DIE INTIWATANA (SONNENWARTEN) IM ALTEN PERU
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Der Sonnent empel. Templo del Sol. Coricanclia. Heute Kloster San Domingo.
Wenn Squier in seiner Beschreibung der Ruinen Perus 1 den Sonnentempel von Cuzco
„das wichtigste Gebäude nicht nur Cuzcos, sondern ganz Amerikas“ nennt, so ist damit
reichlich viel behauptet. Man kann auch sagen, daß dieses Moment der alten Peru-Kultur
den spanischen Geschichtsschreibern in
ihren Chroniken, in denen sie die ma
jestätische Größe, Schönheit und die
verschwenderische Pracht des Tempels
und des goldenen Tempelgartens (Cori-
cancha) schildern, Anlaß zu phanta
stischen Übertreibungen gab. Sicher
lich gibt es, allgemein gesagt, in den
zahlreichenHistorien über die Geschichte
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Fig. I. Planskizze vom Sonnentempel in Cuzco.
Bild f. Basismauer des Intiwatana in Cuzco.
des Inkareiches manch wertvolle Überlieferung, das meiste jedoch ist so phantastisch, daß
es eigentlich nur als Legende zu werten ist. Ich will es daher nach Möglichkeit vermeiden,
die Berichte der spanischen Eroberer zur Basis der vorliegenden Betrachtungen zu machen.
Die Beschreibung der Mauerreste des Sonnentempels in den Chroniken des XVI. und
XVII. Jahrhunderts kann im allgemeinen bestätigt werden. Figur 1. (nach Aufzeichnungen
des Pater R. Zarate, Cuzco) gibt als Planskizze die Ruinen aus der alten Zeit. Nach den An
gaben der Geschichtsschreiber befand sich das Haupttor imNorden. In der äußeren Westecke
des Tempels stand einst eine riesige goldene Tafel, die das Bild der Sonne darstellte, sie soll
aus einem Stück bestanden haben. Die Räume im Innern des Hofes sollen Kultstätten für
den Mond, die Venus, die Plejaden, Donner und Blitz und den Regenbogen gewesen sein.
Schon Squier macht darauf aufmerksam, daß der Tempel keineswegs nach den Kardinal
punkten, wie oft behauptet ist, sondern nach der Richtung der Hauptstraßen Cuzcos
orientiert war, die seiner Untersuchung nach um etwa 45 Grad gegen die Haupthimmels
richtungen geneigt verlaufen. Squiers Ansicht trifft, wie ich später zeigen werde, nur
näherungsweise zu.
Etwas zurückliegend im Westen, also dort, wo das goldene Sonnenbild gestanden haben
soll, verläuft im runden Bogen eine große Mauer (Bild 1, Fig. la), die, wie alle Bauten im
1 G. Squier. „Peru, Reise und Forschungserlebnisse in dem Lande der Incas“, Deutsche Übersetzung. Leipzig,
1883.
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