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K. TH. PREUSS
nicht getan. Wenn man auch den Grundsatz aufstelle, daß a priori nichts als unscheinbar
verworfen werden darf, so könne doch der Laie selten viel Brauchbares sammeln ,,und so
werden auch wir allmählich daran zu denken haben, ethnologisch geschulte Reisende aus
zusenden.“ 1
In aller Bescheidenheit spricht er die Überzeugung aus, daß es ihm nicht einmal ge
lingen werde, ,,von einer der Höhen einen Fernblick auf das verheißene Land zu werfen,“
daß er sich vielmehr in der Erkenntnis harmonischer Gesetzlichkeit mit der Befriedigung
begnügen müsse, innerhalb der dem einzelnen beschiedenen Zeitspanne am Menschheitsbau
des Kosmos mitgewirkt zu haben. 2 In all dem liegt ganz deutlich der Verzicht auf die
Aufstellung von Theorien im Einzelnen ausgedrückt. Im Gegenteil warnte er wiederholt
davor, zu frühzeitig an solche heranzugehen, und war sehr zufrieden, wenn jemand sich nur
überhaupt in irgend ein Gebiet vertiefte. Er zwang niemand, seine komparativ-genetische
Methode und seine Gedankenstatistik mitzumachen. Sie waren ihm. nur eine Selbstverständ
lichkeit, um dermaleinst zur Klarheit über die psychischen Gesetze der Menschheit zu
kommen, wenn alles gründlich erforscht ist. Seine Arbeiten erscheinen ihm daher selbst
immer nur als vorläufige, und in der Tat, soviel Material er auch zusammengestellt hat, so
ergibt sich daraus nie ein großer psychisch-genetischer Zusammenhang irgend einer mensch
lichen Einrichtung oder Auffassung, soviel man auch durch die bloße Aneinanderreihung
von Tatsachenmaterial aus den verschiedensten Gebieten des menschlichen Lebens lernen
kann. „Werfen wir dies wild, und zwar aufs Geratewohl, durcheinander, wie man will: was
herauskommen soll, verarbeitet sich von selbst, wenn man für gesetzmäßige Zusammen
ordnung Zeit läßt.“ „Dann jedoch darf nur erst wieder in minutiös genauesten Details
(jedesmaliger Fachdisziplin) gedacht werden, in mikroskopischen Arbeiten der Lupe (sofern
Folgerungen gezogen werden sollen).“ (Wie das Volk denkt, Berlin 1892, S. 201.)
In unerschöpflichen Variationen setzt er gern ganz allgemein seine hohen Ziele aus
einander, um den Boden für die genaue Durchforschung und künftige Zusammenfassung zu
bereiten. Ich setze eine solche hierher:
„Wenn alles dasjenige, was (in den sämtlichen Variationen des Menschengeschlechts) die Völker auf Erden
denkend geschaffen haben, in rechtlichen Einrichtungen (zur Ordnung des sozialen Lebens) und in religiös-philoso
phischen Vorstellungsweisen (für Befriedigung der idealen Bedürfnisse) — wenn Alles das, und was dazu gehört, einer
gründlich durchgreifenden Erforschung wird unterzogen sein: dann, mit Erschöpfung der Denkmöglichkeiten, dürfte
der Mensch zu wissen haben, wie es mit ihm steht (und was darüber hinaus sich etwa nicht sonst noch wissen ließe).
Jedenfalls würde ihm deutlich an die Hand gegeben sein müssen, nach welchen immanent geregelten Gesetzlichkeiten
all dasjenige verläuft, worüber wir uns im Gesellschaftsleben mit einander in gegenseitig befriedigenden Ausgleich
zu setzen streben, unter vernunftgemäßer Beherrschung wo möglich (zum Besten des Ganzen sowohl, wie jedes Ein
zelnen in seinem eigenen). (Ethnische Elementargedanken, Abtlg. I, Berlin 1895, S. XIH.)
Der Rahmen, in den Bastian die ethnologischen Forschungen zur Erreichung dieser
Ziele einspannte, ist ebenso weit und unbestimmt gefaßt wie diese selbst und offenbart zwar
eine persönliche naturwissenschaftliche Stellungnahme, ohne jedoch der Einzelforschung
dadurch Zwang aufzuerlegen. Gleichsam die „Zellen“ des Gesellschaftskörpers der Menschheit
sind ihm die seiner Voraussetzung nach überall gleichen Elementargedanken der zahllosen
kleinen menschlichen Gemeinschaften, Diese psychisch einfachsten „Primalitäten“ machen
kulturelle Wachstumsprozesse durch, die auf organische Leitungsgesetze führen. Man hat
die Gesetze des Wachstums und die Elementargedanken aus den umfassenderen Gebilden zu
erkennen, die in größeren Gebieten und Menscheneinheiten als Völkergedanken erscheinen.
Aus diesem Grunde, und weil die Wachstumsprozesse ja erst am Schlüsse der ganzen Unter
suchungen zu erkennen sind, werden Elementar- und Völkergedanken als Gedanken von
Gemeinschaften, nicht des Einzelwesens oft durcheinander gebraucht.
1 Die heilige Sage der Polvnesier, Leipzig 1881, S.VIff.
2 a. a. 0., S. VII, 222.