere (gembe) wurde früher ausschließlich von einheimischen Schmieden aus importiertem
Eisen hergestellt; die Gestalt der Hacke war keilförmig, die Schneide nur 4-5 cm breit, die
Gesamtlänge betrug 10—15 cm; man fügte dieses Eisenblatt in ein schiefeingelassenes Loch
eines keilförmigen Stils. Die Qualität dieser gembe war vorzüglich, denn sie war leicht und
scharf und drang infolge ihrer geringen Breite in jeden Winkel, wo Unkraut sich zeigte.
Heutigen Tags bringen die Inder größere Hacken von anderer Form den Waschambaa, doch
sie bewähren sich nicht, und die europäische Hacke findet wegen ihrer Schwere keine Verbreitung.
Die Axt ist nichts anderes als ein Hackenblatt, das in einem am Ende sich keilförmig
verdickenden Stile sitzt; daher kommt es oft vor, daß eine Frau, die nur ein Eisenblatt besitzt,
dasselbe je nach der zu verrichtenden Arbeit in den gembe- oder hoja-Stil steckt.
Die Buschmesser (Fig. 22), werden von den einheimischen Schmieden aus unbrauchbar
gewordenen Eisenhacken hergestellt; sie sind von vorzüglicher Qualität; das Eisenblatt
176
KARASEK-EICHHORN
befestigt man mittels eines sehr fest haftenden Pflanzensaftes in dem eingebrannten Loch
des Holzstils.
Die landwirtschaftlichen Geräte mulo und msemo sind außer Gebrauch oder dienen doch
nicht mehr ihrer ursprünglichen Bestimmung. Ersteres ist ein flach zugespitztes Holz, das
jetzt nur noch zum Herstellen der Satzlöcher, so beim Pflanzen des Zuckerrohrs, benutzt wird,
während es früher nach Aussage der alten Leute ausschließlich zur Bearbeitung des Bodens
gebraucht wurde. Letzteres Instrument, msemo, ist vollständig verschwunden; es war eine Art
Hacke; das Eisen saß in einem am Ende gespaltenen Knüppel; der Spalt mit dem Eisen war
entweder umschnürt oder durch einen aus der zandu-Frucht geschnitzten Ring (kiko) zu-
sammengezogen; derartige Ringe dienen auch zum Spannen der Häute auf den großen Trommeln.
Was wildwachsende und Kultur-Pflanzen und deren Verwendung anlangt, so kommt von
Palmen zunächst die Kokospalme in Betracht; sie wird nur am Fuße der Berge gepflanzt;
am Südrande von Usambara kommt sie bis Masinde und auf den Vorhügeln von Ost-
Usambara bis unweit Mkulumusi bei Amani vor; desgleichen im Luengera-Tal, ja selbst
in Mgila in West-Usambara. Der Früchte wie des Weines wegen baut man sie an. Das
Innere der Nüsse wird geschabt und aus- oder unausgepreßt gekocht.
Phönix reclinata (msala), die wilde Dattelpalme, ist überall in Usambara häufig. Aus
den an der Sonne gebleichten Blättern werden feine Flechtarbeiten, so Matten, Filtrier-
körbe, Bettstreifen usw, hergestellt.
Auch von einer Phönix-Art, die in der Steppe und an Bachufern wild wächst, wird die Faser
msigisi gewonnen, die ihrer Feinheit und Festigkeit wegen in Europa Aufmerksamkeit verdient.
Raphia Ruffa, muale, kommt in Usambara nicht häufig vor. Die Blattstiele dienen
zur Herstellung von Türen und Bettstellen; die Blattfasern liefern die Saiten für das Musik-
instrument sese. Die Frucht wird als Amulett benutzt, als Schutz vor tückischem Schicksal;
die Mutter gibt sie dem Kinde in das bereko. Soll eine Frucht zu genanntem Zweck be-
schafft werden, so schlachtet der Vater unter der Palme einen Hammel, opfert dem Baume
einige Stückchen Fleisch und schneidet dann erst die zauberkräftige Frucht ab.
Borassus flabelliformis, mwumo, dient in Zeiten der Hungersnot zur Palmweinberei-
tung; aus den Samen verfertigt man Hundeglocken.
Die Blätter von Hyphaena coriacea, mabamba, benutzt man zur Herstellung gröberer
Matten (djawi), zum Bedecken des Erdbodens, und zu Körben; die Fruchthüllen werden gegessen.
Von der Encephalartos, zingarazi, einer Cycadee, wird in Zeiten der Not das Innere
des Stammes getrocknet, zerstampft und dem Maismehl beigemischt oder allein zu ugali ver-
kocht. Manchem Waschambaa riecht diese Speise unangenehm; ihr Genuß bereitet anfänglich
Magenbeschwerden, später wird sie herbeigesehnt.
Die Bananen sind neben Mais die wichtigsten Nutzpflanzen. „Unsere Vorfahren haben
die großen Bananenhaine gepflanzt“ sagen die Waschambaa und in der Tat bedeckt ihr
Bestand drei Viertel aller Eingeborenen-Kulturen, doch legt die gegenwärtige Generation nur
in geringem Maße neue Bananenpflanzungen an. Auf den von Unkraut gereinigten Feldern,
am liebsten an Hängen, setzt man die Schößlinge — mosa der Bananenschößling; kambu die
erwachsene Bananenstaude — in einer Entfernung von etwa drei Metern, wobei zugleich, um
schon im ersten Jahre einen Ertrag zu erzielen, eine Zwischenfrucht gesät oder gesteckt wird.
Schon nach einem Jahre liefert die Banane Früchte; der Stamm wird einige Zeit vor deren Reife
geknickt, um das Reifen zu beschleunigen; die weitere Pflege der Pflanzung besteht im Ver-
tilgen des Unkrauts. Die Benutzung dieser Idealpflanze für die Neger ist eine mannigfaltige.
Die Früchte werden reif wie auch unreif, ungeschält oder geschält gekocht oder gedünstet;
unreif halbiert, an der Sonne getrocknet und dann zerstampft liefern sie das makopa-Mehl,
aus dem man das zwar unangenehm aussehende, dafür um so besser schmeckende nahrhafte
ugali ga tschitscho bereitet. Die reifen Früchte geben ein nahrhaftes Obst. Am geschätz-
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
177
testen ist die Banane mkofe; ihre kolossalen Früchte werden gekocht oder in Asche geröstet.
In Zeiten großer Trockenheit verzehrt man selbst die grünen Schalen der unreifen Früchte;
der Wurzelhals der Pflanze wird getrocknet, zu Mehl zerstoßen und als ivigago gekocht. In
frische Bananenblätter wickelt man das Mittagsessen; sie dienen als Speiseteller, aber auch
als Regenschirme. Trockene Blätter und Blattscheiden verwendet man zu Deckmaterial für
Hütten, zur Herstellung von Fackeln, als Emballage für Hülsenfrüchte.
Von der Banane mahuti werden die unreifen Früchte geschält und gekocht, die reifen
roh genossen. Der Stamm liefert gute Fasern; ebenso der Bast der Blattscheiden. Soll eine
dünne Schnur für Vogel- oder Mäuseschlingen, für die Angel oder als Faden zum Aufreihen
der Schmuckperlen benutzt werden, so verwendet man auschließlich die Faser dieser Bananen-
art. Um sie zu gewinnen, wird das Blatt tief am Stamm abgeschnitten und dann trennt man
die zwei äußeren Blattscheidenränder ab; hernach zwängt man zwischen zwei dicht neben-
einander in den Boden geschlagene gerade Pfähle (ponolo) ein Stück Blattscheide hinein, zieht
mit der einen Hand, drückt mit der anderen das Blattstück fest zusammen und fördert so eine
weiße Faser zu Tage, die nur noch an der Sonne getrocknet werden muß.
Grobe Stricke und Schlingen verfertigt man aus dem Bast der Banane tambue; der oft
nur zwei Meter hohe Stamm dieser wildwachsenden Pflanze wird abgeschnitten und zertreten;
nachdem er einige Tage gelegen hat, löst man aus ihm Streifen, die man hernach durch die
Quetschvorrichtung (ponolo) zieht und trocknet. Zu dünnen Stricken werden zwei, zu dicken
sechs Faserstränge verwendet.
Mehl wird von der Banane maloko gewonnen; die reifen Früchte werden seltener als die
von mahuti oder mhoje gegessen.
Von Hülsenfrüchten dient der Halbstrauch Cajanus indicus, Erbsenbohne, mbarasi,
zu Weg- und Feldeinfassungen, seltener bepflanzt man damit ganze Felder. Nach der Ernte
werden die Stämme in Höhe von 20—30 cm über dem Boden abgeschnitten; im zweiten Jahre
geben die Sträucher einen kleineren Ernteertrag. Die grünen Samen verwendet man zu Ge-
müse, reife für sich allein oder als Zusatz zum pule. Zerkaute mbarasi werden als zahn-
schmerzbetäubende Mittel benutzt.
In den Niederungen wie in den Bergen findet man Vigna sinensis, Vigna-Bohne, künde,
und zwar meist in der mluati-Zeit d. h. wenn der in der großen Regenzeit gepflanzte Mais
abgeerntet ist, seltener in dieser Regenperiode selbst gebaut; dann entweder als Reinkultur
oder zusammen mit Mais. Am liebsten wählt man für diese Bohne steinige, ziemlich steile
Abhänge, ausnahmsweise gutes Land. Bis zur Aussaat wird das Saatgut auf dem talai ver-
steckt gehalten, weil es sonst vor der Eßgier der Hüttenbewohner nicht sicher sein würde.
Ist die Zeit des Samenlegens gekommen, so hackt der eine Mann auf dem von Unkraut ge-
reinigten Felde in 30 cm Entfernung seichte Löcher, der andere sagt: mimi nigere beju, ich
lege die Samen. Aufgabe der Frauen ist es, die Pflanzung von Unkraut rein zu halten. Um
größere Erträge zu erzielen, werden, wenn die Pflanzen 30-40 cm hoch geworden sind, die
Blätter abgezwickt; man kocht sie oder trocknet sie erst und verarbeitet sie dann zu einem
dem Spinat ähnlichen Gemüse schafa. Fangen die Hülsen an sich zu röten und bekommen
sie gelbe Flecken, Zeichen der nahenden Reife, so gehen die tikahulule-Freundinnen täglich
in die Pflanzung und pflücken die trockenen Hülsen in große Körbe; sodann werden koka-
Blätter herbeigetragen und die Bohnen zu großen walzenförmigen Lasten (hasa) zusammen-
gebunden. Jede Frau schleppt eine hasa auf den talai; dort bleiben die Bündel solange liegen,
bis die Samen völlig hart geworden sind; dann wird jeden Tag eine (hasa) auch zwei, von
der Hausfrau heruntergeholt und im Holzmörser durch Stoßen mit dem schweren Pistill der
Bohnensame von seiner trockenen Hülle befreit; die Reinigung (kuhuaga) der Samen von den
Hülsen geschieht mit Hilfe einer geflochtenen Schüssel (ungo); nunmehr stellt man aus trockenen
Bananenscheiden eine Walze her, 25-30 cm breit und 60-70 cm hoch, und füllt sie mit künde;
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KARASEK-E1CHH0RN
die gefüllte Walze (tigiri) bildet eine Verkaufseinheit; sie wurde früher mit % Rupie = 1 Doti
bezahlt; jetzt ist der Preis für eine tigiri um 100% gestiegen.
Wegen ihres schnellen Wachstums, und weil schon die Blätter Gemüse liefern, wird in
Zeiten drohender Hungersnot künde viel gepflanzt; große, halbgereinigte Abhänge, an denen
Wasserleitungen sich entlang ziehen, so bei Monge, Schembekesa usw. dienen als Reservate.
Der Anbau von Phaseolus Mungo (posue) geschieht nur in Ost-Usambara in größerem
Maßstabe; die Frauen West-Usambaras mögen die kleinen Samen, die angeblich nach Rauch
riechen, nicht.
Phaseolus vulgaris, die Gartenbohne (madschaga) wird, da sie drei bis vier Ernten im
Jahre liefert, in zunehmendem Maße kultiviert; mindestens 15 verschiedensamige Arten kennen
die Eingeborenen; sie legen meistens drei Samen in 30-40 cm Abstand zwischen die Maispflanzen.
Die schlingende Gartenbohne oder Stangenbohne heißt makhomuli oder makhomue. Statt
madschaga wird öfter maharagi gebraucht und beides mit makhomue verwechselt. Die be-
liebteste Varietät ist die weißfrüchtige echte madschaga; makurungu (kurungu = buschbock-
farbene) ist nicht so beliebt. Karasek erhielt aus der Umgebung von Mschihwi Busch-
bohnensamen von grauer Farbe; außerdem gibt es auch eine schwarzsamige Varietät mit
sehr kleinem Samen, (madahita).
Dolichos Lablab (majombo) wird in der großen Regenzeit, wenn der Mais schon 20 cm
hoch geworden ist, gelegt. Die grünen Samen liefern ein vorzügliches Gemüse, das in seinem
Geschmack an Erbsen erinnert. Sie werden dem pulu zugesetzt oder auch für sich allein ge-
nossen; man kocht sie erst etwas an, schält sie und kocht sie dann gar; faule Frauen sparen
sich das Schälen. Die Samenreife tritt vom September ab ein. Die Reinigung der reifen
Samen wie die aller Hülsenfrüchte geschieht durch die Frauen mittelst lungo-Schüsseln;
in tigiri bringen sie den Samen zum Markt.
Canavalia ensiformis, Fetisch-Bohne (macobe), wird von den Waschambaa an den
Fuß von Baumstümpfen oder an große Steine gelegt. In die Nähe der Samen steckt man
dürre Äste, die alsbald mit dicht stehenden Bohnenblättern überzogen werden. Unreife wie
reife Früchte werden gekocht; unreif und roh genossen verursachen sie Leibweh. Die Blätter
hält man für giftig; wenn ein Hirte bemerkt, daß eine Ziege sie fressen will, so schlägt er
mit seinem Stock auf den Stengel und spricht: „Krepiere du und nicht meine Ziege!“ Magobe
ya nazimu und schafa ya nazimu, Geisterbohnen, haben mit Canavalia ens. nichts zu tun;
von vielen wildwachsenden und den Kulturpflanzen ähnlichen Arten nimmt der Mschambaa an,
daß sie von Geistern gepflanzt seien; deshalb werden diese Bohnen den Geistern nicht geopfert.
Phaseolus lunatus, Mondbohnen (kikwema), gleicht in Kultur und Benutzung der Cana-
valia. Karasek konnte weder durch eigene Versuche noch auf Grund von Aussagen der Ein-
geborenen feststellen, daß es früh- und spätreife Varietäten gibt. Der Samenfarbe nach lassen sich
schwarze, gelbe und verschiedenfarbig gefleckte Mondbohnen unterscheiden.
Was die Gemüsepflanzen und zwar zunächst die Wurzel- und Knollen- (makolo,
vilungu) Gemüse anlangt, so wurde Colocasia antiquorum, maeze, malombo, früher viel
häufiger angebaut. Die Vermehrung erfolgt durch Schößlinge; man setzt sie in Bananenpflan-
zungen und an Wasserläufe. Die Knollen werden höchstens bei Hungersnot gegessen; die
Blätter geben ein gutes, dem Spinat ähnliches Gemüse. Bei der Zubereitung von maeze muß
die Köchin, will sie eine genießbare Speise erzielen, viele muiko beachten; so darf sie kein
brennendes Scheit umlegen, nicht während der Zeit ihrer Menstruation kochen usw., sonst
werden die Knollen im höchsten Grade bitter.
Dioscorea-Arten werden in ziemlicher Menge kultiviert, doch ist ihr Anbau langsam
zurückgegangen. Zum Pflanzen benutzt man die makolo, die abgeschnittenen oberen Teile der
Wurzel- oder der Luftknollen (tona); man steckt sie im Dezember in ein Meter Entfernung vom
Stamm eines hohen Baumes in den Boden; die jungen Triebe werden an eine Stange gebunden,
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
179
die mit einer Liane verlängert ist und mittels eines Holzhakens in den Baumzweigen befestigt
wird; auf diese Weise leitet man die Pflanze in die Baumkronen. Die Knollen, die zuweilen
einige Pfund schwer werden — sie brauchen zu ihrer Reife ein Jahr — gräbt der Mscham-
baa nur nach Bedarf aus; sie werden rein gewaschen und ungeschält gekocht.
Dioscorea sp. (vigonjo), hat einen mit Stacheln besetzten Stengel, ist ungeflügelt, das
Blatt klein, herzförmig, mit kurzer Spitze, dunkelgrün glänzend; in den Blattachseln keine
Knollen. Karasek betont, daß im Englerschen Werk diese Dioscorea als D. dumetorum
bezeichnet werde, was unmöglich sei, da letztere dreiteilige Blätter habe.
Varietäten sind: kikwa, Knolle gelb; lusi ya vigonjo mit langgestreckter, wellenförmiger
Knolle, die mit der Spitze oft aus der Erde hervorragt; schingo ya kann, Knolle mehlig.
Metesa mit lichtgelber Knolle, die ziemlich flach und nicht beschuppt ist; in gekochtem Zustand
mit vanilleartigem Beigeschmack. Kilo tscha mamba hat langgestreckte, rundliche, gelbliche,
beschuppte Knollen. Bei moyo ya ngombe sind die Knollen oben verzweigt und herzförmig;
ubikahedi ähnelt der Knolle von kikwa, sie ist rundlich und hat viele Faserwurzeln.
Dioscorea bulbifera, tugu und vilungu tscha mazi, wird in zahlreichen Varietäten
kultiviert; sie hat einen geflügelten Stengel und Blattstiel. In den Blattachseln bilden sich
Luftknollen. Varietäten sind 1. tugu, die im Bumbuli-Distrikt selten, bei Wuga sehr häufig
kultiviert wird. 2. vilungu tscha mazi, bei der sich selten in den Blattachseln Luftknollen
befinden. Kunguni hat aus vielen kleineren zusammengesetzte große Knollen, die unter der
Haut violettrot sind; die Blätter lichtgrün; Ansaizstellen und Blattstielende rot. Pome ya
quitscho hat langgestreckte, nicht beschuppte, unter der Oberhaut rote Knollen.
Manihot palmata (mpesare) ist ein importiertes Knollengewächs, das aber im allgemeinen
nur wenig, in Ost-Usambara verhältnismäßig am meisten kultiviert wird; der Anbau nimmt
mit der Höhe ab; während am Fuße der Berge Reinkulturen keine Seltenheit sind, beschränken
sich in hohen Lagen (über 1000 m) die Waschambaa darauf, nur einige Setzlinge zu
pflanzen, denn sie behaupten, daß der in dieser Höhenlage gezogene Maniok bitter und
giftig sei, Kopf- und Magenbeschwerden verursache. Die Wahrheit ist: man liebt diese
Pflanze als Nahrungsmittel nicht. Die Kultur beginnt im Anfang der Regenzeit; alte holzige
Stengel werden in fußlange Stücke zerhackt — junge Triebe verwendet man ungern — und in
die Erde gesteckt. Man genießt die Knollen selten roh; geschält, halbiert, getrocknet und
zerstampft werden sie zu ugali eingekocht, auch in Asche geröstet.
Ipomea batatas, Süß-Kartoffel (viogwe), wird in ganz Usambara sowohl in den Niede-
rungen wie in den Bergen fleißig angebaut. Man pflanzt die Bataten, deren Varietäten-
Namen oft als Artnamen angegeben werden, weshalb man im allgemeinen von kindolo, viazi,
viogwe oder mankutu spricht, entweder allein oder als Zwischenfrucht zwischen Mais und
Bananen, auch zugleich mit dem Zuckerrohr. Die Kultur an Hügeldämmen scheint von den
Waschambaa den Wanyamwesi abgelernt worden zu sein; sie besteht darin, daß % m
breite und ebenso hohe parallel verlaufende Dämme mit Setzlingen bespickt werden. Schwarzer
Boden, überhaupt Stellen mit viel Feuchtigkeit, werden für die Bataten bevorzugt; man zerschneidet
die alten Triebe in 15—20 cm lange Setzlinge und pflanzt diese auf dreierlei Art: Drei bis
vier Stecklinge werden entweder in den aufgelockerten Boden hineingesteckt oder senkrecht
auf den Boden gestellt und mit Erde behäufelt, oder etwas länger geschnittene Triebe horizontal
auf den Boden gelegt und so mit Erde bedeckt, daß beide Enden noch frei hervorragen. Man
erntet die ersten Süßkartoffeln zur Zeit der Maisreife; 1 — 1 Ya Jahre dauert das Abernten,
weil die Waschambaa nur nach Bedarf die Knollen mit einem spitzen Holz herausgraben,
Die Triebe werden sorgfältig mit Erde wieder zugedeckt, um das Wachstum der neuen Knollen
zu fördern. Man hebt es, auf Feldern, auf denen das msangasi-Gras, ein nicht leicht aus-
zurottendes Unkraut wächst, Süßkartoffeln zu pflanzen, da deren Kultur, vor allem des tieferen
und öfteren Umgrabens wegen, jenes Unkraut nicht mehr aufkommen läßt.
BAESSLER-ARCHIV I. 4/5. 24
180
KARASEK-E1CHHORN
Die Knollen werden selten roh, meist gekocht oder auch in Asche geröstet genossen; die
Blätter geben ein spinatähnliches Gemüse. Karasek betont gegenüber Holst, der unter
anderen Varietäten auch eine angebliche Var. „lugole“ aufführt, daß letzteres Wort nichts
anderes als die „Triebe“ der Pflanze bezeichne.
Blattgemüse stellen sich die Waschambaa in reicher Auswahl her; es dienen ihnen
dazu die spinatartig zubereiteten Blätter folgender Kulturpflanzen:
1. mboga ya koko, Blätter und männliche Blüten verschiedener Kürbisarten.
2. maeze, Blätter von Colocasia antiquorum.
3. peya, oberste Blätter von Manihot.
4. kikopwe, Blätter von Ipomea batasas.
5. mboga ya pile-pile, Blätter von Capsicum-Arten.
6. schafa, Blätter von der Vigna-Bohne.
Von wildwachsenden Pflanzen werden zu Blattgemüsen verwendet:
7. buruta, bätsche, tschitscha, junge Blätter und Triebspitzen von Amarantus graecitans.
8. hombo, Blätter der Corchorus-Arten; sie schmecken schleimig und werden von den
Wasegua bevorzugt.
9. schambala, Blätter noch nicht blühender Lobelien, die an feuchten Stellen massen-
haft wachsen.
10. mbuembewe, diese Pflanze ist auch unter dem Namen lusomanguo bekannt.
11. mschunga, die Blätter eines Lactuca ähnlichen Unkrautes, das auch als Medizin gegen
die Wurmkrankheiten benutzt wird.
Ferner liefern von Pflanzen, die nur den einheimischen Namen nach Karasek bekannt waren, Gemüse:
17. bangwe.
18. nkwela mzule.
19. kisungu.
20. komba.
21. kuake.
22. mnavu.
23. schafa ya zimu.
24. tonge.
12. kibando.
13. nderema.
14. msangani.
15. luchwe.
16. lukhobo.
Dem Gemüse werden Blätter folgender Bäume beigemischt:
25. hombo, ein Baum mit roten Schmetterlingsblüten.
26. hombo mulungu, dessen Blätter aromatisch riechen.
Des säuerlichen Geschmackes wegen werden gegessen;
27. Oxalis. 28. Rumex abyss.
29. Eine Hibiscus-Art des Luengera-Tales.
Unter den Fruchtgemüsen nehmen die erste Stelle die Solanum-Arten ein. Die Tomate,
Solanum lycopersicum (matungiija, njanju), wird fast überall kultiviert; es ist eine reich-
tragende, Temperatureinflüssen gegenüber unempfindliche Art mit kleinen, roten, kugeligen
Früchten; diese werden selten roh, meist gekocht, als Zutat zu Saucen und Suppen genossen.
Solanum esculentum, Eierfrucht (beringani), findet man nur selten angebaut, dagegen ganz
allgemein mgogwe, eine bis 1,50 m hohe Pflanze mit kaum taubeneigroßen, länglichen Früchten.
Mkunga hat große, kugelige, weiße Früchte, deren Genuß aber Männern, die an einer be-
stimmten Hodenkrankheit (Karasek nennt sie nicht) leiden, verboten ist.
Solanum Bojeri (tula) ist ein wildwachsendes Unkraut der Steppe und Vorhügel, dessen
gelbe Früchte zumeist von den Wasegua gegessen werden.
Von Physalis, das in Gebüschen und an Waldrändern verbreitet ist, erzählen die Wa-
schambaa, diese Pflanze sei erst neuerdings eingeschleppt worden.
Hibiscus esculentus (bamia) fand bisher in Usambara nur wenig Verbreitung.
Die Früchte von den Kürbisarten (mkoko) werden zerschnitten und gekocht genossen.1) —
1) ln Karaseks Nachlaß hat sich kürzlich noch weiteres umfangreiches Material betr. Ackerbau gefunden, das
im 11. Teil dieses Aufsatzes zur Veröffentlichung gelangen soll.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
181
In welch hohem Maße der Ackerbau die Kraft der Waschambaa beansprucht, zeigen
am deutlichsten die zeitraubende Bewachung der Felder und die zahlreichen Schutzvorrich-
tungen daselbst gegen Wild- und anderen Schaden, Man kann wohl sagen, daß jener Volks-
stamm die Hälfte seines Lebens auf den Wachtdienst verwenden muß.
Kaum ist die Saat dem Erdboden übergeben, so heißt es: „Kinder, auf die Vögel auf-
passen!“ Die Krähen sind besonders auf den Mais erpicht; doch am meisten fürchtet man
die Hundsaffen, die in Rudeln kommen, um den gekeimten Mais, ihre Delikatesse, auszu-
scharren; oft genügt ein Tag, und das Feld ist leer; die kindlichen Wächter erweisen sich
diesen Überfällen gegenüber machtlos. Auch frisch gepflanzte Bananenschößlinge werden oft
eine Beute der Hundsaffen, die das Innere der Pflanzen ausfressen.
Ist der Mais höher emporgewachsen, so siedelt gewöhnlich die ganze Familie des Grund-
stücksbesitzers in die Pflanzung über. In deren Mitte, womöglich an einer etwas erhöhten
Stelle, baut man eine einfache Feldhütte; zuweilen wird sie in Art einer Dorfhütte hergestellt,
doch meist begnügt man sich, vier Gabeläste im Geviert in den Boden zu stecken und über
ihnen ein Dach aus Zweigen anzulegen. Dagegen in der Ebene, wo häufiger Raubtiere auf-
treten, baut man sich eine festere Hütte oder man stellt eine Art Verschlag in der Krone eines
hohen Baumes her. Zu diesem Zweck läßt man bei der Anlage von Pflanzungen größere
Bäume stehen; eine Leiter führt zu dem einem Vogelkäfig nicht unähnlichen Bau im Baum-
geäst empor; oft allerdings besteht die Baumhütte nur aus einem Boden, über dem sich das
natürliche Laubdach wölbt.
Wo Menschenkraft zum Schutz der Felder versagt, nimmt man den Zauber zur Hilfe;
daher allerlei Zaubermittel gegen Wildschweine, Affen, menschliche Diebe usw.
Der Wachtdienst ist in der Weise unter die Familienglieder verteilt, daß am Tage die
Frau mit den Kindern, des Nachts der Mann wacht, der tagsüber entweder anderer Beschäf-
tigung oder auch seinem Vergnügen nachgeht. Ist er krank oder muß er notwendig ver-
reisen, so hütet ausnahmsweise auch des Nachts die Frau das Feld. Die Kinder laufen
lärmend zwischen dem Mais, dem Reis oder Sorghum umher, um die Scharen von plündernden
Vögeln zu verscheuchen; diese aber fliegen nur auf, um sich sofort an einer anderen Stelle
zu erneutem Körnerfressen niederzulassen.
Als Vogelscheuche benutzt man Töpfe, die auf eingeschlagene Pfähle gestürzt sind, oder
man bringt, besonders in Reispflanzungen, flatternde Tücher an; hin und wieder werden auch
menschliche Figuren, seltener Tiere aus Gras nachgebildet und aufgestellt. Vogelscheuche
und zugleich Schutzzauber repräsentieren die mit roten und schwarzen Tupfen bemalten Acha-
tinosschalen, die an hohe Stangen gebunden werden. Folgende Vogelscheuche von besonderer
Konstruktion zeigt, wie man sich den Wachtdienst zu erleichtern weiß; Auf einem Ameisen-
hügel, von dem das Feld gut zu übersehen war, hatte der Eigentümer eine Hütte gebaut; nach
drei Richtungen waren in Entfernung von je vier bis fünf Metern oben gegabelte Pfähle ein-
geschlagen; durch die Gabelungen lief von der Hütte aus je eine Schnur, an deren Ende ein
altes Petroleumgefäß aus Blech befestigt war. Der Feldhüter konnte, wenn er auf der kitanda
ruhte, in drei Hauptrichtungen die Vögel aus der Pflanzung verscheuchen, denn er brauchte nur
an der Stelle des Feldes, wo sie saßen, mit Hilfe der entsprechenden Schnur Lärm zu machen.
An vielen Orten sucht man sich durch Rauchentwicklung der Vögel zu erwehren; bren-
rende Reisighaufen werden mit frischem Gras zugedeckt.
Der nächtliche Hauptfeind jeder Anpflanzung ist das Wildschwein; wehe, wenn der Wächter
schlafen sollte! Am Morgen würde er eine weite Fläche umgewühlt, die Maispflanzen nieder-
getreten, die Kolben ausgefressen finden. Macht der Wächter an dem einen Ende der Pflanzung
Lärm, schlägt er die Trommel und singt laut dazu oder macht er dort ein Feuer, so schmausen
die Räuber indessen am anderen Ende gemütlich weiter; sie fliehen beim nahenden Geräusch,
fallen aber sofort wieder ein; Mais- und Knollenkulturen haben von ihnen am meisten zu
24*
182
KARASEK-E1CHH0RN
leiden. Wo Wildschweine häufig auftreten, zieht man um das bedrohte Feld, namentlich um
Tabakpflanzungen, einen Graben (njina) oder einen Knüppelzaun (bakwa), bei großen Feld-
flächen eine gewaltige Arbeit!
Von unterirdischen Schädlingen richtet der Maulwurf unter allen Knollenpflanzungen und
in den Kautschukplantagen große Verheerungen an; er lebt im Unterschied von seinem euro-
päischen Bruder nur von vegetabilischer Nahrung. Die Waschambaa stellen ihm mit Fallen
nach; ein Mann fängt in fünfzehn Fallen täglich durchschnittlich fünf Stück; zehn Fallen pro
Tag vermag er neu her- und aufzustellen. Die Falle kogo (Fig. 23) wird aus einem etwa 16 cm
langen und 11 cm breiten Stück Wurzel einer Bananenstaude angefertigt; man schneidet in
das ziemlich weiche Material eine konische Höhlung und schabt ungefähr 1—2 cm vom Rande
der weiteren Höhlenöffnung entfernt an der Innenseite eine Rille aus. Bei a, b, c sind Löcher;
durch c wird eine Bindfadenschnur gezogen, in die
Rille gelegt und mit frischer Erde verstrichen; durch
a, b steckt man eine frische Ranke, die unten mit
einem Knoten endigt oder an deren Ende ein Quer-
hölzchen befestigt wird; der bei c herausragende Bind-
faden wird an der Ranke oberhalb a festgebunden.
Nun gräbt man die Falle in einen Gang des Maulwurfs
so ein, daß er sie unbedingt passieren muß; die aus-
geworfene Erde wird wieder aufgefüllt und festgedrückt. Man steckt in einiger Entfernung
einen elastischen Stab in die Erde, biegt ihn nieder und verbindet ihn mit der Ranke. Beißt
der Maulwurf letztere durch, so ist die Sicherung ausgeschaltet, der federnde Stab schnellt
empor und zieht die Bindfadenschlinge dem Tier fest um den Leib.
Die Schädlinge aus der Insektenwelt werden durch
fleißiges Absammeln und Verbrennen bekämpft, doch
der Wanderheuschreckenplage steht der Mschambaa
machtlos gegenüber. Wohl weiß er, daß man den
Schwarm durch Schreien und Trommeln oder durch
den Rauch eines schnell angezündeten Feuers ver-
scheuchen könnte, aber er wendet diese Mittel nicht
an, denn würde infolgedessen sein Feld nicht befallen,
so würden sofort die geschädigten Nachbarn mit der
Behauptung auftreten, er sei ein Zauberer, die Ver-
schonung seiner Pflanzung liefere den Beweis; ja sie
würden ihn beschuldigen, die Heuschrecken in die Nachbarfelder geschickt zu haben. Aus diesem
Grunde sucht man sich einzig durch Zauber gegen die Heuschreckenplage (Fig. 24)x) zu schützen.
Mit dem Einbringen der Ernte erwachsen dem Mschambaa neue Sorgen; wie sie hüten
vor Mäusen, Insekten, Feuchtigkeit? Gegen die Mäuse hilft man sich durch Anwendung von
Zaubermitteln, aber auch durch Abfangen; die Kinder sind besonders hinter ihnen her, für sie
ist Mäusefleisch eine Delikatesse.
Gegen Insektenfraß schützt man die Bohnenlasten durch Hineinlegen von Tabakscheiben
oder man mischt ihnen Rizinussamen bei.
Vor Feuchtigkeit wird die Ernte durch Aufstapeln auf dem stets trockenen und reingefegten
Hausboden bewahrt; außerdem wird nach dem Einbringen derselben vier Tage lang in der
Hütte ein mächtiges Feuer unterhalten, besonders auch um die etwa miteingebrachten Insekten-
schädlinge abzutöten,
1) Das Zaubergerät besteht aus einem Horn, Federn und etlichen Hölzchen und ist mit Zeugstoff umwickelt;
es wird vom Zauberer nach dem Heuschreckenschwarme zu geschwenkt, zuweilen auch auf hohen Bergspitzen
aufgestellt.
Fig. 24.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
183
Dieser Abschnitt über den Ackerbau sei mit einer Notiz Karaseks über einige Giftpflanzen
beschlossen, von denen er aber leider nur die einheimischen Namen angibt; es sind dies:
1. kilugi, |
2. ganga, deren Milchsaft ist für die Augen sehr gefährlich;
3. kibaranga, j
4. lukue, die zerriebenen Blätter geben ein starkes Gift;
5. nschalaka, Milchsaft sehr gefährlich;
6. mandali, Blätter stark giftig;
7. kurungo, ein Baum mit gelbem Holz; Rinde sehr giftig. Eierstehlenden Hunden wirft
man in den Absud der Rinde getauchte Eier oder mit Rindeschnitzeln vermischtes Fleisch vor;
alsbald tritt der Tod ein.
Die Blätter von magobe sind ebenfalls giftig; zerstampft man sie und legt sie in die
Öffnung eines Bienenstocks, so stirbt alsbald das ganze Volk.
TABAK.1)
Erfahrene Tabakszüchter bevorzugen den alljährlichen Neu-Anbau, einmal weil die erste
Tabaksernte bedeutend reichlicher als die zweite ausfällt; sodann weil die Methode zur Er-
zielung einer Ernte im zweiten Jahre recht umständlich ist: Abbrechen der Stengel nach der
ersten Ernte und Ausbrechen der neuen Triebe bis auf einen einzigen; trotzdem schmeckt der
Tabak einer solchen Ernte nur wie „Kraut“.
Die Verpackung geschieht in Scheiben; früher band man zu einem lutete zwanzig Scheiben
zusammen, jetzt dagegen vereinigt man zwei lutete zu einem mzungu; in der Gegend von
Kisara werden sogar achtzig Tabakscheiben zusammen verpackt und so in den Handel gebracht.
Öffentlich zu rauchen ist jungen Burschen erst dann erlaubt, wenn sie ihrem Vater ein
bis zwei Rollen selbst gebauten und selbst zubereiteten Tabak gebracht haben.
Die primitivste Pfeife, die schnell hergestellt wird, wenn eine andere nicht zur Hand ist,
besteht aus einem Stück Ricinusstengel, das unter einem Internodium abgeschnitten wurde; in
diesen Pfeifenstock wird ein Blattstiel der Ricinuspflanze - er ist hohl - als Rohr gesteckt.
Auch Frauen und Kinder verfertigen sich diese Art Pfeifen, wenn sie auf dem Felde sind und
ihre Tonpfeifen vergessen haben; letztere sind überhaupt erst neueren Ursprungs.
Kurze Schopfpfeifen schnitzt man aus Holz; sie sind, im Gegensatz zu den den euro-
päischen nachgeahmten, aber plumpen Zigarettenspitzen, reizend gearbeitet und gut geglättet.
Das Wort kukubuya = mit dem Fett der Nase die unfertige Tonware glätten, enthält einen
Hinweis auf die altgeübte Poliermethode.
Raucht man bei Wind, so umwickelt man den Pfeifenkopf mit Blättern.
Das Zerkleinern der von der Tabaksscheibe abgebrochenen Stücke besorgen die Frauen, ebenso
das Stopfen der Pfeife sowie das Holen einer glühenden Kohle; bei dem Häuptling sind dies Funk-
tionen des Leibdieners. Da die frische Tabaksscheibe sehr hart ist, legt man die für das Füllen
einer Pfeife abgebröckelte Portion einen Augenblick auf glühende Kohlen; den hierdurch mürbe ge-
wordenen Tabak zerreibt man mit dem Daumen der rechten Hand in der hohlen Linken fast zu Pulver.
Herrscht Tabaksnot, so raucht das Volk als Surrogat zerriebene Papaya-Blätter, ge-
trocknete Haare der Maiskolben, gepulvertes morsches Holz, auch trockene Baumblätter.
Geht einem reisenden Mschambaa das Feuer in seiner Pfeife aus, so wickelt er einen
Brocken Tabak in den Zipfel seines Hüfttuches, zerkaut ihn und saugt ihn aus; zuweilen dient
beim Kauen auch nur ein Blatt zur Umhüllung.
Um dem wirklichen Kautabak einen besseren Geschmack zu verleihen, kaut man ihn mit
Ingwer zusammen, ein Luxus, den sich freilich nur der Reiche, der verschwenderische Boy
oder Koch des Europäers erlauben kann. —
1) Vgl. A. Karasek: Tabakspfeifen und Rauchen bei den Waschambaa.
Globus XC1II. Nr. 18. p. 285 f.
184
KARASEK-EICHHORN
SPIELZEUG. SPIELE.1)
Bei den Kinderspielen tritt die eigenartige Erscheinung zutage, daß fast alle Kinder eines
Dorfes an einem und demselben Spielzeug sich belustigen. Karasek sah im Oktober 1909
in Makibomi (Bungi, West-Usambara) alle Knaben zwischen vier und acht Jahren sich
mit dem futi-(Gewehr-)Spiel beschäftigen; ein anderes Mal — es war in Ngere und Kwan-
grue (Bumbuli, West-Usambara) — hielten fast sämtliche Dorfkinder kisegele, die Blüten
einer hier häufigen Protea sp., in den Händen.
Futi ist eine Knallbüchse; sie besteht aus einem 15 cm langen Stück des hohlen Rizinus-
stengels und einem etwas kürzeren hineinpassenden Stäbchen, in dessen Ende eine Mais-
kolbenspindel eingetrieben ist. Wird nun die Röhre auf beiden Seiten mit Kügelchen von
zerkauten trocknen Bananenblättern verschlossen und mit dem Stäbchen eins der Pfröpfchen
in die Röhre getrieben, so fliegt das andere mit lautem Knall an 10 m davon. Dann wird die
Röhre umgedreht und wieder ein Verschlußpfropfen eingeschoben. Manche Kinder schießen in
die Luft, dem Boden parallel, andere suchen ihre Spielkameraden zu treffen; einzelne geben
sich Mühe, den ungefähr senkrecht emporgeschossenen Pfropfen beim Niederfallen aufzufangen.
Ein anderes Kinderspiel: Von einem Unkraut, das überall an Feldrändern und im Busch
wächst, und dessen Blüten in Ährenform, wie ein „Schwanz“ angeordnet sind, zwicken die
Kinder die Spitze ab und reiben dann den Blütenstand zwischen den Fingern; die Wunde der
Blütenähre scheint nun zu vernarben und ein vollständig neuer „Schwanz“ zu entstehen; des-
halb sagen die Kinder; goto lawa mkila, goto lawa mkila (Hammel, bilde Schwanz!). Karasek
fragte eins der mitspielenden Mädchen: „Du, wie nennst du die Pflanze?“ Da lachte es, riß
ein Blatt ab und sagte: „Ich will sie fragen“. Das Blatt legte es zwischen beide Daumen,
blies es an und entlockte ihm einige Töne; nun sprach es: „Die Pflanze nennt sich“; dabei
gab sie deren Namen an (Karasek hat ihn leider in seiner Niederschrift nicht aufgezeichnet).
„Umgekehrte Welt“ spielen die Knaben, wenn sie sich vornüberbeugen und Steine zwischen
den Beinen hindurch werfen.
Von Fingerspielen wurde bei den Kindern beobachtet: das letzte Glied eines Fingers wird
umgebogen, mit dem Finger auf und ab gewackelt und dabei gesungen: kidanga se, so so le,
kidanga se, so so le.
Ein halberwachsenes Mädchen hält ihr kleines Brüderchen auf dem Schoß, tippt ihm mit
dem Finger auf die Unterlippen und erzeugt so einen Ton, ähnlich einem prr, prr; oder es
steckt ihm den hakenförmig gebogenen Zeigefinger in den Mund, dehnt die Backe ihm seit-
lich aus, schnellt den Finger unter Druck aus dem Munde und verursacht so ein glucksendes
Geräusch. Dieses unschuldige Kinderspiel darf die sittsame Mutter nicht hören; „es erinnert
an gewisse nächtliche Geräusche“.
Zwei Knirpse, Brüderchen und Schwesterchen, sitzen sich gegenüber und vertreiben sich
damit die Zeit, daß jedes abwechselnd die Backen aufbläst und das andere daraufschlägt;
das entstehende Prusten veranlaßt bei den dabeistehenden Kindern fröhliches Gelächter.
In alten Zeiten belustigten sich die Waschambaa auch mit dem Fadenspiel lusazi; jetzt
ist es unbekannt.
MUSIK.
Aus der Reihe der Musikinstrumente ist heutigen Tags die Maultrommel vollständig ver-
schwunden. Auch kibuzi mzinga ist so gut wie abgekommen anzusehen; Karasek beobachtete
nur ein einziges Mal und nur bei den Kindern diese alte Musikvorrichtung. Man denke sich
ein in die Erde gegrabenes Loch; über ihm wird ein Rindenstück befestigt, das vier schief
eingeschlagene Pflöcke niederhalten; in seiner Mitte sind zwei kleine Öffnungen angebracht,
um durch sie zwei Schnürchen hindurchziehen zu können, die unter dem Rindenstück entweder
1) In Kasareks Nachlaß hat sich neuerdings noch die Beschreibung anderer Spiele gefunden; ihre Ver-
öffentlichung erfolgt später.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
185
zusammengeknotet oder beide an ein Hölzchen gebunden werden; mit ihnen ist eine längere Schnur
auf der Oberseite befestigt, deren anderes Ende an einen federnd eingeschlagenen Stab, wie er bei
Fallen verwendet wird, gebunden ist. Die auf diese Weise straff gespannte Schnur wird mit einem
Plektron oder mit dem Finger angeschlagen. Jeder der mitspielenden Knaben hatte sich solch ein Musik-
instrument hergestellt; erst schlug einer nach dem anderen auf die Schnur, hernach alle gleichzeitig.
Der Musikbogen (pango) besteht aus einem elastischen Stabe (uta), seine Sehne bildet eine
Bastschnur (lugole); durch eine Schlinge wird sie in der Mitte an den Stab herangezogen.
Dieser einfache Musikbogen ist in Usambara kaum noch in Gebrauch.
Viel häufiger ist uta in Verbindung mit einem Resonator (malukumbo) (Fig. 25), den ein
durchschnittener Flaschenkürbis in der Weise bildet, daß sein Boden auf einer Tuchscheibe
(gata) ruht und durch ihn ein Faden gezogen ist, der ihn am Bogen festhält.
Zum Feldhüten nimmt man solch einen Bogen mit Pfeilen dazu und den
losen Resonator mit; Waffe und Musikinstrument sind eins.
Der Spieler faßt pango mit der rechten Hand und schlägt mit einem Stäb-
chen (mschaschu), einem Raphiastielstückchen, abwechselnd diesseits und jen-
seits der den Resonator tragenden Schlinge auf die Sehne; gleichzeitig drückt
er diese mit dem gekrümmten Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand herab
und preßt das eine Mal den offenen Teil des Resonators gegen die Brust, das
andere Mal hält er den Musikbogen wieder ganz frei. Manche Waschambaa
halten den Resonator vor den Mund und singen ein Lied hinein, während sie mit der Hand
die Saite anschlagen. Reißt beim Verfertigen des pango (oder der sese) einem ledigen Mann
die Saite, so bekommt er nach dem Glauben der Waschambaa keine Frau.
Trommeln dürfen nur von verheirateten Leuten bespannt werden.
Zu Trompeten beim Wachtdienst auf den Feldern benutzen die Waschambaa auch die
hohlen Blütenschäfte einer kolossal großen Lobelia lagongola.
Pfeifchen werden aus dem Stengel von nonga pembß, aber auch aus Horn hergestellt.
TRANSPORTMITTEL.
Schmale Eingeborenen-Pfade überziehen gleich einem feinen Spinngewebe ganz Usam-
bara; sie laufen von Dorf zu Dorf. Breite Verkehrsstraßen kannte man in früheren Zeiten
nicht. Jene Pfade, auf denen mehrere Leute nur im Gänsemarsch gleichzeitig gehen können,
führen bergauf und bergab, über Felsen oder an Abgründen so nahe vorüber, daß ein unvor-
sichtiger Schritt lebensgefährlich wird; womöglich vermeiden sie die steilsten, obgleich kürzesten
Anstiege und ziehen an der Berglehne allmählich empor. An Stellen mit sehr großer Neigung
sind oftmals Stufen eingehauen. Bei Regenwetter schüttet man auf den steilen schlüpfrigen
Eingangspfad ins Dorf Lehm, Sand, auch trockene Maisspindeln. Es ist Pflicht des Ortes, in
dessen Gebiet der Weg verläuft, ihn reinzuhalten, doch wird er meistens nur dann gereinigt,
„wenn er stirbt“, d. h. so verwachsen ist, daß er geradezu ungangbar wurde.
Brückenbau war ursprünglich den Waschambaa fremd; sie haben daher für Brücke
auch nur die entlehnte Bezeichnung deradja. Man begnügte sich über einen Bach oder eine
Schlucht einen starken Baumstamm (goda) zu legen; in seltenen Fällen löste man die Rinde
ab, ihre Rauheit bot ja den barfüßigen Passanten um so besseren Halt; hatte sie sich aber im
Laufe der Zeit vom Stamme abgebröckelt, so wurde dieser mit dem Beile ein wenig geebnet.
Primitive Brücken stellt man zur Zeit in der Weise her, daß zwei oder mehr starke
Stämme in etwa einem Meter Entfernung von einander über den Bach gelegt und gleichlange,
zubehauene Hölzer quer auf ihnen angebunden werden. Da jedes Hochwasser solch eine
Brücke mit sich fortreißt, so mußte ein Steg z. B. achtmal im Jahre neugebaut werden; infolge-
dessen haben die Waschambaa eine ziemliche Fertigkeit in diesem einfachen Brückenbau erlangt.
Bei flachen Bächen begnügt man sich, große Trittsteine in das Bachbett zu legen.
186
KARASEK-EICHHORN
EHE, STELLUNG DER FRAU, KINDER.
In früheren Zeiten wurde die Ehe als Abschluß einer Blutsfreundschaft aufgefaßt; diese
Anschauung hatte zur Folge, daß die Nupturienten nur miteinander in geschlechtlichen Ver-
kehr treten durften; beging ein Teil Ehebruch, so traf ihn die Todesstrafe. Unter dem gegen-
wärtigen Einfluß der Zivilisation sind die Anschauungen über die Ehe laxer geworden.
Wenn der Ehemann seinen Aufgaben genügt, nämlich den Busch schlägt, Körbe flicht,
schnitzt, auf die Jagd geht, seinen ehelichen Pflichten nachkommt, für seine Frau ein gutes
Wort hat, ihr hin und wieder ein kleines Geschenk gibt und für sie ein wenig Holz schlägt,
so wahrt ihm seine Frau die eheliche Treue und „wenn er einen Seitensprung macht“ drückt
sie ein Auge zu. „Es kostet ja ihm und nicht mich drei Ziegen!“ so denkt sie dabei. Wenn
sie eine gute Frau ist, sorgt sie, daß während der Zeit ihrer Menstruation ihr Mann eine
Freundin findet, die ledig oder verwitwet ist.
Die Liebe des Mannes zu seiner Frau ist meistens keine oberflächliche. Hat die Frau
einen Fehltritt begangen, so zürnt ihr der Ehegatte oft Wochen hindurch; die ein bis drei
Ziegen, die er als Sühne zu erhalten hat, stimmen ihn nicht besser. Bei einer Scheidung
hört man in der Regel den Ehemann sagen: „Ich will nicht die Ziegen oder das Geld,
sondern meine Frau.“
Die Ehefrau ist zu tüchtiger Arbeit verpflichtet; ihr Tätigkeitsgebiet ist neben der Haus-
wirtschaft die Reinhaltung der Felder und die Töpferei. Ist sie träge, so kommt es zu Streitig-
keiten; hin und wieder eine Ohrfeige von ihrem Mann oder ein wenig Prügel sind an der
Tagesordnung. Hat sie schlecht gekocht, so wirft der Mann das Essen den Hunden vor —
eine schwere Beleidigung für seine Frau, die sich beeilt künftig besser zu kochen. Sie hört
auf jeden Ratschlag ihres Mannes. Ist sie heiteren Gemüts, so sieht man im Hause zufriedene
und fröhliche Gesichter; um so glücklicher sind die Ehegatten, je mehr Kinder vorhanden sind.
Es gibt auch Frauen mit unberechenbarem Charakter, denen gegenüber der Ehemann nie
weiß, woran er ist; „Frauen sind keine Menschen“, sagt dann der Mschambaa, der betrogen
worden ist, sich zum Trost.
Was die Prostitution anlangt, so ist zunächst zu bemerken, daß die weiße Haut des Euro-
päers den Mädchen und Frauen der Waschambaa Abscheu, ja Ekel erregt; sie spucken vor
ihm aus; sodann ist der Europäer meistens unbeschnitten, ein weiterer Grund zur Verachtung.
Nach Karaseks Beobachtungen und Berechnungen haben sich von den Waschambaa weib-
lichen Geschlechts in West-Usambara nur 14 Frauen den Europäern hingegeben.
In Hinsicht auf die Ehehindernisse sei erwähnt: die Wakilindi hält die Furcht ab, Wapare-
Mädchen zu heiraten, weil diese sehr oft „Töpfe zerbrechen“, d. h. Selbstmord begehen. Auch
den Familiengliedern, die das Opferfest fika gemeinschaftlich feiern, ist gegenseitiges Heiraten
verboten. Ferner dürfen nahe Verwandte nicht miteinander Ehen eingehen, bei entfernterer
Verwandtschaft erfordert das Heiratszeremoniell, eine Ziege koma ndugu zu schlachten. Wird
entgegen diesen Hindernissen und Verboten eine Ehe geschlossen, so spricht man von Blut-
schande und als deren Folge wird Kinderlosigkeit oder frühzeitiges Sterben der Kinder be-
fürchtet. Beispiel: Dem Jumben Kimela aus Dindila zürnte eine seiner Frauen; als er nun
entgegen allem Herkommen mit Frau und Tochter in einem Bett schlief, befahl erstere ihrem
Kinde, sich an ihre Stelle zu legen; in der Finsternis beging der Vater ohne Wissen Blut-
schande; er gebot der Tochter zu schweigen; sie schwieg, ein seltener Fall, tatsächlich und
wurde alsbald verheiratet; dreimal gebar sie, doch jedes Mal starb das Kind, bevor es laufen
konnte. Das Orakel gab als Ursache dieser Kindersterblichkeit Blutschande an, und die
Tochter gestand die Schändung ein; nun holte man einen Zauberer . . . (ob er geholfen hat,
konnte Karasek nicht feststellen).
Bis vor kurzem bestand das Verbot, den Namen des Schwiegervaters und der Schwieger-
mutter auszusprechen. Fragte man z. B. von wem erzählst Du? So lautete die Antwort: Von
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
187
meinem Schwiegervater (ohne Angabe des Namens) im Dorfe X. War dagegen die gefragte
Person nicht verschwägert, so wurde erwidert; Von Soundso (also Angabe des Namens) aus
dem Dorfe X. Forschte man bei einem Verheirateten weiter: Wie heißt denn dein Schwieger-
vater? So erhielt man entweder eine lügnerische Antwort oder den ehrlichen Bescheid; „Ich
darf den Namen nicht aussprechen; das ist muiko der Waschambaa.“
Hat die Vermählung stattgefunden, so läßt man im Haus des jungen Paares absichtlich
die Kohlenzange (ngwatu) fehlen, weil sie an Zwillinge erinnert. In der Hütte ist stets nur eine
Bettstelle vorhanden; eine zweite wird erst beschafft, wenn die Frau hoch schwanger ist oder
das erste Kind geboren hat. Der Mann schläft der Türe, die Frau der Wand zugekehrt.
Schlägt ein Mann Holz und trifft er nicht mit jedem Hieb auf dieselbe Stelle, so sagen
seine Freunde: Du wirst noch eine zweite Frau heiraten.
Stellt sich nicht bald Kindersegen ein, so wendet man sich an den Zauberer. Dem in
Migombami wohnenden, namens Scheka mbolo, wurde die Spezialität des Kindersegen-
zaubers im besonderen Maße zugeschrieben; er hielt der zu behandelnden Frau seinen mit Öl
eingeriebenen Penis vor die Vagina; hernach erhielt seine Patientin noch verschiedene Medizinen.
Die Eltern sind stets auf das Wohl ihrer Kinder bedacht. In Zeiten der Hungersnot geben
die Mütter ihren Kleinen den letzten Bissen und hungern selbst oft tagelang. Ist ein Kind
unglücklich, dann suchen ihm seine Eltern nach Kräften zu helfen. In Krankheits- und Un-
glücksfällen, die sich im Verbände der Familie zutragen, teilen alle das Leid. Die Mädchen
hängen mehr an der Mutter, die Knaben am Vater. Das Wort der Eltern ist den Kindern
heilig; Elternliebe gilt bei den Waschambaa als Haupttugend. Ist eins der Eltern gestorben,
so sind die Kinder längere Zeit zu jeder Arbeit und zu jedem klaren Gedanken unfähig;
spricht man von den Verstorbenen, so füllen sich ihre Augen mit Tränen. Wollte jemand
wagen, den Eltern eine Beleidigung zuzufügen, so würde sie von den Kindern nie vergessen
und schwer gerächt.
Verliert eine Familie ein Kind, so begeht die Mutter, wenn es ihr einziges war, leicht
Selbstmord.
Der Mschambaa zeichnet sich durch opferwilligen Familiensinn aus; er tut für seinen
Bruder alles, hilft ihm in der Not, bezahlt seine Schulden, kauft ihn aus der Sklaverei los.
Kinder einer Sklavin gelten als frei. Ein Mkilindi heiratete eine Sklavin; als sie ihm ein
Kind gebar, ward sie fortan seine rechtmäßige Frau gleich den übrigen, damit man dem Kinde
nicht seine Abstammung vorwerfen könne.
GEBURT UND TOD.
Für die Schwangere gelten folgende Regeln (muiko): 1. Begegnet ihr ein Zug Wander-
ameisen, so legt sie einige frische Zweige darüber, und nun erst schreitet sie über ihn hin.
2. Sie darf keine Rinde von frischen Zweigen ablösen.
3. Honig und Kürbisgemüse zu essen sind ihr verboten.
4. Das Tragen von Schmuck, z. B. Perlen, ist ihr nicht gestattet.
Gescheite Frauen essen vor ihrer Niederkunft wenig, dumme viel; je mehr Nahrung die
Schwangere zu sich nimmt, um so schwächer wird ihr Kind. Besondere Abzeichen trägt
heutigentags die Schwangere nicht mehr. In dem Monat, in dem die Geburt stattfinden soll,
wird die Gravida meistens von ihrer Mutter oder ihrer Schwester begleitet,
Stellen sich die ersten Wehen ein, so lassen die in der Hütte Anwesenden alles stehen
und liegen, selbst das Essen, wenn es auch gerade genossen werden sollte.
Man ruft die Hebamme, mhokezi, eine alte Frau; aber auch ältere Freundinnen der Schwan-
geren, die bereits geboren haben, besorgen deren Amt. Alle Kinder werden aus der Hütte entfernt.
Eine Erstgebärende setzt sich auf zwei kungu-Samen; nach der Geburt werden diese zwei
alten Frauen zu essen gegeben.
BAESSLER-ARCHIV I. 4/5. 25
188
KARASEK-E1CHH0RN
Kommt eine Freundin von auswärts auf Besuch, so läßt man sie nicht eintreten; ist es
eine aus dem Dorfe, so muß sie rückwärts schreitend sich wieder entfernen; rückwärts, denn das
Kind könnte die Fremde Weggehen sehen und sich daraufhin wieder in den Mutterleib zurückziehen.
Die Gebärende hockt mit ausgespreizten Beinen auf einem Ziegenfell; wird sie müde, so
streckt sie sich aus oder setzt sich auf einen Graskranz, wie man ihn beim Wasserholen als
Unterlage der Wassergefäße auf dem Kopfe trägt.
Die Geburt erfolgt in den meisten Fällen sehr leicht, doch ist es Fabel, daß die Negerin in
den Busch geht und mit dem Kinde im Arm, wohlgemut zu ihrer Arbeit zurückkehrt. Als Medizin
für schnelles Gebären werden geschabte kungu-Schalen in lauwarmem Wasser eingegeben.
Bringt ein Arzt eine Medizin, dann betupfen sich zuerst die anwesenden Frauen viermal
mit ihr den Gaumen, ehe sie diese der Wöchnerin reichen. Außerhalb der Hütte nimmt der
Zauberer Besprechungen vor.
Verzögert sich die Geburt, so raten die anwesenden Frauen: Da hilft nur mavi ya ngodi.
Eine Frau läuft schnell zum Ehemann der Gebärenden; dieser läßt etwas Urin in ein luschafa
(Bananenblatt) und dieser wird als angebliche daua-Medmn seiner Frau gebracht. Inzwischen
haben die anderen Frauen in die Mörser geschlagen, um die mschuzamisi glauben zu machen,
es werde wirklich für sie Medizin bereitet.
Geht trotzdem die Geburt nicht vonstatten, so feuert man einen Schuß an der Hüttentür
ab; die Nachbarn brüllen; „Krieg! Krieg!“ Die Frau erschrickt und soll dann schnell gebären.
Hilft auch dieses Schreckmittel nicht, so führt man die Schwangere einige Schritte umher,
wäscht sie mit lauwarmem Wasser ab, reibt sie mit Öl ein und massiert sie kräftig.
Versagt diese Prozedur, so wird die Gravida auf den Kopf gestellt; eine Frau knetet sie
in der Nabelgegend, die andere schüttet einen Löffel warme Butter in die Scham,
Bei Beckenenge, die sehr selten vorkommt, wissen sich die Waschambaa keinen Rat,
Anhaltende Geburtswehen (mschango ya gendo) betrachtet man als Beweis des Geschlechts-
verkehrs der Frau mit mehreren Männern.
Sobald das Kindchen soweit sichtbar geworden ist, daß ein Ärmchen hervortritt, so greift
die Hebamme mit eingefetteter Hand darunter.
Karasek belauschte einmal folgendes Zwiegespräch: Wenn Zwillinge geboren werden,
streiten sie sich, schimpfen und raufen einander im Mutterleibe, wer von ihnen zuerst das
Licht der Welt erblicken soll; infolgedessen kommen zwei Hände auf einmal zum Vorschein;
daraufhin sagt die mhokezi: Hm, Freundin, zwei Kinder sind auf dem Weg! Mit eingeölter
Hand drängt sie eins zurück. Zwillinge werden übrigens, ganz gleich, ob sie an demselben
oder an zwei Tagen geboren worden sind, getötet.
Ist das Neugeborene auf dem Scheitel sehr schmutzig, dann machen die helfenden Frauen der
Wöchnerin den Vorwurf, ob sie sich wegen ihres Verkehrs mit anderen Männern nicht schäme.
Kommen bei der Geburt zuerst die Füßchen des Kindes zum Vorschein, so wird es getötet.
Stirbt das Kind während der Geburt, so zieht man es mit Gewalt aus dem Mutterleibe;
die Frauen halten bei dieser Prozedur die Wöchnerin, die in vielen Fällen an den Folgen
dieses rohen Eingriffs zugrunde geht.
Muiko für die Wöchnerinnen sind:
1. Kein kaltes Wasser trinken.
2. Sich nicht waschen noch baden.
3. Nach erfolgter Geburt sich die Schamlippen (maremba) abschneiden lassen, anderenfalls
lernt das Kind nicht laufen; mit dem nach der Operation hervorquellenden Blute wird
dessen Stirn, Brust und Rücken betupft. An dieser Stelle sei gleich erwähnt, daß die
Mutter, wenn sie später ihr Kind mit gekreuzten Beinen dasitzen sieht, ihm ein sanftes
Kopfstück gibt und sagt: „Du willst wohl, daß ich mir jeden Augenblick die maremba
abschneiden lasse?“
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASGHAMBAA I
189
Der Ehemann wohnt von der Zeit der Niederkunft ab nicht mehr daheim, sondern ver-
zieht in das Jünglingshaus des Dorfes. Von Zeit zu Zeit wird er über den Zustand seiner
Frau benachrichtigt; im Falle der Verzögerung der Geburt befragt er das Orakel (mlamula)
nach der Ursache. Gleich nach der Geburt schlachtet er eine Ziege; ist der Schwiegervater
ein „braver“ Mann, so tut er desgleichen. Von Leber, Magen und Brustfleisch wird Fleisch-
brühe gekocht, von der die Wöchnerin an den folgenden vier Tagen trinkt und dazu die Speise
kibibi (aus Kürbis hergestellt) genießt. Das Kochen besorgt entweder die Mutter der Frau
oder eine verheiratete Schwester. Während der Zeit des Wochenbettes ist jeder Dorfbewohner,
Mann wie Frau, zu kleinen Hilfsleistungen bereit; eins bringt Holz, ein anderes Wasser; diese
Gefälligkeiten werden mit kungu- Samen belohnt. Auch jede Freundin kocht etwas für die
Wöchnerin; kommen sechs Freundinnen zu Besuch, so kochen alle sechs, und sechsmal muß
die mschuzamisi essen. Es kommt den Freundinnen darauf an, alle Einzelheiten des Wochen-
bettes zu erfahren, um dann Stoff zum Plaudern im Dorfe zu haben. Ohne Gruß verab-
schieden sie sich, weil sonst das Kind nicht schlafen, sondern viel weinen würde.
Gleich nach der Geburt zerkaut die Hebamme eine kungu-Frucht und reibt damit den
Kopf des Neugeborenen ein, damit sein Schädel fest werde; auch später noch wird er mit Öl
eingerieben und zwar bis das Kind laufen kann; mit diesen Einreibungen ist gleichzeitig eine
Formung des Schädels sowie der Nase, die eventuell lang gezogen wird, und der Augen,
damit sie nicht geschlitzt erscheinen, verbunden.
Wenn ein Kind bei Nacht mit den Händen gestikuliert, spricht oder schreit, so fertigt man
ein Amulett in folgender Weise an: Ein Hahn wird eingesperrt und am nächsten Tage etwas
von seinen Exkrementen genommen, dazu ein Stückchen von seiner Schwanzfeder, ein Stück-
chen einer Straußenfeder und eines Nachtaffenschwanzes; dies alles bringt man in eine erd-
nußähnliche Form, umnäht es mit einem blauen Tuchstückchen und hängt dies Amulett an
einem Faden dem Kind um den Hals.
Was das Stillen betrifft, so hörte Karasek, daß Kinder, die im Regenwetter umherlaufen
und dann zur Mutter zum Saugen kommen, deren Abmagerung herbeiführen sollen; um letzteres
zu verhüten, bindet der um seine Frau besorgte Ehemann, wenn es regnet, das Kind mit
einem Strick am Bein an der Bettstatt fest.
Unruhig schlafenden Kindern werden Hände und Füße zusammengeschnürt.
Um die Entwöhnung herbeizuführen, bestreicht die Mutter die Brüste mit dem Saft der
Paprikaschoten oder der Tula-Früchte, manchmal auch mit Ziegen- oder Kuhexkrementen.
Ist das Kind schon älter, dann saugt der Vater scheinbar an der Brust der Mutter und nun
„ekelt sich das Kind zu saugen; es denkt, der Vater tritt in jeden Dreck.“
Die Waschambaa haben die Vorstellung, daß heutigen Tags sich deshalb eine vermin-
derte Geburtszahl und gesteigerte Sterblichkeit unter den Erwachsenen zeige, weil die Europäer
an den früheren Begräbnisstellen den Erdboden von unten nach oben gekehrt hätten; ferner,
weil die religiösen Verbote nicht mehr wie ehedem im Volke respektiert würden; aus diesen
Gründen ergriffen die wazimu die Flucht. Auch habe man früher zu Beginn der großen
Regenzeit küeta gefeiert, die Männer hätten Mais gestampft, hätten Haarschöpfe (luschmgi) und
die Frauen weiße Perlen getragen usw. Im November 1909 hatten die Eingeborenen in der
Umgebung von Mgila vereinbart, daß die Frauen wieder mit Perlen um den Hals und die
Männer mit Haarschöpfen einhergingen; gleichzeitig ward das Zubereiten von Kürbisgemüse
verboten. Außerdem hatte man sich im Geheimen verständigt, wer von den Männern diesen
Abmachungen zuwider handelt, erhält zur Strafe die Nachbildung einer weiblichen Scham;
wer von den Frauen, die eines Penis.
Tod. Bei den Wazilangeni herrscht die Vorstellung, daß, wenn jemand zu einem ihrer
Stammesgenossen sagt: „Ist der aber dick!“ letzterer furchtbar krank werde und sterben müsse.
Auch der Anblick einer gebärenden Hündin bewirkt den Tod des Menschen.
OK*
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KARASEK-EICHHORN
Stirbt bei den Waschambaa ein lediger Mann, so schneidet ein Greis vom mzugwa-
Strauch, einer Labiale, die zu Dorfumzäunungen verwendet und deren Blätter zu Medizinen
gebraucht werden, eine Rute ab, schlägt damit den Penis des Toten und spricht: mkazio, deine
Frau. Stirbt eine ledige Frau, dann hält eine Greisin ein brennendes Holzscheit kizinga tscha
moto vor das Hinterteil der Toten und sagt; mlumeo, dein Mann.1)
Gleich allem Toten wird die menschliche Leiche verabscheut. Der Waschambaa fürchtet
sich einen Schädel in die Hand zu nehmen.
Den Watschetschu, wie man die Wasegeju nennt, und die insgesamt für schlechte
Menschen gehalten werden, sagt man nach, daß sie Leichen benutzen.
Die Waschambaa haben den Glauben, daß infolge des Todes und Begräbnisses eines
Menschen die Erde sich an diesem Tage ausdehne (mtschange wimba); wer sich zu der Zeit
mit der Hacke eine Verwundung zuzieht, muß sterben.
Die „schlecht Gestorbenen“ z. B. Selbstmörder, legt man in Felsenhöhlen; dort sind sie
den Geistern näher.
Karasek lachte einmal laut, als er eine Zeitungsnotiz aus der Schweiz gelesen hatte,
nach der ein Raucher gewünscht haben sollte, ihm in den Sarg eine Pfeife, zwei Pfund Tabak
und zwei Päckchen Streichhölzchen zu legen; er erzählte von diesem Sonderling den Wascham-
baa; sie meinten, da sei nichts zu lachen; jener Mann habe gewollt, daß sein Geist später
auch rauchen könne.
Ihr Ahnenhaus haben die Wapanda in Ngere, in der Gegend von Bumbuli; dieses
Dorf wird von den Wakilindi nie betreten. Das Opferfest feiert man im Nuine-Tal; die
Stelle befindet sich bei Djaila und sie ist durch eine große Messingspange in der Form
eines lateinischen C näher bezeichnet.
Den Wuaschi, die Jäger sind, sagen die Waschambaa nach; „Wenn einer stirbt, so
bleibt von ihm nur der Köcher übrig.“
Selbstmord kommt bei den Waschambaa häufig vor. Die Motive sind namentlich:
1. Gröbliche und grundlose Beschimpfung des Sohnes oder der Tochter seitens der Eltern.
Gewöhnlich verteidigt sich der beleidigte Teil mit den Worten: „Ich arbeite doch täglich für
dich, ich gebe dir meinen Verdienst, auch mein Weib arbeitet auf den Feldern . . .“ Sodann
geht z. B, der Sohn weg, zerschlägt einen Topf (Rachezauber) und hängt sich auf oder (was
jetzt öfters geschieht) zieht in die Fremde.
2. Beleidigung von Vater oder Mutter seitens eines der Kinder.
3. Streitigkeiten zwischen Geschwistern.
4. Neid; so wenn z. B. ein Sohn eine Ziege von den Eltern geschenkt erhält und der
andere leer ausgeht.
5. Todesfall eines der Ehegatten; der Überlebende erhängt sich.
Von Selbstmord aus Not durch totalen Vermögensverlust oder aus Liebesgram hat Karasek
nie etwas gehört.
Frauen und Mädchen nehmen sich meistens aus Furcht vor den Folgen unerlaubten geschlecht-
lichen Verkehrs oder aus Gram, daß der Vater sein Kind als solches nicht anerkennt, das Leben.
In den Augen des Volkes gilt Selbstmord als etwas Verdammenswertes; daher werden
die Selbstmörder nicht begraben, sondern in Felsenhöhlen oder im Busch niedergelegt; dort
wird ein Baumstamm gefällt und über den Leichnam gewälzt. Mit Ausnahme der Axt, des
Buschmessers, des Speeres und Schwertes wirft man seine Habe, besonders seine Kleidung,
ebenfalls in den Busch.
Der Baum, an dem sich jemand erhängt hat, wird mit seinen Wurzeln ausgegraben; man
schlachtet eine Ziege und wirft den Inhalt der Därme sowie ihre Knochen in das Loch, wo
1) Bei den Suaheli ist es Sitte, daß sich die Ehefrau über ihren sterbenden Mann beugt und ihre Vagina
über seinen Penis hält (nach Karasek).
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
191
der Baum stand; würde man den Baum nicht ausgraben, so müßten Kinder und Geschwister
des Selbstmörders alsbald sterben.
Nahm sich in einer Feldhütte jemand das Leben, so wird sie verbrannt.
Gelingt es den Lebensmüden noch zu retten, so sagen die Leute, das tut er nicht mehr,
er weiß jetzt, wie es schmerzt.
BESCHNEIDUNGSFEST. GEISTERGLAUBE. ZAUBERWESEN.
In Mgila hatte Karasek Gelegenheit, einem malikoakaja, dem Beschneidungsfest der
Waschambaa, beizuwohnen und es mit allen seinen Einzelheiten kennen zu lernen.
Sobald der Knabe ohne fremde Hilfe laufen kann und der Vater die nötige Ziege oder
den Ochsen beschafft hat, wird das Fest gefeiert. Sollen mehrere Maschambaa-Knaben
gleichzeitig beschnitten werden, so steuern dis Väter zusammen und erwerben einen Ochsen;
ist unter jenen Knaben der Sohn eines Häuptlings, so spendet dieser den Ochsen und die
andern Väter je eine Ziege; in diesem Falle wird der Mkilindi-Sohn zuletzt beschnitten.
Ist ein Vater ohne Vermögen, so verzögert sich malikoakaja bis zum achten, ja zehnten
Lebensjahre des Kindes.
In der Frühe des Tages, wann der Wein vergoren ist, versammeln sich Vater und Mutter,
einige ältere Frauen und alle Verwandten im Hause; der Knabe ist nackt und muß nüchtern
bleiben; die Mutter tröstet ihn: „Warte nur! Essen bekommst du draußen; auch ein neues
Tuch.“ Der Knabe darf deshalb keine Nahrung zu sich nehmen, weil man sonst zu großen
Blutverlust befürchtet.
Bevor das eigentliche Fest beginnt, wird dem Ahn eine Ziege als Opfer dargebracht; aus
ihrer Haut werden für den zu Beschneidenden, für Vater und Mutter und Anverwandte maseke-
Ringe hergestellt. Der Vater spricht beim Opfer zu dem mzimu: „Wir sind gekommen, Dir
zu sagen: Unser Sohn wird heute beschnitten; behüte das Kind und mache gute Miene (wört-
lich: gute Augen), zürne nicht! Wir bringen Dir eine Ziege.“
Alsdann wird tutu, die große Trommel, nebst den dazu gehörigen kleinen Trommeln ge-
schlagen; die ganze Gesellschaft singt die ngoma ya uschunguzi.
Die Tante des zu beschneidenden Knaben (mschunguzi) ist nur mit einem weißen Hüft-
tuche bekleidet, das sie zwischen den Beinen durchgezogen hat; sie sitzt auf einem Stühlchen;
ein Topf pombe steht zwischen ihren Füßen. Ein alter Mann zerschneidet einen kungu-Samen;
die eine Hälfte zerkaut die mschunguzi und spuckt die Masse in die Samenschale; diese setzt
sie auf einen ihrer Schenkel, nimmt das zu beschneidende Kind rittlings auf ihre Beine, reibt
ihm den Rücken mit dem zerkauten Samen ein und spricht dabei: „Mein Mann“; das Kind
hat zu antworten: „Meine Frau“. Nun kommt die Großmutter des Kindes, die von jetzt ab
mhokezi genannt wird, legt das Kind in eine Tragtasche für Kinder (bereko) oder, wenn keine
vorhanden ist, in eine Haut und trägt es zur Hütte hinaus.
Hier sitzt bereits der Medizinmann (mtini) der die Beschneidung vornimmt; auf dem Schoß
hat er eine lukopa, die früher gebräuchliche Lederbekleidung. Ist der mtini ein Mpare, so
heißt er an diesem Tage kiwago-, gehört er zu den Waschambaa, so nennt man ihn mdol.
Ein anderer Mann toza mali nimmt das Kind aus den Armen der Großmutter; sie ist die
einzige Frau, die der folgenden Zeremonie zuschaut. Die Männer stellen sich um mtini und
den Knaben im Kreise; der Medizinmann bindet ihm um den Leib einen Faden, an dem vorn
ein Ring so befestigt ist, daß er den Penis aufrecht hält; diese Vorrichtung kigata bringt der
mtini mit; ist der Knabe erwachsen, so werden ihm zwei kigata umgebunden. Mit einem
kleinen Messerchen wird rasch die Vorhaut abgeschnitten, um den Penis ein Amulett zum
Blutstillen (mapande) befestigt oder die Wunde mit einem blutstillenden Mittel eingerieben.
Dem Knaben bindet man ein weißes Tuch — aus Furcht vor dem bösen Blick und den
Hühnern — vorn vor; selbstverständlich hat er bei der Verwundung geschrien; aber im Hause
192
KARASEK-EICHHORN
wird die ngoma so kräftig geschlagen, daß ihr Klang das Wehgeschrei übertönen mußte;
außerdem stopfen sich aus Vorsicht die Eltern des Kindes-und die mschunguzi mit den kleinen
Fingern die Ohren zu - der Zeigefinger wird gestreckt gehalten, die anderen drei Finger
werden gebeugt denn wenn die Eltern das Geschrei hören würden, wäre Impotenz des
Beschnittenen die Folge. Ist die Circumcisio vorüber, so erhält die mschunguzi ein kikapu
kungu und einen Topf pombe-, jetzt darf sie eine kleine Weile aufstehen. Der Vater eilt zur
Hütte hinaus, schlägt mit einem Stock auf das Strohdach und schreit: „Wer will mein Kind
ermorden? Wer will ihm etwas Böses antun?“ Das Kind sowie der kungwi, der es bei der
Beschneidung gehalten hatte (es kann das auch ein kleiner Knabe sein, nur darf er dann die
folgenden Zeremonien nicht mitmachen) erhalten je einen Stock mit gerösteten Fleischstücken.
Außerdem bringt man, da die Kinder vor der Beschneidung nichts essen durften, jetzt eine
gogwe-Frucht, eine mtungunga-Frucht, eine künde-Hülse, eine reife Banane und ein klein
wenig Salz. Alle diese Nahrungsmittel werden von dem mtini vermengt und dann der
mschunguzi, der mhokezi, dem beschnittenen Kinde sowie seinen Eltern und Großeltern eine
kleine Ration gereicht.
Während der beschnittene Knabe ins Haus geht und die Frauen daselbst ihr gellendes
gele-gele anstimmen, haben ledige Leute (wabueni) aus dem Ort die Hüttentüre mit Reisig
und Laub eilends zugestopft. Um sich auszulösen, verspricht ihnen der Festvater einen nangi
pombe und reicht ihn durch eine Öffnung; wird der zu klein befunden, so muß er einen
größeren opfern und außerdem einen kikapu kungu- Samen; nun erst wird die Barrikade
wieder weggeräumt.
Der Beschnittene geht dann in das Haus seiner Großmutter; in seinem Elternhaus findet
jetzt ein großes Essen, Trinken und Tanzen (ulezi) statt. Ist die Mahlzeit beendet, so taucht
der mtini die Vorhaut zobe in pombe, steckt sie in ein Loch in der Hüttenwand und verstreicht
es mit Ziegenmist; jenes Loch ward durch Auskratzen mit einer Axt hergestellt, die der Mutter
des beschnittenen Kindes gehört und die während der letzten sechs Tage nicht benutzt
worden sein durfte. Alle Gäste sehen diesem Vorgänge zu. Wurden mehrere Kinder be-
schnitten, so werden die Vorhäute an verschiedenen Stellen der Hütte in den Wänden verborgen.
Dann findet der ulezi-Tanz weiter statt; dabei wird tüchtig getrunken; so geht es bis zum
Morgen fort.
Während dieser Zeit holen zwei Frauen (waschaschi) aus einer Schamba einen großen
Zuckerrohrstengel, der oben noch Blätter hat; in der Mitte wird er in einiger Entfernung von
seinem oberen und unteren Ende gespalten und seine Seitenteile werden so auseinanderge-
bogen, daß eine Art Tor entsteht; am unteren Ende des Spaltes befestigt man einen danga-
Ring. Vater und Mutter stellen das Zuckerrohr zwischen sich und berühren mit ihren Füßen
den Ring, schlüpfen dann durch den Spalt, desgleichen nach ihnen die mschunguzi und eine
männliche Person. Tanzen und Trinken nehmen ihren Fortgang.
Tags darauf gehen zwei Frauen in die Schamba und wickeln dort soviel kungu-Samen,
als Knaben beschnitten wurden, in trockene Bananenblätter. Daheim werden abends die
Samen enthülst und so an die mkatu-Schnur angebunden, daß sie vor die Vagina zu liegen
kommen; sechs Tage lang haben die Mutter und die mschunguzi diese Anhängsel zu tragen;
während dieser Zeit dürfen sie weder im Fluß baden noch in die Pflanzung gehen. Nach
dieser Frist werden die kungu abgebunden und in einem Korbe verwahrt. Sind die Kinder
wieder heil, so verschenkt man diese Samen und andere dazu an eine alte Frau, doch darf
deren Mann nichts davon erfahren.
Am sechsten Tage nach der Beschneidung übergeben die Frauen den Knaben, den sie,
vor allem die Großmutter, gepflegt und während seines Liegens auf der kitanda, auf die sich
kein Fremder setzen durfte, mit Einreibungen von kungu-Samen und -Öl behandelt haben,
seinem Vater wieder, dazu ein Stühlchen und die ngoma, die nach beendetem ulezi -Tanz von
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
193
den Frauen aufgehoben und bis zur Verheilung der Wunde unbenutzt gelassen wurde. Als-
dann schlachtet der Vater abermals eine Ziege, die Trommel wird zum ersten Male wieder
geschlagen, und man tanzt bis in den Morgen hinein.
Malikoakaja soll in der eben geschilderten Weise verlaufen; unter Umständen aber be-
geht man es ohne besondere Zeremonien; wenn nämlich der Vater die Niederkunft seiner Frau
an einem der nächsten Tage befürchtet, findet die Beschneidung durch den Medizinmann ohne
weitere Feierlichkeit statt; ebenso, wenn die Mutter wieder schwanger geworden ist, denn man
ist besorgt, daß das folgende Kind nicht genügend kräftig werde und nur langsam laufen
lernen könne. Sollte vor der Beschneidung eines Knaben seine Mutier niederkommen, so wird
das Neugeborene getötet.
Über Geisterglauben erfuhr Karasek in Kwaschangrawe (Ost-Usambara, Akidat
Amani): Wird dort gome veranstaltet, so kommen dahin in der Nacht auch die Geister und
feiern das Fest mit, doch vor Feuer weichen sie aus. Bei solch einem Fest sagte einmal eine
Frau zu einer Fremden; „Komm, iß bei mir!“ Sie setzte ihr Fisch vor. Doch die Fremde
drückte sich in einen dunkeln Winkel der Hütte und erwiderte: „Ach, ich will lieber im Finstern
sitzen; am Feuer schwitze ich zu stark!“ Sie tat nun, als ob sie äße, warf aber in Wirklich-
keit die Nahrung beiseite; dann rief sie plötzlich: „Ich höre die Leute von Mguza kommen.“
Ihre Gastgeberin stimmte ihr bei: „Ja, vielleicht kommen die Leute von Mguza.“ Infolge der
lauten Unterhaltung war der in der Hütte schlafende Ehemann erwacht und rief seiner Frau
zu: „Mache doch Feuer!“ Es geschah; nun sahen die Beiden das auf den Boden verstreute
Essen, doch der Gast war verschwunden. Jetzt ward ihnen klar: der Gast war ein Geist
gewesen. Der Mann lief zum Jumben und erzählte sein Erlebnis; dieser rief aus: „Morgen
gehen die Leute nicht nach Haus; ich schlachte einen Ochsen.“ Dann verrammelte er das
Tor, stellte sich aber auf Wache; da sah er, wie die vielen Gäste einer nach dem anderen im
Erdboden verschwanden. Also hatten Geister am Feste teilgenommen.
Die Gewässer bei Kwaschangrawe sind Wohnstätten der Geister. Dort ist zwischen
den Wasserläufen ein schmaler Landstreifen, den man beim Passieren jener Gegend unbedingt
benutzen muß. Hier darf keine Frau, die gerade ihre Regel hat oder schwanger ist, gehen,
denn die Geister der Verstorbenen werfen ihr sonst vor: „Wie kannst du so schmutzig über
unseren Köpfen wandern!“ Gleichzeitig nehmen sie ihr die pala-Haut weg, jenes Zwerg-
antilopenfell, das die Schwangere vom pala-Fest ab trägt, bzw. früher trug. Geht ein Mann
mit einem Speer jenen Weg, so darf er diesen nicht in die Erde stecken, denn die Geister
würden ihn zerbrechen.
Zu Mittag kann man von weitem sehen, wie die Geister der Verstorbenen — sie haben
Augen am Hinterkopfe — ihre von Erde und Schlamm beschmutzten Tücher waschen; die
Wakil in di- Geister breiten schwarze {konikg) Tücher aus, die der Wasch am baa weiße
(wakiwa); kommt man näher, so verschwindet alles.
Stirbt in Kwaschangrawe ein Mann, so vermag man die Ankunft der Geister zu hören,
besonders ihr Geschrei: „Gäste! Gäste! Gäste!“ und ihr Freudengeheul.
Gleichfalls bei Kwaschangrawe und zwar aus einem Gewässer, steigt wuli, die kleine
Regenzeit empor; sie wohnt in dem großen Baume lombe-lombe. Es gingen einmal am Morgen
die Leute mit ihren Kindern zur Feldarbeit; im Dorfe blieb nur ein Greis und mit ihm einige
ganz kleine Kinder zurück. Zu Mittag stieg nun wuli empor, und der Regen fiel so stark,
daß ein Kind des Gewässers, ein Wasserarm, in das Dorf drang. Die Kinder spielten gerade;
die Jungen hatten das Vieh nach dem Dorfe zurückgetrieben. Vor dem Wasser flüchteten
einige Kinder zu dem Alten und er barg sie auf dem Dachboden der Hütte. Das Wasser
schwemmte die anderen Hütten mit samt dem Hausrat, dem Vieh und auch den Kindern hin-
weg. Als die Leute vom Felde heimkamen, das Unglück sahen und Näheres darüber hörten,
stimmten sie die Totenklage an; der Jumbe vernahm, wie die Geister ngoma schlugen, gelegele
194
KARASEK-EICHHORN
anstimmten und riefen: „Gäste! Gäste! Gäste!“ Da schlachtete er einen Hammel und einige
Hühner, opferte sie, klagte laut: „Ich werde in ein anderes Land übersiedeln!“ und beschwor
die Geister. Seitdem ist das Wasser still geblieben.
Geister haben ihre Wohnung auch in dem Wasserfall zwischen Kwaschangrawe und
Bungu; sie dulden nicht, daß jemand dort mehr als eine Art von Krabben und Fischen fängt,
anderenfalls machen sie Nacht. Fängt jemand trotzdem ziri- und maschu - Krabben in seinem
Korb, dann muß er notwendig eine Sorte wieder fortwerfen, wenn er heil aus dem Wasser
zurückkommen will.
Andere Wohnplätze der Geister sind an steinigen, gefährlichen Stellen, über die ein Weg
führt; will der Wanderer, daß seine Reise nicht resultatlos verläuft, so muß er dort ein wenig
tanzen und dann einige Steinchen niederlegen. Vingo1) nennt man derartige Stellen; es gibt
deren viele in West- und Ost-Usambara, z. B. bei Kelenge, Wugiri.
Der Glaube an das Vorhandensein von Zauberern und Hexen ist allgemein verbreitet.
Große Zauberer vermögen nach Usegua zu gehen, während ihr kizuli (Ebenbild, Schatten)
daheim bleibt und die Verwandten infolgedessen glauben, der Zauberer sei noch zu Hause.
Will man einen großen Zauberer beerdigen, dann kommt es vor, daß das für ihn ausge-
messene und ausgeworfene Grab zu klein geworden ist; die Leiche ist nämlich imstande,
plötzlich doppelt lang zu werden; auch läßt sie sich von der Bettstelle, auf der man sie trug,
nicht abheben, selbst nicht bei Anwendung von Gewalt. In solchem Falle muß man einen
Mbondei-Zauberer herbeiholen; dieser schneidet dem Toten das mittelste Haarlöckchen, dem ge-
heimnisvolle Kräfte innewohnen, ab; nun vermag man ohne Schwierigkeiten die Leiche zu begraben.
Wer Hexen fangen will, darf den ganzen Tag über kein kaltes Wasser trinken und keine
Speisen genießen, die Frauen zubereitet haben; am Abend soll er sich in seiner Pflanzung
einige Bananen rösten, ein paar trockene Blätter der mhoje-Banane abreißen, sich unter eine
Ficus begeben, sich auf die mitgenommenen Blätter mit dem Gesicht nach oben legen und
warten, bis eine Feige herabfällt; diese muß er dann in der Luft mit den Händen auffangen. Geht
er nachher heim - es muß unbemerkt geschehen —, so ist er imstande, herbeikommende Hexen
zu ergreifen; hat er sich nicht entsprechend vorbereitet, so entweicht die Hexe „ungesehen“.
Eine bedeutende Rolle in der Zauberei spielt der Holzmörser. Will ein Lastträger Kraft
und Ausdauer erlangen, so läßt er sich vom Zauberer den Mörser auf den Kopf setzen; dieser
stößt einige Male mit dem Pistill, um ein wenig Mais zu enthülsen. Hernach bringt ein Freund
des Lastträgers ihm einige Schnittwunden bei und reibt in sie etwas „Erde“ von dem Holz-
mörser nebst anderen Ingredienzien, die Karasek leider nicht erfahren konnte, ein. Sodann
wird das Pistill in den Erdboden getrieben; der Kraft-Suchende muß es herausziehen. Auf diese
Weise stark gewordene Leute geben jeder Last, ehe sie von ihnen gehoben wird, einen Schlag
Kraftstärkende Wirkung übt der Holzmörser auch auf den von der Reise Ermüdeten
(mawune) aus; dieser braucht sich nur auf den Mörser zu strecken und dann so nieder-
zusetzen, daß seine Beine, nachdem er mit einem Besen die Müdigkeit von ihnen abgestaubt
hat, zum Mörserrand emporreichen. (Karasek gibt als Erklärung für diese Wunderkraft des
Mörsers an; Er wird nie müde, ganz gleich, ob man mboga oder Mehl bereiten oder Getreide
reinigen oder Tabak stampfen will; immer hält er her, ohne daß seine Kraft erlahmt.)
Von sonstigen abergläubischen Vorstellungen sei erwähnt; Ein Zauberer gab einem Fischer,
der seit einigen Tagen nichts gefangen hatte, den Rat, sich am Ufer seines Fangplatzes so
lange auf den Rücken zu legen, bis ein Baumblatt ihn in den geöffneten Mund falle.
Einen verlegten oder verlorenen Gegenstand muß man mit Salz in der Hand suchen.
Wessen Augenlid zuckt, dessen Verwandter ist krank. Stößt man sich an die große Zehe,
so erlebt man Unangenehmes, stößt man sich an die mittlere, so trifft man den Freund, den
man besuchen will, nicht daheim.
1) Nicht zu verwechseln mit fingo, Zauberhäuschen.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
195
MEDIZIN.
Der Arzt (mganga) ist in den meisten Fällen auch Zauberer. Nach Karaseks Urteil be-
steht seine Hauptkunst im Gelderwerb und in Schaffung einer Situation, die ihn für den Fall
des Todes seines Patienten schuldlos erscheinen läßt. Nächst dem Jumben gilt er beim Volke
als die wichtigste Persönlichkeit. Nach dem Glauben der Waschambaa hängt es von seinem
guten Willen ab, einen Kranken zu heilen; deshalb sucht man sich seine Gunst zu erhalten,
aber man fürchtet ihn auch, denn er versteht durch seine Mittel manchen, der ihm, seinen
Freunden oder dem Jumben im Wege steht, zu ewigem Schweigen zu bringen. Bei großen
Häuptlingen gehört er mit zum Hofstaat; bei Beratungen hat er ein wichtiges Wort zu reden.
Er ist neben dem Häuptling der einzige, an den sich die „bösen Zauberer“ nicht heranwagen,
weil seine Zauberkräfte dem geheimnisvollen Wirken jener widerstehen.
Wie die Waschambaa überhaupt als kenntnisreiche Leute von den Wabondei und
Wasegua besonders hochgeachtet werden, so erst recht ihre Ärzte. Es ist Sitte, daß an-
gehende Medizinmänner aus Usambara ihre ersten selbständigen Reisen ins Gebiet jener
Stämme unternehmen.
Gewöhnlich ist der mganga ein älterer Mann; gleich den alten Waschambaa trägt er
einen Spitzbart; noch bis vor kurzem wurde der Kopf bis auf ein langes Zöpfchen am Scheitel,
in das Zauberhölzchen eingeflochten waren, glatt rasiert; heute ist aus Furcht vor dem Be-
zirksamt diese Haartracht geschwunden.
Begibt sich der mganga zu einem Kranken, so trägt er in der Hand eine Zauberflasche und
mehrere über die Achsel gehängt. Früher schritt gleich hinter ihm sein Gehilfe (toza fuko) mit einer
großen, aus ungegerbtem Ziegenleder hergestellten Tasche über der Schulter;
statt dieser Tasche, die Gerätschaften des Medizinmannes enthielt, ward manch-
mal auch ein geflochtener ovaler Korb benutzt. Jetzt schickt — wieder aus
Furcht vor der Polizei — der mganga den toza fuko entweder weit voraus
oder läßt ihn in geraumem Abstande folgen; die Zaubergeräte trägt er in
einem Sack, der am Kopf befestigt ist, so daß man einen gewöhnlichen
Lastträger vor sich zu haben glaubt. Seine Beschäftigung besteht, abgesehen
vom Tragen der Medikamente, im Begleiten seines Herrn bei Gesängen und
im Schlagen der ngoma; sein Lohn beläuft sich außer freier Kost auf ein
Dritteil des Honorars, das sein Herr vereinnahmt.
Das Haus eines Medizinmannes ist in der Regel groß und geräumig.
In seinem Wohnraum hängen und liegen Bündel von Blättern, Rinden und
Wurzeln; an den Wänden zahlreiche Flaschenkürbisse mit geheimnisvollen Tränken, deren
Heilkraft ihm allein bekannt ist; außerdem eine Fülle von Hörnern und Gerätschaften. Die
wichtigsten Stücke seines Inventars sind:
1. koba, Flaschenkürbisse mit geflochtenen Henkeln und reizend geschnitzten Stöpseln
uhmi (Fig. 26); sie bergen die Medikamente, die unter schwarzes Pulver oder mit Honig ver-
mischt sind. Von ihnen hat jeder noch so stümperhafte mganga folgende drei stets zur Verfügung:
a) mangube, einen sehr großen Flaschenkürbis mit Mitteln gegen durasi und Wunden;
b) kimela, enthaltend Mittel gegen die Bosheit der bösen Zauberer. Betritt ein mganga
mit kimela in der Hand ein Haus, in dem Waschai ihr Unwesen trieben, so fängt sein Gegen-
mittel zu kochen an. Will ein Dieb aus einem Hause, das mit Medizin aus kimela versehen
wurde, stehlen, so zeigt diese dem Besitzer die böse Absicht an,
c) kidja mzigo, einen kleinen Flaschenkürbis (mit nicht genanntem Inhalt);
2. mdumiko, ein Ziegenhorn mit abgebrochener oder abgeschliffener Spitze zum Aus-
saugen des Blutes beim Aderlaß;
3. eine sehr kleine Trommel, aus deren Klang die Krankheit bestimmt wird;
Baessler-Archiv I. 4/5. 26
196
KARASEK-EICHHORN
4. fea, Hörner verschiedener Antilopen, mit zierlichen Stöpseln, auch mit Tuch oder Ge-
flecht verschlossen. - Inhalt: verschiedene Medizinen.
5. tuni ya schare, ein kleines Messer, mit dem dem Patienten Wunden beigebracht werden,
um in sie Medikamente einzureiben;
6. tunga, eine starke Nadel.
Die Ausbildung des mganga erfolgt in der Weise, daß der Sohn eines Medizinmannes von
seinem Vater Unterricht erhält. Will ein anderer Mschambaa sich ausbilden lassen, so
wendet er sich an einen befreundeten mganga: „Lehre mich! Ich will Medizinmann werden“.
Haupterfordernis ist: Schlauheit und Mutterwitz. Der mganga schließt zunächst mit seinem
Schüler — vor allem auch der eigenen Sicherheit wegen — Blutsbrüderschaft; diese verpflichtet:
in der Not sich gegenseitig zu unterstützen; das Weib des Blutsfreundes nicht zu begehren;
die Heilmittel geheim zu halten. Einige Tage nach diesem Bündnis bringt der mganga seinem
Jünger mit einer Pfeilspitze zahlreiche Hautwunden an den verschiedensten Körperstellen bei;
in jede reibt er ein anderes Mittel ein; gleichzeitig belehrt er über dessen Anwendung und
Wirkung. Der Hauptteil der Ausbildung hat hiermit seinen Abschluß gefunden. Es folgen
einige Tage der Ruhe und weiterer Belehrung. Sodann begibt sich der angehende Medizin-
mann in das Gebiet der Bondei, Wasegua oder Wapare; dort bleibt er bis fast ein Jahr
und behandelt die Patienten, die in Menge ihm Zuströmen. Hat er reichlich Geld und Vieh
erworben, so kehrt er zu seinem Lehrer zurück. Dieser fragt: „Verstehst du nun das Ge-
schäft? Wieviele Ziegen hast du nun mitgebracht?“ Der junge mganga gibt Bescheid und
seinem Lehrer vier Ziegen; aller anderer Verdienst bleibt sein Eigentum,
Es beginnt eine neue Periode des Unterrichts; der junge Medizinmann assistiert dem
Alten, und dieser läßt ihn einige Kuren selbständig ausführen. Eine abermalige mehrmonat-
liche Reise in die Nachbarländer, und die Lehrzeit ist beendet. Kehrt der Jünger zu seinem
Meister zurück, so stellt dieser die Frage: „Wieviel Ziegen hast du mitgebracht?“ Die An-
zahl wird genannt; der Lehrer erhält drei Stück.
Der neue mganga siedelt nun in ein Dorf über, wo er sich reichen Verdienst verspricht;
zuweilen bleibt er in seinem Heimatsdorfe, um nach dem Tode seines Lehrers dessen Praxis
zu übernehmen, vorausgesetzt, daß nicht der Sohn das Erbe des Vaters antritt.
Versteht ein mganga neben der Heilung von Krankheiten auch böse Geister auszutreiben,
Amulette und anderes Zaubergerät herzustellen, so nennt man ihn mganga fumili (im Bondei-
Land; flumisi). Gewöhnlich ist jeder mganga ein Spezialist; der eine befaßt sich ausschließ-
lich mit Heilung der tschafura, der andere behandelt nur Bruchkrankheiten, ein dritter ledig-
lich das Einrenken von Armen und Beinen. Oft müssen die Verwandten eines Patienten
tagelang reisen, ehe sie den erforderlichen mganga finden. Am zahlreichsten trifft man
mganga ya tschengela an, der mit Pfeil- oder Messerspitze seinen Patienten so lange an der
schmerzhaften Stelle ritzt, bis das Blut hervortritt; es gibt fast keinen älteren Mschambaa,
der nicht mit unzähligen Narben infolge dieser beliebten Behandlung bedeckt ist.
In kleinen Dörfern, in denen kein mganga wohnt, ruft man in dringenden Fällen die
älteren Männer zu Hilfe.
Zu den Medizinmännern rechnet man auch den mbugwa, der die Beschneidung der Knaben
ausführt, und den mganga matombo, der nach Untersuchung der Mutterbrust das Stillen des
Kindes erlaubt oder verbietet.
Msirisi (bei Bumbuli auch mschirisi) heißen die „erfahrenen“ Frauen, die Hebammen-
dienste leisten; sie sind bei der Geburt zugegen, stechen dem Säugling im Zahnfleisch herum,
um das Erscheinen der Zähne zu fördern, geben geheime Ratschläge den jungen Mädchen,
unterrichten in Sachen des coitus.
Die Honorare der Ärzte sind recht hohe. Haben die Verwandten oder Bekannten des
Kranken von dem Orakelmann Ursache und Art des Leidens, eventuell auch den zu be-
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
197
fragenden mganga erfahren, so überbringt ihm ein Bote djimula, d. h. ein bis zwei Hühner
und ys— 1 Rp. Nach dieser Anzahlung begibt sich der mganga zum Patienten; hier erhält er
kingila mbago, ein bis zwei Hühner oder Rp. für die mitgebrachten Medikamente; fungo
fuko C/4-V2 Rp.) ist am Schluß der Behandlung zu zahlen. Heilung wird extra mit %-! Rp.
vergütet; für schwierige Behandlung ist eine Ziege zu entrichten. Übernachtet der mganga
beim Patienten, so erhält er, wie bei jedem Besuch, freie Beköstigung, die aus Hühnern oder
Rindfleisch besteht. Beim Essen entzieht er sich den Blicken der Anwesenden und ißt - was
bei den Waschambaa sonst für sehr unanständig gilt — für sich allein; ladet man ihn zur
gemeinschaftlichen Mahlzeit ein, so lehnt er mit fikira (meine Vorschrift) ab; setzt man aber
ihm zuerst das Essen vor, dann nimmt er davon, doch mboga, Gemüse, wird von ihm nicht
angerührt; Hühner sind seine Hauptspeise.
In seltenen Fällen fordert der mganga volle Bezahlung schon vor dem Krankenbesuch;
auf jeden Fall bestimmt er die Höhe des Honorars nach seiner Ankunft; sie richtet sich vor
allem auch nach den Vermögensverhältnissen des Patienten. Für gewöhnlich gilt: wer nicht
im voraus bezahlt, wird nicht behandelt. Hin und wieder gelingt es einem erkrankten schlauen
Mschambaa die Zahlung bis zu seiner Gesundung hinauszuschieben; dann hat der mganga
meistens das Nachsehen. Bei armen Leuten verzögert sich die Zahlung des vereinbarten
Honorars; haben sie kein Geld, so werden Feldfrüchte, Mehl usw. von ihnen geliefert.
Im allgemeinen ist die ärztliche Taxe fest und dem Volke bekannt; sie erhöht sich je nach
Schwierigkeit des Falles und nach Dauer der Krankheit, auf deren Ausdehnung der mganga
eifrig bedacht ist. Für funga bereko, Kindersegenzauber beträgt die Anzahlung ein Huhn und
eine Ziege; nach der Geburt des Kindes sind noch eine trächtige Ziege und vier Rp. zu entrichten
Ein Häuptling gibt dem behandelnden mganga statt Ziegen eine oder mehrere Kühe.
Trotz des hohen Ansehens der Ärzte traut der Mschambaa ihrer Kunst nicht recht. Der
Patient versucht erst alle ihm bekannten Heilmittel, ehe er den mganga kommen läßt. Um-
fangreiche Betrügereien und das Vertrösten, daß erneute ärztliche Besuche Hilfe bringen, sind
an der Tagesordnung.
Von den Krankheitsursachen hat man folgende Vorstellung: Im Gehirn des Menschen lebt
ein weißer Wurm, welcher denkt; stirbt er, so wird der Mensch geisteskrank.
Würmer befinden sich in den Ohren; gerät ein Insekt in den Gehörgang, so entsteht
zwischen ihm und den Würmern Streit und die Folge ist: Ohrenklingen. Hat der Ohrwurm
Hunger, so leidet der Mensch an Ohrensausen. Wird der Wurm krank, so hört man schlecht;
stirbt er, so wird man taub. In Mekulumusi glaubt man: der Ohrwurm nährt sich vom
Ohrenschmalz; hat er Hunger, so weint er, und dieses Weinen verursacht Ohrenklingen.
Die Verdauung bewirken rote, regenwurmartige Würmer; sie genießen die zugeführte
Nahrung und stoßen die verbrauchte aus; sind sie krank, so empfindet der Mensch Leibweh.
Der ärztliche Rat lautet; Immer gut und viel essen, damit die Würmer nicht Hunger leiden.
Zweifeln an dieser Ernährungslehre begegnen die Waschambaa und Wabondei mit dem
Hinweis: Öffne den Magen einer Kuh, und du wirst darin Würmer finden; öffne den Schädel
einer kranken Ziege oder eines Schafes, so zeigen sich die Würmer im Gehirn. Aus diesem
Grunde gilt der Genuß von Gehirn als schädlich.
In den Füßen leben dudu (etwa kleine Ameisen); schläft der Fuß ein, so fangen sie zu
krabbeln an. Auf dudu wird auch das Zahnweh zurückgeführt.
Sonnenstich verursacht der Pepo Kizungu; Schwindel der Dämon Djini. -
Die Arzneimittel stammen zum allergrößten Teil aus dem Pflanzenreich, wenige aus dem
Tierreich, nur drei sind mineralischer Natur.
Der mganga liefert selbst das Medikament, wenn der Patient die Pflanze nicht erfahren
soll. Gewöhnlich werden die Heilpflanzen auf Anordnung des Arztes oder nach Bestimmung
des Orakels von den Verwandten besorgt; zuweilen sind lange Reisen nötig. Ein Sohn des
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198
KARASEK-EICHHORN
alten Jumben Kinda aus Manka (West-Usambara) ging drei Tagereisen weit nach Niussi,
um Abrus precatorius zu holen. Andere mußten sich in das Land der Wambugu oder
in das Pore-Gebirge, ja sogar zu den gefürchteten Masai begeben.
Das Beschaffen einzelner, unbedingt notwendiger daua-Stücke, wie z. B. eines Horns von
einem Nashorn oder eines Büffels, sind zuweilen mit so großen Schwierigkeiten verknüpft,
daß der Patient gewöhnlich inzwischen gesund geworden ist.
Was den Gebrauch der Medikamente anlangt, so ist das Abkochen von Blättern und
Wurzeln am häufigsten. Kauen von Holzstückchen und anderen Pflanzenteilen ist ebenfalls
gebräuchlich. Auch medikamentöse Inhalationen und Bäder sowie kalte Kompressen werden
oft angeordnet. Holzkohle und Asche sind als fäulnishemmende Mittel bekannt.
Kutoscha mazi, Massage unter Benutzung von Fett oder Wasser wird bei örtlichen Schmerzen,
besonders auch bei Leibweh und allgemeiner Ermüdung angewandt. Fast täglich werden die
Männer vor dem Schlafengehen von ihren Frauen und diese von anderen Frauen massiert.
Die allgemeine Körperpflege steht auf hoher Stufe. Fleißiges Baden ist Volkssitte; so am
frühen Morgen in dem eiskalten Gebirgswasser; jedesmal beim Passieren eines Baches; min-
destens einmal am Tage.
Ausspülen des Mundes findet regelmäßig beim Baden statt; außerdem nach jeder Mahl-
zeit mit gleichzeitigem Waschen der Hände.
Die Zähne werden mit suaki, den schwachen Zweigen von mkaja, fleißig gerieben; auch
die Ästchen eines Strauches mit dreiteiligen Blättern dienen in der Umgegend von Mkulumusi
als Zahnbürsten. In den Bergen werden zu gleichem Zweck Zweige von ruwuwundi gebraucht.
KRANKHEITEN UND THERAPIE.
KRANKHEITEN DER ATMUNGSORGANE.
Fua, Schnupfen. Massage der Nase mit warmem Wasser und Einziehen von kungu-Ö 1.
Oder; ein besonders schmutziges Hemd wird verbrannt; die Asche zerrieben und wie Schnupf-
tabak benutzt (Bumbuli, Mkulumusi). An anderen Orten wird der Geruch des verbrennen-
den Hemdes eingesogen.
Lucolola, Husten. Wenn Leute in der Pflanzung arbeiten oder Kleinvieh hüten, so springt
ihnen kozela, eine Cikade in den Mund oder Rachen, setzt hier ihre Eier ab und die aus-
schlüpfenden Jungen verursachen den Husten. Diese Cikade soll auch die Halskrankheiten
des Viehes, ja dessen Tod herbeiführen. Damit die Jungen im Halse sterben, werden die
Blätter von Tabak oder von mhascha (Bumbuli) oder die Rinde von mschegesche, mschinga,
fumbili, mkuju gekaut.
In der Umgegend von Bumbuli und Bungu werden die Medikamente in dieser Reihen-
folge angewandt: 1, Trinken von Milch. 2. Abkochung von gole-Wurzeln und kungu-Ö 1.
3. Essen frischer Blätter von mula und luzumba kozo. 4. Essen gestampfter matscho ga passi.
5. Desgleichen von thoto- Blättern. Waren diese Mittel ohne Erfolg, so wird msembezi ga
ngoko, der Zauberer, der die durch Schlangen verursachten Krankheiten behandelt, herbeigeholt;
kann er nicht helfen, so hat ein „böser“ Zauberer den Husten verursacht.
Heto (Bumbuli), phumu (Bumbuli und Mkulumuzi), Keuchhusten. Wer bei Regen-
wetter an Keuchhusten erkrankt, gesundet erst bei schöner Witterung.
Wurzeln von gugufa und mkala ga naschu werden zusammen gekocht und wie Tee ge-
trunken (Bumbuli, Mkulumuzi).
Blätter von lucutu werden zu Brei zerstoßen und damit Umschläge auf die Brust gemacht
(Bumbulu, Mkulumuzi, Niussi).
Von lende ga kala (Krabbenfuß) wird Tee gekocht und getrunken.
Die Schale des kungu- Samens wird pulverisiert, in den ungegorenen Saft von schwarzem
Zuckerrohr geschüttet und auf dem Boden der Hütte getrunken, während die Verwandten auf
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
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dem Herde ein großes Feuer anzünden und es mit frischen Blättern zudecken; den Rauch
atmet oben der Patient.
Trinken von Wasser, das aus Baumstümpfen entnommen wurde.
Blätter von thoto werden zerrieben, mit dem Saft von schwarzem Zuckerrohr vermischt
und getrunken.
mumelo, Halsentzündung. Genuß von Honig (Bumbuli).
Trinken von heißem Wasser und Reiben des Rachens mit Blättern von msasa (Ficus
aspera), bis Blut hervortritt (Mkulumusi).
Patient stellt sich in die Tür, füllt einen ungo mit Wasser, legt einen Axtgriff hinein und
trinkt das Wasser (Dindila).
Gurgeln mit Zitronenwasser, dem Salz und Tee von mamandu-Blättern beigemischt sind,
kischamaju, Diphteritis? Die Kinder sterben in zwei bis vier Tagen.
Gegenmittel (Mgila): Mit starker Salzlösung gemischter Tee von kidadalischi-Blättern.
Pinselung mit Mehl von gebrannten Meeresmuscheln.
Pinselung mit kungu-Ö 1 und zerstampften mbuembe-Früchten.
kilezi, Blähhals. Ein bis zwei Hörnchen von mpala werden als Amulett am Halse getragen.
Schröpfen am Halse und Einreiben der Wunden mit Salz, Ruß und zerriebenen tula-Wurzeln.
kifua, kidurasi, Brustschmerzen. Brustumschläge von zerstampften Wurzeln von lukombe
ya mnjau. Das Stechen soll in ein bis zwei Stunden schwinden.
tungwa, Seitenstechen, Bruststechen, Herzbeklemmung, Lungenentzündung(?). Der mganga
pulverisiert Hammelkot, ritzt mit Wasser oder Pfeilspitze die Brust des Patienten, reibt den
Kot ein und spricht dabei fortwährend, indem er jedesmal bei Te auf die Wunden spuckt,
die Formel: Te, nigondo situngwa, mitungwa ya Pepo, kama ya Mlungo situngwa, mtungwa,
sasa hapana mtungwa.
Die Asche der luambo, der Holzpflöckchen, die zum Spannen frischer Ziegenhäute ver-
wendet werden, reibt man in Messerschnitte, die an der schmerzhaften Stelle beigebracht wurden.
KRANKHEITEN DES MUNDES, MAGENS UND DARMES.
luguo, Entzündung und Geschwürbildung in den Mundwinkeln. Eine zerdrückte Stink-
wanze (in den Wohnungen sehr häufig) wird in die Mundwinkel gerieben (Mkulumusi,
Bumbuli, Niussi).
zino nauma, Zahnweh. Ursache: Weiße Würmer in den Zähnen.
Gegenmittel: Tee von wuga- und mtula-Blättern wird vermischt, in den Mund genommen
und nach einigen Minuten ausgespien (Bumbuli),
Ausspülung des Mundes mit Abkochung von magamba-Blättern und -Wurzeln; bei ge-
schwollener Backe, Abwaschung mit dieser Abkochung (Mkulumusi).
Kauen der Blätter von mbarasi (Cajanus indicus) oder Spülen mit Abkochung dieser
Blätter (Bumbuli, Balangai, Magoma).
Betelkauen gilt nicht bloß als Mittel zur Zahnkonservierung, sondern auch gegen Zahn-
schmerzen. Wenn ohne Erfolg, dann Kauen von ubani (Räucherwerk); so in Bumbuli; ferner
von msugwah- oder mschoele-Wurzeln (ebenda).
Einreiben des geschwollenen Zahnfleisches mit einem in warmes Ricinusöl getauchten
Stückchen Tuch. Auch Einatmen von Ricinusöldämpfen, durch die die Würmer angeblich
herausfallen (Bumbuli).
Kauen von mzumbascha-Blättern, einer strauchigen Labiate mit ätherischem Öl; des-
gleichen von mdongonesi.
dudu, Zahnfleischblutungen, pahazi, Zahngeschwüre. Therapie nicht angegeben.
Schmerzen sämtliche Zähne, so ist Pepo Kinyamkera die Ursache; Austreibung nur durch
einen Zauberer möglich.
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KARASEK-EICHHORN
Zähne werden selten entfernt; entschließt sich der Mschambaa dazu, so bindet er einen
Bastfaden um den Zahnhals und zieht kräftig. In einen hohlen Zahn wird wiederholt die
Milch von mschunga geträufelt.
zongo, Magenüberladung durch überreichen Genuß von ugali. Angeblich durch „bösen
Blick“ verursacht. Der Leib wird mit Brei von 10-16 gekochten fu/a-Früchten bestrichen;
längere Ruhezeit in Rückenlage,
mtschango ga pombe, Leibweh infolge schlecht vergorenen Zuckerrohr-Weins. Tee von
mluati- und mgodi-Wurzeln.
mtschango ga ngoka, Leibweh „mit Empfindung von im Innern herumkriechenden Schlangen“.
Tee von mkala- und kwamba-Wurzeln.
mtschango ga kischefu, ständiges Erbrechen. Therapie nicht angegeben.
gengu, Magenkrämpfe. Einreibung der Magengegend mit Asche und Brennen mit dem
glühenden Dorn einer Hacke. Auch sehr heiße Wasserumschläge.
kidurasi, Magengeschwüre (?); auch Beulen in der Brustgegend. Der mganga betupft
die auf der Brust und dem Rücken beigebrachten Messerschnitte mit Zitronensaft (Dindila);
verboten ist der Genuß von Zitronen, Bananen und Salz; Patient muß gewärmt werden und
Tee von mpumu-Wurzeln trinken.
Da waschai durch ihre „Fallen“ die großen Beulen verursachen, stellt der mganga außer-
halb des Dorfes eine Schlinge her, die der Patient auflösen muß; einem Huhn wird ein Bein
gebrochen; wenn dieses wieder heil ist, gesundet der Kranke.
lumbi, Verstopfung. Ricinusöl. Oder: Genuß von gekochtem Blut und Fett eines fetten
Hammels oder Ziegenbockes (Dindila). Oder: Warmer Extrakt von tongo-tongo-Wurzeln.
Nur in Gegenwart eines mganga wird der Saft von geza, einer Euphorbiacee, angewandt.
lukumbulu, Dysenterie. Früher epidemisch und tötlich, so in Kwaschemschi, Kelenge
und Kwamungo. Einem Orte mit lukumbulu weicht man aus. In Kwamungo begaben
sich alle Bewohner vor den Ort, kochten und aßen Hirseschalenbrei und tranken Tee von je
zwei mkonge-Wurzelstücken und von je einer Zitrone pro Person.
mtschango ga luzwili, Darmkatarrh (der Kinder). Bei Säuglingen meist tötlich. Die
Mütter glauben, daß nur in der Zeit vom Neumond bis zum ersten Viertel die Kinder erkranken.
Aus einem Blatt einer Banane mit weißen Blütenhüllblättern wird mittels Bast von derselben
Pflanze ein kleiner Trichter hergestellt, mit Blättern und Wurzeln von fuisa, muka luschwa
suaki und luschunga mzinga gefüllt und die Masse mit kaltem Wasser begossen. Mit dem ab-
fließenden Wasser betupft der mganga Scheitel, Finger- und Fußspitzen, Ohren, Augen, Nase
und Mund des Kindes. Dann wird ihm der Kopf rasiert (doch nur eine runde Stelle am
Scheitel, wenn mbeguzi noch nicht stattfand) und ihm ein Bananenbastfaden mit zwei luschwa
suaki-Hölzchen auf jede Schläfenseite gebunden. Der Vater des Kindes schneidet einem Huhn
den Kopf mit dem Halse ab, zieht die Halshaut zurück, entfernt die Fleisch- und Knochenteile,
stopft die Medizin aus dem Trichter nebst den abrasierten Haaren in die Halshaut und ver-
gräbt das Ganze oberflächlich auf einem Wildschweinwechsel; frißt es ein Schwein, so zieht
es sich die Krankheit zu. Die Mutter darf keine Krabben und keine heißen Speisen genießen;
letztere auch das Kind nicht. Das Wasser für den Patienten ist nicht in einem mtungi am
Kopfe, sondern in einem kibugu in der Hand herbeizuschaffen. Das gesundete Kind darf nur
mit Erlaubnis des mganga wieder rasiert werden.
Von den anderen zahlreichen Bauchkrankheiten seien nur dem Namen nach mtschango
ga tschaschi, mtschango ga sowu, mtschango ga lutwekelo, mtschango ga Pepo erwähnt.
safura, auch tschafura, Wurmkrankheit. Seit zirka 20 Jahren eingeschleppt; vordem im
Bondei-Land und an der Küste. Besonders häufig in Bumbuli, Mkulumuzi und Niussi.
Die Waschambaa sehen sie als ungefährlich an und schreiben die zahlreichen Todesfälle der
Saumseligkeit der Patienten zu. Ursache: Nach Ansicht der Waschambaa bei Wilhelmstal
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
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sind es die Schafe; deshalb Verbot von Hammelfleisch, des Betretens eines Schafstalls oder
eines Weges, auf dem vor kurzem Schafe getrieben wurden. Das angebliche Symptom des
Lehm- und Erdeessens bestreiten die Eingeborenen, zumal Gesunde und namentlich Schwangere
hin und wieder mit besonderer Vorliebe Erde essen. Man unterscheidet: Safura ya luhozwe,
mahomolo lubai und bumbasi. Patient darf nichts Gesalzenes, kein Fleisch von Lämmern und
kein ugoli aus Mais essen; Blut zu sehen, ist verboten; erlaubt ist ugali aus mtama, ferner
Bananen, geröstetes Huhn (ohne Salz!) und spinatähnlich zubereitete mschunga. Geschlechts-
verkehr, Tabak und Baden sind nicht gestattet. Als Heilmittel werden die zu Mehl zerstampften
und zu dünnflüssigem Brei verarbeiteten mhogo - artigen Wurzeln von kivawi verwendet, die
jeden Abend zu genießen sind (Niussi). Ferner: Tee von Wurzeln und Blättern der wild-
wachsenden Bäume mschofu, mfune (Sterculia appendiculata), mlenga und msisiwizi zum
Trinken und Baden (Bumbuli). Ferner; Blätter vom mloati und makakode (= mbarasi,
Cajanus indicus) werden gekocht; der Patient wirft ein Tuch über sich und den Topf mit
dem heißen Tee und inhaliert die Dämpfe, täglich (Bumbuli, Niussi, Mkulumusi).
KOPFSCHMERZ. AUGEN- UND OHREN-ERKRANKUNGEN.
alumua ny mutwi, Kopfweh. Sehr häufig. In die am Kopf mit Messer oder Pfeilspitze
beigebrachten Wunden wird Asche von mabamba-Blättern gerieben (Bumbuli). Statt
mabamba- werden schindakaja-Blätter benutzt (Mkulumusi). Kalte Wasserumschläge und
Baden. Strammes Umbinden des Kopfes mit einem Bastfaden. Das Amulett moponde mit
seinen zwei Hölzchen, die in der Mitte der Stirn liegen müssen, wird straff um den Kopf
gelegt. Ausrasieren einer kleinen runden Stelle in der Mitte des Scheitels und deren Ein-
reibung mit zerriebener Colocasia-Knolle. Schröpfen in der Schläfengegend. Rasieren des
ganzen Kopfes und Beibringen zahlreicher Wunden der Kopfhaut, die dann mit gepulverten
mandan- Blättern eingerieben wird. Ein neuer Tontopf wird glühend gemacht, dem Patienten
eine koka, eine Topfunterlage aus Gras, auf den Kopf gelegt, und der Topf darauf gestellt.
Hilft keines der genannten Mittel, so handelt es sich um kiwumulo, ein unheilbares Kopfweh.
Augenkrankheiten, kasintu, kaditu (Bumbuli), beienge, weißer Star; zieht er sich über
die ganze Pupille: matulu. Mittel aus früherer Zeit: Die Mutter des augenkranken Kindes
hackt sich die Spitze des kleinen Fingers ab und träufelt das Blut in die Augen des Patienten.
Aus Rindenbast von mluati werden vor dem kranken Auge einige Knoten gemacht und
der Bast dann um den Hals getragen; hernach verbrennt man eine Achatina-Schale, deren
Asche sich der Patient in das erkrankte Auge streut (Bumbuli).
Das Kraut von mbascha wird geröstet und ihm das kranke Auge unter Bedecken des gesunden
genähert (bei Magoma).
Dünne, gleich lange Streifen der Rinde von msala (Phoenix silv.), msase und mluati werden
unter Beschwörungsformeln vor dem kranken Auge so zusammengebunden, daß die msase-
Rinde an die von mluati und msala zu liegen kommt, und daraus eine Halsschnur gefertigt
(allgemein in Usambara).
Einträufeln von konge- und beienge-Saft (Bungu).
Vom mganga wird eine lebende Laus, die die Krankheit wegfressen soll, unter das Augenlid
geschoben und das Auge mit einem Tuch zugebunden.
/ycm/c-Bast wird um den Hals gebunden.
azafa zischo, tulika metscho, tschongo, schwarzer Star. Die Waschambaa glauben,
daß große waganga Gegenmittel besitzen.
In Magoma hatte Karasek Gelegenheit, die Behandlung von Star durch einen mganga
zu beobachten. Beim ersten Besuch befahl dieser den Verwandten: „Bringt Bast von mluati,
Bast von mtindi sumba nyelo, Bast von fyewje und pela (Spitze des Rhinozeroshornes).
Es dauerte lange, ehe das Gewünschte beschafft war. Beim zweiten Besuch stellte der mganga
202
KARASEK-EICHHORN
daraus ein mpingu (Amulett) her, hielt es vor das erkrankte Auge, spuckte hinein und sagte:
Te, mkirika, kakirike djitscho jiko scheitani pepo, kakirike, te (2, Spucken), djitscho ya
mlungu, kakirike, te (3. Spucken) nyoka, kakirike, te (4. Spucken) lukongela nyika, kanjgaza,
te (5. Spuckeu) mpela schekigoj, nenda i kaheze djitscho kahere. Sein Lohn war eine Ziege;
Kur natürlich erfolglos.
sekene, Gerstenkorn. Wenn ein Weib in Anwesenheit ihres Vaters besonders lustig ist
oder ihren Mann auslacht, so bekommt er sekene (Bumbuli).
nyoka, Ansammlung von taka-taka, Schlaf, Augenbutter, in den Augenwinkeln und Ver-
kleben der Wimpern.
Gegenmittel: Tägliches Bestreichen der Augen mit zerstoßenen Blättern von nyonga pembe
oder göre.
Augenentzündungen entstehen häufig durch Einspritzen von Euphorbien-Saft bei unvor-
sichtigem Baumfällen. Um dem vorzubeugen, bedeckt sich der Mschambaa bei dieser Arbeit
die Augen mit einem Tuch oder wendet bei jedem Schlag den Kopf weg; mancher beschmiert
sich das Gesicht mit Erde.
Gegenmittel: Spucken gekauten Tabaks in das geschädigte Auge oder Einträufeln von
Sansiviera-Saft oder von Frauenmilch.
huho, Tränen der Augen. Auswaschen mit Tau oder Abwischen mit dem Schwanz eines
schwarzen Ochsen und Kühlen mit Wasser.
huho ya kimasai, chronische Augenentzündung, auch Augentripper, wie er bei den
Masai vorkommt. Schwer heilbar (keine Therapie angegeben).
Ohrenerkrankungen, tujuka, Ohrengeschwüre. Einlauf von zerriebenen megange-Blättern
oder Einträufeln von warmem Hühnerfett. Einstreuen des von der Samenschale des kungu
abgeschabten Schmutzes. Auch wird dieser Schmutz in abgefallene mkongoro-Blätter einge-
wickelt, ins Wasser getaucht, ein wenig über das Feuer gehalten und die Masse eingeträufelt
(Bumbuli). Vollstopfen des Ohres mit zerhackten tula-Blüten, dann Einflößen von Fett aus
dem Hühnersteiß und von etwas Urin der Schwester des Patienten (Bungu). Auf Anordnung
des mganga mußte die Schwester eines Ohrenkranken nahe dem Weg liegenden Menschenkot
mit den Zähnen aufheben, mit Honig vermischen und ihn ins Ohr stopfen.
Infektionskrankheiten, mbu, mkunguro, Fieber, Malaria. Daß Mücken die Träger der
Malariaerreger seien, ist den Waschambaa nicht bekannt, mbu bedeutet allerdings auch
Moskito. „Die Krankheit mbu hat mit den Moskito mbu1) nichts zu tun; das ist eben djina tu
(bloßer Name)“ lautet die übereinstimmende Angabe von Leuten aus Mkulumusi, Bumbuli,
Niussi und aus dem Luengera-Tale. Ein Mann aus Bumbuli meinte: Wenn die Berg-
bewohner in die Ebene kommen, so hören sie die erste Nacht mbu2), und wenn sie nach
Hause kommen, so haben sie Fieber und deshalb heißt Fieber auch mbu.
Reist ein Bergbewohner nach der Ebene, dann nimmt er aus seinem Dorfe etwas Erde
mit und vermischt sie mit der seines Reisezieles; mit diesem Mittel gegen Malaria reibt er
sich ab (Bumbuli).
Bei der Abreise wird ein Knüttel von einem am Wege stehenden mbarasi (Cajanus)
abgebrochen und am Reiseziel verbrannt; am Feuer wärmt sich der Reisende, ehe er das
Haus betritt; dann folgt Einreibung mit der vermischten Erde (Bumbuli).
In kleine Schnitte an der Stirn und den Schläfen reibt man zerkleinerte Blätter von mlavu
(Bungu).
Am Nachmittag fängt der Fieberkranke sieben Heuschrecken, taucht ihre Hinterbeine in
ein Gemisch aus einer zerquetschten Zitrone, aus mschusa und Salz, betupft sich damit Stirn
und Schläfengegend und läßt die Heuschrecken wieder laufen.
1) mbu heißt auch eine kleine Fischart; überhaupt alles, was „sehr klein“ ist.
2) Die summende Mücke.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
203
Genuß von Zitronenlimonade in der Abendzeit.
hambarawe, Milzschwellung. Der Kranke wird unversehens mit einer frischen Ziegen-
milz einmal tüchtig geschlagen; dann verspeist er die gebratene Milz.
Der mganga bringt Messerschnitte bei und verbannt das Leiden.
duda, duli, Pocken. Der Kranke gilt für gemeingefährlich und muß im Walde wohnen.
Wenn möglich, wird ihm als Wärter ein Mann beigegeben, der die Pocken, die dasselbe Indi-
viduum nicht zweimal befallen, bereits überstanden hat; er sorgt dafür, daß der Patient am
Tage nicht schläft - andernfalls zerstört die Krankheit seine Augen - alle Speisen, so Bananen,
Maisbrei usw., brennend heiß genießt und fast kochendes Wasser trinkt. Da die meisten
Kranken keine Bedienung haben und die Angehörigen nicht in ihre Nähe kommen dürfen, tritt
alsbald der Tod ein; die Leiche wird nicht bestattet; alle Habe des Verstorbenen, auch seine
Hütte im Dorfe, verbrannt. Stirbt ein Pockenkranker im Ort, so wirft man seine Leiche in
den Busch. Kehrt ein Erkrankter ungeheilt aus dem Walde heim, so wird er erdrosselt; ist
er gesund, so wird er mit Ricinusöl abgerieben.
Nur große Wakilindi sollen Mittel gegen die Pocken kennen.
bundugwa, Blattern, Frambösie. Abreibung des Körpers mit warmem Wasser. Der Genuß
kalten Wassers ist verboten.
ukoma, matama, kuwira, Aussatz.1) Nicht häufig. Der Erkrankte wird zuerst mit Schröpf-
köpfen und Einreibung von magomosi-Blättern und -Rinde behandelt; ist die Kur, während der
in seiner Hütte kein msasa-Holz gebrannt werden darf erfolglos, so wird
er aus der Gemeinde ausgestoßen und ihm tief im Walde von den Dorf-
bewohnern eine Hütte erbaut. Die Verwandten bringen an eine vereinbarte
Stelle täglich Nahrung und ziehen sich schleunigst unter Mitnahme der
leeren Töpfe wieder zurück. Ist der Patient dem Sterben nahe, so bringt
ihm sein Bruder einen Hammel, bindet diesen mit dem Kranken zusammen,
treibt beide noch tiefer in den Wald hinein und erdrosselt dann erst den
Bruder, hierauf das Tier. Hernach fällt er einen Baum (muascha) in der
Weise, daß er auf den Erdrosselten niederschlägt und man sagen kann:
der Baum hat den Aussätzigen umgebracht. Die Leiche wird nicht
bestattet; der Hammel ins Dorf getragen, die Hütte des Toten verbrannt und ein Totenessen
veranstaltet, an dem sich das ganze Dorf mit Ausnahme des Bruders des Getöteten beteiligt.
HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN.
lengeienge, Pusteln; sie bedecken den ganzen Körper und platzen. Man unterscheidet
/, mkutschesa huma, die infolge von Fieber entstehen, und l. ya nyoka; Ursache der letzteren:
Der Vater des Patienten hat einmal unversehens eine Schlange, eine Puffotter oder Riesen-
schlange, getötet und der Sohn muß dafür büßen. Der Bruder des Patienten läßt zunächst
durch den Orakelmann die Krankheit und ihre Ursache bestimmen; dann sucht er einen
mganga auf, dem er eine Ziege bringt. Mit dem Patienten und einer zweiten Ziege geht der
mganga in den Wald, bindet der Ziege die Beine zusammen und schwenkt sie siebenmal um
den Kopf des Erkrankten; hernach hebt er sie nach Osten und Westen zu. Sodann legt er
die Ziege an die Erde und setzt sich mit dem Kranken zusammen auf das Tier, das sie er-
drosseln. Nun macht er an allen vier Kniegelenken Einschnitte in das Fell, auf jeder Seite
je zwei Schnitte vom Bauch nach dem Rücken zu, einen am Rückgrat und einen in der Mitte
der Stirn. Die Ziege wird mit dem Fell gevierteilt und schnell geröstet. Herbeigerufene
Freunde essen so lange, bis nur die Knochen übrig bleiben; ein etwaiger Rest des Fleisches
wird weggeworfen. Sämtliche Knochen nebst den Fesseln, die aus zira und kongo hergestellt
1) Aussatz kann angezaubert werden; zu dem Zwecke wird ein Thongefäß (Fig. 27) mit Medizin gefüllt und
auf den Acker des zu Bezaubernden unter eine Steinplatte gestellt; man glaubt, das Gefäß könne weiterwandern.
BaESSLER-ARCHIV I. 4/5. 27
204
KARASEK-EICHHORN
waren, werden gesammelt und in Bananenblätter gewickelt. Der Patient muß dieses Bündel
auf seinem Rücken halten, rückwärts gehen bis zu einem mwumo-Baum oder, falls keiner in
der Nähe ist, zu einem mkuju-Baum und dort in ein Loch am Fuße des Baumes, das der
mganga gegraben hat, das Paket, ohne es anzusehen, hineinfallen lassen und das Loch zu-
scharren. Nunmehr sagt er zum mganga: nipe wuo (gib her Medizin gegen Schlange)! Das
Schlangenmittel wuo besteht aus Blättern von zira-Blättern und Rinde von nyonga pembe und
göre (einer Liane); diese Bestandteile werden gekocht; mit dem Absud muß sich der Kranke
früh und abends waschen. Nach vier bis sechs Tagen sagt er zum Zauberer: tabana, pike
mkula. Der mganga bringt vier kleine trockene Hölzchen von mkula, reibt sie auf einem
flachen Stein, nimmt das gelbe Holzmehl, bestreicht die Schläfen des Kranken, betupft die
Mitte der Stirn und dann den ganzen Körper. Bei dieser Prozedur spricht er zu dem völlig
nackt auf dem Boden sitzenden Patienten die Beschwörungsformel; pule, pule, oeh nyoka, oeh
nyoka, oeh waiwa, oeh kifuta, oeh nyoka mlawe mumuili wa mtu boboha oeh kikinga, oeh
boboha, oeh moma, oeh schatu, oeh ngumi (große Meerschlange); bei diesen Worten be-
streicht er den Kranken vom Kopf bis zu den Füßen mit den Hölzchen, wiederholt diese
Handlung einige Male und hebt die Hölzchen schließlich nach den vier Himmelsrichtungen.
Damit ist die Kur beendet; der Kranke hofft weiter auf Genesung.
uhere, auch uschungu, größere Pusteln, aus denen sich Geschwüre entwickeln, Einreibung
mit pulverisierten Blättern von Tephrosia Vog. Hook fil. und nachheriges Baden. Oder:
Einreibung mit Ricinus-Öl (Bumbuli; Mkulumusi). Oder: mit dem Saft von minga njoyo,
in den tags zuvor eine Kerbe geschlagen wurde (Bumbuli). In Bungu reibt man den Milch-
saft von mboza makiri abends ein und wäscht früh mit Wasser nach. In Dindila benutzt
man pulverisierte Maisspindelkohle; ebenda den Schaum von zerriebenen /b/on/o-Blättern, den
man einreibt; auch werden zerstampfte uguila schizi-Bläüer aufgelegt; neuerdings; geriebenes
Schießpulver oder pulverisierter Schwefel.
Mit durasi- (cf. oben) bezeichnet man auch faustgroße Geschwulst- und Geschwürbildungen
an Armen und Beinen, die das befallene Glied dauernd unbrauchbar machen. Heilmittel: Auf-
legen zerquetschter tula- (Bumbuli; Mkulumusi) oder mschusa-Früchte (Mkulumusi).
Ferner: Hautritzungen an den erkrankten Stellen durch den mganga und Genuß von Thee, der
aus vier Hölzchen, von mtindi, mtula, mhende und mtula mkondo, hergestellt wird (Bum-
buli), oder Tee von djaoi mkali (kungi mti in Mkulumusi genannt).
kiba, kleine Erhöhungen, die zu eiternden Geschwülsten werden. In Bumbuli sieht man
in dieser Krankheitserscheinung das Vorstadium des Aussatzes. Reiben der Geschwulst mit
msasa- (Ficus aspera) Blättern, bis Blut hervortritt (Mkulumusi) oder ebenso langes Reiben
mit einem kleinen alten Thongefäß, das früher einmal „Medizin“ enthielt und aus einem ver-
lassenen Dorfe stammt (Bumbuli),
moha, weiße Stellen auf der Haut. Auflegen zerriebener kigaha-Blätter (Bumbuli und
Mkulumusi); oder Einreibung mit den eigenen Exkrementen (Bumbuli); desgleichen mit
zerstoßenen lutogo-Blättern (Mamba) oder mit einer Mischung von Kokosnußöl und Schwefel
(Ngambo); auch mit zerriebenen schwarzen Raupen, die auf sosokolve leben (Dindila).
kimungu, wipagu, Haarflechte. Auf zahlreiche, der rasierten Kopfhaut beigebrachte Messer-
schnittwunden werden zerstoßene Blätter von zweijähriger kikwema gelegt (Bungu). Oder:
Allabendliches Einreiben des Kopfes mit Schafexkrementen.
Geschlechtskrankheiten sind in der reinen Waschambaa-Bevölkerung selten, häufiger
in der Nähe der Wabondei und namentlich der Pflanzungen der Europäer. Geschlechts-
kranke Mädchen — ihre Namen sind weithin bekannt — werden gemieden. Vor Ankunft der
Europäer war Syphilis unbekannt.
kukumusi. Die Waschambaa nehmen an, daß diese Krankheit nicht durch den Ge-
schlechtsverkehr übertragen werden könne, denn „auch kaum erwachsene Kinder leiden daran“.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
205
kukumusi ya Pepo heißt die chronisch gewordene Geschlechtskrankheit. Gegenmittel: Tee
von in Ziegenmilch gekochten mtambwe-Wurzeln oder von zerstampften fuisa-Blättern ist
jeden Abend zu trinken; oder: der Kranke begibt sich an eine Wegkreuzung, macht hier einen
Topfscherben heiß und uriniert darauf.
kanjama, Syphilis. Die Wunden werden bis zum Ausfluß von reinem Blut mit einer an-
gekohlten Maisspindel gerieben und mit einem Gemisch von zerstampften rohen künde-Bohnen
und tutu (Kupfervitriol) bestreut; nach Abheilung der Wunden ist ein Abführmittel zu nehmen,
„da sich noch ein Rest der Krankheit im Bauch befindet“.
Bei mbuscha schwellen die Hoden stark an. Tee von msuma-Wurzeln, die zusammen
mit dem Rückgrat eines Hahnes gekocht wurden.
kibuga-Kranke haben keine Zeugungskraft. Gegenmittel; Allabendlich Genuß von Tee
aus Bananen- (ndsisi ya kike), mluati-, lupemba- und mhongo-Wurzeln. Oder: Zuerst den Saft
von schwarzem Zuckenohr, das zusammen mit mbuaka und mkongoe-Wurzeln gestampft
wurde, und dann Tee von mkole-Wurzeln trinken. Oder; Sechs bis zehn Eier werden in einer
vom mganga hergestellten Medizin hart gekocht und gegessen; sodann ist das Kochwasser
zu trinken. Oder: Genuß einer Abkochung von sieben Stück gole und schwarzem Zucker-
rohr. Oder: Getränk von in pombe ausgelaugten bawa-Wurzeln oder von danga-danga-Blättern
und -Wuizeln, die zerstampft und mit Wasser ausgezogen wurden; desgleichen von mgongo-
Rinde. Sämtliche vorgenannte Mittel sind starke Diuretica. Speziell in Dindila sind ge-
bräuchlich: Allabendliches Trinken einer Abkochung von tula- und mbarasi-Wurzeln oder von
Wasser, in dem rohe mango-Blätter zerstampft wurden.
Wird ein Mann, der in den besten Jahren steht, zeugungsschwach oder impotent — das
Schlimmste, was ihn nach Waschambaa-Begriffen treffen kann -, so opfert er dem mganga
reichlich Hab und Gut und dieser versteht das Leiden auszubeuten; er empfiehlt Stengel und
Wurzel dei Paternoster-Erbse zu kauen und aus ihren Blättern hergestellten Tee zu trinken.
Auch die Wuizeln von Indigofera wird zu diesem Zwecke benutzt. Der reichliche Genuß
von getrockneten mhogo- und papaja-Früchten soll ebenfalls die Zeugungskraft steigern. In
Bumbuli trinkt man aus gleichem Grunde eine Wurzelabkochung von wiru; unter besonderen
Zeremonien wird sie gegraben; ein Mann geht mit einem mlango, einem Faden mit weißen
Perlen, wie ihn die Bibi um den Leib tragen, in den Wald, schlingt ihn um einen Ast und
spricht. Tepe! ngaza, kangaze mschango iva pepo, mschango wa nyoka, mschango wa mu-
lungu, vuu kawüusche, mschango ya nyoka, kawilusche, mschango ya pepo kawilusche.
Unterhalb der Perlenschnur gräbt er die Wurzeln aus, trägt sie in einer Hand mit der Schnur
zusammen ins Dorf, schneidet sie klein und kocht sie; beim Trinken des Tees hält er die
Schnur auf der flachen Hand unter das Gefäß.
Um die sexuelle Erregung der Frau zu steigern, mischt der Mann unter ihre Hölzchen
zum Zähneputzen eine Wurzel der giftigen Tephrosia Vogelii. In Mkulumusi benutzen
die Flauen zu gleichem Zweck zerstoßene Muskatnuß.
Onanieren kommt bei armen Waschambaa nicht allzu häufig vor; sie benutzen den
weichen Stamm einer Bananenstaude oder eine papaya-Frucht, die sie aushöhlen.
Mit nyongo faßt der Mschambaa eine Reihe von Krankheiten, so Sonnenstich, roten
Hund, Gallenfiebei usw. zusammen. Gegenmittel sind: Abkochung von muengere- (Cissus sp.)
oder von mtula-, mluati- und kwamba-Blättern. Schaum von Hühnerfleischbrühe (der
mganga ißt das Huhn). Wasser mit geröstetem und zerstoßenem Mais- und kungu-Samen.
Schaum von Hühnerfleischbrühe, in der etwas samli (Butter) und Wurzeln von msugwa
und mwuti mitgekocht wurden. (Balangai; Bumbuli; Magome; Mkulumusi; Mombo;
Niussi). Tee von tongo-tongo mdogo- und muengere-Blättern. Abkochung von mlungu-
Rinde und schiru-Blätiern. Tee von mnama-Blättern, die zusammen mit Butter gekocht
wurden.
27*
206
KARASEK-EICHHORN
BEHANDLUNG VON WUNDEN UND BRÜCHEN.
Wunden werden zunächst mit Wasser ausgewaschen, dann mit putscht, einer Komposite,
bedeckt, mit einem Stück Blatt von lukokozi, das in einer der Wunde ähnlichen Form, nur
größer, geschnitten wird, belegt und schließlich verbunden. Über Wunden am Bein wickelt
man zum Schutz gegen Fliegen Maiskolbenhüllblätter. Aus demselben Grunde werden kleinere
Verletzungen in ihrer ganzen Ausdehnung, bei größeren wenigstens die Wundränder, mit
Tabakssaft, wie er sich im Pfeifenrohr ansammelt, bestrichen.
Auch Wurzeln von sosokolwe madaume, einer Malvazee, werden fein geschabt (so in
Bungu) und in die Wunde gestreut.
Die Blätter von kiandama und mfuno dienen ebenfalls zur Bedeckung von Wundflächen.
Bananen-ugali, dem Zitronensaft zugefügt wurde, wird heiß (Dindila) aufgelegt; eine
nicht näher bekannte Medizin ist darunter gemischt.
Ätzung geschieht mit tutu, pulverisiertem Kupfervitriol.
djipu, Eiterbeulen, behandelt man mit warmen oder kalten Wasserumschlägen. Zerstoßene
Blätter von mtula kondo, vermischt mit zerkautem künde-Samen, werden aufgelegt. Zeigt
die Beule deutlich ihren eitrigen Inhalt, so schneidet man sie auf, quetscht sie aus, bis reines
Blut hervorquillt und wäscht mit Wasser, dem ein Gemisch von Ruß und Salz zugefügt ist, nach.
Das Verbinden derartiger Wunden wird für überflüssig erachtet, denn „sie heilen von selbst“.
Pfeil-Wunden erheischen meistens eine schwierige Behandlung. Sitzt der Pfeil an einer
ungefährlichen Stelle, so macht man an der der Wunde entgegengesetzten Seite einen Ein-
schnitt, sondiert und stößt den Pfeil völlig hindurch. Steht aber ein Knochen im Wege oder
befürchtet man, beim Durchstoßen einen edleren Teil zu verletzen, so dreht man der Wider-
haken wegen, den Pfeil um seine Achse, bevor man ihn herauszieht, oder er wird heraus-
geschnitten. Ist kein mganga zur Stelle und tut Eile not, dann bindet man an das Pfeilende
einen Bastfaden und diesen an einen umgebogenen schwachen Baumstamm, so daß dieser
federt. Das Stämmchen wird losgelassen und reißt den Pfeil mit samt dem Fleisch in seiner
Umgebung heraus.
Die Verwundungen durch vergiftete Pfeile werden so behandelt: Die Stellen ober- und
unterhalb der Wunde unterbindet man fest, entfernt den Pfeil und setzt dann Schröpfinstru-
mente an. Der Gaumen des Patienten wird mit Medizin gegen den Schlangenbiß, koba да
salo (Schlangenzauber), betupft, desgleichen die Zunge; außerdem gibt man ihm vier kleine
Portionen von salo in Honig gemischt ein.
Gegen Schlangenbiß hat der Jumbe jedes Dorfes eine Zaubermedizin in einer Flasche
(lwbe да salo). Wird jemand auf dem Felde von einer Schlange gebissen, so bindet man
oberhalb der Wunde den Körperteil fest ab, „damit das Gift nicht in den übrigen Körper
gelangt“. Zuweilen saugt man auch die Wunde aus. Der schnell herbeigerufene mganga
erweitert die Bißstelle, „weil jede Schlange beim Beißen ihre Zahnspitze in der Wunde läßt“.
Oberhalb der Wunde, unter Umständen auch an verschiedenen Stellen des Körpers, wird
geschröpft.
Einer Frau aus Ngere, die in die Hand gebissen war, brachte der Medizinmann einen
tiefen Schnitt vom Arm bis zum Ellenbogen bei; nach vierzehntägiger Behandlung war die
Frau wieder gesund.
Einreibungen der Bißstelle mit Petroleum sind neueren Datums. Das Ausbrennen der
Wunde kommt seltener vor.
Innerlich gibt man, so in der Umgebung von Bumbuli, ein Getränk, das Asche von den
Wurzeln von diga, tugutu, mfuisi und von einem Schlangenkopf, mit Honig vermischt enthält.
Daß die Waschambaa kein großes Zutrauen zu den Zaubermedizinen gegen Schlangen-
biß haben, beweist der Ausspruch; „wer gesund wird, ist ein Glücksvogel“.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA 1
207
Todesfälle durch Schlangenbiß sind relativ selten; Usambara ist nicht reich an Gift-
schlangen. Die Puffotter (moma), wohl die giftigste Schlange des Gebietes, wird im allge-
meinen für ungiftig gehalten; man sieht in ihr den wandernden Geist eines Verstorbenen;
darum bringt sie dem, der sie sieht oder berührt, Krankheit oder Tod.
Gegen die Bisse von Skorpionen, kisuse und luge (eine schwarze und weißliche Art), hat
man kein Gegenmittel; man unterbindet die Wunde und reibt Tabakssaft ein.
Verbrennungen werden, sind sie klein, nicht beachtet. „Kalte Wasserumschläge bringen
Blasen“. Auf größere Brandstellen legt man Fruchthaare von mpulichsi, auch von anderen
Kompositen usw. auf und verbindet sie, nachdem man sie noch zuvor mit Holzkohlenstaub
bestreut hat. Auch zerriebene Blätter von mfuno oder mujuju (eine gelbblühende Bignoni-
acee), ferner angewärmte Rinde von mkande wendet man bei Verbrennungen an. Weit aus-
gedehnte Brandwunden oder Verbrühungen werden besprochen; nachdem zerriebene Blätter
von fuisa und Asche von einem verbrannten mkeke (kleines Säugetier) auf die wunden Stellen
gestreut worden sind, spuckt der Medizinmann auf sie und spricht: „Tp! nabani fuisa genda
kufuise mamba sehe msuzi, kombo kasira, una moto genda kasuza. Tp!
Ihrem Kinde verbrühte eine Frau den Fuß; der Vater lief zum Orakel. Dies es sagte: „Die
Mutter des Kindes hätte kobo, die dicken engerlingartigen Larven des Nashornkäfers bei einer
fika (Opferfest) zu essen unterlassen“. Schnell suchten die Familienmitglieder etwa ein Dutzend
dieser kobo und fütterten einen Monat hindurch mit demselben Gericht täglich die Frau, bis
das Kind genas.
Arm- und Beinbrüche. Der Patient wird niedergelegt und provisorisch verbunden; sodann
je früher, desto besser — richtet man das gebrochene Glied ein und legt einen festen
Verband, der aus drei Schienen besteht, an. Bei Ober- und Unterarmbrüchen muß die Hand
im stumpfen Winkel zum Arme geschient werden; das Schienen in gerader Richtung hält man
für unzweckmäßig. Höchstens sechs Tage bleibt das gebrochene Glied in dieser Zwangs-
stellung; dann erfolgt Massage unter Anwendung warmen Wassers und allmähliches Gewöhnen
an die übliche Arbeit.
Armbrüche usw. heilen durchschnittlich in drei bis vier Wochen; der behandelnde Arzt
bricht gleichzeitig einem Huhn ein Bein oder einen Flügel und tröstet den Kranken: „Wenn
das Huhn gesund wird, bist du es auch“.
Der Kranke darf bis zu seiner Heilung sich nicht rasieren, kein rohes Fleisch essen, kein
blutiges sehen.
Die Krücken magwangwa gleichen den unseren; das Stelzbein (tumbi) besteht aus einem
starken Bambusstück, in das der Beinstumpf hineingezwängt wird.
ZEITRECHNUNG. ASTRONOMIE. GESCHICHTE.
Die große Regenzeit fula ga maka gilt als Zeitmesser; nach ihr grenzt man die Jahre ab.
Bevor sie eintritt, meist Mitte März, manchmal schon Ende Februar, werden die Felder vom
Unkraut gereinigt und während des Regenfalls besäet. Da der Regen nicht längere Zeit hin-
durch dauernd anhält, unterscheidet man:
1. fula wa uhasi = harata, d. i. der erste kleine Niederschlag, der sich im Erdboden ver-
läuft, ohne auf der Oberfläche deutliche Spuren zu hinterlassen.
2. kisa maganda ga msambia, d. i. der Regen, bei dessen Beginn die Früchte des Baumes
msambia reifen; an Stelle von msambia kann es auch ein anderer Baum mit weißen Früchten
sein; um diese Zeit wird alles aufgehäufte Unkraut verbrannt.
3. kilegesa magisa, d. i. der Regen, der den Boden für das Pflanzen vorbereitet, also ihn
durchweicht; ga mhando ist der erste eigentlich große Regenguß, der zwei oder mehr Tage
anhält und bei dem gepflanzt wird.
208
KARASEK-E1CHHORN
4. kumba mlalo ist die Zeit, zu der der Mais etwa mannshoch ist.
5. schika, d. i. ein kleinerer Regen, der aber Tag für Tag anhält.
Die Jahreszeiten heißen; muaha, große Regenzeit; mluati, wuli, kleine Regenzeit; nyota,
kalte Zeit.
Über Blitz und Donner herrschen folgende Ansichten: In Usambara gab es früher Zau-
berer, die den Blitz mit der Hand fingen. Es donnert stark, wenn die Leute bei Bumbuli
ein Fest (mwiga) feiern und den Regen aufhalten. Kommt Regen, so hört das Donnern sofort
auf. Früher waren die Gewitter furchtbarer, doch seit Ankunft der Europäer treten sie nur
noch schwach auf; vielleicht haben die Weißen Blitz und Donner „vermessen“. Bei starken
Gewittern zündete man vordem große Feuer an, weil der Blitz ihnen ausweicht.
Astronomie. Von astronomischen Kenntnissen kann keine Rede sein. Folgende Be-
zeichnungen für Gestirne wurden mit vieler Mühe in Erfahrung gebracht:
1. mtondo tscha mikia, Stern mit dem Schwanz, Komet,
2. mtondo tscha mosi — mbalakele, Abend im Osten.
3. halagani, Venus?
4. mhilimia, Großer Bär?
5. mschomekuschome.
Große Kometen gelten als Vorboten wichtiger Ereignisse; so soll mtondo tscha mikia die
nachfolgende Hungersnot dja ya mbaruhu angezeigt haben.
Geschichte. Usambara ist reich an historischen Erinnerungen; jedes Fleckchen Erde,
jedes Tal und jeder Hügel oder Bergrücken, jeder Bach, jeder Fels, ja jeder große Baum hat
seinen bestimmten Eigennamen, denn geschichtliche Begebenheiten, Sagen und mythologische
Vorstellungen knüpfen sich an jeden Ort. Die alte Generation erzählt nicht gern, was sie
davon weiß; die jüngere hat für die Geschichte des eigenen Vaterlandes zu wenig Interesse;
die Deutschen aber mißachten die Eingebornennamen; so z. B. benannten sie Magamba
Philippshof und Rusotto Wilhelmstal.
Der erste Mkilindi, der ins Land der Waschambaa kam, hieß Scheuta; er führte nach
der Landschaft Bangwe, aus der er ausgewandert war, auch den Namen Scheuta-Bangwe;
in dem Gebiet, wo der Mschambaa Wakimatuli Familienoberhaupt war, ließ er sich nieder;
dort wohnten damals nur wenige Männer und Frauen. Aus Unguu hatte Scheuta verschie-
dene Kulturpflanzen mitgebracht; bald kehrte er in seine Heimat zurück. Viele Jahre nach
ihm kam Mbega, dessen Kundschafter gewissermaßen Scheuta gewesen war; jedenfalls hatte
er durch ihn erfahren, daß es in der Schambalai viele Frauen gebe.
In der Überlieferung ist über die Persönlichkeit Scheutas nur wenig erhalten geblieben.
Bei jedem Opferfest der Waschambaa und Wakilindi vom Msangangi singt man: neugone
tongo wa Scheuta, neugone Bangwe.
Stammtafel des Mbega;
Buge
Mbuge war Herrscher über ein großes Gebiet in Unguu (Wasegua-Land) am Ki-
lindi-Berg.
Sein ältester Enkel Semalua starb; Mbega nahm dessen Besitz an sich. Die beiden
Brüder des Verstorbenen zürnten, denn Mbega hatte auch die Weiber des Semalua sich
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA 1
209
angeeignet; als er von dem Zorn seiner Gegner hörte, sagte er zu ihnen: „Warum bestreitet ihr
mir den Besitz der Frauen?“ „Sie gehören Dir nicht!“ Mbega ärgerte sich und ging nach
Hause. Die anderen sagten: „Er ist nicht unser Bruder; er wurde als schlechter Mensch ge-
boren.“ Das ward ihm hinterbracht; er versammelte die alten Leute und schickte sie zu
Mdolva: „Fragt ihn, warum er gesagt hat, ich sei schlecht!“ Mdolva: „Ich weiß es nicht.“
In diesen Tagen starb der alte Mbuge, Mdolva nahm als Erbberechtigter dessen Würde
ein. In dem wieder ausgebrochenen Streite vertrieb er den Mbega, der sein Land verlor.
Mbega hatte aber alle Zaubermittel seines Vaters gekannt und wußte, daß sie sich im Hause
Mdolvas befanden; im geheimen entwendete er sie, nahm seinen Speer und viele Hunde und
ging in ein anderes Land. Seine Schwester Odafa und drei Freunde folgten ihm. Unweit
der Grenze der Herrschaft seines Neffen gründete er ein Dorf, jagte Schweine und lebte zu-
frieden. Da er im Besitz aller Zaubermittel war, bewirkte er den Tod Melis.
Mdolva zürnte über den Tod seines Bruders, ging nach dem Begräbnis zum Orakelmann
und hörte dieses Totenorakel: „Ist im Haus des Jumben aller Zauber für Land, Regen, Zau-
ber usw. vorhanden?“ „Ich weiß es nicht!“ „Dann gehe und schau nach!“
Nach einer Weile ging Mdolva wieder zum Orakelmann: „Nein, di edaua ist gestohlen worden.“
Das Orakel: „Mbega hat es gestohlen und Deinen Bruder durch Zauber getötet.“ Mdolva wurde
vor Wut krank und rief: „Mbega ist nicht mehr mein Bruder; wenn ich ihn sehe, erschlage ich ihn.“
Das hörte Mbega; er beschloß weiter fortzuziehen, um seines Bruders Rache zu entgehen.
Er sagte zu seiner Schwester: „Komm, es ist besser, wenn wir weit fortkommen; anderswo
können wir auch sterben.“
Das Kind des verstorbenen Semalua, Buge, flüchtete zu ihm und Mbega sprach: „Willst
Du in das Land Deines Vaters zurückkehren, so geh! Willst Du mit mir gehen, so komm!“
„Ich will mit Dir gehen.“ So begaben sich Buge, Mbega und Odafa auf die Reise; sie gingen
lange. Da Odafa ein Weib war, marschierten sie langsam und hielten oft Rast; nachts jagten
Mbega und Buge mit den Hunden auf Schweine; deren Fleisch war ihre alleinige Nahrung.
Sie kamen unweit Maurui; sie lagerten im Pori einen halben bis einen Monat; das Dorf be-
traten sie nicht; auch pflogen sie keinen näheren Verkehr mit den Waschambaa. Die Flücht-
linge zogen dann nach Zirai bei Wuga, wo sie in einer Höhle, der Wakilindi-Höhle, mpanga
Kilindi, wohnten. Da in der Umgebung sehr viele Schweine waren, beschloß Mbega hier
länger zu bleiben. Die Waschambaa sahen, wie er fast täglich Schweine erjagte; sie kamen
öfters zu ihm und Mbega knauserte nicht; er gab ihnen stets ein ganzes Schwein als Ge-
schenk. Dafür brachten ihm die Waschambaa später Feldfrüchte und andere Nahrungsmittel.
Als das die Leute aus Scheschui hörten, machten sie sich zum Besuche Mbegas auf; als
sie sich von der Wahrheit des Erzählten überzeugt hatten, luden sie ihn ein, sich in Sche-
schui anzusiedeln. Er war des unsteten Lebens müde und nahm das Anerbieten an; nach
wie vor jagte er und erbeutete täglich mehrere Schweine.
Das hörten Leute aus Wuga; sie gingen nach Scheschui und frugen: „Wo ist der Mann,
der täglich mehrere Schweine erbeutet?“ Als sie ihn sahen, hielten sie mit ihm ein Schauri,
er möge in der Umgebung von Wuga Schweine jagen. Doch die Leute von Scheschui
sprachen: „Er ist ein guter Mann; macht ihn zum Jumben!“ Sie frugen: „Welchem Stamme
gehörst Du an?“ „Ich bin Jumbe aus Kilindi.“ „Hier bist Du auch Jumbe!“ riefen die Wa-
schambaa und sie geleiteten den neuen Jumben nach Wuga.
Vorstehende geschichtliche Überlieferung gründet sich auf eine Reihe von Erzählungen
verschiedener Wakilindi,
Ferner ließ sich feststellen: Wakina tuli, der Waschambaa-Jumbe aus Kongoi, be-
herrschte die Nord-Ost-Ecke von West-Usambara, als Mbega Herrscher in Wuga wurde;
er überließ dem Mbega sein Land, dieser schenkte ihm dafür Hunde; Wakina tuli blieb
aber fortan als Ratgeber in Waschambaa-Angelegenheiten am Hofe Mbegas.
210
KARASEK-E1CHHORN
ERZÄHLUNGEN. FABELN. MÄRCHEN. SAGEN.
VON ZWEI SCHLANGEN.
(Erzählt von Karaseks makihio.)
Es gibt zwei Baumschlangen; die grüne, noka ya mani, sieht aus wie Gras, und die braune,
noka schunga kuni, gleicht einer Liane. Einmal hatte eine Frau geglaubt, die vom Baume
herabhängende Schlange sei eine Liane; sie wollte sie abschneiden, um damit Holz, kuni, zu-
sammenzubringen; da wurde sie von der Schlange gebissen und starb.
Es ist ein böses Vorzeichen, wenn beide Schlangen in ein Haus kommen. Schunga kuni
muß im Hause totgeschlagen werden, denn sie vergilt, erwischt sie einen Menschen, Gleiches
mit Gleichem; sie hängt sich nämlich auf, wartet, bis ihr Verfolger vorübergeht und spuckt
ihren Speichel auf seinen Scheitel; der Getroffene stirbt; selbst der bewährteste Zauberer kann
ihm nicht helfen.
VOM CHAMÄLEON.
k u 1 u m u s i.)
Das Chamäleon ruht in den Zweigen; von dort läßt es sich zur Erde fallen; sein Bauch
springt dann auf und aus ihm kriechen nach allen Seiten giftige Spinnen, Schlangen, Skor-
pionen, Hundertfüße und anderes Gewürm.
ZWEI FRAUEN UND DER LEOPARD.
(Bei Wugiri, Dindila.)
Zwei Frauen gingen an den Bach, um Wasser zu schöpfen. Die eine erzählte: „Ist der
Leopard ein Dummrian!“ Die andere fragte: „Wieso?“ Jene antwortete: „Hast du noch niemals
gesehen, daß er die Ziegen an den Füßen fängt?“ Diese erwiderte: „Er tut recht, denn würde
er sie am Halse erfassen, schnell würden die Ziegen sterben.“ Der im Gebüsch versteckte
Leopard hörte das alles und sagte sich: „Gut, daß ich’s jetzt weiß; vielleicht werden die Ziegen
schneller sterben, wenn ich sie am Halse fasse.“ Seit der Zeit packen die Leoparden die
Ziegen nur am Halse an.
EINE MOMA (PUFFOTTER), DIE EIN MÄDCHEN HEIRATETE.
(Makha; Akidat Bungu).
Ein schönes junges Mädchen, Kidere, hatte keinen Verehrer, weil ihr Vater sie nicht ver-
heiraten wollte. Davon hörte eine riesengroße Moma, die in der Steppe wohnte. Sie ver-
wandelte sich am Abend in einen Jüngling, ging zu dem Mädchen, wurde erhört und blieb
dort über Nacht (die Waschambaa bezeichnen mit „kubaiwa, stehlen“ auch den geheimen
geschlechtlichen Verkehr.1) In der Frühe des Morgens nahm der Jüngling wieder die Gestalt
der Puffotter an, eilte in die Steppe, baute dort eine große Hütte und, bevor die Leute erwacht
waren, holte er das Mädchen in das neue Heim. Als der Vater kam und seine Tochter nicht
fand, ging er zürn Orakel; dieses gab den Bescheid: „Eine Moma, die in der Steppe wohnt,
hat deine Tochter mitgenommen.“ Der Vater ging auf die Suche und, als er zu einer großen
Hütte in der Steppe kam, sah er die Moma davonkriechen. Seine Tochter sagte zu ihm:
„Vater, gehe schnell zurück! Wenn dich die Moma hier trifft, so tötet sie dich.“ Der Vater
ging fort und auf dem Rückwege sah er einen Löwen; zwischen beiden entspann sich ein Ge-
spräch. „Du, Löwe, sagte der Vater, meine Tochter heiratete eine Schlange; wenn du die
Schlange tötest, gebe ich dir zwei Ochsen. Willst du keine Ochsen, so gebe ich dir einen
Menschen.“ Der Löwe antwortete: „Weißt du was, ich will es am Abend versuchen; warte
inzwischen in meiner Hütte.“ Der Löwe ging am Abend hin und tötete die Schlange. Dann
kam er zu dem Mädchen; als dieses vor Furcht zu schreien anfing, sagte er: „Fürchte dich
1) Vgl. „mausen“ in Oberbayern.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
211
nicht! Ich bringe dich zu deinem Vater.“ Dann gingen die beiden zu ihm hin. Der Alte
sagte zum Löwen: „Weißt du was?! Wenn wir mit dir ankommen, so werden alle Leute
Furcht haben. Warte bis es Abend wird. Dann gehen die Frauen hinter das Dorf und hocken
sich ins Gebüsch. Siehst du eine ganz schwarze Frau, die kaniky anhat, so nimm sie! Meine
Frau ist es nicht.“ Als die Frauen hinausgingen, da packte der Löwe die eine (er wollte sie
nicht fressen, sondern nahm sie zur Frau), die anderen Frauen riefen: „Krieg! Löwe!“
DIE MAUS, DIE IHRE MUTTER ERDROSSELTE.
(D i n d i 1 a.)
Eine Frau Kokilalo gebar einen Löwen, eine Maus, einen Frosch, Mschunga, MIawu
und Luschwe; letztere drei Kinder erhielten ihre Namen nach verschiedenen Gemüsen. Luschwe
ging und holte luschwe; der Löwe ging in den Wald und holte Fleisch; Mschunga brachte
mschunga; MIawu brachte mlawu; der Frosch brachte kongo; die Maus brachte Mäuse an.
Die Mutter schüttelte sich vor Abscheu: „Ich kann Mäuse nicht essen.“ „Ja“, sagte die Maus,
„du hast aber doch alles, was meine Brüder brachten, gegessen!“
Wenn der Löwe kam, brummte er: „He! he!“ Die Mutter antwortete: „Hongela manangu,
kingulumo kunaulimi“ (Dank, du mein Kind, du sprichst Wahrheit).
Ein anderes Mal, als die Mutter wieder die Kinder ausschickte, um Nahrung zu holen, be-
eilte sich auch die Maus und sie brachte kleine Mäuschen. Die Mutter weigerte sich, die
Mäuse zu verzehren; die Maus ward zornig und erdrosselte ihre Mutter.
Die Maus versteckte sich in der Pflanzung, Als der Löwe kam und seine Mutter nicht
antwortete, brach er die Türe auf; er sah; Seine Mutter war tot. Inzwischen kamen die an-
deren Brüder, auch die Maus. Der Löwe, als der älteste, fragte: „Wer hat die Mutter erdrosselt?“
Alle sagten nur: „Äh! äh!“ Da ging der Löwe mit seinen Brüdern zum Orakelmann; dieser
besaß einen See, in dessen Mitte sich ein großer Stein erhob. Der Orakelmann brachte eine
Kette (noro, wie sie um den Hals getragen wird) mit, warf sie auf das gegenüberliegende
Ufer und befestigte dort ein Schemelchen, Der Löwe stellte sich darauf und rief: „De, de, de,
samgole akomie mame kadumka schingo, timpange hama,“ Nach und nach überschritten alle
Brüder den See, nur die Maus blieb als letzte zurück; sie zitterte am ganzen Leibe und nach
wenigen Schritten fiel sie ins Wasser und ertrank. Jetzt wußten die Brüder; Die Maus hat
die Mutter erdrosselt. Der Orakelmann bekam sein Huhn.
(Dasselbe Märchen wurde Karasek später von anderer Seite nur mit dem Unterschied
erzählt, daß jeder der Brüder, als er die ausgespannte Kette passierte, in der einen Hand ein
Huhn hielt.)
DAS KATZENDORF.
(Dindila).
Ein Mann hatte vier Kinder; zwei waren mutterlos, da seine erste Frau gestorben war;
die zwei anderen hatten zur Mutter die zweite Frau des Mannes. Als der Vater nicht zuhause
war, spielten alle vier zusammen, und als er abends vom Felde heimkam, da zeigte jedes Kind
ihm voll Freude, was es gemacht hatte; jedes hatte einen Herd gemacht. Der Vater fragte das
eine Kind: „Was willst du auf dem Herde kochen?“ Es antwortete: „Derema“ (eine Schling-
pflanze, deren Blätter gekocht und als Zuspeise mboga genossen werden). „Und du?“ fragte
der Vater das andere Kind. „Ich will pule kochen.“ Die zwei Waisen sagten: „Wir wollen
Milch kochen.“ Da ward der Vater zornig und sprach; „Diese zwei Kinder mag ich nicht; sie
wollen Milch kochen, aus ihnen werden Diebe. „Geht,“ sagte er, „und kommt mir nicht mehr
in die Hütte!“ Die beiden gingen weinend in den Wald; der Bruder baute eine Hütte (wie zur
Schweinewache); nach zwei Tagen hatte er und sein viel kleineres Schwesterchen Hunger; da
sagte er zu ihr: „Schließe das Haus; ich gehe, um Nahrung zu besorgen.“ Er ging und ging;
da sah er zwei Hütten, viel Vieh, aber keine Leute. Er schlich sich in ein Haus, stahl drei
BAESSLER-ARCHIV I. 4/5. 28
212
KARASEK-EICHHORN
kibuju Milch und brachte sie dem Schwesterchen. Dieses trank sie aus; der Junge ging, die
drei kibuju wieder zurückzubringen; er band sie auf einen langen Stock und bängte sie, in
der Hütte wieder angekommen, vorsichtig an die Wand. Beide Hütten gehörten den Katzen;
das Dorf war ein Katzendorf; die Kühe gehörten den Katzen und die Felder gehörten den Katzen.
Eine Katze melkte gerade; der Junge schlich sich in ihre Nähe — Katzen sehen ja am Tage
schlecht — und stieß mit seiner Rute in das kilamu (Melkgefäß); dieses fiel um. Die Katze
ärgerte sich, schnitt sich die rechte Pfote ab und warf sie fort. Sie melkte jetzt nur mit der
einen Vorderpfote noch; wieder stieß der Junge in das Gefäß; wütend schnitt sich die Katze
auch die andere Vorderpfote ab. „Ich werde, dachte sie, mit den hinteren Pfoten melken“. Die
Katze ärgerte sich über ihr Unglück und durchschnitt sich den Hals. Der Knabe wollte jetzt
die Kühe und alles an sich nehmen; da kam ein Vogel — es war mzimu seiner verstorbenen
Mutter - und sagte: „Junge, beim Katzenherz ist ein mpingu (Amulett); diesen nimm und wirf
ihn zur Erde.“ Der Knabe tat es; viele Leute sprangen aus der Erde. Nun ging der Junge
zu seinem Schwesterchen; dieses frug; „Woher hast du dieses Vieh?“ „Ich habe es gekauft.“
Die beiden gingen in die Nähe des Dorfes, wo ihr Vater wohnte; dort war eine große Hungersnot.
Die Leute der beiden Kinder bauten ein Dorf; davon hörte die ganze Umgebung; es hieß:
Ein Jumbe, noch ein Kind, ist gekommen und so viele Leute mit ihm! Ein ganzes Dorf haben
sie in einem einzigen Tag erbaut!
Da entschloß sich der Vater, das neue Dorf zu besuchen. „Wohin, Alter?“ frug ihn sein
Sohn. „Ich gehe, um etwas Milch zu suchen.“ „Siehst du! Ich war dein Sohn; damals hast
du uns hinausgejagt, weil wir Milch stehlen würden.“ „Ich bin so hungrig, gib mir doch etwas
Milch!“ „Nein, nichts bekommst du! Geh zu deinen Kindern und iß deremaV‘
DIE RIESENSCHLANGE MANGULUMO.1)
(Dindila.)
Es war ein Waschambaa-Mädchen so schön und ganz licht, daß sich die Leute weit
und breit von ihrer Schönheit erzählten. Sie war immer zu Hause, denn ihr Vater fürchtete
Wakilindi und befahl seiner Tochter deshalb strengstens, die Hütte zu hüten. Wakilindi
kamen von weit her und machten mit dem Vater Schauris; er aber wollte seine Tochter nicht
verheiraten. In der Steppe wohnte eine Riesenschlange, Mangulumo; wenn sie in die Nähe
von Menschen kam, verwandelte sie sich in einen lichten, schmucken, schön gewachsenen
Jüngling Mhande. Er kam einmal nachts zur Hütte der Jungfrau und klopfte an die Tür.
Das Mädchen fragte: „Wer klopft?“ „Ich, Mhande!“ „Wo wohnst du?“ „ln der Steppe
dort unten.“ Das Mädchen öffnete und reichte ihm ein kleines Schemelchen. Vorher hatte
er, als er mit den Leuten auf dem Dorfplatz sprach, sie mit mbugi, einer Zaubermedizin, ein-
geschläfert. Nun fragte er das Mädchen: „Hast du nichts zum Essen da?“ Sie aber er-
widerte; „Nur ein Huhn und einige Eier.“ „Gut, gib es her; ich hebe es bei meinem Freund
auf.“ Er ging hinaus, verwandelte sich in die Schlange, kroch um die Hütte herum, ver-
schlang Huhn und Eier und wurde dann wieder ein schöner Jüngling; er sprach zu dem
Mädchen; „Komm, ergib dich mir!“ „Nein, es geht nicht; der Vater will mich keinem Mann
geben.“ Sie schaute den Jüngling näher an, einen so schönen hatte sie noch niemals ge-
sehen; sie sprach: „Geh nicht zum Vater, er gibt mich dir nicht!“ Das Mädchen band nun
ihre Tücher zusammen, sie weckte ein Kind und dieses öffnete ihr die Hütte. Als sie und
Mhande ein Stück Wegs gegangen waren, blieb der Jüngling stehen und sagte: „Ich bin
eine Schlange; wenn du Hunger hast, so bleibe hinter mir.“ Sie antwortete: „Ich habe Furcht.“
„Fürchte dich nicht, ich werde doch meine Frau nicht verschlucken!“ Das Mädchen packte die
Riesenschlange beim Schwanz; da sprang die Schlange mit einem Satz bis zu ihrer Höhle,
ihrer Wohnung, in der Steppe. Das Mädchen wurde vor Furcht mager und bekam Hunger.
I) Nach Vorstellung der Waschambaa ein Ungeheuer.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
213
Da reichte ihr die Schlange eine kidunga1), blies hinein und sagte: ,.Ich will hier Speise haben.“
Sofort waren Töpfe mit ugali, Bananen und pule, gebratene Hühner und Ziegenfleisch da.
Dann blies sie zum zweiten Male, und nun kamen Leute in Menge, bauten ein Haus und ver-
schwanden wieder. „So, jetzt gehe in dein Haus, verlaß es aber nicht! Ich muß jetzt essen
gehen.“ Die Schlange kroch davon, um ihre vielen Kühe zu hüten; der Weg dahin war so
weit, wie von Korogwe nach Bugui es ist.
Da kam ein Fremder in das Haus und frug: „Wo ist dein Mann?“ Die Frau antwortete:
„Wenn du meinen Mann siehst, wirst du vielleicht sterben. Mein Mann ist eine Schlange.“
Diese hörte es jedesmal, wenn ein Fremder in das Haus kam. Das Weib der Schlange rief:
Mabingiri (so hieß die Schlange), kafa kwajugiwa, Nange (komm! es kam ein Fremder namens
Nange). Die Schlange antwortete; „Warte ein wenig! Ich komme gleich.“ Sofort war sie
da. Dem Fremden überlief es kalt, als er die Schlange kommen hörte; die Frau versteckte
ihn. Die Schlange war erschöpft, öffnete die Rachen und die Frau goß langsam je eine
Flasche Milch in jeden der acht Köpfe hinein.
Nun verwandelte sich die Schlange in einen Mann und sprach: „Mboza, hier riecht es
nach Menschen.“ „Du irrst! Nur ich hier rieche wie Menschen meines Stammes.“
Am nächsten Tag kam wieder ein Fremder; er hieß auch Nange, war aber ganz mit
Ausschlag (uhere) bedeckt, so daß seine Freunde ihn oft neckten: „Du wirst nie eine Frau be-
kommen. Er war der Bruder des ersten Nange und brachte acht Schwerter mit. Er er-
zählte Mboza, was er vor hatte; sie riet ihm: „Wenn du alle acht Köpfe abgeschlagen hast
und der Körper zurückfällt, springe schnell zum Schwanz, haue die kidunga ab und laufe,
soviel du kannst, drehe dich aber nicht um. Fürchte dich nicht! Ich rufe jetzt meinen Mann.
Wenn du dich fürchtest, sterben wir beide“
Die Schlange kam und öffnete die Rachen; der Fremde sprang hinzu und schlug einen
Kopf ab. Beim zweiten Hieb traf er auf den eisernen Kopf; das Schwert zerbrach und die
Frau rief: „Hau doch zuerst die kleinen Köpfe ab!“ Sie trug schnell ein Schwert zum Feuer,
machte es glühend und reichte es dem Fremden. Trrr! Der Kopf fiel zur Erde. Da sprangen
der Mann und Mboza, um die kidunga, die sich am Schwanz befand, noch abzuhauen. Nun liefen
beide so schnell sie konnten. Unterwegs rief Mboza: „Ich will Leute, Rinder,Tücher haben“ - und
alles war da. Sie kamen zu der Mutter der Mboza; als die Dorfbewohner deren verloren gegangene
Tochter wiedersahen, sangen sie: Luwumbi! Schiluzi, luagile Nange, muiza na ngombe2) (Staub-
wolke! Dort kommt wie (!) Nange, kommt mit Rindern); den Nange machten sie zum Jumben.
DER SCHLÄFRIGE MANN.
(Wugiri, Dindila.)
Es war ein Mann, der schlief, wo er stand. An einem Tage schlief er vor seiner Hütte ein.
Da kam eine Hyäne, packte ihn am Hals und trug ihn in die Wildnis; sie legte ihn unter einen
Baum und freute sich auf das Fleisch und das Lob der übrigen Hyänen. Als sie davonlief, um diese
zu holen, erwachte der Mann; weil es abends war, kletterte er auf den Baum und schlief weiter.
Die Hyänen kamen und fragten verwundert: „Wo ist das versprochene Fleisch?“ „Hier
hatte ich den Mann niedergelegt.“ Jene erwiderten: „Du belügst uns; weil du uns belogen
und Fleisch versprochen hast, fressen wir dich.“
HENNE UND GOGO.
(Dindila.)
Gogo war Freund der Henne, beide aßen stets gemeinsam. Eines Tags ging die Henne
schlafen, steckte den Kopf unter den Flügel und sagte noch zu den jungen Hühnchen: „Wenn
Gogo kommt, sagt ihm, ich bin schlafen gegangen.
1) Ein aus Flechtwerk hergestellter Sack.
2) Karaseks Schreibweise ist hier wie im Folgenden unverändert beibehalten werden.
214
KARASEK-EICHHORN
Gogo kam und frug: „Wo ist Jumbe?“ „Jumbe schläft, wir haben ihr den Hals
abgeschnitten.“ Gogo ging nach Haus und sagte zu seinen Jungen: „Wenn Jumbe Henne
kommt, sagt, ich schlafe; ihr habt mir den Hals abgeschnitten.“ Die Jungen mißverstanden
dies und schnitten ihrer Mutter wirklich den Kopf ab.
Die Henne kam und fragte: „Wo ist Jumbe Gogo?“ „Ah, er schläft, wir haben ihm den
Kopf abgeschnitten.“ Da frug die Henne verwundert: „Warum habt ihr denn eure Mutter um-
gebracht?“ „Deine Jungen haben das doch auch gesagt!“
Da zürnten die jungen Gogos und seit der Zeit erwürgen sie aus Rache die Hühner,
wo sie sie finden.
DIE GESCHICHTE VOM ARMEN MANN.
(Dindila.)
Es war ein sehr armer Mann, der aß nur die Abfälle vom Zuckerrohr und hatte kaum
einen Tuchfetzen, um seine Blöße zu verdecken. „Was fange ich nur an?I“ dachte er, wenn
die Vorübergehenden ihn auslachten und seiner spotteten. Er nahm die Axt und, da er kein
Weib hatte, weil er sehr, sehr arm war, ging er in den Wald, um Brennholz zu holen. Ein
schöner, ganz trockener Baum Kulunge stand in seiner Nähe. Mit der Axt versetzte er ihm
einen Schlag; da tönte es, wie wenn jemand anderes auch Holz schlüge. „Wer schlägt denn
da?“ fragte Kulunge. „Was willst du?“ „Schlage nicht weiter; gehe dorthin ins Gebüsch und
nimm den Hammel, der dort steht, mit nach Hause! Sagst du zu ihm: „Gib mir Tücher,
Frau, Speise - alles gibt er dir.“ Da dankte der Arme, ging nach Hause und dort rief er:
„Hammel, gib mir eine Frau!“ Eine schöne Frau stand sofort da und kochte ugali. „Hammel,
gib mir Tücher!“ Da lagen auf der Holzpritsche neue Tücher für ihn und seine Frau, wie
sie selbst in Pangani für zwei Sklaven nicht zu bekommen waren.
Die Leute im Dorfe wunderten sich, gingen zum Jumben und sagten: „Der Arme hat
jetzt eine Frau; wir wissen nicht, woher sie gekommen ist, und er hat Tücher, da schaust du
ihm gegenüber wie ein Armer aus. Da sagte der Jumbe: „Der Arme hat sicherlich ge-
stohlen!“ Er ließ ihn kommen und herrschte ihn an; „Wo hast du gestohlen?“ „Ich habe
nicht gestohlen.“ „Sage, wo du gestohlen hast!“ „Ich habe nicht gestohlen,“ und nun er-
zählte er, daß ihm der Hammel alles geschenkt habe. „Bring den Hammel!“ Es geschah.
„Hammel, gib mir Tücher und viele Leute!“ Da lagen Haufen von Tüchern hier und im Dorfe
wimmelte es von Leuten. „Wo hast du den Hammel her?“ „Ich machte eine Falle und fing
ihn darin.“ „Verkaufe ihn! Ich gebe dir zwei Ochsen.“ „Ich verkaufe ihn nicht!“ „Wenn du
ihn mir nicht verkaufst, dann nehm ich ihn mit Gewalt.“
Der Arme ging betrübt in den Wald, um dem Kulunge sein Leid zu klagen. Der Baum
fragte, als er so da saß: „Wer ist der Arme? Was willst du wieder! Ich gab dir doch einen
Hammel, der gibt dir, was du nur willst.“ „Ja, der Jumbe hat mir ihn genommen.“ „Ich will
dir nochmals helfen; Im Gebüsch steht noch ein Hammel, und da hast du zwei Stäbchen;
gehe, wenn es Abend ist, zur Hütte des Jumben und vertausche die Hammel!“
Der Jumbe konnte den Tagesanbruch kaum erwarten; eben war die Sonne aufgegangen,
da rief er: „Hammel, gib Tücher, Pombe und Leute her!“ Es kam aber nichts zum Vor-
schein als ein Haufen - Dreck. Da ward der Jumbe wütend. „Sofort bringt den Mann, er
soll daua mit dem Hammel machen!“ Als jener kam, sagte er: „Hammel, gib Ochsen und
Ziegen!“ Gleich standen Herden von schönstem Vieh da. Da rief der Jumbe: „Hammel,
gib Tücher und Leute!“ Da kamen die bekannten braunen Klumpen zum Vorschein. Der
Jumbe ärgerte sich und sann, wie er den Armen umbringen könnte. Als dieser früh aufge-
standen war, nahm er die zwei Stäbe und rief: „Ruten, spielt!“ Da liefen die Stöcke in alle
Häuser und hieben auf die Bewohner ein; viele starben. Als die Dorfleute sahen, daß der
frühere Arme jetzt solche Gewalt besaß, wählten sie ihn zum Jumben, und der frühere
Jumbe wurde arm wie der frühere Arme.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I 215
DAS DORF MIT DEN BUCKLIGEN FRAUEN.
(Wugiri.)
In einem Dorfe machten sich die Frauen auf, um zum Markte zu gehen. Eine Greisin blieb
zurück und nahm die Kinder in ihre Obhut. Im Dorfe war früher eine Hütte abgebrannt und
auf der Brandstätte wuchs gogwe (eine Solanum-Art, deren Früchte als Gemüse geschätzt
werden). Die Mütter hatten bei ihrem Weggang der Alten gesagt; „Gib acht, daß die Kinder
nicht gogwe essen!“ Ein Kind war ungehorsam und aß heimlich eine Frucht; da wuchs ihm
ein Buckel am Rücken an, wie bei den Rindern. Die Alte erschrack und rief: „Eh, Kind, dir
wuchs ein Buckel an!“ Da bekam sie auch einen Buckel. Am Abend kamen die Frauen
zurück; als die Mutter ihr Kind mit dem Buckel sah, rief sie verwundert; „Mein Kind hat einen
Buckel!“ Gleich hatte sie selbst einen. Auch die übrigen Frauen riefen so und bevor es ganz
finster wurde, war niemand im Dorfe ohne Buckel.
Sehr spät kehrte der Jumbe aus der Pflanzung zurück und als er die buckligen Leute
sah, rief er alle zusammen. Er nahm einen Hammel, schwarzes Zuckerrohr, Bast von mkirika,
einige Mais-Kolben und Tula-Früchte (eine derartige Zaubermedizin heißt gereta) und machte
für jeden ein mpungi. Den Hammel schlachtete er da, wo das Kind die gogwe-Beere gegessen
hatte; er vergrub ihn in der abgebrannten Hütte. Jeder mußte sich das Amulett umhängen
und etwas Pombe aus dem schwarzen Zuckerrohr trinken. Kaum hatte jeder einen Schluck
getan, da war auch der Buckel verschwunden.
Das ganze Dorf zog aus und siedelte sich anderswo an.
EINE ALTE FRAU, DIE SICH EIN KIND WÜNSCHTE.
(Dindila, durch Karaseks Makihio von Alten erlauscht.)
Frauen, Männer und Kinder gingen einmal zum Krabbenfang. Am Wege sahen sie ein
großes Haus; darin wohnte eine alte Frau mit großen Zähnen wie ein Warzenschwein; sie
wünschte sich Kinder, denn alle ihre Freundinnen hatten Knaben und Mädchen; sie aber war
alt geworden und kinderlos; sie war in die Steppe gegangen und hatte dort ein großes leeres
Haus gefunden.
Als nun die Alte die Frauen kommen sah, ging sie vor die Tür und rief; „Mezikulu jangu!
Mezikulu jangu!“ Als die Kinder sie auslachten und es ihr nachmachten, wurden sie von der
Alten, die eine Hexe war, in lauter Steine verwandelt.
Andere Kinder folgten nach und wunderten sich, daß sie ihre Freunde nicht mehr sahen.
Nun war eins von diesen Kindern krank; es war mit bösem Hautausschlag (uhele) bedeckt.
„Geh doch zurück, weil du so krank bist!“ sagten die anderen. „Warum wollt ihr mich nicht
mitnehmen?“ „Geh zurück! Wir gehen weit und sehen wir ein großes Tier, dann laufen wir
davon; du könntest es nicht. Wenn wir viele kala (Krabben) fangen, so heben wir ein Teil
für dich auf.“ Das Kind wollte aber mitgehen; es blieb hinter den anderen zurück und ver-
steckte sich im Gras. Wenn diese lachten und sich umdrehten, da legte es sich auf den
Boden und folgte dann wieder unbemerkt. Die Kinder kamen zu dem Haus der Alten, sie
rief: ,,Muzikulu jangu! Muzikulu jangu!“ Alle lachten sie aus und riefen ihr nach; da wurden
sie in Steine verwandelt.
Der versteckte Knabe sah alles und überlegte: „Eh! Die Alte hat aus meinen Kameraden
Steine gemacht; wenn ich zu ihr gehe, macht sie es mit mir auch so.“ Er ging zurück und
kam in sein Heimatsdorf, als die Frauen Zuckerrohr stampften. „Mia, nikaj muwa!“ (Frauen,
gebt mir Zuckerrohr!) Die Frauen sagten; „Ah! Bule! Wagenesa uhele!“ (Ah! Umsonst,
scher dich weg mit deinem Ausschlag!)
Da kam eine alte blinde Frau. „Mkej, njo muana mkej mgua“ (Gebt dem Kinde, gebt
Zuckerrohr!) Da gaben die Frauen ein Stück her. Als der Kleine seinen Hunger gestillt
hatte, sagte die Alte: „Tatea nigambüa ijo mbuli, uweneo ukokoj!“ Das Kind rief verwundert:
216
KARASEK-EICHHORN
„Ehe, mlala, zavna, wana wenn waza seswa. Ni vyele ejkala kwa nika. Numba fakwe ni
ja mawe. Zino fakwe wyanylu hembe.“ (Ja, Frau! Ich sah es; unsere Kinder lachten dich
aus; die Frau wohnt in der Steppe; ihr Haus war aus Steinen, ihre Zähne waren wie die . . .)
Die Frau sagte: „Ah, Väterchen!“ Die das Zuckerrohr stampfte, körte es und rief alle zu-
sammen. „Du, Kleiner, erzähle jetzt, was du gesehen!“ Und dieser erzählte, was er ge-
sehen. Alle weinten. Eine der Frauen war in gesegneten Umständen und vor Schreck stellten
sich Geburtswehen ein; ein Knäblein kam glücklich zur Welt und dieses sagte: „Mlalal“ Alle
Anwesenden fielen vor Schreck um, denn noch nie hörten sie ein Neugeborenes reden. „Watu
lösche tongomalaf. Mlala mtumba ahahi?“ (Leute alle schweigt! Frau, wo ist er?) Die
Wöchnerin sagte: „Mtumba azahita tati kwe kala“ (Väterchen ging Krabben fangen).
Khawauje wozawiligwa ni mu wegele uko njika wazagaluka maiwe“ (Kam nicht zurück;
wurde gefangen von der Frau in der Steppe; machte Steine aus ihm). „Mutter, mache einen
Bogen und Pfeile! Ich nehme etwas Essen mit“ - und das Kind war plötzlich groß geworden.
Das kranke Kind machte den Führer; die beiden begaben sich auf den Weg. Bei dem
Haus angekommen, versteckte sich der Knabe im Gras und schickte seinen kranken Freund
zurück. Als er eine Weile gewartet hatte, ging die Frau auf den Abtritt; der Knabe schlüpfte
ins Haus. Er sah einen großen Topf frischen ugali-Brei neben einem hohen Stühlchen stehen;
da formte er schnell aus dem Brei ein kleines Kind mit Nase, Augen, Ohren und Nabel, so
weich, wie wenn es neugeboren wäre; er versteckte sich unter dem Stühlchen. Die Alte kam,
setzte sich auf das Stühlchen, rührte den Brei und ließ einen Tüchtigen fahren. Da weinte
das Kind unter dem Hocker. Die Alte schrie vor Freude; „Wie oft ließ ich schon einen
fahren, aber heute gebar ich ein Kind!“ Und sie bückte sich und hob das Knäblein auf, denn
aus dem Knaben war inzwischen ein Knäblein geworden. Da wußte sie sich keinen Rat, und
das Kleine schrie und schrie: „Ja vielleicht wissen die Leute, sprach sie zu sich, aus denen
ich Steine gemacht habe, etwas.“ In der Ecke standen zwei Stöcke; einer, mit dem sie Leute
in Steine verhexte, und einer, um aus den Steinen wieder Menschen zu machen. Den letzteren
nahm sie mit und verwandelte alle Steine in Leute. Als sie eine Frau mit voller Brust sah,
machte sie alle anderen wieder zu Steinen, nur die Amme nicht. Als sie nach Haus kam,
war das Kind groß geworden, und die Alte lachte vor Freude. Am nächsten Tag zeigte die
Hexe ihrem Kinde die schöne Küche, führte es in die Stube und erklärte; „Siehst du, mit
diesem Eisenstab machst du Steine zu Leuten und mit diesem Holzstock Leute zu Steinen.“
Es vergingen einige Tage; die Alte spielte mit ihrem Jungen und da wurde sie schläfrig.
Der Knabe nahm den Holzstock und schlug auf sie los; da lag ein großer Stein am Boden.
Dann ging er in den Stall und band alle Kühe los; dann ging er in die Gegend und ver-
wandelte die Steine in Menschen. Diese wählten ihn, da er auch Kühe hatte, zum Jumben.
Alle zogen nach Hause und sangen vor Freude: „Tate, kome Mgala timigae!“ (Väterchen,
schlachte Stier, holen wir ihn!)
Diese Geschichte wurde Kindern erzählt, die mit Gewalt überall hin mitgehen wollten.
„So, jetzt könnt ihr mitgehen, aber es wird euch auch so ergehen,“ sagten die Eltern. Der
Zweck war erreicht, die Jungen blieben zu Hause.
WIE EINE FRAU DURCH EINEN BÜFFEL STARB.
(Mshihwi; erzählt von dem Großvater von Karaseks Boy Saguti).
Vor Zeiten war eine Frau guter Hoffnung. Auf dem Boden des Hauses hatte sich ein
Dieb versteckt, um kungu-Samen zu stehlen. Bei der Frau stellten sich Wehen ein; sie fing
zu schreien an. Es kamen Leute, und der Dieb überlegte: „Was soll ich jetzt machen? Hin-
unter kann ich nicht, da würden mich die Leute fangen; bleibe ich oben, so werden wohl
Tage vergehen, bevor ich hinausschlüpfen kann.“ Am Abend legte sich die Frau schlafen; da
kamen zwei Geister in Männergestalt. Der eine fragte; „Wie soll das Kind sterben?“ Der
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
217
andere sagte: „Durch Büffel wird es sterben.“ Die beiden gingen wieder; der Dieb, der alles
gehört hatte, schlüpfte unbemerkt hinaus. Früh rief er alle Leute im Dorfe zusammen und
erzählte: „Ich wollte stehlen; denn eine Zuspeise habe ich nicht; aber in dem Hause gebar
eine Frau ein Kind. Da kamen in der Nacht zwei Männer, und der eine sagte: „Es muß
durch Büffel sterben.“ Gebt mir später das Mädchen zur Frau! Denn ich weiß, wie sie
sterben soll; ich werde sie schon zu beschützen wissen.“
Das Mädchen war groß geworden; der Mann heiratete sie und beide gingen in die Wild-
nis, eine große Pflanzung anzulegen. Eines Tages sahen sie, daß eine Büffelherde sich nahte,
und da erinnerte sich der Mann an das, was er einst gehört hatte. Schnell schlug er in den
Stamm eines liesigen Baobab-Baumes, wie sie in der Steppe hie und da stehen, Sprossen
ein; die Frau kletterte bis in die Krone, der Mann nahm sein Gewehr und kletterte nach; er
schoß und schoß, bis alle Büffel tot dalagen. Der Frau sagte er: „Du darfst kein Büffelfleisch
essen; Büffelfleisch ist dein muiko, sonst mußt du sterben.“
Der Mais war grau geworden; die reiche Ernte hatten sie eingebracht und sie gingen in
das Heimatsdorf. Die Frau reinigte die Hütte, da trat sie auf einen Beinsplitter des erschossenen
Büffels und — starb. Da rief ihr Mann die Leute im Dorf zusammen und sagte: „Habe ich
es nicht gesagt, die Frau wird durch Büffel sterben? Seht hier!“
DER JUMBE UND DER DJINI.
(Mshihwi.)
In einem großen Dorfe hatte der Jumbe viele Kinder von seiner einen Frau. Unweit
stand ein riesiger Baobab-Baum, und in diesem wohnte der Dämon Djini; er fing Leute aus
dem Dorfe und band sie in den Stamm hinein. Einer nach dem anderen verschwand; es
blieb nur der Jumbe und eine seiner Töchter übrig. Der Jumbe schlief die ganzen Nächte
nicht; er gab Obacht, daß der Djini seine Tochter nicht raubte. Da kam ein Jüngling und
bat: „Gib mir deine Tochter zur Frau!“ Der Jumbe sprach: „Wochenlang passe ich auf und
schlafe nicht; wache du jetzt! Ich gehe schlafen. Wenn aber Djini meine Tochter holt, dann
werde ich dir den Hals abschneiden.“ Der Mann schlief ein; Djini kam und holte die Tochter.
Als der Vater erwachte, wurde er wütend und wollte den Fremden ermorden. Dieser bat:
„Laß mich am Leben! Ich will Zauber machen, und alle Leute sollen wiederkommen.“ Der
Mann ging zur Küste, kaufte weißes Tuch, Teller, Schalen, gute Speise und viele andere schöne
Sachen. Als er zurückkam, breitete er das Tuch aus, kochte ein gutes Mahl und ließ abends
alles in der Hütte stehen; er ging zum Baobab. Da sah er, wie der Djini aus einer ge-
heimen Tür hinaustrat und der Hütte zuging. Der Jüngling versteckte sich, nahm sein scharfes
Schwert und ging zum mbuju; da rief er: „Macht auf!“ Es wurde ihm aufgemacht, und alle
freuten sich, den neuen Gast zu sehen. „Was willst du tun?“ „Gleich werdet ihr es sehen.“
Inzwischen war der Djini satt geworden, zog sich das weiße Tuch an und kam zum Baobab;
da rief er: „Macht auf, macht auf!“ Der Jüngling öffnete nur etwas; der Djini steckte den
Kopf herein; ein Schlag — und der Djini-Kopf kugelte am Boden. Alle Leute gingen nun
hinaus. Der Jumbe gab dem Jüngling seine Tochter zur Frau und machte ihn zum Häupt-
ling. Der Jüngling schlachtete eine große Kuh, gab sie der Frau, und alle aßen und aßen
und freuten sich über den neuen guten Häuptling.
PAJAJA.
(Dindila.)
Eine Frau sagte zu ihrem Manne: „Begleite mich zu meinen Eltern!“ Am Kopf hatte sie
einen matschungi (Schopf) und auf dem Rücken ein kleines Kind. Bevor sie das Haus verließen,
gab der alte Vater seinem Sohne folgenden Rat: „Ihr kommt in einen großen Wald von wilden
Dattelpalmen; darin wohnt Pajaja. Laß deine Frau stets vor dir gehen! Wenn du das ver-
218
KARASEK-E1CHH0RN
gißt, so verlierst du sie.“ Als die beiden in den Wald kamen, sagte das Weib: „Geh nur
voran! Ich muß auf die Seite gehen.“ Sie ging nur wenige Schritte und schon sah der
Mann sein Weib kommen, mit matschungi am Kopf und auf dem Rücken ihr kleines Kind.
Das war aber Pajaja. Auch seine wirkliche Frau kam, und da rief der Mann, der seines
Vaters Rat vergaß, • seiner Frau zu: „Vielleicht bist du Pajaja; gehe zurück!“ Und er ging
mit seiner vermeintlichen Frau von dannen.
Als sie im Dorf der Schwiegereltern ankamen, sagte er zu seinem Schwiegervater: „Pajaja
folgt mir wahrscheinlich; sie ist wie meine Frau; sollte sie kommen, so sag, ich sei nicht da.“
Die echte Frau ging zu der Schwiegermutter und erzählte ihr: „Gib mir Erlaubnis, einen
anderen Mann zu heiraten; dein Sohn hat die Pajaja zur Frau genommen und mich ver-
stoßen.“ „Warte nur, ich werde zuerst mich davon überzeugen.“ Sie nahm Reis, zwei Hühner
und kungu, trug das zu der echten Frau und sagte; „Koche mir das Essen!“ Andere Frauen
wurden im geheimen verständigt und neugierig schauten sie zu. Der Sohn aber rief: „Laß
doch die Frau nicht kochen; sie ist Pajaja; sie ist nicht meine Frau.“ Die Frau aber ver-
stand ihre Arbeit; sie befreite den Reis von Schalen, röstete die kungu-Samen und rupfte die
Hühner rein. Marne viala nickte zufrieden: „Die versteht ihre Arbeit.“ Die vermeintliche Frau
aber warf den ungereinigten Reis, die kungu-Samen mit den Schalen und das Huhn mit den
Federn in den Topf und kochte alles. Nach einiger Zeit sprach mame viala: „Bringt doch
das Essen!“ Pajaja ergriff den Topf und setzte ihn vor die Wartenden. Die andere Frau nahm
kihungu und füllte es mit Reis; Fleisch gab sie in ein kleines Körbchen und die zerstoßenen
kungu-Samen in luiga (Tonschale) und sagte: „Das Essen ist fertig.“ Alle Anwesenden ließen
es sich schmecken; nur der Sohn wollte nicht essen. „Da, iß jetzt!“ sagte die Schwiegermutter
und setzte ihm die von der Pajaja zubereitete Speise vor. Da riefen alle erstaunt; „Ach, du
bist Pajaja!“ Als Pajaja ihren Namen hörte, vechwand sie mit ihrem Kind. Die Schwieger-
eltern aber sagten: „Da du so dumm warst und deine Frau verstoßen, Pajaja aber genommen
hast, so nehmen wir unsere Tochter zurück und geben ihr Erlaubnis, einen anderen zu heiraten.“
DIE WASSERJUNGFER.
In einem See wohnte ein schönes, ganz lichtes Mädchen, das immer am Mittag das Wasser
verließ und über dem Wasserspiegel sich sonnte. Es kam ein Jüngling. Das Mädchen fragte
ihn; „Wie heißt du?“ „Nange!“ „Was willst du?“ „Ich möchte dich gern zur Frau nehmen.“
„Gut; gehe nur, ich komme gleich.“ Das Mädchen hatte um den ganzen Leib Segere aus
Silber, Sie sang: Nange, lola numa, kasangade ti mtimu (Nange, schau zurück!) Als sich
Nange umdrehte, sah er das Mädchen im Wasser verschwinden. Verärgert ging er heim und
erzählte das Erlebnis seinen Freunden.
Da ging ein anderer hin; „wie heißt du?“ „Ich bin Nange.“ „Was willst du hier?“ „Ich
bin gekommen, dich zum Weibe zu nehmen.“ Sie gingen ein großes Stück Wegs, aber allen
Beteuerungen und Verlockungen des Mädchens widerstand Nange tapfer. Plötzlich wurde es
vor seinen Augen ganz finster; zum Glück war er aber schon bei der Hütte; er rief: „Vater,
schlachte den großen Stier!“ Der Vater hörte es, beeilte sich, und der Sohn sah wieder alles.
Als Nange und seine Braut die Schwelle überschritten, da schlachtete der Vater noch einen Ochsen.
In der Nacht wollte sich Nange zu seiner Frau legen; diese aber erlaubte es nicht. Am
nächsten Tage erzählte das Nange seinem kungwi und dieser beschloß, in der Nacht aufzupassen.
Das Feuer flackerte; um Mitternacht stieß der kungwi seine Frau in die Rippen; „Sieh
doch die Frau des Nange! Oben ist sie Weib, unten aber hat sie Froschbeine.“ Die nächste
Nacht wollte Nange wieder zu seiner Frau und da erblickte er die Froschbeine. „Je]! Ich
habe einen Frosch geheiratet.“ Kaum hatte er das gesprochen — tschrrr! Und schon war
das Wassermädchen verschwunden.
Alle Dorfbewohner lachten den Nange tüchtig aus.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA 1
219
DIE TROMMEL MIT DER LÄUSEHAUT.
(Mshihwi.)
Es war ein reicher Mann; der hatte eine schöne Tochter, Omhiru. Er besaß eine große
Trommel; wenn sie geschlagen wurde, konnte man sie im Umkreis stundenweit hören. Die
Leute wunderten sich über die Trommel; der Alte sagte: „Wer errät, mit wessen Haut sie
bespannt ist, dem gebe ich meine Tochter.“
Da kam ein alter gebrechlicher Mann; er hatte keine Zähne mehr und war auch halb
blind. Er sagte: „Ich weiß es,“ „Sage nur, wenn du es weißt! Hier steht meine Tochter;
wenn du es errätst, nimm sie gleich mit!“ „Die Haut ist von einer Laus (mada)!“ „Du hast
es erraten!“ Der Alte nahm die schöne Tochter mit; sie kamen zu einem Wasser und er
sagte: „Du, hol mir etwas Wasser!“ Die Tochter ärgerte sich, daß sie einem häßlichen Mann
gehören sollte; sie antwortete barsch: „Mein Arm ist zu kurz; hole dir es selbst!“ Als der
Greis sich bückte, stieß sie ihn ins Wasser und lief davon.
DIE FRAU UND DIE DREI ZAUBERER.
(Dindila. Die Erzählung soll sich zum Teil ereignet haben.)
Ein Mann schimpfte beim Abendessen auf seine Frau. Diese zürnte und wollte nach
Hause zu den Ihrigen gehen. Sie kochte noch etwas Brei mit Gemüse, legte das in eine
Schale und packte es in Bananenblätter in einen großen Korb. Es wurde schon finster, als sie
ging; auf dem Wege begegnete sie drei nackten Männern mit Schwertern in der Hand; sie
wollten nach Wuga und hatten bösen Zauber im Sinn. Die Frau fragte; „Ihr Freunde, wohin
geht ihr?“ Sie antworteten: „Wir gehen nach Wuga kwe Mula (Dorf bei Wuga); vielleicht
bist du auch wie wir?“ Die Frau war gescheit: „Auch ich gehe dorthin; mein Herz ist voll
Bosheit.“ „Dann bist du eine große Zauberin; gib uns etwas von deiner Medizin!“ Die Frau
nahm von dem Gemüse und rieb den drei Männern damit die Hände ein. „Gebt mir jetzt
etwas von eurer Medizin!“ Sie schnitt ein Bananenblatt ab und die Drei gaben ihr etwas von
der ihrigen. So gingen sie gemeinsam bis dahin, wo sich vor Wuga die Wege teilen; die
Frau ging nach Mula, die Männer nach Wuga. Kaum waren diese weg, da warf sie Brei,
Gemüse und Medizin der Zauberer in das Gebüsch und lief so schnell wie sie konnte nach
Mula, weckte ihre Mutter und ließ den mdol rufen: „Gehe schnell mit Männern nach Wuga!
Ich bin drei utschawi begegnet, die gingen nach Wuga, den Häuptling zu behexen.“ Die
utschawi wurden glücklich gefangen, am nächsten Morgen über den Felsen geworfen und
starben. Die Frau aber nahm der Häuptling zu seiner Ehefrau.
EIN ARMER MANN.
(Dindila.)
Es war ein Mann, der hieß Schakaza ya mbuzi (Schakaza wird der genannt, der nur
notdürftig seine Blöße bedeckt, weil er keine Tücher hat; Schakaza ya mbuzu = ein Armer
wie Ziege, die ihre Blöße offen zur Schau trägt).
Seine Frau nannte sich ebenso. Beide trugen zwei Jahre ihre Fetzen und flickten sie,
so gut wie möglich. Begegnete ihnen jemand und spottete; ,,Schakaza ya mbuzi“, da ant-
worteten sie: ,,Gotto kalula“ (Hammel hat Kleid, weil sein Schwanz herunterhängt).
WIE EIN VATER SEINE TOCHTER IN EINEM BIENENSTOCK VERSTECKTE.
(Wugiri.)
Vor Zeiten war ein Mädchen namens Mboza. Die Leute, die sie gesehen hatten, sagten zum
Jumben: „Wir sahen ein so schönes Mädchen; das solltest du zur Frau nehmen.“ Der Jumbe
sprach: „Bringt sie her.“ Das hörte ein Freund des Mädchens; er eilte zu dessen Vater und
erzählte dies. Der Vater befahl am Morgen seiner Tochter, ihre Sachen zusammenzupacken;
BAESSLER-ARCHIV I, 4/5. 29
220
KARASEK-EICHHORN
die Mutter kochte schnell Essen, es mitzunehmen. Alle Drei zogen weit in die Steppe, bis
der Vater eine riesige mzinga in einem hohen Baum befestigt sah. „Hierin werde ich dich
verstecken.“ Er machte eine Leiter; Mboza stieg hinauf und nahm Essen, Brennholz und
Feuer mit. Im nahen Gebüsch versteckte der Vater die Leiter,
Am Nachmittage kamen die Leute und fanden Mboza nicht.
Am Morgen jedes Tages brachte die Mutter der Tochter Essen; jeden zweiten Tag be-
suchte sie ihr Vater.
Der Jumbe beauftragte einen Mann, Mboza zu suchen; dieser legte sich auf die Lauer
und sah, wie die Mutter jeden Morgen Essen wegtrug; er folgte ihr und sah auch, wo Mboza
versteckt war. Freudig eilte er zum Jumben; „Mboza ist in einer mzinga versteckt.“ „Gut!
hole sie!“ Sehr zeitig, noch hatte der Hahn nicht gekräht, ging der Mann in die Steppe und
rief: „Mboza! Mboza!“ Das Mädchen glaubte, ihr Vater käme. Der Mann stellte die Leiter
an, holte das Mädchen herunter und führte es zum Jumben. Dieser nahm es zur Frau und
gab dem Schlauen einen, dem Vater des Mädchens zwei Ochsen und Pombe.
DIE BESTRAFTE UNGETREUE FRAU.
(Dindila, Bumbuli.)
Es lebte einmal eine Frau; ihr Mann war alt und sie hatte einen Verehrer. Das Bett
stand dicht an der Wand. Die Frau fürchtete sich vor ihrem Mann; da kam ihr der Gedanke:
An der Stelle, wo ich schlafe, kann mein Verehrer ein Loch in die Wand machen. Gedacht,
getan. Nun legte sie sich, wenn sie sich befriedigen lassen wollte, dicht an die Wand; ihr
Verehrer ließ nicht lang auf sich warten.
Eines Abends sagte der Mann zu seiner Frau: „Du, schlafe jetzt auf der anderen Seite!“
Da meinte die Frau, sie sei so verschlafen. Ihr Verehrer steckte inzwischen einen Stock
durch das Loch und gab damit der Frau ein Zeichen seiner Ungeduld. Der Mann stellte sich
schlafend, es entging ihm aber nichts.
Am nächsten Tag sagte er, ich muß eine Reise machen und komme erst spät in der
Nacht zurück. Er ging und schlachtete im Busch ein Huhn, wickelte dessen Gedärme zu-
sammen und schlich sich nach Hause; die Gedärme steckte er in das Loch und ging von dannen.
Als am Abend der Verehrer mit dem Stock wieder ein Zeichen gab, stieß er die Gedärme
der Frau in die Scham; weder er noch die Frau bemerkte etwas. Jetzt kam der Mann; er
begehrte erst Essen und dann seine Frau; als diese die Tücher ablegte - o Graus! Da hing
ein weißer dicker Faden herab. Sie sagte dem Mann die Wahrheit. Bei der Masa am nächsten
Tage bezahlte der Verehrer eine Ziege.
EINE GESCHEITE FRAU.
(Bumbuli.)
Eine Frau in Bumbuli hieß Mambiru; ihr Verehrer Kaniky. Die Frau ging mit dem
Kind auf dem Rücken, Bananen zu holen. Als sie diese schälte, hörte sie Schritte; Kaniky
kam. Schnell breitete sie neben einem Bananenstamm ein Tuch auf die Erde und legte darauf
ihr schlafendes Kind. Die Beiden gingen nun in den Busch. Als die Frau zurückkam, war
die Banane umgefallen und das Kind erschlagen worden. Der Verehrer sagte; „Was nun?“
Das Weib war schlau. „Ich trage das Kind in der Dämmerung auf dem Rücken, als wenn
es noch gesund wäre. Das Tuch binde ich mir so hoch, daß die zu dieser Zeit vor dem
Dorfe versammelten Männer alles das sehen, was sonst verdeckt ist, selbst die Perlenschnur
(mkatu). Mein Mann wird dann erbost sein und mich schlagen.“ Das Weib tat so, wie ge-
sagt. Wütend sprang ihr Mann auf, als er sie halb nackt kommen sah, und schlug auf sie
ein. Das Weib fiel um und auf ihr Kind. Die Leute banden das Kind los und wie verzweifelt
rief die Frau ihrem Manne zu: „Du hast das Kind getötet.“
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
221
Einige Tage gebärdete sich die Frau wie wahnsinnig, bis die Leute Zauber machten; da
wurde sie wieder wie andere. Nach langer Zeit traf sie ihren Verehrer, der gerade Ziegen
hütete. Vor Freude, daß nichts unter die Leute gekommen und das Weib so schlau war,
schlachtete er eine Ziege; beide verspeisten sie. Die Frau sagte: „Du, nimm dir die Zunge
und gehe herum mit der Lüge“ (d. h. verrate nichts).
Der Mann ging später zu seinem Freund nach Mschiwi, dem er sein Erlebnis erzählte.
Sein Freund war aber ndugu der Lügnerin; er sagte: „Wir wollen Blutsbrüderschaft bei
meinem ndugu in Bumbuli schließen.“ Beide gingen dahin und der Freund sagte zu seinem
Bruder: „Einen Fremden bringe ich mit.“ Nachts erzählte er seinem Bruder, was er
gehört hatte.
Am nächsten Tage war masa. Bei der Gerichtsverhandlung sagte die Frau zu ihrem
Verehrer: „Hatte ich dir nicht gesagt, halte die Zunge?“ Der Mann mußte als kimba, Sühne,
sechs Rinder zahlen.
SCHEUTA AUS WAKILINDI - LAND.
Scheuta aus Wakilindi-Land kam auf seiner Reise in eine große Steppe zu dem Reich der
Frauen, Eine Frau herrschte als Jumbe. Auf einer Flußinsel lag das Dorf. Die Frauen gingen,
trocknes Holz zu sammeln. Scheuta sah das Dorf; da er nackend war, band er sich Gras
um und versteckte sich; seinen Bogen, den Köcher mit Pfeilen, geröstetes Fleisch und Honig
legte er neben sich. Die Frauen hatten nie einen Mann gesehen; als sie Scheutas ansichtig
wurden, schrien sie; „Je]! Was ist das für ein Tier?“ „Ich bin Madoki! Wo ist der Jumbe?“
Die Frauen waren neugierig und sagten: „Madoki, komm her!“ Scheuta kam; er ließ jede
Frau einen Finger zuerst in den Honig, dann in den Mund stecken. Da hielten die Frauen
Beratung; „Einige sollen schnell zum Jumben gehen, einige sollen dableiben, daß uns Madoka
nicht wegläuft, und der Jumbe nicht sagt: Jhr habt mich belogen.’ Als jene der Jumbin
die Neuigkeit erzählten, frug sie: „Was ist das für ein Wesen?“ „Wir wissen es nicht; ein
Weib aber ist es nicht.“ Eine der Frauen war besonders gescheit und schmierte der Jumbin
den Finger mit Honig um den Mund. „Ich sehe, gute Sachen hat er mitgebracht; sagt, er
soll in das Dorf kommen!“ Da liefen die Frauen davon, den Madoki zu holen; eine trug
ihm das Gefäß mit Honig; eine andere den Köcher, eine andere den Bogen. Im Dorf gab
ihm die Jumbin ihr eigenes großes Haus, das aus zwei Abteilungen bestand; in der einen
schlief die Jumbin, in der anderen die Dienerinnen. Am Abend ließ die Jumbin sich den
ganzen männlichen Körper und die Tätigkeiten einzelner Organe erklären. Als sie am nächsten
Tag den Dorfbewohnern erzählte, was sie gesehen, gehört und gefühlt habe, da riefen alle
Frauen; „Wir wollen auch Männer; gib uns den deinigen“. „Nein, das geht nicht!“ Die
Jumbin ging dann in die Pflanzung und Scheuta gab den zu Hause Gebliebenen Unterricht,
Da machten ihn die Frauen zum Jumben, und die Jumbin ward seine Frau.
So war Scheuta der erste Mkilindi-Jumbe. Seine Frau gebar einen Knaben; dieser
hieß Mlugu. Mlugus Frau hatte ein Kind namens Schemlugu; dieser bekam einen Knaben,
der Mbega hieß. Die Frau des Mlugu war Mamlugu.
Diese Erzählung ist in ganz West-Usambara bekannt und deshalb um so interessanter,
da sie die Reihenfolge der Namen der Wakilindi bis zu Mbega zu geben versucht; doch
ist ein Teil dieser Namen nicht historisch, sondern bezeichnet nur den Rang der Personen.
29*
222
KARASEK-EICHHORN; BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DER WASCHAMBAA I
NACHTRAG.
VOM JUMBEN, DER DEN EHELEUTEN BEFAHL SICH GEGENSEITIG ZU TÖTEN.
(B u m b u 1 i - Gegend.)
Vor langen Zeiten hatte ein Jumbe einige Frauen in seinem Dorfe zu sich gerufen; er
gab ihnen Messer in die Hand und sagte: Macht eure Messer recht scharf und schlachtet
eure Männer! Früh sagten die Frauen: Wir haben es getan. Der Jumbe berief dann einige
Männer, gab jedem ein Messer in die Hand und sagte: Schlachtet heute Nacht eure Frauen!
Als sie des Nachts zu den Betten ihrer Frauen kamen, konnten sie den Auftrag nicht voll-
bringen. Früh gingen sie zum Häuptling und sagten: Wir bringen es nicht zustande, unsere
Frauen zu schlachten. Wer möchte uns kochen? Wer gebären? Da rief der alte Häuptling
alle Dorfbewohner zusammen und sprach: Ihr Frauen, eure Arbeit sei kochen, Wasser holen,
Holz holen; beim Geschlechtsgenuß sollt ihr unten, der Mann oben liegen. Und eure Arbeit,
Männer, sei: ihr sollt Häuptlinge sein! Und er wies den Männern ihre Arbeit an. -
VOM DUMMEN MSEGUA.
(Bungu.)
Ein Msegua kam nach Bungu und bat um eine Hütte, in der er übernachten könne.
Die Jungen zeigten ihm eine leere Hütte und sagten; Du, hier kannst du schlafen! Eins aber
laß dir gesagt sein; Diese Hütte ist Eigentum eines Häuptlings, der hier seine pahazi (Zecken)
als Zauber hat; sie sind sein Eigentum. Wehe dir, wenn du nachts so eine Zecke (sie halten
sich im Boden auf und beißen die Schläfer) totschlägst! Der Jumbe läßt dich dann sicher
erschlagen; darum lasse sie ruhig auf deinem Körper herumlaufen!
Als des Nachts der Msegua schlief, schlich sich ein Junge in die Hütte und legte ihm
einen großen Stein an den Kopf. Der Msegua flüsterte; Sie (die Zecke) ist gekommen!
Nach Verlauf von mehr als einer Stunde wagte er es, an den Kopf zu greifen und da berührte
er den Stein. Entrüstet sprach er dann zu den Jungen: „Ihr habt mich angeführt“. Sie
lachten vor Freude Tränen. Seit damals erzählt man im ganzen Lande die Geschichte von
dem „Dummen Msegua“.
VOM DUMMEN MBUGU.
Mbugu ging auf Reisen; als er Durst hatte, kam er zu einem Bach mit trübem Wasser.
Er hatte einen Flaschenkürbis mit Milch bei sich, doch er dachte: Wenn ich nur diese wenige
Milch trinke, so werde ich doch noch Durst haben. Da kommt ihm der gute Einfall, die
Milch in den Bach zu gießen, und als sich das Wasser weiß färbt, trinkt er und trinkt und
trinkt und sagt: Hier in der Steppe ist es gut, da nimmt die Milch nicht ab! Und er trinkt
und trinkt und trinkt, bis ihm der Bauch platzte und er starb.
* *
*
Während der Drucklegung hat sich in Karaseks Nachlaß noch weiteres Material über
seine Beobachtungen bei den Waschambaa gefunden, so daß einzelne der behandelten Kapitel,
namentlich die von der Hauseinrichtung, dem Ackerbau, den Spielen, Festen usw., eine wesent-
liche Ergänzung erfahren und außerdem eine Reihe neuer Kapitel demnächst zur Veröffent-
lichung gelangen wird.
KLEINERE MITTEILUNGEN.
ZUM KULTUS UND ZAUBERGLAUBEN DER EVHEER (TOGO).
VON C. SPIESS (MISSIONAR).
DER LEGBA-KULT.
Die Evheer bezeichnen die aus Lehm hergestellten
menschenähnlichen Figuren, die man an Wegen, auf
öffentlichen Plätzen wie vor den Eingängen eines Dorfes,
auch in der Nähe der Hütten vorfinden kann, mit dem
Namen Legbawo. Die Bezeichnung von Legba, aus
Id fangen, gba zer-
brechen, führt uns
auf die Aufgabe die-
ser Darstellungen.
Auf unserm Bilde
bemerken wir eine
Reihe kleiner Stäbe,
die alsAbwehrmittel
von den Legbawo bei
bösen Einflüssen,
Krankheiten, Über-
fällen u.dgl. gehand-
habt werden. Nicht
nur diese Art Ver-
teidigungsmittel fin-
det man vor den Leg-
bawo aufgestellt,
sondern manchen
dieser Lehmfiguren
werden auch Messer
gewissermaßen in
die Hand gegeben.
Die Eingeborenen
bringen den Leg-
bawo des öfteren
Opfer, worauf die
Menge Kauris zu
den Füßen des Leg-
ba und namentlich
die Opferschale hinweisen. Die menschenähnliche Dar-
stellung hängt mit der Auffassung zusammen, daß
der Togo-Neger sich die höchste Gottheit, genannt
Mawu, als Person vorstellt, wie denn das weiße Läpp-
chen an die Landeskleidung der Bewohner erinnern
soll. Irgend ein Geist soll ab und zu im Legba seine
Behausung einnehmen, weswegen es wichtig ist, mit
diesem stets in gutem Einvernehmen zu leben. Damit
nun, daß man dem Legba-Geiste Opfer spendet, wobei
Gebete verrichtet werden, ist das Fetischistische ver-
lassen, denn einem Fetisch wird nach den Worten von
Eingeborenen nicht geopfert, auch nicht zu ihm gebetet.
Die greifbare Darstellung allein läßt Fetischismus
im Legba-Kult zu. — ln früheren Zeiten haben die Ein-
geborenen, ehe ein Legba errichtet wurde, Menschen-
opfer gebracht. Auf diesem Opfer wurde dann als erste
Gabe der Legba errichtet. Heute baut der Eingeborene
auf Ziegenopfer
diese Erdklumpen,
die aber nicht im-
mer menschenähn-
liche Gestalt an sich
tragen. Diese Abart
der Legbawo nennt
der Togoer dann
Sewo oder Avheli-
wo. Da sie mei-
stens kleiner herge-
stellt werden, sind
sie gewöhnlich im
Hofe oder vor der
Hütte zu finden.
Sind solchen Sewo
oder Avheliwo Hüh-
nerfedern aufge-
steckt, so soll damit
das menschliche
Kopfhaar angezeigt
werden. —
Noch ist hinzu-
weisen auf männ-
liche und weibliche
Legbawo, die ent-
weder zusammen
vor einem Dorfe an-
zutreffen sind oder
auch getrennt, gewöhnlich so, daß der männliche
Legba an einem Ende, der weibliche am andern auf-
gestellt ist. Auffallend ist dabei, daß die Genitalien
in starker Form gebildet werden. Mit dieser Dar-
stellung führt uns der Eingeborene auf die An-
schauung, daß seine Gottheiten geschlechtliche Verbin-
dungen eingehen und weiter, daß der Geist, der die
Legbawo bewohnt, bewirken wolle, daß Fruchtbarkeit
unter der Eingeborenenbevölkerung nicht nachlasse.
Diesen Gedanken spricht der Priester auch in den Ge-
beten an die Legbawo aus, wenn er unter anderem
betet: Stehe der Stadt bei und gib, daß sie sich vermehre!
224
KLEINERE MITTEILUNGEN
Daß man mit Legba den Obersten der bösen Geister,
den Abosam (Teufel) bezeichnet hat, ist gewiß eine
falsche Annahme, denn dann würde der Eingeborene
nicht von dem dem Legba innewohnenden Geist er-
bitten, daß er der Einwohnervermehrung behilflich sein
möge. Dem dagegen könnte man zustimmen, wenn
Eingeborene behaupten, Legba sei kein Evhewort, son-
dern stamme aus Dahome. Und da Legba dort als Gott
DAS AKLAMA
Wer sich genauer in der Hütte eines Eingeborenen
umsieht, findet jene kleinen Holzfiguren in Menschen-
gestalt. Man nennt sie Aklama kpapewo = geschnitztes
Aklama; kpakpe, geschnitzt. Aklama ist der Schutzgeist,
der Begleiter des Menschen. Die Evheer sagen, daß
das Aklama ein unsichtbares Ding sei, das Gott dem
Menschen beigegeben habe, damit es ihn überall hin
begleite. Wo wir in unserer Redeweise zu einem
Menschen sagen: Da hast du aber Glück gehabt, da
kannst du von Glück reden, würde der Eingeborene
sagen: aklama di na wd, das Aklama war dir günstig.
Auffallend ist, daß dem Aklama geopfert und zu ihm
Gebete gerichtet werden. Wir hören den Evheer beten:
Aklama, na agbem, na drika sesem, na aboka sesem,
mayi nugbe magbo-, gib mehr Leben, Aklama, mache
stark meine Kniegelenke, meine Arme; ich gehe fort,
komme wieder zurück. Glücklich zurückgelangt, wird
das Dankgebet nicht fehlen. Er wird beten: medakpe
na wo bena nekpede hutinye wovhle nuawo nam-, ich
der Fruchtbarkeit und Zeugung gilt, so könnte sehr
leicht, da viele Verbindungen von jeher zwischen den
Evhenegern und Dahomeern stattgefunden haben, der
Name, wie manche Dahome-Ausdrücke in Togo heimisch
geworden sind, eingeführt worden sein.
Der Legba-Kult wird nicht mehr allzulange in Togo
vorzufinden sein, darauf weisen die vielen eingefallenen
Figuren und die Nachlässigkeit im Opfern hin.
DER EVHEER.
danke dir, daß du mir geholfen hast, daß man Sachen
von mir kaufte.
Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß die
Gebete an das Aklama sehr oft die Pluralform in der
Anrede annehmen, das heißt, daß wir zwei Aklamawo,
eine männliche und weibliche Holzfigur (wie Bild zeigt)
vorfinden und an diese gleichzeitig das Gebet gerichtet
wird. Der Evheer hält fest daran, daß wie es männliche
und weibliche Gottheiten gibt, so auch männliche und
weibliche Schutzgeister; hier also: der Schutzgeist des
Mannes und der der Frau. Stirbt der Besitzer des
Aklama, so verläßt ihn sofort mit seinem Tode der
irdische Begleiter, der Schutzgeist. Damit sind auch
dessen Holzfiguren, seine Aklamawo nutzlos geworden.
Kurz nachher, vielleicht am dritten Tage schon, kann
man diese Holzfigur am Wege liegen sehen. Das
Aklama, der Schutzgeist, offenbart sich nach Meinung
der Evheer im hwho, im Schatten des Menschen. Es
ist auffallend, daß der Evheer mit luvho, Schatten, auch
die Seele bezeichnet. Diese war nach seiner Meinung,
ehe sie in seinen Körper einzog, bei Gott am Menschen-
werdungsorte. Solange sie dort verweilte, trug sie den
Namen Dzogbe, ging aber, sobald sie vom Menschen
Besitz nahm, also in die Welt eintrat, in das luvho über.
Mit dem Tode verläßt das luvho den Menschen und
wird zum holl, Geist.
Auffallend ist auch, daß man bei den Aklamawo
beobachten kann, wie das Bild angibt, daß je ein Bein
und ein Arm fehlen. Das ist nicht immer der Fall.
Es soll damit die Zusammengehörigkeit, das Einssein
des Aklama mit dem Menschen dargestellt, auch
darauf hingewiesen werden, daß männlicher und
weiblicher Schutzgeist gleichsam wie eine Person
anzusehen sind. — Hie und da begegnet man Kindern,
die ein Aklama wie eine Puppe entweder vorn auf
dem Leibe oder hinten auf dem Rücken tragen, ln
den meisten Fällen sind das Zwillingskinder, von
denen das eine den Schutzgeist des andern mit sich
führt. Es kann aber auch nur besagen, daß die Eltern
verlangen, das Kind solle sein Aklama ab und zu mit
sich herumtragen, um unter dessen Schutz sich sicherer
zu fühlen und stets gesund zu bleiben. Überhaupt
wird schwächeren Kindern gern ein Aklama zum Schutz
beigegeben.
ZAUBEREI AN SCHWANGEREN FRAUEN IN TOGO.
Ist eine Negerin in Togo schwanger, so hat sie
sich — steht sie noch im Zusammenhänge mit der
überkommenen väterlichen Religion — einer ganzen
Reihe von feststehenden Ordnungen zu unterwerfen,
von denen die allermeisten Fremden keine Ahnung
haben.
Weiß eine Schwangere, daß sie im dritten Monat
ihrer Schwangerschaft ist, so beginnt für sie der Zeit-
punkt, darauf zu achten, daß keine äußeren Einflüsse
schädigend auf sie einwirken können und namentlich,
daß alles beobachtet wird in religiöser Hinsicht, was
geeignet ist, ihren Zustand günstig zu beeinflussen.
Sie wird dann nicht mehr Kinder aus der Verwandt-
schaft oder auch andere nach Sitte der Eingeborenen
auf den Rücken binden.
Würde eine Schwangere es doch tun, so sind die
KLEINERE MITTEILUNGEN
225
Eingeborenen der Meinung, daß die Leibesfrucht ver-
derben würde (agble dunudunu = sofort verderben).
Daher kann man wahrnehmen, daß Männer sehr darauf
sehen, daß, wie sie sagen „einfältige Frauen“ solche
Unvorsichtigkeiten nicht begehen.
Eine Ausnahme gestattet der Priester, daß die Frau
nämlich ihre eigenen kleinen Kinder auf den Rücken
binden darf.
Der Mann wird, da er die Gewißheit hat, wiederum
glücklicher Vater zu werden, es nicht versäumen, sich
mit einer Priesterin zu verständigen, die ihm die nötigsten
Zauberschnüre zur „Erhaltung der Frucht“ besorgt.
Diese verschiedenen Zauber gehen unter dem Namen
„fukawo“, von fu Frucht, ka Faden, Schnur.
So kann man dessen gewiß sein, daß eine Frau,
hat sie in der Mitte ihres Kopfes (Scheitel) ein kleines
Säckchen baumeln, „empfangen“ hat. Dieses kleine
Säckchen ist an mehrere Kopfhaare angebunden. In
demselben befinden sich je kleine Stücke von Yams,
agbeli (Kassade), bli (Mais), abladzo (Pisang), avadze
(Yamsart) und dzobali (wilder Yams), sowie von dem
Stein, mit dem Frauen Mais mahlen, ein kleiner Splitter.
Außerdem wird noch eine Papageienfeder, ein beson-
deres Abzeichen einiger Priester (hängt mit der Zeu-
gung zusammen), in die Kopfhaare eingeflochten.
Dieser Fetisch bleibt bis zur Geburt des Kindes.
Alle genannten Feldfrüchte sollen daran erinnern,
daß wie die Frau „ihre Frucht“ bringt, so auch das,
was sie auf dem Acker bearbeitete, Früchte bringen
möchte. Der Frau in Togo fällt nämlich die Haupt-
arbeit beim Bestellen der Plantage zu. Hier begegnen
wir auch dem Gedanken, daß in den Augen der Ein-
geborenen alles auf Zeugung beruht, zurück bis
auf den Ursprung aller Dinge.
Einer Schwangeren ist nicht erlaubt, ein Kopftuch
feste umzubinden, auch nicht aus einer Schale (genannt
zqdomi) zu essen. Ersteres würde dem Kinde schaden
und letztere darf nicht, da sie zu medizinischen Zwecken
gebraucht wird, einer schwangeren Frau mit Essen ge-
bracht werden. Vom Halse aus zieht sich eine Zauber-
schnur über den Rücken, wo sie sich teilt, und um die
Lenden nach vorne geschlungen wird. Diese ist anderer
Art als die zuerst genannte. Hier sind es ein Zahn von
einem Hunde, einige kleine Früchte (wqlekuwo), ein
Menschenzahn und eine Frucht, edi genannt, womit
die afrikanische Jugend gerne spielt; dieses Amulett
wird an der Schambinde (godui) angebracht. Bei
schwangeren Frauen wird nicht die gewöhnliche
Schamschnur getragen, sondern die, welche sie mit
dem Namen Boka- und Alaka- Schnur bezeichnen (aus
Raphia- Fasern). Sobald diese Zauberdinge in Anwen-
dung kommen, wird eine Schwangere nicht mehr
Perlenschnüre als Schmuck tragen. Letztgenanntes
Amulett geht einen Schritt weiter, indem schon auf das
Kind selbst hingewiesen wird, dadurch, daß man ihm
rasches Zahnen und gutes Gedeihen zu verschaffen
sucht. Perlen schnüre werden nicht eher wieder ge-
tragen als bis das Kind geboren ist. Der Hersteller
der Schambinden-Zauber bekommt 95 Pfennig. Be-
stimmte Früchte werden von schwangeren Frauen nicht
gegessen, so z. B. anagoti (Süßkartoffel) oder aguti
(Süßkartoffel). Sie sind der Meinung, daß auch nur
kleine Stücke davon bewirken würden, daß das Kind
einem Vogel gleichen werde. Ebenso werden namkani
(Taro) und Hühnereier nicht gegessen, da der Kopf des
Kindes dann zu groß werde. Hierher gehören auch
die Namen einiger Fische, die von Schwangeren nicht
gegessen werden dürfen: die dekatvo und tsuminawo.
Sollten die Frauen doch davon nehmen, so würden die
Kinder eine ganz blanke Farbe bekommen, indem nach
Anschauung der Eingeborenen diese Fischart das Kind
im Mutterleibe festhalten würde. Namentlich nach der
Geburt sollen die Kinder darunter so leiden, daß nur
durch besondere Medizinen, die es für diese Vhlotso-
Krankheit gibt, das Leben des Kindes erhalten bleibt.
Ferner dürfen die akpotokuwo nicht von Frauen, die
„empfangen“ haben, gegessen werden. Es ist das
eine besondere Fischart, die in Flüssen vorkommt.
Der Genuß dieser Fische soll bewirken, daß das Ohr
anschwellen oder die Kinnlade des Kindes wackeln
werden. Dadurch wird das Kind bei der Geburt nicht
die Muttermilch trinken können; es wird so schwach
werden, daß der Tod nicht ausbleiben wird. Auch hier
werden Priester, rechtzeitig gerufen, mit Medikamenten
eingreifen können. Kommen Mütter zu spät, dann sagt
auch hier der Priester: devi la aku kokqko, das Kind
wird unbedingt sterben. Aber der Priestersatz: Fetu enge
kavege etq kple copper ene (Bezahlung ist: 75 Pfennig
und 20 Pfennig dazu) wird nicht vergessen. Außerdem
dürfen schwangere Frauen gewisse Buschtiere nicht
essen, vor allem das kadzidqe, eine Eichhörnchenart
nicht. Der Togoer ist der Meinung, daß eine Frau,
würde sie doch das Fleisch essen, ein Kind ohne Kraft
gebären würde, ein dadi-vi, Katzenkind; es wird sterben,
da ein solches Kind helles Blut haben soll. Auf ein
Tier noch hat die Schwangere ganz besonders Obacht
zu geben, auf das Chamäleon. Begegnet sie einem
solchen, wird sie es töten und den Schwanz des Tieres
mit nach Hause nehmen. Bei der Geburt des Kindes
wird sie das Schwanzstück an einen Arm desselben
binden, wodurch das Kind vor Schwäche geschützt
sein soll.
Kann sie das Chamäleon nicht ergreifen so muß
sie umkehren; sie darf nicht auf gleichem Wege
weitergehen.
Auch sonst spielt das Chamäleon bei den Einge-
borenen eine Rolle, so ganz besonders in der Mytho-
logie. Von ihm ist der Eingeborene unbedingt über-
zeugt, daß es lebendige Junge zur Welt bringt und
keine Eier legt. Bei der Geburt sollen die Tiere be-
stimmte Töne von sich geben, aus denen die Einge-
borenen genau wissen wollen, daß die Jungen da sind.
Eine Schwangere wird sehr besorgt darum sein,
keinem Chamäleon zu begegnen. Die Furcht, ihr Kind
würde einem Chamäleon gleichen, wird sie kaum ver-
lassen.
DER QÖTTERSTE1N AZADAGLI.
Wie bei einer einzelnen Person des öfteren, so
kann hin und wieder auch für eine ganze Stadt etwas
Merkwürdiges, in den Augen der Eingeborenen Über-
natürliches eintreffen. Wird sich diese rätselhafte Er-
scheinung außerhalb der Stadt, etwa auf einem Felde
oder an einem Wege zeigen, so werden unter allen
226
KLEINERE MITTEILUNGEN
Umständen die Eingeborenen zusehen, ob nicht ein so-
genannter Ahliha-Stem (wie Abbildung zeigt) in der
Nähe sich befindet. Diese Eisensteine sind dem Togo-
Neger Dinge aus unsichtbaren Welten, die ihm besagen,
daß sie verehrt werden müssen. So werden denn auch
stets derartige Steine nach Hause getragen, um dann
entweder in den Privatbesitz desjenigen, der ihn zuerst
entdeckte, überzugehen, oder auf öffentlichem Platze
auf einem kleinen Erdhaufen aufgestellt zu werden.
Da die Göttin „Erde“ diesen Stein in ihren Schoß
vom „Himmel“ herab aufnahm — er also heiligen
Händen sein Dasein verdankt — muß ihm geopfert
werden. Damit derartige Ahliha-Steine beim Herunter-
fallen auf die Erde keine Hütte zerschlagen, so werden
ihm die Opfer namentlich bei Errichtung neuer
Hütten gebracht. Durch die Opfergabe sollen die
Stadt-Gottheiten bewogen werden, den Bewohnern der
neuen Hütte günstig gestimmt zu sein, sowie den bösen
Geistern den Eingang zu derselben zu wehren und auch
die Hütte vor Einsturz zu schützen.
Diese Ahliha- Steine sollen namentlich aber auch
durch die Opfergabe versöhnt werden, daß weniger
Todesfälle in der Stadt verkommen.
Die Opfer bestehen in Hühnern und Ziegen, so-
wie Mehl mit Palmöl. Diese Gabe, die der Priester
vom Erbauer einer neuen Hütte wünscht, wird von dem
Priester dem Ahliha-Stein dargebracht.
Azadagli bedeutet; wenn du ihn wirfst, gibt er eine
Stimme von sich. Und ein Evhesprichwort sagt; ta
gbglo metsqa ahliha o, ahliha le tsihe biarrv, ein bloßer
Kopf trägt keinen solchen Stein, dieser verlangt ein
Tragkissen. Wer nämlich einen ahliha so tragen würde,
müßte es bald aufgeben, weil es ihm sehr unbequem
sein würde. Daher muß der Ahliha-Stein von einem
Erdhaufen (wie Bild zeigt) getragen werden. Die Ein-
geborenen haben die Form dieses Steines auch in die
Reihe der Schimpfwörter aufgenommen. Sie sagen:
du hast ein Gesicht wie ein Ahliha-Stoin.
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA.
VON
P. JOSEF REIBER, s. v. d.
MISSIONAR IN BERLINHAFEN.
Wenn ich mich im Vorliegenden daran mache, die Spiele der Kinder von Neuguinea zu
behandeln, so bin ich weit davon entfernt zu glauben, hiermit eine interessante und unter-
haltende Lektüre zu bieten; was mich ausschließlich leitet, ist die feste Überzeugung, daß in
diesen Kinderspielen „ein gutes Stück“ der Volksseele lebt; daß sich der Charakter und die
Eigentümlichkeiten eines Volkes in ihnen spiegeln; daß also diese einfachen und naiven Be-
schäftigungen der Kinderwelt unter diesem Gesichtspunkte zu wertvollen Dokumenten werden
für die Kenntnis der Lebensweise und Lebensauffassung eines Volkes.
Unter der stattlichen Anzahl der Spiele, die ich nun folgen lasse, werden uns manche
Bekannte begegnen aus unseren Kinderjahren. Wir werden sie freundlich und freudig be-
grüßen als traute Freunde einer trauten Zeit, werden aber jede Verwunderung darüber unter-
drücken; denn wir haben ja in diesen Spielen nichts anderes vor uns als Ausflüsse derselben
menschlichen Natur, die sich im Kinde des Naturvolkes so gut findet, wie im Nachkommen
des hochkultivierten Bewohners der alten Welt. Es sind teilweise ganz und gar natürliche
Reaktionen des übersprudelnden jungen Lebens, des nach Bewegung schreienden Leibes, der
sich entwickeln und entfalten, kräftigen und stählen muß. Andere werden uns fremd Vor-
kommen; sie sind die wertvollsten, und auf sie werden wir unser besonderes Augenmerk zu
lenken haben.
A. ZIEL- UND SCHIESS-SPIELE.
Ich mache mit den Ziel- und Schießspielen, zu denen ich auch die Kriegsspiele rechne,
den Anfang. Es sind diese Spiele bei den Knaben wohl allerwärts die beliebtesten und am
meisten im Schwang; sie werden mit wahrem Eifer, die Kriegsspiele oft mit wildem Feuer
gespielt.
Es ist höchst interessant, einem solchen Spiele zuzusehen. Die sonst gegen alles, was
Anstrengung erfordert, apathischen Kinder sind beim Kriegsspiel von einem übersprudelnden
Leben, von einer Vivazität und Gelenkigkeit im Bewegen und Springen, die einen wahrhaft in
Erstaunen versetzt. Die Züge nehmen einen Ernst und eine Würde an, die man sonst ver-
gebens bei Kindern sucht. Die Augen rollen wild im Kopfe, und unheimlich leuchtet ihr
Weiß hervor; die kleinen Körper nehmen eine ganz ungewohnt stramme Haltung an. Kommt
dann ein Geschoß dahergeflogen, so krümmen und winden sie sich wie Schlangen, erheben sich
in kräftigem Sprunge hoch von der Erde oder ducken sich mit Blitzesschnelle an den Boden,
je nachdem die Vorsicht es gebietet. Und dabei sind die Kinder von einer Ausdauer, die man
wirklich nicht vermuten sollte; stundenlang fahren sie im Spiele ohne Unterbrechung fort,
nicht achtend des Schweißes, der ihnen bei der hiesigen Temperatur in Strömen über den
ganzen Körper läuft. Alles zusammengenommen: man ist erstaunt über das Maß von Ernst,
Würde, Feuer, Aufmerksamkeit und Ausdauer, mit denen diese Spiele von den Kindern aus-
geführt werden.
Fragen wir nach der Ursache dieser Erscheinung, so gehen wir gewiß nicht fehl, wenn
wir die eminente Bedeutung des Kriegshandwerkes für dieses Volk als solche angeben. Keinen
Baessler-Archiv I, 6. 30
228
P. JOSEF REIBER
Augenblick ist unter den hiesigen Verhältnissen ein Stamm vor einem feindlichen Überfalle
gesichert. Jede Minute kann der Mann zu den Waffen gerufen werden; versteht er es, sie gut
zu führen, so wird es ihm vielleicht möglich, seine kleine Habe und sein Heim zu schützen
und sein Leben zu retten. Ist sein Gegner ihm überlegen, so kann ihn im günstigsten Falle
noch schleunige Flucht retten. Aber meistens wird dies nur eine Rettung von kurzer Dauer
sein; denn wenn er nicht irgendwo einen persönlichen Freund trifft unter den Stämmen, zu
denen er auf seiner Flucht stößt, so wird er bald erbarmungslos hingemordet. Was Wunder,
wenn da schon die Kleinen die Fähigkeiten zu erwerben suchen, die ihnen später von so
eminenter Bedeutung sind. Liegt den Spielen tatsächlich diese Absicht zugrunde, so verlieren
sie allerdings etwas von dem, was sie zu Spielen macht; denn sie sind dann nicht mehr im
vollsten Sinne „Beschäftigungen ohne ernsten Zweck“; aber es gilt das auch nur von den
eigentlichen Kriegsspielen, nicht von den reinen Zielspielen, die ich nun zunächst folgen lasse.
I. REINE ZIELSPIELE.
1. Hauskochen.1) U = (universell verbreitet).
Zwei Kokosnußblattscheiden werden in einem beliebigen Abstande in den Boden gegraben,
so daß sie mit der konkaven Seite einander zugekehrt sind. An jedem Blocke postieren sich
nun zwei Spieler. Die das Spiel beginnen, sind mit einer beliebigen Anzahl von großen Holz-
speeren ausgerüstet, die sie nun abwechselnd nach dem gegenüberliegenden Blocke werfen.
Sind alle Speere geworfen, beginnen die Partner auf der andern Seite diejenigen Speere, die
nicht einschlugen und stecken blieben, aufzunehmen und nach dem feindlichen Blocke zu
werfen. So geht es fort, bis alle Speere in den Blattscheiden stecken und wer den letzten
geworfen und getroffen hat, darf aus seinem Blocke solange Speere herausnehmen und werfen,
bis wieder einer fehlschlägt. Dadurch erhält der Gegner das Recht, dasselbe zu tun. Unter
diesem Wechsel sammeln sich die Speere bald, wenn sich anders die Gegner nicht so ziem-
lich die Stange halten, auf einer Seite. Wen es trifft, den letzten Speer aus seiner Blatt-
scheide herauszuziehen, der darf sich mit ihm der gegnerischen bis auf wenige Schritte
nähern, um ihn von hier aus zu werfen. Schlägt er ein und bleibt er stecken, dann ist der
zuletzt Werfende der Sieger. Das Spiel ist zu Ende und es wird, wie sich die Inländer aus-
zudrücken pflegen, das „Haus gekocht“ (verbrannt). Der Sieger erhält als Preis den mit
Pfeilen gespickten Block und darf das Spiel von neuem beginnen.2)
2. Scheibenschießen. U.
Der fleischige Stamm einer Blume wird in Scheiben geschnitten. Die Spieler stellen
sich an einem möglichst ebenen Platze in einer geraden langen Reihe auf; sie sind mit dem
kleinen Spielbogen und mit einem Bündel von Pfeilen aus Rippen von Kokosnußblättern be-
waffnet. Derjenige, der am Anfänge der Reihe steht, ergreift eine der zurechtgeschnittenen
Scheiben und läßt sie so rasch als nur möglich an der Reihe der Spieler vorbeilaufen, die
alle den scharfgespannten Bogen loslassen im Augenblicke, da die Scheibe sie passiert.
Wessen Pfeil in der Scheibe stecken bleibt, darf sie von der anderen Seite her in Bewegung setzen.
Dieses Spiel ist wie die meisten der anzuführenden weit verbreitet; an einigen Orten
finden wir unbedeutende Schattierungen. So ist in Tumleo eine wilde Zitrone das laufende
1) Über die Genesis des Ausdruckes „Haus kochen“ Näheres anzugeben, ist mir nicht möglich. Der Aus-
druck ist aber original; denn es heißt z. B. im Tumleo kdtun laum = Haus braten (eigentlich; du brätst das
Haus). Vielleicht stellen sich die Kinder unter dem mit Speeren gespickten Blocke ein Haus vor und denken
beim Herausziehen sämtlicher Speere an seine Zerstörung.
2) Anläßlich dieses Spieles möchte ich gleich noch eine Bemerkung über die Namen der Spiele anfügen.
Ich habe die deutschen Namen gewählt, weil ich keinen Grund zu haben glaubte, irgendeinen Stamm vorzuziehen;
das aber hätte ich unbedingt tun müssen, da die meisten Spiele allen oder doch mehreren Stämmen gemeinsam
sind. Wenn ein Spiel ausschließlich einem Stamme eignet, lasse ich den einheimischen Namen folgen. Die
deutschen Namen, die ich gebrauche, werden von den durch den Unterricht in der Missionsschule jetzt etwas
deutsch redenden Kindern wohl zu zwei Drittel selber gebraucht.
Objekt, die dann im Spiele ein Schwein vorstellt. Das „Schwein kommt“, wird daher gerufen,
wenn die Zitrone dahersaust. In Momoken wird auf eine laufende Kokosnuß gezielt.
3. Schießen im Fluge. Mn-Za-Mi.1)
Ein ähnliches Spiel kommt in Monümbo (= Mn), Zepa (= Za) und Mibat (= Mi) vor; im
ersten Orte wird eine Scheibe der im vorigen Spiele genannten Art in die Höhe geworfen; in
den zwei letzten Dörfern eine Kokosschale, Beide müssen im Fluge getroffen werden.
4. Das laufende Känguruh. J-Mm-P-Za.
Auf Juö (= J), in Momoken (= Mm), Poyek (= P) und Zepa (= Za) flechten die Jungen
ein Känguruh aus Kokosblättern und befestigen eine Schnur daran; diese ergreift ein Junge
und zieht das Tier in raschem Laufe an den in einer geraden Reihe stehenden und mit kleinen
Speeren bewaffneten Spielern vorüber.
5. Preisschießen. J-Mm-P-Z (= Zaure)- Za-Mi.
Bei diesem Spiele legen die Kinder einige kleine Taro zusammen auf ein Häufchen; dann
schießen sie darauf aus beträchtlichen Entfernungen. Wer trifft, holt den Getroffenen und
brät ihn als Preis am Feuer.
II. KRIEGSSPIELE.
Richtiger müßte man eigentlich „Kriegsspiel“ sagen; denn im Grunde genommen handelt
es sich stets nur um ein Spiel, den einzigen Unterschied in den verschiedenen Formen des-
selben bedingt die Waffe.
Die Knaben stellen sich in zwei Gruppen in Wurfweite auf. Jeder ist zum Kampfe ge-
rüstet; die linke Hand umfaßt ein Bündel Speere; die rechte wiegt mit viel Eleganz und
großer Gelenkigkeit ein Geschoß, es gleichsam erprobend oder in die rechte Lage bringend.
Der erste Speer schwirrt durch die Luft: das Zeichen zum Kampfe; bald fliegen sie in Menge
hin und wieder. Nun setzt die schwere Aufgabe ein, dem Geschosse kunstgerecht aus-
zuweichen. Wird trotz dieser Maßregeln einer getroffen, so verstummt auf einer Seite für einige
Augenblicke das wilde Kriegsgeschrei; auf der andern Seite aber steigert es sich zum Über-
maß. Ein scharf abgestoßenes „Hu, Hu“, das rasch von allen des öfteren wiederholt wird,
durchzittert die Luft; hier und da tönt ein schriller Pfiff dazwischen. Und jedesmal, wenn
einer getroffen wird, wiederholt sich der höllische Lärm. So geht es stundenlang fort, ohne
daß weder Kräfte noch Kehle versagen.
Diese Spiele werden ausgeführt, je nachdem in den einzelnen Gegenden Speere und Lanzen
oder Bogen und Pfeil als Waffen gebraucht werden.
1. Mit Speeren:
a) aus Rippen von Kokosnußblättern; b) aus Gras; c) aus Papaya-Blattstielen;
d) aus Holz, die sehr groß sind und entweder mit der Hand (U) oder mittels des
Wurfholzes geworfen werden {Mn-Za).
2. Mit dem kleinen Spielbogen und mit den Pfeilen von 1 a) und b).
Alle diese Spiele sind „offene Kriegsspiele“, was sehr befremden muß, wenn man die
Kriegstaktik der Eingeborenen kennt. Ein offener Krieg ist ja hier bekanntlich eine der größten
Seltenheiten. Für gewöhnlich wird hier überrascht und überrumpelt. Wenn der Feind, nichts
ahnend, bei friedlicher Arbeit ist, oder in stiller Nacht, wenn alles im tiefsten Schlafe liegt,
wird ein Überfall gewagt. Es wäre in der Tat seltsam, wenn diese Art der Kriegführung in
den Kriegsspielen gar nicht zum Ausdruck käme. Doch dem ist nicht so. Es kann aller-
dings lange dauern, bis man Gelegenheit hat, zu beobachten, daß diese Spiele so ausgeführt
werden, daß dieser allgemein verbreiteten Sitte darin Rechnung getragen wird. Trotzdem
aber werden sie in besagter Weise gespielt, sei es, daß beide Parteien sich in den Busch
zurückziehen oder daß nur eine es tut, während die Angreifer solange im Dorfe bleiben, bis
1) Wo diese Siglen zum ersten Male verkommen, ist ihre Bedeutung stets in dem gleich sich anschließenden
Abschnitt erklärt; sie werden im weiteren Verlauf ohne weitere Erklärung gebraucht.
30*
230
P. JOSEF REIBER
jene ein Versteck gefunden. Wenn sie aber weniger Vorkommen als die offenen, so hat das
wohl nur darin seinen Grund, daß sich zu diesen viel öfter Gelegenheit bietet, wenn die Kinder
auch nur für kürzere Zeit im Dorfe beisammen sind.
B. BADESPIELE.
Es folgt nun eine Gruppe von Spielen, die sehr wenig des Charakteristischen und Eigen-
tümlichen aufweisen; in ihr begegnen uns die meisten Bekannten aus der Jugendzeit. Und
es scheint mir dieses auch ganz natürlich zu sein; denn die Verhältnisse sind wohl im großen
Ganzen überall dieselben beim Baden. Allerorts ist der Hauptzweck die körperliche Bewegung,
das Erlernen des Schwimmens und Tauchens. Da ist denn selbstredend kein Grund für
große Verschiedenheiten vorhanden. Inwieweit aber Gründe doch vorhanden sind, sehen wir
dann auch gleich wieder eigentümliche charakteristische Spiele hervortreten. Es sind dies be-
sonders jene unter den hierhin fallenden Tierspielen, die gefährliche Tiere zum Objekte haben,
wie Krokodil und Schildkröte; in ihnen ist deutlich der Kampf ausgeprägt, den diese Völker
beständig mit den Feinden aus der Tierwelt zu führen haben.
Auch diese Gruppe zerlege ich in zwei Unterabteilungen, je nachdem der Schauplatz der
Spiele die Küste oder die See selber ist.
1. IM SANDE: U.
1. Die Kinder formen allerlei Figuren, Tiere und Menschen.
2. Sie machen Löcher und Gruben, bauen Kanäle und Teiche, graben andere und sich
selber ein.
3. Sie bedecken sich über und über mit Sand oder bemalen sich vollständig mit Lehm
und springen darauf in die Flut.
II. IN DER SEE.
1. Der Sandkugel-Streit. T (= Tumleo) J-Mm-P-Z-M (= Murik)- Mn-Mi.
Sämtliche Mitspielenden formen eine größere Anzahl von faustgroßen Sandkugeln. Ist
dies geschehen, so beginnen sie sich so lange damit zu bewerfen, bis sie ganz mit Sand bedeckt
sind. Dann wird Friede geschlossen; es begeben sich alle auf einen erhöhten Platz. Einer
nimmt die letzte noch übrige Sandkugel, zerbröckelt sie und wirft diese kleinen Portionen nach
allen Windrichtungen in die See. Alle folgen mit lautloser Aufmerksamkeit diesem Vorgänge,
und wenn das letzte Teilchen der Sandkugel die Wasserfläche berührt, springen ihm alle von
ihrem erhöhten Orte herab nach und der Friede ist geschlossen.
2. Wettschwimmen unter Wasser. Mn-Za.
Alle Knaben gruppieren sich an einer seichten Stelle, Auf ein gegebenes Zeichen taucht
einer unter und schwimmt in beliebiger Richtung unter Wasser, so weit er es vermag. Taucht
er ermüdet auf, erhält er von der Gruppe aus sein Urteil „gut oder schlecht“, je nach der
Länge der Strecke, die er unter Wasser zurückgelegt hat. Dann bleibt er auf seinem Platze
stehen; ein zweiter taucht unter und schwimmt auf ihn zu; auch ihm wird von der Gruppe
aus das Urteil gesprochen. Desgleichen tun alle; hat auch der letzte sein Urteil vernommen,
schwimmen alle zusammen auf den Platz des Siegers, und das Spiel kann von neuem einsetzen.
3. Brandungsspiel. U.
Ein bei Küstenstämmen überall verbreitetes und sehr beliebtes Spiel. Die Jungen suchen
sich irgendwo ein Brett von einem demolierten Kanoe oder sie zimmern sich selber eines zu-
recht aus dem hier vorkommenden korkartigen Holze von den ungefähren Umrissen eines
Fisches, Damit schwimmen sie dann in die See hinaus an die Stelle, wo die Wellen der
Brandung sich eben gebrochen haben. Dort warten sie unverdrossen, bis eine schöne Welle
von der Ferne herankommt. Da ist denn der Zeitpunkt gekommen, sich auf das Brett zu
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
231
legen und gerüstet auf die kommende zu warten. Sie kommt denn auch unfehlbar, erfaßt
die Kleinen auf dem Brette und trägt sie pfeilschnell dem Ufer zu.
4. Schlafen auf dem Wasser. Mm-P-Mn-Za.
Es ist dies dasselbe Spiel wie das „Treiben“, das ja bei Baden überall ein allerdings
mehr erstrebtes als wirklich erreichtes Kunststückchen ist.
5. Reiten. T-J-Z-M-Mn-Za-Mi.
Ein kräftiger Junge stellt sich an einer Stelle auf, an welcher das Wasser so tief ist, daß
er eben noch mit dem Kopfe aus demselben herausschaut; ein zweiter setzt sich ihm auf die
Schultern. Über diesen letzen fallen nun alle übrigen her: er sucht sich ihrer zwar zu er-
wehren, indem er von seinen Fäusten reichlichen Gebrauch macht; aber der Übermacht muß
der Tapfere weichen; er fällt und plumpst ins Wasser, wo die Dinge sich noch schrecklicher
für ihn gestalten, denn nun bearbeiten ihn alle schwimmend mit ihren Füßen.
6. Steintauchen. T-J-Mm-Z-M-Mn-Mi.
Sämtliche Knaben werfen zu gleicher Zeit einen Stein ins Wasser, springen dann selber
hinein und tauchen nach ihm, bis sie ihn finden.
7. Zweigpflanzen und -suchen. J-Mm-P-M.
Ein noch frischer Zweig wird auf dem Meeresboden gepflanzt; während dies geschieht,
bringen zwei Knaben das Wasser in schäumende Bewegung, so daß der Taucher den Blicken
der Mitspielenden entzogen wird. Hat er den Zweig gesteckt, so schwimmt er ein Stück unter
dem Wasser von der Pflanzstelle fort, immer noch durch die schäumende Flut den Blicken
der Zuschauer entrückt; an einer ganz anderen Stelle kommt er dann an die Oberfläche.
Sobald er sichtbar wird, stürzen sich alle Mitspielenden in die See, den Zweig zu suchen.
Meist dauert es gar nicht lange, bis einer heraufkommt und den Zweig triumphierend in die
Höhe hält. Ist er aber zu gut versteckt, dann taucht einer von denen, die beim Verstecken
tätig waren, unter und zupft einige Blättchen vom Zweige ab, die er dann den Suchern zeigt,
um sie zu neuem Suchen anzuspornen und auch wohl, um sie auf die Spur zu führen.
8. Kokosnußhaschen. J-M-Mn.
Eine junge Nuß wird mitten zwischen die in zwei Gruppen aufgestellten Knaben geworfen.
Im Momente, wo sie das Wasser berührt, beginnen alle, auf sie zuzuschwimmen. Wer sie
erhascht, versteckt sie unter dem Wasser und schwimmt mit ihr an einen anderen Platz. Die
Badenden bilden wieder zwei Gruppen und das Spiel hebt von neuem an.
9. Handschlag. J-M.
Die Badenden stellen sich wieder in zwei Reihen einander gegenüber auf. Auf ein Zeichen
bewegt sich die eine auf die andere zu und jeder sucht seines Partners Hand zu berühren.
Ist dies allen gelungen, so wechseln die Rollen und die Angegriffenen werden die Angreifer.
10. Fischfängen:
a) Mn. Die Badenden stellen sich in einer einfachen Reihe nebeneinander auf und
spreizen die Beine; einige Jungen spielen die Fische. Sie sind im Rücken der
Fänger und schwimmen oder suchen zwischen deren Beine durchzuschwimmen;
werden aber dann vielfach zwischen ihnen festgeklemmt und so gefangen.
b) M. In Murik machen die Kinder auch eine gerade Reihe, schließen sich aber ganz
eng aneinander; sie soll ein Netz vorstellen. Die Fische schwimmen gegen die
Reihe an und suchen sie zu durchbrechen. Gelingt ihnen dieses, so haben sie
das Spiel gewonnen,
c) J-Mm-P. An diesen Orten spielt ein starker Knabe den Fisch; alle andern Mit-
spieler haben es auf diesen abgesehen und wollen ihn fangen. Ist ihnen dies end-
lich gelungen, so ziehen sie ihn ans Land, legen ihn der Länge nach auf den Sand
und verwalken ihn tüchtig. Dann gönnen sie ihm wieder die goldene Freiheit und
erfreut hüpft er in die blaue Flut zurück.
232
P. JOSEF REIBER
11. Der schwimmende Hai. T-J-Mm-M-Mn-Za-Mi.
Die Lage der Kinder bei diesem Spiele ist ähnlich der Lage, die man beim Seitswärts-
schwimmen einnimmt. Doch ist der Körper ziemlich tief unter Wasser; die eine Hand wird
senkrecht nach unten gehalten, die andere ebenso nach oben, so daß sie von der Handwurzel
an aus dem Wasser schaut. Diese aus dem Wasser herausschauende Hand hält nun der
Schwimmer in steter Bewegung, damit die Bewegung der Flosse des Haies nachahmend.
12. Der böse Hai, T-J-Mm-P-Z-M-Mi.
Die Badenden tummeln sich vergnügt im Wasser; auf einmal erblickt eines der Kinder
den schlimmen Hai, der ganz unvermutet in ihrer Nähe auftaucht. Alles sucht möglichst
schnell zu entfliehen; aber schon hat der Hai einen Jungen am Beine erfaßt und zieht in die
Tiefe. Dann taucht er wieder mit ihm auf und gibt sich den Anschein, als ob er seine Beute
verspeise; er tut das dadurch, daß er den Knaben mit der Hand empfindlich zwickt.
In derselben Weise wird gespielt;
13. Die Schildkröte. Za-Mi und 14. Das Krokodil. Mm-Z-M.
C. TIERSPIELE.
Diese Art der Spiele zeichnet sich vor allem durch ungewöhnliche Reichhaltigkeit aus;
gibt es doch wohl kein bedeutenderes Tier, das nicht Objekt eines Spieles wäre. Die bissige
Ameise, wie das gefährliche Krokodil, der Raubvogel, der hoch in den Lüften schwebt, wie
der gemeine Krebs, der da unten kreucht, werden von den spiellustigen Kindern nachgeahmt
in ihren kindlichen Unterhaltungen. Das ist eine auffällige und nicht gerade so häufige Tat-
sache, und es ist gewiß angebracht, nach dem Grunde zu fragen.
Ich glaube ihn in einem Zweifachen zu finden. An erster Stelle sehe ich ihn in der
eminenten Bedeutung, den diese Tiere für den Eingebornen haben. Schon die Natur drängt
ihn zu einer nicht ungewöhnlichen Wertschätzung der meisten Repräsentanten aus der Tier-
welt; er ist strichweise auf sie als auf eine Hauptquelle seiner Nahrungsmittel angewiesen.
Wenn man dazu noch in Erwägung zieht, daß bei den Eingebornen die Magenfrage die aller-
wichtigste ist, eine Frage, die nach ihrer Ansicht - wenigstens der praktischen - allein des
ganzen Mannesernstes wert ist, dann wird man wenig Schwierigkeiten mehr haben, die be-
sagte Hochachtung zu begreifen. Wovon aber das Herz voll ist, davon läuft der Mund über,
und was uns stark affiziert, hat auch seine entsprechenden Äußerungen. So glaube ich, daß
die Hochachtung der Inländer vor diesen Tieren nicht ohne Einfluß geblieben ist auf diese
Art der Spiele.
Aber wenn dieser Grund auch den meisten Spielen dieser Gruppe unterliegt, so ist er
gewiß nicht der einzige; für einige trifft er überhaupt nicht zu, was sich bei der Aufführung
der einzelnen ergeben wird. Wer dies behauptet, tut nach meiner Ansicht dem Eingebornen
ein großes Unrecht; denn er bekundet eine tiefe Naturauffassung, wenigstens der Tierwelt
gegenüber. Während er seinen Stammes-Feind, ja jeden beliebigen Fremden, erbarmungs-
los niederstreckt, zeigt er dem Tiere gegenüber Gemüt, Zärtlichkeit. Welch eine Freude,
wenn die Kinder zufällig einmal eines Tieres in lebendem Zustande habhaft werden. Ist es
dann gar ein „Kind“ (Junges), so wollen die Liebkosungen gar kein Ende nehmen; jeder muß
es auf seine Arme genommen oder gar an seine Wange gedrückt haben; wenigstens aber
muß er es einige Male streicheln, falls er zu seinem sichtbaren Leidwesen nicht mehr zu tun
imstande ist. Ich habe gesehen, wie Knaben ein junges Vögelchen wieder auf einen Baum
setzten und warteten, bis die Mutter kam, es zu holen. Wehe dem, der auch nur Miene ge-
macht hätte, dem lieben Geschöpfe ein Leid anzutun; die ganze Schar wäre über ihn her-
gefallen. Diese tiefe Naturauffassung und die aus ihr resultierende Liebe zu der Tierwelt sind
zweifelsohne die Hauptquelle der schöpferischen Kraft dieser Tierspiele.
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
233
I. VÖGEL.
Die Mehrzahl der Vogelspiele fallen in die folgende Gruppe der Jagdspiele; ein weiteres
figuriert unter den Reigenspielen. Für die reinen Tierspiele bleiben die folgenden:
1. Das „Raubvogelkind“. M- (trägo goän).
Zwei der Spieler machen ein Nest von Ranken; die übrigen kauern am Boden einen Kreis
bildend, Jedesmal wenn die zwei einen Arm voll Ranken gesammelt haben, springen sie über
die am Boden Kauernden hinweg in den Kreis hinein und breiten sie in dessen Mitte aus;
sie ahmen dabei fortwährend das Schreien des Vogels nach. Ist das Nest fertig, so gehen die
zwei an den Ort, wo der junge Raubvogel verborgen ist, erfassen ihn an beiden Händen und
hüpfen mit ihm zum Kreis, dann über die Jungen hinweg in denselben hinein und setzen das
Raubvogelkind auf das Nest, immer denselben Ruf wiederholend. Nun nähern sich alle dem
Neste, nehmen es samt den Raubvogel-Jungen auf ihre Hände und unter lautem Freuden-
geschrei beginnen sie folgenden Rundgesang: törän goüna, gaikona sinan kön, kört, kön,
kön, indem sie fortwährend das Vögelchen auf ihren Händen wiegen und schaukeln.
2. Die Möwe. Mn-{tamäm bule (m) bule).
Eine Anzahl von Möwen ist an das Land geflogen und hat sich in den Küstensand nieder-
gelassen auf einem Stücke Holz. Ein Junge schleicht sich vom Rücken her ganz an die
Tiere heran und schlägt mit einem Stocke ganz gewaltig auf das Holz los. Erschreckt flattern
die Tiere auf und fliegen fort, mit den emporgehobenen und nach Art der Flügel eingebogenen
Armen den Flügelschlag nachahmend. Doch bald lassen sie sich wieder auf einen alten
Baumstamm nieder, werden aber von dem bösen Jungen wiederum in derselben Weise er-
schreckt.
3. Der Nashornvogel und sein Freund. Mm-Za-Mi.
Ein Nashornvogel sitzt auf einem Baum im Busch und läßt sich eine Frucht gut schmecken.
Da kommt ein Kasuar und sagt zu dem Vogel: „Gib mir eine Frucht, ich will sie essen.“
Der Nashornvogel öffnet eine und wirft die Stücke hinunter. Ein daherkommender Jäger mit
Hund sieht den Vogel auf dem Baum. Den Kasuar unten bemerkt er nicht. Der Hund aber
hat ihn bald entdeckt und will ihn beißen. Der Vogel auf dem Baume gibt nun dem Kasuar
den Rat, den Hund mit den Beinen tot zu schlagen, was der Kasuar auch schleunigst besorgt.
Da entsteht ein arges Weinen um den lieben Hund; der Mann nimmt ihn auf und begräbt
ihn voll Trauer. Dann aber greift er zum Bogen um ihn zu rächen und schießt den Nashorn-
vogel herunter; der Kasuar ist unterdessen davongelaufen.
4. Der Fischreiher. M- (mäme).
Der fingierte Schauplatz des Spieles ist das Riff mit niedrigem Wasserstande. Ein Knabe
stellt sich bewegungslos hin — er soll nach den Aussagen der Kinder einen Stein darstellen-;
die andern Spieler gruppieren sich zwanglos um ihn herum. Bald fangen diese an, spielend
um den Knaben herumzuspringen, wie Fischchen um einen Stein herumschwimmen. Aber am
Ufer lauert ein böser Reiher, der im günstigen Augenblicke auf die Fischchen losfliegt und
sie zu haschen sucht. Aber sie ducken sich plötzlich, und er hat viele Mühe sie zu erhaschen;
denn sobald sie sich geduckt haben, ist für ihn nichts mehr zu wollen. Wenn er aber einen
erwischt, ehe er sich geduckt, zieht er ihn ans Ufer. Hat er auf diese Weise alle am Ufei
zusammenliegen, so kommt ein Mann daher und haut den Stein um. Seltsamer Weise wird nun
aus dem Stein auf einmal ein lebendes Wesen, und der Mann, der den Stein umgehauen,
richtet einige ebenfalls seltsame Fragen an dasselbe. „Hast du Tauben-»Austreten« gegessen?
Der Gefragte antwortet mit einem gedehnten; „Hm!“ „Hast du Paradiesvogel-»Austreten«
gegessen?“ — „Hm!“ So geht er alle Tiere der Reihe nach durch, und wenn auf die Frage:
„Hast du Fischreiher-Austreten gegessen?“ das gewohnte „Hm!“ folgt, springt er auf, die Mit-
spielenden zu fangen; diese stieben dann in alle Winde auseinander.
234
P. JOSEF REIBER
II. DIE ANDEREN TIERE.
1. Leguan. T-J-M-Mn-Za.
Die Spieler stehen sich auf Schrittweite in zwei geraden Reihen gegenüber. Dann ver-
schränken sie in kunstvoller Weise die Arme, so daß sie ein förmliches Netz bilden. Auf
dieses künstliche, aus .Kinderarmen hergestellte Netz legt sich nun ein Knabe; die Netzbildner
fangen langsam an, ihn zu schaukeln und in die Höhe zu schnellen. Dabei wiederholen sie
fortwährend eine Gesangesweise, und jedesmal, wenn sie in ihr an ein bestimmtes Wort kom-
men, schnellen sie das Tier ein Stück voran. Diejenigen, die der Leguan passiert hat, trennen
sich ab, um sich am vorderen Ende der Reihe wieder anzugliedern. Während des ganzen
Vorganges macht der Kläffer, der unter dem Armnetz sitzt, sich immer wieder bemerkbar, ob-
wohl er den Gesang sämtlicher Spieler übertönen muß. Sind die Kinder ermüdet, oder soll
das Spiel sonstwie beendet werden, so stellt sich ein großer Junge am vorderen Ende der
Reihe auf und zwar mit dem Rücken gegen das Netz. Ist der Leguan durch das fortwährende
Schnellen an diese Stelle gekommen, so klettert er den Rücken des Knaben hinauf; der kleine
Kläffer heult ihm nach.
So in M, dem auch der Gesang angehört. An anderen Orten (wie in T) wird die Reihe so
geordnet, daß sie an einem Kokosnußbaum endet. Wie dort den Rücken des Jungen, so klettert hier
das Tier den Baum hinauf; es wird daher auch in M jener kräftige Junge einen Baum vertreten.
2. Schweinsfisch. Mn.
In derselben Weise wird in Mn der Schweinsfisch gespielt; nur daß hier zu der vorwärts-
schnellenden Bewegung noch ein gleichzeitiges in die Höhe Schnellen kommt; dies soll offen-
bar das Tummeln dieser Tiere darstellen, das die Küstenbewohner ja oft zu beobachten Ge-
legenheit haben.
3. Ein ähnliches Spiel kommt in Za vor. Das Objekt desselben ist ein kleines Tierchen
aus der Familie der Beuteltiere, das auf der Kokospalme wohnt; es heißt zeke zeke. Soll
dieses Spiel aufgeführt werden, stellen sich die Kinder auf wie beim langen Pferd. Ein leich-
ter Junge, das Tier spielend, klettert auf den letzten in der Reihe hinauf und hüpft dann über
alle hinweg, indem zwei Knaben ihn an den ausgestreckten Händen festhalten.
4. Das Känguru. M-Mi.
Das Känguru, ein kleiner Junge, sitzt am Boden und hält sich die Augen mit Blättern zu.
Die anderen kommen neugierig heran und heben die Blätter ein wenig auf. Flink hüpft das
Tierchen den Neugierigen nach und sucht sie zu beißen.
5. Das tanzende Känguru. M.
Ein Mann geht auf die Jagd; bald erblickt er ein Känguru und will es schießen. Dieses
aber legt plötzlich seine Hände an die Hüften und fängt an, in komischer Weise vor dem
Manne zu tanzen. Der Mann gerät darüber in ein unbändiges Lachen und ist durchaus un-
fähig, von seinem Bogen Gebrauch zu machen. Diese schöne Gelegenheit aber benutzt das
schlaue Tier, um zu entkommen.1)
6. Der Baumbär. U.
Zu diesem Spiele wählen die Kinder einen Platz, an dem die Bäume ziemlich nahe bei-
sammen stehen, so daß die Äste ineinander hineinreichen. Der Baumbär klettert auf einen
dieser Bäume, die Spieler ihm alle nach; dann geht es über die Äste aus einem Baum in den
andern, bis das Tier gefangen ist.
7. Der Kasuar, T-Mn-Za-Mi.
Bei diesem Spiele sind die kleinen Kinder die Jungen der Kasuare; die älteren spielen
die Kasuar-Mütter. Diese stellen sich nun im Kreise um die am Boden hockenden Jungen
1) Nachträglich teilt mir der Junge, der mir die Mitteilungen über diese Nummer gemacht, mit, daß die
Kinder das nicht spielen, sondern daß ein Mann es ihm erzählt habe; es liegt also hier nicht ein Spiel, sondern
eine Fabel vor.
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
235
auf. Da kommt der Jäger und will die „Kasuar-Kinder“ stehlen. Die Mütter wehren sich
tapfer gegen den Angreifer, indem sie mit den Beinen gegen sie schlagen oder wie der Ein-
geborene sagt „mit den Füßen auf sie schießen“. Aber die sorgsamen Mütter vermögen den
Feind doch nicht abzuhalten; er raubt ihnen eines nach dem andern von den lieben Jungen
weg. Wenn dann auch das letzte der Jungen in des Feindes Gewalt ist, suchen die Mütter
selber ihr Heil in der Flucht, nachdem sie zuvor noch am nahen Bach die Füße gewaschen,
um schneller laufen zu können. Aber der Feinde lauern noch viele im Hinterhalt; und von
diesen werden zuletzt auch die Mütter gefangen und getötet. Den hierher gehörigen kurzen
Text singen die Mütter beim Kampfe.
gai - va le ka tsi va le ta тип dron - do.
8. Das Krokodil. P- {mu unjelä-ye = Krokodil spielen-machen).
Ein kräftiger Junge (das Krokodil) macht Jagd auf seine Spielgenossen; er erwischt einen
nach dem andern und trägt sie alle an einen Ort, wo er sie aufstapelt. Sind sie alle gefangen,
legt das Krokodil den rechten Vorderfuß an den Mund, küßt ihn und schlägt darauf mit dem
„geküßten Fuß“ jedem der Getöteten auf den Kopf; durch den Schlag werden sie wieder le-
bendig und springen davon, und das Spiel setzt von neuem ein.
Dieser sonderbare Zug des Wiedererweckens begegnet uns hier das zweite Mal und findet
sich noch in einem andern, später aufzuführenden Spiele.
9. Fischspiel. P-M-Mn-Za-Mi.
Die Spieler stellen sich in einer langen Reihe auf, sich gegenseitig an der Hand fassend.
Derjenige, der linker Hand die Reihe beschließt, wendet sich zu seinem Nachbar und klopft
ihm auf die Hand. Dieser nennt hierauf seinen Fischnamen, den der erste singend wiederholt,
und während er unter dem Arme des Fisches hergeht, singen er und alle übrigen diesen Text:
hs hs C: ~N ~N N zis fc 4 ф :
-Jr-~Tx “1 i i H i J J ..... J 1 ! j j
tt в 0 0 t # d d • 0 0 0 0 Л в • \
bir - tsi - si tsar - kar - kar - kan - don - do - tsar kar - kar.
Dasselbe wiederholt er nun bei allen folgenden der ganzen Reihe, und die Fische, die ihren
Namen schon angegeben, gehen jedesmal mit ihm unter dem Arm des „neuen Fisches“ her.
Sind sie so beim rechten Flügelmann angelangt, darf dieser das Spiel vom seiner Seite her
beginnen.
10. Der Kasuar-Streit. Mi- (nuyaftr = Streit machen).
Zwei Kasuare gehen zusammen baden in den Fluß; sie bekommen Streit und bearbeiten
sich bös mit den Füßen. Darauf laufen beide in den Busch, wo sie den begonnenen Streit
fortsetzen. Der Ausgang des Streites ist der Tod des einen Kasuars. Ein zufällig daher-
kommender Mann sieht den getöteten Kasuar; erfreut nimmt er ihn als mühelose Jagdbeute
auf seine Schulter.
Eine Fabel mit der schönsten Moral!
11. Schlange, Mn- (kain im bakim = Schlangen wir spielen).
Bei diesem Spiele stellen sich die Kinder wieder in einer langen Reihe auf; eines von
ihnen macht die Schlange, die mit dem Munde ein Stück Holz erfaßt hat, welches am vorderen
Ende glüht — es soll wohl die Zunge der Schlange darstellen. Nun züngelt das Tier am
Körper der Mitspielenden herum von der Zehe bis zum Scheitel. Sie sind daher genötigt,
vollkommen ruhig und bewegungslos zu stehen, bis das Tier sie abgezüngelt hat und beim
folgenden dieselbe Prozedur beginnt. Wer die geringste Bewegung macht, wird von der
Schlange gebissen; die durch das Atmen erzeugte Bewegung genügt schon, um den Spielern
in der Magen- und Bauchgegend Brandwunden beizubringen.
Baessler-Archiv i, 6. 31
236
P. JOSEF REIBER
12. Die Riesenschlange. Mi- (äveo).
Ein Mann macht einen Spaziergang; plötzlich gewahrt er eine Schlange, die ein Stück
Holz umwickelt hat. Schnell entflieht der Mann und ruft seinem Hunde; der aber hört nicht
und bleibt im Busch, wird aber auch dafür bald von der Schlange ergriffen und verzehrt.
Interessant ist es, bei- dieser selbstredend nur fingierten Handlung das „Züngeln“ der Schlange
zu beobachten, und wie das Tier unversehrt verschluckt wird.
Des anderen Tages geht ein Mann gegen Abend in den Busch; wegen der bereits herein-
gebrochenen Dunkelheit sieht er die gefährliche Schlange nicht; diese aber fällt ihn an, um-
windet ihn, bis er erstickt.
Ein dritter Mann macht denselben Weg am kommenden Tage, und auch er gewahrt das
Ungetüm; auch ihn sucht die Schlange gleich zu fassen. Zum Glück aber ist er bewaffnet.
Ein wohlgezielter Schuß in den Kopf macht das Ungetüm ungefährlich.
13. Das Schwein mit den Jungen. U.
Die größeren Kinder spielen die Mutterschweine; die kleineren Kinder sind die jungen
Tiere. Große und Kleine gehen grunzend und Nahrung suchend auf allen Vieren dahin.
14. Hahn, Mn- (kakatarak).
Die Hähne sitzen schlafend im Sande; böse Jungen kommen und schreiben den Hähnen
mit Sand auf den Rücken. Die Hähne merken nichts davon; da werden die Jungen dreister
schreien ihnen ein schrilles „kr“ in die Ohren und laufen davon, sich zu verstecken. Endlich
werden die Hähne wach und fangen an, die Quälgeister zu suchen.
15. Krebse. J- (kajak daleit]).
Bei dem Krebsspiel nehmen die Spielenden eine hockende Stellung ein, und zwar sitzen
sie alle hintereinander in einer langen Reihe. Es kommt dann ein Junge daher, fängt einen
Krebs nach dem andern weg und legt sie in den Sand nebenan. Natürlich suchen sie von
da wieder fortzukommen, und der Fänger hat Mühe genug, alle zusammenzuhalten und die
übrigen aus der Reihe herbeizuschaffen. Wenn er alle beisammen hat, tötet er sie mit einem
leichten Schlag auf den Kopf, läßt sie liegen und geht fort; dann beginnt das Spiel von neuem.
16. Bienen. J-Mm-P-Z-Mn-Za.
Die kleinen Kinder setzen sich zusammen an den Boden, sie sind die jungen Bienen;
die großen Kinder stellen sich in einem Kreis um die Kleinen herum und machen die alten
Tiere, die immer wieder folgenden Text langsam und getragen wiederholen, während die
Jungen leise summen. Nun kommt ein Mann und schlägt mit einem Bambusstäbchen an den
Langsam.
J ' ..... ’ 1 I 1 I I .
é ... r „ t * 3 3—J= -3 J 4
Ma - nam ugna - i ugnai - ka ruo.
Bienenstock. Die alten Bienen werden aufgeregt und stechen (zwicken mit den Nägeln) den
Mann, der aber fortwährend seine Angriffe erneuert, bis er alle jungen Bienen gestochen hat.
Da aber fallen die alten Bienen den bösen Mann zusammen an und zerstechen ihn derart,
daß er die Flucht ergreift. Die Bienenmütter sammeln darauf ihre Jungen wieder in aller Muse.
17. Ameisen. T-J-M-Mn-Za-Mi.
Ein Kind streckt die rechte Hand aus, die Palma nach unten gekehrt; ein zweites faßt
auf der Oberfläche der Hand die Haut ganz spitz mit den Nägeln des Daumens und des Zeige-
fingers von der Rechten. So machen es alle Kinder mit der rechten Hand, und wenn das
letzte seine Hand aufgesetzt hat, beginnt der erste Junge mit der linken und so fort, bis alle
fertig sind.
Dann beginnt der Zweite in der ganzen Reihe den untersten zu schimpfen und zwickt
ihn zugleich in empfindlicher Weise mit den Fingernägeln. Er zieht es daher vor, sich zu
verziehen und indem er sagt „der X. schimpft mich; ich muß gehen,“ setzt er sich ganz oben
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
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an. In besagter Weise verzieht sich dann einer nach dem anderen, bis die Ameisenreihe eine
solche Höhe erreicht hat, daß sie nicht mehr oben ansetzen können; der Moment, in dem ein
neues Spiel begonnen wird.
D. JAGD-SPIELE.
An die Tier-Spiele gliedert sich eine Gruppe von Spielen an, die insofern mit jenen zu-
sammengestellt werden könnte, als sie dieselben Objekte mit ihnen haben. Es kommt aber
bei ihnen ein ganz neues Moment hinzu: die Jagd. So führe ich diese Spiele unter der Marke
„Jagdspiele“ auf.
Ihretwegen viele Worte zu verlieren, wäre unnütz; alles, was bei der soeben verlassenen
Gruppe gesagt wurde, gilt mehr oder weniger auch von diesen. Ja, der erste dort angeführte
Grund gilt in vollem Maße von diesen.
Mancherorts sind diese Jagdspiele nur Nachahmung der Jagd; So fast alle diesbezüg-
lichen Spiele in Mibdt auf den Bergen im Hinterlande von Alexishafen. Bei den meisten
Stämmen kommen noch andere Momente hinzu, überall aber bleiben es reine Spiele und sind
wohl ein Ausfluß der großen Bedeutung der Jagd für den Eingeborenen; sie haben aber nicht
den Zweck, die junge Generation zum Jagdhandwerke vorzubereiten und tauglich zu machen,
wie dies wohl bei den Kriegsspielen der Fall ist.
Auch diese Spiele liefern wieder Beweismaterial für den Satz, daß die Eingeborenen
scharfe Beobachter der Natur sind, daß sie die Tiere bis ins Kleinste hinein beobachten und
belauschen, ihre ganze Lebensweise und ihr Verhalten erforschen und genau ihrem Gedächt-
nisse einprägen. Das geht so weit, daß sie eine ganz exakte Beschreibung der Tiere zu
geben imstande sind, ja über anatomische Kenntnisse verfügen, daß man sich des Staunens
nicht erwehren kann. Bei den unbedeutendsten Tieren geben die Kinder meist mit unfehl-
barer Sicherheit an, wo jedes der inneren Organe seinen Sitz hat.
1. Bauen von Fallen zum Fangen von Vögeln und anderen Tieren. U.
Dieses Spiel beschäftigt besonders die Kinderwelt in der Gegend des Dalimannhafens,
auf den Inseln sowohl als auf dem Festlande. Gerade hier ist es aber auch, wo die Verwen-
dung von Fallen bei der Jagd so recht im Schwung ist, und die Fallen, mit deren Bau sich
die Kinder beschäftigen, sind nichts anderes als Miniaturen jener Jadvorrichtungen. Man braucht
also nur die Spiele der Kinderwelt kennen zu lernen, und man hat ein getreues Bild im Kleinen
von den Beschäftigungen und Jagdgewohnheiten dieser Völker. Jedenfalls wird das allgemeine
Bild ein recht getreues und auch über Einzelheiten, Eigentümlichkeiten bei einzelnen Stämmen
sich zu orientieren, bieten diese Beschäftigungen der Kinderwelt Mittel und Wege, wie im vor-
liegenden Falle offen zutage liegt.
Das gilt in hervorragendem Maße gerade von dieser Art der Spiele; sie spiegeln die Ge-
wohnheiten und Sitten des Papua bei der Jagd so getreu wieder, daß man aus ihnen tatsäch-
lich ein ebenso wahres und getreues Bild erlangt als aus einer ausführlichen Beschreibung
der Sitten- und Jagdgebräuche.
Es kommen hier besonders zwei Fallen in Betracht; eine zum Fangen von Vögeln, be-
sonders Buschhühnern; die andere ist eine Schweinsfalle. Bei der ersten wird das Tier in
einer Schlinge gefangen; die andere hat als Fangvorrichtung eine Falltüre.
2. Schweinsjagd. U.
Die erwähnte Falle wird im Spiele nicht verwertet; das Spiel beschränkt sich dort auf das
Bauen der Falle,
Ein ähnliches Spiel jedoch ist mir von Mi bekannt geworden; die Jungen graben eine
Wolfsgrube und bedecken sie mit Zweigen. Dann legen sie sich in den Hinterhalt, bis ein
Schwein des Weges kommt. Gerät es in die Falle hinein, springen sie schnell herbei, „töten“
das „Tier“ durch einen Schlag oder Schuß und ziehen es heraus. Dann hauen sie einen Trage-
stock, legen ihn dem auf dem Rücken liegenden Tier zwischen die Beine auf den Bauch und
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P. JOSEF REIBER
binden darauf die Beine mit Lianen aneinander. Dann nehmen sie unter Freudengeschrei die
Beute auf die Schulter, nachdem sie noch zuvor sowohl das Tier als sich selber mit Blumen
und Kränzen geschmückt, und ziehen singend und jauchzend der Heimat zu.
„Lebende Fallen“, zum Schweinsfangen verwendet, wurden mir von Mn und Mi bekannt.
In Mn spielen die kleinen Kinder die Schweine; die größeren lehnen sich an einen Baum oder
sonstigen Gegenstand an, sich mit den Händen dagegen stemmend. Kommt nun so ein Tier-
chen dahergewackelt und geht es zufällig unter der Falle her, funktioniert sie mit tötlicher
Sicherheit: das arme Tierchen liegt am Boden festgeklemmt.
In Mi wird die Falle auf folgende Weise gebildet; Zwei Kinder halten sich, mit dem An-
gesichte einander zugekehrt, an den Händen fest. Die daherkommenden Tiere gehen ahnungslos
in die Falle hinein; einige kommen auch ungeschoren durch. Plötzlich aber schließt sich die Falle
und klemmt ein Schwein fest; auf sein mörderisches Geschrei laufen alle andern davon. Das
gefangene aber wird in der gewohnten Weise und mit gewohntem Jubel nach Hause befördert.
Sonst ist mir kein Spiel bekannt, in dem Fallen oder Gruben gemacht wurden, sondern
meist wird offene Jagd gemacht auf dieses edle Wild. In Scharen ziehen die Knaben mit
ihren „Hunden“ in den Busch und machen mit viel Eifer, gutem Humor und starker Kehle
Jagd auf die Schweine; überall aber wird die teure Jagdbeute unter denselben Ehren- und
Freudenbezeugungen nach Hause getragen,
3. Känguru. Mi- (kain mä-sün = Känguru spielen).
Ein Mann geht auf die Jagd; er hat auch seinen Hund bei sich. Da sieht er ein Kän-
guru, schnell fällt der Hund es an; das Tier flüchtet sich auf einen Baum. Der Mann schießt
nach ihm, fehlt aber. So springt es wieder vom Baume herab, läuft zum nahen Bach, springt
hinein und taucht unter; der Hund ihm nach, kann ihm aber nichts anhaben, da das Känguru
untertaucht und lange unten bleibt.
4. Baumbär. (damai mä-sün = Baumbär spielen.)
Ein Baumbär sitzt auf einem ganz hohen Baume; da gewahrt ihn ein Mann; er holt eine
lange Schnur, befestigt sie an einem Aste und schüttelt. Das Tier hüpft von Ast zu Ast.
Aber der Mann richtet weiter nichts aus. Da klettert er auf den Baum; der Baumbär aber
hüpft auf den nebenstehenden. Nun fängt der Mann an, laut zu pfeifen; auf seinen Ruf kommen
ihm viele Männer zu Hilfe, und mit vereinten Kräften ist der weiße Baumbär bald erlegt. Auch
er wird nun in der schon beschriebenen Weise an eine Stange gebunden und nach Hause
getragen. Dort wird das Tier sofort auf einen Haufen Holz gelegt und am „kalten Feuer“
gebraten, mit dem Messer (der Hand) zerlegt und fröhlich verspeist.
Dieser letzte Zug, daß das Tier sofort zum Genüsse zubereitet wird, ist recht charakteristisch.
5. Krokodil. Mi (vakai [mä-sün]).
Ein Krokodil kriecht in den Busch und legt sich schlafen. Ein des Weges kommendes
Schwein wird nicht aufmerksam auf das gefährliche Tier. Das Krokodil aber erwacht durch
das Geräusch, ergreift das Schwein und kriecht mit ihm an die See, um es dort zu verspeisen.
Unterdessen kommt der Eigentümer des Schweines mit seinem Hunde. Das Ungetüm sucht
nun auch den Hund zu erfassen, was ihm auch bald gelingt. Sein Geheul ist groß, und es
kommen eine Menge Männer daher aus dem Dorfe. Da zieht das Krokodil es vor, sich mit
seiner Beute in sein Loch zu verkriechen.
Die Männer holen nun Bambusrohre, füllen diese mit Wasser und lassen es in das Loch
laufen, worauf das Tier wieder zum Vorscheine kommt. Alles greift nun zu den Bogen und
nachdem mancher Pfeil auf undurchdringliche Stellen getroffen, tötet ein Schuß in den Nacken
endlich das gefährliche Tier.
6. Schildkröte. J-Z-M-Mn-Za.
Die Schildkröte, ein größerer Junge, kommt aus dem Wasser und legt ihre Eier in den
Strandsand. Dann setzt sie sich darauf. So wird sie von den Männern überrascht und
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
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gefangen; nach Hause getragen wird sie gleich zerlegt. Um dies recht anschaulich zu machen,
bestreuen sie den .Jungen mit Sand, in welchen sie dann mit der Hand Furchen ziehen.
7. Leguan. Mi- (birio mä-sün).
Ein Jäger geht mit seinem Hunde hinaus; der Hund stöbert bald einen Leguan auf, der
gerade daran ist, eine Maus zu verzehren. Beim Herannahen des Mannes verkriecht er sich
in sein Loch. Der Mann geht ein Stück weiter; der Hund aber bleibt vor dem Loche sitzen,
bis der Leguan wieder herauskommt. Während der Hund ihn zu erfassen sucht, kommt der
Herr zurück und schießt den Leguan tot.
8. Krebs. Mi- (gaim bipi = Krebs schießen).
Auch hier haben wir wieder ein reines Jagdspiel; die Kinder spielen im Sande. Da sehen
sie Krebse und wollen sie ganz naiver Weise mit den Fingern fangen. Wie sie jedoch merken,
daß die Krebse fest zwicken können, holen sie Bogen und Pfeile und schießen die Tiere.
9. Der Vogel in der Bananenpflanzung. T-Mn-Za-Mi.
Dieses Spiel zerfällt in zwei Teile; zuerst wird die Pflanzung gemacht; die Kinder, große
und kleine, werden in gleichen Abständen und schönen Reihen aufgestellt. Die kleinen Kinder
sind die jungen Bananen, die großen machen die tragenden Bäume. Als Frucht haben sie
Sand auf den vor der Brust verschränkten Armen.
Der zweite Teil des Spieles setzt damit ein, daß Vögel in die Pflanzung kommen und die
Bananen anpicken. Es erscheint zwar jedesmal auch ein Mann aus seinem Verstecke heraus
und schießt nach den Vögeln. Doch rauben sie ihm nach und nach alle Bananen, und der
Mann haut die Bäume um und wirft sie an den Boden, zornig dabei ausrufend: „Der Vater
möge sie essen“.
Anläßlich dieses Spieles möchte ich darauf hinweisen, daß manche von den Jagdspielen
auch in scheinbar ganz nebensächlichen Einzelheiten wirklichen Verhältnissen entsprechen.
Ich hatte eigentlich vor, die Bemerkung bei einem der folgenden Spiele zu machen, wo mir
Tatsachen vorliegen, aber sie ist hier so gut wie dort am Platze. Denn daß der Mann im
Spiele nichts gegen die Vögel auszurichten vermag, ist ganz gewiß kein zufälliger Zug, son-
dern der Ausdruck der tatsächlichen Verhältnisse in jener Gegend. Es veranschaulichen uns
also manche von diesen Spielen auch den steten, manchmal sogar erfolglosen Kampf der Ein-
geborenen gegen einzelne Tiere.
10. Krontaube. Mi- (beriu).
Wollen die Kinder Krontaube spielen, so klettert ein Junge, der die Taube macht, auf
einen Baum und macht sich dort ein Nest zurecht, legt einige Steine oder auch Früchte hinein
und setzt sich auf dasselbe. Ein Mann geht mit seinem Bogen bewaffnet auf die Jagd; dabei
kommt er auch an dem Baum vorbei und schießt auf die Taube, trifft aber nicht. Erschreckt
fliegt das Tier davon. Nun begnügt sich der Mann halt mit den Eiern; er klettert auf den
Baum und holt sie herunter.
11. Kakadu. Mn-Za.
Bei diesem Spiele stellt sich ein Knabe auf einem freien Platze auf; er ist ein Kokosbaum.
Bald fliegt ein Kakadu daher und sucht nach Nüssen auf dem Baume. Da er gute vorfindet,
ruft er durch sein Geschrei eine ganze Schar seiner Genossen herbei, und alle erproben die
Nüsse. Es kommt wohl ein Mann und schießt auf die Vögel; aber umsonst ist alle seine
Mühe, Sie kommen immer wieder und zerstören ihm alle seine Nüsse.
Es ist hier eine bekannte Tatsache, daß die Monumboleute von dem nicht unbeträchtlichen
Bestände von Kokosbäumen wegen der genannten Vögel so viel wie nichts hatten. Erst
als Weiße in der dortigen Gegend sich niederließen, fing für die Monumboleute wieder
eine bessere Zeit an; diese nämlich dezimierten mit ihren Feuerwaffen die Vögel bedeutend
und trieben sie in den Busch zurück. Das Spiel nimmt ohne Zweifel auf diese Vogelplage
Rücksicht.
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P. JOSEF REIBER
12. Der gelehrige Kakadu. Mi- (makak).
Ein Mann geht durch seine Kokospflanzung; da erblickt er auf einem Baume einen Kakadu
Nüsse zerstörend. Schnell ergreift er seinen Bogen und schießt nach dem Übeltäter, trifft ihn
aber nicht. Dafür fängt er aber das Kind des Bösewichtes. Doch hat er Erbarmen mit ihm,
nimmt es nach Hause und füttert es mit Nüssen. Aber es fliegt dem Manne davon. Dieser
fängt es des öfteren wieder ein, bis es zuletzt ganz zahm ist.
Dann beginnt der Mann seinem lieben Tierchen verschiedene Kunststückchen beizubringen,
und der Kakadu zeigt sich sehr gelehrig. Bald versteht er es vortrefflich, auf Befehl auf den
Baum zu fliegen und seinem Herrn eine Nuß zu holen und zum Trinken bereit zu machen.
Sogar sprechen lernt er in kurzer Zeit.
13. Der Nashornvogel Za.
Der Nashornvogel, ein großer Junge, macht auf dem Boden ein Nest von Ästen und
Zweigen, in dessen Mitte er sich niederläßt; eine Anzahl kleinerer Kinder nehmen um ihn
herum als Junge Platz.
Ein Mann, der auf Jagd geht, will die Jungen fangen; die Mutter verteidigt sie nach
Kräften und beißt den Jäger so viel sie kann. Aber zuletzt stiehlt er ihr doch alle Jungen
weg, und sie läuft, weinend — (= schreiend) hier schreit, pfeift, ruft der Vogel nicht, sondern
weint — davon.
14. Buschhuhn. Mi- (makeyo).
Ein Buschhuhn bereitet sich ein Nest aus Zweigen und Blättern, auf das es seine Eier
legt. Der Hund eines daherkommenden Jägers fällt das Huhn an und will seine Eier fressen.
Der Jäger will das nicht, sondern schlägt den Hund und leidet nicht, daß er dem Huhn etwas
zu leide tut; ja er macht sich sogar daran, das Nest auszubessern und einige Hölzer zurecht
zu legen.
Unterdessen sind die Eier ausgebrütet und die Küchlein picken sie durch und kommen
heraus. Sie bleiben aber auf dem Nest, bis sie groß sind; dann gehen sie mit der Mutter
heraus. Wie die Jungen nun groß sind und sich selber helfen können, schießt der Mann die
Mutter tot und ißt sie mit den alten Männern seines Platzes. — Junge Leute dürfen nicht
davon essen, weil sie sonst kein Glück mehr hätten in ihren Taropflanzungen.
15. Fisch. Mi- (aur mä-sün).
In einem Flusse lebt ein ganz großer Fisch, den der stärkste Junge darstellt; alle übrigen
Spieler sind kleine Fische, auf welche der große Jagd macht.
Da kommt ein Mann vorbei und sieht den kolossalen Fisch. Er holt sich ein Holz zum
Schwimmen und sucht ihn zu fangen. Der Fisch taucht nach unten; der Mann ihm nach.
Aber während der Mann immer noch unten sucht, ist der Fisch schon längst wieder oben.
Der Mann kommt endlich auch wieder herauf, sieht den Fisch aber nicht mehr und schwimmt
ans Ufer.
Da sieht er ihn dann wieder; ein eiliger Schuß mit dem Bogen geht fehl. Und doch
möchte er den großen Fisch so gerne haben. Er gräbt also eine Vertiefung am Ufer, wirft
kleine Wälle auf und läßt das Wasser vom Flusse hineinlaufen.
Dann geht er in den nahen Busch und holt Blätter von einem Baume, die er zerreibt
und in das Wasser wirft. Der Fisch kommt, wird vom Gifte betäubt und erhält in diesem
Zustande bald einen Schuß, der ihn tötet. Die herbeigeeilten Männer helfen den Fisch heraus-
ziehen; und nachdem sie ihn an eine Stange gebunden, geht es triumphierend der Heimat zu.
16. Aal. Za-Mi.
Ein Knabe tummelt sich im Wasser; er ist der Aal. Die anderen stehen am Ufer mit
kleinen Pfeilen und zielen nach ihm. Doch treffen sie ihn nicht gut, und der Aal wickelt sich
wie eine Schlange um den Pfeil herum und schwimmt mit ihm davon. Da fliegt noch ein
Pfeil nach ihm und fährt ihm in den Kopf, worauf er bald verendet. Die Jäger holen ihn
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
241
heraus und nachdem sie ihn auf den Sand gelegt haben, kommt ein Reiher angeflogen, erfaßt
ihn und will mit ihm davon. Aber jetzt beginnt die Jagd auf den frechen Räuber, und zuletzt
bringen die kleinen Jäger beide als Beute nach Hause. -
Bevor ich diese Gruppe der Jagdspiele verlasse, sei es mir gestattet, noch eine Bemerkung
anzufügen. Den meisten der geneigten Leser wird es befremdend Vorkommen, daß die Mehr-
zahl der Jagdspiele auf Mibät entfallen und daß so viele von dort ausschließlich bekannt sind.
Eine unzweifelhafte Aufklärung über diese auffällige Tatsache zu geben, sehe ich mich
leider außerstande. Aber auf ein Zweifaches möchte ich doch in Kürze aufmerksam machen.
Mi liegt schon ziemlich von der Küste entfernt (8-10 km) und ist eigentliches Buschgebiet,
das zugleich auch das geschaffene Jagdgebiet ist. Die Natur also drängt schon zu reichlicher
Ausnutzung der Jagdgelegenheiten.
Ferner liegt Mi- auf ziemlich hohen, nach allen Seiten hin steil abfallenden Bergen, die
spärlichen Raum und Grund für Pflanzungen bieten. Auch durch diesen Umstand gewinnt
die Jagd wieder an Bedeutung für diese Stämme. Daß dementsprechend auch die Jagdspiele
häufiger werden, scheint mir eine Bestätigung des ersten in der Einleitung zu den Tierspielen
angeführten Grundes zu sein, wo ich die außergewöhnlich große Anzahl dieser Spiele aus der
Wertschätzung der Tiere und ihrer großen Bedeutung für den Inländer erklärte: Hier wächst die
Bedeutung der Jagdtiere für den Eingeborenen; eine Zunahme der Spiele geht damit Hand in Hand.
Noch einen weiteren Punkt muß ich rücksichtlich der Mi-Spiele kurz streifen. Ich kann
für diese Spiele nicht die gleiche Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen und nicht dieselbe
Garantie bieten als für die übrigen, die zum großen Teile vor meinen Augen aufgeführt wurden.
Ich hatte namentlich für sie einen zu jugendlichen Gewährsmann (10 Jahre), mit dem ich mich
zudem weniger gut verständigen konnte.
E. PFLANZUNGSSPIELE.
Die Pflanzungsspiele sind minder beliebt wie die Tier- und Jagdspiele, zählen aber doch
noch zu den häufigeren und beliebteren Beschäftigungen der Kinderwelt. Auffällig ist auf
den ersten Blick ihre geringe Zahl; wenn man aber in Betracht zieht, daß in der Anlage
einer Pflanzung sämtliche Objekte sich verwertet finden, verliert diese Tatsache alles Auf-
fällige. Zudem sind einige hierher gehörige schon behandelt worden; andere wurden aus
guten Gründen in noch zu behandelnde Gruppen eingereiht.
Besonders zu betonen ist die allgemeine Verbreitung dieser Spiele und die ausnahmslose
Konformität derselben von Berlinhafen bis Mi- (Alexishafen).
Es gibt je nach der Anlage der Pflanzung zwei Arten von Spielen.
1. Gartenmachen, a) U.
Mit dem Fuße oder mit einem Stocke ziehen die Kinder die Umgrenzungen eines Gartens
in den Sand. Dann teilen sie das ganze Gebiet des Gartens in verschiedene Felder ein,
überall wieder Grenzlinien ziehend und pflanzen in entsprechenden Abständen: Taro, Yam,
Kartoffel, Bananen usw., indem sie für jede Pflanze eine kleine Vertiefung in den Sand machen.
2. Gartenmachen, b) P-M-Mn-Za.
Auch hier werden verschiedene Abteilungen gemacht für die verschiedenen Produkte der
Plantagenwirtschaft. Die einzelnen Pflanzen bezeichnen aber hier nicht Vertiefungen im Sand
wie in a), sondern die Kinder selber; und zwar sind die kleineren Kinder Kartoffel, Yam und
Taro und kauern am Boden, während die großen Bananenstauden darstellen und aufrecht
stehen. Als Frucht sitzt ein kleines Kind auf ihren Schultern.
Da kommt ein Mann in die Pflanzung; er tut, als ob er eine große Wunde hätte — er
hinkt nämlich — und stiehlt die Bananen weg. Die Besitzer der Gärten merken das bald und
einer klagt nun den anderen des Diebstahles an, worüber ein großer Streit entsteht, an dem
sich außer den Eigentümern des Gartens auch sämtliche Pflanzen beteiligen.
242
P. JOSEF REIBER
3. Betelpflanzen, a) M- (Prögo sabd).
Zu diesem Zwecke wird eine Stange im Küstensand aufgerichtet. Ein Junge klettert
hinauf und bleibt oben als reife Frucht. Unterdessen kommt einer von den Spielern, die
einige Schritte davon im Sande liegen, zufällig an den Platz und sieht die Betelnuß.
Eiligst rennt er zurück und meldet den andern: Da ist eine reife Betelnuß. Wie be-
zaubert springt alles auf, eilt dahin, und im Handumdrehen ist einer oben, den Schatz zu
holen. Aber beim Abbrechen der Nuß hat er Unglück und stürzt samt ihr herunter. Die
unten Stehenden nehmen den Abgestürzten und legen ihn nebenan in den Sand; dann aber
ergreifen sie die Nuß und schaukeln sie auf ihren Händen.
4. Zu Ehren der Betelnuß führen die Wurik-Kmdev noch ein zweites Spiel auf. Sie bilden
zwei Gruppen, von denen die eine ausgeht, Betelnüsse zu pflanzen; sie vollbringen dieses
Werk hüpfend und dabei singend. Wenn die erste Gruppe vom Pflanzen heimkehrt, rückt
die zweite aus, ebenfalls hüpfend und fröhlich singend; zurückkommend meldet sie, daß der
Betelbaum schon wächst. Die andere Gruppe hält nun wieder Nachschau in der erwähnten
Weise und bringt die fröhliche Nachricht, daß der Baum schon so und so hoch ist. So
bringen die beiden Gruppen abwechselnd die besten Nachrichten über den jungen Betelbaum,
bis endlich eine von beiden meldet, daß sich schon Früchte zeigen. Der darüber entstandene
Jubel steigert sich zum Übermaß, wenn zuletzt die Nachricht eintrifft, daß die Nüsse reif sind.
Nun ziehen beide zusammen aus, die Früchte zu holen. Mit unbeschreiblichem Jubel nehmen
sie die gepflückten auf und tragen sie singend und springend umher.
Von Zeit zu Zeit aber lassen sie die Zweige mit den Nüssen wieder auf den Boden fallen
und streifen die Ameisen, die auch wohl die Betelnüsse lieben, von ihren Händen. Nachdem
sie so die bissigen Tiere von ihren Händen entfernt haben, nehmen sie die Betelnüsse wieder
auf und singen und springen in der alten Weise weiter.
F. REIGEN-SPIELE.
Der Reigenspiele kennen die Kinder von Neuguinea nicht gar viele, aber sie sind sehr
beliebt und gehören zu den am meisten g^pielten. Fast alle sind Singspiele, haben Texte mit
einfachen, aber manchmal sehr ansprechenden Melodien oder im Rezitativton. Der Sinn dieser
Texte ist den Eingebornen vollständig unbekannt, und es kann uns dies auch gar nicht be-
fremden; gibt es doch Texte und zwar die Mehrzahl, die auch nicht ein Wort aufweisen, das
heutzutage noch in der Umgangsprache lebte.
Es hat hiermit wohl dieselbe Bewandtnis wie mit den Singspielen der Erwachsenen, und
man könnte zur Erklärung dieser Erscheinung auf ein zweifaches rekurrieren. An erster Stelle
ist in Betracht zu ziehen die Möglichkeit, daß diese Völkerstämme die Spiele von anderen, deren
Sprache sie nicht verstanden übernommen haben. Dieser Erklärungsgrund ist an und für sich um
so weniger in Abrede zu stellen, als sich Ähnliches immer wieder vor unseren Augen vollzieht.
Zum Beweise führe ich hier einen Fall an, den P. Vormann im „Steyler Missionsboten“
Nr. 6 1907 berichtet. Es heißt daselbst: „Heute abend führten einige Monumbojungen, die bei
uns in Dienst sind, mehrere einander ähnliche Tänze auf. In der nahen Pflanzung der Neu-
guinea-Kompagnie hierselbst arbeiten Leute aus dem Hüongolf. Diese gehen nach getaner
Arbeit häufig in die Dörfer und produzieren ihre ziemlich lebhaften Tänze, die den Monumbo-
leuten außerordentlich gefallen. Die Jungen haben diese Tänze, die dazu gehörigen Worte
und Taktschläge schnell aufgefaßt und führen sie nun ebenso geschickt aus wie ihre Lehr-
meister. Sie verstehen nicht den Sinn und die Bedeutung weder der Worte noch der zahl-
reichen Bewegungen, sondern geben sie nur ganz mechanisch wieder. Um so mehr ist die
Sicherheit zu bewundern, mit der sie Vorgehen.“
Obwohl solcher Fälle Legion ist, glaube ich doch nicht, daß der Erklärungsgrund hier
zutrifft. Denn wenn diese Spiele auswärtigen Ursprungs sind, woher rührt denn die fast aus-
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
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schließliche Konformität der Spiele überhaupt? Haben denn die zahlreichen, weit verbreiteten
Stämme ihre Spiele alle von demselben Stamme übernommen? Und wo existiert dieser eine
Stamm; treffen wir vielleicht irgendwie auf Spuren von ihm?
Wollte man dieser Ansicht huldigen, so müßte man meines Erachtens schon auf eine Zeit
zurückgehen, wo die melanesischen und papuanischen, dieselben Spiele aufweisenden Stämme,
noch sozusagen in núcleo, in einem Zentrum beisammen waren. In diesem Falle müßten
dann die Texte aber auch naturnotwendig mehr übereinstimmen, was tatsächlich nur bei zweien
der Fall ist. Man wende auch nicht ein, diese Verschiedenheiten seien späteren Datums. Für
eine derartige Ansicht liegt kein Grund vor, wenigstens soweit sich die Sache gegenwärtig
überblicken läßt. Sogar in Dörfern ein und desselben Stammes, die auch nicht eine Viertel-
stunde auseinander liegen, finden wir kleinere Nuancen in den Texten, die mit eiserner Zähig-
keit festgehalten werden. Das Gesagte gilt auch für die Spiele selber; in den Dörfern eines
Stammes, ja in nur ein paar Wurfweiten auseinander liegenden fand ich verschiedene Spiele.
Anzeichen für einen Ausgleich aber finden wir durchaus nicht; es folgt also daraus, daß Ver-
änderungen ohne Zweifel etwas Seltenes sind, und das ist bei dem ausgeprägten Konservatis-
mus dieser Volksstämme, besonders in solchen Dingen, auch ganz selbstverständlich.
Muß man aber zeitlich nun einmal so weit zurückgreifen, auf ein Volk, von dessen Existenz
wir keine Spur entdecken und stößt man trotzdem noch auf Schwierigkeiten, so verdient eine
Meinung, die nicht mehr Voraussetzungen macht und die Schwierigkeiten zudem meidet,
zweifelsohne den Vorzug.
Sie geht dahin, daß diese Texte nicht fremden, auswärtigen Ursprungs sind, sondern ein-
fach aus einer Zeit datieren, seit der sich die Sprache der betreffenden Stämme solche
Wandelungen durchgemacht hat, daß die Texte jetzt absolut nicht mehr verstanden werden.
Faßt man die ungewöhnlich hohe Entwicklungsfähigkeit der melanesischen und Papuasprachen
ins Auge, so gewinnt diese Ansicht sehr viel an Wahrscheinlichkeit. Doch nun zu den
Spielen selber.
1. Unter dem Arm Hergehen. T-(mein takók).
Sämtliche Spieler bilden eine lange gerade Reihe, sich gegenseitig an den Händen fassend.
Der linke Flügelmann der Reihe wendet sich nun dem rechten zu, der seinen linken Arm aus-
streckt. Die ganze Reihe der Spieler geht nun unter dem Arm des rechten Flügelmanns her,
dabei einmal seinen vollen Namen nennend und dann die letzte Silbe des Namens so lange
wiederholend, bis alle unter ihm hergegangen sind und ihre frühere Stellung wieder einnehmen.
Dasselbe geschieht nun bei dem Nachbar des rechten Flügelmannes und allen folgenden bis
zum linken Flügelmann. Das ist dann der Zeitpunkt, wo der Reigen sich bildet; und während
er sich langsam und bedächtig dreht, singt einer der Spielenden auf einem Tone folgenden
Text: mein takók atún bäte, mein lapáp atún bütá, tsi-reré ot ót, tsi-reré ot ót. Ist er mit
seiner Rezitation zu Ende gekommen, so fallen alle übrigen ein und wiederholen ohne Ende tsi
rere ot ót, tsi rere ot ót, dabei im Takte springend und stampfend, daß der Boden erzittert.
Werden durch die kolossale Schwungkraft einige Teile losgerissen, so bilden diese oft
einen eigenen Reigen, der dann in gewohnter Weise weitergeht.
2. Fisch-Schießen. Mn-Za.
In einem Kreise, den die Mehrzahl der Jungen bilden, befinden sich mehrere Fische. Da
kommt von der Ferne ein kleines Fischerkanoe. Drei bis vier Knaben, die hintereinander
in kleinen Abständen hergehen, stellen dieses Fahrzeug dar. Zwei von ihnen sind mit Speeren
aus Kokosblattrippen bewaffnet; der andere ahmt die Bewegungen eines Ruderers nach, die
er nach dem Takte des folgenden Liedes ausführt:
mei - so mei - so na - vo gi - gi - la na - vo tan - é tan. 0 mei - so mei - so.
Baessler-Archiv I. 6.
32
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P. JOSEF REIBER
Ist das Kanoe dann in die Nähe des Kreises gekommen, so wird .eifrig Jagd gemacht auf die
Fische im Kreise, die hin und her hüpfen. Wird einer getroffen, so gewähren die Kreisbildner
dem Schützen Einlaß; dieser holt den getroffenen Fisch heraus und legt ihn nebenan in den
Sand; mit dem Erlegen des letzten Fisches ist das Spiel beendet. Zum Vergleich mit dem
Monumbo-Texte führe ■ ich noch den vom nahen Zepa an; er lautet daselbst: meilo, meilo,
navo didimö, nävo tari tari, meilo meilo. Hier scheint wohl einer der Fälle vorzuliegen, wo
ein Stamm den Text vom anderen entlehnte. Und zwar glaube ich, daß Zepa den Text von
Monumbo überkommen; denn Zepa kennt außer diesem nicht ein einziges Kinderspiel, das zu-
gleich Singspiel wäre; während im nahen Monumbo eine nette Anzahl von Singspielen sich finden.
3. Raubvogel. J-Mm-P-M.
Inmitten eines großen Kreises steht ein Junge; ein anderer hat sich außerhalb des Kreises
postiert; in seiner Rechten hält er einen Stock, mit dem er nun den im Kreise Befindlichen auf
den Kopf zu schlagen sucht von außen her oder auch von innen, falls es ihm gelingt, in den
Kreis hineinzudringen.
Sobald der Stock den Kopf des Knaben berührt hat, sinkt er tot zu Boden; der Fänger
kniet sich nun zu ihm auf den Boden und stellt dieselben, wenig ästhetischen Fragen an ihn,
die ich schon in C (I, 4) referiert habe, wie überhaupt der ganze Verlauf des Spieles derselbe
ist wie dort.
4. Kiran. M-(Schnur[machen]).
Kiran ist ein Reigenspiel, in dem das Bereiten, die Herstellung einer Schnur nachgeahmt
wird, die zum Flechten von Tragkörben und Schlafsäcken verwandt wird. Die den Reigen bil-
denden Knaben verengen auf ein gegebenes Zeichen den Kreis so weit, daß sie alle dicht auf-
einander stehen.
In dieser Stellung wird das Gras geklopft, bis das Fleisch vom Baste gelöst ist; das
Stampfen mit dem rechten Fuße, das sich im Takte des begleitenden Gesanges vollzieht, soll dies
andeuten.
Ist dies Werk vollzogen, so entfaltet sich der Reigen wieder aus dem dichten Knäuel und
fängt an, bald nach rechts, bald nach links sich zu bewegen; das freudige Hahaha, das un-
aufhörlich dabei in halb lachender Weise wiederholt wird, scheint der Freude über das ge-
lungene Werk Ausdruck zu geben,
5. Hahnenkampf Mi = hapmai (mä-sün).
Ein großer starker Hahn steht in der Mitte des Kreises und fordert einen kleineren, der
einige hundert Schritte entfernt steht zum Kampfe heraus durch den gewohnten Ruf „kakeike-
raüo“. Der andere antwortet ihm mit demselben Rufe, springt aber auch zugleich zum Kampfe
gerüstet heran. Unterdessen hat der im Kreise befindliche auch seine „Frauen“ herbeigerufen,
wohl in der frohen Hoffnung, daß ihm der Sieg lächeln werde; er tat das durch den gewöhn-
lichen Lockruf und zwar mit einer Natürlichkeit, daß man wirklich einen Hahn zu hören glaubt,
seinen Augen zum Trotz. Nun ist der fremde Hahn siegesbewußt in den Kreis eingedrungen
und der Kampf beginnt; er wird hauptsächlich mit den Füßen ausgeführt; und zwar mit der
den kämpfenden Hähnen eigenen Zähigkeit und Ausdauer; erst wenn Blut kommt, gilt für ge-
wöhnlich der Streit als beendet. In diesem Spiele muß der Eindringling weichen.
G. HÜPF- UND SPRINGSPIELE.
Diese Gruppe von Spielen enthält auch meist Singspiele; auffälligerweise entfallen sie alle mit
Ausnahme von zweien, die auch in Zepa gespielt wurden, auf die beiden Stämme; Murik, Monumbo.
1. Waschen. Mn (Diö diö mandö).
Zwei Knaben stellen sich auf, den Rücken einander zugekehrt; dann fassen sie sich an den
Händen und verschlingen dieselben. Ein dritter Knabe stellt sich nun auf die so verschlun-
genen Hände und die zwei fangen an, leicht mit ihm zu hüpfen. Er stellt sich unterdessen,
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
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als ob er sich wüsche, indem er fortwährend mit der hohlen Hand Wasser schöpft und über
sich ausgießt von den Schultern herab, auf den Takt des beigefügten Liedes.
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lä kä lä kä lä kä tsa - ro ba - lo - la ba - lo - la isä ba - lo - la.
2. Kokosnuß? M-Mn.
Die Spielenden stehen in einer Gruppe beisammen; dicht daneben stehen zwei gesondert;
sie legen die Hände (rechte Hand) ineinander und beginnen sich im Kreise herumzudrehen,
oder besser herumzuschnellen, wobei der eine hüpft, der andere läuft.
Die in der Gruppe zusammen Stehenden geben zu dem Hüpfen den Takt in diesem Liede
an: — Sind sie eine Zeitlang im Kreise herumgehüpft, gliedern sie sich wieder der Gruppe an;
zu gleicher Zeit sondern sich zwei neue ab und beginnen denselben Tanz.
3. Aruntse. M-Mn-Za.
Die Spieler machen eine lange Reihe; sie stellen sich dabei hintereinander auf und legen
die Hände flach auf die Schultern des Vordermannes. Am Kopfe der ganzen Reihe nehmen
zwei Jungen Stellung, die sich mit dem Antlitze zugekehrt sind und die verschlungenen Hände
in die Höhe halten. Die Reihe der Spieler setzt sich nun in Bewegung und geht unter der
Brücke durch. Bis auf den letzten in der Reihe geht das auch ganz glatt ab; vor ihm aber
senken sich die in die Höhe gehobenen Arme, und er wird von der Reihe abgeschnitten. Zu-
gleich verschlingen die zwei nun auch die linken Hände und der Abgeschnittene ist gefangen.
Die Handlung des Abschneidens und Gefangennehmens begleiten die Worte „äruntse arämbosino“.
Hier hebt der zweite Teil des Spieles an. Ist der Gefangene ein kleiner und leichter
Junge, so erfassen ihn die zwei an Händen und Füßen und hüpfen mit ihm einige Schritte nach
rechts, dann wieder einige nach links. Halten sie dagegen einen Großen zwischen ihren Hän-
den, so begnügen sie sich, ihn also festzuhalten, und er muß dann selber die Hüpftur mit-
Beim Hüpfen wird der übrige Teil des nebenstehenden Liedes gesungen.
# -~b ^ T=4—4—4 HK —\ —Nr | —i——p-# s — \—F |=jvrT=jv^
fETfl 0 0 ^ J j 0 -=*—* * 0- ±J £ * • - d L-# J J—«- N ^
ka-mon-ge-ro tsi-ri-ro ka-mon-ge-ra-an-ren-ko-ren-ko ka-mon-ge-ro tsi-ri-ro ka-mon-gs-ra-
Zum Zweck des Vergleichs folgt auch der Text desselben Spieles bei den Monumbo; der
oben angeführte ist von den Munk genommen.
4. Schlangenweg-Hüpfen. M (märaro zimbö).
Von den in einer Gruppe beisammen stehenden Kindern sondert sich eines ab und furcht
mit dem Fuße eine Serpentine (Schlangenweg) mit geringen Kurven in den Sand; alle übrigen
hüpfen ihn nach, einen kleinen Text singend.
5. Feuer-Springen. Mn-Za.
An einem schönen, ebenen Platze wird ein großes Feuer gemacht; auf der einen Seite
desselben stellen sich dann die Kinder auf und hüpfen darüber hinweg.
6. Barögo. M.
Es legen sich die Mitspielenden in Abständen von einigen Schritten flach auf den Boden.
Einer bleibt am Anfänge stehen, und wenn alle sich gelegt haben, beginnt er über die so da-
liegenden wegzuspringen. Sobald er den ersten passiert hat, erhebt sich dieser und hebt in
derselben Weise zu springen an und so fort. Ist derjenige, der zuerst zu springen anfing,
auch über den letzten in der Reihe weggesprungen, so legt er sich schnell wieder im entsprechen-
den Abstande vom Letzten auf den Boden und alle folgenden tun ihm nach.
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P. JOSEF REIBER
Inwiefern das Spiel mit den Früchten eines Baumes zusammenhängt, die baroge heißen
und von denen es offenbar auch seinen Namen herleitet, konnte ich nicht ermitteln.
Dasselbe gilt von dem unter 2 behandelten Spiele dieser Gruppe.
7. Seren, seren ma gögäre (Seren-Seren-Spielen). M.
Die Spieler stehen in zwei Reihen, die zirka zwei Meter Abstand haben, einander gegen-
über. Ist alles geordnet, so ducken sich jeder Erste der beiden Reihen und nehmen eine hockende
Stellung ein. In dieser Stellung verschlingen sie beide Hände und beginnen auf den Takt
des nachfolgenden Gesanges einige Male nach rechts, dann ebenso viele Male nach links zu
hüpfen, dabei abwechselnd die (linken und) verschlungenen Rechten und Linken hochhaltend.
Darauf lassen sie die Hände los und beschreiben in derselben manierlichen und geschickten
Weise hüpfend einen Kreis. Wieder einander zugekehrt, verschlingen sie von neuem die
Hände und hüpfen in der beschriebenen Weise weiter bis an das Ende der beiden Reihen, wo
sie sich erheben und angliedern. Zu derselben Zeit beginnen auf der entgegengesetzten Seite
die zwei folgenden das zierliche Hüpfspiel.
8. Akukukuko. M.
Bei diesem Hüpfspiel stellen sich die Kinder zu Paaren hintereinander auf, sich gegen-
seitig an der Hand fassend. Dann beginnen sie unten stehenden Gesang und in seinem scharfen
Takte hüpfen sie ein Stück vorwärts, dann einige ganz kleine Schritte zurück. So geht es
fort, bis einige vor Müdigkeit den Takt nicht mehr einhalten können und eine Störung ver-
ursachen oder bis sie selbst zu Boden fallen vor momentaner Erschöpfung.
9. Avarirane. M.
Die Mittuenden formen wiederum eine lange Reihe nebeneinander stehend; sie verketten
diese Reihe dadurch, daß sie die Hände auf den Schultern übereinander legen. Dann be-
ginnen sie zu singen, und bei der letzten Silbe des zweiten Wortes im Gesänge (= dano)
löst sich eine Anzahl von der Reihe los, hüpft dabei, den Gesang zu Ende führend einige Male
hin und her vor der Reihe der übrigen Spieler, dreht sich dann um sich selber herum und
reiht sich auf der anderen Seite, wohin sie unterdessen gekommen ist, wieder an. In dem-
selben Augenblicke löst sich eine neue Gruppe ab und wiederholt den Tanz der vorigen.
10. Anä gäsoso. M.
Die Aufstellung bei diesem Spiele ist dieselbe wie beim vorigen; nur die Verkettung der
Reihe ist etwas abweichend. Hier umschlingen nämlich nur die Jungen mit den Zahlen 2, 5,
8 usw. ihre beiderseitigen Nachbarn. Die übrigen legen nur eine Hand auf die Schultern des
Nebenmannes; die andere verschlingen sie unter dem Oberschenkel je eines der Knaben mit
den erwähnten Zahlen und heben seinen Fuß in die Höhe. Dann stimmen sie einen Ge-
sang an und hüpfen mit den Einbeinigen eine Strecke weit, kehren um und kommen wieder
zurück, wenn kein Unglück passiert und die Reihe sich auflöst.
H. FANGSPIELE.
1. Sarinari. M.
Die Spieler stehen in zwei Gruppen zwanglos zusammen. Zu Beginn des Spieles tritt
einer aus einer der beiden Gruppen heraus und nähert sich langsam der anderen und berührt
dann einen aus ihr sachte mit der Hand, worauf alles auseinander stiebt. Und es hebt nun
ein Laufen und Hasten an, das schon einer besseren Sache wert wäre. Jeder sucht einen
Teilnehmer der gegnerischen Partei zu berühren; und sobald einer berührt ist, muß dieser
wieder einen fangen. So geht es in stetem Wechsel ohne Pause fort, und nur Ermattung be-
endet für gewöhnlich das Spiel.
2. Gemeinsames Fangen. J-Mm-Mn.
Alle Spieler haben es auf einen von ihnen selbst bestimmten Jungen abgesehen; ist er
eingeholt, so wird ein anderer bestimmt und wiederum von allen gefangen.
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
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3. Tuminnoran. M.
Es werden bei diesem Spiele zwei Parteien gebildet, von denen die eine 4—5 Jungen um-
faßt, während alle übrigen Spieler der anderen Partei zugehören. Von den Kindern der kleinen
Gruppe hält eines ein Stück Holz in der Hand und springt blitzschnell an den in einer geraden
Reihe stehenden Mitspielern vorbei. Diese suchen ihn während zu fangen und festzuhalten.
Gelingt dies einem, so eilen schleunigst alle übrigen herbei und helfen, das Holz entwinden.
Dadurch geht das Holz an diese Partei über und ihre Mitglieder machen nun die Laufturen.
4. Atatatero. M.
Sämtliche Spieler teilen sich in zwei gleiche Hälften und stellen sich in zwei Reihen in
einem großen Abstande auf. Soll das Spiel seinen Anfang nehmen, so bewegen sich die Reihen
aufeinander zu; durch geschicktes Manöverieren sucht nun die eine Partei die andere einzu-
schließen, und es beginnt für gewöhnlich ein ziemlich langwieriger Kampf. Dies Spiel ist ent-
schieden, wenn die eine Gruppe die andere vollständig umringt und den Kreis um sie ge-
schlossen hat. Die eingeschlossene Partei hat das Spiel natürlich verloren.
I. BALLSPIELE.
Die Ballspiele zählen auch zu den überall verbreiteten Spielen und werden gerne gespielt;
sie sind aber nur in geringer Anzahl vorhanden und weisen bei weitem nicht die Mannig-
faltigkeit auf, die wir von unseren Ballspielen gewohnt sind.
Als Bälle verwenden die Kinder aufgeblasene Schweinsblasen, weiche schwammige Früchte
von der Größe einer mittelmäßigen Orange, am meisten aber Bündelchen von Bananenblättern.
Die letzte Art wird folgendermaßen hergestellt. Die Blätter werden in Streifen von
1-2 cm Breite geschnitten und in dünne Lagen kreuzweise übereinander geschichtet. Ist die
entsprechende Anzahl vorhanden, werden sie aufgebogen und mit einer Schnur (Gras) zu-
sammengebunden. Mit diesen Arten von Bällen führen die Kinder folgende Spiele auf.
1. Einfaches Ballfangen. U.
Der Ball wird in die Höhe geworfen; beim Herunterkommen mit der inneren Handfläche
aufgefangen, aber nicht festgehalten, sondern gleich wieder in die Höhe geschnellt. Tritt ein
Fehlschlag ein, so beginnt man von neuem. Die gut aufgefangenen Bälle werden gezählt; wer
am höchsten kommt, ist Sieger.
2. Ballwerfen mit Spießen. J-M-Mi.
Dieses Spiel wird von einer großen Anzahl von Spielern mit nur einem Balle ausgeführt;
der Ball wird von einem beliebigen Teilnehmer wie im vorigen Spiele emporgeworfen. Der-
jenige, in dessen Nähe er niederkommt, muß ihn sofort wieder emporschnellen, ohne ihn
zu fassen.
Hat er nun das Unglück, einen Fehlschlag zu tun oder versäumt er es auch nur, den Ball
sofort wieder in die Höhe zu schlagen, so wird er in demselben Momente, wo der Ball zu Boden
fällt, von einem ganzen Schwarm von Kokosblattpfeilen befallen, denn jeder der Spieler trägt
in seiner Linken ein Bündel von diesen Pfeilen, jeden Spielfehler unnachsichtlich zu sühnen.
3. Ballzuschlagen. Mn-Za.
Die Kinder stehen zu zwei und zwei in kleinen Entfernungen einander gegenüber; eines
wirft den Ball dem Gegner zu; dieser schlägt ihn mit der inneren Handfläche wieder zurück,
ohne ihn aufzufangen. So geht es fort, bis einer von den Beiden einen Fehlschlag tut.
K. WURF- UND SCHLEUDERSPIELE.
Diese so echten und naheliegenden Knabenspiele sind auch in Neuguinea universell.
Außer mit Steinen wird aber hier sehr viel mit Früchten geworfen. Die Treffsicherheit der
Knaben ist sehr bedeutend.
248
P. JOSEF REIBER
1. Schleudern. U.
Die Schleuder ist überall im Gebrauch; ist aber etwas abweichend von der in Europa
gebräuchlichen konstruiert und besteht aus drei Teilen; einem Stocke, einer an ihm befestigten
Schnur, die ihrerseits .wieder eine Pfeilspitze festhält; an sie werden die Früchte gesteckt und
geschleudert.
2. Schirken. U.
L. RATESPIELE.
1. Gegenstandraten. U.
a) Ein Kind nimmt einen kleinen Gegenstand — in M eine Frucht, in Mn eine kleine
Muschel — in die Hand. Durch offene, aber sehr rasche Manipulationen sucht es den
übrigen zu verbergen, in welche Hand es den Gegenstand nimmt. Ist dies vollzogen,
so raten die Mitspielenden der Reihe nach, und wer es trifft, erhält dadurch das Recht,
raten zu lassen.
b) T-J-Mm-P-Z-M-M-Mi-.
Die Kinder bilden einen engen Kreis und legen die hohlen Fäustchen dicht auf-
einander, übereinander, so daß sie eine Röhre bilden. Nun läßt eines der Kinder
eine ganz kleine Frucht in diese „Fauströhre“ hineingleiten, die dann ein beliebiger
der Spieler unbemerkt im Laufe aufzuhalten sucht und festhält. Damit der Be-
treffende nicht durch die Handbewegung, die beim Festhalten erforderlich ist, ver-
raten wird, müssen alle Mittuenden die Augen schließen. Wenn die Frucht von
einem gefaßt ist, beginnt das Raten.
2. Gruppenraten. J-M-Mn.
Die Spielenden formen zwei gleich große Gruppen, die einen ziemlichen Abstand von-
einander nehmen; einige sind unterdessen noch beschäftigt, aus Kokosblättern eine kleine Matte
zu flechten. Ist sie vollendet, so nimmt sie einer der Spieler, hält sie vor das Gesicht und
geht so vermummt zu der gegnerischen Gruppe, von der einer raten muß, wer da angekommen
ist. Rät er richtig, muß der Erratene sich der feindlichen Partei angliedern. Wird dagegen
falsch geraten, so entlarvt sich der Vermummte und kehrt zu seiner Partei zurück.
M. TONSPIELE.
1. Flöte. U.
Dieses Toninstrument erfreut sich einer universellen Verbreitung; es wird meist aus
Bambusrohr verfertigt und zwar in allen Größen. Abweichend von der europäischen Flöte ist,
daß die Luft nicht seitwärts eingeblasen wird, sondern von oben senkrecht in die Röhre hinein.
An dem Kopfende der Flöte findet sich seitwärts überhaupt keine Öffnung; am entgegen-
gesetzten Ende ist fast immer nur ein Loch vorhanden.
2. Grasquetsche. Mn-Za.
Dies von den Monumbo- und Zepa- Kindern hergestellte Toninstrument wird folgender-
maßen konstruiert. Man nimmt einfach ein — wenig breites — Grasblatt und legt es zwischen
einen zusammengeknickten Pflanzenstengel und die Quetsche ist fertig.
In Süddeutschland kennen die Kinder ein ähnliches Musikinstrument. Ein schön kantig
geschnittenes Stückchen Tannenholz wird ungefähr! V2 cm tief eingekerbt. In diese Öffnung wird
dann wieder ein Stückchen Holz genau hineingepaßt und das Grasblatt damit festgeklemmt.
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V//A " &7X
3. Quetschblase. T-J-Mm-P-Z-M-Mn-Za.
Sorgfältig werden die Hauptschichten einer Blume, mit dickem, fleischigem Stengel, unver-
letzt abgestreift. Diese Haut, die Zylinderform hat, wird nun von der spiellustigen Jugend
an der einen Seite luftdicht zugebunden und dann aufgeblasen. Die so aufgeblasene Haut
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
249
quetschen sie nun auf dem Schenkel oder zwischen dem Arm unter der Achselhöhle. Dabei
lassen sie nur wenig Luft ausströmen und durch die erzeugte Reibung entsteht ein Ton, ähnlich
demjenigen, den die Kinder in Europa den Gummiblasen auf der Kirchweih entlocken.
In M bringen die Jungen an der vorhin beschriebenen Blase noch ein dünnes Röhrchen
an, das sie ebenfalls luftdicht in die Blase binden. Durch dieses Röhrchen füllen sie dann die
Blase wieder mit Luft, setzen das Röhrchen in geschickter Weise an den rechten Mundwinkel
und gewähren der ausgepreßten Luft Eintritt in den Mund. Die in den Mund eingepreßte
Luft findet aus ihm einen Ausweg durch ein rundes Löchlein, das die Kinder trotz der schon
vorhandenen Öffnung im Mundwinkel doch noch sehr gut in der Mitte des Mundes bilden
können. Es entsteht ein leise pfeifender Ton.
4. Zungenstimme. U.
Ein Bambusrohr wird so abgetrennt, daß ein Knoten an dem abgetrennten Stücke bleibt,
hierauf wird das Rohr in zwei gleiche Hälften geteilt: Material für zwei Instrumente.
Es nimmt nun der kleine Eingeborene abermals das Messer zur Hand und trennt in der Mitte
einen schmalen Streifen (% cm) los, indem er von vorne bis auf den Knoten durchschneidet;
dieser Streifen wird zur Zunge.
Von den anliegenden Stücken der Bambushälfte wird jetzt noch soviel abgetrennt, daß
die Zunge frei zwischen ihnen vibrieren kann. An ihr wird unermüdlich geschnitten und ge-
schabt, bis sie elastisch genug ist und einen vollen Ton hervorbringt. Wenn dann durch den
Knoten noch ein Loch gebohrt und eine Schnur hindurchgezogen ist, so ist das Instrument vollendet.
Beim Spielen faßt der Musikant das Instrument mit der linken Hand an den zugespitzten
Teilen, zwischen denen die Zunge vibriert und führt es zum Munde, so daß die bewegte Zunge
gerade in den Mund hineinklingt, wodurch der Ton bedeutend verstärkt wird; zugleich wird
schwach Luft eingesogen. Dann erfaßt der Spieler mit der rechten Hand die Schnur, führt
sie über den Daumen in die Hand hinein und preßt sie dort mit den übrigen Fingern fest.
Darauf bringt er durch Schnellen an der Schnur die Zunge in Bewegung und entlockt dem Instru-
ment denselben vollen Ton wie der aus einem Stück gestanzten Zunge (Stimme) des Harmoniums.
Dieses Spiel ist eines der wenigen, die von den Erwachsenen gespielt werden.
N. FEUERSPIELE.
In dieser Gruppe begegnen wir wiederum einer Reihe von ganz eigentümlichen Spielen
und ich kann auch hier nichts anders, als sie als die naturnotwendige Folge der Hochachtung,
ja ich möchte sagen, Verehrung, die der Eingeborne gegen das Feuer hegt, zu erklären
und hinzustellen.
Das Feuer ist sein treuester Hausgenosse; immer lodert der Brand auf der Feuerstätte im
Hause; auf großen und kleinen Reisen hat er an ihm einen treuen Begleiter; selbst auf seinem
Fahrzeuge erlischt der Brand nie; des Nachts schläft er dicht neben dem erwärmenden Feuer
und in seinem ganzen Leben kommen wenige Dinge so deutlich zum Ausdruck wie seine
Ansicht; „Das Feuer ist mein großer Wohltäter, mir lieber Freund“.
Und hier ist, wie ich glaube, das Gebiet, auf dem diese Spiele entsprossen sind, diese
gewiß eigentümlichen, vielleicht bei keinem andern Volke wiederkehrenden Spiele.
1. Kriegsspiel. U.
Die Spieler haben in zwei Reihen (Gruppen) Aufstellung genommen; der Abstand ist
ungefähr Wurfweite, Alle sind mit an einer Seite glühenden Holzstücken bewaffnet, die sie
als Geschosse benutzen. Auf jeden Treffer folgt das den Kriegsspielen eigene, scharf abge-
stoßene wilde Geschrei und eine unbändige Lachsalve.
2. Raketenwerfen. U.
Glühende Kohlen werden mit großer Gewalt in die Höhe geschleudert. Durch den starken
Luftzug kommen sie sehr stark ins Glühen und zerplatzen oft, so daß sie einer Rakete ähneln.
250
P. JOSEF REIBER
3. Feuerregen. U.
Oft vertreiben sich die Kinder die langen Abende durch folgendes Spiel. Sie werfen
ganz durchglühte Kohlen in die Bäume hinein. Durch den heftigen Anprall werden sie in
kleine Teilchen zerstückelt und fallen in Hunderten von glühenden Körperchen auf die Erde,
ein wahrer Feuerregen.
4. Schießen mit glühenden Pfeilen. U.
Die Pfeilspitzen werden ins Glühen gebracht und dann mit dem Spielbogen abgeschossen.
Herrlichen Schwärmern gleich, durchfliegen sie die Luft.
5. auf nengego f äpasi. Mi. (Mit Feuer [wie mit einem] Pfeil laufen?)
Die Jungen stellen sich in einer geraden, oft 1 km langen Reihe auf und nehmen Abstand
von ungefähr 60-80 m an der See beginnend. Jeder ist mit einer Fackel ausgerüstet. Der
letzte in der Reihe — der am weitesten von der See entfernt ist — entzündet nun seine
Fackel und wirft den Brand dem nächsten zu. Dieser tut desgleichen und wirft auch seinem
Nachbar das Feuer zu, der es ebenso macht.
Haben nun alle ihre Fackel entzündet, so rücken sie dicht aneinander, den Brand in die
Höhe haltend. Darauf gibt einer ein Zeichen, und alle senken den Brand und schlagen das
Feuer auf dem Boden aus mit Ausnahme desjenigen, der zunächst der See ist.
Dann werfen sie die Fackelreste alle auf einen Haufen in der Mitte der Reihe, den der
einzige noch mit Feuer versehene Spieler wieder entzündet. Über den brennenden Haufen
springen nun alle der Reihe nach hinweg. Darauf werden die noch übrigen größeren Holz-
teile in die See getragen. An die Feuerstätte zurückgekehrt, bilden die Spieler einen Kreis
und tanzen singend um die Kohlenreste und die Asche herum.
6. Auro bubu. M. (Am Feuer braten.)
Hier haben wir es nur mit einem fingierten Feuerspiele zu tun. Die Spiellustigen werfen
in einiger Entfernung zwei Sandhaufen auf, die Feuer darstellen sollen. Hinter jedem dieser
Sandhaufen nimmt die Hälfte der Spieler Stellung. Beim Beginne des Spieles verläßt einer
seine Partei und nähert sich der feindlichen, einen aus ihr zu fangen. Gelingt ihm dies,
kommen beide Gruppen zusammen, und es beginnt nun ein gewaltiger Kampf um den Ge-
fangenen. Er wird hin- und hergezerrt, bis es endlich einer der beiden Parteien möglich
wird, ihn in ihre Gewalt zu bekommen. Ist die eigene Partei Sieger, so kehrt der erst Aus-
gegangene ungeschoren in sein Lager zurück; neigt der Sieg sich der feindlichen zu, so wird
der Junge auf das Feuer gelegt und „gebraten“, wonach er wieder zurückkehren darf.
O. DIVERSE SPIELE.
Unter dieser Rubrik führe ich noch eine Reihe von Spielen an, die ich in die andern
Gruppen nicht gut einreihen konnte und die auch unter sich so verschiedenen Charakters sind,
daß ich unmöglich eine eigene Gruppe aus ihnen machen kann.
1. Brüstemachen. J-M.
Dieses Spiel wird von den Murik-Mädchen mit derselben Blase ausgeführt, die ich in
M 3 beschrieben habe. Sie befestigen zwei von diesen luftdicht verschlossenen Blasen an
einer Schnur und legen dieselbe so um die Brust, daß die Blasen genau auf die Brustwarzen
zu hängen kommen. Sie sollen die Brüste darstellen.
2. Das „Häuserbauen“ ist ein allgemein verbreitetes und sehr beliebtes Kinderspiel. U.
3. Kreisel. U.
Den Kreisel fertigen die Kinder überall aus Kokosnußschalen; gewöhnlich nehmen sie dazu
große Schalen von gereiften Nüssen und zwar die weniger gewölbte Hälfte der Schale. Nur
in M gebrauchen die Kinder eine noch ganz junge Nuß, die bekanntlich einem ganz engen
Becher gleicht, während jene die Form einer wirklichen Schale hat. An dem becherförmigen
Kreisel bietet eine wenig tiefe Einkerbung Halt für die Schnur; der schalenförmige wird durch-
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
251
bohrt und erhält als Fuß ein dünnes Stäbchen; der becherförmige bedarf bei seiner Form
eines solchen nicht.
Der Knabe umwickelt den Kreisel mit der Schnur, so daß sie fast die ganze Schale be-
deckt; befestigt wird sie nicht. Darauf faßt er die Schale mit Daumen und Zeigefinger, den
Daumen innen, den Zeigefinger außen anlegend, und klemmt mit den übrigen Fingern der-
selben Hand das Schnürende auf der inneren Handfläche fest. So nun wird der Kreisel in
die Luft hineingeworfen, so daß er sich in der Höhe von etwa 1 m über dem Boden ab-
wickelt. Der Kreisel kommt auf den Boden und läuft sehr schnell und lange, da der Schwung
bedeutend ist.1)
Wie schön die Eingebornen es verstehen, dem Kreisel eine in einer bestimmten Richtung
fortschreitende Bewegung zu geben, zeigt folgendes Spiel. Es werden bei ihm an schöner
ebener Stelle drei Kokosschalen so gelegt, daß sie ein gleichseitiges Dreieck begrenzen. In einer
Entfernung von oft 60 m und mehr legt man wieder drei Schalen in derselben Weise.
Auf jeder Seite stehen einige Jungen mit dem Kreisel in der Hand; geworfen wird ab-
wechselnd nach den Seiten. Sobald nun der Kreisel im Laufe eine Schale berührt, wandelt
sie auf die andere Seite. So wandeln die Schalen abwechselnd herüber und hinüber. Kommen
endlich alle auf eine Seite, so wird das „Haus gebraten“ und das Spiel hebt von neuem an.
4. Verstecken. U.
Wird in derselben Weise gespielt wie das abwärts bekannte Versteckenspiel.
5. Schaukel. U.
Es ist das gewöhnliche Schaukelspiel; an Stelle des Strickes fungiert hier ein Rotang;
wird immer an Bäumen befestigt.
6. Shino ospi. Mi (= Wunde binden).
Ein Knabe stellt sich krank; einige andere holen ihn und legen ihn flach auf den Boden.
Ein dritter spielt den Heilkünstler, nimmt Glasscherben und schneidet an dem Kranken herum.
Darauf läßt er sich Blätter reichen, legt sie auf die Wunden und bindet sie mit einer Liane
fest und die Operation ist glücklich vollzogen.
Ein ähnliches Spiel ist mir von keinem der Stämme bekannt geworden. Es hat auch so
viele ähnliche Punkte mit den Vorgängen im Operationssaal, daß mir schon der Gedanke kam,
es handle sich hier um eine Nachahmung dessen, was die Eingebornen im nahen Friedrich
Wilhelms-Hafen wohl des öfteren schon gesehen.
Es bleibt aber doch noch die Möglichkeit, daß wir es nur mit dem hier üblichen Schröpfen
(Ritzen) zu tun haben. Dafür, daß es sich um Einheimisches handelt, spricht auch der Um-
stand, daß die Operationen nur in der Achselhöhle und in der Leistengegend vorgenommen werden.
7. Fadenspiele. U.
Ein Kind nimmt eine etwa 50-70 cm lange Schnur zur Hand, die doppelt ist und legt
sie über die mit den Flächen einander zugekehrten Hände. Dann formt es durch die mannig-
faltigsten Kunstgriffe, die dem gewandtesten Taschenspieler alle Ehre machen würden, die ver-
schiedensten Dinge.
Es gibt wohl nichts aus dem Ideenkreise der Eingebornen, was sie nicht mit ihrer Schnur
nachzubilden versuchten: die Sonne und den Mond in seinen Phasen, die Tiere des Urwaldes
wie die Fische des Meeres, die Werkzeuge des täglichen Lebens, Schmucksachen und Waffen,
selbst menschliche Figuren zaubern sie in groben Umrissen aus ihrer Schnur heraus.
Oft spielen zwei Jungen zusammen mit einer Schnur. Der eine verkauft dem andern ein
Schwein und überreicht das Tier. Der Käufer macht, ohne vorher die Figur zu zerstören,
seinerseits einige geschickte Griffe und gibt ihm eine Anzahl Gegenstände: Ringe, Messer,
Trommeln, Fische usw. zurück als Preis.
1) Ist von Koup in der Nähe von Murik; in M wird es etwas anders gespielt!
Baessler-Archiv 1. 6.
33
252
P. JOSEF REIBER
Diese Griffe sind so interessant und kunstvoll, daß ich lebhaft bedaure, sie nicht skizzieren
zu können, aber jeder Versuch müßte an ihrer Kompliziertheit scheitern. Werden die Griffe
endlich so verwickelt, daß zehn Finger nicht mehr ausreichen, nimmt der Eingeborne Zähne und
Zehen zu Hülfe; ja sogar um die Köpfe legen sie bei einzelnen Figuren die Schnur, wie beim
„Haus machen“. Dies ist übrigens eine jener Figuren, bei denen die Kinder zwei Schnüre
verwenden, die sie beim viertem Griff miteinander verbinden.
8. Koch-Spiel. J-M-Mn.
Der Schauplatz dieses Spieles ist gewöhnlich der Sand an der Küste; eine runde Ver-
tiefung im Sande ist der Kochtopf. Die einen kochen Sago (Sand), die anderen Yams, aus
Sand geformt; wieder andere lieben Fische (Holzsplitter).
Eine vierte Gruppe ist unterdessen beschäftigt, eine Trommel zu machen; zu diesem Zwecke
wird wiederum eine große Vertiefung im Sande ausgeworfen und über sie ein Brett gelegt.
Ist dann das Essen gar, so wird die Trommel gerührt und es beginnt das gemeinsame Mahl.
Es dürfte doch wohl nicht ein bloßer Zufall sein, daß dieses Spiel das einzige ist, das
ein Stück Familienleben zum Gegenstände hat. Die sogenannten Haushaltungsspiele, die in
der Heimat so beliebt sind, kennt man hier absolut nicht. Das einzige ist ja zudem wenig
verbreitet. Ich glaube, der Mangel dieser Spiele enthüllt uns auch einen nicht unbeachtens-
werten Zug im Leben dieser Völker.
9. Der Purzelbaum. U.
Der Purzelbaum erfreut sich allgemeiner Verbreitung; das nah damit zusammenhängende
„auf den Kopf“ aber ist völlig unbekannt.
10. Malen im Sande. U.
Die Kinder legen sich in den Küstensand und zwar auf den Bauch, eine Lage, die hier
überhaupt im Rufe steht, sehr angenehm zu sein. Mit der Hand wird der feine Küstensand geglättet.
Dann nehmen sie ein spitzes Hölzchen, und zeichnen die verschiedensten Gegenstände
hinein. In erster Linie kommen für gewöhnlich Schiffe und unter ihnen vor allem die „großen
Dampfer“, die hier angelaufen sind. Staunen muß man über das große Geschick, das manche,
ich darf sagen, viele der Kinder zum Zeichnen offenbaren. Es ist doch nicht ohne alle Be-
deutung, daß Kinder, die ein Schiff nur ein oder zwei Mal gesehen, dasselbe ganz genau aus
dem Gedächtnisse wiedergeben und zwar perspektivisch korrekt.
11. Schiffchen-Machen. U.
„Schiffchen machen“ und vom „Stapel Lassen“ kann an Beliebtheit mit den Kriegsspielen
um die Palme ringen. Vielleicht ist es das allerbeliebteste Spiel, Wenn ich mitteile, daß
Kinder oft mehrere Tage lang unverdrossenster Weise an einem Segel- oder Kriegsschiff ar-
beiten, so wird wohl der Beweis für jenen Satz der Hauptsache nach erbracht sein.
Material für den Schiffsbau sind Kokosnußschalen, Bretter, ein leichtes korkartiges Holz,
Papier und Lendentuchstoff für Segel usw. Beim Schiffsbau zeigt die heranwachsende
Jugend auch so recht deutlich, daß sie der europäischen Kultur durchaus nicht feindlich
gegenübersteht und daß sie ihre Erzeugnisse für den Schiffsbau zu verwerten versteht. Stunden-
lang suchen sie die Lagerplätze nach Nägeln, altem Eisen, Blech und dergleichen ab und ver-
wenden alles beim Bau des Schiffchens.
Schiffe aller Art werden gebaut: Segelschiffe mit einem, zwei, ja drei Masten, Dampfer,
Kriegsschiffe, Alle haben vollständigste Ausrüstung; auch die nebensächlichsten Gegenstände
dürfen nicht fehlen. Die Takelage ist tadellos; zwei Tauleitern führen zum Mast, auf dem das
Fähnchen frisch im Winde flattert.
Das Baden, in den Mittagsstunden, ist für gewöhnlich die Zeit, wo das Schiffchen vom
Stapel gelassen wird. Mit der größten Sorgfalt wird es den Wellen anvertraut, und unermüd-
lich schwimmen die Jungen hinter dem Kleinode her, auf jede Welle achtend, daß dem Lieb-
ling ja kein Leid geschehe.
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
253
P. SCHLUSSBEMERKUNGEN.
1. Groß ist bei den Kindern der Eingeborenen die Neigung, neue Spiele zu schaffen. Jede
auffällige Handlung kann dazu Anlaß werden. Ein recht beliebtes Spiel ist bei den Missions-
knaben von Tumleo seit Ende des Jahres 1906 folgendes:
Zwei Bewohner der Insel hatten vor einigen Jahren einen Mord begangen. Nach Eröff-
nung der Polizeistation Eitape wurde bald nach den Mördern gefahndet. Kaum hatten die Knaben
dieses ungewohnte Schauspiel gesehen, als sie es gleich zum Objekte eines Spieles machten.
Einige der Jungen spielen die Verbrecher, die sich verbergen; die Mehrzahl der Spieler
aber „geht zu den Soldaten“, die von dem mutigsten als Polizeimeister befehligt werden. Auf
seinen Befehl beginnt die Schar zu fahnden. So oft einer der Verbrecher eingeholt wird,
binden ihn die Soldaten und führen ihn in den Kerker.
2. Seltsam finde ich es, daß bei den Mädchen fast gar keine eigenen Mädchenspiele Vor-
kommen. Unter der großen Anzahl der Kinderspiele ist mir nur eines bekannt geworden, das
in O 1 erwähnte, welches dazu schon natura sua ein Mädchenspiel ist. Die Mädchen spielen hier
im großen ganzen dieselben Spiele wie die Knaben, aber selten mit ihnen zusammen, sondern
getrennt. So viel ich in Erfahrung bringen konnte, machen nur M und Mn hiervon eine Ausnahme;
in M ist ein Reigenspiel gemeinsam; in Mn dagegen scheinen die Kinder mehr vereint zu spielen.
Beachtenswert scheint es mir auch, daß die Mädchen selbst kein sog. Haushaltungs- oder
Familienspiel kennen; daß sich bei ihnen vor allem keine Spur von jenen Mädchenbeschäfti-
gungen findet, die auf das künftige Mutterglück und die daraus entspringenden Pflichten und
Obliegenheiten deuten und die in Europa die Mädchenwelt ohne Überdruß endlos beschäftigen.
3. Die Erwachsenen, wie leichtlebig und sorglos sie auch sind, haben meines Wissens
keine Spiele; doch verschmähen sie es nicht, zuweilen in das Treiben der Kinder einzugreifen
und für kurze Zeit mitzutun. Nur zwei Spiele könnten hier vielleicht als solche von Erwachsenen
namhaft gemacht werden; das eine ist bereits unter der Marke „Tor-Spiele“ angeführt (cf. M 4);
das zweite ist ein Kinderschreckspiel, unserm „Nikolaus“ nicht ganz unähnlich — wenigstens
wie er in Süddeutschland gespielt wird —; es heißt mos aleo „(Tum/eo)-Kriegsgeist“ und wird
meist von Jünglingen in dem Kostüm der Duk-Duk-Tänzer aufgeführt. „Kriegs-Geist“ wird er
wohl genannt, weil er mit Holzspeeren um sich schießt.
4. Die meisten Spiele sind gewissen Jahreszeiten, Monaten zugeteilt. Im großen ganzen
werden diese Bestimmungen auch eingehalten von der spiellustigen Jugend. Übertretungen
dieser traditionellen Vorschriften werden von den Erwachsenen öfter gerügt. So hat man wohl
Gelegenheit bei einem Gange durch das Dorf die Worte zu hören; „Was spielt ihr denn jetzt
noch dieses Spiel; der Monat ist ja vorüber?“
Die beliebteste Zeit zum Spiel ist der Abend, und das Ideal der Spielzeit ist ein mond-
heller Abend; gespenstisch huschen da die kleinen dunklen Gestalten umher: weder Hunger,
noch Müdigkeit noch Schlaf verspürend, bis in die mitternächtigen Stunden hinein.
BEMERKUNGEN ZUR VERBREITUNGSTABELLE.
1. Ein Blick auf die Tabelle zeigt, daß das Gebiet im wesentlichen ein einheitliches ist. 27,43% sind allen
Stämmen gemeinsam; dazu kommen noch 7% die nur einem, resp. zwei Stämmen fehlen.
2. Von den einzelnen Stämmen zeichnet sich besonders Murik durch eine große Anzahl der beschriebenen
Spiele aus; es figuriert mit 73; nur um acht Spiele steht ihm nach Monumbo, sein Nachbar auf der Tabelle;
— in Wirklichkeit liegen noch mehrere Stämme dazwischen, die ich aber nicht kenne — es ist 65mal gezeichnet.
Darnach folgt die südliche Grenze des beschriebenen Gebietes mit 60.
3. Die südliche Hälfte des Gebietes also weist mehr Spiele auf als die nördliche. Das höchste Vorkommen
liegt in der Mitte; es ist größer bei den Inseln- und Küstenbewohnern als bei den Bergstämmen und den mehr
nach innen wohnenden. Von den ersten macht nur Tumleo eine Ausnahme, das den zweiten ungefähr gleich-
steht. Die Berg- und Inland-Stämme sind auffälligerweise lauter Papua-Sprachen redende; über Mibat kann ich
allerdings diesbezüglich nichts Sicheres angeben.
4. Beachtenswert ist, daß Singspiele nur in Murik und Monumbo Vorkommen; schon in dem nahen Zaure
finden sich nur zwei, wenn ich recht unterrichtet bin.
5. Die Zahl der Spiele ist ohne Zweifel noch bedeutend größer; als ich bereits daran war, die Akten zu
schließen, beobachtete ich an einem mondhellen Abend vier neue Spiele,
33*
254
P. JOSEF REIBER
VERBREITUNGS -TABELLE.
NAMEN DER SPIELE Allgem. verbr. U Tumleo T Juo ,1 NAMEN DER STÄMM Momoken Poyek Zaure Mm P Z E Muirk M Monumbo Mn Zepa Za Mibät Mi
A. Ziel- u. Schießspiele
1. Reine Zielspiele
1. Hauskochen —
2. Scheibenschießen . . . —
3. Schießen im Fluge. . . — — —
4. Das laufende Känguru — — — —
5. Preisschießen — — — —
11. Kriegsspiele
1. Mit Speeren —
2. Mit dem Spielbogen . . —
B. Badespiele
1. Im Sande. 1. 2. 3. —
II. In der See
1. Sandkugelstreit .... — — — — — — — — —
2. Wettschwimmen .... — —
3. Brandungsspiel .... —
4. Schlafen auf dem Wasser — — —
5. Reiten — — — — — — —
6. Steintauchen — — — — — — —
7. Zweigsuchen — — — —
8. Kokosnußhaschen . . . — — —
9. Handschlag — —
10. Fischfängen — — — — —
11. Der schwimmende Hai . — — — — — — —
12. Der böse Hai — — — — — — — —
13. Schildkröte —
14. Krokodil — — —
C. Tierspiele
1. Vögel
1. Raubvogelkind —
2. Möwe ........ I —
3. Nashornvogel — — —
4. Fischreiher —
II. Andere Tiere
1. Leguan — — - — —
2. Schweinefisch —
3. Zeke zeke — —
4. Känguru — —
5. Das tanzende Känguru . —
6. Baumbär —
7. Kasuar — — — —
8. Krokodil —
9. Fischspiel — — — — —
10. Kasuarstreit —
KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
255
NAMEN DER SPIELE Allgem. verbr. U Tumleo T Juo J NAM Momoken Mm EN DER Pogek P STÄM Zaure Z ME Murik M Monumbo Zepa Mibät Mn i Za ! Mi
11. Schlange —
12. Riesenschlange .... —
13. Das Schwein mit den Jungen —
14. Hahn —
15. Krebse —
16. Bienen — ~ — — — —
17. Ameisen — — — — — —
D. Jagdspiele
1. Bauen von Fallen . . . —
2. Schweinejagd —
3, Känguru —
4. Baumbär —
5. Krokodil —
6. Schildkröte — — — — —
7. Leguan —
8. Krebs. —
9. Vogel in der Bananen- pflanzung — — —
10. Krontaube —
11. Kakadu — —
12. Der gelehrige Kakadu . —
13. Nashornvogel —
14. Buschhuhn —
15. Fisch —
16. Aal — —
E. Pflanzungsspiele
1. Gartenmachen —
2. Gartenmachen — — — —
3. Betelpflanzen —
4. Betelpflanzen —
F. Reigenspiele
1. Unter dem Arm Hergehen —
2. Fischschießen — —
3. Raubvogel — — — —
4. Kiran —
5. Hahnenkampf .... —
Q. Hüpf- und Springspiele
1. Waschen —
2. Kokosnuß — —
3. Äruntse — — —
4. Schlangenweg-Hüpfen . —
5. Feuerspringen — —
6. Barögo —
7. Seren, seren ma gogare —
8. Akukukuko —
256
P. JOSEF REIBER KINDERSPIELE IN DEUTSCH-NEUGUINEA
NAMEN DER SPIELE Allgem. verbr. U Tumleo T Juo J NAMEN DER Momoken Poyek Mm P STÄMME 1 Zaure Murik Z ! M ! Monumbo Mn Zepa Za Mibät Mi
9. Avarirane ........ —
10. Anä gäsaso —
H. Fangspiele
1. Sarin ari —
2. Gemeinsames Fangen . — —
3. Tumümoran —
4. Ätataiero —
I, Ballspiele
1. Einfaches Ballfangen . . —
2. Ballfangen mit Spießen . — — —
3. Ball-Zuschlagen .... — —
K. Wurf- und Schleuderspiele
I. Schleudern —
2. Schirken —
L. Ratespiele
1. Gegenstandraten .... —
2. Qegenstandraten .... — — — — — — —
3. Qruppenraten — — —
M. Tonspiele
1. Flöten
2. Grasquetsche — —
3. Quetschblase — — — — — — — —
4. Zungenstimme —
N. Feuerspiele
I. Kriegsspiel —
2. Raketenwerfen —
3. Feuerregen —
4. Schießen mit brennenden Pfeilen —
5. Am nengego t’äposi . . —
6. Aüro bübu —
0. Diverse Spiele
1. Brüstemachen — —
2. Häuserbauen —
3. Kreisel —
4. Verstecken —
5. Schaukel —
6. ihino ospi —
7. Zauberschnur —
8. Kochspiel — — —
9, Purzelbaum —
10. Malen im Sande .... —
11. Schiffchenmachen . . . -
113 Summa 31 43 54 46 45 41 73 65 55 58
DIE SCHIFFAHRT BEI DEN BEWOHNERN VON VUATOM
(NEUPOMMERN, SÜDSEE).
VON
P. O. MEYER, m. s. c., VUATOM.
(Hierzu Tafel XII.)
Wegen der mannigfach gegliederten und eingeschnittenen Küstenbildung des nördlichen
Teils der Gazellehalbinsel sind deren Uferbewohner vielfach auf die See angewiesen. Die Nord-
küste ist den zwei Monsunen, dem Nordwest und Südost, nicht allzu sehr ausgesetzt, sodaß
die Eingeborenen auch in kleineren Fahrzeugen sich auf die See hinauswagen können. Der
ruhigere, beständig blasende Südostwind (a übar, taübar, taptäp, tevitevi) zeigt sich am
stärksten in der Strömung des Georgskanals. Diese fließt an den Taubeninseln (pal a kuvür),
an der Mutter Käbiu und an der Nordspitze von Vuätom vorbei. In der Blanchebucht, der
Talilibucht und im Weberhafen (bzw. Weberbucht) ist er teilweise gebrochen durch das vor-
gelagerte, hügelige Land. Der ungestüme, stoßweise blasende Nordwestwind (a läbur,
aivarat) ist bedeutend stärker, da er aus der offenen See kommt. Er strömt an der Nord-
und Südküste von Vuätom vorbei nach Kap Stephens (Tävui) zum Kanal. Auch die Weber-
und die Talilibucht werden von ihm arg heimgesucht. Tagelang anhaltender, strömender
Regen verbindet sich dann mit der See, um deren Reich zu vergrößern. Er untergräbt die
Wurzeln der Bäume, welche das Land beschützen sollen und überläßt sie der stürmischen
See, der sie nicht widerstehen können. Hier um Vuätom ist das Riff an der West- resp, Nord-
seite viel breiter als auf der Ostseite, weil die See dort stärker ist und so das Wachstum der
landschützenden Korallentiere befördert.
Der Südost fängt hier im März oder spätestens im April an. Es ist die Übergangszeit;
die See ist dann meist ruhig. Die Eingebornen erkennen die Zeit am Stand der Sonne und
am Riff. Wenn nämlich die Sonne am Ostnordost aufgeht und die Basaltsteine am Ufer von
den Austernmuscheln weiß begrenzt sind (i nkirik), beginnt die Zeit des Südost, die Zeit der
großen Ebbe (a regärega). Alsdann herrscht reger Verkehr zwischen den Eigebornen von
Nunahgünan1) und Vuätom. In den folgenden Monaten wird der Südost beständiger. Es be-
ginnen die Fahrten nach Nakanai, dem Land des vielbegehrten Muschelgeldes. Im September
und Oktober kommen die letzten Fahrzeuge von dort zurück. Der Südost läßt nach. Es
folgt die Übergangszeit zum Nordwest, die Zeit der großen Festlichkeiten, zu denen auch die
Leute von der Nordküste resp. von Vuätom eingeladen werden. Selten dauert der Südost bis
Dezember.
Die Hauptzeit des Nordwest ist Dezember und Januar. Aber er bläst selten, wie auch
der Südost, zwei oder drei Wochen ohne Unterbrechung.2) Bei regelmäßigen Monsunen sind
die Nächte ruhig; gegen 8 Uhr morgens erhebt sich der Wind, ist nachmittags gegen 2—3 Uhr
am stärksten und flaut gegen 5 Uhr abends wieder ab, sodaß man die Fahrten danach ein-
richten kann. Auch kommt es vor, daß der Wind sich abends erhebt, um gegen Morgen nach-
zulassen. Manchmal herrscht in Reber noch Nordwest, während an der Südküste Vuätoms
der Südost schon eingesetzt hat.
1) Ngunahgünan oder Kapatüratan heißt die Strecke von Kap Stephens bei Livuan.
2) Windhosen (kaüvuvur) sind im Nordwest am häufigsten; sie bilden sich meist nur auf offener See. Die
Nicht-lnietleute (a tena mäna) legen sich die Macht bei, dieselben zerstören zu können, indem sie mit einem
Messer oder einem ähnlichen Instrumente in die Luft fahren, wie um dieselbe mitten durchzuschlagen (di vin
ja ma di pakät ia).
258
P. O. MEYER
Für die Fahrten der Eingebornen kommen auch die lokalen Strömungen in Betracht.
Wenn z. B. ein Kanu von Reber nach Kap Stephens fahren will, so fährt es sowohl im Nord-
west als auch im Südost der Küste entlang bis etwa zur Hälfte Vuätoms, um alsdann erst
geradeaus nach Kap Stephens überzustechen. Ähnlich fahren die Leute von Vunävutün, wenn
sie sich nach Rätohor begeben, der Südküste entlang, um dann direkt auf das Ziel loszu-
steuern. Dasselbe gilt auch bei der Rückfahrt. Würde z. B. ein Boot oder Kanu, von Rätohor
nach Vunävutün segelnd, direkt auf der Südspitze Vuätoms lossteuern, so würde es von der
Strömung nach Osten abgetrieben werden. Im Südost ist die See an der Westseite der Insel
ruhig, während sie an der Ostküste, dank deren Vorsprüngen in Türtur und Vuna Mami,
weniger ruhig ist.
Nord- und Südwind (ubuluö und vüvu märo Vunabükubuk) sind seltener und schlagen
meist in Südost oder Südwest um. Günstig für die Fahrten sind die nächtlichen Landwinde
(a mävoko), wie auch der Ostwind (tejur, tauz, laur). Wollen Eingeborne nachts fahren, so
warten sie bis Aufgang des Morgensternes (a lar), etwa 3 Uhr morgens.
Die Eingeborenen der Insel Vuätom sind im allgemeinen tüchtige Seefahrer. Doch
gibt es auch Männer, die nie auf die See hinausfahren. Die Weiber fahren selten. Auch die
Leute, welche auf der Höhe wohnen und vielfach des Schwimmens unkundig sind, vertrauen
sich nicht leicht den Kanus an. Verlegen solche Buschleute ihren Wohnplatz ans Ufer, so
haben sie sich aber schnell an die See gewöhnt und lernen auch ohne Meister schwimmen.
Die meisten aber sind vorzügliche Dauerschwimmer und Taucher. So z. B. schwimmt
die Jugend oft x/2 bis 1 km weit in das Meer hinaus, um draußen in der tiefblauen, uner-
gründlichen See ihre monotonen Lieder zu singen. Diese werden gewöhnlich nur beim
Schwimmen gesungen. Auch stecken die Jünglinge und Knaben einen kleinen Baum am
Riffrand in die Korallensteine und klettern der Reihe nach hinauf. Einer steht auf dem
als oberste Sprosse dienenden Aststumpf, während die andern singen. Am Ende der Strophe
springt er, die Füße nach unten ins Wasser. Ein zweiter löst ihn ab usw. Selbst kleine
Kinder von 4 Jahren schwimmen, tauchen und balgen sich mit ihresgleichen im salzigen
Wasser. Bei vorhergenannten Schwimmausflügen bedienen sie sich oft eines Bambusstockes,
welcher bekanntlich hohle Kammern besitzt und daher leicht schwimmt und wohl eine
Menschenlast tragen kann. Die Schwimmer liegen auf der Stange und halten sich mit beiden
Händen an ihr fest, sodaß das vordere Ende des Bambus aus dem Wasser ragt. Sie schwimmen
nur mit den Beinen. Es ist ein ganz eigenartiger Anblick, einige zehn solcher „Kanonenrohre“
aus dem Wasser ragen und sich langsam fortbewegen zu sehen.
Ein sehr einfaches Fahrzeug ist ferner das aus 6-8 Bambusrohren zusammengebundene
Floß (kan), wohl das allererste Fahrzeug, dessen sich die Eingebornen bedient haben.1)
Nichts ist einfacher, als solch ein Floß zu bauen. Etwa 5-10 m lange Bambus werden mittels
drei oder vier Querhölzer zusammengebunden und das leichte Fahrzeug ist fertig. Es wird
nur auf dem Riff gebraucht, beim Auslegen der Fischreusen, Zusammenlegen der tima (Stein-
haufen, worunter sich die Fische verkriechen und gefangen werden), beim Aushängen der
Angeln usw. Mittels einer Stange wird es fortgeschoben.
Ein ähnliches Fahrzeug machen sich die Knaben aus abgeschlagenen frischen Bananen-
stämmen. Durch vier oder fünf nebeneinanderliegende Stämme werden Querhölzer ge-
trieben. An den Seiten werden noch kurze Bananenstrünke mittelst Stöcken aufgenagelt und
der Schwimmkasten ist fertig. Um nicht zu sehr im Wasser zu sitzen, schieben die Kinder
noch ein großes Stück Holz lose unter. Auf solchem Floße kann die Jugend ganze Tage
auf resp. im Wasser zubringen. Manchmal bringen sie noch ein Verdeck aus Bananenblättern
I) Darauf deutet auch schon der Name hin. Känien z. B. heißt Gehöft, Wohnsitz; a rdka der Sitz, die Hüfte,
auf der die Kinder sitzen, oder Schenkel, Gesäß; ferner das davon abgeleitete Zeitwort rakdn, sitzen, ausruhen,
schlafen.
DIE SCHIFFAHRT BEI DEN BEWOHNERN VON VUATOM
259
an; auch Essen wird mitgenommen für die lange Fahrt. Ein Floß mit Feuer heißt: Dampfer;
ein Floß mit Bananenblatt als Segel: Segelschiff usw. Natürlich sucht einer den andern zu über-
flügeln im Anbringen moderner Sachen; eine alte Blechtinne als Maschine, Steine als Anker,
kleinere nachgeschleppte Bananenstrünke als Rettungsboote und all die Sachen, die der rege,
erfinderische Geist der Jugend ersinnen kann. Als Ruder dient eine einfache Stange oder
der mittlere Teil eines alten Kokoswedels. Alles haben die Leutchen zur Hand, nur muß
jeder sehen, daß er es findet und richtig zu gebrauchen weiß; denn selten hilft ihm ein anderer
bei der Arbeit. Aber alle helfen beim Auslaufen, wenn sich einer als „Buschmann“ entpuppt,
der vom Seefahren nichts versteht.
Schiffe als Spielzeuge werden fast zu jeder Zeit gemacht. Eine halbe Kokosschale mit
einem Baumblatt als Segel sind die einfachsten. Sinnreich ist folgendes Spielzeug. Zwei
oder drei Blattstengel einer Banane (uräi) werden nebeneinander befestigt; als Segel dient
ein breites Baumblatt, welches mit einem nöko (Rippe des Kokosblattes) durchstochen wird.
Das dickere Ende des nöko mit dem Segel wird vorne eingesteckt, das dünnere Ende wird
übergebogen und hinten festgebunden. Um das Gleichgewicht zu halten, werden an den hintern
Seiten des Fahrzeuges verschiedene nöko strahlenförmig eingestellt. Dieselben ruhen auf dem
Wasser und verhüten ein Umkippen des Spielzeuges (Fig. 1).
Das eigentliche Fahrzeug der Eingeborenen ist die
oänga, der Auslegerkahn. Wie die Anwohner des vom
Südost stark heimgesuchten Georgskanals ihre festgefügten
Boote (a mon, a malamöri), wie die Nakanaileute ihre
langen, äußerst schmalen Auslegerkähne (a küba), welche
nur für den flachen Strand berechnet sind, haben, so ver-
fertigen die hiesigen Eingebornen ihre weniger schmalen,
bei nicht zu starker See brauchbaren oänga1), auch kuba
genannt (a kubängu mein Kanu, meine Wohnung, meine
Schlafstätte). Die Insel Vuätom ist noch reich an Bäumen,
die zum Kanubau benutzt werden, während an der Nordküste nur mehr wenige oänga her-
gestellt werden. Doch auch in früheren Zeiten lieferten die Inselbewohner wohl die meisten
Kanus. Vor etwa 20-30 Jahren wurde ausschließlich der Itihgbaum - deswegen auch
schlechthin a oänga genannt — für die Fahrzeuge der Eingebornen verwertet. Auch jetzt
werden die eigentlichen Kanus (oänga tüna) nur von diesem Holz gehauen.
Der iting ist ein gerader schlanker Baum mit quirlförmig abstehenden, stark gummihaltigen
Blättern und Ästen. Er schießt gerade in die Höhe und treibt an der Spitze des ersten Schosses
vier fast wagerecht abstehende Zweige. Etwas unter denselben sproßt nach einiger Zeit ein
zweiter gerader Sprößling hervor usf. Ist der Baum etwa armdick, so werden die untersten
Nebenäste abgeschlagen. Die abgeschnittenen Stellen verwachsen mit der Zeit, aber nie ganz.
Gut verwachsene Bäume liefern die besten Kanus. Auch von der Rinde wird die rissige,
korkartige Borke abgeschabt, wodurch der Baum dicker werden soll.
Die untere Hälfte des Baumes liefert die eigentliche oänga, während die Spitze zu minder-
wertigen Fahrzeugen, jetzt nur zu kleinen öngo tämo verarbeitet werden. Die jungen Bäum-
chen werden gepflegt und in der Regenzeit umgepflanzt, wenn sie zu dicht stehen. Ein
mittelgroßer Baum kostet bis zwei Faden, während große schöne Bäume mit fünf Faden ver-
kauft werden. Fehlerhafte iting mit faltigem oder gebogenem Stamme oder mit schlecht aus-
gewachsenen Aststümpfen werden wenig gebraucht, früher wohl nie.
1) Die erste Kunde der oänga gibt eine Sage: „Als die drei Brüder to Kabinanai, to Karivüvu und to
Natndgur sich vor dem erzürnten to Konokonomiange auf einen Kokosbaum geflüchtet hatten, schnitten sie sich
die Hülle der Kokosblüte (pangoro) zurecht und fuhren damit zu einem andern Land.“ Die Spitze des pangoro
gleicht in etwa einem Kanu.
Baessler-Archiv i. 6.
34
260
P. O. MEYER
Ist der Baum beinahe gut zum Kanu, so wird er mit ngorängoro- Stauden (Vriesea) ge-
schlagen und umwickelt, damit er „reif“ werde. Fast niemals werden Kanus in der trockenen
Südostzeit gehauen, weil dann der Saft zu schnell austrocknet und das Holz spröde und in-
folge der Hitze rissig wird (a lapäp i kabäe). Der iting wird wie alle Bäume etwas über
der Wurzel abgeschlagen. Beim Falle reißt gewöhnlich das unterste Ende des Stammes,
welches abgehauen wird. Die Länge des zu hauenden Kanus wird nach Armspannen (poköno)
gemessen; die größten Auslegerkähne messen fünf bis sechs, die kleinsten eine Armspanne.
Zunächst wird das abgemessene Stück mit der Axt vorsichtig abgehauen. Alsdann wird ein
Schutzdach aus trockenen Kokoswedeln errichtet, unter welchem der Zimmermann (a tena
madäka) arbeiten wird. Der Stamm wird gedreht und geschoben, bis er die richtige Lage
hat. Ist eine Seite gewölbt, so kommt sie nach unten zu liegen als Kiel.
Als Instrument wurde früher nur der Stein- bzw. Muscheldexel gebraucht. Der Stein
(Grünstein a palö) bzw. das Stück der Tridacnamuschel (Fig. 2, a) (a pal a karakaröt oder
veiigi)1), als Instrument (a tungela) genannt, ist dreieckig; die längere Spitze wird in die aus
mehreren Stücken bestehende, mit Rotang umflochtene Holzhülle (a eätu) (Fig. 2,b), diese
wieder an den hakigen Stiel (a vararäi) (Fig. 2,c) gesteckt. Die Holz-
hülle wird außerdemnoch durch eine Schnur mit dem längeren Holzstiel
verbunden, um nicht herauszufallen.2)
Das Hauen mit der tungela war früher weithin zu hören und kündete
so schon den Leuten das neue Kanu an. Jetzt wird das frühere Instru-
ment nie mehr gebraucht. An dessen Stelle trat vor etwa 30 Jahren das
Eisen und zwar drei verschiedene Arten.
Das päfigoto ist eine hohle Hacke; mit ihr wird die erste Arbeit
des Aushöhlens verrichtet. Das pal a kaur3) ist ein hohles und das
pal a lenua4) ein flaches Hobeleisen. Inder ersten Zeit erstanden die Bewohner von hier
ihre Hobeleisen von der Nordküste für 20—30 Faden das Stück. Wollte einer eines leihen,
um einen Kanu zu hauen, so mußte er 2—3 Faden bezahlen.
Die Eingebornen schleifen die Eisen, früher auch ihre tungela, auf Basaltsteinen (a udukeke
= Wetzstein), oder mit Eisenfeilen. Früher wurde die Dexel abends bei Beendigung der Arbeit
sorgfältig eingewickelt und versteckt, damit ja kein fliegender Hund über dasselbe fliege, resp.
ein Teufel in die Nähe komme, es beschmutze und so untauglich mache für die weitere Arbeit.
Ist der Baumstamm in die richtige Lage gebracht, so beginnt der Eigentümer die erste
Arbeit. Mit dem schweren päfigoto höhlt er den Stamm aus bis zum Mark (di ubutün)
(Fig. 3 zeigt den Baum im Querschnitt). Die Rinne wird nur so breit, daß er gerade mit der
Hacke hineinkann. Alsdann wird der Baum umgelegt; die Rinde wird abgehauen mit dem
pal a lenua und die beiden Enden mit dem Beil abgerundet, wodurch sie dem aufgetriebenen
1) Vengi sind die riesigen Tridacnaschalen, welche die Vuätomer von Nakanai und Baining mitbrachten,
während korakaröt der allgemeine Name für die Muschel ist, besonders der kleinen, die aber nie gebraucht wurde.
2) Rotang und andere Schlingpflanzen wurden früher mit der rechten Schale der pala tuäi (Arcamuschel)
zerschnitten resp. zersägt. Auch jetzt halten die Eingeborenen beim Schneiden das Messer wie früher ihre
Muschel zwischen Daumen und Zeigefinger der geballten Hand und drücken den Gegenstand durch.
3) = Bambusstreifen. 4) a lenua ist die Entenmuschel, deren Schalen sehr scharf sind.
DIE SCHIFFAHRT BEI DEN BEWOHNERN VON VUATOM
261
Kopfe des Papageifisches (scarus a kivuta) ähneln (di peka na kwuta tan). Es bleibt das
unfertige Kanu meist längere Zeit liegen, um etwas einzutrocknen. Der Bauch des Kanus ist
noch unvernünftig (a bala n’oanga pa i mätoto boko), und darum wird das grob ausgehöhlte
Innere des Kanus glatt gehauen (di kikinitei). Sodann beginnt die Arbeit des Zimmer-
manns. Zuerst wird das Innere wieder ausgehöhlt mit dem hohlen pal a kaur, dann
wprHpn Hpr Kiel, der Rücken und die Seitenwände mit dem flachen pal a lenua behauen.
cht zu naß, so wird dieselbe Arbeit wiederholt, bis die Wände
Auch die Enden (a kukuräi) werden zugespitzt (di kilidök ra
lit die scharfen Kielenden gleichmäßig seien, wird die Kante mit
Zu guterletzt wird das frmpt-p «nniimaio qhc.
*a bala n’oänga). Obwohl <
Betelnüsse erhält, wird ihn
Essen zubereitet. Nicht
genügend ausgehauene
Kanus heißen a palibüt
(Dickhäuter) und sind
schwer zu rudern (i
kabäl r’oänga). Die
Kunst des Kanuhauens besteht darin, daß die Wände gleichmäßig dünn sind, nur der Kiel und
die beiden Enden bleiben dicker. Durch Anklopfen mit der flachen Hand oder mit dem Zeige-
finger erkennt der Zimmermann, ob die oänga „reif“ ist. Zurzeit des Kanuhauens haben die
tena madäka fast täglich Arbeit. Oft sind sie von Morgens früh bis Abends tätig.
Ist die oänga soweit fertig, dann wird sie zum Ufer getragen. Wurde sie weit im Busch
gehauen, so werden mehrere Querhölzer über dieselbe gebunden und doppelt soviel Männer
tragen das Kanu unter Gebrüll und Geschrei, welches sie kapukäpu oänga nennen, zum
Meeresufer. Hier wird es mit Ufersand, welcher mittels flachen, hand-
nen aufgetragen wird, glattge sch euer
Wände des Kanus mit kleinen Stöcken,
werden, so gespreizt (di lotiür ia), daß e
Besonders gebogene Stellen wurden sch
ehnt. Hierdurch wird der Raum des
Kanus bedeutend vergrößert.
Nach einigen Tagen werden
die Sitzhölzer, die die Wände
auseinanderhalten sollen, zuge-
hauen (di buäki ra ngul) (Fig. 6).
Die beiden Enden derselben wer-
den stark eingekerbt. Die Mitte ist einfach ausgehöhlt oder mit enem Zahn versehen. Während-
dessen hat der Eigentümer des Kanus zwei Faltenwurzeln von Banianen (Ela) oder anderen
Bäumen geholt für die Kanuschnäbel (a kämikom). Bei der oáñga tuna ist der Schnabel
oben (a laúko) (Fig. 7a) abgerundet (Fig. 7 u. 8), während er bei der in Nodup und Makadaü
verfertigten mut (Fig. 9) — wegen der elliptischen Zeichnung auch kaláúgi genannt — eine
eckige Erweiterung hat und bei der täkupa (Fig. 10) in eine rechtwinklige, nach innen stehende
Spitze ausläuft.') Die guten kämikom stehen aufrecht (i käkia). Ist ein Schnabel aufrechtstehend,
der andere aber liegend (i pukatadiäp), so wird ersterer am Vorderrande, letzterer am Hinter-
rande des Kanus aufgesetzt (Fig. 7 u. 8). Über der Berührungsstelle mit dem Kanu steht ein
stark geschweifter Zahn (a kupär) (Fig, 7 b). An dem kupär erkennt der Eingeborne den Zimmer-
mann, welcher das Kanu gehauen hat. So sind z. B. in Reber die Seiten des Zahnes abge-
1) Nur der tákupa wird ein Rand (a papón) aufgenäht.
34*
262
P. 0. MEYER
rundet, in Näono ist die obere Seite eckig, die untere abgerundet. Das Gleiche gilt von der
Spitze des Schwimmers. Die Beine des Schnabels (a käkena) (Fig. 7 c) stehen auf den beiden
Wänden des Kanus. Die Entfernung von dem kupär bis zur Berührungsstelle der Beine
(Fig. 11a) beträgt meist ein tip na en (etwa 6—8 cm), und die Entfernung von der Spitze des
Kanus bis zum Anfang der Aushöhlung (a ngaläi n’oänga) (Fig. 11b) beträgt das
Doppelte, ein tip na kaläpua (etwa 15 cm), sodaß die Berührungsstelle der Beine mit
der Höhlung des Kanus zusammenfällt. Durch den Aufsatz der Schnäbel werden die
Enden des Kanus geschützt gegen die Wellen, welche sonst hineinschlagen würden
oder wie die Eingeborenen sagen, das fahrende Kanu gleicht dadurch dem aufsprin-
genden Schwertfisch (i töbo naükai).
Oätiga ohne Aufsatz heißen a peu, weil sie meist nur
von Invaliden (a peu) benutzt wurden, um Wasser zu schöpfen
oder sonstige kleine Fahrten zu machen.
Wenn das Kanu genügend gescheuert ist, oft auch
vorher, werden die kleinen spaltförmigen Löcher a tängoro
bei den Ansatzstellen der Blätter mit Holzsplittern zuge-
stopft. Größere Sprünge oder Löcher werden mit weichem
Holz verstopft oder überdeckt, mit em, einer biegsamen,
festen, dauerhaften Ranke, kreuzweise vernäht und mit der Kätitafrucht verkittet.1)
Das Kanu geht seiner Vollendung entgegen. Es wird mit Kalk getüncht (di maveä).
Als Pinsel resp. Lappen werden faserige Pflanzenstoffe gebraucht. Während des Kälkens
wird folgender Zauberwunsch (a mäduran) gesprochen;
Amä türanan! karing’odnga da pai lulüt ia; a taräi to Kdnunur, a tardi to Ngorövi.
Oh Geist! mein Kanu man soll kaufen schneli es die Leute (des) to Kdnunur, die Leute des to Ngorövi.
a tardi to Mataele, a tardi to Kakdi, a tardi to Vüimon, a tardi Turamdngu.
die Leute (des) to Mataöle, die Leute (des) to Kakdi, die Leute (des) to Vüimon, die Leute des Turamdngu.
Amä türanan! da balabäla vuvuraü te kantig’odnga.
Oh Geist! sie sollen mit ihrem ganzen Bauch verlangen nach meinem Kanu.
Oder auch folgender Zauberwunsch, bei welchem der Kalk häufchenweise verteilt wird:
A kabdti i katiäli! A kabdn i kanäli!
Der Kalk er (sei wie ein blendender) Federbusch! Der Kalk er (sei mir ein blendender) Federbusch!
Kótigu ta tabu mèro Tävui
Mein Muschelgeld (komme) von Tävui
Kótigu ta tàbu mèro Nódup
Mein Muschelgeld (komme) von Nödup
Kótigu ta tabu mèro Nótiga
Mein Muschelgeld (komme) von Nótiga
Kótigu ta tàbu mèro Rätavul
Mein Muschelgeld (komme) von Rätavul
Kótigu ta tabu mära Mdtupit
Mein Muschelgeld (komme) von Mdtupit
Kótigu ta tàbu maro Raluàn
Mein Muschelgeld (komme) von Raludn
Kótigu ta tabu mdro Kininingunan
Mein Muschelgeld (komme) von Kininingunan
Kótigu ta tàbu mdro Ralüma
Mein Muschelgeld(komme) von Ralüma
Kötigu ta täbu mabdra Kabakaddi
Mein Muschelgeld (komme) von Kabakaddi
Kötigu ta täbu mabdra Vurär
Mein Muschelgeld (komme) von Vurär
Kötigu ta täbu mabdra Livuon
Mein Muschelgeld (komme) von Livuon
Kötigu ta tabu mabdra Lutialüha
Mein Muschelgeld (komme) von Lutialüna
Kötigu ta tabu mara Ramddu
Mein Muschelgeld (komme) von Ramddu
Kötigu ta täbu mara Näviu
Mein Muschelgeld (komme) von Ndviu
Kötigu ta tabu na tauvdnua
Mein Muschelgeld (komme) von (einem meiner) Brüder.
Es werden die am Ende gabelförmigen Stangen (a taräba) geholt, welche als Brücke
vom Kanu zum Ausleger dienen; ferner werden die spießförmigen Betelholzstäbchen (a li)
geschnitzt und der Auslegerbaum (a äman) zugehauen. Letzterer ist aus leichtem, zähem
1) Die Frucht des Kätitabaumes (Parinarium laurinum?) ist länglich rund. Die Schale wird auch als Bart-
bürste gebraucht. Der mehr als kastaniengroße Kern wird erst auf einem Bambusknoten geschabt, dann geknetet
und wie Kitt aufgetragen. Nachher wird er mit Asche bestreut.
DIE SCHIFFAHRT BEI DEN BEWOHNERN VON VUATOM
263
Holz und ziemlich dünn. Die beiden Enden desselben (a hohör äman) werden auch schnabel-
förmig zugespitzt. Der ganze Baum wird in Kokoswedelfeuer geschwärzt, nur die Enden
werden mit grünen Bananenblättern umwickelt und nicht gebrannt. Die Kanuschnäbel werden
aufgesetzt und an den Kanurändern aufgebunden und verkittet. Bei der täkupa werden auch
die beiden Bretter auf die Seitenwand aufgenäht und ebenfalls verkittet. Für die taräba wird
hinter den Sitzhölzern jederseits ein Loch gebohrt. Früher war dies eine mühsame Arbeit,
da als Bohrer ein zugespitztes Stück der Tridacnamuschel diente; jetzt bedient man sich
eines im Feuer erhitzten Drahtes. Große Kanus haben meist 8—10 taräba. Ein oäna mit
vier taräba heißt a to na talili rioähga, eine etwas größere mit fünf a karäba n’oähga.
Die taräba oder Brückenstangen liegen in einer Entfernung von 80 cm voneinander. Die
vorderste, nicht als Sitz dienende, heißt a kaloäta (Tölpel). Sie werden zuerst am Kanu
festgebunden und liegen stets auf der linken Seite, sodaß man darnach leicht die Richtung
eines fahrenden Kanus erkennen kann. Dann wird der Ausleger etwa 1,80-2 m entfernt
parallel mit dem Kanu hingelegt; jederseits der taräba-Gabel wird je ein Li-Holz mit einem Stein
in den Ausleger geschlagen und mit der Gabel der Brückenstange verbunden (a tihütiha na
taräba). Die Höhe der Lz-Hölzer ohne Sitze beträgt etwa die Hälfte der Kanuhöhe, sodaß der
Ausleger oder doch wenigstens dessen Mitte bei besetztem Kanu auf dem Wasser liegt. Auch
werden jetzt die beiden rot, schwarz und blau bemalten zackigen Zweige (a pärarak) mit
dem starkgabeligen Ende (a käke na pärarak) auf die Enden des Auslegers gebunden. Die
Spitzen der li werden mit abwechselnd weiß-roten und rot-weißen oder weiß-schwarzen Drei-
ecken bemalt; bei der täkupa und der mut wird in der kupär eine elliptische rote Figur
(a kalängi) aufgemalt. Auch die äußersten Spitzen des äman werden rot gefärbt. Das Rot
wird, bevor es aufgetragen wird, verzaubert;
A tar i notiön, a tar i nohön, ta böbobo vuräkit.
Die rote Farbe sie lacht, die rote Farbe sie lacht, man soll hinschauen beständig.
A tar i nohön, ta vovoi vuräkit
Die rote Farbe sie lacht, man soll sie bewundern beständig
A tar i nohön, te kaihgu oähga ta vuvuraü
Die rote Farbe sie lacht, für mein Kanu ein heftiges Verlangen.
Auch die Sitzhölzer werden zur Hälfte weiß und rot, rot und weiß angestrichen. Alles
andere ist blendend weiß getüncht (i paripäri na märita). Über die Seiten des Kanus wird
noch ein Rotangstreifen (a pahgül) gebunden (di ädua tan) so genannt, weil der Rotang dem
dua (Tausendfuß, Julus) gleicht (Fig. 12).
Von der Spitze der Kanuschnäbel über die pärarak- und li-Hölzer wird eine schawlartige
Schnur weißer Hühnerfedern gespannt (a hgämum). Das neue Kanu ist fertig. Es wird ver-
suchsweise ins Wasser gelassen. Der Eigentümer schiebt es im Wasser hin und her (di
väki r’oähga), folgende Zauberworte lispelnd, bevor er es in die See stößt:
A oähga i düa, a oähga i dua, dua, dua, dua, dua . . .
Das Kanu ist (wie) ein Tausendfuß (welcher ruhig dahingleitet).
A oähga i düa a oähga i düa, düa, düa, düa, düa, düa . . ,
Das Kanu ist (wie) ein Tausendfuß . . .
Das Kanu wird auf zwei gabelförmige Stöcke gestellt; auch der Ausleger wird gestützt
und die Malereien am kömikon und dem li werden verdeckt bzw. mit Bambusschäften über-
stülpt zum Schutz gegen Regen und Sonne. Allgemeine Bewunderung belohnt den geschickten
Zimmermann und erhöht die Freude des Eigentümers ob der wohlgelungenen Arbeit. Ersterer
wird mit einem Essen beschenkt, an welchem alle Mitarbeiter resp. Zuschauer sich beteiligen.
Der Eigentümer zerschlägt eine Kokosnuß und spricht; Lapäh to N und der genannte to N
wird das Kanu kaufen oder ein anderer.
Als Lohn für eine große oähga erhält der tena madäka 4-5 Faden, für ein mittelgroßes
3 Faden; recht wenig für die viele Arbeit.
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Bald ist die Kunde von dem neuen Kanu weithin gedrungen, und Käufer besichtigen die
oänga, um sie für sich zu erwerben oder um sie weiter zu verkaufen. Große fehlerlose Kanus
mit 9—10 taräba kosten 40 Faden (80 M.), kleinere 15-25 Faden, Früher waren sie natürlich
viel teurer als jetzt. Der Käufer benennt das Kanu meist nach dem Ort, wo es gehauen
wurde: To Näbua (büa = Pflanze), To Vuna-bürbur (bürbur — Kegel), To Vuna kurü (kurü
= abgeschälter Baum), To Vuna-kälia (kälia — Fruchtart), To Morämoro (Platz der Inietver-
sammlungen), oder nach Eigenschaften oder Fehlern der Kanus z. B. To Mamalipä (wenn es
ausgebessert wurde), A tarai di pue (die Leute verachten es), To luai i düdu (das Vorderende
sinkt unter), To vcniä tar ia (man schimpfte, weil es schlecht ausgefallen war), oder nach
dem Essen: z. B. wenn bei der Feier Salm gegessen wurde Tiamän (Salm) oder nach dem
Handelsartikel, womit es angekauft wurde; z. B. Tiroa (Spiegel) usw.
Eine neuere Form der oänga ist der samoanische Auslegerkahn oängo tamo oder
a karaveta genannt (von „Corvette“). Sie unterscheidet sich in mehreren Teilen von dem
hiesigen, ursprünglichen, echten Kanu (a oänga tüna).
Sie ist im allgemeinen schwerer, sowohl das Kanu selbst, als auch der Auslegerbaum
und erhält keine Aufsätze (kömikon). Das Vorderende der karaveta läuft in eine meist senk-
rechte, etwas nach innen gebogene, scharfe Kante aus (Fig. 13 a, b), das spitze Hinterende trägt
eine mehr oder weniger tief eingeschnittene Nase. Ist letztere tief eingeschnitten, so heißt sie
Papageischnabel (a nie na kälangar) (Fig. 14), andernfalls Haifischschnauze (a käbe na bia)
(Fig. 15). Ist die Stirne des Papageischnabels breit, so heißt sie Maske (a lor). Manchmal
stehen noch einige Zacken vor der Nasenspitze (Fig, 16). Die Brückenstangen (a taräba)
liegen festgebunden in der Gabel von je zwei schräg kreuzweise stehenden, in den Ausleger
getriebenen Zi-Hölzern (Fig. 17). Über den Kanurändern wird jederseits eine Betelstange
(aurüruk) längsgebunden, ähnlich wie der Rotang bei der oänga tüna. Bei großen Fahrzeugen
ragen die vier oder sechs mittleren taräba über den Rand des Kanus hinaus. Zur karaveta
werden sowohl Itihg- als auch Brotfruchtbäume (Ärtocarpus), Galipbäume (Carinarium indicum)
DIE SCHIFFAHRT BEI DEN BEWOHNERN VON VUATOM
265
*
und besonders die mächtigen ibärai-Bäume mit lindenförmigen Blättern verwendet. Es gibt
karaveta von über zehn Meter, wie auch welche von kaum zwei Meter, die nur eine Person
fassen. Neuestens werden die Enden der karaveta auch wohl mit Brettern verdeckt, sowohl
damit die Wellen nicht so leicht hineinschlagen, als auch, um die Sachen trocken zu halten.
Auf einem Bambus- oder Brettertisch (vatär) in der Mitte des Kanus oder der Brücke werden
Körbe u. dgl. gelegt. Auch werden die karaveta oft, besonders der Kiel mit Teer ^ oder Farbe anstatt mit Kalk angestrichen. r—
Zu jeder größeren karaveta gehört ein Segel (a tel). Bei kleineren Kanus 1 a 6
leistet ein aufgespannter Regenschirm dieselben Dienste. Fig. 13 a. Fig. 13 b.
Der stets in der Mitte des Kanus stehende Mast, ein harter Bambus (a kaur vat) wird
durch drei Seile festgehalten. Der untere, breite Teil des trapezförmigen Segels aus Tuch-
stoff wird durch einen wagerecht hängenden Bambus, die obere äußerste Spitze durch einen
beinahe am Maste in einer Schlinge hängenden, dünnem Bambus gespannt. Ein dreieckiges
Segel (a sipsip) hängt zwischen der Mastspitze und dem Bugende des Kanus.
4
i
Beim Fahren liegt das Segel stets rechts, dem Ausleger gegenüber. Soll das Segel um-
gelegt werden, wird auch das Kanu umgedreht, so daß das Hinterende nach vorne kommt,
wo dann auch das sipsip befestigt wird. Bei sehr starkem Wind setzen sich eine oder zwei
Personen auf den Ausleger, um das Umkippen des Kanus zu verhüten. Das Segel von großen
Kanus mit überstehenden Brückenstangen liegt auch über dem Ausleger; um das Gleichge-
wicht zu bewahren, setzen sich in dem Falle die
Leute auf die vorspringenden taräba.
Zum Kreuzen sind diese Segelkanus wenig zu
gebrauchen. Mit Achterwind jedoch gleiten die
Fahrzeuge schnell voran. - Bei starker See muß
beständig ein Insasse das einschlagende Wasser
ausschöpfen. Als Schöpfer wird das zähe, bieg-
same Hüllblatt der Betelpalme (a kupepe) benutzt.
Die Ruder der Eingeborenen (a vo) sind
meist aus hartem, aber nicht zu schwerem Holz
gehauen. Sie werden mit Obsidian resp. Glasscherben glatt geschabt und mit gebrannten
Galipschalen geschwärzt.
Die lanzettförmige Schaufel läuft in eine lange Spitze aus (a mäkuru na vo) (Fig. 18).
Ist die Spitze weniger lang, so heißt das Ruder a vo na piöl (Fig. 19). Erstere stammen
von der Nordküste, letztere allein wurden früher hier gebraucht; doch kaufen sich die hiesigen
Eingebornen große Ruder von den Leuten von Tävui und Vlävolo.
Der Stiel des Ruders verlängert sich bis etwa ein Drittel auf der Schaufel und ist mit
der schnörkelförmigen pir-Zeichnung verziert. Der Knauf des vo na piöl ist oft geschnitzt,
besonders bei den Rudern, die als Erbstück gelten (a vo na väki). Die einfachem vona piöl
sind mit Ring (a popöko bat) und Knopf (a kilemu Stöpsel) versehen (Fig, 19). Bei andern
266
P. O. MEYER
z. B. a tälia besteht der Knauf aus einem Knopf, zwei Ringen, einem zweiten Knopf und einer
flachen, der talia-Frucht (Terminalia) ähnlichen Erdspitze (Fig. 20); bei dem po ist die nach-
gebildete, eiförmige Frucht des po-Baumes (Barringtonia) nach oben und unten von Ring und
Knopf begrenzt (Fig. 21). Spitz zulaufende Stiele heißen a läpi na mäleo (Aalschwanz).
Die bemalten Ruder (a maläi), welche meist aus Nakanai stammen, werden fast nur bei
Totenfeierlichkeiten benutzt.
Beim Rudern wird das Wasser von vorne nach rückwärts geschaufelt. Die
linke Hand hält den Knauf und drückt den Stiel nach vorne; die rechte Hand bildet
1 den Ansatz zum Hebel, Selbstverständlich wird stets im Takt gerudert. Der
Steuermann macht die Bewegungen, das Bücken
der Ruderer mit, selbst wenn er nicht mitrudert.
Das Steuerruder ist größer als die anderen. Soll
das Kanu nach links gewendet werden, so wird
das hintere Ende des Kanus nach rechts gezogen
und umgekehrt.
Fährt die oänga über das Riff, so wird es
mit einer Stange (aikir) fortgeschoben. Der
Steuermann legt dann das Ruder dicht an das
Kanu und dreht die Schaufel nach rechts, so-
daß sie im spitzen Winkel zum Hinterende des
Kanus steht, oder nach links, sodaß sie einen
stumpfen Winkel zum Kanu bildet, je nachdem
das Kanu nach rechts oder nach links fahren soll
(di kamir ia). Von kräftigen Armen bewegt,
fährt eine oänga ebenso schnell wie ein Ruder-
boot: außerdem ermüdet das Rudern im Kanu
weniger als das im Boot.
Bei bewegter See ausfahren ist nicht
ungefährlich. Ist der Ausleger nicht fest gebunden
oder sind die Rotangschnüre zu alt, so kann eine Welle ihn lostrennen, was natürlich das
Umkippen des Fahrzeuges zur Folge hat. Geschickte Seefahrer jedoch lassen es nie soweit
kommen. Wenn sie sehen, daß der Ausleger bald abreißen wird, so springen sie in die See
und befestigen ihn wieder, wenn nötig mit ihrem einzigen Kleidungstücke. Starke Dünungen
brechen auch wohl das Kanu in der Mitte durch, im Augenblicke nämlich, wo das Kanu auf
einem Wellenkamm steht und die beiden Enden in der Luft schweben.
Das Schlimmste bei diesen Mißgeschicken ist den Leuten meist nur das Verlorengehen
ihrer Sachen, Muschelgeld suchen sie natürlich zu allererst zu retten; dann greifen sie nach
einem Ruder oder einer Stange und schwimmen dem Lande zu. In früheren Zeiten schwammen
sie bei solchen Unfällen wohl nie dem näherliegenden feindlichen Ufer zu, aus Furcht getötet
zu werden. Vor einigen Jahren noch verunglückte ein Kanu mit Reberleuten in der Nähe
von Vunävutühg. Kaum gestrandet, gingen sie weiter, ohne sich selbst bei dem sie einladen-
den Pater aufhalten zu wollen.
Auch bei den Eingeborenen gilt das Strandrecht, d h. auf See treibende oder ange-
schwemmte Sachen gehören dem Finder.
Kleine Knaben von sieben Jahren wissen schon Ruder und Steuer zu handhaben, während
die Weiber weniger Fertigkeit im Kanufahren zeigen.
Häuser zur Aufnahme der oänga werden hier nicht gebaut. Sie steht am Ufer auf
zwei Hölzern. Der Ausleger hängt bzw, ruht auf mehreren in den Boden gesteckten Stöcken
(a tongör). Vor Sonne und Regen wird sie verdeckt mit Bananenblättern und Kokoswedeln.
DIE SCHIFFFAHRT BEI DEN BEWOHNERN VON VUATOM
267
Um die Kanus gut instand zu halten, werden sie alle ein oder zwei Monate mit Kalk be-
strichen, neu gebunden und bleiben dann einige Zeit stehen, damit der Kalk eintrocknet
(i pönipon). Gut versorgte Kanus bleiben fünf und mehr Jahre tüchtig.
Die etwa 150 Leute, die hier in Reber am Ufer wohnen, besitzen nicht mehr als drei große
und doppelt so viele mittelgroße Kanus. Die meisten oänga, welche sie hauen, sind bald ver-
kauft. Will einer ein Kanu leihen, so bezahlt er % bis 1 Faden Muschelgeld, - für alte
Kanus weniger. Für die Fahrten nach Nakanai wurden die geliehenen Kanus mit 2, 3 oder
4 Faden vergütet, je nachdem die Leute viel Tabu mitbrachten. Ein Totenkanu leihen kostet
2 Faden.
Bringt jemand das geliehene Fahrzeug beschädigt zurück, so muß er es kaufen. Will er
es nicht kaufen, so läßt der Eigentümer es in Regen und Sonne liegen und erzwingt sich
so das Geld.
Die Wände eines verdorbenen Kanus werden als Bretter gebraucht sowohl für Türen als
auch für Gestelle und Tische; selten werden sie zu Rudern verarbeitet. Hier in Nord-Vuatom
werden die Kanubretter nicht wie in anderen Orten als Särge verwendet.
Bei Totenfeierlichkeiten werden Kanus mit und ohne Ausleger aufgestellt. Zu Ehren
der Toten wird Muschelgeld mit in die oänga gelegt. Das Ganze ist umgeben von dem Toten-
gerüst und den Lanzen mit angebundenem Muschelgeld. Die Schnabelspitzen werden verziert
mit einem etwa 8 cm breiten, roten Rotangstreifen, welcher jederseits von einem Band Tabu
begrenzt ist (a ulaüvu).
Nach den Vorstellungen der Eingeborenen fahren die Geister der Verstorbenen nach Sambai
(Tabäi)1), ihrem Aufenthaltsort. Auch kommen sie im Kanu zurück, um die Lebenden zu be-
lästigen. Würde kein Kanu aufgestellt, so müßte der Geist des Toten stets in der Nähe seines
Gehöftes bleiben zum Schrecken der Leute, die ihn nicht einmal mit einem Kanu „geliebt“ haben.
Ist der Verstorbene ein angesehener Eingeborner, so werden ein oder mehrere kunstvoll
geschnitzte Kanuschnäbel (a tabatdba)2) aufgestellt (Taf.XII). Diese werden nur von den Bewohnern
der Neu-Lauenburggruppe verfertigt. Das Schnitzen einer tabatäba ist eine langwierige, nicht
wenig Geschick erfordernde Arbeit, besonders wenn man der primitiven Werkzeuge gedenkt,
mit denen sie betrieben wird. Jetzt wird Dexel und ein einfaches Taschenmesser dazu benutzt.
Die ganze Arbeit dauert mehrere Monate.
Zu gewisser Zeit, meist vor den Nakanaifahrten (April, Mai) begeben sich die Eingebornen
von Reber nach Vülu, Ütuan, Kabäkol, Keravära und Miöko, um pele — das dort verfertigte
Muschelgeld — zu kaufen. Gleichzeitig bringen sie die eine oder andere tabatäba mit.
Der Preis einer tabatäba d. h. einer doppelten, da sie aus zwei Schnabelaufsätzen besteht,
beträgt 100 Faden (200 M.) oder falls sie klein ist, 50 Faden.
In letzter Zeit kommen die Leute von Utuan hierher, sowohl um dieselben zu verkaufen,
als auch um pele gegen hiesiges Muschelgeld zu vertauschen.
Eine tabatäba besteht aus einem eigentlichen Kanuschnabel mit dreieckigen zickzack-
förmigen Mut-Malereien3), an dessen Innenwinkel Schnitzereien angebracht sind. Das Mittel-
stück stellt eine menschliche Figur dar, meist einen tübuan (Fig. 25, 26, 28, 29) oder ein
heiliges bzw. Geistertier: einen Kasuar a murüp (Fig. 22, 25), einen Nashornvogel a kokömo,
a moröhgo (Fig. 28), eine Schlange a käliku (Fig. 27), ein Krokodil a maräu, einen Haifisch
a bia (Fig. 24), eine Krabbe a bälua (Fig. 23, 24), einen Skorpion a köko pangapänga (Fig. 23)
1) Sambai = Fluß, etwa 2 Stunden nördlich von Toriu.
2) tabatäba heißt alles Wertvolle; Waffen, Geräte, Eingeweide usw. von taba, also wo alles dran hängt.
3) A biüt ist das faserige Hüllblatt der Kokoswedel. Die Malereien, besonders bei Totenfesten werden auf
diesen Stoff aufgetragen und heißen darum a tütumu na biüt (Malerei auf Biulstoff) oder einfach, a biüt! —
Die verschiedenen Muster haben natürlich besondere Bezeichnungen, wie a perepere nangelep (ngelep ist die
Brennpalme Caryöta) oder a daudaul (von daula, Fregattvogel oder von daudaul, Pflanze, deren Stengel zick-
zackförmig ist).
Baessler-Archiv I. 6. 35
268
P. 0. MEYER DIE SCHIFFAHRT BEI DEN BEWOHNERN VON VUATOM
usw. Ist die Mittelfigur nicht gestreckt, so werden an jeder Seite ähnliche Tierfiguren als
Verlängerung angebracht. Die meist schwarze Mittelfigur und 'deren Ausläufer stehen auf
je zwei oder drei Füßen. Vielfach werden europäische Figuren angebracht — vor kurzem sah
ich einen Christuskopf mit Heiligenschein als Mittelstück einer tabatäba. Die hiesigen Ein-
gebornen haben aber am liebsten solche tabatäba, an denen nur ihre Figuren angebracht
sind. Zwischen und über den Figuren wechseln frei- und feststehende weiß, rot und schwarz
(blau) bemalte Kammstäbchen ab. Die beiden Enden laufen in strahlenförmige Stäbchen aus.
Der Rand ist oft gezackt. Die Figuren der beiden für ein Kanu bestimmten tabatäba gleichen
sich; nur die Stäbchenschnitzereien zeigen geringe Verschiedenheiten.
Wegen der vielen gezackten Schnitzereien heißt die tabatäba auch wohl a karabel.
Daher der Ausdruck der höchsten, ohnmächtigen Bewunderung; „A karabel ikonöm i au, die
tabatäba verschlingt mich!“ d. h. so etwas Schönes kann ich mir nicht leisten! es ist einzig.
Der äußere Rand wird oft mit grasartigen, gefärbten Pflanzenbüscheln (a vilivil) behängt.
Die tabatäba werden von hier aus meistens weiter verkauft - auch wieder für 100 bzw.
105—110 Faden, nach Baining, Vurär und Livuon. Sie werden nur von ebengenannten Ein-
gebornen gebraucht, d. h. von allen denen, welche den Baining-, S- resp. Vuatomdialekt
sprechen. Die Leute der Nordküste, auch die von der Südspitze Vuatoms kennen sie nur
dem Namen nach.
In Kabäir und Baining bleiben die tabatäba — wohl nicht die neuen — nach dem Toten-
fest im Freien stehen, bis ein andrer sie kauft oder bis sie verdorben sind,1)
Nur bei der Dukdukfeier, wenn der tübuan (die Tanzmaske) auf der See erscheint (ikävai),
fährt die tabatäba auf See.
In früheren Zeiten wurde sie mit dem betreffenden, zugehörigen Kanu (önga na tabatäba)
hierher gebracht, während sie jetzt mit dem Boot geholt wird.
Überhaupt haben die europäischen Boote schon vielfach die größeren oäfiga verdrängt,
besonders dort, wo letztere wegen Mangel an passenden Bäumen nicht mehr verfertigt werden.
1) Eine kleinere tabatäba, a köm genannt, bei welcher die Endspitzen des Schnabelaufsatzes rechtwinkelig
nach außen stehen und die weniger großartige Schnitzereien (a karabel) tragen, war früher wohl ebenso häufig
als die große tabatäba.
Vi>
BAESSLER-ARCHIV I. 6. (P. 0. MEYER: Die Schiffahrt bei den Bewohnern von Vuatom [Neupommem, Südsee].)
ZUR FEUER- UND NAHRUNGSBEREITUNG DER
MARSHALL-INSULANER (SÜDSEE).
VON
P. J. WENDLER, M. s. c., MARSHALL-INSELN.
I. BEREITUNG DES FEUERS.
Als Nahrungsmittel kommt Pfeilwurzmehl besonders als dünner Brei (lagabla), und mit
getrocknetem Pandanusmus gemischt (beru), als eine Art Pfannkuchen auf den Tisch des
Marshallaners. Das Pfeilwurzmehl wird in einer größeren Kokosschale mit Wasser zusammen-
gerührt und in einem eisernen Topf oder einer Blechbüchse gekocht. In den alten Zeiten hatten
die Marshallaner keinen Kochtopf, und es wurden alle Speisen geröstet; nur das kahnförmige
Hochblatt der Kokospalme (wudak), sowie einige Sorten Muschelschalen (arri) und junge, noch
zähe Kokosnußschalen dienten als Wasserbehälter und Kochtopf, um das Pfeilwurzmehl
zu kochen.
Die Methode der Feuererzeugung (it oder edon) ist die folgende:
Man legt ein größeres, weiches Stück Holz auf den Boden und hält es mit den Füßen
fest, damit es sich nicht bewege. Sehr gut eignet sich zu diesem Zweck das trockene Holz
von einer Baumart, wut genannt, aber auch jedes andere Holz. Die Dielen der Häuser werden
als Reibholz benutzt, ebenso gut wie Kistenbretter; als Kraftprobe gilt es, nasses Holz zum
Glimmen zu bringen, was natürlich äußerst anstrengend ist. — In dieses untere Holz, das
als Reibfläche dient, wird mit einem Stein oder einem Muschelstück eine Rille, 5-10 cm lang,
geschnitten. Ein in diese Rille passendes, zugespitztes Stück Holz, plok genannt, wird mit
beiden Händen auf- und abgerieben, erst langsam, bis etwas Rauch aufsteigt. Am Ende der
Rille, wo der abgeriebene Mulm liegen bleibt, sorgfältig geschützt, damit kein Windstoß ihn
verstreue, entsteht zuerst ein leichtes Glimmen, das bei beschleunigtem Reiben immer stärker
wird. Durch Klopfen auf das untere Holzstück und leichtes Anblasen wird der glimmende
Mulm zur Flamme entfacht, die mit trockenen Kokosblättern oder Kokosschalen genährt wird.
Das Reiben dauert 3—5 Minuten, bei feuchtem Holz natürlich länger. Frauen und schwäch-
liche Personen können eine Stunde reiben und doch am Ende resultatlos den Reibstock bei-
seite legen, was natürlich die Spottsucht der Zuschauer in hohem Maß erregen mag.
Eine andere Methode, Feuer herzustellen, wie die der Bewohner der Truck-Inseln in
den Karolinen, die ausser nach obiger Reibungsmethode auch durch Drehen eines spitzen
Stockes in ein weiches Stück Holz Feuer erzeugen, scheint den Marshallanern nie bekannt ge-
wesen zu sein.
Als vor etwa 8—10 Jahren ein mit Petroleum beladenes Segelschiff auf der Insel Bikar
oder Dawson-Insel (170—171° östl. L. v. Greenwich, 12—12° nördl. Br.) strandete und die weiße
Besatzung mit Zurücklassung eines Toten ihr Heil auf den Booten suchte, aber verscholl, be-
dauerten die Marshallaner die Weißen, die, wie aus den Überbleibseln ihres Mahles ersichtlich
war, die dort zahlreichen Vögel und Fische roh gegessen hatten.
„Wir dagegen“, so erzählte ein Mann von der Insel Mejit, „hatten bei einer ähnlichen
Gelegenheit, als unser Fahrzeug bei starkem Westwinde abgetrieben war, bevor wir uns an
Bord begeben konnten, keinen Mangel an Feuer, da unsere Streichhölzer nicht wie die Streich-
35*
270
P. J. WENDLER
hölzer der Weißen nach einmaligem Gebrauche oder bei Nässe untauglich werden und weg-
geworfen werden müssen; uns fehlte nur Trinkwasser, welches wir aber durch Graben zu-
fälligerweise am Strande fanden, allerdings etwas brackig“.
II. DER KOCHHERD.
Nicht mehr Schwierigkeiten als die Feuergewinnung bietet die Konstruktion des Koch-
herdes; eine Arbeit, die den Frauen obliegt.
Zunächst wird in sandigem Boden, am liebsten am Lagunenstrand, ein fußtiefes Loch ge-
graben, in welchem das gewonnene Feuer durch Hüllen der Kokosnuß (buäo) oder sonstiges
Brennmaterial unterhalten wird. Dieses Feuer wird dann vollständig mit kleinen Korallen-
steinen bedeckt, bis kein Rauch mehr aufsteigt; auf diese Steine wird dann das zu kochende
Essen gelegt: Fisch, Brotfrucht, Pfeilwurzbrei in Blättern usw. Wenn es dann mit einer
Schicht Blätter zugedeckt wird und liegen bleibt, bis alles gar ist, nennen die Eingebornen diese
Zubereitung umum, d. h. rösten; werden die Speisen aber umgedreht, dann nennen sie es
kämat, d. h. kochen.
Auch das Braten, ähnlich unserm Kartoffelbraten im Felde, ist bei den Marshallanern ge-
bräuchlich, besonders für Brotfrüchte und Taro (kuonjin).
Für die gewöhnlichen Mahlzeiten der Eingebornen, die weder an Zeit noch an Ort ge-
bunden sind, genügt eine kleine, etwa % m breite und ebenso lange Grube; für außerordent-
liche Gelage aber, wie sie beispielsweise nach einem reichlichen Fisch- oder Schildkrötenfang
stattfinden, sowie beim Zurichten von mogan (Pandanusmuß) werden 2-4 m im Diameter
messende Gruben als Kochherd benutzt, die nach Gebrauch von der Asche gereinigt und
für die nächste Gelegenheit vorbereitet werden.
Bei der Bereitung des Pandanusmußes heißen die Gruben um in kilok. Die schwarze
Asche (kübue in um) wird neben der Grube angehäuft, und so entstanden kleine Hügel, die
manchmal 20 m im Umfange und 5 m Höhe aufweisen. Diese Hügel, die hier in Likieb z. B.
sehr zahlreich und stets in gewissen Abständen von etwa 100 m, manchmal auch weniger,
sich vorfinden, erregen oft die Neugierde der Weißen und könnten vielleicht noch als Massen-
gräber angesehen werden. Jedenfalls lassen sie auf eine zahlreiche Bevölkerung schließen,
die ehedem, vielleicht vor etwa 200 Jahren, diese Hügel als Andenken hinterließ; möglich
aber auch, daß sie einer weit entfernteren Vergangenheit angehörten, wofür aber noch die
Beweise fehlen. Ein guter Freund, der diese Aschenhaufen als Humus betrachtete und sie be-
baute, hatte aber nur große Enttäuschungen zu ernten.
III. BEREITUNG DES PFEILWURZMEHLS.
Das aus den Wurzelknollen der Pfeilwurzel1) gewonnene Stärkemehl ist seiner leichten
Verdaulichkeit wegen ein vorzügliches Nahrungsmittel und spielt im Haushalte des Marshall-
insulaners unter dem Namen Mogemök eine wichtige Rolle.
In seinen „Ethnologischen Erfahrungen und Belegstücken aus der Südsee“, S. 143 [399],
scheint Dr. O. Finsch das Pfeilwurzmehl mit dem Taromehl zu verwechseln, wenn er schreibt;
„Mogemok heißt ein aus den Knollen einer Taro- oder Arumart gewonnenes Mehl, welches von
jeher von den nördlichen Inseln nach den südlichen vertauscht wurde“. Die in den Marshall-
Inseln eingeführte Taroart (iaraj) ist in den südlichen Inseln, wie Ebon, Mille, M-edjuro, Namrik
viel häufiger als in den nördlichen, mit Ausnahme der Insel Mejit, dagegen wird Arrrowroot
(makmak) fast nur in den nördlichen Inseln, besonders Ligieb, Mejit, Utirik, Ailihlablab,
Kwajelein gewonnen. Übrigens ist es mir überhaupt unbekannt, daß die Marshallaner aus
1) Als systematischen Namen gibt der Verfasser Maranta amndinacea an, die bekanntlich aus Westindien
stammt. Eine von ihm beigegebene Skizze läßt aber keinen Zweifel darüber, daß es sich um die in Ozeanien
einheimische Tacca pennifida handelt. (Red.)
ZUR FEUER- UND NAHRUNQSBERE1TUNQ DER MARSHALL-INSULANER (SÜDSEE) 271
den Tarowurzeln Mehl gemacht haben; denn die Taro werden einfach gebraten und ver-
schmaust; indes habe ich die Bereitung des Pfeilwurzmehles selbst mehrmals gesehen und
soll die langwierige Arbeit, die ja ohne jede Maschine verrichtet wurde, im folgenden etwas
erörtert werden:
In den Sommer- und Herbstmonaten sieht man auf den nördlichen Marshallinseln, sowohl
auf Sand- wie auch Steinboden, das üppig wachsende Kraut der Pfeilwurzel mit seinem
mannshohen, knollentragenden Stengel und seinem unregelmäßig geteilten Blatte. Die von
den Knollen herabhängenden Staubfäden, welche die Eingebornen als Bart der Pfeilwurzel
bezeichnen, geben durch ihre dunkelrote Färbung der grünen Landschaft etwas Abwechslung.
Die grünen Knollen, ähnlich denen der europäischen Kartoffeln, bergen den Samen und dienen
den Kindern als Wurfgeschoß; der hohle Stengel jedoch, der manchmal über 2 m hoch ist,
gibt, zu Fasern aufgelöst, Material zu schönen Hüten, die jedoch infolge der mühsamen Arbeit
nur Eigentümer der Häuptlinge sind. Auch finden die streitlustigen Bürschchen in dem hohen
Stengel (eidekdek) zu viel Ähnlichkeit mit einem Speere und gebrauchen ihn auch als solchen.
Ende November und anfangs Dezember welkt das Kraut der Pfeilwurzel ab und dann be-
ginnt die Ernte der im Boden an den Wurzeln festsitzenden Pfeilwurzelknollen. Mit spitzen
Holzstangen, neuerdings auch mit Pickhacken, Spaten und eisernen Stangen werden die
Wurzelknollen, die unseren Kartoffeln sehr ähnlich sind, ausgegraben und in Körben aus Palm-
blättern gesammelt. An den Stellen, wo steiniger Boden vorherrscht, wird nur hie und da
eine Staude ihrer unterirdischen Schätze beraubt; denn das Graben kostet zuviel Arbeit und
Anstrengung; ja selbst auf vorwiegend sandigem Boden werden nur die weiblichen Stauden,
die keinen Stengel haben, beraubt, indes die männlichen oft verschont werden, da ihre Knollen
kleiner sind als die der stengellosen Stauden. Die Eingebornen wissen stets die vieltragenden
Stauden zu finden, denn jedem Blattstengel entspricht eine Wurzelknolle. Nur die dicksten
Knollen werden gesammelt, indes die kleineren, die bei einer Staude oft die Zahl von 10—20
erreichen, als Saat zurückgelassen werden. Die Eingebornen nennen die kleinen Knollen lib
in makmak (Eier der Pfeilwurzel). Da die Pfeilwurzel wie Unkraut wuchert, machen sich die
Leute keine weiteren Sorgen über den Nachwuchs. Man kann im folgenden Jahre nicht be-
merken, wo die vorjährige Pfeilwurzernte stattgefunden hat.
Die mit Pfeilwurzknollen gefüllten Körbe (baninnur) werden an den Lagunenstrand ge-
tragen und in einen aus Kokosnußfaserschnur weitmaschig geflochtenen Sack, einem Fischnetz
ähnlich, geschüttet. Der Sack wird sodann oben mit einer Kordel zugebunden und in das
Seewasser gebracht, wo die Pfeilwurzknollen von der Erde und dem Sande mittels der Füße
gereinigt werden. Nach diesem Reinigungsprozeß wird der Sack aus dem Wasser gezogen.
Jetzt beginnt die anstrengende Arbeit des Reibens. Knolle für Knolle wird auf großen,
rauhen Riffsteinen zu einer rötlichen Masse (ünen rub), ähnlich geriebenen Kartoffeln, zerrieben
(irir) und in großen Blättern aufgefangen. Die Männer, deren Arbeit die Bereitung des Pfeil-
wurzmehles ist, sitzen gewöhnlich im Kreise um ein 1-2 m großes und etwa y2-3/4 m tiefes
Loch, das mit Laub ausgekleidet ist. Auf dem Laube dieser Vertiefung befindet sich eine
große, starkgeflochtene Pandanusmatte, die so groß ist, daß wiewohl ihre Mittelfläche auf der
unteren Blätterschicht der Vertiefung ruht, die vier Ecken noch ein gutes Stück über den
Rand des Loches hinausreichen. Diese Matte bildet eine Mulde, um das durchgeseihte Pfeil-
wurzmehl aufzufangen.
Sind die Knollen mit der Hand auf den Riffsteinen zu ünen rub gerieben, so wird ein auf
vier Stangen ruhender Kasten (wa in liklik = Seihe), dessen unterer Teil offen und nur
mit Kordeln von Kokosnußfasern überspannt ist, über die Matte aufgestellt. Damit beim Durch-
seien keine größeren Stücke des ünen rub oder sonstiger Schmutz in die Matte falle, werden
die gespannten Kokoskordeln des Seihkastens noch mit zähen und geschmeidigen Kriech-
wurzeln (kilkau) bedeckt. Die geriebene Arrowrootmasse wird dann in der netzartigen Hülle
272
P. J. WENDLER
des jungen Kokospalmblattes (inbü), welche als eigentliches Seihtuch dient, eingehüllt, in den
Kasten gelegt, mit Seewasser begossen und fortwährend mit den Händen geknetet. Während
ein Mann ständig knetet, gießt ein anderer von Zeit zu Zeit mit einem Kanuwasserschöpfer
Seewasser auf die Masse. Das Wasser fließt mit dem reinen Pfeilwurzmehl in die mulden-
artig untergelegte Matte. Dieses Wasser mit Pfeilwurz vermischt, heißt ünu. Das Pfeilwurz-
mehl setzt sich an die Matte an und bleibt deswegen noch 1-2 Stunden in derselben
stehen, bevor das Wasser weggegossen wird. Der ausgeknetete Stoff (wo) wird dann weg
geworfen.
Nach Verlauf von etwa 2 Stunden wird das durchgesickerte Mehl noch ein zweites Mal
auf dieselbe Weise durchgeseiht (epta), ja bei größerer Menge selbst ein drittes Mal. Durch
dieses Verfahren verliert die Pfeilwurzelknolle ihre Bitterkeit. Ist alles Wasser abgeschöpft,
so wird das Mehl zusammengeschabt und in der Hülle des jungen Kokospalmblattes, welches
auch als Seihetuch diente, aufgehängt, damit alles Wasser abtraufe; bei diesem Verfahren
heißt der Mehlklumpen bobu in Ujilan, weil die Leute des Ujilan-Atolls es also machen. Auf
andern Inseln, wie Ligieb, Utirik dagegen, wird der Mehlklumpen in derselben Umhüllung in
ein mit Blättern ausgefülltes Loch gestellt, damit das Wasser abfließe; bei letzterem Verfahren
heißt er likadekdek.
Sobald alles Wasser abgetropft ist, stellt man den festgewordenen, rundlichen Pfeilwurz-
mehlklumpen an einen schattigen Platz, gewöhnlich in die Hütte, damit er noch mehr an Festig-
keit und Trockenheit gewinne. Nach etwa 2 Tagen wird er auf einer Matte zerstampft und
in den Sonnenschein gelegt, damit er durch und durch trockne, was etwa 2—3 Tage dauert.
Das schneeweiße Mehl wird dann in Pandanusblätter eingewickelt oder in Mattensäcken auf-
bewahrt, wo es sich bei weitem über ein Jahr halten kann. Ein Korb von etwa 20 Pfund
kostet hier in den Marshallinseln zirka 4 Mark. Dieser Preis ist nicht zu hoch, wenn man
die große Arbeit berücksichtigt, die die Bereitung des Pfeilwurzmehles kostet. Auf einen Korb
Mehl gehen etwa sieben Körbe Pfeilwurzknollen.
In neuerer Zeit werden die alten Geräte der Marshallaner durch europäische ersetzt und
selbst eine Pfeilwurzreibmaschine mit Handbetrieb, ähnlich einer Kartoffelreibmaschine, trat im
vorigen Jahre 1907 in Ligieb in Tätigkeit.
Die Bereitung des Pfeilwurzmehles, wie ich sie beschrieben, ist nicht von andern benach-
barten Insulanern eingeführt, denn die Gilbertbewohner, Nauruaner und Karoliner scheinen
entweder die Pfeilwurzel nicht zu kennen oder dieses Nahrungsmittel zu unterschätzen. Die
Eingeborenen von Neupommern, wo die Pfeilwurzel auch wuchert, lernten deren Bereitung
von Samoanern kennen und legen bei dem Reichtum ihrer Pflanzenwelt keinen Wert auf
dieses mühsam zu gewinnende Nahrungmittel.
Zum Schlüsse sei noch erwähnt, daß die mühsame Arbeit der Bereitung des Pfeilwurz-
mehles, besonders um seine Bitterkeit zu nehmen, in den Sagen der Marshallinseln als eine
Folge der Untreue und Gier der Menschen erwähnt wird. Nach einer Sage, die der hochw.
P.Erdland demnächst veröffentlicht, soll der schlaue Edao, dieser Rübezahl der Marshallinseln,
aus Wut über seinen Bruder Jemeluij, der einem Häuptlinge verraten hatte, daß die im
Boden verborgenen Knollen, nicht aber die am Stengel befindlichen grünen Knollen genießbar
sind, in die unterirdischen Knollen einen gewissen Saft geträufelt haben, wodurch sie bitter
wurden.
Nach einer anderen Sage soll Edao die Pfeilwurzknollen bitter gemacht haben, weil seine
Kinder, zwei Mädchen, die noch unentwickelten, kleinen Knollen ausgruben und verschmausten.
Nachdem er aber den bittern Saft in dieselben geträufelt, sollen die Kinder nicht mehr ge-
nascht haben, und so kamen die Pfeilwurzelknollen zu ihrer vollen Entwicklung. Solche und
ähnliche Sagen werden die alten Marshallaner sich wohl erzählt haben, wenn sie im Schweiße
ihres Angesichtes das Pfeilwurzmehl bereiteten.
ZUR FEUER- UND NAHRUNGSBEREITUNQ DER MARSHALL-INSULANER (SÜDSEE)
273
IV. DIE BEREITUNG DES MOGAN, EINER NATIONALSPEISE DER
MARSHALLANER.
Das Wort der Heiligen Schrift: Seid also nicht ängstlich besorgt und saget nicht: Was
werden wir essen oder was werden wir trinken, oder womit werden wir uns kleiden? wird
im allgemeinen von den Bewohnern der Marshallinseln getreu beobachtet. Die ärmliche
Bodenbeschaffenheit der Koralleninseln und die zur Zeit der Stürme unmögliche Ausbeutung
des Meeres veranlaßten jedoch die Marshallaner zu einer rationellen Vorsorge für Zeiten der
Not. Die häufigen, durch Stromversetzungen oder Unkenntnis der Seefahrt oft monatelang
dauernden Reisen erforderten gleichfalls haltbaren Proviant. Da es aber außer der Kokosnuß,
die früher nur spärlich angepflanzt wurde, keine haltbaren Früchte gab, so kam notwendiger-
weise die Konservierung der einheimischen Früchte in betracht, nämlich der Früchte des Brot-
und des Pandanusbaumes. Aus der Brotfrucht wird eine Dauernahrung, buiro genannt, be-
reitet. Die Inseln Arno, Mejuru, Malollab, Ailihlablab, Ebon, Mejit exportieren davon große
Mengen nach den brotfruchtarmen Inseln, wie Likieb, Jaluit, Utirik. Die Art und Weise der
Herstellung der recht unangenehm duftenden Brotfruchtkonserve ist mir zwar so ungefähr
bekannt, doch als Augenzeuge kann ich nur über die Bereitung der Pandanusfruchtkonserve
berichten. Letztere heißt in der Sprache der Eingebornen mogan.
Bei einem Besuche auf der Insel Utirik im August des Jahres 1908 hatte ich Gelegenheit,
in die Geheimnisse der mogan-Bereitung einzudringen.
Der Pandanusbaum (Pandanus odoratissimus), der wegen seiner am obern Stammende
schraubenförmig gestellten Blätter auch Schraubenbaum heißt, ist auf den Südseeinseln heimisch
und kommt auch in den Marshallinseln auf allen bewohnten Inseln vor. Auf den unbewohnten
Inseln fehlt er. Seine großen Früchte, bob genannt, reifen das ganze Jahr hindurch. Bleibt
die reife Frucht am Baume hängen, so erweicht der in der Mitte der Frucht sitzende Kolben
wie bei unsern Erdbeeren und verliert allmählich die rot- und orangefarbigen Zapfen, die bei
einem mittelgroßen, 20 Pfund wiegenden Exemplar die Zahl von 70-80 erreichen. Der obere
Teil der Fruchtzapfen bleibt hart und grün, der untere am Kolben sitzende Teil wird weich
und saftig. Die Eingeborenen saugen letzteren Teil bis auf die Fasern aus, sodaß ein aus-
gesogener Fruchtzapfen einem etwas dicken Malerpinsel gleicht.
Für einen gesunden Mann ist es kein Kunststück, eine große Pandanusfrucht auszusaugen;
die Kinder hören sozusagen den ganzen lieben Tag nicht auf, dieser angenehmen Beschäfti-
gung zu obliegen. Was die Menschen nicht bewältigen können, verbleibt den schwarzen
Borstenträgern, die im Kauen nicht ermüden. Bei manchen Pandanusarten fließt der zucker-
haltige Saft schon beim bloßen Drücken heraus.
Ist Überfluß an Pandanusfrüchten vorhanden, wie beispielsweise auf den Inseln Utirik und
Mejit, so schreitet man zur Bereitung der Konserve, bei welcher Arbeit sich alles mit er-
staunlichem Fleiß und gutem Humor beteiligt; jung und alt, gesund und krank, Häuptling und
Untertan. Es ist ein Leben geschäftig und lustig wie bei uns zur Zeit der Weinlese, Kein
Eingeborener wird für sich allein zu ungebotener Zeit mogan bereiten. Kaum aber hat der
Häuptling seinen Willen kundgetan, beginnt das emsige Treiben.
Die Frauen bereiten zuerst die Feuerstätte, d. h. es wird ein etwa 2 m langes, 1—2 m
breites und 1 — 1’/2 m tiefes Loch gegraben, in welchem ein mit Kokosnußfaserhüllen und
Kokosnußschalen genährtes Feuer unterhalten wird. Auf das Feuer wird eine Schicht kleiner
Korallensteine geschüttet, sodaß fast kein Rauch mehr aufsteigt. Sind die Steine stark erhitzt,
so werden sie mittels eines hakenförmigen Holzes so gelegt, daß in der Mitte des Herdes
eine Vertiefung entsteht. Auf die Steine legt man eine Schicht Blätter. Die Männer sorgen
nur für Brennmaterial, indes die eigentliche Arbeit des Kochens den Frauen obliegt. Jedes
Gehöft hat wohl eine solche Feuerstätte.
274
P. J. WENDLER
Jünglinge und Männer gehen sodann mit langen Stangen, an denen ein Messer befestigt
ist, auf die Suche nach reifen Pandanusfrüchten, schneiden oder drehen sie ab und tragen sie
in Körben aus Palmblättern oder auf langen Stangen festgebunden zum Herde, wo gar bald
ein kleiner Hügel von Pandanusfrüchten entsteht. Für diese Arbeit haben die Marshallaner
ein eigenes Wort: ogok, abschneiden, das nur für Pandanusfrüchte gebraucht wird.
Ist eine genügende Anzahl Früchte beisammen, um einen Herd zu füllen, so beginnt das
Kochen. Damit jedoch der Saft des oberen grünen Teiles des Fruchtzapfens nicht verloren
gehe, und die Früchte nicht einschrumpfen, wird jeder Zapfen mit einem großen Steine etwas
zerklopft. Sodann werden sowohl die einzelnen Fruchtzapfen als auch ganze Früchte in die
heiße Grube geschüttet und zwar in solcher Menge, daß ein etwa 1 m hoher Hügel die Feuer-
stelle noch überragt. Das Ganze wird dann von einer dicken Schicht Laub eingeschlossen
und mit Sand bedeckt. Manchmal stellt man in die Grube eine Schale der Riesenmuschel,
in welche dann der Saft der kochenden Früchte träufelt; es soll dies ein köstliches Ge-
tränk sein.
Sind die Pandanusfrüchte im Herde weichgekocht, was in etwa 12 Stunden geschehen
kann, so werden sie von den Mädchen und Kindern körbeweise aus dem Herde geholt und
zu den Männern gebracht. Diese sitzen um eine etwa V2 m tiefe Grube, die mit jungen
Palmblättern ausgelegt und mit einer großen Matte aus Pandanusblättern (köno) so überlegt
ist, daß in deren Mitte eine Vertiefung entsteht, worin sich der ausgeschabte Zuckersaft der
Pandanusfrüchte sammeln kann. Jeder der Arbeiter schabt auf einem runden Muschel- oder
Eisenstück, das an einem dreibeinigen niedrigen Holzgestell befestigt ist, jeden einzelnen
Fruchtzapfen so, daß der Saft auf die Matte fließt. Diese Arbeit der Männer heißt kilok.
Gewöhnlich geschieht es mit einer Hand; soll es aber ausnahmsweise schnell gehen, so ruft
der Häuptling; kilok in Bit, d. h. nach Gilbertinerart schaben, und beide Hände treten in
Tätigkeit. Bei schönem Wetter geschieht diese Arbeit unter einem schattigen Baum, bei
Regenwetter aber in eigens dazu erbauten Hütten, die nur ein Dach, aber keine Seitenwände
haben (iem an kilok). Ist die Matte gefüllt, so durchsucht man mit den Händen die goldgelbe,
honigartige Masse, um die dickeren Fasern der Pandanusfrüchte zu entfernen. Der gewonnene
Saft wird alsdann auf eine zirka 2 m lange und ebenso breite, aus Holzstäben verfertigte
Darre (jär), die mit einer Schicht großer Blätter belegt ist, geschüttet und ausgebreitet. Das
Essen wird bei all diesen Arbeiten nicht vergessen und das sonst so gebräuchliche Wörtlein:
i kuli = ich bin hungrig, verstummt für einige Zeit.
Wenig appetitlich sind allerdings die ungewaschenen, oft mit Ringwurm oder sonstigem
Hautausschlag bedeckten Hände mancher Arbeiter, ebenso das fortwährende Essen bei der
Arbeit, denn beim Beißen auf die gekochten Früchte fließt der Saft oft vom Munde in die
gemeinschaftliche Suppe herab. Zudem haben die Marshallaner, besonders die Raucher, die
wenig löbliche Gewohnheit, oft auszuspeien und obwohl ich diese ihre oft staunenswert ent-
wickelte Kunst nicht unterschätze, kann es doch passieren, daß das Ziel verfehlt wird. Ob
und inwieweit Hühner, die stets frei herumlaufen, bei der mogan-Bereitung mitwirken, über-
gehe ich aus ästhetischen Gründen und aus Mangel an Beweismaterial, das ich nicht er-
werben wollte. Auf ein Härchen als Zugabe kommt es auch nicht an; denn die Leute meinen:
das Kopfhaar wachse doch auf dem edelsten Körperteile, werde gesalbt und geziert, könne mit-
hin keinen Ekel verursachen.
Die auf der Darre ausgebreitete, einem Honigfladen ähnliche Pandanusmasse wird noch-
mals über einem Feuer zum Kochen gebracht. Als Brennmaterial dient außer Holz auch klein-
geschnittener Palmblattstiel und der ausgepreßte Pandanusfruchtzapfen. Das Feuer wird nicht
mit Steinen bedeckt. Nach einigen Tagen werden dann die Fladen an der Sonne getrocknet,
was mehrere Tage in Anspruch nimmt, da sie fortwährend umgewendet werden müssen. Die
anklebenden Blätter werden mittels eines stacheligen Pandanusblattes abgestreift.
ZUR FEUER- UND NAHRUNQSBEREITUNG DER MARSHALL-INSULANER (SÜDSEE)
275
Die Männer rollen darauf die Fladen um ein Stück Palmblatt fest zusammen, letzeres
wird später entfernt. Soll ein kleiner mogan entstehen, so genügt der Inhalt einer Darre, für
größere gebraucht man 3-5mal soviel; ganz große Rollen verschlingen 20-30 Fladen. Früher
sollen die mogan gewaltig groß gewesen sein, heutzutage aber ist eine im Durchmesser 20 cm
dicke und 2 m lange Rolle ein ansehnliches Exemplar. Die gerollten Fladen werden an drei Stellen
mit den geschmeidigen Luftwurzeln des Pandanusbaumes umwunden und unter eine Matte gelegt.
Ist eine Menge solcher Rollen beisammen, so bringen die Frauen und Mädchen sorgsam
verarbeitetete Pandanusblätter, indes die Männer selbstverfertigte Kokosschnur herbeischaffen.
Jede Rolle wird sorgfältig mit mehreren Schichten von Pandanusblattstreifen umhüllt. Die
letzte Schicht ist äußerst stark und so mit Kokosschnur der Breite und Länge nach um-
wickelt, daß es eine Kunst ist, eine Rolle zu öffnen. Die Luftwurzeln werden vorher entfernt,
damit die Rolle glatt und eben sei.
Infolge dieser sorgfältigen Verpackung widersteht die Pandanuskonserve jahrelang den
zerstörenden Elementen; dem Wasser, den Ameisen und dem alles vernichtenden Zahne der
Zeit. Sie läßt sich bequem tragen und ist infolge ihres reinlichen Äußern sowohl als ihres
süßen, feigenartigen Geschmackes sehr begehrt. Häuptlinge pflegen sich gegenseitig damit zu
beschenken. Das Pfund wird zurzeit mit 5 Pfennig bewertet, doch fällt es oft schwer, die
Eingeborenen zum Verkaufen zu bewegen, denn sie kennen gar wohl die großen Vorzüge ihres
heimischen Produktes.
Auf den Tisch kommt der mogan entweder in dünne Scheiben geschnitten wie unser
Pumpernickel oder in Wasser aufgelöst, als eine Art kalte Suppe (jinnöb).
Auch wird er häufig mit andern Speisen, besonders mit Pfeilwurzmehl vermengt und
liefert so verschiedene Gerichte, die für hiesige Insulaner Leckerbissen, für uns Europäer aber
oft das Gegenteil davon sind.
Was Dr. O. Finsch in „Ethnologische Erfahrungen und Belegstücke“ aus der Südsee,
S. 142 über tikaka (jegaga) schreibt, nämlich daß der Pandanuskonserve geraspelte Rinde
von Pandanus zugesetzt wird, welche Speise Kotzebue und Chamisso als verfaultes und
pulverisiertes Kokosholz ansahen, kann ich nicht bestätigen. Jegaga ist getrocknetes, unge-
kochtes Pandanusmuß und ganz verschieden von mogan. Übrigens ist die Bezeichnung der
Pandanuskonserve als mogan, die Chamisso gibt, sehr richtig, und Finsch verwechselt Pan-
danuskonserve (mogan) mit Brotfruchtkonserve (jäneguin oder wie er schreibt: dschenäguwe).
Die äußere Verpackung dieser letzteren, die der Pandanuskonserve gänzlich gleicht, gab jeden-
falls Anlaß zu dieser Verwechslung. Auch was von gefaultem und pulverisiertem Kokosholze
berichtet wird, beruht auf Wahrheit; denn zur Zeit der Hungersnot wurde in alter Zeit der
innere Teil einer häufig anschwemmenden Holzart, dem Kokospalmstamme ähnlich, zerstoßen
und mit Pfeilwurzmehl gemengt verspeist. Dieses Holz nennen die Eingeborenen buiäbui.
Es gibt noch Leute, die es aßen und als recht wohlschmeckend bezeichnen.
Zu jener Zeit lieferten auch Ratten einen guten Braten, und wer wollte es den verhungern-
den Marshallanern verargen, daß sie als passendes Gemüse dazu verfaultes Holz verspeisten?
Ähnliches ist doch auch in unseren zivilisierten Gegenden zu gewissen Zeiten vorgekommen
u°d kann sich noch wiederholen.
Nach dieser kurzen Abschweifung zurück zur mogan-Beschreibung. So verschiedenartig
die Pandanusfrüchte, so mannigfach sind auch die Varietäten der Konserve. Jede Insel hat
ihre besonders gute Marke, wie in Europa die weinbauenden Länder ihren speziellen „Tropfen“
haben. Wieviel Sorten es geben mag, kann ich noch nicht bestimmt angeben, in Utirik allein
konnte ich über 20 Arten zählen, für welche die Insulaner verschiedene Namen haben. Die
Bereitung der Pandanuskonserve ist von jeher in den Marshallinseln heimisch gewesen und
nicht von andern Völkern, am wenigsten von den Europäern erlernt worden. Der mogan spielt
eine Rolle in den Erzählungen der Alten, wie folgende Sage beweist:
Baessler-Archiv I. 6. 36
276 P- J- WENDLER DIE FEUER- UND NAHRUNGSBEREITUNG DER MARSHALL-INSULANER (SÜDSEE)
Edao, der Erzschelm, und Non leb, ein Zwerg, hatten gewettet, wer von ihnen das beste
Schiff bauen könne. Jeder baute ein Kanu: der Zwerg aus dem leichten Brotfruchtbaumholz,
Edao dagegen aus dem schweren Eisenholz, das im Wasser untergeht. Als Reiseproviant
nahm der ehrliche Zwerg einige Rollen mogan, Edao aber einige Stücke leichten Holzes, die
er mit Pandanusblättern und Kokosschnur so umhüllte, daß sie wie mogan aussahen. Zur
festgesetzten Zeit brachten beide ihre Fahrzeuge an den Außenstrand. Edao bewunderte
lustigerweise das Kanu des Zwerges und sagte; „Freund, du hast die Wette gewonnen, dein
Kanu ist besser; laß mich einmal damit fahren, indes du mit meinem Fahrzeuge nachkommst.
Die Schmeichelrede gefiel dem Zwerg, und er willigte ein. Edao fuhr also mit dessen Kanu
hinaus in die offene See, indes der Zwerg Edao’s Kanu bestieg. Kaum war jedoch das Fahr-
zeug vom Riffe frei, als es infolge seiner Schwere in den Wellen verschwand; nur die ver-
meintlichen Rollen mogan, die eigentlich untergehen sollten, schwammen frei umher. Der
Zwerg schwamm an Land zurück und rettete gleichzeitig einige Rollen mogan. Wie er-
staunte er aber, als er sie aufschnitt und ein Stück Holz darin fand. Edao aber lachte laut
auf und fuhr mit dem Kanu und gutem mogan in ein fremdes Land zu neuen Streichen.
Mit eintönigen Gesängen wird die Arbeit der mogan-Bereitung begleitet, denn an Dichtern
fehlt es bei den Marshallanern ebenso wenig wie bei den Deutschen, nur erinnert die hiesige
Poesie sehr an unsere deutschen Leberreime. Wortwiederholungen und geringer Gehalt sind
die charakteristischen Eigenschaften der Gesänge. Hier eine Probe in deutscher Übersetzung;
Bring Pandanusfrüchte, bringe sie, bringe sie, o Mann,
Noch ist es nicht genug, bringe sie her. —
Der Herd ist groß — wirf sie in die Mitte,
Noch nicht genug — bringe mehr, mehr, mehr usw.
Fröhliches Geplauder und Scherze verscheuchen alle Müdigkeit, und die Hoffnung auf
baldigen Genuß der zähen, süßduftenden Konserve erzeugt Arbeitslust und Frohsinn.
KLEINERE MITTEILUNGEN.
ZUM KULTUS UND ZAUBERGLAUBEN DER EVHEER (TOGO).
VON C. SPIESS (MISSIONAR).
DAS DZOGBEMESIKPO ODER DZOGBEMESIHO
DER EVHEER IN TOGO.
ln der Religion der Evheneger Togos begegnen
wir der Anschauung, daß jeder Mann, ehe er in diese
Welt eintrat, schon im Mawuive geboren war und
dort mit einer ihm zugeführten Frau lebte, ebenso,
daß auch jede Frau dort schon ihren Mann hatte.
Mawuive bedeutet: Gotteshaus, von Mawu, Gott, awe,
Haus. Dzggbemesikpo führt uns zuerst auf das Wort
dzggbe, von dzo, Ursprung, gbe {= egbe), heute (Tag)
= Ursprungstag, Tag der Entstehung. Man kann
auch „dzggbe“, wie viele Eingeborene angeben, mit
Fig. 1. Fig. 2.
Entstehung, Ursprung des Lebens, von agbe, Leben,
bezeichnen. Andere Namen der Evheer für dzggbe
sind: Borne, Dzgwe, Amedzgwe (wörtlich: Menschen-
werdungsort).
Unter dzggbemesi versteht man die Frau, die ein
Mann hatte, als er noch im Mawuwe war, während der
Mann, den eine Frau schon dort hatte, dzggbemetsui
genannt wird.
Dzggbemesikpo oder dzggbemesihg (Fig. 1) be-
zeichnet ein Haus für die Frau, die beim Manne war,
ehe er in diese Welt kam.
Kpo ist soviel wie Erhöhung, Erdhaufen, hg = Haus.
Dieses kleine Häuschen, wie Bild zeigt, steht neben
dem Eingang der Hütte der ersten Frau (der Frau, die
mit dem Manne am längsten vereint ist), niemals vor
den Hütten der anderen Frauen. Es ist meistens die
Hütte, in der Mann und Frau den Beischlaf ausführen.
Nicht immer hat das dzggbemesikpo die Gestalt
unseres Bildes, sehr oft wird es, der weiblichen Gestalt
entsprechend, von den Männern geformt.
Die Öffnung am dzggbemesikpo stellt die Vagina
der Frau dar, über die manchmal ein Tuch als Zeichen
der Schambinde (godui) gedeckt ist. Hin und wieder
legt die „erste Frau“ Kauris in die Öffnung des dzg-
gbemesikpo, womit die Kraft des Mannes, dessen Same,
verbildlicht werden soll. Auf Fig. 2 wird die geschlecht-
liche Vereinigung dargestellt.
Diese dzggbemesikpowo findet man ab und zu auch
innerhalb der Hütte, viele Eingeborene dagegen besitzen
keine.
Die Evheer sind des Glaubens, daß, wo sich ein
dzggbemesikpo befindet, die Frau, die Mutter wird,
genügend Kraft hat, ihr Kind selbst zu stillen.
Von allem Essen wird jeweilig das erste Stück
dem dzggbemesikpo dargebracht, wobei die Anschau-
ung vorherrscht, des Älteren müsse zuerst gedacht werden.
Für Witwen, Konkubinen und solche Frauen, für
die der Mann vorher Schulden bezahlte, werden keine
dzggbemesikpowo aufgerichtet. Es handelt sich stets
um die erste Frau. Wenn besonders den Männern ob-
liegt, diese dzggbe-Figuren zu errichten, so beobachtete
der Schreiber dieses, daß auch Frauen diese formten.
An die dzggbemesikpowo knüpfen sich für die Ein-
geborenen wichtige Ereignisse. Glaubt der Eingeborene,
daß seine erste Frau unfruchtbar ist, so ist das Erste,
dieses der Eifersucht seiner Frau im Mawuwe oder
Dzggbewe zuzuschreiben. Diese kann bewirken, daß
keine Kinder kommen, oder diese bald sterben. Solche
kinderlose Eingeborenenpaare errichten namentlich dzgg-
bemesikpowo, um die Mauwuwe-Frau zufrieden zu stellen.
Mit der Herstellung ist es jedoch nicht genug; es
müssen Opfer der Versöhnung gebracht werden,
die ab und zu vom Manne in blauem Stoff, als Bekleidung
und Schambinde dienend, sowie Palmwein und Kauris
geschehen.
Von den Kauris nimmt er dann einige und befestigt
sie an sein Schamtuch oder auch an das dzggbemesikpo,
um die Zeugungskraft zu verstärken. Der Sühne- oder
Versöhnungsgedanke liegt besonders im Darreichen
des Palmweins, begleitet mit eindringlichen Gebeten.
Stirbt die erste Frau, so geht das dzggbemesikpo
in den Besitz der nächstfolgenden Frau über (es muß
immer eine Frau sein, die nach Landessitte rechtmäßige
Frau ist).
Auf einen Punkt ist noch hinzuweisen. Des öfteren
begegnet es Eingeborenen, die von einer Krankheit be-
befallen, fragen die Gottheit durch die Priester nach
deren Ursache, daß ihnen die Antwort wird: es fehlt an
einem dzggbemesikpo — kurz also: die Frau im Mawuwe
ist die Ursache und diese muß zufrieden gestellt werden.
Was der Priester bestimmt, wird auch ausgeführt. Der
betreffende Eingeborene errichtet dann mit Hilfe seiner
Verwandten ein dzggbemesikpo.
DER SCHUTZFETISCH GBONE.
Hin und wieder trifft man in Togo vor den Hütten
der Eingeborenen einen auffallenden Fetisch, dem der
Name gbone beigelegt ist, an. Gbone, zusammengesetzt
aus gbo ne = rücklings umfaßen, ist ein einfacher,
länglicher Stock, um den oben meistens ein Lianen-
strick oder Tuch mehrere Male gewunden ist. Damit
erklärt sich die diesem Fetisch gegebene Aufgabe, daß
er nämlich, zeigt sich ein böser Geist, eine Krankheit
oder irgend etwas Unheimliches, dagegen aufzutreten
hat: dasselbe entweder zu Boden zu werfen oder zu
36*
278
KLEINERE MITTEILUNGEN
fangen und dann zu binden (worauf Tuch und Strick
Hinweisen) berufen ist. Es ist zu bemerken, daß, so-
bald an den Amuletten irgendwelche Gräser, Fäden,
Bast, Tuchfetzen, u. dgl. zu sehen sind, damit ein Fest-
binden angedeutet werden soll.
Vor dem gbofie ist ein einem umgestülpten Topfe
ähnlicher Sitz, aus Tonerde geformt, mit weißer Masse
glatt gerieben, aufgerichtet, ln kleinen Abständen sind
daran, wie Fig. zeigt, Kaurismuschelreihen angebracht.
Solche Kauris sind ab und zu auch am gbone auf dem
Tuche oben befestigt. Die Kaurimuschel hat zweierlei
Bedeutung: entweder wird damit dem Fetisch eine be-
sondere Kraft aufgedrückt oder aber sie gilt als Bild ge-
schlechtlicher Verbindung. Hier bei genanntem Sitze soll
Bekräftigung angezeigt werden. Nur der Besitzer darf da-
rauf Platz nehmen. Er fühlt sich neben dem gbone, nament-
lich beim Anlehnen an denselben — er ist fest in die
Erde gesteckt — sicher vor erschreckenden Erscheinungen.
Einem gbone wird nicht geopfert, auch werden
keine Gebete an ihn gerichtet, womit schon angedeutet
ist, daß er in das Gebiet der Zaubermittel gehört.
DER GLÄKPEDZOZAUBER.
Gläkpedzo bedeutet: ein aus einem Unterkiefer ver-
fertigter Zauber bei einer schreckhaften Erscheinung.
Das wäre die genaue Übersetzung.
glä = Unterkiefer, kpe (nu), schreckhafte Erschei-
nung oder Geisterbegegnung haben, dzo — Feuer, Zauber.
gläkpedzo wird auch haglädzo genannt, womit der
Unterkiefer näher bezeichnet ist: ha — Schwein; haglä
= Schweinsunterkiefer.
dzo = Feuer, in der Lehre über Zaubermittel
immer wiederkehrend, besagt, daß das Feuer für den
Eingeborenen der gewaltigste und stärkste Zauber ist.
Tötet ein Jäger das erste Schwein, so werden
nach fünf Tagen andere Jäger kommen und auf den
Unterkiefer Stengel und Blätter einer gurkenartigen
Pflanze, kakle dze genannt, binden, darauf mit Palmöl
gemischte Speise tun und ein Gebet sprechen.
Um diesen Kiefer in die Reihe der Zauber zu
bringen, wird er in ein Tuch genäht und mit Kauri-
muscheln (sechs auf einer Seite) versehen; darnach
spricht der Priester über ihm das Wort (zu einem
Sprichwort gestempelt): Haglä hoho mewoa detsi o
— ein alter Schweinskiefer macht keine Suppe.
Kaurimuscheln bei einem Zauber besagen zweierlei:
sie werden angebracht, um dem Gegenstand besonderen
Wert (Kauris = Geldwert) beizulegen und dann, um
die Wirkungskraft zu erhöhen. Wir begegnen hier
dem Bilde, daß die Muschel als Symbol geschlecht-
licher Verbindung zu betrachten ist.
In der Praxis spielt dieser Zauber nicht nur bei
Jägern, um viel Beute zu bringen, eine Rolle, sondern er
wird auch in eigenartigen Krankheitsfällen angewendet.
Schreiber dieses erlebte, daß von Eingeborenen,
als ein 14jähriger Knabe an Mundsperre litt, der
gläkpedzo als Heilmittel benutzt wurde. Der Priester
des Dorfes hatte den Zauber hergestellt und an die
Angehörigen des kranken Knaben verkauft. Er selbst
behandelte den Knaben folgendermaßen: Nachdem ihm
ein Topf, in den er etwas Arznei schüttete, gereicht
worden war, legte er diesen Zauber darunter und goß
Wasser auf die Arznei. Täglich unter Gebet mußte der
Knabe von dem Trank im Topf nehmen.
Der abgebildete Zauber soll, wie die Angehörigen
KLEINERE MITTEILUNGEN
279
versicherten, bewirkt haben, daß die Mundsperre ver-
ging. Auffallend mag sein, warum gerade ein Kiefer
als Zauber genommen wird. Da nach Anschauung des
Evheers Gott aus einem Kiefer die Menschen formt,
so liegt es nahe, abgesehen davon, daß bei der Mund-
sperre der Kiefer an und für sich schon genannt wer-
den muß, daß Kiefer mit in den Bereich des Zaubers ge-
zogen werden. Der Evheer sagt: einem bösen Menschen
wird Gott den Kiefer nehmen und andere daraus bilden.
Damit nun kein böser Einfluß durch einen anderen
Zauber eintritt, hat der Besitzer des gläkpedzo noch
einen dadzo (Bogen- und Pfeilzauber) gekauft. Dieser
hat die Aufgabe, mit dem vergifteten Pfeil das Böse ab-
zuschrecken oder niederzuschießen. Hier liegt Zauber-
macht gegen Zaubermacht im Kampfe, wie ja auch die
Geister verstorbener Menschen nach Anschauung der
Evheer mit andern Geistern im Kampfe sich befinden. Die
Knoten an der Sehne bedeuten: fangen und dann binden.
Diesem Gedanken begegnet man bei vielen Zauber-
mitteln.
MENSTRUATION UND PUBERTÄTSFEIER DER MÄDCHEN IM KPANDUGEBIET TOGO.
VON P. ANTON WITTE.
Bei den Evhenegern gilt die Menstruierende als
unrein. Jedes Dorf hat seine Hütten, wo die Weiber
ihre Zeit getrennt von jedem Umgänge abwarten müssen.
Zum Teil sind es eigene Hütten auf öffentlichem Platze,
zum Teil ist an der Hinterseite das Dach eines Hauses
weiter überragend und bildet so ein kleines Verließ für
diesen Zweck; nicht selten, so in Kpandu, ist gerade
die Hausseite zu gedachtem Zwecke eingerichtet, die
dem öffentlichen Wege zugekehrt ist.
Nach dieser Verschiedenheit des Menstruations-
häuschens sind auch die Bezeichnungen für die Men-
struation selbst genommen: gbgto tzitzi am Stadtrande
sich aufhalten; ahatza — nu tzitzi auf der Hinterseite
des Hauses weilen; hodome yiyi unter das Haus, unter
das vorspringende Dach des Hauses gehen. Andere
Ausdrücke sind: djinu kpokpg den Monat sehen; alo
ñeñe oder asi ñeñe Hand brechen.
Eine Frau ist strafbar, wenn sie die Tage nicht in
dem Menstruationshäuschen zubringt. Sie darf sich
nicht im eigenen Gehöft oder Hause aufhalten, weder
bei Tag noch in der Nacht. Die Zuwiderhandelnde
wird mit einem Schafe bestraft, das geschlachtet wird.
Das Fleisch wird unter die Leute verteilt, das Blut wird
über die Statue des Hauptgötzen gegossen, als ein
Sühneopfer für das Vergehen.
Auch ist es der menstruierenden Frau verboten,
zum öffentlichen Wasserplatze zu gehen. Die Zuwider-
handelnde muß eine Ziege liefern, die geschlachtet
wird. Das Fleisch wird verteilt, das Blut, mit Wasser
und Kräutern gemischt, am Wasserplatze und auf dem
Wege dorthin ausgesprengt zur Entsühnung.
Ferner ist es der Frau untersagt, in den Tagen
ihrer Menses zu waschen und zu baden. — Auf
meine Frage, was denn geschehe, wenn eine Frau
sich gegen diese Vorschriften vergehe, und niemand
es gewahre, und die Frau selbst nicht die vorge-
schriebenen Opfer bringe, erhielt ich die Antwort:
„o, das kommt nicht vor, den Vorschriften unterzieht
sich jede!“ Nur in Aveme antwortete man mir, dann
würde der größte Fetischmann in der Stadt krank und
würde sterben! Sein Fetisch würde ihn (den Priester)
töten! Auf meine Erwiderung: das wäre unter Um-
ständen doch nicht einmal ein Unglück, sagte man:
das vielleicht nicht! Aber der Fetisch würde sich
weiter auch an dem rächen, der Schuld daran sei, daß
der Priester als Sühnopfer vom Fetisch getötet wurde.
Ganz richtig gedacht! Der Einfluß auch des sonst
mächtigsten Götzen hängt von der Persönlichkeit des
jeweiligen Priesters ab. Aber der Fetisch, der etro,
„ist etwas“, was er auch unabhängig ist von seinem
Organe, dem Priester, ln Kpandu selbst herrscht die
Ansicht, der Mann müsse sterben, wenn die Frau bei
der Menses sich nicht dem hergebrachten Zeremoniell
unterwürfe.
Merkwürdigerweise erhielt ich immer, in den ver-
schiedensten Landschaften, die Versicherung, ein
Speisegebot bestehe nicht für die Zeit der Menses.
Nur wird für die Menstruierende allein, in einem
besondern Topfe gekocht. Die Frauen dürfen mit
essen; nicht aber die Männer.
Mit besonderer Feierlichkeit wird die Pubertät
eines Mädchens begangen. Die Feier soll sich eigent-
lich an die erste Menstruation anschließen. Wenn
diese aber unerwartet eintritt, und die Eltern nicht
vorbereitet sind, so warten sie eine folgende Periode
ab. Wohlhabende Angehörige nehmen gern die erste
Gelegenheit wahr, mit allem Pomp zu feiern, und so
den Leuten zu zeigen, wie sie in der Lage seien, sich
so etwas zu jeder Zeit leisten zu können.
280
KLEINERE MITTEILUNGEN
Die Eltern und Angehörigen wachen mitFleiß darüber,
den Eintritt der Pubertät ihrer Tochter den Familienange-
hörigen und den Bewohnern der Stadt anzeigen zu können.
Dann werden für den ersten Abend die Altersgenossen
des Mädchens eingeladen zu dereigentlichen Feier.
Nicht selten ist für die Mädchen neben dem Men-
struationshäuschen ein Zelt aus Palmzweigen aufge-
richtet; in schönen, mondhellen Nächten lagern sie auf
offener Straße oder freiem Platze um ein mächtiges
Feuer und singen Lieder, wie sie von alters her im
Brauche sind. Gegen Mitternacht erst, wenn sie sich
müde und schläfrig gesungen, wird es ruhig, und um
3 oder 4 Uhr gegen Morgen geht es von neuem an,
bis der volle Tag angebrochen. Die Eltern des Mäd-
chens müssen für den ersten Tag die Bewirtung der
Mädchen übernehmen, und ist es hergebrachte Sitte,
daß ein Ziegenbock geschlachtet wird und Yams in
Öl gekocht aufgetischt wird. Am Morgen des zweiten
Tages geht eine Gesandtschaft aus den Mädchen zu
dem Bräutigam, überbringt Grüße von den Eltern des
Mädchens, einige Flaschen Schnaps, und berichtet über
das eingetretene Ereignis, Der Bräutigam muß dann
mit doppelten Geschenken erwidern und die Mädchen,
die zu ihm geschickt, beschenken.
Im Nachfolgenden sind vier Lieder aufgezeichnet,
wie sie in Kpandu und Umgebung gesungen werden.
Am zweiten Abend kommt der Bräutigam mit
seiner Familie und seinen Freunden in das Gehöft der
Familie seiner Braut mit neuen Geschenken an Palm-
wein, Schnaps und Yams, auch wohl einer neuen Watte
für das Mädchen. Das wird dann in der Regel ein
schlimmer Polterabend, sobald der Palmwein und der
Schnaps seine Wirkung getan; das Singen wird zum
Gejohle und Gebrüll, die Freude artet aus zu oft recht
schmutzigen Possen. Sind die Lieder der Mädchen
traditionelle, so sind die der andern willkürlich, meistens
improvisierte Texte, wie sie zum Geklingel einer
Glocke oder zum Takte, der auf den leergesoffenen
Schnapsflaschen geschlagen wird, hergebrüllt werden.
Neuestens ist auch eine Ziehharmonikadabei im Brauch.
Sind die Tage der Feier vorüber, so schmückt sich
das Mädchen mit ihren Gespielinnen. Manche Familien
haben zu diesem Zwecke einen sogenannten Familien-
schmuck: goldenes und silbernes Geschmeide, seidene
Schnüre, kostbare Perlketten, sammetne und seidene
Tücher. Dann ziehen die Mädchen in ihrem Putz über
den Mark, kreuz und quer durch die Stadt, sich den
Leuten zu zeigen. In der nächsten Zeit findet dann die
Hochzeit, oder die Überführung der jungen Frau zu
ihrem Manne statt.
LIEDER BEI DER PUBERTÄTSFEIER IN KPANDU.
1. Lied.
Vorsänger:
Adumla, Adumla de gbe me yie,
Adumla, Adumla heiraten zu ich gehen will.
be tro me le Adumla si wo.
denn Fetisch nicht ist Adumlas Hand.
gbetzi mä le Adumla si wo.
Schande nicht ist Adumlas Hand.
Adumla de gbe me yie.
Adumla heiraten zu ich gehen werde.
Chor der Mädchen:
wiederholt den ganzen Passus und am Schlüsse der
langgezogene Refrain:
„Aye“.......1 Ja wohl!
In diesem Liede verherrlichen die Mädchen den
Bräutigam der Feiernden. Sie nennen ihn, gleich viel,
wie er sonst heißen mag, Adumla. Ihn zu heiraten
bin ich im Begriff. Er hat keinen bösen Fetisch, d. i.
er steht nicht unter dem Einflüsse einer bösen Macht.1)
Er ist auch ein Ehrenmensch, dem niemand was Übles
nachsagen kann. Deshalb will ich ihn heiraten.
2. Lied.
Vorsänger:
Bambie, bambie me le si be*) Tzokpui-
Yams = roter — nicht ist Hand Tzakpuis-
dewo pe Afiku! bambie me le asi wo!
leuten ihr Ahku! Yams roter nicht ist Hand sein!
aye .... !
Chor der Mädchen:
repitiert das Ganze.
Wurde in dem ersten Liede der Bräutigam ver-
herrlicht ob seiner guten Eigenschaften, so wird er in
diesem und dem folgenden geneckt, und zwar zu dem
Zwecke, um von ihm bei der Feier einen reichen
Schmaus sanft zu erpressen. „Roten Yams“, so singen
sie, hat er nicht, der Anku oder der Kuwasi aus der
Tzakpui-Sippe. Ja, roten Yams hat er keinen.“
3. Lied.
Vorsänger:
Le kankua sem di!
(Sie) sind Jüngling wie sprechend!
Chor der Mädchen:
Eye......../ Gabidewo wole kankua sem di!
Ja wohl! Gabileute sie sind Jüngling wie sprechend!
amede me yö lo e ... . dzoneku de gbo wo!
jemand nicht ruft — Kauris sind bei ihnen!
Der Satz: „Le kankua sem di“ ist mir nicht klar;
ich gebe nur die Erklärung, wie ich sie gehört. Der
Chor antwortet: „Ja, wie Jünglinge sprechen sie, die
Gabileute (wo der Bräutigam zu Hause ist). Niemand
sagt, daß diese Leute Geld haben, d. i. sie haben keines,
sind arm!“
Es erinnern die Lieder 2 und 3 an eine alte Sitte
in Westfalen, speziell des engem Sauerlandes, und auf
dem glatten Lande ist noch im Brauch: Einige Tage
vor der Hochzeit, wenn der sog. „Brautwagen“ mit der
Aussteuer in das Heim des zukünftigen Paares hinüber-
gefahren wird, muß sich der Bräutigam oder auch die
Braut, falls der junge Mann zu ihr in ihr elterliches
Heim einzieht, von der Begleitschaft die verschiedensten
Hänseleien gefallen lassen, bevor ihm der Wagen über-
geben wird. Der Fuhrknecht, der Tischler, der die
Möbel gemacht und nun aufschlagen muß, vorab ein
Mädchen, das auf dem Wagen sitzt, erschöpfen sich in
den tollsten Wünschen, und der Bräutigam muß seine
Ehre darin suchen, diese zu befriedigen.
4. Lied.
Vorsänger:
Wolegbe wotzi asolime Dzogbewu kpakple novia
Vielleicht sie sind auf Reisen Dzogbewu und Bruder
po deka megbe iye woe! aye.............!
Jahr ein nachher gehen sie! oho!
1) ln Kpandu hält es z. B. einem Manne schwer,
eine Frau zu bekommen, wenn eine frühere Frau im
schwangeren Zustande starb. Und ein Mann, dem zwei
Frauen starben, wird kaum mehr zu einer dritten
kommen. Er steht in dem abergläubigen Verdacht, ein
böser Geist habe ihn in der Gewalt.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Abhandlungen und Berichte des Königl. zoologischen und
anthropologisch-ethnographischen Museums zu Dresden
Herausgegeben mit Unterstützung der Generaldirektion der Königl. Sammlungen für Kunst und Wissenschaft
von Professor Dr. A. Jacobi, Direktor des Museums
Band XI 1907.
Mit 6 Tafeln und 93 Figuren. [VIII u. 147 S.j gr. 4.
Vollständig geh. M. 27.-
1907.
Nr. 1.
Nr. 2.
Nr. 3.
Nr. 4.
Nr. 5.
Daraus einzeln:
Einige neue und weniger bekannte Bairachier von Brasilien.
Von Dr. Benno Wandolleck, Direktorialassistent am Museum.
Mit 1 farbigen Tafel und 9 Figuren. [16 S.j Geh. M. 5.-
Ein Beitrag zur Craniologie der Semang nebst allgemeinen
Beiträgen zur Craniologie. Von Dr. Otto Schiaginhaufen,
Assistent am Anthropologischen Museum. Mit 26 Figuren
[50 S.J Geh. M. 7.50.
Systematik und geographische Verbreitung der Geflechtsarten.
Von Dr. J. Lehmann, Assistent am Ethnographischen Museum.
Mit 166 Figuren auf 3 Tafeln und 14 Figuren und mit einem
Anhang: Die hauptsächlichsten Arten von Knoten.
Mit 29 Figuren. [IV u. 30 S.) Geh. M. 7.-
Die Körpermaße und der äußere Habitus eines jungen weib-
lichen Schimpansen. Von Dr. Otto Schiaginhaufen, Assistent
am Anthropologischen Museum. Mit 1 Tafel und 14 Figuren.
[18 S.] Geh. M. 4,50.
Homoptera Andina. Die Zikaden des Kordillerengebietes von
Südamerika nach Systematik und Verbreitung. I. Cicadidae.
Von Prof. Dr. A, Jacobi. Mit 1 z. T; farbigen Doppeltafel
und 1 Figur. [28 S.J Geh. M. 6.-
Band XII 1908.
■ Daraus einzeln:
Nr. 1. Vierter Beitrag zur Papuanischen Käferfauna. Von Professor
Dr. K. M. Heller, Kustos des Museums. Mit 1 Tafel und
3 Figuren. [34 S.] Geh. M. 6.50.
r. 2. Ahnenfiguren von der Geelvinkbai, Hotiändisch-Neuguinea. Von
Dr. Oskar Nuoffer, wissenschaftl. Hilfsarbeiter am Museum.
Mit 1 Tafel und 32 Figuren [30 S.J Geh. M. 6.50.
r. 3. Ein Beitrag zur Craniologie der Eskimo. Von Dr. Bruno
Oetteking, Assistent am Museum. Mit einem Anhang: Über
Eskimo-Steingräber im nördlichen Labrador und
das Sammeln anthropologischen Materials aus
solchen. Von Bernhard Hantzsch, Lehrer in Dresden,
Mit 1 Tafel und 14 Figuren. [58 S.j Geh. M. 10.-
Band XIII 1910. Im Erscheinen,
r. 1. Reisen in Kaiser-Wilhelmsland (Neuguinea). Von Dr. Otto
Schiaginhaufen. Mit 3 Tafeln und 21 Figuren. [19 S.] gr. 4.
1910. Geh. M. 6.50.
r. 2. Eine ethnographische Sammlung vom Kaiserin-Augustafluß in
Neuguinea. Von Dr. Otto Schiaginhaufen. Mit 4 Tafeln. [74 S.j
gr. 4. 1910. Geh. ca. M. 12.—
r. 3. Fünfter Beitrag zur Papuanischen Käferfauna,hauptsächlich auf
Grund der Ausbeute von Dr. Schiaginhaufen. Von K. M.
Heller. Mit 1 Taf. u. 2 Fig. [42 S.j gr. 4. 1910. Geh. ca. M. 7.50.
Die erste moderne Tierbiologie
TIERBAU UND TIERLEBEN
in ihrem Zusammenhang betrachtet
von Dr. R. Hesse
Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin
und
Professor
von Dr. F. Doflein
. d. Universität u. 11. Direktor der Zoolog. Staatssammlung Mönchen
* BäntJe- Lex.-S. Mit Abbildungen und Tafeln in Schwarz-, Bunt- und Lichtdruck nach Originalen von H. Genter, M. Hoepfel,
E. L. Hoeß, E. Kißling, W. Kuhnert, C. Merculiano, L. Müller-Mainz, O. Vollrath und den Verfassern.
Geschmackvoll gebunden in Original-Ganzleinen je M. 20.—, in Original-Halbfranz je M. 22—
1. Band: Der Tierkörper als selbständiger Organismus. Von R. Hesse. 1II. Band: Das Tier als Glied des Naturganzen. Von F. Doflein.
Mit 480 Abbildungen und 15 Tafeln. [XVII u. 789 S.] 1910. { [Erscheint im Sommer 1911.]
«h\fdfcherW«nnntlt j}?.,“rw‘?senschaftUcher Schriften und Bücher, hervorgerufen durch das in immer weitere Kreise dringende Verlangen nach naturwissen-
Bcschreibunff T-h bJ0,0ßischer Erkenntnis, ragt das Werk von Hesse und Doflein in mehr als einer Beziehung hervor. Sich nicht auf ein«
der modernsten p««ii!.IiSlI1*rlb?schrä?lten4i sondern in meisterhafter Weise das Typische, allen Lebewesen Gemeinsame herausgrcifend, schildert es auf Grund
der einzelnen Teile vnmn^nflgeb»msse •die ,ierisciie Organisation und Lebensweise, die Entwicklungs-, Forlpflanzungs- und Vererbungsgesetze, die Abhängigkeit
Laien bewegen Dabei.v!*1 l?irganAs,mi1 s und wiederum deren Einfluß auf das Ganze, kurz, alle die Fragen, die heute den Forscher wie den interessierten
jeden Gebildeten zu einem "ffl,?«8 Wfrii "tflnnbedingter wissenschaftlicher Zuverlässigkeit eine seltene Klarheit der Sprache, die eine des.s*j£®” j?.r
u Bildeten zu einem Genuß gestaltet. Eine große Anzahl künstlerischer Bilder und Tafeln, von ersten Künstlern besonders für das Werk hcrgestcllf,
unterstützt den Text, so daß die innere wie äußere Ausstattung als hervorragend bezeichnet werden muß.
»’ ’ Re,r. ers*e Band von R. Hesse liegt jetzt vor in orächtio-er
mit S°; gedie?ei?em daß wir deinVerfasser
»f8 se,ne.r schwierigen Aufgabe aufrichtig dankbar
sind. Jeder Zoologe un jeder Freund der Tierwelt wfrd dieses
SS“ f* ssÄ'uiks0“,? äHEIsS
Beziehungen der Tierstämme und wichtigsten Klassen gibt Sehr
richtig hebt er von den Gegnern der Abstammungslehre hervor: daß sie nicht
ernst zu nehmen sind und daß es „Gefühlswerte, nicht Gründe wissenschaftlicher
Art sind, welche sie veranlassen, sich der Anerkennung der Abstammungslehre
entgegenzustellen. ... Hesses Werk wird sich bald einen Ehrenplatz in jeder großen
biologischen Bibliothek erobern. (L. Plate im Archiv f. Rassen- u. Gesellsoh.-Biologie.)
„Ein Werk, das freudiges Aufsehen erregen muß, ... Mil ganz
außerordentlichem Geschick hat es Professor Hesse verstanden,
auch recht schwierige Verhältnisse des Tierbaues klarzumachen;
besonders glänzend erweist sich dieses in den Abschnitten über
das Nervensystem und die Sinnesorgane. Nicht im Sinne der landläufigen populär-
wissenschaftlichen Bücher und Schriften, sondern wie ein Lehrer, der den Naturfreund
ohne aufdringliche Gelehrsamkeit, aber doch in durchaus wissenschaftlichem Einste
behandelt, so wirkt Hesse in diesem Buch, das nicht warm genug empfohlen
werden kann. Es wird mit seinen zahlreichen durchweg neuen Illustrationen,
mit seinen vielen, auch den gebildeten Laien noch unbekannten Einzelforschungen
und Aufschlüssen moderner Wissenschaft zu einem Buche werden müssen, das
überall neben dem Brehm stehen soll. Auch in Hesses Werk liest man gern
und mit gespannter Aufmerksamkeit, und dringt dabei auf leicht gemachtem
Wege unter Hesses gelehrter Führung zu Kenntnissen über das Warum und
Wie des tierischen Lebens, die fortgesetzt Freude machen und zu neuem Lesen
anspornen.... Die Ausstattung ist vorzüglich." (Hamburger Fremdenblatt)
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Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
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Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Archiv für Rassen-
und Gesellschaftsbiologie
Einschließlich Rassen- und Gesellschafts-Hygiene
Eine deszendenztheoretische Zeitschrift für die Erforschung des
Wesens von Rasse und Gesellschaft und ihres gegenseitigen Ver-
hältnisses, für die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung und
Entwicklung sowie für die grundlegenden Probleme
der Entwicklungslehre
Redigiert von Alfred Ploetz
VIII. Jahrgang 1911. Jährlich 6 Hefte zu Je etwa 8—10 Bogen.
Preis für den Jahrgang M. 20.—
Das Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie, das mit dem VI. Jahr-
gang in den Teubnerschen Verlag überging, will eine deszendenztheoretische Zeit-
schrift sein „für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft und
ihres gegenseitigen Verhältnisses, für die biologischen Bedingungen ihrer Er-
haltung und Entwicklung sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungs-
lehre“. Speziell beim Menschen gehören in die Rassenbiologie alle Betrachtungen
über Geburten- und Sterbeziffer, über die Ungleichheit der etwaigen verschiedenen
Rassen in bezug auf Entwicklungshöhe, über ihren Kampf ums Dasein gegen-
einander sowie über die aus allen diesen Faktoren sich ergebenden Konsequenzen
für die Erhaltung und Entwicklung einer Rasse. Beim Menschen sind Gesellschaft
und Rasse zwei vielfach in- und durcheinander geschobene Gruppierungen, die sich
gegenseitig stark beeinflussen. Auch die Gesellschaft hat eine biologische Grundlage
und baut ihre Funktionen auf die Organlätigkeiten der sie bildenden Individuen
auf. Ausführliche Literaturberichte sowie Notizen über hervorragend wichtige poli-
tische und kulturelle Ereignisse und Tendenzen sind jedem Archivheft beigefügt.
Aus dem Inhalt der letzten Hefte: Becher, Theoretische Beiträge zum Darwinis-
mus; Franz, Laichwanderungen der Fische; Fischer, Zur Beeinträchtigung der
Kriegstüchtigkeit in Deutschland; Lenz, Ober die Verbreitung der Lues und ihre
Bedeutung%!s Faktor des Rassentodes; Martius, Die Bedeutung der Vererbung
für Krankheits-Entstehung und Rassenerhaltung; Kohlbrugge, Der Einfluß des
Tropenklimas auf den blonden Europäer; von den Velden, Der verschiedene
Widerstand der Geschlechter gegen die Entartung; Külp, Beiträge zum Bevölke-
rungsproblem unserer tropischen Kolonien.
Archiv
für Kulturgeschichte
Unter Mitwirkung von Fr. von Bezold, G. Dehio, W. Dilthey,
H. Finke, W. Goetz, K. Hampe, O. Lauffer, C. Neumann,
A, Schulte, E. Troeltsch
herausgegeben von Georg Steinhausen
IX. Jahrgang 1911. Jährlich 4 Hefte zu Je etwa 8 Bogen.
Preis für den Jahrgang M. 12,—
Das .Archiv für Kulturgeschichte' will eine Zentralstätte für
die Arbeit auf dem Gebiete der gesamten Kulturgeschichte sein,
und dabei vor allem im Zusammenhang mit neueren Richtungen der geschichtlichen
Forschung der Arbeit auf dem Gebiet der Geschichte des höheren Geistes-
lebens ein geeignetes Organ sichern. Neben der 1. Abteilung, die selbständige
wissenschaftliche Abhandlungen enthält, sollen als II. Abteilung regelmäßige
Literaturberichte erscheinen, die auf je einem Spezialgebiet das für die kul-
turgeschichtliche Forschung Wertvolle aus der Fülle der literarischen Erscheinungen
unter dem Gesichtspunkt der besonderen Aufgaben und Methoden der Kulturge-
schichte herausheben. Diese Berichte behandeln: Allgemeine Kulturgeschichte
und Methodenlehre, Allgemeine und lokale deutsche Kulturgeschichte, Geschichte
der wirtschaftlichen Kultur, der politisch-rechtlichen Kultur und Verfassung, der
gesellschaftlichen Kultur und der Sitten, des Erziehungswesens, der Naturwissen-
schaften und Medizin, der technischen Kultur, der religiösen und ethischen Kultur,
der literarischen Kultur, der Musik, der künstlerischen Kultur, der geistigen Kultur
und Weltanschauung, der Persönlichkeitsen^vicklung, Volkskunde, Anthropologie
und Gesellschaflsbiologie. Im Vordergrund soll bei den Berichten über die einzelnen
Kullurgebiete die europäische, insbesondere die deutsche Kultur des Mittelalters
und der Neuzeit stehen. Sie sollen ergänzt werflen durch zusammenfassende
Berichte über italienische, französische, englische, amerikanische, slawische,
skandinavische Kulturgeschichte, antike Kulturgeschichte, das Fortleben der Antike
in Mittelalter und Neuzeit, jüdische, islamitische, indische und ostasiatische Kultur-
geschichte. Berichterstatter: Dr. Andreas-Karlsruhe, Dr. Buber-Berlin, Prof.
Clemen-Zvvickau, Prof. Conrady-Leipzig, Prof. Daenell-Kiel, Prof. Fischer-Leipzig,
Dr. Funk-Stettin, Dr. Ganzenmüller-Welzheim, Prof. Goetz-tübingcn, Dr. Hamann-
Berlin, Dr. Hashagen-Bonn, Dr. Heuß-Leipzig, Prof. Hoops-Heidelberg, Dr. Jacoby-
Greifswald, Prof. Koetzschke-Leipzig, Prof. Laqueur-Straßburg, Dr. Legband-Kassel,
Dipl.-Ing. Matzdorf-Berlin, Dr. Misch-Berlin, Dr. Pinder-Darmstadl, Dr. Rapp-
Tübingen, Dr. Schiele-Berlin, Dr. Spranger-Berlin, Prof. Steinhausen-Kassel, Prof.
Troeltsch-Heidelberg, Prof. Werminghoff-Königsberg, Dr. Zeller-Ludwigsburg. Eine
HI. Abteilung soll Mitteilungen und Hinweise bringen.
Geographische Zeitschrift
Herausgegeben von
Professor Dr. A. Hettner in Heidelberg
Jährl. 12 Monatshefte zu 31/, bis 4 Bog. mit Abbild., Karten u. Plänen
XVII. Jahrgang 1911. Preis halbjährlich M. 10.—
Die „Geographische Zeitschrift“ stellt sich die Aufgabe, die Fortschritte des
geographischen Wissens und die Veränderungen der geographischen Zustände in
übersichtlicher Weise zusammenzufassen und zu allgemeiner Kenntnis zu bringen.
Sie wendet sich daher keineswegs nur an den Geographen von Beruf, sondern an
alle, die an geographischen Dingen Anteil nehmen, an die Lehrer der Geographie,
an die Vertreter der Nachbarwissenschaflen, an die gebildeten Laien. Sie bringt
also keine Spezialarbeiten, die nur vom Fachmann verstanden werden und nur für
ihn Interesse haben, sondern behandelt nur Gegenstände von allgemeinem Interesse
in allgemein verständlicher und dabei möglichsl reiner und fließender Sprache.
Aber sie ruht dabei doch auf durchaus wissenschaftlicher Grundlage, alle Artikel
sind von tüchtigen Fachmännern verfaßt, und sie zählt die hervorragendsten Geo-
graphen zu ihren Mitarbeitern. Die „Geographische Zeitschrift“ bringt: 1. Unter-
suchungen über wichtige Probleme aus allen Teilen der Geographie und aus ihren
Hilfs- und Nachbarwissenschaflen; 2. Charakteristiken einzelner Erdräume ; 3. Über-
sichten und Erörterungen der Veränderungen geographischer Zustände, besonders
der Veränderungen der politischen Geographie, der Bewegung der Bevölkerung,
der Entwicklung des Verkehrs und der wirtschaftlichen Verhältnisse; 4. Bespre-
chungen wichtiger Fragen aus der Methodik der geographischen Forschung und
des geographischen Unterrichts. Außerdem enthält jedes Heft zahlreiche kleine
Mitteilungen und eine Fülle von Neuigkeiten und Bücherbesprechungen aus allen,
Teilen der Geographie sowie regelmäßige Inhaltsangaben der wichtigeren geo-
graphischen Zeitschriften.
HIMMEL UND ERDE
Illustrierte naturwissenschaftliche Monatsschrift
redigiert von
Dr. P. Schwahn, Direktor der Urania
XXIII. Jahrg. 1910/11. Jährlich 12 Hefte mit Tafeln und Abbild.
Preis vierteljährlich M. 3.60
Sich fernhaltend von einer seichten Popularität, die nur der Halbbildung dient,
unterrichtet „Himmel und Erde“ in wissenschaftlich einwandfreier, aber dennoch
jedem Gebildeten verständlicher Weise den Leser über alle Fortschritte auf dem
Gebiete der Naturwissenschaft und Technik. Seit den mehr denn zwei Dezennien
ihres Bestehens erfreut sich die Zeitschrift der ständigen Mitarbeit der besten Namen
aus allen Fachgebieten. Der reiche Bilderschmuck, der jedem Hefte beigegeben
ist, und die gediegene Ausstattung machen das Blatt zu eiiiem Schmuck für jede
Bibliothek. Jedes Heft enthält eine Anzahl reich illustrierter größerer Aufsätze von
namhaften Fachgelehrten, die entweder fundamentale Fragen der Naturwissenschaft
und Technik oder biographische Würdigungen schöpferischer Geister auf dem Gebiete
moderner Naturerkenntnis behandeln. An die größeren Aufsätze schließen sich
Mitteilungen über wichtige Entdeckungen und Erfindungen, über naturwissenschaft-
liche und technische Kongresse, über die jeweiligen Himmelserscheinungen, außer-
dem Besprechungen der hervorragendsten neuen Werke auf naturwissenschaftlichem
Gebiete sowie eine sorgfältig durchgearbeitete Bücherschau. So wird es dem
Leser gewährleistet, daß er den Überblick nicht verliert und einerlei, ob er selbst
forschend tätig ist oder mitten im praktischen Leben steht, Fühlung mit den Er-
rungenschaften unseres naturwissenschaftlichen Zeitalters behält.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
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i 11. Jan'»’'
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BAESSLER-ARCH1V
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS MITTELN DES BAESSLER-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGISCHEN
ABTEILUNGEN DES KÖNIGLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
IN BERLIN REDIGIERT VON
P. EHRENREICH
BAND I
MIT 177 ABBILDUNGEN IM TEXT
SOWIE 12 EINFARBIGEN UND BUNTEN TAFELN
/\ Q/io , 3 3$Cj
LEIPZIG UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER
1911
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