BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS DEM ERWERBUNGSFOND DES
STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGI-
SCHEN ABTEILUNGEN DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR
VÖLKERKUNDE IN BERLIN. REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND X
MIT i TAFEL UND 57 FIGUREN IM TEXT
BERLIN 1926
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)
DAS BAESSLER-ARCHIV FÜR VÖLKERKUNDE
erscheint in zwangslosen Heften, von denen 4 einen Band bilden. Einzeln sind die Hefte
zu einem je.nach dem Umfang bemessenen, etwas erhöhten Preise käuflich. Der vor-
liegende Band erscheint für das Jahr 1925.
Das Baessler*Archiv ist bestimmt für Arbeiten aus allen Gebieten der Völkerkunde mit
Ausnahme der reinen Linguistik und physischen Anthropologie. Seine Hauptaufgabe ist
die wissenschaftliche Beschreibung und Verwertung des in den deutschen Museen aufge-
speicherten Materials nach seiner kulturgeschichtlichen und technologischen Bedeutung,
doch werden auch soziologische, mythologische, kunst- und religionsgeschichtliche Themata
berücksichtigt, soweit sie zur Erklärung von Museumssammlungen beizutragen geeignet sind.
Die Mitarbeiter erhalten 25 Sonderabzüge.
Redaktionelle Sendungen, Zuschriften und Anfragen sind zu richten an den Redakteur
Professor Dr. Alfred Maaß, Berlin W. 10, Tiergartenstraße 18 c.
Bisher erschienene
BEIHEFTE
1. Sprichwörter und Lieder aus der Gegend von Turfan. Mit einer dort aufge-
nommenen Wörterliste von Albert von Le Coq. Mit I Tafel. [100 S.[ 1911.
2. Die Wagogo. Ethnographische Skizze eines ostafrikanischen Bantustammes von
Heinrich Claus, Stabsarzt im Infanterie-Regiment Nr. 48, früher in der Kaiser-
lichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Mit 103 Abb. [IV u. 72 S.] 1911.
3. Die Goldgewichte von Asante (Westafrika)* Eine ethnologische Studie von Rudolf
Zeller. Mit 21 Tafeln. [IV u. 77 S.j 1912.
4. Mitteilungen über die Besiedelung des Kilimandscharo durch die Dschagga und
deren Geschichte. Von Joh. Schanz. [IV u. 56 S.[ 1912.
5. Original Odzibwe-Texts. With English Translation, Notes and Vocabulary collected
and published byj. P. B. dejbsselin de Jong, Conservator at the State
Museum of Ethnography, Leiden. [IV u. 54 S.] 1912.
6. Ein Beitrag zur Ethnologie von Bougainville und Buka mit spezieller Berück-
sichtigung der Nasioi. Von Ernst Frizzi. [56 S.] 1912.
7. Ein Beitrag zur Kenntnis der Trutzwaffen der Indonesier, Südseevölker und
Indianer. Von Hauptmann a. D, Dr. G. Friederici. [78 S.] 1915.
8. Die Banjangi. Von F. Staschewski. Überarbeitet und herausgegeben von Prof.
B. Ankermann. [66 S.] 1917-
BAESSLER-ARCH I V
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS DEM ERWERBUNGSFOND DES
STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGI-
SCHEN ABTEILUNGEN DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR
VÖLKERKUNDE IN BERLIN. REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND X
MIT I TAFEL UND 57 FIGUREN IM TEXT
BERLIN 1926
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)
INHALTS-VERZEICHNIS
Seite
K. Th. Preuss, Adolf Bastian und die heutige Völkerkunde. Zum Gedächtnis
seines hundertjährigen Geburtstages am 26. Juni 1926. Mit I Tafel. . . 3—15
OttoPeiper, Ethnographische Beobachtungen aus dem Bezirke Kilwa, Deutsch-
Ostafrika. Mit 50 Figuren .....................................16—36
JOH. M. TREMANNS, Gebräuche und Zeremonien bei Verlobungen und Hoch-
zeiten in China.............................................37—44
Johannes Winckler, Das Usirspiel der Batak auf Sumatra. Mit 1 Abbildung 45—49
C. A. PuRPUS, Ruinep, Höhlen und Gräberfunde in der östlichen Sierra de la
Mixteca. Mit Anmerkungen von Eduard Seler und 6 Abbildungen . . . 50—61
Besprechungen — Büchereingänge................................. 62—64
Alle Rechte einschließlich des Ubersetzungsrechts Vorbehalten.
Druck von J. J. Augustin in Glückstadt und Hamburg.
' V i ---«WB*
ADOLF BASTIAN UND DIE
HEUTIGE VÖLKERKUNDE
ZUM GEDÄCHTNIS SEINES
HUNDERTJÄHRIGEN GEBURTSTAGES
AM 26. JUNI 1926
VON
K. TH. PREUSS.
MIT 1 TAFEL.
Was du ererbt von deinen Vätern hast
Erwirb es. um es zu besitzen.
Adolf Bastian ist der geistige Schöpfer des Staatl. Museums für Völkerkunde in Berlin,
das am 18. Dezember dieses Jahres 40 Jahre seit seiner Eröffnung besteht. Bei der Gedächt-
nisfeier, die gelegentlich seines Hinscheidens am 3. Februar 1905 in der Sitzung der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte vom n. März desselben Jahres
stattfand, ist auch festgestellt worden, daß er der eigentliche Begründer der Gesellschaft 1869
gewesen ist, und daß ihr Organ, die Zeitschrift für Ethnologie, ebenfalls von ihm, und zwar
bereits 1 Jahr früher ins Leben gerufen wurde. Es könnte vielleicht als das Natürlichste von
der Welt erscheinen, daß der Mann, der 1868 als Direktorialassistent für die ethnologischen
und prähistorischen Sammlungen an die Kgl. Museen berufen und 1876 zu ihrem Direktor
ernannt wurde, auch den Ausbau der Völkerkunde in die Hand nahm, nachdem sich bereits
■um die Mitte des Jahrhunderts in andern Ländern Gesellschaften zur Pflege der neuen
Wissenschaften der Anthropologie und Ethnologie zu bilden begonnen hatten und das Werk
von Georg Waitz, Anthropologie der Naturvölker, 1859—62, das Interesse dafür auch in
Deutschland erweckt hatte. Allein diese Anfänge bedeuteten noch keine fest umrissene
Wissenschaft und kein sich von selbst ergebendes Gedeihen. Erst Bastian hat für die Völker-
kunde bis weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus den sicheren Grund gelegt, wie
wir ihn heute vor uns sehen.
Als äußeres Kennzeichen und Symbol seiner Erfolge in der gesamtenVölkerkunde er-
scheint uns sein als erstes auf europäischem Boden errichtetes „Rettungsasyl“ für die
Kunde vom Menschen, das in stürmischer Aufwärtsbewegung zur bedeutendsten, gleich-
mäßig alle Völker des Erdballs umfassenden Vorburg der neuen Wissenschaft wurde. Um
diese Leistung richtig würdigen zu können, muß man bedenken, daß sie in einem Staate voll-
bracht wurde, der im Beginn keine Kolonien besaß und daher keinen unmittelbaren Anlaß
verspüren konnte, sein Interesse den primitiven Völkern zuzuwenden. Schon 1881 waren die
im „Neuen Museum“ für die ethnologischen Sammlungen zur Verfügung stehenden Aus-
stellungsräume von etwa 750 qm Flächenraum so überfüllt, daß zahlreiche Teile nicht mehr
gezeigt werden konnten, und bei Bastians Tode 1905, wo wohl das Fünffache des Bestandes -
von 1881 auf einer Fläche von etwa 6000 qm erreicht war, wäre bereits wieder ein Neu- oder
Erweiterungsbau des Museums für Völkerkunde notwendig gewesen. Zu dieser beispiellosen
1
4
K. TH. PREUS S
Vermehrung gehörte eine Persönlichkeit, die die eigene Begeisterung andern mitzuteilen
und überall in den wissenschaftlichen Behörden, der Marine und unter den Männern der
geographischen Forschung, der kolonialen Bewegung und nicht zuletzt der Finanz Gönner
und Förderer zu werben verstand. Die Gründung eines „Ethnologischen Hilfskomitees“,
das in all den Fällen zinslose Darlehen vorstreckte, wo Reisende zum Heranbringen neuen
Materials auf lange Sicht auszurüsten waren oder augenblicklicher Mangel an Mitteln zum
Ankauf vorliegender Sammlungen herrschte, bildete die notwendigste Grundlage für einen
weitschauenden, jede Gelegenheit wahrnehmenden Ausbau der ethnologischen Schätze.
Man kann sich unschwer vorstellen, daß angesichts dieser riesenhaften Vermehrung
der Stücke Bastians eigene Sammeltätigkeit auf seinen wiederholten Forschungsreisen in
allen außereuropäischen Erdteilen nur gering sein konnte. Ja, sie war im einzelnen unbe-
deutender als die manches systematischen Sammlers und Forschungsreisenden auf engerem
Gebiete, denn er verfolgte auf seinen Reisen, wie wir sehen werden, ganz andere Zwecke.
Dagegen zog seine Persönlichkeit wie ein Magnet die ethnologischen Kulturgüter an, weil er
überall, wo er hinkam, durch sein brennendes Interesse zum Sammeln und Forschen anregte
und sein Name weithin bekannt war. Die Expeditionen, die er selbst in die Wege leitete,
hatten zuweilen geradezu märchenhafte Ergebnisse. Es sei z. B. nur die Reise des Kapitäns
Adrian Jacobsen erwähnt, die 1881 —83 die Kulturen der Nordwestküste Amerikas in
einer schier erdrückenden Fülle kostbarer Masken, Schnitzereien und Geräte bis zu den
scheinbar unbedeutendsten primitiven Erzeugnissen herab nahezu lückenlos zur Anschauung
brachte und so gründliche Arbeit verrichtete, daß die nach ihm kommenden Forscher der
großen amerikanischen Museen nur eine bescheidene Nachlese halten konnten.
Die andern Aufgaben, die Bastian auf seinen Reisen erfüllten, ließen nun freilich nie den
Gedanken des unmittelbaren Sammelns für das Museum zurücktreten. Grade solche Gegen-
stände, an deren Heimschaffung kein Reisender sich auch nur in Gedanken herangetraut
hätte, übten auf die Willenskraft Bastians, die er auch sonst überall, wo andere versagt
hätten, bewies, eine natürliche Anziehungskraft aus. Wer heute das Museum für Völkerkunde
betritt, findet dort 8 gewaltige Reliefplatten von vielleicht je 3000 kg Gewicht aus Santa
Lucia Cozumalhuapa in Guatemaia, die nebst andern Kolossen von dort einen besonders
wertvollen Schatz des Museums bilden. Auf seiner amerikanischen Reise 1875—76, die den
alten Kulturländern des neuen Erdteils galt, hatte er in der Hauptstadt Guatemala von ihnen
gehört, sie aufgesucht und kurzerhand das Gelände mitsamt den Altertümern dem Museum
zu Forschungszwecken gesichert in der Absicht, sie im Laufe der Zeit nach Berlin zu bringen,
was aber erst nach 5 Jahren harter Anstrengungen gelang. Mußten doch z. B. zu dem Trans-
port nach dem etwa 50 km entfernten Hafen San José de Guatemala erst die unbearbeitete
Rückseite abgestemmt werden. Man könnte daraus entnehmen, daß Bastian auf den Erwerb
von besonders hervorragenden Stücken aus war. In Wirklichkeit wies er alle Reisenden
stets dringend auf das Gegenteil hin:
„Den vom Museum ausgesandten oder mit demselben in Beziehung stehenden Reisenden wird vornehmlich ans
Herz gelegt, sich nicht durch außergewöhnliche Schaustücke blenden zu lassen, welche nach dem früheren Stile der
Kuriositätenkammern sich zum Aufhängen als Trophäen zu eignen schienen, sondern den normalen Durchschnitts-
charakter des jedesmal ethnischen Lebens ins Auge zu fassen und demgemäß Werkzeuge und Gerätschaften zu
sammeln mit all dem zugehörigen Detail (bei den Elerstellungsweisen vorbereitender Stadien) bis in die letzten
Differenzialstellen hinaus.“ (Z. E. 1885 S. 39.)
Man könnte Bastian als Museumsmann einem großen Fabrikherrn vergleichen, derTag und
Nacht nur an das Gedeihen seiner Werke denkt, doch leitete ihn nicht Gewinn und Ansehen,
sondern eine wissenschaftliche Idee, ohne die seine ganze Tätigkeit und seine liebevolle Sorge
für jedes einzelne Stück im Museum als bloße Sammelwut erscheinen würde. Diese Idee zu
erfassen und in ihren Abwandlungen auf die Gegenwart kennen zu lernen, ist notwendig,
um sich das eigenartige Wesen eines Bastian zu erschließen. Es ist auch Pflicht derer, die in
ADOLF BASTIAN UND DIE HEUTIGE VÖLKERKUNDE 5
seinen Spuren wandeln, es sich klar zu machen, daß sie dieses tun, weshalb sie es tun, und
wie weit sie es tun sollen und dürfen.
Als Bastian starb, rauschte es stark in dem deutschen Blätterwald, und nicht nur in dem
deutschen. Ein ganz Großer schien dahingegangen. Er, dessen eigentliches Werk ein stilles
Gelehrten-Schaffen war, hatte doch durch die nach außen sich bemerkbar machende Art
seiner Tätigkeit die Phantasie mächtig angeregt. Sein unablässiger Ruf, noch in der letzten
Stunde für die Wissenschaft vom Menschen zu sammeln, das große Museum, dessen Wachs-
tum mit romantischen Reisen und Entdeckungen vieler bedeutender Männer verknüpft war,
die zahlreiche Gemeinde, die durch denselben wissenschaftlichen Gedanken zusammen-
gehalten wurde, alles das war wohl geeignet, auf die Allgemeinheit zu wirken. Mehr noch
war es aber der Mensch selbst, der sowohl den Fernerstehenden wie den Jüngern seiner
Wissenschaft Staunen und Bewunderung abnötigte. Ein Mann, der nach Vollendung seiner
Studien 1850 fast die Hälfte seiner Forschungsarbeit fern von Europa leistete, der 25 Jahre
lang auf neun, z. T. gefahrvollen Reisen die Hauptteile der Erde kennen lernte und über
die meisten große Werke schrieb, aber trotzdem nie darüber sprach und in stiller Gelehrten-
arbeit außerdem noch mehr Bücher veröffentlichte, als irgend jemand vor ihm; ein Mann,
der so ganz und gar bis zur Entfremdung von allen Kulturgenüssen des modernen Lebens
einsam nur seiner Idee lebte und für sie jede Anstrengung und Strapaze bis zu seinem Tode
als 78jähriger im fernen Trinidad wie selbstverständlich auf sich nahm—, ein solcher Mann
war noch nicht dagewesen, das fühlten bei seinem Tode weite Kreise und brachten ihm ihre
Huldigung dar.
I.
Aber schon damals war es klar, daß ihm, wie er im Leben trotz seiner die Öffentlichkeit
bewegenden Tätigkeit ein Einsamer gewesen war, auch in seinen zahllosen Einzelstudien
niemand folgen und nacheifern konnte und wollte. Sein Name war als Verkörperung einer
Idee geblieben, er trat aber hinter den Wandlungen, die sie erfuhr, zurück, als ob siegarnicht
mehr die seine wäre, man brauchte ihn nicht mehr zu nennen, und nur durch die wenigen
Fachgelehrten, die sich mit seinen speziellen Reisewerken beschäftigen, lebt er fort: den
beiden afrikanischen 1859 und 1874/75, dem 6-bändigen „Völker des östlichen Asien“
(1866—71), den polynesischen (1881—83), und dem dreibändigen amerikanischen, die Kultur-
länder des alten Amerika (1878, 1889). Und selbst darüber und mehr noch über das Übrige,
was er geschrieben, hört man zuweilen von kurzsichtigen Gelehrten, die die Bedeutung
Bastians im Ganzen nicht erfassen, harte Urteile — freilich nicht in der Öffentlichkeit.
Bastians Fehler fließen aus seinen Vorzügen. Man kann diese nicht wollen und schätzen,
ohne jene als notwendig mit in den Kauf zu nehmen. Sehen wir vorläufig von einer Formu-
lierung seiner „Idee“ ab, so ist es noch heute für die Völkerkunde die erste Lebensbedingung,
daß sie in den Ausmaßen, wie er sie gleichsam aus einem Guß hingestellt hat, bestehen bleibt.
Die Art, wie er zu seiner Umgrenzung der neuen Wissenschaft vom Menschen gekommen ist,
läßt uns tief in seine Seele blicken und seine Gestaltungskraft erkennen. Bekanntlich meinte
er die Völkerkunde durch den Gedanken einer Psychologie der ganzen Menschheit auf
induktiver Grundlage nach Art einer Naturwissenschaft umschließen zu können, wobei er
das Schwergewicht auf die bis dahin nicht in die „Weltgeschichte“ einbezogenen Völker
insonderheit die Naturvölker legte, die in ihrer mannigfaltigen Erscheinungswelt das viel-
seitigste Material zu liefern versprachen. Geht man seine Schriften durch, so entdeckt man
eine ausgesprochene Vorliebe für alle religiösen Vorstellungen einschließlich Sitte und Brauch,
für Weltauffassung und alle Fragen der Ethik und für die Gedankenformung an sich,
während Rechtsanschauungen und soziale Verhältnisse erst in zweiter Linie Beachtung
finden und ganz zuletzt die wirtschaftlichen Grundlagen mit ihren Erfindungen sowie die
6
K. TH. PREUSS
sonstigen Geräte berücksichtigt werden. Auch die Formen der bildenden Kunst treten sehr
zurück. Es ist also gerade das eigentliche Museumsmaterial, das er weniger in den Kreis
seiner Betrachtungen zieht. Und doch hat er für deren Beschaffung, weil es die an Stelle der
Schrift tretenden Dokumente der Menschheit seien, stets wie ein Löwe gekämpft. Wir dürfen
daraus schließen, daß er von einer Lieblingsidee ausgegangen ist. Ihm schwebte als Ziel
seiner Wissenschaft eine solche umfassende Erkenntnis des Entwicklungsganges der Mensch-
heit vor, daß die Kulturvölker durch Unterscheidung von Richtigem und Unrichtigem in
allen Fragen des Lebens auf eine höhere Stufe gebracht werden könnten. Ganz unvermittelt
bricht der Gedanke oft z. B. bei der leidvollen Betrachtung des Tiefstandes unserer Groß-
stadtmoral hervor1. Selbst in der Religion, die er öfters durch die Naturwissenschaft
gewissermaßen als aufgehoben erklärt, spricht er von einer Unterscheidung des Richtigen
und Unrichtigen. Er war eben trotz allem ein im Innersten religiös fühlender Mensch, der
zwar gegen die deduktiv arbeitende Metaphysik wetterte, aber durch eine Statistik von dem,
was in dem Menschen, dem Gesellschaftswesen, denkt, zu ethischen Höhen gelangen wollte.
Was in andern vielleicht die überwältigende Harmonie des Naturgeschehens zu Wege
brachte, das bewirkte in ihm das Staunen über die Gedankenwelten, die der Mensch sich
geschaffen. Man merkt ihm die Seligkeit an, wenn er gerades Weges, ohne nur vorher zu
sagen, wo und wie er ein Dokument aufgefunden, in ein solches neues Gedankenlabyrinth
einführen konnte. Für ihn war es eben kein Labyrinth, sondern ein neuer Baustein, dessen
Lage innerhalb des ganzen Gedankengebäudes der Menschheit er zu ahnen glaubte. Das
trieb ihn, neue Quellen des Buddhismus und Jainismus oder neue Kosmogonieen der Poly-
nesier zu entdecken, in fieberhafter Hast abzuschreiben, schnell trotz aller sprachlichen
Schwierigkeiten zu übersetzen oder übersetzen zu lassen und eben so hurtig zu veröffentlichen
wähnend, daß ein solcher neuer Schatz keinen Augenblick der Menschheit vorenthalten
werden dürfe. Aus vollem Herzen quellen auch seine sich überstürzenden Vergleiche hervor,
in denen Gedanken von Wildstämmen oft unmittelbar neben denen der höchsten Denker
aller Zeiten stehen. Ihm geben sie unendlich viel mehr als dem Leser, der dazu noch mit
seinem schwer verständlichen Stil zu kämpfen hat und zum genaueren Verständnis vergebens
die nur flüchtig mit dem Namen des Autors versehene kurze Stelle nachlesen möchte. Der
oft hohe Flug seiner Gedanken und der poetische Schwung der Rede läßt in dem Leser immer
das Gefühl zurück, daß die von B. gewünschte Seelenberührung nicht erreicht ist.
Bastian trägt also überall bei den dürren Tatsachen, die er vorbringt, sein Endziel, die
induktive Erfassung der Psychologie und Philosophie der ganzen Menschheit im Herzen,
und das ist geeignet, den nüchtern vorwärts schreitenden kritischen Leser zurückzustoßen.
Wäre er in dieser einseitigen Liebhaberei, die schon in seinem ersten größeren dreibändigen
Werke ,,Der Mensch in der Geschichte“ 1859—60 hervortrat, stecken geblieben, hätte er
seine damals auf achtjährigen ununterbrochenen Reisen erworbenen Anschauungen etwa
durch Verarbeitung der gesamten vorhandenen Reiseliteratur in Verfolgung derselben Ge-
sichtspunkte in aller Breite belegt, so wäre er wahrlich nicht der Begründer der Völkerkunde
geworden, ja er hätte sich mit dem systematischen Waitz und seiner zwischen Naturwissen-
schaft und Kulturgeschichte in der Mitte schwebenden „Anthropologie der Naturvölker“
keineswegs messen können. Das Große in ihm ist vielmehr der Plan, das Material für seine
Ideen neu zu schaffen, es aus den entferntesten Winkeln der Erde herbeizuschleppen und
zwar nicht nur in Gestalt von Beobachtungen und Überlieferungen, sondern in Realien, in
Museumsobjekten. Die Einsicht in den untrennbaren Zusammenhang aller Äußerungen des
Menschengeistes im Denken, Schaffen und Handeln führt ihn zur Gründung der Völkerkunde,
zu einer deutlich begrenzten, gleichmäßig das Große wie das Kleine berücksichtigenden Wissen-
schaft, obwohl er sich durch ihre Definition als eine Psychologie im Grunde immer z;u dem ur-
1 Wie das Volk denkt, Berlin i8c)2, S. 21^ ff,
ADOLF BASTIAN UND DIE HEUTIGE VÖLKERKUNDE 7
sprünglichen ethisch-religiösen Idealismus bekennt, der bis zu seinem Lebensende in allen
seinen Werken hervortritt.
Jetzt erst steht der ganze Bastian vor unserem geistigen Auge, dem es eine Lust ist, die
Welt zu durchstreifen mit einem hohen Ziel im Herzen, und dem es gar keine Schrecken
bereitet, immer neue Völker in ihrer weitverzweigten Literatur sich zu eigen zu machen.
Wenn er z. B. die Kulturvölker Amerikas und nicht nur die Mexikaner, Maya und die
Peruaner des Inkareiches, sondern alle weniger hervortretenden und dazu viele Naturvölker
von Grund aus nach den Quellen studiert, so leitet ihn dabei die Überzeugung, auch hier in
zahllosen Variationen die Gedanken des sozialen Menschen zu finden, und dazu gehört
schlechterdings alles, was die Quellen bieten. Man findet dort noch heute in seiner lockern
Zusammenstellung vieles, was einen auf Zusammenhänge und Beziehungen bringen kann —
nur schade, daß auch hier wie stets die Nacharbeit wegen des Fehlens genauerer Quellen-
angaben so schwer ist.
So sehr die beispiellose Vielseitigkeit seines Wissens und die ungeheuere Arbeitsenergie
den Leser mit Staunen erfüllt, und so sehr er auch hier als Kenner wissenschaftlicher Bücher
wie in den Ausmaßen seiner Reisen und seiner Werke einzig dastehend erscheint, so hat man
ihm, wie gesagt, doch die Geflissentlichkeit sehr nachgetragen, mit der er die Grundlagen
der von ihm mitgeteilten Tatsachen nur flüchtig andeutete und auch in der Aufnahme von
Nachrichten nicht immer wählerisch war. „Kommt später ein authentisches Material zur
Hand“ sagt er einmal hinsichtlich exzerpierter Geschlechtsregister, „so verbessern sich damit
die Fehler von selbst, bleibt es aus, so wird bei der Wahl zwischen gar keinem Excerpt oder
einem-mangelhaften, doch wohl das letztere vorzuziehen sein, wenn diese Fehler, das Detail
in Namensformen betreffend, den Gesamteindruck nicht allzusehr verschieben.“ (Die heilige
Sage der Polynesier, Leipzig 1881, S. 148.) Das Verständnis für solche Schwächen ergibt
sich unmittelbar daraus, daß er sich nur als Vorläufer und Wegbereiter der Ethnologie fühlte.
Das Ziel erschien ihm so hoch und weit, daß es ihm vorläufig nur darauf ankam, der Idee als
Ganzes Eingang zu verschaffen. Zugleich war er aber bestrebt, wenigstens für die Zukunft
die Arbeit in streng fachwissenschaftlicher Weise zu organisieren. Es handelte sich für ihn
um eine Arbeit von vielen Jahrhunderten, bis seine Wissenschaft die für die Menschheit
notwendigen Früchte tragen könnte. Deshalb war schon damals sein Erstes, mit Kennerblick
Fachleute als Mitarbeiter zu berufen, die in jeder Beziehung nach den höchsten Ansprüchen
der Wissenschaft überhaupt verfahren sollten, und diese an dem Material sich selbst aus-
bilden zu lassen. Auch darin bewies er denselben Scharfblick, der in der Umgrenzung der
Ehtnologie zu bemerken war. Er verfuhr wie ein Heilbringer, der die bis dahin blinde Welt
für ewige Zeit auf den richtigen Weg zu leiten hatte. Die Ausführung im Einzelnen würde
sich die Menschheit schon selbst schaffen.
Hätte er sowohl hinsichtlich des Ziels wie der Ausführung nicht einen so grenzenlosen
Optimismus gehabt, so wäre sein Einfluß und Erfolg sicherlich nicht annähernd so groß
gewesen. Trotzdem bereitete ihm die Beschaffung einwandfreien geistigen Materials noch
größere Sorgen als die Anhäufung der Museumsstücke. Das geht z. B, aus den Anweisungen
für die Arbeiter im „Felde“ hervor: von Fragen und Ausfragen dürfe auf dem religiösen
Gebiet keine Rede sein, sondern nur von Lauschen, und nur ein Sonntagskind werde die
Wunderblume pflücken können. (Z.E. 1885, S. 39’) Gerade als cs ihm gelungen war, auf seiner
Reise 1878___80, die gewissermaßen einen Abschluß seiner eigenen Sammeltätigkeit bezeich-
net, in Polynesien wertvolle Manuskripte heimzubringen, äußert er sich wiederholt über die
Berge hoch aufgetürmten Schwierigkeiten, als sich beim Nähertreten die Einzelheiten der
Detailaufgaben zu markieren begannen, „und wenn mit aller Kraftanstrengung vielleicht
der erste Rücken erklommen war, dann sah man höher und höher ansteigend neue Reihen
von Hochgebirgen streichen mit himmelragenden Gipfeln“. Mit dem bloßen Sammeln sei es
8
K. TH. PREUSS
nicht getan. Wenn man auch den Grundsatz aufstelle, daß a priori nichts als unscheinbar
verworfen werden darf, so könne doch der Laie selten viel Brauchbares sammeln ,,und so
werden auch wir allmählich daran zu denken haben, ethnologisch geschulte Reisende aus-
zusenden.“1
In aller Bescheidenheit spricht er die Überzeugung aus, daß es ihm nicht einmal ge-
lingen werde, ,,von einer der Höhen einen Fernblick auf das verheißene Land zu werfen,“
daß er sich vielmehr in der Erkenntnis harmonischer Gesetzlichkeit mit der Befriedigung
begnügen müsse, innerhalb der dem einzelnen beschiedenen Zeitspanne am Menschheitsbau
des Kosmos mitgewirkt zu haben.2 In all dem liegt ganz deutlich der Verzicht auf die
Aufstellung von Theorien im Einzelnen ausgedrückt. Im Gegenteil warnte er wiederholt
davor, zu frühzeitig an solche heranzugehen, und war sehr zufrieden, wenn jemand sich nur
überhaupt in irgend ein Gebiet vertiefte. Er zwang niemand, seine komparativ-genetische
Methode und seine Gedankenstatistik mitzumachen. Sie waren ihm. nur eine Selbstverständ-
lichkeit, um dermaleinst zur Klarheit über die psychischen Gesetze der Menschheit zu
kommen, wenn alles gründlich erforscht ist. Seine Arbeiten erscheinen ihm daher selbst
immer nur als vorläufige, und in der Tat, soviel Material er auch zusammengestellt hat, so
ergibt sich daraus nie ein großer psychisch-genetischer Zusammenhang irgend einer mensch-
lichen Einrichtung oder Auffassung, soviel man auch durch die bloße Aneinanderreihung
von Tatsachenmaterial aus den verschiedensten Gebieten des menschlichen Lebens lernen
kann. „Werfen wir dies wild, und zwar aufs Geratewohl, durcheinander, wie man will: was
herauskommen soll, verarbeitet sich von selbst, wenn man für gesetzmäßige Zusammen-
ordnung Zeit läßt.“ „Dann jedoch darf nur erst wieder in minutiös genauesten Details
(jedesmaliger Fachdisziplin) gedacht werden, in mikroskopischen Arbeiten der Lupe (sofern
Folgerungen gezogen werden sollen).“ (Wie das Volk denkt, Berlin 1892, S. 201.)
In unerschöpflichen Variationen setzt er gern ganz allgemein seine hohen Ziele aus-
einander, um den Boden für die genaue Durchforschung und künftige Zusammenfassung zu
bereiten. Ich setze eine solche hierher:
„Wenn alles dasjenige, was (in den sämtlichen Variationen des Menschengeschlechts) die Völker auf Erden
denkend geschaffen haben, in rechtlichen Einrichtungen (zur Ordnung des sozialen Lebens) und in religiös-philoso-
phischen Vorstellungsweisen (für Befriedigung der idealen Bedürfnisse) — wenn Alles das, und was dazu gehört, einer
gründlich durchgreifenden Erforschung wird unterzogen sein: dann, mit Erschöpfung der Denkmöglichkeiten, dürfte
der Mensch zu wissen haben, wie es mit ihm steht (und was darüber hinaus sich etwa nicht sonst noch wissen ließe).
Jedenfalls würde ihm deutlich an die Hand gegeben sein müssen, nach welchen immanent geregelten Gesetzlichkeiten
all dasjenige verläuft, worüber wir uns im Gesellschaftsleben mit einander in gegenseitig befriedigenden Ausgleich
zu setzen streben, unter vernunftgemäßer Beherrschung wo möglich (zum Besten des Ganzen sowohl, wie jedes Ein-
zelnen in seinem eigenen). (Ethnische Elementargedanken, Abtlg. I, Berlin 1895, S. XIH.)
Der Rahmen, in den Bastian die ethnologischen Forschungen zur Erreichung dieser
Ziele einspannte, ist ebenso weit und unbestimmt gefaßt wie diese selbst und offenbart zwar
eine persönliche naturwissenschaftliche Stellungnahme, ohne jedoch der Einzelforschung
dadurch Zwang aufzuerlegen. Gleichsam die „Zellen“ des Gesellschaftskörpers der Menschheit
sind ihm die seiner Voraussetzung nach überall gleichen Elementargedanken der zahllosen
kleinen menschlichen Gemeinschaften, Diese psychisch einfachsten „Primalitäten“ machen
kulturelle Wachstumsprozesse durch, die auf organische Leitungsgesetze führen. Man hat
die Gesetze des Wachstums und die Elementargedanken aus den umfassenderen Gebilden zu
erkennen, die in größeren Gebieten und Menscheneinheiten als Völkergedanken erscheinen.
Aus diesem Grunde, und weil die Wachstumsprozesse ja erst am Schlüsse der ganzen Unter-
suchungen zu erkennen sind, werden Elementar- und Völkergedanken als Gedanken von
Gemeinschaften, nicht des Einzelwesens oft durcheinander gebraucht.
1 Die heilige Sage der Polvnesier, Leipzig 1881, S.VIff.
2 a. a. 0., S. VII, 222.
A.DOLF BASTIAN UND DIE HEUTIGE VÖLKERKUNDE g
Als zweites naturwissenschaftliches Moment führt er die Umwelt, die geographische
Provinz nach Geologie, Höhenlage, Bodenbeschalfenheit, Klima usw. ein. In dem natür-
lichen Wachstumsprozeß, durch den die einen den Elementargedanken noch näher stehen,
die andern schon weiter von ihnen entfernt sind, werden die Völkergedanken durch die
geographische Provinz außerordentlich variiert. Diese selbstverständliche Anschauung führt
Bastian aber keineswegs zu weitschweifenden Folgerungen im Einzelnen, etwa zur Ab-
leitung der Völkercharaktere und der menschlichen Einrichtungen aus dem Wohnort, wie
man es zuweilen bis heute bei ungeschulten Reisenden und Ethnologen wahrnimmt, er
bleibt vielmehr stets bei ganz allgemeinen Hinweisen für die Veranschaulichung; die Zu-
kunft ist ihm auch hier alles. . , . , D . ,. 0 , . .
Als letztes Element zur Erkenntnis des Wachstums sieht Bastian die Geschichte an,
die er einer künstlichen Pfropfung der Pflanzen vergleicht. Während die Umwelt mit ihren
Anregungen das Wachstum der Völkergedanken nur bis zu einer gewissen Höhe bringen
kann und dann ein Zustand der Beharrung eintreten muß, kann die geschichtliche Beein-
flussung weiter führen. Doch gehen die geschichtlichen Vorgänge ihre durch die geographi-
sche Lage bedingten Straßen. Auf Grund dieser allgemeinen Theorie kann B. mit gutem
Gewissen behaupten, daß er sich eines Gegensatzes gegenüber den Ethnologen, die die
Völkerkunde mehr geschichtlich betrachten wollen, garnicht bewußt sei. Er verlangte nur,
daß die geschichtlichen Wege stets auf gezeigt werden müßten, und schob den Verfechtern
einer, gleiche „Völkergedanken“ durch geschichtliche Verbindung erklärenden Ethnologie
stets die Beweislast zu. Gemäß seiner naturwissenschaftlichen Einstellung lag ihm auch eine
zeitliche Aufeinanderfolge der Völkergedanken nicht am Herzen, da dieselbe Sitte oft bei
den verschiedenen Völkern zu ganz andern Zeiten beobachtet werde, es also bei der Fest-
stellung des zu Grunde liegenden Elementargedankens auf eine Zeitfolge garnicht ankomme.
Eine solche zu beachten, sei nur bei der Betrachtung der Entwicklung einer Einrichtung
u. dgl. m. notwendig.
II.
Ein Vergleich mit der heutigen Ethnologie wird uns beweisen, daß die Völkerkunde
Bastians in ihren Grundlagen trotz aller Wandlungen in der Ausgestaltung dieselbe geblieben
ist und wir alle Ursache haben, uns in vielen Punkten nach ihr zu richten, wo wir von ihr
abweichen zu können glauben. Wir dürfen dabei von seiner vorbildlichen Persönlichkeit als
unermüdlicher Wahrheitssucher vollkommen absehen und beschränken uns auf die kritische
Betrachtung seines Werkes an sich.
Ganz allgemein gesprochen geht die grundlegende Anschauung auf ihn zurück, daß die
völkerkundlichen Museumssammlungen nur dann eine Berechtigung haben, wenn sie mit
allen die primitiven Völker betreffenden Nachrichten zu einem Ganzen wissenschaftlich
vereinigt werden. Das Museum steht demnach nicht für sich allein da. Im scharfen Gegen-
satz zu dem Wesen der Raritätenkabinette, aus denen der Grundstock der Sammlungen
hervorgegangen ist, sollen die Stücke nicht einzeln für sich durch ihre bloße Form, ihre
Merkwürdigkeit und Absonderlichkeit auf den Beschauer wirken und dürfen nicht mehr nach
diesem früheren Grundsatz als ansehnliche „Trophäe“ gesammelt werden, sondern sind in
jeder noch so unscheinbaren Gestalt als Dokumente der Elementar- und Völkergedanken —
wir' sagen heute des kulturgeschichtlichen Untergrundes der Menschheit — willkommen.
Aber auch in solcher Gestalt sind sie erst dann in ihrem vollen Werte nutzbar, wenn neben
ihrer Technik und formalen Gestaltung die Art ihrer Verwendung und die mit ihnen ver-
knüpften Ideen der Eingeborenen bekannt sind. Dadurch wird z. B. auch die bildende Kunst
der einseitigen abendländischen Beurteilung entzogen und den Gesichtspunkten unterstellt,
unter denen sie die verfertigenden Völker betrachten. Es gibt demnach für den Ethnologen
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K. TH. PREUSS
ebensowenig eine absolute Kunst wie eine absolute Wahrheit in der Religion. Der Sammler
wie der Museumsbeamte und ebenso der Beschauer soll durch die Sammlungen in die gesamte
Kultur der Verfertiger geführt werden, auch in die Gebiete ihres sozialen Lebens und der
Religion, die nur zum kleinsten Teile odei garnicht durch die Stücke veranschaulicht werden
können und sollen. Das heißt nichts weiter, als daß die Museumsseite der Völkerkunde nicht
etwa eine Wissenschaft für sich ist, sondern daß die Museumsleute ihre Aufgabe, die Stücke
zu verstehen, garnicht erfüllen können, wenn sie sich nicht dem Studium der Völkerkunde
als Ganzes hingeben. In diesem Sinne ist jedes ethnologische Museum nach Bastian ein um-
fassendes Forschungsinstitut, und der Befähigungsnachweis für einen Museumsbeamten ergibt
sich im wesentlichen aus seinen Gaben, sich in diese dem abendländischen Denken z. T. sehr
fernliegende Welt zu versenken und ihr Verständnis durch wissenschaftliche Mitarbeit zu
fördern. Die museale Technik kann jeder erlernen, sie ist die selbstverständliche Voraus-
setzung jeder systematischen wissenschaftlichen Tätigkeit, zu letzterer aber gehört innige
Neigung, ideale Begeisterungsfähigkeit, Initiative, sich geeignete Probleme zu stellen, und ein
selbstbewußter, in selbständigem Denken sicherer Geist. Das war Bastians Meinung, und er
setzte daher seine ganze Hoffnung für dauerhafte Gestaltung des ungeheuren Baues der Völker-
kunde auf seine Beamten. Versagten diese in der Hauptsache, im wissenschaftlichen Arbeiten,
gingen sie in der Museumstechnik auf, so mußte der Bau seiner Ansicht nach zur Ruine werden.
Einen Stillstand durfte es nicht geben. Deshalb stellte er auch nicht große Reisende an, die
naturgemäß in der Ethnologie nicht auf gehen konnten, sondern Fachleute.
Auch heute noch stehen alle bedeutenderen Museen auf dem Untergründe, den der
Geist Bastians geschaffen. Die Völkerkunde als Ganzes ist in ihnen verankert. Die Museums-
beamten übertragen diesen Geist an die Universitäten. Alle der Völkerkunde angehörigen
Wissenschaften; die vergleichende Wirtschaftskunde, Technik und Gestaltungslehre,
Kunstwissenschaft, Soziologie, Rechtswissenschaft, Religionswissenschaft, Völkerpsycho-
logie, Sprachwissenschaft usw. können den gemeinsamen Mutterboden der Völker-
kunde nicht entbehren, ohne einseitig zu werden. Sie sind garnicht imstande, die Tat-
sachen ihres besondern Gebietes erschöpfend zu sammeln oder zu verarbeiten, weil die
Verzweigungen untereinander viel zu mannigfaltig sind und den ganzen Menschen als Ge-
sellschaft swesen zur Voraussetzung haben. Bastians Begriff des Fachmannes ist daher ein
geographischer. Der ethnologische Fachmann soll vor allem ein geographisch umgrenztes
Gebiet in allen Verzweigungen der Völkerkunde sich zu eigen machen und soll für allseitige
Vermehrung des Materials stetig sorgen. In der Aufstellung der seiner Sorge anvertrauten
Sammlungen soll sich die Gesamtheit der Kulturen seines Gebiets in allen typischen Er-
scheinungen — nötigenfalls durch Nachbildungen, Modelle usw. widerspiegeln. Das gilt
natürlich ebenso f ür eine Schausammlung, nachdem das zu gewaltig angewachsene Material
es notwendig machte, eine solche von den übrigen für den unmittelbaren Kulturzusammen-
hang entbehrlichen Stücken abzutrennen. Die Schausammlung hat den Niederschlag der
Kultur des gesamten Gebiets zu zeigen und muß sich je nach dem Eingang noch bezeich-
nenderer, typischerer Stücke und nach dem Fortschritt der Erkenntnis in der Gliederung
der Kulturprovinzen ändern, ohne sich an Umfang erheblich zu vermehren. Voraussetzung
ist jedoch, daß nicht ganz neue Kulturprovinzen hinzukommen, die dann einzufügen sind.
Eine Schausammlung als starres für alle Zeiten festgelegtes Gebilde wäre daher lebensunfähig.
Die Schausammlung bleibt die Hauptsammlung, da die nicht ausgestellten Stücke, so sehr
sie an Zahl jene übertreffen mögen, ein Torso sind, insofern sie viele Kulturen garnicht oder
nur durch unzulängliche Reste darstellen. Jedes andere geographische Fachgebiet und jede
Teilwissenschaft der Völkerkunde soll in übersichtlicher Weise dort ihren Anschluß und
ihren Untergrund finden.
Wer sich in den für alle Zeiten vorsorgenden, universalen Geist Bastians versenkt, wird
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ADOLF BASTIAN UND DIE HEUTIGE VÖLKERKUNDE j j
die Anwendung seiner wissenschaftlichen Grundsätze auf diese lediglich sich aus praktischen
Gesichtspunkten ergebende Neuerung einer Schausammlung für selbstverständlich halten.
Auch die vorbildliche Schöpfung der Schausammlung in Hamburg, die dort allen andern
Museen weit voran durch Thilenius als erste ins Leben gerufen wurde, atmet diesen Geist.
Es ist gerade angesichts seiner psychologischen Erfassung der Völkerkunde im Endziel
zu betonen, daß Bastian durch den Begriff der geographischen Provinz ebensosehr wie
durch die geschichtliche „Pfropfung der Völkergedanken“, der skizzierten fachmännischen
Grundlage der Völkerkunde Rechnung getragen hat und diese als sein Hauptgesichtspunkt
zu betrachten ist. Nach den angeblich überall vorhandenen Elementargedanken kam die
Variierung durch die geographische Provinz und dann erst nach Erschöpfung aller Er-
klärungsmöglichkeit daraus die geschichtliche Übertragung. Man sollte also nach Bastian
erst gründlich jedes geographische Gebiet erschöpft haben, ehe man weiter vorging. Heute,
wo wir im Gegenteil wissen, daß die Völker auch nach der Wanderung in andere geographi-
sche Wohnsitze am früher Bestehenden so weit wie irgend möglich festhalten, gestaltet sich
doch der Bastiansche Gedanke der geographischen Provinz in etwas anderm Sinne noch
ebenso fruchtbar wie früher. Obwohl wir nämlich mit Recht annehmen, daß Wanderung und
Übertragung, also die geschichtliche Seite der Völkerkunde, viel mehr Geltung hat, würden
wir doch ohne genaue Untersuchung von geographisch umgrenzten Kulturprovinzen jedes
Gleichgewicht verlieren, weil sich die betreffenden Völker einer Kulturprovinz die bei ihnen
zusammengeflossenen Kulturelemente in einer neuen einheitlichen Weise zu eigen gemacht
und oft ganz eigenartige geistige Neuschöpfungen hervorgebracht haben, nachdem die
fremden Bestandteile durch den Geist des aneignenden Volkes hindurchgegangen sind.
Jede eingehende Untersuchung eines Stammes, wie sie noch heute zur Förderung der Kennt-
nis der Kulturprovinzen und für die Völkerkunde überhaupt in allererster Linie notwendig
ist, und bei der heutigen Spezialisierung und Vervollkommung der Methoden an manchen
Stellen mit größerem Erfolg als früher ins Werk gesetzt werden kann, würde bei Bastian
ebenso helle Begeisterung ausgelöst haben, wie er seinerzeit einen Kubary und andere
deshalb gefeiert hat.1 Niemals überwog bei ihm die Sucht des Vergleichens die Schätzung
solcher Fundamentalforschung. Gegenwärtig beginnt aber leider zuweilen eine Verschiebung
dahin einzusetzen, daß nicht mehr die Sammlung und Sichtung des Materials innerhalb
jeder Kulturprovinz, so vielversprechend und notwendig sie ist, sondern die Vergleichung
die erste Stelle einnimmt.
Zwei Seelen herrschen mit Recht in der Brust jedes Ethnologen. Die eine, die ihn
vielleicht überhaupt erst zur Völkerkunde hingezogen hat, umschließt das historisch-
psychologisch zu lösende Rätsel der ganzen Menschheit. Sie geht allen andern philologisch-
historischen Wissenschaften ab, ist daher ein besonderes Lebenselixier der Völkerkunde und
führte auch Bastian zu ihrer Begründung. Die andere aber gehört der oben erwähnten
geographisch begrenzten Fachwissenschaft an, die sich von den älteren Schwesterwissen-
schaften nur dadurch unterscheidet, daß neben der Philologie auch Sachen und das direkte
Studium an Lebenden gleichen Wert haben. Obwohl Bastian stets auf der Suche nach
„Elementargedanken“ war, hat er doch die Selbstzucht besessen, die Fachwissenschaft als
unumgängliches Erfordernis für die allgemeine Menschheitsbetrachtung zu pflegen, soll
diese nicht ewig ein Spiel mit Worten bleiben. Andererseits hat er diese mit Recht gleich-
zeitig mit der Fachwissenschaft getrieben, da sie der Völkerkunde ihre Berechtigung als
Wissenschaft gibt und jeder Ethnologe von vornherein auf die Endziele lossteuern, ja sein
Spezialfach nur im Gedenken an das Ganze betreiben soll.
Eine Methode für die Beschäftigung mit der Allgemeinwissenschaft hat Bastian nicht
hinterlassen, sondern nur eine Hypothese, die für ihn Gewißheit war, nämlich die Elementar-
1 Vgl. Allerlei ¿ms Volk?- und Menschenkunde, 2 Bde, Berlin 1888,
K. TH. PREUSS
gedanken, die nach ihm überall in dem Gesellschaftswesen in gleicher Art aufsprießen. An
diesem Glauben ist man bekanntlich z. T. irre geworden, aber das entgegengesetzte Extrem,
die Hypothese der Entlehnung oder der geschichtlichen Verbindung alles Gleichen ver-
spricht keinen Ertrag, da es uns für die Feststellung der Geschichte zunächst garnichts
nützt, wenn wir bei ganz entfernten Völkern geschichtlich bewertete Verwandtschaften
finden. Dasselbe ist aber der Fall, wenn wir mit der sog. Kulturkreislehre ganze Reihen
gleichartiger Kulturelemente: Geräte, Hütten, soziale Einrichtungen usw. bei verschiedenen,
weit voneinander entfernt wohnenden Völkern entdecken und davon überzeugt wären, daß
solche Übereinstimmungen nur auf geschichtlichem Wege zustande gekommen sein können.
Wichtig werden sie erst dann, wenn andere geschichtliche Spuren uns die Verbindungswege
aufzeigen, d. h. also, wenn auch die dazwischen lebenden Völker geschichtlich untergebracht
sind. Dann erst können wir entscheiden, was ein solcher Komplex von Gemeinsamkeiten
an verschiedenen Stellen geschichtlich oder psychologisch bedeutet. Wissen wir doch heute
noch nicht, wie die Menschheit entstanden ist, und ebenso ist uns ihre geschichtliche Ein-
heit bisher doch nur eine gern geglaubte Annahme. Wir stehen also heute noch bei der alten
Forderung Bastians, daß geschichtliche „Pfropfungen“ der Völkergedanken strenge zu
beweisen sind, freilich ohne die Möglichkeit geschichtlichen Zusammenhangs auch in
extremen Fällen überhaupt zu leugnen. Das genaue Studium jeder einzelnen Kulturprovinz
für sich und ihr Zusammenhang mit den Nachbarprovinzen in allmählich immer weitere
Fernen bleibt uns gerade für geschichtliche Nachweise nicht erspart. Daran haben sich
spezielle Untersuchungen über die verschieden leichte oder schwere Übernahme einzelner
Kulturgüter: Mythen, Werkzeuge, soziale Systeme usw. anzureihen.
Ganz anders wie mit der Schwierigkeit des geschichtlichen Nachweises verhält es sich
mit dem psychologischen Vergleich, der für Bastian ein und alles war. Bei den sich allent-
halben aufdrängenden Ähnlichkeiten des bessern Verständnisses wegen zum Vergleich zu
schreiten, und zwar zunächst ohne Rücksicht auf etwaige geschichtliche Zusammen-
hänge, erscheint jedem als das Selbstverständlichste von der Welt. Wir können nicht
umhin festzustellen, daß die psychologische Seite der Völkerkunde bei allen Ethnologen,
abgesehen von den technisch oder schematisch geschichtlich eingestellten von jeher eine
hohe Bedeutung gehabt und die größte Anziehungskraft auf sie ausgeübt hat. Ebenso ist
die Völkerkunde weiten Kreisen häufig mit Völkerpsychologie identisch, weil in dieser die
schließlich zu erwartenden Ergebnisse jener enthalten zu sein scheinen. In der Tat ist be-
sonders derjenige, der die geistige Welt der Naturvölker lediglich nach unserem abendlän-
dischen Denken betrachtet, verloren. Das Ringen, sie in allen Verzweigungen zu begreifen,
und die rein logische Erfahrungswelt von dem überall eindringenden Irrationalen zu sondern,
erfaßt den Forscher auf engstem wie auf weitestem Gebiete. Nicht nur die zeitlosen Elemen-
targedanken Bastians, sondern alle Entwicklungsstufen, die man inbezug auf einzelne
Kulturgüter z. B. in der Wirtschaft, sozialen Gliederung, Religion usw. aufgestellt hat, gehen
auf die psychologische Vergleichung zurück. Obwohl zeitlich auf gebaut, ist eine solche Ent-
wickelung nicht als Geschichte zu betrachten, da es auf der mehr oder weniger gefühls-
mäßigen Wertung beruht, wie die Dinge aufeinander vom Niedrigeren zum Höheren gefolgt
sind.
Sicherlich ist darin viel geirrt worden, indem man gerade den erkennbaren Anfangs-
stufen möglichst alles scheinbar Tiefstehende, das man festgestellt zu haben glaubte, z. B.
Promiskuität u. dgl. zuschrieb und höher anmutende Vorstellungen z. B. über Gott, Ethik
usw. absprach und ans Ende der Entwicklung setzte. Stimmten die Tatsachen garnicht mit
dem angenommenen Schema der Entwicklung überein, so wurden sie zu schnell etwa als
christlicher Einfluß oder als Reste einst höherer Kultur erklärt. Auch war die Annahme vom
Übel, daß jeder Teil der Menschheit durch alle Erscheinungen hindurchgegangen sein müsse.
ADOLF BASTIAN UND DIE HEUTIGE VÖLKERKUNDE l
Es liegt in solchen vorschnellen Konstruktionen nur das verständliche Streben einer Gene-
ration, bereits selbst das verheißene Land zu betreten, das Bastian nicht einmal von fern
schauen zu können wähnte. Es waren die durch unsere abendländische Kultur getrübten
Gesichtspunkte, die sich hier in der Deutung der Tatsachen Geltung verschafften.
Wie zu erwarten, sind auch die Tatsachen inzwischen mehr zu ihrem Rechte gekommen,
und man hat den einzigen Weg beschritten, der zu gesicherteren Ergebnissen führen könnte,
nämlich nicht einzelne Kulturgüter in ihrer Entwickelung zu verfolgen, sondern ganze Reihen
von Elementen materieller und geistiger Kultur als je einer Stufe zugehörig zusammen-
zustellen, und sich nicht zu scheuen, nebeneinander verlaufende Kulturen anzunehmen, so
daß die Menschheit aus einer oder mehreren Urstufen sich differenziert und dann auch wieder
gemischt hat. Die Grundlage bildet bekanntlich die niedrige Sammel- und Jägerstufe mit
ihrem Familiensystem und ihren religiösen Vorstellungen, woran sich namentlich die tote-
mistische exogam-vaterrechtliche höhere Jägerstufe einerseits und die exogam-mutter-
rechtliche auf Ackerbau beruhende Zweiklassenkultur andererseits mit ihren Einrichtungen
und ihrer Weltanschauung anschließt. Zu jeder wird die Ausbildung von bestimmter Wohn-
weise, von Geräten usw. gerechnet.
Die Theorie eines solchen Stufenbaus, die über Bastians Zeit hinausgeht, verdankt im
wesentlichen der Kulturkreislehre ihren Ursprung. Es wird dadurch eine mächtige psycholo-
gische Tätigkeit entfesselt, denn es gilt, die als zugehörig zu einer Stufe erkannten oder ver-
muteten Teile als psychologisch notwendige Folgen der „unheimlichen Macht“ der sozial-
wirtschaftlichen Verhältnisse zu erweisen: z. B. die Polygamie, die Kaufehe, die niedrige
Stellung der Frau, das Geheimbund- und Maskenwesen, die Couvade, den Mondkult usw. aus
der exogam-mutterrechtlichen Ackerbaustufe u. dgl. m. Ein solcher zwangsläufiger Zusammen-
hang würde natürlich nicht auf einem naturwissenschaftlichen Gesetz in dem Sinne Bastians
beruhen. Selbst wenn alles, die Zusammengehörigkeit der Tatsachen wie die psychologische
Erklärung irgendwo zuträfe, dürfte man diesen Ausdruck nicht anwenden, weil das Zusammen-
treten der Einzelheiten niemals als etwas schlechthin Notwendiges erwiesen werden kann.
Andererseits wäre es aber auch keine Geschichte im landläufigen Sinne, weil die Völker mit
derartigen Reihen von Kulturgütern nicht ohne weiteres als geschichtlich zusammenhängend
betrachtet werden können. Dagegen hat es als geschichtliche Stufe mit starkem psycholo-
gischem Einschlag wenigstens methodisch seine gute Berechtigung, indem die zunehmende
Sicherheit der zusammengehörendenTatsachen und der psychologischen Erklärung einander bis
zu allgemeiner Überzeugung stützen könnte. Voraussetzung ist jedoch, daß auch die bisherige
Methode der Entwicklung der Einzelelemente im Verein mit allen möglichen Kombinationen
bestehen bleibt, und namentlich wieder die Einzeluntersuchung in den fachmäßigen geo-
graphischen Kulturprovinzen den Ausschlag gibt. Wir sehen also auch an diesen Neu-
erscheinungen, daß die von Bastian geschaffene psychologische Grundlage ausreichend ist,
obwohl wir die Völkerkunde nicht mehr als eine Naturwissenschaft, sondern angesichts der
nicht zu erschöpfenden Möglichkeiten als Kulturgeschichte bezeichnen müssen, und zwar
namentlich im Hinblick auf ihr Ziel. Mit solcher geschichtlichen Einstellung ist es aber auch
nicht möglich, sein „es denkt im Menschen“ länger als Erzeugnis einer Gemeinschaft auf-
recht zu erhalten. Die kleinen Gruppen haben freilich eine ganz anders geschlossene und
beharrende Weltanschauung als die großen Völker, aber auch dort sind einzelne Individuen
die Träger des Neuen.
A „ . „ , QlVh Bastian uns bis heute als ein sicherer Führer erwiesen. Der Bau
Alles in allem Völkerkunde gibt noch heute alle grundlegenden Richtlinien, und
der von ihm gegrun e vonstatten gegangen, daß er nicht umzulernen brauchte,
der Ausbau im Innern ist ucinu
14 K. TH. PREUSS
wenn er noch zu den Unsrigen gehörte, so viele Fortschritte auch im Einzelnen gemacht
worden sind. Solche erhoffte er mit ganzer Seele, da er sich nur als Vorläufer fühlte und in
seinem Geiste viele, viele Generationen an der Vollendung schaffen sah. Auch sein starker
Glaube, daß die Völkerkunde für alle Geisteswissenschaften und besonders für die Ethik der
Menschheit in hohem Maße fruchtbringend sein werde, ist in uns nicht erloschen, und gleich
ihm ist es auch heute vielen von uns eine Lust, im Hinblick auf das ferne Ziel auf dem
unendlichen Trümmerfeld der frühesten Menschheit im Staube zu schaffen und Schritt für
Schritt den Schutt aufzuräumen. So sehr auch heute noch die Völkerkunde die Stelle des
Aschenbrödels unter den begünstigten Schwesterwissenschaften einnimmt, was er selbst oft
mit Schmerz, aber mit dem Bewußtsein des endlichen Siegers empfunden hat, so ist der
ethnologische Gedanke doch heute Gemeingut weiter wissenschaftlicher Kreise geworden.
Die Völkerkunde, deren Name scheinbar ein uferloses Meer andeutet und deshalb manchem
als Wissenschaft unmöglich erscheint, ist von ihm mit sicherem Blick in bestimmter Um-
grenzung geschaffen worden. Sie bedeutet den Unterbau der Menschheit und erheischt daher
die Mitarbeit aller philologisch-historischen Wissenschaften, in die also der ethnologische
Gedanke eindringen muß. Bastian erkannte daher als seine Domäne alle sogenannten Natur-
völker und gliederte höher stehende Völker nur unter Vorbehak an, weil sie noch keine eigene
Pflege namentlich auch in musealer Hinsicht genossen. Dadurch wurde schon damals der
Kreis so gewaltig, daß er an einen vollen Ausbau auf den zu seinem eigenthchen Fach
gehörenden Gebiete nicht denken konnte: das ist die Volkskunde ^Europas, für die in Berlin
noch heute keine Stätte geschaffen ist, obwohl sie von weitblickenden Leitern z. B. der
Völkermuseen in Hamburg und Leipzig mit gleicher Sorgfalt gepflegt wird. Sie hat alles
aus alter Zeit stammende Kulturgut aufzunehmen, das einerseits zu den Naturvölkern,
andererseits zur Prähistorie Beziehungen hat. Auch viele westasiatische Völker haben
leider bei uns noch keine Stätte. Dazu seufzen wir unter den Folgen des Krieges. Diese
gestatten nicht mehr den planmäßig vorgesehenen allmählichen Ausbau einheitlicher
Museen der einzelnen Erdteile in Dahlem. Ja sogar die absolute Notwendigkeit, den Haupt-
teil der bisherigen asiatischen Sammlungen in ihren Typen auszustellen, ist dadurch in
Frage gestellt, und vor der Hand ist die Hoffnung abgeschnitten, die wissenschaftlich auf-
einander angewiesenen Teile der Schau- und Studiensammlungen überhaupt ohne Schwierig-
keiten zu bearbeiten, da beide weit voneinander entfernt bleiben müssen, obwohl keine für
sich Leben haben kann. Bei naturwissenschaftlichen Sammlungen wäre eine solche Trennung
noch angängig, bei den Individualitäten in der Völkerkunde dagegen wirkt sie im höchsten
Maße hemmend. Namentlich fehltauch im Anschluß an die Schausammlung ein Saal für teils
dauernde, teils wechselnde vergleichende Aufstellungen, in denen die jeweiligen Fortschritte
psychologischer und geschichtlicher Natur veranschaulicht werden können, und ein anderer
zur zeitweiligen Aufnahme der Neueingänge. Leider haben also selbst die dringendsten
Forderungen der Völkerkunde nicht erfüllt werden können, die nach unseren Ausführungen
Bastian stets in erster Linie für das Gedeihen seiner Wissenschaft und der Sammlungen
als notwendig erachtet hat und auch heute kein Ethnologe missen zu können glaubt. Nehmen
wir dazu den hoffentlich nur zeitweisen Verlust unserer Kolonien, der uns in die Zeit vor der
Eröffnung des Museums zurückversetzt; die Beschneidung der Mittel für Neuerwerbungen,
obwohl alle Preise auf das Doppelte gestiegen sind; die fehlende Werbekraft, die in der Auf-
stellung neu eingehender Zuwendungen lag und den vollständigen Verlust unserer Stiftungs-
mittel, die uns Forschungsreisen in großem Umfang und die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse
erlaubten, so müssen wir mit größter Besorgnis für den Fortgang der solange an dieser Stätte
blühenden Völkerkunde in die Zukunft sehen.
Freilich dürfen uns die trüben Zeitläufte nicht erschüttern, und ein Helfer dabei kann
uns heute noch Bastian werden. Zum Besten der Ethnologie und nicht nur als Dankes-
ADOLF BASTIAN UND DIE HEUTIGE VÖLKERKUNDE
15
pflicht gegenüber ihrem genialen ersten Former wäre eine Darstellung seiner Gedanken in
den Hauptzügen außerordentlich nützlich, und dazu eine Sammlung derjenigen primären
Dokumente, für die noch kein besserer Ersatz vorhanden ist, während das Lesen seiner
anschaulich geschriebenen Reiseberichte noch heute jedem ans Herz zu legen ist, schon um
sich die vorbildliche Persönlichkeit Bastians näher zu bringen.
Aber Tatsache ist, daß das Gedeihen der Völkerkunde keineswegs von ihren Jüngern
allein abhängt. Ein Blinder sieht, daß selbst ein Bastian nicht Erfolg gehabt hätte, wenn
nicht eine weise Staatsregierung seine Ideen als immanente Gesetze einer sich selbst be-
stimmenden Wissenschaft anerkannt und selbstlos auf eigenes Eingreifen verzichtend seine
Schöpfung mit allen Kräften unterstützt hätte. Heute, wo sich die Behörden und Männer
der Wissenschaft zusammengefunden haben, um durch die am 100. Geburtstag Adolf
Bastians zu eröffnende monumentale Schausammlung sein Werk zu krönen, hegen wir
daher in erster Linie den sehnlichen Wunsch, daß auch die jetzige Regierung in ihrer
Auffassung und Förderung der Völkerkunde dem Geiste Adolf Bastians gerecht werden möge.
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E T H NO GRAPHISCHE BEOB-
ACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE
KILWA, DEUTSCH-OST AFRIKA1
VON
MEDIZINALRAT DR. OTTO PEIPER IN GREIFSWALD,
OBERSTABSARZT A. D. M. U. DER SCHUTZTRUPPE FÜR DEUTSCH-OSTAFRIKA.
Der Küstenbezirk Kilwa im Süden Deutsch-Ostafrikas wird im Osten begrenzt vom
Indischen Ozean, im Norden vom Bezirke Mohoro (Rufiyi), im Westen vom Mbarangandu,
Luwegu und Rufiyi (Bezirk Mahenge); im Süden trennt ihn der Mbemkuru vom Bezirke
Lindi. Der mitten durch den Bezirk von W nach 0 fließende Matandu zerlegt ihn in 2 Teile.
Der nördlich vom Matandu gelegene Teil enthält in Küstennähe das mit dichtem Busch
bedeckte, von steilen Hügeln und Höhenzügen gebildete Matumbi-Gebirge (Bezirksneben-
stelle Kibata). Westlich des Gebirges liegt die ziemlich menschenleereLugonja-Ebene, noch
weiter westlich das hügelreiche, bis zum Mahenge-Bezirk reichende, stark bevölkerte Akidat
Madaba.
Der südlich des Matandu gelegene Teil des Bezirks Kilwa mit dem 6 km südlich der
Matandu-Mündung liegenden Hauptorte Kilwa Kiwindje reicht bis zum Grenzflüsse Mbem-
kuru. Die Küste der Kilwa-Kissiwani-Bucht mit der vorgelagerten Insel Kilwa Kissiwani
schneidet in zahlreichen Buchten in das Land ein, ebenso südlich davon die Kilwa-Kiswere-
Bucht. Der Lingaura- und Mawudji-Fluß durchziehen von W nach 0 diese südliche Bezirks-
hälfte, in deren Westen die Bezirknebenstelle Liwale liegt.
Die auf rund 95 000 Köpfe geschätzte Bevölkerung zeigt eine außerordentliche Durch-
einandermengung der verschiedensten Volksstämme, da sich Flüchtlinge aus allen von den
Wangoni heimgesuchten Gebieten bis zur Küste hinunter im Bezirk Kilwa zusammenge-
funden haben. In den Küstenorten sitzen die Wasuaheli, dazu in Kilwa Kissiwani viele
Araber. Die Hauptmasse der Wamatumbi sitzt geschlossen im Matumbi-Gebirge, die Wapo-
goro einigermaßen geschlossen im Akidat Madaba; das kunstreiche Volk der Wangindo
findet sich ziemlich geschlossen im Bereich der Nebenstelle Liwale und im Westen des
südlichen Teils des Bezirks Kilwa.
Vorzugsweise besiedelt sind die Küste und neben den meist wasserreichen Gebirgen die
feuchten Flußniederungen mit seßhafter Bevölkerung. Im übrigen wechselt aber die Be-
völkerung ihre Wohnsitze ständig, was mit der Ausnutzung des Bodens durch die Acker-
wirtschaft, die keine Düngung kennt, zusammenhängt. Der knorrige Bergstamm der Wama-
tumbi im Matumbi-Gebirge bewohnt in Dörfern oder familienweise die Kuppen der dicht
mit Busch bewachsenen Hügel, während tief unten im feuchten heißen Tale ihre Felder liegen.
buchnotizen. Die Zeichnungen sind nach in Ostafrika
vom Verfasser angefertigten Skizzen durch den akad.
Zeichner Herrn Häger-Greifswald ausgeführt.
1 Die vorliegende Arbeit ist entstanden aus einem vom
Verfasser 1911 in Daressalam für den Jahresmedizinalbe-
richt für Deutsch-Ostafrika geschriebenen Artikel im
Januar 1925 unter Erweiterung auf Grund von Tage-
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE KILWA iy
Zwischen den dichtbevölkerten Ufern der oben genannten, von W nach O fließenden
Ströme liegen vielfach menschenleere und wasserarme weite Streifen Buschlandes und Step-
pen, in denen nur das afrikanische Wild in Rudeln verstreut äst.
Die Küstenbewohner nähren sich vom Fischfang, im übrigen sind die Bewohner des
Bezirks Kilwa reine Ackerbauer. An der Küste und in Küstennähe spielt die Kultur der
Kokospalme eine große Rolle. Infolge der Tsetse ist die Tierhaltung nur gering, an verein-
zelten Stellen gibt es Ziegen und Schafe. Die Bewohner leben von Hühnern, Eiern, Reis,
Hirse, Maniok, Bananen, Kürbis, Bohnen und Erbsen.
Zum Bezirk Kilwa gehörte die dem Rufiyi-Delta vorgelagerte Inselgruppe der Mafia-
Inseln (Bezirksnebenstelle Tschole) mit den Inseln Mafia, Tschole, Juani und Jibondo. Hier
blühte die Kultur der Kokospalme und die Rinderzucht. Die Bevölkerung im Norden der
Insel Mafia bestand aus reinblütigen Wasuaheli; auch die Araber und Arabermischlinge
waren hier wie in Tschole stark vertreten. Der Fischfang spielte neben der Kokospalmen-
kultur eine große Rolle.
Hüttenbau.
Die Hütten werden je nach dem Baumaterial, das die Gegend bietet, aus Buschholz oder
Bambus oder auch aus beiden zunächst im Gerippe errichtet (Fig. i). Häufig sieht man
Fig. i. Hausbau im Matumbi-Gebirge. Links eine Grabstelle.
phot. Dr. Peiper
zierlich aus gespaltenem Bambus geflochtene Rohbauten. In bambusreichen Ge cndm ' d
der Bambus in 3—4 cm breite Streifen längsgespalten und daraus ein sehr festes dastisdv
und widerstandsfähiges Wandgeflecht von senkrecht- und querver-
laufenden Bändern hergestellt (Fig. 2).
Häufig genügt den Leuten dieses Gerippe allein, zumal auf Pflan-
zungen (Schamben), deren Lage-jährlich wechselt; bei den Wangindo ist
früher die Bauweise mit bambusgeflochtenen Wänden allgemein üblich
gewesen.
Meist aber wird der Rohbau mit einem Lehmbrei an den Außen-
seiten beworfen oder mit langem Gras (bei den Wamatschenga), mit
Baumrinde (Wamatschenga) oder Reisstroh (Insel Mafia) bekleidet Kuh-
mist als Bindemittel wird auch auf dem rinderreichen Mafia nicht be- Fig. 2. Bambus-
nutzt, da der Kuhmist dort als Palmendünger zu kostbar ist. gefleckt einer Haus-
wand,
ßaessler-Archiv.
J*BfeaSy». ÉtÈk.
OTTO PEIPER
Fig. 3. Hütte eines Muera-Mannes in Kihendji, Bezirk Kilwa, Akidat Mawudji, Akide; Hassan bin Msham,
Jumbe: Marenga.
Als Verkleidung des äußeren Hüttengerippes dienen imMatumbi-Gebirge bei denWama-
tumbi (Bezirk Kilwa und Rufiyi) neben Lehm und Hirsestengeln Bambusgeflecht und Baum-
rindestücke, die zwischen den Doppelwänden des Gerüstes befestigt werden.
Die Häuser sind Giebelhäuser, das Dach ist ein schräges Giebeldach, das mit Reis- oder
Negerhirse-Stroh, mit Gras, Baumrinde oder geflochtenen Palmblättern gedeckt wird und
das meist, zum Schutze gegen die Sonne, weit über die Veranda (Barasa) hinüber- und
hinunterreicht (Fig. 3 u. 4).
Fenster sind nicht vorhanden; dafür bleibt an den beiden Schmalseiten, den Giebel-
seiten der Hütte, das oberste Dreieck häufig frei von jedem Bewurf, um als Rauchabzug oder
Fig. 4. Hütte und Hofraum des Vaters des Jumben von Kihendji, Muera, Akidat Mawudji, Jumbe Marenga.
Baumaterial: Buschholz, Bambus, roter Lehm; Giebeldach mit Gras gedeckt.
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19
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DE AI BEZIRKE KILWA
als spärlich Licht spendendes Fenster zu dienen. Ist jedoch
ein Wandbewurf am Giebeldreieck vorhanden, so quillt der
Rauch aus dem Dache, den Türen oder etlichen Rissen in den
Wänden. Infolge des quälenden Rauches, der andererseits
auch wieder die Malaria-Moskitos aus dem Hütteninneren
vertreibt, leiden die Bewohner vielfach an entzündeten Augen;
die Hitze durch die Herdfeuer im geschlossenen Hüttenraum
zwingt dife Leute, im Inneren meist völlig unbekleidet ihrer
Tätigkeit (Kochen, Mehlstampfen usw.) nachzugehen.
Eingangstüren finden sich auf der Vorder- und Rückseite
des Hauses; sie sind 1,5 bis 2 m hoch, 0,75 m breit, bestehen
aus einem Flechtwerk aus Bambus oder Hirsestengeln und sind
durch Baststreifen als Türangeln an einem Pfosten der Haus-
wand befestigt; mit der unteren Schmalseite liegen diese
Türen meist so fest auf dem Boden auf, daß man nur ein-
treten kann, indem man den oberen Teil der Tür zurückbiegt und über die untere Ecke hin-
wegtritt; manchmal ist eine Schwelle in Gestalt eines Vierkantholzes vorhanden (Fig. 5).
Fast jede Hütte hat auf ihrer Vorder- wie Rückseite eine Veranda, die sog. Barasa,
deren Fußboden bei großen Hütten auf der Vorderfront des Hauses oft 1 m hoch auf einem
lehmgestampften Unterbau liegt und durch senkrecht verlaufendes, in den Boden geschla-
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Fig. 6. Hütte eines Muera-Mannes in Kihendji. Ein von der Hauptstraße abzweigender Seitenweg
führt zu dem inmitten der Pflanzung gelegenen, sauber gefegten freien Platz mit der Hütte; ein
Pfad führt zum Aborthäuschen in der Pflanzung.
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OTTO PEIPER
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genes Buschholz gesichert ist. Hier halten sich die Bewohner tagsüber viel auf, empfangen
Gäste und Freunde, — die Dorfältesten und Akiden (Vorsteher von Landschaften) halten
hier auch ihre Gerichts- und sonstigen Sitzungen ab. Der. Sand der Barasa, die Lehmritzen
und benachbarten Hüttenwände sind daher auch vielfach der Aufenthalt und Unterschlupf
der gefürchteten Rückfallfieberzecken.
In der Gegend von Madaba, nach der Mahenge-Station zu, wird bei großen Hütten der
geglättete rote Lehm der Hauswand mit einer dünnen Schicht einer weißen Farbe (her-
gestellt aus weißer Baumasche, Gundiharz und Wasser) bestrichen; darüber folgt noch ein
Anstrich aus roter Erdfarbe (Ockererde); nun kratzen die Bewohner Figuren von Löwen,
Jägern, Askari, Antilopen, Elefanten usw. ein, die dann weiß auf rotem Grunde erscheinen.
Besonders die kunstreichen Wangindo sind Meister in dieser Art der primitiven Hausmalerei.
Als Beispiele des Hüttenbaues und der Inneneinrichtung führe ich folgende an:
a) Hütte eines Muera-Mannes in Kihendji, Bezirk Kilwa (Fig. 3 u. 7).
Die Hütte (Fig. 3) aus Buschholz mit angeworfenem rotem Lehm, mit schrägem Giebel-
dach, ist 6 m lang, 4 m breit, die Vorderwand 3 m hoch (Fig. 6 u. 7). Zwischen der vorderen
und hinteren Barasa liegen 2
Räume und ein Nebenraum:
a) Wohnraum (okumbiJ mit
Feuerstelle und Herdsteinen,
lehmgebranntenTöpfen, Flecht-
körben für Hühner (die darin
auf das Feld zur Äsung oder zu
Markte getragen werden), Was-
serbehältern aus Ton, Schöpf-
kellen und sonstigem Hausrat.
Je eine Tür führt auf die vor-
dere und hintere Barasa sowie
in den b) Schlaf raum (chumha J,
der zu ebener Erde eine Feuer-
steile (wegen der Nachtkälte)
enthält, um die sich Bettstellen
für 2 Erwachsene und Kinder
gruppieren; c) der Waschraum
(kipenu J,vomWohnraum durch
zur Hauswand gehörige einge-
rammte Stämmchen abgetrennt
Fig. 7. Inneres der Hütte eines Muera-Mannes in Kihendji, Akidat Mawudji (ohne Tür), enthält ZU ebener
(vgl. auch Fig. 3 u. 6). VB vordere Barasa, a Wohnraum, b Schlafraum, u 1 • y 1 -i . n v
c Baderaum. HB hintere Barasa. Erde Im Viereck gelegte flache
Hölzer (auf die die Leute beim
Waschen sich stellen), ferner Wasserbehälter aus gebranntem Lehm mit Schöpfkellen und
einen Wasserabfluß in Gestalt einer durch die Hauswand nach außen führenden Rinne. Die
HB
7
.1
X
a
-<E>
vordere und hintere Barasa sind durch das weit vorstehende Grasdach vor Sonne geschützt.
Um das ganze Haus führt ein flacher Graben (20 cm Tiefe, */2 nt Breite) (Fig. 3).
b) Hütte und Hof raum des Vaters des Dorfältesten Marenga von Kihendji,
Stamm der Wamuera (Fig. 4 u. 8).
Die Hütte ist 12 m lang, 10 m breit, die Vorderwand 5 m hoch, das Baumaterial Busch-
holz mit rotem Lehmanwurf, das schräge Giebeldach ist mit Gras gedeckt. Marengas Vater
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE K1LWA
2 1
Fig. 8. Hütte und Hofraum des Vaters des Jumben von Kihendji, Muera. Hütte: 12 m lang, 10 m breit
5 m hoch. Hofraum: 12 m lang, 11 m breit. VB vordere Barasa, HB hintere Barasa, a gemeinsamer
Wohnraum, b, c,h Frauenschlafgemächer, f, g Kinder^chlafraum, F Fremd mgemach, i Schlafgemach und
Waschraum des Hausherrn, H Hofraum mit M Getreidestampfmörsern, A Abort, H Hühnerstall K
Vorratsraum mit Küche.
hat 3 Frauen, die jede in einem gesonderten Raume wohnen; seine Lieblingsfrau wohnt neben
seinem Schlafraume.
Von der vorderen, 1 m hohen, lehmgestampften Barasa aus betritt man zunächst den
gemeinsamen Wohnraum (okumbi) a, durch den hindurch man auf die hintere Barasa und
in den Hofraum gelangt. Der Wohnraum enthält eine Feuerstelle mit Herdsteinen auf dem
Fußboden, Koch- und Wassergefäße aus gebranntem Ton, Schöpfkellen (Kokosschalen mit
langem geschnitztem Griff), geschnitzte Kochlöffel, Flechtkörbe für die Hühner. Türen
führen auf die vordere wie hintere Barasa sowie in die einzelnen Schlafräume
>
■
2 2 OTTO PEIPER
Rechts hinein gelangt man durch je eine Tür in die getrennten Schlafräume (chumba)
b und c von 2 Frauen, ausgestattet mit Bettstelle, Kopfkissen und Decken sowie palmblatt-
geflochtenen Matten, einer Feuerstelle auf dem Fußboden (gegen die Nachtkälte) sowie
hölzernen, in der Wand befestigten Kleiderriegeln; auch in flachen geflochtenen Körben
werden die Gewänder aufbewahrt. Neben jedem Schlafgemach liegt der Waschraum d und e
jeder Frau: auf 3 flache Steine oder im Viereck gelegte flache Hölzer tritt sie beim Waschen
und begießt sich den Körper mit einer Schöpfkelle mit Wasser aus irdenem Gefäß. Das
Gebrauchswasser fließt durch eine Rinne aus der durchlöcherten Hüttenecke ins Freie ab.
Auf der anderen Seite des gemeinsamen Wohnraumes liegen 2 kleine, durch Matten-
vorhänge getrennte Schlafräume f und g für die Kinder; neben diesen, durch eine Tür ge-
trennt, liegt das mit Bettstelle, Feuerstelle und Waschgelegenheit ausgestattete Fremden-
zimmer F.
Weiter nach dem Hofraum zu liegt das Schlafzimmer h der Lieblingsfrau mit Bett und
Feuerstelle, daneben das Schlafzimmer i des Hausherrn mit Bett, Feuerstelle und Wasch-
gelegenheit, die er mit seiner Frau teilt.
Fenster sind nicht vorhanden, der Rauchabzug geschieht durch Türen, Dach und die
oberen, nicht mit Lehmanwurf versehenen Giebeldreiecke.
Der Hofraum ist 12 m lang, um breit, der aus langsgespaltenem Bambus geflochtene
Zaun 3,5 m hoch und mit einer Ausgangstür ins Freie versehen.
Die Umgebung der Hütte, insbesondere der Flauptplatz vor der vorderen Barasa, wird
mit Reiserbesen stets sorgfältig gefegt; im sauber gefegten Hofraum stehen Getreide-Stampf-
mörser mit zugehörigem Stoßkolben, Vorratshaus mit Küche und Abort.
Zu den Hütten gehören außer den Aborten die Vorratshäuser, die Küche, die Wächter-
häuschen auf den Pflanzungen (Schamben), Ziegenställe, Hühner körbe, Bienenkörbe und
anderes mehr.
1. Aborte.
Die im Bezirk Kilwa üblichen Abortanlagen waren durch die deutsche Verwaltung
geschaffen zur Bekämpfung der Wurmkrankheit, da der Neger meist wahllos seine Fäkalien
im Busche in der Umgebung seiner Hütte absetzte. Sie bestanden, wieFig.9 zeigt, aus einer
zylinderförmigen Grube a, dem Belage b von Stäben, die über die Grube kreuz und quer
gelegt eine Öffnung in der Mitte frei ließen, und darüber einem Hügel von Lehm, dessen
Trichter durch einen gebrauchsunfähigen Topf verschlossen war (Fliegengefahr). Uber der
24
OTTO PEI PER
ganzen Anlage ist entweder ein kleines Hüttchen mit Tür gebaut (Fig. io), oder ein kleiner
Zaun umgibt sie.
2. Küche und Vorratshäuser.
Drei Arten von Vorratshäusern waren im Bezirke Kilwa üblich. Fig. 11 zeigt eine Rund-
hütte mit Spitzdach auf einem durch Flolzroste gestützten Unterbau. Das Geflecht dieser
dergestalt gegen Bodennässe geschützten Flütte ist meist Bambus. Diese Vorratshäuser,
die mit Uswere, Mtama, Maiskolben gefüllt sind, stehen z. T. neben den Hütten, z. T, im
dichten Busch, oft eine halbe Stunde Weges abseits der Pflanzungen, — wohl aus alter Ge-
wohnheit (Furcht vor Plünderungen seitens habgieriger Nachbarn).
Fig. 12 stellt eine Vereinigung von Vorratsraum mit Küche dar. Die 3 Halbkugeln sind
aus Lehm geformte Behälter mit aufgesetztem Lehmdeckel (Schutz gegen die zahlreich auch
in den Negerhütten hausenden Ratten). Gefüllt werden sie zumeist mit ausgekörntem Mais.
Der trockene Lehm und die vom Kochfeuer aufsteigende Hitze dörren den Mais aus und
konservieren ihn so. Gegen Regen ist der Vorratsraum durch ein Dach geschützt. Eine Ver-
einigung von Vorratsraum und Küche stellt schließlich auch Fig. 13,14 dar. Das Baumaterial
sind im Busch geschlagene Stämmchen und Bambuswände; das Dach ist mit Schilfgras einge-
deckt. Die Höhe bis zum Giebel beträgt 3,5 m. Im Vorratsraum werden Maiskolben, Neger-
hirse (unenthülst), Uswere u. dgl. aufbewahrt. Das Kochfeuer darunter sorgt für stete
Trockenhaltung,
3. Felder, Pflanzungen.
Feldbestellung und Ernte sind abhängig vom Regen. Durchschnittlich Ende November
beginnt die Regenzeit und dauert bis Mitte Januar (sogenannte kleine Regenzeit); von Mitte
Februar bis in den April hinein hält die große Regenzeit an. Kleinere Regenfälle gehen noch
vom Mai bis in den August hinein nieder. Besonders heftige und ausgiebige Regenfälle kom-
men im Matumbi-Gebirge, sowie in den Flußtälern des Luwegu und Rufiyi, des Matandu,
Mawudji und Mbemkuru vor.
Fig. 15. Buschhaumesser zum Roden. Holzgriff 25 cm lang, Eisenteil 37 cm lang.
Im Bezirke Kilwa wechseln die Eingeborenen vielfach jährlich oder zweijährlich mit
ihren Feldern, weil sie eine regelrechte Düngung nicht kennen; durch die Verarmung des
Bodens an Nährstoffen sind sie gezwungen, an anderer Stelle Feldbau zu betreiben. Vom
September bis in den November hinein wird mit Haumessern (Fig. 15 u. 16) sowie mit Beilen
(Fig. 17) der Busch geschlagen, große Bäume werden etwa 1 m über dem Boden ,,geringelt“
(ringförmige Beseitigung von Rinde und Bast), das geschlagene Buschholz wird um die
abgestorbenen und ausgetrockneten Bäume herum aufgeschichtet und in Brand gesteckt:
die Baumasche ist der einzige Dünger. Mit einfachen Hacken (Fig. 18) wird nun der Boden
oberflächlich aufgelockert und bei Beginn der Regenzeit, meist im Dezember, zunächst der
Mais ausgesät, indem man mehrere Saatkörner in ein Loch versenkt. Nach der Maisernte
Fig. 16. Buschhaumesser, auch zum Abhauen der Mais- u. Hirsestengel benutzt. Holzgriff 90 cm lg., Eisenteil 20cm lg.
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Wmm КЛ - JMR Ui RI
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE KILWA
Fig. 17. Buschaxt. Holzteil 61 cm lang, Eisenteil 21 cm lang, Schneide 4 cm breit.
im Januar und Februar wird in derselben Weise auf denselben Feldern Negerhirse ange-
pflanzt, nach deren Aberntung Anfang Juli die verschiedenen Arten von Erbsen, Linsen und
Bohnen. Nach der Negerhirse-Ernte Anfang Juli baut man auf anderen freien Feldern auch
wieder Mais an, der im August reif wird. In feuchten Flußtälern baut man auch gleichzeitig
Mais und Reis auf einem Felde an: nach der Maisernte beginnt dann der Reis gehörig
zu wachsen.
Auf sandigen Böden, z. B. an der Küste, herrscht die Beetkultur vor. Auf langen hohen
phot. Dr. Peiper
Fig. 19. Negerpflanzung mit Wächterhütte im Baum.
2 6
OTTO PEI PE R
phot. Dr. Peiper
Fig. 20. Negerpflanzung mit Hütte (rechts) und Wächterhütte (links).
Reihenbeeten baut man Süß-
kartoffeln, Mohogo (Manihot uti-
lissima), indem man im Oktober
—November Stecklinge setzt, und
Kürbisse. Reis wird auf der Insel
Mafia in feuchten Niederungen,
wie auch imMatumbi-Gebirge als
sogenannter Bergreis angebaut.
Der Neger ißt meist 2 bis 3 mal
am Tage. Die Grundlage aller Ge-
richte ist entweder Reis, als dicker
Reisbrei gekocht, oder der dicke
Mehlbrei aus Negerhirse, die in
mühseliger Arbeit von Frauen und
Mädchen im Holzmörser mit dem
Fig. 21. Negerpflanzung mit Wohnhütte (unten) und Wächterhütte (oben).
Stoßkolben gestampft wird. Alles andere, wie Fi-
sche aller Art (frisch und gekocht), Erbsen, Lin-
sen und Bohnen, Früchte, Wurzeln und Pilze aus
dem Busche sind ebenso wie scharfe, aus wil-
dem Paprika hergestellte Tunken nur Zutaten.
Die Felder der Eingeborenen sind Verwü-
stungen infolge des häufigen Einbruchs von Wild-
schweinen und Affen ausgesetzt. Deshalb werden
auf ihnen leichte Hütten in vereinzelt etwa stehen
gebliebenen Bäumen (Fig. 19) oder auf freiem
Felde — und zwar wegen des Raubzeugs auf
langen Pfählen — errichtet (Fig. 20, 21, 22). Von
hier aus werden dann mit steinwerfenden Schleu-
dern, mit Klappern aus Holz oder auch mit auf
dem Felde stehenden Klappern, die durch Schnüre
XÌ _ - — H =J\f _
Fig. 22. Wächterhütte mit Strickleiter aus Baum-
bast und Holzknüppeln. Gegend Ngarama-Maho-
kondo, Matumbi-Gebirge.
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE KILWA
27
von der Schutz-
hütte aus bewegt
werden, die Schäd-
linge verscheucht
(Fig. 23). Nur in
Flußniederungen ,
die jahraus jahrein
das segenspenden-
de Naß beherber-
gen, befinden sich
feste Siedelungen
mit zahlreicher
seßhafter Bevöl-
kerung.
Auf der rinder-
und palmenrei-
chen, dem Rufiyi-Delta vorgelagerten Insel Mafia werden die Rinder für die Nacht in schnell
und leicht versetzbare Hürden getrieben, die inmitten der Kokospalmenhaine stehen; der
Standort dieser Hürden wird in regelmäßigem Wechsel geändert und so eine ständige
Düngung der Palmen erreicht, — die einzige Düngung, die ich, abgesehen von der Baum-
aschedüngung, bei den Eingeborenen gesehen habe.
4. Ziegenställe, Hühner- und Bienenkörbe.
Ziegenställe findet man im Bezirk Kilwa zumeist nur bei den Reichen, also etwa den
Akiden (Vorstehern einer Landschaft) oder Dorfältesten. Es sind kleine feste Hütten aus dem
ortsüblichen Baumaterial, die auf Pfahlrosten erhöht
stehen (wegen der
Bodennässe und des
Raubzeugs), mit
Strohdach versehen
sind und Abends nach
Eintrieb der Ziegen
mit starken Hölzern
verschlossen werden,
die wagerecht zwi-
Fig. 24. Ziegenstall. Akidat Mawudji. g^en 2 feste Pfosten Fig. 25‘ Hühnerstall. Akidat Mavvudji.
gelegt werden. Die Tiere werden erst am Spätvormittage aus den Ställen auf die Weide ent-
lassen wegen der sich häufig in der Nähe von Ziegen herumtreibenden Leoparden (Fig. 24).
Die Hühnerställe bestehen meist aus röhrenförmig gerollter Baumrinde; sie werden,
wie Fig. 25 zeigt, auf gabelförmigen Holzpfählen befestigt oder liegen in den Astgabeln
niedriger Bäume. Verschlossen werden sie vermittels Hölzern, die durch die Rinde ge-
steckt sind.
Auch die Bienenkörbe werden aus gerollter Baumrinde gefertigt und in hohen Bäumen
des Busches angebracht. Die angesiedelten wilden Bienen werden zwecks Honig- und Wachs-
gewinnung durch Rauch vertrieben.
H aartracht, Schmuck, Tätowierung, Bekleidung.
Die Mädchen und Frauen der Küstenbevölkerung und der größeren Ortschaften, die
sichWasuaheli nennen, ohne es vielfach zu sein, salben ihr Haar mit Öl (Rizinus-und Sandelöi)
Fig. 23. Wächterhütte (ein Pfosten dient als Leiter) mit Klappern.
OTTO PEIPER
und flechten es kunstreich unter Bildung mehr oder weniger zahlreicher, von vorn nach
hinten ziehender Scheitel, so daß im Nacken eine Reihe kleiner gekrümmter Zöpfchen hängen.
Mit roter Ockererde betupfen sie noch die Frisur mit roten Tupfen. Bei festlichen Gelegen-
heiten stecken sie rote Granatblüten ins Haar. Derartige Frisuren tragen auch schon kleine
Mädchen.
Die Ohrmuscheln werden schon in der Kindheit an drei Stellen durchlöchert, durch
Einstecken immer größerer Pflöcke allmählich erweitert, und schließlich werden umfangreiche,
aus buntem Papier hergestellte, in den Inderläden käufliche Rohen in den Löchern befestigt.
Vielfach reißen die dergestalt erweiterten und beschwerten Ohrläppchen durch; vertrauens-
voll wandten sich dann die Frauen an den deutschen Stationsarzt, der in mühsamer Arbeit
das Vertrauen der farbigen Schönen durch eine wohlgelungene Operation belohnte.
Viele Mädchen und Frauen durchbohren den rechten Nasenflügel in der dort liegenden
Falte und befestigen dort mittels eines kleinen, korkenzieherartig gewundenen Drahtes ein
kleines goldenes Sternchen, — eine den indischen Frauen abgesehene Sitte.
Um den Leib unterhalb der Brüste tragen sie eine Glasperlenschnur, eine ebensolche
Peilenschnur liegt lose um die Hüften,
Frauen und Mädchen tragen schließlich Halsketten, Arm- und Beinringe sowie Finger-
ringe; meist handelt es sich um wertlosen Schmuck aus imitiertem Bernstein. Nur die Frauen
Reicher tragen Silberschmuck nach indischer Sitte.
Gesicht, Brust und Arme werden vielfach tätowiert. Entweder handelt es sich um ein-
faches Aufträgen von Tupfen und Strichen mit schwarzer Farbe, oder es werden derartige
Tupfen und Striche mit ätzenden Pflanzensäften hergestellt: es bilden sich zunächst wunde,
mit Borke belegte Stellen; nach Abfall der Borke bleiben hellgefärbte Flecke zurück,
die sich bald entsprechend der Hautfarbe der Trägerin dunkler färben und zur Keloid-
bildung neigen. Zahlreiche verdickte harte Knoten in Form von großen Perlen zieren dann
die Haut der Trägerin.
Als Bekleidung dient den Küstenfrauen ein buntes Kattuntuch in, der wechselnden
Mode unterworfenen, Farben und Mustern, das von hinten um den Oberkörper gelegt ober-
halb der Brüste übereinandergelegt und durch Einrollen befestigt wird. Diese Tücher, bis
zum Knie hinabreichend, stammten meist aus den Baumwoll- und Kattun-Fabriken von
Bombay. Ein zweites solches Tuch wurde wie ein Umschlagetuch über die Schultern gelegt
oder derart über Stirn und Kopf gehängt, daß es hinten wie ein Schleier hinabwallte.
Schöngeflochtene Sandalen und ein schwarzer Regenschirm vervollständigen den Anzug
der wohlhabenden Küstenfrau.
Männer und Jünglinge tragen ein mit Ledergürtel um die Hüften festgehaltenes Lenden-
tuch aus Kattun, darüber ein iangwallendes weißes Hemd aus weißem Baumwollstoff,
Leinen oder Mull, das vielfach gestickt war, und eine weiße gestickte Mütze, wohlhabendere
noch Sandalen. .
Kleinere und größere Kinder gehen nackt oder tragen Hemdchen oder mit Gürteln
befestigte Lendentücher.
Erwachsene Männer tragen ebenso wie Jünglinge und Knaben den Schädel völlig glatt
rasiert; Frauen wird nur als Zeichen der Trauer der Kopf rasiert.
Eine allgemein verbreitete Sitte, die wohl mit den Gesetzen des Islam, dessen Anhänger
die Küstenbewohner wenigstens äußerlich sind, zusammenhängt und hygienische Gründe
hat, verlangt, daß die Achsel- und Schamhaare bei Männern und Jünglingen, Frauen und
Mädchen epiliert, zum mindesten aber rasiert oder stark beschnitten werden.
Arabische und indische Sitten in der Tracht sind bei den Wohlhabenden weitverbreitet.
Abgesehen von imitiertem indischen Schmuck tragen die Frauen öfters anstelle der oben
beschriebenen Tracht kurze Leibchen, eine Art Büstenhalter, und lange, ziemlich eng an den
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE KILWA
29
Fig. 26. Kopfschmuck einer
Matumbi-Frau (Matumbi-Gebirge),
hergestellt durch Ausrasieren.
Fig. 27. Kopfschmuck einer Fig. 28. Kopfschmuck einer
Matumbi-Frau. Matumbi-Frau.
Fig. 31. Tätowierung junger Mädchen beim Slamme der
Wamatumbi (Matumbi-Gebirge) im 10. —12. Lebensjahre.
Neben den Augen je 2, unter den Augen je 3 Striche mit
schwarzer Farbe. Auf jeder Wange 4 Reihen zu je 6Tup-
fen, hervorgerufen durch ätzende Pflanzensäfte, anfangs
gerötet und mit Borken bedeckt; später bilden sich linsen-
große Narbenkeloide. In den dreifach durchlöcherten
Ohren bunte Papierrollen. — Chumo, 6. 12. 1908.
Fig. 32. Tätowierung einer jungen Frau vom Stamme
der Wamatumbi mit schwarzer Rußfarbe. — Kibata,
9. 12. 1908.
30
OTTO PEIPER
Fig, 33. Mädchen vom Stamme der Wamatumbi, Matumbi-Gebirge.
Gesichtstätowierung mit schwarzer Rußfarbe. — Kibata, 9. 12. 1908-
Fig. 34. Keloidnarben, Stamm der Wamatumbi. Männerund Knaben
tragen diese 4,5 cm langen und 4—51111x1 breiten verdickten Narben
auf der Brust. — Chumo, 6. 12. 1908.
Fig. 35- Jüngling vom Stamme der Wamatumbi mit ßrustmalerei
aus schwarzer Rußfarbe. — Kibata, 9. 12. 1908.
Fig. 36. Mtumbi-Mann mit Brustnarben (Narbenkeloide).
— Kibata, 9. 12. 1908.
Fig. 37. Oberarm-Tätowierung einer Ma-
tumbi-Frau; runde linsengroße Narbenke-
loide, durch Ätzen mit Pflanzensaft hervor-
gerufen. — Chumo, 6. 12. 1908.
\
Fig. 38. Tätowierung unter Bildung von
Narbenkeloiden auf dem linken Oberarm,
besonders bei Frauen beliebt, in Form des
Abzeichens des Sol (farbigen Feldwebels der
Schutztruppe). Matumbi-Gebirge. — Kibata,
9. 12. 1908.
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE KILWA
31
Unterschenkeln anliegende und bis
zu den Knöcheln reichende, um die
Hüften mit einer Schnur befestigte
Beinkleider, die unten mit einem in
Falten gelegten krausen Ansatz
(Volant) verziert sind.
Der sogenannte Buschneger, der
Fetischist, auf den der Küstenneger
mit Verachtung herabblickt, trägt
ebenso wie seine Frauen, Mädchen
und Kinder meist seinen krausen
Wollkopf. Hier und da ist dieser bei
den Männern in ein oder mehrere
kleine Zöpfe auf dem Wirbel ge-
flochten oder bei den Frauen der
Wamatumbi(Fig.26—30) ausrasiert.
Als Halsschmuck werden neben klei-
nen, in Stoff eingenähten und an
Fig. 39. Tätowierung eines Matumbi Weibes. Narbenkeloide von
7 -8 mm Durchmesser, durch wiederholte Ätzungen mit Pflanzen-
saft in langwieriger und schmerzhafter Arbeit hervorgebracht. —
Chumo, 6. 12. 1908.
Fig. 40. Kindambi, Mann vom
Stamme der kunstreieben Wan-
gindo, 60 Jahre alt, mit Täto-
wierungen aus dem 16. Lebens-
jahre. Strichförmige, feine,
4—5 mm lange Narben: in die
mit feinem Messer hergestell-
ten Schnitte ist schwarze Farbe
eingerieben. Durch Verschlep-
pung von Farbteilenin die Um-
gebung der tiefschwarzen Nar-
ben ist auch die umliegende
Haut schwarzblau gefärbt.
Über die Bedeutung der F i
guren konnte oder wollte sich
der Alte nicht auslassen. Einer
photographischen Aufnahme
widersetzte ersieh. —Die außer-
halb des Rumpfrisses liegenden
Figuren befanden sich auf den
Seiten des Rumpfes. — Sehr
seltene Tätowierung. Gezeich-
net von Dr. Peiper, Kilwa 1908.
OTTO PEIPER
"> 9
3 Z
einer Schnur um den Hals getragenen Amuletten (bei Männern, Frauen und Kindern) von
den Frauen und Mädchen Halsketten, Arm- und Beinringe getragen, die aus bunt ge-
färbtem Gras hergestellt sind, oder man trägt Armringe, aus dem Schwanzhaar der Ele-
fanten gefertigt. Schließlich gibt es vielerorts noch im Lande gefertigte Bronze- und
Messing-Armringe oder aus Messing und Kupferdraht hergestellte Ringe, die in größeren
Mengen getragen werden.
Gesicht, Arme und Brust werden mit ätzenden Pflanzensäften tätowiert, so daß sich,
wie schon oben beschrieben, Narbenkeloide bilden, oder man bemalt mit schwarzer Ruß-
farbe das Gesicht in Streifen und Tupfen (Fig. 31—40).
Als Bekleidung tragen die Männer einen mit Baststrick um die Lenden zusammen-
gehaltenen Lendenschurz aus blauem Baumwollstoff (sogenanntem kaniki) oder je einen,
vorn wie hinten herunterhängenden blauen Stofflappen, die ebenso wie ein zwischen den
Schenkeln durchgezogenes schmalesTuch aus kaniki durch einen um die Hüften befestigten
Baststrick festgehalten werden.
Die Frauen und erwachsenen Mädchen tragen aus blauem kaniki ein oder zwei Um-
schlagetücher wie die Küstenfrauen, vielfach gehen aber selbst völlig erwachsene Mädchen
nackt, nur geschmückt mit den einfachen Hals-, Arm- und Beinringen. Kinder beiderlei
Geschlechts laufen vollständig nackt herum.
Begräbnisplätze.
Vielfach beerdigen die Eingeborenen ihre Toten in den Hütten, die sic alsdann in Brand
stecken, in den Höfen der Hütten, im Busche oder auf ihren Pflanzungen. Der Tote liegt im
Grabe auf der rechten Seite mit
angezogenen Knien. Die Grabstelle
wird geebnet und zu Häupten und
zu Füßen ein flacher Stein einge-
setzt. Im Matumbi-Gebirge wer-
den die Toten meist in Hüttennähe
beerdigt (Fig. 1); an das Kopf-
ende des flachen Grabhügels
kommt ein größerer, an das Fuß-
ende ein kleinerer kantiger Stein;
an deren Stelle treten auch Holz-
pflöcke, die mit Stoffstreifen um-
wickelt werden (Fig. 41, 42). Auf
die Grabhügel stelle man kleine
irdene Gefäße mit Speisen für die
Seele der Toten oder für die Geister. Vielfach werden die Gräber Vornehmer noch mit einer
Schutzhütte überdacht oder das. Grab auch noch nach einer den Arabern abgesehenen
Sitte mit einer gemauerten weißgetünchten Grabeinfassung versehen (Fig. 43).
In anderen Gegenden des Bezirks Kilwa gibt es größere Begräbnisplätze. Die einzelnen
Grabstellen werden mit Steinen oder Holzpflöcken, wie eben beschrieben, geschmückt(Fig. 44).
Dem Islam angehörige Neger beerdigen die Toten dergestalt, daß in der Seitenwand der
Grube das eigentliche Grab bereitet wird durch Aushöhlung der Wand: der Tote kommt in
Hockerstellung hinein, mit dem Gesichte gen Mekka gewendet.
Häufig findet man an Wegekreuzungen oder auch in der Nähe der Hütten und Dörfer
kleine, 30—50 cm hohe Hüttchen erbaut, die in ihrem Inneren irdene Speisegefäße beher-
bergen; diese kleinen Speisehäuschen sollen die guten oder bösen Geister erfreuen und mit
Speise erquicken (Fig. 45).
Fig. 41. Begräbnisstätte im Busche.
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE KILWA
33
Fig. 42. Begräbnisstätte im Matumbi-Gebirge. Fig. 45. Speisehäuschen für den bösen Geist.
Stamm der Wamatumbi. Matumbi-Gebirge.
Fig. 43. Eingeborenen-Friedhof in Mingumbi, Matumbi-Gebirge. — Grab eines un-
längst verstorbenen Akiden nebst Grabsleben Eingeborener. Gezeichnet 6. 12. 1908
von Dr. Peiper.
«
phot. Dr. Peiper
Fig. 44. Eingeborenen-Friedhof in Mbessa, Küstennähe des Matumbi-Gebirges.
3 Baessler-Archiv.
34
OTTO PEIPER
Fig. 46. Portugiesen-Säule bei Mtumbu an der Kilwa-Kiswere-Bucht.
Rechts davon Grab eines im Aufstande 1905/06 verstorbenen deutschen
Seesoldaten. Gezeichnet von Dr. Peiper.
nur die Inschrift: „Ruhe sanft!“
Auf dem Wege zwischen Kil-
wa und Samanga ndumbo an der
Küste befand sich dicht am Ne-
gerpfade ein etwa 3,5 m langer,
1,5 m breiter und ebenso hoher
Hügel, der aus Steinen bis Faust-
große und Holzstücken verschie-
denster Größe bestand. Nahte
man sich diesem Hügel, so sahen
sich Träger und andere des Wegs
kommende Neger scheu um, hoben
ein Steinchen auf und warfen es
unter leisem Gemurmel auf den
Steinhaufen, diesen so allmählich
vergrößernd. Leider habe ich nie
den Sinn dieser Handlung er-
fahren können.
Schließlich möchte ich noch
eines alten Gedenksteines Erwäh-
nung tun: In der Kilwa-Kiswere-
Bucht hart am Strande steht beim
Orte Mtumbu die in Fig. 46 dar-
gestellte Säule als Zeichen einsti-
ger Portugiesen-Oberhoheit von
Deutsch-Ostafrika, aus Korallen-
stein und Muschelkalk aufgemau-
ert, — zu ihren Füßen das Grab
eines im Aufstande 1905/06 an
Malaria verstorbenen deutschen
Seesoldaten; das Holzkreuz trägt
Salzgewinnung.
Die Gewinnung von Salz im Bezirke Kilwa findet nur noch an wenigen Stellen der
Küste statt, und zwar auf weiten, flachen, sandigen, der Springflut ausgesetzten Flächen an
den tief in das Land einschneidenden Meeresarmen, z. B, am Matandu-Flusse und an der
Kiswere-Bucht.
Auf der Oberfläche dieser Sandfelder wird durch die glühende Tropensonne das Seesalz
nach Verdampfung des Wassers auskristallisiert. Mit feinen Reiserbesen kehren dann Weiber
und Kinder das als schneeweiße dünne Decke daliegende glitzernde Salz, vermischt mit Sand,
in kleinen Haufen zusammen und tragen es in Körben nach den am Rande der Salzflächen
im Busche versteckt liegenden Hütten.
Fig. 47 illustriert das am Matandu übliche weitere Verfahren: auf einen sehr dichten
Grasrost, der die groben Bestandteile, wie Sand und Grashalme, als Filter zurückhalten soll,
wird das durch Kehren gewonnene salzhaltige Rohmaterial aufgeschüttet und durch vor-
sichtiges langsames Ubergießen mit Wasser ausgelaugt; die Salzlauge fließt in ein unter dem
Rost stehendes Tongefäß, dessen Inhalt dann unter häufigem Umrühren bis zur völligen
Verdunstung des Wassers gekocht wird. Das immerhin noch feuchte und allerlei andere
Salze außer Kochsalz enthaltende Produkt kommt in Matten verpackt in den Handel.
ETHNOGRAPHISCHE BEOBACHTUNGEN AUS DEM BEZIRKE KILWA
35
Fig. 47. Salzbereitung am Matandufluß, Bezirk
Kilwa.
Fig. 48. Salzbereitung bei Kiswere an der
Kilwa-Kiswere-Bucht.
Die an der Kiswere-Bucht übliche Salzgewinnung (Fig. 48) ist im allgemeinen die
gleiche, nur befindet sich an Stelle des einfachen Grasfilters ein am Boden durchlöcherter,
bis zur Hälfte mit dem Grasfilter gefüllter Tontopf; die obere Hälfte wird mit dem Roh-
material gefüllt und Wasser zugegossen.
Werkstätten.
An Werkstätten habe ich bei
meinen vielen Reisen im Bezirke
Kilwa nur zwei feststellen können:
eine Schmiede beiMtumbu an der
Kilwa-Kiswere-Bucht, in der mit
einfachem Hammer und Zange
Ackergerätschaften hergestellt
wurden, sowie ebenfalls an der
Kiswere-Bucht eine Töpferei, in
der von Frauen aus Ton Koch-
und Wassergefäßc mit der Hand
geformt, in der Sonne getrocknet
und gebrannt wurden. Die Selten-
heit derartiger Werkstätten hängt
mit dem Umstande zusammen,
daß alle von den Eingeborenen be-
nötigten Gerätschaften für billiges
phot. Dr. Peiper
Fig. 49. Schmiede in Mtumbu, Kiswere-Bucht.
Geld in den Inderläden zu haben waren, zumeist in hervorragender Qualität (deutsche
Waren) (Fig. 49 u. 50)-
Palmwein und Negerhirsebier.
An berauschenden Getränken waren weit verbreitet der Palmwein, —Tembo genannt,
und das Pomhe, — das Negerhirsebier; der Palmwein natürlich zumeist an der Küste in
kokospalmenreichen Gegenden, das Pombe weiter im Innern.
Die Kokospalmen, die seitens der Regierung für die Gewinnung von Palmwein freige-
geben und mit einer hohen Steuer belegt waren, waren mit einem T in roter Farbe gezeich-
net. Mit großer Gewandtheit erkletterten die Neger, manchmal mit Hilfe von in den Stamm
geschlagenen Kerben, die Tembo-Palme, schlugen mit scharfem Haumesser den Blüten-
schaft ab und bängten ein Gefäß (meist einen Flaschenkürbis) derart an den Schaft, daß der
aus der Wunde strömende Palmsaft in dem Gefäß sich ansammelte. Tags darauf wurde das
3'
OTTO PEIPER
phot. Dr. Peiper
Fig. 50. Töpferei an der Kiswere-Bucht
Gefäß, dessen Inhalt in Gärung übergegangen war, abgenommen, die Blütenschaftwunde
angefrischt und ein neues Gefäß angehängt. Der gegorene Palmsaft wirkte außerordentlich
stark berauschend.
Zur Bereitung des Pombe wurden vielfach, insbesondere nach reichen Ernten, abseits
der Dörfer im Busch eine Anzahl leichter Hütten erbaut, in und vor denen dann die Bier-
bereitung vor sich ging. Frauen und Mädchen stampften zunächst in den Stampfmörsern
die Hirse zu Mehl. Uber großen Feuern in mächtigen Tongefäßen wurde dann das Hirsemehl
gekocht, das Wasser abgegossen und die gekochte Hirse auf großen Matten in der Sonne
getrocknet, wobei sie eine feine, bläulich-violette Farbe annahm. Die dergestalt vorbereitete
Hirse wurde nunmehr wieder gekocht und nun die Flüssigkeit mehrere Tage der Gärung
überlassen. Alsdann wurden die umliegenden Dorfschaften zum Biergelage und Tanz ein-
geladen und in nächtlichen Orgien unter Tänzen das Bier ausgetrunken. So feierte häufig ein
Dorf nach dem anderen derartige Gelage, die oft mit den Beschneidungsfesten der Knaben
und Mädchen verbunden waren.
Die öftere Folge derartiger Feste war dann infolge des Verbrauches der Negerhirse bei
nachfolgender schlechter Ernte eine allgemeine Lebensmittelknappheit, so daß seitens der
Verwaltung gegen die Feste eingeschritten werden mußte.
GEBRÄUCHE UND ZEREMONIEN
BEI VERLOBUNGEN UND
HOCHZEITEN IN CHINA1
VON
P. JOB. M. TREMANNS f S. V. D.
Sehr gepriesen wird in China die Elternliebe, Die Eltern gehen in ihrer Fürsorge für die
Kinder und Enkel so weit, daß sie recht frühzeitig ihren Söhnen Bräute zu verschaffen
suchen. Der Sohn darf selbst nicht nach Herzenswunsch wählen, ja, er kann es nicht, denn
seine besorgten Eltern haben ihm vielfach schon eine Braut verschafft, da er selbst noch
kein Wort lallen konnte, ja sogar manchmal zu einer Zeit, wo er noch nicht das Licht der
Welt erblickt. Die Eltern bewerben sich um ihre zukünftige Schwiegertochter auch nicht
unmittelbar, sondern durch einen Vermittler. Hat dieser eine Person angegeben, so muß der
Wahrsager berechnen, ob beide zusammenpassen. Zu dieser Berechnung braucht er Jahr,
Tag und Stunde der Geburt der beiden zukünftigen Brautleute, sowie die 5 ff hing.
Die Zeitcyclen sind aus den 10 T’ien kaen und 12 di dschc zusammengesetzt
und haben daher immer Namen aus 2 Buchstaben. Die Namen der 5 ff hing sind: 1.Metall,
2. Holz, 3. Wasser, 4. Feuer, 5. Erde.
Ist der Bräutigam im Zeichen oder Namen „Wasser“ geboren, die Braut in eben dem-
selben Zeichen, so gibt es eine gute Ehe, denn gleich und gleich gesellt sich gern. Ist der
Bräutigam im Zeichen „Wasser“ geboren, die Braut im Zeichen „Eide“, so gibt es auch eine
gute Ehe, denn Wasser mit Erde sind Elemente einer guten Ernte, Ist der Bräutigam im
Zeichen „Wasser“ geboren, die Braut im Zeichen „Feuer“, so ist die Ehe unfriedlich, beide
widerstreben sich: Feuer verzehrt das Wasser, und Wasser löscht Feuer. Die Verlobung
kann dennoch stattfinden, wenn das ff hing des Bräutigams stärker ist als das der Braut;
z. B. wenn der Bräutigam im Jahres- und Monatszeichen „Wasser“ geboren, die Braut nur
im Jahreszeichen Feuer geboren wurde. Doch der Wahrsager weiß immer noch Auswege,
wenn er sicht, daß beide Familien eine Verbindung wünschen und daß er ein gutes Trink-
geld erhält.
Verlobung.
Hat der Wahrsager ausgerechnet, daß die Verbindung glückbringend ist, dann sendet
die Familie des Bräutigams einen roten Aktenbogen zur Familie der Braut. Der Wahrsager
rechnet dann einen Glückstag aus, an dem die Verlobungsakten ausgetauscht werden. Die
Familie des Bräutigams sendet durch 2 Vermittler 2 Verlobungsakten zur Familie der Braut,
diese umgekehrt 2 Verlobungsaktcn zur Familie des Bräutigams. Es werden beiderseits die
Akten doppelt geschrieben, um eine Witwenschaft zu verhüten. Sind beide Familien reich, so
findet bald ein Freudenmahl statt, zunächst eines bei der Familie der Braut, dann bei der
des Bräutigams.
1 Ich beschränke mich auf zwei zusammenhängende Bezirke von Südschantung, nämlich auf T’enghsien und I hs ien.
3§
JOH. M. TREMANNS
Vorbereitung zur Hochzeit.
Will die Familie des Bräutigams, daß ihr Sohn bald heirate, dann senden sie die Ver-
mittler zur Familie der Braut, um das Nien ming tie zu holen, ein rotes Aktenstück
mit den wichtigsten Daten aus dem Leben der Braut. Mit Hilfe oder an der Hand dieses
Aktenstückes rechnet dann der Wahrsager einen günstigen Tag für die Hochzeit aus. Für
diese Berechnung erhält der Wahrsager 200 Sapeken. Der Wahrsager schreibt oder läßt auf
rotem Papier die wichtigsten Verordnungen schreiben; 1. Jahr, Monat, Tag und Stunde,
wann die Braut die Sänfte besteigen muß; wie die Sänfte stehen muß, ob die Braut gegen
Süden oder Norden, gegen Nordwesten oder Südosten die Sänfte zu besteigen hat. 2. Zu
welcher Zeit und in welcher Richtung die Braut aussteigen muß. 3. Wo und in welcher Rich-
tung dasAltärchen stehen muß, um Himmel und Erde die Verehrung zu bezeugen; wo und in
welcher Richtung im Zimmer das Bett aufgestellt werden muß. Alle diese Bestimmungen
sind wichtig, damit das neue Paar nur Freuden- und Glücksgeistern am Tag der Hochzeit
begegne.
Am Tage vor der Hochzeit muß der Bräutigam zu den Gräbern der Voreltern gehen,
ihnen die vorgeschriebene Verehrung bezeugen, indem erK’otou macht und Papier verbrennt.
Ferner hat er den Nachbarn die Aufwartung zu machen und ihnen K’otou zu erweisen. Zu
Hause sind dann fleißige Hände tätig, das Hochzeitszimmer oder Brautgemach einzurichten.
Ein Ehepaar, entweder Onkel und Tante, oder Bruder und Schwägerin, oder auch Nachbarn,
bereiten das Brautbett an jener Stelle, die vom Wahrsager dazu bestimmt war. Das Bett ist
ein Holzschragen, auf diesen werden 100 Kaulianstengel gelegt und 2 Bündel Hirsestroh
ausgebreitet. Die Zahl 100 soll ein hohes Alter bedeuten, 2 Bündel Hirsenstroh ein „Paar“.
In der Nacht vor der Hochzeit muß ein Knabe oder ein Mädchen auf dem Bette schlafen.
Einige erklären: Dieses solle Kindersegen im Gefolge haben, da die Geister unschuldige
Kinder lieben. Andere sagen, es diene nur dazu, das Bett weich zu liegen. Doch warum muß
es gerade ein unschuldiges Kind sein, das dieses Bett weich liegen muß ? Am 3. Tage kann das
Bett gewechselt und durch ein besseres vertauscht werden.
Abholen der Braut.
In China wird die Braut in einer roten Sänfte abgeholt. Bevor die Sänfte abgeht, sendet
der Bräutigam die sogenannten ts’uei tschwang Hö tse = drängen zur Zu-
rüstung Kiste. Es ist dieses eine Kiste aus verschiedenen zerlegbaren Fächern, in denen die
Gastwirte ihre fein zubereiteten Speisen den Bestellern zusenden. Sie wird an einer Stange
von zwei Männern getragen. In dieser Kiste sendet der Bräutigam ein Stück Fleisch und
8 Sorten unzubereitetes Gemüse. Auf der Kiste stehen 2 Flaschen, wovon die eine mit Hirse,
die andere mit Weizenmehl gefüllt ist. Dann liegt noch ein Fisch auf dem Kasten. Endlich
ist ein schöner Hahn mit roten Schnüren auf den Kasten gebunden; um den Hals trägt er
ein rotes Bändchen zum Zeichen der Festfreude.
Sind diese Geschenke bei der Familie der Braut angekommen, so behält diese das Fleisch
und von jeder Gemüsesorte die Hälfte zurück. Die Flasche mit Hirse wird gegen eine Flasche
mit Salz ausgetauscht, die Flasche mit Mehl gegen eine solche mit Kleie. Zu dem Hahn
wird ein Huhn gebunden und der Kasten zur Familie des Bräutigams zurückgebracht.
Für diese Sitte wurden mir verschiedene Erklärungen gegeben.1 Die meisten antworte-
ten auf meine Nachfragen einfach: „Es ist so Sitte“. Sie wollten oder konnten mir keine
Erklärung geben. Das tote Fleisch wird zurückbehalten und dafür ein Huhn gegeben: die
Familie des Bräutigams sendet tote Geschenke und erhält dafür ein lebenspendendes Geschenk.
Der Fisch ist regenspendend und der Regen zum Glück notwendig, darum sendet sie diesen
Fisch und damit den Reichtum zurück. Die Hirse wird mit Salz vertauscht: der Bräutigam
1 Ich gebe alle Erklärungen so wieder, wie sie mir von den Chinesen gegeben wurden.
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GEBRÄUCHE UND ZEREMONIEN BEI VERLOBUNGEN UND HOCHZEITEN
39
sorgt für Brot, aber wie das Salz die Speise würzt, so würzt die Braut das Leben des Bräuti-
gams. Die Kleie ist die Hülle, das Kleid des Mehles; der Mann ist der Beschützer der Frau,
und die Frau bringt unter diesem Schutze durch Treue und Einsamkeit Frucht und Glück
in die Familie.
Hirse und Weizenmehl geben eine gute und süße Nahrung, und darum bedeuten sie Glück,
Eintracht und Gedeihen. Ein chinesisches Sprichwort sagt von guten Ehegatten, die in Ein-
tracht und Liebe leben: Mi mien di fu ts’i: Ehepaar, aus Hirse und Mehl zu-
sammengebacken. Salz bedeutet Grund, Ursache: ¿L Jen, Salz, Jen, Ursache. Es hat seine
Ursache, daß diese beiden Zusammenkommen, denn ihre Charaktere gleichen sich aus,
sie haben Zuneigung, Liebe zu einander. Das Sprichwort sagt: Jjffi ^ U yen bu
t’schoeng fu fu: ohne Grund gibt es keine Eheleute, ohne Zuneigung und Liebe kein glück-
liches Ehepaar. Kleie bedeutet Glück, Reichtum: U -f* Fu ze, Kleie, fg Fu, Glück. Diese
letztere Erklärung ist die allgemeine und daher auch die wahrscheinlich ursprünglichere,
zumal sie mit der Erklärung anderer Sitten und Gebräuche sehr harmoniert.
Während die Geschenke ausgetauscht werden, ist die rote Sänfte auf dem Wege, die
Braut abzuholen. Ein oder mehrere Männer gehen, Zeremonienmützen tragend und in
Mandarinstracht gekleidet, der Sänfte voraus und kleben auf jeden größeren Stein einen
roten Zettel mit den Buchstaben p| f| Ts’ing Lung, dunkler Drache. Der Chinese fürchtet
sehr die bösen Geister und denkt sich diese überall im Spiele, den Menschen zu schaden.
Besonders fürchtet der Chinese, die neue Braut möge von einem bösen Geiste besessen werden
und Unglück ins Haus bringen, den Mann schlagen, die Schwiegermutter beschimpfen, die
Eltern nicht ehren und dem Manne die eheliche Treue nicht bewahren. Der Q Bei Hu, der
weiße Tiger, ist ein menschenfeindlicher böser Geist, und dieser thront gerne in den Steinen.
Der dunkle Drache ist mächtiger als der weiße Tiger, und durch seinen auf rotem Papier
geschriebenen Namen bezähmt er den weißen Tiger, daß er den Menschen nicht schade.
Braut-Toilette,
Braut und Bräutigam sehen sich am Tage der Hochzeit gewöhnlich zum i. Male. Für
die Braut ist es daher von Wichtigkeit, einen guten Eindruck bei der ersten Begegnung zu
machen. An Schminke wird nicht gespart, um dem Gesicht ja die rechte Farbe zu geben, und
diese Arbeit nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Das Anlegen der Hochzeitskleider ist da-
gegen viel einfacher und geht daher schneller als bei einer Braut in Europa. Hier in China
gibt es keine Modenzeitung, und die Mode wechselt nicht so oft. Die Braüt trägt eine rote
wattierte Hose selbst im Hochsommer. Wattierte Kleider sind ein Zeichen des Wohlstandes,
erzeugen oder erhalten die Wärme; aus der Wärme kommt die Liebe und Zuneigung. Das
Oberkleid hat mehrere blumige Ränder und Bänder. Unter dem Oberkleide auf der Brust
trägt die Braut einen runden, kupfernen Spiegel oder ein kleines, rundes, aus Weiden
geflochtenes Körbchen. Rund ist ein Zeichen der Vollkommenheit, und vollkommen soll die
Braut ihren Bräutigam befriedigen.
Die Braut trägt keine Schuhe, und die Strümpfe sind aus einfachen Stoffen genäht,
während sie sonst eine harte Sohle haben. Die rote Hose ist wie gewöhnlich unten um die
Knöchel mit einem roten Bande zugebunden. In den Bändern ist Geld als Zeichen von
Reichtum und Glück. Im Nordosten von T’enghsien erzählte mir ein Mann, man lege der
Braut ein Stück Geld unter die Ferse, weil in der Ferse die Kraft der Frau sei. Habe sie
Geld unter der Ferse, so könnten Schlange und Skorpion ihr nicht schaden. Mit ihren ver-
krüppelten Füßen geht die Frau auf den Fersen. Ich habe dieses letztere nur von einem
Chinesen, während ich viele andere fragte, die nichts von dieser Sitte wußten. Es kann sein,
daß die Sitte dort im Gebirge herrscht; bisher kam ich wenig mit diesen Leuten in Berührung,
da fast keine Christengemeinden dort sind. — Das Gesicht der Braut ist mit einem Schleier
40
JOH. M. TREMANNS
verhangen, derselbe ist 3 Fuß lang, und in jeden Zipfel ist Geld genäht als Zeichen des
Reichtums. Nach den meisten und vielleicht wahrscheinlichsten Erklärungen hat das Geld
nur den Zweck, dafür zu sorgen, daß der Schleier glatt' hängt.
Ist die Braut in die Sänfte gestiegen, dann setzt sich der Zug unter Abfeuern von Böllern
und Raketen in Bewegung. Hinter der Sänfte werden an Stangen von je 2 Mann die Geschenke
oder die Mitgift der Braut getragen. Die Weiber erben hier in China nicht. Doch ist die Mit-
gift manchmal sehr groß, sie besteht meistens nur in Kleidern und Schmuck für die Frau,
Die bei der Hochzeit mitgebrachten Kleider genügen der Frau nicht selten für das ganze
Leben. Vor einem Monat verheiratete der reiche Liu aus dem Naensaenschae seine Tochter an
den reichen Liu im Westen der Stadt. Und der Herr Liu erzählte mir selbst, daß er seiner
Tochter eine Aussteuer von 20000 Dir mitgegeben habe. Den Geschenken folgen die Weiber
als Brautführerinnen, entweder auf Wagen fahrend oderauf Eseln reitend. Wer es sichleisten
kann, holt seine Braut mit Musik ab.
Ankunft der Braut.
Ist die Sänfte am Hause des Bräutigams angekommen, muß die Braut in der verhüllten
Sänfte sitzen bleiben bis zu der Zeit, die vom Wahrsager dazu bestimmt ist. Während die
Braut in der Sänfte wartet, geben ihr die Brautführerinnen in jede Hand 10 Geldstücke, zum
Zeichen, daß sie nicht mit leeren Händen kommt, sondern Reichtum bringt. Ferner reichen
sie der Braut eine Tasse Tee. Der Tee ist mit Honig und Sesamöl gemischt; Honig bedeutet
Liebe und Sesamöl Würze, Freude und Wohlgefallen.
Vor der Sänfte stehen 2 Mädchen, diese tragen auf einem Tablett 2000 Sapeken, Hirse-
stroh und Kleie. Steigt die Braut aus, so wird sie mit Hirsestroh und Kleie beworfen.
Einige erklären, die Kleie mache das Haupt weiß und bedeute, man wünscht ein hohes Alter.
Die meisten erklären: ^ Fu ze, Kleie stehe für jjfg Fu, Glück. Welche Bedeutung das Hirse-
stroh hat, konnte ich nicht erfahren, immer sagte man mir nur, es sei so Sitte. Die Braut wird
als ein höheres Wesen behandelt, das unbefleckt und rein ist, und ihre Füße dürfen den Staub
der Erde nicht berühren. Es werden daher Teppiche ausgebreitet von der Sänfte bis zum
Opferaltärchen und von jenem bis zum Zimmer. Sind keine Teppiche vorhanden, dann ge-
braucht man aus Kaulianstengeln geflochtene Matten. Auf dem Gange wird die Braut von den
Brautführerinnen unter den Armen fast völlig getragen, wie eine in Ohnmacht Versunkene.
Trauungsakt.
In einem freien Hofe vor dem Hause ist ein Altärchen hergerichtet. Das Bild von ^ jfy
T’ien di, Himmel und Erde, eines Freudengeistes und eines reitenden Briefboten zieren den
Altar. Vor dem Altärchen steht ein Tisch, auf demselben stehen 2 Kerzenleuchter mit Kerzen.
In der Mitte zwischen den Leuchtern steht der Opferofen mit brennenden Weihrauch-
stäbchen. Ferner steht auf dem Tische ein aus Weiden geflochtener Scheffel mit Getreide
(Kaulian). Im Getreide stecken eine Wage und ein runder Messingspiegel. Alles ist mit einem
dunklen Seidentuche bedeckt und mit roten Schleifen geziert. Hinter dem Altärchen steht
ein Behälter mit fjfT Muo muo, chinesischem Brot, in Dampf gebacken und sehr locker.
Vor dem Altar stehen 2 Stühle, der auf der östlichen Seite für die Braut, der auf der Westseite
für den Bräutigam. Während das Brautpaar sitzt, kommen die Brautführerinnen, nehmen
der Braut die Ohrgehänge und vertauschen sie mit Ohrringen. Die Ohrgehänge wickeln sie in
ein Papierchen und stecken sie dem Bräutigam in die Stiefel. Am Abend im Brautgemach
schenkt der Bräutigam dieses Ohrgehänge seiner Braut und kann so leicht ein Gespräch an-
knüpfen. Er muß zuerst die Braut ansprechen. Spricht die Braut zuerst, so bringt das Unheil,
entweder stumme Kinder oder nur Mädchen.
Unter dem Stuhle der Braut steht ein Wassereimer, in demselben ist eine kleine
GEBRÄUCHE UND ZEREMONIEN BEI VERLOBUNGEN UND HOCHZEITEN
4'
brennende Lampe und eine Handvoll Wermut. Der Eimer ist mit einem Deckel aus
Kaulianstengeln zugedeckt.
Das jf^L^jjjlMuo muo, lockeres Brot, bedeutet: reich werden. Das Brot ist locker durch
||jj? 0 fa mien und weist auf das ^ HJ1 £a ts’ae, reich werden, hin. Der Wermut in dem Eimer
unter dem Stuhle der Braut weist auf Liebe; K Ngae, Wermut steht für Ngae, Liebe.
Einige erklären den Wermut als Symbol der Stärke und Widerstandsfähigkeit gegen Un-
glück, da Wermut als Gegenmittel gegen die 5 Gifte gebraucht wird: Skorpionenstiche,
Schlangenbisse usw.
Sind die Ohrringe gewechselt, dann bezeugen die Brautleute ^ ^ Tien di die Verehrung
durch dreifaches K’otou. Unterdessen werden Götzenbilder und Silberpapier als Opfer ver-
brannt und Raketen abgefeuert. Damit ist der eigentliche Trauungsakt vollendet, denn sie
haben sich als ein Paar den Geistern vorgestellt. Nach diesem Akte sucht jeder der beiden
Brautleute möglichst schnell aufzustehen, denn wer zuerst steht, soll am längsten leben.
Führung zum Brautgemach.
Ist die Trauung vollzogen, so wird die Braut in das Brautgemach geführt. Auch hier
sind einige Zeremonien zu beobachten. Vor der Tür steht ein Feuertopf mit brennenden
Holzkohlen. In denselben werden kleine Zweige von Lebensbäumen und eine Hand voll Salz
geworfen, um Wohlgerüche und Knistern zu erzeugen. Diesen Topf muß die Braut zunächst
überschreiten, dadurch soll sie dem Manne angenehm und fruchtbar werden. In der Tür-
schwelle liegt ein Sattel, entweder ein Reitsattel oder Eselsattel; auch diesen hat die Braut
zu überschreiten. Der Sattel heißt im Chinesischen || Sf Ngaen ze und bedeutet hier
Frieden: die Braut möge Frieden im Hause bewahren und nicht mit den Schwiegereltern
hadern.
Wie überall so sind auch in China die Weiber sehr neugierig und können ihre Neugierde
kaum bezwingen. Die Schwiegermütter sind neugierig, welch’ schöne Sachen ihre Schwieger-
töchter mitgebracht haben, und haben, um dies möglichst bald herauszuschnüffeln, eine inter-
essante Sitte ersonnen. Die Schwiegermutter oder eine nahe Verwandte nimmt einen runden
Stock, auf dem das Mehl gesiebt wird, öffnet die Kiste und rasselt mit dem Stocke in der
Öffnung, wobei sie ein Versehen singt:
# fö ^ ® Ko la tjin, ko la jin
Ko la oel nue i da ts’uin.
Bringe Gold, bringe Silber,
Bringe Kinder, eine große Schar.
Dabei hat sic bald die Schätze innen etwas überschaut, sie weiß wenigstens, ob die Kisten ganz
gefüllt oder halb leer sind. Die Kisten werden dann gleich ins Brautgemach gebracht.
Im Brautgemache sind unter einem roten Tuch mit goldenen Buchstaben 2 Sitze an-
gebracht, auf diese setzen sich die Brautleute. Der Bräutigam sitzt links, die Braut rechts.
Kaum haben sie sich niedergelassen, nehmen die beiden Brautführerinnen den Scheffel
nebst Inhalt draußen vom Altar und setzen ihn am Kopfende auf das Bett der Braut. Dann
nimmt eine Brautführerin die Wage aus dem Getreide des Scheffels und lüftet mit dieser
den Schleier der Braut; in einem Zuge wirft sie den Schleier hoch in die Luft, wobei sie ein
Versehen singt:
¿iS Mung t’ou hung ze
(Gl Kau tiau t’chi
—• # 1®. IS I nien lit’ou
Ziu kung hi
Den roten Kopfschleier
Wirf hoch in die Luft;
iteaiafjfc'LaMgaatt.
JOH. M. TREMANNS
Innerhalb eines Jahres
Dann gemeinsame [sic!] Freude.
Ein Sohn ist der Gegenstand der gemeinsamen Freude,
Ist der Schleier gehoben, sehen sich Braut und Bräutigam gewöhnlich zum ersten Male
im Leben. In diesem Augenblick nehmen die Verwandten, die sich in der Türnische auf-
gestellt haben, rote Brustbeeren, Kastanien und Erdnüsse und bewerfen damit das Braut-
paar, Durch diese Zeremonie soll wieder mit stummen Gegenständen ein Glückwunsch aus-
gedrückt werden. Zau, rote Brustbeere, stehtfür ip. Zau, früh. ^ -^*Li ze, Kastanie, steht
für j*l Li ze, einen Sohn aufstellen, erzeugen. ^T’schang Schoeng, Erdnüsse, steht
für T’schang Schoeng, langes Leben. Diese Zeremonie heißt Sa Dschang, Zelt
bewerfen. Während sie diese Gegenstände werfen, singen sie gewöhnlich einen kleinen Vers:
-ffi ir-mm I ba Uze i ba zau
I nien li ziu dei siau.
Eine Hand voll Kastanien und eine Hand voll roter Beeren:
Innerhalb eines Jahres, so habet ein Söhnchen.
oder —• Wl M I sa jin
“ % -#■ Öl sa tjin
ssaic-ics Säen sa oel nue i da ts’uin.
Eins streue Silber,
Zwei streue Gold,
Drei streue Kinder, eine große Schar.
Nach dieser Beglückwünschung beginnt das gemeinsame Leben. Dieses kommt in
folgenden Zeremonien zum Ausdruck: Die Brautführerin nimmt ein Töpfchen mit Schnaps
und reicht es zuerst der Braut, die nur daran nippt, dann reicht sie es dem Bräutigam, der
es leert. Dabei sagt die Brautführerin ein Sprüchlein:
Sr Ät %\s VÄ — ii*i Sin si fu (öl) dschaen i dschaen
ff ±Wj nSföilt Sin nue sue ho di kaen.
Die junge Braut nippt und nippt,
Der junge Bräutigam trinkt es trocken [sic!].
Darauf nimmt die Brautführerin zwei kleine Schüsseln mit Mehlsuppe, eine für die
Braut, die andere für den Bräutigam. Auf jeder Suppe liegen zwei kleine Zwiebelstengel.
Diese Suppe ist von einem Nachbarn bereitet. Und zwar muß dieser Nachbar auf der andern
Seite der Straße wohnen. Er darf nicht kinderlos sein, sondern muß mindestens einen
Sohn haben, und beide Gatten müssen leben. Nach dieser Zeremonie darf der Bräutigam
sich beliebig bewegen. Die Braut dagegen muß sittsam und schweigend in ihrem Brautgemache
sitzen, darf aber im Sommer die dickwattierten Kleider gegen dünnere vertauschen und auch
Schuhchen anziehen.
Beginnt der Tag zu dunkeln, dann bekleidet sich ein Ehepaar — seien es Bruder und
Schwägerin oder Onkel und Tante oder auch Nachbareheleute — mit Zeremonienkleidern
und erweist unter Verbrennen von Papier und Götzenbildern den Bettgeistern die Ver-
ehrung, indem es Himmel und Erde drei Mal K’otou macht. Im Brautgemache machen Braut
und Bräutigam dem Bette und dem Aufsteigebrett K’otou, wobei ebenfalls Papier verbrannt
wird. Der Vers, der dabei gesagt wird, lautet:
№ m # T’schwang kung, t’schwang mu
m 44 «=J Zuo da ze schenn
ü Sc I - Wo tja ts’ue liau i ko fa tja jenn
% w xfäm lu dae tjin ju dae jin
% yptr w % lu dae oel nue i da ts’uinn.
GEBRÄUCHE UND ZEREMONIEN BEI VERLOBUNGEN UND HOCHZEITEN
43
Bett-Herr und Bett-Mutter,
Geister des Fußbrettes,
Ich habe heimgeführt eine vielversprechende Gattin;
Sie hat sowohl Silber als Gold
Als auch eine große Schar Kinder.
Brautgemach und zünden eine Lampe an. Dabei sagen
U li hei jing jing
I duei siau ku
Lae dien doeng
Tschwang schang zuo dschuo „Siu“ da zie
T’schu le zin t’chuedi „Wang“ siang kung.
Im Zimmer ist es dunkler Schatten [sic!];
Ein Paar kleine Mädchen
Kommen und zünden die Lampe an;
Auf dem Bette sitzt das Fräulein „Siu“ (= der Familienname);
Wenn die Eingetretene herauskommt, ist sie bereits Frau des Herrn „Wang“.
Das Brennöl der Lampe ist Sesamöl. Der Docht ist eine rote Baumwollschnur, die als
Kopfschnur bei Kindern und Verlobten gebraucht wird und daher Kopfbandschnur heißt.
Beim Brennen setzt sich am Brennende ein hartes Knäulchen an, das mit einer Kneifzange
abwechselnd von Braut und Bräutigam abgezwickt wird. Durch das Abzwicken nimmt der
Bräutigam der Braut die Härte ihres Charakters, und die Braut nimmt dem Bräutigam die
Schattenseiten seines Charakters weg, und so gibt es ein friedliches Eheleben. Diese Lampe
heißt „Lampe eines langen Lebens“ und darf in der ersten Nacht nicht gelöscht werden;
erlischt sie, so ist das ein sehr schlechtes Omen. Gegen Abend kommen auch die Nach-
barn und bringen Glückwünsche und necken das Brautpaar; es gibt dann eine kleine Hetz,
würde der Wiener sagen.
Gegen Mitternacht haben sich die Besucher allmählich zurückgezogen, und das Braut-
paar erhält Ruhe. Der Bräutigam sucht nun durch Überreichung der Ohrgehänge mit der
Braut das Gespräch anzuknüpfen. In dieser ersten Nacht darf das Ehebett nicht unbenutzt
bleiben, sondern das neue Paar soll unter bestimmten Zeremonien von seinem nunmehrigen
Rechte Gebrauch machen. Draußen vor dem Fenster muß die ganze Nacht hindurch eine
Wache stehen. Die Tür wird von außen verrammelt. Dies Wachestehen nennen die Chinesen
„Haus belauschen“. Die Hausbelauscher müssen jüngere Verwandte oder Nachbarn sein,
höhere ältere Verwandte dürfen es nicht sein; wollen keine das Lauschen übernehmen, so ist
das kein gutes Zeichen; es werden dann 2 Besen mit Hüten darauf als solche draußen in
die Fensternische gestellt.
Am dritten Tage nach der Hochzeit wird der Braut „das Gesicht geöffnet“ und sie damit
in der Öffentlichkeit als Frau gekennzeichnet, indem ihr vorne gleich an der Stirne eine
ganze Menge Haare ausgezogen werden. Auch sonst ist die Haartracht bei den Frauen anders
als bei den Jungfrauen. Um 3 Tage muß das neue Ehepaar zu den Gräbern der Vorfahren
gehen und Papier verbrennen, dann den Nachbarn und Verwandten die Verehrung bezeugen.
Damit ist nun die junge Frau ganz in die Familie ihres Mannes übergegangen. Nach einiger
Zeit aber besucht sie für einige Tage ihre Mutter. Die erste Näharbeit, die eine junge Frau
machen muß, ist entweder ein Paar Strümpfe oder eine Hose für ihren Mann, denn das
Gedicht sagt:
Zwei Mädchen gehen dann ins
sie folgenden Vers:
m m
— SM'»
* jä«
44
JOH. M. TREMANNS
Zin men zou schwang wa
Ziu juö kuö juö £a
Tjin t’ien zou i t’iau ku
Ziu juö kuö juö £u.
Es näht die junge Frau ein Paar Strümpfe,
Denn je länger sie Haus halten, um so größeren Reichtum.
Heute näht sie eine Hose,
Denn je länger sie Haus halten, um so größeres Glück.
Bem.:Vgl. die Paralleldarstellung von P. Stenz: Beiträge zur Volkskunde Süd-Schantungs,
Leipzig. Hersg. und eingeleitet von A. Conrady. Die Wahl und die Schreibung mancher
chinesischer Zeichen im obigen Aufsatz wirkt wie ein Notbehelf; so steht auf
Seite 38 und 40: Kaulian, dialektisch für kao-liang, gou-liang =
Sorghum vulgare,
Seite 40: für korrektes
,, 42. , süß, ,, ,,
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DAS USIR- SPIEL DER BATAK
AUF SUMATRA
VON
DR. MED. JOHANNES WINKLER,
MISSIONSARZT DER RHEINISCHEN MISSIONSGESELLSCHAFT.
Die für uns Europäer erstaunliche Tatsache, daß der zu der malaiischen Rasse gehörende,
im Herzen Sumatras wohnende Volksstamm der Batak seit alter Zeit das Schachspiel kannte,
hat bereits von anderer Seite die gebührende Würdigung gefunden. Herr Freiherr A. v. Oefele
hat mit seiner 1904 im Verlage von Veit & Co. in Leipzig veröffentlichten Abhandlung über
,,Das Schachspiel der Bataker“ einen wertvollen Beitrag zur Kenntnis der Geschichte dieses
Spieles geliefert. Hier möchte ich die Aufmerksamkeit auf ein anderes Brettspiel der Batak
lenken, das ich während meiner Tätigkeit als Missionsarzt unter diesem Volke kennen lernte,
ein Spiel, das dort unter dem Namen Usir bekannt und als Zeitverteib bei der Männerwelt
allgemein beliebt ist.
Die Spielregeln hat^te ich mir von einem unserer Hospitalgehilfen aufschreiben und
eingehend erklären kassen, da ich den Wunsch hegte, das Spiel in Deutschland einzuführen.
Bei meinen Versuchen, einen Verleger zu finden, erfuhr ich aber von Herrn Pastor Fr. Jahn,
dem Direktor der Anstalten in Züllchow bei Stettin, zu meiner großen Überraschung, daß
die mit diesen Anstalten verbundene Spielwarenfabrik das Spiel bereits führt. Besonders
wertvoll war mir dabei die Angabe, daß das Spiel dort als das National-Spiel der Tibeter
bezeichnet wird und den Namen „Kungser“ trägt. Man geht wohl nicht fehl mit der An-
nahme, daß der bataksche Name des Spieles Usir sich mit dem aus Tibet überlieferten
Namen Kungser deckt, daß die Batak also nicht nur das Spiel selbst, sondern auch seinen
Namen vom asiatischen Festland bekommen haben. Es ist dann wohl das einfachste, an-
zunehmen, daß die Hindu das Spiel mit in das Batakland gebracht haben. Hatten diese doch
in alten Zeiten mächtige Reiphe auf Sumatra und Java gegründet; haben doch auch die
Batak etwa vom 8.—16. Jahrhundert unter einem starken indischen Einfluß gestanden;
sind doch bis heute die Spuren dieser Einflüsse noch allenthalben bei den Batak nachweisbar,
so z. B. bei ihren Musikinstrumenten und vor allem auch in der Kunst und Wissenschaft der
batakschen Zauberdoktoren mit ihrer an Sanskritworten reichen Gelehrtensprache.
Die von den Züllchower Anstalten angegebenen Spielregeln melden unter Berufung
auf die Mitteilungen des deutschen Tibetforschers Dr. A. Tafel-Stuttgart, daß „Kungser“
der Name eines Fürstengeschlechtes sei, und daß in dem Kungser-Spiele der in seinen Mitteln
sehr ungleiche Kampf dieser Könige mit ihren Untertanen und vor allem mit den buddhisti-
schen Mönchen des Landes zur Darstellung komme.
Der Spielplan des batakschen Usir ist genau derselbe wie der des tibetanischen Kungser.
Merkwürdigerweise bezeichnen die Batak die einzelnen Teile der Figur des Spielplanes mit
Namen, die den Teilen des menschlichen Körpers entsprechen. Die Dreiecke am oberen und
unteren Ende der Figur werden als „Kopf“ bezeichnet. Den Punkt, in dem Kopf und Rumpf
~ i
MM——
46
JOHANNES WINKLER
Zusammenstößen, nennt man „Hals“. Die beiden Punkte rechts und links von ihm „Schulter“
und die seitlich davon gelegenen Eckpunkte „Ellenbogen“. Der Mittelpunkt der ganzen
Figur wird als „Nabel“ bezeichnet; zwischen diesem und dem „Hals“ ist die „Brust“,
Daraus ergibt sich eine Auffassung der Figur des Spielplanes, wie sie uns von den Doppel-
figuren von Bube, Dame und König bei den europäischen Spielkarten her geläufig ist.
Da man sich die Kenntnis der tibetanischen Spielweise leicht durch den Bezug des
Spieles von den Züllchower Anstalten verschaffen kann, sei hier nur die bataksche Spielregel
angegeben. Der wichtigste Unterschied besteht darin, daß die Batak neben dem gewöhn-
lichen Spiel mit 2 „Tigern“ (die den Kungser entsprechen) und 24 Jägern noch eine andere
Form mit 3 Tigern und 28 Jägern kennen; außerdem besteht nur noch eine kleine Abweichung
in der ersten Aufstellung der Figuren.
Die „Tigerjagd“, wie ich das Spiel nennen möchte, weil die
Batak die den Kungser entsprechenden Figuren als „babiat“,
d. h. Tiger, bezeichnen, wird von 2 Personen gespielt und zwar,
wie bereits bemerkt, entweder mit 2 Tigern und 24 Jägern oder
mit 3 Tigern und 28 Jägern.1
Aufstellung: Die 2 bezw. 3 Tiger werden in den Mittel-
punkt der Figur des Spielbrettes gesetzt. 8 Jäger besetzen die den
Mittelpunkt umgebenden 8 Punkte, die in der Figur mit einem
Kreis bezeichnet sind. Die übrigen 16 bezw. 20 Jäger werden erst
im Verlauf des Spieles eingesetzt.
Die Aufgabe der Jäger ist es, die Tiger einzukreisen und in die
Enge zu treiben, während die Tiger einen Jäger nach dem
anderen durch Überspringen kampfunfähig zu machen trachten,
so daß sie aus dem Spiele ausscheiden müssen. Ein Tiger kann
einen Jäger nur dann überspringen, wenn ein Punkt hinter diesem
Jäger unbesetzt ist, mit anderen Worten, er kann nicht in einer
Figur des Usir Spieles. Große Richtung springen, in welcher 2 Jäger hintereinander stehen.
Der Besitzer der Jäger muß also darnach trachten, die Tiger am
Springen zu verhindern, indem er möglichst 2 Jäger hintereinander aufstellt.
Der Besitzer der Tiger und der Besitzer der Jäger spielen abwechselnd. Einer der im
Mittelpunkte auf gestellten Tiger beginnt, indem er über einen der ihn umringenden Jäger
hinwegspringt. Bei diesem ersten Sprunge steht es in dem Belieben des Tigers, welchen
von den 8 Jägern er wegnehmen will; im weiteren Verlaufe des Spieles darf aber der Tiger
nur den Jäger „schlagen“, über den er gerade hinweggesprungen ist.
Nach dem 1. Sprung des einen Tigers setzt der Besitzer der Jäger den ersten seiner
16 bezw. 20 Ersatzjäger ein, nach dem 2. Tigersprunge den 2. Jäger und so weiter, bis alle
16 bezw, 20 Ersatzjäger in das Spiel eingeführt sind. Sind alle Jäger eingesetzt, dann hat ihr
Besitzer die Aufgabe, durch „Ziehen“, d. h. schrittweises Vorgehen von einem Punkt zum
andern, die Einkreisung der Tiger zu erstreben. Schon beim Einsetzen der Ersatzjäger, dann
aber auch weiter beim Ziehen, darf der Besitzer der Jäger den Tigern nicht in unbesonnener
Weise Gelegenheit zum Springen bieten. Unter besonderen Umständen jedoch kann es für
den Besitzer der Jäger ein Vorteil sein, wenn er einen oder mehrere seiner Jäger opfert,
er kann nämlich damit einen Tiger verleiten, auf einen Punkt zu springen, wo er ihn leichter
festsetzen kann. Der Besitzer der Tiger ist nicht gezwungen, jedesmal, wenn sich Gelegenheit
dazu bietet, einen seiner Tiger springen zu lassen, vielmehr muß er jeden Sprung vermeiden,
der für ihn nachteilig sein könnte. Wenn der Besitzer der Tiger an der Reihe ist, aber keinen
1 In den Landschaften um den Toba-See findet sich statt „babiat“ auch die Bezeichnung „gadja“ = Elefant.
DAS USIR-SPIEL DER BATAK AUF SUMATRA
47
Sprung über einen Jäger machen kann oder will, so muß er „ziehen“, d. h. einen der Tiger
auf einen benachbarten unbesetzten Punkt schieben.
Der Besitzer der Jäger hat das Spiel nur dann gewonnen, wenn es ihm gelingt, die
Tiger in ganz bestimmten Stellungen festzusetzen. Bei dem Spiel mit zwrei Tigern muß für
den Sieg der Jäger eine der beiden folgenden Bedingungen erfüllt sein:
1. der eine der beiden Tiger muß im Mittelpunkt der Figur eingekreist sein; dann darf
der zweite Tiger an jedem beliebigen anderen Punkte festgesetzt werden. — Nach Verlust
von mehr als sieben Jägern wird das aber nicht mehr möglich sein; dann müssen
2. beide Tiger wenigstens auf 2 Punkten festgesetzt werden, die auf ein und derselben
Linie liegen, auf 2 einander benachbarten oder auch auf 2 voneinander entfernten Punkten
einer und derselben Linie.
Bei dem Spiel mit drei Tigern muß einer der drei Tiger im Mittelpunkt eingekreist sein,
die beiden anderen können dann an jedem beliebigen Punkte festgesetzt werden.
Glückt es dem Besitzer der Jäger nicht, diese Bedingungen zu erfüllen, dann hat der
Besitzer der Tiger das Spiel gewonnen. —
Die Batak können sich mit diesem Spiel stundenlang unterhalten. Sie behelfen sich dabei
mit den einfachsten Mitteln. Die Figur des Spielplans ritzen sie einfach in den Bretterfuß-
boden ihrer Wohnung ein, oder auch in den Erdboden des Dorfpiatzes. Für die Figuren der
Tiger genügen ihnen ein paar Stückchen Holz, die man von einem herumliegenden Ästchen
oder von einem Streichholz abbricht, oder auch Stückchen von einem Grashalm. Für die
Jäger nimmt man 24 bzw. 28 ungeschälte Reiskörner und nennt sie darum einfach „eme“.
Das Spiel erinnert im ganzen an das bei unsern Kindern beliebte Festungsspiel, doch er-
fordert es entschieden noch mehr Aufmerksamkeit. Darum ist es nicht nur für Kinder sehr
unterhaltend, sondern auch für Erwachsene.
Indem ich Herrn Professor Dr. Alfred Maaß verbindlichst danke für den Nachweis
bezw. die Überlassung der einschlägigen Literatur, möchte ich, seinem Winke folgend, das
Usir-Spiel der Batak hier noch in den Rahmen dessen hineinstellen, was über die von den
Malaien Malakkas und des ganzen indischen Archipels auf der gleichen Grundfigur aus-
geführten Spiele von deutschen und holländischen Forschern bereits veröffentlicht
worden ist.
Dr. Karl Plischke gibt im Internationalen Archiv für Ethnographie Bd. III, S. 189ff.
*in seinen Mitteilungen über die malaiischen Spiele Rimau-rimau und Dame (bei den Malaien
gleichfalls „dam“ genannt) nicht nur genau die gleiche Figur des Spielbrettes, die wir bei
den Tibetern und den Batak kennen lernten, sondern er beschreibt auch unter der zweiten
Variation seiner Spielregel fast genau die gleichen Regeln für das Spiel mit zwei „Tigern“
(rimau) und 22 „Menschen“, wie wir sie oben für das Spiel mit 2 Tigern und 24 Jägern als
tibetanische und als bataksche Spielweise kennen lernten. Als erste Variation bringt er die
Anweisung für das Spiel mit einem „Tiger“ und 24 „Menschen“, wobei dem nur in der Ein-'
zahl vorhandenen Tiger der Vorteil eingeräumt ist, daß er gleich im Anfang 3 feindliche
Steine auswählen und wegnehmen darf, und daß er weiterhin alle in ungerader Zahl auf einer
und derselben Linie der Figur stehenden „Menschen“, 1, 3, 5, ja sogar 7, mit einem Sprunge
schlagen kann.
Dr. Plischke schließt seine Abhandlung mit folgenden Sätzen; „Obzwar also die
Literaturnachweise über dieses Spiel ziemlich spärlich sind, so trage ich dennoch kein Be-
denken, um das Vorkommen des Spieles für die meisten der indomalayischen Inseln anzu-
nehmen. Es geht aus den mir zur Hand stehenden Original- und Litteraturangaben wohl
zweifellos hervor, daß das Rimau-Spiel ein den eigentlichen Malayen angehörendes Geistes-
eigenthum sei, und daß es ihnen eher bekannt war als das Damenspiel. Ihre Kolonisten haben
das Spiel weit verbreitet, und ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich überall, wo das Damen-
48
JOHANNES WINKLER
spiel auf der Rimau-Figur gespielt wird, auch die Kenntnis des Rimau-Spieles voraussetze.
Die Frage, ob die Idee des Spieles einem indischen Belagerungs- oder Kriegsspiel entlehnt
worden sei, ist, wenn auch wahrscheinlich, dennoch mit Sicherheit nicht zu bejahen, wenig-
stens aber scheint die eigenthümliche Spielfigur original zu sein“.
Die Annahme Dr. Plischkes, daß das Rimau-Spiel den Bewohnern von Insulinde eher
bekannt war als das Dame-Spiel, darf man gewiß ohne weiteres unterschreiben. Auch wird man
ihm gern zustimmen, wenn er überall da, wo die Rimau-Figur für das Dame-Spiel verwendet
wird, die Kenntnis des Rimau-Spiels als bekannt voraussetzt, und wenn er nicht daran
zweifelt, daß das malaiische Dame-Spiel nur eine Akkomodation des holländischen Dame-
Spiels an die Figur des Rimau-rimau ist. Die Frage aber, ob das Spiel nicht etwa vom
asiatischen Festland stamme, ist für uns nach dem, was wir oben über das tibetanische
Kungser-Spiel festgestellt haben, mit Sicherheit im positiven Sinne beantwortet und zwar
nicht nur für die Spielregel, sondern sogar auch für die Spielfigur.
Im 4. Teile der 2. Auflage der Encyclopaedie van Nederlandsch Indie finden wir bei den
Kinderspielen unter dem Namen matjanan eine Art Belagerungsspiel beschrieben, das auf
einem Brett oder auch auf einer auf den Boden gezeichneten Figur ausgeführt wird mit
23 Steinchen, von denen eines den ,,matjan“ (Tiger) und die übrigen die ,,Menschen“ dar-
stellen, oder mit 25 Steinen, nämlich 2 „Tigern“ und 23 „Rindern“. Man sieht es die Javanen
viel auf der Straße spielen. Auch auf der Insel Celebes ist das Tiger-Spiel unter dem Namen
mätjang-mätjang bekannt (vgl. Dr, Plischke a. a. 0.).
Daß die Völker des malaiischen Archipels die ihnen geläufige Figur des Tiger-Spieles
für das Dame-Spiel verwendeten, ist ohne weiteres verständlich.
In seinem Werke „Durch Zentral-Sumatra“, Berlin: B. Behr (Feddersen) 1910, Bd. I
schreibt Prof. Maaß S. 115—116 das Folgende: „Manchmal begegnet man in den Rasthäusern
auf dem Fußboden eingeritzten Zeichnungen, die eine Art Damspiel vorstellen. Sie nennen es
einfach Steinspiel (mainmain batu). Gespielt wird von 2 Personen mit je 18 Steinen. Diese
werden auf die Schnittpunkte der sich kreuzenden Linien gelegt, nur der Mittelpunkt bleibt
frei. Dann beginnt das Spiel: b zieht nach a, dann schlägt c und kommt auf b zu stehen,
darauf schlägt d wiederum c und rückt auf a. Die Hauptbedingung ist, daß die eine Partei
die andere möglichst bald aus den Feldern schlägt und dadurch den Sieg erringt“. — Die
beigefügte Zeichnung entspricht genau dem Spielbrett des batakschen Usir mit der einzigen
Abweichung, daß der obere „Kopf“ drei Querlinien aufweist statt 2, und daß die äußerste
dieser 3 Linien gebogen ist.
Auch die Batak spielen übrigens auf ihrem Usir-Brett ein Spiel, das ganz dem von
Prof. Maaß beschriebenen Steinspiel entspricht, nur daß es nicht mit 18, sondern mit
16 Steinen gespielt wird. Bei der Aufstellung bleibt hier nicht nur der Mittelpunkt un-
besetzt, sondern alle 5 Punkte der Mittellinie. Sie nennen es „tampul“ (sprich: tappul),
von tampul, manampul = schlagen, erschlagen; der Name entspricht also unserem Wort
„ Schlagdame“.
In dem von Professor P. J. Veth herausgegebenen Werke „Reizen en Onderzoekingen
der Sumatra-Expeditie“ 1877—1879, Leiden: Brill 1881—1892, gibt A. L. van Hasselt in
seiner „VolksbeSchrijving van Midden-Sumatra“ eine kurze Beschreibung von einer Art
Dame-Spiel der malaiischen Bevölkerung von Mittel-Sumatra: Das Spiel heißt tjatoewe
und wird durch zwei Personen, die einander zu besiegen trachten, gespielt auf einem hölzernen
Brett mit eingeschnittenen Quadraten, einer Art Damebrett, dessen Figuren ersetzt sind
durch Steinchen oder tjokai-Früchtchen. In Ermangelung eines Brettes zeichnet man die
Quadrate in den Sand, aber das Spiel, das besser mit „Wolf und Schaf“ zu vergleichen ist
als mit dem gewöhnlichen Dame-Spiel, verändert sich durch diese Vereinfachung nicht.
Die in dem „Ethnographischen Atlas van Midden Sumatra“ auf Tafel XXXIV Figur 7
DAS USIR-SPIEL DER BATAK AUF SUMATRA
49
gegebene Illustration des tjatoewe-Spieles entspricht genau dem Spielbrett des batakschen
Usir, nur daß die beiden ,,Köpfe“ weggelassen sind (vgl. auch Plischke a. a. 0.).
Die Batak gehörten zu den Kannibalen; erst im Anfang der sechziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts begannen die holländische Kolonialregierung und die evangelische Mission,
besonders die Rheinische Missionsgescllschaft, dieses Volk unter ihren Einfluß zu bringen.
Es mag uns Europäer befremden, bei Menschenfressern solche Spiele wie Schach und Usir
anzutreffen. Aber auch für den Batak sind diese Spiele mehr als ein bloßer Zeitvertreib. Auch
er empfindet etwas von dem Reiz, den es gewährt, wenn man sich den Regeln des Spieles
unterwirft und unter den gegebenen Bedingungen seine Kräfte mit dem Gegner mißt und
übt. Der Kampf im Spiel zwingt zur Entfaltung der geistigen Kräfte, das Spiel im Kampf
erzieht zur Beherrschung der Leidenschaft. Die Tatsache, daß auch solche Völker wie die
Batak Sinn haben für dergleichen Spiele, ist wohl dazu angetan, sie unserem Verständnis
und unserem Herzen näher zu bringen.
4 Haessler-Archiv.
RUINEN, HÖHLEN UND GRÄBER-
FUNDE IN DER ÖSTLICHEN
SIERRA DE LA MIXT EGA
VON
C. A. PURPÜS, ZACUAPAM (CANTON HUATUSCO, VERACRUZ).
MIT ANMERKUNGEN VON EDUARD SELER
Wenn man von Tehuacan aus, einer kleinen Stadt im südlichen Teile des Staates
Puebla, den Blick nach Südwesten richtet, so sieht man eine Kette domförmig gewölbter
Berggipfel, die sich über die breite, nach Süden sich abdachende Talfläche erheben, in der
die Bahnlinie von Puebla nach Oaxaca führt. Diese Bergkette, die in ihren Gipfeln, dem
Cerro de Paxtla und dem Cerro de Santa Lucia, zu der ansehnlichen Höhe von 3000m
ansteigt, ist der östliche Ausläufer der Sierra de la Mixteca, die im Westen mit der
Sierra Madre del Sur zusammenhängt, wo noch höhere Bergspitzen aufragen, die dort die
Grenze zwischen den Staaten Puebla und Oaxaca bilden. Es ist ein Kalkgebirge. Die Ab-
hänge sind in ihrem unteren Teile mit niedrigem Buschwerke, mit riesigen Säulenkaktussen,
Agaven usw. bedeckt, während auf den Gipfeln Eichen, Palmen und baumartige Liliaceen
kleine Bestände bilden.
Zu dem Kamme dieses Gebirges, und zwar zu dem oben genannten Cerro de Paxtla,
führen mehrere Gebirgspfade in vielen Windungen empor. Auf der Westseite absteigend,
gelangt man zu einigen kleinen Indianerdörfern, in denen ich mich vor einiger Zeit mehrere
Jahre hintereinander vier bis fünf Monate aufhielt, um die Flora des Gebirges, die noch ganz
unbekannt war, kennen zu lernen und zu erforschen.
Die Dörfer führen mexikanische Namen — San Luis Tultitlanapan, San Luis
Atolotitlan, Coatepec, Caltepec, Tlacuiloltepec1. Die Bewohner aber sind
Popoloca, d. h. „Fremdsprachliche Barbaren“, die eine von der mexikanischen grund-
verschiedene Sprache reden. Sie selbst nennen sich Chuchon, und ihre Sprache wird als der
der Zapoteken und Mixteken verwandt betrachtet. Sie bewohnen noch jetzt die genannte
Sierra, untermischt mit Mixteken und mit Spanisch redenden Mischlingen, sollen aber in
alter Zeit über Tehuacan und Tecamachalco bis an den Fuß des Cerro de laMalinche,
des alten, heiligen, der Wassergöttin Matlalcueye geweihten Berges verbreitet gewesen
sein. Zur Zeit des Cortes sollen ihrer in der Sierra de la Mixteca 30000 Seelen gezählt worden
sein. Und daß diese Angabe ungefähr der Wahrheit entspricht, ergibt sich aus der Menge der
Ruinen, der Reste alter Wohnstätten und der höchst intensiven Bodenkultur in diesem
Gebirge, wie wir später sehen werden.
1 Tultitlanapan „zwischen den Binsen, am Wasser“; Hausberge“; Tlacuiloltepec „am bemalten Berge“.
Atolotitlan „wo das Wasser verschluckt wird“; Seler.
Coatepec „am Schlangenberge“; Caltepec „am
RUINEN, HÖHLEN UND GRÄBERFUNDE
51
Popoloca und Mixteken standen unter der Botmäßigkeit der herrschenden Rasse, der
Mexikaner, die aber im allgemeinen die eingeborenen Häuptlinge das Land verwalten
ließen und sie nur zur Tributzahlung und gegebenenfalls zur Dienstleistung verpflichteten.
Ein solcher Häuptling aus dem Königsgeschlecht der Popoloca, Namens Xopanatzin,1
Sohn und Nachfolger eines Mannes, für den der Name Xhapotl2 angegeben wird, hauste
zur Zeit der spanischen Eroberung mit seinen Kriegern und deren Familien auf einem sehr
steilen und schwer zugänglichen Felsberge, der stark befestigt war. Dieser Berg, Cuta
genannt, erhebt sich zwischen Tehuacan und dem großen Dorfe Zapotitlanlas Salinas,
und der Weg in die eigentliche Mixteca führt an seinem Fuße vorbei. In einer Familien-
chronik der Familie Pacheco, die zum Teil noch heute in Zapotitlan ansässig ist und deren
Mitglieder die direkten Nachkommen dieses Königssohnes der Popoloca sind, heißt es, daß
dieser „muy valiente“ (sehr tapfer) gewesen sei und sich mit Erfolg gegen seine Feinde, die
„Tehuanes“3 behauptet habe. Als die spanischen Eroberer in diese Gegend kamen, unter-
warf sich der Häuptling Xopanatzin den Spaniern. Er wurde getauft. Auf Geheiß der
Mönche verließ er die Feste Cuta und siedelte sich mit seinen Kriegern in dem oben genann-
ten Dorfe Zapotitlan an, in dessen Namen sich der Name seines Vaters Xhapotl
erhalten hat.4
Auf der Spitze des Cerro de Cuta befinden sich, wie mir von glaubwürdigen Leuten
versichert wird, ausgedehnte Ruinen von Befestigungen, Wohnungen und wohl auch von
Tempeln, sowie ein unterirdisches Gemach, das vielleicht die Kultstätte einer bestimmten
Gottheit war. Der Pfad über das Gebirge nach San Luis Tultitlanapan führt eitle kurze
Strecke am Fuße des Berges Cuta entlang. Ich habe diesen Weg mehrmals gemacht, fand
aber niemals Zeit, den Berg zu besteigen und die Ruinen zu besichtigen. Dagegen habe ich
mehrmals die Ruinen einer andern Tempelfestung derselben Gegend besucht, die auf einem
steilen Felsberge, der isoliert über das Tal emporsteigt, sich erheben. Der Berg ist bei den
Eingeborenen unter dem Namen Cerro de! Castillo „Schloßberg“ bekannt, d. h. es ist ein
Berg, der von Tempelpyramiden gekrönt ist, denn diese sind es in der Regel, die heute mit
den Namen Castillo „Schloß“, „Festung“ bezeichnet werden.
Meine erste botanische Exkursion, die ich von San Luis Tultitlanapan aus unternahm,
galt dem botanisch sehr interessanten Cerro de Paxtla. Auf dem Rückwege, der uns an
einer andern Seite des Berges hinabführte, machten mich meine Begleiter Vicente und Luis
Franco auf eine Bergspitze aufmerksam, die sich steil und ganz isoliert über einer engen
Talschlucht erhob. Sie nannten diese ebenfalls Cerro del Castillo de Coatepec und
sagten mir, daß sich auf der Spitze dieses Berges eine Pyramide, Tempelruinen und Ruinen
von Wohnungen befänden, und in der Tat konnte ich mit meinem Feldstecher sehr deutlich
eine Pyramide bemerken. Ich beschloß, an einem der folgenden Tage den Berg zu besteigen.
An einem sonnigen Maimorgen brach ich mit meinen oben erwähnten Begleitern von San
Luis Tultitlanapan auf, und nach einem zweistündigen Marsch gelangten wir an den Fuß
des Berges, von wo aus ein steiler Pfad auf den Gipfel führte.
Als wir die Spitze der Fels kuppe beinahe erreicht hatten, stießen wir auf eine kyklo-
pische Mauer von gewaltiger Dicke, die den Eingang in die Tempelfestung beschützte, und
die wir überklettern mußten. Dahinter befand sich, nur wenige Schritte von der Mauer
entfernt, eine Vertiefung im Felsen, die zum Teil ausgemauert und mit einer Mauer umgeben
war, die vielleicht als Wasserbehälter gedient hat. In der Nähe erhoben sich die Reste
1 mexik. — „Señor Agua de Verano“, Sommerwasser,
Sommerbach. Seler.
2 lies Tzapotl, mexik. Name einer bekannten Frucht,-
von dem auch der Ortsname Zapotitlan, eig. Tzapo-
titlan, sich ableitet. Seler.
3 Mit den Namen Tehuano (mase.) und Tehuana (fern.)
bezeichnet man heute die Bewohner der Gegend von
Tehuantepec. Unter den Tehuanes der Chronik von
Zapotitlan sind aber wohl die Bewohner der benach-
barten Stadt fehuacan, eig. Teouacan (mexik.—
„Priesterort“) zu verstehen. Seler.
4 Siehe Anm. 2.
4*
52
C. A. PURPUS
mehrerer Wohnungen, aus ander Sonne getrockneten Lehmziegeln errichtet. Hinter c&psün
folgten wieder eine dicke kyklopische Mauer und andere Mauerreste. Und dahinter^ndlich
erblickte man die noch ziemlich gut erhaltene Stufenpyramide, die noch etwa 20—30 Fuß
Abb. 1. Totenkopf,, aus Stein gehauen. Große Zuckerhutsteine vom Gerro del Castillo
de Coatepec, kleine vom Gerro de Xantile.
hoch sein mochte. Um das aus riesigen Quadersteinen errichtete Mauerwerk und am Fuße
der Pyramide war der Boden geradezu übersät mit größeren und kleineren zuckerhut-
förmigen Werkstücken aus weißem Tuffgestein, dazwischen lagen zwei längliche Werk-
stücke aus demselben Tuffgestein, die an dem vorderen breiten Ende einen Totenkopf aüs-
gemeißelt hatten (Abb.i).1 Auch zerbrochene Säulen, behauene Quadersteine bedeckten die
1 Die „zuckerhutförmigen Werkstücke aus Tuffgestein“
sind die Elemente, mit denen an dem Friese von
Tempeln und andern Gebäuden das Bild eines Stern-
himmels zur Anschauung gebracht wurde. In den Bilder-
schriften wird der Sternhimmel bekanntlich durch
Augen auf dunklem Grunde veranschaulicht. Um dies
in der Architektur in plastischer Weise zum Ausdruck
zu bringen, wurden die oben genannten konischen oder
„zuckerhutförmigen“ Werkstücke mit dem spitzen,
zapfenartigen Ende in einen Mörtelgrund eingesetzt,
so daß sie mit dem vorderen, halbkugligen Ende sich
über den Mörtelgrund emporwölbten. Der Mörtelgrund,
dunkel gemalt, stellte den dunklen Himmel dar. Die
halbkuglig sich emporwölbenden Enden der konischen
Werkstücke wurden weiß oder mit der bekannten
Zeichnung des Auges bemalt und bezeichneten die
Sterne. Ein solcher Sternhimmelfries ist noch an der
großen Palastmauer vonHuexotla im Tale von Mexico
zu sehen. Von den konischen Werkstücken, mit denen er
hergestellt ist, habe ich einige, die herabgefallen waren,
dem Berliner Museum für Völkerkunde überwiesen. Die
oben beschriebenen und in der Abb. 1 wiedergegebenen
länglichen Werkstücke, die an dem vorderen, breiten,
halbkugligen Ende einen Totenkopf ausgearbeitet haben,
sind nur Varianten der einfachen „zuckerhutförmigen“
Werkstücke. Sie wurden in gewissen Abständen
zwischen den andern, mit der Zeichnung eines Auges
versehenen in den Mörtelgrund eingesetzt, — wie man
das an Abbildungen des Sakrariums Uitzilopochtlis
auf der großen Tempelpyramide von Mexico sehen kann,
und waren zweifellos in der Auffassung der alten Mexi-
kaner nur eine Variante des Sternauges oder Sterns.
Denn die Toten, insbesondere die Seelen der gefallenen
oder auf dem Opfersteine geopferten Krieger, das waren
ja die Sterne, die vom Himmel herabsahen. Solche halb-
kugligen Steinschädel mit einem hinteren verlängerten
zapfenartigen Ende sind in Mengen neben den einfachen
konischen oder „zuckerhutförmigen“ Werkstücken bei
den Ausgrabungen in der Calle de las Escalerillas
in Mexico gefunden worden, ohne Zweifel von den Ge-
bäuden des großen Tempels in Mexico herrührend. Vgl.
darüber meine „Ges. Abhandl.“ II S. 894. — Nur
das eine der beiden „zuckerhutförmigen“ Werkstücke,
die in der Abbildung I wiedergegeben sind, das größere
der beiden, stammt von dem oben beschriebenen
Cerro delCastillo. Das andere, kleinere der beiden
ist auf dem Cerro del Xantile gefunden worden, der
weiter unten erwähnt und beschrieben wird. Seler.
RUINEN, HÖHLEN UND GRÄBERFUNDE
Umgebung der Pyramide. Ebenso Massen von Topfscherben grober Arbeit und Stücke von
Obsidianmessern, wie man sie überall an Stellen alter Wohnstätten in Mengen findet. Auf
einer Anhöhe fanden sich auch einige Perlen aus Marmorgestein, die zu einer Halskette
gehört hatten.
Der zweite Cerrodel Castillo — der der Gegend von Zapotitlan — ist ebenso isoliert
und von der Natur an drei Seiten durch Felswände und sehr steil abfallende Abhänge gegen
Überfälle geschützt. Ich besuchte diesen Berg einige Tage, nachdem ich von dem oben be-
Abb. 2. Ruinen am Cerro del Castillo bei Zapotitlan.
schricbencn Berge zurückgekommen war, und später noch mehrmals, um die Ruinen genauer
zu studieren und photographische Aufnahmen zu machen. Auch an diesem Berge ging es sehr
steil bergan. Ehe wir die eigentliche Tempelfestung erreichten, stießen wir auf Mauerreste
von Wohnungen. Dann kamen wir zu einer riesigen, zum größten Teile eingestürzten kyklo-
pischen Mauer (Abb. 2), die die ganze Anlage umgibt. Hat man diese Mauer überklettert, so
kommt man zu einer zweiten. In ihr befindet sicli ein Tor, zu dem mehrere Stufen hinauf-
führen. Danach betritt man einen ebenen Platz und steht vor einer noch gut erhaltenen, bis
etwa 20 Fuß hohen Stufenpyramide, die aus weißen, gut behauenen Kalksteinen aufgeführt
ist. Eine wohlerhaltcne Treppe führt an der Nordseite zur oberen Plattform, auf der
Schatzgräber bereits ihr Zerstörungswerk begonnen hatten. Nach Westen ist die Pyramide
von einem Aufbau flankiert, der augenscheinlich zum Tempel gehörte, während sich an
ihrem Fuße zwei quadratische, stark vom Zahne der Zeit mitgenommene Mauer-
rcstc erhoben, deren Bedeutung zweifelhaft bleibt.1 Dicht daneben lagen natürliche
Basaltsäulen von über 1,50 m Länge und bedeutendem Gewichte. Da das Gebirge sich
aus weißem Kalksteine aufbaut, so müssen diese Säulen von weither auf den Berg ge-
schafft worden sein. -— Nordwärts von der Pyramide folgte wieder eine starke kyklopische
tung, die das Ballspiel hatte, Zusammenhängen oder
vielleicht auch nur aus dem Wunsche hervorgegangen
sein, Licht und Sonne zwischen den beiden Parteien in
gleicher Weise zu verteilen. Seler.
1 Da der Tempel seine Fassade nach Norden hat, so sind
diese beiden Mauerreste vielleicht als die Seitenwälle
eines Ballspielplatzes (tlachtli) zu deuten. Denn diese
Ballspielplätze sind immer in ihrer Längsrichtung nord-
südlich orientiert. Das mag mit der religiösen Bedeu-
1
54
C. A. PURPUS
Mauer, dahinter Reste von Wohnungen und ein riesiger Steinhaufen, an dessen Fuße sich
wieder eine ebene Fläche ausbreitete. Hier wurden kleine,- schön geschliffene Stücke von
Türkisen, Pfeilspitzen aus Obsidian, Tonscherben und einige wenige Perlen aus Nephrit und
Jadeit gefunden. An den Rändern dieser Fläche schauten quadratisch zusammengestellte
Steine hervor. Diese erwiesen sich als Gräber. Sie enthielten Reste von vermutlich in hocken-
der Stellung bestatteten Toten und Schüsselchen aus schwarzem Ton ohne Bemalung und
Verzierung, aber von guter Arbeit. Schmuckgegenstände, Perlen, Amulette u. dgl. fanden sich
nicht vor. Auch innerhalb der ersten Ringmauer stießen wir auf Gräber des nämlichen
Inhalts. Die ganze Anlage und die Abhänge waren mit Unmassen von Tonscherben bedeckt,
allerdings meist gröberer Art, nur wenige von feiner Arbeit und mit Malereien versehen. Cha-
rakteristisch waren auch Kugeln aus Arragonit, einer Gesteinsart, die in der Nähe ansteht.
Aus demselben Gestein fanden sich auch Stücke von Reibschalen vor.
In der Folge besuchte ich noch eine ganze Anzahl Bergspitzen in der Umgebung von
San Luis Tultitlanapan. Ich fand überall Spuren der Ureinwohner, Mauerreste, große Stein-
haufen, aber keine Tempel. Auf einem der Berge westlich von San Luis sahen wir einen Erd-
haufen, von Steinen umgeben, in dessen Mitte sich ein Haufe lose übereinander getürm-
ter Steine erhob. Beim Aufkratzen des Erdreichs kamen kleine Stückchen geschliffenen
Türkises und Steinperlen zum Vorschein. Die Türkisstückchen stammten vielleicht von mit
Mosaik inkrustierten Schilden. Solche Schilde befinden sich in meiner Sammlung eine ganze
Anzahl, darunter einer, der in einer Höhle gefunden wurde, vorzüglich erhalten.1 In dem
Haufen loser Steine wurden Steinperlen und daneben Knochen von Truthühnern gefunden.
Truthühner wurden von den verschiedenen Stämmen, nachdem man ihnen den Kopf mit
Dornen durchstochen hatte, den Göttern geopfert. In der Nähe des erwähnten Erdhaufens
wurde noch ein Grab entdeckt, ein anderes am Abhange des Berges. Bei der stark ver-
moderten Leiche fanden sich kleine Henkelkrüge aus schwarzem Ton ohne Glasur und ohne
Bemalung. Ein Grab enthielt die Überreste eines Kindes, die in einer großen tönernen Olla
beigesetzt worden waren. Schmuckstücke, Perlen oder dgl. fanden sich nicht.
Dicht bei den Dörfern San Luis Tultitlanapan und S. Luis Atolotitlan erhebt sich ein
höherer Berg mit sanft gewölbter Spitze. Er wird Cerro de Matzitzi genannt. Matzitzi
ist der einheimische Name für die Blüten der Liliacee Dasylirion, die als Gemüse gegessen
werden. Auf der Spitze dieses Berges befindet sich eine zerfallene Pyramide, von einer
Kyklopenmauer umgeben. Oben fanden wir kleine Stücke von Türkisen und Steinperlen,
und der Abhang war übersät mit Tonscherben, Obsidianmessern und Bruchstücken von
Mahlsteinen. In einer Höhle, auf die wir stießen, fingen wir an nachzugraben. In den oberen
Schichten fanden sich eine Menge Perlen aus grünem Stein und mehrere kleine Idole aus
Jadeit, tiefer unten einige. Knochenreste und zwei Figurengefäße aus rotem Ton. Bei dem
einen waren die Augen mit Ringen umgeben. Die Figur stellte also vermutlich ein Abbild
des Regengottes Tlaloc dar. Scherbenstückchen mit verbranntem Weihrauch ließen er-
kennen, daß hier noch bis in die jüngste Zeit den Göttern des Berges in alter heidnischer Art
geopfert worden war.
Ähnliche Verhältnisse zeigte die alte Ansiedelung bei dem Dorfe Santa Catarina,
an dem Südfuße des Cerro de Paxtla. Wir fanden dort zwei Gräber, die äußerlich durch
aufrecht eingepflanzte Steine gekennzeichnet waren. In dem einen fand sich eine sitzende
Figur aus Ton, die in der Abbildung 3 in der Mitte der Gruppe wiedergegeben ist. Sie ist
1 Der erwähnte Schild befindet sich jetzt im Museum of
the American Indian Heye Foundation. Vgl. Marshall
H. Saville, Turquois Mosaic Art in Ancient Mexico,
i. Contributions from the Museum Vol. VI Titelbild und
Taf. 22, S. 71—75. Über die Fundorte der Sammlung
Purpus ebenda S. 47, 63. Der Schild ist beschrieben
von Eduard Seler, Ges. Abhandl. IV (Berlin 1923)
S. '371—38!.
RUINEN, HÖHLEN UND GRÄBERFUNDE
55
von dem bekannten Typus der bemalten Tonfiguren von Cozcatlan und Teotitlan del
camino.1
Auf dem Rückwege von dieser Ruinenstätte passierten wir dieBarranca de Tlacuil-
ostoc (mexikanisch = „an der bemalten Höhle“). An einer hohen Felswand kommt dort
eine kleine Quelle heraus. Und unmittelbar darüber, in unerreichbarer Höhe, sieht man
Abb. 3. Links Krüge aus Acatepec; Idole aus Sta. Catarina; Lanze von Ixcatlan.
Zeichen (Quadrate, Punkte, Kreise u. a. m.) mit blauer Farbe auf die Felswand gemalt,
sowie auch Abdrücke einer Hand in derselben blauen Farbe.
An einem der nächsten Tage führte mich eine botanische Exkursion nach einem isolier-
ten Hügel, Cerro del Venado genannt. Auf der Spitze trafen wir mehrere kleine Stein-
haufen, von einer kyklopischen Mauer umgeben. Unter den Steinhaufen kamen Knochen
und Eierschalen von Truthühnern und der Stumpf einer Wachskerze mit hölzernem Docht
zum Vorschein, offenbar Zeichen modernen heidnischen Kults. — Unterhalb des Gipfels
konnten wir ein kleines Plateau fcststellen, das von Steinen eingefaßt war, ähnlich dem am
Cerro del Castillo. Hier fanden sich Jadeitperlen, Türkisstückchen und eine Unmasse von
Scherben, aber keine Gräber.
Von der Barranca de Tlacuilostoc aus unternahm ich eine andere Exkursion nach der
Barranca de Chiltepin, die sich am südlichen Fuße des Cerro de Santa Lucia öffnet
und in die Talspalte des Rio Santa Lucia mündet. An einer kleinen salzhaltigen Quelle
schlug ich mein Lager für einige Tage auf. Gegen Norden erhoben sich mächtige Felswände,
unter denen steile, mit riesigen Säulenkaktussen bestandene Abhänge sich hinzogen. Unter-
halb der Felswände fanden wir Reste von Steinbauten, die auf Plattformen errichtet waren.
Die Felswände selbst waren überall, wo eine glatte Fläche sich bot, an fast unzugänglich
scheinenden Stellen mit Malereien von Schlangen, Kreisen usw. bedeckt. Auf einer Anhöhe
Die Krüge mit Ausgußrohren stammen aus Acatepec.
Interessant sind auf der linken Seite die mit nach außen
umgeschlagenem, in Form von Stufen oder Zinnen
ausgearbeitetem Rande. Ich kenne solche aus der Ge-
gend von Huexotzinco und aus Chalchicomula. Sie sind
weiß bemalt, mit roter Linienverzierung, und sind offen-
bar Gefäße, die für den Kult der Regengötter bestimmt
waren. Denn die Stufen oder Zinnen bedeuten Wolken.
Seler.
56
C. A. PURPUS
oberhalb der Quelle stießen wir auf Gräber. Die Schädel der hier Bestatteten waren mit
Scherben von großen Tongefäßen roher Arbeit bedeckt.
Südlich von dem kleinen Dorfe Caltepec erhebt sich ein Berg, der Coatepe „Schlangen-
berg“ genannt wird, — ein Name, mit dem die Indianer auch einen kleinen Baum, die
E ysenhar dtia a morphoides H. B. K., bezeichnen. Der Berg fällt nach zwei Seiten ziem-
lich steil ab, auf der Westseite nach einem kleinen Bache, der Rio Hondo genannt wird.
In der Mitte des Berges streicht ein Felsgrat von Süd nach Nord. An der westlichen Seite
dieses Grates zieht sich eine kyklopische Mauer hin, und unterhalb dieser stießen wir auf
Steinhaufen, Reste von Wohnungen. Der Boden war mit Tonscherben, Massen von Obsidian-
splittern und kleinen Stücken von Grünstein (Diorit) bedeckt. Meine Begleiter sprachen die
Ansicht aus, daß hier eine Werkstätte für die Anfertigung von Pfeilspitzen und Steinbeilen
sich befunden habe.
Im Osten des Dorfes Caltepec ragt eine sehr steile Trachyt- und Basaltkuppe
empor, die, durch hohe Felswände geschützt, eine natürliche Festung darstellt. Der Berg
wird Cerro delTambor genannt. In seiner Mitte erhebt sich ein riesiger Steinhaufen, aus
lose übereinander geschichteten Steinen aufgebaut. Auch hier waren Reste von Wohnungen
vorhanden, Massen von Tonscherben, zum Teil von feiner Arbeit, und ein Mahlstein (metlatl)
mit der zugehörigen Handwalze (metlapil).
Unterhalb Caltepec entspringt der oben genannte Rio Hondo und vereinigt sich bald
darauf mit dem Rio de San Francisco, der aus einer hohen Bergkette an der Grenze der
Staaten Puebla und Oaxaca hervorbricht. Der vereinigte Fluß wird weiter unten Rio de
Santa Lucia genannt. Er bildet an vielen Stellen die Grenze zwischen den Staaten Puebla
und Oaxaca. Längs dieses Baches stößt man an, vielen Stellen auf Reste von Wohnungen,
Steinhaufen, Grabstätten. Alles spricht dafür, daß diese Gegend ehemals dicht bevölkert war.
Von diesem Flusse aus machten wir eine Tour nach dem Rancho Los Naranjos, der
schon zum Staate Oaxaca gehört. Er liegt an einer Quelle, wo sich ehemals ein Nonnen-
kloster befand. Östlich von diesem Rancho erhebt sich ein steiler Berg, dessen Spitze fast
unzugänglich erscheint, der Cerro delMuerto. An diesen schließt sich nach Westen der
sogenannte CerrodelPotrero, ein Trachyt- und Basaltberg, der nach mehreren Seiten hin
mit fast senkrechten Felswänden abstürzt, auf dessen Kuppe sich aber eine ziemlich aus-
gedehnte ebene Fläche befindet. Wir bestiegen diesen Berg; ziemlich in der Mitte der ebenen
Fläche kamen wir zu zwei großen Steinhaufen, um die sich eine halbzerfallene Mauer zog.
Am Fuße der Steinhaufen lagen schön behauene Säulen und Quadersteine aus Tuffgestein,
von Sträuchern überwachsen. Auch Grundmauern von Wohnungen fanden sich vor. Als
wir die Umgebung des größeren dieser beiden Steinhaufen untersuchten, kamen an den Seiten
der Pyramide, unter Steinen halb versteckt, zwei roh aus Lavagestein gearbeitete Idole
von ansehnlicher Größe zum Vorschein. Auf der Spitze des Steinhaufens selbst lag, unter
Steinen verborgen, ein großes Seeschneckengehäuse, wie es als Blasinstrument von den
Alten verwendet wurde. Später fanden sich in der Anlage noch acht solcher Stücke. Die
meisten waren an einer Seite von einem Loch durchbohrt. An der Südseite des Steinhaufens
fiel eine mit großen Steinen eingefriedigte Stelle in die Augen. Beim Aufgraben wurden
schon in den oberflächlichen Schichten schön geschliffene Perlen und zwei Schmuckscheiben
aus Jadeit gefunden. Beide waren mit Löchern zum Anhängen versehen. Auf der einen waren
verschiedene Kreise, auf der andern vier Rinnen in Kreuzform eingeschliffen. Weiter wurde
ein kleines Idol gefunden, mit spitzkegelförmiger Mütze und großen Glotzaugen, das hinten
ebenfalls zwei Löcher zum Durchziehen einer Schnur hatte. Sodann eine kleine Reibschale
aus Lava und zwei zuckerhutförmige Objekte aus Lava, die innen ausgehöhlt und außen
mit Rinnen versehen waren, die in Dreieckform ausliefen. Schädel und Skelettreste, wie es
scheint von zwei Personen, einem Manne und einer Frau, wurden gefunden. Die Felswände
B5I
■■'?—
RUINEN, HÖHLEN UND GRÄBERFUNDE
57
dieses Berges waren an glatten Stellen überall mit eingravierten Zeichen bedeckt, unter
denen ich auch Kreuze von derselben Form wie das christliche Kreuz entdeckte.
Auch in der näheren Umgebung von Los Naranjos wurden überall auf den Hügeln
Reste von Wohnstätten gefunden und Tonscherben, zum Teil mit eingeritzten Ornamenten,
zum Teil bemalt. An den Wänden ausgewaschener Erdrisse stießen wir auf Löcher, in denen
Abb. 4. Pyramide auf dem Cerro de Xantile (Sierra de Mixteca, Oaxaca).
übereinander gepackte Steine sich befanden, darunter hauptsächlich Schädclreste und
kleine Schüsseln aus rötlichem Ton, die auf der Innenseite mit Spiralen, Strichen, schief ver-
laufenden Linien in roter Farbe bemalt waren.
Auf dem Rückwege nach San Luis Tultitlanapan besuchten wir noch einen andern Berg,
den Cerro de Coscomatc.1 Er liegt ebenfalls noch innerhalb der Grenzen des Staates
Oaxaca, Er wird im Westen und Norden von niedrigeren Bergen flankiert, die nach dem
oben genannten Rio de Santa Lucia abfallcn, gegen Osten aber wird er von dem viel höheren
Cerro de Plumas überragt. Nach Süden hängt dieser Berg mit andern zusammen, und auf
dieser Seite sperrt eine große kyklopischc Mauer den Zugang zu der Anlage, die sich hier einst
fand, und deren Reste, aus Steinhaufen, Erdhaufen und Grundmauern von Wohnungen
bestehend, über eine weite ebne Fläche auf der Spitze des Berges sich ausdehnen. Der zu
dieser Ansiedelung gehörige Tempel scheint auf einem schwerzugänglichen Felsgrate des
Cerro de Plumas seine Stelle gehabt zu haben. Wenigstens sagten mir meine Begleiter,
daß sich dort ein „Fortin de los antiguos“ befände. Und in der Tat konnte man von unserer
Stelle aus die Ruinen dieses Fortins, einer mittelalterlichen Ritterburg gleich, über den
steilen Felsen emporragen sehen.
Eine der interessantesten Ruinen dieser ganzen Sierra ist der sogenannte Cerro de
Xantile,2 unweit vom Rancho Tlacuiloltepec. Der Berg besitzt, was man, wenn man ihn
von unten sieht, kaum vermuten möchte, auf seiner Spitze eine schöne, ziemlich große ebne
Fläche. Hier fällt zunächst ein pyramidenartiger Bau in die Augen, der sich in der Mitte des
Plateaus erhebt (Abb. 4). Dieser Aufbau fällt nach Norden in einer glatten Wand ab, die aus
1 Richtiger cuezcomatl (mexik. = „Maisscheuer“). 2 Eigentlich Cerro del Gentil oder Cerro de los
Seler. Gentiles, d. h. „Heidenberg“. Seler.
58
C. A. PüRPUS
schön behauenen weißen Quadersteinen besteht (Abb. 5), die man von weit her auf diesen
Berg geschleppt haben muß, denn der Berg selbst besteht aus vulkanischem Gestein. In der
Mitte dieser glatten Wand befindet sich eine Nische, die wie eine Tür aussieht. Leider haben
auch hier schon die Schatzgräber ihr Werk der Zerstörung begonnen. Um diesen pyramiden-
artigen Aufbau herum war der Boden buchstäblich bedeckt mit zerbrochenen vierkantigen
Abb. 5. Tempelrainen auf dem Cerro de Xantile, Sierra de Mixteca.
Pfeilern, großen scheibenförmigen Steinen1 und Quadern, alle aus weißem Tuff-
gestein gehauen. Die Scheiben waren vielleicht zu Säulen zusammengefügt gewesen.2 Zu
meiner Überraschung fand ich hier auch die zuckerhutförmigen Steine aus rotem und weißem
Tuff wieder, die ich vorher auf dem Cerro del Castillo bei Coatepec gesehen hatte (vgl.
oben S. 52, Abb. 1 und Anm. 1). Der Boden, auf dem die Ruine stand, war mit einer dicken
Mörtelschicht bedeckt. Wenn man die Erde ein wenig auf kratzte, kam diese Schicht überall
zum Vorschein, Uber die ganze Anlage waren Unmassen von Tonscherben zerstreut, da-
runter viele von sehr schöner Arbeit, glänzend und mit zierlichen, fein ausgeführten Malereien
bedeckt. Auch in dieser Ruine fand ich einen quadratischen Aufbau, Zwei Steinhaufen,
die sich auf dem östlichen Vorsprung des Berges befanden, mögen auch Pyramiden gewesen
sein, die jetzt zerfallen sind. Die ganze Anlage war von einer Mauer umgeben, die da am stärk-
sten war, wo der Zugang am leichtesten war. Nach Süden war die alte Ansiedelung durch
steil abfallende Felswände von der Natur geschützt.
Auf der Westseite des Berges stieß ich auf gut erhaltenes Mauerwerk, und der Boden
war auch hier überall mit einer dicken Mörtelschicht bedeckt. Daneben fanden sich große
Aschenhaufen, wie ich solche auch an der Westseite des großen Tempels in der Mitte des
Plateaus gesehen hatte. Ausgrabungen in den Aschenhaufen neben dem Mauerwerk der
Westseite des Berges ergaben nur Scherben von großen Töpfen gewöhnlicher Arbeit, Küchen-
geschirr usw. An der Westseite des großen Tempels aber kamen, in die Asche eingebettet,
eine große Menge feingeglätteter und bemalter Scherben zum Vorschein, Köpfe allegorischer
1 Siehe die Abb. bei Eduard Seler, Ges. Abhandl. IV
S. 369 Abb. 6.
2 Das kann man in der Tat noch heute in den Ruinen von
M a y a p a n und A k e in situ sehen, wo die großen Säulen,
die das Dachgebälk trugen, in dieser Weise aus Stein-
scheiben aufgebaut sind. Seler.
RUINEN, HÖHLEN UND GRÄBERFUNDE
59
Tiere (Adler u. a.), Schlangenköpfe, Gefäßfüße, der Kopf eines kleinen Idols, das zur Ver-
zierung eines Gefäßes gedient hatte, Hautstempel aus gebranntem Ton, knöcherne Nadeln,
Obsidianmesser, Schmuckstücke aus Perlmutter u. a. m.
Auch der Abhang des Berges, wo sich eine kyklopische Mauer über der andern erhob,
war an manchen Stellen ganz von solchen Scherben bedeckt. Einige waren mit eingeritzten
Figuren bedeckt, die meisten
aber mit Malereien verziert,
Zickzacklinien, Arabesken, Qua-
draten usw., in roter, gelber,
schwarzer und brauner Farbe
aufgetragen.
In der Umgebung des Cerro
de Xantile, besonders an der
Westseite des Berges, trifft man
viele Mauerreste von Wohnun-
gen; die kyklopischen Mauern
an den Abhängen des Berges
stützten Terrassen, die jeden-
falls seinerZcit zum Anbau von
Mais und Bohnen gedient hat-
ten, die die Hauptnahrung des
Volkes bildeten. Solche Terras-
sen finden sich überall, bis zu den
höchsten Bergspitzen der Sierra.
Und wo in Vertiefungen Regen-
wasser hcrabkam, da finden sich
Steindämme, das spärliche Naß
aufzufangen und auf die Felder
zu tragen. Man trifft solche
Dämme in dem westlichen Teile des Gebirges in Menge, und man muß staunen, wie die
Alten es verstanden, die Mauern ohne Mörtel so zu errichten, daß sie nicht weggeschwemmt
wurden.
Von Tlacuiloltepec aus unternahm ich auch eine Tour nach dem Cerro de las Ollas,
dem ,,Berge der Töpfe“, von dem meine Begleiter mir erzählten, daß sich dort große Töpfe
befänden, die an einer fast senkrechten Felswand in schwindelnder Höhe aufgestellt seien.
Als wir die Felswand erreicht hatten, sah ich in der Tat Riesentöpfe auf Vorsprüngen,
Bändern und in Vertiefungen aufgestellt. Mit meinem Feldstecher konnte ich etwa 17 solcher
Ollas bemerken, die meisten standen aufrecht. Einige waren umgestürzt und zerbrochen.
Leider hörte ich, daß inzwischen die Besitzerin des Terrains, eine reiche Frau inTehuacan,
die Töpfe hat herabnehmen lassen, aus reiner Habsucht, da sie Geld darin zu finden hoffte.
Sie enthielten aber, wie die Leute sagen, nichts. — In der Umgebung des Cerro de las Ollas
bemerkte ich überall Grundmauern von Wohnungen, von Mauern gestützte Terrassen-
anlagcn und Dämme in den Vertiefungen, um das Wasser aufzufangen. Jedes Fleckchen
Erde in dieser Gegend scheint von den alten Bewohnern in Kultur genommen worden zu sein.
In der unmittelbaren Nähe von Tlacuiloltepec unternahm ich einen Ausflug nach dem
Cerro de Serpente, einem steilen Basaltberge, der sich südlich von dem Rancho erhebt.
Es wurde mir gesagt, daß sich ,,Guaschuschtle“, d. h. Ruinen und Mauerwerk1, und ,,Muer-
Abb.6. Figur aus einem Grab am Cerro de Serpente bei Tlacuiloltepec, Puebla.
1 Das Wort ist mexikanisch und muß quaxochtli deutet einfach „Grenze“, „Grenzberg“, „Flurgrenze“,
(sprich: kwaschotschtli) geschrieben werden. Es be- Seler.
6o
C. A. PURPUS
tos“ (Tote) dort oben befänden. Ein steiler Pfad führt auf den Gipfel des Berges. Dort breitet
sich ein kleines Plateau aus, das mit einer Mauer umgeben war, und in dieser Umwallung
erhebt sich ein Steinhaufen. Auf dem Boden lagen große behauene Steine herum, die einer
andern Gesteinsart, als der des Berges, angehörten. Außer der ersten Mauer fand sich noch
eine zweite, die um den ganzen Berg herumlief. Eine Stelle am Rande des südlichen, steil
abfallenden Abhangs war durch große Steine markiert. Als ich nachgraben ließ, stießen
wir auf menschliche Überreste, die in einem Haufen beisammen lagen, vermischt mit Ton-
scherben. Beim Weitergraben kamen die Leute auf eine hohlklingende Stelle. Ich ließ vor-
sichtig weiter graben, und zu meiner Überraschung kam ein Götzenbild von sehr eigen-
artiger Arbeit, aus rotem Ton modelliert, zum Vorschein (Abb. 6). Leider war es zerbrochen,
aber das maskenartige Gesicht vortrefflich erhalten. Das Idol war auf einem quadratischen,
hohlen Unterbau mit untergeschlagenen Beinen sitzend dargestellt. Das Gesicht war mit
Spiralen und welligen Linien, die sich um Nase, Mund und Augen herumzogen, bedeckt.
Weitere Gräber fanden sich später an einer andern Stelle des Berges, die aber als Beigaben
nur roh geformte Tonschüsseln enthielten.
Auf einem andern Berge der Nachbarschaft von Tlacuiloltepec, Mogote lobo genannt,
fanden wir im wesentlichen dieselbe Anlage vor, wie auf dem Cerro de Serpente. An den
Anhängen deckten wir verschiedene Gräber auf, die aber nichts als Scherben von Gefäßen
und Idolen enthielten. In einem Grabe, das mit Quadersteinen ausgekleidet war, fanden
wir braungefleckte Seeschneckengehäuse, die durchbohrt waren, und ein kleines kelchartig
ausgehöhltes Idol aus Tuff.
Auf einem andern Berge, Cerro de Gavilan genannt, fanden wir die Kuppe mit
dicken kyklopischen Mauern umgeben. Auch schienen Wohnungen oben gewesen zu sein.
Sonst fand sich aber nichts von Altertümern vor, nur Pfeilspitzen aus Obsidian und Chalce-
don. Es scheint eine Zufluchtsstätte bei feindlichen Überfällen für die umwohnende Be-
völkerung gewesen zu sein.
Endlich machte ich von Tlacuiloltepec aus noch einen Ausflug nach einer Ruinenstätte,
die unter dem Namen Dos Padrones (,,zwei Pfeiler“) bekannt ist. Wir passierten mehrere
Barrancas, marschierten an steilen Abhängen dahin und erreichten gegen Abend die Hütte
eines „Palmero“, d. h. eines Mannes, der Wedel der Brahea-Palme abschneidet, aus denen
Matten, Stricke usw. gefertigt werden. Am andern Morgen brachen wir wieder auf. Der Weg
führte durch eine Schlucht, dann über mit dichtem Gestrüpp bedeckte Hügel. Nach ein-
stündiger Wanderung erreichten wir die Ruinen, die sich auf zwei Vorsprüngen über dem
oben schon erwähnten Rio San Francisco erhoben, beschattet von Ceiba- und Acacia-
Bäumen. Zuerst stießen wir auf Mauerreste von Wohnungen und betraten dann eine aus
Steinen erbaute Plattform, die von einer Kyklopenmauer umfriedigt war. Auf dieser Platt-
form erhob sich eine halbzerfallene Pyramide, aus großen Steinen und Mörtel aufgeführt.
Genau eine gleiche Plattform und eine gleiche Pyramide befanden sich auf dem benachbarten
Vorsprunge, In der Umgebung der Pyramiden fanden wir Steinbeile, Tonscherben und Mas-
sen von Obsidianstücken, sonst von archäologischen Gegenständen nichts, doch dürfte bei
Nachgrabungen noch manches zu Tage kommen.
Die schönsten und besten Stücke meiner Sammlung stammen aus Höhlen, deren es eine
ganze Anzahl in dieser Sierra gibt, und wo sie zufällig von Eingeborenen aufgefunden und
herausgebracht worden sind. Ich erwähne darunter Masken, aus Holz geschnitzt und mit
Mosaik von Türkisplättchen und andern Steinen usw. inkrustiert1; hölzerne Schilde, eben-
1 Abgebildet bei Seler, Ges. Abb. IV S. 364 Abb. 2 g—i und bei Savüle a. a. O. Taf. IX, XIII, XIV.
■—.-awn■
RUINEN, HÖHLEN UND GRÄBERFUNDE
6 I
falls mit Mosaik inkrustiert1, feine Halsketten aus Jadeitperlen und zwei Wurfbretter2, aus
hartem Holz geschnitzt und mit eingeschnittenen Figuren von Göttern und hieroglyphischen
Zeichen bedeckt. Diese Objekte fanden sich zusammen mit Fasern aus der Rinde der
„amate“ genannten Feigenart und mit kleinen Kopalkugeln, die in solches Faserwerk
eingcwickelt waren. (Der Feigenrindenbast, aus dem bekanntlich Papier für die Handschrif-
ten gemacht wurde, und der Kopal weisen darauf hin, daß es Priesterhandwerkzeug war,
das in den Höhlen versteckt war. Und so mögen auch die andern, eben genannten kostbareren
Objekte zur Priesterausrüstung gehört haben. Seler).
1 Vgl. vorher Anm. I, S. 54- the Museum of the American Indian Heye Foundation
2 Abgebildet bei Saville, The Wood-Carver’s Art in Vol. IX, Taf. I.
Ancient Mexico (New York 1925), i. Contributions from
Besprechungen und Büchereingänge
An dieser Stelle werden nach Möglichkeit die bei der Redaktion eingehenden Werke
und solche, welche dem staatlichen Museum für Völkerkunde in Berlin als Geschenk über-
wiesen werden, zur Besprechung resp. Anzeige kommen. Berücksichtigt werden nur Werke
und Abhandlungen aus dem Gebiet der Völkerkunde und den zu ihr gehörigenWissenschaften.
Die Redaktion.
Schmidthenner, Heinrich, Chinesische Landschaften und
Städte. Stuttgart, Strecker & Schröder, 1925.
304 Seiten, 58 Abbildungen auf Tafeln und 12 Karten.
Im Begriff nach zwölfjährigem. Aufenthalt in der
Heimat zum zweiten Mal nach China hinauszugehen,
läßt der als Geograph rühmlich bekannte Verfasser dieses
Buch erscheinen. In sechs von je 25 bis gegen 80 Seiten
starken Kapiteln behandelt er Peking und Umgebung,
das uns Deutschen ans Herz gewachsene Shantung, die
nordchinesische Tiefebene, die chinesische Lößland-
schaft, das Gebiet der Jangtse-Mündung und seine Städte
und schließlich Kanton, das Südtor Chinas (bis Wut-
schau), Hongkong und Macao. Ein ausführliches Namen-
und Sachregister sei rühmend besonders erwähnt.
Der von ausgezeichneten Photographien begleitete
klare und flüssige Text zeigt in allem, wie fest auf seiner
geographischen Grundlage stehend der Herr Verfasser
daran geht, uns den fernen Osten an den oben durch die
Kapitelüberschriften skizzierten Stellen zu zeigen. Eine
außerordentlich sympathische Einleitung gibt die Leit-
gedanken des ganzen Buches. Sehr richtig ist, wenn der
Verfasser sagt, daß im Geographischen unsere moderne
Ostasienliteratur, soweit sie dem breiten Lesepublikum
dienen kann, — außer für Japan — versagt. „Dies ist ein
großer Schaden, denn bei der Richtung unserer Zeit-
strömung auf das Geistige muß die fehlende geographische
Grundlage die Verschwommenheit und Körperlosigkeit
vieler Deutungen und Versuche ganz besonders hervor-
treten lassen.“ Es ist dem Herrn Verfasser durchaus
gelungen, das, was er selbst gesehen hat — und anderes
behandelt er nicht — zutreffend zu schildern und zu
vortrefflichen Charakterbildern von stellenweise geradezu
klassischer Plastik zusammenzufassen. Daß er weder
Chinesisch noch Japanisch spricht und liest, wie er mit
erfreulichem Freimut ausspricht, hat dem Buch keinen
Schaden1 getan, — ihn selbst aber vielleicht vor einer
ungeheueren Belastung bewahrt, die nicht jedem so
leicht tragbar ist, daß er trotzdem ein so prächtiges,
einfaches und doch durchweg fesselndes Buch zu schreiben
im Stande bleibt. Man kann dem Buche garnicht genug
Leser wünschen! —
F. M. Trautz.
S. 229, Zeile 10 v. unten muß es anstatt „Schriftsprache“
1 (die in China durchaus nicht fehlt), natürlich „Laut-
schrift“ heißen.
Waldschmidt, Dr. Ernst, Gandhara, Kutscha, Turfan.
Eine Einführung in die frühmittelalterliche Kunst
Zentralasiens. Leipzig: Klinkhardt & Biermann
1925. 115 S. mit 119 Abbild, u. Karten auf 66 Taf.
u. im Text. 8°.
Wie bekannt, wurden zwischen 1902 und 1914 von
Preußen vier wissenschaftliche Expeditionen nach
Chinesisch Turkestan gesandt. Die Leiter waren die
Direktoren der indischen Abteilung des Staatlichen
Museums für Völkerkunde in Berlin, Herr Geheimrat
Grünwedel und Herr Professor von Le Coq. Die jetzige
Neuaufstellung im Staatlichen Museum für Völkerkunde
bringt die Ergebnisse der archäologischen Forschungen
der sogen. Turfanexpeditionen dem größeren Publikum
zur Anschauung.
Zu begrüßen ist es, daß Waldschmidt gerade in
diesem Augenblick sein Werk über Gandhara, Kutscha,
Turfan erscheinen läßt. Der Verfasser wendet sich an-
weitere Kreise, um sie mit den Eindrücken jener Misch-
kunst hellenischer Formen und buddhistischer Religiosi-
tät, die in Mittelasien resp. Chinesisch Turkestan Ein-
gang gefunden hat, vertraut zu machen.
So ist Gandhara die Keimzelle für die Fortpflanzung
einer Kunst geworden, deren weitere Verbreitung für
Zentralasien von hoher Bedeutung wurde und welche
wir in den Funden von Kutscha und Turfan wieder-
spiegeln sehen.
Wir finden in Waldschmidt einen Interpreten für die
gesammelten Schätze der Turfanexpeditionen, wie wir
ihn uns nicht besser wünschen können. Mit ernstem
Fleiß ist er bemüht, uns die Psyche dieser archäolo-
gischen Ergebnisse an ausgewählten, zahlreichen Bei-
spielen in knapper und doch eingehender Form dar-
zustellen.
An der Kunst von Gandhara zeigt er uns, wie im
Wandel der Zeiten das Wesen dieser Kunst auf die
zentralasiatische Seele zu wirken vermochte. Das uns
zur Darstellung gegebene Material versinnbildlicht die
großzügige Linie von Gandhara, die der Verfasser lebendig
zu schildern weiß.
Niemand, der die Schätze der Turfanexpeditionen
im Staa:tl. Museum für Völkerkunde besichtigt, sollte es
versäumen, sich mit dem Werk von Waldschmidt be-
kannt zu machen.
Für den Laien, wie den ernsten Forscher, deren
Interesse sich auf zentralasiatische Kunst erstreckt, wird
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
Waldschmidt’s Gandhara-Werk zur schnelleren Orien-
tierung beitragen.
Wünschenswert scheint es mir, eine kommende Auf-
lage durch Erklärung einzelner indischer Fachausdrücke
für Laien zu erweitern, um diesen die Materie dadurch
vertrauter zu machen resp. ihrem Anpassungsvermögen
entgegenzukommen. Alfred Maaß_
Hintermann, Heinrich, Unter Indianern und Riesen-
schlangen. Zürich und Leipzig: Grethlein. 1926.
330 S. Mit 95 Abbild. 8°.
In zweifacher Hinsicht ist das vorliegende Buch von
ethnologischem Interesse und daher wert, hier an dieser
Stelle besprochen zu werden; einmal wegen seiner
wichtigen Mitteilungen über die Veränderungen, welche
unter den zuerst von K. von den Steinen entdeckten und
dann später auch von Hermann Meyer besuchten In-
dianern seit der Zeit meines Aufenthaltes unter ihnen im
Jahre 1900 stattgefunden haben; zweitens wegen seiner
näheren Angaben über die reichen Erfolge, welche die
auf die Initiative des tatkräftigen Generals Candido
Mariano da Silva Rondon zurückzuführenden Unter-
nehmungen der staatlichen Indianerfürsorge (Proteccäo
dos Indios) in den letzten Jahren zu verzeichnen haben.
Die Gelegenheit zu seiner Reise ins Xingu-Quell-
gebiet wurde dem Verfasser dadurch geboten, daß er sich
einer brasilianischen Militärexpedition anschließen
konnte, die 1924 im Dienste der Linhas telegraphicas
estratégicas Matto-Grosso-Amazonas und unter der
Leitung des äußerst tatkräftigen und erfahrenen brasi-
lianischen Hauptmanns Vicente de Vasconcellos nach
dem Xingu-Quellgebiet ausgesandt wurde, um den
Ronuro-Fluß zu vermessen und um Beziehungen an-
zuknüpfen zwischen den Indianerstämmen am Kuluene
und Kulisehu und der zwischen der Quelle des Ronuro
und dem Paranatinga neuerrichteten Station für Ein-
geborenenfürsorge in Simon Lopez.
Die Indianerverhältnisse im Xingu-Quellgebiet
haben insofern wichtige Veränderungen erfahren, als die
hier zur Zeit meiner Expedition in zwei Dörfern am
Kulisehu lebenden Bakairi-Indianer sämtlich nach der
erwähnten Station Simon Lopez übergesiedelt sind, daß
ferner die Waurá, welche zur Zeit der von den Steinen-
schen Expedition im Gebiet des unteren Batovy wohnten,
nach dem mittleren Kulisehu hinübergezogen sind
und daß ein Teil der Trumai, die zur Zeit meiner Expedi-
tion bei den Mehinakú wohnten, heute unter den Nahukua
in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis wie früher
bei den Mehinaku lebt. Die Suyá leben noch immer in
Feindschaft mit den übrigen Stämmen, und es finden
auch jetzt noch Zusammenstöße mit ihnen statt. So traf
der Verfasser in einem Lager der Kamayura einen Suyá-
Mann an, der von diesen auf einem Kriegszuge gefangen-
genommen war, und ebenso befand sich eine kriegs-
gefangene Suyá-Frau mit ihrem fünfjährigen Sohn bei
den Waurá.
Da die auf der Rückreise begriffene Expedition mit
großer Eile den Kulisehu aufwärts fuhr, so waren es nur
die zwischen dem 31. August und dem II. September
liegenden 12 Tage, an welchen der Verfasser in dem
Gebiet der noch unabhängig gebliebenen Indianer weilen
konnte. Eine größere Anzahl vorzüglicher photographi-
scher Aufnahmen von Kulisehu-Indianern sowie die erste
63
Photographie, die wir von den Suya überhaupt besitzen,
sind in dem vorliegendem Buche wiedergegeben. Im
übrigen ist an neuen ethnographischen Beobachtungen
in dem Buche nicht vieles enthalten. Jedenfalls waren
dem Verfasser seine ethnologischen Forschungen dadurch
sehr erschwert, daß er sich, wie er selbst ausdrücklich
zugibt, vor der Reise nie die Mühe genommen hatte, die
portugiesische Sprache zu erlernen. Das letztere wäre
meines Erachtens ein ebenso wichtiges Erfordernis zur
Ausführung der Reise ins Xinguquellgebiet gewesen, wie
die Kenntnis des Reitens, mit welcher der Verf. ebenfalls
nicht vertraut war. Die portugiesisch verstehenden In-
dianer von Simon Lopez hätten jedenfalls dem Verfasser
wichtige Dolmetscherdienste leisten können, wenn er sich
gut mit ihnen hätte verständigen können, und manche
der in großer Ausführlichkeit geschilderten kleinen per-
sönlichen Unfälle, die sicherlich nicht dazu beigetragen
haben, den Verfasser in seiner Eigenschaft als Forschungs-
reisenden bei den in solchen Dingen sehr erfahrenen
Brasilianern in besonders günstigem Lichte erscheinen
zu lassen, hätten vermieden werden können, wenn er des
Reitens kundig gewesen wäre und mit Reittieren um-
zugehen verstanden hätte.
Bezüglich der vom Verfasser angeführten ethnolo-
gischen Tatsachen möchte ich die folgenden Einzelheiten
bemerken: Wohl nur auf irgendeinem Versehen beruht
die falsche sprachliche Gruppierung der Kulisehu-
Stämme auf S. 229, wo die Uaura (Waurä) und die Uala-
piti (Yaulapiti) als Karaibenstämme bezeichnet werden,
obgleich es sich bei ihnen in Wahrheit nach den von den
Steinenschen Untersuchungen, auf die sich der Verf.
ausdrücklich beruft, um Aruak-Stämme resp. Nu-
Aruakstämme handelt. Wenn der Verf. bei der Schil-
derung der einheimischen Bodenkultur der Indianer im
Xinguquellgebiet angibt, daß bei Bearbeitung des Bodens
ausschließlich Grabholz und Hacke verwendet würden,
so könnte diese Angabe nur unter der mir sehr unwahr-
scheinlichen Voraussetzung auf richtiger Beobachtung
beruhen, daß tatsächlich in letzter Zeit eiserne Hacken
in größerem Umfange durch die Station Simon Lopez
in diese Gegenden eingeführt sind. Als Gerät bei der ein-
heimischen Bodenkultur imXingu- Quellgebiet hat es ein
hackenartiges Instrument niemals gegeben, wie denn auch
der Boden bei dieser Kultur überhaupt nicht umgehackt
wird, so daß die Bezeichnung Hackbau überhaupt nicht
für sie angewendet werden kann. Bezüglich der Angabe
des Verf., daß Signaltrommeln im Xingu-Quellgebiet
fehlen, ist zu bemerken, daß jedenfalls in früherer Zeit
in einzelnen Dörfern solche vorhanden waren, wie sie
denn auch von K. von den Steinen und mir in unseren
Veröffentlichungen geschildert worden sind.
Leider sind in dem vorliegendem Buche nur sehr
wenige Gebrauchsgegenstände der besuchten Indianer-
stämme abgebildet worden, und bei den wenigen dies-
bezüglichen Abbildungen handelt es sich nicht immer um
die von den Expeditionsmitgliedern heimgebrachten
Gegenstände, wie denn der Korb auf S. 96 bis auf den
etwas veränderten Henkel in allen Einzelheiten genau
von dem in meinem Buche; Indianerstudien in Zentral-
brasilien auf S. 347 abgebildeten Bakairi-Korbe — aller-
dings ohne Herkunftsbezeichnung — abgezeichnet
worden ist. Prof. Dr. Max Schmidt.
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
Büchereingänge
Brunner, Karl, Ostdeutsche Volkskunde. Leipzig:
Quelle & Meyer 1925. 279 S. 32 T. 8°. (De’utsche
Stämme, Deutsche Lande.)
Tilke, Max, Osteuropäische Volkstrachten in Schnitt und
Farbe. Berlin: Wasmuth 1925. 35 S. 96 T. 40.
Findeisen, Hans, Sagen, Märchen und Schwänke von der
Insel Hiddensee. Stettin: Leon Saunier 1925.
76 S. 8°.
Schmidthenner, Heinrich, Chinesische Landschaften und
Städte. Stuttgart: Strecker & Schröder 1925. X.
304 S. 58 T. 12 K. 8°.
Waldschmidt, Ernst, Gandhara, Kutscha, Turfan ...
Leipzig: Klinkhardt & Biermann 1925. 115 S.
66 T. 8°.
Lorentz, F., Geschichte der Kaschuben. Berlin: Hobbing
1926. 172 S. 1 K. 8°.
Nuoffer, Otto, Afrikanische Plastik in der Gestaltung von
Mutter und Kind. Dresden: Reissner o. J. 80 S.
22 T. 8°.
Riem, Johannes,’Die Sintflut in Sage und Wissenschaft.
Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1925.
194 S. 2 T. 1 K. 8°.
Schultz, J. W., In Nathakis Zelt. Hamburg: Ernte-
Verlag 1925. 158 S. 1 T. 8°.
Cabega de Vaca, A. N., Schiffbrücke, übersetzt u. einge-
leitet von Dr. Franz Termer. Stuttgart: Strecker &
Schröder 1925. VIII, 143 S. 18 T. 1 K. 8°. (Klassiker
der Erd- und Völkerkunde.)
Glasenapp, Helmuth v., Der Jainismus. Berlin: Hager
1925. XV. 505 S. 31 T. 40. (Kultur und Weltan-
schauung, Bd. 1.)
Karutz, R., Die Völker Nord- und Mittel-Asiens. Stutt-
gart: Franckh.1925. 120 S. 54T. mit Text. 40. (Atlas
der Völkerkunde, Band 1.)
de Tauner, P., Chinese Jade ancient and modern ..
Berlin; Dietrich Reimer 1925. 2 vols. qu. 40.
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS DEM ERWERBUNGSFOND DES
STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGI-
SCHEN ABTEILUNGEN DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR
VÖLKERKUNDE IN BERLIN. REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XI
MIT 212 FIGUREN ZUM TEXT UND 34 KARTEN
Kff i11' idE
DAS BAESSLER-ARCHIV FÜR VÖLKERKUNDE
erscheint in zwangslosen Heften, von denen 4 einen Band bilden. Einzeln sind die Hefte
zu einem je nach dem Umfang bemessenen, etwas erhöhten Preise käuflich. Der vor-
liegende Band erscheint für das Jahr 1927.
Das Baessler-Archiv ist bestimmt für Arbeiten aus allen Gebieten der Völkerkunde mit
Ausnahme der reinen Linguistik und physischen Anthropologie. Seine Hauptaufgabe ist
die wissenschaftliche Beschreibung und Verwertung des in den deutschen Museen aufge-
speicherten Materials nach seiner kulturgeschichtlichen und technologischen Bedeutung,
doch werden auch soziologische, mythologische, kunst- und religionsgeschichtliche Themata
berücksichtigt, soweit sie zur Erklärung von Museumssammlungen beizutragen geeignet sind.
Die Mitarbeiter erhalten 25 Sonderabzüge.
Redaktionelle Sendungen, Zuschriften und Anfragen sind zu richten an den Redakteur
Professor Dp. Alfred Maaß, Berlin W. 10, Tiergartenstraße 18 c.
Bisher erschienene
BEIHEFTE
1. Sprichwörter und Lieder aus der Gegend von Turfan. Mit einer dort aufge-
nommenen Wörterliste von Albertvon Le Coq. Mit I Tafel. (100 S,] 1911.
2. Die WagOgO. Ethnographische Skizze eines ostafrikanischen Bantustammes von
Heinrich Claus, Stabsarzt im Infanterie-Regiment Nr. 48, früher in der Kaiser
liehen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Mit 103 Abb. (IV u. 72 S.] 1911.
3. Die Goldgewichte von Asante (Westafrika). Eine ethnologische Studie von Rudolf
Zeller- Mit 21 Tafeln. [IV u, 77 S.] 1912.
4. Mitteilungen über die Besiedelung des Kilimandscharo durch die Dschagga und
deren Geschichte. Von Joh, Schanz. [IV u. 56 S.[ 1912.
5. Original Odzibwe-Texts. With English Translation, Notes and Vocabulary collectcd
and published byj. P. B, dejosselin de Jong, Conservator at the State
Museum of Ethnography, Leiden. [IV u. 54 S.] 1912,
6. Ein Beitrag zur Ethnologie von Bougainville und Buka mit spezieller Berück-
sichtigung der NasioL Von Ernst Frizzi. [56 S.] 1912.
7. Ein Beitrag zur Kenntnis der Trutzwaffen der Indonesier, Südseevölker und
Indianer. Von Hauptraann a. D, Dr. G. Friederici. [78 S.J 1915.
8. Die Banjangi, Von F. Staschewski. Überarbeitet und herausgegeben von Prof.
B. Ankermann. [66 S.] 1917.
BAESSLERARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS DEM ERWERBUNGSFOND DES
STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGI-
SCHEN ABTEILUNGEN DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR
VÖLKERKUNDE IN BERLIN. REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XI
MIT 212 FIGUREN ZUM TEXT UND 34 KARTEN
BERLIN 1927
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)
_
INHALTS-VERZEICHNIS
Seite
Hermann Baumann, Die materielle Kultur der Azande und Mangbetu . 3 —129
Besprechungen — Büchereingänge .............. 130—131
Alle Rechte einschließlich des Übersetzungsrechts Vorbehalten.
Druck von J. J. Augustin in Glückstadt und Hamburg.
DIE MATERIELLE KULTUR DER
AZANDE UND MANGBETU
BEITRÄGE ZUR KULTURHISTORISCHEN
STELLUNG ZWEIER VÖLKER DES NÖRD-
LICHEN KONGOGEBIETES
VON
DR. HERMANN BAUMANN, BERLIN
In vorliegender Untersuchung soll die materielle Kultur der Azande undMangbetu nicht
als Ganzes erschöpfend behandelt werden. Dazu wären eingehendere Nachrichten, als wir sie
tatsächlich besitzen, nötig. So war es z. B. nicht möglich, das Gewerbe und die Techniken zu be-
rücksichtigen, da sowohl Literatur wie auch die Museen nur ungenügende Aufschlüsse zu
geben vermögen. Das Hauptgewicht der Arbeit soll nicht in der Erfassung des Wesens der
materiellen Kultur der Mangbetu und Azande bestehen, sondern es soll die historische
Stellung einiger ihrer Kulturelemente innerhalb des Rahmens benachbarter Kulturen fest-
aelegt werden. Das Vergleichsfeld wurde sowohl im Text wie auf den Karten gleichmäßig
auf das westliche Äquatorialafrika beschränkt.
Das Hauptziel war also letzten Endes, die Komponenten der materiellen Kultur der
beiden Völker auf ihre Verwandtschaft mit der übrigen innerafrikanischen Kultur zu
prüfen und die Herkunftsfrage der Mangbetu und Azande einer Lösung nahe zu bringen.
Die methodische Durchführung, welche die Ergebnisse der kulturhistorischen Richtung
innerhalb der Ethnologie verwertet, geht von der Erkenntnis aus, daß jedes Volk ein
historisch gewordenes Gebilde ist, dessen Kultur nur durch seinen Bezug zu anderen Völ-
kern und Kulturen geworden ist. _ .. . ,
Bei den beigegebenen Karten wurde auf willkürliche Ergänzungen ganz verzichtet.
Sie sind als Kern- und Hauptstücke der Arbeit gedacht. Die beigegebenen Belegtabellen
sollen die Möglichkeit einer Nachprüfung geben.
Zu danken habe ich vor allem der ,,Notgemeinschaft für die Wissenschaft , weiche
] If die Drucklegung zu ermöglichen, und Professor Dr. B. Ankermann, Berlin, der mir
vieleflinweise gab und durch unermüdliches Interesse die Arbeit förderte.1
1 Leider ist es mir nicht möglich gewesen, die seit Fertig-
stellung der Arbeit, welche 1925 von der philo-
sophischen Fakultät der Universität Leipzig als Disser-
tation angenommen wurde, erschienenen neueren Werke
im Text zu verarbeiten. Das war nur in einigen Kapiteln,
die nachträglich hinzugefügt wurden, der Fall. Aber die
unerwartete und eilige Drucklegung ließ die Berück-
sichtigung der neuesten Erscheinungen im allgemeinen
nicht zu. Einzig und allein auf den Karten und Tabellen
konnten wichtige Neuforschungen eingetragen werden.
So konnte der zweite, inhaltreiche Band von Czeka-
norski’s „Forschungen im Nil-Kongo-Zwischengebiet“
auch nur in dieser Form verwendet werden. Gemildert
wird dieser Mißstand dadurch, daß die dieser Arbeit
zugrunde liegende Sammlung, die sich im Museum für
Völkerkunde, Berlin, befindet, schon in vorliegender
Untersuchung behandelt wurde.
1*
4 HERMANN BAUMANN
I. KAPITEL
NAME, VERBREITUNG UND GESCHICHTE DER AZANDE
UND MANGBETU
a) DIE AZANDE.
Es war nicht das erste Mal, daß wir von dem Kannibalismus der Nyam-Nyam hörten,
als solche Nachrichten nach Schweinfurths Entdeckungen die geographischen Zeitschriften
der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts durcheilten. Vorher schon hatten
sich Heuglin, Petherick und andere von den nubischen Händlern über dieses große ,,wilde“
Volk berichten lassen. Von ebendenselben Sklavenfängern war auch der Name „Nyam-
Nyam“ für die Anthropohagen des oberen Bahr el Ghazal geprägt worden. Es war ein Name,
der sich leider bis in die neueste Zeit hinein einbürgern sollte. Aber weder das Volk selbst,
noch die Autochthonen, auf die es gestoßen, benennen es so. Ihr eigener Name lautet Asande,
oder besser „Azande“. Die neueren Forscher haben auch fast unterschiedslos diese Bezeich-
nung verwendet. „Azande“ heißt nach des Paters Lagae Nachforschungen: Erdbewohner
(von „sende“ — Erde). Von ihren Nachbarn erhalten sie die mannigfaltigsten Benennungen.
Schweinfurth hat die betreffenden Wörter dafür an geeignetem Orte zusammengestellt (104),
Das Volk der Azande ist nun viel weniger homogen, als früher geglaubt worden war.
Eigentliche Azande sind nur die Herrscherschichten, die sich der weiten Gebiete zwischen
Mbomu und Helle im Sturmlauf bemächtigten und die ansässigen Eingeborenen unter-
warfen, aufsaugten und bestenfalls umklammerten oder zersprengten. In rascher Folge
haben sich die zahlreichen Clans der Azandeschicht über das ganze weite Areal verbreitet,
mit einer staatlichen Taktik ohnegleichen alle einflußreicheren Stellen der unterworfenen
ethnischen Organismen mit ihren Leuten besetzt und sich so zu einer Herrscherkaste em-
porgeschwungen. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich ja im Zwischenseengebiet. Welchen
Schichten die Kultur dieses expansiven Volkes angehört und welches der vermutliche Aus-
gangspunkt ihrer Wanderung darstellt, soll ein Problem sein, das in dieser Arbeit der Lösung
nahe gebracht werden soll. Jeder kulturhistorischen Untersuchung eines primitiven Volkes
müssen die verfügbaren historischen Daten—wie sie sich aus den Traditionen ergeben — zu-
grunde gelegt werden. Sie dienen als richtige Fingerzeige für die ethnologische Problem-
lösung. Was das zur Behandlung stehende Volk anbelangt, so besitzt es immerhin eine
„Geschichte“ für uns, da das Traditionsbewußtsein und die Vorzugsstellung des stolzen
Volkes eine Pflege der Genealogien und der historischen Ereignisse gestattet haben. Hier,
wie bei den weiter unten behandelten Mangbetu, wo wir wenigstens die jüngsten historischen
Ereignisse noch klarer durchschauen, befinden wir uns also in einer glücklicheren Lage als sonst-
wo im äquatorialen Westafrika. De Calonne hat sich der erfolgreichen Mühe unterzogen, die
Geschichte der Azande bis zum heutigen Tage zu enträtseln. Er war dazu wohl auch am besten
befähigt. Als geschulter Ethnologe war es ihm vergönnt, am Uelle-Mbomu seine Arbeiten
über die sozialen und religiösen Verhältnisse der Eingeborenen am Objekte selbst zur vollen
Reife zu führen. Leider hat sein Tod der Nachwelt nur Fragmente dieser Lebensarbeit über-
lassen. Wenn wir hier nur ganz kurz auf die Historie dieses Volkes eingehen, so geschieht
dies deswegen, weil in seinem nachgelassenem Werke (40) diese Tatsachen und Fragen ein-
gehend behandelt worden sind. An seine klaren Darlegungen lehnt sich das folgende in der
Hauptsache an.
Der Stammvater des Azandevolkes, Gura, hatte damals, als seine Untertanen vor den
Toren des Uellegebietes erschienen, sein Hauptquartier nördlich von Bangassu im heutigen
Nsakaragebiet eingenommen. Von hier aus eroberten seine beiden Söhne Mabenge und
Tombo das gesamte im Süden und Osten gelegene Gebiet bis zum Uelle und Such. Nach den
nar
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU 5
Traditionen verweisen die Alten der westlichen Avurngura (eben jener Herrscherklasse,
die sich direkt von Gura ableitet) auf eine Heimat weit nördlich des Shinko, wo ein großes,
stilles Wasser mit Inseln lag. Ihre Ahnen hätten hier Brüder zurückgelassen und weiße Män-
ner (aboro-mu), die mit Stoffen bekleidet waren. Den Azande sollen nach denselben Quellen
die Abandya parallel gegangen sein und sich von ihnen erst bei Bangassu getrennt haben.
Schon hier am Shinko haben die Azande kein homogenes Volk mehr gebildet. Heute sind
die alten Sitze teils von den aus Nordosten einwandernden Bandastämmen, teils von den
verwandten Nsakara besetzt.
Die Weiterverbreitung erfolgte rasch. Die Abkömmlinge Mabenges führten ihre Volks-
teile nach Osten. So gelangten die Anunga unter Nunga zum oberen Mbomu, wo sie die
Basiri, Apambia und Agabu unterjochten, die Auro unter Nindu in das Dreieck Api-Uere-
Bambili die Adio und Abele unterwerfend. Die Ambomu, sind von Yapati in jüngerer
Zeit (um 1835) bis zum Such gebracht worden.
Die zweite Azandewelle unter den Abkömmlingen Tombos richtete sich in erster Linie
nach Südosten wo fast alle ihre Teile (die Embili unter Eso, Ndoruma und Gima; Amo-
VllTria unter Mange; Apodyo unter Yatwa; Abele oder Avurnkipa unter Ndeni, Kipa-
Tikima Bakangoi und Kanna) gegen die Abarambo-Ababua-Mangbetu und Medje-
Badvo zu kämpfen hatten. Ihnen sind die zentralen Eingriffe in das Gebiet der Ansässigen
im Süden zuzuschreiben. Im Osten stießen die Abmomu weit nach S. vor, im Westen die
Abandya. schon p-ehören nicht mehr zu den eigentlichen Azande. Sie sind su-
dänische Einwanderer, welche sich überzeugt azandeisiert und mit großem Geschick die
olitischen Taktiken ihrer östlichen Nachbarn angenommen haben. Man könnte hier ge-
radem von Azandeaffen“ sprechen. Traditionell führen sie ihre Abstammung auf einenTeil
derMogwandigruppe am mittleren Ubangi zurück, deren Sprache — das Baza — noch ein
Teil des Volkes treu geblieben ist. In der Folge eroberten sie die Gebiete am unteren Mbomu
und Shinko und drangen im Süden ins Ababuagebiet bis Buta und unter Mozwa gar bis zum
Lulu vor. Hier sind die Badjande und ihr Häuptling Bangako (151, 1984, 15. Juli, diak-
tin) noch eindeutige Zeugen für die südlichste Expansion des Volkes. (Badjande ist eine
Korruption des Wortes Azande). Bekannte Nachkommen des nördlichen Teiles sind der
Nsakarahäuptling Bangassu und die „Sultane“ Rafai und Hetman.
Es scheint daß De Calonne auch die sonst immer zu den Azande gerechneten Idio-
Adio (— a di-x) d h. Flußbewohner) oder Bambeh = Bamboy (fälschlicherweise mit dem
I ändernamen Makraka belegt) einer fremden Abstammung bezichtigt. Er verweist auf ihren
früheren Mogwandidialekt und die lange Wanderung vom Ubangi bis zum Yei. Ihr jetziger -
lüg azan4eisicrter — Charakter ist natürlich eine Folge des langen Kontaktes mit dem
Herrschervolk (s. a. 105, S. 12). , . , ,. ,
den viclen unterworfenen Stämmen erwähne ich besonders eine sprachlich eng
zusammenhängende autochthone Gruppe: die der Abangba. Der Stamm, der den Kollek-
,| -st nur noch in Trümmern als Ferment anderer Volks- und Staatsbil-
duneen'enthalten.' Wie wir sehen, spielt er in der Geschichte der jüngeren Mangbetu eine
.,b . Diesen Abangba sprachlich eng verwandt sind die Basiri (Shere) am
SÄ -I.r .1«..... ***-.»-* Tir
°at,„ noch Stammesangehörige und keine Avurngura sind (s. a. 105, S. 16),
deren Uaup zwischen Nepoko und Bomokandi, welche heute unter den beherr-
schenden^Mangbetu-Einfluß gelangten, deren Sprache aber viele Anklänge zu der der
bcucuu _ b rjbanm aufweisen soll, schließlich auch die den Azande nur teilweise
Bwaka am ™lt1: der Nachbarschaft der Bambeh-Idio. Der nördlich in der Nähe der
tributären ^^4 ebliebene Teil der Abarambo ist ebenfalls den Azande unter-
6
HERMANN BAUMANN
worfen. Der Wortschatz beider Stämme soll sich nach Lagae (105 S. 16) in den Wurzeln
ähneln. Weit verstreut in das Azandesprachgebiet wurden die bantusprechenden Abang-
winda.1 Mit ihnen, auf ihrer westöstlichen Wanderung zuerst am Sueh nach S. und
N abzweigend, wanderten die Bote-Mabadi und Aboguru = Babukkur. Nur die Süd-
boguru haben Azandehäupter (105, S. 12). Diese aber, wie ihr nördlicher Stammesteil und
die verwandten Bote-Mabadi (die ins Mangbetugebiet gedrungen und dort akkulturiert
sind) sprechen mehr oder weniger korrumpierte Bantudialekte. Am interessantesten von
allen Autochthonen scheinen aber zweifellos die am Warra und im Gwantale sitzenden
Akare2 mit ihrer Bantusprache zu sein. Das Azandeidiom gilt nur als Verkehrssprache.
Das Volk ist nach Wiese (2,!) schwächlich und herabgekommen, aber es scheint einen über-
aus primitiven Eindruck zu machen (De Calonne).
Doch alle diese angeführten Stämme sind, wie es scheint, nicht die wirklichen Autoch-
thonen des Uellebeckens. De Calonne sammelte eine Anzahl, mehr oder weniger stichfester
Angaben über noch primitivere, kleinwüchsige und stark dunkelhäutige Schleuderer, welche
in Berg- und Höhlenwohnungen ihr Obdach fanden. Zu ihnen gehören auch die oben ge-
nannten Apambia. An diese Völkerschicht, aus der die heutigen Momvu hervorgegangen
sind, knüpfen sich die vielen neolithischen Funde, die der Forscher im gesamten Uelle-
gebiet aufdecken konnte. Uber sie finden wir in seinem Werke hochinteressante Notizen.
Wir ersehen schon jetzt aus den wenigen Angaben, daß der sogenannten Azandenation
eine dreifache Schichtung ethnischen Materials zugrunde liegt. Auf eine altafrikanische
(altsudanische ?) protomorphe Schicht lagert sich eine Bevölkerungsmasse von der ver-
schiedensten Herkunft aber ohne merklichen jungafrikanischen Einfluß, dessen Haupt-
charakteristikum immer die Schwergewichtsverlegung der Staatsautorität von der Sippen-
organisation in die Stammesorganisation darstellt. Darüber lagern die aus Nordwesten
eingewanderten Azandeeroberer, welche gerade jene Eigenschaft in vollendetstem Maß
in sich tragen. Es ist sicher kein Zufall, daß das Wort für König = Häuptling im
Obwasande als ,,bia“ und im Gurma (der Klassensprache eines typisch neusudanischen
Volkes) als ,,pia“ erscheint. Wir denken auch an die in beiden Gebieten als Endglieder
eines Verbreitungsareals vorkommende Bügelharfe, als einem sicheren Merkmal dieser
Kulturschicht des Sudan, und noch anderes mehr (siehe in den entsprechenden Kapiteln
der Kulturanalyse und in der sprachlichen Skizze).
Nicht oft war es uns möglich, aus der kulturell fast homogen gewordenen „Azande-
kultur“ die ethnisch-historisch bestimmten Komponenten zu eruieren. Dieses Bestreben
zur Einebnung der kulturhistorischen Perspektiven ist in erster Linie auf Rechnung der ge-
radezu genialen staatspolitischen Taktik der herrschenden Azande zu schreiben. Der Zande
ist ein gänzlich antiindividueller Mensch. Sein Leben spielt sich im kollektiven Anschauen,
Denken und Handeln ab. Auch die bedingungslose Unterwerfung unter die dynastischen
Führer ist nur ein weiteres Moment in dieser psychischen Einstellung. Inder bedeutenden
Rolle der Geschichtskundigen an den Höfen der Azande zeigt sich die ganze expansive
Eroberermentalität dieses Volkes, die darauf bedacht ist, die Unterworfenen mit ihrer Kul-
tur zu überziehen und förmlich aufzusaugen. Die vielen Azandefrauen primitiver Ab-
stammung, welche den Höfen der Herrscher einverleibt werden, beweisen diesen von oben
ausgeübten Zwang zur Völkervermischung. Für Obiges siehe auch De Calonne.
Nach all dem Gesagten ist es nur natürlich, daß uns auch B. Strucks Karte über denm
Kopfindex in Mittelafrika (119, 1822) nur ein verwischtes Bild über die Verhältnisse wenig-
stens diese Merkmale in unserem Gebiete gewähren kann. Schon die historische, kaum mehr
auseinander zu haltende Schichtigkeit des Gebietes verbietet klare Darstellungen gerade
der rassischen Zustände.
1 P. Lagae gesteht ihnen trotzdem eine Sudansprache zu. 2 „Kare“ heißt im Obwasande „Fremder“. 105, S. 15.
105, S. 17.
DIE MA l'ERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU y
Ich kann nicht umhin, auf die Bedeutung dieser geschildeten Azandewanderung für
die gesamte Ethnologie Zentralafrikas hinzuweisen. Höchst wahrscheinlich waren es die
transäquatorialen Wanderungen über die sudanische Achse und die in ihrer Folge statt-
findende Ausbreitung der neusudanischen Kultur (siehe unten) von Abessinien aus nach
Westen, welche dort sitzende Völker nach Süden verdrängte. Nacheinander und nebenein-
ander müssen die Bakuba, die Kundu- und Bangalagruppe einerseits, die Pangwe und
Azande andererseits nach Westen und Osten gewandert sein. Kleinere, weniger auf derlei
Völkerverschiebungen eingerichtete Völker, wurden versprengt oder zerrieben, aber so ziem-
lich alle ethnischen Verbände nördlich des Ubangi und in seiner Umgebung wurden von
der Wucht dieser Ereignisse erfaßt. Wie einschneidend diese Wanderungen für die Kul-
turverbreitung geworden sind, werden wir im kulturhistorischem Teile zur Genüge erfahren.
b) MANGBETU.
Viel verwickelter gestalten sich die historischen Befunde im Mangbetugebiet. Hier
widersprechen sich die niedergelegten Traditionen oft in der verwirrendsten Weise. In
folgendem soll auf kürzestem Wege das Übereinstimmende nach Möglichkeit zusammengefaßt
und das wahrscheinlich daraus Resultierende skizziert werden.
Mit Mangbetu, einem Azandewort, bezeichnen wir eine Gruppe der heterogensten
Stämme, welche oft nur durch einen oberflächlichen Firnis zu einer Einheit gestaltet er-
scheinen. Sie haben ihre zerstreuten Siedelplätze in dem gesamten Gebiete zwischen Bomo-
kandi im Norden und Lindi im Süden. Von den historischen Geschicken des südlichsten
Stammes, den Warumbi am Tschopo-Lindi, wissen wir nichts weiter, doch ist ihre Sprache
schon von Stuhlmann (7. 154) als zweifellos zu dieser Gruppe gehörig erkannt worden.
Die am Aruwimiknie sitzenden Bapopoie (oder Bagunda) sollen nach Delhaise (144,
1912 S. 95f.) vom Norden gekommen sein, aber es ist zum mindesten ebenso wahrschein-
lich, daß es sich hier um eine Rückwanderung handelt. Chaltin (41, S. 103f.) belegt näm-
lich durch mündliche Versicherungen, die er von Eingeborenen erhielt, gerade das Gegen-
teil; nur ein Teil ihres Stammes sei mit den nördlicher sitzenden Mangbetu weit nach Norden
gewandert (Bakere nach Nordwesten; Nordmangbetu nach Nordosten). Den Bakere, süd-
lich der Abarambo, spricht de Calonne eine westliche Herkunft zu. Auf seiner Karte ver-
legt er den Quellsitz interessanterweise an den Lulu. Wir werden sehen, daß sich manche
Kulturelemente der nördlichen Mangbetu auf die Gegend um Basoko beziehen lassen.
Andere Mangbetustämme sind die bedeutungslos gewordenen Abisanga, die Balele (im
Süden der Bakere), die Med j e-Badyo am Nepoko und die Nyapu in deren Nähe. Alle
diese Stämme sprechen dieselbe linguistisch noch völlig unbekannte Sudansprache. Die
starke Konzentrationskraft, welche alle diese und noch etliche gar sprachlich verschiedene
Stämme zu einer beinahe nationalen Einheit zusammenschweißte, schien völlig von den
politischen Instinkten eines Clans auszugehen. De Calonne und Czekanowski (119^ 1909)
glauben, daß der Name Mangbetu ursprünglich wohl nur diesem Clan zugekommen sein
matr, der höchstwahrscheinlich auch jene von Emin mitgeteilte nordwestliche Herkunfts-
tradition in sich barg. Wir müssen uns die staatliche Integrierung hier ebenso denken,
wie bei den Azande-Avurngura. Der Herrscherclan stellt sich mit allen seinen Gliedern die
Häupter und Könige und entmündigt so die unterworfenen heterogenen Stämme. Es ist
nicht einmal nötig, daß sie auch die Verbreiter ihrer Sprache sind. Wir sehen im Zwischen-
seengebiet ähnlich eine hamitische Oberschicht über eine Bantu sprechende Bauernmasse
herrschen. Zweifellos ist jedenfalls, daß dieser Name zum Kollektivbegriff für alle unter-
worfenen Stämme wurde, die es sich zur höchsten Ehre gereichen ließen, als Mangbetu be-
trachten zu werden. Schon dadurch bildete sich ein gleichförmiger kultureller Überzug,
der aber bei näherem Zusehen zerfällt. Wir werden im Verlauf der Untersuchung immer
8 HERMANN BAUMANN
wieder einen ausgeprägten Trennstrich zwischen nördlichen und südlichen Mangbetu ent-
decken können.
Interessant ist nun die Tatsache, daß es gewöhnlich Elemente der herrschaftlichen,
neusudanischen Kultur sind, welche hier im Norden verändernd eingegriffen haben, während
der Süden den kulturell durch die westafrikanischen und altsudanischen Wesenheiten ge-
kennzeichneten Charakter beibehielt. Jene jungen Einflüsse im nördlichen Gebiete sind
ohne Zweifel auf den Import eines der neusudanischen Kultur nahestehenden Volksteiles
zurückzuführen. Als maßgebend für diese Ansicht kann auch die Tatsache gewertet werden,
daß die neueingeführten Elemente fast durchgängig irgendwie mit den ständischen Organi-
sationsbildungen des hohen politischen Staatsdranges jener Kultur Zusammenhängen.
Rangzeichen aller Art, Häuptlingsriten und dynastische Sitten, politisch umgestaltete
Religion und anderes mehr sind Kennzeichen einer fremdvölkischen Einwanderung. Daß
sich überhaupt hier solche Klassenmerkmale und Herrschaftsverhältnisse bilden konnten,
ist schon ein klarer Beweis für die ethnische Schichtung des nördlichen Gebietsteiles. Ich
nehme, bis eine andere Erklärung sich als stichhaltig erweist, den alten Mangbetu-Clan als
den Kulturträger in diesen Fällen an, und stütze mich dabei gleichzeitig auf die von Emin
beigebrachten Traditionen von der nordwestlichen Herkunft der von ihm besuchten Stammes-
gruppe.
Fremdsprachig sind die dem Kulturgebiet inkorportierten Bote-Mobadi (Bantu),
Mangbelle (Ababua-Bantu) und Ab angb a (Sudanneger). Erstere wurden nach dem Berge
Tena zu den östlicher sitzenden Momvu verdrängt; die Mangbelle gerieten unter dem
Mangbetuherrscher Nebiembali in Hörigkeit, und die Abangba schwangen sich aus ihrem
unterjochten Verhältnis, mit Hilfe nubischer Sklavenhändler und der Verrätereien
eines Pflegesohnes des Mangbetukönigs Munsa, zu der Herrscherklasse im nördlichen
Sprachgebiete auf. Von hier an datiert wohl auch die Übernahme der Mangbetusprache zu
Ungunsten ihres eigenen Idioms. Wie stark der Einfluß dieser sudanischen Einwanderer
auf die Kulturgestaltung unserer Gebietes gewesen sein muß, erhellt aus so manchen Er-
gebnissen des analytischen Teiles. Die Lemairesche Schilderung der Mangbetugeschichte
sei hier kurz rekapituliert (s. Belg, colon. IV 1898, S. 4—5).
Unter Manzige (dem Sohne des Oruo-Eru) sollen die ,,Mangbetu“ mit der aus dem Süden
anbrandenden Bantuwelle nach Norden eingewandert sein. Sie besiegten und vertrieben
die Mabudu und Mayogu und näherten sich den Medje. Im Nyapulande als Herrscherklasse
investiert, werden sie allmählich im ganzen südlich des Bomokandi gelegenen Landesteil
seßhaft. In einer Erbfolgerevolte wird der Vater ermordet, und sein Sohn Tukuba folgt ihm.
Mit den Mangbelle zusammen besiegt dieser die Medje und, stark genug geworden, auch die
ersteren und die Abisanga. Es beginnt nun eine Zeit der ruhigen Verwaltungsarbeit unter
feudalen Gesichtspunkten. Die Unterwerfung der Ansässigen bleibt immer nur eine mora-
lische, so daß es dem klugen Herrscher gelingt, ganze Stämme mit all ihrer Eigenart seinem
Reiche ohne weitere Gewaltmittel einzuverleiben. Unter seinem Sohne Munsa beginnen die
ernsthaften Streitigkeiten mit den aus Norden anstürmenden Azande. Noch einmal folgt
eine Zeit des Friedens, bis die schon oben skizzierte Abangbarevolte der alten Mangbetu-
dynastie ein Ende bereitet und den Parvenü Nyangara auf den Schild erhebt. Von hier an
liegen die Geschicke des politisch mit einem Schlage bedeutungslos gewordenen Volkes
in den Händen der Einwanderer.
Für eine südliche Einwanderung der Mangbetu sprechenden Stämme — die nicht mit
dem im Norden als Dynastie eingesetzten Mangbetu-Clan identifiziert zu werden brauchen —
sprechen sich außer Lemaire noch Chaltin und Laplume (41, S. 448) aus. Goffart und ,,M. M.“
veröffentlichen im Belgique coloniale (III, 1897) Arbeiten über die südliche Herkunft der
Mangbetu, und dieselbe Lösung erscheint Christiaens (Causerie sur le pays des Mangbetu,
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
9
S. 5) für annehmbar. Der Eminschen Ansicht von einer nordwestlichen Herkunft steht also
eine ganz stattliche Anzahl anderer Meinungen entgegen. Doch scheint mir aus oben an-
geführten Gründen bei beiden Meinungen das Recht zu liegen. Wir werden auch weiterhin
noch Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen und unsere Stellung zur Herkunfts-
frage darzulegen.Um den zur Zeit noch völlig unkontrollierbaren und verwirrten Stammes-
verhältnissen aus dem Wege zu gehen und ebenso den divergierenden historischen Tra-
ditionen nicht zu viel Vertrauen zu schenken, gilt es in einer unabhängigen kulturhistorischen
Untersuchung eine feste Position gegenüber den zahllosen ungelösten Fragen, die auch dieses
völkische Problem bietet, zu gewinnen.
II. KAPITEL.
DIE SPRACHE DER AZANDE UND MANGBETU
Die Idiome der beiden zur Rede stehenden Völkergruppen erfuhren noch keine allzu
gründliche Bearbeitung. Nur dem Obwasande, der Sprache der Azandeherrscher, wurde in
jüngster Zeit eine genauere grammatische Bearbeitung durch den Pater Lagae (105) zuteil
der auch eine ausführliche Vokabelsammlung herauszugeben beabsichtigt. Seine Vorgänger
Colombaroli (103) und Schweinfurth (104) gaben weniger umfangreiche, aber nicht minder
richtige Grundlagen zur Erkenntnis des Sprachbaues unseres Volkes. Auf Lagaes For-
schungen und auf vergleichende Beobachtungen über dieses Material, welche mir zum
Teil Prof. Westermann aus seinen reichen Sprachkenntnissen übermittelte, stützten sich
die unten angeführten kurzen Angaben über die Sprache der Azande. Erwähnt sei, daß sich
unter den unterworfenen Stämmen ihres Akkulturationsgebietes noch ein einen Bantu-
dialekt sprechendes Volk — die Akare am mittleren Mbomu — befindet, das weit nördlich
der Bantugrenze von sudanisch sprechenden Stämmen eingeschlossen wurde. Ob die zer-
splitterten Abangwinda ebenfalls einen Bantudialekt sprechen, steht nach den neuesten
Zweifeln Lagaes noch immer nicht fest. Die übrigen mehr oder weniger autochthonen
Stämme (Basiri-Pambia-Gollo-Mundu u. a.) sprechen sudanische Idiome, die sich jeden-
falls von den nilotischen Sprachen scharf trennen lassen. Auch die Mangbetu, von denen
wir nur ungenügende Vokabulare durch Casati (3) und Delhaise (144? W*2) n. a* überliefert
erhielten, gehören sprachlich zu den sudanischen Völkern, obwohl gerade ihre Wortbildung
einen hohen Grad bantuischer Beeinflussung zeigt. Einsilbige Worte sind nicht allzu reich-
lich vorhanden, und eine Neigung zur Affigierung an dem Stamme ist überall zu erkennen.
Dagegen fehlen die typisch sudanischen Laute kp und gb nicht, welche besonders gern
an den Beginn des Wortstammes direkt hinter das präfigierte na, ne, a oder e treten. Nicht
schwer wird es der eingehenden Bearbeitung eines — allerdings noch ungeförderten — aus-
giebigeren Materials fallen, die Wortstämme zu eruieren und mit den übrigen sudanischen
Radikalen in Vergleich zu setzen. Vorläufig ist auch eine nur skizzenhafte Darstellung
des Sprachbaues unmöglich.
Der sudanische Charakter des Obwasande ist unverkennbar. Es schließt sich direkt
an jene, dem nilotischen Sprachgebiet im Westen vorgelagerten Sprachtypen an und weist,
wie wir sehen werden, selbst zu den Sprachen der Westsudanländer die innigsten Beziehun-
riQ hoch sich der allgemeine Verwandtschaftsgrad zu den direkt westlich belagerten
-11’-------1—^•
gen auf. Wie IEWWjl --
Sudansprachen beläuft, ist aus völlig ungenügender Kenntnis der dortigen V i-, •
nicht zu entscheiden. Gerade im Schangebiet scheinen sich Schl" g Verhältnisse
linguistischen Verwandtschaftsverhältnisses zu finden. 1 USSC ZUr Lösung anch der
SiAUl 'UbitakM/^
I o HERMANN BAUMANN
Von den Lauten herrschen hier ebenso wie im Westsudan kp und gb als typisch alt-
sudanisches Lautgut vor. Auch Töne sind vorhanden (u. a. Hochtiefton). Wie in den Kwa-
sprachen Oberguineas wird aus dem einsilbigen Verb durch Verdoppelung ein Adjektiv
gebildet. Der Plural der Nomina wird durch ein präfigiertes a (wie in den Sprachen Ni-
gerias) ausgedrückt. Im Tschi an der Goldküste wird dasselbe Pluralpräfix — allerdings
nur für Sachen — angewendet, im Nupe allgemein für den Plural. Der Genitiv steht vor
dem Nomen regens, wie sonst im Sudan; oder auch nach ihm, wie im Hamitischen. Hier
braucht noch kein unmittelbarer Einfluß hamitischer Wortfügung vorzuliegen, da sowohl
einige Südnigeriasprachen, wie auch die Nupe die Nachstellung des Genitiv fordern. (Bei
den Gola in Liberia finden sich beide Formen nebeneinander, wobei jedoch die späteren
durchweg die Nachstellung erheischen.) Eine ganz eigentümliche, ganz unsudanische Ein-
teilung des Nomens nach Maskulinum und Femininum mittels Präfigierung von ba (= männ-
lich) und na (= weiblich) läßt sich durch die den Affixen entsprechenden Bedeutungen
(Vater, resp. Mutter) erklären:
ba-kondo: der Hahn
na-kondo ; die Henne. .
Das Pronomen kennzeichnet sich durch zwei weitere für das Sudan unerhörte Charak-
teristika: erstens die Bildung von echten Objektivformen neben den Subjektivformen und
zweitens die Unterscheidung des Geschlechtes. Das Objektiv wird durch eine r zu Beginn
des Pronomen — und zwar in der ersten und zweiten Person Mehrzahl und Einzahl — aus-
gedrückt. Dinge und Tiere haben (natürlich nur in der dritten Person) ebenfalls wieder
durch Nominativ und Objektiv getrennte, besondere Formen. Das Sachpronomen verändert
sich auch in der dritten Person weder nach dem Genus noch nach dem Numerus. Die Genus-
bildung erscheint zweifellos als etwas Hamitisches und dürfte denAzande schon in ihrer ver-
mutlichen Heimat am unteren Schari eigentümlich gewesen sein. — Die Konjugation des
Verbum ist von der im sudanischen Sprachgebiet nicht verschieden.
Beim Vergleich der Wortstämme des Azande mit den anderen Sudangruppen fallen
die überraschenden Beziehungen zu den Westsudansprachen (i. Kwasprachen, 2. Mande-
sprachen, 3. Efiksprachen, 4. Togo-Restsprachen, 5. Gursprachen, 6. Westatlantische
Sprachen nach der Westermannschen Gruppierung) auf.
Besonders interessant sind die Identitäten mit den Gursprachen (Mossi, Grussi, Gurma
u. a.), welche wir auch im ethnologischen Teil noch so oft berühren müssen, so z. B.
sterben: kpi (Kpiya: Grussi
kpi: Togorestsprache
ku Ewe)
essen: li, lie (di, li: Sita-Foro
di, du: Grussi
lia; Bangala-Bantu
bi-dia: Mogwandi)
weiß sein: pu-si (poa; Grussi
fu: Ewe u. a.)
schwarz: bibiri (da-bi-le-e: Grussi
bi: Bantu u. a.)
Ort (Dorf): ba (mba Banziri
mba: Mondjembo u. a.)
Schlange: wo (o-wo: Tschi
e-wa: Nupe
wa-b: Mossi
wo-fu: Birifo u. a. m.)
DIL MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
trinken: no (no : Grussi
no : Ewe
nyo-ngu : Sango
bi-nyo : Mogwandi
eka-nu-nge : Budja
Mann: ku-nu-a Bangala)
baro, boro (o-bari-ma : Tschi
baro- Grussi
bolo : Songhai
boale : Bwaka u. a:) alle (westsudanischen Gruppen außer den Togo- restsprachen) 6
Schaum: fu-ga
Sache: he, fe (e-fe : Gurma)
ich: mi, mu (mi: Grussi und alle anderen Gruppen) Grussi und alle anderen Gruppen außer den Mandesprachen)
lachen: mona (mona :
Häuptling: bia (pia-u : Grussi
pia : Gurma
bea, mbia Mogwandi
mbia : Yakoma und Sango)
Ucr größte Teil der obenangetührten Wörter findet sich fast gleichmäßig im ganze]
Westsudan wieder. Auf jeden Fall gibt uns die Konkordanz des linguistischen Befundes mi
so manchen ethnologischen Ergebnissen das Recht, einen mittelbaren Zusammenhang de;
Azande mit den westsudanischen, besonders neusudanisch ausgeprägten Völkergruppei
ins Auge zu fassen. Endgültiges wird aber erst entschieden werden können, wenn die
Zwischenglieder sowohl ethnologisch wie linguistisch genügend studiert sein werden. Füi
uns steht immerhin fest, daß die Azandesprache neben dem typisch altsudanischen Funda-
ment nicht eine geringe Beeinflussung zeigt, die in der Pronominalbildung am markantesten
zum Vorschein tritt.
III. KAPITEL.
KULTURAN ALYSE
VORBEMERKUNGEN, (S. Karte 34a-c.)
Vor Eintritt in die Diskussion der verschiedenen Erscheinungsform, a
Kultur unseres Untersuchungsfeldes wird eine kurze Übersicht über die p* ?a!Gnellen
allgemeinen kulturhistorischen Untersuchungen, zu denen in allen speziellen F ^
genommen werden muß, notwendig sein. Aus dem Verlaufe der Arbeit h t Pa^Cn . e ^ung
summe neuer Problemstellungen für die afrikanische Völkerkunde61' ^ °lne
durch die endgültige Aufhellung der großen Kulturzusammenhän<m nUr
Wo es schon möglich war, die speziellen Erscheinungsformen in unser ein G IV kann*
mit den allgemeinen Ergebnissen zu verknüpfen, habe ich die Gelegenheit le.te®mn^erecht
griffen. Doch war es durch den Tatsachenbestand nicht immer gegeben ^ ^Cuden er~
Thesen der „kulturhistorischen Schule“ uneingeschränkt anzunehmen ’ ^ aufgestellten
HERMANN BAUMANN
I 2
In der Nomenklatur bin ich mit wenigen Ausnahmen auf den alten Bahnen weiter-
geschritten, da ich geglaubt habe, den Frobeniusschen Bezeichnungen, die schon an sich
die vorgefaßten Hypothesen zu sehr verraten (erythäische, äthiopische, atlantische Kultur
u. a.), keine durchschlagende Kraft beilegen zu können. Ich habe mich entweder auf geo-
graphische oder volker-chronologisch gesicherte Bezeichnungen beschränkt (z. B. west-
afrikanische, rhodesische und hamitische, neusudanische Kultur). Vielleicht läßt nur der
Begriff: ,,altsudanische Kultur“ eine ihm zugrunde liegende Hypothese erkennen. Doch
werde ich weiter unten seine Anwendung zu rechtfertigen versuchen.
Abgesehen von noch jüngeren, nordafrikanischen Kulturströmen, die allerdings
Elemente mit der großen zentralafrikanischen Wanderbewegung bis ins innere Kongobecken
vorgeschoben haben, unterscheiden wir mit Ankermann, Gräbner und Frobenius (s. 119,
1905 ; 81; 75) zwei jüngere afrikanische Kulturkreise, die untereinander starke Beziehungen
besitzen und durch ein charakteristisches Merkmal ausgezeichnet sind: die fast direkten
Beziehungen zu indischen Kulturkomplexen.
Es ist dies einerseits die neu- oder jungsudanische Kultur (gekennzeichnet
durch intensive Staatsbildungen mit ständischer Gliederung und religiösem Königtum,
Feudalwesen, Wurfmesser, Sichelmesser, Speerblatt von besonderer Form, Messer mit
Ringgriff, Stirn-Öhrbesehnung des Bogens, Reliefkunst ( ?), Gelbgußtechnik, Topfblasebalg,
Trittwebestuhl, getüllte Krummhacke, Baumwollweberei, nördliche Nackenstütze, Bügel-
harfe, Marimba, Doppelglocke und vieles mehr), die in unserem weiteren Untersuchungs-
feld ihr Schwergewicht im Norden und Nordwesten gelagert hat. Adamaua und die Reiche
Dar-For, Wadai, Bornu und Bagirmi sind Angelpunkte für ihre zentralsudanische Ver-
breitung. Die Ausgangspunkte dieser (von Frobenius „norderythräisch“, von Gräbner-
Ankermann ,,sudanisch“ genannten) Kultur wurzeln in den Arabien gegenüberliegenden
Ländern des afrikanischen Festlandes, besonders im gebirgigen Abessinien. Bis in den West-
sudan erstrecken sich ihre Ausläufer. Sie hat überall die genossenschaftlichen Gemeinwesen
der altsudanischen Bauern mit einem Netz von Staatenbildungen herrschaftlichen Cha-
rakters überzogen. Zweifellos handelt es sich auch hier nicht um eine geschlossene Kultur-
wanderung, sondern diese scheint sich auf verschiedene Schübe, welche die jeweiligen ost-
westlichen Völkerwanderungen im Sudan begleiteten, verteilt zu haben. Wir werden sehen,
wie viele Bestandteile dieser Kulturkreise in unser engeres Gebiet gelangt sind. Die kor-
respondierende Bewegung im Süden, welche vom unteren Sambesi bis zum unteren Kongo
vordrang und den westafrikanischen Kulturkreis von Süden her aufgelöst hat, besitzt neben
vielen mit dem neusudanischen Komplex gemeinsamen Elementen noch den Ohrbogen,
die radikale Bügelfiederung des Pfeiles und die Ruinengebiete des Südostens. Gräbner nannte
diesen Kulturkreis die ,,Sambesikultur“, Frobenius den ,,süderythräischen“. Die letztere
Bezeichnung hat den Vorzug, die Beziehungen zu dem neusudanischen hervorzuheben.
Solange wir aber nicht Näheres über die innere Verknüpfung der beiden Kulturkreise
wissen, müssen wir dem südlichen einen eigenen Namen geben. Ich habe dafür die geographisch
bestimmte Bezeichnung „rhodesische“ Kultur gewählt, weil sich in diesen englischen
Kolonien das Aktionszentrum gegen Norden (Lubaländer), Nordwesten (Loango) und Nord-
osten (Zwischenseengebiet) befindet.
Die viehzüchtende Hamitenkultur des nördlichen Afrika dringt nur im Osten
mit relativ wenig Elementen ein. Sie kommt ebenso wenig wie die vorgenannte für die
Mangbetu- und Azandekultur in Betracht. Bei den für unsere Verhältnisse hauptsäch-
lichsten Kulturkreisen müssen wir uns immer gewärtig sein, daß es sich hier um Gruppierun-
gen handelt, die bei immer weiterer Untersuchung der afrikanischen Verhältnisse einer
Gliederüng nicht entgehen können. Frobenius suchte für die west afrikanische Kultur
die „atlantische“ ein zuschalten, doch sind seine Beweise für die Existenzberechtigung
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
*3
einer solchen noch vag und undurchsichtig. Die alte Bezeichnung und der in einzelnen
Teilen vermehrte oder beschränkte Inhalt dieses geradezu historischen Gebildes möge auch
in diesem Falle beibehalten werden. Noch immer sind-neben wenig neu eingeschalteten
-seine hauptsächlichsten Charakteristika: Palmfaserstoffe, Zuspitzung der Zähne Giebel
dachhütte und Straßendorf,Farmarbeit der Frau, Krumrahacke mit aufgebundener’Klinge
Banane in Hauptkultur, Holzschilde, Bogenlaute, Signaltrommel, Panpfeife Mutterrecht’
Fehlen des Totemismus, Giftordal, Menschenplastik in vollster Entwicklung hölzerner
Gefaßtempelblasebalg usw. Bemerkenswert ist die starke Durchtränkung seines’nördlichen
Flügels im Kongowald und der südlichen Grenze, im ersteren Falle durch altsudanisrhe
im letzteren durch rhodesische Kulturgüter.
Jene altsudanischen Bestandteile gehören einer noch älteren Kulturgruppe an und
sind auch innerhalb dieser chronologisch noch nach unten abzustufen. Dieser Name Tis
ein zusammenfassender Begriff für alle dem westafrikanischen KultnrkrpU au
© . uiLuiKicis im Alter voran-
gehenden Kulturgruppen, erschien mir gerechtfertigt, da sich bei näherer Betrachtung der
afrikanischen Kulturgeschichte die Gewißheit aufdrängt, daß es sich hier um die Kultur
der Völker mit der eigentlichen primitiven, afrikanischen Sprache _ der Sudansprache
— handelt. Die Ansicht der Sprachforscher, die auf diesem Gebiet bahnbrechend wirkten
(Meinhof und Westermann), gehen auf die These hinaus, die südlicher gelagerten
Bantusprachen seien nur ein Bildungsobjekt zwischen hamitischem und sudanischem
Sprachgut. Damit würde auch die Möglichkeit einer Bantukultur entfallen. Der Ethnologe
konnte daher bis heute eine solche beim besten Willen nicht entdecken. Es schien so
als ob in Afrika Kultur und Sprache opponente und sich ausschließende Faktoren des
Völkerlebens seien. Durch obige Arbeitshypothese wird uns vieles klarer. Vergegenwärtigen
wir uns nur die tiefgehenden Eingriffe hamitischer Kultur im östlichen und südlichen
Bantusprachgebiet, die in unseren Kulturkärtchen ausgeprägte altsudanische Grundlage
des nordwestlichen Bantuareales und die vielfach an anthropogeographische Ursachen ge
bundene Ausbreitung der westafrikanischen Kultur über beide Sprachgebiete, so wird uns
die Inkonkordanz der beiden völkischen Grundlagen in den afrikanischen Verhältnissen
erkenntlich.
Die Sudansprachen konnten im nordwestlichen Bantugebiet von der neuen Sprach-
bildung noch nicht völlig vertilgt werden (Präfixmangel, vorherrschender Suffigierung
kp und gb Laute, Tonhöhen). Wir finden Stämme mit Sudansprachen bis weit nach Süden
vorgeschoben. So sprechen dieMondunga am Mongalla — Kongo und die Bamanga am Lindi
— Aruwimi noch sudanische Idiome, und wenn es sich bewahrheiten sollte, daß die im" Ur-
wald zerstreuten Pygmäenstämmchen sich z. T. noch solcher Dialekte bedienen, so wäre
dies die beste Stütze für die Hypothese. Ebenso aber wie das sprachliche Fundament
konnten auch die kulturellen Grundlagen nicht verschwinden. Bis zum Kasai finden sich
Kulturelemente, welche weder zu der dieses Gebiet überlagernden westafrikanischen
noch zu den südlich und östlich andrängenden rhodesischen und hamitischen Kultur * *
gehören, sondern nur im Sudan ihre Entsprechungen finden. Es ist das Kennzeichen einer
ganzen Kulturprovinz (Kongo-Provinz, s. u.), daß sich beide Elemente geschickt vereinen
Gekennzeichnet ist die Kulturgruppe unter vielem anderem durch: Vaterrecht, Farmarbeit
der Männer, Keule, Feuerquirl oder Steinfeuerzeug, Fehlen der Circumcisio, Totemismus
Penisfutteral, Extraktion der vier unteren Schneidezähne, Rindenstoffe, ’ Blättertracht
der Frau, Stabbogen mit Schlingbesehnung(?), Holzpfeile mit Blattfiederung, Lippenflöcke
und Kegeldachhütte.
Um eine Charakterisierung der örtlichen Kulturtypen zu ermöglichen, habe ich fünf
Kulturprovinzen unterschieden, deren Eigenart darin liegt, immer ein paar Kulturkreise
in ihrer Liierung zu zeigen. Die Gruppierung ist wie folgt:
I4 HERMANN BAUMANN
1. Zentralsudanische Provinz (Neusudanischer und altsudanischer Kulturkreis).
2. Kongoprovinz (Altsudanischer und westafrikanischer Kulturkreis).
3. Westafrikanische Provinz (Westafrikanischer und rhodesischer Kulturkreis).
4. Zwischenseenprovinz (Hamitischer, rhodesischer und altsudanischer Kulturkreis.)
5. Nilotische Provinz (hamitisch und altsudanisch).
Im Verlaufe der folgenden Untersuchungen werden wir des öfteren noch Gelegenheit
haben, die größeren kulturhistorischen Aufstellungen der „Kulturkreisschule“ zu erörtern.
Hier genügen die wenigen allgemeinen Bemerkungen, um die Stellungnahme des Verfassers
zu den grundsätzlichen Fragen darzulegen.
1. DIE TRACHT,
a) Die Körperkleidung.
Die eigentliche Kleidung, die nicht allein dem Schmuckbedürfnis Genüge leisten,
sondern in erster Linie als Schutzmittel vor den Unbilden der Witterung und den Angriffen
sensibler Organe durch Insekten dienen soll, tritt in Afrika in zwei grundverschiedenen Ent-
wicklungsrichtungen auf. Beide sind auf das jeweilig bevorzugte Gewerbsmaterial der zwei
antagonistischen Wirtschaftsformen Afrikas: der Viehzucht und des Hackbaues, ein-
gestellt. In den sudanischen, nilotischen, ost- und südafrikanischen Gebieten prägte die dort
mehr oder minder stark auftretende Viehzucht auch der Kleidung des primitiven Urpro-
duzenten den Stempel ihrer animalischen Eigenart auf. Im Westen und Zentrum des Erd-
teiles finden sich hingegen fast ausschließlich pflanzliche Materiale, die dem mehr auf die
Vegetabilien sein Hauptaugenmerk richtenden Hackbau und der baumreichen Natur ent-
sprechen. Wildfelle werden nur in verschwindender Anzahl und sporadisch gebraucht,
was nur die Abhängigkeit der Kleidung von der Wirtschaftsform beleuchtet.
Entgegen der einheitlichen Fell- und Ledertracht zerfällt die Kleidung aus pflanzlichen
Materialien in mehrere sachliche und geographisch stark begrenzte Gruppen. Aus der Rinde
— besonders des Ficusbaumes — wird durch Mazerieren und Klopfen ein weicher und
schmiegsamer Stoff verfertigt; aus dem Blattwerk der Raphiapalme, Banane und Ananas
werden im westafrikanischen Gebiete durch Weben mit Griffwebstühlen gewirkte Stoffe
hergestellt und aus der erst jung in Kultur genommenen Baumwolle verarbeitet man lange
Gewänder oder einfachere Tücher in den Einflußgebieten relativ rezenter Kulturkreise
(jungsudanische und rhodesische Kulturen).
Männerkleidung. (S. Karte 1.)
Bei Mangbetu und Azande fehlen die jüngeren gewirkten Stoffe fast völlig. Die Aktions-
zentren der sie tragenden Kulturkreise sind noch weit genug vom Uellebecken entfernt,
um hier ein Refugium alter Tracht bestehen zu lassen. Die vom zentralen Kongobecken
heranflutenden Wellen westafrikanischer Kultur haben das ihr eigentümliche Palmfaser-
gewebe nur bis zum mittleren Aruwimi vorzuschieben vermocht (südliche Ababua — Ba-
ngwa—Wangilima etc.). Den Unterlauf des Aruwimi herauf kamen ja noch so manche Kultur-
elemente der Mongo-Kundugruppe, um die primitiven Zustände des südlichen Uellegebietes
umzugestalten. Die Baumwollstoffe jungsudanischer Herkunft machen an der Linie: östliche
Bandaländer—Südwadai und Darfur halt. Daß auch den Azande in ihren ursprünglichen
Verhältnissen die Verwendung der Baumwolle fremd ist, daß sie sich auf Felle und in neuerer
Zeit auf die aus dem Süden verbreiteten Rindenstoffe beschränken, bringt sie in einen
näheren Zusammenhang zu den feil- und lederbekleideten altsudanischen Stämmen des
Scharigebietes und trennt sie von den jungsudanischen Staatenbildern des Zentraisadan,
mit denen sie doch so manches gemein haben.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU Xr
Während Schweinfurth noch aus den von ihm bereisten Gebieten die Rindenstoffe____
wo sie schon vorkamen — als direkt aus den südlich gelegenen Mangbetuländern im-
portiert betrachten konnte (i, 188) und Felle die eigentlichen Kleidungsstücke der Azande-
männer waren, erwähnt der Reisende Reynolds (136,111,240) wenigstensaus RenzisGebiet die
Gleichwertigkeit von Fell und Rindenstoffen. Die Form des Rokkolendenschurzes wurde
mit übernommen. Schon zu Junkers Zeiten (5,1,381) kannten die Idio diese Trachtenbildung
Der ca. 6 bis 8 Jahre früher reisende Marno erwähnte nur Felle und importiertes
„Zeug“. Auch die Nsakara bedienen sich der Schürzen aus Rindenbast („fibres d’ecorce“)
nach Angaben von Lalieux (152, 1896, 115L) und Pierre (150, 1904, 73). Von den primitiven
unterworfenen Stämmen wissen wir so gut wie nichts über die Männerkleidung.
Bei den Mangbetustämmen steht der den Azande.übermittelte „Rokko“, d. h. das
hosenartige Kleidungsstück des äquatorialen Afrika als einzige Männerkleidung da. Der
mazerierte Rindenstoff wird zwischen den Beinen durchgezogen und von einem Gürtel aus
Antilopenfell oder Pflanzenfasern gehalten. Die Ränder fallen — im Gegensätze zu den ver-
wandten Kleidungsstücken des übrigen die Rinde walkenden Afrika — nicht über den
Gürtel herab sondern stehen gesteift in die Höhe. Diese T-Hose (wie sie Frobenius nennt),
wird von allen Berichterstattern — neueren und älteren — erwähnt und beschrieben.
Die Badjo (142, III, 387) nennen diesen Schurz „nogiu. Bapopoie (144, 1912, S. 1057)
und Barumbi (7? 595’ 120 IV) verwenden ebenfalls in der Hauptsache das Rindenkostüm
im gewöhnten Wurf. Nur die Bapopoie haben z. T. von den angrenzenden Bangwa-Wangilma
Faserstoffe eingetauscht.
Was die Beteiligung der Geschlechter an der Verarbeitung dieses eigentlich männlichen
Kleidungsstoffes anbelangt, so erwähne ich die Angabe Laplumes (41, 206), daß die Frauen
von ihr ausgeschlossen sind. Die Männer haben auch hier wie sonst in Afrika das Zurichten
und -schneiden übernommen.
Frauenkleidung. (S. Karte 2.)
Die Frauentracht der Azande verfügt über ein höchst markantes Kleidungselement:
den im Sudan weit verbreiteten Blätterschurz. Ein zwischen die Labien geklemmtes Blatt
(ab und zu auch Zweige), das vor Pubis und Glutäen gebunden wird, dient dem Zwecke
primitivster Schamverhüllung. Abandya-, Gollo- und Sherefrauen begnügen sich ebenfalls
mit diesem anspruchslosen Kleidungsstück. Es zeigt uns noch ein geringstes Maß von
Schmuckbedürfnis und ein bemerkenswertes an Schutz- und Schamgefühl. Im Manebetu-
gebiet mußte dieses Trachtenglied ein interessantes Kompromiß mit einem anderen _____
besonders den Osten des Kongogebietes erfüllenden — schließen. Die Frauen zwischen Helle
und den Manyemagebieten haben sich die ursprüngliche männliche Rindentracht in schür-
zenartiger Umbildung angeeignet, wobei sie in den Einflußgebieten der Blättertracht diese
in irgend einer Form neben der Rindenschürze beibehielten (Ababua, Mangbetu, Badjo,
Momvu). Die uns überkommenen Nachrichten über die Mangbetu (u. a. 1; 2; 5; 41) lassen
folgendes als das rechte Bdd der Frauentracht in den nördlichen Territorien erscheinen:
Eine Rindenstoffschürze geringen Umfanges bedeckt die Vorder-, seltener die Hinterseite
der Hüftgegend. Ein kleines, ovales Schürzchen wird aus getrockneten Blättern zusammen-
genäht, mit aus solchen herausgeschnittenen und gefärbten Mustern verziert und an dem
Gürtel aus Palmfasern (vorn oder vorn und hinten) befestigt (s. Fig. 1—2). Dieses „lägbe“ findet
sich bei den Badjo als ,,negbc (142,111,388) und denMomvu als ,,sigbi“(B.M.); diesen letz-
teren wird es von der akkulturationsbegierigen Mangbetukultur mitgeteilt worden sein,
da es nur in den nördlichen und westlichen Landschaften dieses primitiven Stammes ge-
funden worden ist. Sonst scheint hier die einfache Blättertracht vorzuherrschen. Das
Klemmblatt erwähnen Christiaens und Chaltin (s. 41) neben den bekannten Blattbüscheln,
[ 6 HERMANN BAUMANN
die auch gern noch auf der Schürze getragen werden. Nur den Bapopoiefrauen ist das
Tragen eines Fasernbüschels auf der Hinterseite eigen. Dieses ,,ebui“-artige, mehr dem
Schmucke dienende Kleidungsstück scheinen sie direkt von denWangilima übernommen
zu haben (s, weiter unten u. Fig. 3.)
Die kulturhistorische Betrachtung hat zuerst mit der Ausscheidung der rezentesten
Kleidungsstoffe aus dem Kartenbilde zu beginnen. Europäische und arabische Stoffe sind
schon so tief in unser weiteres und engeres Gebiet eingedrungen, daß die ursprünglichen
Grenzen schon vielerorts verwischt erscheinen. Die neuzeitlichen „Sultanate“ des Mbomu,
welche von der französischen Verwaltung begünstigt werden, geraten langsam in die Hände
europäischer und arabischer Händler und es ist nur noch eineFragederZeit, bis auch der ein-
fachste Eingeborene in den unästhetischen Lumpen abend- und morgenländischer Ge-
schäftsfreudigkeit daherschreiten wird. Jüngere Stoffe, die aus einheimischer Industrie er-
wachsen, wie die jungsudanische und rhodesische Baumwolle, haben unser Gebiet kaum
berührt und können nur als negative Faktoren in der Kulturbetrachtung des Gebietes ge-
wertet werden. Die Bedeutung des Mangels dieser Staude und deren Verarbeitung wurde
schon oben gewürdigt.
Unter den älteren afrikanischen Bekleidungsstoffen spielt das Palmfasergewebe eine
bedeutende kulturhistorische Rolle. Die Verarbeitung dieser Stoffe ist für den westafri-
kanischen Kulturkreis so charakteristisch, daß sie schon vor Ankermann auch Frobenius
für die Aufstellung dieses Komplexes als Hauptpfeiler dienlich war. Später (besonders
Atlas Africanus) ließ dieser Forscher bekanntlich den selbst aufgestellten Kulturkreis fallen
und einen anderen ganz verschiedenen Ursprunges — den „atlantischen“ — dafür erstehen.
Da er sich der östlichen Herkunft der „Mabele“-Stoffe nicht ganz entziehen konnte, löste
er diese Gewandung aus dem Bestände seiner atlantischen Kultur und scheint ihn der jung-
afrikanischen rhodesischen Kultur (seiner süderythräischen) zurechnen zu wollen. Für uns
besteht kein Anlaß, uns dieser Ansicht zuzuwenden, da erstens die atlantische Kultur
Frobenius’ wohl zumeist aus jungsudanischen und nordafrikanischen Elementen, vermengt
mit zweifellos westafrikanischen Bestandteilen, besteht, zweitens weil die rhodesische Kultur
schon auf ein markantes Trachtenmaterial Anspruch erhebt ; die Baumwolle. Die vielen
Gründe, die für eine westafrikanische Zugehörigkeit sprechen, sind schon in den älteren
Arbeiten erörtert worden und zu schlagend, um über Bord geworfen zu werden. Das kartogra-
phische Bild wäre noch überzeugender, wenn es nicht durch die aus dem Innern an die litoralen
Gebiete gezogenen Pangwe zerrissen worden wäre. Als Träger von Rindenstoffen haben
sie auch hier ein Glied westafrikanischer Kultur ertötet. Nun ist besonders erstaunlich,
daß die Technik des Webens und mit ihr die an die Raphiapalme gebundenen Faserstoffe
nicht bis in das eigentlichste Urwaldgebiet eingedrungen sind. Bis zur Südgrenze konnte
die neue Stoffart vorrücken und die Rindenstoffe verdrängen, aber in die ihr kulturgeo-
graphisch günstige Waldzone vermochte sie nicht einzudringen. Flier haben sich die Rinden-
stoffe gesammelt und sich ein Rückzugsgebiet geschaffen. So kommt es auch, daß die Mang-
betu von den aus Südwesten anrückenden jüngeren Kulturelementen in dieser Beziehung-
fast unberührt geblieben sind. Nur einer der Südstämme: die Bapopoie haben importiertes
(nicht selbstverfertigtes) Palmfaserzeug von den die Technik betreibenden Bangwa-Ababua
erhalten. Der uns noch öfter begegnende Wanderweg den Aruwimi hinauf hat diesen Wald-
landstämmen sicher die Bekanntschaft mit der Mongokultur erleichtert.
Wir haben gesehen, daß sich in einem schmalen Streifen nördlich des Äquators eine
Rückzugsstätte des Rindenstoffes, die sich etwa mit dem Gebiete höchster Intensität der
Bewaldung deckt, gebildet hat. Anzunehmen ist daher nach den Kriterien der kulturhisto-
rischen Methode (s. Gräbner; 82) ein höheres Alter des Rindenstoffes vor der nördlich
heranstürmenden Baumwolle und der südlich anbohrenden Palmfaserkleidung. Der Foyschen
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU 17
(83, o, 30) Vermutung eines hohen Alters der Rindenstoffe liegen Ankermanns und Gräbners
Spezialuntersuchungen zugrunde. Eine bestimmte chronologische Festsetzung konnte er
aus deren Vermutungen nicht herbeiführen. Wohl suchte Ankermann den afrikanischen Be-
fund mit dem ozeanischen in Einklang zu bringen und zählte den Rindenstoff der Gräb-
nerschen ,,ostpapuanischen“ d. h. der „mutterrechtlichen Zweiklassenkultur“ zu, die in
Afrika mit der „melanesischen Bogenkultur“ zu dem westafrikanischen Kulturkreis ver-
einio-t erscheint. Es scheint jedoch berechtigt zu sein, das Alter der Rindenstoffe in Afrika
weiter hinaufzusetzen und es mit nigritischen, d. h. altsudanischen Elementen in Zusammen-
hang zu bringen. Dem entspricht auch die Coincidenz im kartographischen Bilde zwischen
der noch zu besprechenden weiblichen Blattracht, die sicher altsudanisch ist, und den
Rindenstoffen — wo nicht Fellkleider die Blattracht verdrängt haben. Erst neuestens hat
sich Frobenius-Boekmann (75,1) dieser Ansicht zugewandt und die Rindenstofftracht,
als den Männern eigen, seiner „äthiopischen Kultur“ — zugeschrieben. Die Rindenstoff-
hose der Mangbetu ist unverfälschte Waldlandtracht und ist ihnen höchstwahrscheinlich
seit ältester Zeit eigen. Bei den Azande ist sie — wie schon erwähnt — erst in jüngerer Zeit
aus dem Süden importiert.
Die Fellkleidung der Azande aus Colobus- und Genettenfellen bringt dieses stark neu-
sudanisch durchsetzte Herrschervolk mit den altsudanischen Stämmen des Scharigebietes
zusammen, die sich ihrer, wenn auch in anderer Schürzung bedienen. Die nilotische Provinz
scheidet aus den Verwandtschaftsmöglichkeiten schon deswegen aus, weil sie gegerbtes Leder
von Großvieh verwendet, zudem die Männer nackt gehen. Auch die Ledertracht der Splitter-
niloten des Westens ist von abweichender Form.
Die altsudanischen Penisfutterale, deren Stellung innerhalb der Tracht noch immer
nicht geklärt erscheint, ist nicht zu den unterworfenen Autochthonen des Uellebeckens
gelangt __ oder ist schon auf gegeben worden. Mir jedenfalls gibt das eigentümliche Zu-
sammenfallen des Fehlens der Circumcisio und jeglicher Schamkleidung — zu der ich das
Penisfutteral nicht rechnen kann — zu denken. Vielleicht gibt uns diese kulturgeographische
Tatsache wenigstens für Afrika einen Aufschluß über den Ursprung dieser Sitte. Es ist nicht
unmöglich, daß erst die Beschneidung beim Primitiven eine Schambekleidung notwendig
machte es ist sehr wahrscheinlich, daß dann das auf eine Verifikation des Darwinschen
Prinzipes ausgehende Penisfutteral entfallen mußte. Das einzige an diese eigentümliche
_ schon eher als Schmuck zu achtende — Form der Tracht erinnernde Element scheint
die den Penis hochbindende Schnur der Biri (einem den Abandya tributären Bandastamme
am Mbomu) darzustellen. Bruel (ii4,22if.) der dieseTatsache registriert, verweist auf die-
selbe Sitte der Birifo am schwarzen Volta in Oberguinea. Zweifellos gehört das Suspensorium
Pier derselben altsudanischen Kulturschicht an, wie im südöstlichen Zentralsudan.
Das hohe Alter der in unserem Gebiete so vorherrschenden Blatttracht der Frau
- • Einheit mit Faser- und Strähnenschürzen — konnte schon Foy (s. oben) vor Frobenius
festle en Die geographische Verbreitung deckt sich in auffallender Weise mit der männ-
Phen Rindentracht. Sie bricht allerdings an der Grenze des Zwischenseengebietes ab, wo
*C. ^ „ rr 11T. j t Pder-Fellbekleidung ihre Stelle einnehmen. Leder und Felle charak-
feiistreTt scharfer Ausprägung die Frauentracht der nüotischen Provinz und nur
dlichc Teil des Kongo- und der südliche der zentralsudanischen Provinz sind
dCr diesem ganz altertümlichen Kleidung erfüllt. Ich stehe nicht an, sie als die typisch
altsudanische Frauentracht hinzustellen, die mit den verwandten Frauenschürzen bis
nördliche Bantugebiet hineinreichen. Die Azande sind diesem altsudanischen
UlTrelement treu geblieben und haben sie wie die Unterworfenen bewahrt. Ihrer
zentralsudanischen Verwandtschaft steht auch hier nichts im Wege. Bei den Mangbetu
ist es schon viel schwerer zu unterscheiden, ob die Blattbuschei oder die Rindenstoffe das
2 Baessler-Archiv.
шВЖ
18 . HERMANN BAUMANN
ursprüngliche der Frauenkleidung waren. Ich neige der Ansicht zu, daß die Blattbekleidung
den unterworfenen und amalgamierten Autochthonen eigen gewesen sein muß, und die
Rindenstoffe — mit oder ohne die Mangbetuträger — aus dem Süden — einem Gebiete
zusammenhängender Rindenstoffverwendung durch Mann und Frau — gekommen sind.
Eigentümlich bleibt die Koexistenz dieser Frauengewandung aus gewalkten Stoffen und
dem Holzplankenschild (Mangbetu, Ababua, Bapopoie, Wasongola, Zwischenseengebiet
usw.), ein Zusammentreffen, das den Eindruck einer südlichen Herkunft der ersteren nur
verstärken muß. Die dazu kombinierte Blatt-Tracht jedenfalls ist altsudanisch und dem
Gebiet einheimisch. Zweifellos ist die Lokalausbildung des ,,Lägbe“-Schurzes auf den künst-
lerisch gerichteten Sinn der Nord-Mangbetu zurückzuführen. Die südlichen Stämme ent-
behren einer solchen gemusterten Hinterplatte,
Der Büschelschurz — das ,,Ebui“ der Pangwe — der Bapopoie und Wangilima
hat nächste Verwandte am unteren Ubangi, am Lulongo, in Kamerun und in den südwest-
nilotischen Gebieten (Bongo, Mittu, Madi u. a.). Exemplare des Berliner Museums von den
Durru und Мака weisen ganz dieselben Formen auf wie das „opopa“ der Wangelima (III,
C. 27 600, 01, 02, 05). Ich weise auf die frappierende Übereinstimmung der Stuhlformen
der Wangilima, Bafia und Muntschi (alle В. M.), sowie auf die gleiche Bezeichnung der ,,4“
in den Ababuasprachen — zu denen ja auch der Dialekt der Wangilima gehört — und den
Grasländern Nord-Westkarneruns hin. Wie sich das Verhältnis zu den nilotischen und
Momvu—Vorkommen stellt, ist ebenso schwer zu unterscheiden; auch hier tritt uns eine
markante Verwandtschaft zwischen Ababua und den westlichen Niloten entgegen, hinsicht-
lich der kartographischen Deckung mit der Ohrranddurchbohrung (s. unten). Das ,,Ebui“
tritt fast stets mit der Blatt-Tracht kombiniert auf und hängt wohl innig mit dieser zusam-
men. Der Büschelschurz verdankt seine starke Ausbreitung im westäquatorialen Afrika
sicher der großen Ubangiwanderung an der die Mongo-Kundu-Pangwe viele Adamaua-
stämme und die vor den Azande hergeschobenen Madi teilgenommen haben müssen. Die
uns weniger berührende ,,Kamfu“-Binde des weiteren Scharigebietes stellt wohl eher ein
hygienisches Mittel dar — vielleicht, da es hauptsächlich bei Mädchen und fruchtbaren
Frauen auftritt, eine Menstrualbinde.
Mit starkem Konservativismus behält die Frau ihre Blatt-Tracht bei, wie sie auch der
Teil des ethnischen Verbandes ist, der sich am stärksten gegen jede Neuerung der Kleidung
sträubt (die Abneigung gegen die europäische Kleidung ist stärker beim weiblichen als beim
stets reformbedürftigen männlichen Geschlecht).
Alles in allem verweist in der Kleidung der Mangbetu das meiste auf Bodenständigkeit
im Waldgebiete, die der Azande aber im Überwiegenden nach dem altsudanisch gebliebenen
Zentralsudan.
b) Die Kopfbedeckung.
Im gesamten Mangbetu- und einem großen Teile des Azandegebietes herrscht als einzige
Kopfbedeckung ein eigentümlicher Strohhut vor (s. Fig. 25,26). Er besitzt eine kreisrunde Basis
und ist in eine viereckige Kuppe ausgezogen, die in einzelnen Fällen noch durch Stäbchen ver-
steift ist. Wenn wir von dieser eigenen Ausbildung der sonst in Afrika nicht allzu häufigen
Strohhüte ein kartographisches Bild entwerfen, so geben uns die Vorkommnisse: Azande
(В. M.), Mangbetu (В. M.), Mittu (1, i6if.), Bari (В. M.), Mabali (В. M.), Momvu (80) etc.
ein zusammenhängendes, wenn auch beschränktes Gebiet. Wenn wir nach den ursprüng-
lichen Trägern fahnden, so kommen wir der Frage nur nach Insichtnahme der Technik
und der Entwicklungsgänge aus anderen Flechtereien näher. Die Technik der Hüte
ist fast durchgehend die des Stufengeflechtes. Sie ist daher von der nilotischen und suda-
nischen Spiralwulstmethode gründlich unterschieden. Die Kopfbedeckungen der meisten
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
übrigen Sudanstämme und Ostafrikaner gehen aus dieser Technik hervor. Nun besitzen
die westlichen Niloten (Logo, Momvu u. a. B. M.) Matten in Stufenmanier. Dieselben
Stücke zählen nun auch die den Logo und Momvu benachbarten Mangbetu zu ihrem
Inventar. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Kalika, Logo, Madi etc. _ die ja auch
sonst kulturell westliche Tendenzen zeigen — diese Kulturgüter und Arbeitsweise aus dem
Westen mitgebracht haben. Einer Prüfung kann auch die Vermutung unterzogen
werden, daß diese Matten der von De Calonne als Sprachgruppe festgelegten Momvu-
Logo-Makeregruppe angehören, so daß hier die Abangba garnicht als Kulturträger in Be-
tracht kämen. Den Azande fehlen anscheinend solche Matten oder gar Körbe in Stufentech-
nik völlig. Sie verfügen in der Hauptsache nur über Körbe in dreisträhnigem Rotanggitter-
geflecht; daher ist ein Ausgehen von den Azande bei der Betrachtung schon hierdurch
nicht gegeben. Die einzigen in Stufentechnik ausgeführten Flechtwaren der Azande sind die
Hüte vom Mangbetutypus. Lnd auch die Hutform hat ihr Hauptdomizil im Süden neben
den Matten in Stufentechnik aufgeschlagen. Daß Körbe in dieser Form und Technik im ganzen
Nordgebiete rhodesischer Kultur (Bavili, Baschilange, Basonge, Warna, Baholoholo, Batetela
etc.) verbreitet sind, verleitet zur Vermutung, daß auch die Strohmützen und Körbe der
Gruppe: Mangbetu-Momvu-Mombutu-Lendu-Alur aus einer südlichen Quelle stammen und die
Kopfbedeckungen der Mangbetu nur eine Umbildung der aus dem Südosten und Osten über-
nommenen Form und Technik der dort heimisch gewordenen Flechtwaren darstellen.
Die Azande haben sie sodann von den Mangbetu erworben und die Fellmützen nach dem
Westen (Djabir-Bandy a B.M.) verdrängt. Auch die „Lupopa“-Mütze (Abb. 30) in Mitraform,
die wir bei den Bapopoie finden, ist fremden Ursprunges (s. a. 144,1912, 107: „nepopo“, neben
der Antilopen- und Affenfellmütze). Dieselben Kopfzierate finden sich bei den Wangilima
und Ababua, sowie in etwas abgewandelter Form am Itimbiri und Mongalla (u. a. B. M.).
Besonders zu beachten wären schließlich noch die runden Strohmützen mit abge-
bundener und ausgezogener Spitze und einem Zick-Zackrand. (S. Abb. 27—29.) Solche
Mützen kommen ganz gleichartig bei den Momvu, Azande, Mangbetu und — bei den Kung
im Scharigebiet vor. Da auch die Schildform der Momvu (s. unten) mit Schilden des Nord-
scharigebietes in Zusammenhang steht, dürfen wir vielleicht diese Hutform als für die
Momvu charakteristisch bezeichnen, von denen sie die Azande und Mangbetu übernahmen.
c) Der Schmuck.
1. Kopfschmuck.
Nur bei den Azande kommt das eiserne Stirnband vor. Es ist der Mangbetugruppe
völlig unbekannt und beschränkt sich auch sonst anscheinend auf sudanische Gebiete. Das
Museum besitzt solche von den Idio (s. Abb. 23, 24). Junker (5, III, S. 12) erwähnt eiserne
Stirnbänder von den Makilli am Uelle, und Stuhlmann gleiche von den Alur (7, 518; und
B. M.). Stanley (27,1, 171) bildet einen Avisippa- (also wohl Baiesse- oder Mabali-) krieger
mit einem eisernen Diadem ab. Auch Talli (129, Ergb. 9 a, b, 122) und Sabanga (16, 363)
kennen derlei Stirnbänder aus Geflecht (bei den Languassi: 16: 234) oder Perl- resp.
Muschelschnüren (z. B. Baya; 129, Ergb. 9 a, b, 123). Sie sind sicher viel weiter verbreitet
und scheinen ebenfalls dem westafrikanischen Kulturkreis fremd zu sein.
Auch den Haarnadeln kommt außer dem praktischen Zweck eine nicht geringe absolut
kosmetische Bedeutung zu (s. Abb. 10—22). Angesichts der starken Variabilität der Formen
ist jedoch eine kulturhistorische Behandlung nicht angängig. Abbildung 19 zeigt ein aus
Messing verfertigtes messerartiges Gerät, welches wie die meisten Haarnadeln auch zum
Rasieren dient, und das nächste Beziehungen zu Formen der Walesse, Wangilima („bukwa“),
Bayanzi, Gaberi etc. besitzt. Vielleicht handelt es sich hier auch um eine naheliegende
20
HERMANN BAUMANN
Konvergenz. Auffallend ist dabei die an allen Exemplaren wiederkehrende Spiraldrehung
des Stieles; Elfenbeinhaarnadeln besitzen sowohl Mangbetu wie Azande in eigenwilligen
Ausbildungen. Eigentümlich sind den Mangbetu eine Pinzette- und eine Sternform der be-
liebten Hut- und Haarnadeln.
2. Körperschmuck.
Von dem mannigfachen Körperschmuck mögen hier nur ganz markante Stücke her-
ausgegriffen werden. Diesem Behangschmuck (nach Selenka) haftet eben das Elementar-
gedankliche noch so sehr an, daß er sich im allgemeinen einer ethnologischen Gruppierung
entzieht.
Unter den Armringen sind von den Idio außer den obligaten Eisenspiralen besonders
ein schellenartig verdickter Armring zu erwähnen. Es ist nicht uninteressant, wieder auf
eine Formähnlichkeit zwischen dem östlichen Azandegebiet und dem östlichen Adamaua
hinweisen zu können. Hier zählen die Baya (B. M.) einen ganz ähnlichen Armring zu ihrem
Schmuck und fügen (wie auch die Nsimu-B. M.) eine ganze Anzahl von mit Eisenkugeln
ausgefüllten Anschwellungen zusammen. Tikar und Mbum verwenden ähnliche Ringe als
Fußschmuck. Einzelne solcher Schellen sind ja auch bei den Dinka und anderen Niloten
gang und gäbe. Sind derartige Schellenreife auch noch weiter in Afrika — besonders im
Sudan — verbreitet, so gestattet doch die völlige Konkordanz der Idio- und Bayastücke
wieder einen vortrefflichen Blick in die Kulturzusammenhänge im Herzen Afrikas.
Einen eigentümlichen Handgelenkschmuck besitzt das Berliner Museum von den
Bapopoie: zwei Kupferringe, die durch einen Messingring verbunden werden, tragen einer-
seits ein Büschel Schweineborsten, andrerseits Hölzchen in Signalpfeifenform (s, Abb. 5).
Solche Reifen mit Signalpfeifen sind am Aruwimi häufig. Außer den Wangilima, von denen
sie die Bapopoie—-wie so vieles von der Tracht — sicher übernommen haben, tragen solche
signalpfeifenartige Hölzer auch die Mabali (s. Abb. 6), Bapoto, Malele etc., sowie die Maka
am Dschah (diese bezeichnenderweise an Lederreifen). Ich verweise bei dieser Gelegenheit
auf das anläßlich des Büschelschurzes Gesagte. Eine Angabe des Sammlers (Wiese) erläutert
den Malelering wie folgt: „Amulett, um mutig und tapfer zu werden und um vor feind-
lichen Geschossen unverletzbar zu machen (s. Abb. 4)/
Eine für das nordöstliche Kongogebiet auffallende Erscheinung ist vereinzelter Eisen-
schmuck in Form von Schnüren aus Eisenperlen, die teilweise zu Schürzen verbunden
werden, oder von Schmuckketten aus Eisen.
Solcher Eisenschmuck aus dem nordöstlich en Kongogebiet hat in den Museen gewöhnlich
als Herkunftsangaben folgende Bezeichnungen: Mangbetu, Momvu, Mombuttu, Balese, Babira
(Ketten), Watalinga (Gürtel), Tofoke, Aruwimi, Rubi (Eisenperlenschürze) usw. Eine Be-
merkung bei Frobenius (,,Aus den Flegeljahren der Menschheit“. Hannover 1901 S. 36),
die sich auf einen Gewährsmann Dr. Brandt zu stützen scheint, macht es uns klarer, woher
diese Schmucke kommen. ,,In Yimbagere, einem Dorf zwischen Rubi und Aruwimi im
nordöstlichen Kongobecken, findet sich im Gegensatz zu den umliegenden Landstrichen
eine Menge guter und leichtlöslicher Eisenerze. Daher sind die Bewohner dieses Dorfes reich
mit Eisen geschmückt, daher zeichnen sie sich auch ganz besonders durch schöne Eisen-
waffen vor ailenNachbarn aus. Während nun jeder Dörfler in den öffentlichen Schmieden
seine Waffen arbeitet und repariert, ist es die Kunst einiger weniger, die herrlichen, zier-
lichen Eisenperlen, die wie das Muschelgeld auf Schnüre aufgezogen und um den Hals
getragen werden, zu fabrizieren. Diese Leute tun weiter nichts, als Eisenperlen herstellen.
Die Eisenperlen haben auf diese Weise bestimmten Wert angenommen. Eine Kette = eine
Ziege; 20 Ketten = eine Frau.“ Das Mangbetukettchen (s. Abb. 8) aus Eisen ist wohl sicher
von dem Momvu-Baleseblock übernommen.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU 2 1
3. Haartracht.
Von den formenreichen Haarfrisuren unseres Gebietes greife ich nur den sattsam bekannten
markanten Mangbetutypus heraus, um ihm eine Stellung unter dem übrigen westafrikanischen
Haarschmuck anzuweisen (s. Abb. 34). Erwähnt sei, daß zur Bildung ein Korbgeflecht
als Gerüst des kunstvollen Baues und eine Verlängerung der Haare durch Gräser not-
wendig ist. Die von Junker als Stirnbinde bezeichneten Zöpfchen (5, II, 306-—7), die in
enger Folge über den Vorderkopf gelegt werden, dienen wohl mehr dem Zwecke der Schädel-
deformation. Die Haartracht findet sich sowohl bei Amadi und Abarambo wie auch den
westlichen Momvu, beschränkt sich aber höchstwahrscheinlich auf die nördlichen Mangbetu,
während die Bapopoie (144? X9I2> 97) ^ir Haar in ähnliche Flechten bringen, wie wir sie zum
Teil von den Nordmangbetu (5, II, 312) und besonders von den Azande her kennen.
Die oben erwähnte und abgebildete Haartracht hat ihren nächsten Verwandten be-
merkenswerterweise wieder im tiefen Waldgebiet des Südens und Südwestens. Johnston
(112, II Abb. S. 597, 581) bildet eine Ngombe-Bwelafrau vom Mongala ab, welche in ihrem
Haarputz große Ähnlichkeit mit dem der Mangbetufrauen aufweist. Noch schlagender sind
die Übereinstimmungen mit entsprechenden Gebilden der \\ asongola (s. 144, 1909 Abb. 117,
125 etc.). So ohne weiteres darf man an diesen Beziehungen nicht vorübergehen, zumal
ja noch so vieles andere aus der heterogenen Mangbetu-,,Kultur“ aus dem Süden und Süd-
westen stammt, und höchstwahrscheinlich das ursprüngliche und nachweisbar älteste Gut.
4. Die Körperdeformationen,
a) Die Schädeldeformation.
Die künstliche Umgestaltung der Schädelform in der für Afrika gebräuchlichsten Form
__der Verlängerung — wurde schon frühzeitig von den Mangbetu gemeldet. Junker (5, II,
307), Schweinfurth (1, 119, V 1873, 18), E. Pascha (3) und in neuerer Zeit Laplume (41,
577) berichten über die bemerkenswerte Sitte. Durch Pressen mit Rindenstoffbinden er-
zeugt, macht der seit der Jugend bearbeitete Kopf zusammen mit der stark nach hinten
ausgebauten Frisur — ein eigentlichster ,,Ansatzschmuck“ — einen extrem dolichokephalen
Eindruck. Ich mißtraue daher der natürlichen Ursache jener ,,Mangbetudolichokephalie“,
wie sie uns Czekanowski meldet und kartographisch darstellt (s. Bull, de la soc. de Cracovie
1910), trotz seiner Rechtfertigung, zumal die südlichen Mangbetustämme, denen sowohl
Deformation wie die typische Plaartracbt fehlt, im Schädelcharakter sich völlig an den
subbrachykephalen Waldlandtypus anlehnen (s. a. Struck, 119, 1922 Karte).
Die Deformation an sich wäre nun im Uellebecken keineswegs zu verstehen, würden
uns nicht wieder altbekannte Wege den Aruwimi stromab zum nördlichen Mongo- und
Ngombe-Gebiet führen. Von Basoko ab nach Westen (bis etwa Leopoldville) beginnt ein
weiteres Gebiet extremer Kopfdeformation. Starrsche Bilder (78) gestatten uns einen Ein-
blick in diese Verhältnisse am mittleren Kongo. Genau wie in Mangbetu versucht man in
Jalundi die Deformation noch durch eine weit nach hinten ausladende Frisur zu heben,
(130, 1887, 8. 18). Johnston-Grenfell (112, II 672) berichtet darüber: “At Bapoto and among
the Ngombe of the northern Congo, the head of the infant child is tightly bound soon after
bUth between flat pieces of bark in Orders to compress and lengthen the skull.“ Ebenda
(g. -lst der Mangbetuhaartracht ähnliche Frisur der Ngombe-Bwela abgebildet.
Sowohl den brachykephalen Azande, wie auch wohl den unterworfenen Stämmen fehlt
diese Sitte. Bis genaue Untersuchungen über die geographische Verbreitung und den kul-
turhistorischen Wert der Kopfdeformation vorliegen, möchte ich sie — wie das noch zu be-
sprechende Tragen langer Fingernägel — als eine Eigenart von Herrscherkulturen fest-
legen. Befunde im Grasland von Kamerun und dem Zwischenseegebiet legen eine solche
Deutung nahe.
22
HERMANN BAUMANN
b) Deformation der Zähne (s. Karte 4).
Erst in jüngster Zeit haben die afrikanischen Zahnverstümmelnngen einer dankens-
werten und eingehenden Arbeit — die auch kulturhistorische Ziele verfolgt — zum Vor-
wurf gedient (Dr. F. Lignitz: Die afrikanischen Zahnverstümmelungen im Lichte der Kul-
turkreislehre. Anthropos 1920 ff.). Auf die Ergebnisse dieser Dissertation und die beigegebene
Karte stützen sich folgende kurzen Betrachtungen.1
Was mir für unsere Zwecke ganz bedeutsam erscheint, das ist das völlige Fehlen jeg-
licher Zahnverstümmelnngen bei den Mangbetustämmen. Nur die primitiven Barumbi
(154, VII, 260) haben die Zahnfeilung wie die umwohnenden Stämme. Auch Lignitz weist
auf die Bedeutung jener Abneigung für die Herkunftsfrage dieses „nubisch-libyschen“ (!!)
Volkes hin. Das Fehlen genauer Angaben über die betreffenden Verhältnisse im östlichen
Kongobecken wird allerdings die Lösung noch hinausschieben. Das nächste Gebiet, in
dem Zahnverstümmelungen fehlen, ist das Einflußgebiet der hamitischen Wahima, die als
Gallaverwandte solche Verschönerungen ihres Gebisses verabscheuen. Die unterworfenen
Bantu dürften sich diese Sonderart ihrer Herren zu eigen gemacht haben. Flypothetisch
können wir ja eine analoge Sachlage bei den Mangbetu annehmen. Vielleicht war es nur die
Mangbetudynastie, die ohne Deformation der Zähne — und wie wir sehen werden der Lippen
— in ein Gebiet autochthoner Stämme einwanderte.
Die Zuspitzung der Zähne der Azande, Abandya, Idio und Barumbi möchte ich eben-
falls, wie die aller Afrikaner, der westafrikanischen Kultur zuzählen. Die Lückenaussplitte-
rung der Shere und Gollo weist auf deren urtümliche kulturelle Stellung hin, die wir so oft
feststellen müssen. Das altsudanische Ausschlagen der unteren Schneidezähne erfüllt auf
unserer Karte nur die idiotische Provinz, das Sangha- und Schari-Becken,2 das Ausbrechen
der oberen Schneidezähne nur entfernterew^estafrikanische Gebiete (s. Abb. 32). Zusammen mit
dem Flechtbandornament, der Doppelglocke, Marimba, dem Öhrbogen, der Nackenstütze etc.
möchte ich diese Sitte mit der rhodesischen und der verwandten neusudanischen Kultur
in Zusammenhang bringen.
c) Deformation des Gesichtes (s. Karte 3).
Mangbetu und Azande sind im allgemeinen jedem künstlichen Eingriff in die Gesichts-
bildung abhold. Wie ein Keil schieben sich ihre Territorien zwischen scharf gezeichnete
Gebiete ausgeprägter Nasen- und Lippendeformationen. Nur die Mangbetu durchbohren
sich den Ohrmuschelboden und die Ohrränder, um dort Ringe und dergleichen anzubringen;
nur die Barumbi im äußersten Süden kennen die — auch dort selten vorkommende Durch-
bohrung der Lippe. Ausgeschieden habe ich aus der Betrachtung das weitverbreitete Durch-
lochen des Ohrläppchens und das Septumloch in der Nase.
Von größerer Bedeutung aber für die afrikanische Kulturgeschichte ist die Perforation
der Lippen und eines Nasenflügels. In ihr erkennen wir, wie wir sehen werden, ein höchst
primitives Kulturelement, das aufs engste mit der altsudanischen Blättertracht und der
Büschelschürze verknüpft erscheint. Im Scharigebiet und am Aruwimi-Lindi werden in die
durchlöcherte Ober- und oft auch Unterlippe kleine faßspundartige Holzpflöcke ein-
gelassen, die sich mit den Jahren stetig vergrößern. Im oberen Sangha- und Ubangigebiet
treten geschliffene Quarznadeln oder metallene Stifte (Messing, Zinn, Kupfer) an und neben
ihre Stelle. Bis zu den nilotischen Gebieten finden sich derartige Schmucke in großer Aus-
wahl. Am großen Kongobogen (Tofoke, Lokele, Wagenia, Bakumu etc.) finden sich Büffel-
1 Von wenigen Ausfeilungen abgesehen, habe ich auch 2 Die Azande trennen sich hier wie in der Gesichtsver-
seine Karte übernommen. Die Belege zur Karte sind unstaltung scharf von den Altsudanern dieses Ge-
zum größten Teil bei Lignitz selbst einzusehen. bietes.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
23
und andere Tierzähne zu demselben Zweck verwendet. Ähnlich, aber in mehr beschränkter
Verbreitung, werden die Nasenflügel verziert. Von den den Azande unterworfenen Stämmen
zeigen die Shereund Gollo überaus reiche Ausbildung an derlei Gesichtsschmuck (s. Abb, 31,33).
Charakteristischerweise ist dieser ein echter Frauenschmuck. Nur bei wenigen Stämmen (am
Lomami, bei denTurumbu, Bongo, Bellanda — bei diesen ausschließlich—,Wagenia, Bwaka,
Mittu, Mandja) hat sich der Mann zu seiner Verwendung entschlossen. Jene Beschränkung
auf die Frau mag zu der häufigen Erklärung Anlaß gegeben haben, daß es sich hierbei um
ein Schutzmittel der Eingeborenen vor den Sklavenjagden der Araber handeln müsse.
Abgesehen davon, daß diese sich eines trefflichen Mittels zur Behebung dieser künstlichen
Häßlichkeit bedienen, weist der kulturgeographische Befund mit aller Schärfe darauf hin,
daß im Gebiet intensiver arabischer Sklavenjagden (z. B. am Sankuru, oberen Lomami,
Lualaba und Tanganyika) keine solche Verstümmelungen zu finden sind, daß über solche
aber auch Stämme verfügen, die noch keinen Araber gesehen haben mögen. Zudem ist die
Verbreitung und das Assoziationsbestreben dieses Schmuckes zu ausgezeichnet primitiven
Kulturgliedern wenigstens im Norden und Westen so markant, daß ich nicht anstehe, ihn
für die altsudanische Kultur in Anspruch zu nehmen.
Hier stellen sich Azande und Mangbetu wieder außerhalb der altsudanischen Kultur.
Sie verzichten völlig auf solche urkosmetischen Mittel. Auch hier verharren wir vor einem
noch schwer lösbaren Rätsel: An welches Kulturgebiet knüpft diese beiden Völkerschaften
das Fehlen des Nasen- und Lippenschmuckes ? Die von denAbandya gemeldete Nasenflügel-
durchbohrung scheint sporadisch und rezent zu sein. Bei den Azande könnte man es sich
vielleicht durch deren starke jungsudanische Beeinflussung und damit ihre herrschaftliche
Organisation erklären, die ein ausgesprochenes Selbständigkeitsgefühl gegenüber den gau-
und dorfgenossenschaftlich organisierten Lippenpflockträgern hervorrief. Es steht ja fest,
daß das äußere Bild des modernen Menschen, wie so vieles seines kulturellen Niveaus, aufs
schwerwiegendste von seiner sozialen Stellung abhängig ist; dasselbe gilt — in vielleicht
noch höherem Maße — von den primitiven ethnischen Verbänden. Ob die Mangbetu bei
der Ablehnung der Sitte ähnlichen Gedanken folgten, oder ob sie aus Gebieten fehlender
Verunstaltungen dieser Art rasch durch die Gebiete des altsudanischen Gesichtsschmuckes
gezogen sind, ist nicht mehr zu entscheiden, zumal ja auch dieselbe Abneigung bei den Süd-
stämmen lebhaft ist.
Die Durchbohrung des Ohrrandes durch mehrere aufeinander folgende Löcher und das
Einstecken von Ringen, Stäbchen und Palmfaserschnüren, das bei den Mangbetu und
Badyo geübt wird (s. Tabelle), findet sich im Süden noch bis zu den Wagenia, im Norden
bei den Nuer und im Osten bei den Jaluo-Wageia in Kavirondo. Ich vermute einen alt-
nilotischen Ursprung dieser Deformation, deren nähere Kulturzugehörigkeit aber nicht zu
ergründen ist, da mir andere afrikanische Vorkommen nicht bekannt sind. Nur der
Azandekreis trennt die primitiven Autochthonen des Bahr el Ghazal von den Uellestämmen
und sicher findet sich die Ohrranddurchlochung noch viel häufiger in nilotischen Gebieten,
als hier angegeben werden konnte.
d) Lange Fingernägel.
Junker (5, H, 312) meldet von den Mangbetu: „Bei den Geschlechtern der höheren
Klasse findet sich der Brauch, die Fingernägel lang wachsen zu lassen oder wohl gar nicht
zu beschneiden, so daß ich Nägel von mehreren Zoll Länge sah.“ Burrows (11, 84f.), de
Renette und Laplume(4i) bestätigen diesen Bericht und letztere fügen noch hinzu, daß sich
hierin besonders die Tochter Münsas und Frau des Königs Niangara ausgezeichnet habe.
Zweifellos scheint es sich hier um ein Vorrecht der Dynastie und daher höchst wahrschein-
lich um einen fremden Import aus einer herrschaftlich organisierten Kultur zu handeln.
24
HERMANN BAUMANN
Die südlichen Stämme schneiden die Fingernägel jedenfalls ebenso kurz wie die Untergebenen
Niangaras (Jungsudanische Kultur ?).
Von einer Stellungnahme zu den Skarifizierungen, Epilierungen und Bemalungsweisen
habe ich schon deswegen absehen müssen, da das zu vergleichende Material zu groß ist,
um in diesen Arbeitsrahmen aufgenommen werden zu können. Auch würden die kultur-
historischen Ergebnisse keineswegs die Mühe lohnen, die an sie gesetzt werden müßte.
2. DIE BEHAUSUNG,
a) Hüttenform (s. Karte 6).
Von den afrikanischen Hausformen kommen für uns hier die drei wichtigsten — Giebel-
dachhütte, Kegeldachhütte mit runder Basis und Bienenkorbhütte — sowie eine interessante
Mischbildung in Betracht. Die hohe Primitivität der Bienenkorb-(Kuppel-)hütte haben
bekanntlich schon Ankermann, Gräbner und Foy betont (119,1905; 120 IV, 81); Schacht-
zabel(i2i, 1911, Supplem. zuBd.XX) will jedoch von der vermutetenhamitischenZugehörig-
keit, welche diese Forscher verfechten, nichts wissen und stellt sich damit auch in bewußten
Gegensatz zu Stuhlmann. Für unsere speziellen Zwecke hat die Frage keine solche elementare
Bedeutung. Die beiden anderen Bauweisen erheischen von uns ein viel höheres Interesse.
Gerade der ausgesprochene Antagonismus unserer beiden Völkergruppen wird in ihren Hüt-
tenformen sinnfällig. Einem eingehenderem Studium der lokalen Verhältnisse wollen wir
den Vortritt lassen.
Bei den eigentlichen Mangbetu ist im Hüttenbau im Verlaufe des letzten halben Jahr-
hunderts eine durchgreifende Veränderung vor sich gegangen. Während die alten Autoren,
wie Junker, Schweinfurth und Emin fast überall in der Mehrzahl Rechteckhütten mit Giebel-
dach antrafen, sind diese heute mit wenigen Ausnahmen verschwunden. Sie haben einer
Kegeldachhütte vom sudanischen Typus weichen müssen, deren Verbreitung allgemach
immer weitere Kreise zog und nur vor den primitiveren Stämmen des Südens Halt machte.
Jene Rechteckhütten stellten früher die gewöhnlichen Wohnhütten (76, XVI, 2) und waren
aus den Blattschäften der Raphia hergestellt. Die Wände fütterte man mit Bananenlaub
und belegte sie mit Rindenstücken. Eine dem Mangbetuschild (s. unten unter „Schutz-
waffen“) ähnliche Tür verschloß das Innere mit zwei Abteilen (das kleinere von den
beiden diente als Vorratskammer). Die Wohnhütte der Frauen war schon damals die
typische Azandehütte mit Pfahlrotunde und erhöhter Basis (76, XVI, 1). Ohne einen Dach-
stuhl haben sie Lehmmauern und dienen vorzüglich als Küchen. Nach Schubotz (2, II,
S. 69!.) mißt eine solche Hütte im Durchmesser 6 m; die Lehmwand ist 1,20 m, der Lehm-
podest 1 Fuß hoch. Das Bett soll eingebaut sein. Das Dach besteht aus Knüppeln und
einer soliden Grasdeckung. Erhalten haben sich die rechteckigen Giebeldachhütten noch
in den ,,bahnhofähnlichen Hallen“ oder ,,bassa“ der Häuptlingsresidenzen. Die Hütte
Okondos, welche Schubotz beschreibt und abbildet, mißt 100 m in der Länge und 50 m in
der Breite (Giebelhöhe 12 m).
Die auffallende Tatsache dieser verhältnismäßig raschen Änderung des Haupttypus
innerhalb einiger Jahrzehnte muß kulturhistorisch auf das Einströmen eines volksfremden
Elementes zurückzuführen sein. Schubotz (2, II, S. 69) vermutet als solches das Volk der
sudanischen Abangba, und diese Annahme wird durch andere Erscheinungen (u. a. Ein-
dringen des Bogenschiffchens der Basiri-Abangba (s. u.) in das Mangbetugebiet) noch be-
kräftigt. Junker (5, III, S. 53) erwähnt, daß schon zu seiner Zeit bei den Abangba südlich
von Gumbaris Residenz neben den Giebeldachhütten die fremdartigen Kegeldachhütten mit
Pfahlrotunde zu beobachten gewesen sind (s. Abb. 40). Zweifellos ist diesen Kulturzuträgern
noch manche Bereicherung des materiellen und geistigen Inventars der nördlichen Mangbetu
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGEE TU
25
zuzuschreiben. Die nicht geringe Entfremdung der Nordterritorien von dem primitiveren,
unverdorbeneren Süden kann man mit Fug und Recht als Wirkung dieser Einwanderung
(neben der zweifellos starken Beeinflussung durch die jungsudanisch infizierten Azande
und den Mangbetuclan) ansprechen.1 Daß die Einbürgerung dieser Kegeldachhütten in
einem Gebiete hervorragend westafrikanischer Giebeldachhütten so schnell erfolgen konnte,
ist neben der Nähe der sudanischen Steppengebiete und deren Behausungen nicht zuletzt
dem Umstand zu verdanken, daß die Abangba nach dem Tode Munzas zur Herrscherklasse
avancierten und von da an als die maßgebenden Faktoren des Staates galten. Die Ur-
sprünglichkeit der Rechteckhütte im Mangbetukulturgebiet wird schon dadurch bewiesen,
daß die übrigen Mangbustämme primitiveren Charakters (Makere: 40; Badjo: 142, 1912,
S. 390; Barumbi: 120, IV, S. 611) zumeist diesem Typus anhängen (s. Abb. 35), während
die Bapopoie (144, 1912, S. 108) das spezielle Hüttengebilde der Wangilima (Maes: 120, VIII)
angenommen und die Mangbelle (57) eine sudanische Rundhütte mitgebracht haben.
Das Haus der Barumbi besteht aus Baumzweigen und Blättern. Zwischen den zwei Ab-
teilungen, aus denen die Hütte gewöhnlich besteht, befindet sich oftmals eine veranda-
artige Verbindung. Die Wände sind zumeist mit dunkelgrauer Erde verputzte Pfahlwerke.
Die Badjohütte besitzt nur einen Raum. Das Giebeldach ist leicht gerundet und springt
an den Seiten etwas vor. An der vollen Breitseite wird eine verandaartige Küche angefügt.
Gras (”nesa“) und Blätter (’’negongobu“) dienen als Dachdeckung. Die Wände werden aus
einer Pfahlrunde, die außen und innen mit je einer Matte belegt wird, gebildet. Dazwischen
lagert man eine Grasfüllung. Das Dach hat eine geschweifte Giebelrippe, so daß es wie
„en forme d’arc“ gebogen erscheint. In dieser Beziehung schließt sich diese Hütte eng an
die Formen der Mongo-Kundu an (142, 1912, S. 392). Doch sind auch schon zu den Badjo
Hütten vom Azandetypus vorgedrungen.
Die Bapopoie haben—wie schon weiter oben festgestcllt wurde—eine ihnen ursprünglich
sicher fremde Hüttenform und -konstruktion angenommen (s. Abb. 42). Schon Stanleys
Aufmerksamkeit wurde anläßlich seiner zweiten Kongoexpedition auf diese zuckerhut-
ähnlichen Häuser gelenkt. Yambuya ist noch heute eine Ansiedlung mit Hütten derartigen
Gepräges. Die Behausungen der Bapopoie sind im Durchschnitt 6 m hoch, 21/2 bis 3 m
basenbreit und sind entweder im Unterbau quadratisch (’’nelengu“) oder rund (’’nedinda“).
Eine 60 bis 70 cm hohe Bodenplattform trägt einen Kreis (oder ein Quadrat) eingerammter
Pfähle, welche übertüncht werden. Das lang kegelförmige Dachgerüst aus Pfahlwerk
wird mit Bananenblättern gedeckt. Die Vorratshütten (’’nezeregba“), die Männerhäuser
(’’mbassa“) und die Frauenschuppen (’’egbamu“) tragen Giebeldächer.
Noch eine weitere und besondere Hüttenform herrscht im Mangbetu-Akkulturations-
gebiet: De Calonne beschreibt in seinen ’’Etudes Bakango“ (S. 39ff.) die Häuser der öst-
lichen Bakango am Uelle (oberhalb des Bimazuflusses) als echte Mangbellehäuser. Diese
”Sanga” wurden von einem Bakangosoldaten, welcher in Vanckerhovenville am Kibali
diente, in sein Heimatland importiert. Dort wurde er von dem betreffenden Häuptling an-
genommen und eingeführt. Die methodische Folgerung, welche de Calonne aus dieser Sach-
lage zieht,2 spricht — wie es De Calonne anzunehmen scheint — natürlich in keiner Weise
gegen, sondern viel eher für eine kulturhistorisch hohe Wertung der Hüttentypen. Dieses
Mangbelle-Bakangohaus hat keine Holzstütze der Wand wie bei den Azande oder Ababua:
auf der Lehmbasis ruht die mit Stroh vermischte Lehmwand, welche das Strohdach zu tragen
hat. Die zwei inneren Gelasse sind durch eine — wenn auch unvollkommene — Pfahlwand
1 De Calonne (40, S. 92) beschreibt das Abangbahaus
folgendermaßen : „type en curve à parois mines, pas
d’étai ligneux, toit natté, pas de nid d’hirondelle.“
2 ,,Il ne semblerait que de tous les emprunts culturels
résultant d’interaction entre groupes ethniques diffe-
rents, les modifications de la technique de l’habitation
est celle à laquelle l’indigène se laisse entraîner le plus
facilement.“ S. 41.
26
HERMANN BAUMANN
getrennt. Von den nordwestlichen Mangbelle meldet Junker (5,118.269) noch neben den
Kegeldachhütten rechteckige Giebeldachhäuser mit rindenbedeckten Seiten
Die Azandebehausung ist durchgängig die zylindrische Kegeldachhütte (s. Abb. 38).
Sie ist auch bei den der Azandenation inkorporierten Stämmen verbreitet (Basiri-Babuckur-
Avokaya-Pambia-AkareVAmadi (40 S. 121: ”agolo“) und Gollo (s. Abb. 39)). Die inten-
siven Durchdringungen des Ababuagebietes durch die Erobererscharen der Azande haben
die alte Rechteckhütte in hohem Grade verdrängt und die der Natur wie dem Volke
fremde Kegeldachhütte an ihre Stelle gesetzt. Die auffallende Ähnlichkeit der Hütten
am mittleren Ubangi (besonders der Mogwandigruppe) mit denen der Azande ist wohl nur
durch die historisch enge Beziehung zwischen Dendi (Baza-Yakoma) und Abandya zu er-
klären. Die Wände der Azandewohnhäuser werden aus einem mit Lehm verputzten Pfahl-
gerüst gebildet, dem ein grasbedecktes kegelförmiges Dach aufliegt (Annales du Musee du
Congo. L’etat indep. du Congo. — Le pays et les habitants. S. 43f. und 5, II S. 194).
Den Nsakara sollen nach Pierre (150, 10, 1904 S. 73) Kegeldachhütten zukommen,
wobei es sich bei dieser Meldung wohl um den stark azandeisierten Teil des Volkes handeln
dürfte (s, weiter unten).
Pfahlbauten finden sich weder im Azande- noch im Mangbetugebiet. Nur von Baum-
häusern hören wir bei De Calonne (40, S. 36), und zwar sollen besonders die Makere (,Kopu-
lation beaucoup plus ancienne que les Bantou“), die Bayew (Ababua im Süden des Bima),
die Abfle (die von den Azande angetroffene Urbevölkerung zwischen Uelle und Uerre)
und Bawenza von den Bäumen aus kämpfen. Auch die Banza am Ubangiknie kannten diese
Baumbefestigungen, welche bis zu einem Dutzend Menschen fassen konnten (40 S. 99;
165 Anm. 1). Van Gele weiß von „Beobachtungsposten“ in den Wollbäumen des mittleren
Ubangi zu berichten (Ratzel: Völkerkunde II). Wir werden bei diesen ethnologisch neuen
Befunden unwillkürlich an die lebendige Beschreibung ebensolcher Baumbefestigungen bei
den Gaberi am Logone bei Nachtigal erinnert (15). Von den Ostlakka am Schari erwähnt
E. Bartsch (129 Ergb. 9 S. 120) Baumfestungen. Es kann kein Zufall sein, daß diese Vor-
kommen sich mit denen relativ urtümlicher Völkerschaften decken.
Die Bienenkorbhütte scheint in beiden, Kulturzentren nicht vorzukommen. Nur Cureau
(91, S. 220) bildet eine solche von den Nsakara ab. Es ist anzunehmen, daß diese Hütten-
form mit den „Kuppel“-Bauten der Banda-Kredsch zusammenhängt. Ob, wie bei diesen,
eine kleine Erdwallung als Wänderudiment unter dem zum Boden herabfallenden Dache
verborgen liegt, läßt sich jedoch aus der Abbildung nicht ersehen. Das bei Decorse (137,
1905, S. 644) abgebildete Ndrihaus, das allen Bandahütten als Vorbild dienen könnte,
weist ja ebenfalls diese Erdwallung auf. Die bei Schweinfurth (1) abgebildete Kredsch-
hütte wird von Schachtzabel der inneren Technik nach zu seinen „Zelthütten“ gerechnet
(121, Suppl z. Bd. 20, S. 40) (s. Abb. 41).
Uber die Einzelheiten und die innere Konstruktion 'der Behausungsformen sind die
Angaben vielfach so zweifelhaften Wertes, daß eine durchgreifende Klarlegung dieser Ver-
hältnisse zur Zeit ein unfruchtbares Wagnis darstellen würde. Gleichwohl lassen sich die
bemerkenswertesten Konstruktionskreise (wenigstens in Bezug auf die Wandung) immer-
hin umzirkeln.
Die von Schachtzabel als „isolierte Wand“2 gekennzeichnete Wandbildung ist nicht
nur bei den Wadumbo, Azande, Dinka u. a. vertreten, sondern wir finden sie viel weiter
verbreitet (z. B. bei den Bamboli (142, I, 502) Warega (55) und Wangata (56, S. 19 ff.).
1 De Calonne: „Azandeu S.119 berichtet, daß die Akare
erst vor 50 Jahren wieder ihre alten Hausbauten auf-
genommen haben. (80 cm hoch, 20 cm breit). Für
lange Zeit sollen sie die auf Plattformen von Stein-
blöcken erbauten kleinen Häuschen der unterworfenen
Schleuderer angenommen haben.
2 Es sind dies zwei Pfahlrotunden, welche entweder mit
Lehm, Rohr oder Rindenstücken verschalt werden und
in deren Zwischenraum eine Blatt- oder Lehmfüllung
geschaltet ist — (121, 1912, S. 34).
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU 97
Auch allen Angaben, bei denen nur von Rindenverschalungen die Rede ist, liegt wohl die
Beobachtung einer derartigen „isolierten Wand“ zugrunde. Rindenverschalungen zeigen
die Hüttenwände der Maginza (20, S. 82h), Ngombe-Mobali (20 a. a. 0.), Mondunga,
Mogwandi, Sango, Banza, Bwaka, Mandja-Bonduru (alle 20, S. 82L), Yambinga a. Kongo
(112, II, S. 731); Bumali(i39, 1910, S. i6ff.), Ikelemba-Misanga (129, Ergb. 9a. B. S. 105L),
Bayanga a. Sangha (129 wie oben), Banda-Ngere bei Bangui (137, VI, S. 39), Bateke
(138, V, S. 140) und Wasongola (144, 1909, S. 15911.),
Der nilotischen und zentralsudanischen Provinz sind in einzelnen Territorien eigenartige
Wandverschalungen aus Mattenwerk („sekko“ im Sara) zuzuschreiben. Die östlichsten
Azande — die Idio-Makraka — haben ihre Mattenwände fraglos von den benachbarten
nilotischen Stämmen der Moru, Bufi (3. II S. 353) und Niambara (4, S. 114) entlehnt.
Es ist ein „schachbrettartig gemustertes Strohgeflecht“ (E. Pascha: 3, II, S. 373). Die
westlichen Azande haben keine derartigen Baumittel und trennen sich hierdurch von den
Stämmen am mittleren Schari, deren Gebiete sie auf ihrer N. W.-S. O.-Wanderung irgend-
wann einmal gestreift haben müssen. Hier befindet sich ein fast geschlossenes Gebiet solch
geflochtenen Gemäuers.1 Dieses schiebt sich zwischen die Pseudobienenkorbhütten der
Banda-Mandja und die Lehmwandkegeldachhütten der Barma-Massa-Somraigruppe. (De-
corse a. a. 0. 1905 S. 645ff.) Auch am Sangha finden sich Mattenwände, wenn auch nicht
aus Stroh, sondern Raphiafasern (Kaka: 2, II, 202L; Bapfuru: 16, S. 123; Baloi: 16,
S. 147)
Die Hüttenwände mit Lehmverputz auf einer durch Pfähle oder Zweige gebildeten
Unterlage sind die eigentlich sudanisch-nilotisch-südafrikanischen Bewandungen. Bei den
ungenügenden Schilderungen läßt es sich beim besten Willen oft nicht mehr erkennen,
ob hier nicht doch „isolierte Wände“ oder reine Lehmwerksbildungen gemeint sind. Die
Azandehütte scheint nach der Beschreibung Junkers (5, II, S. 194) jedenfalls hierher zu ge-
hören. Die im Mangbetugebiet auftretende Kegeldachhütte beruht auf ähnlichen Kon-
struktionselementen. Ungestützte Lehmwände finden sich eigentlich nur bei den Barma,
Massa, Sarua, Somrei und anderen Stämmen des nördlichen Scharigebietes. Das isolierte
Auftauchen der Lehmwände bei den Mangbelle und Bakongo (s. oben) ist eine im Uelle-
gebiet vereinzelte Erscheinung. Hier stehen die Stämme schon unter dem Einfluß einer
hauptsächlich in Lehm arbeitenden Kultur, die in den — wohl auf mesopotamische Vor-
würfe zurückgehenden — Lehmbauten der Musgu ihren architektonischen Höhepunkt im
Zentralsudan erreicht hat. Ob es sich in den anderen Fällen, bei denen von „Lehmwänden“
und ähnlichem gesprochen wird, wirklich um reine Bildungen handelt, ist in fast allen Fällen
fraglich. Die Hüttenformen Adamauas stehen in dieser Beziehung mit den entsprechenden
Formen des Ostsudan durch die Brücke des Ubangi im Zusammenhang. Bis an den unteren
Aruwimi über die Gebiete am mittleren Kongo reichen „clay-houses“ (Bumba und Rubi:
112, II, S. 731) und „mud-walls“ (Dongo a. Ubangi und Yambinga: 112, II, S. 731). Pfahl-
werke mit Lehmverputz führen in denselben Länderstrichen die Banza (19, S. 73; 115,
S. 155), Ababua (50 S. 184) und die Mogwandigruppe (20, 82L). Die Azande leiten sodann
mit ihrem gleichgearteten Gemäuer zu den nilotischen Wandbildungen über.
Palmholz und Blattmaterial dient zur Herstellung der Wände besonders im Gebiete der
Rechteckhütten mit Giebeldach. Die Bangalagruppe und die Stämme Unterguineas sowie
die zwischen Kongo und Lulua seßhaften Völkergruppen haben sich dieser Baumaterialien
bemächtigt.
Die Verteilung dieser verschiedenen Konstruktionsweisen der Hauswände auf die
Stammesgruppen unseres engeren Gebietes zeigt sich also etwa wie folgt: Das alte Makere-
1 Nach Decorse: (137, 1905, S. 643 ff.) Niellim, Tunia, Ergb. 9a, b, S. 123: Lakka und Talli.
Ndam, Tumak, etl. Sarastämme, Kabba, nach 129
HERMANN BAUMANN
Mangbetuhans besitzt die zuletzt geschilderte Bildungsweise. Dem entgegen verwenden
die sudanischen Abangba das mit Lehm verputzte Pfahlwerk der Azandehütten. Den
Badjo ist die ,,isolierte Wand“ (kombiniert mit einer Mattenverschalung) eigentümlich.
Aus der Maes’schen Beschreibung der Barumbibehausung ist wenig Bestimmtes über die
Konstruktion der Wände zu ersehen. Es kann sich hier ebensowohl um Pfahlwerk- wie um
Raphiastengelwände, welche eventuell verputzt sind, handeln. Die Hauswand der Bapopoie
ist ein Pfahlkreis, der innen getüncht und bemalt wird. Die Mangbellehäuser haben reine
Lehmwände.
Die Dachbedeckung kommt kulturhistorisch kaum in Frage, Sie spricht gegenüber
den anderen Faktoren des Hüttenbaues (äußere Form und Wandkonstruktion) kaum wesent-
lich mit. Im allgemeinen gelten bei ihr mehr anthropogeographische oder andere anpassende
Motive als kulturhistorische oder psychologische Ursachen. Man wird der Blätterdeckung
im großen und ganzen ebenso das Areal des Urwaldes und der rechteckigen Giebeldachhütten
mit Palmwandkonstruktion, wie auf der anderen Seite die Grasbedeckung (mit und ohne
Stufenbrechung) den Gebieten der Steppe und des rundbasigen Kegeldachbaues mit
,,Pise“-Wand zusprechen können..
Das Erbauen einer Wohnhütte ist wie fast überall in Afrika (außer dem hamitischen
Kulturgebiet) Männerarbeit, während das Sammeln und Zutragen des Materials — be-
sonders für die Dächer — gewöhnlich den Weibern zufällt (Popoie, Barumbi, Badjo, ältere
Nordmangbetu u. a.).
Kulturverwandtschaftlich lassen sich aus dem angeführten Tatsachenbestand
vielleicht folgende Schlüsse ziehen:
Die Azandehütte ist im großen und ganzen aufs engste mit den Häusern des Zentral-
sudan und des weiteren Adamaua verwandt. Die Idio haben von den ihnen benachbarten
Niloten das Mattengemäuer entlehnt. Die nördlichen Mangbetu sind auch in Bezug auf ihre
Hausformen dem Expansionsdrang ihrer nördlichen Widerparte erlegen. Der primitiver
gebliebene Stock ihrer südlichen Verwandten hat das altangestammte westafrikanische
Giebeldachhaus beibehalten, während die Bapopoie auch mit diesem Kulturelement sich
der zusehend übermächtig werdenden Beeinflussung durch die Wangilima nicht zu entziehen
vermochten. Den Badjo ist mit dem Feuerpflug (s. weiter unten und Baumann 155, 1923,
S. 116) ein weiteres Kennzeichen der Kundukultur mitgeteilt worden: das Schildkröten-
dach (s. Abb. 36, 37). Ein Teil der Nsakara nahm die auf ein ehrwürdigeres Alter hin-
weisende Bandabehausung als eigen an. Die südlich gerichtete Kulturverwandtschaft
der Mangbetu (westafrikanische Kultur) geht auch, wie in vielen anderen Fällen, aus
diesen Untersuchungen zu Evidenz hervor, während andererseits die Azande ihren zentral-
sudanischen Charakter in ihrer Bauweise nicht verleugnen konnten.
b) Das Mobiliar.
Von dem mannigfachen Inventar der Mangbetu- und Azandehütte seien hier nur wenige
Elemente herausgegriffen: Ruhebett, Stuhl und Nackenstütze.
Von ersterem ist eine ganz besondere Form von den Mangbetu bekannt: d?,s sogenannte
„Angareb“. Es ist vielleicht angebracht, diese irreführende Bezeichnung durch die weniger
verfängliche; „Raphiabank“ zu ersetzen. Schon Schweinfurth (1, S. 283, 298) konnte sie
beschreiben. Im Süden gelangte sie in die Hände der Badjo (142, III, S. 393) und Bapopoie
(144, 1912, S. 512). Da Schweinfurth ihre Anwesenheit bei den Azande konstatieren konnte
(1, S. 241), so dürfte ihre Herkunft bei den Mangbetu schon angezeigt sein, zumal solche
Bänke im Süden des Mangbetugebietes fast völlig zu fehlen scheinen. Nur von den Wangi-
lima besitzt das Berliner Museum zwei Exemplare, welche aus Banalya und Yambuya
stammen. Wir wissen aber von anderen intensiven Kulturbeziehungen, daß der ethnische
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
29
Kontakt der Wangelima und Bapopoie b^onders stark ist und daß hier eine Entlehnung in
irgend einer Richtung vorliegen muß. Anders liegen die Verhältnisse im Norden. Von den
Azande nach Westen zu findet sich ein fast geschlossenes Gebiet solch übcrflochtener Ruhe-
bänke. Über die Mogwandi (10, Tafel 59), Bwaka (20, Tafel 114 und B. M. [nördlich des
Lobaye]), Bangala (132, Bd. 39, S. 109), Wangata (56 ’’Boanga“), Losakani(78pl. XXXVIII)
bis zu den Baya, Kaka (2, II Abb. 150), Wüte (B. M.), Tikar (51, Tafel 16) und in abgewan-
delter Form bis zu den Pangwe (48, I, S. 66), läßt sich dieses Möbelstück verfolgen. Die
,,boanga“ der Wangata erinnert schon stark an die älteren „Kitanda“-Formen des afrika-
nischen Ruhebettes (s. 75). Wir erkennen schon in dieser Verteilung der Belegstücke die
markante Verbreitungszone der anderen nach Süden vorgeschobenen jungsudanischen
Kulturgüter: Wurfmesser, ovaler Geflechtsschild, Harfe, getüllte Krummhacke, gezähnter
Tüllenspeer, Marimba u. a. (s.folgende Kapitel). Für die Stichhaltigkeit der Zuordnung zur
jungsudanischen Kultur kann unter anderem auch das ägyptische „Angareb“ des Nil-
tales ins Feld geführt werden.
Zwischen dem Ruhebett und dem Stuhl steht sachgemäß das afrikanische Kuriosum,
die Rückenlehne, aus einem astreichen Baumstück. Schweinfurth entdeckte sie schon zu
seiner Zeit bei den Mangbetu (1, S. 299). Casati(S. a. I, S. 118) nennt sie geradezu „das einzige
der Würde und dem Prunk des Häuptlings unentbehrliche Möbel“ (s. Abb. 54). Man könnte
durch diese Angabe und bei Vernachlässigung der Verbreitungsgebiete dieses Gegenständes
leicht zu einer jüngeren historischen Fixierung gelangen. Ein Blick auf eine kartographische
Projektion der Vorkommen belehrt uns aber eines anderen. Schon die südlichen, von jungen,
nordafrikanischen Kultureinflüssen fast völlig unberührten Mangbetustämme der Barumbi
(120, IV, S. 612), Bapopoie (144, 1912,, S. 110) und Badjo (142, III, S. 393 „nebamba”.)
zählen die Lehnkrücke zum unentbehrlichen Hütteninventar. Das Berliner Museum besitzt
Ähnliche Hölzer von den Baringa am Lulongo, vom Aruwimi, den Baamba, Balolo,
Inkundo, Bena-Lussambo und Muntschi. Von den Bakuba meldet sie Torday (53, S. 202).
Die Literatur kann sie unter anderem auch für die Ababua (De Calonne bei 41, S. 243),
Basoko (144, 1891, S. 144), Wasongola (144, 1909 S. 161, 163 ’’kalanga“), Bwaka (137,
XXI, 1910, S. 42 als einzig gesichteter Stuhltypus), Kabba und Ndam (21, S. 193 und 206)
nachweisen. Auch sonst im Waldlande nordöstlich des Kongo weitverbreitet, dürfte dieser
primitive Lehnstuhl einer recht alten Kulturschicht zugehören. Die Barumbi haben den
Aststuhl im äußersten Süden; die Azande, die nilotische1 und Zwischenseenprovinz
kennen ihn nicht — daher kann die Annahme einer südlichen Herkunft nicht von der
Hand gewiesen werden.
Der Mangbetu- und Azandestuhl ist in seiner überwiegenden Mehrheit von einem ein-
heitlichen Grundtypus (s. Abb. 45—46). Es ist ein monoxyler Hocker mit Sitzplatte und Sockel-
scheibe. Gewöhnlich tritt er uns in einer ansprechenden Sanduhrform entgegen. Zwei solcher
Stühle können durch einen Verbindungssteg zu einem Stück vereinigt werden (s. u. a. Junker 5,
II, S. 337). Das einzige Exemplar mit einem Sockeiring statt der üblichen Sockelscheibe stammt
von den Azande und befindet sich im Berliner Museum (s. Abb. 48). Es ist mit einer durch-
brochen geschnitzten Wandung versehen (III, C. 27579). Einen ganz ähnlichen Stuhl
bildet Thonner (19, Tafel 59) von den Bogolo-Mogwandi ab. Es ist aus der sehr kleinen Dar-
stellung leider nicht ersichtlich, ob es sich hierbei um einen Sockelring oder eine Sockel-
scheibe handelt. Von den Abarambostühlen des B. M. ähnelt einer stark dem von Stuhl-
mann (7, Abb. 169) abgezeichneten „Wasongorastuhl“. Die Mangbetusanduhrform findet
1 Nach einer Abbildung bei Geyer (9, S. 178) besitzen
derartige Astkrüken auch die Schilluk und benutzen sie
wie die Nackenstützen. Schon diese Verwendung
lassen sie eher als solche und weniger als Lehnstühle
erscheinen. Vielleicht auch muß unser „Aststuhl“
durchweg als afrikanischer Vorläufer der Nacken-
stütze angesehen werden, denn die sachgemäße Grenze
zwischen beiden Möbelstücken ist ungenau.
Eli
HERMANN BAUMANN
sich variiert noch ganz anderwärts: Waschambala, Ikiyu, Mulera, Ruanda, Ushashi, Wa-
dschagga, Wayao, Wassulu, Bavili, Tschautscho und mit vier Stützen am Rande: Muntschi
und Wangilima1. Diese Bildung scheint die im Mangbetukulturgebiet autochthone dar-
zustellen, und dürfte auch bei den Azande auf diese südliche Quelle zurückzuführen sein.
Formal ist die Sanduhrform aufs engste mit einfachen, kaum bearbeiteten Baumstamm-
abschnitten, deren Durchmesser nach der Mitte zu abnehmen, verbunden. Derartige Hocker
haben im gesamten nordöstlichen Kongowald eine reiches Material liefernde Heimat.
Eine genetische Herausentwicklung des Mangbetustuhles aus diesen höchst primitiven
Formen, z. B. Bakondjo (B. M.) —• Wasongola (144, 1909, o, 160) Yakussu (78, C XI,
C XII) — Banalya (112, II, Abb. 418, daneben auch ein den Mangbetustühlen direkt ver-
wandtes Exemplar) erscheint daher auch durch die kartographischen Ergebnisse nicht
unmöglich. Beide Völkergruppen besitzen noch zwei bis drei weitere von dieser gemein-
samen Form unterschiedene Sitzgelegenheiten. Der im Berliner Museum auf bewahrte
Mangbetustuhl der Sammlung Pleyte — eine langovale Platte mit zwei an den Seiten
längs gestellten Füßen (s. Abb. 50) — weist auf Verwandtschaft mit den Stühlen der
Bangalagruppe, der Bwaka und Ndzimu (alle B. M.) hin. Der bei Schweinfurth (1, S. 241)
abgebildete sechsbeinige Stuhl ohne Standplatte ähnelt einem bei Starr (78, PI. XXHD
abgebildeten Bapotostuhl. Wohl eng hängt mit diesem eine dritte AzandevariaUon mit
ovaler Sitzplatte und vier randständigen Füßen zusammen (B. M. und 5, III) (s. Abb. 52).
An einem weiteren Möbelstück, das für das östliche Afrika kulturhistorisch zu beson-
derer Bedeutung gelangt, der Nackenstütze, können wir auch bei unseren begrenzteren
Zielen nicht vorübergehen. Sie konnte (wohl im Verlaufe der Djagga- oder älterer Völker-
wanderungen) über den Sambesi bis zum oberen Alima einerseits und nach Usindja
andererseits Vordringen. Die Besitznahme von Gebieten mit charakteristisch rhodesischer
Kultur läßt schon in ihren südlichen Expansionsterritorien einen Schluß auf ihre kultur*
historische Wertung zu. Im Norden erfaßt sie die hamitischen und nordnilotischen Gebiete
und reicht bis zu den Wagaya am Viktoriasee. Nur sporadisch findet sich dieses interessante
Kulturelement über den Sudan zerstreut: von den Azande über dieNsakara, Bwaka, Baya,
Wüte, Mbum, Kung, Konkomba zu den Bassa in Liberia (B. M.). Wir sehen auch hier: es
sind zumeist jungsudanisch alterierte Völkergruppen, bei denen sich die Kopfbank halten
konnte. Das eigenartige Azandeexemplar, das von Junker mitgebracht worden ist (III,
A. 840), ist dieselbe Nackenstütze, von der Ankermann damals vermutete, daß sie eher
dem Scharigebiete angehören dürfte (s. Abb. 55). Jenes Vorkommen, welches ihn zu dieser
Ansicht führte, ist eine falsch bestimmte Nackenstütze der Bwaka vom Ubangi. Von diesen
haben das Berliner und das Frankfurter Museum in ihren neueren Beständen genügend
Belege (s. a. 20, II, Tafel 112). Es sind stets spitzellipsoide Rindenschachteln mit Nacken-
lager, und ähneln jener Azandestütze so auffallend, daß an einer Verwandtschaft beider
kaum zu zweifeln ist; zumal als Brücke eine ganz gleiche Rindenschachtel (jedoch ohne
Nackenlager) auch von den Nsakara als Beleg angeführt werden kann (s. Abb. 56).
Diese Nsakara (2, I, Abb. 187) haben Nackenstützen, welche jenen der Mbum (B. M.
s. a. 17, S. 460), und Bwaka (B. M.) stark ähneln. Die Brücken zu diesen Formverwandt-
schaften sind jedenfalls ebenso geschlagen wie zu denen der Raphiabänke; diese Nacken-
stützen aus Rindenschachteln verdanken mit dem ovalen Geflechtsschild, dem Wurf messer,
der Harfe und Marimba und anderem mehr ihre Verbreitung denselben übermächtigen
Völkerströmungen nördlich des Ubangiknies.
1 Letzteres Volk hat eigentümlicherweise mit Stämmen
des Kameruner Graslandes und Nigerias (Balom,
Bafia, Nupe) einen weiteren Stuhl mit rechteckiger
Sitzfläche (an den Enden der langen Seiten mit
dreieckigen Ausschnitten) und freien Füßen ge-mein-
sam (s. Abb. 53). Auch den Azande selbst fehlt diese
Stuhlform im Prinzip nicht ganz (s. Abb. 52). Einige
weitere Übereinstimmungen zwischen den Ababua und
jenen littoralen Gebieten lassen auf Zusammenhänge-
schließen (ich verweise u. a. nochmals auf die über-
einstimmende Vier zahl).
F
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANG.BETU 3 т
Schon hieraus können wir einen Schluß weiter auf die Kulturverwandtschaft dieser
nördlichen sporadischen Vorkommen ziehen. Ihre Beziehungen zur neusudanischen Kultur
sind augenscheinlich. Berücksichtigen wir dazu das rhodesische Expansionsgebiet und die Tat-
sache, daß in Abessinien und in den benachbarten Ländern (Ausgangsorten der neusuda-
nischen Kultur) der Angelpunkt für die nördlichen Ausstrahlungen gelegen ist, so erscheint
uns ihre chronologisch junge Bewertung als berechtigt. Ankermann (119, 1905 S. 69L)
kommt nur zu einem vorsichtigen negativen Schluß: er stellt die Kopfbank als jedenfalls
dem westafrikanischen Kulturkreis fremd hin. Foy (83) führt sie in etwas dogmatischer Form
auch in Afrika auf die Totemkultur zurück, wozu aber nur ihr hauptsächliches Auftreten
in hamitischen und hamitisch durchtränkten Völkergruppen einen Anhalt geben könnte.
Wie Gräbner in seinen neuesten Arbeiten (81 und 120, XIV, XV) aufgezeigt hat, steht die
afrikanische Hirtenkultur, die sich in erster Linie an hamitisches Volkstum fesselt, in eth-
nologisch tiefer innerer Beziehung zu den anderen vaterrechtlichen Kulturen (Totem-
kultur, asiatische Viehzüchterkultur und polynesische Kultur) der alten Welt. Jedoch fehlt
die Kopfbank in für die hamitische Kultur wichtigen Gebieten und gerade in jenen,
wo urhamitisches Gut sich am besten erhalten hat; sie tritt hingegen dort besonders kompakt
auf, wo über dem Kulturniveau der hamitischen Viehzüchter die Einfallspforten jungafri-
kanischer Kulturkreise lagern. Eine Assoziation mit den jungen Elementen der Marimba,
Doppelglocke, Baumwollweberei, erhöhter Staatenbildung und anderes mehr, erscheint
mir bei den heutigen kulturhistorischen Erkenntnissen denkbarer, als die hamitische
Zuordnung. Außerhalb Afrikas liegt jedenfalls der Ursprungsort dieses Gerätes.
Anschließend an das Hausgerät ist noch des unscheinbarsten, aber doch wichtigsten
Kulturelementes zu gedenken, des Feuerzeuges. (S. Karte 16.) Während aber der Feuer-
bohrer, bei dem das Feuer durch Quirlen eines harten Stabes auf einer weicheren Bohrunter-
lage erzeugt wird, von den meisten Mangbetustämmen und von den Azande gemeldet wird
(Azande: 1, II. S. 273; Mangbetu: 60a S. 127; 41. S. 153; 1. II. S. 273; Warumbi: 120. IV.
S. 609L; Badyo: 142. III. 1912. S. 394!.; Bapopoie: 144. 1912. S. 101; Mangbelle: 5. II.
S. 270!.) scheint nur bei den Makere (142. III. S. 394!.) der Feuerpflug bekannt zu sein.
Dieses vereinzelte Vorkommen erklärt sich mit der Nachbarschaft der Wangelima,
Tofoke, Lokele u. a. Stämme, die zu derMongo-Kundugruppc überleiten, bei der der Feuer-
pflug allgemein bekannt ist. Was die afrikanische Verbreitung dieses letzteren Feuerzeuges
anbelangt, und welche Schlüsse daraus kulturhistorisch zu folgern sind, ist vom Verfasser
in einer kleineren Arbeit festgelegt worden (s. Koloniale Rundschau 1923, Heft 3/4, S. 116
bis 119). Auf das dort Gesagte sei verwiesen. Ich möchte aber auch hier noch einmal das
wichtige Moment betonen, daß der Feuerpflug der Makere zum Feuerpflug der Mongo-
Kundu gehört, dieser aber mit dem Feuerpflug der Mandja Zusammenhängen muß. Beide
getrennte Vorkommen habe ich mit den von Beygasse (Oase Negrine) und Ascherson
(Kleine Oase) gefundenen nordafrikanischen Feuerpflügen in Bezug gesetzt und auf die
übrigen kulturellen Entsprechungen zwischen Nordafrika und Centralsudan einerseits,
und der Mongo-Kunduprovinz andererseits, hingewiesen (Tontopftrommeln, hölzerne
Flachkeulen mit Parallelogrammquerschnitt, tönerner Gefäßstempelblasbalg, Bogentypus,
u. a.). Für unsere Zwecke genügt es, festzustellen, daß mit dem Schildkrötendachhaus,der
Badjo, der Kopfdeformation der Mangbetu und dem Pfeiltypus der Wangelima auch noch
dieses weitere Merkmal der Stämme im Kongobogen durch das Aruwimital nach NO in den
Wald eingedrungen ist. Überall sonst herrscht der altafrikanische Feuerbohrer, der vielleicht
der altsudanischen Schicht angehören mag, obwohl man hier im Zweifel sein kann, ob nicht
das Stein-Steinfeuerzeug die zeitliche Priorität beanspruchen darf. Tatsächlich ist das
Letztere vor allem im Sudan vorhanden; es wird vielfach durch Hinzutreten von Metallen
verbessert. Der Feuerquirl ist bei den Mangbetu, ähnlich wie bei den Bakuba (s. Tabelle)
I
3 2 HERMANN BAUMANN
ein ausgesprochenes Männergerät. Sexuelle Benennungen der Bohrteile (Bohrstab = männ-
lich, Bohrbrett == weiblich), wie sie in der nilotischen und Zwischenseenprovinz und in
Loango auftauchen, sind bei unseren Völkern offenbar nicht bekannt. (S. Abbildung eines
Feuerbohrers der Basiri Abb. 57.)
c) Die Siedlung (s. Karte 5).
Die Siedlungsformen können unter zweierlei Gesichtspunkten betrachtet werden:
nach der äußeren Anlage der Behausungen oder nach der sozialen Verteilung derselben.
Auf letzteren Punkt einzugehen, verbietet schon das geringe Belegmaterial, auf das wir uns
in diesen Fragen stützen könnten. Schachtzabel konnte schon 1912 (121) die Funktionalität
von Lokalsiedlung und Hüttenbasis festlegen. Von den zwei Hauptformen afrikanischen
Hüttenbaues knüpfen sich beide an je einen ganz bestimmten Siedeltypus; den Rundling
oder einfacher die Gehöftsbildung und das Straßendorf. Erstere Anlage, welche im Afrika
der Rundhütten mit Kegeldach vorrherrschend wird, umschließt in einem ziemlich kom-
pakten Verbreitungsgebiet das Gravitationszentrum der Straßendörfer, das sich anderer-
seits wieder mit den afrikanischen Giebelhausdach deckt. Schachtzabel (S. 19) unter-
scheidet dann weiter eine dritte Siedelform; das Haufendorf, welches bei eckiger Hütten-
basis Gehöftsbildung aufweist oder bei rundem Grundriß der Wohnhäuser sich zu einer
Straße ordnet. Das Haufendorf schließt natürlich auch eine Verbindung zwischen Bienen-
korbhütte und Straßendorf (wie z. B. bei den Baamba) nicht aus. Geographisch findet sich
das Haufendorf fast stets an den Treffpunkten der sich entgegensetzenden Siedelformen.
Wo dazu die Expansionskraft der Träger solcher Behausungstypen und -anlagen besonders
stark wirkt (wie am mittleren Aruwimi, Ubangiknie und am Kwango) da wird die Ent-
stehung des Haufendorfes viel eher erfolgen als anderswo. Auch bei Uberdeckung älterer
Flüttenformen durch neuartige (wie bei den Bambuba-Bahoko-Baamba) können sinngerechte
Siedlungen in Flaufendörfer verwandelt werden.
Die Dörfer der „eigentlichen“ Mangbetu dürfen nicht als Straßendörfer bezeichnet
werden. Nach Laplume (41, S. 239) sind sie langellipsoid oder rund und entbehren zumeist
jeder Umzäumung (41, S. 240). Emin sah bei Gambari jede Kegeldachhütte auf einem
Podest sich erheben und mit den anderen zu einer kreisartigen Siedlung anordnen (3, II,
S. 445). Im großen und ganzen vereinigen sich die Stimmen der Forscher daraufhin, daß die
Mangbetuhütten entweder in Rundlingen oder in weilerartigen Siedlungen zwischen die
Plantagen zerstreut sind1. Die Warumbi (und wohl auch die Makere-Malele) haben bei
ihren Rechteckhütten Straßendörfer (120, IV). Die Ansiedlung der Bapopoie entspricht
dem oben gekennzeichneten Typus des Haufendorfes, da die Hütten zumeist eckige Basen
besitzen und recht unregelmäßig angeordnet sind. Die Mongelima besitzen dagegen schon
rechte Straßendörfer (120, VIII, S. 352). Die Rundlingssiedlung erscheint uns am Bomo-
kandi als etwas fraglos sudanisches. Die Badjohäuser konnten einer solch wuchtigen Kraft
des von Norden hereinbrechenden Kulturstromes nicht widerstehen und ordneten sich in
Haufensiedlungen. Die sudanische Gehöft- und Rundlingsbildung ist natürlich dem gesamten
Azandegebiet eigen. Sie ist dem expansiven Charakter dieses Steppenvolkes am besten
angepaßt.
Inhaltlich kann eine Siedlung einen oder mehrere Clans und mehrere Familien umfassen;
oder die Siedlung eines Familienoberhauptes und dessen Frauen, Kinder und Gesinde macht
den Eindruck eines geschlossenen Ganzen. Ersterer Art der Ansiedlung wird man den Namen
Dorfsiedlung oder Lokalgruppe, letzterer Form den der Weilersiedlung zusprechen können.
Dorfsiedlungen sind fast alle Straßendörfer des äquatorialen Urwaldes — in unserem spe-
ziellen Gebiete z. B. die der Barumbi, eventuell auch der Makere und Malele. Auch dem Ba-
1 Rundlinge sind besonders die Einzelsiedlungen der Häuptlinge und seiner Weiber,
v
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGEL TU
33
popoiedorf gebührt der Name einer Lokalgruppe. Weilersiedlungen finden sich besonders
im Zwischenseengebiet, bei den Badjo (vielleicht durch Einwirkung des Haufendorftypus)
und im ausgedehnten Azandeareal (s. i, S. 236). Von den Nsakara kann Le Marinei (144,
1893, S. 31) dasselbe berichten.
Für die kulturhistorische Untersuchung kann unter Hervorhebung der Tatsache, daß
die Siedlung in höchstem Grade von der Hüttenkonstruktion abhängig ist, auf das anläßlich
der Hausformen Besprochene verwiesen werden.
3. DIE URPRODUKTION.
Hier betreten wir, wie im vorigen Kapitel, ein Gebiet, auf dem so manche schmerzliche
Lücke im literarischen Quellenbefunde nicht durch Musealbelege gefüllt werden kann.
Nur weniges von den in Betracht stehenden Kulturelementen eignet sich für den schaustelle-
rischen Zweck der Museen und das meiste ist nur durch die Beobachtung der Reisenden fest-
zuhalten. Auch fehlen umfassendere vergleichende Arbeiten völlig, so daß dieser vielfache
Mangel nur eine beschränkte kulturhistorische Erörterung des Themas gestattet. Es ist
besonders schmerzlich, gerade an für ethnologische Zwecke wichtigen Komplexreihen vor-
beihasten zu müssen (es seien hier nur die V orgänge beim primitiven Hackbau und die Ver-
breitung gewisser Fischfang- und Jagdmethoden erwähnt).1 Die Verwertung nur der relativ
bestbekannten Tatsachen und im schlimmeren Falle die rohe Skizzierung der gegebenen
Verhältnisse in den beiden Völkergruppen ist das einzig Mögliche.
Jede Karte der Wirtschaftsformen zeigt die überwiegende Bedeutung des Hackbaues
für das westäquatoriale Afrika. Nur in der nilotischen und der Zwischenseenprovinz hat
hamitischer Einfluß (sicher jungen Alters) den primitiven Bodenbau verdrängt und unter-
jocht. Den älteren, unsteten Jagdnomadismus, den wir hypothetisch den Altafrikanern
(Altsudanern) zuschreiben, verraten Völker mit schwach entwickeltem Hackbau und ent-
wickelten Jagdmethoden. Fischervölker umranden Seen und Ströme des ganzen, weiten
Gebietes.
a) Die Jagd.
Dieser neben dem ebenso urwüchsigen Sammeln primitivste Nahrungserwerb sitzt noch
tief im afrikanischen Volksleben hier und dort. Fast nirgendwo ist er völlig erloschen,
wie es bei den entwickelteren Produktionsformen oft der Fall ist. Mit welcher Hingabefreudig-
keit noch manche Stämme der männlichsten Beschäftigung obliegen, ist eine in der afrika-
nischen Literatur immer wieder erwähnte Tatsache. Allerdings als einziges Produktions-
mittel kommt er bei keinem der großgewachsenen Stämme des afrikanischen Kontinents
mehr in Betracht. Dafür hat der in Afrika besonders bodenständig gewordene Hackbau
genügend gesorgt. Eine kulturhistorische Untersuchung der uns bekannten Jagdmethoden
innerhalb unserer beiden Völkergruppen ist schlechterdings noch nicht möglich. Das hohe
Alter und die daraus resultierende Verbreitung des weidmännischen Rüstzeuges und der
Methoden des Jagens, stellt sich einer genaueren kulturgeographischen Festlegung der
Daten und gar einer Schlußbildung aus denselben entgegen. Abgesehen davon erschwert
die überaus ungleichartige Behandlung des Stoffes durch die Bearbeiter, der Mangel faß-
barer, musealer Belege und die spärlichen Angaben in unserem Gebiete selbst die klare
Einsicht ungemein. Eine weitgehende Vergleichung würde uferlos und nutzlos sein.
Reine Jägervölker gibt es, wie schon gesagt, außer den Pygmäen und Pygmoiden
unserer Urwaldprovinz nicht mehr; aber Völker, denen das Jagen mehr am Herzen liegt
als der schlecht ausgebildete Bodenbau, treffen wir noch so manche. Zu ihnen gehören,
1 Das ein reiches Material bietende Werk Lindbloms: Stockholm 1925!. konnte leider nicht mehr berück-
Jakt-och Fängstmetoder bland afrikanska Folk, 2 Bde., sichtigt werden.
3 Baessler-Archiv.
34
HERMANN BAUMANN
besonders nach den älteren Berichten, sowohl die Mangbetu wie die Azande. Nur die von
ihnen unterworfenen Stämme fremder ethnischer Herkunft und • urwüchsigerer Kultur
(Basiri, Gollo, Babuckur, Momvu etc.) sind ausgezeichnete Hackbauer. Im Südosten
schließt sich das gesamte Urwaldgebiet mit seinen Brachykephalen an, in dem die Jagd
in hoher Gunst steht. Mabali, Bambuba, Baiesse u. a. sind eifrige Jäger und schlechte Boden-
bauer. Im Norden, in den Steppen und Savannen fröhnen die Kredsch-Nsakara und weiter
westlich die Baya mit Vorliebe dem Waidmannsberuf. Auch den aus dem Osten kommenden
Pangwe und besonders den Bakelle am Ogowe ist die Jägerei ein beliebtes Erwerbsmittel,
neben dem mehr oder weniger stark betriebenen Hackbau. Das sind fast alles expansive
und erobernde Stämme, die in ihrem modernen Pseudo-Nomadismus die Jagd als vorteil-
hafte und adelnde Wirtschaftsform erkennen. Die Jagdleidenschaft der Mangbetustämme
scheint hingegen mit jener der Urwaldstämme in Beziehung zu stehen.
Die Nordmangbetu (41, S. 246), Badjo (142, III, 398), Bapopoie (144, 1912, S. 151)
und Barumbi (120, IV, S. 616) kennen alle die Gruppenjagd; bei den letztgenannten wird
sie jedoch nur selten verwendet. Im übrigen beschränkt sich das kollektive Zusammen-
arbeiten der Sippen- oder Dorfgenossen auf die Antilopenjagd (Badjo, Bapopoie, Barumbi).
Nur im Norden greift man auch den Elefanten gemeinsam an. Das Rüstzeug für solches
Jagen stellen fast immer große Netze und, wenn man will, auch die Hunde mit den im Wald-
gebiete besonders häufigen Hundeglocken, dar. Das übliche Jagdrecht erfordert sodann,
daß das Tier, welches sich in einem der Netze mit seinem Geweih verwickelt, dem Besitzer
des Netzes zufällt. Frauen werden von solchen Unternehmungen ferngehalten. Von den
Badjo kann Maes sogar die weiter verbreitete Sitte der sexuellen Abstinenz des teilnehmenden
Mannes für die Zeit der Jagd belegen (a. a. 0. S. 397) und von einem Verbot des Mannes
einer menstruierenden Frau, sich an der Jagd zu beteiligen (a. a. 0. S. 398), berichten.
Derlei kollektive Stellnetzjagden (mit oder ohne Hunde) finden sich im ganzen westäquato-
rialen Afrika und natürlich auch darüber hinaus. Ich erwähne als Stämme, denen sie bekannt
sind, unter vielen nur noch: Ababua(5o), Mongelima (120, VIII), Tofoke (130? 1911)’ Wa-
rega (55), Wasongola (144, 1909), Lessa (144, 1909), Imoma (144, 1906), Wangata (56),
Bangala (52b), Bwaka (137, XXI), Mandja (54) und Bongo (1, 6).
Natürlich fehlen sie auch den Azande (42, S. 38) und Abandya (42, 44) nicht.
Allen vier erwähnten Mangbetustämmen sowie den Azande (1, S. 240; 50, 207 als
„duea 42, S. 39), Abandya (42, S. 44) und Idio (42, S. 59) ist die ebenfalls ungemein ver-
breitete — mit Blättern und Zweigen verdeckte — Fallgrube für Großwild eigen. Elefanten,
Büffel und Antilopen stürzen auf ihren täglichen Pfaden in dieses heimtückische — häufig
mit spitzen Pfählen als Wolfsgrube ausgestattete — Grab. Man kann mit gutem Recht be-
haupten, daß solche Gruben die bevorzugteste und zugleich primitivste Wildfangmethode
des Waldgebietes darstellen. Außer den erwähnten Ababua, Bangala, Mandja, Wangata,
Tofoke, Warega, Mongelima, Wasongola und Lessa lernen wir sie u. a. noch von den Basoko
(112, II, 778), Wabudu-Bafwasoma (34, S. 64), Yankonde am Aruwimi (27, I, 138), Alur
(144, 1908,, S. 108), Mittu-Madi (1, S. 156) und den Dinka (1, 132) kennen.
Auch den von Badjo (a. a. 0. S. 396), Bapopoie (a. a. 0. 152), Abarambo (S. a. I, 135£.),
Azande (42, S. 39) und Abandya (42, S. 44)1 erwähnten Fallbolzen mit einem schneidenden
Eisen, der über den von Elefanten ausgetretenen Waldwegen mittels einer sinnreich gelegten
Fallvorrichtung befestigt ist, kennt der größte Teil der Afrikaner. Naturgemäß findet er sich
in Waldgebieten am häufigsten und fehlt in baumlosen Wüsten und Savannen völlig.
Käfigfallen für Leoparden verwenden die Nordmangbetu (41, S. 246). Den in den Step-
pengebieten der südwestlichen und südlichen Kongozuflüsse und in denen es Nordens
und Nordostens häufigen Steppenbrand als Mittel zur erfolgreichen Jagd — besonders
1 Den Idio sind diese Fallbeile fremd.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
35
auf große und kleine Paarzeher — belegen Hanolet und Laplume (a. a. 0. S. 247) von den-
selben Nordstämmen des Mangbetu-Akkulturationsgebietes (hier ist ja der Wald schon
zum größten Teile ausgerodet.) Casati (S. a. I, S. 134) erwähnt ähnliche Treibjagden auf
Elefanten für die Abarambo, Schweinfurth für die Ost-Azande (1, S. 240). Mit der Lanze
wird selten angegriffen, und Bogen mit den vergifteten Pfeilen dienen nur zur Affen- und
Vogeljagd. Von den auch hier vorhandenen Schlingfallen wissen wir nur, daß sie in Form
des fast universalen Schwippgalgens für Antilopen, Ratten und andere kleinere Nager
von den Bapopoie benutzt werden (a. a. O. S. 152).
b) Der Fischfang.
Längs des Uelle, etwa von dem Mobenge im W bis zu den Amadi imO, wohnen echte
Fischervölker. Wie hier der Uelle, besitzen fast alle größeren Flüsse des Kongoge-
bietes eine mehr oder weniger stark auf den Hschfang oder den Fische vertreibenden
Handel eingestellte Bevölkerung. Die Bodenprodukte, die sie für ihren vegetabilischen
Nahrungsbedarf benötigen, tauschen sie gegen ihre gefangenen Wasserbewohner von den
umwohnenden Inlandstämmen ein1. Diese Bakongo nun, denen De Calonne eine geist-
reiche Studie gewidmet hat (57)5 sind nun keineswegs eine ethnisch homogene Masse,
sondern dieselbe Erwerbsstufe hat die verschiedensten ethnischen und raßlichen Kom-
ponenten zu einem Volke vereinigt. Ganz ähnliche Kulturkomplexionen treffen wir
am ganzen Uelle-Ubangi (Jakoma-Dendi-Sango-Banziri-Buraka-Baloi), Kongo (Bayanzi,
Bapoto, Lokele, Wagenia), Sangha (Bangili, Bumali), Mongalla (Mobali) und Aruwimi
(Mongelima). Das sind fast alles mit einem Volke des Binnenlandes sprachlich eng-
zusammengehörende Stämme, denen ihre Flußnähe zu einer eigenen Lebensgestaltung
verhelfen hat. Während die Jagd, mit Ausnahme des Fangens kleinerer Tiere, — es handelt
sich um einen echten Sammelbetrieb, der auch hier bei den Mangbetu (41, 243) noch der
Frau obliegt — fast ausnahmslos dem männlichen Teile der Bevölkerung zufällt, tritt bei
dem Fischfänge schon eine weitergehende Arbeitsteilung ein. Mit Netzen, Körben und der
bloßen Hand fischen die Frauen der Nordmangbetu (41, S. 250). Der Großfischfang mit den
entwickelteren Methoden fällt hingegen auch hierbei noch völlig dem starken Geschlecht
zu. Bei den Bapopoie (144, 1912, 153) fischen die Frauen mit dem Handrahmennetz („nado“)
ebenfalls nur Kleinfische. Die Badjo (142, III, 398) lassen den Mann nur noch zu dem Ver-
giften des Wassers, — welches mit den Frauen gemeinsam bewerkstelligt wird, zu. Auch
hier schließt sexueller Verkehr der Geschlechter und Menstruation der Frau beide Teile
von der Ausübung der Erwerbsfürsorge aus. Der Fischfang der Warumbi schließlich (120,
IV, S. 616) ist ebenfalls in der Hauptsache den Weibern zugeteilt. Wenn auch die Männer
zu dieser Tätigkeit sich herablassen sollten, so wird streng auf getrenntes Werk gehalten.
Diese starke Verschiebung der Arbeitsbelastung ist nicht zuletzt dem Großfischmangel
im Lindi und seinen Quellflüssen zuzuschreiben.
Auch die Formen des Fischens sind zur heutigen Stunde einer kulturhistorischen Er-
forschung noch nicht zugänglich. Hier gelten dieselben Mängel wde beim Weidwerk. Wie hier-
bei, können auch die meisten Fischereimethoden als einfach universell bezeichnet werden,
sie erwachsen aus einer überaus primitiven Kultur, deren Fundamente sich in allen Völker-
und Kulturkreisen immer wieder finden. Reusen und Stellnetze, Barrikaden, Wehre und
Fischgifte sind nahezu im ganzen äquatorialen Westafrika verbreitet, und nur die Angel-
fischerei und das Harpunieren2 großwüchsiger Reptilien und Wassersäuger hat sich stärker
1 Eine solche Symbiose zweier verschiedener Stufen pri- stummen Tauschhandel in den Besitz der Llackbau-
mitiven Lebenserwerbes kennt ja die Ethnologie in
mannigfacher Gestaltung. In unserem Urwaldgebiete
selbst findet sich eine bezeichnende Analogie. Liier
treten die jagdnomadischen Pygmäenstämme durch
HERMANN BAUMANN
36
abgerundete Areale erworben. Hölzerne Barrikaden und Wehre kennen die Nordmangbetu
und Badjo (41, S. 249), (142, III, S. 398); Reusen; die Nordmangbetu, Bapopoie (a.a. 0. S.
249; 144, 1912, S. 153), Nsakara (152, 1896, S. 116) und Bandya (144, 1895? S. 416). Mit
Netzen fischen die Badjo, Nordmangbetu und Nsakara (a. a. 0.). Fischgifte sind den Ba-
popoie, Badjo, Bandya bekannt, Angelhaken den Bapopoie („nakupiri“) und Badjo.
Die Harpune findet eine Heimat nur bei den am Mbomu wohnenden Nsakara (a. a. 0.)
und Bandya (a. a. 0.). Das Verbreitungsgebiet dieser genetisch mit der Wurflanze und in
anderen Erdteilen mit dem Wurf holz in Beziehung stehenden Jagdwaffe fällt im großen
und ganzen mit den Intensitätszentren des Fischfanges und der Wasserjagd überhaupt zu-
sammen. In unserem weiteren Untersuchungsfelde besitzen die Harpune fast alle oben ge-
nannten Fischervölker, und ein guter Teil der sie trennenden Binnenvölker hat sie für ihre
terrestrische Lebensfürsorge als Jagdharpune übernommen (so z. B. die Mogwandi, Banza,
Nordngombe, Maginza-Mobali, Basoko, Mabendja u. a.). Vielleicht ist die heutige starke
Ausdehnung dieses Gerätes überall auf eine Vermittlung der handelnden Bangalagruppe
zurückzuführen. Jedenfalls ist die Harpune der Nsakara und Abandya südwestlichen Ur-
sprunges und an die fischenden Sango-Yakoma gebunden.
Der Angelhaken, der noch keineswegs so allgemein geworden ist, wie es die starke
Propagierung durch die Europäer und deren Missionen erwarten ließe, ist zweifellos noch viel
weiter gewandert als die kompliziertere Harpune. Sie ist auch zu Stämmen gedrungen,
denen der Fischfang nur Nebenberuf oder einträglichen Sport bedeutet. Echte Fischervölker
— wie die Wagenia (Mitt. d. geogr. Gesellsch. Wien. 1886, 512)—lassen sie zum Kinder-
spielzeug herabsinken und bezeichnen damit die Nutzlosigkeit dieses mehr sportlichen
Mittels für einen ausgedehnten Fischereibetrieb.
c) Der Hackbau.
Der Hackbau hat—wie schon oben gestreift wurde — im äquatorialen Westafrika eine
so übermächtige Stellung in der materiellen Lebensfürsorge erhalten, daß alle übrigen Pro-
duktionsformen in ihrer Bewegungsfreiheit gehindert werden. Es ist überall der typisch
tropische Bodenbau mit seiner Einstellung auf die Niederschlagsverhältnisse des tropisch-
feuchten Urwaldklimas mit dem Raubbau ohne intensiven Kulturwechsel und ohne
Düngung. Innerhalb hamitischer Völkerwellen dringt sowohl im Norden des zentral-
sudanischen Gebietes als auch durch die nilotische und die Zwischenseenprovinz eine
für Afrika ursprünglich ganz fremde Wirtschaftsform zentralasiatischen Ursprungs, der
Viehnomadismus, ein. Unsere engeren Gebiete berührt er in keinem Falle, so daß wir
ihn in dieser Abhandlung nicht weiter zu würdigen brauchen. Schwächer ist der Boden-
bau nur dort entwickelt, wo er den Anstürmen dieser Viehzucht oder dem konservativen
Bestreben der Jägerei oder gar der anthropogeographischen Notwendigkeit des Fischfanges
weichen mußte.
Die ethnischen Gundlagen der beiden zur Untersuchung stehenden Völker haben sich
hier ganz verschieden zum Hackbau verhalten. Beide scheinen ursprünglich Jäger gewesen
zu sein; das eine Volk mit dem Charakter extensiver Savannenjagd und politisch relativ
entwickelter Organisation hat in seinem ausgedehnten Eroberungsgebiete den Hackbau
in den Händen fleißiger dunkelfarbiger Bevölkerungen gefunden — eine Abneigung gegen
diese inferiore Tätigkeit lag daher besonders nahe; das andere Volk hat es meisterlich ver-
standen, den Bodenbau sich zu eigen zu machen und so die Produkte seiner Wirtschaft zu
steigern.
Die kulturhistorische Stellung des westafrikanischen Hackbaues und der afrikanischen
intensiven Bodenkultur überhaupt unterlag schon des öfteren gelehrten Untersuchungen.
Durch E. Grosses und später E. Hahns Forschungen wurde die moderne, mehr historisch
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
37
gerichtete Ethnologie auf die Bedeutung dieses wichtigen Kulturfaktors aufmerksam und
legte ihn vielfach ihren Aufstellungen zugrunde. Besonders Köppers (Wien) trug viel zur
Aufhellung der Verhältnisse und zur Versöhnung der alten und der neuen Meinungen über
diese ethnologischen Grundfragen bei. Hob Grosse („Die Formen der Familie und die Formen
der Wirtschaft“. Freiburg 1896) den Wert der Wirtschaftsform für die Familie und größere
ethnische Verbände hervor, so tritt in der modernen Kulturkreislehre das Bestreben in den
Vordergrund, das relative Alter der Wirtschaftsformen und deren Einzelstadien festzulegen.
Wie für die Einzelkultur eines Volkes ist die Bedeutung z. B. des Hackbaues für einen ganzen
Kulturkreis außerordentlich wichtig. Rings um die Erde zieht sich der primitive Bodenbau
durch den ganzen ausgedehnten Tropengürtcl hin und reicht an vielen Stellen noch weit
darüber hinaus. An sich wäre sein Wesen eine mehr oder weniger ausgeprägte Funktion
der Naturbedingungen, wenn nicht sein Adhärenzbestreben zu ganz bestimmten anderen
Kulturcrscheinungen an den verschiedenen Orten ihm ein eigeneres Kulturleben verliehen
hätte. So konnten Gräbner-Foy und nach ihnen Ankermann und Köppers- Schmidt die rein sten
Ausbildungen primitivster Bodenkultur in fast allen Erdteilen mit immer denselben Ele-
menten einer (und derselben) oder zweier Kulturschichten zusammenbringen. In Afrika
fällt nach ihren grundlegenden Forschungen das Hackbaugebiet mit demjenigen der größten
Anhäufung der Merkmale westafrikanischer Kultur (also der „geographischen Provinz“
zweier vergesellschafteter Kulturkreise: der melanesischen Bogenkultur und der Zweiklassen-
kultur) zusammen. Dieses Quantitätskriterium westafrikanischer Kultur, das „so ohne wei-
teres“ aus den übrigen Erdteilen — besonders der Südsee — abgeleitet worden ist, scheint
nun von den neueren Forschungen L. Frobenius’, wie sie uns im Atlas Africanus und in
„Das unbekannte Afrika“ (München 1923) vorliegen, seiner Fundamente beraubt zu sein.
Nach dem schon jetzt Veröffentlichten verleiht er gerade einer seiner ältesten afrikanischen
Kulturschichten: der äthiopischen — die in vielem unserer altsudanischen entsprechen
dürfte — den energischst betriebenen Hackbau. Die „Altäthiopen“ sollen kraft ihrer „tellu-
rischcn“ Weltanschauungsweise aufs engste mit dem Boden und dessen Erträgnissen ver-
bunden sein. Es scheint mir aber, als ob der Gelehrte den Wert des Hackbaues für
das äthiopische „Paideuma“ zu sehr und ausschließlich betonte. Auf den ersten Blick
spricht zweifellos vieles für eine solche Bedeutung, so z. B. der hohe Anteil des Mannes
an der Bodenarbeit, das stark hervortretende religiöse Moment und die intensive Kultur
der alten Hirsearten. Doch ist gerade die Männerfeldarbeit in anderen Gebieten (u. a.
Polynesien) ein Markstein für jung eingeführten Bodenbau und für eine junge Stellung
desselben überhaupt. Als ebenso ehrwürdig wie die Hirse müssen in Afrika noch die älteren
Knollenfrüchte, wie z. B. die Dioscorea (Yams), die in Gebieten mit ausgesprochener
Männerhilfe seltener sind oder gar ganz fehlen, anzusprechen sein. In Nordadamaua scheinen
nur die Durru noch Yams in größerem Umfange anzupflanzen (nach Passarge), obwohl hier
auch die ihn gerne verdrängende Batate sehr selten ist. Den Sara fehlen die Knollenfrüchte
zum Teil völlig, desgleichen den nilotischen Stämmen und dem Zwischenseengebiet.
Der Getreideanbau an sich ist ethnologisch jünger (81, S.526), als die noch direkt an
den Sammelbetrieb gebundenen Knollenfrüchte, und dürfte auch in Afrika von Kulturen
importiert worden sein, die aus dem getreidereichen Asien stammen. Der Sorgho (Durra),
der bei den altsudanischen Stämmen außerhalb der afrikanischen Hyläa eine so bedeutende
Rolle spielt, macht hiervon keine Ausnahme. Was aber am meisten für eine Ablehnung
der Frobeniusschen Aufstellungen spricht, ist die ganze Kultur dieser nach den Kleinwüch-
sigen primitivsten Stämme Afrikas. Sie hat ein Hauptmerkmal: den Totemismus und damit
eine Zersplitterung in zumeist exogame Clans. Dazu treten andere Elemente, die für die
ältesten Kulturschichten in allen Erdteilen charakteristisch sind, wie z. B.: Penisfutteral,
HERMANN BAUMANN
Rundlingsanlagen mit Kegeldachhütte, ausgeprägtes Vaterrecht1, Geschlechtsnacktheit,
Extraktion der unteren Schneidezähne, Fehlen der Circumcisio und anderes mehr. Fast
überall sonst finden sich diese oder andere primitive Kulturelemente, die an auf animalischen
Lebenserwerb (also Jagd- oder Viehnomadismus) eingestellte Völkergruppen gebunden
sind. Daher und aus anderen noch zu besprechenden Gründen möchte ich für einen ur-
sprünglichen Jagdnomadismus der totemistischen Altsudaner plädieren, denen im Lauf
ihrer ungeschriebenen Geschichte durch die westafrikanische oder libysche Kultur (beide
mutterrechtlich organisiert!) der Hackbau übermittelt worden ist. Bei der Übernahme ver-
lieh das alte Vaterrecht und die männliche frühere Produktionsform dem starken Geschleckte
(wie in Polynesien) das Recht zur tätigen Mitarbeit im neuen Wirtschaftsgebiet. Schon diese
Tatsache der Mitarbeit allein müßte eine Bodenständigkeit des mutterrchtlich begründeten
Hackbaues innerhalb dieser höchst urwüchsigen Gemeinschaften als zumindest fraglich
erscheinen lassen.
Die ganze patriarchal-totemistische Lebensform hatte nun einen völlig neuartigen
Fremdkörper in sich zu verarbeiten. Sie tat dies mit dem ausgesprochenen Ernste, den man
einer wertvollen Kulturbereicherung angedeihen läßt. Jedenfalls sind ja noch so manche
Glieder westafrikanischer Kultur in die altsudanischen Isolierungen eingedrungen (z. B.
die Masken der Schilluk, Bongo, Baya, Tschamba etc. alle im B. M.). Bei einem dieser typisch
sudanischen Stämme, den Schilluk am oberen Nil, konnte der Übergang von einem — aller-
dings an die Viehzucht hamitischen Ursprunges gebundenen — Nomadismus zum intensiven
Hackbau vor zirka einem halben Jahrhundert (Tidreck bei Westermann 46) in der Tradition
festgelegt werden.
Jedoch nicht nur im eigentlichen Sudan, sondern auch im nordöstlichen Kongowald
bei den dortigen vaterrechtlichen Stämmen scheint der Hackbau ganz sekundärer Natur
zu sein. Die bei Gelegenheit der Jagd skizzierten Verhältnisse deckten schon zur Genüge
den dortigen schwach entwickelten Hackbau auf. Der gewaltige Urwald trägt das Seine dazu
bei, die Jagdliebe nie schlummern zu lassen. Es ist sicherlich kein Zufall, daß gerade an dieser
Stelle Stämme mit sudanischen Sprachen viel weiter nach Süden reichen als sonst an der
Bantunordgrenze. Schon öfter haben wir in der Kongowaldprovinz die rapide Abnahme
oder Abschwächung westafrikanischer Kulturelemente beobachten können. Alles in allem
bleibt uns die alte These von der Zugehörigkeit des Hackbaues zu den mutterrechtlichen
Kulturen zumindest eine vorsichtigere, denn die von Frobenius verteidigte.
Nach dieser kurzen allgemeinen Betrachtung treten wir in die Diskussion einiger Einzel-
heiten der Bodenbearbeitung ein. Wir erkannten die ernste Bedeutung der ,,primären Ar-
beitsteilung“ (nach Schurz) für diese auch in unserem weiteren Studiengebiet als gültig
an. Gerade die Art und Weise, wie die Geschlechter mit den verschiedenen Arbeiten belastet
werden, scheint ein ausgezeichnetes Kriterium für die Altersbestimmung des noch ziemlich
ungegliederten Hackbaues darzustellen (siehe für folgendes Karte 9).
Bei den Mangbetu (41, S. 253; 3, II, 454; 42, S. 61) ist die typisch westafrikanische
Arbeitsteilung die soziale Grundlage des Hackbaues. Die Männer roden, die Frauen bear-
beiten den Boden, säen und ernten. Als die Macht neusudanischer Kultur, getragen von der
Dynastie Münsas, sich noch stärker als heutzutage auswirkte, war es — wie es noch dieser-
zeit in den Azandeländern — Sitte, daß diese starke Belastung des weiblichen Geschlechtes
nur von den Untergebenen getragen wurde (8 b. S. 90). Die im Feldbau sich besonders aus-
zeichnenden Momvu wurden mit Kriegen überzogen und als Sklaven den Haushalten der
herrschenden Klassen einverleibt. Nach dem Zusammenbruch höherer staatlicher Organi-
sation fiel anscheinend auch dieses Prinzip — wenigstens wird es von neueren Reisenden
nicht wieder erwähnt.
1 Für den Nachweis einer älteren Form des afrikanischen siehe: Baumann: Vaterrecht und Mutterrecht in Afrika
Vaterrechtes, des Brudererbrechtes, bei den Altsudanern, 119, 1926, S. Ö2ff.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
39
Westafrikanisch ist die Arbeitsteilung eines südlichen Mangbetustammes — der Ba-
popoie (144, 1912, 154) und die der unterworfenen Azande. Nach einer unklaren Meldung
de la Khetulles zu schließen, liegen ähnliche Verhältnisse auch bei den Abandya vor (144,
1895, S. 416), und eine herrschaftliche Struktur zwingt die Nsakara, ihre Frauen zu un-
gunsten der Sklaven von der Feldarbeit zu entlasten (2, 1268).
Wir sprachen davon, daß dieser Arbeitsmodus eine westafrikanische Kultureigentüm-
lichkeit sei; ein anderer Schluß bleibt uns auch garnicht übrig, wenn wir seine geographische
Verbreitung und die innere Verknüpfung mit den mutterrechtlichen Komplexreihen west-
afrikanischer Lebensgestaltung erkennen. Das Kartogramm zeigt uns in ausgezeichneter
Weise, wie sich im Norden und Osten ein breiter Streifen zwischen das Intensitätsgebiet
westafrikanischer Kultur und den hamitischen Viehnomadismus lagert oder überlagert.
Die Männer der meisten Niloten, der Momvu, Lendu, Graslandwawira, vieler Zwischenseen-
völker, der Baholoholo und im Nordwesten der Schari- und Nordadamauastämme, wahr-
scheinlich auch des größten Teiles der Banda (zu denen ja auch die Banza im Ubangiknie
gehören) beschäftigen sich mehr oder weniger stark mit dem h eidbau. Sie roden nicht nur
wie sonst, sondern jäten, bearbeiten den Boden, pflanzen, ja ernten sogar an manchen
Orten. Bei den Momvu z. B. sind (u. a. 8a., I, 93) die Frauen ganz aus diesem Wirtschafts-
betriebe ausgeschaltet. Selbst in Gebiete stärkerer westafrikanischer Durchdringung, wie
zu den Mongo und Mongilima, ist dieses altsudanische Element gedrungen. Bei den Mongo
treffen wir ja noch so manches andere aus dem Norden Stammende (Bogen- und Keulen-
formen [B. M.], Feuerbohrer [s, Baumann 155, 1923], Blättertracht [s. o.] usw.), und den
Mongilima floß aus dem zentralen Kongobogen viel neues zu (s. a. a. O.).
So sind die ältere Mangbetudynastie und die herrschenden Schichten der Azan-
denation im Besitz einer durch neusudanische Politik umgebildeten Arbeitsweise; ältere
Schichten (Gollo, Momvu und auf der anderen Seite die Bapopoie) haben teils den alt-
sudanischen, teils den westafrikanischen Modus beibehalten. Die Bodenbearbeitung er-
folgt im allgemeinen mit der Hacke. Jedoch tritt in den Gebieten des Zentral- und Ostsudan
ein neues Gerät hinzu: der Spaten. Fast überall tauchen der Grabstock und aus ihm ent-
wickelte Instrumente auf — als sinngerechte Vorstufen des Spatens. Schlagende Übergänge
vom Grabstock zum Spaten finden sich im „Kiosho“ des Zwischenseengebietes und dessen
Verwandten im Sudan (siehe weiter unten), sowie im Handspaten der nördlichen Pangwe
und Wüte.
Ein interessantes, aber auf neusudanische Herkunft zurückgehendes und auf ein von
dieser Kultur infiziertes Areal beschränktes Ackergerät ist die Sichel Nordadamauas, der
nördlichen Mangbetu und des Zwischenseengebietes. Mit dem Erdspeicher und vielleicht
dem Spaten zusammen (wenn dieser nicht eher eine direkte Herausentwicklung des Grab-
stockes als ein fremdartiges Gerät darstellt) ist die Sichel ein Bodenbauelement neusuda-
nischer Kultur. Der Trumbasch der Mangbetu ist nichts weiter als eine Abwandlung der
afrikanischen Sichel zu Parade- und Hochzeitszwecken. Die dazwischenstehenden Sichel-
und Haumesser zeigen typologisch eine so starke Verwandtschaft, daß an dieser Tatsache
kaum gezweifelt werden kann.
Gehen wir nun zur Besprechung der Einzeltatsachcn über (s. Karte 7 u. 8). Die Hacke,
diefast in unserem gesamten engeren und weiteren Gebiete angetroffen wird, gliedert sich
in vier Typen. Eine krummstielige Hacke mit Tüllemm Blatt scheint auf dem Sudan be-
schränkt zu sein (s. Abb. 59 u. 61). Frobenius rechnet diese „Tüllenhacke“ zu seiner
„norderythräischen Kultur“. Ich nehme diese Zuordnung nur mit Vorbehalt an. Wahr-
scheinlich ist eine derartige Herkunft wohl nur für die Tüllenform anzunehmen. Der
krumme Stiel hängt zweifellos mit dem der westafrikanischen Erdhacke zusammen.
Diese tritt in ihrer reinen Form nur im Urwaldgebiet und am Viktoriasee auf. Die typische
40
HERMANN BAUMANN
Aufbindung des hölzernen oder eisernen Blattes an den winklig gebogenen Ast erinnert aufs
stärkste an das ozeanische Hackgerät (s. Abb. 58). Nur ganz lokal tritt eine weitere Form
der Krummhacke auf den Plan. Bei Dualla, Mbum, Tuburi und Massa wird das Blatt in
den Stiel eingelassen (s. Abb. 60). Zweifellos scheint mir aber, daß wir in allen drei Wand-
lungen das ausgesprochene westafrikanische Bodenbauinstrument vor uns haben, das in
seinem nördlichsten Verbreitungsbezirk von dem präponderierenden Einflüsse neusuda-
nischer Kultur umgebildet worden ist.
Eine gänzlich anders gestaltete Hacke ist die ostafrikanische. In ihr finden wir das
charakteristische Rodbeil mit quergestellter, eingelassener Klinge wieder, wie wir es in
ganz Afrika verbreitet finden. Höchstwahrscheinlich liegt diesem Typus das alte Steinbeil
der afrikanischen Neolithiker zugrunde. Solche Steinhacken vermutet und meldet De
Calonne (40, 145) von dem Protomomvu, deren Nachkommen wie die Badjo in ihrer süd-
westlichen Nachbarschaft die Geradhacke mit eingelassener Eisenklinge verwenden (s. Abb. 62)
(B.M.und 142, III). Ob allerdings die alte Steinhacke diese Befestigungsart oder vielleicht
doch die westafrikanisch-ozeanische aufwies, ist nicht mehr sicher nachzuweisen. — Aba-
rambo und Bakango (B. M. und 57, S. 85) besitzen schon die Tüllenhacke, und wenn es sich
bei der unklaren Beschreibung Schweinfurths einer auch abgebildeten (76, XVIII, 14)
Klinge der Mangbetu-(s. Abb. 63) nicht um ein Spatenblatt handelt, so gehört auch dieses
Gerät zur Gruppe der Krummhacken mit Tüllenblatt. Wir wissen nichts über dieAzande-
hacke.
Die eben erwähnte Notiz Schweinfurths läßt auf das eventuelle Vorkommen des Spatens
bei den Mangbetu schließen. Wir müssen uns deshalb über dessen Herkunft orientieren.
Es scheint auf den ersten Blick zweifellos, daß dann aber dieses Gerät im Mangbetugebiet
eine zentralsudanische Bereicherung darstellt und direkt mit dem Spaten der Mandja,
Lakka, Sara, Bongo, Gollo, Djur zusmmenhängt, indirekt auch mit den etwas abgewandelten
Formen der Adamauastämme (s. Abb. 64,65). Fast nirgendwo — ausgenommen in ganz abge-
schwächter Variation durch diePangwe—ist der Spaten in das südlich angrenzende Waldgebiet
eingedrungen. Seine Verbreitung im Ost- und Mittelsudan ist etwa der des Wurf messers kon-
form. Die kulturhistorische Zuordnung des Spatens ergibt sich vielleicht in ähnlicher Weise
wie die der erwähnten Waffe; der altsudanische Grabstock wurde zum neusudanischen
Spaten.
Sicheln zum Feldbedarf werden von den Azande und Mangbetu allerdings nicht ver-
wendet, aber durch solche die kulturhistorische Erklärung der mannigfachen Sichelmesser
der Mangbetu erreicht (s. Abb. 71—75).
Ein schwierigeres Gebiet betreten wir mit dem Grabstock. Er scheint im ganzen Azande-
gebiet verschwunden und nur in der Erinnerung oder in ganz versteckten Horsten der Unter-
worfenen lebendig zu sein (40, Akare und Präakare — ’’crochet de bois“ — S. 1175 ehemalige
Amadi S. 121; Momvu S. 145)- Von den Mangbetu erwähnt ihn sogar noch Laplume als ein
Gerät aus Holz oder Elfenbeinzahn (41, S. 254). Das unscheinbare Äußere dieses sicher
viel weiter verbreiteten urwüchsigsten Bodenbauinstrumentes hat es verursacht, daß die
meisten Beobachter es übersehen haben. Nur die sich schon stark dem Spaten nähernden —
oft schon als solche bezeichneten — Formen mit kleinen Eisenschaufeln an dem langen
Stiel, wie wir sie durch Kumm (39, 103) von den Sara (,,ngan, guri, munagri“), weiter von
den Dinka-Agheer (B. M.: ,,puhr“), Baziba (B. M. „kiosho“) und von Kuti-Kontscha in
der Farobucht (B. M. ,,gadji“) her kennen, erfahren größere Beachtung (s. Abb. 66—69).
Ein ähnlich archaisches Hackbaugerät ist die Hacke aus den Schulter- resp. Beinknochen
eines Büffels oder einer Antilope. (Belegt von De Calonne (40) von den Urbevölkerungen
des Azandegebietes, wie z. B. bei Renzi (S. 96), den Pambia (S. 96'; und Proto-Momvu
(145). Westermann-Tidrick (46) können dasselbe aus den alten Zeiten der Schilluk melden.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU 41
Öfters tritt im äquatorialen Afrika ein abgerundetes Frauenfarmmesser unter oft ähnlichen
Namen wie der ,,Kiosho“-Spaten auf. Ob diese Messer als Grabmesser benutzt werden,
geht aus den vorhandenen Angaben nicht hervor. „Kiusu“ heißt ein zweischneidiges, unten
abgerundetes Farmmesser der Mangbetu (8a, I, 119) und Wasongola (s.Abb.70); die Maka
am Dschah, sowie die Bombassa verwenden derartige Feldgeräte in mannigfachsten Varia-
tionen (B. M.).
Uber die jahreszeitliche Verteilung der Aussaat und Ernte, die Behandlung der Saat
und der Stecklinge u. a., — alles Dinge, die für eine kulturhistorische Erklärung der Hack-
bauarten von höchster Bedeutung wären — ist nichts Entscheidendes auszusagen. Selbst
das Ausführlichere, das uns de Calonne (40, S. zoyff.) mitteilt, erweist sich bei näherem Zu-
sehen als derart lückenhaft, daß es sich nicht einmal als vorläufiges Fundament eignet,
abgesehen von den völlig unzureichenden Angaben, die wir über andere Völker besitzen.
Wir müssen uns begnügen, aus der Art der Kulturpflanzen Schlüsse auf den kultur-
historischen Charakter des Hackbaues der Mangbetu und Azande zu ziehen.
Bei den nördlichen Mangbetu ist die Sachlage etwa folgende. Von den Getreidesorten
finden sich Durra (nach Schweinfurth fehlend), Eleusine und Mais. Penicillaria fehlt. Die
Banane stellt die Ernährungsbasis; das Zuckerrohr ist häufig; reich sind die Plantagen an
Elaeispalmen. Von Knollenfrüchten finden sich alle vier Hauptsorten. Yams, Colocasia,
Batate und Maniok, von Ölpflanzen Sesam und Arachis. Je weiter wir nach Süden gelangen,
desto stärker wird die Abnahme des Getreidebaues spürbar, und nur der junge Mais be-
herrscht wie im ganzen Tropenafrika den von den alten Nutzpflanzen geräumten Platz,
wie bei Badjo und Bapopoie. Sonst gelten für die Badjo dieselben Verhältnisse. Von den
Bapopoie führt Delhaise außer Mais nur noch Bataten, Maniok, Zuckerrohr und Bananen
an. Hier herrschen also schon ganz die Zustände des westlichen Afrikas mit seinen Knollen-
früchten (es sind meist die den alten Yams und den ozeanischen Taro verdrängenden ameri-
kanischen Importsorten) and intensiver Bananenkultur. Den Azande mangelt es an einem
stärkeren Sorghoanbau,1 an großen Bananerien, Zuckerrohr und in ihrem Ostteil an Elaeis.
Maßgebend für den Getreidebau scheinen Eleusine, die besonderes bei den Anunga, nördlichen
Ambomu und in der nilotischen Nachbarschaft den Mais verdrängt, und in zweiter Linie Mais
zu sein. Penicillaria fehlt, die vier Knollenfrüchte sind vorhanden. Bei den Abandya ringen Mais
und Sorghum um den Vorrang,2 Maniok und Bataten stellen die obligaten Knollenfrüchte
dar, Sesam ist der erforderliche Ölspender; die Elaeis ist ziemlich selten. Bei den Idio treten
Yams, Colocasien und ein wenig Bataten hinzu, während Maniok schon verschwunden ist.
Von den anderen kulturell verwandten oder politisch unterworfenen Stämmen seien
nur folgende interessante Tatsachen aufgeführt: den Amadi fehlt nach Junker (5, II,
463) der Sorgho und die Penicillaria. Eleusine und Mais beherrschen das Feld — also fast
dieselben Verhältnisse wie bei den Azande. Bei den Abarambo tritt neben die Eleusine das
sudanische Sorghum. Den Gollo und Shere fehlt der Mais und die Elaeispalme. Bei den
Nsakara teilt sich deren Areal in eine Provinz nördlich des Mbomu, wo Sorgho und Peni-
cillaria die Vormachtstellung behaupten, und in eine andere südlich des Flusses, wo diesen
Vorrang die westafrikanischen Bananen, zu denen auch die des Zwischenseengebietes ge-
hören, verlangen. Daneben spielen in beiden Teilen Maniok und Mais eine nicht zu unter-
schätzende Rolle. Elaeis und Zuckerrohr scheinen zu fehlen
Soweit die Verhältnisse im engeren Gebiet. Ich beschränke mich bei den interessanten
kulturgeographischen Befunden nur auf die wichtigsten Punkte.
1. Das Sorghumkorn (Andropogon-Sorghum, Durrah, Mohrenhirse etc.) ist wohl
1 Sorgho wird fast nur zur Bierbereitung verwendet (so 2 Nach de Calonne (40, S. 210) ist Mais die Ernährungs-
besonders bei Anunga, Ambomu, Abarambo. 40, basis der Abandya.
S. 211).
42
HERMANN BAUMANN
als eine der ältesten afrikanischen Hirsearten (s. Karte 13) anzusprechen. Wo es zuerst in
Kultur genommen worden ist, ob schon in Asien oder erst in Afrika ist ungeklärt. Sein
Verbreitungsgebiet ist überaus groß. Es schließt jedoch die afrikanische Hyläa völlig von
sich aus. Nur an wenigen Stellen vermochte es den feuchten Wald zu durchbrechen (die
Durra braucht eine heiße und trockene Zeit zum Reifen!) Den uneingeschränkten Vorrang,
den sich dieses altafrikanische Getreide zu erstreben sucht, macht ihm ein zweites Korn
streitig:
2. Die Penicillaria (Penisetum, Duchn.). Besonders in nordnilotischen Gebieten,
z. B. bei Schilluk, Dinka, Djur, Nuba, Mittu, Moru, Bongo, Latuka usw., sodann in den
Schariländern, bei den Banda Ndelles, in Bagirmi und Nordadamaua nimmt der Duchn
einen übermächtigen Anteil an der Nahrungsgestaltung. Das Sorghum dient daneben viel-
fach nur zur Bierbereitung.
3. Die Eleusine coracana (Telebun), das dritte wichtige Getreide, wird ebenfalls
von den Niloten mit Vorliebe gepflanzt, steigert sich bei den den Azande benachbarten Kakuak
zur Hauptnahrungspflanze, verliert sich aber in der Nähe des Waldlandes (bei Wawira,
Wasongora, Wawamba) und reicht in einem schmalen Streifen durch das Zwischenseen-
gebiet bis an das Südende unseres Areals (Moerosee). Aus der westafrikanischen und Kongo-
provinz ist sie mir nirgendwo bekannt geworden. Im zentralsudanischen Hackbau wird
dieses Getreide von den Banda und Mandja kultiviert (Chevalier!), fehlt aber bei den am
Ubangi sitzenden Stämmen und tritt erst in Südbagirmi wieder auf den Plan. Den da-
zwischenliegenden Sara scheint sie völlig fremd zu sein.
Wir wissen, welche wichtige Rolle die Eleusine im Haushalt der Azande spielt. Ent-
weder geht sie in diesem Fall auf das nilotische Vorkommen oder auf die beiden westlichen
zurück. Eine Entscheidung mit treffenden Gründen zu führen ist schwer. Nur das Felden
des Eleusinebieres bei den Abandya könnte vielleicht einen Schluß auf die östliche Her-
kunft der Azande-Eleusine erlauben. Überzeugend ist jedoch auch diese Tatsache nicht.
Den Mangbetu ist sie zweifellos — wie das Sorghum — von den Azande überkommen.
Daher auch das Fehlen dieser Getreide bei den südlichen Stämmen.
4. Der Mais ist die vierte bedeutende Getreideart unseres Gebietes. Ganz jung — noch
in historischer Zeit — importiert, hat er das gesamte westafrikanische Gebiet in einem
Siegeslauf ohnegleichen errungen. Sein Fortkommen wurde nicht, wie bei den Hirsearten,
durch das feuchte, niederschlagsreiche Klima des Urwaldes gehindert; und würde nicht das
konservative Bestreben altsudanischer Völkerhorste ihm ein vorläufig noch unüberwind-
liches Hindernis entgegenstellen, so würde er im gesamten Negerafrika allgemein geworden
sein. Sein Angriff auf die feuchte Westküste war sogar ertragreicher, als jener auf die Ost-
küste, der nach Stuhlmann von dem anderen getrennt erfolgte.
Das alte Sorghumwort findet sich auf unserer Karte hier und dort noch von Stämmen ge-
tragen, die das alte Korn schon längst zugunsten des dankbareren Mais aufgegeben haben.
So findet sich das Azandewort für Hirse: ,,bu-nde, vu-ndea (nach Schweinfurth) im ,,fon,
fun“ der Baya und Pangwe (Clozel und Teßmann), im ,,fo“ der Mandja (Gaud), im ,,nu-
pano“ der Mboa (Strümpell, in einer ganzen Reihe von atlantischen Sprachen als das Wort
für Mais. Ich erwähne nur:
„ngbafu“ Bamum: (Koelle)
„ngafon“ Bagba;
,,efun“ Jaunde: (Stuhlmann) und ferner im Innern noch
,,abundo“ Amadi: (Junker)
„fun“ Baya: (Mitt. Sem, Orient. Spr.).
Ähnliche Übertragungen im gleichen Falle konstatiert Stuhlmann (98) für Ostafrika.
Es gibt eine ganze Anzahl von Wortstammgruppen. Bei der einen amerikanischer Her-
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
43
kunft (mbassi, masa, masis, masa-nyu etc.) erscheint der Fußpunkt der Maisverbreitung
ganz offensichtlich. Im Urwaldgebiet des Ituri- und Linditales scheint ein Stamm „gussa“
das Feld zu behaupten, im Süden ein anderer: „bele, vele“, im Zwischenseengebiet wieder
einer: „kon, con, soll“. Für unsere Interessen erscheint aber die Sudanwurzel „gua“, wie
sie von Westermann (no) aufgedeckt worden ist, von besonderer Bedeutung. Im West-
sudan als „gba oder „gwa“ bekannt, kommt sie in den Zusammensetzungen „m-ba-ia“
bei den Azande; „n-ba-ya“ bei den Idio; „n-gba-ia“ bei den Gollo und „m-gba-ya“ bei den
Kredsch zum Vorschein und weist auf die vielen westsudanischen Elemente in diesen
Sprachen hin (s. Kapitel II). Der Mangbetustamm „ndo“ findet sich im njo“ der Sanyo
„ndo“ der Gbanziri und Mondjembo (nach de Calloc'h), „ndo-ngo“ der Mongala-Ngombe
(nach Stapleton), „duango“ der Bwaka (de Calloc’h) wieder.
Wir sprachen oben von dem Widerstand, den einige durch besonders primitive Cha-
rakteristica ausgezeichnete Völkerschaften dem Expansionsbestreben des Maises cnto-c e
setzen. Das sind z. B. die Ostbayanzi (Torday), Lessa (Baudhuin), Imoma (144 igo6)
Akela, Bankutu, Basongo, Basongo-Meno (Torday), Mabali, (Federspiel), Babusesse (Stan-
ley) und im Sudan eine ganze Reihe weiterer Stämme, wie die NielHm, Bua-Kara, Bagirmi
(Chevalier), Tuburi (Herzog Adolf), Baya d. Pamaquellcn (Ramsay), Talli (Bartsch)-
Uadda, Ngapu (Dybowsky), die Stämme westlich des Tomi (Chevalier); im Ostsudan die
Bongo, Basiri (Schweinfurth), Gollo (Geyer), Babuckur (E. Pascha), Kakuak und Kalika
(E. Pascha und Junker), Nil-Madi, Mittu, Moru, Schuli und Latuku (E. Pascha). In Uganda
und Unyoro keimt nur ein ganz schwacher Anbau (s. Karte 12).
5. B a n an e: Von Bananen ist es besonders die Musa paradisiaca, die im Kongo eine Heimat
gefunden hat. Aus ihren ozeanischen Ursprungsländern hat sie sich mit der Colocasia (Taro)
bald über einen großen Teil des äquatorialen Afrika verbreitet und besonders in der feuchten
westafrikanischen Hyläa eine entsprechende neue Heimat gefunden. Es muß aber betont
werden, daß sie in ihrer Verbreitungsmöglichkeit keineswegs an den Urwald gebunden ist,
daß sie sich im Gegenteil weit über denselben hinaus ausdehnt. De Calonne gibt uns für das
Azandegebiet die genaue Nordgrenze an: diese bildet eine Linie Kibali—Uelle—Madi-Grenze
der Embili- und Anungaterritorien — Api— Bili— Semio—Dumelauf—Warratal. Jedoch
fehlt auch den Akare die Banane nicht ganz (40, 210).
Charakteristisch für die Mangbetu und Azande ist der Wortstamm „bo“, dem ab und
zu ein „go“ suffigiert wird. Die Verbreitungszone ist ein Gebiet primitiver Sudan- und
Bantustämme der Kongoprovinz und den angrenzenden nilotischen Gebietsteilen. Der
bevorzugte afrikanische Wortstamm jedoch ist „ndo“. Auch hier zeichnet sich die genannte
Provinz durch eine Abschwächung und Eigenbildung der westafrikanischen Charakteristica
aus. Direkt auf Indonesien führt die Musa paradisiaca ihren Stammbaum, und das hypo-
thetische Einwanderungsgebiet an der afrikanischen Ostküste ist das typische der meisten
westafrikanischen Kulturelemente (s. Karte n).
An Knollenfrüchten sind im Äquatorial-Westafrika vier von allergrößter Bedeutung
für den Eingeborenenhaushalt:
6. Yams (Dioscorea) und Taro(Colocasia) sind neben ColeusDazo, welcher im Azande-
gebiet nur bei einigen Anunga, den Basiri und Kakuak gebaut wird (s. de Calonne S 211)
die zwei ältesten Gattungen. Der Yams (französisch: „igname“) ist, soweit ersichtlich5
urafrikanisch, während die Colocasie ihre Heimat in Südasien (Yemen, Indien, Indonesien)
hatte und von dort aus mit der Banane, mit der sie — ebenso wie in Polynesien_in Afrika
vergesellschaftet auftritt, den Weg nach Afrika antrat. Der Yams gibt vielfach (in Analogie
zur Hirse und zum Mais) der jüngeren Batate den Namen ab und wird von dieser verdrängt
Wieder sind es die Azande, die eine typisch westsudanische Wortwurzel für Yams“
besitzen (Westermann 110, S. 113 legt bia = ava = ba für das Sudanische fest) in ihrem
44
HERMANN BAUMANN
„m-ba-ra, gbo-ra“ (Schweinfurth und de la Khetulle) oder ,,ba-ra“ (Idio; Casati). Dieselbe
Wurzel kehrt in ähnlichen Verbindungen wieder in :,,bi-ra-i“ (Unyoro) ,,mbi-ra“ (Bukoba),
„si-bi-ri“ (Usumbura), ,,mba“ (Isubu und Dualla), „mbala“ (Mutsaya, Nyombe, Basundi,
Bangala, Bafiote) „ava“ (Gollo), „obo“ (Kredsch).
Die Mangbetusprachen weisen aufs neue auf die Gruppe: Sango-Bwaka. Während den
Badjo der Yams als ,,agua, den Mangbetu als ,,neguu bekannt ist, heißt dieselbe Knolle
bei den Sango: „gui“ (Calloc’h).1
7. Batate: (Ipomoea batatas, Süßbatate). Diese Kulturpflanze ist in historischer Zeit
von den Portugiesen importiert. Wie wir schon bemerken konnten, mußten die einheimischen
Bezeichnungen für Yams, Taro oder Coleus auch für den Neuling herhalten. Wie es jedem
aus Amerika und im Lauf europäischer Kolonisation importierten Kulturgut gelang, das
Alte zu verdrängen, so vermochte die Batate sich eine fast unbeschränkte Herrschaft über
die alten Knollenfrüchte anzueignen, welche nur durch den ebenfalls jungen Maniok be-
stritten wird. Die Bataten erreichen in unserem Vergleichungsgebiet eine Nordgrenze in-
tensiveren Anbaues, die in einer schrägen Linie — etwa von Fort Archambault bis zum Nord-
ende des Albertsees — verläuft. Doch tritt sie auch in dem südnilotischen Gebiet immer
wieder in den Haushaltsplan der Eingeborenen (s. auch Karte 11).
Eine nicht viel geringere Verbreitung erzielte die andere Knollenfrucht amerikanischen
Ursprunges:
8. Der Maniok: (Manihot utilissima). Er vergesellschaftet sich gerne mit dem Mais und
stößt bei den primitiven Sudanstämmen und in Teilen des Urwaldgebietes auf eine ähnliche
Abneigung wie sein Wandergenosse. Auch das Zwischenseengebiet verhält sich ihm gegen-
über noch ablehnend oder reserviert. In den Azandeterritorien wird er — wenigstens wo die
Banane fehlt — nur als Reservefrucht beim Ausbleiben der Cerealien verwendet. Schon bei
Loggo und Mundu fehlt er gänzlich (40, S. 210) (s. auch Karte 11).
Im Azande heißt Maniok: ,,bavora, bavra“ (nach Schweinfurth). Dieses Wort treffen
wir im Expansionsgebiete der großen, zentralafrikanischen Wanderbewegungen an drei
Stellen wieder:
„angora“ Alur (nach Demuenynk)
„ngari“ Banda (nach Tocque)
,,biura“ Bubangi (nach Maistre).
Nähere Verwandtschaften für Mangbetu, Badjo, Bapopoie: „no-u“ oder „ne-u“ konnte
ich nicht feststellen, hingegen scheint die Wurzel für Warumbi: „limbata“ im Kongowald
von starker Ausdehnungskraft zu sein. Sie kehrt in der Bezeichnung der Pangwe, Wangata,
Mogwandi, Ababua, Bakumu, Wabonyele, Wawämba und Burundi wieder.
Die letzte Kulturpflanze, die wir hier besprechen, ist eine im Haushalte des Westafri-
kaners ganz besonders gewertete:
9. DieÖlpalme (Elaeis guineensis). Sie ist ein ganz spezifischer Baum des Urwaldes und
liefert den ihn bewohnenden Eingeborenen das Öl zur Speise, den Alkoholstoff zum Trank
und das Bindemittel zur festlichen Bemalung. De Calonne (40, S. 215) hat es sich angelegen
sein lassen, über die Geschichte dieses Nutzbaumes auf seinem Arbeitsfeld eingehende Nach-
forschungen anzustellen. So kam er zu ganz bezeichnenden Resultaten. Den Azande ur-
sprünglich fremd, ist die Palme aus dem Gwantale, wo sie von den primitiven Akare in
höchst erstaunlichem Umfange angepflanzt wird, durch die Amadi nach dem Süden und Süd-
osten verbreitet worden. Den Bangba im weiteren Sinne (Mundu, Basiri, Mayogu, diese
letzteren jedoch einen schwachen Anbau besitzend) ist sie fremd geblieben. Dagegen unter-
ziehe ferner; Pangwe; du-gu (Tessmann; „Batate“) Bateke: i-kwa (Calloc’h:„roterYams“)
Ababua; bi-kwa (Halkin-Calonne) Mpongwe: e-gwa (Wilson edit.).
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU ^
scheidet er ein zweites Einführungsgebiet, das sich südlich des Uelle lagert und von den
Ababuastämmen der Mongingita, Mobati und Mobenge, von den Makere und Momvu be-
wohnt wird. De Calonne konnte die Kontinuität dieses Gebietes und die westliche Einwan-
derung der Palme durch es hindurch festlegen.
A1f. interessant dürften sich die sprachlichen Zusammenhänge erweisen. Die Banda
Chevalier), Akare und Momvu (de Calonne), Bambuba (Stuhlmann) besitzen denselben
Wortstamm, obwohl die Akare Bantu sprechen und die Momvu, Bambuba, Banda über su-
danische Dialekte verfügen. Auf der anderen Seite ist das Azande- und Idio-Wort „mbiro
nboro“ (Schweinfurth und Johnston) auf einem Weg über
Sango: „Mbuli“ (de Calloc’h),
Wüte; „bil“ (Koelle),
Baseke „limbilo“ (Koelle),
Orungu : „mbila“ (Koelle)
Bakele: „dimbila“ (Wilson edit.)
verbreitet und weist auf die engen Beziehungen dieser Stämme hin, die auf die mehrfach
erwähnten Wanderzüge zurückgehen.
Den südlichen Pangwe fehlt die Elaeispalme fast völlig, während ihr nördlicher Teil
sich der ölpalmenreicheren Kamerunküste angeglichen hat. Das niederguinesische Ein-
bruchsgebiet wahrt auch in diesem Falle seinen antiwestafrikanischen Charakter der ihm
von dem wanderlustigen Volke verliehen worden ist (s. Karte io).
So sehen wir bei den Mangbetustämmen, wie die auch bei ihnen hypothetisch als die
ursprünglichen Kulturpflanzen anzusetzenden Yams und Taro von den aus Westen cin-
dringenden amerikanischen Knollenfrüchten verdrängt werden. Bataten und Maniok werden
in Küche und Feld übermächtig und dulden höchstens noch die Vorgänger. Die Banane blieb
wie früher das echte Waldlandnahrungsmittel in all seiner Bedeutung. Das zaghafte Ein-
dringen der „altafrikanischen“ Hirsearten im Nordteile verrät deren jungen Import und den
westafrikanischen Charakter des Mangbetugebietes. Nur der Mais konnte von allen Ge-
treidesorten einen unbestrittenen Sieg auch bei den südlichen Stämmen erringen. Die Elaeis-
palme ist westafrikanisch, desgleichen das Zuckerrohr.
Bei den Azande weist die Abschwächung des Sorghoanbaues und die Vormachtstelluno-
der Eleusine auf ein Gebiet stärkeren Anbaues der letzteren. Die altsudanische Penicillaria
fehlt. Der Süd- und Westteil ihres Areals ist stark westafrikanisch infiziert (Banane, Maniok
Zuckerrohr, Elaeis). Der Maisanbau ihres Gebietes ist nicht nilotischen und wahrscheinlich
auch nicht südlichen Ursprunges, sondern führt auf nordwestliche Herkunft, beweist jeden-
falls, wie stark sich die Azande schon von altsudanischem, konservativen Empfinden gelöst
(dank ihrem wirtschaftlich-politischen Expansionsbestreben.)
Anhang: Genußmittel (s. Karten 14 und 15).
Anschließend an die Besprechung der Kulturgewächse sei noch der Genußmittel ge-
dacht. Es handelt sich bei den Azande und Mangbetu hauptsächlich um alkoholische
Getränke und um Rauchartikel.
Gemeinhin werden die üblichsten Alkoholika in Weine, Biere und Branntweine ge-
schieden. Die letzteren kommen für unser Gebiet nur beschränkt in Frage. Wo sie Vorkom-
men ist nuboarabischer oder europäischer Einfluß nachweisbar. Sie sind auch durchaus
unbedeutend im Verhältnis zur überragenden Stellung der Weine und Biere
Weine sind ja aus allen pflanzlichen resp. tierischen Stoffen zu gewinnen, welche
entweder direkt vergärbaren Zucker enthalten, oder deren Gärung durch Aufspaltung in
einfache Zuckerarten (Inversion) erfolgen kann. Wein wird also in erster Linie aus süßen
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46
HERMANN BAUMANN
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Früchten, aber auch aus Palmen etc. gewonnen. Für unser Gebiet sind besonders die Palm-
weine (aus der Elaeis- oder Raphia palme) wichtig. Aber auch der Bananen wein — viel
weniger der mehr im SW beheimatete Zuckerrohrwein — wird stark konsumiert. Es ist klar,
daß das Waldland mit seinen reichen Palmen- und Bananenständen mehr Weine als Biere
kennt. Letztere sind in den Savannen- und Steppengebieten zu Hause, wo die Banane nur
schwach vertreten ist, die Elaeispalme fast ganz verschwindet.
Die Biere werden durch den Prozeß der sogenannten „Verzuckerung“ der Stärke
gewonnen. Also sind es stärkehaltige Pflanzen, welche den Stoff für die nahrhaften Getränke
abgeben, so etwa Maniok, Reis und alle Getreidesorten. Von allen Getreidearten aber ist
das Sorghumkorn das beliebteste, das nur an einzelnen Orten von der Penicillaria und
Eleusine verdrängt wird. Der jung importierte Mais hat den alten Hirsearten nicht allzuviel
anhaben können. Nur an wenigen Stellen (Baya, Nordostkongo, Baluba, Bateke usw.) hat
er sich das Interesse der westäquatorialafrikanischen Bierbrauer erwerben können. Ähnlich
erging es dem ebenfalls jungen Maniok. Es sind dies klare Beweise für die tiefgehende, innere
Abneigung gegen die fremden Nutzpflanzen. Palmweine und Hirsebiere sind die eigentlich
afrikanischen Getränke. Das Hirsebier spielt ja auch durchweg eine bedeutsame Rolle bei
religiösen Riten und Praktiken.
An vielen Stellen haben sich Mischbiere gebildet, besonders da, wo zwei oder drei
Nutzgewächse um den Vorrang streiten. So ist etwa das Bananen-Hirsebier im Zwischen-
seengebiet als ein Kompromiß zwischen dem bedeutenden, westafrikanischen Bananen-
anbau und der alten ostafrikanischen Hirsekultur zu bewerten. Das Sorgho-Mais- und
Sorgho-Maniokbier der Mandja stellt die Verbindung zwischen den reinen Hirsebieren der
Sara-Bandastämme und den Maisbieren resp. Maniokbieren der Baya her. Bei den meisten
Völkern, die derartige Mischbiere haben, existieren auch die diese zusammensetzenden ein-
fachen Biere.
Offenbar am stärksten ist im Azandegebiet das Eleusinebier verbreitet. Teilweise wird
ihm etwas Honig zugesetzt (60a, S. 29). Aber auch aus Sorghum wird ein Bier bereitet, das
besonders bei Anunga und Ambomu beliebt ist (40, S. 211). Man trifft es auch bei den
Abandya (144, 1895, S. 417) neben einem Maisbier. Das Hirsebier mit Honigzusatz wird
'offenbar nach Westen zu stets verbreiteter. Wir kennen es auch als Hauptgetränk der
Nsakara (144, 1893, S. 40). Bei van Laer (Belgique Coloniale 1904, S. 414) ist dieses Getränk
„tokko“ ausführlich beschrieben. Nach Lalieux (152, 1896, S. 133) gibt es davon drei Sorten
(„pis“, „tagos“, „samba“) und das Maisbier wie bei den Abandya. Von Weinen treffen wir
im Azandegebiet nur im äußersten Westen den Palmwein (144, 1893, S. 40), der auch bei den
Akare neben Mais- und Hirsebier beliebt zu sein scheint (Belgique Coloniale 1896, S. 5°4 >
40. S. 211). Bananenwein tritt erst bei den Abarambo auf (60a, S. 218), neben dem Eleusine-
bier der Azande. Czekanowski erwähnt auch ein gegorenes Honigwasser von den Azande,
das er mit arabischer Entlehnung in Zusammenhang bringt. Aber reine Honigweine kennt
u. a. auch das Zwischenseengebiet, und wir müssen berücksichtigen, daß die Bienenzucht
gerade im Uellegebiet floriert, und die Honiggewinnung zu einem wichtigen Lebenserwerb
gesteigert ist. Zudem können wir konstatieren, daß Honig als Bierzusatz weit verbreitet,
und wie aus obigen Berichten hervorgeht, auch bei den Azande sehr geschätzt ist.
Von den Idio im Osten ist bekannt, daß sie einen Sorghobranntwein trinken (3, II, 419),
und in Rafai im Westen gibt es ein Zuckerrohrsaftdestillat (23, S. 51).
Was die Mangbetukulturgebiete betrifft, so ist auch hier eine reinliche Scheidung
zwischen Nord- und Südmangbetu erkennbar, denn nördlich des Bomokandi liebt man
besonders das Eleusinebier nach Azandeart, während im S des Flusses der Palmwein
durchaus an erster Stelle steht. Dort also sudanisches, hier Waldlandgetränk. Jenes
Eleusinebier hat uns wohl Casati am treffendsten geschildert. Ich verweise auf seine
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
47
Charakteristik (8a, I, S. 141; 8b, S. 129). Das Eleusinebier ist natürlich auch den rein
sudanischen Abangba bekannt (40, S. 210). Nach Hanolet hat das Eleusine hier der Mangbetu
etwas Honigzusatz. Weniger beliebt ist das Maisbier und der Bananenwein. De Renette
belegt auch den Palmwein, der hauptsächlich aus der Raphiapalme, aber auch aus der
Elaeis gewonnen wird (41, S. 172). Czekanowski (60a, S. 128) schätzt den Palmwein als das
ursprüngliche Mangbetugetränk, da es eben im Süden des Bomokandi in großen Mengen
getrunken wird. Bananenwein ist nicht so beliebt wie bei den Momvu. Je weiter wir nach
Süden kommen, desto mehr verschwinden die Biere — auch das Maisbier — zugunsten der
Weine. Badjo (142, III, S. 325) und Barumbi (120, IV, S. 610) haben nur Palm- und Bananen-
weine. Die Bapopoie besitzen daneben noch ein von den Wangelima übernommenes Getränk
aus Rotpulver und Kolanuß (Delhaise, 144, 1912, S. 103). Der Name für Getränke aller
Art ist bei den sämtlichen Mangbetu „awa“ oder „aua“ . (Bei Badjo ist „ebogo awa“ der
Bananenwein und „ok’awa“ der Elaeispalmwein.)
Man kann also zusammenfassend Palm- und Bananenweine als für die Mangbetu
charakteristisch bezeichnen, die Eleusinebiere den Ostazande, die Sorghumbiere den West-
azande und Nsakara zusprechen. Das westliche Maisbier könnte dann mit den Maisbieren
der Ababua Mogwandi-Sango, Banza Zusammenhängen. Das Eleusinebier deutet auf das
mößere Verbreitungsgebiet in den Nilquell- und Zwischenseenländern.
Ö Außer den alkoholischen Getränken verwendet man als Genußmittel besonders den
Tabak* im Süden auch den Hanf, wo die Araberinvasion auch Wasserpfeifen und Hanf-
fcifen einführte (Barumbi, Wangelima u. a.). Bezeichnenderweise fehlte noch zu Stuhl-
manns Zeiten (7, S. 853) der Tabak bei den Bambuba und einigen Pygmäen, sowie einigen
hamitischen Völkern am Albertsee. Die Rauchgeräte sind recht mannigfaltig. Trotzdem
haben einige Typen unseres Gebietes eine größere geschlossene Verbreitung. Die einfachste
schon von Schweinfurth (1, S. 300) von den Mangbetu beschriebene Pfeifenform ist eine
Bananenrippe mit einer in diese eingesteckte Bananenblatttüte, welche den Tabak auf-
nimmt. Bei den Mangbetu wird sie bis zu 2 m lang (s. a. 76, Taf. XVI, Fig. 11). Diese Blatt-
pfeife heißt nach Casati (8a, I, S. 165) „moquoquo“. „Sie wird aus dem mittleren Nerven-
yerüst eines geschickt durchbohrten Bananenblattes hergestellt, an dessen äußersten Teil
man ein zusammengerolltes Blatt einführt, das die Stelle eines Gefäßes versieht“. Nach
Schweinfurth kennt man bei den Mangbetu keine tönernen Pfeifenköpfe.
Ähnliche Bananenrippenpfeifen finden sich im ganzen Urwaldgebiet. Ich belege sie
von den Urwaldpygmäen von Salambongo (80, S. 3®)? den Bakumu (7^, CX^Xd), Wald-
wawira (7, S. 385), Bakondjo (in, II, Abb. 55), Alur (3, I, S. 77; Bananenrippe nur durch
Rohr ersetzt), Bangala („from the hard kerneis of the ,nsesec-palm“, 132, Bd. 39, S. 123) und
Nsakara (wenn keine andere Pfeifen vorhanden sind, 152, 1896, S. 134)’ Aber es gibt auch
tönerne oder hölzerne Pfeifen, die in ihrer ganzen Konstruktion die Verwandtschaft mit den
älteren Rippenpfeifen nicht verleugnen können. Vielleicht sind überhaupt alle Pfeifen, bei
denen der Kopf nicht am Ende winklig abgebogen ist, sondern im letzten Stielviertel resp.
-drittel aufgesetzt erscheint, direkte Fortentwicklungen der Bananenblattpfeife. Ähnliches
hat schon Frobenius konstatieren können (92). So würden also auch die typischen Azande-
pfeifen aus Ton (s. Abb. 208) in ihrer Mehrzahl hierhergehören, da der Kopf gewöhnlich wie
in den Stiel eingesteckt erscheint. Andererseits aber weisen die Azandepfeifenam Stiel-(Mund-)
ende eine Verdickung auf, die eine bestimmte rauchtechnische Bedeutung hat. Diese Ver-
dickung kehrt besonders ausgeprägt an merkwürdigen Pfeifen der Nsakara und einiger
Bandastämme wieder (s. Abb. 209—212). Das Mundstück ist kugelig, oft in Tierform ge-
bildet Vielleicht gehen wir nicht allzuweit fehl, wenn wir die Azandepfeifen als ein
Mischprodukt aus den westlichen Kugelpfeifen und den Waldlandpfeifen bezeichnen. Aber
die Azande haben noch eine andere Art von Pfeifen (s. Abb. 206), welche einen mensch-
48
HERMANN BAUMANN
liehen Kopf als Tabakstück besitzen. Die Verwandtschaft auf Abb. 205, 207 und 209
ist offenbar. Die Herkunft der Kopfpfeifen aus dem SW (Ubangibogen) ist ebenso wahr-
scheinlich wie der enge Bezug der mit Menschenköpfen verzierten Bogenharfen der Azande
und Bwaka (s. Kapitel 5).
Bezüglich der Pfeifen sind die Mangbetu wiederum dem Waldgebiet des Kongo zu-
zttrechnen. Die Azande können auch im Rauchinstrumentarium die westliche Herkunft
nicht verleugnen.
d) Die Viehzucht.
Großviehzucht wird weder von den Mangbetu, noch von den Azande betrieben, und die
sehr unbedeutende Hausviehhaltung beschränkt sich auf Hunde, Hühner, bei den Mangbetu
noch auf Schweine, bei den Azande nicht einmal auf die sonst obligaten Ziegen. Im allgemeinen
bieten diese Zustände keinerlei dankenswerten Anreiz zu längeren Erörterungen. Nur der
überraschende Umstand, daß im Obwasande „Geld“ mit „Vieh“ als gleichbedeutend an-
gesehen wird, verführt zu der Annahme, daß das Azandevolk (d. h. die herrschende Schicht
ehemals wie die hamitischen Viehzüchter Tiere gehalten und thesauriert hat.
4. SCHUTZ- UND TRUTZWAFFEN.
Bogen und Pfeil,
Von allen Waffen bietet der Bogen, sowie dessen Funktion, der Pfeil, die besten Kri-
terien für Kulturbeziehungen. Das hat schon Ratzel (Die afrikanischen Bogen, 1891) und
vor ihm Leo Frobenius (92) erkannt. Die Studien der erwähnten Gelehrten, ebenso wie die
Arbeit Weules über den afrikanischen Pfeil (95), sind jedoch viel zu allgemeiner Natur,
als daß sie uns genügenden Aufschluß über die betreffenden Verhältnisse unseres engeren
Gebietes geben könnten.
In den Akkulturationsgebieten sowohl der Mangbetu, wie auch der Azande, stellen Bogen
und Pfeil keineswegs die Hauptbewaffnung. An ihre Stelle tritt die Lanze. Der Bogen
wird zumeist nur in den Händen der unterworfenen Stämme und Klassen gesehen. So
führen die vielfach als Sklaven der Mangbetu gehaltenen Momvu Bogen und Pfeil,
Der nilotischen Kulturprovinz ist der Bogen usrprünglich fremd. Nur die hamito-nilotischen
Bari und die Nuer tragen diese Waffe. Der Dinka,,bogen“, wie er bei Schweinfurth abgebildet
ist, dient nur als Parierholz; im Zwischenseengebiet, wo sich ähnliche politische Gebilde
finden wie am oberen Uelle-Mbomu (s. a. 90), wird der Bogen ebenfalls wieder zur Waffe
der Untergebenen. In den zentralsudanischen Gebieten ist Bedeutung und Verbreitung
des Bogens stark variabel. In dem der nilotischen Kulturprovinz kulturell sehr nahestehenden
Scharigebiet ist die Bedeutung des Bogens völlig durch Lanze und Keule aufgehoben
worden. Nur in den Gebieten, in denen die Schlingbesehnung und die Rotangsehne
herrschend geworden, scheint diese Schutzwaffe überragende Bedeutung erlangt zu haben.
(Mandja, Basiri etc.). Wo dieser — weiter unten näher zu behandelnde — Typus vorwaltet,
wie in der altsudanisch fundamentierten Nordostecke des Kongowaldes, da wird der Bogen
vollends zur Hauptwaffe, die konkurrierende Lanze verliert ihre Vorrechtsstellung, und die
Keule verschwindet völlig (samt dem Wurfmesser und Wurfholz). Hier, im Waldgebiete,
sind naturgemäß die musealen Quellen die weitaus reichsten, was sich auch im karto-
graphischen Bilde vorteilhaft auszuprägen vermag (s. Karte 17).
a) Der Bogen (s. Karte 18, 19, 20).
Von Bogen der Mangbetu und Azande besitzt sowohl das Berliner Museum wie die be-
treffende afrikanische Literatur nur höchst Geringfügiges. Der Berliner Mangbetubogen
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGEL TU
49
(s. Abb. 76) ist von rundem Querschnitt mit „Bambus“sehne (1,205 m Sehnenlänge) und
Schlingenbesehnung. Auch das bei Schweinfurth (76, XIX, Fig. 23) erwähnte und abgebildete
Exemplar besitzt eine mit Schlingen an abgesetzten Enden befestigte Rotangsehne („spa-
nisches Rohr“). Das Bogenmaterial ist nach ihm aus einer „Rotangart“ gewonnen; doch dürften
vermutlich die meisten Mangbetubogen aus einfachem Holze bestehen — wie die ent-
sprechenden Waldlandformen. Daß wir den Mangbetubogen dem unten noch weiter zu
umschreibenden Waldlandtypus anzugliedern haben, rechtfertigt allein schon die Tat-
sache, daß einer der ursprünglichen Mangbetustämme — die Barumbi — den Waldland-
bogen besitzt. Er hat runden Querschnitt, Schlingenbesehnung, Rotangsehne und eine
geringe Größe (unter 100 cm). Das Berliner Museum besitzt zwei solcher Barumbibogen
(s. Abb. 79, 80). Auch die Badjo (Mädje,Madyo) haben denselben Typus (s. Abb. 78)(B.M.).
Klein ist auch der Bogen der Bapopoie (144, 1912), so daß man auch bei ihm, ohne daß
weitere Erläuterungen gegeben werden, die übrigen Waldlandmerkmale vermuten kann.
Nach de Calonne (148, X, 1909, S. 29E) sollen sowohl Makere wie Maele (Malele) ihre Bogen
von den übrigen Mangbetu erhalten haben. Dem typischen Mangbetubogen können daher
folgende Merkmale zugeschrieben werden: runder Holzstab, Schlingbesehnung, Rotang-
sehne, Größe unter 100 cm.
Wie schon angedeutet, gehört der Mangbetubogen zu einem zusammenhängenden Ge-
biete gleicher Bogenformen: dem Urwaldtypus. Von den Nil-Madi bis zu den Stanleyfällen
können wir diesen in mehr oder minder starker Reinheit immer wieder finden. Als Haupt-
merkmal dürfte die Schlingbesehnung mit abgesetztem Stabende und rundem Quer-
schnitt gelten. Die verwandte Kasaiform im Südwesten (bis zu den Bayakka) hat die
Schlingbesehnung mit einem flachen Querschnitt kombiniert, wozu noch häufig im
jungafrikanischen Kassai- und Adamauagebiet die innere oder äußere Rille (resp. Wölbung)
tritt. Mit dem komplexen Auftreten der Urwaldbogen im nordöstlichen Kongogebiet hängen
die „isolierten“ Vorkommen desselben Typus bei den Abaka, Basiri, Mandja und bei
Rafai (B. M. 54 bis 92) zusammen. Gerade die Mandja und Basiri (s. Abb. 77) weisen
in ihrem Stabbogen auf südöstliche Zusammenhänge ihrer Kultur. Das Sehnenmate-
rial des Waldlandbogens besteht fast überall aus Rotang. Auch die heute erloschenen
Bavilivorkommen zeigen noch die Rotangsehne. Das starke und natürliche Adhäsions-
vermögen von Rotangsehne und Schlingenbesehnung läßt sich kartographisch sehr gut er-
weisen (siehe die Karten). Das erhellen die Kasaiflachbogen mit Rotangsehnen und die
schnur-wickelbesehnten Stabbogen der Balolo, Bapoto, „Bakumu“, sowie ein Ababuabogen
im Berliner Völkermuseum. Alle Waldlandexemplare sind klein, nur der sonst verwandte
Mandjabogen hat durch die Nähe Adamauas die dort herrschenden größeren Formen an-
nehmen müssen (s. auch Abbildungen 81—85).
Es hat sich also gezeigt, daß im nordöstlichen Kongogebiet ein Bogentypus vorhanden
ist, der dem der Mangbetu verwandt ist. Peripherisch um diesen kartographisch festgelegten
Komplex lagern sich fremdartige Formen: der Stabbogen der Mongo-Kundustämme,1
mit oft außen abgeplattetem Stab, Schnursehne und Wickelbesehnung,2 weiterhin der
Stabbogen des Zwischenseengebietes mit seinen typisch ostafrikanischen Merkmalen (60,
S. 188), wobei hier neben der Pflanzenfaser schon die hamitische Tiersehne auftritt. Ähnlich
sind die Bogen der nilotischen Nuer und Bari (B. M.). Während die Nuer Pflanzenfaser-
sehnen gebrauchen, besitzen die Bari die tierische Sehne der hamitoiden Niloten. Tierische
1 Dieser Typus zeigt in Besehnung, Querschnitt und
Sehne engste Verwandtschaft mit den Formen in Nord-
adamaua (M-^ghi, Matakam u. a.) am oberen Nil und im
Zwischenseengebiet. Er verbindet sich mit Elementen
einer Kultnr nördlicher Herkunft, deren Spuren bis in
das zentrale Kongobecken nachzuweisen sind: Tontopf-
trommel, Feuerpflug, Flachkeulen, Tonschalenblase-
balg u. a. mehr.
2 Bei Inkundc, Baringa, „Balolo“, Bapoto, Ababua,
Bakumu, B. M.; Lulongo-Ruki (77); Tofoke (142),!.
4
Baessler-Archiv.
50
HERMANN BAUMANN
Sehnen treffen wir dann erst wieder in Adamaua, wo sie mit Flachbogen kombiniert aufzu-
treten pflegen.
Die unter den Mangbetu und im Iturigebiete schweifenden Pygmäen besitzen eben-
falls den Bogen, den ihre höher gewachsenen Nachbarn führen, sowie eine andere noch nicht
beschriebene Form mit rundem Querschnitt, Rotangsehne, Stirnbesehnung und ausgepräg-
ter Kleinheit. Dieser -— nach Frobenius ,,frontal“ genannte Bogen — ist nur dort verbreitet,
wo sich Pygmäen finden oder wo der Bogen zur Kinder)agdwaffe, resp. zum Spielzeug
herabgesunken ist. Er findet sich vor allem am oberen Ituri, bei den südlichen Lendu (7)
in Butembo, bei den Urundi-Batwa, Babongo am Ogowe, um Nola, bei den Bafiote (alle
B. M.), Tofoke (142, I), Mogwandi (20, Tafel 104) etc. (s. Abb. 89, 90 und 86, 87).
Der Bogen der Azande, d. h. derjenige der von den Avurngura unterjochten Völker
ist so gut wie unbekannt. Die wenigen Angaben Fleuglins (6) deuten nur darauf hin, daß er
mit Rotangsehne und 2 bis 21/2 Fuß Größe sich an den Waldlandbogen anlehnen dürfte.
Die Azande-Idio haben nach Ratzel (siehe oben) schon Wickelbesehnung und eine bedeu-
tendere Größe (über 100 cm). Sie scheinen sich demnach an den nilotischen Typus anzu-
schließen. Die verwandten Nsakara (B. M.) haben Flachbogen mit Rotangsehnen und fron-
tale Befestigung derselben (s. Abb. 88). Sie sind unter 100 cm groß und nähern sich eher
den ,,Stirnbogen“ des Waldgebietes und spezieller dem der Mogwandi, Von den den
Azande unterworfenen Stämmen besitzt das Berliner Museum nur 2 Bogen der Basiri(Shere)
mit rundem Flolzstab, Rotangsehne, Schlingbesehnung und mittleren bis kleineren Dimen-
sionen (s. Abb. 77). Aus diesen spärlichen Beweisen können wir die Existenz des Wald-
landbogens nur vermuten.
Die Völker der Akkulturationsgebiete der Mangbetu wie der Azande haben, wie wir
gesehen, denselben Bogentypus. Es ist der kurze Stabbogen mit Rotangsehne, die mittels
einer Schlinge am abgesetzten Ende befestigt wird. Von der Tatsache ausgehend, daß
alle Forscher übereinstimmend den Bogen nur bei unterworfenen Clans und Stämmen
fanden, diese Stämme aber nachweislich alten und ältesten Völkergruppen angehören,
könnte dieser Bogen auch ohne andere Beweise als ,,alt“ — im relativen Sinne — anerkannt
werden. Dazu kommt, daß sich der Stabbogen, verbunden mit der westafrikanischen Ro-
tangsehne besonders gern im schwer zugänglichen Waldgebiete erhalten hat. Der Flachbogen
Adamauas und des südlichen Kongogebietes ist schon durch seine Assoziation mit typisch
jüngeren Kulturelementen als kulturhistorisch ,,jung“ zu bewerten.1
Da die nilotischen, ostafrikanischen und hamitischen Völker vorzüglich den Stabbogen
führen, so ist dessen ältere Stellung im Osten des Erdteiles ebenso wahrscheinlich wie
im Westen P. W. Schmidt (94) betont mit Recht den Wert des Querschnittes für die
Erkenntnis der kulturhistorischen Stellung der Bogenformen. Auch er kommt anläßlich
seiner Pygmäenforschungen zu einer chronologischen Trennung der Bogentypen und unter-
scheidet einen älteren Stabbogen von einem jüngeren Flachbogen, wobei er gegenüber
Gräbners zaghafter Trennung im Südseebefund für Afrika energischere zeitliche Scheidun-
gen gibt. Er schreibt den oben gezeichneten Waldlandtypus seinen Pygmäen zu und führt
glaubhafte Beweise dafür an. Nur übersieht er die Bedeutung des Stirnbogens für die Pyg-
mäenstämme, die ja gerade am oberen Ituri ihre Konzentrationsgebiete besitzen. Seine be-
trächtliche Kürze und die übrigen Merkmale würden nur für eine solche Zugehörigkeit zur
Pygmäenkultur sprechen. Auch die auf den ersten Blick kompliziert anmutende frontale Be-
sehnung ist technisch nicht schwieriger zu werten als die Schlingbesehnung. Auf jeden Fall
1 Als solche Kulturverwandte dürfen vielleicht die Bali- der vier oberen Schneidezähne, die beschnitzten Elfen-
Bakuba-Schwerttypen, die Trinkbecher und -hörner beinhörner von Benin, dem Kameruner Graslande und
des Graslandes von Kamerun und von den Bakuba, von Loango angesehen werden,
die Schlingbandornamente, die Sitte des Ausschlagens
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
51
muß die Entscheidung über die Priorität in der kulturhistorischen Stufenfolge der beiden
Bogentypen noch dahingestellt bleiben.
Der sudanische und ostafrikanische Bogen mit Wickelbesehnung hat seine Größe und
Sehne nur dem abweichenden Kulturmilieu (hamitische Lederindustrie etc.) und hamitischer
Beiraischunghöher gewachsener Volksgruppen zu verdanken (besonders Niloten und Zwischen
seenvölker). Eme Trennung des früher gemeinsamen Stabbogens in zwei Variationen-
Stabbogen mit Wickelbesehnung und Stabbogen mit Schlingenbesehnung ist leicht denkbar'
wenn wir als treibende Kraft das Sehnenmaterial ansehen, das in verschiedenem Milieu
zu verschiedener Besehnung führte. Wir hätten hier also eine Art „Divergenz“ eines Kultur-
gutes (Ankermann: P. M. 1920, S. 187).
b) Der Sehnenschutz.
Das an afrikanischen Bogen häufige Schutzmittel für die zurückprallcnde Sehne tritt
bei den Mangbetu in einer eigentümlichen Variation auf. Schon Schweinfurth beschreibt
diese Vorrichtung in seinen „Artes Africanae“ (Taf. XIX, Fig. 23) als ein „kleines Trommel
dien. ... in Form eines Weberschiffchens“. Ausdrücklich als dem Sehnenschutz gewidmet
wird es außerdem als Bewahrmittel für das Giftharz der Pfeile bezeichnet. Ein Exemplar
dieser „Trömmelchen“ befindet sich auch an einemMangbetubogen (III, C. 23949-5 Abb 76)
des Berliner Museums. Es ist nun recht auffallend, daß dieselbe Vorrichtung sich an den von
Gaud(Ó4, S.470) erwähnten Mandjabogen wiederfindet.'Sie werden hierbei als ein rein aku-
stisches Mittel gewertet. Der „schneckenhausartige Resonanzkasten“ soll den alleinigen Zweck
haben, das Vibrieren der Sehne nach Abschuß des Pfeiles akustisch fühlbar zu machen.
Für diesen Stamm besitzt das Museum einen faßbaren Beleg (III, C. 28703) Wir sehen
auch in diesem unscheinbaren Element die Verwandtschaft des Basiri- und Mandjabogens
erwiesen. Die den Basiri verwandten Abangba werden vermutlich in diesem Falle die Kultur-
träger für das nördliche Mangbetugebiet darstellen. Von diesen eben erwähnten Basiri
(Shere) finden wir schon bei Schweinfurth (76, XX, 7) ein entsprechendes Gerät abgebildet.
Es ist durch einen Längsspalt wie die anderen ausgehöhlt (s. a. die Exemplare des Ber-
liner Museums an den Bogen III, C. 27997, 98 u. Abb. 77). Nach Junker (5) sollen auch
die Mittu und Abaka ähnliche Vorrichtungen besitzen. Hierhin gehören auch die einfachen
Holzpflöcke, welche die Bari an ihren Bogen (В. M.) befestigen.
Daß es sich bei allen diesen Vorkommen nicht nur um Sehnenschutzvorrichtungen
handelt, erhellt aus vorigen Angaben. Die erwähnte Meldung Gauds, daß es sich auch um
eine akustische Vorrichtung handelt, wird durch eine Mitteilung Frobenius (Aus den Flcgel-
jahren der Menschheit. Hannover 1901, S. fióff.) bestätigt. Gestützt auf das Zeugnis eines
Kolonialbeamten, de Hertogh, hält er die Schiffchen für Signaltrommeln. De Hertogh sagt •
„Dieser kleine Apparat, der zuweilen den Bogen der Amadi, Abarambo, Mangbattu
Asande, Bangbas angefügt ist, dient dazu, sich z. B. im hohen Grase zu verständigen*
die Eingeborenen haben eine Sprache, die durch leichte Schläge, welche mit dem Pfeil
oder einem kleinen Stöckchen gegen den Apparat geführt werden, ausgedrückt wird. Sic
benützen diese gleiche Sprechart auf ihren großen Holzpauken.“ Frobenius gibt an gleicher
Stelle zwei Abbildungen von solchen Bogentrommeln der Amadi und Sango am Helle und
Ubangi. Ob nun tatsächlich das Trommeln und nicht der Sehnenschutz das Wichtigere ist
müssen erst noch weitere Beobachtungen erweisen.
Von diesen am Bogen selbst befestigten Holzlagern sind die an die Hand gebundenen
mit Blattwerk gefüllten Lederkissen im eigentlichen Urwaldgebiet zu unterscheiden.5
Sie sind noch nicht ins Mangbetugebiet gelangt. Nur an der südlichen Peripherie_z В
bei den stark mangbetusierten Mabudu (В. M.) — finden sie sich als Kultureigentum*
Jedoch ist die eigentliche Heimat dieser Handschutzpolster das Flußgebiet des oberen
4*
■
5 2 HERMANN BAUMANN
Aruwimi und Ituri (Momvu, Mombutu (s. Abb, 91), Wambuba, Bakumu, Lendu (B. M.);
Wawamba, Wawira, Alur, Pygmäen (7), „Lomami“ (77 ,Taf. 155) Avisippa (27).
Auch die Verbreitungsgebiete der Handschutzringe aus Elfenbein oder Holz, die am
oberen Nil (besonders Nuer) und im Zwischenseengebiet, samt der schon in den westlichen
Urwald mündenden Grenzlande vorherrschen, berühren das Mangbetugebiet weder im
Norden noch im Süden.
Bei einer Betrachtung der kartographisch niedergelegten Verbreitungsareale zeigt es
sich, daß die Holzlager in einem ununterbrochenem Bande dem Urwaldlande vorliegen.
Diese Holzlager, die nach unserer heutigen Kenntnis aufMandja, Basiri, Abangba, Amadi,
Abarambo, Mangbetu, Asande, Abaka, Mittu, Bari beschränkt sind, dürften meines Er-
achtens alle von den Shere (Basiri)-Abangba ausgegangen sein. Diese Ansicht ist natürlich
nur rein hypothetisch aufzufassen. Andererseits nimmt das Handschutzkissen aus Leder
eine südlich und südöstlich anliegende markante Verbreitung an. Es überdeckt den eigent-
lichen Kongourwald fast völlig. Seine starke Adhärenz an den Schlingsehnentypus des
nördlichen Kongowaldes wird nur im Norden und Nordwesten von den Holzlagern, im
Osten schwächer von den Handringen aufgelöst.
Hier steht für uns jedenfalls fest, daß bei den eigentlichen Mangbetu und den ihnen
assimilierten Stämmen mit dem Urwaldschlingbogen nicht auch der Urwaldsehnenschutz,
sondern das diesem Bogentypus viel fremdere Holzlager in Form eines „Weberschiffchens“
überkommen ist. Dieses ist, wie wir gesehen haben, höchstwahrscheinlich nördlicher Her-
kunft.
c) Der Pfeil.
Sowohl von den Azande, wie von den Mangbetu, liegt wenig den Pfeil betreffendes
Material vor, obwohl wir hier bedeutend besser versorgt sind als beim Bogen. Die haupt-
sächlichsten Belege stammen, aus dem Berliner Museum, die Herkunft des übrigen Quellen-
materials wurde mit Anmerkungen bezeichnet.
Der Mangbetupfeil besitzt eine Eisenspitze, die in einen Rohrschaft eingelassen,
lanzettlich geformt und mit Widerhaken versehen ist. Diametral durch das untere Ende des
kerbenlosen Schaftes wird ein dreieckiges Fellstück geklemmt (s. Abb. 100). Bei den
Barumbi tritt an Stelle des Rohres ein Holzschaft, der zugleich in die Holzspitze über-
geht. Die Fiederung besteht aus einem getrockneten Blatt, das wie das Fellstück in einem
Schlitz der unteren Pfeilhälfte gesteckt wird, eine Kerbe ist auch hier nicht vorhanden
(s. Abb. 94). Die Madyo (Medje) verwenden kerbenlose Schäfte aus Raphia oder Holz und
stecken die lanzettliche bis dreieckige Eisenspitze mittels einer Tülle an den Schaft. Sie
haben ebenfalls die erwähnte Blattfiederung,1 Von den übrigen Mangbetustämmen erfahren
wir nur das allernotwendigste über Maß und Art der Pfeilverwendung. Die Pfeile der Ba-
popoies sind befiedert mit trockenen Blättern und tragen Giftstoffe (144, 1911, S. 199).
Der Azandepfeil (6, S. 177, 216) zeichnet sich durch völligen Mangel einer Fiederung —
wie auch der Kerbe — aus. Der Schaft besteht aus Rohr und trägt an einem Ende eine mit
Widerhaken versehene Eisenspitze, die dazu oft aus mehreren ineinander gesteckten Teilen
besteht. Auch die Shere-Basiri haben keine Befiederung an ihren einer Kerbe entbehrenden
Rohrschaften, die bestenfalls eine eingelassene Eisenspitze tragen. Dasselbe gilt von den
Nsakara, nur daß hier eine eingelassene Holzspitze eintritt (s. Abb. 95 u. 101—105).
Bei der Diskussion der kulturhistorischen Ergebnisse ist eine sachliche Gliederung
des Stoffes nicht unvorteilhaft.
1. Die Flugsicherung (s. Karte 23) : Als das für kulturhistorische Untersuchun-
gen dankbarste Merkmal ist schon von Weule (95) die Befiederung erkannt worden.
1 Dieselben Pfeile benutzen die ihnen benachbarten und stark akkulturierten Mabudu.
IW
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU r
Oo
Völliger Mangel einer Flugsicherung findet sich in der ganzen zentralsudanischen und
nilotischen Provinz. Im östlichen Waldgebiet, das obigen Provinzen vorliegt, herrscht all-
gemein eine Art der Flugsicherung: die Beblattung, wie wir sie von denMadyo,Bapopoie
und Barumbi kennen gelernt haben (s. a. Abb. 92, 93, 96, 98, 99). Federbefiederung findet
sich nur im Zwischenseengebiet, im großen Kongobogen und weiter südwärts. Während
südlich der Stanleyfälle die Beblattung bis tief ins zentrale Kongobecken vorrückt,
vermochte sich die Federbefiederung nördlich davon bis zum mittleren Aruwimi vor-
zuschieben. Bei den Azande- und Mangbetustämmen finden sich nur die beiden
ersten Typen, d. h. die sudanisch-nilotische und die Urwaldfiederung. Wie wir sehen
werden, zeigt sich in dieser Beziehung die Pfeilform der Azande als der nilotisch-zentral-
sudanischen verwandt, während die Mangbetu auch hierin ganz den Waldcharakter
tragen. Die schon von Weule als „Urwaldfiederung“ angesprochene Beblattung erfüllt
den ganzen nördlich des Kongo sich ausdehnenden Urwald. Wenn bei den Mangbetu
an Stelle des Blattes ein Fellstück eingeklemmt wird, so ist dies nur ein Unterschied des
Materials und nicht des technischen Gedankens und seiner Auswirkung. Dieselben Fell-
stücke an Stelle des Blattes finden sich auch bei den Lendu und Loggo;es läßt sich nicht ent-
scheiden, ob die Vorkommen bei Mangbetu und Lendu-Loggo genetisch in Zusammenhang
stehen. Anzunehmen ist es bei einiger Kulturverwandtschaft der Mangbetu nach dem
Seengebiet (Sichelmesser usw.). Eine Brücke zwischen den auch in anderer Beziehung
verwandten Pfeilformen bilden die Südostbaiesse (Wasesi). Auch sie kennen die Fell-
, fiederung“.
Mit einem Blatt als Flugsicherung versehen sind die Pfeile der Mombutu, Momvu,
Bambuba, Bakondjo, Babira (s. a. T. S. 3^3)> Bakumu, Bunyabungu, Mabudu-Banyai,
Mabali-Bandakka, Barika (B, M.), Baamba (7, 7, 307) u. a. Außer dieser engsten Heimat
kommt die Beblattung sporadisch auch anderwärts vor. Wie im Urwald assoziert sie sich
dann am liebsten mit dem direkt in eine Spitze übergehenden Holzschaft. So treffen wir diese
Befiederungs,,form“ als Ausläufer des Kerngebietes bei den Stämmen am unteren Lomami
(Tofoke; 142,!) und am oberen Tschuapa, auch bei den hier wohnenden Bapotopygmäen
wieder. Weitere isolierte Horste bestehen bei den Basonge (B. M.), Mogwandi (20), Bakale,
Bangongo-Buschongo (53), Wanyabungu, um Nola am Sangha (s. Abb. 93), bei den Abongo
(B. M.) u.a. m. Wie weit die Blattfiederung außerdem reicht oder reichte, ist ungewiß, doch
wäre ein sporadisches und wiederholtes Auftreten im Mongo-Kundugebiete nicht erstaunlich.
Da wir leider keinerlei Material besitzen, das authentisch genug wäre, die Pfeile der Ababua
und der westlich benachbarten Stämme zu bestimmen, so klafft hier eine schmerzliche
Lücke. Die nivellierende Kraft der europäischen Zivilisation hat dazu den küstennahen
Westen schon früh bis tief hinein des Bogens beraubt. Die Beschaffenheit der Pfeile ist hier
nur noch aus den Armbrustpfeilen, denen zudem schon technisch eine bestimmte Form
vorgeschrieben ist, zu erkennen. Wie die Kinder- und Jagdbogen, die man hier und da noch
vereinzelt trifft, besitzen sie dann nahezu alle d.ie Blattfiederung. Die Beblattung macht
erst am Uelle-Dungu halt und weicht dort Pfeilen ohne jegliche Fiederung.
Dieses Merkmal verbindet die nilotische und zentralsudanische Provinz aufs engste.
In der letzteren sind die südlichsten Träger solcher Pfeile die Bwaka und Banza, dann
schließen sich nördlich die Bandastämme, die Baya und Mandja, das ganze obere Sanaga-
gebiet einschließlich W ute, Tikai und TLibati und endlich die Heidenstämme Nordadamauas
an. Auch zerstreut im Kongogebet finden sich befiederungslose Pfeile, wenn auch seltener.
Die Federfiederung im Südosten und Südwesten interessiert uns hier wenig. Sie erscheint
fast überall als die weitverbreiteten „Bundfiederung“ (s. Weule).
Was wir sonst oft vermissen, tritt bei Beobachtung der Fiederungsverbreitung be-
sonders hervor: die kompakte Anordnung der kulturverwandten Elemente im geographischen
54
HERMANN BAUMANN
Areal. Dieses dürfte ein Beweis mehr für die kulturhistorische Bedeutung der Befiederung
sein. Wenn sich nun die Blattfiederung vor allen anderen Flugsicherungen am einheitlichsten
an bestimmte andere Charakteristika geknüpft hat, so kann dies mit Fug und Recht als
ein Zeichen hoher Brimitivität und Widerstandskraft gewertet werden. Daß nicht allein
der sichere Schutz des Ujwaldes diese magnetische Kraft jener Merkmale (Blattfiederung,
keine Kerbe, durch Rotangsehne bedingt, Holz- oder Rohrspitze organisch mit dem Schaft
verwachsen) bewirkt, sondern vor allem der Wille und dessen spezielle ethnische Aus-
prägung: die Tradition der Kulturträger, maßgebend sein dürfte, erhellt aus folgender
Tatsache: bei allen sporadischen Vorkommen (z. B. Abongo, Bakale, Nola, Mogwandi,
Yanga, Basonge) treten die oben aufgezählten Merkmale in der Regel noch geschlossener
und vollzähliger auf als im Urwalde. Daß auch der typische Bygmäenpfeil diese Merkmale
aufweist, wurde schon von B. W. Schmidt angeführt.
2. Die K erb e(s. Karte 22) : In Bezug auf die Existenz resp. Nichtexistenz einer Kerbe
müssen wir ganz besonders die weiter oben erklärten Bogenverhältnisse berücksichtigen,
denn die Abhängigkeit von Kerbe und Bogensehne ist auffallend. Die beiderseitigen
Verbreitungsareale decken sich fast völlig.1 Die Bflanzenfasersehnen sind fast stets
mit einer tiefen Kerbe am Bfeil verbunden, während die sich nur schwer in eine tiefe
Kerbe einbettende Rotangsehne sich am liebsten mit kerblosen Schäften verbindet. So
ist es gekommen, daß die sonst zwischen sudanischer und Kongoprovinz- liegende —
linguistisch und pflanzengeographisch bedingte -— Kulturscheide verwischt werden ist;
sowohl Rotangsehne als kerbenlose Bfeile finden sich einerseits im Ubangigebiet, anderer-
seits im Tale des Aruwimi-Nepoko-Ituri. Schon die nilotische Brovinz bringt Ledersehne
und Kerbe, wobei von den westlichen Gebieten vielfach Beeinflussungen ausgehen. Das-
selbe gilt für das Zwischenseengebiet, wo Fflanzenfaser- wie Ledersehnen mit tiefen Kerben
verbunden sind. Nur in Grenzgebieten (z. B. Mongelima, Bapoto) und weiter im Kasai-
gebiet kann neben Rotangsehne auch die tiefe oder schwache Kerbe auftreten. Auf bei-
folgender Karte ist die Verbreitung der Kerbe kartographisch festgelegt.
Vergleichen wir eben diese Leststellungen mit einer Karte der Flugsicherung, so fällt
uns das stark funktionelle Verhältnis von letzterer und der Kerbe, resp. der Bogensehne,
auf. Das ist um so mehr verwunderlich, als beide Ffeilelemente in keinem sichtlichen tech-
nischem Zusammenhänge stehen. Am auffälligsten erscheint uns die Coexistenz dieser Merk-
male im zentralen Kongobogen. Hier treffen radiale Bundfiederung, tiefe Kerbe und
Bflanzenfasersehne stets zusammen. Die Vermutung, daß es sich hierbei um einen selb-
ständigen Bfeiltypus handelt, wird durch das Hinzutreten eines vierten Merkmales ge-
steigert: die Tüllenbefestigung der Eisenspitze (s. unten). Auch die Bogenform ist ja eine
eigene (Mongo-Kundu-Form ?).
Im nordwestlichen Kongogebiet, wo sich Blattfiederung, Kerbenmangel und Rotang-
sehne verbinden, finden wir ebenfalls eine Steigerung dieser Komplexität durch Hinzu-
treten von Holzspitze und Holzschaft. Daß wir diesen Bfeiltypus mit den Waldlandbogen
Zusammenhängen, dürfte nicht erstaunen. Sowohl beim Urwaldpfeil wie beim oben gekenn-
zeichneten Mongopfeil haben sich einzelne ihrer Elemente nach Norden bezw. nach Süden
verbreitet. In den zentralen Sudan kamen im Verlauf der ostwestlichen Völkerströmungen
die Rotangsehne und der Kerbenraangel am Rohrpfeil zu den Mandja, während die Be-
blattung verloren ging. Im Kassai’gebiet gesellte sich zu der dort herrschenden Rotangsehne
die tiefe Kerbe und zum Teil die radiale Bundfiederung.
3. Die Spitze (s. Karte 21) : Dem befiederungslosen Gebiet ist im allgemeinen auch
die eingelassene Eisenspitze eigen. Letztere herrscht auch im Zwischenseengebiet wie viel-
1 Da auch die Bwaka am Ubangi an ihren Pfeilen keine einen Bogen mit Rotangsehne besitzen.
Kerbe tragen, liegt die Vermutung nahe, daß sie
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
55
fach im übrigen Ostafrika neben der radialen Bundfiederung. Im südlichen Kasaigebiet
hat diese eingelassene Eisenspitze mit der Bügelfiederung zusammen ihr Domizil errichtet
Von den Bakuba und Bahuana an nach Norden treffen wir überall auf die l ulle an der Eisen-
spitze. Sie dringt über die Bapoto und Mongilima (l 20, VIII, S.3S+) tief ins Aruwimi-Nepo-
kotal ein und deformiert dort den Urwaldpfeil. Die Momvu, Mombutu, Bakumu, Babira
Bakondjo etc. besitzen neben Holzpfeilspitzen eben diese Tüllen mit oft recht breiten
Blättern. Jene Holzpfeile sind ohne alle Frage die ältere Form (s. unten). Die Tülle hat sich
vom Kongo über den Nepoko-Aruwimi-Ituri eine enge Straße in die Gegenden stark pro-
tomorpher Stämme gebrescht und die Holzspitze aus ihrer herrschenden Stellung ver-
drängt. Letztere selbst hat eine höchst bezeichnende Verbreitang. Sie ist fast ä 1' }
an das Vorkommen der Blattfiederung, der Rotangsehne und an die Schlino-- bezw Stirn
besehnung gebunden. Sie zeigt an vielen geographisch weit getrennten Stellen eine zick-
zackartige Anrauhung.1 Diese dürfte vielleicht ursprünglich als Halt für das Pfeilgift dienen
Daß auch dieses Merkmal so auffallend mit den anderen als primitiv erkannten Pfeil*
dementen auftritt und sich am ehesten bei auch in anderer Hinsicht urwüchsigen Stämmen
findet, zeugt für die Einheitlichkeit dieses Pfeiltypus.
Die Holzspitze, welche organisch mit dem Holzschaft verbunden, die Blattfiederung
der Kerbenmangel sowie die e entuelle Anrauhung sind die Komponenten des typischen
Urwaldpfeiles Äquatorialafrikas. Die in den Schaft eingelassene Holzspitze kann nur als
eine lokale Angleichung einer primitiven Pfeilform an die sudanischen und ostafrikanischen
Formen mit eingelassener Spitze gewertet werden (s. Abb. 93, 92).
Die Mangbetu besitzen also einen Pfeiltypus, dessen Hauptmerkmale mit dem Ur-
waldpfeil verwandt sind (Kerbe, Fiederung) und bei dem nur die eingelassene Eisenspitze
aus der nördlich benachbarten Sudanregion stammt. Der Pfeil ist auch technisch ganz an
den Urwaldbogen gebunden. Die Barumbi nennen den typischsten Urwaldpfeil ihr eigen
wie sie ja auch nur den Urwaldbogen kennen; die dürftige Schilderung Delhaises (s. oben)
läßt auf ähnliche Verhältnisse schließen. Die Madyo haben ihn unter dem Einfluß der aas
Südwesten anrückenden Mongopfeile etwas abgewandelt und mit aufgetüllter Eisenspitze
versehen. Den Azande ist die rein zentralsudanische Pfeilform eigen (keine Befiederung,
eingelassene Eisenspitze und Mangel der Kerbe — unter Einfluß des hier noch herrschenden
Waldlandbogens mit Rotangsehne). Dasselbe kann von den Shere -Basiri gesagt werden.
Der Nsakarapfeil wäre ein guter Vertreter des Urwaldtypus, wenn er die Beblattung be-
säße. Es ist jedoch leicht möglich, daß hier wie in anderen Fällen die Blätter erst bm Ge-
brauch eingezogen werden.........
Messer und Säbel.
Von den durch Seyfert (12, Bd. 10, S. 126 ff.) unterschiedenen Formen der Messer-
Dolchmesser, Schlagmesser und das (hier besonders besprochene) Wurfmesser, erfassen wir fü '
unsere Zwecke nur einige wenige, stark charakteristische Typen. Der bei denNsakara T^d^
Westgrenze unseres Gebietes auftretende Dolch (s. Abb. 121), welcher am Arme des Krie ^
zu befestigen ist, stellt eine neusudanische Bereicherung (2, I, Abb.) dar Er kehrt * ^
fast bei allen Bevölkerungsschichten des Sudan, besonders in*jenen Teilen mitCpoliple] ^
Hochorganisation. Dolchmesserartige Waffen, welche südlich des Uelle-Ubanei ' ^
ausgedehnterem Maßstabe dem Schlagmesser weichen müssen, finden sich noch^crcL^
Azande wie bei den Mangbetu. Gewöhnlich sind diese kurzen Messer mit Lederscheide01 ^
bunden; diese müssen, ähnlich wie die Oberarmringgrilfe, mit nördlichen, sudanische Ei*'
Wirkungen in Zusammenhang stehen. Wahrscheinlich sind mit den Oberarmgriffen welche
1 Belegt von: Banza (2a), Nsakara, Bwaka, Barika Kongourwald und bei Westpvrnnäen Ali
(Ituri), Stanleyfälle und besonders im nordöstlichen V Abb. 93k
56
HERMANN BAUMANN
nicht nur die Nsakara, sondern auch die Abandja, Banda und Kredsch besitzen (Exposition
Congolaise Bruxelles, 1897, S. 140), auch die Lederscheiden und Meinen Dolchformen ins
Uellegebiet gelangt. Die Verbreiterung und Vergrößerung der Klinge ist das typische Zeichen
südlichen Kultureinflusses. Wo gar noch die fast nur an westafrikanischen Speerblättern und
Messerklingen auftretenden Durchlochungen zu beiden Seiten der Mittelrippen sich zeigen,
ist die westafrikanische Einwirkung unzweifelhaft. Auch diese Erscheinung kann bei
Mangbetuexemplaren nachgewiesen werden (etwa Abb. 132).
Der zur Gruppe der Schlag- oder Haumesser1 zu zählende,,Trumbasch“, das Sichelmesser
der Mangbetu, ist schon durch seine zeremonielle Bedeutung, verbunden mit einer privi-
ligierten Stellung der Träger, kulturhistorisch gekennzeichnet (s. Abb. 151). In seiner engeren
und weiteren Umgebung hat er keinen Verwandten, der direkt auf ihn zurückginge; aber in
den drei ausgeprägten Formen des Säbels, des Wurfmessers und der Sichel des Zwischen-
seengebietes (s. d.) schlummern die Grundelemente seiner Wesenheit. Seine Griffzwinge ist
bei den beiden ersteren erhalten, und die markante Linienbildung trifft sich in allen drei
Kategorien wieder. Wucherformen des Mangbetu-Abangba und Momvugebietes neigen mit
ihren ausgebreiteten Klingen schon stark zu den Schlagmesserformen des Kongostromlaufes
(s. Abb. 139—144). Doch ist die Annäherung eines Mangbetuhaumessers ähnlicher Gestaltung
an eine südindische Form von solch überraschender Deutlichkeit, daß wir unwillkürlich an
die vielen indischen Entsprechungen innerhalb der neusudanischen Kultur erinnert werden
(s, 81. Taf. 28 und B.M. IIIA. 1278). Vereinigen sich so mit dem Säbel der Azande und dem
Sichelmesser der Mangbetu gerne Elemente des Wurfmessers, so gehen wir nicht fehl,
wenn wir auch dieser Waffe — durch mittelbaren Einfluß natürlich — eine neusudanische
Stellung zuschreiben. Das Vorkommen eines echten Sichelmessers von Mangbetutypus bei
den Pharaonen des alten Ägyptens gibt sogar einen Anhalt für die Annahme direkter neu-
sudanischer Zugehörigkeit. Wir wissen, wieviel solchen Kulturgutes die alten Bewohner des
Nillandes zu dem ihren zählten. Sichelmesser und Säbel legen sich auch kartographisch
an das Wurfmesser eng an. Wir versuchen daher, das Sichelmesser der Mangbetu als eines
der durch nördliche Einflüsse importierten Kulturelemente anzusehen. Das Säbelmesser
der Bapopoie ist zweifellos eine Bereicherung aus dem Ababuainventar. Den Azande dürfte
es aus dem Südwesten überkommen sein (s. Abb. 147—150 u. Abb. 152, 153 u. Karte 24).
Die Keule.
Ganz besond ers auffallend wirkt eine Keule der Mangbetu im Berliner Museum (s. Abb. 168).
Schon allein das Auftreten dieser Waffe in unserem Gebiete ist ein ethnologisches Ereignis.
Würde der Sammler des Stückes (III, C, 23 530) nicht ein geschulter Ethnologe (Czekanowski)
sein, so müßte man die Provenienz anzweifeln. Nirgendwo wird uns in der Literatur über die
Azande und Mangbetu ein ähnliches Vorkommen gemeldet. Das walzenförmige Holz ver-
dickt sich nur langsam und leicht und trägt an zwei Stellen kupferne und messingene
Ringe. Bei einem Vergleich mit anderen afrikanischen Keulenformen fällt uns sofort die
fast völlige Übereinstimmung mit den Schlagknüppeln typisch altsudanischer Stämme auf.
An Stelle der Kupferringe treten Eisenspiralen oder -ringe. Das genannte Museum verfügt
über derartige Waffen der Tamberma, Hidji, Tschamba und Baya. Bei den Dinka tritt an
Stelle der Metallspangen ein um das Holz geschlungener Lederriemen. Wie schon gesagt,
fehlt dem Uellegebiet wie fast dem ganzen übrigen Westafrika jegliche Keule. Nur die
1 Es ist kaum möglich, die musealen Belegobjekte genau
als Buschmesser resp. Kriegsmesser zu bestimmen, da
die Angaben über die Verwendung mehr als dürftig sind.
Immerhin scheint es, als ob der Trumbasch auch vielfach
als Buschmesser benutzt wird, ähnlich wie manche der
anderen haumesserartigen Waffen der Abangba-Momvu.
Klar erkannt ist die Verwendung des langstieligen, ein-
schneidigen Messers der Mangbetu (s. Abb. 137) für die
Holzschnitzerei. Ein Vergleich mit Abb. 136 gibt uns
einen Fingerzeig für dieFormverwandtschaft desSchnitz-
messers mit dem Lendufrauenmesser.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MAN QBE TU
57
wir im
Momvu verwenden eine hölzerne Kolbenkeule (B. M.), deren nächste Verwandten .... ....
nördlichen Ostafrika (Tana- und abflußloses Gebiet) zu suchen haben. Aus Elfenbein be-
steht eine Keule aus dem Abandyagebiet (Abb. 169). Die aus dem Gefüge westafrikanischer
Kultur fallenden Flachkeulen der Balolo-Mongo (B. M.) finden ihre Heimat in den Land-
schaften des Auresgebirges und in den Bergländern Kordofans (B. M.). Auch die Somali-
Barawa, die Akikuyu (Routledge: Witha prehist. people P1.C,V.) und einige Anwohner des
Benue (B. M.; „Kanu“) verwenden dieselben schwertartigen Schlagwaffen aus Holz mit
dem parallelogrammartigen Durchschnitt des Hiebteiles. Es sind immer dieselben Hin-
weise auf die nördliche Abstammung eines großen Teiles der in das westafrikanisch
gestempelte Kulturmilieu der inneren Kongogebiete eingewanderten Elemente (s. a. bei
Bogen und Pfeil).
Die Kulturzugehörigkeit der fraglichen Mangbetukeule zu bestimmen, dürfte nicht
allzu schwer fallen. Die angeführten Stämme sind fast alle typische Vertreter altsudanischer
Kultur. Ein in unseren Gebieten allgemeiner Gegenstand scheint sie auf keinen Fall zu sein.
Vielleicht ist sie ein Dokument der autochthonen Kultur der Unterworfenen, welche ihrer-
seits mit den Primitivstämmen des Zentral und Westsudan Zusammenhängen mögen. Ihr
Vorkommen an dieser Stelle bleibt jedenfalls überraschend.
Der Speer.
Es wäre nicht zu verwundern, wenn wir im größten Teil des Azandegebietes und wenig-
stens den nördlichen Mangbetuterritorien Speerblätter von jenem Typus fänden, den
Frobenius (Atlas Africanus 3) als das norderythräische, schlanke und gezähnte Tüllenblatt
bezeichnet hat. Wir wissen, wie stark in beiden Völkergruppen der Einfluß jungsudanischer
Kultur geworden ist. Die Träger der herrschaftlichen Organisation in diesen Länderstrichen
sind keine Bogenschützen, sondern mit Speeren und Schilden1 bewaffnete Kriegerscharen.
Wir treffen denn auch unter den vielfachen und formenfreudigen Wandlungen des___stets
getüllten — Speerblattes der Azande, Idio und der nördlichen Mangbetu fast nur jenen ge-
nannten jungsudanischen Typus (Azande, Idio, Mangbetu, Bakere, Mabudu im B. M.).
Daneben tritt bei Mangbetu, Azande, und Nsakara (B. M.) das westafrikanische lange und
breite Speerblatt, das bei den Abarambo (B. M.) zudem noch die typischen Durchlochungen
zu beiden Seiten der Mitteirippe aufweist. Die Barumbi verwenden ganz einfache, mit einer
widerhakenfreien Tülle versehene, lanzettliche und kleine Blätter. Solche kehren in ihrer
Umgebung (z. B.Bakumu, Tofoke und weiterhin Boloki) immer wieder und dürften als an
den Pfeil angepaßte Formen gewertet werden. Sie zeigen insgesamt die versenkte Schmiedung
an der Mittelrippe, wie wir sie in Afrika an so vielen Orten beobachten können.
Der Schaft aller Speere der Azande, Idio, Mangbetu, Makere, Barumbi und Mabudu
ist völlig glatt und ohne die Verdickungen oder Schnitzereien, wie wir sie an vielen west-
afrikanischen Exemplaren gewohnt sind. Speerschuhe aus Eisen finden sich nur bei den
Barumbi und an wenigen Azandespeeren (s.Abb. in). Auch die Nsakara führen eine Zwinge
am Speerende und verdicken den Schaft wie dieMogwandi und Sango am mittleren Ubangi.2
Wir finden also in unseren Untersuchungsbezirken zwei rivalisierende Speerformen,
von denen der eine einer typisch westafrikanischen, der andere einer typisch jungsudanischen
Verwandtschaftsgruppe angehört. Die Speere der unterworfenen Stämme—wenn sie solche
überhaupt je besessen haben — sind uns völlig unbekannt.
1 Bei den Azande ist es der Geflechtsschild, der sich in
ähnlicher Art lagert, wie auch das gezähnte Tüllen-
blatt, bei dessen kartographischer Interpretation wir
uns auf Frobenius’ Karte stützen wollen. Eine Nach-
prüfung ist mir zur Zeit nicht möglich gewesen.
! Eine merkwürdige, isolierte Erscheinung ist das Speer-
klingenfutteral der Barumbi und der benachbarten
Mabudu (s. Abb. 112 u. 113). Wir erinnern uns dabei
unwillkürlich an die Speerspitzenfutterale einzelner
sudanischer Stämme.
58
HERMANN BAUMANN
Das Wurfmesser. (S. Abb. 156—167 u. 154—155 u. Karte 24.)
Uber das Wurfmesser Äquatorialafrikas haben schon Schurtz und neuestens Paul
Germann, Leipzig, und Thomas gute Beiträge geliefert. Man hat gelernt, die Schurtzsche
Unterscheidung eines südlichen und eines nördlichen Typus der Wurfmesser anzuwenden.
Von den zu untersuchenden Völkergruppen ist nur die eine — ausgebreitetste im Besitze
dieser Waffe. Die Azande — Avurngura haben sie bisher nach dem oberen Uelle verpflanzt,
wo sie in seltsamen Wandlungen weiter gedeiht. Dieses ,,pinga“ am Uelle-Mbomu ist nur
aus der westöstlichen Wandertendenz dieses Kriegervolkes zu verstehen. Seine Elemente
sind schon am Schari und am Ubangiknie im Keime vorhanden. Maistre bildet Wurfmesser
der Ndri, Togbo und Mandja ab (18,) die diese Verwandtschaft beweisen. Die zu derselben
Kulturgruppe wie die Azande gehörenden Nsakara haben nur eine ganz schwach abge-
wandelte Form des Namdji-Wurfmessers aus Nordadamaua. Die Mbum-Ndri-Togbo-
Nsakara (s. Abb. 161 u. 163) stellen eine unzweifelhafte Verwandtschaftsbrücke zwischen
den Wurfmessern Abb. 164 (Namdji) und Abb. i6d (Azande) her. Um diesen Wurfmesser-
typus kristallisieren sich alle ähnlichen Formen. Das Ineinanderfließen dieser wird durch
das Handelsmedium des Ubangiflusses bewirkt, so daß sich verwandte Messer noch am
unteren Ubangi finden. Auch die Kaka verfügen über eine Variation, die sich stark an jene
der Azande und der Bwaka-Bondjo anlehnt. Die sporadischen ostsudanischen Vorkommen
des Berliner und Leipziger Museums (Dongola, Dar-For) sind zum größten Teile nur um-
geformte Azandepingas. ln früher Zeit schon ist diese Waffe als Kuriosum an den mitt-
leren und oberen Nil gelangt und von dort in die Museen. Nur die „Kulbedah“ der Fundj
und Bertat (132, XXX, S. 52, Fig. 2) mit ihrer zentralsudanischen Form gehören nicht zum
Azandeast und sind an jenen Orten entweder bodenständig oder hängen direkt mit den Wurf-
messern der Sara, Miltu, Lakka, Musgu, Kung, Gamergu u. a. zusammen. Ebenso wie man
hier im äußersten Osten des Verbreitungsgebietes Formen findet, die direkt zum Schari
überleiten, so können auch die Messer der Bakale, der südlichen Fang, der Bakota etc.
lückenlos an die der Baya, Yangere und Ndzemstämme angegliedert werden. De Brazza
findet noch am mittleren Likualla-Mosaka ein solches Wurfmesser (114, S. 232). Die Aus-
breitung des südlichen Wurf messertypus ist völlig an die drei großen äquatorial-afrikanischen
Wanderungen gebunden: 1. an die NO—SW-Wanderung der Pangwe-Yangere, 2. an den
W—O-Zug der Azande-Avurngura und 3. an die Wanderung der Bakubastämme nach Süden
welche das Wurfmesser bis an den Sankuru vorschob (s. 53). Hier tritt die eiserne Wurf-
waffe nur mehr als ein Uberlebsel in Geldform auf, wie dasselbe schon Frobenius (119,
1907) undTorday (71) vondenBankutu berichten konnten. Daß gerade die Wurfmesser sehr
leicht zu Wertmessern werden, erweisen die „Itieh“ der Dzem und die ,,Kulu“ der Sara
(Bruel: L’Afrique franc., S. 444 Abb.).
Das Wurfmesser ist somit nur auf die sudanische Provinz beschränkt, und es ist höchst-
wahrscheinlich, daß auch die Autochthonen dieser Landstriche es noch nicht kannten.
Die Abarambo auf jeden Fall scheinen die Waffe seit altersher getragen zu haben. De CaloTyne
schreibt geradezu: ,,Les anciens Abarambo usaient du pinga“ (Azande: S. 97). Die Amadi
hingegen sollen keine Wurfwaffen besessen haben (de Calonne: a. a. O. S. 121). Auch von
den Abangba ist es unwahrscheinlich, daß sie es schon in ihren alten Sitzen verwendet,
da sie es sonst — wie auch die Momvu — nach Süden gebracht hätten. Die Mangbetu jeden-
falls verwenden keinerlei Wurfwaffen.
Um den Schwierigkeiten einer kulturhistorischen Aufhellung dieses eigentümlichen
Gerätes entgegenzutreten, müssen wir in diesem Fall auch eine Entwicklungsgenese berück-
sichtigen. Es erscheint mir beinahe fraglos, daß die Annahme von einer Herausentwicklung
aus dem altsudanischen Wurf holz, für die sich die meisten Gelehrten erwärmt haben, den
sichersten Boden auch für eine kulturhistorische Zuordnung bietet. Mit dem Einbruch der
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
59
Metalltechnik (und dem tönernen Gefäßblasebalg) in diese Gebiete braucht eine Umbildung
des hölzernen Gerätes zu einem eisernen noch keineswegs vor sich gegangen zu sein; sei dem
wie ihm wolle, der Umstand, daß bei den wurfholztragenden Bertat undFundi (s oz/auch die
einfachsten Wurfmesserbildungen auftauchten, welche die Abstammung noch ganz deutlich
erkennen lassen, zwingt uns, den Herausbildungsherd in die Nähe Abessiniens zu verlegen von
dem wir wissen, daß hier die neusudanischen Kulturelemente am energischsten (und wohl zu-
erst in Afrika) Fuß faßten. Finden wir im unteren und mittleren Scharigebiet wiederum ur-
sprüngliche Typen, so können wir zu ihrer Erklärung nur wieder auf die ungemein ernmn
fast direkten Beziehungen zwischen dem Ostsudan und diesen zentralsudanischen Gebictcii
Hinweisen. Das Azandewurfmesser ist also ein durch südliche Umbildungstendenzen ab
gewandeltes neusudanisches Kulturgut. Für diese Zuordnung spricht vor allem auch die
Koinzidenz der Verbreitungsareale dieser Waffe, der Bügelharfe, des Rohrschildes und
anderem.
Die Schleuder.
Zu den Wurfwaffen zählt auch die Schleuder. Sie ist in Afrika auf eine höchst markante
Verbreitung beschränkt. Fast nur von hamitischen und stark hamitisch beeinflußten Volks
Stämmen herrührend, können die Dokumente des Berliner Museums Wahrzeichen einer
stark primitiven Kulturschicht darstellen. Ist die Schleuder schon technisch an frühe Stelle
zu setzen, so gewinnt der Anschein hohen Alters an Sicherheit, wenn wir sehen, daß sie sich
gern an andere primitive Merkmale afrikanischer Kultur und hamitischen Ursprungs
knüpft. Auch bei jenen Völkern, die keine direkt hamitische Beeinflussung zeigen (Splitter-
stämme des Sudan), ist deren Primitivität auffallend.
Im allgemeinen ist die Schleuder dem westafrikanischen Kulturgebiete völlig fremd
(s. a. Ankermann 119, 1905). Da sie auch bei den Azande wie bei den Mangbetu fehlt würde
sie uns sicherlich wenig interessieren, wären nicht durch neuere Forschungen de Calonnes
(40) wertvolle Schlaglichter auf das Vorkommen und das Alter dieser Waffe im o-esamten
Uellegebiet geworfen worden. Vordem war meines Wissens weder in den Museen noch in der
Literatur etwas Einschlägiges bekannt. De Calonne fand nicht nur in der Tradition, sondern
auch durch handgreifliche Beweise bestätigt, daß eine protomorphe Bevölkerung des ge-
samten Uelle-Mbomugebietes sowohl an gewisse Steinzeichnungen und Steinäxte, als auch an
eben diese Schleudern gebunden ist. Diese Urbevölkerung muß mit den heutigen Momvu-
Makere-Bambuba-Balese zusammengehangen haben. Noch heute verfügen diese Stämme
über eine so schwächliche und geringfügige Eisentechnik und sind auch sonst so primitiv
daß auch ohne weitere Beweise wenigstens eine Vermutung ihrer relativen Urtümlichkeit
nahe liegt.1 De Calonne sieht in ihnen die direkten Nachkommen jener Uelle-„Neolithiker“
Schleudern sollen neben anderen steinzeitlichen Geräten alle diese Protomorphcn uctra eii
haben, die als kleinwüchsig und dunkel bezeichnet werden. Sie haben der ersten Azande-
invasion in Hügellandschaften weichen müssen. Der zweiten Welle hielten nur noch einzelne
Völkersplitter stand, welche freilich in der Folge ebenfalls so stark azandeisiert wurden
daß sie mit anderem Kulturgut auch die Schleudern verloren haben.
Die aus Westen kommenden Akare haben im Gwantale ein solches Urwaldvolk
troffen, das mit Steinen und Schleudern bewaffnet war und seine Hütten auf Stein
formen im Gebirge erbaute. Daß diese Leute mit den Momvu-Makere verwandt waren
(S. 136L), schließt de Calonne aus der Tatsache, daß die im Akare zerstreuten, nicht ban-
tuiden Wortstämme der Momvu-Makeregruppe zugehören. Diese Schleuder haben auch die
Akare von den unterworfenen Bergbewohnern als Kinderspielzeug angenommen Auch die
1 Der äußere Habitus der Momvu wird aus den von autochthon erkenntlich.
Czekanowski (80) gebrachten Abbildungen als stark
6o
HERMANN BAUMANN
Angada stießen auf ein ähnliches bodenständiges Volk, daß sie Abambia (ceux, qui lancent
la pierre) nannten und welches mit Schleudern bewaffnet war (S. 137)- Ebenso machten die
Abangwinda im Norden des Mbili die Bekanntschaft mit einem Volk, das sie wie die Angada
Abambia tauften (S. 138), während die Abarambo-Auro dieselben kleinwüchsigen, dunkeln
Schleuderer1) antrafen, vor sich herschoben und sich teilweise assimilierten (S. 137). Auch
in der Region Lebo—Bili—Uerre sollen die Azande gegen Steinschleuderer gekämpft haben.
Bei Akongai fand sich ein solcher Schleuderstein, von dem der Azandefürst behauptet,
er würde mit einer ,,ficelle“ geschleudert werden (S. 165). Es ist wohl nicht zu gewagt,
diese Schleuder mit jener der Banza am Ubangibogen zusammenzubringen. Bernard er-
zählt davon bei Calonne Seite 165, Anmerkung 1 : ”11 y a moins de vingt ans, les Banzas
de l’Ubanghi, habitants les collines de la ligne de faîte avec laMongalla, employaient encore
comme moyen de défense des pierres, qu’ils lançaient au moyen d’une liane, qui restait
attachée à la pierre. . . .“ Auch hier bestehen die Schleudern aus Pflanzenfasern wie bei den
meisten übrigen afrikanischen Vorkommen, die dazu vorwiegend noch Lederlager besitzen.
Ob dieses letztere bei den erwähnten Fällen vorhanden, läßt sich aus der Literatur nicht
entscheiden.
Zur vergleichenden Betrachtung sei hier eine Aufzählung aller im Berliner Museum
enthaltenen Objekte gegeben. Es sind Schleudern vorhanden von den Wakwere, Wanya-
turu, Wasandaui, Wambugwe, Wafiomi, von Oberägypten, Ägypten, Somali, Galla, Wadigo,
Moba, Nupe, Dzuku, Namdji, Girrim (Dakka), Wüte, Suaheli. Auch die Kikuyu besitzen
nach Routledge die Schleuder (132, XXXII, Fig. 2).
Der Schild (Karte 25).
Eine den kulturhistorischen Ansprüchen Genüge leistende Einteilung der Schildformen
Afrikas hat sich in erster Linie auf die Unterschiedlichkeit des verwendeten Materials zu
stützen. Eine Einteilung, die nur nach Formprinzipien erfolgt, wurde auch von Frobenius
(92) und Ankermann (119, 1905 S. 61), die sich zuerst ernsthaft mit der Materie befaßten,
garnicht erst versucht. Das Ankermannsche Schema umfaßt drei Hauptgruppen: 1. Fell-
Lederschilde, 2. Holzschilde (mit und ohne Beflechtung), 3. Geflechtschilde.
Auch heute ist diese Aufstellung wie vor Jahrzehnten die einzig gegebene. Formver-
schiedenheiten erhalten erst bei fortschreitender Detaillierung erhöhte Bedeutung. Die hier-
durch erzielten Untergruppen des afrikanischen Bestandes sind etwa die folgenden:
A) Schilde aus Fell und Leder:
a) Rundschilde aus Leder
b) Faustschilde aus Leder
c) ovale Stockfell- und verwandte Schilde
d) Kondeschild
e) ovale Lederschilde des Westens
f) rechteckige Schilde aus Fell und Leder
g) Musguschild
h) Mandaraschild
i) Wuteschild.
B) Schilde aus Holz und Rinde:
a) Ababua- und Mangbetuschild
b) Ruanda-Urundischild
c) Wakerewe-Wasindjaschild
1 Sie nannten sie „Apambiä“: ceux de la chose de la pierre.“ Dies sind die noch heute lebenden Bewohner der
Pambiaberge.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
6 I
d) Holzschilde des Westens
e) Nandischilde.
C) Überflochtenes Holz:
a) Uberflochtene Holzplatten aus einem Stück:
1. Bagandaschild (inkl. Mpororo und Baziba)
2. Balubaschild
b) Uberflochtene parallele Holzlatten:
1. Warundischild
2. Aruwimischild.
D) Geflechtschilde:
a) Ovaler Typus
b) Viereckiger Typus
c) Runder Typus
d) Besondere Formen.
Für unsere speziellen Zwecke als besonders beachtenswert kann die grundsätzliche
Polarität dieser Defensivwaffe bei den Mangbetu und Azande angesehen werden. Der Man
betuschild besteht aus einer großen, rechteckigen Holzplanke, die entweder keine oder nur
sehr geringe Uberflechtung aufweist und einzig ein Tragband als Griff (Bogenschild) und
keinerlei Randversteifung besitzt. Der Azandeschild hingegen entspricht einer sauber und
originell ausgebildeten Form des Geflechtsschildes Nordäquatorialafrikas (s u ) Jener
Mangbetuschild, der sich seit Schweinfurths Zeiten erhalten hat (i; 2, ID 5 IH o)
(76; für Bapopoie: 144,1912 — Delhaise) findet nur im Süden und Südosten nahe oder ent ’
f ernte Verwandte (s.Abb. i7i)- Nicht nur die dem engeren Mangbetugebiet unmittelbar anmen
zenden Völker haben zum großen Teil diesen Plankenschild angenommen(z. B Abarambo fi 1
S. 143]—Ababua [u. a. Milz im Belgique coloniale I, i895]~Amadi [40, S. 121I — Mabode
[34, S.65]), sondern Schilde aus Holz- oder Rindenplanken finden sich noch viel weiter
südlich (u. a. Wasongola [144, 1909, Delhaise] Warega [55 Abb.]). Im Zwischenseengebiet
bei Bakondjo und Burundi sehen wir runde Holzschilde auftauchen. Der Waregaschild
führt zu einer besonders in den Lubaländern verbreiteten Schildform über: den überflochtene
Holzschilden aus einem Stück oder aus eng aneinandergelegten, überflochtenen Latten aus
Palmholz. Erstere sind aus Ruanda, vom Westkivu, den Baganda, Bashilange1, Manyema
u. a.bekannt geworden; letztere besonders vonderAruwimigruppe(Lokele, Wakuna Tofokc
(s.Abb. 173) [i3°> XXXXI,S.20iff.], Mongilima, Mabali,Mabudu-Mabode)und nach Stuhl-
mann (Zeitschr, f. Kolonialsprachen Bd. VII) von den Barumbi. Rechteckige Schilde mit
vorn senkrechten und hinten wagerechten Latten aus Palmrippen und Rindenschalen finden
sich weiterhin bei Warua, Basonge, Baschilange, Wabudschwe und Batetela (71 Abb 1
Die Azande führen nun, wie wir schon oben bemerkt haben, eine von den genannten
Gattungen völlig verschiedene Schildform. Es ist der westäquatoriale Rohrgeflechtsschild
mit seiner charakteristischen Verbreitung (s. Abb. 172). Er hat fast vom gesamten Uban i
Stromgebiet Besitz ergriffen und weist nach Westen stärkere Ausbreitungstendenzen auDRs
nach Osten. Abgesehen von dem großen Expansionsgebiete am Ubangi-Kongo bestehen
auch noch isolierte Vorkommen außerhalb am Ogowe, Sanaga, Logone etc (über den
praktisch veralteten Geflechtsschild der Basongo-Meno und Bakuba siehe Anmerkung
1 Der Balubaschild, den Wissmann mitbrachte (III,
C, 4160) besitzt in einem bei Torday (53, Abb. 280c)
abgebildeten alten Bakubaschild einen nächsten Ver-
wandten. Letzterer scheint direkt von den Luba-Bena
Lulua entlehnt zu sein, während der autochthone
Bakubaschild jener Nachbildung aus Holz an einer
Schnitzerei, die Torday ebenfalls abbildet, entspricht.
Aus dieser Nachbildung und aus einem Vergleich mit
dem benachbarten Basongo-Menoschild (Abb. 280 a
daselbst) ersehen wir die Existenz des typischen Rohr-
geflechtsschildes der Bangalagruppe hier im Süden
(s. auch weiter unten).
62
HERMANN BAUMANN
Der Azandeschild hat eine ovale, leicht geschwungene Form ohne Fellrand und mit ein-
facher Rohrverstärkung am Rande, Der Längsgriff aus einer Holzscheibe mit vertiefter
Handhabe ist oft überflochten. Eine aus Dreiecken zusammengesetzte Ornamentierung,
die variable aber bezeichnende Muster führt, hat sich von hier bis weit nach Westen ver-
breitet und findet sich noch bei den Baya. Ein Exemplar der Idio (B. M.) weist eine mit
Fellstreifen umschlungene Randverstärkung auf. Nach Schweinfurth wird die Schwärzung
der Rotangstreifen für die Musterung durch Eintauchen derselben in den dunklen Humus
der Bachgründe erzielt (76, XII).
Obwohl die agressiven Azande durchgängig den Schild benutzen, finden wir noch
unter den unterjochten, stabilen Autochthonen einige,die diese Defensivwaffe verschmähen.
Die ins Mangbetugebiet unter dem Drucke der Avurnguraexpansion einwandernden und
den primitiven Basiri verwandten Abangba sollen z. B. keine Schilde mitgebracht haben
(40, S. 92). Die Pambia am oberen Mbomu kennen weder Schild noch Wurfmesser (2, I,
S. 310), während die Akare (40, S. 119) kleine Schilde aus Calamusgeflecht („pwambara“)
und die Abele wie die Amadi hölzerne Schilde („ngabo“) getragen haben (40, S. 53).
Der Schild der verwandten Nsakara soll sich wesentlich von dem der im Westen benach-
barten Bubu unterscheiden (144, 1893, Bd. 17, S. 29). Le Marinei fügt dieser Feststellung
hinzu: ,,Rien d’ailleurs dans cette partie de PAfrique n’est plus special a chaque race que
son bouclier“ und betont damit die kulturhistorische Bedeutung dieser Schutzwaffe.
Im allgemeinen gilt für die gesamte Ubangigfuppe des ovalen Gefechtsschildes das,
was wir über den Azandeschild ausgesagt haben. Es haben sich jedoch einzelne Untertypen
mit besonderen Eigenheiten herausgebildet. So könnte man z. B. einen Boloki-, Lendu-,
Momvu-, Bambuba-, Baya,Mandja, Yangeretypus erkennen.1 Auffallend ist das starke Asso-
ziierungsvermögen, das den Rohrschild zum Wurfmesser zwingt, obwohl ein kampftaktischer
Grund, wie ihn Schurtz (,,Das Wurfmesser“) wahrhaben will, nicht unbedingt zugrunde
liegen muß. Besonders das isolierte Auftreten eines — wenn auch längst veralteten —
Schildes vom Bolokitypus am Sankurru (s. o.) wirkt um so auffallender, als es mit einem
ebenfalls früh veralteten Wurfmesser (,,shongo“) bei den Bakuba-Bushongo zusammen
auftritt. Beider Vorkommen hier im Süden kann nur durch die Herkunft dieser Völker-
gruppen aus dem Norden erklärt werden. Uns wird so die Tatsache, daß mit dem Wurf-
messer auch der Geflechtsschild dem Mangbetugebiete fehlt, viel verständlicher. Die Mang-
betu verraten auch hier wieder ihre südliche Herkunft, während die Azande mit Rohrschilden
und Wurfmesser nach dem Nordwesten verweisen. Die idiotische Provinz im Osten ihres
Gebietes besitzt außer den altsudanischen Parierschilden die hamitischen und ostafrikanischen
Formen aus Fell und Leder, Auch im Westen schließt ein schmales Band derartiger Defen-
sivwaffen den Rohrschild von der Küste ab.
Die vermutliche kulturhistorische Stellung der Holz- und Geflechtsschdde ist schwer
zu ergründen. Viele Stammesgruppen haben diese Defensivwaffen völlig aufgegeben, und
von anderen wieder wissen wir nur Ungenaues oder nichts. Die westafrikanische Zugehörig-
keit des Rohrschildes, welche Ankermann (119, 1905, S. 61) und Forbenius (92) verteidigten,
scheint nach unseren kartographischen Eintragungen zumindestens zweifelhaft geworden
zu sein. Im Gegenteil weist seine ganze Ausbreitung mit den nach Süden vorgestreckten
Zungen auf eine nordsüdliche Einwanderung.
1 Der Momvuschild (s. Abb. 170) mit seiner drachen-
artigen Form erinnert stark an ähnliche Schildformen
aus Geflecht oder Leder im nördlichen Scharigebiet und
in Adamaua. Auf dieses Gebiet verweisen ja auch die
merkwürdigen, zipfelmützenartigen Kopfbedeckungen
aus Geflecht, welche die Momvu besitzen, und die sie
mit den Kung des Scharigebietes gemein haben. Das
sind zwei Tatsachen, welche die Ansicht bestärken,
daß die Momvu ein Volk mit altsudanischer Kultur sind
und mit den primitiven Splitterstämmen zusammen-
gehören.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU 63
Fragen wir uns nach der kulturellen Beheimatung des Gerätes, so stehen wir vor einem
schwer lösbarem Rätsel. Der territoriale Deckungsdrang zum Wurfmesser läßt nur einen
Lichtstrahl in dieses Dunkel zu. Wir erkannten das Wurfmesser (s. o.) als ein durch jung-
sudanische Einflüsse umgestaltetes altsudanisches Wurf holz. Beachten wir zudem die über-
aus markante Verbreitung der Bügelharfe (neusudanisch!) so ist die Zuordnung des Rohr-
schildes zu der im Zentral- und Ostsudan ihr Schwergewicht besitzenden neusudanischen
Kulturgruppe nicht unmotiviert. Ein innerer Zusammenhang des Gerätes zu der Kultur-
gruppe, der mehr als kulturgeographisch begründet ist, läßt sich allerdings nicht entdecken.
Ins Gewicht fällt noch eine andere ffatsache: der Rohrschild vom Azandetypus zeigt fast
überall ein Griffbrett, das oft überraschend dem Parierschild ähnelt. Wenn Frobenius,
Ankermann u. a. mit ihrer Ansicht Recht haben, daß der Rohr (Korb-)schild aus einer Ver-
breiterung des Panerschildes mittels stets wachsender L mflechtung entstanden ist, so können
dieselben Völkergruppen, die das Wurfmesser aus seinen altsudanischen Ahnen hervorgehen
ließen, auch den alt sudanischen Parierschild weiter gebildet haben.
Eher als die Rohrschilde können die Holzschilde und ihre überflochtenen Verwandten
dem westafrikanischen Kulturkreis zugeordnet werden. Ihre ursprüngliche Verbreitung
ist sicherlich durch den Rohr- und den hamitischen Lederschild eingeengt worden. Die
Konkordanz mit dem Bienenkorb- (Kuppel-) Hüttenareal ist nach den neueren Befunden
nicht mehr so vollständig, wie sie Ankermann 1905 (s. oben) angenommen hat. Betont aber
muß werden, daß die Zuordnung zur westafrikanischen Kultur hypothetisch gemeint ist.
5. DIE MUSIKINSTRUMENTE.
Obwohl gerade diese Kulturgüter aus dem engeren Rahmen der Arbeit herausfallen
müßten, habe ich doch keinen Anstand daran genommen, sie als einen Nachtrag zur materi
eilen Kultur zu behandeln. Streng genommen wird ja das tote Instrument erst durch das
Hinzutreten der musikalischen Begabung der Kulturträger und durch ihre Handhabung
durch die Verfertiger zu einem Gliede der künstlerischen Kultur. Dem Charakter dieser
Arbeit als einer vorwiegend musealen wird die Behandlung dieser Instrumente als
Elemente der materiellen Kultur keinen Eintrag tun.
Besonders zustatten kamen der auch hier an der,Spitze stehenden kulturhistorischen
Betrachtung die gründlichen Vorarbeiten Ankermanns (125, 1901) und Hornbostels (nq
1914). Des letzteren Klassifikation der Musikinstrumente hat sich auch für diese Zwecke
für so nützlich erwiesen, daß sie fast ohne namhafte Änderungen angewandt werden konnte
Seit Schweinfurths Zeiten sind auch auf diesem Teile des Kulturbildes in unserem engeren
Untersuchungsgebiete erhebliche Veränderungen vor sich gegangen. Der Forscher konnte
noch die Bogenharfe der Azande als den Mangbetu durchaus fremd erkennen. DesHeicl c
vermochte er noch bei diesen die völlige Abwesenheit des Schlagstabspiels (der Marimba)
nachzuweisen. Heute hat der mit der Zeit immer stärker gewordene Azandeeinfluß auch hi
die ethnischen Eigentümlichkeiten aufgehoben und ein Bild scheinbarer Kulturhomogenität
hervorgerufen. Den südlichen, weniger von neusudanischen Einflüssen umbrandeten
Mangbetustämmen sind Harfe und Marimba bis auf den heutigen Tag fremd geblieben
a) Das Inventar.
1. der Azande: (s. Abb. 180).
Von Idiophonen besitzen die Azande Reihenrasseln (s. Abb. 180) in Form einV
einen Gurt gehefteten Borassusfrüchte — „Kellih“ genannt _ (76, Taf XHI^fcrirc1
ähnliche Instrumente aus aufgereihten Palmblattdüten (5, HI, Abb S 20) F ß
gelenkringe für Sänger, welche den Zweck der von Hornbostel als’„Gefäß r Ts sehr“
bezeichneten Idiophone erfüllen, bildet Schweinfurth ab (76, Taf. III) (s Abb ij)
64
HERMANN BAUMANN
Junker (5, IIP, Abb. S. 20) bringt uns die Abbildung der weitverbreiteten einkorbigen
Tanzrasse], welche auch den Abarambo nicht fremd ist (149, I, I, 1 PL 1, 7 u. B. M.
Abb. 183 ). — Von Glocken sind außer den über das ganze äquatoriale Afrika verbreiteten
H undeglocken aus Holz und den an den Seiten zusammengeschweißten
,,mbongah“-Glocken (76-, PI. XIV), sowie den kleinen, besonders in nilotischen Gebieten
verbreiteten Schellen (s. Abb. 176 a b) noch die drei charakteristischen Aufschlag-
gefäße des westlichen Äquatorialafrikas bemerkenswert. Es sind dies zuerst eine Hand-
schelle mit hölzernem Griff und bis zu drei der bekannten eisernen Schellen, welche an
der verdickten Spitze befestigt werden (s. Abb. 177, 178). Die eiserne Doppelglocke
ist ein weiteres den Azande eigenes Idiophon, und als drittes gesellt sich zu dieser Auf-
stellung die bei Junker abgebildete (5, III, S. 206) und als ,,eiserne Signalpauke“ bezeich-
nete klöppellose Handglocke (s. Abb. 174, 275).
Den Übergang von diesen, oft in Holz nachgeahmten, ,,Aufschlaggefäßen“ zu den
,,Aufschlagröhren“, welche nach Hornbostel auch die gesamten Holztrommeln mit Schlitzen
umfassen sollen, bildet eine besondere Form derselben: die keilförmige Schlitztrommel
des Kongogebietes. Sie ist allerdings zu den Azande erst stellenweise vorgedrungen. An sie aber
dürfte sich die röhrenförmige Schlitztrommel Westafrikas (s. weiter unten) angelehnt, und
so die merkwürdig gestalteten, im Durchschnitt dreikantigen ,,Tier trommeln“ des Ubangi-
gebietes hervorgerufen haben (s. Abb. 188). Die mit einem Antilopenkopf, einem Schwanz sowie
Beinen (oder Rudimenten von diesen Gliedmaßen) ausgestatteten Exemplare werden für
die Azande von Schweinfurth (76, Taf. XI), Junker (5, III, S. 42), Marno (Idio: 4, S. 131)
und Schymann (135, 1911, 13) erwähnt. Nach Maes (99, Fig. 6) kennen sie auch die Aba-
rambo. Derselbe Autor erweist auch die Coexistenz von zylindrischer Schlitztrommel
und Tiertrommel in den Azandeländern.
Die Marimba ist aus den Ostregionen als ,,Queniba“ bekannt (Casati 8a, I, 186),
von den Abandya belegt sie de la Khetulle (144, 1845, S. 418) als „menzi“. Den Idio war sie
noch zu Junkers Zeiten fremd (5, I, S. 484.)1
Das für das äquatoriale Afrika so überaus charakteristische Zupf idiophon, die Sansa,
fehlt den Azande wie den Mangbetu, was um so erstaunlicher ist, als gerade dieses beliebteste
afrikanische Musikinstrument eine so gewaltige Verbreitung gefunden hat.
Von Membranophonen besitzt das Berliner Museum eine zweiteilig bespannte Konus-
trommel (Hornbostel 211, 25) mit Fellriemenspannung aus dem Sultanate Semio
(Gasua am Mbomu). Aus derselben Gegend und bei den verwandten Nsakara findet sich
die Rahmentrommel Adamauas und der Haussaländer (149, I, I, 1, Taf. VIII, 145)-
Während diese offensichtlich aus dem Westen eingeschleppte Objekte darstellen, deuten
weitere Anzeichen darauf hin, daß die Konustrommeln über das ganze Azandegebiet ver-
breitet sind.
An Saiteninstrumenten verfügen die Azande über die Bogenharfe ,,Kundi“, sowohl
in deren „löffelartiger“ Form (Schweinfurth), wie in jener mit eingebuchteter Decke.2 Die
Idio (149, I, I, 1, Taf. XXI, 332) haben die Schaleneier von den nilotischen Stämmen
die Badjande (149, I, I, 1, Taf. XXI) den Westtypus der afrikanischen Brettzither
(„bandju“) angenommen. Die westafrikanische Bogenlaute ist natürlich dem gesamten
Uelle-Ubangibecken fremd (s. Abb. 200, 202, 204).
1 Eine musikanalytische Untersuchung einer Azande-
queniba lieferte Baglioli im „Globus“ (122,1910), woselbst
auch ein Instrument in guter Wiedergabe dargestellt
ist. Weitere Abbildungen finden sich im Musikband
der Annalen des Congo-Museums und bei Junker (5,
III, S. 14). Letzterer Forscher erwähnt auch die pri-
mitiven Schlagstabspiele ohne Kürbisresonanz bei den
Azande.
2 Belegt von Schweinfurth, Heuglin, Junker, in den
Annalen des Tervueren-Museums (Rafai: Abb. 330 —
Badjande: Abb. 323, 326) bei Casati (Abarambo: 8a
S. 184) und de la Khétulle (144, 1895, S. 4180: Bandya).
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU 65
Eigentümlich ist ein geschnitztes Ärophon, das Schweinfurth (76, Ta£. XIV, 10) ab-
bildet. Es trägt einen Mangbetukopf als Verzierung an einem Ende. Nach Gustin (152,
1898, S. 214) sollen die Bandya auch Nasenflöten besitzen. Panpfeifen wurden bis jetzt
weder hier noch im Mangbetugebiet gesichtet. Am bekanntesten sind die in Äquatorial-
afrika so weit verbreiteten und in irgendeinem Exemplar der Azande fast jedem Museum
bekannten Querhörner aus Elfenbein. Uber noch größere Länderstriche erwarb sich
das ebenfalls hier vertretene Qu er hör n aus Antilopen- oder Rin d er horn die Herr-
schaft. Ähnliche Instrumente aus Flaschenkürbissen kennen sowohl die Azande wie die
Idio (B. M. u. 5, I, S. 425).
2. Das Inventar der Mangbetu:
Die Musikinstrumente der Mangbetustämme sind kurz gefaßt folgende:
Idiophone: Rasselgurte aus Palmblattdüten (s. Abb. i8i),wie bei den Azande
(76, VIII, 16), einkorbige Tanzrassel von den Nordmangbetu (B. M.) und den Bapo-
poie (149, I, I, l, Ph I, 31) —hölzerne Hundeglocke „notolo“ und die eiserne Hand-
glocke ,,namalangau von den Bapopoie (Delhaise: 144? I912’ I^4^0- Die Tier-
trommel (s. Abb. 187) „nemurambi“ oder „lepakusu“ der Nordmangbetu (B. M.; 41,
g. ^Izj._22; 99, S. 12). — Die Holzröhrentrommel mit einfachem, langem Schlitz der
Nordmangbetu (99, S. 15) und der Bapopoie (s. Abb. 185) „nungungu“ (144,1912, S. 184L)
__ Die keilförmige Trommel (s. Abb. 190, 191 u. 192), die sich gerade hier bei den
Mangbetu in ihren drei Hauptarten trifft: 1. Mit runder Basis und ausgeschnitzten Ohren
von den Badjo (Maes: 142, III, PI. XXVII) und Nordmangbetu (2, II, Abb. 79);
2. mit vierkantiger Basis und Trapezform von den Nordmangbetu (99, S. 15 und B. M.),
3. mit gongartigem flachen Korpus und einer Handhabe an der abgerundeten Basis, ebenfalls
von den Nordmangbetu gesichtet (2, II, Abb. 69 u. 76, Taf. XVII, Fig. 16). — Die Marimba
(s. Abb. 184) ist schon von Junker als ein bis zu den Mangbelle von Madjegbä vorge-
drungenes Musikinstrument erwähnt worden (5, III, S. 62). Heute ist die Marimba bei den
nördlichen Stämmen allgemein (41).
Membranophone: Die Konustrommel mit Schnurspannung „abita“ bei den
Bapopoie (Delhaise: 144, 1912, S. 184,!.). Auch dürfte die bei Herzog Adolf (2, II, S. 73)
erwähnte Trommel von den Nordstämmen hierher gehören.
Chordophone: Die Azandeharfe ist nach Laplume und Hanolet (41) im Nordgebiete
allgemein geworden. — Die Brettzither in den westlichen Formen und Ausläufern be-
steht bei den Bapopoie (144, 1912, S. 184) als „namukenge“. — Einen Musikbogen
meldet Maes (120, 1909, S. 627) von den Barumbi. Monochorde und Musikbögen sind mir
weiter nicht aus dem Mangbetugebieten bekannt.
Aerophone: Im östlichen Waldgebiete häufig ist die bei den Mangbetu vorkommende
lange Signalpfeife aus Holz mit Messingbandumwicklung und Fellgurt (B. M.). Es
folgen die Querhörner aus Elfenbein („nambongo“ bei Casati 8a, I, 137) und Horn
(„mbana“). Ein Längshorn aus Elfenbein bildet Herzog Adolf (2, II, Abb. 71) ab. S. Abb.
i93> l95» l97-
Kulturhistorisches.
Verbreitung und Zugehörigkeit der Kulturelemente.
Wie überall auf der Erde und den verschiedenen Kulturgebieten sind es auch hier
die primitivsten Güter, welche eine teils universale, teils stark .sporadische und unregel-
mäßige Verbreitung aufweisen. Dadurch bereiten sie bekanntermaßen einer entschiedenen
Schlußfassung hartnäckigen Widerstand. So sind die in Afrika weithin bekannten Reihen-
rasseln aus Früchten für die Arme und Beine der Tänzer so eigenwillig immer wieder auf-
5 Baessler-Archiv
66 HERMANN BAUMANN
tauchende rhythmische Begleitmittel, daß von einem engeren kulturhistorischen Verfolg
der Belege abgesehen werden muß. Ebenso wenig können wir Bestimmtes aus der Aus-
breitung der sicher charakteristischen Rassel aus Palmblattdüten aussagen. Ganz eben-
solche treffen wir bei den Schilluk (B. M.) als „tugu“ — wo sie zum Erntetanz von den
Männern getragen werden — und bei den Ssarua (am Schari).
Recht primitiv erscheinen auch die Gefäßrasseln in Form von Arm- und Beinschmuck;
sie sind besonders im ganzen Zentralsudan und den angrenzenden Gebieten heimisch
(Mandja, Werre, Komai, Kunabembe etc. etc.). Sie dürften mit den Rasseln aus Frucht-
schalen genetisch in Zusammenhang stehen. Die einkorbige Tanzrassel erwähne ich nur von
denWabudu, Wanande,Mabali(s. Abb.i82),Badinga,Baya,Tikar,Maka,Kaka,Nsimu,Balolo
(alle B. M.), Ibembo (149, I, I, 1, PI. I, 30), Stanleypool (149, I, I, 1, PL I, 34’ 35)* Ihren
doppelkorbigen Verwandten belege ich von: Bambuba, Wahoko, Waholi, „Aruwimi“,
Wanan.de (B. M.), Bapoto (79, III, Abb. S. 114), Mongo (149, I, I, 1, PI. II, 34), Basonge
(65, S. 363 und B. M.), Tofoke (130, 1911, S. 194, Abb. 4) etc. Nur in den im Nordwesten
und Südosten die Kongohyläa begrenzenden Steppenlandschaften findet sich die ebenfalls
verwandte Handrassel mit ein bis vier an einem Stabe übereinander befestigen hohlen
Früchten (z. T. mit kreuzförmigen Einschnitten). Im Süden scheint sie an die rhodesische
Kulturverbreitung geknüpft zu sein.
Uber die an den Seiten zusammengeschweißten eisernen Glocken vermögen wir kaum
etwas Näheres zu berichten. Mit zunehmenderem Material und ausgebreiteterem Arbeits-
feld könnte vielleicht auch hier etwas Bezeichnendes für die Kulturwanderungen Afrikas
herausspringen. Besser stehen wir schon heute zwei anderen — auf den Karten — veranschau-
lichten Eigenklingern gegenüber: der Doppelglocke und der Handschelle (s. Karte 26). Erstere
liegt in zwei breiten Streifen dem Urwalde vor, den sie nur an bekannten Einfallspforten
(Ubangitor und Bangandugebiet) durchbrochen hat. Im Süden hat die Baluba-Bakongo-
wanderung diese Glockenform mit dem nördlichen Expansionsgebiete in Nachbarschaft
gebracht — dank den dort noch vorhandenen Steppen und dem Kulturweg am Kongo-
fluß. Dem eigentlichen Urwald ist die Glockenform völlig fern geblieben. Hier konnte so-
wohl die an die Pangwe-Azandeexpansion gebundene nordsüdliche Wandertendenz wie die
entsprechende südnördliche keine Bereicherung des altsudanischen Kulturfundaments im
nördlichen Kongogebiet herbeiführen. Ankermann hatte sich damals noch nicht für eine
Kulturzugehörigkeit der Doppelglocken entschieden. Nach der genannten geographischen
Verteilung kommen zwei Kulturkreise in Frage, welchen man sie zuordnen könnte: dem
westafrikanischen und dem rhodesischneusudanischen. Im litoralen Oberguinea findet
sie sich nur von Togo bis Benin (s. Ankermann 125, 1901, S. 102) also gerade in einem Ge-
biete höchster neusudanischer Intensität, dagegen fehlt sie dem gesamten eigentlichen West-
afrika und tritt erst im Süden bei den Bavili auf, um sich von hier über Rhodesia bis zum
Sambesi auszud.ehnen. Bent (The ruined cities of Mashonaland S. 178) belegt sie sogar vom
noch weiter südlich gelegenen Simbabye, von wo aus die rhodesische Kultur ihre Süd-Nord-
Wanderung aufgenommen haben muß. Den Pangwestämmen fehlt sie bemerkenswerter-
weise. Ihre Herkunft aus dem doppelglockenlosen Scharigebiete wird dadurch bekräftigt.
Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir die Doppelglocke für die beiden relativ jungafri-
kanischen Kulturkreise in Anspruch nehmen
Die Handschellen aus einem Holzgriff und ein bis drei an dessen Spitze nebeneinander
befestigten Schellen haben sich mit dem rezenten Einbruch sudanischer Stämme in das
schon bantuisierte Urwaldgebiet von Norden nach Süden verbreitet und sind im Kongotal
von den handelnden Babangi und Bangala-Boloki verschleppt worden. Auf den Uelle-
Mbomu ginge also nach unserer Anschauung die Herkunft aller verzeichneten Belege zurück.
Ob sie dort erfunden oder überkommen sind, läßt sich aus Mangel an weiterem, genauem
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGEL TU
Material nicht entscheiden.-Die Handgloche aus Eisen oder Holz kommt da und dort in
unserem Gebiete vor. Ihre Kulturzugehörigkeit muß vorderhand ungewiß bleiben (s Karte 26)
Nirgendwo auf der Erde tritt der Zusammenhang zwischen den Glocken und den hol
zernen Schlitztrommein so offensichtlich zutage, wie in diesem Teile Westafrikas Ein fast
unmerklicher Übergang führt von gongartigen Schlitztrommeln im Nordosten unseres Ge
bietes über Mittelformen zu den bekannten röhrenförmigen „Aufschlaggefäßen“ West
afrikas. Maes hat den Schlitztrommeln des Kongogebietes eine eigene Abhandlung gewid
met (99) und die reichhaltigen Bestände des Tervuerenmuseums verwertet. Leider ist er nadi
alter Schule fast kaum auf kulturhistorische Momente eingegangen. Die Verhältnisse'
wie sie sich auf den Karten darstellen, scheinen mir auf folgendes hinzuweisen Die der ’
afrikanischen Kultur ungehörige Schlitztrommel hat sich von Westen nach' Osten __ be"
sonders im Kongowalde — langsam umgeändert. Es bildeten sich Formen von dreikanti ^
Querschnitt aus, welche immer platter und ovaler im Durchschnitt werdend, allmählich '
plattgedrückte Glocken oder besser wie Gonge erscheinen mußten. Ich füge hier die bei Macs
gut gewählten Durchschnittszeichnungen bei:
Die zylindrische
Schlitztrommel (a)
als das eigentlich ur-
sprüngliche Element
der Variationenreihe
weist einen bemer-
kenswerten Charak-
terzug auf: die ver-
schiedene Gestaltung
b 1
b 2
d
a
c
des Schlitzes, In
höchst interessanter Wanderung hat sich die hantelförmige Abart von den rhodesisch
beeinflußten Gebieten über das litorale Westafrika verbreitet (Karte 27). Schon Frobenius
wies 1898 auf die Identität des Schlitzes in Afrika und Ozeanien hin. Wenn wir dieses
Formkriterium mit der Tatsache der typisch westafrikanischen Verbreitung (Quantitäts-
kriterium) zusammenfassen, so scheint uns die Herkunft und Zugehörigkeit dieses Merk-
males kaum zweifelhaft. Langsam verlor sich im Kongobecken die ursprüngliche Form
Die primitiven Stämme dieser Kulturprovinz nahmen wohl die Trommel an nicht aber
den westafrikanischen Schlitz (s. Abb. 186 u. Karte 27). Andererseits bildeten sie" die
Trommel in eigenartige dreikantige Formen um. So haben wir bei den Azande und Man er-
betu die Trommeln in Tierform (b 2) gefunden. Diese verdanken ihre weitere Verbreitung
der Azande-, Bwaka-, Bangalawanderung nach Osten und Süden. °
Auch die Keiltrommel(c), die als Schinguwo in den Lunda-Lubaländern (s. Abb 180) be-
kannt ist und bis zur Kundu-Mongogruppe sichfast lückenlos propagiert hat (s. Karte 28) ist bis
zu den Mangbetu vorgedrungen, wo zwei etwas abgewandelte Arten an ihrer Seite ein bc
schränktes Areal beanspruchen. Die eine hängt noch stark mit der Schinguwo zusammen (d)
(„Mangbetuform“), die andere mit einer ganz gleichen Bildung der Bakuba. Hier ließ sich Macs
verleiten (99, S. 18), an einen direkten Zusammenhang der beiden Völkergruppen zu glaube
Als Verbindungsbrücke seien die den Kongobogen füllenden Mongo-Kundustämme ^
sehen; dieselben Stämme kennten das Xylophon nicht, besäßen eine eigene Hüttenform
und den Feuerpflug. Nun scheint Maes gerade die zuerst bekannt gewordenen Keiltrommeln
aus den südlichen Kongoländern (Urua, Baluba, Lunda) nicht zu kennen. Die Belege wider
sprechen seiner Ansicht völlig. Feuerpflüge finden sich für die Bakuba nirgendwo erahnt"
und bei den Mangbetu sind sie sicher durch das Aruwimital, wie so manches noch * *
geschleppt worden (s. dort).
68
HRMANN BAUMANN
Xylophone haben sich aus dem südlichen Verbreitungsgebiet zu den Bakuba erstreckt,
und der sicher zu vermutende frühere Mangel an Marimben bei den Mangbetu (und Bakuba)
ist nur eine Eigenart, die alle noch von den jungafrikanischen Kulturströmen verschont
gebliebenen Stämme mit ihnen teilen. Die Schilkrötendachhütte ferner hat sicher ein viel
beschränkteres Areal als Maes anzunehmen scheint. Ich möchte für die Ansicht plädieren,
daß es sich bei der Keiltrommel um eine folgerichtige Weiterentwicklung eines ursprünglichen
Vorwurfes, der zylindrischen Schlitztrommel, handelt.
Von Idiophonen haben wir noch die interessanten Schlagstabspiele (Marimben) und
das Zupfidiophon (die Sansa) Westafrikas zu besprechen. Erstere berühren uns ganz be-
sonders, da sie den Azande und neuerdings auch den Mangbetu eigen sind. Das „mensi“ der
Abandya und das „mendzan“ der Pangwe sind Endglieder eines nördlichen Verbreitungs-
gebietes., das typische neusudanische Überlagerungen aufweist. Auch hier hat zum Teil
die junge Azande-Pangwewanderung dem im Zentralsudan dahinflutenden großen Kultur-
strom bedeutende Stoßkraft nach Süden hin verliehen. In nicht zu verkennender Weise
ist der südliche Expansionsbezirk (s. Karte 31) der zentralafrikanischen Marimba gekenn-
zeichnet: er gehört völlig dem Eroberungsgebiet rhodesischer Kultur an. Wie Klammern um-
fassen beide Areale das hindernde Kongobecken und bezeichnend ist, wie gerade die primiti-
veren Stämme welche das Xylophon'erworben haben, es in seine primitivste Form ohne
Resonanzkalebassen und oft ohne Holmen rückgebildet haben. (So die Banda, Mogwandi und
andereUbangistämme). Das dritte Vorkommensgebiet in Afrika, dieMandingoländer, beweisen
nur die neusudanische Herkunft der nördlichen Marimba. Nach Maes(i42, III, S. I2i)sinddie
Xylophone des Uellebeckens von denen des Kassaigebietes durch die Befestigung der Resonanz-
kalebassen und der Klangstäbe stark unterschieden. ■—- Die Sansa (s. Karte 30) berührt
unser engeres Untersuchungsfeld nicht mehr. In einem scharfen Bogen macht gerade das
beliebteste westafrikanische Musikinstrument vor den Toren der beiden Völkergruppen
halt. Ohne Gewissensbisse dürfen wir heute wie damals die westafrikanische Herkunft
der Sansa behaupten.1 In den Gebieten potentieller Drängung westafrikanischer Bestand-
teile kommt sie fast lückenlos vor, verliert sich aber immer mehr nach Nordosten und wird
meist im nördlichen Kongogebiet, als rezent von Soldaten der Kolonie eingeschleppt,
bezeichnet. Wir können hier also ähnliche Verhältnisse wie bei der westafrikanischen Schlitz-
trommel erkennen. Wiederum waren es die Pangwe, die in einem ursprünglich echt west-
afrikanischem Gebiete die Sansa ausgelöscht haben. Den Autochthonen waren sie höchst-
wahrscheinlich bekannt und von ihnen werden wohl auch die Sansen mit der Bezeichnung
„Fan“ in den europäischen Museen stammen (s. a. 48, II, S. 330).
Schwieriger ist eswiederüber die kulturhistorische Stellung der Membranophone unseres
Gebietes eineEntscheidung zu fällen (s. Kartezp). E s ist wohl kaum angängig, sie wie in der Süd-
see auch in Afrika einer einzigen Kulturschicht zuzuzählen. Vielmehr lassen sich wenigstens
die zwei Haupttypen scharf trennen ;2 einerseits die an allen Seiten geschlossene Konus-
trommel mit Schnurspannung und meist doppelter Membrane, andererseits die vielfach an
einem Ende offene Stand- oder Knietrommel in zylindrischer resp. becherartiger Form und
mit Pflockspannung. Die Grenze zwischen beiden ist auch heute noch nicht mit gebühr-
1 Neben vielen anderen Wortstämmen dürfte — wenig-
stens im Bantusprachgebiet — dem Stamm „mba“
besondere Bedeutung zukommen; ich erwähne nur aus
dem westäquatorialen Gebiete;
Ki — mba-nda; Bahuana (Torday)
Ki — mbe-nda: Bambala (Torday)
Si — mba: Bateke (B. M.)
Ndi — mba: Lessa (Baudhouin)
Iki — mbe: Ngundi am Kadei (ß. M.)
Fengwele — mbw-a: Ababua (Halkin)
Kansa— mbi; Warega (Delhaise)
Kango— mbi-o: Barotse
Sili— mba: Südostafrika.
2 In der Klassifikation hier weiter zu gehen, als es Anker-
mann schon 1901 getan, ist überflüssig, da bei Azande
und Mangbetu als bodenständige Membranophone nur
die ganz eindeutig bestimmte Konustrommel mit
Schnurspannung in Betracht kommt.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU 69
lieber Schärfe zu ziehen. Doch dürften die Lücken im Kartenbilde zwischen den nördlichen
und den südlichen Steppenländern mehr auf das vermutliche Vikariat der Schlitztrommel
zurückzuführen sein. Line weitere Ausdehnung der Schnurtrommel i t jedoch eher zu er-
warten^ als eine solche der Pflockspannung. Abgesehen von der sicher eingeschleppten
Haussa-Wutetrommel (s. Karte) ist den Azande und Mangbetu wie schon erwähnt nur die
Konustrommel bekannt. Deren weitere Verbreitung läßt auf eine recht usrprüngliche Kultur-
verwandtschaft schließen. Sie ist selbst den primitivsten Stämmen innerhalb ihres Areals
(exel. den Pygmäen) bekannt. Hypothetisch können wir sie der altsudanischen Kultur
zuordnen. Ebenso unsicher stehen wir dem gepflöckten Partner gegenüber. Sein Haupt-
konzentrationsgebiet in den rhodesisch beeinflußten Gebieten läßt den Schluß nicht un-
gerechtfertigt erscheinen, daß es sich um ein jüngeres Element in Südafrika handelt.1 Be-
merkenswert ist, daß die übliche Kulturscheide zwischen der Kongoprovinz und dem rho-
desisch beeinflußten Teile der westafrikanischen Provinz auch hier in Erscheinung tritt.
Das relativ klarste kulturgeschichtliche Bild tritt uns bei der Betrachtung der Chor-
dophone entgegen (s. Karte 32, 33). Das für beide Völkergruppen wichtigste Saiteninstrument
ist die Bogenharfe, welche sich mit ihrem einheimischen Namen über das ganze nördliche Uelle-
gebiet verbreitet findet. Sie ist in diesem ihrem östlichen Expansionsgebiete völlig an die —das
Gesamte Kulturbild des Ubangi-Uellebeckens umgestaltende — Azande-Bwaka-Pangwe-
wanderung o-ebunden. Wie wenig bodenständig hier dieses, auch im alten Ägypten bekannte
Instrument ist, beweist das hartnäckige Sträuben, das sowohl die altsudanischen Schari-
stämme (Bana-Musgu, Sara-Lakka usw.) die Mandja-Baya, als auch im Osten die ebenfalls
höchst primitiven Momvu, Mombuttu, Baiesse, Bakumu der Einführung dieses wie jedes
anderen Chordophones entwickelterer Gestaltung entgegen setzen. Höchst wahrscheinlich
war das ganze Uelle-Mbomubecken vor der Azandeeinwanderung jedes höheren Saitenin-
strumentes bar. Diese können wir im äquatorialen Westafrika stets den jüngeren Kulturen
zuschreiben. Fast nirgends im echt altsudanischen Gebiete finden wir ein fortgeschrittenes
Instrument, ohne daß der Verdacht vorliegt, es könnte von einer jüngeren Kultur herge-
bracht sein.5 Gerade diese „Kundi“harfe gibt uns einen guten Fingerzeig für die Herkunft
der Azande. Erst im Nordadamaua und am Tschad finden sich ganz dieselben Formen.
Die Pangwe haben sie sicher vom Ubangiknie mitgebracht und den Bateke ist sie durch
langsame Durchdringung vertraut geworden.2 Zwischen beiden Arealen klafft eine eben-
solche Lücke wie im Osten, wo die Uganda-Lenduharfe durch ein allerdings schmaleres Band
von der Kundi“ getrennt ist. Die Enklave um den Albertsee kann durch Verschleppung
erklärt werden; denn, wenn wir schon die Ankunft der Bogenharfe im Uellegebiet gleich-
. * mit der des Azandevolkes angesetzt haben, so bleibt uns nur diese Erklärung. Es wäre
allerdings auch möglich, daß die Harfe früher viel weiter über das obere Nilgebiet verbreitet
war und erst durch die semitische Lyra verdrängt worden ist. Selbständige Erfindung oder
W ^onVergenz anzunehmen, kann schon der überraschenden Detailkonkordanz wegen kaum
fcstattet werden. Es wird die glücklichste Lösung sein, die Bogenharfe mit irgend einer
Komponente der neusudanischen Kulturströmung3 * in Zusammenhang zu bringen, zumal
sich ja fast alle südlichen Vorkommen auf ein nördliches Zentralgebiet am Benue-Tschad
1 Ein triftiger Grund dafür ist auch das Umbiegen der
Grenzlinie nach Nordosten zum Viktoriasee, was gegen
die westafrikanische Herkunft sprechen würde. Einer
solchen stünde allerdings das Vorkommengebiet in
Hinterindien zur Seite, wenn nicht die gesamte rhode-
sische Kultur auf diese Wurzel zurückgeführt werden
könnte.
2 Vergl.; „ngomo“ — „ngombi“— „kumbi“ — ,,kundi“.
(S. a. Karte.)
3 Die ehemalige weite Verbreitung vom Sudan über
Ägypten, Assyrien, Persien, Indien und Birma (s. a.
Ankermann 1901, S. 133) kann uns sogar für die Her-
kunft der genannten herrschaftlich organisierten ncu-
sudanischen Kultur von höchstem Nutzen sein,
7o HERMANN BAUMANN
beziehen lassen. Verzeichnet sei noch das auffallend isolierte Vorkommen der Bogenharfe
in den stark neusudanischen Reichen von Gurma und Dagomba (s. a. Abb. 201 u. 199).
Weniger berührt werden wir von den anderen Chordophonen. Die Schalenleier, ein ganz
jung aus Arabien eingeführtes semitisches Instrument, hat mit dem nilotischen Gebiet
auch die östlichsten Azandevorposten — die Idio — erobert. Die ostafrikanische Brett-
zither1 verdankt ihre Verbreitung im westlichen Afrika den handelnden und skiavenjagenden
Matambatamba (den Arabern) (s. a. Abb. 203). — Das gleiche kann von dem Monochord
— indischen Ursprunges — der „Sem“, gesagt werden. Die Karte gibt uns hier ein ge-
naueres Bild, als es Worte vermöchten.
Völlig unberührt bleibt das Uellegebiet von dem anderen hauptsächlichen Chordophon
Westafrikas: der Bogenlaute. Sie zeigt die typische Verbreitung westafrikanischen Kultur-
gutes, daß die altsudanischen Grundlagen des Kongobeckens noch nicht in stärkerem Um-
fange bereichern oder zerstören konnte. Die Arealkonkordanz mit dem Gottesnamen
„nzambi-nyame“ etc. wird nicht zufällig sein.2
Uber den weitverbreiteten archaischen Musikbogen nähere kulturhistorische Über-
legungen anzustellen, scheint mir für Afrika noch nicht an der Zeit zu sein.
Es bleibt uns noch die Betrachtung der wenigen charakteristischen Aerophone. Hier
versagt die Literatur völlig, und das wenige Musealmaterial ist kaum ausschlaggebend. Bei alt-
sudanischen Stämmen findet sich überall das Quer-und Längshorn aus Holz, Horn oder Elfen-
bein (s.Abb. 194,196,198). Die länglichen Kürbisquerhörner der Idio treffen wir auch bei den
Mittu als,, dongorah“. (1, i.Aufl. S. 163). Breite Länderstriche nach Westen hat die besondere
Ausbildung der Azandequerhörner aus Elfenbein mit der charakteristischen Mundöffnung
eingenommen. Eine parallelogrammartige, vierkantige Öffnung (zumeist auf einem erhaben
geschnitzten Sockel) sitzt an dem oft verzierten Ende. Belegen kann ich solche Mundstücke
von den Azande, Bandya, Mangbetu, Momvu, Bambuba, Wanande, Mobali, Bubu, Yakoma,
Kunabembe, Bonbas a, Ndzimu, Wüte u. a. m. aus dem Berliner Museum; ferner: Aba--
rambo (149, I, I, 1 Ph XIV, 229, 230, XIII, 227, 228) Lulustämme (ebenda, XII, 214),
Bongo (Handbook to the ethnogr. collection. British-Museum Abb. löpd.) etc. Auch dieses
unscheinbare Element fügt sich in den Komplex von Daten ein, welcher jene schon oft
besprochene Völker- und Kulturumsetzungen am Ubangiknie verrät.3
Die bei den Abandya erwähnten Nasenflöten (s. oben) stehen in der Literatur des Kon-
gobeckens fast einzig da. Außer einer Angabe von Masui (115, S. 157), der Nilis zitiert und
Nasenflöten am oberen Ubangi bezeugt, steht mir nur noch die Angabe Tordays (132,
Bd. 36, S. 287) über ebensolche Instrumente („tsimbi“) der Bahuana zur Verfügung.
Vorliegende Untersuchung des musikalischen Instrumentariums läßt einige weitere
Schlüsse auf Herkunft und ursprünglichen Bestand der Azande- und Mangbetukultur
zu. Die ursprünglichen, mehr rhythmischen als musikalischen Begleitmittel sind in beiden
Stammesgruppen vertreten. Wenn wir bei den Mangbetu die rezent von den Azande und
sicher kann gelten, daß den Bakuba erst in ihrem neuen
Wohnsitze die Bogenlaute überkommen und wohl mit
dem alten Namen für „Harfe“ bezeichnet worden ist.
Prof. Ankermann machte mich auf das Baliwort
„Funko“ für Bogenlaute aufmerksam. Ich glaube, daß
es mit dem „Kalung“ der Mbum in Adamaua zusammen-
hängt, was bei derPlerkunft der Bali gar nicht erstaun-
lich wäre. Wir hätten hier also einen analogen Fall zu
konstatieren.
3 Durchaus dem Waldgebiet des Nordostens gehört die
lange, oft spiralbandumwickelte „Flöte“ der Mangbetu,
Mabudu und Momvu-Balesse an (B. M. u. Abb. 195,196).
1 Erwähnenswert ist, daß von den auch sonst die Rinde
der Urwaldbäume stark verwertenden Ababuastämmen
dem westlichen Brettzithertypus eine Rindenresonanz
zugefügt wird.
2 Bedeutungsvoll erscheint mir das Bakubawort für
Bogenlaute. Whssmann (29, S. 253) zeichnet dafür
„lukonde“ auf. Das Lupräfix schließt sich einem Wort-
stamm an, der auffallende Ähnlichkeit mit dem sudani-
schen „kundi“ aufweist. Wir v/issen schon aus den vor-
hergehenden Kapiteln, wieviel die Bakuba aus dem
Norden mitgebracht haben. Sie sind ja die südlichsten
Vorläufer der großen Pangwe-Bwakaexpansion, von der
zu sprechen ich schon so oft Gelegenheit hatte. Als
■k»
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MAN QBE TU 71
den Arabern überkommenen Elemente eruieren, so erhalten, wir ein recht dürftiges Bild
musikalischen Handwerkszeuges. Es bleiben nur die Signalpfeifen, die Schlitz- und Schnur-
trommel, sowie die oben erwähnten Rassel- und Klapperinstrumente und der Musikbogen.
Das einzige „entwickeltere“ Klanginstrument ist die Schlitztrommel. Ihr Vorkommen in
leich fünf Abarten bei demselben ethnischen Verband weist auf eine lange Vertrautheit
^ht diesem Eigenklinger hin. Es ist nicht unmöglich, daß auch die Tiertrommel gerade hier —-
alle Formen zusammen auftreten — ihren Herausbildungsherd besitzt. Einmal von den
Azande übernommen, ist sie sogleich auf demselben Wege, den die Handschelle vermut-
lich genommen hat, über die Kulturbrücke des Ubangiflusses nach Westen und Süden ge-
wandert Hier also haben die Mangbetu ihre nächste Kulturbeziehung zum Süden. Aus der
Kongoprovinz sind ihnen die westafrikanischen Schlitztrommeln sicher schon vor langer
Zeit zugeflossen. Das übrige Instrumentarium ist typisch altsudanisch. Trommeln mit
^rhrnirsnannung, Rasselidiophone und primitive Aerophone sind die einzigen musikalischen
Hilfsmittel deAutochthonen Bewohner des Sudan und des nördlichen Kongobeckens.
Während also im Norden die unter Munza und später der Niangara -Dynastie stehenden
Mano-betu der anstürmenden Azandewelle nicht einen Staudamm legten, sondern sich
durch das neusudanische Kulturgut willig bereichern ließen, erhielten die südlichen
Stämme ihr ethnisches Eigentum fast rein. Auch hier können wir nun am Aruwimi-Nepoko
Status uo ante“ der Mangbetukultur studieren. — Diesem altertümlichen Zustande
stdit’wRTnTllem anderem, die Kultur der Azande gegenüber, Sie müssen schon in ihre
‘etzi e Heimat die entwickelten Musikinstrumente, über welche sie verfügen, mitgebracht
haben Ähnlich wie den Mangbetu die westafrikanische Schlitztrommel, ist die neusuda-
nische Harfe, Marimba und Doppelglocke schon früh ihrem Kulturleben einverleibt worden.
SchalenleierBrettzither, Rahmentrommel und wohl auch die Tierschlitztrommel sind re-
zente Übernahmen in ihre neuen Wohnsitze. Nilotische Einflüsse sind auch in diesem Kultur-
teil kaum zu verspüren; solche aus dem Kongogebiete nur in schwachem Maßstabe. (Schlitz-
trommel). Alle Beziehungen deuten nach dem Westen und Nordwesten. (Gelenkrasseln,
Doppelglocke, Marimba, Harfe, Querhorn mit O-Mundstück.) Für die Herkunft der
Stämme selbst jedoch scheinen für die Mangbetu die Schlitztrommel, für die Azande
Harfe, Marimba und Doppelglocke Symbole darzustellen.
IV. KAPITEL.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Aus der vorliegenden, mehr oder weniger eingehenden Untersuchung entnehmen *
als kurz gefaßtes Resultat die zweifellose Tatsache, daß die schon auf den ersten BhT
diametral sich gegenüber- und entgegenstellenden Kulturen der Mangbetu und A T
auch eine tiefer begründete Unterschiedlichkeit aufweisen. Wir erhalten durch •• ?nde
sorgfältige Untersuchung beweislegende Schlüssel zu deren Geschichte uncAteTif
räumlichen Bilde der afrikanischen Kulturerscheinungen. Un& lm
Im Norden der Uellelinie, im weiten offenen Savannenland haben die aus Nord
einbrechenden Azandescharen in das von altsudanischen Splitterstämmen bewohnA^11
biet viel jungafrikanisches Kulturgut mitgebracht, das sich zum Teil auch dem AdT T
angrenzenden Mangbetugebiet mitteilte. Aus dem Süden konnten aus der beschü/e d 1
Hyläa heraus nur schwache westafrikanische Kulturelemente auf das Uellc-MlC ^ A ^
übergreifen. Im Mangbetuakkulturationsgebiet legt der ethnologisch bedeutsamer ° ^
72
HERMANN BAUMANN
stricK zwischen Nord- und Südterritorien den Beweis ab für die starken Beeinflussungen,
denen die von den herrschenden Mangbetuclans besetzten nördlichen Länderstriche er-
legen sind. Im Süden erhält sich in dem Urwaldgebiet der Kern, der mit einem altsudani-
schen Fundament ausgestattet ist, aber in weitestem Umfange westafrikanische Aus-
prägung erhielt. Die hamitische Kultur hat in den materiellen Lebensseiten derAzande und
Mangbetu keinen Fuß fassen können, und wenn irgendwo eine Einwirkung dieser Nomaden-
und Viehzüchterkultur zu spüren wäre, so müßte es innerhalb der Grenzen materieller
Notdurft zu spüren sein. Die jungafrikanische, neusudanische Kulturgruppe, entsandte
in jene Gebiete ihre Elemente, in denen ihre Hauptstütze, die feudale Staatenbildung mit
einer religiösen Königsstellung, die Herrschaft über die demokratische Sippenverfassung
der Autochthonen erlangte. Die Dynastien der Avurngura und des Munza sind die Träger
dieses Elementes.
Die altsudanische Grundlage ist nicht nur in der echt nigritischen Sprachzersplitterung
zu erkennen, sondern tritt besonders in der Kleidung und im Schmuck zutage. Auch sonst
als alte Kulturrelikte erkannte Formen und Wesenheiten treffen sich besonders gern bei den
zerstreuten und verdrängten Autochthonen. Die nordwestliche Heimatstätte der Azande,
für die ich auch nach Ende dieser kulturhistorischen Untersuchung eintreten muß, wird
ebenso wie der überwiegend auf den Südwesten, Süden, und Südosten verweisende Cha-
rakter der Mangbetukultur aus der beigegebenen Zusammenstellung der Resultate klar
ersichtlich. Vieles bei der Zuordnung zu den von mir aufgestellten Kulturkreisen wird als
hypothetisch behandelt werden müssen, aber ich glaube für fast keinen Einzelfall in dem
analytischen Teile die dafür sprechenden Gründe schuldig geblieben zu sein.
LITERATURVERZEICHNIS
i.
a) Reisewerke.
1. Schweinfarth: Im Herzen von Afrika. Auflage i
und 2, Leipzig 1878, 1918.
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Vom Kongo zum Niger und Nil. I, II. Leipzig 1912.
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Braunschweig 1916.
4. Marno : Reise in die ägyptische Äquatorialprovinz.
Wien 1878.
5. Junker: Reisen in Afrika. I, II, III. Wien und
Olmütz 1889—1892.
6. Heuglin: Reise in das Gebiet des Weißen Nil.
Leipzig 1869.
7. Stuhlmann: Mit Emin Pascha ins Herz von
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8. Casati ; 10 Jahre in Äquatoria. a) deutsche, b) fran-
zösische Ausgabe. Bamberg 1891.
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11. Burrows : The Land of the Pygmies. London 1898.
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Kamerun. Braunschweig 1902.
13. v. Götzen : Durch Afrika von Ost nach West. Ber-
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14. Kaufmann: Schilderungen aus Zentralafrika.
Brixen 1862.
15. Nachtigal : Sahara und Sudan. I—HL Berlin
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16. Dybo wsky : La route du Tchad.
17. Passarge: Adamaua. Berlin 1895.
18. Maistre: A travers l’Afrique Centrale. Paris 1895.
19. Thonner: Im afrikanischen Urwald. Berlin 1898.
20. — Vom Kongo zum Ubangi. Berlin 1910.
21. Decorse ;Du Congo au Lac Tchad. Paris 1906.
22. Macleod: Chiefs and cities of Central-Africa,
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23. Chevalier; L’Afrique centrale française. Paris
1907.
24. Coquilhat : Sur le Haut-Congo. Paris 1888.
23. Kandt: Caput Nili. Berlin 1904.
26. Stanley; Durch den dunklen Kontinent. I, II.
Leipzig 1878.
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28. Baumann : Durch Massailand zur Nilquelle. Berlin
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29. Wißmann : Im innersten Afrika. Leipzig 1888,
30. — Unter deutscher Flagge quer durch Afrika. Ber-
lin 1869.
30a— Meine zweite Durchquerung Äquatorialafrikas,
Berlin 1907.
31. Lenz: Skizzen aus Westafrika. Berlin 1878.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
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32. Kitchening: On the Back-waters of the Nile.
London 1912.
33. E. v. Rosen: Träskfolket. Stockholm 1916.
34. Federspiel: Wie es im Kongostaat zugeht.
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Lulongo. Leipzig 1888.
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37. Cameron: Quer durch Afrika. I, II. Leipzig 1877.
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42. Hutereau : Notes sur la vie familiale et juridique
de quelques populations du Congo Belge. Brüssel 1909.
43. Tanghe : De Slang bij de Ngbandi. Brüssel. Congo-
Bibliothek IL
44. Stachewski: Die Bajangi. Bäßler-Archiv. Bei-
heft VIII, 1917.
45. Tocqué: Essai sur le peuple et la langue Banda.
Paris 1905.
46. Westermann : The Shilluk-people. Berlin 1912.
47. Overbergh: Les Bangala. Brüssel 1907.
48. Tessmann: Die Pangwe. I, IL Berlin 1913.
49. v. d. Plas : Les Kuku. Brüssel 1910.
50. Halkin-0verbergh : Les Ababua. Brüssel 1911.
51. Thorbecke : Völkerkunde des Ost-Mbamlandes.
Hamburg 1919.
52. Week s : Among Congo Cannibals. a) englische Aus-
gabe. London 1913; b; deutsche Ausgabe. Breslaus
I9I4-
53. Torday : Les Bushongo. Brüssel 1910.
54. Gaud: Les Mandja. Brüssel 1911.
53. Delhaise : Les Warega. Brüssel 1909.
56. Engels: Les Wangata. Brüssel-Paris 1912.
57. De Calonne: Etudes Bakango. Liège 1912.
58. Kollmann : Der Nordwesten unsrer ostafrikanischen
Kolonie. Berlin 1898.
59. Rehse: Kiziba, Land und Leute. Stuttgart 1910.
60. Czekanowski: Forschungen im Nil-Congo-
Zwischenseengebiet, 1. Leipzig 1917.
60a — Forschungen im Nil-Congo-Zwischenseengebiet,
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61. Meyer: Die Barundi. Leipzig 1916.
62. Frobenius: Unter den unstra'lichen Aethiopen.
Berlin 1913.
63. Colle : Les Baluba. I, IL Baisse1 1913.
64. Schmitz: Les Baholoholo. Brüssel 1912.
64. Schmitz-Overbergh : Les Basongc. Baisse. 1908.
67. Pechuel-Lösche ; Volkskunde von Loango. Stutt-
gart 1907.
68. Stormsund Jacques : L’Ethnographie de l’Afrique
méridionale. Brüssel 1886.
69. Baumann ; Fernando-Po und die Bube. 1888.
70. Clozel: Les Bayas. Paris 1896.
71. Torday: Notes ethnographiques sur les popu-
lations habitants les Bassin du Kasai et du Kwango
oriental. Brüssel 1922.
72. Frä ßle : Meiner Urwaldneger Denken und Handeln.
Freiburg 1923.
73. Roscoe: The Baganda. London 1911.
74. Weule: Wissenschaftliche Ergebnisse einer ethno-
graphischen Forschungsreise in den Südosten
Deutsch-Ostafrikas. Berlin 1908,
c) Bildwerke und Atlanten.
75. Frobenius: Atlas Africanus. Lief. 1—3. München
1922ÎÏ.
76. Schweinfurth: Artes Africanae. Leipzig 1875.
77. Schmeltz: Congo-Album. s’Gravenhage. 1904—
1916.
78. Starr: Congo-Natives. Chicago 1912.
79. Buschan; Die Sitten der Völker. II, III. Stutt-
gart o. J.
80. Czekanowsk i : Forschungen im Nil - Congo-
Zwischenseengebiet. Bd. III, Leipzig 1911.
II.
a) Allgemeine Völkerkunde.
61. Gräbner : Ethnologie: In Fischer-Schwalbe: An-
thropologie (Kultur der Gegenwart).
82. — Methode der Ethnologie. Heidelberg 1911.
83. P'oy; Führer durch das Rautenstrauch-Joest-
Museum. Cöln 1910.
84. Frazer; Totemism and Exogamy. London igioff.
85. Tylor: Primitive Culture. London 1871.
86. Handbook to the ethnographical collection. British-
Museum.
87. Buschan: Illustrierte Völkerkunde. Stuttgart 1910
und II. Auflage 1923.
88. Festschrift Eduard Hahn. Stuttgart 1917.
89. Ratzel: Anthropogeographie I. 1882. II, 1892,
Stuttgart.
b) Afrikanische Ethnologie und Sprach-
forschung.
90. Curt Müller: Die Staatenbildungen des oberen
Uelle und Zwischenseengebietes. Leipzig 1897.
91. Cureau: Les sociétés primitives de l’Afrique
équatoriale. Paris 1912.
92. F roben ius: Die afrikanischen Kulturen. Berlin
1898.
93. — Die bildende Kunst der Afrikaner. S. A. aus
M. Anthr Ges. Wien 1897.
94. P. W. Schmidt: Die Stellung der Pygmäenvölker
Stuttgart 1910.
93. Weule : Der afrikanische Pfeil. Leipzig 1899.
96. Schurtz: Das afrikanische Gewerbe. Leipzig 1900.
97. Stuhlmann ; Elandwerk und Industrie in Ost-
afrika. Hamburg 1,910.
98. — Beiträge zur Kulturgeschichte von Ostafrika.
Berlin 1909.
99. Maes : Les Tam-Tam du Congo Belge. Louvain 1912.
100. Frobenius : Das unbekannte Afrika. München
I9I3-
101. Ratzel: Die afrikanischen Bögen. Leipzig.
102. Stapleton: Handbook of Congo-Languages.
103. Colombaroli : Premiers éléments de langue A-
Sandeh. Le Caire 1895.
104. Schweinfurth : Linguistische Ergebnisse einer
Reise nach Zentralafrika. Berlin 1873.
105. P. Lagae: La langue des Azande. Bruxelles 1921
106. De Calloc’h; Vocabulaire Français-Sango. Paris
1911.
107. De Calloc’h; Vocabulaire Français-Gbea. Paris
1911.
108. De Calloc’h: Vocabulaire Francais-Gmbwaga-
Gbanziri-Monjombo. Paris 1911.
HERMANN BAUMANN
74
109. De Calloc’h: Vocabulaire Francais-Ifumu. Paris
1911.
no. Westermann : Die Sudansprachen. Hamburg 1911.
c) Kompilatorische Werke,
ni. H. EI. Johnston: The Uganda-Protectorate, I, II.
London 1902.
112. — George Grenfell and the Congo. I, II London
1908.
113. C. Gleichen: The Anglo-Egyptian-Sudan. I. II.
London 1905.
114. Bruel; L’Afrique équatoriale française. Paris 1918.
115. Masui: Guide de la section de l’Etat-Indépendant
du Congo. Brüssel 1897.
116. Goffart : Le Congo.
117. Meyer : Das deutsche Kolonialreich. Leipzig 1914.
III. ZEITSCHRIFTEN.
118. Revue Sociologique.
119. Zeitschrift für Ethnologie.
120. Anthropos.
121. Internationales Archiv für Ethnographie.
122. Globus.
123. Bäßler-Archiv.
124. Archiv für Anthropologie.
125. Ethnologisches Notizblatt.
126. Ethnologien.
127. Zeitschrift für Kolonialsprachen.
128. Mitteilungen des Seminars für orientalische Sprachen
129. Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten.
130. Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft
in Wien.
131. Mitteilungen der afrikanischen Gesellschaft.
132. Journal of the Royal Anthropological Institute of
Great Britain and Ireland.
133. The Geographical Journal.
134. Proceedings of the Geographical Society.
135. Man.
136. Journal of the African Society.
137. L’Anthropologie.
138. Revue d’Ethnographie.
139. Revue d’Ethnographie et de Sociologie.
140. Revue scientifique.
141. Revue d’Ethnographie et des traditions populaires.
142. Revue congolaise.
143. Bulletin de la Société de Géographie de Paris.
144. Bulletin de la Société Royale Belge de Géographie.
145. Bulletin de la Société de Géographie d’Anvers.
146. Bulletin de la Société d’Anthropologie de Paris.
147. Bulletin de la Société d’Anthropologie de Bruxelles.
148. Mouvement sociologique international.
149. Annales du Musée du Congo.
150. La Géographie.
151. Le Congo illustré.
152. Mouvement géographique.
153. Deutsches Kolonialblatt.
154. Zeitschrift für Kolonialsprachen.
155. Koloniale Rundschau.
156. Belgique Coloniale.
NACHTRAG:
157. Sieber; Die Wüte. Berlin. 1925.
158. Ros coe; The Bageshu. Cambridge. 1924.
159. — The Bakitara. Cambridge. 1923.
160. — The Banyankole. Cambridge. 1923.
161. Payeur-Didelot: Trente mois au Continent my-
stérieux. Paris. 1899.
162. Ma es; Notes sur les populations des bassins du
Kasai, de la Lukenje et du Lac Léopold H. Brüssel.
1924.
163. F räß le: Negerpsyche im Urwald. Freiburg. 1926.
164. Driberg: The Lango. London. 1923.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
KLEIDUNG UND SCHMUCK.
75
r
IO II 12 13
14 15 10 17 18 19 20
24
Fig. 1. IIIC. 233551). a) Movwu. Frauenhinterschürze aus
Blättern genäht. SIg. Czekanowski.
b) Seitenansicht. (Für die entsprechenden Mangbetu-
schürzen siehe 2. II. Fig. 50—57).
Fig. 2. Frauenschiirze aus Blättern Mangbetu nach Schu-
botz. 2. 11. Abb. 52.
Fig. 3. „opopa“. Frauenhinterschurz aus Fasern. Wangi-
lima. Länge 2X42 cm. Slg. Wiese. III C. 27603.
Fig. 4. III. C. 27724. Malete. Slg. Wiese. Halsgehänge;
„Amulett, um mutig und tapfer zu werden.“ Schutz
gegen feindliche Geschosse. Sieben Holzpfeifen und
17 Armringe aus verflochtenen Zweigen.
Fig. 5. III C.27611. Popoie. Handgelenkschmuck. 2 Ringe
aus Kupferdraht, mit Holzanhänger. Schweinsborsten-
verzierung-. Slg. Wiese. Dm. der Ringe ca. 8 cm.
Fig. 6. III C. 27656. Mobali. Handgelenkschmuck für den
Tanz. Slg. Wiese.
Fig. 7. III C. 5782. „Reich des Jabir“ Elfenbeinarmring.
5,8 cm Durchmesser.
Fig. 8. 1IIC. 27749. Kette aus Eisengliedern,- in sich ge-
schlossen. Momhuttu. Lg. 2 X 59cm. Slg. Wiese. Ähnl.
IIIA. 309. Mangbetu; III C- 27778 Babira.
Fig. 9. 1IIC. 27787. „Bidoli“. Eisenperlengürte!. Eisen-
perlen auf Rohr gezogen. Lederenden. Lg. ohne
Enden: 73 cm. Watalinga. Slg. Wiese. Ganz ähnlich
III C. 28697: Ngama (Schari).
Fig. 10 — 14. Haarnadeln der Azande. (vgl. Schweinfurth:
Artes Africanae. Faf. XIII). a, b, d,e; Eisen; c: Kupfer.
29,4 bis 35,7 cm groß.
!) Die in den Erklärungen zu den Abbildungen vorkommenden Inventarnummern beziehen „VT, . t j- o
lungen des Museums für Völkerkunde, Berlin. ' c 1 au^ die Samm-
Fig. 15. Hl A. 561. Haarnadel. Azande. Elfenbein. Slg.
Schweinfurth. 19,4 cm.
Fig. 16.111A. 843a. Haarnadel aus Eisen, gebogen. Azande.
Länge 28,3 cm- Slg. Junker.
Fig. 17. III C- 27961. Haarnadel aus Eisen. Azande. Slg.
Liebrecht 15,5 cm.
Fig. 18. III C. 22605. Mangbetu. Haarnadel. 18,5 entlang.
Slg. Czekanowski.
Fig. ig- III C. 22606. Mangbetu. Haarpfeil aus Messing.
12 cm lang. Slg. Czekanowski.
Fig. 20. IIIC. 22607. Mangbetu. Haarpfeil aus Bein. Slg.
Czekanowski. 16,5 cm lang.
Fig. 21. IIIC. 22609. Mangbetu. Messinghaarnadel. Slg.
Czekanowski. 12,5 cm lang.
Fig 22. IIIC. 27761b. „Kitobo“; eiserner Haarpfeil der
IVa/esi (auf Manyemaeinfluß zurückzuführen). Slg.
Wiese.
Fig 23. III A. 822. Idio. Eisernes Stirnband. Slg. Junker.
14 cm Durchmesser.
Fig. 24. III A. 821. Idio. Eiserner Kopfring. Slg. Junker.
15 cm breit.
Fig. 25. III C. 22572. Mangbetu. Strohmütze. 16,5 cm
Durchmesser. Slg. Czekanowski.
Fig. 26. IIIC. 27958- Mütze, geflochten. Aza7idc. Mit
Knochennadel zum Befestigen. Höhe: 6 cm.
Fig. 27. III C. 2772 t. Mütze aus Strohgeflecht. Mangbetu.
Beim Tanz getragen. Mit Federn geschmückt. Slg,
Wiese.
i«
;6
HERMANN BAUMANN
Fig. 28. III C. 23 369. Hut. Momvu. Ähnlich: 111 C. 27 959.
Aza?ide (?) Sjg. Liebrecht. III C. 23368. Momvu
Slg. Czekanowski. (Rand nach innen gestülpt; mit
Federbüschel verziert).
Fig. 29. III C. 17661. Hut. Kung. (Schari). Slg. Dominik.
Fig. 30. III C. 27742. „Lupopa“-Mütze der Bapopoie aus
Rohrgeflecht mit rot aufgemaltem Ornament.
Fig. 31. III C. 27999 Oberlippenpflock aus Zinn. d.d.d.
Slg. Liebrechts. Zwischen Kadjema und Gubere.
(Basiri) 2,5 cm Durchmesser.
Fig. 32. Zahndeformationen der Azande (nach Anderson:
Wellcome Tropical Research Laboratories, IV.
Vol. B. PI. XX.)
Fig. 33. Lippem und Nasenschmuck der Golo und Shere
(nach Schweinfurth).
Fig. 34. Haartracht der Mangbetufrauen (nach Schubotz.)
Fig. 35. Haus der Bakere (nach Phot.)
Fig. 36. Haus der Tumba (nach Maes.)
Fig. 37. Haus vom Lokoro (Kundu; nach Maes.)
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
77
Fig.
Fig.
Fig.
ütte der Azmide (nach ßurrows; b; Durch-
)•
aus der Gollo (nach Schweinfurth),
aus der Abangba (nach Phot.)
Fig. 41. a. Haus der Ndi-Banda vonKrebedje(nachDecorse).
b. Haus der Nsaka?-a (nach Cureau).
Fig, 42. Hütte in Yambuya. (aruwimi; nach Masui).
78
HERMANN BAUMANN
HAUSGERÄT.
ACKERGERÄT.
Fig. 43. III C. 19469. Frauenstuhl Abarambo. 14V2 cm
hoch.
Fig- 44 III C. 27616. Wangilima. Stuhl. Slg. Wiese.
Höhe 22 cm.
Fig. 45. III A. 330. Mangbetu Frauenstuhl. Slg. Schwein-
furth. Höhe: 21,5 cm.
Fig. 46. III C. 23404. Momvu. Frauenstuhl. Slg. Cze-
kanowski. 24 cm hoch. (Mangbetuentlehnung).
Fig. 47. III C. 19468. Abarambo Stuhl. Slg. Frobenius.
19,5 cm.
Fig. 48 111 C. 27579. Azande Holzstuhl. Slg. Wiese. Höhe:
24 cm.
Fig. 49. Nsakara (s. 2 I. Abb. 187).
Fig. 50. III A. 1277. Mangbetu Holzstuhl mit verziertem
Rand. Slg. Pleyte. Höhe: 27 cm.
Fig. 51. Stuhl, Nsakara Belg. Col. 1896. S. 401.
Fig. 52. III C. 27971. Stuhl. Azandegebiet. 17 cm hoch.
Fig. 53. III C. 27617. Wangilima. Holzstuhl. In der Mitte
die Gestalt eines Frosches aus Messingnägeln ge-
bildet. Höhe: 13,5 cm. Slg. Wiese.
Fig. 54. Lehnkrücke der Mangbetu. Nachjunker 5, Bd. III,
S. 124.
Fig. 55- HI A. 840 ab. Azande Nackenstütze.
Fig. 56. III C. 19448 ab. Nsakara. Holzschachtel. Slg.
Frobenius. 32 cm lang.
Fig- 57- HI C. 27999 x x., z z. Feuerbohrer (Liegeholz)
Basiri, zwischen Gubare und Kadjema. 27 cm.
Fig. 58. Angebundenes Hackenblatt, Pangwe (nach Tess-
mann).
Fig. 59. AufgetülltesHackenblatt. Tschamba{Ul C. 17598).
Fig. 60. Eingestecktes Hackenblatt. Tubun (III C. 21726).
Fig. 61. III C. 23481. Hacke der Momvu (wie bei den
Mangbetu). Slg. Czekanowski; ebenso: HI C. 27990.
Uellegebiet. Slg. Liebrecht.
Fig. 62. HL C. 23401. Hacke der Momvu (eigentliche
Momvuhacke). Slg. Czekanowski.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
h
ü
66 67 68 69
79
72
73
BOGEN UND BOGENSCHUTZ.
Fig. 63. III A. 1047. Mangbetu „Grabscheit“. 20,5 cm
lang. Slg. Emin Bei.
Fig. 64. III C. 30239. Spaten der Lakka.
Fig. 65. III C. 22679. Spaten der Durru.
Fig. 66. 67. „puhr“; Grabstöcke. Agheerdinka. (B. M.).
Fig. 68. „ngan“. Grabstock der Sara (nach Kumm; From
Hausaland to Egypt. Lond. 1910, S. 103).
Fig. 69. „Kiosho“. Grabstock. Baziba. III E. 11130.
Fig. 70. „Kiusu“. Feldmesser der JVasongo/afrauen (nach
Delhaise: 144. 1909, S. 163!.).
Fig. 71. III C. ly^gg.Tschamba-Vere■ Sichelmesser.
Fig. 72. III C. 2826. IVtete.
Fig. 73. „adjere“. Aluru. Feldmesser (n. Demuenynk).
Fig. 74. Zwischenseengebiet {mehrere Exemplare im B. M.;.
Fig. 75. III C. 23504. „aganda“; zweischneidiges Sichel-
messer. Mangbetu.
Fig. 76. III C. 23949. Ma?tgbetu. Bogen mit „Trommel“
Sehnen-Länge: 120 cm.
Fig. 77. III C. 27997. Basirihogen Rotangsehne. Hol
stab, angebundenes Trömmelchen. Slg. Liebrech
(ganz ebenso; III C. 28703. Matidja).
Fig. 78. III A. 1058. Müdje (Madyo) Rotangsehne. Hol
stab mit Fell besetzt. 82,5 cm lang. Slg. Emin Be
Fig. 79. III C. 27744. Barumbi. Slg. Wiese. Sehnenlage
abgesetzte Spitze. Umwicklung mit Eisenbam
Sehnenlänge: 81 cm.
Fig. 80. HI C. 27745- Barumbi. Slg. Wiese. Sehnenlagt
aus Holz. Abwechselnd Pelzbesatz und Metallspirah
Sehnenlänge: 95 cm.
Fig. 81. III C. 23208. Momvu. Slg. Wiese. Sehnenlage
aus Holz. Sehnenlänge; 87 cm.
Fig. 82. III C. 23099. Bambuba. Slg. Wiese. Sehnenlage
aus Holz erhaben geschnitzt. Sehnenlänge: 78 crr
Fig. 83. HI C. 23211. Momvu. Slg. Wiese. Sehnenlage
aus Geflecht Sehnenlänge; 73 cm; ähnl. 111 C. 2290t
Bakondjo. Slg. Wiese.
8o
HERMANN BAUMANN
PFEILE.
Fig. 84. II1 C. 20262. Waowamipygmüen. Slg. Schauer.
Sehnenlager aus Bast und Geflecht. Sehnenlänge:
78 cm.
Fig. 85. III C. 23191. Lendu. Slg. Wiese. Sehnenlager aus
Bast. Sehnenlänge: 99 cm.
Fig. 86. III E. 8636. Wambuti. Slg. Schräder. Auf einer
Seite: Holzlager; andere Seite: Stirnbesehnung. 85cm.
Fig. 87. III C 23102. Bambuba. Slg. Wiese, beiderseitige
Stirnbesehnung. Länge der Sehne: 93 cm.
Fig. 88. III C. 28004. Wango (zwischen Bangassu und
Rafai) beiderseitige Stirn-Öhrbesehnung. Slg. Lieb-
rechts. Sehnenlänge: 79,5 cm.
Fig. 89. III C. 29918. Nolapygmäen (Sangha). Sehnen-
länge: 42 cm. Beiderseitiges Öhr. Einseitige Stirn-
besehnung.
Fig. 90. III C. 1139 b. Abongopygmäen (Gabun) Slg.
Lenz. Beiderseitiges Öhr. Einseitige Stirnbesehnung.
Sehnenlänge: 48,3 cm.
Fig. 91. III C. 27753. Mombuttu. Sehnenschutz. Leder.
Fig. 92. III C. 27756c.Mombuitu(Vygmsier\)ausMawambi.
Slg. Wiese. Holzschaft mit weichem, weißem Fell,
Eisenringen und Blattfiederung.
Fig. 93. III C. 29918. Nolapygmäe?i. Palmrippe mit Blatt-
fiederung.
Fig. 94. III C. 27746. Barumbi. Palmblattrippe mit Gift
beschmierte Spitze. Keine Kerbe. Blattfiederung.
Slg. Wiese.
Fig. 95. III C. 28005. Azandegebiet. Slg. Liebrecht. Holz-
spitze in Rohrschaft eingelassen. Keine Kerbe.
Nodium. Vergiftet.
Fig. 96. IHa. ii43d. Momvu. Pfeil mit Holzschaft und
Blattfiederung. Getülltes Eisenblatt. Slg. Schönlang.
Fig. 97. III A. 1143 b. Momvu. Getülltes Eisenblatt.
Fig. 98. III C.27691 a. Bandaka(sdl. Mabudu). Slg. Wiese.
Lg. 46 cm. Holzschaft. Aufgesetzte Eisenspitze. Blatt-
fiederung.
Fig. 99. III C. 27702 i. Mobali. Slg. Wiese. Lg. 45 cm.
Holzschaft mit Blattfiederung und Anrauhung.
Eiserne Tüllenspitze.
Fig. 100. III C. 22407. Mombuttu. Rohrschaft Ein-
gesteckte Eisenspitze. Bastumwicklung. Keine Kerbe.
61,5 cm lang.
113 n 4 115
Fig. 101. III C. 27999 b b. Basiri. Rohrschaft. Einge-
steckte Eisenspitze. Ohne Kerbe. Slg. Liebrecht.
Fig. 102. III C. 27999 e. Fig. 103. III C. 27999 u- Fig- 104.
III C. 27999 q. u. Fig. 105. III C. 27999 w. w. Pfeile
der Basiri (zwischen Kadjema und Gubare). Bei
III C. 27999 9- u. ist die Eisenspitze in ein eisernes
Mittelstück eingelassen, das wiederum mit einem
Dorn in dem Rohrschaft steckt. (Kautschukbindung).
Fig. 106. III A. 550. Speer, Mangbetu. Slg. Schweinfurth.
(195 cm lang) Ohne Speerschuh, offene Tülle, Holz-
schaft.
Fig. 107. III A. 288, Speerspitze. Slg. Schweinfurth.
Mangbetu. 32,5 cm lang. Vgl. Schweinfurth: Artes
Africanae Taf. XIX, Fig. 5.
Fig. 108. III A. 289. Lanzenspitze Mangbetu, offene Tülle.
37,5 cm. Slg. Schweinfurth.
Fig. 109. III C. 23270. Speer; Bakere• Slg. Wiese. Holz-
schaft ohne Speerschuh. 202 cm lang.
Fig. 110. III C. 23244. Speer; Warumbi. Slg. Wiese.
6 Baessler-Archiv
Il6
Fig,
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig-
Fig.
Fig.
Fig.
Eisenschuh fehlt, ist wohl vorhanden gev
147,5 cm lang.
in C. 23245. Speer der Warumbi. (Posten M;
Eisenschuh. 164 cm lang. Slg. Wiese.
112. III C. 23 242 ab. a) Speer der Warumbi. (t
Makala) (Speerschuh wie HI C. 23245). 174 cm
Slg. Wiese, b) Holzscheide für die Speerspitzt
Rotangbinden.
113. III C. 23 259 a b. Speer der Mahudu. Slg. V
Mit hölzernem Speerfutteral. 176 cm.
114. III C. 12445. Nsakara.
115. HI A. 809. Idio. Speer. Offene Zwinge. S
mit Eisenband oben umwickelt. 181 cm lang.
Junker.
116. HI A. 811. Idio. Speer. Offene Zwinge. (
Schuh. Slg- Junker. 186 cm lang.
117. HI A. 551- Azande. Slg. Schweinfurth. 17
lang.
118. III A. 1133. Lg. 203 cm. Azande.
119. III A. 1135. Lg. 200 cm. Azande.
82
HERMANN BAUMANN
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
120. III C. 28000. Wohl Nsakara.
(ähnlich : M.)
Mogwandi. S. 20. Taf. 105, 106.
MandjajB. M.
121. Nsakara. Dolchmesser mit Armschlinge (2. I.
Abb. 196. nach Wiese).
122. IIIC. 12742. Haumesser. Nsakara.
123. III A. 560 ab. Azande. 12,5 cm. Dolch; Leder-
scheide mit Kupferbandbezug. Sig. Schweinfurth.
124. III C 23253 ab. Azande. Messer mit Leder-
scheide. Messerlänge: 20 cm. Slg. Wiese-
125. III A. 1053. Abarambo. „Makukka“ Messer.
Slg. Emir Bey 26,5 cm.
126. III A. i 160 a b. Dolch mit Lederscheide.
Azande. Slg. Hartmann. Dolchlänge: 21,5 cm. s. a.
III A. 816. Idio (ähnliche Formen bei Wadschua,
Bapoto, Ababua, Basoko; B M.)
127. III A. 271. Azande. Gürtelmesser. Griff ver-
brannt Lg. 26 cm. Slg. Schweinfurth.
128. III A. 1055. Messer der Azande (Griff mit
Leder überzogen). Slg. EminBey; Länge: 46,5 cm
Fig.
Fig.
(ähnlich: Bomanga: 112. H.775. Ababua: 86 Abb.2o8f.
,,Aruwimi“lR a 1 \
Wodschua |
129. HI A. 1054. Mädje. (Madyo). Slg. Emin Bey
39,5 cm.
130. IIIC. 27728. Mangbetu. Slg, Wiese. Messer;
runder, mit Eisenband bewickelter Holzgriff. Lg.
23 cm.
Fig. 131. IIIC. 27731 Mangbetu. Slg. Wiese. Schwert-
messer; Klinge am Griff schmal und mit 4 Vor-
sprüngen. Mitte der Klinge geschwärzt. Lg. 4; cm.
Fig. 132. III C. 27733. Mangbetu: Slg. Wiese. Klinge
mit durchbrochenem Verbindungssteg. Lg. 321 2 cm.
Fig. 133- HI C. 27735 a b- Mangbetu. Slg. Wiese. Messer
in Lederscheide. Messer-Lg. 21V2 cm.
Bangala 1
(für Mittelteil s. a. Basoko ; B. M.)
Bawaka I
Fig 134. III C- 27 738 a b. Mangbetu. Slg. Wiese. Messer
in Lederscheide. Messer 25 '/2 cm lang.
Fig. 135. HI C. 27739. Slg. Wiese. Mangbetu. Kleines
Messer mit Holzgriff. Lg, 2o’/2 cm.
Fig. 136. IIIC. 27736. Slg. Wiese. Matigbetu. Lg. 42,2 cm.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
83
140
139
146
I37. lilA. ....,.a_
Emin Bey. Lg. 58 cm.
138 III C. 22 574. Lendu. Slg. Wiese. Kleines Messer
14 cm lang.
139. III A. 272. Slg. Schweinfurth. Handwaffe der
Mangbetu; auch alsWaldmesser gebraucht Lg. 43 cm.
140. III A. 259. Klinge eines Schwertes Münsas.
Mangbetu. (Vgl. Schweinfurth Taf. XVIII. 5. Artes
Africanae.) Slg. Schweinfurth 41 cm lang.
141. III A. 277. Klinge eines Messers der Abangba.
Slg. Schweinfurth. Ein Hiebmesser der Mangbetu
von dieser Form vgl. „Aves Africanae“. Taf. XVIII.
Lg. 23 cm.
142. III C.2yZoT,. Aus Kilo. Slg. Wiese. Kleines
Haumesser. Lg. 38,5 cm.
143. III C. 19475. Messer der Mabode. (Mabudu).
Slg. Frobenius. Lg. 31 cm.
J53
Fig. 144. HI C. 16980. Momvu. Haumesser Lg. 56 cm.
Fig. 145. III C 27672. Mobnli. Slg. Wiese. Kleines
„Mohoro“messer. Lg. 29,5 cm.
Fig. 146. HI C. 27681. Mobali. Slg. Wiese. Sichel
haumesser. Lg. 42 cm.
Fig. 147. III C. 27708. Mabudu. Slg. Wiese. Kriegs-
schwert. Lg. 45 cm.
Fig. 148. IIIC. 27741; Fig. 149. III C. 27740. Kriegs-
schwerter ,,alala“ der Mangbetu. Griffe. Slg. Wiese.
Lg. 51,5 cm und 50 cm.
Fig. 150. III A. 367. Schwert der Mangbetu. 48 cm lang,
ähnlich III A. 261.
Fig. 151. III C. 27501. Sichelmesser Mangbetu. 45,7 cm
lang. Elfenbeingriff.
Fig. 152. III C. 19437. Säbelschwert. Nsakara.
Fig. 153- UI C. 5826. Azande. Slg. Langheld. Säbel.
Sehnenlänge: 48 cm.
6:
84
HERMANN BAUMANN
WURFMESSER UND KEULEN.
SCHILDE.
Fig. 154. III C. 22568. Azande-Abandja. Dorf Monga.
Haumesser in Kupfer. (Geld?) 43,5 cm lang. Slg.
Wiese.
Eig. 155- HI C. 22567. Aza.71de-Aba.ndja. Dorf Monga.
Haumesser aus Eisen. 44 cm lang. Slg. Wiese.
Fig. 156.*) Makraka-Aza7ide.
.... , Dorf Monga-Abandja. 1 t, ,, %
(ähnlich: Yakoma-Baba-Banziri.| B' M>
Sabanga (1 <4. Abb. 102).
Fig. 157. Bondjo.
Fig. 158. Mobali(Ubangi)Ndri-Togbo-Mandja(n. Maistre)
Marundscha-Bapoto (n. Baumann). Mogwandi-Banza
(n. Thonner).
Fig. 159. Aza7ide. (s. a. 76 XII.)
Fig. 160. Azande.
Fig. 16 [. Togbo-Ndri-Mandja (n. Maistre).
Fig. 162. Azande-Idio. „Darfor“ ,,DongoIa“.
Fig. 163. Nsakara. (Ähnlich: Bwaka Ndri, und Maistre).
Fig. 164. Namdschi. Mbum.
Fig. 165. Azaitde. Ähnlich: Ubangi.
Fig. 166. Baya, Banda, Baba, Yakoma, Banziri, Sabanga.
Fig. 167. Nsakara. Ähnlich : Banda (n.Tocque). Sabanga
(n. Bruel) Baba, Banziri, Yakoma.
Fig. 168. III C. 23530, Mangbeiu. Keule. Slg.Czekanowski
(mit Kupfer- und Messingringen).
Fig. 169 III C. 5780. Elienbeinkeule ,,Reich des Djabir‘.
65 cm lang. Slg. Langheld.
Fig. 170. Geflechtschild der Momvu (nach Junker.
Bd. III S. 71).
*) Zu Nr. 156 bis 167 : Wo nichts anderes vermerkt, be-
finden sich die Originale im Berliner Völkermuseum.
170
i85
Fit
174. Doppelglocke der Azande (76 XIX 8).
175. Eiserne Signalglocke Abandya (ohne Klöppel
(s. 5. III S.206)
176a. III A. 770. Idio. Slg. Junker. Eisenglocke
mit Klöppel. 6 cm hoch.
176 b. III A. 769. Idio. Slg. Junker, Eisenglocke mit
Klöppel. 15 cm hoch.
177. III C. 19442. Azande. Handschelle mit 3 Eisen-
glocken. 23 cm. Slg. Frobenius.
178. III C. 4135 Batigala. Handschelle.
179. III A. 824. Idio. Slg. Junker. Schellenarmring.
180. III A. 767. Idio. Slg. Junker. Früchte der
Dhompalme als Rasseln benutzt. 2 Bündel zu 6
Früchten. 8 cm hoch.
181 - Palmblattrassel. Mangbetu. 76 XVIII 16.
182, III G. 27666. Mobali. Slg. Wiese- Tanzhand-
klapper aus Korbgeflecht. Lg. 30,5 cm. Ähnl. HI C.
2769. Mabudu.
183. III A. 1044. Abarambo. Geflochtene Klapper
zum Taktschlagen. Slg. Emin Bey.
Fig. 184. Xylophon der Mangbetu von Abiembali.
(s. Revue Congolaise. III S- 118. Maes).
Fig. 185. Cylindrische Schlitztrommel der Bapopoie (nach
Delhaise).
Fig 186. III C. 27615 ab. Wangelima. Slg.Wiese. Kleine
Schlitztrommel. Schlägel mit Kautschukmasse. Lg.
18,5 cm.
Fig. 187. Tiertrommel der Mangbetu. (76 XVI. 10.)
s. a. III C. 23508.
Fig. 188. Tiertrommel der Azande. 135. 1911 p. 13.
Fig. 189. „Schinguvo“ der Warna. HI E. 1923.
Fig. 190. Hölzerne Gongtrommel. Mangbetu (s. 2. II.
Abb. 69).
Fig. 191. Mangbetutrommel (III C. 23 509). b) Ohrenform :
2. II. Abb 79.
Fig. 192. HI C. 27698. Mabudu. Slg. Wiese. Mangbetu-
form der Keiltrommel. Höhe: 30,5 cm.
HL
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
87
PFEIFEN.
CH
210
Fig. 193. III C. 27726. Mangbetu■ Kriegshorn aus Elfen
bein. Slg. Wiese.
Fig. 194. III C. 27747. Mombuttu. Kriegshorn aus Elfen-
bein. Slg. Wiese. 26 cm lang.
Fig. 195. III C. 27727. Mangbetu. Hölzerne Signalpfeife
mit Spiralband überwickelt. Fellriemen durchzogen.
Lg. 37 cm. Slg. Wiese.
Fig. 196. Slg. Wiese III C. 27695. ,,Ssimbe“. Pfeife mit
Eisenbandwicklung. Lg. 37 cm. Mabudu.
Fig. 197- III A. 1125. Mangbetu. Blashorn „mbema“ aus
dem Horn einer Sumpfantilope. Slg. Emin Bey.
82 cm lang.
Fig. 198. III C. 27720. Baniari. Slg. Wiese. Blashorn
aus Antilopenhorn. Lg. 32,5 cm.
Fig. 199. Bogenharfe der Bwaka (III C. 29971).
Fig. 200. Bogenharfe der Azande (III A. 84 t).
Fig. 201. III C. 22600. Mabudu. Slg. Wiese. Lg. 35 cm.
Fig. 202. Brettzither der Badjande (112. II. Abb. 396).
Fig. 203. III C. 22565. Pygmäen aus Mawambi. Slg.
Wiese. (Oberer Ituri). „Zither“ mit 5 Seiten. Kürbis
als Resonnanzboden- 36,5 cm lang.
Fig. 204. Schalenleier der Idio (112. II. Abb- 395).
Fig. 205. III C. 19422 a. „UbangiPfeifenkopf aus Ton.
Slg. Frobenius.
Fig. 206. Pfeifenkopf aus Ton. III A. 1 162. Azande.
Slg. Hartmann. Höhe: 12,5 cm.
Fig. 207. III С. I9436- Pfeife der Bwaka aus Holz. Slg.
Frobenius.
Fig. 208. III A. 322. Azande. Tabakspfeife aus schwarzem
Ton, mit Höhlung für Bast, um das Tabaksöl ein-
saugen zu lassen. Länge: 15 cm.
Fig. 209. Tabakspfeifen der Nsakara (nach Wiese: 2. I.
S. 288 f.)
Fig. 210. Pfeife der La?iguassi mit Feuerzange (nach
Dybowski: La Route du Tchad. S. 235).
Fig. 211. Gebrauch der Tabakspfeife Languassi. (nach
Dybowski. S. 236.)
Fig. 212. Pfeife der Sabanga. (Banda) (nach Dybowski-
S. 365). Ähnliche Tierpfeifen vom „Uelle-Mobangi1,
siehe; Schmeltz: Ethno; r. Album v. het Strom,
geb. v. Congo. PI. 20.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
89
KARTE I.
Bekleidung des Mannes.
KARTE 2.
Pnlmfnipr- Rindenstoff- Einfache Hilft- Schurze mit Fransen- Büschel- Kamfubinden der
Blattertracht Ealmmser schnur Eisenringen schürze behäng S. W. Niloten
(„Ebui'1) (Logo, Fadjilu, Kakwa)
Bekleidung der Frau (Fellschurze und Baumwollgewänder nicht berücksichtigt).
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
KARTE 5.
Straßendorf
Weilersiedlung und
Rundling
Siedlung.
Misch-{ Haufen-) Dorf
KARTE 6.
Rechteckige
Giebeldachhütte
Runde Bienenkorbhütte Quadratische Runde Kuppel- Rechteckiges
Kegeldachhütte Kegel- und Pyra- hütte Schildkröten-
midendachhutte dachhaus
Hausformen.
t
92
HERMANN BAUMANN
KARTEN.
Hacke Spaten
Spaten und Hacke.
KARTE 8.
Krummhacke mit
Tüllenblatt
Krummhacke mit Krummhacke mit
aufgebundenem Blatt eingelassenem Blatt
Formen der Feldhacke.
Geradhacke mit
eingelassenem Blatt
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
93
KARTE g.
Mann: Roden und starke oder ausschließ- Mann: Rodet höchstens,
liehe Beschäftigung mit Anbau, Unter- Frau: Der gesamte Anbau, die Unter-
haltung und Ernte der Kidturen. haltung und Ernte der Kulturen, eventuell
Frau: Geringe Betätigung am Feldbau; auch Roden,
höchstens Jäten und Ernten.
Bemerkung: Wo die Quellen nur angeben: „Anbau von beiden Geschlechtern gemeinsam betrieben“ ist i) angenommen worden.
Anteil der Geschlechter am Hackbau.
KARTE io.
94
HERMANN BAUMANN
KARTE ii.
Nordgrenze der ausge-
dehnten Maniokkultur
Nordgrenze der ausge- Nordgrenze des Anbaues
dehnten Bananen- von Ipomoea Batatas
k u 11 u r
Nordgrenzen von Maniok, Bataten, Bananen in ausgedehnter Kultur.
KARTE 12.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
95
KARTE 13.
KARTE 14.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND
MANGBETU
97
KARTE ly.
JBo^en fehlt
P'ehlen und gehäuftes Vorkommen
Bogen als Hauptwaffe
des Bogens.
KARTE iS.
Stirn-(Frontal-)
besehnung
Schlinge über einem
Endkuauf (Kassai-
typus)
Schlinge auf abge-
setztem Ende
(Urwaldtypus)
Bogenbeseh nung.
Wickelbesehnung
Ungefähre Grenze der
Adamaua-Öhr-
besehnung
7 Baessler-Archiv
HERMANN BAUMANN
KARTE ig.
Aus Rotang
Aus Leder Aus Palmfasern und
andeien Faserstoffen
Bogensehne.
KARTE 20.
Querschnitt des Bogens.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
KARTE 21.
Befestigung der Pfeilspitze.
KARTE 22.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
KARTE 25.
Geflechtsschild Holzplankenschild Überflochtener
Holzplankenschild
Verbreitung der Fell- und Lederschilde nur andeutungsweise verzeichnet.
Überflochtener
Holzlattenschild
Der Schild.
KARTE 26.
Doppelglccken
Handglocke aus Handschellen (Holz-
Eisen oder Holz griffmitl—sSchellen)
Glocken.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
103
KARTE 2g.
Trommeln mit
Schnurspannung
KARTE jo.
Trommeln mit Trommeln mit
Pflockspannung Keilspannung
Membranophone.
Haussatrommel
Verbreitung der Sansa
Sansa.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
KARTE jj.
Bogenlaute „Seze“ (Monochord) Musikbogen
Chordophone II.
KARTE 34.
A
B
C
D
E
Schematische Grenzen der Knlturprovinzcn
Zentralsudanische Provinz
Westafrikanisch-Rhodesische Provinz
Kongoprovinz
Zwischenseenprovinz
Nüotische Provinz
Schematische Karten der Kulturkreise und Kulturprovinzen.
KARTE 35-
i Tabellen und Karten vorkommenden Völkernamen.
KARTE 35.
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Orientierungskarte für die in den Tabellen und Karten vorkommenden Völkernamen.
QUELLENNACHWEISE ZU DEN KARTEN
Bemerkung: В. M. bezeichnet in den beifolgenden Tabellen, daß sich das betreffende Objekt im Museum für
Völkerkunde, Berlin, befindet. In diesen Quellenbelegen und in den entsprechenden Karten konnte entgegen dem
Text auch die jüngsterschienene, wichtigste Literatur verwendet werden (so besonders die im Literatur-
verzeichnis unter Nr. 157. 60a. 158. 159. 160. 162. 163 und 164 verzeichneten Werke).
Tabelle 1
BEKLEIDUNG
1. Rindenstoff (zumeist in T-form geschürzt).
Vitshumbi: 7. S. 266.
Wawamba: 7. S. 284; 60a. S. 311.
Wawira: 7. S. 382; боа. S. 337.
Ituripygmäen: 7. S. 450h; 60a. S. 478.
Banyari: боа. S. 299.
Abarambo: 60a. S. 222.
Mabudu: боа. S. 288.
Bambuba: боа. S. 450.
„Wasongora“: 7. S. 546.
Barumbi: 7. S. 595.
Bakondjo: 7. S. 650; 144. 1910; 60a. S. 370.
Warega: 55. S. 96.
Basoga: 158. S. 113.
Banyoro (Bakitara): 13g. S. 179f.
Baganda: 58. S. 21 f.
Basiba: 58. S. 57f.; 59. S. 30L
Barundi: 61. S. 31,
Banyaruanda (nur Bahutu!) 60. S. 170f.
Bunyabungu | ; 25.
Itambi-Wahunde > Westkivu: 25.
Watembo-Wabembe ) ; 25.
Mabali: 34. S. 58; 60a. S. 323.
Bapopoie: 144. 1912. S. 105.
Badyo: 142. II. S. 61.
Mangbetu 2. II. S. 61; 5. II. S. 312; 41. S. 200; 60a.
S. 134.
Momvu: 80. Taf. 86; боа. S. 435ff.
Azande u. a. 136. III. S. 240; 60a. S. 32.
Idio: 5. II. S. 381.
Abandya: 144. 1895. S. 427.
Nsakara: 152. 1896. S. 115!.
Jakoma; 13p. 1901. S. 8l.
Banza; 1x2. II. S. 591.
Mogwandi: xg. S. 71.
Dua-Mobali: xg. S. 69.
Maginza: xg. S. 69.
Ababua: u. a. 30; 60a. S. 276.
Basoko: 116. S. 115.
Tofoke (ehemals): 130. 1911. S. 199-
Bapoto u. Ngombe: 136. 1897. S. 128.
Bangala: 132. S. 39; 97; 133. 1897. S. 231.
Bwaka: 137. 1910. S. 36; 16. S. 153.
Zu Karte 1
DES MANNES.
Buzeru: 16. S. 178.
Banziri: 16. S. 193.
Languassi: 16.
Mandja: 34. S. 168.
Baya: 70. S. 10.
Bantu des Molundubezirks: 123. 1913. S. 271.
Misanga: Deutsche Kolonialzeitung 1911. S. 863.
Maka-Gokum: 133. S. 420.
Mwelle-Esum: 133. S. 420.
Pangwe: 48.
Mbum (ehemals): 17. S. 429.
Wüte; 137. S. 12; 117 (Kamerun). S. 492 (cit).
Mabea-Ngumba;: 117 (Kamerun). S. 492 (cit).
Kunabembe: 117 (Kamerun) S. 492 (cit).
Bakoko: 117 (Kamerun) S. 492 (cit).
Lango: 3. II. S. 66.
Logo; 60a. S. 500.
Kakwa: 60 a. S. 536.
Fadjilu: боа. S. 536.
Abaka: 3. II. S. 388.
Avokaya (nördl. u. südliche): 3. II. S. 430.
2. Fell u. Leder (Schulterfelle: *).
*Vitshumbi: 7. S. 266.
^Wasongora: 7. S. 346.
Alur: 7. S. 433h; 3. II. S. 76; 60a. S. 550.
*Madi: 3. II. S. 29.
*Kakwa: 133. 1896. S. 66.
*Lendu: 60a. S. 517L
Schuh: 3. II. S. 35.
*Lango: 3. II. S. 66.
Моги: 4. S. 119.
*Niambara: 4. S. 113.
Avokaya; В. M.
Mundu: В. M.
Mittu: i S. 161.
Mittu-Madi: 1. S. 161.
Bongo: i. S. 114!.
Azande: 1. S. 188; 136. III. S. 240.
Idio: 4. S. 129.
Sara: 12g. 1917. S. 296.
Ostsara: 10. S. 157.
Ndellebanda: 10. S. 176!.
HERMANN BAUMANN
108
Bana: 123. II. 2.
*Baamba: боа. S. 311.
*Bambuba: 60a. S. 450.
*Bakondjo: 60a. S. 370.
Banyaruanda: 60. S. 170!.
*Banyankole: 160. S. 75.
*Basiba: 38. S. 57!.; 59. S. 30!.
*Washashi; 38. S. 134.
*Wasukuma: 38. S. 110.
*Wasindja: 38. S. 81 f.
*Karagwe: 38. S. 37.
Barundi (selten!): 61. S. 31.
*Bakyiga: 138. S. 165.
Bakitara-Banyoro: 13g. S. 179.
Buyabungu ) : 23.
Wahunde-Itambi ■ Westkivu: 23.
Watembo-Wabemba) : 23.
Warega-Ntata: 55. S. 96.
Nordbatetela (Vungi): yi. S. m.
Lakka: 12g. Ergb. gab. S. 119.
3. Palmfasergewebe.
Bapopoie: 144. 1912. S. 106.
Bangwa (Ababua): 144. 1912. S. 106; 60a. S. 276.
Wasongola 144. 1909. S. 116.
Wagenya: 112. II. S. 593 (ehemals).
Tofoke: 130. 1911. S. 199.
Bapoto1 D’Hanis: Le district d’Upoto.
Ngombe1 112. II. S. 391.
Banza 112. II. S. 591.
Ikundo (ob. Tschuapa): 55.
Dulingo: 33.
Bokeri: 33.
Bokoma (unt. Tschuapa): 33.
Ndolo: 33.
Boruki (unt. Tschuapa): 33.
Lulongofluß: 33.
Kakata: 33.
Baringa: 33.
Bomitaba: 141. 1922. S. 304.
Bateke; 130. 1887. S. 160; 161. S. 229.
1 nach Wilverth (136. 1897. S. 128) sind bei Ngombe und
Bapoto gewobene Stoffe unbekannt.
Banfungunu: 142. I. S. 87 (ehemals); 136. 1897. S. 42,
Bakota: 13g. I.
Aduma-Oschebo: 31. S. 280.
Osaka u. Umwohner 31. S. 280.
Obamba: 161. S. 191.
Okande: 161. S. 170.
Apfuru: 161. S. 223.
Bubangi: 161. S. 236.
Wangata: 36. S. 18.
Bankutu; yi. S. 180.
Akela: yi. S. 194.
Olemba-Omona: yi. S. nof.
Lessa: 144. 1909. S. 481.
Bashilange: 30. S. 60.
Baluba-Hemba: 63. I. S. 141!.
Bakuba: 33. S. 174.
Basonge: yi. S. 36.
Babunda: yi. S. 327.
Bambala: yi. S. 328.
Bahuana: yi. S. 330.
Bayaka: yi. S. 328.
Bapende: yi. S. 329.
Bapindji: yi. S. 329.
Bakwese; yi. S. 329.
Bayansi: yi. S. 330.
Leopoldseedistrikt: 133. 1897. S. 102.
Mongo; 133. 1897. S. 209.
Bakongo (ehemals) Weeks: Among the primitive Ba-
kongo. S. 92.
Mayombe (selten) Overbergh: Les Mayombe. Brüssel
1907. S. 131 ff.
4. Penisfutterale.
Komai 62. S. 194 (ehemals allgemein).
Mundang: B. M.
Suggi-Durru: B. M.
Namschi: B. M.
Mattafall etc.: iy.
Maka: B. M.
Bafia, Bati: B. M.
Jaunde u. a.: 48.
5. Suspensorien.
Biri; gi; 114. S. 221L
Tabelle 2
BEKLEIDUNG DER FRAU.
Zu Karte 2
1. Die Blättertracht.
Wawira: 7. S. 382, 409; 60a. S. 299.
Wasongora: 7. S. 546.
Ituripygmäen: 7. S. 430!.
Alur: 7. S. 433h 51 3 f.
Lendu: 7. S. 534.
Logware: 132. 55. S. 448.
Fadjelu: 3. II. S. 361.
Abaka: 5. I. S. 390.
Kederu u. Koddo (Moru): 3. II. 256.
Mittu: 1. III. S. 161.
Idio: 3. I. S. 297.
Azande: 1. S. 188; 136. III. S. 240; боа. S. 33.
Kakwak (verdrängt Leder): 5. I. S. 337.
Niambara: 5. I. S. 337.
Bongo (Such): 1. S. 114L; 10. S. 189; 9. S. 94.
Gollo: 9. S. 101; i. S. 234.
Kredsch; 9. S. 206; 10. S. 195; 144. 1895. S. 427.
Shere-Basiri: 1. S. 254; 10. S. 197.
Abandya: 144. 1895. S. 414h
Bellanda: 9. S. 162.
Momvu: В. M. ; 60a. S. 435 fF.
Mangbettu: 3. IL S. 312; 60a.
Badjo: 142. III. S. 387!.
Alle Kottaanwohner (Banda): 144. 1897. S. 514.
Banda: 146. S. 38.
Ndellebanda: 10. S. 177.
Banda d. oberen Mbari: 114. Abb. 98.
Ngapu-Banda; 16. S. 264.
Languassi-Banda: 16.
Ngobu-Banda; 20. S. 49.
Julu: 10. S. 201.
Ostsara: jo. S. 157.
Komai: 62. S. 194.
Kaya-Baya: В. M.
Baya: 70. S. II.
Mandja: 54. S. 168.
Bokari-Baya: 2. II. S. 197ff.
Mwelle-Esum (Pangwe): 153. 1903. S. 420.
Pangwe: 48.
Ndzem: Poutrin: La Mission Gottes. Tafel XX.
Bantu d. nördl. Molundubezirkes (Kamerun): 123. 1913.
S. 271.
Kaka: 123. 1913, S. 267.
Mogwandi: ig. S. 71; 20. S. 81 f.
Bongo-Mogwandi: 20. S. 8if.
Sango: 20. S. 81 f.
Jakoma: 20. S. 81 f.
Banza: 20. S. 81 f.
Banziri; 21. S. 30; 16. S. 193.
Mobenge (Ababua): 20. S. 49.
Ababua: 50. S. 173 ff.; 60a. S. 276.
Bapoto: D’Hanis: Le district Upoto.
Batua am Lokoro: 144. 1906. S. 452.
Dulingo: 33.
Ndolo: 33.
Baringa: 33.
Wagenia: 112 S. 593 (1885).
Banyari: 60a. S. 299.
Mombuttu: 60a. S. 448.
2. Die Rindenstoff schürze.
Vitshumbi; 7. S. 266.
Bakondjo: 7. S. 650; 144. 1910; 60a. S. 370h
Basoga: 138. S. 113.
Banyoro-Bakitara: 13g. S. 179f.
Baganda: 38. S. 2if.
Basiba (nur Vornehme!): 59. S. 30h
Banyaruanda (neben Fell): 60. S. 171.
Barundi: 6j. S. 31.
Wasongola: 144. 1909. S. 106.
Warega: 55. S. 96.
Mangbetu: 2 II. 61; 60a. S. 135.
Badyo: 142. III. S. 387!.
Ituripygmäen: 7. S. 450!.; 60a. S. 478.
Baamba; 80. Taf. 70; 60a. S. 311.
Momvu: u. a. 80. Taf. 86 u. В. M.; 60a. S. 435.
Mabali: 34. S. 58ff.; 60a. S. 323.
Mabudu: 60a. S. 288.
Babira: 60a. S. 337.
Bambuba: 60a. S. 450.
Bapopoie 144. 1912. S. 105 f.
Basoko: 116. S. 115.
Ababua: 30. S. 174; 60a. S. 276.
Misanga; 123. 1913.
Bangandu: 123. 1913.
Jakoma: 13p. XII. S. 81.
Abarambo: 60a. S. 222.
3. Palmfasergewebe.
Alle Stämme West- und Nordwest-Kameruns: В. M.
Bateke: 130. 1887. S. 160.
4. Büschelschurze („Ebui“).
Nyem: 2. IL S. 389.
Ndzem : Poutrin-Cottes : La mission Gottes Taf. XX.
Мака: В. M.
Pangwe: u. a. 48. S. 174 u. В. M.
Bwaka : 13p. XL S. 39.
Buzeru: 16. S. 176!.
Durru: В. M.
Wangilima; В. M. „opopa“.
Bapopoie: 144. 1912. S. 106.
Fadjelu: 3. IL S. 361.
Madi: 3 II. S. 29.
Lendu: 60 a. S. 517.
Bari: боа. S. 536.
Schuli: 3. II. S. 35.
Alur: 3. II. S. 76; 60a. S. 550.
Sofi-Mittu: 3. IL
Bongo: 1. S. 114h
Mittu: i. S. 161.
Bokeri ( ^ : 23.
Ikua I Unterer Tschuapa _ ^
Inkolle: 33.
Inkumbi: В. M. u. 35.
Olemba (Batetela): pi. S. 114.
Alanga-Okale-Kulumbi (Nordbatetela) : pi. S. 114.
Momvu: В. M. u. 60a. S. 345.
5. Fransenschurze.
Bangala-Boloki: 132. Bd. 39. S. 97.
Bomitaba: 141. 1922. S. 305.
Baloi: 16. S. 146.
Ngiri: 20. S. 8off.
Lubala: 20. S. 80 ff.
Mondjembo (Bwaka): 20. S. 8off.
7- Schurze aus Leder und Eisenringen.
Bari: В. M. u. боа. S. 536.
Madi: 3. II. S. 29.
Lendu: 7 S. 534.
Niambara: 5. I. S. 337.
Südababua: 112. II. S. 592.
fBabanda, Maeboro, Mabendia) > Frauentracht ?
Zu Karte 3
DURCHBOHREN DES LIPPEN- UND DES NASENFLÜGELS.
<?. L. N
1. Lippenpflöcke im Berliner Museum: В. M.
= als Männerschmuck; L. = Lippe
9 = als Frauenschmuck; N. = Nasenflügel.
Nuer; 6. S. 105; 14. S. 65. 9. L.
Djur: 14. S. 65; 1. S. 65. L.
Bellanda: 76. Taf. XV; 1. S. 65.
Bongo: 76. Taf. III. 9 S- E N.
Mittu: j. S. 159!. 9 L.
Lehssi; 3. II. S. 283. 9- E
Sofi-Mittu: 3. II. S. 285. L.
Abaka: 3. II. S. 385. 9- E
Babukur; 3. II. S. 387. L.
Avokaya: 3. II. S. 390. 9- E
Niambara: 4. S. 113; 14. S. 65.
Moru; 4. S. 123 u. Abb. L.
Alur: 144. 1904. S. 481; 60a. S. 551.
Lendu: В. M.; боа. S. 518. L.
Wambuba: В. M.; 60 a. S. 455, 441 ff. L. N.
Wahoko-Baamba: В. M.; 60 a. S. 300. L.
Waldwawira; В. M. L.
Babira: 112. II. S. 573; боа. S. 339!. 9- E
Bakumu; 112. II. S. 573, I. S. 323 ; 113. S. 168. 9. L.
Balese; 112. II. S. 573, I. S. 323; 60 a. S. 471. 9. L.
Mabali: 34. S. 60; 144. 1912. S. 88f.; боа. S. 323!. 9. L.
Mabudu (selten); 60a. S. 289. L.
Banyari: 60a. S. 400. L.
Bakondjo: 60a. S. 377!. L.
Ituripygmäen: 60a. S. 480. L.
Momvu: 60a. S. 471 ff. L. N.
Mombuttu: 60a. S. 448. L.
Kalika; 11g. 1905. S. 68. L.
Logo: боа. S. 501. L.
Lugware: 132. Bd. 55. S. 446!.
Madi: боа. S. 339. L.
Latuka: 11g. 1905. S. 68. L.
Bamanga (am Lindi); 112. I. 323, II. S. 573. L.
Turumbu: 112 II. S. 574. 9 S- U
Mangbetu: боа. S. 139. 9- N.
Warumbi (selten!): 120. IV. S. 613. 9- E
Lokele: 113. S. 168; 78. S. 36. Taf. CXV. 9
Jakusu: 78. S. 36. Taf. CXV. L.
Wagenia; 115. S. 168; 34. S. 75. 9 <$. L.
. Um Yanga (am Lomami): 112. I. S. 127. L.
<?• E
Balika-Ababua: 60a. S. 277. L. N.
Ababua (selten): боа. S. 277. L.
S. 0. Ababua: 144. 1912. S. 89. 9. L.
Sudanstämme des Molundubezirks: 123. 1913. S. 267
9. L. N.
Мака: В. M. L.
Yangere: В. M. L.
Baya; В. М. и. 70. S. II. L. N.
Кауа-Вауа; В. М. L. N.
ТаШ: В. М.; 12g. Ergb. gab. 122.
Lakka: 137. XVI. S. 141. L.
Sara: 146. 1910. S. 40. 9. L.
Kabba-Sara: 137. XVI. S. 141. L.
Ostsara: 12g. 1917. S. 299; 10. S. 158L L.
Dendje: 137. XVI. 141. Abb. L.
Luto-Ruto: 146. 1910. S. 39.
Massa-Sara: В. M. 9- E
Bana: 123. II. (2). 9. L.
Sugur: В. M. 9. L.
Musgu; 123. II. 120. 9. L. N.
Fall!: 117 (Kamerun). S. 463. L.
Marghi: 117 (Kamerun). S. 463. L.
Ssugi-Kung: 117 (Kamerun). S. 463.
Bali: 117 (Kamerun). S. 463. Q. L.
Ndelle-Banda; jo. S. 176.
Banda: 146. 1910. L. N.
Mbru, Ndi, Baba
9. L. N.
Togbo, Sabanga
Languassi
J50. XX. 1909. S. 201—206.
9-E
130. XX. 1909. S. 201—206.
9-E
Banda; 130. XX. 1909. S. 201 ff.; 16.
S. 230. 9. L. N.
16. S. 242.
16. S. 300.
16. S. 300.
c? 9-E N.
9-E
9. L. N.
9. L. N.
Ndakua
Ngapu
Wadda
Mandja; 34; 2. I. S. 42.
Runga: 10. S. 148. 9- N.
Gula-Sara: 10. S. 165. L.
Julu: 10. S. 201. 9. L.
Kara: 10. S. 199. 9. L.
Bubu-Banda; 144. 1893. S. 29; 137. XII. S. 82; 112. II.
S.573. 9. L. N.
Ngobu-Banda:JJ5. S. 149h; 20. 8.495x56.1896. S. 365. L.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MAN QBE TU
I r r
Banza-Banda: 113. S. 151; 136. 1896. S. 356. L.
Bwaka: 144. 1893. S. 14; ijy. 1910. S. 36. $ Q. L. N.
Kaka: 2 II; 123. 1913. S. 267. 9. L. N.
Gundi: 13g. I. S. 12. 9. L. N.
Sango: 112. II. S. 573. 9- L.
Bongo (Mogwandi): 112. II. S. 573. 9. L,
Nsakara: 112. II. S. 573. 9. L.
Ahandya: 144. 1895. S. 415. N.
Kredsch: 10. S. 195. 9- N.
Shere-Basiri: 10. S. 197; 76. Taf. XX. 9- L. N.
Gollo: 76. Taf. XXL 9.L. N.
Ostmongo (Lomami); 112. II. S. 574. $ 9- L.
Tofoke: 130. 1911. S. 199. L.
Wabudschwe: 26. 9. L.
2, Durchbohren des Ohrrandes und der Ohr-
muschel.
Wagenya: 34. S. 75.
Basoko: 144. 1891. S. 114.
Tabelle 4
HAUS
I. Rechteckiges Giebeldachhaus.
Kameruner Waldland; u. a. ny.
Pangwe: 48. I. S. 55!.
Bakota: 161. S. 207.
Nyem: 2. II. S. 238!.
Kaka: 2. II. S. 202!.
Bateke: 162. S. 37; 138. V. S. 140!.
Bayanga am Sangha: 12g. Ergb. gab. S. 106.
Ikelemba-Misanga: 12g. Ergb. gab. S. 105.
Bakuelle: 12g. Ergb. gab. S. 74!.
Porno: 13g. 1910. S. i6f.
Bumali: 13g. 1910. S. i6f.
Baloi: 16. S. 147.
Bayanzi-Bubangi: 20. S. 80f.
Ngiri-Lubala: 20. S. 80 f.
Banza: 136. 1896. S. 356.
Bangala: 20. S. 80f.
Marundscha (Bapoto): 130. 1887. S. 15-
Ngombe-Bwela: 20. S. 80.
Ngombe-Maginza: 133. X. S. 68; 20. S. 82f.
Ngombe-Budja: 20. S. 82!.
Ngombe-Mobali: 20. S. 82h
Ngombe vom Ubangi; 20. S. 82!.
Mandja-Bonduru: 20. S. 82!.
Bwaka-Mondjembo: 20. S. 82!.
Bwaka-Bwaka: 20. S. 82!.; 137. 1910. S. 3gff.
Mondunga: 20. S. 82!.
Banda-Ngere (Bangui): тзу. 1905. S. 639.
Bokote-Wangata: 113. S. 99.
Wangata: 36. S. 19 ff.
Balolo: 33; дг. S. 61.
Tofoke: 130. 1911, S. 198.
Basoko; 163. S. 8; 113. S. 119.
Bamboli: 142. I. S. 502.
Lokele-Yakusu: y8. Taf. CXI.
Turumbu: 163. S. 8; y8. Taf. CXVII.
Banyari (neben Kegeldachhütten): 60 a. S. 301.
Mabali: 60 a. S. 325.
Waldbabira: боа. S. 344.
Avisibba: 27. I. S. 171.
Momvu; боа. S. 441 f.
Mabudu: боа. S. 289.
Balika-Ababua: боа. S. 277.
Itimbirifiuß : 144. 1891. S. 115.
S. 0. Ababua: 144. 1912. S. 89.
Mangbetu (außer Barumbi): alle Berichterstatter.
Shere: 76. XX.
Gollo: 1. S. 424. Abb.
Abaka: 4. Abb.
Moru: 4. Abb.
Bongo: 76. Taf. XX.
Djur: j. S. 65.
Mittu: j. Abb.
Nuer: 14. S. 65.
Logo: боа. S. 501.
Lugware: 132. Bd. 55. S. 447.
Alur: 60 a. S. 551.
Jaluo (Kavirondo): 111. S. 784h
Zu Karte 6
RMEN.
Bakumu: 60 a. S. 344; y8. Taf. CXXI.
Balese: 113. S. 120.
Mabudu: боа. S. 293; 80. Taf. 83.
Ababua: 60a S. 278 (nur Bobwa und Balika) 50. S. 186.
Wasongola: 144. 1909. S. iqgff.
Warega: 55. S. 107L
Manyema: 113. S. 171.
Wagenya: 34. S. 74.
Um Yanga (Lomami): 132. 1899. S. 466L
Apamba-Bakuyu (Lukenye): 112. S. 741.
Bankutu: yi. S. 181.
Akela: yi. S. 1919.
Nordbatetela: yi. S. 118.
Bokala-Yaelima: 162. S. 48.
Ipanga-Batitu: 162. S. 46.
Lessa: 144. 1909.
Basongo-Meno: 33. S. 278 f.
Losakani: y8. Taf. XLII.
Baboma: 162. S. 41.
Alle Völker westl. des Leopoldsees; 162. S. 41.
Banfumu: 162. S. 39.
Bakuba: 33.
Bambala: 132. Bd. 35. Taf. XXIX.
Bayaka: 132. Bd. 36. S. 43.
Bahuana: 132. Bd. 36. S. 281 f.
Bakongogruppe: alle fraglichen Quellen.
Mangbetu: s. Text u. боа S. 149.
Bakere: s. Text u. боа. S. 149.
Barumbi: s. Text.
Madyo-Badjo: 60a. S. 206 (s. aber Text;.
2. Rechteckiges Schildkrötendachhaus.
Lokoro-Kundu: 162. S. 53.
Kundustämme; u. a. Michiels: notre Colonie S. 84 u.
Karte.
Bakuba; 33. Abb. S. 141.
Bashilele: 162. S. 53.
Tumba (im Osten des Leop. Sees): 162. S. 43.
Unter-Lukenye: 162. S. 45.
I I 2
HERMANN BAUMANN
Ipanga-Batitu: 162. S. 46.
Bokala-Yaelima neben Giebeldach: 162. 8.^48.
Bena-Dibele, Koledistrikt : 162. S. 50,
Bombwandza u. a. (Kundu): 56. S. 19ff.
Batito u. Batende: 112. II. S. 747.
Baiingo: 152. 1910. S. 566!.
Apfuru ,,toits arrondisen dôme“; 16. S. 123.
Banfungunu „paillotes au toit en dos d’âne: 142. I. S. 88
Pomo: 13g. 1910. S. i6ff.
Yangere: 2 II. S. 198. S. 200.
Badjo: s. Text.
Waldstämme (Bantu) d. Molundudistriktes; 123. 1913.
S. 270.
3. Bienenkorbhütte_
Alur: 7. S. 496; 144. 1908. S. 93ff.; боа. S. 552.
Lendu: 7 S. 534h; боа. S. 519.
Graswawira: 7. S. 388; 60 a. S. 345.
Baamba: 80. S. 31.
Balese (vereinzelt); боа. S. 422.
Ituripygmäen: 60a. S. 482.
Bakondjo: 7. S. 650; 60a. S. 391.
Butembo (Westkivu) 13. S. 261.
Wanyabungu (Westkivu): 25.
Ruanda: 60. S. 202.
Baganda etc.; 38. S. 8f.
Baziba: 59. S. 8.
Karagwe: 38. S. 32.
Kottabecken (Banda): 144. 1897. S. 510.
Nsakara: gi. Abb.
Banda; 43. S. 25. Abb.
Wasukuma; 7. S. 747.
Kredsch (Banda): 1. S. 484. II . Au4.
4. Runde Kegeldachhütte.
Massa: 12g. 1917. S. 297.
Baba: 123. II. S. 2.
Kotoko: 137. 1905. S. 647.
Barma:
Uassa : >
137. 1905. S. 643ff.
Somrei (Sara): | 137. 1901;. S. 645ft'.
Gaberi (Sara): 12g. 1917. S. 297.
Lakka; 12g. Ergb. gab. S. 121 u. Abb.
Kabba (Sara) : |
Sarastämme:
Tumak
Ndam
Tunia
Niellim
Tikar; 31.
Wüte: 137. S. 6.
Talli: 12g. Ergb. gab. S. 122.
Baya: 12g. Ergb. gab. S. 125; 70.
Mandja: 34.
Yangere (Banda): 2. II. S. 198.
Kottabecken (Banda): 144. 1897. S. 510.
Yakoma: 20. S. Soff.
Sango; 20.
ÜUC .
I (Sara) i
Bongo (Mogwandi): 20.
Mogwandi: 20.
Mobenge (Abab.): 20. S. 80.
Ababua (außer Bobwa u. Balika): 30. S. 184; боа. S. 278!.
Mabendja: 113. S. ngf.
Mobango (?) : 163. S. 9.
Nsakara: 132. 1896. S. 134!.
Abandya: 144. 1895. S. 416.
Azande: u. a. 1. S. 236!.; боа. S. 41.
Idio: 3. II. S. 373.
Babukur: 3. II. S. 387.
Avokaya: 3. II. S. 434.
Moru (Kederu u. Koddo): 3. II. S. 244!.
Niambara; 3. II. S. 239.
Momvu: 80. S. 36; 60a. S. 422.
Alur (Centr. u. N.): 144. 1908. S. 93 ff.
Logo: 60a. S. 507.
Kakwa: боа. S. 534.
Lugware: 132. Bd. 55. S. 450.
Madi: 3. II. S. 28!.; 60a. S. 524.
Schuli: 3. II. S. 120f.
Gollo: J.
Bongo: 1.
Dinka: 1.
Bari: боа. S. 534.
Schilluk: 1.
Nuba: 62. Abb. bei S. 104.
Banyari: боа. S. 301; 80. S. 34.
Wawira; 60a. S. 345; 7. S. 383; (Grasland).
Westl. Lendu: 7. S. 477.
Wasongora: 7. S. 549.
Wambuba: 60a. S. 422; 7. S. 623 u. 636.
Wahoko-Waholi (am Semliki); 7. S. 631, S. 623.
Baamba: боа. S. 314!.
Abangba \ u. a. 2. II. S. 6gff. u.
„Mangbeiu“ im N. des Bomokandi\ боа. S. 149.
Mangbelle: боа. S. 193.
Mundu: боа. S. 193.
Abarambo: боа. S. 221.
Mayogu: боа. S. 149.
Mabinza: 60a. S. 279.
Balese: боа. S. 422.
Mombuttu: 60a. S. 447.
Basonge: 65
Südbatetela: 71. S. 114!., 118.
Riba-Riba (Grenze zw. Kegeldach u. Giebeldach) 26.
Uhombo; 26.
Wasukuma etc. 7. S. 747.
5. Quadratische Kegel- u. Pyramidendachhütte.
Grasland v. Kamerun; etliche Autoren.
Wangilima: u. a. 34. S. 50ft.
Bapopoie: 144. 1912.
Balubastämme : 113. S. 171. 64.
Bena Lulua: 92. S. 227.
Bapindi: 30 a.
Banfumu-Bokala : 162. S. 40.
Baboma-Bokala : 162. S. 40.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
I 13
Tabelle 5 Zu Karte 16
З': Nur von Männern gebraucht.
1. Der Feuerbohrer (Quirl).
Basiri-Shere; В. M.
Azande: 1. II. S. 273.
Mangbetu: боа. S. 127; 41. S. 153; 1. II. S. 273.
Wdrumbi: 120. IV. S. 609!.
Badyo: 142. III. 1912. S. 394h
Bapopoie: 144. 1912. S. 101.
Mangbelle: 5. II. S. 270!.
Momvu: боа. S. 426!. u. В. M.
Wangelima: 142. III. 1912. S. 397!. (cit. Steinmetz).
Ababua: 50. S. 137h
Warega: 55. S. 71.
Wasongola: 144. 1909.
Bangala: 120. IV. S. 609 (cit. Coquilhat).
Pygmäen von Ndembe: 142. III. 1912. S. 394!. (cit.
Starr).
Pangwe: 48. I. S. 81.
Nzimu: Manuskript Förster im В. M.
Ngumba: S. B.; 122. Bd. 8x. S. 354; В. M.
Bwaka: 137. 1910. S. 41.
Yakoma: 137. 1901. S. 81.
Ngapu-Banda: 16. S. 304 (neben Steinfeuerzeug).
Wangata; 56. S. 24.
Tumbasee: 156. 1897. S. 389.
Östliche Yaelima: 162. S. 102.
Basongo-Meno-Bankutu (von Bena-Dibele-Kole): 162.
S. 102; 71. S. x77 (Bankutu).
Olemba-Batetela: 71. S. 85.
Lessa: 144. 1909. S. 483 (neben Feuerpflug).
Loango: S. B.; 66. S. 171 flF.
Cataraktenregion (Basundi, Babwende usw.): 113. S. 67.
Bakuba: 33. S. 135.
Baluba: 144. 1905. S. 131.
Baschilange: 30. S. 349.
Basonge: 65. Nr. 21.
Ruanda u. Kivu-Batwa: 60. S. 210.
Karagwe: 38. S. 33.
Washashi; 38. S. 128.
Kiziba-Basiba: 59. S. 19.
Banyoro-Bakitara: S. B.; 13g. S. 46.
Basabei: S. B.; 138. S. 58.
Lango: S. B.; 164. S. 80.
Benennung der Bohrteile.
Kuku: 142. I. S. 133.
Logo: 60a. S. 506.
Alur: 144. 1908. S. 60.
Lendu: 7. S. 538.
Bongo: 76. IV. 16.
Madi-Moru: Proceed. of the Edinburgh Soc. 1883/1884.
S. 309.
Dar-For: ebenda 1884/85. S. 214.
Schilluk: В. M.
Dinka: 14. S. 105.
Allgemein für Uellevölker und Bahr el Ghazal: 1. Bd.
II. S. 273.
2. Der Feuerpflug.
Mongo; 136. 1897. S. 211; s. a. 113. S. 100. 142. III.
1912. S. 394L; 151- IV. S. 37.
Akela: 142. III. S. 394h
Tofoke; 12g. 1912. S. 197 u. Abb.; 142. III. S. 394h
Atshitu: 142. III. S. 394L
Kundu: 142. III. S. 394L
Wangelima: 142. III. S. 394!.
Makere: 142. III. S. 394!.
Lokele: 142. III. S. 394!.
Pygmäen von Nkake u. Bikoro: 142. III. S. 394!. (cit.
Starr).
Imoma: 144. 1906. S. 444.
Lessa: 144. 1909. S. 483 (neben Feuerbohrer) 162. S. 101.
Banfumu des Innern: 162. S. 101.
Mosengere: 162. S. 101.
Tumba: 162. S. 101.
Wadia: 162. S. 101.
Basakata-Babaie: 162. S. 101.
Ipanga-Batitu: 162. S. 101.
Bokala-Westyaelima: 162. S. 101.
Nordbatetela: 71. S. 85.
Basongo-Meno: 71. S. 85.
Bangala: 132. Bd. 39. S. 113.
Bapoto: 144. 1906. S. 19.
Mbajifiuß (östl. Ikelemba): „Reiben von einem harten
Holzstab gegen Holz“: 12g. Ergb. gab.
Mandja: 34. S. 131!. (neben Steinfeuerzeug).
DIE FEUERERZEUGUNG.
S. B.: Sexuelle
Tabelle 6 Zu Karte 9
ARBEITSTEILUNG DER GESCHLECHTER BEIM HACKBAU.
Anteil des Mannes Anteil der Frau
Nuba Feldarbeit 62. S. 102 Feldarbeit 62. S. 102
Schilluk roden, Feldarbeit 14. S. 86f.; 46. S. 34 Feldarbeit 14. S. 86f.; 46. S. 34
Nuer roden, Feldarbeit 14. 86f. Feldarbeit 14. S. 86 f.
Norddinka roden, Feldarbeit 14. S. 86f. Feldarbeit 14. S. 86f.
Süddinka — alle Feldarbeit 14. S. 86f.
Westdinka roden, Feldarbeit 6. S. 179 Feldarbeit 6. S. 179
Bari roden, Feldarbeit 14. S. 86f.; боа S. 537 Feldarbeit 14. S. 86f.; 60a. S. 537
Kuku roden, säen, ernten 4g. S. 169 Bodenarbeit, ernten 49. S. 169
8 Baessler-Archiv
HERMANN BAUMANN
I 14
Anteil des Mannes Anteil der Frau
Madi alle Feldarbeit 3. II. S. 29 fast keine Feldarbeit 3. II. S’ 29
Latuka roden, Feldarbeit 3. II. S. 190 jäten, ernten 3. II. S. 184
Alur roden, jäten, Bodenbearbeitung 144. 1908. jäten, ernten, säen 144. 1908. S. 123, 147
Lendu . S. 123 u. 147 roden, säen, hacken 7. S. 538 jäten, ernten, hacken 7. S. 538
Lugware hacken 132. Bd. 55. S. 452 ernten, Boden lockern 132. Bd. 55. S. 452
Logo roden, hacken 60a. S. 497 säen 60 a. S. 497
Kakwa Feldarbeit 60a. S. 537 Feldarbeit 60a. S. 537
Lango roden, jäten, hacken, ernten 164. S. 96! hilft jäten, ernten 164. S. 96f.
Kavirondo Feldarbeit (inkl. hacken) 111. II. S. 735 Feldarbeit 111. II. S. 735
Ruanda Feldarbeit (inkl. hacken) 60. S. 137 Feldarbeit 60. S. 137
Kiziba — Feldarbeit 59. S. 51
Burundi roden, Feldarbeit 61. S. 49 Feldarbeit 61. S. 49
Wasukuma Feldarbeit 38. S. 113 Feldarbeit 38. S. 113.
Graslandbabira roden, Bodenarbeit, ernten 7. S. 389 säen, ernten 7. S. 389
Waldbabira — Feldarbeit 60a. S. 334
Babira roden cit. 133. 1918. Nr. 83 jäten, ernten, stecken( ?) cit. 133. 1918.
Wanande roden 142. III. S. 278 Nr. 83 bebauen, ernten 142. III. S. 278
Warega roden 55. S. 127 bebauen, ernten 55. S. 128
Wasongola roden 144. 1909. S. 163 bebauen, ernten 144. 1909. S. 163
Mabudu roden 60a. S. 286 Feldarbeit 60a. S. 286
Momvu Feldarbeit 8a. I. S. 93; 144. 1906. S. 165; Feldarbeit 8a. I. S. 93; 144. 1906. S. 165;
132. 1896. S. 22 (keine Feldarbeit: 132. 1896. S. 22)
Ababua roden 50. S. 215, 217, 337; 42. S. 85 bebauen, pflanzen, ernten 30. S. 215, 217,
Balika-Ababua roden 60a. S. 275 337; 42. S. 85 Feldarbeit 60 a. S. 275
Wangilima roden und erste Bodenarbeit 120. VIII. übrige Feldarbeit 120. VIII. S. 344h
Maginza S. 344 h Feldarbeit 133. 1910. 68
Mangbetu roden 3. II. S. 454; 42. S. 61; 41. S. 253; Feldarbeit 3. II. 454; 42. S. 61; 41. S. 253;
60a. S. 127 60a. S. 127
Medje-Badyo — alle Feldarbeit боа. S. 119
Bapopoie roden 144. 1912. S. 154 Feldarbeit 144. 1912. S. 154
Azande (außer Avurngura) roden боа. 'S. 31; 42. S. 13!.; 1. S. 230!. Feldarbeit 60a. S. 31; 32. S. 13!.; 1. S. 230
Abandy a ,,la direction des cultures“ 144. 1895. Unterhaltung der kleinen Kulturen um die
S. 416 Hütte 144. 1895. S. 416
Nsakara — Feldarbeit (selten, da Sklaven) 2. I. S. 268
Bapoto roden 144. 1906. S. 16 Feldarbeiten, pflanzen 144. 1906. S. 16;
Banza Feldarbeit 113. S. 153 136. 1897. S. 128
Bwaka — Feldarbeit 137. XXL S. 43
Bangala roden 136. 1897. S. 243; 132. Bd. 39. Rodhilfe, Feldarbeit 132. Bd. 39. S. 128;
S. 128 156. 1897. S. 243
Mongo roden, Feldarbeit 131. 1895. S. 92 Feldarbeit 131. 1895. S. 92
Wangata roden, Tabak- u. Plantenbau 36. S. 29!. Feldarbeit 56. S. 29L
Alle Völker des Leopold II: See- u. Lukeniedistriktes. roden (am unteren Lukenie Zuckerrohr- alle übrige Feldarbeit 162. S. 56f¥.
Tofoke (pflanzung 162. S. 56ff. roden 130. 1911. S. 198 Feldarbeit 130. 1911. S. 198
Imoma — alle Feldarbeit 144. 1906. S. 440
Mpongwe — alle Feldarbeit (mit Sklaven) 161. S. 121
Bateke — alle Feldarbeit 138. V. S. 145
Bakota — Feldarbeit 161. S. 207
Wüte roden, hacken 137. S. iBf. säen, stecken, ernten 137. S. 18 f.
Pangwe roden 48. I. S. 87 Feldarbeit 48. I. S. 87
Mandja roden, Bodenarbeit, jäten, ernten 34. Bodenarbeit, jäten, säen 34. S. 2o6f.
Lakka S. 206 f. fast alle Feldarbeit 62. S. 166; 12g. Ergb. Hilfe bei Feldarbeit 62. S. 166; 12g. 9a. b.
9a. b. S. 119 S. 119
i.sg-i»£W! ^x^a;iBMi»i№№#ft.'<Mr'i!5S5|g5g arrnam
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
US
Anteil des Mannes Anteil der Frau
Mundang Feldarbeit 2. I. S. 148 Feldarbeit 2. I. S. 148
Bana Feldarbeit 123. II. 2. 87 Feldarbeit 123. II. 2. 87
Tunia-Sara Feldarbeit 23. S. 721 Feldarbeit 23. S. 721
Kirdi-Sara Feldarbeit 3g. S. 103 Feldarbeit 3g. S. 103
Buzeru — Feldarbeit 16. S. 179
Bayaka roden 132. Bd. 36. S. 42 Feldarbeit 132. Bd. 36. S. 42
Bakwese — Feldarbeit 132. 1907. S. 147
Kalunda — Feldarbeit (mit Sklaven) 38. S. 243
Bambala roden 132. Bd. 35. S. 405 Feldarbeit 132. Bd. 35. S. 405
Bahuana roden 132. Bd. 36. S. 281 Feldarbeit 132. Bd. 36. S. 281
Alle Völker im Kwango- Kuilu-Becken: Bambala Babunda
Bayaka Bapende Bahuana Bakwese >roden yi. S. 316 alle andere Feldarbeit yi. S. 316
Badinga roden 30a. S. 23 Feldarbeit 30a. S. 23
Lessa roden 144. 1909. S. 498!. 142. 1913. S. 197 bebauen, bepflanzen 144. 1909. S. 498 h;
142. 1913. S. 197
Bakuba roden u. Tabakernte 55. S. 152 bebauen usw. 33- S. 152
Bena-Lulua westlich des Lubi: keine Beteiligung; öst- bebauen usw. 30. S. 372; 142. I- S. 344
lieh des Lubi: hacken 30. S. 372
Basonge roden yi. S. 23 Rodhilfe, Feldarbeit yi. S. 34
Batetela roden yi. S. 89 Rodhilfe, Feldarbeit yi. S. 89
Bankutu roden yi. S. 179 alle Feldarbeit yi. S. 179
Basongo-Meno roden 33 —
Baluba-Hemba roden u. gröbere Feldarbeit 63. I. S. 205 eigentl. Feldarbeit 63. I. S. 205
Baholoholo roden u. Feldarbeit 64. S. 107 Feldarbeit 64. S. 107
Tabelle 7 Zu Karte 8
FORMEN DER FELDHACKE.
) K. T.: Krummhacke mit Tüllenblatt. K. E.: Krummhacke mit eingelassenem Blatt. G. E.: Geradhacke mit eingelassenem Blatt. K. A.: Krummhacke mit aufgebundenem Blatt. K.: Krummhacke. K. Holz; Hölzerne Krummhacke ohne Eisen. T.: Tülle.
Ein- Herkunft der Ein- Herkunft de
Stamm Art der heimische angezogenen Stamm Art der heimische angezogenen
Schäftung N ame Quelle Schäftung Name Quelle
Duala K.T. B.M. B.M. Dakka K. T. B.M.
Duala K.E. B.M. Durru K. T. „bano“ B.M.
Balom K. Holz B.M. Musnu K.T. B.M.
Bafo K. A. B.M. Massa K. E. B.M.
Indikki K.T.(?) „jongor“ B.M. Tuburi K.E. B.M.
Ngolo K.T. B.M. Mbum T.u.K.E. B.M.
Bassa T. B.M. Baya-Yangere . T. B.M.
Banyang K. „eno“ 123. Beih. VIII. Baya-Inforo ... T. B.M.
S. 10 Tikar K.T. ,akung“
Djukum G.E. „patenja“ B.M. Bali K.T. 12. S. 395
Djenn-Baibai .. K. T. B.M. Kunabembe . . . T. B.M.
Tschamba K.T. ,,bana“ B.M. Bomome T. B. M.
Werre K.T. „jischu“ B.M. Pangwe K. A. ,,ebäk“ 48. S. 86
Komai K. „bere“ B.M. Leopold II. See-
Matakam K.T. B.M. Lukenie.... G.E. 162. S.57
Marghi ) T. „ssala“ B.M. Bateke G.E. 138. V. S. 145
9 Eaessler-Archiv.
HERMANN BAUMANN
I 16
Stamm Alt der Schäftung Ein- heimische Name Herkunft der angezogenen Quelle Stamm Art der Schäftung Ein- heimische Name Herkunft der angezogenen Quelle
Baya K. 146. 1908. S. 92 Baholoholo; ... G. E. 64. S. 107
Sara K. ,,barda“ 21. S.254 Warna G. E. B. M.
Sara K. T. „bano“ 21. S. 234 Wasukuma .... G. E. ehe- 60. S. 137
Bwaka K.A. 137. XXE S. 43 mais K.A.
Bakango K. T. 77. S. 8c G E „ischuka“ 61. S. 49
Abar ambo ..... K.T. B. M. u. 60a. „igembe“
S. 127 Ruanda G. E. 60. S. 136; B.M.
Mongelima .... K.A. 120. 1913. S. 346 Bairo-Ankole . . G. E. in. II. S. 609
Ababua K. T. 60a. S. 273 Baganda K. A. 73. S. 427; 60.
Balika-Abab .. K. T. u. 60a. S. 275 S. 137
G. E. Baziba G. E. 49. S. 31 ; В. M.
Banyari G.E. 60 a. S. 299 Toro-Unyoro. .. K. A. 60. S. 137; 32.
Baamba G. E. u. 60a. S. 309 S. no
K. A. Washashi G. E.u. 58. S. 130
Grasbabira, K. A. 60a. S. 334; 7. К. Л.
Waldbabira S. 334- Marungu G. E. 68. Taf. X.
von Opessa .. Massanse G. E. 68. Taf. X
südl. Irumu.... G. E. B. M. ; 60 a. S. 334 Unyanyembe . .
Momvu G.E. B. M,;6oa. S.444 Wanyamwesi . G. E. 68. Taf. X
im Norden Karagwe G. E. 55
des Bomo- Usindja G. E. 55
kandi: K. Bakondjo G. E. B. M. ; 60a.'ü.'^bj
T. Alur K. T. „quere“ 144.1908. S.123
Manghetu T.; K. T. B. M. u. 60 a. Acholi K. A.( ?) 164. S. 85
S. 127 Akum (Umiro) . K. A,( ?) 164. S. 85
Badjo G. E. 142.III К А (?) 32. S. HO
Tofoke K. A.( ?) 130.1911. S. 198 К А 4.
Sungu-Batetela K. A. 71. S. 88 Dinka-Agheer. . G. E. „puhr“ B. M.
Nord-Bátetela . K. A. 71. S. 88 Bari G. E. 60a. S. 537
Bakuba G. E.ehe- 53- S. 152 K Holz 60a. S. 337
mals K. Lugware G. E. 132. Bd. 35.
Bena Lulua .. . G. E. 29. S. 277 S. 454
Basonge G. E. 65. Abb. 5 K. A. 60a. S. 537
Baluba Hemba. G. E. 63. S. 185
Tabelle 8 Zu Karte 7
DER SPATEN.
Manghetu Krücke-Tülle ? B. M. ; 76. XVII. 14.; 144.
1906. S. 164 neben „houe“
Azande „bêche cordifome“ 144. 1906. S. 164
Tschamba bäni Eisengriff B. M.
Dakka bäni; bandaka Eisengriff; Tülle u. Holzkrücke B. M.
Namdji bongle; furkale Dreizackschaft; Tülleu. Holz- B. M.
krücke
Durru Dreizackschaft; Tülleu. Holz- B. M.
krücke
Hina Eisengriff B. M.
Lakka Tülle u. Holzkrücke B. M.
Kaya-Baya Tülle u. Holzkrücke B. M.
Wüte efanoñg Handspaten B. M.
Pangwe Holzspaten 48. I. 86
Nördl. Stämme des Molundubezirks dübba als Wertmesser . 123. S. 264
ßagirmi korom; kos einf. u. Dreizackschaft 3Q. S. 282
Sara korom; kos einf. u. Dreizackschaft 39. S. 103 u. 282
Niellim-Sara múñatela; muña einf. u. Dreizackschaft 39. S. 282
Mandja Tülle u. Holzkrücke 54. Abb.
Gollo 9. S. 102
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU i i 7
Djur Tülle u. Holzkrücke 76. II. S. 20
Bongo loggoh melot Tülle u. Holzkrücke 76. VI. S. 5
Dinka zw. Djur u. Tondj 6. S. 179 14. S. 87
Süddinka Spaten ?
Bari ,,beche cordiforme“ 144. 1906. S. 137; боа. S.537
Logo kafu 2— 3 m langer Stiel боа. S. 497
Kakwa Tülle. Lange Stange боа. S. 537
Lango kwer 5—7 Fuß langes Holz, ange- 164. S. 85
Latuka bundenes Blatt Halbmondspaten 7. S. 233 u. 3. IL S. 190 32. S. но
Nord-Teso an langen Stock angebundenes
Kordofan ma/ot Spatenblatt Llalbmondspaten 4■
Madi Halbmondspaten 136. IV. S. 301. Abb.
Tabelle 9
Zu Karte 15
WESTAFRIKANISCHE ALKOHOLISCHE GETRÄNKE (FRUCHT- UND
PALMWEIN, MANIOKBIER).
B. = Bananenwein; P. = Palmwein (hauptsächlich Raphia, Elaeis); Z. = Zuckerrohrwein; M. == Maniokbier.
Mangbetu: В.; P. (besonders im S. des Bomokandi)
41. S. 171 f. 60a. S. 128.
Warumbi: В.; P. 120. IV. S. 610.
Badyo: В.; P. 142. III. S. 325.
Bapopoie: B. 144. 1911. S. 103.
Akare: P. 156. 1896. S. 504.
Abarambo: B. боа. S. 218.
Momvu: В.; P. 60a. S. 445; 8. I. S. 93 h
Ababua: В.; P. боа. S. 275; 50. S. 149.
Wangilima; В.; P.: 120. 1913. S. 346.
Balika-Ababua: В.; P. боа. S. 275.
Mabudu: В.; P. боа. S. 286.
Baamba: В. боа. S. 310.
Mabali: P. (Avakubi) 60a. S. 323.
Bakondjo: В. 60a. S. 366.
Nsakara: P. (bis Yakoma) 144. 1893. S. 40.
Rafai: Z. 23. S. 51.
Yakoma: P. 13p. XII. S. 80.
ÖstL. mittl. Shinko: P. 144. 1895. S. 531.
Mobaye: P. 23. S. 50.
Mono (Gobu): P. 156. 1897. S. 93.
Mbuaka-Lisongo-Mombe: P. 12g. Ergb. 9a. b. S. 113-
Bondjo: P. 116. S. и2.
Bomitaba: P. 141. 1922. S; 324.
Bayanzi-Bubangi: Z. 130. 1887. S. 11.
Bangala: P.; Z. 47. S. 115; 156. 1897. S. 231.
Bapoto: P. 144. 1906. S. 17.
Bumba-Gombe: P. 136. 1897. S. 234.
Leopoldsee-Lukeniedistrikt (zwischen Ba- j
teke und Kole am oberen Lukenie): I
P. (von Bateke bis Bankutu; besonders ( g
aber im Osten).
Z. (besonders im Westen; verschwindet I
östlich der Balese-Batete). 1
Balolo-Mongo: P.; Z.; B. (seltener) J5>'L5Ö- Щ7- S- l99-
Lessa: P.; Z. 144. 1909. S. 483.
Wangata: Z. 56. S. 13.
Lokele: P. 133. 1918. Nr. 83 (Reh).
Bamboli: P. 135. 1918. Nr. 83 (Reh)
Turumbu-Basoko: P. 163. S. 27!.
Wasongola: P. 144. 1909. S. 122.
Warega: B. (2 Sorten) 55. S. 83.
Bango-Bango-Wazimba: B. 136. 1902. S. 268.
Baluba-Hemba: P.; B.; M. (im N.) 63. I. S. 121h
Baluba: P.; Z. 144. 1905. S. 128.
Mayombe: P. Overbergh: Les Mayombe 1907. S. 119h
Bakongo: P. 130. 1887. S. 5.
Bateke: P. (im N.) 161. S. 233; 146. 1910. S. 35.
Badinga: P. 30a. S. 23.
Banfungunu: Z. 142. I. S. 90.
Bakwese: P. 71. S. 310; 132. 1907. S. 48.
Bambala: P. 71. S. 309.
Bapende: P. 71. S. 310.
Bayaka: P. 71. S. 310; 132. Bd. 36. S. 42.
Bahuana: P. 71. S. 310; 132. Bd. 36. S. 279.
Babunda: P. pr. S. 309.
Balua-Mussumba (Kalunda): P. 38. S. 244.
Bakuba: P. 53■ S. 138.
Basongo-Meno: P. 53. S. 275.
Bankutu: P. 71. S. 176.
Basonge: P. (aus W. importiert) 71. S. 31. 133. 1910.
(Torday).
Aduma: P. 161. S. 186.
Orungu; P. 161. S. 139.
Pangwe: Z. (südliche Pangwe); P.; B. (nördliche Pangwe
48. S. 163.
Misanga u. S. 0. Ndzimu: P. 123. 1913. S. 267.
Pomo-Bumali: P. 13g. 1910. S. 13.
Waldland von Kamerun bis Grenze von Südadamaua;
P. 117 (Kamerun) S. 483.
Bakwiri: P. Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonial-
wirtschaft. 1902. S. 57.
Banyangi: P. 123. Beiheft VIII. S. 30.
Bali: P. u. a. 117 (Kamerun) S. 594.
Baya; P. (selten); M. (Hauptgetränk) 70. S. 10.
Alur: B. (selten) 144. 1908. S. 58. 67.
Baganda: B. m. II. S. 673.
Bahima-Ankole: B. 111. II. S. 120.
Barundi: B. 61. S. 61.
Banyaruanda; B. 60. S. 149.
9
l 18 HERMANN BAUMANN
Tabelle 10 Zu Karte 14
GETREIDEBIERE UND MISCHGETRÄNKE.
H.: = Hirsebiere (Sorgho, ,,Durra“, „Mtama“; Duchn, Penicillaria). — Ms.: = Maisbier. — E.: = Eleusinebier.
— Ms. Mk.; = Mais-Maniokbier. — H. Ms.: = Elirse-Maisbier. — H. B.: = Hirse-Bananenbier. — H. Mk.:
= Hirse-Maniok.
Mangbetu besonders E. seltener Ms. (nach боа. S. 128,
nur nördlich des Bomokandi). 41. S. 17 f.
Bangba: E. 40. S. 210.
Momvu: E. 40. S. 210.
Ababua: Ms. 50. S. 149.
Akare: Ms.; H. 136. 1896. S. 504.
Abarambo: E. 60 a. S. 218.
Zwischen Kongo u. Mongala: Ms. (selten) 19. S. 48.
Banza: Ms. 112. S. 361.
Yakoma: H. ijy. 12. S. 80.
Banziri: Ms. 23. S. 50.
Nsakara: Ms.; H. 156. 1904. S. 414; 152. 1896. S. 133;
144. 1893. S. 40.
Abandya: Ms.; H. 144. 1895. S. 417.
Azande: H.; E (hauptsächlich) 40. S. 211. боа. S. 29.
Mongo: Ms. (wohl selten) 136. 1897. S. 199.
Babuiu-Manyema: H. 136. 1902. S. 268.
Baholoholo; H. 64. S. 63.
Baluba-Hemba: Ms. Mk.; E. 63. I. S. I2if.
Baluba; Ms.; H. 144. 1905. S. 128.
Basonge: Ms.; EL; Mk. Ms. yi. S.31; 133. 1910 (Torday);
65. S. 141.
Balua-Balunda: H. 38. S. 244.
Banfungunu: Ms. 142. I. S. 90.
Bateke: Ms. 161. S. 218.
Achicuya: Ms. 161. S. 233.
Sudanstämme des Molundubezirks: Ms. 123. 1913. S. 264.
ßesom: Ms. 123. 1913. S. 264.
Wüte: H.; Ms. (selten) тзу. S. 24.
Baya: Ms. 70. S. 10.
Mandja: H. Ms.; H. Mk. 34. S. 143.
Ndellebanda: E. 23. S. 218.
Banda: H. 23. S. 50.
Kredsch: H. 9. S. 206.
West-Kredsch: H. 136. 1896. S. 283.
Lakka: H. 62. S. 166; 129. Bd. 33. S. 66.
Sara: H. 23. S. 50, S. 720!.
Mali-Sara (westl. Irosee); H. 23. S. 288.
Tunia-Sara: H. (Sorgho u. seltener Penicillaria) 23. S. 722.
Mundang: H. 62. S. 148.
Bana: H. 123. II. 2. S. 88.
Bagirmi-Wadai: H. 114. S. 132.
Latuka: H. 3. II. S. 196.
Kuku: E.; H. 49. S. 89; 142. I. S. 164.
Schuh: E. 3. II. S. 136.
Alur: E.; H.; Ms. 144. 1908. S. 67.
Kavirondo: E. m. II. S. 737.
Schilluk: H. 46. S. 34.
Kakwa u. Bari: H. боа. S. 537.
Bari: H. Hartmann: Nilländer S. 134.
Lendu: E. 144. 1908. S. 56.
Logo: E.; H. 60a. S. 498.
Bongo: H. j. II. Aufl. S. 95.
Nuba: H. 62. S. 115.
Banyoro: E. m. II. S. 586.
Bahima-Ankole: H.; E. 111. II. S. 120.
Karagwe: H. 38. S. 36.
Basindja: H. B.: 38. S. 79.
Wasukuma: H. 38. S. 104.
Waschaschi: H. 38. S. 129.
Barundi: H. В.; H. 61. S. 60f.
Waha: H. 61. S. 60f.
Banyaruanda: H.; E.; H. B. 60. S. 149.
Tabelle 11 Zu Karte 1 8
DIE BOGENBESEHNUNG.
Proben. = Frobenius: Ergänzungsband Peterm. Mitt. 35. L. V. M. = Leipziger Völkermuseum.
a) Die Schlingbesehnung.
Azande: Proben.
Djabir (Abandya): Proben.
Rajai (Abandya): Proben.
Shere: В. M.
Bongo: Proben.
Abaka: Proben.
Madi: Proben.
Alur: 7.
Nordlendu u. Lendu: В. M. u. 7.
Wahoko (am Semliki): 7.
Wawamba (Baamba); 7.
Waldwawira: 7.
Wasongora: 7.
Wakondjo: В. M.
Butembo (Westkivu): Proben.
Bakumu: 101.
Tofoke: 142. I. 357f.
Bandakka (Nordost-Mabali): L. V. M. u. В. M.
Watenga-Ituri; L. V. M.
Mawambi (am Ituri): L. V. M.
Mabudu: L. V. M. u. В. M.
Ituripygmäen L. V. M. u. В. M.
Bambuba: В. M.
Mombutu: В. M.
Momvu: В. M.
Baiesse: В. M.
Mangbetu: В. M.
Medje: В. M.
Barumbi: В. M.
Ababua: В. M.
Batwa v. Kivusee: В. M.
Banza: Froben.
Banziri-Buzeru: Froben.
Mandja: 34. u. В. M.
Batetela: yi. S. 146.
Akela; yi. S. 196.
Bakuba: В. M.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
I 19
Basonge: yi. S. 38. B. M.
Watabwa: B. M.
Wabudschwe: B. M.
Mikebue (Südmanyema): B. M.
Manyema: B. M.
Kole: (Lukenye): Froben.
Lomelafiuß (Mongo?): Froben.
Tschuapaquelle u. Tschuapabapoto: Froben. u. B. M.
Yanga am Lomami: Froben.
Bahuana: 132. 1906. (Torday).
Bambala: 132. 1905. (Torday).
Bayaka u. „Kuango“: B. M.
Imbangala (Kuango): B. M.
Bankutu: yi. S. 181.
Wangilima: 120. Bd. VIII. S. 351.
Katako-Kombe: Froben.
b) Frontalbesehnung (z. T. mit Öhr an einem Ende)
Nsakara (Wango): B. M.
Graslandwawira: 7.
Bambuba; B. M.
Wambutipygmäen: B. M.
Walegga (S. 0. Lendu): 7.
Wawitu-Wahuma: 7.
Wanande (Bakondjo): L. V. M.
Butembo (Westkivu): B. M.
Batwa v. Urundi: B. M.
Mogwandi: 20. Taf.
Abongo: B. M.
Nola (oberer Sangha): B. M.
Jaunde: Froben.
„Mobeka“: 77.
Bateke-„Anziken“: Froben.
Loango (Bavili); Froben.
Wangata; Froben.
Nördl. des Tumbasees: Froben.
Bapoto-Batua: 33.
Tofoke: X42. I. S. 357.
Bahamba (Nord-Bátetela): yi. S. 142.
c) Öhrbesehnung.
Maka; B. M.
Baya: B. M.
Tikar: 31. Abb.
Wüte (Mango): В. M.
Banyo 1
Tibati ( Südadamaua; В. M.
Südbamum: В. M.
Muntschi: В. M.
Lam (Mundang-Lakka) : В. M.
Tschamba: В. M.
Namdschi; В. M.
Durru: В. M.
Tengelin (Tangala) : xy.
Mundang; В. M.
Fulla von Adamaua: xy.
d) Wickelbesehnung.
Bari: В. M.
Nuer: В. M.
Mundu ( ?) : 101.
Idio: 101.
Logo: В. M.
Ruanda: В. M.
Mpororo; В. M.
Waziba: В. M.
Wasindja: В. M.
Wavinza: В. M.
Karagwe: В. M.
Burundi: В. M.
Bapoto (mittl. Kongo) : В. M.
Tofoke: 142. I. S. 357f.
Balolo: Froben. u. В. M.
Baringa: В. M.
Inkundo: В. M.
Basongo-Meno : Froben.
Musserà (Bussira): В. M.
„Lulongo-Ruki“ : 77.
Imbangala (am Kuango) В. M.
Bateke; 101.
Marghi: В. M.
Makari (Adamaua): В. M.
Tabelle 12
DIE PFEILBEFIEDERUNG.
i. Keine Flugsicherung.
Azande: 6. S. 177 u. 216.
Nsakara: В. M.
Shere: В. M.
Bongo: В. M.
Mittu: В. M.
Abaka: В. M.
Bari; 60a. S. 536 u. В. M.
Alur: 7. S. 434. u. В. M.
Madi: 60a. S. 526.
Kalika; В. M.
Mundu: В. M.
Kredsch: 6. S. 177, 216.
Banza; 136. 1896. S. 356; 116 u. 20.
Bwaka: В. M,
Mandja: 34. Taf. II; В. M.
Baya: В. M.
Wüte; В. М.
Tibati; В. М.
Ngobu-Banda: 20. Taf. но. u. S. 107.
Ndri-Banda: 18. S. 57.
Ngapu-Banda; 16. S. 305.
Nduka-Banda: 16. S. 305.
Mundang: В. M.
Dama: В. M.
Tschamba: В. M.
Tengelin (Tagale): В. M.
Falli: В. М.
Mattafall и. Mandaragebirge В. М,
Bokko-Namdji: В. М,
Zu Karte 23
I 20
HERMANN BAUMANN
Talli-Yangere: В. М.
Yangere: В. М.
Bonduru (Mandja): 116. S. 133. à
Babira: В. M.
Yanga am Lomami: В. M.
Bapoto am Tschuapa: В. M.
Мака: В. M.
Adamauastàmme: В. M.
2. Beblattung.
Bambuba: В. M.
Mombutu: В. М.
Momvu: В. М.
Bapopoie: 144. 1912. S. 199.
Barumbi: В. М.
Madyo: В. М.
Mabali-Bandaka; В. М.
Mabudu-Banyai: В. М.
Bakondjo; В. М.
Bakumu: В. М.
Babira: боа. S..342. В. М.
Bakale (Bakelle) : В. М.
Mogwandi: 20.
Nola (am Sangha) : В. M.
Leopold И-See; 256. 1896. S. 149.
Tofoke: 142. I. S. 358.
Bapotopygmàen : В. M.
Batetela: yi. S. 146.
Bankutu: yi. S. 181.
Bangongo-Bakuba: 33. S. 196:.
Basonge: yi. S. 38; В. M.
Uyungu (Westkivu): 23.
3. Felliiederung.
Grasbabira (Lendueinf luio) : 60a. S. 342.
Lendu : В. M.
Logge: В. M.
Tabelle 13
DIE BEFESTIGUNG
1. Eingelassene Eisenspitze.
Azande: 6. S. 177. S. 216.
Shere: В. M.
Bongo: В. M.
Mittu: В. M.
Abaka: В. M.
Bari; боа. S. 536 u. В. M.
Alur; В. M.
Lendu: В. M.
Madi; боа. S. 526.
Kalika: В. M.
Mundu: В. M.
Manghetu: В. M.
Balesse-Wasesi: В. M.
Waldbabira: боа. S. 342.
Ngobu-Banda: 20. Taf. 110. S. 107.
Bwaka: В. M.
Мака: В. M.
Nordadamauastämme; В. M.
Вауа: В. М.
Mandja: В. М.
S. O. Balesse: B. M.
Mangbetu: B. M.
4. Radíale Bügelfiederung.
Baluba-Baschilange: B. M.
Baluba-Warua: B. M.
Baluba-Watabwa: B. M.
Wabudschwe: B. M.
Basonge: B. M.
Batetela; yi. (Abb.).
5. Radíale Bundfiederung.
Wangelina: 120. VIII. S. 354.
Bapoto: B. M.
Mongo; B. M.
Ngombe v. Tumbasee: B. M.
Inkundo: B. M.
Leopold II. See: B. M.
Batetela: yi. S. 151.
Bankutu: yi. S. 181; B. M.
Akela; 71. S. 196.
Tofoke: 142. I. S. 358.
Bayaka: B. M.
Bahuana; 132. 1906.
Barundi-Waha: B. M.
Banyaruanda: B. M.
Baziba: 58. S. 60.
Basindja: 38. S. 87, mff.
Wasukuma; 38. S. 87, mff.
Washashi: 38. S. 87, mff.
Basongo-Meno: B. M.
Bakuba-Bakongo: B. M.; 33. S. 196.
6. Tangentialfiederung.
Watwa (Ruanda): B. M.
Basongo-Meno: B. M.
Batetela: yi. S. 151.
Zu Karte 11
DER PFEILSPITZE.
Ndri-Banda; 18. S. 57.
Ngapu-Banda: j6. S. 305.
Kredsch-Banda: 6. S. 177. S. 216.
Bakondjo: В. M.
Babira: В. M.
Baziba: В. M.
Banyaruanda: В. M.
Burundi; В. M.
Waha; В. M.
Karagwe: В. M.
Watwa v. Ruanda u. Urundi: В. M.
Balubaländer : В. M.
Bayaka: В. M.
Basonge: yi. S. 38 u. В. M.
Batetela: yi. S. 151.
Akela: yi. S. 196.
Bapotopygmäen ; В. M.
2, Eingelassene Holzspitze.
Nsakara; В. M.
Bunyabungu I 23.
TT Westkivu:
Uyungu 23.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGEL TU
I 2 I
Bari: B. M.
Baya: B. M.
Maka: B. M.
Bayaka: B. M.
Osti. Baluba; B. M.
Basonge: B. M.
Batetela: yi. S. 146.
3. Aufgetüllte Eisenspitze.
Mombutu : B. M.
Momvu: B. M.
Bambuba: B. M.
Bakondjo : B. M.
Bakumu: B. M.
Mabali-Bandaka: B. M.
Mabudu: B. M.
Badyo: B. M.
Babira: (Grasbabira 60a. S. 342) B. M.
Wangelima: 120. Vili. S. 354.
Bapoto: B. M.
Mongo: B. M.
Kundu: B. M.
Wangata; 56.
Basongo-Meno-Bankutu : B. M.
Bakuba: B. M.
Bakuba-Bakongo: B. M.
Bahuana: 132. 1906.
4. Pfeilschaft und Pfeilspitze aus einem Stück.
Mombuttu: B. M.
Momvu: B. M.
Bambuba: B. M.
Barumbi: B. M.
Bakondjo: B. M.
Babira: B. M.
Bakumu: B. M.
Wasongola: 144. 1909. (Delhaise).
Tofoke: 142. I. S. 358.
Yanga am Lomami: 132. 1899.
Abarambo; 113. S. 143.
Banza: 20 u. 116.
Bwaka: B. M.
Nduka-Banda; 16. S. 305.
Nola am Sangha: B. M.
Aumbo: 146. 1883. S. 560.
Bakale: B. M.
Bakuba: 33. S. 196.
Basongo-Meno: 33. S. 283!.
Bankutu: yi. S. 181.
Batetela: yi. S. 146.
Basonge: yi. S. 38.
Tabelle 14
Zu Karte 25
SCHILDFORMEN.
1. Der Geflechtsschild,
a) ovale Form.
Bali: B. M.
Dzukum (Djukum): B. M.
Namdji: B. M.
Bafia: B. M.
Lakka: B. M.
Baya: B. M.
Forra (Baya): B. M.
„Kadei“ (Baya ?) : B. M.
„Mambere“ (Baya?): B. M.
Yangere; B. M.
Maka: B. M.
Sara: 18. S. 175.
Mandja: 34. Abb.
Banda : B. M.
Ndri (Banda); 18. S. 58- Abb. S. 47-
Languassi (Banda): 16. S. 228.
Togbo (Banda); j6. S. 344-
Ndakua (Banda): 16. S. 344.
Ngapu (Banda): 16. S. 344.
Dakpa : J B el: La rég. civ. d. Haut-Chari S. 170.
Ngama: | J
Mbre (Banda): 114. Abb. 45.
Sabanga; (Banda) 114. Abb. 102.
Banziri: 18. S. 32; 144. Bd. 17. S. l6f.
Banza; 156. 1898. S. 376.
Ngobu: 136. 1896. S. 354.
Yakoma: I3y. XII. S. 83.
Bubu: JJ7- XII. S. 83.
Mogwandi: B. M.
Sango: 144. Bd. 17. S. i6f.
Gembele: 144. Bd. 17. S. i6f.
Bongo (Mogwandi): 144. Bd. 17. S. 16f.
Nsakara: 150. Bd. 10. 1904. S. 73.
Azande: B. M.
Idio: B. M.
Bwaka: i3y. 1910. S. 46.
Akare: 30 (s. Text).
Bangala-Boloki: B. M.
Mukumbi (Bangala ?): B. M.
Ureki: B. M.
Ikassa (Bapoto ?): B. M.
Ikenghe (unterer Tschuapa): B. M.
Bokote: (Wangata) B. M.
Wangata: ig. S. 17.
Ituka (hinter Irebu): 26.
Bapoto: B. M.
Munongiri (Bapoto): 130. 1887 (Baumann).
Maginza: 116. S. 119.
Wakuna (Lokele ?): B. M.
Basoko: B. M.
Unterlauf d. Tschuapa: 33.
Bubangi (ßayanzi): 18. S. 24.
Baloi: B. M.
| Oberer Lukenye: B. M.
Basongo-Meno: 33. (s. Text).
Bakuba: 33. (s. Text).
Bateke; 138. V. S. 156.
Umbete (Bambete): 138. V. S. 156.
Ombamba (Babamba): 138. V. S. 156; 31. S. 290.
Avanji: 138. V. S. 156.
Ondumbo: 97. S. 10. Abb. 59.
Bakota; 31. S. 290.
Okande; B. M.
I 2 2
HERMANN BAUMANN
Fang a. Ogowe: 31. S. 82.
Bamboshi; 143. 1904. S. 178.
Logo; 5. III. S. 69.
Momvu; 5. III. S. 71; u.86 Abb. 163 c.
Wahunde (West-Kivu): 23.
b) rechteckige Formen.
Lendu: В. M.
Bakondjo; В. M.
Bambuba: В. M.
Uyungu (West-Kivu): В. M.
Grasbabira (Lenduform): 60a. S. 342.
c) runde Formen.
Bambuba: В. M.
Bahoko (am Semliki): В. M.
d) verschiedene Formen.
Musgu: В. M.
Kavirondo; В. M.
Shilluk: В. M.
2. Der Holzplankenschild.
Manghetu: s. Text.
Amadi: s. Text.
Abarambo: s. Text.
Ababua: s. Text.
Momvu (Mangbetuform): 60a. S. 430.
Balika-Ababua (Mangbetuform): 60a. S. 278.
Mabode-Mabudu: a. Text.
jBapopoie: s. Text.
Wasongola: s. Text.
Warega: s. Text.
Barundi: В. M.; 61.
Banyaruanda: В. M.; 60.
Waha: В. M.
Bakerewe: В. M.
Wasindja: В. M.
Butembo (Westkivu): 13. S. 258.
Lukereu (?) (Aruwimi): 130. 1887. S. 21.
Imoma: 144. 1906. S. 444.
Lusakke; 33.
Ikelemba-Busira (Mongo ?): B. M. (Nachahmung des
Bangalageflechtschildes).
Akela: 71. S. 196.
Maka: B. M.
Bumbum; B. M.
Baya: B. M.
Kara (Baya): B. M.
3. Überflochtener Holzplankenschild.
Bakuba (Buschongo): 33. S. 215.
Baluba-Baschilange: B. M.
Manyema: B. M.
Kinyamamba: 134. VII. Stuhlmann.
Wanyabungu (West-Kivu): B. M.
Westkivu Völker: 23.
Barundi: 23.
Banyaruanda: B. M.
Karagwe: B. M.
Bakondjo: B. M.
Basiba: B. M.
Baganda: B. M.
Basoga: B. M.
4. Überflochtener Holzlattenschild.
Lendu (abgewandelt): B. M.
Mabudu: B. M.
Mabali: B. M.
Wangilima; B. M.
Barumbi: 134. VII. (Stuhlmann).
Ababua; B. M. u. Abb. bei Michiels: „Notre Colonie“.
S. 73-
Lokele-Wakuna: B. M.
Tofoke: 130. Bd. 41. S. 202 u. B. M.
Imballa: B. M.
Batetela: 71. S. 152.
Basonge: B. M.
Baschilange (B. Lulua): B. M.
Warna: B. M.
Wabudschwe: B. M.
Wasi-Malungu; B. M.
Tabelle 15
Bagirmi: В. M.
Süd-Bagirmi: В. M.
Musgu : В. M.
Kung; В. M.
Ssugur; В. M.
Falli: В. M.
Gamergu: В. M.
Muffu: В. М.
Tuburi: 137: XXIV. 1913. S. 688.
Kusseri (Kotoko) : В. M.
Hidji: В. M.
Marghi: В. М.
Namdji: В. М.
Durru: В. М.
Dekka (Dakka) : В. М,
Zu Karte 24
DAS WERFMESSER.
Matakam: В. M.
Banyo: В. M.
Ngaundere: В. М.
Sara-Lakka; 146: 1912. S. 40.
Miltu-Sara: В. M.
Tummok-Sara: 18.
Gaben-Sara: 18.
Mandja: 18; 34. S. 473.
Dakpa-Ngama: 130: Bruel: La rég. civile S. 170.
sdì. von Gasa (Baya ?) : В. M.
Baya; В. M.
Кауа-Вауа: В. М.
Mbum: В. М.
Yangere: В. М.
Banda; 43. S. 130.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
123
Togbo-Ndri (Banda): 18.
Ngapu-Dakua (Banda): 16. S. 304!.
Bubu: 144. 17. S. 29; 151. 1894. S. 139.
Wattet-Bongo (Mogwandi): 144. 17. S. i6f.
Buzeru; 16. S. 305.
Yakoma; B. M.
Baba (Banda): B. M.
Banziri: B. M.
Ngombe (Ubangi): B. M.
Mogwandi; ig.
Bondjo: B. M.
Mbwaka (Bwaka): 137. 1910. S. 45: B. M.
Dorf Monga (Abandya) : B. M.
Ngiri: B. M.
Mobali: (am Dua) B. M.
Marundscha: 130. 1887. (Abb.)
Banza: ig. 73.
Nördl. Mobali: ig. 55.
Nsakara; 144. 17. S. 29; 130. 1904. S. 73; B. M.
Azande: B. M.
Idio: B. M.
Bombassa: B. M.
Pomo-Bumali; 13g. I. 1910. S. 30.
Nsimu; B. M.
Bomome: B. M.
Mesima (Mensime): B. M.
Nyem (Holznachahmung): B. M.
Maka (Holznachahmung): B. M.
Kaka: B. M.
Bangandu: B. M.
Bakota: B. M.
Bakuelle: 12g. Ergb. 9a. b. S. 91.
Kunabembe: 12g. Ergb. 9a. b. S. 91.
Essel (Ndzimu): 12g. Ergb. 9a. b. S. 91.
Pangwe: 12g. Ergb. 9a. b. S. 91.
Mpongwe: B. M.
Akelle (Bakelle); B. M.
Aduma: B. M.
Fundsch (Senaar): B. M.
Bertat (Senaar): 132. XXX. S. 52.
Darfor: B. M.
Bankutu: 71.
Basongo-Meno: 33.
Bakuba: 33.
Bali; mündl. Mittig. Prof. B. Ankermanns.
Säbelmesser.
Azande: 76. XII. Fig. 15; B. M.
Idio:
Nsakara:
Sango:
Mogwandi:
Mongalafiuß:
Mobali (Ubangi-Dua):
Bapoto:
Bangala:
Yambinga (mittl. Kongo):
„Wasongolo“ (Stanleyfälle):
Ababua:
Wangelima:
Bapopoie: 144. 1912. (Dclhaise).
Basoko: 144. 1891. S. 113.
Ndri-Banda: 18. S. 47.
Togbo-Banda: 18. S. 47.
Mandja; 18. S. 47.
Sabanga: 114. S. 226. Abb. 102.
Baya; B. M.
„Forra“ (östl. Ngaundere); B. M.
Yangere: B. M.
> B. M.
Tabelle 16
Zu Karte 27
I. ZYLINDRISCHE SCHLITZTROMMEL.
a) mit einfachem langem Schlitz.
Azande: gg. S. 15.
Manghetu: gg. S. 15.
Bapopoie: 144. 1912. S. 184E „mongungu“.
Ababua: 30. S. 441; 99- S. 15-
Wangilima: B. M.; gg. S. 15 ’,2a. Abb. S. 446.
Basoko: 78. PL XCV.
Tofoke: gg. S. 15; 130. 1911. S. 193. Abb. 3.
Akela: gg. S. 15; 133. 1910 S. 38.
Okale-Batetela: 71. S. 63.
Basongo-Meno; 33. S. 269.
Basonge: gg. S. 15.
Bayaka: gg. S. 14.
Bayansi: gg. S. 14.
Wangata: gg. S. 14.
Ikoko: 78. PI. XLVI.
Bangala: gg. S. 15.
Mogwandi: gg. S. 15.
Sango: gg. S. 15.
Banziri: 114. Fig. 62.
Munongiri: 130. 1887. S. 20.
Loango: B. M.
b) mit hantelförmigem Schlitz.
□ oder o—O
Baholoholo: 64. S. 421. „Kiondo“.
Manyema: 68. Taf. 9 „Kikomfi“
Bakussu: 7. S. 592.
Batetela: 71. S. 59.
Basonge-Batempa; gg. S. 14.
Baluba: gg. S. 14.
Kanioka: gg. S. 14.
Bakete: gg. S. 14.
Bakuba: gg. S. 14.
Bayaka; gg. S. 14 u. B. M.
Bakongo; gg. S. 14.
Bayanzi: gg. S. 14.
Wangata: gg. S. 14; 56. S. 90E „lokole“.
Bussira; 14g. (I. 11) PI. V. 109 „lokole“.
Ndzimu: B. M.
Pangwe: 48. S. 323 „nku“.
Tikar: 31. „ekalo“.
Dualla: B. M. \
Bakwiri: B. M. (
Bakundu: B. M. S'a-i25- W01-
Bassa: B. M. I
„Mpangwe“ (Gabun); B. M.
!2\ HERMANN BAUMANN
Tabelle 17 Zu Karte 28
II. KEILTROMMEL.
a) Tiertrommel (ohne und mit Kopf).
Azande: u. a. 76. XE 8; боа. S. 39E; 5. III. S. 42,
„gugguh“’
Idio: 4. S. 131.
Mangbetu: 76. XVI. 10. u. В. M. ; 60 a. S. 146.
Abarambo: 99. S. 12. Fig. 6.
Ababua: 50. S. 445; 148. X. S. 365; 60a. S. 278
(Balika).
Banda: jo. S. 177.
Mandja: 54. S. 239E 372. „duku“.
„Baya“ (od. osti. Jangere): В. M.
Bwaka; ijy. XXL S. 48. Abb. ; 136. III. 1896. S. 270
(Zongo).
Baloi: 79. III. S. 122. Abb.
Bangala: 14g I. I. 1. V. 116; y8. pi. LXI; 132. XL.
S. 403 „mokoto“.
Mabali; 60a. S. 325 (Avakubi).
Mabudu: 60a. S. 291.
Banyari: боа. S. 301 (bei Manzali; sonst bei keinem
Nachbarstamm).
b) Schinguvo.
Sango: 114. Fig. 61. 73.
Kundu : 99. S. 15.
Losakani: 99. S. 15.
Mongo: 99. S. 15.
Banziri: 16. S. 221.
Baloi; 16. S. 150.
Tofoke; 99. S. 15.
Bamboli: 99. S. 15.
„Ponthierville“ ; y8. PI. CXXVII.
Bakumu; 99. S. 15.
Bamanga: y8. PI. CXVIII.
Mombuttu: 60a. S. 448 (Form umgekehrt; veraltet).
Mangbetu: 99. S. 15 u. В. M.
Wasongola: 144. 1909. S. 184 „lokombe; 99. S. 15.
Wagenia: 26.
Warega: 55. S. 273 „lokombe“; 99. S. 15.
Wakussu: 99. S. 15; 3. S. 592. Abb.
Basonge-Batempa: 99. S. 15.
Basonge: 65. S. 361 „modimba“; yi. S. 18.
Batetela: 133. 1910; yi. S. 57.
Manyema: 68. Taf. 9.
„Bankutshu“: 99. S. 15.
Baluba-Hemba: 63. S. 685 „mulimba“ od. „Nkumoi“.
Baholoholo; 64. S. 421 „mulimba“.
Warua: В. M.
Kalunda-Kazembe: 92. S. 174 „chincufo“ n. Gamitto.
Mussumba (Lunda): 92. S. 173 „schinguwo“ „ginguva“.
Vatschivoque: 92. S. 173; y8. CXXVII.
c) Gongtrommel.
Bakuba: В. M.
Mangbetu: уб. XVII. Fig. 16; 2. II. Abb. 69.
d) Mangbetuform.
Mangbetu: 2. II. Abb. 79 u. В. M.; 60a. S. 146.
Wabudu: В. M. u. боа. S. 291.
Badjo: 142. III. PI. XXVII.
Moero-See: 99. S. 15. s. a. 148. I. I. S. VI. 122. 121.
Balika: боа. S. 278.
Azande: боа. S. 39f.
Tabelle 18
Zu Karte 26
III. GLOCKEN.
a) Doppelglocke a. Eisen.
Azande: уб. XIV. 8.
Mobenge (Ababua): 142. I. S. 501 „gonga“ auch als Geld.
Mogwandi; 43. Abb. 14. 18. 19. Nachbildung a. Früchten.
Banziri: 16. Abb. 77. (5).
Bwaka: В. M. u. i3y. XXL S. 47F Abb.
Bangala: 14g. I. I. 1. X.
Baya: ly. S. 454.
Мака: В. M.
Nyem; В. M.
Ndzimu: В. М.
Misanga; 123. 1913. S. гут,.
Bomome: В. М.
Kunabembe: В. М.
Mbum: В. М.
Wüte: В. М.
Tikar: 51. S. 126.
Bamum: 51. S. 126.
Bangwa: В. M.
Bali: В. М.
Ekoi; В. М.
Dzukum: В. М.
Tschamba: В. М.
Werre: B. M.
Bafioti (Bavili); B. M.
Bakongo: B. M.
„Kongo Catarakte“: 14g. I. I. 1. X.
Bateke: 113. S. 82.
Alimastämme: 143. 1908. S. 656.
Westl. Bakuba: 53. S. 100.
Lunda: B. M. „Rubembe, Lubembe“.
Basonge: 65. S. 363. „Lubembo“.
Baluba-Hemba: 63. S. 686. „Lubembo“.
Batetela: yi. S. 59.
b) Handglocke a. Eisen od. Holz.
Azande: 5. III. S. 206. Eisen.
Mongalla: 14g. I. I. 1. X. 175.
Sango: 14g. I. I. 1. X. 176.
Bwaka: JJ7. XXL S. 48.
Marundscha: 130. 1887. S. 14. (Holz).
Bangombe (Ibundi-Bussera): B. M.
Bapoto: 79. III. S. 114. Abb. 137; 14g I. I. 1. X. 177.
Alimastämme: 143. 1908. S. 656.
Bakongo-Bakuba: 33. S. 100.
Bashilele-Bakuba: 33. S. 100.
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
125
Westl. u. östl. Bakuba: 33. S. 100.
Bapopoie: 144. 1912. S. 184. „Namalanga“.
Warega: 55. S. 273. „Kansilemba“.
Baluba: 112. II. Abb.
Banschaka (Osaka); 31. S. 301.
Namdji; В. M. Eisen „sumle“.
Bátetela: 71. S. 59.
c) Handschellen.
Azande: B. M. u. 14g. (I. 1.1.) II. 47— 52 (Rafai). 3 Schellen.
Nsakara: 2. I. Abb. 186. 1 Schelle.
Mongalla: 77. PI. 186. (5). 2 Schellen.
Bangala: 145. X. 1886. PI. 3. Fig. 12; 14g. (I. I. I.) II. 49-
Baringa: B. M. 1 Schelle.
Busindi-Bayanzi: B. M.
Tabelle 19 Zu Karte 29
a) Konische Trommeln mit
Gasua (Unter-Mbomu): В. M.
Mangbetu: 2. II. Bd. S. 73.
Bapopoie; 144. 1912. S. 184!. „abita“.
Azande: 131. 1895. Abb.
Bongo (a. Such): 1 a. S. 457. Abb. „Kibbi“.
Moru: 5. I. S. 425 Abb.
Bari: В. M.
Bari-Schir: В. M.
Dinka: 76. I. 1.
Alur: 144. 1908. S. 127.
Banyoro: В. M.
Baganda: В. M.
Baziba: В. M.
Wasukuma: В. M.
Wafipa: В. M.
Wanande: В. M.
Bakondjo: В. M. u. 60a. S. 382 f.
Wahoko-Bambuba: 7. S. 418 (Abb.); 60a. S. 458.
Bagwema-Wasongora: 7. S. 552 (Abb.).
Momvu: В. M. „Kudre“; 60a. S. 434.
Logo: В. M.; 60a. S. 504.
Mabudu: 60a. S. 291.
Bakumu; 14g. VII. 135. 137.
Lulustämme: 14g. VII. 134. 132.
Basoko: В. M.
Wasongola: 144. 1909. S. 183. „ngoma“.
Warega: 55. S. 272!. „ngoma“.
Mogwandi: 43. Abb. 9 ff.
Jakoma-Bubu (?): 13p. XII. (Girard).
Banda: 10. S. 191; 45. S. 55. „okporo“.
Sango: и4. PI. XXXII. Fig. 61.
Banziri: 114. Fig. 62; 16. Abb. 17.
Mandja: 54. S. 372.
Sara: 2. I. Abb. 42.
Lakka: В. M.
Kabba-Sara: 21. „Kodjo“.
Ndzimu: В. M.
Östl. des Sangha: В. M.
Leopold II. See: 14g. (I. 1. 1) VII. 132.
Tumbasee: 14g. (I. 1. 1.) IX. 172—174.
Wangata: 56. S. 89. „ngomo“.
Inkundo: В. M.
Bateke: (?) 138. V. S. 161.
b) Keilspannung.
Bakwiri: В. M.
Bakundu: В. M.
Ngolo: В. M.
Ekoi: В. M.
Tikar: 31. S. 134.
Pangwe; 48. II. 324 (Abb.).
c) Pflockspannung (R. = Reibetrommel).
Bayaka: В. M.; 132. XXXV. S. 47.
Bakwese (R).; 132. 1907. S. 151.
j „Stanleypool“: 14g. (I. 1. 1.) VIII. 148.
Südbambala (R.): 112. II. Abb. 381.
Loango: В. M.
Bakete (R).; 33. S. 100.
Baluba (?): 30. S. 377.
Bakuba (auch R.): 33. S. 100.
Katanga-Basera: 14g. (I. 1. 1.) IX. 164.
Manyema: 14g. (I. 1. 1.) IX. 162.
Baholoholo: 64. S. 422. „tumba“.
Marungu (R.): 68. Taf. g.
Bayanzi-Bolobo: 112. II. Abb. 380.
Bangala-Region: 14g. (I. 1. 1.) VIII. 149—152.
Baloi: 16. S. 150. Abb.
Baziba: В. M.
Baganda: В. M.
Magungo-Umiro: В. M.
Baya: В. M.
Bátetela: 71. S. 57f.
d) Haussaform.
„Semio“ u. Nsakara: 14g. (I. 1. 1.) VIII. 145.
Wute: В. M.
IV. MEMBRANOPHONE.
Schnurspannung.
Tabelle 20
Bateke: В. M. u. 146. igio. S. 34.
Cataraktenregion. 14g. (I. I. 1). XVII. 300.
Bawili: В. M.
„Küstengebiete“ 14g (I. I. 1). XVII. 291 u. a.
Bayaka; В. M.
Bakwese: 132. 1907. (Torday) „kimbanda“.
Dembo: В. M. „kisandschi“.
Zu Karte 30
V. SANSA.
Mahungo: В. M. „kisandschi“.
Imbangalla: В. M.
„Lunda-Mussumba“ : В. M.
Bambala: 132. 35. S. 412!. „kimbenda“.
Bahuana; 132. 36. S. 287. „kimbanda“.
Balua: 112. IL S. 717. Abb.
Bena Lulua : 152. 1897. S. 179.
I 2 6
HERMANN BAUMANN
,,Sankurru-Lupungu“. 14g (I. I. 1). XVII." 292—294.
„kisachi“.
„Lofoi-Katanga“. 149 (I. I. 1). XVII. 198.
Baluba: 14g (I. I. 1). XVII. 295.
Basonge: 65. S. 362. „kisachi“.
„Luluaburg“: 14g (I. I. 1). XVIII. 306.
Baluba-Hemba: 63. S. 687. „kizanzi.“
Marungu : 68. „zanza“.
Wabemba: 144. 1908. S. 263.
Baholoholo; B. M.
Wabudschwe: 57. I. S. 288.
Manyema: B. M.
Warega: 55. S. 271 „kansambi“.
Wasongola: 144. 1909. S. 182 „lusukia“.
Mabali: B. M. „sippi“.
„Stanleyfälle“; 77. pi. 188. 2.
Lokele : 14g (I. I. 1) XVIII. 307 „pokido“.
Turumbu: 14g (I. I. 1). XVIII. 310.
Tofoke: 130. 1911. S. 193. Abb. 4. (3).
Azande: 60a. S. 40 (Import der Kongosoldaten!).
Badjande: 14g (I. I. l). XVIII. 312.
Ababua: 50. S. 441 „sengwelembwe“ u. 60a. S. 278
(Balika).
Momvu: (B. M.) „bamboli“.
Lusakke: B. M.
Sango: 114. S. 184.
Banza: 156. III. S. 375. (?)
Bangala: B. M. u. 24. S. 364.
Marundscha: 130. 1887. S. 17.
Imoma: 144. 1906. S. 451. (Import).
Lessa: 144. 1910. S. 222. (Import).
Batetela: yi. 59. „kimbanda“.
Bakale (Bakelle) : B. M.
Mpongwe: Metropol-Museum. New-York.
Dualla: B. M.
Bakwiri: B. M.
Bafo: B. M.
Banyang: B. M.
Ekoi: B. M.
Bali: B. M. .
Baia: B. M.
Mbum: B. M. „molo“ (Elaussa).
Wute : B. M.
Tikar: 31. S. 124.
Ngundi a. Kadei: B. M. ,,ikim.be“.
Bâti: B. M.
Yaunde: B. M.
> s. a. 123. 1901. S.
Tabelle 21 Zu Karte 31
VI. MARIMBA.
Azande: u. a. 5. III. S. 14. Abb. S. 342; 8a. I. 186.
,, Queniba“.
Abandya: 144. 1895. S. 418 „menzi“.
Mangbetu: 142. III. S. 118. Abb.
Mangballe: 3. III. S. 62.
Gollo: 9. S. X04. „rongo“.
Ababua: 30. S. 442.
Mongalla-Dua-Knie : ig. S. 61 f.
Mogwandi: 142. III. S. nói. Abb.
Wadda: 16. Abb. S. 361.
Banda: io. S. i8of.; 43. S. 55. „balafu“.
Nduka: io. S. 164, i8of. „balafu“.
Sara u. Mbai: 114. S. 184.
Kabba: 21. S. 186. „kundi“.
Lakka: В. M.
Mundang-Weimba: B. M. „yo“.
Mbum: В. M.
Dari: 12g. 1911. S. 25.
„Nola“: В. M. „masa“.
Tikar: 31. „nsatong“.
Bâti: В. M.
Pangwe: 48. IL S. 322. „mendzan“.
Nafada: В. M. s. a. 22.
Bakuba: 33. S. 100; 133. 1912. Nr. 46. „madimba“.
Bakete: 29. S. 297.
Bakwese-Balua : 132. 1907. S. 140.
Balunda; 113. S. 86.
Basonge: 65. S. 364 yi. S. 18.
Baluba: 65. S. 364.
Manyema: 113. S. 86.
Baluba-Hemba: 63. S. 688 „lilimba“.
Baholoholo: 64. S. 422 „malimba“ (Import).
Gbanziri (Banziri) : 108. S. 49. „mbasa“.
Mbwaka (Bwaka) : 108. S. 49 „ligo“
Gbea-Mandja: юу. S. 49. „jàgà, njàga“.
Mondjembo (Bondjo): 108. S. 49 „-gombi, mägondo“.
Tabelle 22
Zu Karte 32
VII. CHORDOPHONE (I).
a) Bogenharfe.
Azande: В. М. и. и. а. уб. XIV. 5. 6. у.
„WangoВ. М.
Abandya: 144. 1895. S. 418. „condi“.
„Rafai“; 14g. (I. I. 1). XXL 330.
Badjande: 14g. (I. I. 1) XX. 323. 326.
Mangbetu: u. a. 8b. 143. „dumo“.
Abarambo: 8a. I. S. 184.
Mabudu: В. M.
Bambuba: „nanga“. В. M.
Logo: 60a. S. 504 (selten!).
Lendu: 7. S. 537; 60a. S. 522.
Alur: 144. 1908. S. 115. Abb.
Baganda: В. M.
Bongo: 6. S. 195.
Kredj : 6. S. 195.
Banda : jo. S. 181 ; 43. S. 55-
Togbo-Ndri; 18. S. 46.
Ngapu; 16. S. 303. Abb. S. 307.
Boganga-Bwaka : В. M. „ngombi“.
Bwaka: isy. 1910. XXL S. 48.
„Zw. unteren Sangha u. Ubanghi“ : В. M,
*
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
Wangata: 56. S. 89 „lonfembe“.
Bateke: 146. 1910. S. 34.
Ndzimu: В. M.
Pangwe: 48. II. S. 328!. „ngomo“.
Bulu (Pangwe): В. M.
Bane (Pangwe): В. M.
Bakale (Bakelle): В. M.
Mbum: В. M. „kalung“.
Banyo: В. M.
Tibati: В. M.
Tschamba: В. M. „pa“.
Werre: В. M. „nja“.
Durru: В. M.
Djukum: В. M.
Batta: В. M.
Ganar (Mandara): В. M.
„Ham“: 22. Fig. 3. (Tafel).
„Fort Lamy“: 22. Fig. 2. (Tafel).
b) Brettzither.
Mabudu u. Balese: 60 a. S. 292.
Badjande: 14g. (I. I. 1). XXL 335. „bandju“.
Bapopoie: 144. 1912. S. 184. „namukenge“.
Ababua: 50. S. 441. „gwanzu“.
Mobenge: 14g. (I. I. 1). XXL 334.
Bambuba: В. M.
Pygmäen von Mawambi. В. M.
„Walegga“: 27. II. S. 361.
Wadumbo (Wawira): 7. S. 558.
Alur: 144. 1908. S. 115.
„Stanleyfälle“ 14g (I. I. 1). XXL 333.
Warega: 55. S. 271. „kungu“.
Manyema: В. M.
Warna: В. M.
Marungu: В. M. u. 68. Taf. 9.
Wafipa: В. M. u. 68. Taf. 9.
Waha: В. M.
Barundi: В. M.
Banyaruanda: В. M.
Basiba: В. M.
Basindja: В. M.
Wasukuma: В. M.
Wanyamwesi: В. M.
Wakerewe: В. M.
c) Schalenleier.
Idio: 14g. (I. I. 1) PI. XXL 332.
Mittu; 76. IX. 4. „tohmu“.
Dinka-Agheer : В. M. „tarn“.
Schilluk: В. M. „tum“.
Bari: 14. S. 175. „tom“.
Basoga: В. M.
Sesse-Insulaner : 58. S. 27. Abb.
Wageia: В. M.
Washashi; В. M. u. 38. S. 149. Abb.
Logo: 60a. S. 504. „kindu“.
Tabelle 23
Zu Karte 33
CHORDOPHONE (II).
a) Bogenlaute.
Banyang: В. M.; 123. Beiheft VIII.
Bakoko: В. M.
Pangwe: 48. II. 326!. „ndöna“.
Bali; В. M. „lunko“ (mündl. Mitteilung Prof. Anker-
mann).
Loango: В. M.
Bateke: В. M.; 113. S. 81. „ndjembo“.
Banfungunu: В. M.
Bayaka: В. M.
„Brazzaville“: В. M.
Bayanzi: 112. II. Abb. 394.
Ntumba-Bokote: 78. Taf. XLIX.
Lessa: 144. 1910. S. 222 „kokolo“.
Bambala: 132. 35. S. 413. „sabe“.
Bahuana: 132. 36. S. 297. „gunge“.
Bakuba: В. M. „lukonde“; 33- S. 100.
Balika-Ababua: 60. S. 278.
b) Musikbogen.
Azande: 60a. S. 38.
Bongo: i a. S. 110.
Bambuba: in. IL S. 557. Abb.
Barumbi: 120. IV. S. 627.
Wanande (Bakondjo): В. M. ; 60a. S. 384.
Wasongola: 144. 1909. S. 182. „katungu“.
Baziba: 59. S. 65!.; В. M. „nanga“.
Basonge: 65. S. 362. „tusese“.
„Zappo-Zap“: 78. PI. XVIII.
Baluba: 78. P. XVIII.
Batua: 78. PI. XIX.
Baluba-Hemba: 63. S. 689. „lusuba“, „kungulume“.
Babemba: 144. 1908. S. 263 f. „lontana“, „kupu“.
Bakuba: 53. S. 100.
„Malange“: B. M.
Ashira (Ogowe): 137. XVI. S. 292f. „kongo“.
Nordbavili (Ogowe): 137. XVI. S. 292!.
Iweia (Ogowe): 137 XVI. S. 292f.
Bakale-Bakelle (Ogowe): 137. XVI. S. 292!.
Pangwe: 48. II. 325. „elem“.
Bubi: 125. 1901. S. 77. cit.
Bimbia: 123.
Tikar: 51 „nkango“.
Banyang: B. M.
c) Sese (Monochord).
Abandya: 20. Taf. 10.
Mobenge: 20. Taf. 101.
Yakoma: 137. XII. S. 88.
„Stanleyfälle“; 77. PI. 194 (2).
Baholoholo: 64. S. 421. „dyedye“.
Baluba: 64. S. 421. „sese“.
Babemba: 144. 1908. S. 264L „seze“.
Stämme östl. des Tanganyika: B. M.
HERMANN BAUMANN
KULTUR VERWANDTSCHAFT DER MANGBETU.
Stamm: Kulturelement: wahrscheinliche Kul- turzugehörigkeit ; von wo, wem über kommen;
Mangbetu; Rindenstoffe der Männer altsudanisch autochthon
Rindenstoffe der Frauen ? s
Blättertracht der Frauen altsudanisch autochthon
Bapopoie: Faserstoffe westafrikanisch v. Bangwa Wangili
99 ,,Ebui‘‘ (Faserbüschel) 99 99 99 99
Mangbetu: Strohmützen 99 S oder SO
99 Haartracht SW
99 Kopfdeformation neusudanisch (?) SW
Barumbi: Zuspitzung der Zähne westafrikanisch
99 Lippendurchbohrung altsudanisch s
Mangbetu: Lange Fingernägel neusudanisch (?)
99 Durchbohrung des Ohrrandes SW
Bapopoie: Lupopamütze v. d. Wangilima
Mangbetu: Giebeldachhütte westafrikanisch
99 Kegeldachhütte ? N (Abangbaimport)
Makere u. Barumbi Straßendorf westafrikanisch
Mangbetu: Rundlingssiedlung ? N sudanisch
Badyo: Schildkrötendachhaus westafrikanisch SW
Bapopoie: Kegeldachhaus westafrik. Sudan, v. d. Wangilima
Makere: Baumhäuser altsudanisch autochthon
Mangbetu, Badyo. Ruhebank (Raphiabank) neusudanisch N
Bapopoie:
Badvo, Barumbi; Lehnkrücke altsudanisch s
Bapopoie:
Mangbetu: Sanduhrstuhlform altsudanisch S
99 Jagdliebe altsudanisch
99 Hackbau westafrikanisch
99 Anteil der Geschlechter am Flachbau westafrikanisch, im N.
99 Sichel und Trumbasch neusudan. modifiziert neusudanisch so (?)
Bakango: Tüllenhacke neusudanisch Zwischenseengebiet NW
Abarambo: 59 9? NW
Badyo: Geradhacke mit eingelassener Klinge altsudanisch autochthon
N. Mangbetu: Eleusine und Sorghokultur ? 99 * N. Azandeimport
S. Mangel alter Getreidesorten westafrikanisch S
s. Banane: Nahrungsgrundlage 99 S
99 Elaeis, Zuckerrohr, junge Knollenfrüchte 99 S
N. Mangbetu: Lanzenträger neusudanisch N
Mangbetu: Bogenform altsudanisch oder west- autochthon
N. Mangbetu: Bogentrommel afrikanisch N. Abangbaimport
N. „ Pfeilform altsudanisch SO oder 0 oder au-
s. „ 99 99 tochthon autochthon
Badyo: getüllte Eisenspitze SW
Mangbetu: Dolchmesserarten und Trumbasch neusudanisch N
99 Lederscheiden 99 99
Bapopoie; Säbel 99 w
Mangbetu: Keule altsudanisch N und S
99 Speerformen neu sudanisch und
99 Holzschild westafrikanisch 99 S.
Makere: Feuerpflug SW
Mangbetu: Feuerbohrer altsudanisch autochthon
99 Palm- und Bananenweine westafrikanisch S
N. Mangbetu: Eleusine und Maisbier N und W
Mangbetu; Schlitztrommelformen westafrikanisch S und SW
99 Konustrommeln, Schnurspannung altsudanisch autochthon
N. Mangbetu: Marimba neusudanisch N
99 95 Harfe 99 N
DIE MATERIELLE KULTUR DER AZANDE UND MANGBETU
129
Stamm:
Azande:
KULTURVERWANDTSCHAFT DER AZANDE.
Kulturelement: wahrscheinliche Kul- von wo, wem über-
turzugehörigkeit kommen:
alte Eelltracht der Männer altsudanisch NW Scharivölker
Rindenstoffe der Männer S. von Mangbetu
Blättertracht der Frauen ,, autochthon
Strohmützen der Männer S von Mangbetu
Stirnband W Zentralsudan
Schellenarmreif W Ostadamaua
Zufeilung der Zähne westafrikanisch
Kegeldachhütte altsudanisch W. Zentralsudan und Adamaua
Raphiabank neusudanisch W.
Sanduhrstuhlformen altsudanisch S. von Mangbetu
Nackenstütze neusudanisch W.
Rundlingssiedlung altsudanisch Zentral- und Ostsudan
Jagdliebe 5?
Hackbau westafrikanisch v. Autochthonen über- nommen
Anteil der Geschlechter westafrikanisch —
am Hackbau neusudanisch modifiz. ?■»
Eleusinekultur nilotisch oder Zentral- sudan
Banane, Maniok, Zuckerrohr westafrikanisch s.
Elaeis, Maiskultur wohl von NW rcsp. S.
Lanze in Vormachtstellung neusudanisch ?? ?? 5? 5?
Bogen (incl. Basiribogen) altsudanisch oder
westafrikanisch autochthon
Frontalbogen (Nsakara) von Mogwandi ?
Pfeilform altsudanisch zentralsudanisch und nilotisch
Armdolch (Nsakara u. Abandya) neusudanisch NW.
Dolchmesserarten N. und NW.
Säbel SW.
Speerformen neu sudanisch und
westafrikanisch NW. und S.
Wurfmesser neusudanisch NW.
Schildform NW.
Feuerbohrer altsudanisch ? autochthon
Eleusinebier wohl aus NW,
Maisbier und. Nsakara-Sorghobier) altsudanisch N., NW. oder NO.
Doppelglocke neusudanisch NW.
Schlitztrommel westafrikanisch S. von Mangbetu
Konustrommel mit Schnurspannung altsudanisch wohl autochthon
Marimba neusudanisch W.
Bügelharfe w.
Besprechungen und Büchereingänge.
An dieser Stelle werden nach Möglichkeit die bei der Redaktion eingehenden Werke
und solche, welche dem staatlichen Museum für Völkerkunde in Berlin als Geschenk über-
wiesen werden, zur Besprechung resp. Anzeige kommen. Berücksichtigt werden nur Werke,
und Abhandlungen aus dem Gebiet der Völkerkunde und den zu ihr gehörigen Wissenschaften.
Die Redaktion.
Rasmussen, Knud, Rasmussens Thulefahrt, 2 Jahre
im Schlitten durch unerforschtes Eskimoland.
Bearbeitet und übersetzt von Friedrich Sieburg.
Frankfurt a. M. Frankfurter Societäts-Druckerei.
509 S. mit vielen Abb. und 2 Karten. 4°.
Die fünfte Thuleexpedition, so genannt nach dem
Ausgangspunkt in der Nähe von Cap York in West-
grönland, bietet schon in diesem, einem allgemeinen
Leserkreis vorgelegten Werk der Völkerkunde so viel
eigentümlich Neues, daß man geneigt ist, es wenigstens
für die Religion und das Gemütsleben der Eskimo
schlechthin „das Eskimobuch“ zu nennen, weil man erst
aus ihm dieses seltsame, weit verstreute Volk von
34000 Menschen recht kennen zu lernen glaubt. Sind es
doch gerade die unbekanntesten und unberührtesten
Teile, die der Verf. von der Westküste der Fludsonbai
über die ganze unermeßliche Nordküste Kanadas bis
nach Alaska untersucht hat, und treibt ihn doch die
Neigung, dieses Volk seelisch zu erfassen, als ob die
ganze Expedition, die planmäßig organisiert, in geschick-
ter selbständiger Arbeit der vielen, wissenschaftlich
geschulten Mitglieder alle Seiten der ethnologischen und
archäologischen Forschung und darüber hinaus an vielen
Stellen gleichzeitig in Angriff genommen hat, nur um
dieses seelischen Endziels willen unternommen wäre.
Das ist wohl in der Völkerkunde, so viel eigenartige
Männer sie auf dem äußeren Felde der Forschung hervor-
gebracht hat, selten vorgekommen, daß das Flaupt der
Expedition, das durch fortgesetzte wissenschaftliche
Tätigkeit im Felde geübt ist, Schneestürme und
Febensweise nach Eingeborenenart spielend bewältigt
und die harte Wirklichkeit der Naturgewalten und
der menschlichen Eigenart klug meistert, gestützt auf
die Eskimosprache als seine Muttersprache alle diese
Fähigkeiten nur unter dem Adel der großen Aufgabe
verwendet, diese um ihr tägliches Leben kämpfenden und
doch reichen Menschen kennen zu lernen. Es kann uns
hier nicht beschäftigen, was die Thule-Expedition als
Ganzes geleistet hat, hier spricht lediglich der Einzelne
von dem, was ihn bewegt und interessiert, und wir
müssen selbst in diesem Persönlichen unser Urteil zurück-
halten, bis das ausführliche Material vorliegt. Es sei daher
nur auf wenige hervorstehende Punkte hingewiesen.
Von dem Standquartier der Expedition auf der
kleinen Däneninsel östlich von der Vansittard Insel im
Noden der Southhampton Insel wurde aus die Westküste
der Hudsonbai untersucht. Bemerkenswert ist hier der
Geisterbeschwörer Aua und andere Gewährsmänner, die
eine Fülle von Nachrichten über Tabu, schamanistische
Tätigkeit, Besuche im Totenreich und bei der Mutter der
Seetiere und die sich daran knüpfende Beichte und über-
haupt über das ganze religiöse Leben geben. Am bedeut-
samsten gestaltete sich aber das Leben unter den sog.
Renntiereskimo, die R. für die Ureskimo hält, und die
bis vor einem Menschenalter nie an die Küste kamen,
auch einen Handel mit den Küsteneskimo nicht kannten,
weshalb sie aus Mangel an Seehundsspeck in ungeheizten
Schneehütten wohnen. Sie leben im Süden der innern
Chesterfield-Förde bis zum Hikoligjuaq-See (Padlermiut).
Der Glaube an den Sila Jnua, die personifizierte Kraft des
Universums, erinnert an den Manitu der Algonkin, ist
aber von R. auch bei einem Schamanen angetroffen, den
er später in Alaska traf. Auch die Zeitform ist die in-
dianische. Der Schamane erhält hier seinen Elilfsgeist,
indem er einen Monat lang in einsamer Schneehütte
unter strengem Fasten nur an den „großen Geist“ denkt.
An ihn sind auch alle Tabugebräuche gerichtet. Nach dem
Aufbruch nach Westen nehmen unser Interesse besonders
die Seehundseskimo (Netsilingmiut) zwischen Boothia
Halbinsel und King Williamsland und das Moschus-
ochsenvolk (Kitdlinermiut) auf Victorialand und der
Kenthalbinsel bis weit ins Inland in Anspruch, von denen
die Ahiarmiut auf ihren Wanderungen bis zu den Akilineq
Bergen in die Pleimat der Ureskimo gelangen. Die un-
geheure Abhärtung und Kraft dieser Leute drückt sich
in ihrem hochgemuten Benehmen, vielfach auch in
Gewalt und Totschlag aus. Dem Hungertod auf der einen
Seite steht die Neigung zu Fröhlichkeit und Spiel,
der Sinn für schlagfertiges Reden und die geistige Be-
weglichkeit gegenüber. Besondere Festtrachten wurden
bei einem Sängerfest in einer Schneehalle verwandt, die
60 Menschen fassen konnte. Sie hatten Rahmentrommeln
von 1 m und mehr Durchmesser. Schreckliche soziale
Folgen hat die Tötung neugeborener Mädchen, deren
Los sich durch die Tatsache erklärt, daß sie bei der Heirat
aus dem Hause kommen, gerade wenn sie anfangen
nützlich zu werden. Der Mangel an Frauen — a/5 : 3/5 ist
etwa das Verhältnis in der Zahl der Geschlechter —
führt zu Polyandrie, Totschlag und voraussichtlich zum
Aussterben.
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
Der Eindruck des Buches beruht besonders auf dem
unmittelbaren Erleben, auf der persönlichen Bekannt-
schaft mit den einzelnen Gestalten, die der Verf. lebendig
vorführt, und auf der Verbindung des Allgemeinen mit
dem Besondern, Individuellen. Besonders groß ist die
Zahl der aufgenommenen Erzählungen und Mythen, von
denen Proben gegeben werden. Aber auch Gesänge meist
profanen Inhalts liefern ein anschauliches Bild des
geistigen Lebens. Nur ist die Form nicht eskimoisch,
sondern dem Ohr des Europäers angepaßt. Die Gewandt-
heit im Gebrauch der Eskimosprache als seiner Mutter-
l3'
Sprache, der R. großenteils seine Erfolge verdankt, hat es
ihm hoffentlich nicht unnötig erscheinen lassen, alles
wörtlich aufzuschreiben, wie es ihm vorgetragen ist,
so daß wir es in der geplanten wissenschaftlichen Dar-
stellung als authentisches Material vor Augen haben
werden. Namentlich ist das aber für den Inhalt der
religiösen Gespräche notwendig, z. B. über Sila Inua,
damit die Anregung zum Erzählen von seiten des For-
schers und die unbeeinflußte Darstellung der Gewährs-
männer streng geschieden werden kann.
K. H. Preuss.
Büchereingänge
Artbauer, Otto, Kreuz und quer durch Marokko. 6.-8.
Tausend. Stuttgart: Strecker & Schröder 1925.
189 S. 68 Abb. 1 Kte. 8°.
Coates, H. H., and R. Ishizuka, Honen the Buddhist
Saint. Kyoto: Chionin 1925. 956 S. 8°
Diaz, V. M., Apuntes y Reseñas, o. 0. 1924. 222 S. 8°.
Díaz, V. M., Sacatepequez. 1. 2. 3. o. 0. 1924. 8°.
Dieseldorff, E., Kunst und Religion der Mayavölker.
Berlin; Springer 1926. 45 S. 53 Taf. 8°.
Glasenapp, Helmuth v., Brahma und Buddha. Berlin:
Deutsche Buchgemeinschaft 1926. 350 S. 35 Abb. 8°,
Hauser, 0., Vom Urmenschen und seiner Welt zum
Menschen der Gegenwart. Leipzig: Wachsmuth
1926 70 S. 1 Taf. 8°. (Erläuterung zu dem An-
schauungsbild „Die ur- und vorgeschichtlichen
E ntwicklungsstuf en. ‘ ‘)
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Weidmann 1926. 96 S. 21 Abb. 8°.
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Leipzig; Hinrichs 1926. 166 S. 52 Taf. 4 K. 8°.
Lehner, Hans, Das Römerlager Vetera bei Xanten.
Bonn; Röhrscheid 1926. 53 S. 1 Taf. 29 Abb. 8°.
Lorentz, F., Geschichte der Kaschuben. Berlin: Plobbing
1926. 172 S. 1 K. 8°.
Nollau, Hermann, Germanische Wiedererstehung. Unter
Mitwirkung v. K. Bojunga, A. Haupt u. a. Heidel-
berg: Winter 1926. 700 S. 10 Taf. 8°.
Pretrss, K. Th., Glauben u. Mystik im Schatten des
höchsten Wesens. Leipzig: Hirschfeld 1926. 61 S. 8°.
Fartua, Ahmed ibn, History of the twelve years of the
Reign of Mai Idris Alooma of Bornu 1571—1583.
Lagos: 1926 Gov. Printer 121 S. 1 K. 8°.
15 Russische Druckschriften Moskau: Gesellschaft für
Kulturverbindung.
59 Siamesische Druckschriften. Bangkok: Vajrayan
Library.
Schuchhardt, Carl, Arkona-, Rethra- Vineta. Berlin:
Schoetz 1926. 101 S. 12 Taf. 8°.
Unverzagt, Wilhelm, Die Keramik des Kastells Alzei.
Frankfurt a. M.: Baer 1916 36 S. 3 Taf. 40. (Ma-
terialien zur röm.-germ. Keramik.)
Volk und Rasse, Illustr. Vierteljahrsschrift für deutsches
Volkstum. Herausgeb.: Aichel, Bächtold u. a.
München: O. F. Lehmann 1926. 1. Jahrgang.
Zimmer, Heinrich, Kunstform und Yoga im Indischen
Kultbild. Berlin: Frankf. Verlagsanstalt 1926.
191 S. 36 Taf. 8°.
Sydow, Eckart v., Primitive Kunst und Psychoanalyse.
Leipzig, Wien, Zürich: Int. Psychoanalyt. Verlag
1927. 182 S. 20 Taf. 8°.
BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS DEM ERWERBUNGSFOND DES
STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGI-
SCHEN ABTEILUNGEN DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR
VÖLKERKUNDE IN BERLIN. REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND Xn
MIT 8 FIGUREN UND 7 ABBILDUNGEN IM TEXT
BERLIN 1928
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)
DAS BAESSLER-ARCHIV FÜR VÖLKERKUNDE
erscheint in zwanglosen Heften, von denen 4 einfen Band bilden. Einzeln sind die Hefte
zu einem je nach dem Umfang bemessenen, etwas erhöhten Preise käuflich. Der vor-
liegende Band erscheint für das Jahr 1927.
Das Baessler-Archiv ist bestimmt für Arbeiten aus allen Gebieten der Völkerkunde mit
Ausnahme der reinen Linguistik und physischen Anthropologie. Seine Hauptaufgabe ist
die wissenschaftliche Beschreibung und Verwertung des in den deutschen Museen aufge-
speicherten Materials nach seiner kulturgeschichtlichen und technologischen Bedeutung,
doch werden auch soziologische, mythologische, kunst- und religipnsgeschichtlrche Themata
berücksichtigt, soweit sie zur Erklärung von Museumssaramlungen beizutragen geeignet sind.
Die Mitarbeiter erhalten 25 Sonderabzüge.
Redaktionelle Sendungen, Zuschriften und Anfragen sind zu richten an den Redakteur
Professor Dr. Alfred Maaß, Berlin W. 10, Tiergartenstraße 18 c.
Bisher erschienene
BEIHEFTE
1. Sprichwörter und Lieder aus der Gegend von Turfan. Mit einer dort aufge-
nommenen Wörterliste von Albert von Le Coq. Mit i Tafel. [100 S.] 1911.
2. Die Wagogo. Ethnographische Skizze eines ostafrikanischen Bantustarames von
Heinrich Claus, Stabsarzt im Infanterie-Regiment Nr. 48, früher in der Kaiser-
lichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Mit 103 Abb. [IV u. 72 S.] 1911.
3. Die Goldgewichte von Asante (Westafrika). Eine ethnologische Studie von Rudolf
Zeller. Mit 21 Tafeln. [IV u. 77 S.] 1912.
4. Mitteilungen über die Besiedelung des Kilimandscharo durch die Dschagga und
deren Geschichte. Von Joh. Schanz. [IV u. 56 S-] 1912.
5. Original Odzibwe-Texts. With English Translation, Notes and Vocabulary collected
and published byj. P. B. dejosselin de Jong, Conservator at the State
Museum of Ethnography, Leiden. [IV u. 54 S.] 1912.
6. Ein Beitrag zur Ethnologie von Bougainville und Buka mit spezieller Berück-
sichtigung der Nasioi. Von Ernst Frizzi. [56 S.j 1912.
7. Ein Beitrag zur Kenntnis der Trutzwaffen der Indonesier, Südseevölker und
Indianer. Von Hauptmann a. D. Dr. G. Friederici. [78 S.] 1915.
8. Die Banjangi. Von F. Staschewski. Überarbeitet und herausgegeben von Prof.
B. Ankermann. [66 S.] 1917«
BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS DEM ERWERBUNGSFOND DES
STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGI-
SCHEN ABTEILUNGEN DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR
VÖLKERKUNDE IN BERLIN. REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XII
MIT 8 FIGUREN UND 7 ABBILDUNGEN IM TEXT
BERLIN 1928
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)
INHALTS-VERZEICHNIS
Seite
Heinrich Meinhard, Beiträge zur Kenntnis des Sivaismus nach den Puräna’s i—45
Hans H. Brüning, Reisen im Gebiet der Aguaruna....................46—85
Alfred MAASS, De Koninklijk Bataviaasch Genootschap van Künsten en Weten-
schappen. 1778 —1928................................. • 87—88
Besprechungen und Büchereingänge..................................89—94
Alle Rechte einschließlich des Übersetzungsrechts Vorbehalten.
Druck von J. J. Augustin in Glückstadt und Hamburg-
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS
DES SIVAIS MUS NACH DEN PURÄNA’S
VON
HEINRICH MEINHARD
VORWORT.
Der Zweck der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung einiger bisher wenig bekannter
Aspekte in der spätindischen VomdJ^ ^ Aschen Puräna’s. Von ihnen ist in erster
Enie das Lnga-Puräna berücksichtigt worden. Ferner wurden benutzt: das Vayu-Purana,
ITÄÄ -d das Bhägavata-Puräna; und endlich die
Puräna-Auszüge kemädri’s in seinem Werke Caturvargacntamani. Zum Verständnis der in
diesen Quellen zum Ausdruck kommenden Wesense.gentumhchkeiten S.va s war e erforder-
nd! sie einerseits bis zu ihren ältesten Spuren in der vedischen und epischen Literatur zu
’ , , . M 4llffo«nn? in iüngerer Zeit und ihren Ausdruck in der Ikono-
verfolgen, andererseits ihre Anpassung m juub
, g ’ w i • 1 Wnnyiwiehen Die Einleitung beschäftigt sich mit der Konzeption
SSÄÄ aer Frage ihA Kulturzugehörigkeit.
Die Anregung zu dieser Arbeit ging von Herrn Professor Dr. W. Kirfel aus. Ihm, seinem
Lehrer ist def Verfasser für das stetige Interesse, das er dem Fortschreiten der Arbeit ent-
gegenbrachte, und für eine Menge wertvoller Hinweise, die er aus seiner reichen Kenntnis
der Puräna-Literatur geben konnte, zu Dank verpflichtet.
EINLEITUNG.
Die sivaitischen Puräna’s machen uns mit einer jungen Entwicklungsphase der Vor-
11 p 1 m bekannt und geben uns ein Bild von der fertig abgeschlossenen brah-
manELiVva Religion der Spätzeit. Siva überragt nicht nur alle anderen Götter an Macht,
1 . 6 r prorhaffen • er allem ist unvergänglich, wahrend alle anderen dem
sondern er hat sie auch erschaffen, ^ ^ wig z ß Mahädev3) l4vara>
ewigen cc se un “ , bezeichnen seine unvergleichliche Größe. Aus dem Sämkhya
wiae“dem Vedänta entlehnte philosophische Begriffe werden auf ihn übertragen, um
ihn als theopanistisches Allwesen und letzten Grund alles Sems zu erweisen. Er ist einer der
herrschende und strafende, zugleich aber hingebungsvoller Verehrung zugängliche und
gnädige Gott Die in den folgenden Kapiteln behandelten Aspekte Siva s, namentlich die
Lehren von seinen acht oder von seinen fünf verschiedenen Formen, von seinen achtund-
zwanzig Avatära’s, von seinem androgynischen Wesen und von der in ihm vereinigten
Trinität sind ebenfalls charakteristisch für die durch die Purana s repräsentierte spate Ent-
wicklungsphase seiner Vorstellung und ein Ausdruck seiner Auffassung als höchster Gott-
heit Aber neben diesem hohen und vergeistigten Bilde des ewigen, alleinen und allmächtigen
1 Baessler-Archiv.
HEINRICH MEINHARD
Gottes lassen sich noch primitive Züge erkennen, die mehr über sein ursprüngliches Wesen
verraten, und die den puränischen Siva als Nachfolger und. Erben des vedischen Rudra
ausweisen.
Die Verschiedenheit der Auffassung Rudra’s im Rgveda von der der jüngeren vedischen
Texte hat der Erkenntnis des ursprünglichen Charakters des Gottes große Schwierigkeiten
bereitet und zu verschiedenen Meinungen Anlaß gegeben. Ernst Arbman hat in seiner Mono-
graphie über die vedische Rudra-Gestalt1 gezeigt, daß die spätvedische Auffassung Rudra’s
sich nicht aus der rgvedischen entwickelt haben kann; die Frage, welche von beiden Auf-
fassungen die ältere und ursprünglichere ist, ist für ihn mit dem höheren Alter des Rgveda
nicht entschieden. Er kommt vielmehr zu dem Ergebnis, daß nicht der Rudra des Rgveda,
sondern der der jüngeren vedischen Überlieferung, der schon in wesentlichen Zügen dem
Bilde des späteren Siva entspricht — mit anderen Worten: nicht der Rudra der priesterlichen
Religion, sondern der der Volksreligion —, als der ursprünglichere Typus des Gottes anzu-
sehen ist. Der barbarische und gespenstische Jäger, als der Rudra in der Vorstellung der
unteren Volksschichten existierte, wurde von den priesterlichen Hymnendichtern des
Rgveda coelestifiziert und dem idealen Typus des arischen Himmelsgottes angeglichen.
Immerhin sind auch in diesem rgvedischen Bilde noch einige Züge geblieben, die auf Rudra’s
ursprüngliche Wildheit hindeuten. Die jüngere vedische und die nachvedische Überlieferung
dagegen haben seine alte Vorstellung treuer bewahrt. Hier ist sein Aufenthalt nicht der
Himmel, sondern die Wildnis, Berge und Wälder, die er als fellbekleideter, Bogen und Pfeil
führender Jäger durchstreift. Seine Erscheinung ist nicht lichtstrahlend, sondern unheimlich
blauschwarz und rot. Sein Gefolge bilden nicht die glänzenden Marut’s, sondern die dämoni-
schen Bhüta’s. Auf Kreuzwegen wird er mit den Traiyambaka-Kuchen „abgefunden“ und
mit dieser Wegzehrung „über den Müjavat hinaus“ fortgewiesen. Am Opfer der anderen
Götter hat er keinen Teil. Rudra ist, wie Arbman als Resultat seiner Untersuchung fest-
stellt2, „seinem ursprünglichen Wesen nach eine erdgebundene, dämonische, grausige, den
primitiven Vorstellungen vom Tode und dessen Schrecken entsprungene Gestalt“.
Die Frage nach der Kulturzugehörigkeit Rudra-Siva’s ist verschiedentlich gestreift
worden. Arbman bleibt dabei stehen, die ursprüngliche Rudra-Vorstellung der breiten Masse
des rgvedischen Volkes, im Gegensatz zu den geschlossenen Kreisen der priesterlichen
Hymnendichter, zuzuschreiben; er geht der Frage, ob die Konzeption im wesentlichen
arischer oder vorarischer Herkunft ist, aus dem Wege. Oldenberg3 räumt die Möglichkeit ein,
„daß den Urbewohnern Indiens ein größerer oder geringerer Anteil am Aufbau dieser Vor-
stellungen zukommt“, und verweist auf „die bemerkenswerte Vorschrift einiger Ritualtexte,
daß der von Viehseuche Betroffene dem Rudra durch einen Häuptling aus dem Urbewohner-
stamm der Nisäda’s opfern lassen soll“. Er ist jedoch der Ansicht, „daß in diesem vereinzelt
dastehenden Ritus doch kaum eine irgend sichere Spur nichtarischer Herkunft der Rudra-
Verehrung“ zu finden sei. Auch Bhandarkar4 hält an einem arischen Rudra fest und rechnet
lediglich damit, daß Gottheiten wilder Stämme mit ihm verschmolzen und verschiedene ihrer
Bräuche, wie die Verehrung von Schlangen, bösen Geistern ( ? „devilry“) und des Phallus
in seinen Kult übernommen worden seien. Er bezieht sich besonders auf eine Stelle des
Satarudriya5, wo neben verschiedenen Handwerkergruppen auch die Nisäda’s unter die
Rudra’s gezählt und verehrt werden.
Außer den zweimal im Zusammenhang mit Rudra erwähnten Nisäda’s, die nach den
Epen ein über Nord- und Zentralindien verstreuter Dschungelstamm gewesen sein müssen,
der jedoch zum Teil bereits von den unteren Schichten der Kulturbevölkerung absorbiert
Rudra. Untersuchungen zum altindischen Glauben und
Kultus. Uppsala Universitets Vsskrift 1922.
S. 310.
3 Religion des Veda, S. 224.
4 Vaisnavism etc., §§ 79f., 88 und 109.
5 TS. IV, 5, 1, 27. VS. 16, 27.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
3
war1, wird auch noch ein anderes nichtarisches Volk mit dem Gott in Verbindung gebracht.
Nach dem Mahäbhärata2 begegnet Arjuna im Himälaya einem Kiräta-Jäger, der ihn besiegt
und sich darauf als Siva offenbart. Scheinbar ist Siva also hier als Gott der im Himälaya
lebenden Kiräta’s aufzufassen3. In diesem Zusammenhang ist es bedeutungsvoll, daß der
spätvedische Rudra, im Gegensatz zu den anderen Göttern, die im Osten wohnen, seinen Sitz
im Norden hat (dem puränischen Siva gehört der Nordosten, „aisän! dis“), und daß in Über-
einstimmung hiermit Rudra-Siva in einer Reihe von Beiwörtern — schon im Satarudriya
heißt er Girisa und Giritra — als Bergbewohner bezeichnet wird. Wie er in der jüngeren Vor-
stellung auf dem Kailäsa wohnt, so ist in der älteren der Müjavat (im MBh. Munjavat und
Munjaprstha) sein Sitz: beide Berge dachte man sich in der Himälaya-Kette. Dort wohnt er
zusammen mit seiner Gattin Umä, die schon Kena-Up. 25 den Beinamen Haimavat! führt,
und deren geläufigste Bezeichnung in puränischer und moderner Zeit Pärvat! lautet4. Auch
diese Beziehung zum Himälaya wie zu den Bergen im allgemeinen legt es nahe, in Rudra-
Siva (und ebenfalls in Pärvati) eine Gottheit der dort wohnenden bzw. von den Ariern dorthin
verdrängten Urbewohner zu erblicken5. Diese Vermutung wird gestützt durch die Tatsache,
daß Siva mit einem bestimmten primitiven Bergvolk, nämlich den im Himälaya lebenden
Kiräta’s, in Verbindung gebracht wird und scheinbar als dessen Gott gilt. Auch in seinem
äußeren Aufzuge, besonders in seiner charakteristischen Tracht aus Tierfellen, scheint Siva
den Urbewohnern zu gleichen3. Endlich werden im Zusammenhang mit Rudra noch Men-
schen genannt, deren Zugehörigkeit zur arischen Gemeinschaft mindestens zweifelhaft ist.
Nach dem Satarudriya ist Rudra der Führer und Schutzpatron der Räuber und Diebe7. In
demselben Texte heißt es, daß Rudra von den Rinderhirten und Wasserträgerinnen gesehen
1 Vgl. Pargiter, Märkandeya-Puräna transl. S. 360!.:
“The Nisädas were an aboriginal race and are described
as very black, dwarfish and short-limbed... They were
specially a forest people, and were scattered all over
Northern and Central India. The earliest references
shew, they occupied the forest tracts throughout North
India. In Rama’s time they held the country all around
Prayäga and apparently southwards also (JRAS., 1895,
p. 237); but in the Pändava’s time they occupied the
high lands of Mälwa and Central India (MBh. Sabhä-P.
XXIX. 1085; XXX. 1109 and 1170; and Asvamedh.-P.
LXXXIII. 2472—5) and still formed a kingdom
(Udyoga-P. III. 84; and XLVII. 1884). It would seem
that, as the Aryans extended their conquests, the
Nisädas were partly driven back into the hills and
forests of Central India, and were partly subjugated and
absorbed among the lowest classes of the population as
appears from casual allusions (Rämäy. Ädi-K. II. 12;
and MBh. Adi-P. CXLVIII; and Vana-P. CXXX.
i°538—9). They were looked upon as very degraded in
later times, but at first their position was not despicable,
for Rama and Guha king of the Nisädas met as friends
on equal terms (Ayodh.-K. XLVI. 20; XLVII. 9—12;
and XCII. 3); and it seems Krsna’s aunt Srutadevä
married the king of the Nisädas (Hari-V. XXXV. 1930
and 1937—8).”
2 HI, 39-
3 Für Arbman ist diese Szene lediglich bezeichnend für
Siva’s Charakter als wilder Waldbewohner und mord-
lustiger Jäger, für seine Naturgebundenheit, die seine
volkstümliche und ursprüngliche Gestalt kennzeichnet.
-— Der Name Kiräta bezeichnet einerseits eine Gruppe
von Himälaya-Stämmen, andererseits auch die Stämme
der Indien im Osten begrenzenden Gebirge; gewöhnlich
wurde er wohl für alle mongoloiden Gebirgsvölker des
Nordens und Ostens gebraucht. Vgl. Pargiter, Mär-
kandeya-Puräna transl. S. 322 Anm. (zu LVII. 40, wo
die Kiräta’s mit anderen als die Völker des Nordens
angeführt werden): “The word Kiräta is no doubt the
same as the modern names Kiräti and Kiränti, which
mean a native of the Kiränt-des or mountainous
country lying between the Dud-Kosi and the Karki
rivers in Nepal. The term includes the Khambu, Limbu
and Yäkhä tribes . .. But formerly they had a much
larger range and were spread along the greater part of
the southern side of the Himalayas, for Arjuna en-
countered them in his northern expedition (Sabhä-P.
XXV. 1002), Bhima in his eastern (id. XXIX. 1089),
and Nakula in his western expedition (id. XXXI. 1199).
They formed a group of closely alied yet distinct tribes
or clans . .. The tribes differed much in material con-
dition, for some were civilized and open to friendly
intercourse (Vana-P. CXL. 10865—6; and Udyoga-P.
LXHI. 2470), and others were clad in skins, lived on
fruit and roots and were cruel (Sabhä-P. LI. 1865).
Their women were used as slaves (ibid. 1867). The
Rämäy. describes them as wearing thick top-knots
(Kishk.-K. XL. 30).”
4 Weitere auf das Gebirge bezügliche Namen Siva’s und
Pärvati’s bei Arbman S. 35 und 39ft.
5 Arbman erklärt die Beziehung Rudra-Siva’s zum Ge-
birge mit einer primitiv-ursprünglichen Vorstellung von
Bergen als Göttersitzen im allgemeinen und vergleicht
diese indische Vorstellung mit der griechischen vom
thessalischen Olymp.
6 Vgl. die entsprechenden Benennungen bei Arbman
S. 37f.
7 TS. IV, 5, 3. Vgl. Arbman S. 25 und 247!!.
4
HEINRICH MEINHARD
wird, d. i. von Leuten, die nach dem Kommentar ohne Sariiskära’s („vedoktasamskärahlnäh“)
sind1. Eine Hymne des Rgveda schildert, wie Rudra mit dem „langhaarigen Verzückten“
Gift aus einer Schale trinkt1 2.
Zweifellos lassen sich gewisse Elemente in der Vorstellung und im Kult des vedischen
Rudra und noch mehr des jüngeren Siva nicht durch indogermanische Parallelen erklären.
Deshalb sieht sich auch Bhandarkar genötigt, die Verbindung des seiner Meinung nach
arischen Rudra-Siva mit Dämonenverehrung, Schlangenverehrung und dem viel später in
die Erscheinung tretenden Linga-Kult dem Einflüsse der Aboriginer zuzuschreiben3. Die
Verbindung des Linga-Kultes mit Siva läßt sich einstweilen noch nicht befriedigend er-
klären. Auch ist sein Aufkommen erst in verhältnismäßig später Zeit nachzuweisen. Nach
Bhandarkar scheint das Linga als Emblem Siva’s der Zeit des Grammatikers Patanjali (den
man in das zweite vorchristliche Jahrhundert setzen möchte) noch unbekannt zu sein, eben-
falls der Zeit des Wema-Kadphises, nach seinen Münzen zu schließen. Aus diesem Fehlen
von Angaben über den Linga-Kult könne sich natürlich nur ergeben, daß er um diese Zeit
noch nicht in die Religion der oberen Volksschichten eingedrungen war; die unteren Schich-
ten, die mit den primitiven Aboriginern in näherer Berührung gestanden hätten, müßten ihn
bereits viel früher gekannt haben4. Das Linga fehlt ferner noch in den älteren Partien des
Mahäbhärata, auch werden im ganzen Umfang der Epen keine wilden Stämme erwähnt,
die durch den Gebrauch dieses Emblems unterschieden wären5 6. Kittel1’ hat die Annahme ent-
kräftet, daß der spätere Sivaismus die Linga-Verehrung von den Dravida’s übernommen
habe. Er hat bei nichtbrahmanisierten dravidischen Stämmen keine Spuren von Phallus-
dienst gefunden und schreibt den Linga-Kultus deshalb den Ariern zu, bei denen er schon
lange „unter der Asche geglüht“ haben soll7. Einen Hinweis auf Phallusverehrung bei den
Urbewohnern glaubt man in der an zwei Stellen des Rgveda, nämlich VII, 21,5 und X, 99, 3,
vorkommenden Bezeichnung „sisnadeväh“ gefunden zu haben, jedoch ist die Bedeutung des
Wortes nicht sicher8. Wenn diese Bezeichnung tatsächlich auf Phallusverehrung der Abori-
giner hinwiese, dann wäre das Fehlen von Nachrichten hierüber in der ganzen späteren
Literatur immerhin sehr merkwürdig. Es scheint also, daß der Phalluskult nur in der Form
des späteren, mit Siva verbundenen Lingaismus auftritt, und daß sich keine primitiven Vor-
stufen mit Sicherheit nachweisen lassen. Mithin verliert die Annahme, daß das Element des
Phalluskults durch eine Amalgamierung Rudra’s mit Gottheiten der Aboriginer von den
letzteren auf ihn übertragen sei, ihre Stütze.
Die Archäologie scheint ein höheres Alter des sivaitischen Linga-Kultes zu bezeugen als
die Literatur. Jouveau-Dubreuil9 weist für Südindien die Verbindung des Linga mit dem
sivaitischen Hinduismus bereits zu Beginn der Monumentengeschichte nach; in den Denk-
mälern der Pallava-Periode (siebentes Jahrhundert n. Chr.) findet es sich überall, ebenfalls
in der vielleicht um ein Jahrhundert älteren Avatära-Höhle in Elürä und in der Höhle Nr. 1
in Bädämi, Noch weit älter sind angeblich zwei von Coomaraswamy10 gezeigte Linga’s. Es
1 VS. 16, 7. Vgl. OST. IV, S. 326, Anm. 58.
2 X, 136. Vgl. Oldenberg, Religion des Veda, S. 404!.,
Arbman S. 298ff., Hauer, Anfänge der Yogapraxis,
S. 168ff. Hauer spricht von einem “primitiven Wild-
ekstatiker“.
3 Vaisnavism etc. § 88.
4 Vaisnavism etc. § 88.
5 Hopkins, Ep. Myth. § 158 und Anm.
6 Über den Ursprung des Lingakultus in Indien. Manga-
lore 1876.
7 Auch L. v. Schroeder, Mysterium und Mimus, S. 65,
nimmt an, „daß das indische Volk diesen Phalluskult
schon aus der arischen Urzeit mitbrachte, und daß
nur die entschiedene Abneigung der Begründer der
vedischen Religion gegenüber diesem Kult ihn ausschloß
und dazu verurteilte, in der Stille, im Volke sein Leben
zu fristen, bis er dann später mit dem großen Gott Siva
und unter seinem Schutze hervortrat, sich Duldung
und Anerkennung erzwang“.
8 Vgl. OST. IV, S. 406ff. und L. v. Schroeder, Mysterium
und Mimus, S. 63ff. Bhandarkar, Vaisnavism etc. § 88,
hält daran fest.
9 Archéologie du Sud de l’Inde, H, S. II.
10 Elistory of Indian and Indonesian Art, S. 39 und 67,
Abb. 66 und 68.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SlVAlSMUS NACH DEN PURÄNA’S
5
handelt sich um ein Linga mit heraustretender vierarmiger Siva-Figur (Lingodbhava), einer
Mathurä-Arbeit aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert n. Chr., und ein noch heute in
Gudimallam (North Arcot District) unter dem Namen Parasurämesvara verehrtes, reali-
stisch gearbeitetes Linga mit zweiarmiger Siva-Figur, das sogar dem ersten oder vielleicht
dem zweiten Jahrhundert v. Chr. angehören soll. In merkwürdig buddhistischer Umgebung
erscheint das Linga als Flammensäule und in Verbindung mit dem Trisüla einige Male auf
den Reliefs, mit denen der Steinzaun des zerstörten Stupa von Amarävati im Kistna-
Godävarl-Delta geschmückt ist1. Der Steinzaun gehört nach Grünwedel1 2 in das Ende des
zweiten Jahrhunderts n. Chr.; während der Stüpa selbst aus dem ersten oder zweiten Jahr-
hundert v. Chr. stammt. Havell3 4 5 * hat das Linga von dem buddhistischen Votiv-Stüpa ab-
leiten wollen. Hier in Amarävati haben wir das linga jedenfalls in fester Verbindung mit der
Auffassung Siva’s, wie das Trisüla und einige Gruppen von Haarwülsten tragenden, also
sivaitischen, Asketen beweisen, und können schließen, daß diese Verbindung schon einige
Zeit bestand, bevor das Linga als Gegenstand der Verehrung vom Buddhismus aufgenommen
'""obgleich im Linga-Kult des brahmanischen Sivaismus sexuelle Vorstellungen keine
Rolle spielen, muß wohl nicht besonders betont werden, daß seine Entstehung mit Rudra-
Siva’s Aspekt als nhallischer Fruchtbarkeitsgottheit zusammenhangt Diese Auffassung
tritt auch in einer Anzahl von Legenden hervor, die den Ursprung des Linga als religiösen
Symbols erklären. So wird z. B. berichtet, wie der Schöpfergott Siva die Kreaturen schon
erschaffen vorfindet, im Zorn sein Zeugungsorgan abschneidet und m die Erde steckt um
sich fortan der Askese hinzugeben*, oder wie ein Feuer, das aus den Gebeten und der Askese
der über die Verführung ihrer Frauen erzürnten Büßer hervorgegangen ist, ihm das Glied
vom Leibe reißt, das darauf von Brahma in der Form eines Fußgestells und von Vispu in der
Form einer Vulva aufgefangen wird.3 Siva wird auch gelegentlich als phallische Gottheit,
jedoch ohne irgendwelche Beziehung zu seinem Linga-Symbol, aufgefaßt, er erscheint so
z. B. vor Brahma und Visnu: kahlköpfig, zehnarmig, das Trisüla haltend, mit Schilfgras
umgürtet (muhjamekhalin), mit großem, aufgerichtetem Phallus (medhrenordhvena maha-
tä), furchtbar brüllend und glänzend, die Himmelsrichtungen durchdringend». In der
Ikonographie wird z. B. Lakulisa, der als Avatära Siva s gilt, phall.sch (urdhvamedhra)
dargestellt». Besonders aber beherrscht das sexuelle Element die androgynische Auffassung
Siva’s: Ardhanärisvara. Nach den Puräna’s zeigen seine Idole ein aufgenchtetes Glied und
eine Vulva; andererseits wird er als Zusammenfassung von Linga und Vom erklärt» Uber
das Alter von nordindischen Ardhanärisvara-Darstellungen besitzen wir eine Angabe des
Stobaeus nach Bardasanes, der den Bericht eines um 220 n. Chr. nach Syrien gekommenen
Inders wiedergibt9. Lassen'» schließt aus Münzen des zweiten Kadphises der die westlichen
indischen Gebiete beherrschte, daß seiner Zeit, also dem Beginn der christlichen Ara, die
androgynische Auffassung Siva’s eigen war. , ., ri
So gehen also sowohl die bisher als älteste erkennbaren Lmga-Darstellungen wie auch
die Ardhanärisvara-Figuren in den Anfang unserer Zeitrechnung, ja darüber hinaus, zurück,
und wir können schließen, daß die phallische Auffassung Rudra-Siva s sich bereits in den
1 Vgl. Fergusson, Tree and Serpent Worship, S. 207ff,;
Plate LXX, LXXI, Fig. 1 und 2, und LXXII, Fig. 2.
2 Buddhistische Kunst in Indien, S. 26.
3 Ideals of Indien Art, S. 87.
4 MBh. X, 17 und Väyu-P. 10; vgl. Bhandarkar, Vaisna-
vism etc. § 87. Auch in der Legende vom Flammen-
Lihga, Siva-P. VI, 10. Vgl. unten S. 40.
5 In der von Sonnerat, S. 149!!., wiedergegebenen Fassung
der Legende von Siva im Devadäru-Walde; vgl. unten
S. 43, Anm. 8 und Jahn, Die Legende vom Deva-
däruvana. ZDMG. 69, S. 529!!.
6 Liñga-P. I, 20. S. unten S. 39.
7 Vgl. D. R. Bhandarkar, Lakulisa. Archaeol. Survey,
Report 1906—7, S. I79ff.
8 Vgl. im folgenden den betr. Abschnitt.
9 S. unten S. 27, Anm. 12. Vgl. Coomaraswamy S. 67.
10 Indische Altertumskunde II, S. 811 und 1107!!.;
s. unten S. 27.
6
HEINRICH MEINHARD
Jahrhunderten v. Chr. auch über die untersten Schichten hinaus Anerkennung erzwungen
hatte. In den unteren Schichten selbst hat diese phallische Auffassung sicher schon in
vedischer Zeit bestanden. Auch L. v. Schroeder vertritt diese Ansicht, nimmt jedoch an,
daß das phallische Element ein nur von den priesterlichen Begründern der vedischen
Religion unterdrücktes volkstümliches Erbteil aus arischer Urzeit ist1. Doch, scheint es, daß
selbst in vedischer Zeit die Religion der unteren Schichten, wie sie Arbman dargestellt hat,
im wesentlichen schon aus nichtarischen Elementen besteht1 2. Wahrscheinlich haben nun auch
diese unteren Volksschichten, und ebenfalls die vom Brahmanismus noch unberührten
Ureinwohner, schon in ältester Zeit rohe Darstellungen ihrer dämonischen Gottheiten, be-
sonders Rudra’s, des Elauptvertreters dieser dämonischen Mächte, gekannt und verehrt.
Noch heute werden die volkstümlichen Gottheiten, die Grämadevatä’s usw., durch Steine
dargestellt, die mit Mennige und Öl beschmiert und unter Bäumen aufgestellt werden3.
Derartige Steinfetische dienten wohl auch schon in vedischer Zeit als Kultobjekte der un-
teren Schichten und der unberührten Autochthonen. Aus ihnen scheinen sich dann die
späteren Götterdarstellungen entwickelt zu haben. Da nun auch beim Linga durchgängig
als das Wesentliche betrachtet wird, daß es aus Stein besteht, so kann man es wohl ebenfalls
auf derartige Steine zurückführen, die als Fetische Rudra’s verehrt wurden, der in einem
seiner wichtigsten Aspekte eine Gottheit der Fruchtbarkeit war. Unbearbeitete Steine, oder
wenigstens bestimmte seltene Formen und Arten, werden auch im brahmanischen Sivaismus
als Linga’s verehrt: die sogenannten Svayambhü- und Bäna-Linga’s4. Man darf die Ver-
ehrung dieser „natürlichen“ Linga’s wohl in eine nähere Beziehung zu der Verehrung der
rohen Steinfetische der populären niederen Gottheiten bringen.
Der puränische Siva ist eng mit seiner Gattin Pärvati verbunden, die fast stets mit ihm
zusammen auftritt. Diese Verbindung mit einer weiblichen Gottheit ist für die Frage nach
der Kulturzugehörigkeit Rudra-Siva’s von größter Bedeutung. Einer der ältesten Namen
Rudra’s, der später im Mahäbhärata und in den Puräna’s wieder auftaucht, ist Tryambaka,
d. h. „der mit drei Muttergottheiten Verbundene“. Die Richtigkeit dieser Erklärung hat
Arbman5 dadurch erwiesen, daß der Name Tryambaka in der vedischen Literatur aus-
schließlich Rudra in Verbindung mit dem Traiyambaka-Ritus bezeichnet, bei dem er gemein-
sam mit seiner Schwester Ambikä abgefunden wird6. Diese Göttin ist identisch mit der
später als Gattin Siva’s aufgefaßten Umä-Durgä-PärvatI7. Rudra war also schon in ältester
1 S. oben S. 4, Anm. 7.
2 Vgl. Charpentier, Über den Begriff und die Etymologie
von püjä. Festschrift für Jacobi, S. 283: „Die ursprüng-
liche Religion der Arier und diejenige der älteren Ein-
wohner Indiens traten wegen der durch die arische
Einwanderung und Eroberung geschaffenen sozialen
Verhältnisse unmittelbar zueinander in das Verhältnis
einer Religion der oberen und einer der unteren Klassen.“
3 Charpentier, a. a. 0. S. 286, 288, 290, stellt eine Menge
diesbezüglichen Materials zusammen; vgl. auch Ward
HI, S. 182 ff. über Steinfetische Pancänan’s und
Dharma-Thäkur’s, die als Formen Siva’s betrachtet
werden.
1 Ein Svayambhü-Lihga ist ein größerer Stein, der die
Form eines Linga von Natur besitzt. Man nimmt an, daß
er an der Stelle, wo er angetroffen wird, in wunderbarer
Weise erschienen ist, und baut dort einen Tempel über
ihm. Ein Bäna-Linga ist ein kleiner Stein in der un-
gefähren Form eines Linga. Er soll aus weißem Quarz
bestehen und im Bett der Narbadä gefunden werden.
Beiden Steinen wohnt Siva von Natur inne; daher be-
dürfen sie keiner Einweihung wie ein künstlich her-
gestelltes Linga oder eine figürliche Götterdarstellung.
Vgl. Monier-Williams, Brähmanism and Hindüism,
S. 69!. und William Ward III, S. 13.
5 S. 294!. Ebenso Charpentier WZKM. XXIII, S. 177f.;
Hopkins, Ep. Myth. § 137 Anm. und Johansson,
Dhisanä,- S. 88.
6 “esa te rudra bhägah sahä svasrä ambikayä tan jusasva
svähä”, VS. 3, 57. Vgl. Arbman S. 49.
7 Sie wird von dem Komm, zu TS. mit Siva’s Gemahlin
Pärvati identifiziert; nach den Lexikogr. sind Ambä und
Ambikä Bezeichnungen von Durgä-Pärvati. Arbman
weist auch noch auf die Feststellung Johanssons hin,
daß „die mythisch-religiösen Konzeptionen Mutter,
Schwester, Weib aus der mütterlich-weiblichen Kon-
zeption im allgemeinen geflossen sind und häufig in-
einander übergehen“. Die Identität der beiden wird auch
dadurch bestätigt, daß der Name Umä, der Kena-Up.
25 zuerst auftaucht, auf Ammä zurückzugehen scheint,
wie Hopkins, Ep. Myth. § 162 und Anm., mit Oppert
annimmt. Umä Haimavati wird zwar in der Kena-Up.
14—28 gegebenen Legende nicht als Gemahlin Rudra-
Siva’s bezeichnet, wie sich auch die „Erscheinung“
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
7
vedischer Zeit mit einer Muttergottheit verbunden. Die Verehrung von weiblichen Gott-
heiten, sogenannten „Müttern“, ist in der heutigen Volksreligion von größter Bedeutung.
Monier-Williams1 berichtet: „Every village has its own special guardian mother, called
Mätä or Ambä. Generally there is also a male deity, who protects like the female from all
adverse and demoniacal influences. But the mother is the favourite obiect o£ adoration .
Diese vielen lokalen Muttergottheiten werden als Manifestationen der PärvatI erklärt. Auch
im Mahäbhärata und in den Puräna’s spielen die Mütter eine Rolle; sie treten hier sowohl im
Gefolge Siva’s wie Skanda’s auf. Von demselben dämonischen Charakter wie diese weiblichen
Gottheiten dürfte auch die in vedischer Zeit mit Rudra verbundene Muttergottheit gewesen
sein2. Wenn sie in der vedischen Literatur durch ihren männlichen Partner in den Schatten
gestellt wird, so erklärt sich das daraus, daß die’religiöse Vorstellungsweise der arischen
Priester ein dominierendes oder nur gleichberechtigtes weibliches Element nicht duldete.
In der volkstümlichen Anschauung dagegen hat die weibliche Gottheit neben Rudra sicher
große Bedeutung gehabt. Sie ist in keiner Weise mit Indrän! und ähnlichen Schattengestalten
ZU ^^vernehmliche Verehrung dämonischer Muttergottheiten, die uns die heutige Volks-
religion zeigt, können wir auch in der vorarischen Religion Indrens vermuten. Sicher gehört
auch die mit Rudra eng verbundene Ambikä, die denselben Typus repräsentiert, der religio-
sen Vorstellung der Aboriginer an. Von den verschiedenen weiblichen Gottheiten, die im
Bilde der Gemahlin Rudra-Siva’s verschmolzen sind, werden einige im Epos mit bestimmten
autochthonen Stämmen in Verbindung gebracht. Es sind dies nach Bhandarkar» goddesses
dwelling in forests and on the Vindhya mountam, to whom ammals and even human bemgs
were sacrificed and oblations of wine were given and whowere also the goddesses worshipped
by the wild tribes, such as Pulindas, Sabaras and Barbaras. These were f.erce goddesses and
have the names of Karälä, Kali, Candi, Cämundä, and others““. Die von den Koli s und
Sabara’s mit geistigen Getränken und Blut verehrte Durgä Vmdhyaväsmi scheint erst im
siebenten Jahrhundert n. Chr. mit Siva’s Gemahlin identifiziert worden zu sein: sie wird von
dem Dichter Väkpati (gegen Ende des siebenten oder Anfang des achten Jahrhunderts)
gleichzeitig als die nichtarische Kali und als eine Form der PärvatI bezeichnet*
' Die Mütter-Verehrung hat ihren Gipfel im Sakti-Kult erreicht, in dem Siva s Gemahlin
als das höchste göttliche Wesen angesehen wird, und Siva selbst in den Hintergrund tritt.
Als das Ursprungsgebiet dieser Form indischer Religion hat Wilson« auf Grund von Angaben
des Kälikä-Puräna das nordöstliche Bengalen und Assam erklärt. R. v. Heine-Geldern’
führt den Sakti-Kult auf die Verehrung vorwiegend weiblicher Gottheiten oder wenigstens
auf die Verehrung von Götterpaaren sowohl bei den primitiven Bergstammen wie auch bei
den Halbkulturvölkern des westlichen Hinterindien zurück. Doch kommen nach ihm für
(yaksa), die den drei Göttern Agni, Väyu und Indra
durch Umä als das Brahman gedeutet wird, nicht
äußerlich als Rudra-Siva kenntlich macht. Jedoch läßt
sich beides mit einiger Wahrscheinlichkeit erschließen.
Die indische Tradition hat es so aufgefaßt, wie das
Linga-P., I, 53, 55—62, das dieselbe Legende, nur
geringfügig verändert, völlig zusammenhanglos an das
Ende eines kosmographischen Kapitels anhängt, mit
Deutlichkeit erkennen läßt. Auch Bhandarkar, Vaisna-
vism etc. § 85, spricht sich dafür aus: “Since it was Umä
that disclosed the nature of the spirit, it may be under-
stood that the Brahman mentioned was Rudra-Siva and
Umä was his wife. It would thus appear that she had
come to be so regarded some time before the Upanisad
was composed.”
1 Brahmanism and Hindüism, S. 222. Krishna Sastri,
South Indian Images, S. 223ff., führt eine große Anzahl
dämonischer Grämadevatä’s aus Südindien an. Wei-
teres Material hat Arbman S. 295 ff. zusammengestellt.
2 Vgl. Arbman S. 295 ff.
3 Vaisnavism etc. § 109.
4 Vgl. MBh. IV, 6, 17ff. Hariv. 3251 ff. Hariv. 3274;
„Sabarair barbarais caiva pulindais ca supüjitä“; vgl.
OST. IV, S. 434-
5 Vgl. в. C. Mazumdar, Durgä: her Origin and History.
JRAS. 1906, S. 355 ff- Vgl. auch ibid. den Nachweis des
Zusammenhangs zwischen dem Kumäri-Kultus der
nichtarischen Südra-Kasten von Sambalpur und der
bengalischen Durgä-Püjä.
fi Vishnu Puräna, Preface S. XC.
7 Kopfjagd und Menschenopfer in Assam und Birma und
ihre Ausstrahlungen nach Vorderindien. MAGW. 1917.
HEINRICH MEINHARD
die Genesis des Sakti-Kultes außer dem Einfluß Assams auch noch dravidische Elemente in
Frage, die aber vielleicht auf noch ältere, durch die Mundä-Stämme vermittelte hinter-
indische Einflüsse zurückgehen. Die Hypothese hinterindischen Einflusses beim Aufbau des
Sakti-Kultes ist jedenfalls nicht unbedingt notwendig; möglich und wahrscheinlich ist aber,
daß ihm durch die Vermittlung Bengalens neue Nahrung aus Assam und Birma zufloß. Die
Auffassung und Verehrung weiblicher Gottheiten in Assam weist große Ähnlichkeiten mit
der der primitiven Muttergottheiten in Indien auf.
Wie Arbman bereits gezeigt hat, steht der vedische Rudra in einer engen Verbindung mit
einer Muttergottheit, die denselben dämonischen Charakter aufweist wie die Muttergott-
heiten der modernen Volksreligion. Auch diese sind, wie Monier-Williams bemerkt, gewöhn-
lich von einer männlichen Gottheit begleitet. Bei den Bergstämmen und Halbkulturvölkern
Assams finden wir ähnliche Götterpaare, die im Laufe der Hinduisierung Assams z. T. mit
Siva und PärvatI identifiziert werden. Vielleicht läßt sich nun schließen, daß auch der
vedische Rudra nichts anderes ist als ein von den arischen Einwanderern, stufenweise von
den untersten sozialen Schichten bis in die Schicht der priesterlichen Hymnendichter,
adoptierter männlicher Partner einer nichtarischen Muttergottheit. Dadurch, daß der
Brahmanismus ihn aufnahm, wurden nicht nur seine Doppelgänger, wie Bhava, Sarva, und
später andere mehr, mit ihm verschmolzen, sondern flössen auch allmählich die Vorstellun-
gen anderer lokaler Muttergottheiten im Bilde der an seiner Seite stehenden Ambä zusam-
men. Das weibliche Element der religiösen Vorstellung, das in 'vorarischer Zeit wahrschein-
lich dominierte, von den Ariern aber abgelehnt wurde, trat wiederum in den Vordergrund
in dem Grade, in dem der Verschmelzungsprozeß zwischen Ariern und Urbewohnern sich
durchsetzte.
Heine-Geldern findet in der Beziehung Siva’s und Durgä’s zum menschlichen Schädel
ein Element, das er mit dem Menschenopfer der Halbkulturvölker Assams und der Abori-
giner Zentralindiens in Zusammenhang bringt. Für das assamesische Menschenopfer läßt
sich seine Entstehung aus der bei den Primitivstämmen üblichen Kopfjagd nachweisen, für
das vorderindische ist der gleiche Ursprung wahrscheinlich. Sowohl beim assamesischen wie
beim zentralindischen Menschenopfer wird dem Kopfe des Getöteten besondere Bedeutung
eingeräumt. Bei den blutigen Opfern für Siva und namentlich für Kali scheint ebenfalls das
Wesentliche in der Notwendigkeit der Schädel zu liegen. Tieropfer und Menschenopfer
geschehen in der Weise, daß der abgeschlagene Kopf der Gottheit vor die Füße gelegt wird. Der
Rumpf wird nicht geopfert. Siva und Durgä werden in den Puräna’s und im Epos nicht selten
als Schädelträger geschildert; sie tragen einen Schädel in der Hand und einen Kranz von
Schädeln um den Hals. Kapälin, Kapälahasta, Kapälavat sind geläufige Beiworte Siva’s;
Durgä wird käpäli und pätri genannt. Eine ihrer Formen ist Chinnamastakä. Siva’s Schädel-
emblem wird in einem ätiologischen Mythus darauf zurückgeführt, daß er Brahmä’s
fünftes Haupt abgeschlagen habe. Auf den Abbildungen beider Gottheiten tritt dieser
barbarische Zug dominierend in den Vordergrund: Durgä z. B. wird mit einem abgeschnitte-
nen Menschenkopf dargestellt, den sie an den Haaren hochhält, oder mit dem abgeschnitte-
nen Kopf des Opfertieres zu Füßen1. Arbman hat nachgewiesen, daß dieser barbarische Zug
keine spätere Zutat zum Bilde und Kultus der beiden Gottheiten ist, sondern schon in
vedischer Zeit in Verbindung mit ihnen bestanden haben muß. Er vermutet sogar in der
Schale (pätra), aus der Rgveda X, 136, 7 der „langhaarige Verzückte“ mit Rudra zugleich
Gift trinkt, die aus späterer Zeit bekannte Schädelschale (kapäla)2.
Läßt sich also aus einer Reihe von Anzeichen Rudra’s nichtarische Herkunft erkennen,
so wird auch die Furcht der rgvedischen Hymnendichter und die Isolierung Rudra’s im
Kultus verständlich, die in der episch-puränischen Legende von Daksa’s Opfer noch einen
1 Vgl. Arbman S. 272. 2 S. 304, Anm. 1.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES älVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
• y
späten Ausdruck gefunden hat, und die den Gegensatz zweier Rassen und Kulturen wieder-
spiegelt. Zusammenfassend sei also betont, daß Rudra-Siva als eine Gottheit der Urbewohner
Indiens aufgefaßt werden muß, der Unterworfenen, die die unterste Schicht des Volkes
bildeten, und der in Dschungel und Gebirge Verdrängten. Er steigt allmählich in die höheren
Volksschichten auf und erscheint später weitmöglichst brahmanisiert. In den Puräna’s
haben wir im wesentlichen ein idealisiertes Siva-Bild.
SIVA ALS ASTAMÜRTI UND DIE ACHT FORMEN.
Den Sivaismus der Puräna’s kennzeichnet vor allem die Tendenz zur theopanistischen
Erklärung Siva’s. Hierzu liefert nicht zuletzt die aus älterer Zeit überkommene Vielnamig-
keit des Gottes das Material. Auf eine ältere Tradition geht auch die Bindung von acht
Namen und demgemäß die Auffassung von einer achtfachen Gestalt Siva’s zurück, auf welche
sich vielleicht die Heiligkeit der Achtzahl im Sivaismus gründet. Der diese Auffassung des
Gottes bezeichnende Name ist Astamürti. Am bekanntesten dürfte seine achtfache Gestalt
aus der Nändi von Kälidäsa’s Sakuntalä sein, in der er angerufen wird, mit seinen acht wahr-
nehmbaren Körpern: Wasser, Feuer, Hotr, Sonne, Mond, Äther, Erde und Wind, die Ver-
sammlung gnädig zu beschützen. Dieselbe Reihenfolge der acht Formen gibt auch MBh.
XIII, 16 an1. Im Linga-P. entspricht ihre Ordnung gewöhnlich der üblichen Folge der fünf
Elemente: Erde, Wasser, Feuer, Wind und Äther, an die die drei Gestalten Sonne, Mond
^vq,jamanäj angeschlossen werden. Die letzte Gestalt heißt auch diksita bztv.
diksita brähmana1 2, purhs3, pumsärh deva4 und ätman5. Wie schon angedeutet, werden mit
diesen acht Gestalten acht Namen Siva’s in Beziehung gesetzt, und zwar heißt er als Erde
Sarva oder Sarva, als Wasser Bhava, als Feuer Rudra, als Wind Ugra, als Äther Bhima,
als Sonne Isäna oder Isa, als Mond Mahädeva, als Opferer Pasupati6. Diese Gleichsetzung
ist indessen nicht allgemein gültig: die Gestalt als Feuer wird auch Pasupati, die als Wind
auch Isäna bzw. Isa, die als Sonne auch Rudra, die als Opferer auch Ugra genannt7. Die
vier übrigen Namen dagegen bezeichnen auch hier die gleichen Gestalten wie in der erst-
genannten Reihe.
Nach einer Beschreibung des Welteies und der sieben Hüllen, die es umgeben8, befindet
sich Sarva in der Eischale, Bhava in der Wasserschicht, Rudra in der Feuerschicht, Ugra in
der Windschicht, Bhima in der Ätherschicht9, Mahesvara im die Ätherschicht umgebenden
Ahamkära, Isa in der den Ahamkära umgebenden Buddhi, Paramesvara allerwärts (sar-
vatas), d. h. wohl in der Prakrti, die das Ganze umhüllt ( ?). Da in diesem Schema Sonne,
Mond und Opferer keinen Platz finden, verwendet man die drei übrig bleibenden Namen zur
Bezeichnung der drei Begriffe, die außer den Elementen in der Vorstellung von dem Weltei
eine Rolle spielen. Der Name Pasupati wird hier durch Paramesvara ersetzt.
Da sich im Kleinen auch die Körper aus den Elementen und drei weiteren Realitäten
zusammensetzen, so wohnt Siva als Astamürti in jedem Übenden Wesen, ist jedes lebende
Wesen ein ausschließliches Produkt Astamürti’s oder mit ihm identisch (astamürter
ananvatva). Unter dem Festen oder dem Erdstoffe des Körpers ist Sarva zu verstehen, unter
dem flüssigen Wasserstoff Bhava, unter dem Feuerstoff Pasupati, unter dem Windstoff Isa,
unter dem Ätherstoff Bhima. Das mit der Sonne in Verbindung stehende Augenlicht ist als
Rudra zu erkennen, das mit dem Monde verbundene Manas10 als Mahädeva und der Opferer
1 Vgl. Hopkins, Ep. Myth. § 159.
2 Linga-P. II, 12, 3 und 44.
Linga-P. I, 41, 36.
4 Linga-P. I, 86, 131.
5 Linga-P. I, 82, 42 und 103, 42; II, 12, 4 und 44.
6 Lihga-P. 1, 70, 57!. und 86, 129ff.; II, 45, 3off.
7 Linga-P. I, 41, 29H.; II, 13, 3ff.
8 Linga-P. I, 70, 52 ff.
9 „avanimadhyastha“ offenbar fehlerhaft.
10 Vgl. die Verbindung des Mondes mit dem Manas und
der Sonne mit dem Auge des Weltschöpfers Purusasökta
(RV. X, 90) 13.
2 Baess! er-Archiv.
IO
HEINRICH MEINHARD
genannte Ätman als Ugra.1 Nach einer anderen Auffassung reicht das Gebiet der Erde bis zu
den Knien, das des Wassers bis zum Nabel, das des Feuers bis zum Halse, das des Windes
bis zur Stirn, das des Äthers bis zur Höhe des Haarschopfs. Die Sonne befindet sich in den
Augen, der Mond im Herzen, über dem Gebiet des Äthers das Hamsa genannte Brahman1 2.
In Mantra’s werden die acht Namen — in der zuerst genannten Reihenfolge — auch zu
den acht Weltschichten: Bhür, Bhuvas, Svar, Mahar, Janas, Tapas, Rta (hier eingeschoben)
und Satya, in Beziehung gesetzt, jedoch scheinbar nur der Vollständigkeit halber und ohne
irgendwelche Folgerungen daraus zu ziehen3. Als Astamürti übt Siva sämtliche Funktionen
aus, die die einzelnen acht Realitäten zur Erhaltung des Ganzen notwendig verrichten
müssen4. Die Welt, ein Produkt seiner acht Gestalten (devadevasya mürtyastakam idam
jagat), kann nur durch deren Zusammenwirken existieren5.
Die Verbindung der Namen Sarva etc. reicht in sehr alte Zeit zurück. Schon AV. XV, 5
werden die sieben Gottheiten Bhava, Sarva, Pasupati, Ugra, Rudra, Mahädeva und Isäna
erwähnt und in dieser Reihenfolge zu der Zwischenrichtung des Ostens, der des Südens, der
des Westens, der des Nordens, der des Unten, des des Oben und, zusammenfassend, zu allen
Zwischenrichtungen in Beziehung gesetzt. (Dagegen fehlt in den Puräna’s den acht Gestalten
eine Verknüpfung mit den Himmelsrichtungen.) Während diese sieben Namen im AV.
scheinbar verschiedene Götter bezeichnen, treten sie Sat. Br. VI, 1, 3, yff., vermehrt um
den Namen Asani, als acht Namen Rudra’s auf, der hier mit Agni identifiziert wird. Dem
Prajäpati und der Usas wird ein Knabe geboren. Dieser weint, nach einem Namen ver-
langend. Prajäpati nennt ihn Rudra. Als der Knabe noch mehr Namen fordert, nennt
Prajäpati ihn nacheinander Sarva, Pasupati, Ugra, Asani, Bhava, Mahän Deva, und Isäna.
In etwas anderer f orm begegnet uns dieser Mythus Kaus. Br. VI, 1. Prajäpati sammelt den
Samen, den seine Söhne Agni, Väyu, Äditya und Candramas beim Anblick ihrer Schwester
Usas verloren haben. Aus diesem Samen entsteht ein Wesen mit tausend Augen, tausend
Füßen und tausend Pfeilen auf der Bogensehne, das von Prajäpati nacheinander acht
Namen verlangt und erhält. Die Grhyasütra’s lehren den Gebrauch von Mantra’s, die die
Namen Rudra’s enthalten, beim Sülagava. Die Mantra’s Hir. Gr. II, 3, 8, 6f.6 richten sich an
die acht Götter Bhava, Rudra, Sarva, Isäna, Pasupati, Ugra, Bhima, Mahän Deva und an
deren Frauen: hier erscheint also schon Bhima7 anstelle Asani’s.
In verschiedenen Puräna’s8 findet sich ein Mythus von der Geburt Rudra’s, der inhalt-
lich anscheinend auf den erwähnten Mythus des Sat. Br. zurückgeht. Am Anfang des Kalpa
erscheint auf dem Schoße Brahmä’s ein schwarz-roter Knabe, der laut weint und Brahmä
um einen Namen bittet. Dieser nennt ihn Rudra und beruhigt ihn. Der Knabe weint noch
siebenmal und bekommt darauf die weiteren Namen Bhava, Sarva, Isäna, Pasupati, Bhima,
Ugra und Mahädeva, ferner die Wirkungsgebiete dieser acht samt Frauen und Söhnen. Als
die Wirkungsgebiete (sthänäni) werden die acht Realitäten erklärt. Nach der Fassung des
Väyu-P. erschafft Brahmä nach der Namengebung die als brahmadhätavah bezeichneten
Körper für die verschiedenen Namen, und diese gehen in jene ein. Im Kürma-P. beginnt der
Mythus folgendermaßen: Als Brahmä sich vergebens bemüht, Geschöpfe hervorzubringen,
wird er zornig, und Tränen stürzen aus seinen Augen. Aus den Tränen entstehen Bhüta’s
1 Linga-P. I, 86, 131 ff.; II, 13, 19ff. Das „caksurädigatarh
tejas“ ist hier als Dhätu eingeschoben worden, um der
Achtzahl gerecht zu werden. Das Manas gilt auch ander-
wärts als sechstes Element: cetanädhätu.. Der Ätman
wird als achter Körper Siva’s den sieben übrigen ge-
. sondert gegenübergestellt.
2 Linga-P. I, 86, 134ff.
3 Linga-P. II, 45, 3off.
4 Linga-P. II, 12.
5 Linga-P. I, 28, 15—17 und 103, 42.
6 Vgl. Hillebrandt, Rit.-Lit. § 54.
7 Bhima ist nach Monier Williams, Brähmanism andHin-
düism, S. 85, gleichbedeutend mit Bhairava, mit dem
wiederum der moderne Bhairon identifiziert wird.
8 Visnu-P. I, 8, 2ff., Märkändeya-P. 52, 2ff., Väyu-P.
I, 27, 1 ff., Kürma-P. I, 10, 18ff., Saura-P. 23, iff.
( Jahn S. 65), Agni-P. 20, 20f. (sehr kurz angedeutet) etc.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
I l
und Preta’s, über deren Anblick Brahma so entsetzt ist, daß er die Lebenshauche aufgibt.
Aus seinem Munde kommt der aus den Lebenshauchen bestehende Rudra hervor und weint
laut. Brahma (dessen Wiedererwachen hier nicht besonders erwähnt wird) beruhigt ihn und
gibt ihm die acht Namen, Wirkungsgebiete, Frauen und Söhne1.
Die Gleichsetzung der Namen mit den acht Gestalten Siva’s findet ein Vorbild in den
erwähnten Mythen der beiden Brähmana-Texte, in denen die einzelnen Namen mit bestimm-
ten vergöttlichten Naturkräften als Formen des Gottes identifiziert werden. Nach dem Sat.
Br. lautet die Gleichsetzung: Rudra = Agni, Sarva = Wasser, Pasupati = Pflanzen,
Ugra — Väyu, Asani = Blitz, Bhava = Parjanya, Mahän Deva = Candramas, Isäna =
Äditya; nach dem Kaus. Br.: Bhava = Wasser, Sarva = Agni, Pasupati = Väyu, Ugradeva
= Pflanzen und Bäume, Mahän Deva = Äditya, Rudra = Candramas, Isäna = Nahrung,
Asani = Indra. Der Name Astamürti ist scheinbar eine spätere Bildung; in den Brähmana’s
und Grhyasütra’s taucht er noch nicht auf, sondern erst im Epos, in den Puräna’s und der
klassischen Literatur.
Während die schon in den Mantra’s des Hir.Gr. erwähnten Frauen der acht Götter noch
nicht mit Namen aufgeführt werden, werden diese sowie die der Söhne in den Puräna’s mit-
geteilt. Die verschiedenen Puräna’s haben folgende Zusammenstellungen:
Linga-P. II, 13:
Visnu-P.:
Sarva Erde Vikesi Angäraka
Bhava Wasser Umä Sukra
Pasupati Feuer Svähä Sanmukha
Isäna Wind Sivä Manojava
Bhlma Äther Zehn Himmels- Sarga
richtungen
Rudra Sonne Suvarcalä Sanaiscara
Mahädeva Mond Rohini Budha
Ugra Opferer Diksä Santäna
Rudra Sonne Suvarcalä Sanaiscara
Bhava Wasser Usas Sukra
Sarva Erde Vikesi Lohitäiiga
Isäna Wind Sivä Manojava
Pasupati Feuer Svähä Skanda
Bhlma Äther Himmelsrich- Svarga
tungen
Ugra Geweihter Diksä Santäna
Brahmane
Mahädeva Mond Rohini Budha
1 Charakteristisch ist die Wandlungsfähigkeit puränischer
Mythen. Ein bestimmtes Mythenmotiv wird aus dem
Zusammenhang einer älteren Fassung herausgenommen
und mit einem ungefähr passenden Motiv eines völlig
verschiedenartigen Mythus zu einer neuen Erzählung
verschmolzen. Die ursprüngliche Verbindung eines
Motivs mit einem anderen fällt der Willkür der Über-
lieferung zum Opfer. Diese Erscheinung läßt sich in dem
vorliegenden Falle beobachten; innerhalb des Rahmens
eines einzelnen Werkes begegnet man ihr besonders
häufig im Siva-P., dessen roh aneinander gefügte Teile
allerdings auch aus ganz verschiedenen Kreisen oder
Zeiten zu stammen scheinen.
HEINRICH MEINHARD
1 2
Märkandeya-P,: Rudra Sonne Suvarcanä Sanaiscara
(gleich Kür- (Kürma-P.:
ma-P.) Suvarcalä)
Bhava Wasser Umä Sukra
Sarva Erde Vikesi Lohitänga
Isäna Feuer Svadhä Mano j a va
Pasupati Wind Svähä Skanda
Bhlma Äther Himmelsrich- Sarga
tungen
Ugra Geweihter Diksä Santäna
Brahmane
Mahädeva Mond Rohini Budha
Väyu-P.; Rudra Sonne Suvarcalä Sanaiscara
Bhava Wasser Usas Usanas
Sarva Erde Vikesi Ahgäraka
Isäna Wind Sivä Manojava
Pasupati Feuer Svähä Skanda
Bhima Äther Himmelsrich- Svarga
tungen
Ugra Geweihter Diksä Santäna
Brahmane
Mahädeva Mond Rohini Budha
Hemädri I, 798!: Rudra Sauvarcalä Sanaiscara
(Exzerpt aus Bhava Angavädä Sukra
dem Brahmän- Sarva Vikesi Lohitänga
da-P.) Isa Sivä Manojava
Pasupati Svähä Vasanta
Bhima Disä Svarga
Ugra Diksä Santäna
Mahädeva Rohini Budha
Im Kultus spielt die achtfache Gestalt Siva’s keine bedeutende Rolle. Bei einem der
Däna’s, der Spende eines Sesamberges1, werden nach Hemädrrs Erläuterung goldene Figu-
ren Sarva’s etc. und goldene Abbildungen der fünf Elemente, der Sonne, des Mondes und des
Opferers in zwei Kreisen um den Sesamberg aufgestellt und mit ihren besonderen Mantra’s
verehrt. Auffallend ist hier die Trennung des Kreises von Sarva etc. (sarvädimürtyastaka)
von dem Kreise der fünf Elemente etc. (bhümyädimürtyastaka)1 2. Die ersten acht Gestalten
werden nur oberflächlich beschrieben: sie tragen alle den Mond als Scheiteldiadem, einen
Kranz von Haarflechten, haben drei Augen und halten Khatvänga’s und Trisüla’s in den
Händen. Von der zweiten Oktade wird der Yajamäna durch die Figur eines gewöhnlichen
Mannes dargestellt; die fünf Elemente sowie Sonne und Mond werden in folgender Weise
geschildert: Die Erde ist eine Frau von heller Farbe und freundlicher Erscheinung, mit vier
Armen, in einem Kleide von der Farbe der Mondstrahlen, und mit Schmuck beladen. In den
vier Händen hält sie Gefäße mit Juwelen, Feldfrüchten, Heilkräutern und einen roten Lotus.
1 Linga-P. II, 30. Hemädri I, 369—373. tionen: Sadyojäta etc., ein aus den ,,panca brahmäni“
2 Außer diesen beiden Kreisen umgeben noch drei weitere und ein aus den acht Lokapäla’s bestehender, so daß die
den Sesamberg, nämlich ein aus den fünf Manifesta- erforderliche fünffache Umgebung vorhanden ist.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVA1SMUS NACH DEN PURÄNA’S j 3
Sie reitet auf den vier Elefanten der Himmelsrichtungen (diggaja). Die Wasser werden als
Frauengestalten (ihre Anzahl wird nicht angegeben) dargestellt, hellfarbig, zweiarmig, in
weiße Gewänder gekleidet, Schlingen und Krüge tragend, auf Makara’s reitend1. Das Feuer
wird wie der Welthüter Agni geschildert, nämlich als ein dicker Mann mit rotbraunen
Haaren, Brauen, Schnurrbart und Augen, in den Händen Rosenkranz und Speer, auf einem
Bock reitend; der Wind wie der Welthüter Väyu, ein auf einer Gazelle reitender Mann mit
einer Fahne in der Hand2. Der Äther erscheint als ein Wesen von der Farbe des blauen Lotus,
in gleichfarbigem Gewände, zweiarmig, in den Händen Sonne und Mond haltend, von
freundlichem, knabenhaftem Aussehen und ohne männliche noch weibliche Geschlechts-
merkmale3. Der Sonnengott sitzt in einem mit sieben Rossen bespannten Wagen auf einem
roten Lotus, sieben Seile und einen roten Lotus in den Händen haltend. Der Mond, weiß-
farbig, in weißen Gewändern und mit weißem Schmuck, eine Keule tragend, fährt auf einem
mit zehn Rossen bespannten Wagen4.
Bei einer anderen Spende, der der Sesamkühe0, besteht eine bestimmte .Zeremonie
darin, daß ein messingner Kübel in sechzehn Stücke zerbrochen wird, und diese Stücke unter
Rezitation der Mürti- und Vighnesa-Mantra’s sechzehn Brahmanen geschenkt werden, die
nach Hemädri die acht Gestalten (mürti) Siva’s: Sarva etc., und die acht Ganesa’s oder
Vighnesa’s darstellen. Auf Grund welcher Vorstellung diese letzteren mit den acht Gestalten
verbunden werden, ist unerkennbar. Hemädri zitiert ferner noch eine „Spende der acht
Rudra’s“ aus dem Brahmända-P.6 Ein auf ebenem Boden angelegtes Quadrat wird durch
zwei horizontale und zwei vertikale Linien in
NW Bhima Disä Svarga N Ugra Diksä Santäna N0 Mahädeva Rohini Budha
W Pasupati Svähä Vasanta M Brahma Chandodevi 0 Rudra Sauvarcalä Sanaiscara
SW Isa Sivä Manojava S Sarva Vikesi Lohitänga SO Bhava Angavädä Sukra
T. ¡.Hem Felde wird mit Reiskörnern ein Padma zusammengelegt. In
neun Felder gete. > 1 Goldfigur Brahmä’s, und, ihm zur Seite, eine halb so große der
dem mrttieren F Id wrrd tnne,^ ^ die ^ yon Qsten beginnend,
Chandodevi acht RudraV< in der im obigen Schema bezeichneten Reihenfolge
werden Goldfig V Rudra die halb so großen Figuren seiner Devi und seines Sohnes
Fi-h-n in Felle gekleidet und mit
gesetzt. Die u g n bewaffnet, die Frauen als mit Schmuck beladen, die Söhne als
HaarbüscWtragende Knaben mit Stöcken in der Hand. Alle diese Figuren sollen unter
1 Hemädri I, 330, 5 ff.
2 Hemädri I, 234, 1 f. und 7.
3 Hemädri I, 330, 16ff.
4 Hemädri I, 873, 7ff.
5 Linga-P. II, 37 und Hemädri I, 408, 22—412, 5.
6 plemädri I, 798, 13—800, 11.
tüMmu
14
HEINRICH MEINHARD
Rezitation der auf sie bezüglichen Mantra’s verehrt werden; schließlich werden die der
Rudra’s acht Brahmanen geschenkt, während die Figur Brahmä’s dem Guru gegeben wird1.
Die an die acht Gottheiten und ihre Frauen gerichteten Mantra’s des Für.Gr. sind schon
erwähnt worden. Sie haben die einfache Form: „bhaväya deväya svähä“ etc. bis ,,mahnte
deväya svähä“, und „bhavasya devasya patnyai svähä“ etc. bis „mahato devasya patnyai
svähä“. Auch Hemädri1 2 kennt nur die Formel: „om bhaväya deväya namah“ etc.; den
Wortlaut der Mantra’s für die Frauen oder gar die Söhne deutet er nicht an. Eine Erwei-
terung dieser einfachen Form kennt das Linga-P.3 Bei der Jivacchräddha-Zeremonie erfolgen
Püjä und Opfer für die acht Gestalten und ihre Frauen. Beide Handlungen werden für jede
Gestalt gesondert nacheinander vollzogen; darauf folgen mit nur geringfügiger Modifikation
des Mantra Püjä und Opfer für die auch hier ungenannte Gemahlin der betreffenden Gestalt.
Bei beiden Handlungen wird derselbe Mantra rezitiert, nur mit dem Unterschied, daß er bei
der Püjä mit „namah“, bei dem Opfer dagegen mit „svähä“ schließt. Die Mantra’s lauten
folgendermaßen;
„om sarva dharäm me gopäya ghräne gandham, sarväya deväya bhür namah (svähä).“
„om sarva dharäm me gopäya ghräne gandhäm, sarvasya devasya patnyai patnyai bhür
namah (svähä)“.
„om bhava jalam me gopäya jihväyäm rasaiii, bhaväya deväya bhuvo namah
(svähä)“ etc.
„om rudra agnim me gopäya netre rüpam, rudräya deväya svar namah (svähä)“ etc.
„om ugra väyurh me gopäya tvaci sparsam, ugräya deväya mahar namah (svähä)“ etc.
„om bhlma susirarh me gopäya srotre sabdam, bhimäya deväya jano namah (svähä)“etc.
„om isa rajo me gopäya dravye trsnäm isäya deväya tapo namah (svähä)“ etc.
„om mahädeva satyarh me gopäya sraddhäm dharme, mahädeväya rtäm namah
(svähä)“ etc.
„om pasupate päsam me gopäya bhoktrtvam bhogya, pasupataye deväya satyam
namah (svähä)“ etc.
Der zweite Teil der Formeln entspricht, abgesehen von der Aufnahme der Namen der
acht Weltschichten, den Mantra’s des Hir. Gr. Der hinzugefügte erste Teil, auf die fünf
Elemente und auf drei heterogene Begriffe statt auf Sonne, Mond und Yajamäna hindeutend,
findet noch kein Vorbild in der älteren Literatur.
SlVA ALS PANCAVAKTRA UND DIE FÜNF MANIFESTATIONEN.
Neben der Vorstellung einer achtfachen Gestalt Siva’s, aber niemals von ihr berührt,
besteht die Auffassung von seinem Erscheinen in fünf Manifestationen4. Sie ist — namentlich
hinsichtlich des Kultus — von wesentlich größerer Bedeutung als die Vorstellung von den
acht Gestalten des Gottes. Ihr Alter dagegen dürfte bei weitem nicht so hoch sein. Die
Bindung der die fünf Manifestationen bezeichnenden Namen: Sadyojäta, Vämadeva,
1 Außer bei diesen Däna’s spielen die acht Gestalten
Siva’s nach William Ward, I, Introd. S. LXXVHIf.,
auch bei der Linga-Verehrung eine Rolle: „Before the
Lihga, Siva is daily worshipped under eight separate
names, answering to the sun, moon, wind, fire, water,
earth, air, and an officiating priest at a sacrifice“.
2 I, HE 9f-
3 II, 45, 3off. und Hemädri Ilia, 1711, 13ff.
1 Über eine Form Siva’s, die fünf Körper in einem ver-
einigt und unter dem Namen Pahcadehamürti bekannt
ist, berichtet H. Krishna Sastri, South Indian Images,
S. 77: “Though not found in any of the temples exami-
ned so far, it is often mentioned in the Tanjore in-
scriptions as having been installed in the Rajarajesvara
(i. e., the modern Brhadisvara) temple by the Chola
king Rajaraja or his subordinates, in the first quarter of
the eleventh century A. D. The Pancadehamurti
consisted of five images, four of which stood in the four
directions and the fifth was placed in the middle, its
head being higher in level than the others. One of these
was called Aghora. The Linga with five faces called
Pancamukha-Linga is only the five-bodied Pahcadeha-
murti translated in terms of the symbolical phallus. It
has the heads of four Siva-images figured on its four
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
15
Tatpurusa, Aghora und Isäna1, findet sich anscheinend zuerst TÄr. X, 43—47, einer Stelle,
die nach Garbe2 „spätestens dem dritten Jahrhundert vorChr. angehört, aber wahrschein-
lich älter ist“. Die Unsicherheit dieser Datierung ergibt sich aus dem Fehlen der fünf Namen
— oder wenigstens ihrer Verbindung — im ganzen Umfang des Mahäbhärata.
Die Namen werden auch als Bezeichnung der fünf Gesichter Siva’s in seinem Aspekt
als Pancavaktra3 betrachtet; diesen Sinn gibt ihnen der Kommentator des TÄr., der in
Übereinstimmung mit den Puräna’s Sadyojäta als das westwärts, Vämadeva als das nord-
wärts, Tatpurusa als das ostwärts, Aghora als das südwärts und Isäna als das nach oben
gerichtete Gesicht erklärt. Nach dem Linga-P. ist das westliche Gesicht weiß wie Kuhmilch,
das nördliche rot, korallenfarbig oder hibiskusfarbig, das südliche schwarz wie Augensalbe
und grauenerregend, das östliche gelb, sonnenfarbig oder saffranfarbig, das nach oben ge-
richtete kristallklar oder weiß.4 Jedes Gesicht hat drei Augen. Somit ist Siva in dieser Vor-
stellung fünfzehnäugig, trägt fünf Mondsicheln als Diademe und hat zehn Arme. In den
fünf rechten Händen hält er Wurfspieß, Axt, Schwert, Donnerkeil und Speer (sakti), in den
fünf linken Schlinge, Elefantenhaken, Glocke, Schlange und Pfeil5.
Uber die Entstehung der fünf Manifestationen wird ein Mythus erzählt, der in der
mythologisch mannigfach variierten Vorstellung von Rudra s Geburt aus Brahma zu wurzeln
scheint6. Im neunundzwanzigsten Kalpa, dem Svetalohita-Kalpa, erscheint dem medi-
tierenden Brahma ein vollkommen weißer Jüngling. Durch die Versenkung erkennt Brahma
in ihm den Sadvojäta und verehrt ihn. Aus der Seite des göttlichen Wesens gehen seine vier
weißen Schüler Sunanda, Nandana, Visvananda und Upanandana hervor. Im dreißigsten
Kalpa, dem Rakta-Kalpa, erscheint dem Brahma ein vollkommen roter Jüngling, in dem er
Vämadeva erkennt. Aus dessen Seite gehen die vier roten Schüler Virajas, Vibähu, Visoka
sides. The illustration from Tiruvänaikkäval (fig. 47) literatur findet sich diese seltene Darstellung des fünf-
does not show any face at the top.“ William Ward, HI, köpfigen Siva einmal, und zwar bei I auhnus a San
S. 182ff. berichtet von der Verehrung Pahcänan’s, Bartholomaeo, Systema Brahmanicum liturgicum,
einer primitiven bengalischen Dorfgottheit, die als eine Mythologicum, Civile ex monumentis Indicis Musei
Form Siva’s angesehen wird: „Pahcänan is a form of Borgiani Velitris (Rom 1791, deutsch: Gotha 1797),
Siva: the image has five faces, and in each face three unter der Bezeichnung „Shiva cum Bhaväni. ex pict.
eyes. Some persons make a clay image, and worship it Indica Musei Borgiani“. Vgl. Ernst Schierlitz, Die bild-
with the usual forms, adding bloody sacrifices; while lichen Darstellungen der indischen Göttertrinität in der
others worship Pancänan before a stone placed under- älteren ethnographischen Eiteratur (Hannover 1927),
neath the Vata, Asvattha, or Kula trees. This stone is S. 65.
painted red at the top, and anointed with oil. Offerings 1 Statt der drei ersten Namen auch oft die Abkürzungen
of flowers fruits water, sweetmeats, and fried peas Sadya, Varna, I urusa, statt des Euphemismus Aghora
accompany the worship, and sometimes bloody sacrifi- auch Ghora, statt Isäna auch Visvarüpa.
ces. In almost every village this worship is performed 2 Indien und das Christentum, S. 212, Anm. 3.
beneath some of these trees. In some villages several of 3 Im MBh. — vgl. I, 211, 23 und XIII, 141, iff. — ist
these shapeless stones are to be seen thus anointed, and Siva viergesichtig (caturmukha); er hat diese Eigen-
consecrated to the worship of this god. In other places schaft mit Brahma gemein, vgl. Hopkins, Ep. Myth,
the clay images of Pancänan are placed in houses, or §§ 138 und 157. Vielleicht hat Siva, indem er Brahmä
under trees; and old women, called Dyäsmis, devote aus der Stellung eines unabhängigen Weltschöpfers ver-
themselves to his service; they sweep the inside of the drängt und zu seinem Demiurgen gemacht hat, die Vier-
dav temple, and repeat the ceremonies of worship for gesichtigkeit neben anderen Eigenschaften von ihm
others; constantly remaining near the image, and übernommen, ebenso wie die in älteren Legenden
receiving all offerings and presents. Not more than one Brahmä zugeschriebenen Formen als Eber, Schildkröte
woman waits upon one idol, unless she admit a pupil, und 1 isch später auf Visnu übergegangen sind,
who expects to succeed her. These women, either 4 Z. T. andere Farben gibt Agni-P. 304, 25 f., wo Väma-
married or widows, are treated almost as witches.. deva strlviläsin genannt wird. Nach einer anderen Er-
Children in fits of epilepsy are supposed to be seized by klärung führt Vämadeva seinen Namen wegen seiner
this god.....“ Vgl. auch I, Introd. S. LXXVI Anm. Schönheit (vämatvät).
und S. XCHI: Pancänan ist ein böswilliger Dämon, der 5 Linga-P. II, 23, 7ff.
besonders Kindern gefährlich ist; er wird von Frauen 6 Der im Anfang eines jeden Kalpa in Kontemplation
und den niederen Volksklassen verehrt. Die Existenz versunkene Brahmä wird als nach Söhnen verlangend
fünfköpfiger Tempelfiguren Siva’s bezeugt Liiiga-P. bezeichnet.
I, 27, 22. Auch in der älteren europäischen Indien-
HEINRICH MEINHARD
I 6
und Visvabhävana hervor. Im einunddreißigsten Kalpa, Pltaväsas genannt, erscheint der
gelbe Jüngling Tatpurusa mit seinen gelben Schülern (deren Namen nicht genannt werden).
Im zweiunddreißigsten Kalpa, dem Asita-Kalpa, erscheint Aghora als schwarzer Jüngling
mit seinen schwarzen Schülern Krsna, Krsnasikha, Krsnäsya und Krsnavastradhrk. Im
dreiunddreißigsten Kalpa, Visvarüpa genannt, erscheint Isäna, einem klaren Bergkristall
gleichend; aus seiner Seite gehen seine vier Schüler Jatin, Mundin, Sikhandin und Ardha-
munda hervor.
Auch die Gäyatri spielt in diesem Mythus eine Rolle: sie entsteht in weißer Farbe aus
Sadyojäta, rot aus Vämadeva, gelb aus Tatpurusa, schwarz aus Aghora und allfarbig aus
Isäna. Sie scheint als Mutter der jeweiligen vier Schüler aufgefaßt zu werden. Die einzelnen
Manifestationen sind das Brahman: ,,sadyojätam (bzw. „vämadevam“ etc.) tato brahmä
brahma vai samacintayat“. Von den Schülern ist das Brahman stets umgeben. Sie verweilen
ein Jahrtausend in der Welt, das Brahman in der Form der jeweiligen Manifestation preisend
und Dharma und Yoga lehrend; danach gehen sie wieder in Mahädeva ein1.
Diese fünf Formen sind für die Auffassung Siva’s und für den Kultus von wesentlicher
Bedeutung. Hemädri1 2 zitiert ein Pancamürtidäna nach dem Brahmända-P., bei dem aus
Gold hergestellte Idole der fünf Manifestationen als Spende dargebracht werden. Auf ebenem
Boden wird ein mit Kuhmist und Wasser beschmiertes Quadrat hergerichtet und durch zwei
vertikale und zwei horizontale Linien in neun Felder von je drei Hasta Länge und Breite ein-
geteilt. Mit Übergehung der nach den Zwischengegenden liegenden Felder werden in den
fünf übrigen achtblättrige Lotusse aus weißen Reiskörnern zusammengesetzt. Auf diese fünf
Lotusse werden die fünf Figuren gesetzt. — Isäna auf den Lotus des Mittelfeldes, Sadyojäta
auf den des Feldes im Westen, Vämadeva auf den des Feldes im Norden, Tatpurusa auf den
des Feldes im Osten, Aghora auf den des Feldes im Süden — und unter Rezitation bestimmter
auf sie bezüglicher Mantra’s und durch Überreichung von Bad, Gewand, Gastwasser, Fuß-
wasser, Mundspülwasser, Riechstoff, Blumen, Weihrauch, Lampen und Körnern der Reihe
nach verehrt. Unter abermaliger Rezitation der einzelnen Mantra’s wird endlich jede Figur
einem Brahmanen geschenkt.
Auch bei der schon erwähnten Spende eines Sesamberges3 spielen neben Idolen der
bereits besprochenen acht Formen Siva’s und der acht Welthüter goldene Nachbildungen
der fünf Manifestationen eine Rolle4. Bei der Dlksä5 setzt man auf die vier nach Osten,
Süden, Westen und Norden gerichteten Blätter eines in einen Kreis gezeichneten acht-
blättrigen Lotus der Reihe nach Purusa, Aghora, Sadya und Väma, in die Samenkapsel
Isäna.
Nach Hemädri’s Beschreibung ist Sadyojäta weiß, von kindlichem und freundlichem
Aussehen, dreiäugig und mit dem Monddiadem geschmückt, wie auch die übrigen. Vämadeva
ist vollkommen rot, hat eine hohe Nase und trägt Khatvänga, Schwert und Schild in den
Händen. Aghora hat rotbraune Brauen und einen ebensolchen Schnurrbart. Sein Gesicht
ist entstellt, sein Maul mit großen Spitzzähnen bewehrt. In den Händen trägt er Schild,
Schlinge, Pfeil, Khatvänga, Spieß, Stab, Axt und Schwert. Tatpurusa ist saffrangelb, ein
freundlicher Mann, der in den Händen Schlinge und Spieß hält. Isäna ist kristallklar, drei-
äugig und mit dem Trisüla bewaffnet. Nach einer anderen Beschreibung Hemädri’s hält
Isäna auf einer der beiden linken Hände ein Gazellenjunges6.
1 Linga-P. I, ii—16 und 23. Väyu-P. I, 22, 9ff. und
23, 1 ff.
2 I. 789—792.
3 Linga-P. II, 30; zitiert und erläutert Plemädri I,
369—373-
4 Es handelt sich, wie schon oben S. 12, Anm. 2 erwähnt,
um einen Siva umgebenden fünffachen Ring. Die
„panca brahmäni“ werden als zweiter Ring in derselben
Weise von dem aus Sadyojäta etc. bestehenden ersten
Ring geschieden, wie der vierte Ring, Erde’etc., von dem
dritten, Sarva etc. Die Figur Siva’s selbst befindet sich
auf dem Sesamberg.
5 Lihga-P. II, 21, 9ff.
6 Hemädri I, 790, 16ff. Vgl. Arbman S. 36 und Anm. 2 ff.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
Die einzelnen Manifestationen werden auch mit bestimmten Körperteilen Siva’s gleich-
gesetzt. Siva hat Isäna als Diadem, Purusä als Gesicht oder Mund (äsya), Aghora als Herz,
Väma als Schamgegend, Sadya als Füße1. Oder er hat Purusa als Namen und Sadya als
Gestalt2. Bei gewissen Opferzeremonien werden folgende Mantra’s verwendet: „isänamür-
taye svähä, purusavakträya svähä, aghorahrdayäya svähä, vämaguhyäya svähä, sadyojä-
tamürtaye svähä,“3 Ebenso bezieht der Anhänger Siva’s die verschiedenen Manifestationen
auf den eigenen Körper: bei der Zeremonie des Aschenbades bestreut er sich mit dem Spruch
an Isäna den Kopf, mit dem an Tatpurusa den Mund, mit dem an Aghora die Brust mit dem
an Väma die Schamteile, mit dem an Dadya die Füße, mit dem an Pranava den o-anzen
Körper4,
Ferner dienen die fünf Manifestationen auch dazu, Siva als das Allwesen zu deuten das
die ganze Welt umfaßt, und aus dem die ganze Welt besteht. Die Gleichsetzung der Mani-
festationen mit den verschiedenen Prinzipien ergibt folgendes Schema5:
Manifesta- tionen Ontologische Prinzipien und Innenorgane Erkenntnis- organe Tatorgane Reinstoffe Elemente
Isäna Tatpurusa Aghora Vämadeva Ksetrajña Prakrti Buddhi Ahamkära Ohr Haut Auge Zunge Rede Hände Füße Entleerungs- Ton Berührung Gestalt Geschmack Äther Wind Feuer Wasser
Sadyojäta Manas Geruchs- organ Zeugungs- Geruch Erde
organ organ
Siva besteht demnach in seiner Fünfheit aus den fünfundzwanzig Realitäten (panca-
virhsatitattvätmä pancabrahmätmakatvena). Der „Fünfgesichtige, Zehnarmige“ besteht in
einer anderen Gleichsetzung auch aus achtunddreißig Teilen, von denen auf Sadya acht,
auf Väma dreizehn, auf Aghora acht, auf Purusa vier, auf Isäna fünf entfallen6. Jedoch ist
die Bedeutung dieser Zahlen nicht ersichtlich.
In einer mystischen Weise besteht Siva’s Leib aus den schon erwähnten fünf Mantra’s,
den fünf Brahmansprüchen (panca brahmäni): Siva wird als brahmängavigraha7 bezeichnet.
Diese Mantra’s lauten nach TÄr. X, 43—47 folgendermaßen: ,,sadyojätam prapadyämi,
sadyojätäya vai namah, bhave bhave nätibhave bhajasva8 mäiii, bhavodbhaväya namah“.
„vämadeväya namo, jyesthäya namah, sresthäya namo, rudräya namah, käläya namah,
kalavikaranäya namo, balavikaranäya namo, baläya namo, balapramathanäya namah,
sarvabhütadamanäya namo, manonmanäya namah 9. ,,aghorebhyo 'tha ghorebhyo ghora-
ghoratarebhyah, sarvatah sarva sarvebhyo10 namas te astu rudrarüpebhyah“. „tatpurusäya
vidmahe, mahädeväya dhlmahi, tan no rudrah pracodayät“11. „isänah sarvavidyänäm,
isvarah sarvabhütänäm, brahmädhipatir, brahmano dhipatir, brahmä sivo me astu,
sadäsiva om“.
1 Linga-P. I, 17, 89!.
2 Linga-P. II, 21, 19L
3 Linga-P. II, 25, 89—91.
4 Linga-P. I, 26, 37!.
5 Linga-P. II, 14.
6 Linga-P. II, 21, 20ff.; vgl. Linga-P. I, 17, 82.
7 „Pancamantratanu“ lautet ein Beiwort Siva s bei den
Saiva: Sarvadarsanasangraha 85, n (PW).
8 Linga-P. II, 27, 248!. hat die häufig vorkommende
Lesart „bhavasva“.
9 Linga-P. II, 27, 247 gibt nur den Anfang bis „rudräya
namah“.
10 Linga-P. II, 27, 237: „sarvebhyahsarvasarvebhyo..
Hemädri I, 230,11: „sarvatahsarva sarvadevebhyo. .. “
11 Dieser Mantra erscheint oft unter dem Namen Rudra-
gäyatri aus dem Zusammenhang losgelöst.
3 Baessler-Archiv.
HEINRICH MEINHARD
Außer diesen Formeln kennt Hemädri1 auch noch andere: ,,namo 'stu sadyojätäya
bhaväya bhavasangine, bhavabhango bhaven mahyan tava rüpapradänatah“. „somäya
vämadeväya siväya sivarüpine, sadä me sivam evästu tava rüpapradänatah“. „namo
'ghoräya ghoräya jagatsariihrtikarmane, saranarh tväm prapanno 'harn, asankarh mama
sah kuru“. „purusäya puränäya haräya varadäya ca, tasya rüpapradänän me sreyase 'stu,
namo 'stu te“. „isäno jagatäm, Iso devänäm, abhayahkaraiii raksa tvam sesabhütänäm Iso
märii saranarh gatam“1 2. Diese wohl selteneren Formeln finden sich nicht in älterer Literatur.
Das Lihga-P, zeigt die Verwendung der zuerst angeführten, aus dem TAr3. stammenden
Mantra’s bei Püjä und Opfer, doch kann anscheinend von einem festen Platz der Sprüche im
Ritual kaum die Rede sein. Vielmehr werden die verschiedensten Gruppen von fünf zu-
sammengehörenden kultischen Handlungen mit ihnen verbunden, ohne daß bei diesen
Zeremonien irgendein Hinweis auf die Besonderheit der fünf Manifestationen zu erkennen
wäre. So erfolgt bei der Püjä die Ävähana-Zeremonie mit dem Mantra an Sadya, die Sthä-
pana-Zeremonie mit dem an Väma, die Samnirodha-Zeremonie mit dem an Aghora, die
Sämnidhya-Zeremonie mit dem an Purusa, die eigentliche Püjä mit dem an Isäna4. Die bei
der Püjä verwendeten Gegenstände (dravyäni) werden geweiht, indem man bei der Be-
sprengung des Riechstoffes den Mantra an Sadya, bei der des Gewandes den an Väma, bei
der des Schmuckes den an Aghora, bei der der Speise den an Purusa und bei der der Blumen
den an Isäna rezitiert5.
Bei einer bestimmten Lihga-Zeremonie spendet man im Süden mit dem Mantra an
Aghora Aloe, im Westen mit dem an Sadya Realgar, im Norden mit dem an Väma Sandei,
im Osten mit dem an Purusa Auripigment, mit dem an Isäna — vermutlich in der Mitte —
Räucherwerke aus weißem und schwarzem Aloe, aus Bdellium, Schwefel und Sitära ( ?)6.
Bei der Dlksä spricht man den Aghora-Mantra, indem man dem Schüler Speise gibt, den
Purusa-Mantra, indem man opfert, genießt das mit dem Isäna-Mantra geweihte Pah-
cagavya und beschmiert sich mit Asche, indem man den Väma-Mantra spricht7. Neben an-
deren Mantra’s werden die fünf Brahman-Sprüche beim Baden des Linga aufgeeagt8. Man
rezitiert sie, indem man auf die fünf Köpfe einer im Tempel befindlichen Siva-Statue je zwei
Handvoll Blumen niederlegt9. Bei der Linga-Püjä dienen sie als Reinigungsgebete (pavi-
traka), unter denen man sich den Kopf mit Wasser besprengt10.
Bei der im Linga-P. beschriebenen Hiranyagarbha-Zeremonie wendet man die fünf
Sprüche anscheinend mit Bezug auf die Füllung des goldenen Hiranyagarbha-Eies mit den
einzelnen Bestandteilen des Pancagavya an11. Unter den mannigfachen symbolischen Hand-
lungen bei der Anlegung des Opferfeuers werden Verrichtungen, die die metaphorischen
Bezeichnungen Garbhädhäna, Pumsavana, Simantonnayana und Jätakarman führen, der
Reihe nach vom Sadya-, Väma-, Aghora- und Purusa-Mantra begleitet; ob und wozu der
Isäna-Mantra verwendet wird, ist fraglich12. Die Opfersubstanzen werden nach einer be-
stimmten Ordnung mit den fünf Brahman-Sprüchen geweiht13. Bei der Zeremonie der Sieges-
weihe (jayäbhiseka)14 wird ein achtfaches Opfer verrichtet, und zwar wird in jeder der acht
11, 791, 2off.
2 Die Nominative isäno und Iso wohl fehlerhaft für
Vokative.
2 Auf das TÄr. wird an einigen Stellen des Linga-P.
verwiesen.
4 Linga-P. I, 27, 29ff. und II, 24, 23.
5 Linga-P. I, 27, 18 und II, 24, 15.
6 Linga-P. I, 81, 14!!. Es handelt sich um ein „Vrata der
zwölf Linga’s“, hier auch als Päsupata-Vrata bezeichnet.
7 Lihga-P. II, 21, 32ff. Der Sadya-Mantra wird nicht
erwTähnt, vielleicht dient er zum Anbieten von Opfer-
speise an Siva.
8 Lihga-P. I, 27, 39ff.; 79, 33 (fünf Rudra-Sprüche!);
II, 24, 27 und Saura-P. 42, 28ff. (Jahn S. nof.).
9 Lihga-P. I, 27, 22; II, 24, 20 und Saura-P. 42, 19—24
(Jahn S. 109).
10 Lihga-P. I, 25, 24.
11 Lihga-P. II, 29; Hemädri I, 227, 23—232, 5. Hemädri
führt abweichend besondere Mantra’s an.
12 Lihga-P. II, 25, 72!.
13 Lihga-P. II, 27, 243!.
14 Lihga-P. H, 27.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S j g
Himmelsrichtungen geopfert. Das Opfer im Osten wird begleitet von der Rezitation des Tat-
purusa-Mantra, im Süden von der des Aghora-Mantra, im Westen von der des Sadyojäta-
Mantra und im Norden von der des Vämadeva-Mantra1.
Bei verschiedenen Anlässen wird auch dieser oder jener Spruch gesondert zu Hilfe
genommen, allerdings anscheinend ebenso regellos und ohne erkennbare Beziehung der durch
ihn bezeichneten Manifestation zu der jeweiligen von ihm begleiteten Handlung. Nur beim
Präyascitta, der am Ende einer kultischen Handlung stattfindenden Sühnezeremonie für
etwa unterlaufene formale Versehen, bedient man sich mit Regelmäßigkeit des Aghora-
Mantra. Während dieser Spruch, sofern er mit den vier anderen gemeinsam gebraucht wird,
meist nur in einem zufälligen Zusammenhang mit der von ihm begleiteten Zeremonie steht,
weist bei seiner Einzelverwendung sowohl im Falle des Präyascitta wie auch bei anderen
Anlässen die Eigentümlichkeit der betreffenden \ errichtung auf die Wesensbesonderheit
Aghora’s hin. Dies wird sich aus der folgenden Betrachtung seines Charakters und seiner
Aufgaben ergeben.
Aghora scheint unter den fünf Manifestationen die bedeutsamste zu sein; von ihm hat
man die lebendigste Vorstellung und ihn benötigt man am meisten. Während Sadyojäta,
Vämadeva, Tatpurusa und Isäna nur zusammen als Glieder der fünf Manifestationen auf-
treten, erscheint Aghora häufig vollkommen losgelöst von dieser Bindung. Ob er mit den
andern gemeinsam auftritt oder eine Existenz für sich allein führt, stets dominieren in
seinem Wesen die finsteren Züge und steht er in Zusammenhang mit Sünde, Krankheit und
Zauber. Als Glied der fünf Manifestationen ist er nach dem Süden, der perhorreszierten
Himmelsrichtung, gewandt. Besonders tritt im Bilde seiner äußeren Erscheinung seine
Fruchtbarkeit hervor. Aghora’s Gestalt strahlt wie Abermillionen von Zeitfeuern. Sein
Körper gleicht an tiefer Schwärze und riesiger Größe einem Berge von Antimon. Er ist mit
der Asche verbrannter Leichen beschmiert und nur mit einem Schurz aus Elefantenhaut und
einem als Überwurf dienenden Löwenfell bedeckt. Den Schmuck bilden ein Kianz von
Schädeln, ferner Schlangen und Skorpione. Aghora’s klaffender Rachen ist mit scharfen
Fangzähnen bewehrt; seine drei Augen blicken wild und grauenerregend. Er hat acht oder
auch achtzehn Arme; jede Hand trägt ein besonderes Emblem: nämlich Spieß, Schädel,
Schlinge, Stab, Bogen, Pfeil, Damaru-Trommel und Schwert; oder im anderen Falle Schwert,
Schild, Schlinge, juwelenbesetzten Elefantenhaken, Gürtel aus Schlangen (nägakaksä),
Bogen, Päsupata-Pfeil, Stab, Khatvänga-Keule, Strick, Glocke, Spieß, Damaru-Trommel,
Donnerkeil (vajra), Keule, Brecheisen und Hammer. Aghora’s Stimme, tief wie die der
Regenwolke, erfüllt alle Himmelsrichtungen mit laut schallendem hürii und phat. Bhüta’s,
Preta’s, Pisäca’s, Däkini’s und Räksasa’s umringen ihn2.
Wer seinen Feind durch Zauber vernichten will, wendet sich an Aghora, der alle Zauber-
kräfte besitzt. Durch seinen Schüler Sukra sind diese Zauberkräfte vormals dem Daitya-
Fürsten Hiranväksa übermittelt worden, der sich mit ihnen die ganze Dreiwelt unterwerfen
konnte. Da er aber in der Folge durch Bedrängung von Brahmanen, Frauen, Kindern und
Kühen seine Macht mißbrauchte, machte Aghora die Zauberkräfte unwirksam, und Hiran-
1 Bei diesen vier Mantra’s ist der Zusammenhang der
durch sie bezeichneten Manifestationen mit den ihnen
allgemein zugeschriebenen Himmelsrichtungen zu er-
kennen. Der Isäna-Mantra dagegen wird hier im Nord-
osten verwendet, und in den drei übrigen Zwischen-
richtungen werden Mantra’s an Agni, Nirrti und (?)
Väyu rezitiert. Isäna steht also hier für den gleich-
namigen im Nordosten residierenden Welthüter, und
Tatpurusa, Aghora, Sadyojäta und Vämadeva nehmen
in diesem Falle die Stelle Indra’s, Yama’s, Varuna’s und
Kubera’s bzw. Soma’s ein. Diese Substituierung zeigt
ebenfalls, wie sehr die Anwendung der „panca brah-
mäni“ von der Willkür abhängt.
2 Linga-P. II, 26 und 50. Kap. 26 werden statt achtzehn
nur siebzehn Embleme aufgeführt. Die Bedeutung von
nägakaksä ist fraglich. Khatvänga bezeichnet die Keule
mit einem Schädel am oberen Ende, damaru die sand-
uhrförmige Trommel, die beide als charakteristische
Embleme an Darstellungen von Siva oder von Gestalten
aus seinem Kreise häufig wieder kehren.
3'
20
HEINRICH MEINHARD
väksa wurde infolgedessen durch Visnu in der Eber-Inkarnation vernichtet1. Die Zauber-
zeremonie wird an der „Stätte der Preta’s oder an der „Stätte der Mütter‘21 vollzogen. Wie
der Aghora-Mantra als Beschwörung den Feind behext, so sichert er auch den gegnerischen
Zauber aufhebenden Abwehrzauber (sänti)3. Wie der vedische Rudra ist Aghora ein Ent-
sender von Krankheiten. Aber auch die Heilung von Krankheiten steht unter seinem
Patronat, eine Eigenschaft, die ebenfalls schon dem vedischen Rudra zugeschrieben wird.
Man wendet sich an Aghora, um von Fieber, Lungenschwindsucht (räjayaksman), Aussatz
(kustha), Fisteln (bhagandara) und „allen Krankheiten“ befreit zu werden4. Die finsteren
Züge seines Wesens machen ihn zum Bestrafer von Sünden. Als im Asita-Kalpa Aghora
dem Brahma erscheint, offenbart er ihm, daß er in dieser Gestalt alle Sünden tilgen werde.
Der Mensch reinige sich von seinen Vergehen, selbst den schlimmsten Verbrechen, indem er
in einer bestimmten Anzahl von Wiederholungen den Aghora-Mantra bete5. Auch hier werden
also durch Gebet und rituelle Handlungen seine strafenden Kräfte gebunden; und die
Sünden im allgemeinen bis herab zu den kleinen rituellen Versehen im besonderen (bei der
oben erwähnten Präyascitta-Zeremonie) werden durch ihn unwirksam gemacht. Man betet
z. B. den Aghora-Mantra, um sich von der Sünde des Trinkens ungeseihten Wassers zu
reinigen6. Eine freundlichere Auffassung Aghora’s zeigt sich darin, daß man ihn auch um
langes Leben, Wohlstand und Glück bittet7. Bei der Zeremonie der Siegesweihe wird der
König unter Rezitation des Aghora-Mantra besprengt8. Der bereits oben im Wortlaut an-
geführte Aghora-Mantra enthält fünf Teile oder Glieder (anga), in die er bei der Rezitation
aufgelöst wird (aghorarh pancadhä kr). Diese Glieder lauten folgendermaßen: „aghorebhyah
prasäntahrdayäya namah“. „atha ghorebhyah sarvätmabrahmasirase svähä“. „ghora-
ghoratarebhyah jvälämälimsikhäyai vasat“. „sarvebhyah sarvasarvebhyah pihgalakavacäya
hürh“. „namas te astu rudrarüpebhyah netratrayäya vausat sahasräksäya durbhedäya
päsupatästräya hürh phat“9. Jeder dieser fünf einzelnen Sprüche beginnt also mit einem
besonderen Teil des Aghora-Mantra.
Aghora vertritt in der Vorstellung und dem Kultus des puränischen Sivaismus offenbar
den ursprünglichsten Siva-Typus, der im Glauben der unteren Volksschichten wohl immer
allein herrschend war. Die dämonischen Eigenschaften treten hei ihm besonders deutlich
hervor; er ist mit dämonischen Wesen eng verbunden. Im Kreise der fünf Manifestationen
und unter der angleichenden Einwirkung dieses künstlichen Gebildes zeigen sich die Charak-
terzüge Aghora’s zwar verhältnismäßig abgeschwächt, aber immerhin noch in scharfem
Gegensatz zu dem undeutlichen Kollektivbilde der übrigen Manifestationen.
SIVA’S ACHTUNDZWANZIG AVATARA’S.
In verschiedenen Puräna’s10 wird von achtundzwanzig Avatära’s Siva’s berichtet. Diese
Lehre, die für die Auffassung Siva’s und für den Kultus ohne Bedeutung ist, scheint von der
Avataralehre des Visnuismus inspiriert worden
auf die Erweiterung der ursprünglichen zehn
1 Lihga-P. II, 50.
2 Unter dem mätrsthäna ist hier wohl kaum ein Heiligtum
innerhalb eines Tempels zu verstehen. Da es mit dem
pretasthäna zugleich genannt wird, läßt sich ein ähnlich
unheimlicher Ort, wahrscheinlich ein Kreuzweg, ver-
muten. Über die Verbindung der dämonischen Mütter
mit den Kreuzwegen vgl. Ärbman, Rudra, S. 6of.
3 Linga-P. II, 49.
4 Linga-P. II, 49.
5 Linga-P. I, 15.
6 Lihga-P. I, 89, 9.
zu sein; ob sie jedoch, wie Wilson11 vermutet,
Visnu-Avatära’s im Bhägavata-P.12 zurück-
7 Linga-P. II, 49.
8 Linga-P. II, 27, 238!.
9 Linga-P. II, 26, Einschub zwischen sl. 6 und 7. Der
vierte Spruch beginnt mit der verderbten Lesart des
Lihga-P. statt mit „sarvatah sarva sarvebhyah...“
(TÄr. X, 45).
10 Lihga-P. I, 7 und 24. Väyu-P. I, 23, poff. Kürma-P. 1,
53. Siva-P. V b, 10.
11 Vishnu Puräna, Preface LXVIII.
12 Bhägavata-P. I, 3, 1 ff. zählt zweiundzwanzig Visnu-
Avatära’s: 1. Purusa, z.Varäha, 3-Närada, 4. Naraund
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S 2
geht, ist bei dem relativ jungen Alter dieses Werkes zweifelhaft. Die Zahl der Siva-Avatära’s
sowie der Umstand, daß Siva in jedem Avatära von vier Söhnen oder Schülern umgeben
auftritt, weisen darauf hin, daß diese Vorstellung in Beziehung zu dem Mythus vom Er-
scheinen Sadyojäta’s, Vämadeva’s, Tatpurusa’s, Aghora’s und Isäna’s im neunundzwanzig-
sten bis dreiunddreißigsten Kalpa steht, da ja auch diese Erscheinungsformen Siva’s von
je vier Schülern umgeben sind. Allerdings werden die achtundzwanzig Avatära’s nicht in die
achtundzwanzig früheren Kalpa’s1 gesetzt, sondern sämtlich in das Vaivasvata-Manvantara
des Väräha-Kalpa (d. i. des gegenwärtigen Kalpa), und zwar in achtundzwanzig Kali-
Yuga’s dieses Manvantara, die auf eine entsprechende Zahl von Dväpara-Yuga’s folgen, in
denen bestimmte Vyäsa’s erscheinen. Die sivaitische Avatäralehre bringt Siva’s enge Ver-
bindung mit dem Yoga zum Ausdruck: die verschiedenen Inkarnationen sind Yogalehrer,
die je vier Schüler unterrichten. Die Liste der Avatära’s enthält folgende Namen2:
Linga-P. I, 7 Linga-P. I, 24 Vayu-P. Kürma-P. Siva-P.
I. Sveta Sveta Sikhäyukta auf dem Berge Chägala im Himalaya — Sveta auf dem Berge Sakala Sveta
2. Sutära — — —-
3- Madana Damana — Madana Madana
4- — Suhotra — — —
5. Kankana Kanka — Kankana —
6. Lokäksi Logäksi Lokäksi Lokäksi Laugäksi
7- — Jaigisavya — — —
8. — Dadhivähana im Text aus- gelassen Dadhiväha Dadhiväha
9- — Rsabha — — —
IO. Ugra Bhrgu auf dem Berge Bhrgutunga im Himalaya Ugra
11. Atri Ugra in der Stadt Gangädvära Atri
12. Subälaka Atri im Haituka-Hain Atri im Hai- naka-Hain Subälaka
Naräyana, 5. Kapila, 6. Dattätreya, 7. Yajfia, 8. Rsabha,
9. Prthu, 10. Matsya, 11. Kürma, 12. und 13. Dhanvan-
tari, 14. Narasiriiha, 15. Vämana, 16. Parasuräma,
17. Vedavyäsa, 18 Räma, 19. und 20. Balaräma und
Krsna, 21. Buddha, 22. Kalkin. Vgl. OST IV, 156.
Hopkins, Ep. Myth. S. 218. Bhandarkar, Vaisnavism etc.
S. 42.
1 Eine Liste der Kalpa’s, Linga-P. I, 4, 45 ff. und Väyu-P.
I, 21, 26ff. (Abweichungen in Klammern), lautet:
1. Bhava, 2. Udbhava (Bhüva), 3. Tapas, 4. Bhavya
(Bhava = 1.), 5. Rambha, 6. Kratu (Rtu), 7. Rtu
(Kratu), 8. Vahni, 9. Havyaväha (Havyavähana),
10. Sävitra, ii. Suddha (Bhuva), 12. Usika, 13. Kusika,
14. Gändhära (Gandharva), 15. Rsabha, 16. Sadja,
17. Majjäliya (Märjäliya), 18. Madhyama, 19. Varäja
(Variäjaka), 20. Nisäda, 21. Meghavähana (Pancama),
22. Pancama (Meghavähana), 23. Citraka (Cintaka),
24. Äküti, 25. Jhäna (Vijnäti), 26. Manas, 27. Sudarsa
(Bhäva), 28. Bnnha (Brhad). Hierauf folgen die schon
erwähnten fünf Kalpa’s: Svetalohita, Rakta, Pitaväsas,
Asita und Visvaröpa bzw. Sarvarüpaka. Vgl. die ab-
weichende Liste Matsya-P. 290.
2 Die folgende Tabelle bezeichnet die Abweichungen der
verschiedenen Listen von der in der zweiten Spalte
gegebenen Liste Lihga-P. I, 24. Die Listen Linga-P. 1, 7,
Kürma-P. (außer bei 1.) und Siva-P. enthalten keine
Ortsangaben. Die Namen der in den verschiedenen
Listen angegebenen hundertundzwölf Schüler sowie die
der achtundzwanzig Vyäsa’s mögen in diesem Zu-
sammenhang unberücksichtigt bleiben.
2 2
HEINRICH MEINHARD
Linga-P. I, 7 Linga-P. I, 24. Väj u-P. Kürma-P. Siva-P.
13- Gautama Bali in der Bälakhilya- Einsiedelei auf dem Berge Gandhamä- dana Väli in der Välikhilya- Einsiedelei Bälin Gautama
H- Vedasirsa Gautama im Gau- tama-Hain — — Vedasiras
iS- Gokarna Vedasiras auf dem Berge Vedasirsa an der SarasvatI Vedadarsin Gokarna
16. Guhäväsin Gokarna im Gokarna- Hain — — Guhäväsin
w- Sikhanda- bhrt Guhäväsin auf dem Berge Mahottunga im Himälaya Guhäväsin auf dem Berge Ma- hätunga Guhäväsa Sikhandin
iS. Jatämäla Sikhandin auf dem Berge Sikhandin im Himälaya Sikhanda- dhrk Jatämälin
19. Attahäsa Jatämälin auf dem Berge Jatäyu im Himälaya _ Yajamälin Attahasa
20. Däruka Attahäsa auf dem Berge Attahäsa im Himälava Däruka
21. Längalin Däruka im Devadäru- Hain — Längalin
22. Mahäkäya- muni Längalin in Benares — — Mahäkäla
23- Sülin Sveta Mahäkäya auf dem Berge Kälan- jara Mahäväma- muni Sülin
24. Dandin Sülin in Naimisa — — Dandin
25- Mundisvara Dandin Mundisvara Dindamun- disvara Mundin
26. Sahisnu in der Stadt Bhadravata Sahisnu in Rudravad- ha
27. Somasarman am Pra- bhäsatirtha — —
28. Lakulisa Lakulin in Käyävatära Nakulin in Käyäroh- hana Nakulisvara Nakulisra
Diese achtundzwanzig Namen dürften in der Mehrzahl bloße Erfindungen sein, die dazu
bestimmt sind, ein Schema auszufüllen. Wirkliche Bedeutung hat nur die letzte, Lakulin
oder Nakulin. Er wird in die jüngste Zeit gesetzt, in der Krsnadvaipäyana, der Sohn des
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
23
Paräsara, Vyäsa ist, und Krsna Väsudeva, der beste der Yadu’s, lebt. In dieser Zeit geht
Siva in den Körper eines auf den Leichenacker geworfenen Toten ein und ersteht als der
Brahmacarin Lakulin (Nakulin) in Käyävatära (Käyärohana); seine Schüler sind Kusika
Garga, Mitra und Kaurusya (Kusika, Gärgya, Mitraka, Rusta), Päsupatasiddha’s, die ihren
Körper mit Asche beschmieren und das Lihga verehren1.
DIE LOKAPÄLA’S. ISÄNA.
Der Name Isäna, der außer seiner allgemeinen Verwendung als Bezeichnung Siva’s
sowohl innerhalb der Verbindung der fünf Manifestationen als auch der der acht Formen eine
bestimmte Erscheinung des Gottes bezeichnet, begegnet noch em drittes Mal in einer
präzisierten Bedeutung*. In den Puräna’s .st S.va unter diesem Namen als Verwalter des
Nordostens in den Kreis der Lokapäla’s eingedrungen. Wahrend die Epen nur v.er Loka-
päla’s für die vier Hauptrichtungen kennen - im allgemeinen Indra urc en Osten, Yama
für den Süden, Varuna für den Westen und Kubera für den Nor e la le spatere
Literatur ihre Zahl auf acht erweitert. Nach Hopkins sind die acht spateren Lokapala s
identisch mit den acht großen Deva’s der Epen, und zwar sollen unter Beibehaltung Indra s,
Yama’s Varuna’s und Kubera’s für die vier Hauptrichtungen der Sonnengott im Südwesten,
der Mondgott im Nordosten, der Windgott im Nordwesten und der Feuergott im Sudosten
residieren? Die Puräna’s haben folgende Anordnung der Lokapala s : Indra im Osten Agm
im Südosten, Yama im Süden, Nirrti im Südwesten, Varuna im Wes en^Vayu im Nord-
westen Kub ra und Soma wechselnd im Norden, Käna im Nordosten». Weder scheint der
1 Die Inkarnation Siva’s als Lakulisa wird in drei In-
schriften erwähnt: in einer Inschrift aus der Nähe des
Tempels von Eklingji in Räjputäna, datiert 971 n. Chr.,
in der von Bühler in Ep. Ind. Vol. I, S. 211 ff. heraus-
gegebenen Cintra prasasti, verfaßt zwischen 1274 und
1296 n. Chr., und in einer Inschrift aus HemävatI in
Mysore, datiert 943 n. Chr. Als Ort der Inkarnation
gibt die Inschrift von Eklingji Käyävarohana, die Cin-
tra prasasti Kärohana an; diese Namen sind mit dem
des heutigen Kärvän in Baroda identifiziert worden.
Die Cintra prasasti stimmt auch durch die Angabe der
Namen der vier Päsupata-Schüler: Kusika, Gärgya,
Kaurusa und Maitreya, mit dem Väyu- und dem Linga-
P. überein. Vgl. D. R. Bhandarkar, An Eklingji stone
inscription and the origin and history of the Lakulisa
sect (Jour. B. B. R. A. S., Vol. XXII, S. 152ff.); ders.,
Lakulisa (Arch. Survey of India, Annual report 1906—7,
Calcutta 1909, S. 179ff.); R. G. Bhandarkar, Vaisnavism
etc. S. 116.
2 Dieser Name begegnet Hariv. 11535 auch als der eines
Sädhya, vgl. Hopkins, Ep. Myth. §115. Brhadär.-Up.
1, 4, 11 wird Isäna neben Indra, Varuna, Soma, Rudra,
Parjanya, Yama und Mrtyu als mit diesen das Ksatra,
die zweite Kaste, bildend genannt, vgl. Deussen,
Sechzig Up. S. 396. (Dasselbe in dem Paralleltext Sat.-
Br. XIV, 4, 2, 23, vgl. OST I, 19T)
3 So im Rämäy.; im MBh. sind nur Yama für den Süden
und Varuna für den Westen konstant, für den Osten
wechseln Agni, Kubera und Indra, für den Norden
Indra, Kubera und Soma. Vgl. Hopkins, Ep. Myth.
§ 91 f.
4 Ep. Myth. § 91. Hopkins verweist auf Manu 5, 96 und
7, 4 und 7, wo diese Namen als die der Welthüter,
jedoch ohne Beziehung zu ihren Himmelsrichtungen,
angegeben werden, nennt im übrigen aber keine Quelle
für diese Oktade und ihre Gruppierung. Es handelt sich
bei Manu um den König als Inkarnation der acht
Lokapäla’s. Über dieselbe Vorstellung handelt Matsya-
P. 226: auch hier sind Sonne und Mond Lokapäla’s, außer-
dem Indra, Väta, Yama, Varuna, Agni, an achter Stelle
jedoch statt Kubera Prthivi. Eine Beziehung der ein-
zelnen zu den verschiedenen Richtungen wird auch hier
nicht angegeben. Dagegen rühmt sich Linga-P. I, 35,
5!. König Ksupa: „astänäm lokapälänäm vapur dhärä-
yate nrpah / tasmäd indro hy aham vahnir yamas ca
nirrtis tathä // varunas caiva väyus ca somo dhanada
eva ca/isvaro ’ham na sandeho nävamantavya eva ca//“.
Soma und Dhanada werden, wie auch sonst häufig, zu-
sammen genannt. Die Himmelsrichtungen sind hier aus
der Reihenfolge zu erkennen.
5 Dieselben Gottheiten werden auch im neueren Hinduis-
mus noch als Lokapäla’s betrachtet. Vgl. Sonnerat,
S. 156!.: „Die Indier haben auch Halbgötter oder
Dewerkels, die im Sorgon wohnen; Die bekanntesten
davon sind Dewendren, Agini, Yamen, Nirudi, Warunin,
Wayu, Kuberen und Isanien. Diese acht Halbgötter sind
die Beschützer der acht Enden der Welt: Man hat ihnen
keine Tempel gebaut, sondern stellt ihre Bilder nur in
die Tempel des Schiwen, und ruft sie um Nachkommen-
schaft an.“
„Dewendren ist der König der Halbgötter. Er be-
herrscht das Sorgon, und unterstützt den östlichen
Teil des Weltalls. Man bildet ihn ab mit Augen bedeckt,
mit vier Armen, mit einem Haken, einem Kulischon in
den Händen, und auf einem weißen Elefanten reitend.
.... Agini, Gott des Feuers, ...... unterstützt den
südöstlichen Teil des Weltgebäudes. In seiner Ab-
bildung hat er vier Arme, hält in zween derselben einen
24
HEINRICH MEINHARD
Sonnengott als Hüter des Südwestens noch der Mondgott als Hüter des Nordostens den
Puräna’s bekannt zu sein. Auch im allgemeinen heißt der Südwesten nur nairrt! dis; eine
auf den Sonnengott weisende Bezeichnung scheint es nicht zu geben. Die Benennung saumyä
dis wird nie für den Nordosten, sondern nur — neben kauberl dis —für den Norden gebraucht,
während der Nordosten nur aisäni dis heißt.
Im Kultus spielen die acht Lokapäla’s eine nicht geringe Rolle. Das Linga-P. beschreibt
eine Spende der acht Lokapäla’s1, bei der ihre goldenen Idole aufgestellt, und acht Brah-
manen, die ihre Stelle einnehmen, unter Rezitationen der auf sie bezüglichen Mantra’s
verehrt und beschenkt werden sollen. Auch bei der Spende des Sesamberges2 werden ihre
Idole aufgestellt. Bei der Tuläpurusa-Spende3 wird in acht Gruben für sie geopfert, ihre
Embleme werden auf die Vedi gezeichnet etc.
Die Embleme der Lokapäla’s sind folgende: der Vajra für Indra, der Speer (Sakti) für
Agni, der Stab für Yama, das Schwert für Nirrti, der Nägapäsa (oder einfach die Schlinge)
für Varuna, die Fahne für Väyu, die Keule für Kubera, das Trisüla oder Süla für Isäna4. Die
Keule wird auch auf Soma übertragen5. Isäna’s Waffe ist einmal der Tanka (Hacke ?)6. Sie
haben folgende Farben: Indra ist gelb, Agni goldfarbig, Yama schwarz (syäma), Nirrti
ebenfalls schwarz, Varuna kristallklar, Väyu rauchfarbig, Kubera wieder goldfarbig, Isäna
rot7. Abweichend hiervon wird Indra als goldfarbig bezeichnet, Agni als rot, Varuna als weiß
(sveta), Väyu als blau (nila)8. Indra reitet auf seinem Elefanten Airävata, Agni auf einem
Ziegenbock, Yama auf einem Büffel, Nirrti auf einem Esel, Varuna auf einem Makara,
Väyu auf einer Gazelle, Kubera auf einem Widder, Isäna auf dem Stier9. Für Nirrti wird auch
ein Mensch als Vehikel angegeben, für Soma — anstelle Kubera’s — ein mit zehn Rossen
bespannter Wagen oder ein Hase10. Für einzelne Lokapäla’s werden noch weitere Merkmale
angegeben: Indra trägt ein Diadem und hat tausend Augen. Agni (Saptärcis) trägt einen
Rosenkranz und einen Wassertopf und ist von Flammenkränzen umgeben. Nirrti hat rote
Augen11. Oder; Agni ist dick und hat rotbraune Haare, Brauen, Schnurrbart und Augen;
Yama ist ein wenig dick (isatplna); Nirrti hat ein zorniges, abstoßendes Gesicht und hält
eine Schlinge in der Hand; er ist von Bhüta’s und Räksasa’s umgeben; Varuna ist von
freundlicher Erscheinung (saumya); Isäna hat drei Augen, trägt die Mondsichel als Diadem
und hält in einer Hand einen Schädel12. Nirrti oder Nairrta, wie er im Agni-P. heißt, wird
auch als Räksasesa bezeichnet13. Es ist möglich, daß er als identisch mit Rävana aufgefaßt
Dolch, hat den Kopf mit Flammen umgeben, und reitet
auf einem Widder. Yamen, Gott des Todes und König
der Hölle..... beherrscht den südlichen Teil der Welt.
Man bildet ihn unter schrecklicher Gestalt ab, mit
einem Stock in der Hand und auf einem Büffel reitend.
Nirudi, König der Teufel und der bösen Geister,......
unterstützt den südwestlichen Teil des Weltgebäudes.
Man stellt ihn vor, wie er von einem Riesen auf den
Schultern getragen wird, und einen Säbel in der Hand
hält. Warunin, Gott des Meeres,.......beherrscht den
westlichen Teil. Man stellt ihn vor auf einem Krokodil
reitend, mit einer Peitsche in der Hand. Wayu, Gott des
Windes.......unterstützt den nordwestlichen Teil. In
seiner Abbildung reitet er auf einer Gemse, und trägt
ein Schwert in der Hand. Kuberen, Gott der Reich-
tümer,......beherrscht den nördlichen Teil. Man malt
ihn auf einem weißen Pferd reitend und mit Federn
geziert. Isanien.....beschützt den nordöstlichen Teil.
Er hat die Erlaubnis, daß er unter derGestalt des Schiwen
erscheinen dürfe. Man bildet ihn auch ab wie den
Schiwen, weiß, auf einem Ochsen reitend, mit vier
Armen, mit einem Hirschen und einem Tudi in den
Händen; welches die Attribute des Schiwen sind.“
1 Linga-P. II, 43 und Hemädri I, 794, 14—796, 17. Eine
Spende der acht Lokapäla’s aus dem Brahmända-P.
zitiert Hemädri I, 796, 18—798, 12. Aufstellung der
Idole auch Linga-P. I, 84, 57ff.
2 Linga-P. II, 30 und Hemädri I, 369, 15—373, 8.
3 Linga-P. II, 28, 47ff. und Hemädri I, 194, 12ff. Matsya-
P. 274, 41 ff. und Hemädri I, 179, 16ff. Siva-P. VI, 29,
21 f. Ein Opfer an die Dikpäla’s auch Agni-P. 56.
4 Linga-P. I, 84, 6off. II, 28, 5off. Agni-P. 56, 17ff.
96, 8 und 28ff. Hemädri I, 233, I9ff. Linga-P. I, 102,
32 ff.
5 Agni-P. 56, 26. Hemädri I, 234, 8. Linga-P. I, 102, 34
(wo Kubera dafür einen Stab bekommt).
6 Lihga-P. I, 84, 62.
7 Hemädri I, 171, 3 ff.
8 Agni-P. 96, 28 ff.
9 Agni-P. 56, 17 ff. und 96, 28 ff.
10 Hemädri I, 234, 5 und 8f.
11 Agni-P. 96, 28 ff.
12 Hemädri I, 234, 1 ff.
13 Lihga-P. II, 28, 54. Als Raksogananäyaka Matsya-P.
27L 45-
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
25
wird. Schon im MBh. nennt sich Rävana den fünften Welthüter1. Soma und Kubera, die —
wie schon im MBh. — wechselnd als Verwalter des Nordens auftreten, werden einmal in
einem Einladungsspruch gemeinsam genannt1 2.
Isäna wird auch mit anderen Namen Siva s, z. B. Sambhu, Rudra, Isvara und Para-
mesvara, bezeichnet3. Im Kreise der auf die Vedi gezeichneten Embleme wird sein Symbol,
der Spieß, links von der Wurfscheibe und rechts vom Padma, den Symbolen Visnu’s und
Brahmä’s' flankiert4. Bei den Opfern an die Lokapäla’s wird für Isäna, Visnu und Brahma
in derselben nach Nordosten liegenden Grube geopfert5 6. Es wird also eigentlich eine von
Isäna beherrschte Trinität als Hüterin des Nordostens angesehen. Im Gegensatz hierzu faßt
das Agni-P Brahmä als Hüter der oberen und Visnu als Hüter der unteren Region auf und
kennt dementsprechend zehn DikpälaV. Diese Auffassung scheint das Matsya-P. zu teilen,
denn es bezeichnet Visnu als Pätäladharädharendra etc.7 * Sowohl im Agm-P. als auch im
Matsya-P heißt Visnu Ananta, sein Reittier ist die Schildkröte; das Reittier Brahmä’s der
Hamsa Die Schildkröte als Reittier scheint Visnu nur zugesprochen zu werden, sofern er als
Hüter der unteren Region aufgefaßt wird. Nach Hemädri fährt Brahmä als Lokapäla auf
einem mit sieben Gänsen bespannten Wagen . , . . , r ,
Für die sieben Lokapäla’s - außer Isäna - gibt Hemadn eine sehr ausführliche Be-
schreibung die dem Visnudharmottara entnommen ist und m ihrer Ausschmückung älterer
Elemente den Charakter einer jüngeren Zeit zeigt». So fährt z B Agn. auf einem nut vier
Papageien bespannten, aus Rauch bestehenden oder Rauch als Wimpel habenden Wagen
Nirrti ist von schreckenerregendem Aussehen, sein Körper ist schwarz und rot sein Gewand
schwarz - er reitet auf einem Kamel. Kubera ist nach der Art des Nordens gekleidet (ud.cya-
vesa), wird von Menschen getragen oder gefahren (naravähana) etc. Alle Lokapäla’s sind
von ihren Frauen begleitet10. . i • j t? u
An die Lokapäla’s gerichtete Mantra’s werden m verschiedenen Fassungen angegeben.
Das Linea P ■ ■ schreibt für die Lokapäla-Opfer die einfache Formel „cm sakräya svähä“ etc.
vor während das Hauptopfer (pradhänahoma), das in der zwischen Osten und Nordosten
eel-eenen Hauptgrube'» zelebriert wird, von der Rezitation der sogenannten Gäyatn, oder
genauer Rudragäyatri, begleitet werden soll. Die Rudragäyatri lautet: tatpurusäya
vidmahe, mahädeväya dhimahi, tan no rudrah pracodayat“*. Wahrend diese Formel nebst
einigen Variationen für andere Gottheiten schon TAr. X I 5-7 erscheint sind in jüngerer
Zeit nach demselben Schema Mantra’s an die Lokapala s verfaßt worden; diese lauten
devaräiäya vidmahe, vajrahastäya dhimahi, tan no sakral} pracodayat. „rudrane-
träyä’ (vaisvänaräya) vidmahe, saktihastäya (jväläliläya) dhimahi, tan no vahn.h (agnih)
pracodayat “ vaivasvatäya vidmahe, dandahastäya dhimahi, tan no yamah pracodayat.
nisäcaräya vidmahe, khadgahastäya dhimahi, tan no nirftih pracodayat.“ „suddahastäya
vidmahe“, päsahastäya dhimahi, tan no varunah pracodayat.“ „sarvapränäya vidmahe,
yastihastäya (srstihastäya) dhimahi, tan no väyuh pracodayat. „yaksesvaräya vidmahe.
1 MBh. III, 281, 14. Vgl. Hopkins, Ep. Myth. § 91.
2 Agni-P. 56, 26f.
3 Siva-P. VI, 29, 22. Linga-P. I, 104, 26. Hemädri I, 797,
16. Linga-P. II, 28, 54. Hemädri I, 234, 11.
4 Linga-P. II, 28, 52. Das Agni-P. (96, 8) schließt bei der
Aufzählung der patäka Wurfscheibe und Lotus (ambho-
ja) unmittelbar dem Trisüla an.
5 Linga-P. II, 28, 54. Hemädri I, 196, 18ff.
6 Agni-P. 56, 29ff.
7 Matsya-P. 274, 50. Nach Hopkins, Ep. Myth. § 36, wird
Visnu schon im jüngeren Epos zur Erde in Beziehung
gesetzt.
8 II a, 103, 18ff.
9 II a, 144,4—147, 12.
10 Vgl. die Beschreibung der Lokapäla’s nach Sonnerat,
oben S. 23, Anm. 5.
11 II, 28, 53ff. und Hemädri I, 196, I4ff.
12 Hemädri I, 125, 6f.
13 Lihga-P. II, 48, 7. Hemädri I, 196, 15!. und II a, 232,
3E Dieselbe Formel als Glied der fünf Brahmansprüche
TÄr X, 46.
4 Baessler-Archiv.
26
HEINRICH MEINHARD
gadähastäya dhimahi, tan no yaksah (hastah) pracodayät.“ „sarvesvaräya vidmahe,
sülahastäya dhimahi, tan no rudrah pracodayät.“1
Gäyatrl-Variationen für Brahma und Visnu finden sich schon TÄr. X, i, 6. Sie lauten:
„vedätmanäya vidmahe, hiranyagarbhäya dhimahi, tan no brahmä pracodayät.“ „närä-
yanäya vidmahe, väsudeväya dhimahi, tan no visnuh pracodayät.“ Die letztere lautet im
Lihga-P. und bei Hemädri1 2 ebenso, die erstere hat die Form: „padmodbhaväya vidmahe,
vedavakträya (devavakträya) dhimahi, tan no srastä pracodayät“.
Mantra’s, die die Lokapäla’s zum Opfer einladen, werden im Agni-P. und im Matsya-P,
gelehrt3. Bei den Opfern selbst sollen nach dem Agni-P.4 folgende Sprüche rezitiert werden:
„trätäram indram. . . “5; ,,agnir mürdhä...“6; ,,vaivasvatarii samgamanam. . . “7; ,,esa
tenairrta. . .“8;„urum hiräjä varunas. . .“9; „väta. . .“10 II; „somam räjänam. . .“n; „isänam
asya. . “12 „hiranyagarbhah. . .“13; „namo 'stu sarpebhyah. . .“14. Von den schon erwähnten
Opfern im Zusammenhang der Siegesweihe15, bei denen die fünf Manifestationen Siva’s für
Indra, Yama, Varuna, Soma bzw. Kubera und Isäna substituiert werden, wird das Opfer
im Südosten begleitet von dem Spruch; „jätavedase sunaväma somam. . . “16 und das im
Südwesten von dem Spruch: „nimi nisi disa svähä khadga räksasabhedana / rudhiräjyär-
dranairrtyai svähä namah svadhä namah“17; für den Nordwesten wird kein Spruch noch
überhaupt ein Opfer erwähnt. Wie aus der Mannigfaltigkeit der hier angeführten Sprüche
zu ersehen ist, dürfte es allgemein gültige Formeln für die kultischen Beziehungen zu den
Lokapäla’s kaum geben.
Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die zu dem Kreise der acht Lokapäla’s vereinigten
Gottheiten zuweilen auch gemeinsam auftreten, ohne sich als Lokapäla’s kenntlich zu
machen; es läßt sich ferner auch die Neigung beobachten, sie in derselben Reihenfolge an-
zuführen, in der sie anderwärts als Lokapäla’s fungieren18. In solchen Fällen stehen Soma und
Kubera oft nebeneinander. Dagegen werden Brahmä und Visnu dann meist nicht so eng mit
den übrigen verbunden wie im Lokapäla-Kreis19. Eine entsprechende Erscheinung bietet
das MBh.: “Sometimes the four appear as a group without express mention of the fact that
they are regarded as Lokapäla’s, as in VII, 72,45, where Vaivasvata, Varuna, Satakratu,
and Dhanesa are represented as welcoming a dead hero.“20 Im Linga-P. spielen die Loka-
päla’s, sofern sie in dieser Weise auftreten, keineswegs eine bedeutende Rolle, sondern sind
mehr oder weniger Statisten. Dies trifft auch für Isäna zu, der ebenfalls in der Schar dieser
Götter erscheint.
Isäna ist von durchaus zwiespältigem Charakter, je nachdem er als Lokapäla oder von
dieser Eigenschaft getrennt auftritt. Im ersten Falle werden ihm wesentliche Attribute
Siva’s beigelegt. Im anderen Falle ist er eine vollkommen verblaßte Gestalt und deutlich
von Siva unterschieden. So erscheint er in einer Anzahl von Legenden21. In der Legende von
1 Linga-P. II, 48, 18—25. Hemädri II a, 233, 12—234, 9;
seine Abweichungen sind in Klammern gesetzt.
I Lihga-P. II, 48, 12 und 16. Hemädri II a, 232, 17!. und
233> 8f.
3 Agni-P. 56, 17 ff. Matsya-P. 274, 42 ff. Die beiden Reihen
sind verschieden.
4 Agni-P. 56, 18 ff.
5 RV. VI, 47, 11.
6 RV. VIII, 44, 16.
7 RV. X, 14, 1.
8 VS. 9, 35 (,,esa te nirrte. . .“).
9 RV. I, 24, 8. ’
10 RV. X, 186, 1.
II RV. X, 141, 3.
12 RV. VII, 32, 22.
13 RV. X, f21, 1.
14 RVKh. VII, 55, 10.
15 Lihga-P. II, 27, 285 ff.
16 RV. I, 99, 1.
17 Dieser unverständliche, offenbar verderbte Spruch ist in
der älteren Literatur nicht festzustellen.
18 Lihga-P. I, 82, 43f. 102, 17ff. und 3off. 11, 11, 8ff.
46> 3f-
19 Lihga-P. I, 82, 43f. ist die Auffassung zweifelhaft;
„väsavah pävakas caiva yamo nirrtir evaca / varuno
väyu-somau ca isäno bhagavän harih // pitämahas ca
bhagavän...“.
20 Hopkins, Ep. Myth. § 91.
21 Die folgenden Belege sind mit einer Ausnahme alle dem
Lihga-P. entnommen. In den die entsprechenden My-
then behandelnden Abschnitten des MBh., des Väyu-P.,
Kürma-P. und Siva-P. wird Isäna nicht erwähnt.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S 27
Nandins Geburt preist Isäna Nandin; dasselbe tun außer ihm viele andere Götter und
Göttinnen, unter ihnen Brahma, Hari, Rudra, Sakra, Pavana, Anala, Nirrti, Yaksa, Yama,
Varuna und andere1. Als Siva zur Zerstörung der drei Asura-Burgen auszieht, befindet sich
Isäna nächst Visnu, Indra, Yama, Agni, Kubera, Väyu, Nirrti und Varuna in seinem Ge-
folge1 2. Nebst vielen anderen Gottheiten begibt er sich zu Umä’s Selbstwahl3 und wird bei
dieser Gelegenheit wie auch die anderen von Siva, der zu seiner Belustigung in der Gestalt
eines im Schoße der Umä schlafenden Kindes erscheint, gelähmt, so daß er seinen Spieß
nicht erheben kann4. Mit vielen anderen Göttern zugleich wird er bei Daksa’s Opfer von
Virabhadra getötet5. Im Saura-P. erscheint er als Gratulant bei Siva’s Hochzeit6.
Aber auch der Lokapäla Isäna wird von Siva unterschieden; er umgibt ihn dienend,
wie das Ritual an vielen Stellen erkennen läßt. In einer der Litaneien, in denen Siva unter
vielen Namen gepriesen wird, heißt es: „yamägni-väyu-rudrämbu-soma-sakra-nisäcaraih
dinmukhe dinmukhe nityam saganaih püjitäya te. . P 7. Andererseits dagegen wird Isäna
beschrieben wie Siva selbst: Visnu steht an seiner linken, Brahmä an seiner rechten Seite.
Hemädri8 unterscheidet den „Dikpälesäna“ von Siva ebenso wiejien „Lokapälabrahmä“
von Brahmä und den „Lokapälavisnu“ von Visnu. Es scheint, daß Isäna lediglich eine Figur
des Ritualschematismus ist; vielleicht durch den Sivaismus von anderen Kreisen über-
nommen, in denen Siva nur eine untergeordnete Rolle spielte9. Sem Auftreten in liegenden
erklärt sich wohl daraus, daß man seine Gestalt der Vorstellungswelt des Rituals entnommen
und in späterer Zeit in die verhältnismäßig alten Legenden verflochten hat. Hier wurde er
wiederum den Gottheiten an die Seite gestellt, mit denen er im Ritual verbunden war, und
gelangte auf diese Weise zu einer völligen Lösung und Entfremdung von seinem ursprüng-
lichen Wesen. Jedenfalls bieten sich keine Anhaltspunkte für die entgegengesetzte Annahme,
daß der so deutlich Siva’s Charakter tragende Lokapäla Isäna sich aus einem ursprünglich
mit Siva nicht identischen Gotte Isäna entwickelt hätte.
ARDHANÄRlSVARA: DIE ANDROGYNISCHE AUFFASSUNG SIVA’S.
Die Auffassung Siva’s als eines androgynischen Wesens, die in den Puräna’s in ent-
wickelter Form auftritt, findet sich in den jüngeren Teilen des MBh. bereits angedeutet10 *.
Lassen11 weist auf Grund der Münzen Kadphises II. das Bestehen dieser Auffassung im An-
fang der christlichen Ära nach : „Siva wird entweder nackt dargestellt oder in indische Tracht
gekleidet; nach dem häufigen Vorkommen von Brüsten läßt sich mutmaßen, daß diese
Gottheit vorzugsweise als Ardhanärl oder als Halbfrau von dem indoskythischen Herrscher
Kadphises verehrt ward.“ „Durch die Münzen des zweiten Kadphises steht es fest, daß in
den westlichen indischen Gebieten, welche seinem Zepter unterworfen waren, Siva teils als
männliche Gottheit mit den ihr eigentümlichen Attributen von deren Bewohnern angebetet
ward, teils als Ardhanärl oder Halbweib, woraus hervorgeht, daß die androgynische Auf-
fassung dieses Gottes in den Anfängen der christlichen Zeitrechnung aufgekommen war.“12
In erster Linie sind es die mythischen Schöpf ungs Gerichte, die Siva in dieser Form auf treten
1 Linga-P. I, 42, 21 ff.
2 Linga-P. I, 72, 60.
3 Linga-P. I, 102, 19.
4 Linga-P. I, 102, 34.
5 Linga-P. I, 100, 21.
6 Saura-P. 57, 62 (Jahn S. 149).
7 Linga-P. I, 104, 26f.
8 II a, 123, 8 ff. 103, 18ff. in, 6f.
9 Hemädri zitiert I, 796!!. eine Spende der acht Loka-
päla’s, die hier Brahmä umgeben. Diese Schilderung ist
dem Brahmända-P. entnommen.
4*
10 Vgl. Hopkins, Ep. Myth. § 159.
11 Ind. Alt. II, 811. no7ff.
x2 Vgl. Jouveau-Dubreuil, Archéologie II, S. 37 Anm. :
,,Cette image est peut-être la plus anciennement connue
si on s’en rapporte à l’histoire de l’ambassadeur hindou
à Bardisanes (220 après J.-C. environ) qui décrivit une
cave du nord de l’Inde contenant une image d’un Dieu
moitié homme, moitié femme (Stobaeus, Phisique,
Gainsford, éd., p. 54, et Priaulx, l’Inde et Rome,
P- 153)-
28
HEINRICH MEINHARD
lassen. Der Name Ardhanärisvara, der auch dem Epos noch nicht bekannt zu sein scheint,
wird jedoch erst in offenbar jüngeren Fassungen dieser mythischen Schöpfungsberichte
genannt1. Sie sind es auch, die die Wurzel zeigen, aus der die Konzeption dieses Herma-
phroditen entsprungen ist.1 2
Im Sat. Br. XIV, 4, 2, iff. (und dem Paralleltext Brhadär. Up. I, 4, iff.) teilt sich der
Ätman, der in Gestalt eines Menschen am Anfang allein die Welt ausmacht und so groß ist
„wie ein Weib und ein Mann, wenn sie sich umschlungen halten“, in zwei Teile, woraus
Gatte und Gattin entstehen; aus der Begattung beider werden Menschen und Tiere er-
schaffen. In seinem Kommentar zu der genannten Upanisad erklärt Sankara die beiden Teile
als Manu und ¡Satarüpä, Nach Manu I, 32 teilt Brahma seinen Leib in zwei Teile, Mann und
Weib, die den Viräj hervorbringen. Das MBh. läßt diese Schöpfungseinzelheit vermissen3;
die Puräna’s jedoch haben sie weiter ausgebildet, indem sie sie zum Ausgangspunkt einer
Genealogie gemacht haben. Nach Visnu-P. I, 7, I4ff. und Märkandeya-P. 50, ijff. schafft
Brahma den Manu Sväyambhuva, der mit ihm identisch ist (ätmänam eva); dieser nimmt
die Satarüpä zum Weibe und erzeugt mit ihr Priyavrata und Uttänapäda und die Töchter
Prasüti und Äküti, von denen er die erstere dem Daksa und die letztere dem Ruci gibt.
Väyu-P. I, 10, yff. läßt Brahma nach mißlungenen Schöpfungsversuchen seinen Leib in
eine männliche und eine weibliche Hälfte, nämlich Satarüpä, teilen; diese erlangt durch
Askese den Manu Sväyambhuva, den Sohn des von Brahmä (als nännliche Hälfte ?) er-
zeugten Viräj, zum Gatten und gebiert ihm die erwähnten vier Kinder. Die entsprechende
Stelle des Kürma-P.4 besagt im wesentlichen dasselbe, bezeichnet nur Manu Sväyambhuva
als den vom Purusa, d. h. der männlichen Hälfte Brahmä’s, geschaffenen Viräj.
Von zwei Fassungen des Linga-P. bietet die ausführlichere5 denselben Text wie das
Väyu-P.: Manu ist Vairäja, Sohn des von Brahmä geschaffenen Viräj. Die kürzere6 läßt nur
den Brahmä Satarüpä und Viräj erschaffen und unvermittelt Satarüpä, die ayonija ist, die
beiden Söhne und Töchter dem Sväyambhuva gebären. Nach dem Saura-P. teilt sich Brahmä
„in der Absicht, Geschöpfe durch Begattung hervorzubringen, ... in när! oder Satarüpa
und purusa, welcher Manu Sväyambhuva ist“7. Nach Siva-P. V a, 15, 12ff. entsteht aus der
weiblichen Hälfte Satarüpä und aus der männlichen Viräj, der mit Manu Sväyambhuva
identisch ist; Satarüpä erlangt, wie in den übrigen Texten, Manu durch Askese zum
Gatten etc. Nach VI, 51, 23!!. und 52, iff. desselben Werkes teilt sich der Schöpfer, als seine
Kreaturen sich nicht vermehren, in zwei Hälften, stri und purusa. Satarüpä gebiert dem
Purusa die beiden Söhne Priyavrata und Uttänapäda, jedoch statt Äküti und Prasüti, wie
in V a, 15 und den übrigen Texten, nur eine Tochter, Kämyä, Gattin des Projäpati Kar-
dama. Dieselbe Abweichung hat Agni-P. 17, i6f. und 18, 1, wo der Mythus ganz kurz be-
handelt wird8. Im Gegensatz zu all diesen Stellen ist es nach der Fassung des Matsya-P.9
Brahmä selber, der, nachdem er seinen Körper in eine männliche und eine weibliche Hälfte
geteilt und diese letztere, die Satarüpä, Sävitri, Sarasvati, Gäyatri, Brahmänl, zu seiner
1 Z. B. Linga-P. I, 5, 28. Siva-P. V a, 13, 9. In den übrigen
Rudra oder Purusa mit dem Beiwort ardhanärinara-
vapus.
2 Vgl. Krishna Sastri, South Indian Images, S. 120:
„The hermaphrodite or the Ardhanäri form of Siva is
perhaps to be traced to the conception of the Säkta
doctrine that only when combined with Sakti is Siva
capable of discharging his divine functions..... The
artistic conception of a purely philosophical idea has thus
resulted in an image of which the left half represents
the woman (Pärvati) and the right half, the male (Siva).
3 Dagegen findet sie sich Hariv. 54ff.
4 I, 8, 6ff. der Text ist im wesentlichen dem des Väyu-P.
gleichlautend.
5 Linga-P. I, 70, 267 ff.
6 Linga-P. I, 5, 15 ff.
7 Saura-P. 26, 6ff. (Jahn S. 70). Jahn verweist noch auf
Brahma-P. 2, X ff.
8 Die Lesart kardamabhäryä — statt kardamakanyä —
ist besser und mit Siva-P. VI, 52, 6 in Übereinstimmung.
9 3, zgii. und 4, 33!. In dieser Fassung ist der Mythus
verschmolzen mit dem von Prajäpati’s, bzw. Brahmä’s,
Inzest mit seiner Tochter, der sich schon Sat. Br. I,
7, 4, iff. und Ait. Br. III, 33 findet und anscheinend
auf RV. X, 61, 5ff. zurückgeht. Vgl. OST I, xo7ff. und
IV, Preface VI, ferner ibid. 45 ff., wo auch noch eine
jüngere Form, Bhäg.-P. III, 12, 28ff., zitiert wird.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
29
Tochter gemacht hat, von blutschänderischer Leidenschaft zu ihr ergriffen wird und sie
begattet. Sie bringt den Manu Sväyambhuva, der Viräj heißt, zur Welt; dieser bekommt
Anantä zur Gattin und erzeugt mit ihr Priyavrata und Uttänapäda. Aus der Verschiedenheit
dieser Berichte läßt sich die ursprüngliche Konzeption erkennen, nach der der männliche
Teil Brahmä’s mit Manu Sväyambhuva, der auch Viräj heißt, und der weibliche Teil mit
Satarünä identisch ist. Satarüpä heißt als weibliches Gegenstück zu Viräj Samräj1; Samräj
ist der Mutterschoß (kuksi), Viräj der Herr (prabhu)1 2.
Dieser Mythus von Brahmä’s Teilung in purusa und närl und der Begattung beider zum
Zweck der Schöpfung, der nach Sankara’s Autorität auf die anfangs zitierte Stelle aus dem
Sat. Br. (und der Brhadär. Up.) zurückgeht, dürfte der Ursprung oder das Vorbild für die
Konzeption des androgynischen Siva sein. Siva ist erst sekundär zur kosmogonischen Potenz
geworden und hat die Funktion Brahmä’s, des ursprünglichen Schöpfers, eingeschränkt.
Dabei ist das Motiv der Teilung in eine männliche und eine weibliche Hälfte auf ihn über-
tragen worden und läßt sich als seinem Wesen eignender Faktor in verschiedenen Ent-
Wicklungsstadien verfolgen. Die Schöpfungsberichte der Puräpa’s, die ein chaotisches
Konglomerat heterogener Anschauungen über die Schöpfung darstellen, bringen Siva’s
und Brahmä’s mannweibliche Teilungen nebeneinander. Texte von anscheinend höherem
Alter lassen Siva’s Teilung als von Brahma abhängig erscheinen, die jüngeren sivaitischen
• dagegen suchen diese Abhängigkeit zu verwischen und machen z. T. sogar umgekehrt
Brahmä’s Teilung von der Siva’s abhängig.
Nach Visnu-P I 7, 4ff- und Märkandeya-P. 50, pff.3 4 * * erzeugt Brahma, als seine Ge-
schöpfe sich nicht vermehren, die neun ihm gleichenden geistigen Söhne; diese sind aber
zur Erkenntnis gelangt und verhalten sich der Schöpfung gegenüber gleichgültig. Darüber
ergrimmt Brahmä, und aus seiner von Zorn flammenden und gekrausten Stirn kommt der
Hermaphrodit (ardhanärinaravapus) Rudra hervor der wie die Mittagssonne strahlt.
Brahmä fordert ihn auf, sich zu teilen, und verschwindet. Rudra teilt sich in Mann und Weib,
weiterhin die männliche Hälfte in elf und die weibliche Hälfte in viele feile. Die elf männ-
lichen Teile sind saumva und asaumya, sänta und asänta, die vielen weiblichen asita und sita.
Hier wird also Rudra'von Brahmä erzeugt* und teilt sich auf dessen Befehl. Auch im Epos
ist Siva stellenweise Brahmä’s Sohn oder entspringt aus dessen Stirn*, jedoch ohne daß seine
mannweibliche Gestalt und Teilung erwähnt wird. Agni-P. 17, 14 gibt nur ganz kurz die
Erschaffung des aus Zorn entstandenen Rudra neben der Sanatkumära s und anderer geisti-
ger Sohnemm ^ y p_, weicht mcl,t unwesentlich von dem des Visnu-P. und Mär-
kändeya-P ab Auch hier sind Brahma’s geistige Söhne der Schöpfung gegenüber gleich-
gültig' Da entsteht aus Brahmä’s Zorn (tasya rosät) der wie die Sonne leuchtende mann-
weibliche Purusa und alles entflammt durch seinen Glanz. Er teilt sich in stri und purusa.
Die männliche Hälfte teilt er wiederum in elf Teile und befiehlt diesen, sich um die Auf-
richtung und das Wohl der Welt zu bemühen. Sie heulen und laufen davon. Wegen des
Heulens und Laufens (rodanäd drävanät7) heißen sie Rudra’s; sie durchdringen die ganze
Dreiwelt Die weibliche Hälfte (sankarasya ardhakäyini) ist auf ihrer rechten Seite weiß
(sukla) auf der linken schwarz (asita). Von Svayambhü aufgefordert, sich zu teilen, teilt sie
1 Linga-P. I, 70, 274. Väyu-P. I, 10, 14.
2 Agni-P. 18, 2.
3 Die Fassung des Märkandeya-P. weicht nur wenig ab.
In beiden Texten folgt unmittelbar die Schaffung
Sväyambhuva’s durch Brahmä. Vgl. OST IV, 392!.
4 Die Auffassung, daß Rudra Brahmä’s Sohn sei, ver-
steckt sich auch anscheinend noch in dem jungen My-
thus vom Erscheinen der fünf Manifestationen in den
verschiedenen Kalpa’s. Deutlich kommt sie zum Vor-
schein in dem verhältnismäßig alten Mythus von der
achtfachen Namengebung.
5 Vgl. Hopkins, Ep. Myth. § 138.
6 I, 9, 61 ff.
7 drävana eigentlich „Veranlassen zu laufen“ bzw. „Ver-
treiben“.
30
HEINRICH MEINHARD
sich in eine weiße und eine schwarze Hälfte. Im folgenden werden dann die Namen der Devi
aufgezählt. Diese Fassung, in der der ursprünglichere Text des Visnu-P. und des Märkandeya-
P. noch deutlich zu erkennen ist, ist durch Überarbeitung schon ganz sivaitisch umgestaltet
worden. Auch im Kürma-P.1 ist die ursprüngliche Form in sivaitischem Sinne umgearbeitet.
Brahma übt gemeinsam mit seinen Söhnen Askese. Da entspringt aus seinem Munde Rudra
in schreckenerregender mannweiblicher Gestalt. Brahma ersucht ihn, sich zu teilen, und ver-
schwindet aus Furcht. Nach der Teilung in stri und purusa entstehen aus letzterem durch
elffache Teilung die Rudra’s; Kapälisa etc., und aus der ersteren durch vielfache Teilung die
Vibhüti’s oder Sakti’s: Laksmi etc. Die weibliche Hälfte ist die Dev! (Sänkari, Isäni). Sie
entläßt noch einen weiteren Teil aus sich, dieser wird auf Brahmä’s Geheiß Daksa’s Tochter
Sati und von Daksa dem Rudra zur Gattin gegeben; fernerhin wird SatI als Tochter des
Himavat und der Menü, Pärvati, geboren und von Himavat ebenfalls dem Rudra zugeführt.
Dies ist die Devi, die Hälfte von Sankara’s Körper (sankarärdhasaririni).
In den mythischen Schöpfungsberichten des Linga-P. ist die ursprüngliche Form der
Legende kaum noch zu erkennen. Der Text I, 70, 324ff. steht dem Text des Väyu-P. nahe,
ist aber in stärkerem Grade sivaitisch überarbeitet als dieser. Die Vorgeschichte von dem
Verhalten der geistigen Söhne Brahmä’s und von dessen Zorn fehlt. Der androgynische
Mahädeva teilt sich nach eigenem Wunsch (svecchayä) in stri und purusa. Die männliche
Hälfte seines Körpers ist elffach; die Erklärung der elf Teile als der Rudra’s fehlt, weil ein
andersartiger Mythus über die Erschaffung der Rudra’s unmittelbar (sl. 303—31 24) vorher-
geht. Die weibliche Hälfte ist die Mahädevi; sie wird zum Heil der Welten Daksa’s Tochter
Sati. Von Sambhu aufgefordert, sich zu teilen, teilt sie sich in eine weiße und eine schwarze
Flälfte. Wie im Väyu-P. folgt eine Aufzählung ihrer Namen. Auch in I, 5, z8ff., der zweiten,
kürzeren Fassung des Linga-P. fehlt die Vorgeschichte. Brahmä erblickt am Anfang der
Schöpfung den Ardhanärisvara und fordert ihn auf, sich zu teilen. Aus dem weiblichen Teil
entstehen alle Frauen der Dreiwelt, aus dem männlichen die elf Rudra’s. Devi ist das stri-
linga, Nilalohita das purhlinga. Daksa, von Brahmä aufgefordert, nimmt die Allmutter Sati
als Tochter an und gibt sie Rudra zur Gemahlin.
Andere Formen des Mythus im Linga-P. — außerhalb der eigentlichen Schöpfungs-
berichte —- zeigen noch ausgesprochener sivaitische Prägung und Entfernung vom Original.
Die mythisch überlieferte Tatsache der Erzeugung Siva’s durch Brahmä wird als ein Gnaden-
geschenk Siva’s an Brahmä erklärt, und Brahmä wird umgekehrt zu Siva’s Sohn gemacht2.
Als Brahmä’s Kreaturen sich nicht vermehren wollen, übt er gemeinsam mit seinen geistigen
Söhnen schwere Askese, um Siva’s Hilfe zu gewinnen. Dieser erkennt Brahmä’s Verlangen
und tritt in mannweiblicher Gestalt (stripumrüpa) als Ardhanärisvara aus seiner Stirn
heraus, indem er sagt, daß er sein Sohn sein wolle. Darauf verbrennt er den Brahmä voll-
ständig. Zum Zweck des Gedeihens der Welten begattet er vermittels des Yoga seine andere
Hälfte, die Paramesvari, und erzeugt aus ihr Hari, Brahmä und die Päsupata-Waffe3.
Einzelheiten schildert ein folgender Abschnitt4. Nachdem Brahmä den Samsära als Übel
erkannt und vom Schöpfungswerk Abstand genommen hat, versenkt er sich in den Yoga.
Den Atem hemmend und unbeweglich wie ein Stein verharrt er zehn Jahrtausende lang in
Kontemplation. In die Samenkapsel seines Herzlotus setzt er den Isvara ein und meditiert
über ihn als Om. Eine Emanation (arhsaja) des im Herzlotus befindlichen Isvara durchbricht
Brahmä’s Stirn und tritt rot und schwarz als Nilalohita heraus; Brahmä preist ihn als
Astamürti5. Die androgynische Form wird hier nicht berücksichtigt.
11, 11, 1 ff.
2 Wie schon in jüngeren Teilen des MBh., vgl. Hopkins
§ 138.
3 Linga-P. I, 41, 7 ff. Zur Askese Brahmä’s und seiner
Söhne vgl. die erwähnte Fassung Kürma-P. I, II, iff.
Linga-P. I, 41, 18 ff.
Die Verbindung des Mythus von der Entstehung Siva’s
aus Brahmä mit dem Motiv der Achtgestaltigkeit
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
In einem weiteren Abschnitt1 erscheint das in den beiden vorigen nicht erwähnte Motiv
der Erschaffung der Rudra’s aus der männlichen und der Sakti’s aus der weiblichen Hälfte
Ardhanärisvara’s in Verbindung mit einem heterogenen Mythenelement. Am Anfang eines
anderen Kalpa übt Brahma, um Kreaturen erschaffen zu können, äußerste Askese. Trotz-
dem entsteht nichts. Brahma wird zornig, und aus seinen Augen fallen Tränen. Aus den
Tränen entstehen Bhüta’s und Preta’s. Als der Demiurg diese als seine ersten Geschöpfe
erblickt, stößt er zornige Lästerungen gegen das höchste Wesen (brahmätman) aus und ver-
haucht sein Leben. Aus seinem Munde kommt der aus Lebenshauch bestehende Rudra als
Ardhanärisvara zum Vorschein und teilt sich in elf Teile, die Rudra’s. Aus seiner anderen
Hälfte erschafft er die Umä; diese wiederum erschafft die Sakti’s: Laksml, Durgä, Sresthä,
Sarasvati, Vämä, Raudri, Mahämäyä, Vaisnavi, Värijeksanä, Kalä, Vikirinl, Kali, Kamala-
väsini Balavikarini, Devi, Balapramathini, Sarvabhütadamani, Manonmam und Tausende
anderer Frauen. Mahädeva, Brahmä’s Sohn, gibt dem toten Brahma mitleidsvoll die in ihm
selbst befindlichen Lebenshauche zurück. Dasselbe heterogene Element begegnet noch einmal
an einer anderen Stelle«, z. T. mit dem gleichen Wortlaut, z. T abgeändert. Das Erscheinen
des sich teilenden Ardhanärisvara fällt fort. Als Brahma s Askese kernen Erfolg zeitigt,
vergießt er im Zorn Tränen. Aus diesen kommen aus Wind, Galle und Schleim bestehende,
mit Svastika’s geschmückte Giftschlangen zum Vorschein. Brahma verlästert das höchste
Wesen und verflucht seine Askese, die ihm als erste Frucht weltverderbende Kreaturen
gebracht hat Aus Zorn versinkt er in eine tiefe Ohnmacht, in der er sein Leben aushaucht.
Da treten die elf Rudra’s heulend aus seinem Leibe heraus. Ihr Charakter als Rudra’s
entsteht aus ihrem Heulen. Sie sind die Lebenshauche; als solche wohnen sie in allen Wesen».
Nllalohita gibt dem Brahma die Lebenshauche wieder zuruck.
Das Motiv vom Tode Brahmä’s und vom Erscheinen des aus den Lebenshauchen be-
stehenden Rudra aus seinem Munde wird im Kürma-Pd mit dem Mythus von der achtfachen
Namengebung verknüpft. In einem die Entstehung der Devi behandelnden Kapitel des
mJi wird Brahma als Siva’s ersterschaffener Sohn erklärt. Brahma erblickt ihn als
. ! r • t und bittet ihn, sich zu teilen. Darauf erschafft Siva die Devi,
Ardhanansvara, preist Um una mticu , . ■ j • -n i >
seine ihm gleichende Gattin, aus seiner linken Seite; auf seinen Befehl wird sie Daksa s
Tüd ülr Mythus der sich im Rahmen eines der Schöpfungsberichte des giva-Pd findet,
weicht gänzlich von den Fassungen des Mythus in den Schöpfungsberichten des Visnu-P„
Märkandeva-P Vävu-P., Linga-P. und Kürma-P. ab, denen bei aller Verschiedenheit das
• ■ • } Mntiv der abermaligen Teilung der männlichen und weiblichen Hälfte des
Hermaphroditen eine unverkennbare Zusammengehörigkeit gibt. Dieses Motiv fehlt hier,
auch ist die Vorgeschichte, die die Notwendigkeit des Erscheinens Ardhanansvara s be-
„Sni.t Pi„, andere Als Brahmä’s Kreaturen sich nicht vermehren, faßt er den Entschluß,
eine aus Begattung entspringende Schöpfung hervorzubringen. Dies ist ihm aber nicht
möglich da das weibliche Geschlecht noch nicht erschaffen ist. In der Erkenntnis, daß ihm
nur durch Siva’s Gnade Hilfe kommen könne, beginnt er Askese zu üben, indem er über den
an der Seite der höchsten (paramä) Sakti in seinem Herzen befindlichen Isvara meditiert.
Dieser zeigt sich bald befriedigt und entläßt eine Emanation, die in der Form des Ardhanä-
risvara hervortritt Brahma verehrt und preist ihn. Ardhanärisvara redet Brahma als seinen
Siva’s auch Saura-P. 23, iff. (Jahn S. 65) und Kürma-P.
I, 10, 18 ff. Die drei Fassungen haben das Gemeinsame,
daß die androgynische Form Siva’s unberücksichtigt
bleibt, obgleich sie sonst verschiedeneEIemente enthalten.
1 Linga-P. I, 41, 37ff.
2 Linga-P. I, 22, 17ff. Denselben Text hat Väyu-P. I, 25,
60 ff.
3 Die Rudra’s werden schon Chänd. Up. 3, 16, 3 als
Lebenshauche erklärt.
4 I, 10, 18ff. Die Stelle ist oben bei der Behandlung der
acht Gestalten Siva’s wiedergegeben worden.
5 I, 99, 8ff. Vgl. Saura-P. 25, 5ff. (Jahn S. 68f.).
6 V a, 13 und 14.
32
HEINRICH MEINHARD
Sohn an und verheißt ihm Erfüllung seines Wunsches. Darauf entläßt er aus seiner Seite die
Devi, die höchste Sakti, die, obgleich in dieser Weise aus Siva entstanden, in Wirklichkeit
ungeboren ist. Brahma wendet sich ehrfürchtig an sie, bezeichnet sich selbst als im Anfang
von Siva erschaffen, berichtet von seinen vergeblichen Versuchen, aus seinem Manas lebens-
fähige Kreaturen zu erschaffen, und von seinem Wunsch, dies durch eine aus Begattung
entspringende Schöpfung zu erzielen. Da ihm zur Erschaffung des weiblichen Geschlechts
die Kraft fehle, sie aber der Ursprung aller Sakti’s sei, bitte er sie, mit einem Teile ihres
Selbst die Tochter seines Sohnes Daksa zu werden. Devi erzeugt aus der Stelle zwischen den
Augenbrauen eine ihr gleiche Sakti, die von Siva den Auftrag erhält, Brahmä’s Wunsch
nachzukommen; darauf wird sie Daksa’s Tochter. Devi geht wieder in Siva’s Leib ein, und
Siva verschwindet. Seitdem besteht Geschlechtsgenuß und Vermehrung durch Begattung1.
Anschließend schildert das folgende Kapitel, wie Brahma, nachdem er die Sakti bekommen
hat, daran geht, eine aus Begattung entstehende Schöpfung hervorzubringen, und sich in
när! und purusa teilt.
Als besondere Erscheinungsform der Gottheit besitzt Ardhanärlsvara ein besonderes
Kultidol, das nach dem Linga-P.1 2 einen vierarmigen Hermaphroditen darstellt. Eine ge-
nauere Beschreibung liefert das Matsya-P.3 Danach handelt es sich um die Figur eines auf
der rechten mit männlichen, auf der linken Hälfte mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen
ausgestatteten Wesens. Die rechte Seite zeigt ein aufgerichtetes Linga, die linke Seite eine
Yoni4 und eine weibliche Brust; außerdem die rechte Seite Attribute Siva’s und die linke
Attribute der Devi bzw. allgemein weibliche Ausstattungsstücke. So trägt der Kopf der
Figur rechts einen Wulst von Haarflechten und eine Mondsichel, das rechte Ohr den Schlan-
gendämon Väsuki als Ohrring, die rechte Hand einen Schädel oder das Trisüla, die rechte
Schulter eine aus Juwelen und Perlen zusammengesetzte Opferschnur, die rechte Körper-
seite trägt als Bekleidung eine Elefantenhaut und ist von Schlangen umwunden, der rechte
Fuß ruht auf einem Padma. Auf der linken Seite trägt der Kopf einen Scheitel und ein
Stirnzeichen (tilaka), das Ohr einen Ohrring und darüber einen Ohrschmuck (välikä), die
Schulter eine Perlenkette, der Oberarm einen Reifen, die Hand Spiegel und Utpala, der
Rumpf ein juwelenbesticktes, durch drei Hüftgürtel zusammengehaltenes Gewand, der
Fuß einen Reifen am Knöchel und Lackbemalung. Eine ganz ähnliche Beschreibung
Ardhanänsvara’s, anscheinend mit der des Matsya-P. auf dieselbe Quelle zurückgehend,
bietet Hemädri Ha, 124, I4ff. Immerhin weicht er in Einzelheiten ab, so ist Siva’s Körper-
hälfte mit Asche beschmiert, die der Devi mit Saffran, Siva’s Opferschnur besteht aus einer
Schlange, die Figur ist vierarmig, die beiden rechten Hände halten Trisüla und Rosenkranz,
die beiden linken Spiegel und Utpala5.
Charakteristisch für die Auffassung Ardhanänsvara’s ist das Hervortreten der sexuellen
Merkmale. Infolgedessen lag es nahe, ihn mit der Auffassung und mit dem Kultus des Linga
in Verbindung zu bringen, Siva ist der Phallus, er ist Lingamürti, Devi ist die Vulva und
1 Derselbe Mythus, ebenfalls im Rahmen von Schöp-
fungsmythen, findet sich Saura-P. 25 (Jahn S. 68f.).
2 h 76, 35h
3 260, iff.
4 Var. yoni offenbar besser als sroni.
5 Zur Ikonographie Ardhanänsvara’s vgl. Krishna Sastri,
South Indian Images, S. 120; ,,The jewellery on the
image is similarly distinguished in every detail; those
on the left side being purely feminine ornaments and
those on the right, ornaments appropriate to males.
'The drapery on the right side is the tiger’s skin of Siva
reaching only to his knee, while on the left side it is the
finely embroidered muslin (dukùla) suitable for the
goddess Pârvatï, and stretching down to her ankle. Of
the four hands, the two right show a hatchet and the
posture of protection; the two left are richly decorated
with wristlets, the upper one holding a flower and the
lower one being stretched down to the waist.“ Ferner
Jouveau-Dubreuil, Archéologie II, S. 37!.: ,,Du côté
mâle on voit la hache ou le tambour, des serpents; du
côte femelle, la poitrine est proéminente, la taille est
amincie, les hanches sont élargies et convertes d’un
pagne, la main porte une fleur, le bras et le pied sont
ornés de bracelets......Ardhanârî se trouve à Ma-
valipuram sur le Dharmarâja-Ratha.......; et à Tan-
jore .... Assez rare de nos jours.“
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S ^
führt daher den Namen Bhagä1. Aus der Vereinigung beider wird die Welt erschaffen. Als
Bhagä ist Devi der Sockel (vedi) Lihgamürti’s, des in der Form des Linga erscheinenden
Gottes. Dieser ist wegen seiner Verbundenheit mit dem Sockel Ardhanärisvara1 2. Durch die
Aufrichtung und Verehrung des Linga samt dem Sockel wird Siva mit der Devi aufgestellt
und verehrt3.
Auch in die philosophische Kosmogonie spielt die Konzeption des doppelgeschlechtigen
Gottes hinein. Die puränische Philosophie, sowohl visnuitischer wie sivaitischer Prägung,
ordnet die Begriffe Purusa und Prakrti einem höchsten Wesen, dem Paramätman, unter,
indem sie Sämkhya- und Vedänta-Lehren vermischt. Der Paramätman wird hier als Siva,
dort als Visnu erklärt. Der Paramätman wird weiterhin mit dem Purusa und der Prakrti
identifiziert, ferner mit dem Vyakta, der Vielheit der durch die Umwandlung der Prakrti
oder des Avyakta entstandenen Produkte bzw. den dreiundzwanzig Prinzipien (Buddhi,
Ahamkära, Manas, zehn Indriya’s, fünf Tanmätra’s und fünf Bhüta’s), und schließlich
viertens mit Käla, der Zeit als Ursache der Umwandlung des Avyakta in das Vyakta („prad-
häna-purusa-vyakta-kälätmä kathyate sivahu)4. Auch die vom reinen Särhkhya abweichende
Auffassung des Purusa als männlichen und der Prakrti als weiblichen Schöpfungsprinzips
scheint eine den visnuitischen wie den sivaitischen Puräna’s gemeinsame Eigentümlichkeit
zu sein5. Was die Lehre der sivaitischen Puräna’s im besonderen betrifft, so steht Siva als
höchstes Wesen über Prakrti und Purusa6, damit also über den fünfundzwanzig Prinzipien
(den oben genannten nebst Prakrti und Purusa)7, weshalb er auch als der Sechsundzwanzigste
(sadvimsaka) bezeichnet wird8. Die Prakrti geht aus ihm hervor9. Er geht in Prakrti und
Purusa ein und setzt die Prakrti in Bewegung (ksobhayati) vermittels seines großen Yoga10.
Er ist der, der in Bewegung versetzt und der, der in Bewegung versetzt wird. Aus der vom
Purusa in Bewegung versetzten Prakrti gehen Buddhi etc. hervor11. Mehr versinnlicht als in
dieser anscheinend den meisten Puräna’s eigenen Schöpfungstheorie erscheint die Auf-
fassung des Wesens von Prakrti und Purusa und ihres Verhältnisses zum Paramätman in
einigen verstreuten Bemerkungen des Linga-P. Die Prakrti ist seine Gemahlin, der Purusa
sein Linga12. Er ist Prakrti und Purusa13. Andererseits ist er wieder der Einige, der sich in
Prakrti und Purusa teilt14. Die Devi Prakrti und der Purusa, beide aus seinem Leibe ent-
standen, sind das strilinga und das pumlinga, aus beiden entsteht die Schöpfung15. Wiederum
wird der Purusa Siva’s erhabenste Gestalt genannt, in der ihn selbst Devi nicht erblickt.
Um ihn zu sehen, muß sie durch den Yoga die Gestalt als Prakrti annehmen16. Der Yogin
vermag in der Versenkung den Purusa und die Prakrti zu schauen
Endlich wird auch noch der über die fünfundzwanzig Prinzipien erhabene Paramätman
in Abschnitten, die sein Wesen theopanistisch zu deuten versuchen, als doppelgeschlechtig
1 „sä bhagäkhyä“. Das Femininum nach Böhtl. sonst
nur in der Stelle; „ambä vai strl bhagänämni“, Käthaka
(Weber) 36, 14. Vgl. Hopkins, Ep. Myth. § 21: „Mahä-
devi is named as mistress of women devoted to Bhaga
(MBh. XIV, 43, 6f.)“, und ibid. § 101: „Umä is the
mistress of all bhagadevänuyätäs, i. e. Venus (MBh.
XIV, 43, 15)“-
2 Linga-P. I, 99, 6f. Vgl. ibid. I, 19,15 und II, 11, 31.
3 Lihga-P. II, 47, 9h Über Linga und Yoni bzw. Bhaga
im MBh. vgl. Jahn ZDMG 69, S. 533ff.
4 Siva-P. Vb, 6, 2if. Linga-P. II, 16, 3ff. Vgl. Wilson,
Vishnu Puräna Vol. I, Preface XCIV: . Vishnu, as
one with the supreme being, is not only spirit, but crude
matter, and not only the latter, but all visible substance,
and Time.“
5 Vgl. Garbe, Säriikhya-Phil. S. 62 und Nilmani Mukho-
padhyäya, Kürma-P., Preface XIII.
6 Linga-P. I, 70, 2.
7 Linga-P. H, 16, 26h
8 Lihga-P. I, 28, 7.
9 Lihga-P. I, 70, 3.
10 Lihga-P. I, 70, 76L; Väyu-P. I, 5, 11; Kürma-P. I, 4,
13!.; Siva-P. Va, 7, 21 f. Vgl. Märkandeya-P. 46, 9!.
(Banerjea, Introduction S. 14!.).
11 Kürma-P. I, 4, 15ff.; Saura-P. 21, 4ff. (Jahn S. 59L).
Vgl. Märkandeya-P. 46, 12 (Banerjea, Introduction
S. 14D.
12 Lihga-P. I, 75, 9.
1:5 Lihga-P. II, 17, 12.
14 Lihga-P. I, 85, 10.
15 Lihga-P. I, 33, 3L
16 Lihga-P. I, 92, 112ff.
17 Lihga-P. I, 88, 3Öff.
5 Baessler-Archiv.
34
HEINRICH MEINHARD
begriffen: Die Devi ist als Mäyä oder als seine Sakti in ihm inhärent, weshalb er auch Sakti-
mat heißt. Das höchste Wesen wird mit dem Dual, als Sivau, bezeichnet. Trotz dieser Zwei-
heit ist es einig und ungeteilt; es besteht kein Unterschied zwischen Siva und Devi, zwischen
Sakti und Saktimat. Sakti ist nicht denkbar ohne Saktimat, Saktimat nicht ohne Sakti.
Das Universum ist nur ein Partikel ihrer Entfaltung (vibhüti). Als ihre Entfaltungen werden
alle möglichen männlich-weiblichen Gegenpole aufgezählt, wie Purusa und Prakrti, Rudra
und Rudränl, Brahma und Sävitri, Visnu und .Laksmi, Indra und SacI, Manu und Satarüpä,
Sinn und Rede, Tag und Nacht, Opfer und Daksinä, Luftraum und Erde, Meer und Küste,
Baum und Ranke, Lihga und Sockel, alle männlichen und alle weiblichen Wesen, Subjekt
und Objekt etc.1 Es ist bemerkenswert, daß in diesen zuletzt behandelten philosophisch-
kosmogonischen und metaphysischen Abschnitten der Puräna’s der Name Ardhanärisvara
als Bezeichnung der androgynischen Gottheit nicht erscheint. Ardhanärisvara ist vielmehr
hauptsächlich der mythologische Ausdruck der Konzeption des doppelgeschlechtigen gött-
lichen Wesens.
SIVA’S VERHÄLTNIS ZU VISNU UND BRAHMA. TRIMÜRTI.
Die sivaitischen Puräna’s nehmen den Anhängern Visnu’s gegenüber eine im allgemeinen
tolerante Haltung ein. Entsprechend ihrer Tendenz zum Kompromiß enthalten sie in stär-
kerem oder geringerem Grade visnuitische Abschnitte1 2. Visnu wird wie Brahmä als Siva’s
Diener bezeichnet; sein Kult ist erlaubt, da Siva ihm wegen der Anerkennung seines Vor-
rangs Verehrung gleich der ihm selbst geltenden als Gnadengeschenk zugestanden hat;
seine Verehrung schließt zugleich Siva’s Verehrung ein. In einem der erwähnten visnuitischen
Abschnitte überantwortet Visnu der Alaksml nicht nur das Eigentum der Lästerer Siva’s,
der Devi und seiner selbst, sondern auch das Eigentum derer, die zwar ihn selbst verehren,
aber Siva lästern3. Er gilt als älterer Bruder der Devi, die er Siva zur Hochzeit zuführt4.
Häufig findet er Gelegenheit, Siva seine Ergebenheit zu beweisen. In Gestalt einer Wolke hat
er Siva als Fahrzeug gedient; hiernach führt der Meghavähana-Kalpa seinen Namen5. Seine
charakteristische Waffe, den Diskus Sudarsana, soll er aus Siva’s Händen empfangen haben.
Tvastr hat den Sudarsana aus der Sonnenscheibe angefertigt6, Siva den Dämon Jalandhara
mit ihm besiegt und getötet7. Der Mythus, der die Erlangung des Diskus berichtet, zeigt
Visnu als eifrigsten Verehrer Siva’s. Als im Dämonenkampfe die Götter besiegt werden und
fliehen müssen, eilen sie zu Visnu mit der Bitte, die Dämonen, denen alle anderen Waffen
nichts anhaben können, mit Siva’s Diskus Sudarsana zu vernichten. Visnu begibt sich auf
den Himälaya, wo er ein flammenstrahlendesLinga aufstellt, unter Darbringung vonLotus-
blumen verehrt und Siva mit einem Sahasranämastotra preist. Um Visnu zu prüfen, ver-
steckt Siva eine der zur Püjä verwendeten Lotusblumen; Visnu aber reißt sich ein Auge aus
und bringt es anstelle der verschwundenen Blume dar. Alsbald steigt Siva unter wunder-
baren Zeichen aus der Sonnenscheibe zu ihm herab, verleiht ihm den Sudarsana und gibt
ihm das geopferte Auge wieder. Seitdem heißt Visnu Padmäksa8. Als Dämonenbekämpfer
1 Siva-P. V b, 5, 3ff.; Lihga-P. II, II, i ff., I, 28, 2f. und
87, 13; Kürma-P. I, 12, I9ff.; Saura-P. 2, lyff. (Jahn
S'4)-..
2 Im Lihga-P. sind z. B. die Kapitel 62, 94 und 95 des
Pürvabhäga und 1—7 des Uparibhäga rein visnuitisch;
nur in einigen dieser Kapitel ist, meist am Schluß, eine
oberflächliche sivaitische Überarbeitung erkennbar, die
Siva vollkommen unorganisch einbezieht und über
Visnu stellt oder dgl.
3 Lihga-P. II, 6, 85!. Alaksml oder Jyesthä, deren Ge-
schichte das ganze Kapitel erzählt, ist die Göttin des
Unglücks und der Armut und gilt als ältere Schwester
der Laksmi. Zu ihrer Ikonographie und ihrem Kult
vgl. Krishna Sastri, South Indian Images, S. 2i6ff.
4 Lihga-P. I, 103, 37ff. und 98, i84ff. Auch im MBh.
erscheint Visnu als Bruder der Devi; vgl. Hopkins,
Ep. Myth. § 156 u. 161.
5 Lihga-P. I, 37, 17ff.; II, 8, 9ff. Siva-P. V a, 11, 23f.
6 Lihga-P. I, 65, 15L
7 Lihga-P. I, 97.
8 Lihga-P. I, 98; Saura-P. 41 (Jahn S. 107!.); Siva-P. I,
70L
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
35
ist Visnu seinen Gegnern nicht gewachsen. Jalandhara überwältigt ihn und kann erst von
Siva unterworfen werden1. Tara besiegt ihn in einem ein Götterjahrtausend währenden
Kampfe und schleudert ihn samt seinem Wagen hundert Yojana weit2. Von Visnu’s In-
karnationen gelten besonders Krsna und Räma als Verehrer Siva’s. Krsna erhält durch
Siva’s Gnade einen Sohn für seine Gattin Jämbavati, nachdem er, von dem sivaitischen
Heiligen Upamanyu in das Päsupata-Wissen eingeweiht, Askese geübt hat3. Räma errichtet
nachder Besiegung Räbana’s das Rämesvara-Linga, ein noch heute berühmtes sivaitisches
Heiligtum auf dem Inselübergang nach Ceylon4.
Von größerem Interesse als die in derartigen Legenden zum Ausdruck kommende Ten-
denz der sivaitischen Puräna-Kompilatoren, Visnu als dienende Gottheit Siva unterzu-
ordnen, sind die in verstreuten Erzählungen der Puräna’s, besonders des Linga-P., erkenn-
baren Spuren eines Gegensatzes zwischen den beiden Göttern. Diese lassen sich nicht allein
durch die bewußte Absicht erklären, Siva’s Vorrang durch seine Triumphe über Visnu dar-
zulegen. sondern müssen als mythologische Niederschläge einer tatsächlichen Rivalität der
beiden großen Zweige der hinduistischen Religion angesehen werden. Ein charakteristisches
Beispiel ist der Linga-P. I, 35L berichtete Mythus von dem Streit des Muni Dadhica, eines
Anhängers Siva’s, mit dem König Ksupa und von Dadhlca’s Kampf mit dem von Ksupa um
Hilfe angerufenen Visnu. Dadhica’s Zorn ist dadurch hervorgerufen worden, daß Ksupa,
bislang sein Freund auf Grund seiner Königswürde, die die Macht der acht Lokapäla’s in
sich begreift5 von ihm Verehrung als Indra, Agni, Yama, Nirrti, Varuna, Väyu, Soma,
Kuberaund Isvara beansprucht hat. Wegen dieser Anmaßung greift er den König an, der
ihn darauf mit dem Vajra, den er von Indra erhalten hat, durchbohrt. Sukra Bhärgava heilt
den verwundeten Dadhica und rät ihm, Siva zu verehren, der ihm Unverletzbarkeit gewahren
könne Dadhica verehrt Siva durch Askese und erlangt dadurch Knochen von der Harte des
Vajra (vajrästhitva)6, Unverletzbarkeit und Mut. Abermals greift er Ksupa an; dessen Waffe
kann ihm nunmehr nichts anhaben. Ksupa verehrt Visnu und bittet ihn um Hüte gegen den
unverwundbar gewordenen Dadhica. Trotz anfänglicher Bedenken _ wegen der Macht
Siva’s verspricht Visnu, den Dadhica zu besiegen. Darauf begibt er sich in Gestalt eines
Brahmanen in Dadhica’s Einsiedelei und begrüßt ihn ehrerbietig. Sogleich erkennt Dadhica
vermöge seiner durch Siva’s Gnade erworbenen Allwissenheit den Gott und seine Absicht.
Nach einem Wortwechsel schleudert Visnu seinen Diskus Sudarsana auf Dadhica, aber die
Waffe wird stumpf Nun versucht er, ihn mit anderen Geschossen zu vernichten. Die Götter
leisten Visnu gegen Dadhica Beistand. Dieser jedoch, Siva’s gedenkend, schleudert nur eine
Handvoll Gras gegen die Götter; daraus entsteht das Trisüla, vor dem die von den Göttern
abgeschossenen Waffen niederfallen. Visnu läßt aus seinem Leibe unzählige ihm selbst
gleichende göttliche Scharen hervorgehen; Dadhica verbrennt sie sämtlich im Augenblick.
Es gelingt Visnu auch nicht, seinen Gegner dadurch zu blenden, daß er Allgestalt annimmt
und in seinem Leibe unermeßliche Scharen von Göttern und Welteiern sehen läßt. Dadhica
besprengt ihn mit Wasser und fordert ihn auf, solchen Zauber zu unterlassen, denn er selbst
könne ein gleiches Blendwerk hervorrufen. Er läßt auch der Ankündigung die Ausführung
augenblicklich folgen. Als nun Visnu Dadhica’s Unbesiegbarkeit eingesehen hat, wirft er sich
ihm zu Füßen. Dadhica verflucht darauf Visnu samt den übrigen Göttern, daß sie bei
Daksa’s Opfer durch Siva vernichtet würden. . .
Dieses 0 £er Daksa’s bildet den Gegenstand eines sowohl in den Üpen als auch in einer
AnzahTvon Puräna’s berichteten Mythus, von dem sich Spuren bereits in der vedischen
' Kürma-P. I, 21, 46ff.; Siva-P. I, 57; Saura-P. 30, 64ff.
1 Lihga-P. I, 97.
2 Linga-P. I, 101, 10ff.
3 Linga-P. I, 69, joff. und 108, 1 ff.; Kürma-P. I,
23f.; Siva-P. V b, 2 und VI, 2. Ebenfalls MBh.
XIII, 14.
(Jahn S. 79 Anm. 1). Kittel, Lingakultus S. 26h
Vgl. Manu 5, 96 und 7, 4 und 7.
Vgl. MBh. III, 100, wo Tvastr aus Dadhica’s Knochen
den Vajra anfertigt.
HEINRICH MEINHARD
36
Literatur vorfinden1. Er illustriert ursprünglich nur Rudra’s Gegensatz zu den übrigen
Göttern und seine Ausschließung vom Opfer; diese Isolierung des Gottes kommt in sehr
scharfer Form noch zum Ausdruck in dem in der Fassung des Kürma-P. gegebenen Disput
zwischen Dadhlca und Daksa. Der letztere behauptet, daß bei allen Opfern Siva und seiner
Gattin kein Teil gegeben werde, und daß für sie auch keine Mantra’s rezitiert würden1 2. Im
allgemeinen dagegen liegt in den Fassungen der Puräna’s das Hauptgewicht vielmehr in dem
Motiv des Kampfes zwischen den Parteien Visnu’s und Siva’s3. Daksa veranstaltet ein Roß-
opfer in Gangädvära4, zu dem er alle Götter außer Siva und der Devi einladet. Dadhica
(oder Dadhlci), als Anhänger Siva’s, erinnert Daksa daran, daß Siva als höchster Gott zum
Opfer eingeladen werden müsse. Als Daksa vorgibt, Siva nicht zu kennen, und Visnu als
höchsten Gott bezeichnet, prophezeit Dadhlca, daß das Opfer nicht vollendet würde. Devi
veranlaßt Siva, sich einen Anteil am Opfer zu verschaffen. Siva emaniert ein furchtbares
Wesen, den Virabhadra5.
Neben diesen verhältnismäßig allgemeinen Zügen des Mythus6 weist die Fassung des
Linga-P. folgende Einzelheiten auf: Als Virabhadra mit seinem Gefolge, das er aus seinen
Körperhaaren erschaffen hat7, den Opferplatz betritt, geschehen schreckenerregende Vor-
zeichen : Die Berge brechen auseinander, die Erde erbebt, die Winde bewegen sich hin und
her, das Meer erzittert, Feuer und Sonne geben keinen Schein mehr. Virabhadra eröffnet dem
Daksa und den versammelten Göttern undMuni’s, daß er von Siva entsandt sei, sie sämtlich
zu verbrennen. Sogleich äschert er dann die Opferhalle ein. Seine Helfer reißen die Opfer-
pfosten aus und werfen Priester und Gehilfen in die Fluten der Gangä. Virabhadra lähmt
Indra’s erhobene Hand, reißt dem Bhaga die Augen aus, schlägt Püsan die Zähne ein und
überwältigt den Mond mit der großen Zehe. Dann schlägt er Indra den Kopf ab, schlägt
Agni beide Hände ab, reißt ihm die Zunge aus und tötet ihn durch einen Tritt auf den Kopf.
Er zerbricht Yama’s Stab und tötet Isäna mit dem Trisüla. Nun stellt sich Visnu ihm ent-
gegen, und es entsteht ein erbitterter Kampf zwischen den beiden. Visnu erzeugt durch Yoga
1 TS. II, 6, 8, 3 und Sat. Br. I, 7, 4, iff. (vgl. OSTIV,
S. 200 Anm. 194). Rämäy. I, 66, 7ff. (nach Muirs An-
sicht, vgl. OST IV, S. 372f., die einfachste Form der
nachvedischen Fassung; “In this version of the myth
there is no mention of Rudra commissioning Virabhadra,
or any other demons, to destroy the sacrifice or put the
gods to flight. He is simply said to wound the gods with
his bow,“). MBh. VII, 202; X, 18; XII, 283!. und 342;
XIII, 160. Väyu-P. I, 30 (übersetzt von Wilson, Vishnu
Puräna, Vol. I, S. 120ff.). Lihga-P. I, 100. Bhägavata-P.
IV, 2—7 (vgl. OST IV, S. 377ff.). Kürma-P. I, 15.
Siva-P. V a, 16—20. Saura-P. 7 (Jahn S. 11). Brahma-
P., Padma-P., Matsya-P., Skanda-P. (Käsikhanda) etc.
2 Vgl. Wilson, Vishnu Puräna, Vol. I, S. 124 Anm. 1 und
Ost IV, S. 376 Anm. 2.
3 Ebenfalls in der Fassung MBh. XII, 342. — Vgl. William
Ward, I, Introd. S. LXXVH: “Contentions for su-
periority are annually renewed at Haridvära, Ayodhyä
etc. between the Vaisnavas and the followers of Siva,
in which quarrels many perish.“ “Räjä-Räma, a learned
Sikh, employed as a translator in the Serampore
printing-office, says, that about fourty years ago, no
less than 10000 persons, and, about twenty years ago,
4 or 5000 perished in these contests at Haridvära.
Another proof, added to that respecting the Bauddhas,
that the Hindu is not free from the fiercest spirit of
persecution“. Auch Daksa’s Opfer und der darauf
folgende Kampf sollen in Flaridvära stattgefunden
haben.
4 Nach dem Linga-P. in dem Flecken Kanakhala in der
Nähe von Gangädvära; diese Orte sollen auf dem
Hemasrnga im Flimälaya liegen. Nach Wilson, Vishnu
Puräna, Vol. I, S. 123 Anm. ist Gangädvära “the place
where the Ganges descends to the plains — or Haridvär,
as it is more usually termed Kanakhala.. .is
the village still called Kankhal, near Haridvär“. Nach
Nilmani Mukhopädhyäya, Ausg. des Kürma-P., S. 158
Anm.: „Gangädvära here means Haridvära about two
miles below Hurdvar. There is Kankhan (Kanakhala)
where tradition places the abode of Daksha“. Nach
Apte ist Kanakhala „name of a village near Hardvära
which is situated on the Ganges at the southern base
of the Sewalika mountains. Kanakhala was also the
name of the surrounding mountains“.
5 Zur Ikonographie Viradhadra’s vgl. Krishna Sastri,
South Indian Images, S. 155ff.
6 Z. B. MBh. XII, 284 und Väyu-P. I, 30. Diese Texte
sind einander ziemlich ähnlich. Beide schließen mit
einem Sahasranämastotra Daksa’s. Ähnlich auch
Kürma-P. I, 15. Der Text des Linga-P. (I, 100) beginnt
unvermittelt mit der Aussendung Virabhadra’s. Ein in
verschiedenen Fassungen mit dem Mythus verschmol-
zenes Motiv ist die Selbstverbrennung der SatI durch
Yoga, als ihr Vater Daksa ihren Gatten Rudra schmäht,
und ihre Wiedererstehung als Pärvati, Tochter des
Himavat.
7 Diese Wesen heißen im MBh. Raumya.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
37
unzählige, Muschel, Wurfscheibe und Keule schwingende, ihm gleichende göttliche Wesen1.
Virabhadra macht sie alle nieder und schlägt Visnu mit der Keule auf Kopf und Brust. Dieser
fällt ohnmächtig zu Boden, springt aber zornig wieder auf und will die Wurfscheibe schleu-
dern. Virabhadra jedoch bannt die Waffe, so daß sie unbeweglich in Visnu’s Hand stehen
bleibt. Dann schlägt er ihm den Kopf ab, der, von dem aus Virabhadra’s Atem entstandenen
Winde getrieben, ins Opferfeuer rollt. Alles ist zerstört und brennt. Das Opfer selbst flieht
in Gestalt einer Gazelle zum Himmel, Virabhadra aber setzt ihm nach und schießt ihm den
Kopf ab1 2. Nachdem er die anderen Rsi’s getötet hat, schlägt er dem Daksa den Kopf ab und
verbrennt ihn. Der Sarasvati und der Göttermutter reißt er die Nasenspitze ab. Auf Brahma’s
Bitte besänftigt sich Virabhadra endlich. Siva, durch Brahmä’s Bitten bewegt, erscheint im
Luftraum und schenkt allen Getöteten das Leben wieder. Daksa erhebt sich und preist Siva,
wofür er in den Rang eines Ganapati erhoben wird3. Auch die anderen Götter und Muni’s,
besonders Visnu, preisen Siva, der nach Gnadenbeweisen verschwindet.
Offensichtlich liegt hier der Schwerpunkt in der Schilderung des Kampfes zwischen
Visnu und Virabhadra4. Von den variierenden Fassungen des Mythus in anderen Purana’s
wäre noch zu erwähnen die des Bhägavüta-P., die ebenfalls das Hauptgewicht auf den Gegen-
satz zwischen den Anhängern Visnu’s und denen Siva’s legt, allerdings dem Sektenbekennt-
nis des Bhägavata-P. entsprechend, vom visnuitischen Standpunkt betrachtet „...they
place Daksha’s neglect of Siva to the latter’s filthy practices, - us going naked, smearing
himself with ashes, carrying a skull, and behaving as if he were drunk or crazed; alluding
no doubt to the practices of Saiva mendicants, who seem to have abounded in the days of
Sankara Ächärya, and since. .. . Rudra is described as present at a former assembly, when
his father-in-law censured him before the guests, and, in consequence, he departed in a rage.
His follower Nandin curses the company; and Bhrigu retorts in anguage descriptive of the
Vämachärins or left hand worshippers of Siva. ’May all those he says, who adopt the
worship of Bhava (Siva), all those who follow the practices of his worshippers become
heretics and oppugners of holy doctrines. May they neglect the observances of purification;
mav they be of infirm intellects, wearing clotted hair, and ornamenting themselves with
ashes and bones; and may they enter the Saiva initiation, in which spirituous liquor is the
libation“.“5 Nach dem Hariv. siegt Visnu in dem Kampfe mit Siva: Vishnu compels Siva to
flv after takine him by the throat and nearly strangling him. The blackness of Siva s neck
arose from thif throttling, and not, a. elsewhere described, from his drinking the poison
produced at the churning of the ocean6.“ . , .
Die visnuitischen Mythen, die die Taten Visnu’s in semen Avatara s als Eber und als
Mannlöwe behandeln, sind übernommen und so überarbeitet worden daß sie zur Verherr-
lichung Siva’s dienen. Als Hiranyäksa die Erde gefangen in die Unterwelt geführt hat,
nimmt Visnu auf Bitten der von den Dämonen gepeinigten Götter die Ebergestalt an, tötet
den Hiranyäksa samt allen seinen Dämonen mit der Spitze seines Hauzahns, dringt m die
Unterwelt und führt die Erde wieder herauf. Die auf Visnu s Hauzahn lastende Erde beginnt
1 Ähnlich wie in dem oben geschilderten Kampfe mit
Dadhica.
2 Schon Ait. Br. III, 33 und Sat. Br. II, i, 2, 8ff. durch-
bohrt Rudra mit seinem Pfeil auf Verlangen der Götter
den Prajäpati in Gestalt eines Mrga; vgl. Arbman,
Rudra, S. 3off. In diesem Motiv, das später ausgestaltet
wurde zu dem Mythus von Daksa’s Opfer, das sich in
einen Mrga verwandelte und von Rudra erlegt wurde,
erkennt Arbman, in einer Erörterung der Auffassung
Rudra’s als eines Jägers (mrgavyädha), ein Aition zur
Erklärung der Tatsache, warum Siva von einem Mrga
begleitet ist; vgl. S. 36h
3 Die Erhebung in den Rang eines Ganapati (gänapatya)
ist eine Auszeichnung, die Siva gewöhnlich einem Ver-
ehrer zu verleihen pflegt.
4 Das Väyu-P. erwähnt diesen Kampf nicht. Im Kürma-
P. trennt Brahma die Kämpfenden. Nach dem Käsik-
handa des Skanda-P. wird Virabhadra durch eine
Stimme vom Himmel davon abgehalten, den besiegten
Visnu zu töten; vgl. Wilson, Vishnu Puräna, Vol. I,
S. 132 Anm. 2.
5 Wilson, Vishnu Puräna, Vol. I, 124 Anm. i; vgl. OST
IV, 377 ff.
6 Wilson, Vishnu Puräna, Vol. I, 132 Anm. 2.
HEINRICH MEINHARD
jedoch zu schwanken. Siva kommt herbei und stellt die Erde mit Leichtigkeit fest auf. Er
nimmt Visnu den Hauzahn ab und schmückt damit seine breite Brust. Daher heißt er Dam-
strin1. Die Inkarnation als Mannlöwe (nrsimha) hat Visnu angenommen, um seinem Ver-
ehrer Prahläda beizustehen, den sein götterfeindlicher Vater Hiränyakasipu töten will.
Er zerreißt den Hiranyakasipu mit seinen Krallen und beginnt dann unter grausigem Ge-
brüll in der Welt zu wüten, so daß diese bis nach Brahmabhuvana erzittert, und die Götter
fliehen müssen, um ihr Leben zu retten. Sie begeben sich unter Führung Brahmä’s auf den
Mandara zu Siva und bitten ihn, die Welt von Nrsimha zu befreien. Siva geht diesem in
Gestalt eines Sarabha entgegen und tötet ihn; darauf verläßt Visnu die Löwengestalt1 2.
Nach einer zweiten Fassung dieses Mythus3, die allerdings nur den sivaitischen Anhang
weiter ausführt, entsendet Siva den Virabhadra, um Nrsimha zu beschwichtigen, zunächst
durch freundliche Belehrung, wenn er aber darauf nicht höre, durch Unterwerfung im Kampf.
Nrsimha beruhigt sich nicht durch Virabhadra’s Zureden, sondern rühmt sich, die höchste
Gottheit zu sein, und beharrt darauf, die Welt jetzt zu vernichten. Nachdem Virabhadra ihn
an eine Anzahl von Niederlagen erinnert hat, die er von Seiten Siva’s bereits erlitten habe,
beginnt ein Kampf, in dem Virabhadra einen phantastischen, zur Hälfte tierischen Körper
mit Flügeln, Krallen etc. annimmt, Nrsimha bindet und mit ihm zum Himmel fliegt. Nrsimha
preist Siva mit hundertacht Namen und bittet ihn, seine mit dem Makel des Hochmuts
befleckte Unwissenheit von ihm zu nehmen. Darauf wird seine Gestalt vernichtet; Visnu
geht in Siva auf. Seitdem ist Siva mit dem Fell des Nrsimha bekleidet, und dessen Kopf ist
als Mittelstück in Siva’s Schädelkranz eingefügt. In diese Fassung der Legende ist Vira-
bhadra dem Anschein nach erst sekundär eingeführt worden. Während sich anfangs der
Erzählung Siva und Virabhadra deutlich gegenüberstehen, verschwimmen sie im folgenden
zu einem Wesen. Unter dem fabelhaften Tierkörper Virabhadra’s wird Siva’s Gestalt als
Sarabha verstanden4. Offenbar ist es diese Gestalt, die hier in einer Erwähnung der ,,dve
tanü“ als furchtbare (ghorä) der gütigen (siva) entgegengestellt wird5. Auch auf eine Unter-
werfung Visnu’s in seinem Avatära als Schildkröte wird angespielt: die Schildkrötenschale
soll in Siva’s Perlenkette eingefügt sein6.
Verschiedentlich begegnet eine Auffassung, die Visnu als Zauberer betrachtet; auch sie
spricht anscheinend für einen Gegensatz zwischen Saiva’s und Vaisnava’s. Visnu versucht,
wie bereits oben erwähnt, Dadhica durch Zauber zu blenden, und vervielfältigt sich in seinem
Kampfe mit ihm, wie auch in dem mit Virabhadra bei der Vernichtung von Daksa’s Opfer.
Brahma hat ihn zum Herrn über die Zauberer (mäyävin) gesetzt7. In der Legende von der
Zerstörung der drei Asura-Burgen8 bitten die Götter, die sich durch die Macht der Asura’s
bedroht fühlen, Visnu um Hilfe. Da die Asura’s als fromme Verehrer Siva’s nicht ohne wei-
teres besiegt werden können, emaniert Visnu aus seinem Leibe einen Zauberer, verfaßt ein
alle betörendes materialistisches Lehrbuch und schickt den damit ausgerüsteten Zauberer
zu den Asura’s. Diese lassen sich von dem Zauberer betören und geben Sruti und Smrti, die
Verehrung Siva’s und des Linga auf. Dadurch, daß sie Ketzer geworden sind, ist ihr Dharma
vernichtet; Laksmi verläßt die drei Burgen, und Alaksmi zieht auf Aisnu’s Befehl dort ein.
Siva sagt nun den Göttern die Vernichtung der drei Burgen zu.
In der folgenden rein visnuitischen Legende vom König Ambarisa von Ayodhyä und
1 Linga-P. I, 94.
2 Linga-P. I, 95.
3 Linga-P. I, 96.
4 Vgl. H. Krishna Sastri, South Indian Images, S. 147E:
. the form of the fabulous Sarabha ... is supposed
to have been assumed by Siva in order to suppress the
pride of Narasimha, the Man-lion incarnation of Vishnu.
The Karanagama describes Sarabha as having eight
legs, three eyes, long nails, two hands and a body
glowing like fire. The image has a lion’s face and two
wings one of which is said to represent the fierce goddess
Durga and the other, Death.“
5 Linga-P. I, 96, 106.
6 Linga-P. I, 96, 46.
7 Lihga-P. I, 58, 8.
8 Linga-P. I, 71 und Saura-P. 34 (Jahn S. 85 ff.).
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S 39
seiner Tochter Srlmatl1 wird in der am Schluß besonders deutlichen ¿irakischen Überarbei-
tung die Ausübung von Zauber, wie Visnu sie pflegt, als verwerflich hingestellt. Die Rsi’s
Närada und Parvata verlieben sich beide in Srimati. Vor dem anderen versteckt, hält jeder
bei dem Könige um ihre Hand an. Der König erklärt in seiner Verlegenheit, er müsse seiner
Tochter selbst die Wahl zwischen ihnen überlassen. Die Rsi’s legen Visnu nacheinander ihren
Wunsch dar und bitten ihn beide um dasselbe, nämlich bei der Gattenwahl das Gesicht des
anderen wie das eines Affen erscheinen zu lassen, was* auch beiden zugesagt wird. Bei der
festlichen Gattenwahl erkennt Srimati weder Närada noch Parvata, sondern nur zwei
Affenmenschen. Zwischen den beiden aber bemerkt sie einen schönen Jüngling, der für die
anderen unsichtbar ist. Sie reicht ihm den Kranz und verschwindet im gleichen Augenblick
vor den Aueen der Anwesenden. Es ist Visnu, der Srimati entführt hat. Als er die beiden
Rsi’s sich seinem Palast nähern sieht, heißt er die Königstochter sich verbergen. Auf den
Vorwurf der beiden, er habe sie betrogen und das Mädchen für sich selbst geraubt, ent-
eignet er ihr verliebtes Gebühren habe sich nicht für Heilige geschickt, im übrigen sei er
nicht der Schuldige- es gebe viele Zauberer. Nun glauben die Rsi’s, Ambarisa habe sie be-
trogen und seine Tochter durch Zauber einem anderen gegeben; sie verfluchen ihn dafür,
daß eine Finsternis ihn überfallen solle. Visnu vertreibt aber die Finsternis. Närada und
Parvata versprechen einander, nie wieder um ein Mädchen anzuhalten und geben sich wie
früher der Yoga-Meditation hin. Sie tadeln jedoch Visnu wegen seiner Zauberpraktiken und
werden Anhänger Siva’s. • , , x> i ->
Die aus verschiedenen Schöpfungstexten ersichtliche Entwicklung Brahma s: aus einem
Urschöpfer und Erzeuger Siva’s zu einem Demiurgen und Werkzeug Siva’s, wurde schon
angedeutet Er gilt ebenso wie Visnu als Siva’s Sohn; dieser hat ihn aus seiner rechten und
Visnu aus seiner linken Seite erschaffen*. Ein anderes Mal hat Siva ihn samt Visnu aus der
Devi erzeugt1 2 3 Drittens ist Brahma aus dem Urei entsprungen, und viertens ist er aus dem
Visnu’s Nabel entsprossenen Lotus geboren3. Die letzte Geburt, die in den nach ihr benannten
Padma-Kalpa gelegt wird, bildet den Gegenstand des folgenden Mythus-: In dem unter-
scüdlsen mit Finsternis bedeckten Urmeere ruht Visnu, in Yoga-Kontemplation ver-
sunken, auf’seinem Schlangenbett. Spielend läßt er einen hundert Yojana hohen Lotus aus
seinem Nabel herauswachsen. Da kommt Brahma; durch Siva s Zauber erkennen beide
einander nicht, und jeder behauptet, die höchste Gottheit zu sein. Visnu dringt durch
Brahmä’s Mund in seinen Bauch ein, betritt dort die achtzehn Kontinente mit Meeren und
Gebirgen und irrt staunend durch die sieben Welten. Als er nach tausend Jahren das Ende
nicht erreicht hat kommt er wieder aus Brahmä’s Munde heraus und erkennt dessen Vor-
rang an Nun geht Brahma in Visnu’s Bauch und irrt dort ebenfalls durch die Welten, ohne
das Ende zu finden. Visnu aber schließt listig alle Öffnungen seines Leibes und stellt sich
schlafend Da macht Brahma sich ganz klein, findet eine Öffnung im Nabel, schlüpft durch
den Lotusstengel und sitzt glänzend im Blütenkelch. Unter wunderbaren Zeichen erscheint
Siva Brahma fragt Visnu, wer der Mann sei, der kahlköpfig, zehnarmig, das Trisüla haltend,
mit Schilfgras umgürtet (munjamekhalin), mit großem, aufgerichtetem Phallus (medhren-
ordhvena mahatä), furchtbar brüllend und glänzend die Himmelsrichtungen durchdringe.
Als Visnu in ihm den Tsvara erkennt, leugnet Brahma, daß Siva größer sei als sie beide,
wird dann aber von Visnu über Siva’s Wesen belehrt und preist ihn gemeinsam mit Visnu
Eine vielfach variierte Erzählung, die Siva’s Vorrang gegenüber Brahma und Visnu
1 Linga-P. II, 5.
2 Linga-P. I, 19, 2 f.; 37, 21; 41, 13 j 7°> 64 E; 102, 44 und
io3, 39-
3 Linga-P. I, 41, 11 ff.
Linga-P. I, 17, 68; 20, 82; 37, 8 und 13; 41, 13 und
85, lof.
Linga-P. I, 2of. und Saura-P. 24 (Jahn S. 66ff.).
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40
HEINRICH MEINHARD
zum Ausdruck bringen will — scheinbar die vorzüglichste Legende des Sivaismus über-
haupt —, ist der Mythus von der Erscheinung des Flammen-Linga1, nach dem das Linga-P.
seinen Namen führen soll: „yaträgnilingamadhyasthah präha devo mahesvarah / dhar-
märthakämamoksärtham ägneyam adhikrtya ca // kalpäntam laingam ity uktarh puränam
brahmanä svaym /“ etc.1 2 In einem Schöpfungsintervall schläft Visnu wieder auf der von
Finsternis umhüllten Flut seinen Yoga-Schlaf. Brahma w’eckt ihn, und es entsteht zwischen
den beiden ein Streit um den höheren Rang. Da erscheint vor den Kämpfenden das Linga,
eine anfangs- und endlose Feuersäule. Durch die Flammen geblendet, beschließen beide
Götter, nach der Wurzel und der Spitze der Feuersäule zu suchen. Visnu läuft in der Gestalt
eines riesigen schwarzen Ebers tausend Jahre lang nach unten, Brahma schwingt sich als
weißer Hariisa ebenso lang hinauf, aber beide erreichen ihr Ziel nicht. Nachdem sie, ermüdet
umkehrend, einander wieder getroffen haben, verneigen sie sich gemeinsam, verwirrt und
erschrocken vor dem Linga. Indem sie sich noch nach dem Wesen der Erscheinung fragen,
erschallt zweimal ein klares und gedehntes Om. Auf der rechten Seite des Linga wird der
Laut A, auf der linken der Laut U und in der Mitte der Laut M sichtbar, in denen sich die
drei Veden offenbaren. Darüber aber erblicken Brahma und Visnu den Isvara, einem klaren
Bergkristall gleich, den Zustand des Turlya überschritten habend3, ohne Anfang, Mitte und
Ende. Es folgt eine mystische Belehrung über die drei Silben, die mit der in Siva enthaltenen
Trinität gleichgesetzt werden; hierdurch werden Brahma und Visnu erleuchtet und preisen
Siva mit den fünf Brahman-Sprüchen.
Das Siva-P.4 enthält eine Version dieses Mythus, in der er mit dem aus dem MBh.5
bekannten Mythus verbunden erscheint, nach dem Rudra die Welt schon erschaffen vor-
findet und im Zorn sein Linga als überflüssig abschneidet und in die Erde steckt. Es steht
als eine Feuersäule ohne Anfang, Mitte und Ende in der Dreiwelt. Rudra geht besänftigt fort.
Nach langer Zeit kommen Brahma und Visnu, voller Hochmut und miteinander streitend.
Der Anblick des Linga vernichtet ihren Dünkel. Sie finden die Enden des Linga nicht. Eine
Stimme vom Himmel belehrt sie, daß sie Siva’s aus Flammen bestehendes Linga vor sich
sähen, welches der Gott im Zorn abgeschnitten und in die Erde gesteckt habe; seine Ver-
ehrung werde ihnen Segen bringen. Darauf verehren Brahma und Visnu den Siva6. Tn eine
ebenfalls im §iva-P.7 enthaltene weitere Version sind zwei auf Brahma bezügliche Motive
verflochten, nämlich der Mythus, wie er seinen fünften Kopf verliert, und ein Aition für die
Tatsache, daß er auf der Erde keine besondere Verehrung genießt. Als Brahma als Harhsa
nach oben fliegt, um das Ende des Linga zu finden, begegnet er in der Luft einer Ketaki-
Blume8, die, von dem über das Gebaren Brahmä’s und Visnu’s belustigten Siva herab-
geworfen, schon seit vielen Jahren in stetigem Herabfallen begriffen ist. Sie antwortet auf
1 Linga-P. I, 17. Vgl. OST IV, S. 38511. Siva-P. I, 2ff.;
II, 4ff. ; VI, 10. Saura-P. 66, 17ff. (Jahn S. 162f. . In
späterer Literatur: Jayaratha, Haracaritacintämani,
Prakäsa 1. Dieses mythische Ereignis bildet den Gegen-
stand verschiedener figürlicher Darstellungen ; vgl.
Jouveau-Dubreuil, Archéologie II, S. 25, und Krishna
Sastri, South Indian Images, S. 93 ff-, In der Ikono-
graphie führt Siva in der Linga-Manifestation den
Namen Lingodbhava.
2 Matsya-P. (Calcutta 1876), 53, 36L Vgl. Wilson,
Vishnu Puräna, Preface LXVIL Wilsons Lesart „kal-
päntam“ statt „kalpante“. Vgl. Krishna Sastri, South
Indian Images, S. 93: „In the Tanjore inscriptions,
Lingodbhava is mentioned by the name Lingapurâna-
deva.“
3 Turïyâtïta, eine häufige mystische Bezeichnung Siva’s.
Vgl. Schomerus, Çaiva-Siddhânta, S. 234ff., wo die
Turiyätita-Avasthä als fünfte Avasthä der Seele, nach
Jägara, Svapna, Susupti und Turlya, aufgezählt wird.
4 Siva-P. VI, 10, 1 ff.
5 MBh. X, 17. Vgl. Bhandarkar, Vaisnavism etc. § 87.
6 Im folgenden gibt dieses Kapitel eine Version der
Legende vom Devadäruvana, vgl. Jahn ZDMG 71,
S. 167 ff.
7 II, 5L Mit dieser Version der Legende stimmt der Be-
richt Sonnerats, S. 129H., inhaltlich überein; es fehlt
hier nur das Motiv der Bestrafung Brahmä’s durch
Abschlagen seines fünften Kopfes. Dieselbe Fassung
auch bei Krishna Sastri, South Indian Images, S. 93ff.,
zur Erklärung der Lingodbhava-Manifestation in der
Ikonographie.
8 Pandanus odoratissimus. Im folgenden wird das Mas-
kulinum Ketaka gebraucht.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S 4I
Brahmä’s Frage, daß sie, obwohl schon seit langem herabfallend, das untere Ende der Säule
noch nicht erblicke; er solle nicht hoffen, je das obere Ende zu finden. Brahma verabredet
mit dem Ketaka, er wolle Visnu sagen, daß er das Ende gefunden habe, dafür solle der
Ketaka sein Zeuge sein. Beim Zusammentreffen mit dem ermüdeten und betrübten Visnu
tanzt Brahma vor Freude und berichtet die Lüge, die der Ketaka bezeugt. Visnu, gut-
gläubig, verehrt darauf Brahma mit den sechzehn UpacäraV. Da tritt Siva aus dem Feuer-
Linga heraus und verheißt Visnu, daß er wie er selber von den Menschen geehrt werden solle,
weil er trotz seines Verlangens nach der Oberhoheit die Wahrheit nicht verleugnet habe.
Sodann erzeugt Siva, um Brahmä’s Übermut zu bestrafen, aus der Stelle zwischen den Augen-
brauen ein Wesen mit Namen Bhairava2 und befiehlt ihm, Brahma mit dem Schwerte zu
züchtigen. Bhairava schlägt Brahmä’s fünftes Haupt ab, das übermütig und lügnerisch war.
Als er auch noch die vier anderen abschlagen will, fällt Brahmä ihm zitternd zu Füßen.
Visnu macht einen Fußfall vor Siva und bittet um Gnade für Brahmä. Siva ruft Bhairava
zurück, verheißt jedoch Brahmä, daß er, weil er sich im Verlangen nach Verehrung falsche
Oberhoheit angemaßt habe, auf der Erde nicht mehr verehrt werden solle*. Brahmä.bittet
um Gnade und preist Siva. Dieser begnadigt ihn, indem er ihm verheißt, daß alle Opfer nur
durch ihn erfolgreich würden. Darauf verbannt Siva den Ketaka als falschen Zeugen aus
seiner Nähe; er solle* bei der Püjä nicht mehr verwendet werden Alle Götter schließen nun
den Ketaka aus. Dieser bittet um Verzeihung und preist Siva, der nun auch ihn begnadigt
und von allen Göttern gepriesen wird. ,
Der ursprünglichen Auffassung zufolge hat Siva selber Brahma s fünften Kopf abge-
schlaeen Virabhadra erinnert Nrsiraha in dem oben erwähnten, dem Kampf vorangehenden
Wortstreit an diese Tat SivaV. Gelegentlich führt Brahmä noch neben der regulären Be-
zeichnung caturmukha das Beiwort pancavaktra wie Siva selbst*; er empfängt, als er Siva
um Schöpferkraft für seine geistigen Söhne bittet aus dessen fünf Mündern die fünf Silben
der heiligen „pancäksari vidyä“« und nimmt sie mit seinen fünf Mündern au h Siva fuhrt die
Bezeichnung brahmasirohartr«. Diese Bestrafung Brahmä’s dient zur Erklärung der Auf-
fassung Siva’s als Schädelträger (kapälm, kapalavat kapalahasta etc.), die außer den Pu-
räna’s auch dem MBh.' bekannt ist. Der Name Kapahn wird erklärt; „yasmad ekam siras
, : , orIVmravat“S. * * * * 10 * Unter vielen Möglichkeiten, den Gott zu kultischen
chittvä tatkapalam adharayat . uulci vic & ’ , r , jt a
Zwecken figürlich darzustellen, kann man ein Idol verfertigen das ihn in der linken Hand
Brahmä’s Schädel tragend zeigt11. Das Siva-P.» kennt außer der oben wiedergegebenen, in
S. 229, 11 ff.; Linga-P. I, 85; Agni-P. 296.
7 Linga-P. I, 85, 13ff•
8 Siva-P. V b, 5, 42.
9 II, 46, 13; XII, 284, 96; XII, 17, 43.
1° Siva-P. VI, 6, 31 f.
11 Linga-P. I, 76, 43. Figürliche Darstellungen Siva’s in
seinem Aspekt als Schädelträger spielen in der sivaiti-
schen Ikonographie eine nicht unbedeutende Rolle.
Diese Auffassung Siva’s wird auch verknüpft mit seiner
Auffassung als wanderndem Bettler. In seiner Arbeit
über die puränische Legende vom Devadäruvana
(ZDMG 69, S. 529ff.) berichtet Jahn, Baldaeus zufolge
werde erzählt, daß Siva den Brahmä enthauptet habe
und zur Sühne für diesen Brahmanenmord mit dem
Schädel des Erschlagenen in der Hand betteln müsse, bis
derselbe sich in zwölf Jahren mit Almosen fülle. Neben
dem Namen Kapälin führt Siva in diesem Aspekt auch
den Namen Bhiksätana. Vgl. H. Krishna Sastri, South
Indian Images, S. 97ff.: ,,... another form of Siva,
known as Bhikshätana, is very often seen in South-
Indian temples. When Siva cut off one of the heads of
: Die sechzehn Upacära machen die Püjä oder einen Teil
derselben aus. Sie bestehen nach Hemädri I, in, aff.
aus der Einladung, der Darbietung eines Sitzes, der
Überreichung von Gastwasser, Fußwasser, Mundspül-
wasser, Madhuparka, Badewasser, eines Gewandes,
von Schmuck, Riechstoffen, Blumen, Weihrauch,
Lampen, Speisen, der rechtsläufigen Umwandlung und
der Verneigung.
“ Zur Ikonographie Bhairava’s vgl. Jouveau-Dubreuil,
Archéologie, II, S. 25 ff.
! Die Tatsache, daß Brahmä keine Verehrer hat wie
Visnu und Siva, wird auch auf einen Fluch seines Sohnes
Närada zurückgeführt; vgl. OST IV, Préfacé VI und
Anm.
4 Linga-P. I, 96, 49.
5 Linga-P. I, 85, 11 ; 96, 40. Beide Male in der Wendung:
„tan (bzw. tvan) näbhipankajäj jätah pancavaktrah
pitämahah“.
6 Die „pancäksari vidyä“ oder „saivi pancäksari vidyä“
wird auch als „Mülamantra“ bezeichnet. Die fünf Silben
lauten: „namah siväya“. Vgl. hierüber Hemädri Ha,
6 Baessler-Archiv.
42
HEINRICH MEINHARD
den Mythus vom Flammen-Linga verflochtenen sekundären Umgestaltung des Motivs noch
folgende Legende von Brahmä’s Enthauptung: Siva kommt auf seiner Wanderung mit der
Devi nach Brahmaloka. Brahmä verehrt ihn als Gast und preist ihn mit vier Mündern, der
fünfte Mund aber verflucht Siva. Dafür schneidet dieser dem Brahmä den fünften Kopf ab.
Der Schädel bleibt an Siva haften, der es vorzieht, ihn zum Heil der Welten auf seinen
Wanderungen mitzunehmen, anstatt ihn zu verbrennen. Im folgenden1 wird erklärt, warum
Brahmä’s fünfter Kopf Siva verflucht hat: Als Brahmä seiner Tochter SarasvatI nachstellte,
verfluchte diese ihn, daß der Mund, der Widerwärtiges gesprochen hätte, von nun ab immer-
fort Böses reden müßte. Seitdem hat Brahmä mit seinem fünften Munde Böses gesprochen.
Indem Siva das fünfte Haupt Brahma’s abgeschnitten hat, ist dessen Makel entfernt worden.
Abgesehen von diesen mehr oder weniger künstlichen ätiologischen Legenden gilt
Brahmä, im Gegensatz zu Visnu’s oft zweifelhaftem und sogar feindseligem Verhalten, meist
als ergebener Diener und Verehrer Siva’s. Als Sprecher der Götter preist er Siva und bittet
ihn, Nrsirhha zu vernichten2. Er allein wird von dem durch Virabhadra angerichteten Blut-
bade nicht betroffen, sondern bittet diesen, sich zu besänftigen; und später wird Siva durch
sein Bitten veranlaßt, allen Getöteten das Leben wiederzugeben3.
Die Doktrin der Trinität ist im Epos nur in geringen Spuren vorhanden; im wesentlichen
ist sie jüngeren Ursprungs4. In den Puräna’s ist die dreifache Manifestation des einen Gottes
eine geläufige Vorstellung. Als Trimürti begreift Siva die drei Formen Brahmä, Visnu und
Kälarudra in sich, seine Wesenheit wird jedoch nicht von ihnen absorbiert. Dies drückt sich
in der Gleichsetzung der drei Formen mit den drei Guna’s aus: im Satva ist Gott Visnu,
im Raias Brahmä, im Tamas Kälarudra, im guna-losen Zustand aber Mahesvara5. Sehr
häufig werden die drei Gestalten mit den Funktionen des Schöpfers (Brahmä), Erhalters
(Visnu) und Zerstörers (Kälarudra) verbunden. Wenn nicht ein die drei Formen in sich ent-
haltendes und über ihnen stehendes Wesen erwähnt wird, kann der Zerstörer auch einen
anderen Namen Siva’s tragen; zuweilen ist dies auch der Fall, wenn die zusammenfassende
Wesenheit außer den drei Namen benannt wird. Meist jedoch heißt die den Pralaya bewir-
kende Form Siva’s Rudra, Kälarudra oder Käla.
Die Zusammenfassung der drei Gestalten in Siva stellt sich mythologisch als das Ver-
hältnis dreier Söhne zu ihrem Vater dar. Siva hat Brahmä a us seiner rechten, Visnu aus
seiner linken Seite erschaffen, den Kälarudra aber aus seinem Herzen6. Auf den unendlich
vielen Welteiern hat Siva unzählige Brahmä’s, Visnu’s und Rudra’s zum Spiel erschaffen;
einer ist nur er selbst7. Die drei Götter entstehen aus den Umwandlungen (vikära), die auf
Befehl Isvara’s aus der vom Purusa angetriebenen Prakrti hervorgegangen sind8. Nach einer
anderen Ansicht sind sie aus Mahesvara entstanden und von ihrem Vater mit ihren Aufgaben:
Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung, betraut worden; darauf haben sie sich in den ver-
schiedenen Kalpa’s gegenseitig erschaffen9. In mystischen Vergleichen ist Siva der den
Brahmä, he incurred the sin of killing a Brähmana; and
the skull of Brahma, it is stated, stuck to Siva’s palm
and would not drop down. In order to get rid of the sin
and this incriminating skull, Siva had to wander about
as a naked beggar (bhikshätana) until he reached the
place still known as Brahma-kapälam, on the slopes of
the Himalayas, where he was released from the sin and
the skull fell down of its own accord.“ Vgl. auch G.
Jouveau-Dubreuil, Archéologie H, S. 25ff. Das Motiv
von dem anhaftenden Schädel erscheint auch MBh. IX,
39, wo der abgeschlagene Kopf eines Räksasa am
Schenkel des Asketen Mahodara haften bleibt, bis dieser
sich durch ein Bad im Kapälamocana-tirtha von ihm
befreit. In dem im folgenden wiedergegebenen Abschnitt
Siva-P. I, 49, 64ff. ist das Motiv von Brahmä’s Schädel,
der an Siva’s bland haftet, im sivaitischen Sinne um-
gestaltet worden.
12 Siva-P. I, 49, Ö4ff.
1 Siva-P. I, 49, 77ff.
2 Lihga-P. I, 95, 31 ff.
3 Lihga-P. I, 100, 39ff.
4 Vgl. Hopkins, Ep. Myth. §§ 156, 160 und 166.
5 Linga-P. I, 1, 21. Siva-P. V a, 11, 41 f. Saura-P. 2, 22ff.
(Jahn S. 4); 23, 49ff. (Jahn S. 66); 33, 4off. (Jahn
S. 85) etc.
6 Saura-P. 2, 22ff. (Jahn S. 4); 23, 49ff. (Jahn S. 66).
7 Lihga-P. I, 3, 33ff- j 4, 53ff• Saura-P. 22, yff. (Jahn S. 63).
8 Siva-P. V a, 8, 1 f.
9 Siva-P. V a, 11, 13 ff. Vgl. Lihga-P. I, 41, 15 ff.
BEITRÄGE ZUR KENNTNIS DES SIVAISMUS NACH DEN PURÄNA’S
43
Samen Besitzende (bljin), Brahma der Samen (bija) und Visnu der Schoß (yoni). Aus dem
Linga wird Brahma als Samen in Visnu als Schoß geschleudert, dort wird aus dem Samen ein
goldenes Ei, das, nachdem es tausend Jahre in der endlosen Flut (dem Schoße) geruht hat,
vom Winde in zwei Teile getrennt wird, die Himmel und Erde bilden. Aus dem Ei kommt
Brahma zum Vorschein1. Dieser Vergleich wird auch mit einem anderen verbunden, der die
drei Formen mit den drei Lauten des Om gleichsetzt. Insofern Siva durch die Silbe Om
bezeichnet wird, ist Brahma das A, Visnu das U, Nilalohita das M. Der Laut M ist der Samen
Besitzende, der Laut A der Samen, der Laut U der Schoß. Die Zusammenfassung der drei
Laute in der Silbe Om (näda) ist Mahesvara, der also Samenbesitzer, Samen und Schoß in
sich vereint1 2. Entsprechend der Auffassung, daß Brahma aus der rechten und Visnu aus der
linken Seite Siva’s hervorgegangen sind, kann bei der Püjä rechts von Siva Brahmä und
links von ihm Visnu verehrt werden3. Eines der sechzehn Mahädäna s aus dem Linga-P.4
besteht in einer Spende goldener Figuren Siva s, Brahmä s und Visnu s. Die drei Figuren
werden verehrt und am Ende der Zeremonie dem Guru und zwei Priestern geschenkt 5 offen-
bar stellen diese drei Personen die drei Gottheiten dar. Daß Siva sich im Guru offenbart, ist
eine häufig zum Ausdruck kommende Vorstellung5.
Der Gedanke der Trinität ist auch mit der Auffassung des Linga in Verbindung gebracht
worden. Das Linga besteht aus Brahmä, Visnu und Siva. ,,hngarii brahmä-visnu-sivätma-
kam“6 7. Im unteren Teil (müle) wohnt Brahmä, im mittleren (madhye, madhyabhäge)
Visnu, im oberen (upari) Mahädeva. Siva gilt auch als Herr des ganzen Linga (sarvesäna),
offenbar insofern, als er die Trinität in sich begreift . Diese Auffassung, daß das Linga als
Ganzes die Trinität repräsentiert, berührt sich hier mit einer anderen Auffassung, nach der
der Linga-Sockel, die Vedi, Siva’s Gemahlin darstellt, die somit in Beziehung zur Trinität
gesetzt wird: ,,lingavedi mahädevi trigunä trimayämbikä 8.
1 Linga-P. I, 20, 73 ff.
2 Linga-P. I, 17, 58 ff.
3 Linga-P. I, 79, 34 f.
4 II, 44. Zitiert und erläutert Plemädri I, 779, 3-—781,8.
5 Z. B. Linga-P. I, 85, 163.
6 Linga-P. II, 47, 6.
7 Linga-P. I, 74, 19!. und II, 47, 11. Nach heute allgemei-
ner Ansicht repräsentiert der untere Teil des Vedi (im
Süden: Ävadaiyär) genannten Untersatzes, der das
eigentliche Linga trägt, Brahmä, der obere Teil des
Untersatzes Visnu, das eigentliche Linga Siva. Vgl.
Jouveau-Dubreuil, Archeologie II, S. 9ff. Krishna
Sastri, South Indian Images, S. 72ff.
8 Linga-P. I, 74, 19L Vgl. Hopkins, Ep. Myth. § 162
Anm.: „... Ellamma in modern mythology becomes
the mother of the Trimurti, hatching out the three
gods as a hen“. Die Identifizierung der weiblichen
Hälfte Siva’s mit dem Linga-Untersatz, der Vedi, er-
klärt sich aus einer gewissen Ähnlichkeit seines oberen
Teiles mit der Vulva. Dieser gefäßförmig vertiefte und
in eine Abflußrinne auslaufende obere Teil der Vedi,
der zur Aufnahme der Elüssigkeiten dient, mit denen
das Linga übergossen wird, heißt deshalb auch Yoni.
Die Identifizierung Visnu’s, der auch in dem oben
angeführten mystischen Vergleich der Trinität mit
der Yoni gleichgesetzt wird, mit dem oberen Teil des
Linga-Untersatzes beruht auf einer anderen Auffassung.
In der von Sonnerat, S. 149ff., wiedergegebenen Fas-
sung der Legende von Siva im Devadäru-Walde wird
der Ursprung des Linga als religiösen Symbols erklärt.
Es heißt dort: ,,Bruma nahm die Gestalt eines Fuß-
gestelles an, und Wischenu die Gestalt des weiblichen
Zeugungsgliedes; unter diesen Gestalten fingen sie das
Zeugungsglied des Schiwen auf...“. „So stellt das
Lingam eine Gattung von Dreieinigkeit vor; die untere
Einfassung bedeutet den Wischenu; aus ihrer Mitte
ragt eine oben rund zulaufende Säule empor, die den
Schiwen vorstellt, und das Ganze steht auf einem Fuß-
gestell, das den Bruma abbildet“.
6
44
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REISEN IM GEBIET DER
AGUARUNA
VON
HANS H. BRÜNING 1
Im Jahre 1902 wurde von Chiclayo aus eine Expedition nach dem Maranön ausgerüstet,
um eine leichte Verbindung zwischen der pazifischen Küste und dem Flußgebiet östlich des
Andengebirges aufzusuchen. An dieser hatte ich Gelegenheit mich zu beteiligen. Sobald das
hierfür ausgesetzte Geld ausging, habe ich sie auf eigene Kosten weitergeführt. Während
kurzer Zeit kamen wir auf dieser Reise mit den noch ziemlich im Urzustand lebenden In-
dianern, welche beide Ufer des oberen Maranön und dessen Zuflüsse bewohnen, in Berührung.
Das in folgendem Mitgeteilte beruht teils auf eigenen Beobachtungen, teils sind es Angaben
der wenigen Weißen, welche als Gummisammler unter den Indianern leben.
Das von den Indianern bewohnte Gebiet, welches ich auf dieser Reise berührt habe,
erstreckt sich längs des oberen Maranön, von Yusamaro abwärts bis Puerto Melendez am
Pongo de Manseriche; in diesem Gebiete wohnen sie in kleinen, weit voneinander gelegenen
Ansiedlungen dicht am Ufer des Flusses. Wie mir mitgeteilt wurde, sollen ihre Haupt-
siedelungen an den Nebenflüssen weiter aufwärts liegen. Oberhalb Yusamaro sollen jetzt
keine Indianer mehr Vorkommen, doch sollen sie früher bis zum Pongo Rentema gewohnt
haben, von wo sie sich aber wegen Streitigkeiten mit den Weißen oder vielmehr Mestizen
nach und nach den Maranön hinunter gezogen haben. Von eigentlich festen Wohnsitzen
kann man überhaupt nicht reden, denn, obwohl sie lange Zeit an einem Orte wohnen und
ihre Wohnungen verhältnismäßig fest gebaut sind, sollen sie doch häufig ohne anscheinend
besonderen Anlaß ihre Siedelungen verlassen, um sie weiter davon entfernt wieder von
neuem einzurichten.
Nach Bastian bildeten die Aguaruna, Antipa, Huambisa und Murato zusammen den
Volksstamm der Jibaro, die sich sowohl früher der vollständigen Unterwerfung durch die
Inca, als auch später derjenigen durch die Spanier widersetzten. Die Nachrichten der alten
Geschichtsschreiber über die Jibaro passen noch heute auf die Aguaruna, die so stolz,
tapfer, freiheitsliebend und dabei gastfreundschaftlich sind, wie man es früher den Jibaro
nachsagte.
Mit den Antipa leben die Aguaruna in Freundschaft, dagegen sind sie Feinde der Huam-
bisa am Santiagoflusse, und ich habe bemerkt, daß es für sie eine große Beleidigung ist,
sie Huambisa zu nennen.
In früheren Jahren sind die Indianer bis Bella Vista und später noch bis Bagua Chica
gekommen, um Papageien und andere Tiere gegen Gebrauchsgegenstände einzutauschen.
Im Jahre 1845 (nach Raimondi) zerstörten die x\guaruna zu gleicher Zeit die von Mestizen
1 Der Verfasser ist vor der Durchsicht der Korrektur
am 2. Juni 28 gestorbm. 1848 geboren, ging er 1875
als Ingenieur nach Peru, wo er fast 50 Jahre lebte.
Seine archäologischen Sammlungen wurden von der
peruanischen Regierung angekauft und in einem Mu-
seum, das den Namen des Verstorbenen trägt, in Lam-
bayeque, später in Chiclayo vereinigt. Dubletten dieser
Sammlung finden sich im Museum für Völkerkunde
in Hamburg.
REISEN IM GEBIET DER AGUAREINA
47
bewohnten Dörfer Puyaya an der linken und Copallin an der rechten Seite des Marañen etwas
unterhalb des Rentema,
In Ragua Chica erzählte uns einer der Überlebenden von Copallin, der 56 Jahre alte
Mestize Santiago Lara, über den Hergang der Zerstörung Copallins folgendes: „Ungefähr
im Jahre 1856 kamen Jibaro und griffen erst die außerhalb des Ortes liegenden Häuser an.
Durch das Geschrei aufmerksam gemacht, hatten die Bewohner des Hauptortes Zeit zu
fliehen. Mein Vater nahm mich auf die Schultern und floh mit mir gleich den andern eine
Schlucht hinauf. Als die Indianer kamen, fanden sie den Ort verlassen, sie nahmen alles
für sie Wertvolle mit, taten aber den Gebäuden keinen Schaden.“ Trotzdem wurde weder
Copallin noch Puyaya wieder von den Bewohnern bezogen; Copallin wurde auf der rechten
Seite des Uteabambaflusses neu gegründet.
Im Jahre 1871 ( ?) kamen wieder Indianer über den Rentema hinauf, um ihre Tausch-
geschäfte zu machen. Ihre Canoas ließen sie an der Mündung des Uteabambaflusses, von wo
sie etwa 2; an der Zahl, darunter auch eine Frau, durch Bewohner von Bagua Chica,
die sie bei der Landung angetroffen hatten, in ihr Dorf geführt wurden. Unser Gewährs-
mann war zu jener Zeit stellvertretender Ortsvorsteher in Bagua Chica und benach-
... , . \ Vnro-esetzten der sich auf seinem Landbesitze befand. Dieser
nchtigte sogleich seinen v orgeserzi , . • i\/r a 1 r
befahl die Leute mit Essen und Trinken zu unterhalten, bis er weitere Maßnahmen träfe,
und holte die Männer aus den nächsten Dörfern Copallin, La Peca und La Montería, um die
Indianer niederzumachen. Unter jenen Leuten befanden sich auch einige der Überlebenden
der alten Dörfer Copallin und Puyaya, die einige unter den Indianern als Teilhaber an den
Überfällen dieser Dörfer . erkennen wollten. Unter irgendeinem Vorwand wurden die In-
dianer in das Haus der Ratsversammlungen (Cabildo) geführt, wo man sie e.nschloß, um
dann vom Dache aus und durch die Rohrwände ein Schießen mit Flinten und Stechen mit
zugespitzten Bambusrohren auf die armen Indianer zu beginnen, bis alle außer dreien, die
das Glück hatten durch die Türe zu entwischen, getötet waren. Zwei von diesen konnten
zusammen mit einem jungen Burschen, der bei den Canoas geblieben war in ihrer Heimat
von dem Blutbade berichten; der dritte wurde als Geschenk zum Präfekten nach Chacha-
poyas geschickt, wo er später an den Pocken starb. Dasselbe Schicksal hatte auch die In-
K.' . j. • ’ pntQbpsitzer in der Nähe überwiesen wurde.
dianerm, die einem CjutsDesitzer . ^ , iu tj nw
Die Toten wurden am linken Ufer des Uteabamba etwas unterhalb Bagua Chica ein-
gegraben Diese Stätte ist noch als die „Playa de los Jíbaros“ bekannt.
° 8 In Bagua Chica wurde mir auch von alten Leuten erzählt, daß die Weißen oder vielmehr
Mestizen früher den Anlaß zu diesen Überfällen gegeben hätten, weil sie den Indianern
während ihrer Tauschgeschäftsreisen ihre Frauen Wegnahmen,
Nach meiner Reise haben sich die Indianer im Juni 1904 am oberen Maranon wieder
erhoben und alle unter ihnen lebenden Weißen - man spricht von 50 oder 60 - getötet,
darunter auch ein paar Missionare. Diese Blutbäder werden natürlich als Verräterei der
Indianer hingestellt aber wenn man der Sache auf den Grund geht, so kann man sie immer
nur als Vergeltungstaten betrachten. Wenn die Indianer auch lange Zeit darüber hingehen
lassen ehe sie sich für eine ihnen zugefügte Beleidigung rächen, so vergessen diese empfind-
lichen Naturkinder sie doch nie. Die Zeit der Rache hängt von der Gunst der Umstände ab.
Der Aberglaube hat auch viel damit zu tun, denn erst wird die Abkochung einer narkotischen
I iane von den Weißen „ayahuasca“ (=Totenstrick), von den Aguaruna „näktem“ genannt,
eingenommen und nach den dadurch hervorgerufenen Visionen wird ihr Vorhaben bestimmt.
So können viele Jahre hingehen; und daß sie sich dann nicht immer gerade an den Schuldigen
rächen ist klar. Sie wissen nur, daß Weiße sie beleidigt haben, und Weiße müssen dafür
büßen Aber ist nicht dasselbe bei höchst zivilisierten Völkern der Fall? Nur daß man es
hier nicht mit Verräterei, sondern mit Strafexpedition oder dergleichen bezeichnet.
48
HANS H. BRÜNING
Eine Sache, die für den Weißen nur ein Scherz ist, ist öfters für den Indianer eine große
Beleidigung. Solche werden dann alle auf eine gemeinsame Rechnung gesetzt, bis die für die
Indianer günstige Zeit der Abrechnung kommt; dann gibt es für sie aber nur Indianer auf
einer Seite und Weiße auf der anderen. Auch die den Indianern sonst in Freundschaft zu-
getanen Weißen werden dann nicht verschont.
Verkehr der Weißen mit den Indianern.
Wie schon gesagt, beschäftigen sich die wenigen unter den Indianern lebenden Weißen
mit dem Einsammeln von Gummi. Sie leben meist in Chachapoyas und Umgebung. Die
Indianer werden von ihnen mit „Infieles“ bezeichnet, während sie sich selber den In-
dianern gegenüber „Cristianos“ nennen. Dieser letztere Ausdruck wird auch von den In-
dianern gebraucht, wenn sie Personen und Sprachen, die nicht ihrer Rasse angehören,
bezeichnen wollen; sich selber und ihre Sprache bezeichnen sie mit „Aguaruna“. Im Verkehr
untereinander bedienen sie sich des von den Weißen sogenannten „Quichua“, aber es ist
ein Quichua, das ebensoviele spanische und Aguarunaworte als Quichuaworte enthält, und
häufig müssen die Weißen diesen Jargon noch von den Indianern lernen. Ein richtiger
Quichuaindianer, den wir als Burschen bei uns hatten, sagte, daß er nichts von dieser
Sprache verstehen könne. Nach meiner Rückreise erzählte mir später ein alter Herr in
Ja n, der als junger Mann die Indianer besucht hatte, daß sie früher Quichua verstanden
hätten. Wäre es nicht viel besser, daß die Weißen das reine Aguaruna lernten, oder die
Indianer das Spanische lehrten ? Daß beides möglich ist, habe ich in Huavico, wo ein alter
Herr aus Pluancabamba wohnte, gesehen. Dieser bediente sich nur der spanischen Sprache;
die Folge davon war, daß alle in der Nähe wohnenden Indianer leidlich gut spanisch ver-
standen, zwei Indianer, welche bei ihm im Hause wohnten, sogar recht gut. Ich konnte
während meines kurzen Aufenthalts daselbst die Gelegenheit wahrnehmen, ein kurzes
Wörterverzeichnis des Aguaruna anzulegen. Ein junger Neffe jenes alten Herrn sprach gut
das Aguaruna, war überhaupt auch sonst in seinen Gewohnheiten schon zum halben Indianer
geworden. Ich mußte immer über das sonderbare Erstaunen der Indianer aus der Gegend
lachen, wenn dieser junge Weiße sich in ihrer Sprache an sie wandte, scheu gingen sie um
ihn herum, ihn von allen Seiten betrachtend.
Um sich die für sie wertvollen Sachen zu verschaffen, haben die Indianer angefangen,
die Produkte ihrer Wälder zu sammeln. Für Gummi, verschiedene Harze und Canoas,
Mani, Juca, Bananen, gezähmte Tiere und Papageien verlangen sie Winchester-Repetier-
büchsen, Flinten und den dazugehörigen Schießbedarf, ferner Äxte, Messer, Scheren,
Nadeln, Angelhaken, Spiegel, Baumwollzeug, Nähgarn usw. Die Preise, welche damals
galten, waren folgende: Eine kleine Canoa für ungefähr sechs Personen wurde mit einer
gewöhnlichen einläufigen Flinte bezahlt, deren Wert in Europa vielleicht io Mark sein
konnte. Für eine Vara (84 cm) Tocuyo (dünnes ungebleichtes Baumwollzeug) gab es ent-
weder eine Henne oder einen großen Kopf Bananen. Ein Korb Mani (Erdnüsse), ungefähr
15 Liter, wurde für 4 Varas (336cm) Tocuyo umgetauscht. Daß die Indianer bei dem Ab-
liefern von Gummi von den Weißen mit dem Gewicht schrecklich übers Ohr gehauen wurden,
davon habe ich mich mehrmals in Nazaret überzeugen können. Daß es die Indianer aber
merkten, konnte ich an ihren Mienen ablesen.
Namen.
Von den Weißen werden die rechts vomMaranon lebenden Indianer als „Aguaruna“ und
die links davon lebenden als „Antipa“ angesprochen. Diese beiden Namen finden sich auch
auf Raimondis Karte (Blatt 7), mit dem Unterschiede, daß links vom Maranon „Jibaros
y Antipas“ steht. Die in Frage kommenden Indianer nennen sich selbst jetzt alle „Aguaruna“,
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
49
auch die auf der linken Seite des Marahön, wie ich durch direktes Befragen in Numpatkai
erfahren habe. Ich habe auch weder physische noch andere Unterschiede zwischen den
Indianern der beiden Ufer bemerken können; vielleicht beziehen die Indianer den Namen
„Aguaruna“ nur auf ihre Rasse zum Unterschiede von den Weißen. Die Indianer beider Ufer
des oberen Maranön verkehren übrigens auch freundschaftlich miteinander und sprechen zu-
sammen mit den Huambisa und Murato eine Sprache.
Der Name „Aguaruna“ stammt nicht aus der Sprache der hiernach benannten In-
dianer er ist zusammengesetzt aus dem spanischen Wort agua = Wasser und dem Quichua-
Worte'runa = Leute, Männer, also Wassermänner. Dieser Name ist ihnen jedenfalls von den
ersten mit ihnen in Berührung gekommenen Weißen gegeben worden, ihrer Gewohnheit
wegen, immer in der Nähe des Wassers zu wohnen. Daß dieses Wort aus der spanischen und
Quichua-Sprache zusammengesetzt ist, wird wohl darauf zurückzuführen sein, daß diejenigen,
welche den Indianern den Namen gaben, aus dem Hochlande stammen, wo noch teilweise
Quichua gesprochen wird und solche zweisprachigen Wörter häufig Vorkommen. Man ver-
gleiche z.^B. das Quichua-Wort; Ahua-runa (Webemänner ?), weil die Männer dort weben.
Ich habe vergebens versucht, ausfindig zu machen, welchen Namen sich die Indianer
selber in ihrer eigenen Sprache beilegen. Bei diesen Nachforschungen wurde mir mehrmals
das Wort „Yänum“ genannt, doch mußte ich mich bald überzeugen, daß es Landsmann oder
Stammesangehöriger oder ähnliches bedeutet.
Erster Eindruck, welchen die Indianer auf mich machten. Physische und
moralische Eigenschaften.
Die ersten Indianer bekam ich in Nazaret am Muchingis zu Gesicht. Nur mit dem
itipe“ einem viereckigen Stück Zeug, um die Hüften bekleidet, machte der nackte, musku-
löse und ebenmäßig gebildete Oberkörper einen günstigen Eindruck auf mich. Die Indianer sind
unter mittlerer Größe, mehr schlank als korpulent. Ihr Gesichtsausdruck ist mehr freundlich als
ernst und Vertrauen erweckend. Ihre Haltung ist gerade und aufrecht. Bekleiden sie sich
mit Hemd und Hose, wie es einige bereits tun, so geht dieser günstige Eindruck verloren.
Die Farbe der Haut ist ein dunkles Braun; ich habe wenig Unterschied zwischen den
bedeckten und unbedeckten Körperteilen finden können. Sie selber gaben an, daß die Farbe
eine Folge der Einwirkung der Sonne sei. ... .... , .
Die Backenknochen stehen stark vor, die Augenlider sind im inneren Winkel etwas
i ior „;rEt «n «stark wie bei den Chinesen. Der Mund ist im allgemeinen breit,
■ ■>-
rücken ist schmal und mitunter etwas gebogen, die Nasenflügel sind breit und aufgebläht, so
daß man beim ersten Anblick den Eindruck von Plattnasen gewinnt. Die Füße sind vorne
über den Zehen breit, die große Zehe steht gewöhnlich etwas ab. ,
Das Haupthaar ist bei beiden Geschlechtern stark entwickelt und wird von beiden lang
oetrao-en ■ es schien mir nicht so dick und rauh als bei den Küstenindianern zu sein, ist von
dunkelschwarzer Farbe und schimmert in feuchtem Zustande etwas ins Bläuliche. Bart-
haare habe ich nicht bemerkt, doch kommt ein ziemlich starker Haarwuchs an den Ge-
schlechtsteilen und ein wenig starker in den Achselhöhlen vor, wenigstens bei den Männern,
bei Frauen habe ich nicht Gelegenheit gehabt, Beobachtungen zu machen, weil sie sich nie in
Gegenwart von Fremden entblößen. In Numpatkai am linken Ufer des Maranön habe ich
audi verschiedene Indianer mit dunkel-kastanienbraunem Haar gesehen, besonders bei
jungen Personen. Diese sind jedenfalls Abkömmlinge von weißen, von den Indianern ge-
raubten Frauen. Untereinander sind sie sehr zu Scherzen aufgelegt, und ein guter Witz wird
herzlich belacht. Ihre Verwunderung geben sie durch ein langgedehntes, sanft ausge-
sprochenes „gua“ zu erkennen.
7 Baessler-Archiv.
50
HANS H. BRÜNING
Ich habe die Indianer im allgemeinen gastfreundlich und freigebig gefunden; so oft
wir in eines ihrer Häuser kamen und sie beim Essen antrafen, wurden wir gleich dazu
eingeladen, selbst wenn sie selber anscheinend nicht Überfluß daran hatten. Sie verlangen
dafür aber auch denselben Dienst gegebenenfalls von anderen. Bei den Indianern wird es als
Beleidigung angesehen, ein angebotenes Getränk nicht anzunehmen. Wenn man einmal das
Getränk verschmäht hat, wird einem niemals etwas wieder angeboten, weder Getränk noch
Essen. Ich werde später noch Gelegenheit haben, etwas näher auf diesen Gegenstand einzu-
gehen.Ich habe die Indianer als ehrlich kennengelernt, auch unter den bei ihnen wohnendenWei-
ßen gelten sie als solche, trotzdem diese immer leicht geneigt sind, ihnen alles Böse nachzusagen.
Die Indianer sind sehr intelligent und geistig aufgeweckt, immer zeigten sie großes
Interesse für alles ihnen Unbekannte. Obwohl wir uns sprachlich fast gar nicht mit ihnen
verständigen konnten, so fanden sie doch bald heraus, was wir verlangten, sie schienen unsere
Gedanken und Wünsche förmlich zu erraten. Besonders habe ich einige Knaben im Alter
von etwa 8—12 Jahren von Wißbegier geradezu beseelt gefunden, und wenn ich diese dann
befriedigt hatte, versuchten sie mir Aufklärung über Sachen ihrer eigenen Umgebung zu
geben. Es ist jammerschade, daß diese armen Leute keine anderen Zivilisatoren als die
Gummisammler haben, von denen man nicht gerade sagen kann, daß sie sich besonders für
diesen Zweck eigneten. Ob die Missionare zur Zivilisierung mehr beitragen, möchte ich in
Frage stellen; denn damit, daß ein Indianer getauft wird, mag er ja in den Schoß der christ-
lichen Kirche aufgenommen worden sein, aber er wird dadurch noch lange nicht zivilisiert.
Im Gegenteil, fühlt er sich erst als Christ, dann ist sein erstes, alle seine guten Eigenschaften
abzulegen und die Laster der Zivilisation anzunehmen. Auf unserer Rückreise sind ver-
schiedene größere Knaben von einem Augustinermönch, welcher uns begleitete, getauft
worden, aber es schien mir, daß den Hauptantrieb hierzu für ihre Väter immer die Geschenke
der Paten bildeten. Diese bestanden in großen bunten Taschentüchern, Glasperlen usw.
Die Indianer sind sehr empfindlich, sowohl den Wohltaten, als den Beleidigungen gegen-
über. Bei unserer Reise den Maranon hinunter fanden wir in dem Hause des Curaca
Laichape in Huaracaiyo ein nicht sehr altes Grab. Auf unser Befragen erfuhren wir, daß darin
eine der Frauen des Curaca ruhte, die sich vor kurzer Zeit erhängt hatte, weil ihr Mann ihr
in der Betrunkenheit eine Ohrfeige gegeben hatte. Nach Aussage eines Gummisammlers soll
ein ähnlicher Fall ein paar Monate früher an einem anderen Orte stattgefunden haben.
Unter den Weißen sind die Indianer als verräterisch und rachsüchtig verschrien; darüber
habe ich mich schon weiter oben ausgelassen. Es sind mir aber auch Fälle bekannt geworden,
wo ein Gummisammler selbst sich der Indianer bedient hat, um sich lästiger Mitbewerber im
Gummigeschäfte zu entledigen. Personen, welche mit diesen Umständen nicht vertraut sind,
erheben natürlich die Stimmen über die Verräterei der Indianer. Daß aber die Indianer an
diesem Geschäfte Gefallen finden, will ich schon glauben, denn es glimmt immer etwas vom
blutdürstigen Tiger in ihnen, und es bedarf nur einer Gelegenheit, um es zur vollen
Flamme anzufachen. Liegt nicht auch eine große Schuld der Weißen darin, die Indianer mit
modernen Kriegswaffen zu versehen ? Ich habe fast kein Haus der Indianer betreten, wo ich
nicht wenigstens ein paar Winchester-Repetier-Karabiner neuesten Systems vorgefunden
hätte. Diese moderne Bewaffnung in den Händen der Indianer ist aber ein zweischneidiges
Schwert, wie wir im Jahre 1904 gesehen haben.
Nachdem ich so die Indianer im allgemeinen geschildert habe, will ich jetzt etwas
näher auf ihre Person, Häuslichkeit und Umgebung eingehen.
Wohnung.
Wie schon gesagt, bauen die Indianer ihre Wohnungen immer in der Nähe der Flüsse.
Ist ein geeigneter Platz gefunden, so wird erst eine kleine Fläche vom Walde entblößt, denn
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA r
Gelände ohne Wald gibt es nicht. Darauf wird eine provisorische Hütte gebaut von dem
Material, welches durch die Abholzung gewonnen wurde. Dann wird eine größere Fläche
zum Anlegen der Felder entwaldet, um Yuca, Mais, Baumwolle, Bananen und Mani darauf
zu pflanzen. Dieses Feld liegt gewöhnlich etwas vom Hause entfernt mitten im Walde, sei es
daß dicht am Flusse, wo die Gebäude errichtet werden, sich kein passendes Land befindet
sei es aus anderen Gründen. Ich habe darüber nichts erfahren. Nebenbei wird dann auch schon
Fig. i. Grundriß einer Hütte.
das Material für die dauernde Wohnung beschafft. Mit dem Bau derselben geht es nun sehr
lanesam vor sich, es sollen mitunter ein paar Jahre darüber verstreichen, ehe sie fertig ist,
da immer nur ein wenig und mit großen Unterbrechungen daran gearbeitet wird.
Zum Bau dieser Häuser wird erst ein provisorisches Gerüst aufgefuhrt, das en i
beitem als Stütze dient. Der Grundplan des Hauses (Fig .) hat beinahe die Form eines großen
Ovals das heißt die beiden Längsseiten laufen parallel, an jedem Ende ist es durch einen
Halbkreis geschlossen. Die Basis des Baus bilden zwei ungefähr 6-6.5 m lange runde glatte
Bäume die an den Stellen, welche die beiden Mittelpunkte der Halbkreise bilden sollen, als
Pfosten’ aufgepflanzt werden (A in der Zeichnung). Diese werden oben durch ein Firstholz
verbunden Darauf werden an jeder Seite von diesen je weitere drei Pfosten, aber etwas
kürzer als die vorigen, aufgepflanzt (B), und oben durch einen viereckigen Rahmen mit den
andern beiden verbunden. Nun werden dünne Pfosten dort, wo die Wände gebildet werden
sollen aufoeführt und oben miteinander verbunden, worauf dann die Sparren zu liegen kom-
men und auf diesen wieder die Latten ; alles wird fest mit Lianen, Bast und Chambira mitein-
ander verbunden Darauf kommt das Dach an die Reihe, das mit einer besonderen Sorgfalt
ausgeführt wird wie es in einem Lande, wo fast kein Tag ohne Regen vergeht, auch nicht
anders zu erwarten ist. Als Material dienen die Blätter verschiedener Palmen, die schon
von langer Hand vorbereitet werden. In Timasto sah ich einen besonderen Schuppen hierfür
mit den zubereiteten geflochtenen Blättern, welche nach und nach darin untergebracht
wurden Direkt auf die Latten kommt eine Lage großer, gefiederter und geflochtener Palm-
blätter (wie sie teilweise geflochten im Vordergründe von Abb. I zu sehen sind) zu liegen
und darauf lose Blätter (wie man auf Abb. 2, 3 und 4 sieht). Das Dach springt ungefähr
einen Meter über die Wand vor. Bei meinem ersten Besuche eines dieser Häuser in S. Antonio
7*
Ih
52
HANS H. BRÜNING
-7
am Muchingis, etwa eine Ruderstunde aufwärts von Nazaret, sah ich mit Bewunderung
ein Dach, welches alle Dachkonstruktionen der Häuser der Küsten- und Gebirgsindiailer und
selbst derjenigen der Weißen vollständig in den Schatten stellte. Auch die Reinlichkeit und
Ordnungsliebe der Indianer im allgemeinen spricht sehr zu ihren Gunsten.
Nachdem das Dach fertiggestellt ist, ist das Haus bewohnbar; die äußere Wand aus
gespaltener Chontapalme oder auch Rohr wird erst nach und nach beendet. Diese Wände
lassen genügend Licht zur Beleuchtung des Innern durch. Für die Türen scheinen keine
festen Regeln zu gelten; ich habe sie in der Mitte einer Längsseite, an einem Ende und auch
an beiden Enden angebracht gefunden. In dem Hause des Curaca Laichape in Huaracayo,
welches ich Gelegenheit hatte näher zu betrachten, befand sich an einem Ende — dem Flusse
zu — eine zweiflügelige, und am andern Ende — dem Walde zu — eine einflügelige Tür
(Fig. 1 c, e). Dieselben waren roh aus einem Stück, als dicke Bohlen mit der Axt gearbeitet.
In Huavico habe ich auch eine aus Palmblättern geflochtene Tür gesehen. Der Curaca, bei
dem wir zu Gast waren, nahm seine Tür als Regenschirm überden Kopf, als er einmal während
eines starken Regens hinaus mußte.
Die Häuser sind immer sehr geräumig, da sie für mehr als eine Familie dienen. Nach
einer Angabe sollen bis zu 50 Personen ein Haus bewohnen. Gewöhnlich ist es der Curaca, als
Oberhaupt, mit seinen Kindern und deren Frauen und Männern. Da nun ein Curaca bis zu
zehn Frauen hat, so summt sich die Zahl der Bewohner ohne Schwierigkeit auf. Das schon
genannte Haus des Curaca Laichape war ungefähr loMeter breit und 15 Meter lang, es wurde
von ungefähr 20—30 Personen bewohnt.
In dem Hause in Huavico, welches damals von einem Gummisammler bewohnt wurde,
aber ursprünglich den Indianern gehört hatte, bemerkte ich auf den Hölzern des Rahmens,
welcher oben die Hauptpfosten zusammenhält, verschiedene grotesk ausgeführte, schwarze,
aufgemalte Figuren von Menschen; die Indianer sagten, daß es den Zweck hätte, den
Wurmstich abzuhalten.
Die Regel ist, daß eine Ansiedlung nur aus einem Hause besteht, selten werden zwei
Häuser beisammen gefunden, wie ich es z. B. in S. Antonio gesehen habe. Die einzelnen
Häuser bilden jedoch größere oder kleinere, durch Wald voneinander getrennte Gruppen,
die durch schmale Fußpfade untereinander verbunden sind. Eine solche Gruppe hat einen
bestimmten Namen. Eine besondere Art von Gebäuden sind die Gefechtstürme, welche man
bei einzelnen Wohnungen findet. Ich habe sie nicht in der Nähe gesehen, sondern nur im
Vorbeifahren. Die Wohnungen, die ich besichtigte, hatten keine Gefechtstürme. Sie stehen
ein wenig vom Hauptgebäude ab, sind aber durch eine Leiter aus gekerbten Baumstämmen
mit ihm in Verbindung gebracht. Die Gefechtstürme bestehen aus vier kräftigen Pfosten,
die ungefähr 3 m im Quadrat angeordnet sind und 8—10 m Höhe haben. Oben ist eine
Plattform, die mit einer 1 m hohen Brustwand umgeben ist, darüber das Dach.
Innere Einrichtung. Betten.
An der Wand befinden sich ringsum die Betten, die durch einen kleineren oder größeren
Zwischenraum voneinander getrennt sind. Nach Angabe der Weißen soll jedes für eine Fa-
milie dienen. In der Skizze habe ich die Anordnung der Betten in dem Hause des Curaca
Laichape dargestellt (Fig. 1 D). Diese Betten sind insofern merhwürdig, als sie nicht Raum
für den ganzen Körper geben. In Figur 2 habe ich ein solches skizziert. Die Basis bilden
4 Pfosten (a), im Viereck in den Boden gegraben, so daß sie etwa 1 m über dem Boden bleiben.
An je zwei Pfosten wird innen und parallel zur Wand ein Querholz (b) gebunden, das am Kopf-
ende, der Wand am nächsten, etwas höher ist als am Fußende. Auf diese Querhölzer
kommen andere (c) in der Richtung senkrecht zur Wand zu liegen, und auf die Quer-
hölzer folgt eine Lage fein gespaltenen Rohres (d), das etwas an der Hinterwand hinauf-
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
53
ragt. Dieses gespaltene Rohr gibt eine
sehr elastische Unterlage. Da, wie schon
gesagt, das Bett von hinten nach vorne
etwas abschüssig ist, ist vorne wieder
querüber ein Holz (g) angebracht, damit
der darauf Ruhende nicht herunter-
rutscht. Wie man sieht, ist dieses Bett
weniger als einen Meter lang und nicht
genügend, um einen erwachsenen Men-
schen ausgestreckt aufnehmen zu kön-
nen. Deshalb befinden sich vor dem Bette
zwei gabelförmige Pfosten (e) mit einem
Querholz (f), auf welchem die Füße zu
ruhen kommen. Vor jedem dieser Betten
befinden sich, mit einem Ende auf der
Feuerstätte nahe zusammenstoßend, drei
Stücke runden Brennholzes (h), welche
immer glimmen. Diese dienen dazu, am
Tage die Mahlzeiten darauf zuzubereiten und des Nachts dem Schläfer die Füße zu wärmen. Es
scheint ein bestimmtes Holz dazu verwandt zu werden, denn in allen Häusern, welche ich
besucht habe, waren es immer genau runde Hölzer von derselben Dicke. Die Seiten der
Betten werden von der Rohrunterlage bis etwa 50 oder 60 cm hinauf mit Zeug oder breiten,
flachen Baumrinden und Rohr verkleidet; häufig auch vorne, so daß nur in der Mitte ein
Eingang bleibt. Die dadurch gebildeten, an jeder Seite abgeschlossenen Räume dienen jeden-
falls für die Kinder. Abweichungen kommen, besonders in der Breite der Betten, vor.
Sitze.
In großer Anzahl befinden sich in den Häusern der Aguaruna niedrige Sitze aus leichtem
Holze, vielleicht Balsaholz. Es gibt solche von verschiedener Form, aber wie mir schien, kam
die in der Skizze angegebene am häufigsten vor. Aui diese wird zugleich die meiste Arbeit
verwandt. Alle sind aus einem einzigen Holzklotz herausgearbeitet. Das in der Skizze (Fig. 3) an-
gegebene Exemplar war 25 cm hoch und hatte oben einen kreisrunden, ezwas ausgehöhlten
Sitz von 38 cm Durchmesser, woran sich ein kleiner Griff befand. Vom Sitze aus nach unten zu
verjüngt sich der Klotz, aber in viereckiger Form; unten an
dieser Verjüngung hatte man dann zwei längere Streifen Holz
stehen gelassen, welche als Füße dienten. Für einen nicht an
diese Sitze Gewöhnten ist das Ausruhen darauf, besonders wenn
er etwas langbeinig ist, eine Qual, denn die Knie kommen bei-
nahe bis zum Kinn hinauf. Es gehört eine gewisse Übung dazu,
um sich mit Eleganz von diesen Sitzen zu erheben, nachdem
die Kniebeugen halb eingeschlafen sind.
Gestelle für Töpfe und Waffen.
In den freien Räumen zwischen den Betten befinden sich
viereckige Gestelle zum Aufbewahren von verschiedenen Ge-
genständen, hauptsächlich Töpfen und Schalen. Das eine halb-
kreisförmige Ende des Hauses scheint besonders für die Frauen
frei gehalten zu werden. Hier befindet sich eine große Anzahl
solcher Gestelle, alle mit Töpferwaren bestellt, wie man auf
■■ . "
54 HANS H. BRÜNING
Abb.2 sehen kann. Diese Gestelle bestehen aus vier ungefähr 2 m hohen Pfosten, auf denen
die Plattform aus Rohr mit den Töpfen ruht. Um den Pfosten herum, welcher als Mittel-
punkt des Halbkreises dient, befindet sich der größte Schatz der Indianer: viele Töpfe
mit Masato (wie die Weißen sagen) oder Nijamantsi (Bezeichnung der Aguaruna), einem
Getränk aus der Yucawurzel, vielleicht auch einer oder der andere Topf mit auf Vorrat
gekochter Speise, denn einmal wurde mir außerhalb der gewöhnlichen Mahlzeit aus einem
dieser Töpfe eine kalte Affensuppe serviert.
xA.ußerdem gibt es Gestelle für die Waffen: Blasrohre, Lanzen, Flinten und Karabiner, die
alle aufrecht stehen.
Dieses sind die am meisten in die Augen fallenden Gegenstände des Hauses; andere
kleinere Sachen werden nach und nach, sowie sich die Gelegenheit dazu bietet, beschrieben
werden. Ich füge jetzt ein paar Besuche, welche ich verschiedenen dieser Häuser abstattete,
bei, um den allgemeinen Eindruck, den sie auf mich machten, und mehr oder weniger das
häusliche Leben der Indianer zu schildern.
Besuch bei verschiedenen Indianern.
Den ersten Besuch machte ich bei zwei dicht beieinander stehenden Häusern in S. An-
tonio am Muchingisflusse. Diesem Orte ist der Name „S. Antonio“ zu Ehren des dort
wohnenden Curaca Antonio von dem bedeutendsten Gummisammler der dortigen Gegend bei-
gelegt worden, der in Nazaret, etwa 800 m von der Mündung des Muchingis aufwärts, wohnte.
Wie der Ort S. Antonio bei den Indianern selbst genannt wird, weiß ich nicht. Meiner Ansicht
nach ist es eine große Unsitte, die Namen von Orten beliebig zu ändern. Fast alle Indianer-
niederlassungen am oberen Maranön hatten von demselben Gummisammler meist neue
Namen nach seinen Familienmitgliedern bekommen, alle mit dem San davor. Dieses ist
auch in anderen Gegenden Perus gebräuchlich. Auch den Namen des Flusses Muchingis wird
man vergebens auf einer Karte oder sonstwo suchen; auf Raimondis Karte Blatt 7 wird er
Imaza oder Chuchunga genannt; sonst ist er auch noch unter dem Namen Chiriaco (kaltes
Wasser) bekannt. Ich ziehe den Namen Muchingis vor, weil dieser ihm nach Angabe desselben
Gummisammlers von den anwohnenden Indianern gegeben wird.
Von Nazaret aus fährt man in der Canoa eine Stunde den Fluß hinauf bis zu dem Orte
S. Antonio. Dieses liegt wie Nazaret an der linken Seite des Flusses. Bei unserer Ankunft
waren verschiedene Frauen damit beschäftigt, Mani, der an der Sonne zum Trocknen ausge-
breitet gewesen war, in Körbe zu füllen und ins Haus zu tragen. Kinder spielten zwischen
ihnen herum. Sogleich präsentierte sich auch der Curaca Antonio, bekleidet mit einem Kaki-
anzug, den Rock mit Goldtressen und Metallknöpfen besetzt. Obwohl diese Kleidung der
Zivilisation sehr schmutzig und verschossen aussah, schien er doch nicht wenig stolz darauf
zu sein. Es war ein Geschenk des Gummisammlers von Nazaret. Gleich darauf lud er uns
zum Eintreten in eines der Häuser ein, wo er sich auf einen der niedrigen Sitze niederließ
und uns bedeutete, dasselbe zu tun. Darauf rief er den Frauen zu, Masato zu bringen. Eine
nach der anderen kam mit ihren Trinkschalen an, die man von jeder einzelnen annehmen
mußte. Es gehört aber ein richtiger Indianermagen dazu, dieser Höflichkeitssitte zu genügen.
Als Geschenk gaben wir ihm dafür Nadeln, Nähgarn und kleine runde Spiegel. Es herrschte
große Ordnung und Reinlichkeit in dem Hause. Ich zählte hier acht Betten. Nach und
nach fanden sich auch männliche Bewohner ein, die dem Masato alle Ehre antaten. Von
diesem Hause gingen wir nach dem anderen, welches noch an den Seiten offen war (Abb. 2).
Bald erschienen viele Indianer im Kriegsschmuck, die meisten mit Winchester-Repetier-
Karabinern bewaffnet, und alle im trunkenen Zustande. Das hinderte sie aber nicht, immer
noch mehr Masato hinunterzustürzen. Unsere Begleiter, Angestellte des Gummisammlers,
sagten uns, daß diese Indianer von einer Versammlung kämen, wo sie eine narkotische Liane
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
55
__von den Weißen mit dem Quichuaworte Ayahuasca, von den Indianern Naktem genannt
__abgekocht hätten, um über die Ausführbarkeit eines Raubzuges Aufklärung zu erhalten.
Vielleicht war es schon die Entscheidung über den im Jahre 1904 ausgeführten Rachezug
gegen die Weißen. Trotz der Betrunkenheit dieser Indianer habe ich keinen einzigen gesehen,
der sich ungebührlich betragen hätte. Im Gegenteil schienen alle sehr liebenswürdig zu sein.
Wie uns aber gesagt wurde, sollen mitunter doch Streitigkeiten unter ihnen in der Trunken-
heit vorfallen. Im Vordergründe des Bildes 2 sehen wir einen dieser edlen Krieger mit der
Schale am Munde neben einem Mitgliede unserer Expedition. Die kleine Frau wartet er-
gebenst, bis ihr Herr und Gebieter die Schale geleert hat, um sie dann wieder von neuem
zu füllen.
Besuch in Huaracayo.
Bei unserem ersten Besuche im Hause des Curaca Laichape in Huaracayo fanden wir
außer einem alten, fast blinden Indianer nur Frauen und Kinder vor. Unser plötzlicher
Besuch machte anscheinend gar keinen Eindruck auf die Bewohner des Hauses. Wir be-
wegten uns frei in dem großen Hause, ohne daß weiter Notiz von uns genommen wurde.
Die meisten Frauen saßen auf ihren Betten und unterhielten sich mit ihren Kindern oder
waren anscheinend müßig. Andere waren mit der Zubereitung des Essens beschäftigt und
eine mit Töpferarbeit. Von einem großen Klumpen bläulichen, sehr bildsamen Tones nahm
sie ein Stück ab das sie durch Rollen zwischen den Händen zu einem langen Wulste formte.
Dieser wurde dann auf den Rand eines angefangenen Topfes gelegt, und durch Kneten darauf
befestigt. Auf diese Weise wurde Wulst um Wulst angeknetet, bis der Topf fertig war.
Leider kann ich nicht sagen, wie die Tonwaren gebrannt wurden, doch habe ich viele -
besonders Trinkschalen — mit einer braunen, lackartigen Farbe bemalte Gefäße gesehen.
Nach kurzem Aufenthalt in dem Hause erschienen auch die männlichen Bewohner des-
selben einer nach dem andern. Einer hatte mit dem Blasrohr verschiedene kleine, bunt-
farbig Vögel erlern die er gleich anfing abzubalgen, um die Bälge als Schmuck zu verwerten.
Die Beine werden ’ abgeschnitten, ebenso wird auch der Schädel herausgenommen, der
Schnabel bleibt jedoch sitzen. Außer dem Trocknen scheinen diese Bälge weiter keine
Zubereitung zwecks ihrer Erhaltung zu erfahren. Die aus dem Balg herausgenommenen
Körper der Vögel werden dann ohne weiteres auf einen zugespitzten Stock gespießt, eine
kurze Zeit über Feuer gehalten und dann verspeist. .. , , n , .
In diesem Hause fanden wir außer den gewöhnlichen Gegenständen das Grab einer der
fünf Frauen des Curaca Laichape, die sich aus verletztem Ehrgefühl erhängt hatte. Auf
dem Grabe befanden sich Töpfe und andere Gegenstände die der Verstorbenen gehört
hatten Das Grab war an einer etwa 70 cm hohen und der Länge und Breite des Körpers
entsprechenden Erdaufschüttung kenntlich. Es befand sich dicht an der Wand des Hauses.
Ich kann mir das Vorhandensein eines Grabes im Innern eines Hauses nicht erklären, denn
allgemein wurde mir von den Weißen gesagt, daß die Indianer ihr Haus verlassen, sobald
eine Person darin gestorben und begraben worden ist.
Der Curaca Laichape war mit Hemd, Hose und Mütze bekleidet. Er sprach etwas
spanisch Später begleitete er uns nebst zwei seiner Anverwandten als Bootsleute bis zum
Puerto MelLdez. Sie bewährten sich alle drei als sehr zuverlässige und fügsame Leute.
Hunde,
Sehr bemerkbar machten sich die vielen Hunde, die in den Indianerhäusern Vorkommen.
Sie sind oben an den Pfosten fast aller Betten angebunden, so daß sie auf diesen ruhen. Bei
unserer Annäherung fuhren sie uns mit lautem Kläffen an, mit Wut an den Lianensträngen
zerrend- es sind kleine bissige Köter. Diese Hunde erhalten von Seiten der Frauen eine
besondere Pflege und wurden bisweilen von ihnen hinausgeführt, um ihre Notdurft zu ver-
56
HANS H. BRÜNING
richten. Das Fressen schien mir mit besonderer Sorgfalt für sie zubereitet zu werden. Bei
jungen Hunden habe ich gesehen, daß die Indianerin ihm das Futter erst vorkaute und
dann mit ihrem eigenen Munde gab. Dieganz jungenHunde tragen die Frauen in dem Bausch
ihrer Kleidung am Oberkörper und lassen sie an ihrer eigenen Brust saugen. Auf der Reise,
bei einem Halteplatze auf freiem Felde, werden die Hunde an irgendeinem Gegenstände fest-
gebunden, und ein großes Blatt irgendeiner Pflanze wird ihnen als Lager hingelegt. Nie habe
ich die Hunde frei umherlaufen sehen. Wie mir von den Weißen gesagt wurde, sollen die
Indianer die Hunde zur Jagd benutzen. Ich habe aber darüber nichts Genaueres erfahren
können.
Sonstige gezähmte Tiere.
Außer den Hunden ziehen die Indianer oder vielmehr ihre Frauen eine große Menge
verschiedener Tiere auf, und was mir besonders auffiel — alle Tiere werden sehr leicht zahm
und laufen frei in den Häusern oder außerhalb umher. Zu den mit Vorliebe gezogenen
Tieren gehören die verschiedenen Arten Papageien und Aras, hühnerartige Vögel, ver-
schiedene Truthühner, Paujiles und Trompetervögel, ferner Diostedé und verschiedene
Affenarten. Der Indianer bringt sie jung ins Haus, und es ist Sache der Frau sie zu zähmen.
Von wirklichen Haustieren habe ich außer den Hunden nur in wenigen Fällen Hühner
und in einem einzigen Falle ein Schwein vorgefunden. Nach Angabe der Weißen sollen die
Indianer die Hühner aber nicht der Eier wegen, die sie nicht essen, halten, sondern nur zum
Vertilgen von Ungeziefer. Während unserer Reise ist es uns immer schwer gefallen, Hühner
oder Eier zu erlangen.
Körperliche Reinlichkeit.
Die Indianer sind sehr reinlich, sehr häufig nehmen sie Bäder. Die Männer schienen
darin die Frauen zu übertreffen, wie überhaupt in der Pflege ihres Körpers. Wenn wir
uns auf unserer Bootfahrt einem bewohnten Orte näherten, so legten die Bootsleute immer
vorher an, um ein Bad zu nehmen und ihr schönes, langes Haar zu kämmen oder sich auch
einige Flecke und Striche mit Achiote im Gesichte anzubringen. Ihre Notdurft sollen sie nach
Angabe immer im Wasser verrichten, mit nachfolgendem Waschen, Vielleicht hängt folgende
eigene Beobachtung damit zusammen. Bei einer Bootfahrt legten unsere Indianer an, und
einige von ihnen sprangen plötzlich ins Wasser; nach einiger Zeit brachen sie von einem
gestrandeten Baum einen dünnen Zweig ab und fuhren sich damit kurze Zeit zwischen den
Hinterbacken hindurch. Zu gleicher Zeit machten sie mit dem Munde ein halb zischendes,
halb pfeifendes Geräusch.
Beim Baden legen die Indianer ihr Itipe ab und binden mit einer kleinen Schnur die
Vorhaut über der Eichel zusammen; bei einigen habe ich gesehen, daß sie das Ende dieser
Schnur außerdem noch an einer dickeren Schnur, die sie um die Hüfte tragen und die auch dazu
dient, den Itipe zu halten, festbinden, so daß der Penis nach oben gezogen wird. Dieses Zu-
binden der Vorhaut soll nach Angaben der Weißen seinen Grund darin haben, daß an einigen
Stellen des Marañón und seiner Nebenflüsse ein sehr kleiner Fisch, Carnero genannt, vor-
kommt, welcher in den Harnkanal kriecht und sehr schmerzliche Entzündungen verursacht.
Auf unserer Fahrt wurde bei einem plötzlich eintretenden Regen immer der Itipe abgelegt
und in dem wasserdichten Reisekorb aufbewahrt, worauf ebenfalls die Vorhaut zugebunden
wurde.
Haartracht.
Männer und Frauen tragen das Haar lang und lassen es über den Rücken herabhängen.
Vorne wird es in gleicher Höhe mit den Augen gerade abgeschnitten, um nicht das Sehen zu
behindern. Bei den Frauen scheint sich die Sorgfalt nur hierauf zu beschränken, wohingegen
die Männer ihrem Haare eine große Pflege angedeihen lassen. Abgesehen davon, daß es häufig
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
57
gewaschen wird, wird es auch von Zeit zu Zeit gefärbt. Alle Augenblicke fahren sie sich mit
dem Kamm durch das Haar. Dieser bleibt sogar, um immer zur Hand zu sein zu diesem
Zwecke im Haare stecken, was auch häufig bei den weiblichen Angehörigen der meisten
Küstenbewohner der Fall ist, gleichviel welcher Rasse oder welchen Standes Die Haartracht
der Männer unterscheidet sich gewöhnlich, außer durch die größere Pflege, dadurch von der
der Frauen, daß sie zwei Strähnen ihres Haares, eine an jeder Seite des Gesichtes vorne
herunterhängen lassen. Diese Strähnen werden gebildet, indem ein Teil des Haares dicht mit
Nähgarn umwickelt wird. Sie werden verschieden lang getragen und sind immer kürzer
als das über den Rücken herunterhängende Haar. Diese Strähnen heißen imAguaruna Akähit
(Abb. 4 und 5).
Zähne.
Die Zähne werden von beiden Geschlechtern schwarz gefärbt. Nach meiner Beobach
tung bedienen sich die Aguaruna dazu zweier Mittel: das am häufigsten angewandte ist
eine kleine Beere, die Frucht einer niedrigen, krautartigen, sehr dicht wachsenden Pflanze
von ihnen Yanamük genannt, mit der sie sich die Zähne direkt einreiben. Das andere
Mittel ist das Blatt einer Pflanze, von ihnen Piü genannt. Diese Blätter werden erst gekaut
und dann die Zähne damit eingerieben. Beide Farben sollen sich länger als eine Woche halten
Bemalen des Körpers.
Beide Geschlechter bemalen sich Gesicht, Hals, Arme und Brust. Bei Männern habe ich
außerdem auch noch Bemalung auf dem Bauche gesehen. Auch hier bleiben die Frauen weit
hinter den Männern zurück, was die darauf verwendete Zeit und Sorgfalt der Ausführung
anbelangt. Die häufigste, bei beiden Geschlechtern gleich vorkommende Bemalung ist die
sich Hände, Hals, Schultern und die oberen Teile von Brust und Rücken schwarz zu färben.
Wenn ich recht verstanden habe, so soll dieses einen praktischen Zweck haben, nämlich
die Stechmücken und Moskitos' abhalten. Die Färbung geschieht mit dem Saft einer
Frucht, die von den Aguaruna Süa, von den Weißen Huito (Genipa oblongifolia) genannt
wird. Die Zubereitung dieses Saftes geht, wie ich bei einem unserer Bootsleute gesehen habe,
auf folgende Weise vor sich: Die Frucht von der Größe und Form eines Gänseeis wird
erst geschält und dann stückweise gut gekaut. Die gekaute Masse wird dann auf ein wenig
Wolle des Balsabaumes (Ochroma piscatoria ?), welche auf einem frischen, breiten Blatte
liegt, gespuckt. Nachdem so die ganze Frucht gekaut ist, wird das Blatt darum geschlagen
und eine Zeitlang auf glühender Kohle geröstet. Mit der von dem Safte durchtränkten
Wolle werden die Körperteile eingerieben. Diese Farbe soll
ungefähr 14 Tage halten. Um Arme und Beine herum werden
mit der Süa auch parallele Linien in verschiedener Stärke
gemalt; hierzu bedient man sich kleiner hölzener Walzen mit
rundherumgehenden Einkerbungen, so daß das stehenblei-
bende Holz die Stärke der Linien gibt, während die Einker-
bungenden Zwischenräumen entsprechen. Diese kleinen Walzen
(Fig. 4) werden mit der Süa benetzt und dann auf den be-
treffenden Körperteil aufgewalzt. Die Aguaruna nannten die
Walzen Süa-pain-tömate, was jedenfalls soviel bedeutet wie
Holz, um damit die Süa oder ähnliches aufzutragen. Im
Gesicht, hauptsächlich aber auf der Brust und selbst auf dem
oberen Teil des Bauches werden mittelst eines Hölzchens ver-
schiedene Linien und zuweilen auch Figuren gezeichnet (Ab b.5,
Indianer links). Eine Figur, welche ich häufig beobachtet habe,
ist die umstehende (Fig. 5). Mit Süa färben sie auch von Zeit zu Zeit ihr Haar.
Fig. 4. Walzen.
8 Baessl er-Archiv.
■ «MiÄLÄji Miü e&häv --- •> W
5g HANS H. BRÜNING
Täglich wird das Gesicht mit Achiote (Ipäko) bemalt, das mit irgendeinem Fette zu
einer Salbe verrieben wird. Die Muster bestehen hauptsächlich aus runden Flecken von etwa
25—3° mm Durchmesser und breiten, symmetrisch angeordneten Strichen.
Vorzugsweise sind es zwei Flecken in der Gegend der Backenknochen. Ehe
„ . diese in dicker Farbe aufgetragen werden, reiben sie das Gesicht mit trocke-
Fig. 5- Bemalung. _ . . ö . . .
ner Achiote ein. Die Achiotesalbe wird in kleinen Bambusbüchsen aufbewahrt.
Außer diesen beiden Verzierungsarten habe ich auch eine wirkliche Tättowierung
beobachtet, aber nur bei wenigen Männern. Sie besteht aus Reihen schwarzer Punkte von
ungefähr i—1,5 mm Durchmesser auf dem Kinn, den Backen, der Nasenspitze und dem
Nasenrücken. Bei einigen habe ich diese Tättowierung nur an einer dieser Stellen, bei
anderen an mehreren Stellen beobachtet.
Kleidung.
Das einzige Kleidungsstück der Männer ist der Itipe, ein viereckiges Stück Zeug,
welches mittelst einer Schnur um die Hüfte gehalten wird und meist bis auf die Knöchel
reicht. Es ist hell und dunkelschokoladebraun gestreift. Ein Stück meiner Sammlung hat
140 cm Breite (um die Hüfte herum) und 70 cm Länge (von der Hüfte bis zum Knöchel).
Es ist aus zwei Stücken von je 70 X 70 cm zusammengenäht. Einige wenige tragen auch
schon Hemd, Hose und Mütze. Knaben gehen bis zu einem Alter von ungefähr 8 Jahren
vollständig nackt.
Das Kleidungsstück der Frauen „Tarätse“ ist etwas größer als das der Männer und ein-
farbig schokoladenbraun. Zwei an einer Seite liegende Ecken eines viereckigen Stückes
Zeug werden durch ein paar Nadelstiche zusammengeheftet oder auch nur durch eine Nadel
oder einen Dorn zusammengesteckt oder einfach zusammengeknotet. Nun wird es über den
Kopf gezogen, der linke Arm wird ebenfalls hindurchgesteckt, so daß die Verbindungsstelle
des Kleidungsstückes auf der rechten Schulter zu ruhen kommt und die linke Schulter un-
bekleidet ist; die rechte offene Seite wird übereinander geschlagen und durch einen Gürtel
um die Hüften zusammengehalten. Ich glaube beobachtet zu haben, daß der zusammen-
geheftete Teil immer auf der rechten Schulter zu liegen kommt1. Das Kleidungsstück reicht
den Frauen bis zur halben Wade oder bis zum Knöchel, die Mode scheint darüber noch
nichts vorzuschreiben. Alte Frauen und kleine Mädchen tragen das Gewand kürzer als junge
Frauen. Mädchen werden von Kindheit an bekleidet.
Das als Kleidung dienende Zeug ist jetzt schon vielfach europäisches Fabrikat,
wenigstens habe ich dies bei der Frauenkleidung beobachtet. Sie erhalten dieses durch Tausch
als gewöhnliches ungebleichtes Baumwollzeug (Tocuyo), das sie dann selber braun färben.
Ich habe gefunden, daß der Itipe der Männer immer eigenes Erzeugnis war. Vielleicht hat
dies seinen Grund darin, daß die Männer selber spinnen und weben.
Früher soll allgemein Bastkleidung in Gebrauch gewesen sein. In Huavico wurde mir
von einem Weißen gesagt, daß sie noch jetzt am Oberlaufe des Senepe getragen wird.
Ich konnte ein „Kamüs“ genanntes Stück Rindenzeug für meine Sammlung erwerben. Es
hat eine Länge von 92 cm und eine Breite von 100 cm. Die beiden an den 100 cm messenden
Seiten befindlichen Ecken sind zusammengeknotet, woraus ich schließe, daß es Frauen-
kleidung ist. Ein alter Curaca in Huavico stellte auf meinen Wunsch ein solches Stück neu
her; der Baum, dessen Rinde zu diesem Zeug benutzt wird, heißt auch ,,Kamüs“.
Zur eigenen Herstellung ihrer Kleidungsstoffe bauen die Indianer etwas Baumwolle
„Uhüts“, die sie selber spinnen und weben.
Als besonderen Schmuckgegenstand habe ich bei den Frauen nur einen Extragürtel
1 Obwohl meine einzige deutliche Photographie von ich das Negativ durch die Platte hindurch belichtet
Frauen (Abb. 3) das Gegenteil zeigt. Ich finde aber, daß habe.
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
59
'3T/M*«*4 /yiOAjCfAfiCo
Jcr£as tyexfyeis
bemerkt. Derjenige meiner Sammlung hat eine Länge von 154. cm und eine Breite von
3,5 cm, ist von schmutzig hellbrauner Farbe mit schwarzen Strichen und ist von den In-
dianern selbst gewebt. Die 4 cm langen überstehenden Kettenenden sind zu dünnen Zöpfen
geflochten. An jedem Ende hängen an der Unterkante verschieden bearbeitete Stücke
Schnecken oder Muschelschalen, die beim xA.neinanderschlagen einen Klang wie unsere Glas-
prismen geben. An den äußersten Enden befinden sich kleine Bündel Tukanfedern und als
Besonderheit noch ein kleiner Quast aus rotem Nähgarn und zwischen den Muschelschalen die
Spitzen von Tukanschnäbeln, sowie die Schalen einer Frucht. Alle Gegenstände, außer den
Federn, hängen an langen, dünnen Glasperlenschnüren.
Spinnen, Weben und Färben.
Zum Spinnen bedienen sich die Indianer der gewöhnlichen, noch überall in Perú ge-
bräuchlichen, einfachen Spindel ,,Ts(i)kit(a)u, nur mit dem Unterschiede, daß diejenige der
Aguaruna verhältnismäßig sehr groß ist. Das Exemplar meiner Sammlung hat 67cm Länge;
das Material ist Chontaholz. Der
Wirtel ,,Sémp(i)“ besteht aus einer
dünnen Scheibe von Schildkröten-
schale( ?) und hat 47mm Durchmesser.
Mit diesem einfachen Werkzeuge ver-
stehen sie ein sehr feines und gleich-
mäßiges Garn „Iköngamo“ herzu-
stellen.
Auch der Webeapparat unter-
scheidet sich wenig von dem allge-
mein in Perú gebräuchlichen. Ein
Unterschied besteht insofern, als die
Aguaruna die beiden Endender Kette
mit einem dünnen Stocke „Itsúve
kamantsá“ vereinigen, also eine Kette
ohne Ende bilden, während bei dem
Webeapparate der Küste die beiden
Enden der Kette jedes für sich an
eines der Webehölzer befestigt ist.
Ich glaube diesen Apparat nicht besser als durch nebenstehende Skizze (Fig. 6) zur An-
schauung bringen zu können. Das obere Holz „Númi payánko“ wird an irgendwelchem
Pfosten des Gebäudes aufgehängt; an dem unteren wird beim Weben eine Art Gurt „Yún-
gua“ befestigt, den der Weber um den Unterteil des Rückens nimmt, um so das Ganze mit
seinem Körper straff zu halten.
Im Schema ist „Höhac“ ein dünner Stock, an welchem mittelst kleiner Schlingen die
Hälfte der Kettenfäden befestigt sind zum. Zwecke desWechselns derselben. „Katsüi“ (Cachui)
ist ein im Querschnitte keilförmiges Holz, mit welchem der Einschuß festgeschlagen wird. „It-
sivay“ (Ichivay) ist der Breithalter. Das Webeschiffchen wird„Tsikit(a)u (Chiquita) genannt.
Zum Färben gebrauchen die Indianer das Blatt eines Baumes, von ihnen „Yamakäy“
genannt, die Farbe ist schokoladenbraun. Ich kann nicht angeben, ob sie die lose Baumwolle,
oder erst das Garn damit färben. Das von ihnen eingetauschte Zeug färben sie nachher.
Schmuck.
Ist die eigentliche Kleidung der Indianer auch sehr einfach, so sind die Schmuckgegen-
stände desto mannigfaltiger, besonders bei den Männern; im Gegensatz zu dem modernen
Spofya.c
Cr2;*H,**ea)
Fig. 6. Querschnitt eines Webstuhls.
6o
HANS H. BRÜNING
Kulturleben anderer Länder ist es bei den Indianern der Mann, der mehr Zeit zur Aus-
schmückung seines Äußeren verwendet als die Frau. Da letztere der arbeitende Teil ist, so
hat sie auch weniger Zeit dazu. Ich glaube die Schmuckgegenstände in zwei Klassen teilen
zu können: solche des täglichen Lebens, und solche, die nur bei festlichen Gelegenheiten in
Gebrauch kommen.
Zu der ersten Klasse gehören die Armbänder aus der Haut der „Iguana“ (einer großen
Eidechsenart). Die Haut wird quer zum Körper durchschnitten, so daß ein bis zwei Zenti-
meter breite, geschlossene Ringe entstehen. Angefeuchtet wird die Haut ausdehnbar, so daß
sie leicht über die Hand gestreift werden kann. Wenn sie dann später trocknet, schrumpft
sie wieder ein und wird am Herunterfallen gehindert. Solcher Bänder werden mehrere von
Männern und Frauen um die Handgelenke getragen. Auch die unter ihnen lebenden Gummi-
sammler haben diese Sitte angenommen. Es wird von diesen Hautringen behauptet, daß sie
die Eigenschaft besitzen, zu veranlassen, daß man bei der Arbeit nicht ermüdet und jede
Arbeit leichter erträgt.
Ferner gehört zu dieser Klasse das Halsband (Poekta), das von beiden Geschlechtern
gleichmäßig getragen wird. Dieses besteht jetzt fast allgemein aus einem ungefähr 3—4 cm
breiten Bande, das in geraden Querstreifen dicht mit kleinen, weißen Porzellanknöpfen
europäischen Fabrikates besetzt ist; es liegt fest am Halse an, etwa wie der „Sayuelo“
der dortigen katholischen Pfarrer. Vorne an dem unteren Rande desselben hängen Tier-
zähne, Samenkerne, kleine Nüsse und geschliffene Muschelschalen. Diese Muschelschalen
haben bei den Indianern einigen Wert und sollen nur etwas unterhalb des Pongo de Uta, an
der Mündung des Flusses gleichen Namens, Vorkommen. Obwohl ich bei meiner Rückreise
nach diesen Muscheln gesucht habe, konnte ich doch keiner habhaft werden. Damit will ich
aber nicht bestreiten, daß sie überhaupt dort Vorkommen. Mein Aufenthalt war zu kurz, um
genauer nachzusuchen; außerdem könnten sie ja auch nur zu bestimmten Jahreszeiten er-
scheinen.
Außer diesen Knopfhalsbändern findet man aber auch noch viele andere. Ader Halsbänder
meiner Sammlung sieht
man in Abbildung 6.
Nr. 1 ist eine sechzehn-
fache Schnur mit klei-
nen schwarzen, flachen,
quer durchbohrten Sa-
men. Alle diese Schnüre
liegen lose nebeneinan-
der, nur die drei unter-
sten sind durch daran
angebrachte Anhänger
verbunden. Die Anhän-
gerbestehen hauptsäch-
lich aus sieben Gruppen
von vier oder fünf zu-
sammenhängenden har-
ten,nußbraunen Frucht-
schalen, einer Art Nuß;
fünf dieser Gruppen
hängen an kurzen
Schnüren, auf welche
kleine rote Glasperlen
Abbild. 6. Halsbänder.
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
6 I
gezogen sind, von einer Gruppe sind drei Schnüre mit kleinen blauen Glasperlen und zwei
mit kleinen weißen Glasperlen bezogen; die Schnüre der siebenten Gruppe enthalten nur
die kleinen weißen Glasperlen. Zwischen diesen Fruchtschalengruppen hängen noch drei
geschliffene Muschelschalen, ebenfalls an einer mit Glasperlen bezogenen Schnur, welche
durch ein in die Muschel gebohrtes Loch gezogen wird, so daß die Muschel frei schwebt;
die Enden dieser Schnur sind dann an die dreifache Schnur geknotet.
Nr. 2. Eine achtfache, mit schwarzen Samen bezogene Schnur. Die Samen scheinen
dieselben wie bei Nr. I zu sein, sind nur etwas größer und besser ausgebildet; die acht Schnüre
sind flach nebeneinander durch etwa 2 cm voneinander entfernte Querschnüre verbunden.
4n jeder dieser Querschnüre befindet sich unten ein Anhängsel; sechs dieser Anhängsel be-
stehen aus einer Art Nu?, wie bei Nr. 1, in Gruppen von je zwei und drei angeordnet; die
Schnürchen, an denen sie hängen, sind mit denselben Samen wie die Hauptschnüre bezogen.
Die anderen vier Anhängsel, wovon drei je vier und die eine nur drei Schnürchen ent-
halten, bestehen aus größeren schwarzen Samen, von denen der letzte am unteren Ende
etwas größer ist als die oberen. . . ..
Nr 2 Eine vierfache Schnur mit größeren schwarzen Samen. Die einzelnen Strange
liegen lose nebeneinander und sind nur in der Mitte durch die daran gebundenen Anhängsel
verbunden. Diese bestehen aus zwei geschliffenen Muschelschalen verschiedener Gattung,
wovon die größere ganz flach ist; einer großen, fazettierten, blauen G asperle die an zwei
mit kleinen roten Glasperlen bezogenen Schnüren hängt, und einem kleinen Bündel, an-
scheinend aus Baumrinde, die zusammengelegt und dann an den Seiten mit Garn zu-
^ vielleicht eine Art Talisman,
sammengeheftet ist. bie entnair vieucieui . , ßU ^ .
Nr 1 Doppelte Schnur mit 34 Gruppen von zu je zwei angeordneten nußbraunen Frucht-
schalen'als Anhängsel. Die kurzen Schnüre dieser Anhängsel und ebenso die beiden Haupt-
schnüre sind mit blaßrosaroten Glasperlen bezogen. Alle diese Halsbänder reichen mit ihrem
Schmuck nicht ganz um den Hals herum, sie werden hinten mit einer dünnen einfachen
Die Frauen tragen außerdem viele Perlenhalsbänder, die vorne auf der Brust in größeren
und kleineren Bogen herunterhängen. Die Glasperlen sind ein begehrter Tauschartikel;
hauptsächlich habe ich blaue und weiße bemerkt. Halsbänder dieser Art kann man zu den
außergewöhnlichen Schmucksachen rechnen, denn sie werden nicht täglich umgehangt.
Die Frauen tragen immer ein Bündel von verschiedenen Samen und Nußschalen, das man
eigentlich nichfzu den Schmucksachen rechnen kann, weil es nicht sichtbar getragen wird.
Für die verschiedenen Samen wurden mir folgende Namen angegeben: Matot, Pangäna, Dope,
Tsanginake, Täitsimjits, Sa^nak und Siküt. Leider fehlte es mir seinerzeit an diesen Gegen-
ständen um sie einzeln mit ihren Namen zu versehen. Als ich spater ein Bündel für meine
Sammlung erhielt befand ich mich nicht mehr unter den Indianern und konnte sie nicht
mehr danach befragen. Nur von Siküt weiß ich, daß es Vanille ist. Außerdem muß dem Ge-
rüche nach zu rechnen auch Espingo dabei gewesen sein, welches mein Exemplar auch ent-
hält An das Bündel gebunden befindet sich auch der Haarkamm (Timüs). Das ganze Bündel
ist an einer langen dünnen Schnur an dem Gewand, da wo es auf der Schulter zusammen-
gehalten wird, befestigt und wird am Busen unter dem Kleidungsstück auf dem bloßen
K°rP7u iT AU tagsschmuck kann vielleicht auch ein kleines Bündel gelber und orangeroter
Federn des Tukan gerechnet werden, welches ich als Ohrschmuck bei beiden Geschlechtern
gesehen habe Diese kleinen Bündel Federn haben oben einen kleinen Knebel, der durch eine
im Ohrlappen befestigte Schnuröse gesteckt wird. Auf diese Art ist der Schmuck leicht
anzubringen und abzunehmen. Die Öse bleibt beständig im durchlochten Ohrlappen.
Vif der linken Seite des Maraiion, in Numpatcai, habe ich zwei alte Männer mit Ohr-
6 2
HANS H. BRÜNING
pflöcken (Kahist) gesehen. Es waren Stücke dünnes Rohr von ungefähr i cm Durchmesser
und 3 cm Länge, die sie durch die Ohrlappen gesteckt hatten. Von den Weißen daselbst
wurde mir gesagt, daß dieses das Unterscheidungsmerkmal der Antipa von den Aguaruna
gewesen sei, das früher von allen diesen Stammesangehörigen getragen worden sei.
Kopfschmuck.
Zu ihren Festen besteht der Galaschmuck etwa aus folgendem; Das lange Haupthaar
wird hinten mit einem Band umwickelt, an dessen Enden Bündel von bunten Federn und
ganzen Vogelbälgen oder Bündel von Federn und langem Menschenhaar hängen. Die eine
Art des Bandes ist gewebt und 13 mm breit und — doppelt zusammengenommen -—- je
44 cm lang. An den beiden Enden des zusammengenommenen Bandes befinden sich 28
Schnüre, auf jedem dieser Schnüre sind oben 3 schwarze Fruchtkerne, dann ein 85 mm langer
dünner Vogelknochen, wieder 2 Fruchtkerne, ein weiterer Knochen und wieder andere
2 Fruchtkerne gezogen. An dem jetzt noch frei stehenden Schnürende hängt je ein Vogel-
balg, fast alle dem Tukan angehörig, nur eins von einem spechtartigen Vogel und ein anderes
mit verschiedenen Flügeldecken von Käfern, wie sie auch zu Ohrschmucken verwandt
werden. Die Bälge hängen alle mit dem Schnabel an der Schnur; der Schädel ist heraus-
präpariert, ebenso fehlen die Beine; die Bälge sind mit einer pflanzlichen Wolle ausgestopft.
Die zweite Art ist eine geflochtene 3 mm breite Schnur von 218 cm Länge. An jedem Ende
ist mittelst eines Harzes ein Bündel Menschenhaar und 2 Bündel gelber und roter Tukan-
federn geklebt.
Wieder eine andere Art von Kopfschmuck sind breite gewebte Bänder mit langen, losen
Schnüren. Diese werden um den Kopf herumgelegt getragen.
a) ist 62 mm breit und 49 cm lang, die noch an beiden Enden überstehenden Ketten-
enden sind zu Schnüren gedreht und haben je 50 cm Länge. Mittelst zwei dieser Schnüre
ist das Band zusammengebunden, so daß es um den Kopf gelegt werden kann. Die übrigen
Schnüre hängen lose über den Rücken herunter, an einer der Schnüre ist ein kleines Bündel
gelber und blauer Vogelfedern gebunden. Der Teil des Bandes, der über die Stirn zu liegen
kommt, ist mit einer geschliffenen Muschelschale und mit einem Bündel gelber und roter
Tukanfedern verziert;
b) ist ein 53 mm breites und 43 cm langes Band; die beiderseitig gedrehten Schnüre
sind 49 cm lang;
c) ist 62 mm breit und 44 cm lang, die Schnüre 45 cm lang.
In allen drei Bändern kommen 3 Farben vor: weiß und 2 Nüancen braun.
Noch ein anderer Kopfschmuck besteht aus einem Reif, der aus spiralförmig gespaltenem
Rohre oder einer Liane (Tämsi von den Weißen genannt) hergestellt ist. Zwei solcher
Reifen werden übereinander gelegt und durch geflochtene Schnüre verbunden. Zwischen
diesen beiden Reifen befinden sich abwechselnd rote und gelbe Tukanfedern. Dieser Kopf-
schmuck heißt „TawäsV (Abb. 4, Krieger 4 von links.) Es hat einen Durchmesser von 17 cm.
Ein anderer Kopfreif besteht aus einem 6 cm breiten Tamsigeflecht, das mit dem Felle
eines Affenschwanzes überzogen ist. Dieses ist in der Mitte braun und schwarz. An einer
Kante hängt ein Vogelbalg. Der Kopfschmuck heißt „Atsehökta“. (Abb. 4, Krieger 2
von links.)
Auch habe ich als Kopfschmuck einen Reif von aneinander gereihten kugelförmigen
Blumen gesehen (wie unser Klee, aber kleiner) (Abb. 4, Krieger 3 von links).
Ohr schmuck.
Wie gesagt, tragen die Aguaruna beständig eine kleine Schlinge in dem durchlöcherten
Ohrlappen, die dazu dient, die verschiedenen Schmuckgegenstände aufzunehmen. Für
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
63
gewöhnlich ist es nur ein kleines Bündel Tukanfedern, das mit einem Harze zusammen-
gekittet ist. In Gala aber werden lange Strähnen aufgereihter Flügeldecken von zwei Käfer-
arten angesteckt. Diese Ohrschmucke heißen „Akite“. In folgendem werde ich einige
Arten beschreiben.
Fig. a. Der Ohrschmuck wird in einem kleinen knöchernen, durchlochten Knebel
befestigt und besteht oben aus zwei mit kleinen Glasperlen bezogenen Schnüren; hieran
hängen zwei Strähnen von aufgereihten grün schillernden Flügeldecken eines Käfers (Art
Laufkäfer ?), die unten je mit einem Bündel roter und gelber Tukanfedern endigen; oben
zu Anfang dieser Strähne hängen lose zwei Bündel dieser Federn, von denen eines außerdem
noch einen Haarbusch enthält. Das Ganze hat eine Länge von 30 cm, ist aber verhältnis-
mäßig sehr leicht im Gewicht. Dieser Ohrschmuck hat seinen besonderen Namen nach den
Käferdeckflügeln. (Akite-Töika.)
Fig. b ist dem vorhergehenden Schmucke fast gleich, nur daß die Haare und Glasperlen
fehlen. Der Knebel besteht aus zwei zusammengebundenen und mit Harz verkitteten Rohr-
splittern : ganze Länge 27 cm. . . ,
Fig c fehlen Federbündel und Knebel. Sie hat dafür oben ein mit Federn besetztes
Stückchen Tukanfell. Anstatt der Knebel sind oben die Schnüre verlängert zum Anbinden.
Ganze Länge 35 cm. ... Tr..r , „
Fig d Hier ist jede Strähne aus den Flügeldecken einer bestimmten Kaferart hergestellt,
von denen die eine „Toika“ (dieselbe, aus deren Flügeldecken a-c verfertigt sind), die
andere Wäwa“ genannt wird. Dieser letztere scheint ein Prachtkäfer zu sein. Er kommt
als Schmuck viel seltener vor. Der Ohrschmuck hat oben kleine, blaue Glasperlen und einen
ins Sem Knochensplitter hergestellten Knebel. Die ganze Länge beträgt 13 cm. Der be-
sondere Namen hierfür ist „Akite-Wäwa“. . .
Der Krieger an der rechten Seite (Abb. 4) trägt lange Ohrschmucke, wie sie eben
Billige europäische Ohrgehänge, die wir als Tauschobjekte mitgenommen hatten,
fanden keinen Anklang. rv 1 k
Ein Hauptschmuck ist der von den Aguaruna „Dopis“ genannte. Dieser besteht aus
einer großen Anzahl nebeneinander angeordneter Schnüre mit aufgereihten Samen; sie
werden paarweise getragen, über jede Schulter gehängt, so daß sie sich auf Brust und Rücken
kreuzen und reichen bis zu den Hüften herunter. Drei der Krieger auf Abb. 4 sind mit
diesem Schmucke behängen. , ., rs c-,
Ein Exemplar besteht aus 112 nebeneinander angeordneten Doppelreihen. Das Ganze
scheint nur eine einzige Schnur zu sein, die dann später in 112 Lagen nebeneinander an-
geordnet wurde Der Teil, der auf der Schulter zu liegen kommt, wird durch drei quer
geflochtene Schnüre zusammengehalten. In der Mitte befinden sich kurze mit kleinen farbi-
gen Glasperlen bezogene Schnüre, an deren Enden verschiedene Samenkerne hängen.
Nebeneinander gelegt, ergeben die 112 Schnüre eine Breite von 37 cm, die Länge von der
Schulter bis zur Hüfte ist 65 cm. Die kleinen, schwarzen Samen, von ungefähr 3 mm Durch-
messer heißen Düsip(e)“. Über diesen breiten Ketten werden noch andere, von weniger
Reihen getragen wie’ auf Abb. 4 zu sehen ist. Ein solches Exemplar besteht aus 6 Doppel-
reihen einer weißen beerenförmigen, aber harten Frucht (Yusana[gi]) von ungefähr 8 mm
Durchmesser. Auch diese sechs Reihen sind durch drei nebeneinander hegende Querschnüre
miteinander verbunden. Dieser Teil kommt auf die Schulter zu liegen. Ein anderes Exemplar
besteht aus zwei nebeneinander angeordneten Doppelreihen, auf die abwechselnd vier dieser
weißen Früchte und eine einer roten bohnenartigen Frucht gezogen ist. Die Länge der
Schnur von der Schulter bis zur Hüfte beträgt ebenfalls 65 cm.
Eine Art Gürtel, den die Aguaruna um die Hüfte legen, besteht aus geflochtenem Menschen-
64
HANS H. BRÜNING
haar. Die Gummisammler sagten, daß dieses Haar von besiegten Feinden herrühre. Auf mein
direktes Befragen verneinten die Indianer dieses, sie sagten, daß es von ihrem eigenen Haar
sei. Ich glaube aber, in diesem Falle den Gummisammlern recht geben zu müssen. Diebeiden
rechts stehenden Krieger tragen solche Gürtel.
Blasrohre.
Ihre Hauptnahrungsmittel erhalten die Indianer durch Jagd und Fischfang. Hierin
scheinen sie nun nicht sehr wählerisch zu sein; „alles, was da kreucht und fleucht“ ist will-
kommene Beute. Die Hauptjagdwaffe ist das Blasrohr. Aber man sieht auch schon viele
Jagdflinten, freilich der schlechtesten Sorte, und alle nur einläufig. Pulver, Schrot und
gegen Feuchtigkeit gesicherte Zündhölzer sind immer sehr begehrte Tauschartikel und sind
als solche jedem Reisenden dort zu empfehlen.
Das Blasrohr (öm) ist 2,5—3 Meter lang und verjüngt sich außen von unten nach oben.
Unten ist gewöhnlich ein gerades Mundstück aus Knochen eingesetzt. Das Blasrohr wird
aus zwei Längshälften aus Chontaholz hergestellt. Nachdem in jeder Hälfte roh ein halb-
runder Kanal geschnitten ist, werden die beiden Hälften über ein straff ausgespanntes Seil
gebunden, das mit Wasser und Sand bestrichen ist. Dann wird das Blasrohr auf ihm hin und
her geführt, der Sand schleift die Höhlung glatt und macht sie regelmäßig. Sind die beiden
Hälften so vorbereitet, so werden sie von dem Seil abgenommen, gut gereinigt und dann
endgültig zusammengefügt. Dieses geschieht, indem sie der ganzen Länge nach mit einer
Art Bast spiralig umwickelt werden. Darüber kommt dann eine Lage schwarzen Harzes
(Pengäi). Um dieses zu glätten, erhitzen die Indianer nach meinen Beobachtungen eine glatte
Topfscherbe über dem Feuer und fahren damit leicht über das Harz hin. Dieses schmilzt
dann zu einer glatten Flache. Auf dem Blasrohr, in der Nähe der Mundöffnung befindet sich
auch noch eine Zielvorrichtung (Omgomiö), bestehend aus einem kurzen, schmalen Stück-
chen Knochen, das in der Längsrichtung auf das Harz geklebt wird.
Als Geschoß (Qengak) dient ein dünner Splitter zweier verschiedener Palmarten,
„Kungük(i)“ und ,,Cingük(i)“ genannt. Von diesen Palmarten werden Stücke von etwa
20 cm Länge geschnitten, von denen man wiederum dünne Splitter der Länge nach abspaltet.
Sie werden dann durch Schaben mit dem Messer etwas geglättet und an einem Ende zu-
gespitzt. Die Spitzen werden dann gewöhnlich noch vergiftet mit „LTtsi“, besonders solche,
welche für größere Tiere bestimmt sind. Dieses Gift kommt in dünnen Bambusbüchsen durch
Tauschhandel vom Ucayali. Die Gummisammler dieses Flusses bringen es nach Iquitos
und Barranca, von wo es dann den Maranon hinauf gebracht wird. Einige Indianer machen
auch selber direkt diese Reisen, um das Gift zu erhalten. Das Utsi ist eine teigartige Masse
von schwarzer Farbe. Die Aguaruna bereiten auch selber ein Gift, welches sie „Ceäg“ nennen,
aber sie halten es nicht für so wirksam als das „Utsi“.
Um das Gift in den Tieren, welche zur Nahrung dienen sollen, unwirksam zu machen,
wird die Wunde gleich mit Küchensalz eingerieben.
Die Pfeile werden in einem Köcher aus dickem Bambusrohr (Tonta), in dem sich ein
Bündel eigens für diesen Zweck zubereitetes Stroh (Tsipäti) befindet, aufbewahrt. Das
Stroh verhindert, daß sie herausfallen, selbst wenn der Köcher auf den Kopf gestellt werden
sollte. Dieser Köcher wird mittelst einer Schlinge am Handgelenk getragen. Mit einer Schnur
an den Köcher befestigt, befindet sich eine Tot umafrucht, die mit dem Quichuawort „Mäti“
bezeichnet wird. Diese ist mit der Wolle des Balsaholzbaumes „Wambos“ (Quichuawort)
gefüllt, die durch eine kleine runde Öffnung herausgenommen werden kann. Soll der Pfeil
gebraucht werden, so nimmt der Jäger etwas von dieser vegetabilischen Wolle und wickelt
es um das stumpfe, also untere Ende des Pfeiles, so daß es die Öffnung des Blasrohres genau
ausfüllt. Vorher wird an der Spitze des Pfeiles etwa 3 cm unterhalb eine Kerbe eingeschnitten,
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
6.5
damit die Spitze mit dem Gift abbricht, wenn sie in ein Tier eindringt. Das Einkerben ge-
schieht mit den scharfen Zähnen eines Tieres, dessen Namen ich leider nicht erfahren konnte.
Der Unterkiefer dieses Tieres hängt an dem Köcher, der Name des Werkzeuges ist „Pani“,
Zum Reinigen des Innern des Blasrohres tragen sie am Köcher immer einen langen, auf-
gerollten Streifen eines biegsamen Rohres, der an einem Ende mit einem Busch der vege-
tabilischen Wolle versehen ist (Häpik).
Damit der Pfeil in seiner Flugbahn nicht zu viel von der geraden Linie abweicht, ver-
suchen die Aguaruna, immer möglichst senkrecht in die Höhe zu schießen.
In Huavico sah ich, wie ein größerer Knabe einen zufällig in das Haus geflogenen, etwa
taubengroßen Vogel mit dem Pfeile des Blasrohres durchschoß und an ein Holz des Daches
aufspießte. Die Höhe konnte ungefähr 7—8 m betragen.
Jagd.
Tiere, die hauptsächlich zur Nahrung dienen, sind zwei Arten Affen: der Brüllaffe:
Cotomono (Name der Weißen) oder Yaküm (Name der Aguaruna) und der Spinnenaffe:
Maquisapa (Name der Weißen) oder Wasi (Name der Aguaruna). Verschiedene Arten
Truthühner (Küyo, On?[e]), von denen ich 5 gesehen habe. Ein Hockohuhn: Paujiles
(Pivi, Mäsu), ein Trompetenvogel (Tsiva) und viele andere Vögel, deren Namen ich nicht
kenne. Im allgemeinen werden alle Vögel gegessen; selbst die kleinsten Kolibris werden nicht
verschmäht. Wie schon gesagt, habe ich gesehen, daß die Aguaruna die kleinen Schmuck-
vögel, nachdem sie sie abgebalgt hatten, ohne sie auszunehmen, an einen spitzen Stock
steckten, über dem Feuer brieten und verzehrten. Nur einen Vogel essen sie nicht; sie
nennen ihn „Qäga“; er hat die Form eines Fasanen, wird in größeren Schwärmen ange-
troffen und macht ein halb kreischendes, halb krächzendes Geschrei. Das Fleisch ist
von etwas bitterem Geschmack, wie ich mich persönlich überzeugen konnte, aber nicht so
schlimm, daß ein Halbverhungerter es verschmähen sollte. (Wissenschaftlicher Name; Opi-
sthocomus hoazin, Anm. des Korrektors,) Von den größeren Säugetieren werden folgende
nicht gegessen; Rind, Tapir (Pamäu), Ronsoco (Ungumiög) und Reh (Häpa) (besser: Hirsch,
Spezies der Gattung Mazama; Anm. des Korrektors). Vom Reh sollen die Aguaruna nach
Angabe der Gummisammler sagen, daß es der Teufel sei. Ronsoco ist ein großer Nager (Hy-
drochoerus capybara). Sollten diese Tiere wohl deshalb nicht verspeist werden, weil sie
mit den früheren, schwachen Waffen nicht haben erlegt werden können ?
Häufig werden weite Jagdzüge nach besonders waldreichen Gegenden unternommen.
Der ganze Haushalt: Männer, Frauen, Kinder, Hunde und besonders große Töpfe mit
Masato werden in eine Kanoa gebracht und diese dann zum Jagdgrunde gesteuert. Diese
Jagdzüge dauern wochen- und häufig auch monatelang. Das auf ihnen erlangte Fleisch
wird bald dauerhaft präpariert, soweit es nicht gleich als Nahrung dient. Zu diesem Zwecke
wird auf vier niedrigen Pfählen ein etwa ein Meter im Quadrat haltender Rost von dicht
nebeneinander liegenden Bambusrohren gebildet, worauf das Fleisch zu liegen kommt. Der
Rost wird oben dachartig mit Palmblättern zugedeckt. Unter dem Rost wird dann ein Feuer
angemacht; es wird aber darauf gesehen, daß es mehr Rauch als Flamme gibt. Das Fleisch
wird auf diese Art zugleich getrocknet und geräuchert. Dieser Apparat wird von den In-
dianern Pungämo genannt. Unsere Bootsleute bauten häufig diese Pungämos bei unseren
Lagern auf, wenn die Jagd reichlicher ausgefallen war, als wir für unseren Unterhalt
brauchten. Über dem Dach bängten sie dann auch ihre naß gewordenen Itipes auf.
Kommen die Indianer von einem solchen langen Jagdzuge heim, so werden alle Nach-
barn zu einem großen Feste eingeladen, wobei dann nach Angabe der Gummisammler mit-
unter in ein paar Tagen die ganze Jagdbeute von Monaten verzehrt werden soll.
Wie gesagt, ist die gebräuchlichste Jagdwaffe der Indianer das Blasrohr; doch fanden
wir auch häufig billige, einläufige Jagdflinten. Zum Tragen des Schießbedarfs haben sie eine
9 Baessler-Archiv.
66
HANS H. BRÜNING
Art Jagdtasche (Wampats). Diese ist netzartig aus selbstgedrehten Schnüren geflochten.
Die Schnüre drehen sie zwischen der flachen Hand und ihrem nackten Schenkel aus einer
Palmfaser, die von den Weißen „Tsambira“, von den Indianern „Kumäy“ genannt wird.
Diese Jagdtasche ist oben an der Mündung etwas enger als unten; sie wird mittelst eines
aus denselben Schnüren geflochtenen Bandes über der rechten Schulter unter dem linken
Arm getragen.
Fischerei.
Außer der Jagdbeute bilden auch Fische einen Hauptbestandteil der Nahrung der
Indianer. Die Fischerei wird von ihnen auf verschiedene Weise betrieben. Die größte
Ausbeute erlangen sie wohl durch Betäuben der Fische, wozu sie sich zweier Pflanzen be-
dienen, die jede für sich angewandt werden: eine krautartige Pflanze, von ihnen „Mäsu“
genannt und die Rinde einer Liane, „Timu“. Zum Gebrauche werden beide zerstampft und
dann in stille Buchten der Flüsse und Bäche geworfen. Die betäubten Fische kommen bald
an die Oberfläche, wo sie mit langen, spitzen Chontastöcken (Sikit) gespeert werden.
Diese Stöcke oder Speere sind von kreisförmigem Querschnitt und haben ungefähr 2 cm
Durchmesser und 3—3,5 m Länge,
Die Indianer machen beim Steigen der Flüsse schnell eine Estacada (eine Art Gitter)
von Bambusrohren quer über die Mündungen der Bäche und Buchten. Fällt nun das Wasser
wieder, so bleiben die Fische hinter diesen Estacadas zurück. Es Werden auch schon Angeln
benutzt, die ein begehrter Tauschartikel sind.
Außer diesen Hauptnahrungsmitteln aus dem Tierreiche sollen die Indianer nach
Angabe der Gummisammler auch eine große Käferlarve, welche in faulem Holze vorkommt,
verzehren.
Vegetabilische Nahrung.
Nicht minder zahlreich als die Nahrungsmittel aus dem Tierreich sind die aus dem
Pflanzenreich; hier kann man unter selbstgebauten und wildwachsenden Pflanzen unter-
scheiden. Zu ersteren gehören die Yuca (Mama, die giftfreie Manihot), die Banane (Pandäp),
die Erdnuß (Düse) und vielleicht auch die süße Kartoffel ,,Camote (Intsi)“.
Die Felder befinden sich gewöhnlich mitten im Walde. Hier werden von dem Mann die
Bäume gefällt, so daß eine freie Fläche entsteht. Er bedient sich jetzt dazu stählerner Äxte
amerikanischen Fabrikates, die er auf dem Tauschwege erlangt. Vor nicht langen Jahren
sollen aber noch steinerne Äxte im Gebrauch gewesen sein. Trotz aller Umfrage habe ich aber
keine zu Gesicht bekommen. Die übrige Arbeit, das Abbrennen der Zweige (die Stämme
bleiben angekohlt liegen), Säen und Ernten ist Sache der Frau.
Die Hauptkulturpflanze ist die Yuca (Mama). Sie liefert das Material zu dem Getränke
der Indianer, dem Masato (Name der Weißen) oder Nijamäntsi (Name der Aguaruna).
Die Nahrung, welche die Indianer den wildwachsenden Pflanzen entnehmen, ist sehr
reichhaltig und es wäre von großem Nutzen für einen Reisenden in den Urwäldern des oberen
Maranon, diese zu kennen; denn häufig zwingen ihn die Umstände, von den Nahrungsmitteln,
welche die Natur ihm bietet, Gebrauch zu machen. Mit welcher Gier haben wir mitunter
eine unscheinbare Frucht verschlungen, welche uns die Indianer als eßbar bezeichneten!
Einer der größten Feinde der Reisenden in jener Gegend ist immer der Hunger. Während
meiner kurzen Reise mit den Aguaruna habe ich die zarten Blattschößlinge zweier Palmen
als eßbar kennen gelernt; die Namen der Palmen waren „Tuntuam“ und „Uyäy“. Um zu
dieser Nahrung zu gelangen, wird der ganze Baum umgehauen, welches mir oft in der Seele
weh getan hat; aber der Hunger treibt zu vielem. Die Schößlinge werden entweder roh oder
in Wasser gekocht gegessen. Von denen auf letztere Art zubereiteten wird auch das Wasser
als Suppe genossen. Ich habe den Geschmack dem des Weißkohl ähnlich gefunden.
Von wildwachsenden Früchten habe ich folgende gegessen oder essen sehen: Die Nuß
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
6 7
des vegetabilischen Elfenbeins vor ihrer vollständigen Reife; sie wird von den Indianern
„Tsapi“, von den Weißen „Tagua“ genannt. Die Frucht einer Passiflora, „Antsimuntse“
genannt; diese ist sehr wohlschmeckend, ähnlich unserer Stachelbeere. Eine Frucht „Na(ha)-
häip“, die die Größe einer kleinen Apfelsine hat und auch gelb ist wie diese, in der Schale aber
dicker und fester; der Kern ist groß, so daß nur sehr wenig für ein süßes, wässeriges Fleisch
übrig bleibt. Diese Frucht gedieh am Ostfuße des Gebirgszuges, etwas oberhalb Nazarets am
Maranon. Auchfanden wir an den Seitenarmen des Maranön die in der Quichuasprache „Pacäy“,
an der Küste des Nordens Perus „Huava“ genannten Früchte; sie hängen am Maranon
aber nicht an großen Bäumen, sondern an niedrigen Büschen. Ebenso war auch die Schote
hier nur höchstens io cm lang, anstatt wie an der Küste bis zu 50 cm; im übrigen schienen
mir beide Früchte gleich zu sein. Die Indianer nennen die in ihrem Gebiete wachsende
Frucht „Wämbokis“. Sie besteht aus einer dunkelgrünen, lederartigen Schote, worin sich
eine weiße, baumwollartige, süße Masse befindet, in der die schwarzen, bohnenförmigen
Kerne eingebettet liegen. Die weiße Masse wird gegessen. Dieses sind die Nahrungsmittel des
Urwaldes, die ich beobachten konnte; es wird aber jedenfalls noch viel mehr geben.
Soweit es sich um gekochte Nahrungsmittel handelt, habe ich bemerkt, daß alle ohne
Salz zubereitet werden. Beim Vorsetzen des Essens wird aber ein Stück Salz dazu gelegt.
Ist nun das Gericht flüssig, so nimmt der Indianer das Salz zwischen zwei Finger und rührt
damit in der Flüssigkeit herum, damit sich etwas davon auflost. Sonst wird es von Zeit zu
Zeit zum Munde geführt und daran geleckt. Das Salz ist bei den Aguaruna sehr knapp. Sie
erhalten es vom oberen Maranön, wo sich einige salzige Bäche befinden sollen, aus deren
Wasser sie es mühsam in großen Kochtöpfen abdämpfen, wobei dann das Salz als schmutzig
aschfarbener Kuchen im Boden des Topfes zurückbleibt. Das Salz heißt in Aguaruna „Wig“.
Ob die Indianer bestimmte Zeiten zum Einnehmen ihrer Mahlzeiten emhalten, habe ich
nicht beobachten können. Die wenigen Male, die wir in ihre Tambos gekommen sind, wurde
uns kaltes Essen aus einem der vielen Kochtöpfe dargereicht. Sie scheinen also schon das
Kochen auf Vorrat“ zu kennen. Flüssige Speisen, z. B. eine Art Suppe, wurde in flachen
Schalen Pininge“ und festes Essen auf einem großen Pflanzenblatt gebracht, immer mit
einem kleinen Stück Salz dabei. Einmal habe ich auch in einer Suppe die grobgeschnittenen
Blätter der Yucapflanze gefunden, die mitgekocht waren. Das Flüssige wird direkt aus der
Schale getrunken, das Feste mit den Händen zu Munde geführt. _
In den Tambos finden sich immer Töpfe mit Wasser. Ich habe sie an einer dicken Schnur
von der Decke hängen und auch auf einem oben dreigabeligen, in der Erde feststehenden
Pfahl gesehen Nach der Mahlzeit nimmt der Indianer einen Mundvoll dieses Wassers, spült
sich damit den Mund aus und spritzt es dann mit Gewalt in einem starken Strahl über
Stm WPe^chon gesagt, befindet sich vor jedem Bette eine Feuerstätte, bestehend aus drei
drehrunden Knüppeln eines besonderen Holzes, alle von derselben Dicke, welche stern-
förmig 1 zusammengelegt sind; sie dienen zugleich als Stützen des Kochtopfes. Es schien
mir ak wenn der größte Teil der Nahrungsmittel in Wasser gekocht wird. Auch habe ich
gesehen, daß das Fleisch in große frische Pflanzenblätter eingewickelt und so ins Feuer ge-
lebt wurde Das Fleisch bleibt auf diese Art sehr saftig. Andererseits wird das Fleisch, auch
ohne in Blätter eingewickelt zu sein, direkt auf die glühenden Kohlen gelegt, wie es hier an
der Küste häufig getan wird.
Masato. Nijamäntsi.
Als Genußmittel bereiten die Indianer ein Getränk aus Yuca; aber es ist nicht allein
Genuß- sondern auch ein kräftiges Nahrungsmittel, wie auch aus der Zubereitungsart
ersehen’werden kann. Die Zubereitung ist folgende: Nachdem die Yuca geschält und ge-
9*
68
HANS H. BRÜNING
waschen worden ist, wird sie querdurch in etwa 8 oder io cm lange Stücke geschnitten, so daß
sie bequem in den Kochtopf geht. Wenn der Topf bis oben damit angefüllt ist, wird
Wasser darauf getan, so daß die ganze Yuca davon bedeckt wird. Hierauf wird der Topf
mit einem großen Pflanzenblatt zugebunden und dann aufs Feuer gesetzt, bis die Yuca gar
ist. Das Wasser wird dann abgegossen. Wenn die Yuca erkaltet ist, nehmen die um den
Topf herumsitzenden Frauen einen Teil der Yuca, um sie zu kauen und spucken die ordentlich
durchgekaute Masse wieder in den Topf. Dann wird das Ganze mit einer Art großen Koch-
löffel zu Mus gedrückt, so daß sich die gekaute Masse zwischen die andere Yuca verteilt.
Diese Masse heißt „Nijamantsi“, und ist jetzt fertig zum Gebrauch. Um nun das Getränk
zu bereiten, nimmt die Frau eine Handvoll dieses Muses und tut es in eine Art Durchschlag,
eine Totumaschale mit kleinen Löchern. Über der Trinkschale wird jetzt eine gewisse Menge
Wasser dazu getan, und dasMus mit der Hand umgerührt; das Wasser mit den Stärkekörnern
läuft dann durch die Löcher in die Trinkschale. Die Fasern bleiben in der Tutuma und
werden nachher weggeworfen.
Dieses Yuca-Mus wird immer in großen Mengen hergestellt, die Töpfe werden mit
Blättern zugebunden, und es geht dann bald in Gärung über, indem es einen säuerlichen
Geruch und Geschmack annimmt. Das aus dieser gegorenen Masse hergestellte Getränk ist
sehr erfrischend, schmeckt ähnlich wie Buttermilch und sieht auch so aus. In diesem Zu-
stande ist es leicht berauschend; aber es gehören schon große Massen dazu, um einen kleinen
Brand zu bekommen. Ich habe es nie fertig bringen können, denn ich war schon immer ge-
gesättigt, ehe der Trank seine Wirkung tun konnte. Die Indianer können eine unglaubliche
Masse dieses Getränkes vertilgen und werden dann auch etwas berauscht. Alles können
sie entbehren, nur die Nijamantsi nicht.
Als wir den Maranon hinunterfuhren, ließen wir ungefähr der Mündung des Santiago-
flusses gegenüber unter einem von früheren Reisenden auf dem hohen Ufer des Maranon
erbauten Schutzdache den Hauptteil unserer Nahrungsmittel, bestehend in Masato und
Bananen, da wir in ein paar Tagen wieder von Puerto Melendez, dem Ziel unserer Reise,
zurück zu sein dachten und wir unsere Kanoas ohne Last so leicht wie möglich durch
den Pongo de Manseriche bringen wollten. In Puerto Melendez angelangt, fing der Maranon
aber so stark an zu steigen, daß wir für mehrere Tage dort zurückgehalten wurden. Als wir
endlich unsere Rückreise antreten konnten und an den Aufbewahrungsort unserer Nahrungs-
mittel kamen, fanden wir nur ein großes Schlammfeld vor. Der Maranon war in jenen Tagen
ungefähr 6 m gestiegen, das Schutzdach war umgefallen und alles mit Schlamm bedeckt.
Obwohl nun wenig Hoffnung bestand, etwas von unseren Nahrungsmitteln wieder zu finden,
ließen sich die Indianer die Mühe nicht verdrießen, in dem Schlamm und unter dem ge-
fallenen Schutzdach nach den Masatotöpfen zu suchen, und waren auch so glücklich, sie zu
finden, aber dem Geruch nach zu urteilen, befand sich der Masato in stark verfaultem Zu-
stande. Das hinderte sie aber nicht, die Masse ohne Wasser mit Gier zu verschlingen.
Krankheiten.
Die Aguaruna scheinen im allgemeinen gesund zu sein. Im Falle einer Krankheit wird
fern von der Siedelung an einer einsamen Stelle im Walde eine kleine Hütte errichtet, wo der
Kranke so lange bleibt, bis er wieder gesund ist oder stirbt. Uber die Pflege habe ich nichts
erfahren; die vorhergehenden Angaben habe ich von den Gummisammlern.
Besonders gefürchtet sind bei den Indianern der Husten und der Blutdurchfall. Wir
wurden immer von den Gummisammlern davor gewarnt, zu husten, weil dann alle Indianer
sich zurückziehen würden. Ein Beispiel davon hatten wir auf unserer Reise den Maranon
hinunter bei einer Indianersiedelung „Chipe“. Man hatte uns gesagt, daß wir hier einige
Lebensmittel, wie Hühner, Bananen und Yuca eintauschen könnten. Als wir aber anlegen
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
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wollten, erhob sich ein Geschrei, die Frauen nahmen ihre Kinder und flohen mit ihnen in die
Häuser, die Männer sprachen unter Gebärden, die uns sehr wenig freundschaftlich vor-
kamen, und so mußten wir weiter fahren, ohne den Grund zu kennen; denn von unseren drei
indianischen Bootsleuten konnte keiner ein Wort spanisch sprechen. Als wir später mit
Indianern zusammentrafen, die etwas spanisch konnten, erfuhren wir, daß von dem Chef
der Gummisammler das Gerücht verbreitet worden war, wir seien krank und hätten den
Husten. Dieser Gummisammler war nämlich sehr eifersüchtig auf seine Alleinherrschaft in
jener Gegend und tat alles mögliche, Leute von außerhalb von der Gegend fern zu halten.
Dies war vielleicht auch der Grund für ihn, die Indianer kein spanisch zu lehren.
Die gewöhnlichen Krankheiten werden vom „Brujo“ kuriert. Brujo ist der allgemeine
peruanische Name für Kurpfuscher und Hexenmeister; den Aguarunanamen habe ich nicht
erfahren können. Ich hatte Gelegenheit, einer Behandlung von seiten eines Brujo in einem
Tambo in Huaracayo beizuwohnen. Wir befanden uns abends im Hause einiger Gummi-
sammler, als von dem in der Nähe gelegenen Indianertambo ein sonderbarer Gesang herüber-
tönte. Es wurde mir gesagt, daß der Brujo bei der Arbeit sei. Ich machte mich sogleich auf,
diesem Akte beizuwohnen. Der Tambo war vollständig dunkel; man hörte weiter nichts als
die kräftige Stimme des Brujo und dazwischen wieder das Schmerzgewinsel einer Frau.
Es wurde mir gesagt, daß die Frau einen Schmerz im Bein hatte. Der Brujo sang mit kräftiger
Stimme; dann wieder rauchte er stark eine Zigarre, den Rauch verschluckend; dazwischen
sog er laut an dem schmerzhaften Teil des Beines der Frau; darauf knirschte er mit den
Zähnen, machte, als wenn er sich erbrach und spuckte aus, jedenfalls damit anzeigend, daß
er einen fremden Gegenstand aus dem Bein gesogen hatte. Wie oft er dieses wiederholt
und wie lange die Behandlung gedauert hat, kann ich nicht angeben. Der Brujo machte alles
so natürlich, daß mir übel dabei wurde und ich den Tambo verlassen mußte, um mich nicht
selber zu erbrechen.
Dieser selbe Brujo, mit Namen Kuja, hatte uns einen Streich gespielt. Als wir nämlich
durch das Anschwellen des Maranön in Melendez etwas länger aufgehalten wurden, als wir
vorausgesehen hatten, hatte dieser Brujo gesagt, er hätte gesehen (im Geiste), daß wir alle,
Reisende und die indianischen Begleitmannschaften an den Pocken gestorben wären.
Infolgedessen war in der Ansiedelung von Huaracayo, woher unsere Bootsleute stammten,
ein großer Jammer ausgebrochen, und es waren schon Vorbereitungen getroffen worden, das
Totenfest zu feiern. Als wir nun zurückkamen, fanden wir eine große Menge Indianer ver-
sammelt, uns zu empfangen. Der Brujo, dem wir durch unser Zurückkommen einen Strich
durch seine Rechnung gemacht hatten, schien mir etwas verlegen zu sein, denn er hielt sich
abseits und lächelte nur von Zeit zu Zeit etwas verlegen.
Die Indianer wenden verschiedene Pflanzen zum Kurieren ihrer Krankheiten an. Ich
hatte von diesen eine kleine Sammlung in Huavico angelegt. Als wir aber beim Hinauffahren
des Maranön Schiffbruch erlitten hatten und den Weg von Nazaret bis Bagua Chica zu Fuß
durch den Urwald machen mußten, blieb diese Sammlung wegen Mangels an Trägern in
Nazaret zurück. Die Sammlung bestand aus folgendem;
Pihipi — Zwiebel einer Art Binse; wird gegen Insektenstich angewandt, indem die
gestochene Stelle damit eingerieben wird.
Sapäta — Nuß eines Baumes, von den Weißen Avila genannt; gegen Zahnschmerzen.
Asängo — Samenkörner; gegen Blutdurchfall.
Otuntü — eine Abkochung dieser Pflanze wird sowohl innerlich als äußerlich gegen
Schlangenbiß gebraucht.
Angpängban — die Blätter gegen Schlangenbiß.
Künakip — die Blätter gegen Schlangenbiß und Kolik.
70
HANS H. BRÜNING
Maikuä — dieses gibt man den Kindern von Zeit zu Zeit, um sie zu reinigen, ohne
daß sie krank sind.
Zangu — Tabakpflanze.
Nähere Angaben kann ich leider nicht darüber machen. Ich hatte solche jeder Pflanze
beigefügt, und sie gingen mit ihnen verloren. Diese kurzen Angaben entstammen meinem
W ort Verzeichnis.
Familien.
Unter den Aguaruna herrscht die Vielweiberei. Ich habe von Häuptlingen gehört, die
bis zu zehn Frauen hatten. Die Zahl scheint davon abzuhängen, wie viele der Mann ernähren
kann. Von einem Indianer, der uns als Ruderer begleitete und sehr kurzsichtig war, wurde
gesagt, daß er nur eine Frau hätte, weil er wegen seiner schlechten Augen nicht ordentlich der
Jagd obliegen könnte.
Der Häuptling bildet mit seinen Frauen und Kindern eine Hausgemeinschaft. Der
Hausvorstand wird von den Weißen mit dem Quichuaworte Kuräka = Häuptling benannt;
die Indianer gebrauchten dasselbeWort auch im Gespräch mit uns. Ob sie ein Aguarunawort
dafür haben, habe ich nicht ausfinden können; es ist aber anzunehmen. In zwei Fällen, die
ich beobachtet habe, lebte der Schwiegersohn im Tambo des Schwiegervaters; ich kann
aber nicht angeben, ob dieses die Regel ist.
Es schien mir, als wenn verhältnismäßig wenige Kinder vorhanden waren. Damit
scheint es auch zusammenzuhängen, daß die Mütter die Kinder sehr lange säugen; bis zu
vier Jahren, wurde mir gesagt. Selbst habe ich beobachtet, daß die Kinder zur Mutter liefen
und die Brust verlangten. Die kleinen Mädchen, die ich gesehen habe, waren sehr schüchtern
und furchtsam und schmiegten sich sogleich an ihre Mutter, sobald sich einer von uns näherte,
und nahmen selbst Geschenke nicht entgegen; nicht so die Knaben, die sich gleich zu meinen
Freunden machten.
Ein festes Heiratsalter scheint nicht zu existieren. Ich habe in einem Falle ein Mädchen
von höchstens io Jahren mit einem alten Indianer verheiratet gesehen. Das kleine Ding
hantierte, ihrer Würde bewußt, im Hause wie eine Alte. Geschlechtliche Verbindung sollte
aber noch nicht Vorkommen.
Man erkennt die verheiratete Frau an einem schmalen Bande, das um die Muskel des
Oberarmes liegt; ich habe aber leider keine Aufzeichnungen darüber gemacht, auf welchem
Arme. Da dieses Band (Patäko) meistens sehr jungen Personen angelegt wird und es nicht
abgenommen werden darf, so wächst das Fleisch mit der Zeit fast über dieses Band zusam-
men und verdeckt es mitunter. Eine Witwe in Huaviko nahm ihr Band in meiner Gegenwart
ab und verehrte es mir; es ist 12 mm breit und 21 cm lang.
Tragen.
Frauen und Männer, wenn sich letztere überhaupt dazu bequemen, tragen ihre Lasten
in Körben ziemlich tief auf dem Rücken, mittelst eines Tragbandes, das auf den Kopf zu
liegen kommt.
Es gibt zwei Arten von Körben. Die eine Art, die besonders die Frauen zum Tragen
benutzen, ist ein ovaler Korb, ungefähr 40 cm lang, 30 cm breit und 30 cm hoch. Der andere,
der fast nur von Männern gebraucht wird und zum Aufbewahren ihrer Sachen bestimmt ist,
ist ungefähr 25 cm breit und ebenso hoch. Dieser ist doppelwandig mit einer Blätterein-
lage dazwischen, so daß er wasserdicht ist und hat außerdem einen Deckel. Solche Körbe
werden mit einem kurzen Tragband frei in der Hand getragen. Beide Korbarten sind aus
gespaltenem Rohr, unserm Stuhlried ähnlich, hergestellt.
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
71
Klettern.
Beim Besteigen hoher und glatter Stämme befestigen sich die Indianer die Enden eines
kurzen Stückes einer festen Liane an je eines ihrer Beine zwischen Fuß und Knöchel. Die
Bucht, welche die Liane bildet, umschlingt beim Besteigen der Bäume einen Teil des Stam-
mes und gibt ihnen so einen sichereren Halt, als wenn sie sich nur mit den Beinen halten
wollten.
Schnäuzen.
Beim Schnäuzen umfassen sie den Unterteil der Nase mit Daumen und Zeigefinger und
schnäuzen sich dann in die hohle Hand. Den Schleim schlenkern sie dann ab und reinigen die
Hand an irgendeinem Gegenstand, teilweise auch ohne vorheriges Abschlenkern. Nie habe
ich aber gesehen, daß sie-die Hand an ihren Kleidungsstücken gereinigt hätten.
Sprechen.
Beim Sprechen und Lachen halten sie häufig die hohle Hand vor den Mund, wie zwei
der Indianer in der Gruppe rechts auf Abb. 7* Geraten sie in einem Gespräch in Eifer, dann
spucken sie häufig dazwischen aus.
Sehr merkwürdig sind die langen Reden oder Gebete, wie man sie nennen will, welche die
Indianer des Morgens halten. Diese werden sehr schnell gesprochen, aber mit einem Tone,
welcher von ihrem gewöhnlichen Gesprächston abweicht. Auch bei diesem spucken sie
häufig aus und stampfen von Zeit zu Zeit mit einem Fuße (siehe Nankijukima 75).
Ihre Verwunderung über irgend etwas geben sie durch ein sanft ausgesprochenes, lang
gedehntes ,,gwä“ zu erkennen.
Intelligenz.
Obwohl es bei einem so kurzen Aufenthalt unter den Indianern nicht berechtigt scheint,
ein Urteil über ihre geistigen Fähigkeiten abzugeben, so möchte ich doch nicht ganz und gar
darüber schweigen. Die Indianer sind mir im allgemeinen ziemlich aufgeweckt vorgekommen.
Besonders habe ich dieses bei Knaben von ungefähr 5—8 Jahren bemerkt. Ich kann sagen,
daß einige ans unsere Wünsche förmlich von den Augen absahen. Treten sie später in das
Mannesalter ein, so werden sie zurückhaltender. Für alle ihnen unbekannten Gegenstände
legten sie das größte Interesse an den Tag, deren Gebrauch kennenzulernen. Kindlich
freuten sie sich, wenn ich sie durch mein Zeißglas sehen ließ, das die entfernten Gegenstände
wie zu ihren Füßen heranzauberte.
Kriegswaffen.
Wie das Blasrohr die Waffe für die Jagd ist, so ist die Lanze die Waffe für den Krieg.
Zugleich ist sie eine Waffe der Etikette, denn ein Mann geht ohne seine Lanze nie aus dem
Hause, und wenn es auch nur zum nächsten Nachbar wäre. Sie ist die Waffe der Mannes-
würde.
Bei meinem Besuche waren allgemein Lanzen mit eisernen Spitzen im Gebrauch. Die
Spitze (Fig. 7) hat unten eine Tülle, in welcher der Schaft mittelst eines Harzes be-
festigt wird. Die Lanze hat eine Länge von 21/i—3V2 Meter. Die eisernen Spitzen
sollen sie auf dem Tauschwege von den Indianern des oberen Senepa erhalten. Sie
sollen aus Ecuador stammen. Die Lanze mit eiserner Spitze wird von den Aguaruna
„Nänki“ genannt. Früher wurden Lanzen aus dem Holze der Chonta-Palme gebraucht,
die auch noch vereinzelt verkommen. Ihre Spitze ist in der Form wie die eiserne,
hat aber einen etwas konkaven Querschnitt; Schaft und Spitze bestehen aus einem
Stück. Diese Chonta-Lanzen werden von ihnen mit dem Namen „Angös“ belegt.
In allen Tambos fand ich aber auch Winchesterkarabiner vor, die sie von den Fis- 7-
Kautschuksammlern gegen Gummi eintauschten. Da sie aber gewöhnlich keine
72
HANS H. BRÜNING
Patronen dazu haben, dienen sie ihnen nur als Prunkwaffe. Überhaupt lieben sie sie als
wirkliche Waffe nicht, weil sie sagen, daß der Knall derselben ihnen das Wild verscheucht.
In ihren Tambos haben sie eigene Gestelle, in welchen alle Waffen senkrecht und in der
größten Ordnung aufgestellt sind; besonders wird bei den Blasrohren auf eine senkrechte
Stellung gesehen, damit sie sich nicht durchbiegen.
Krieg.
Zwischen den Aguaruna, welche die Ufer der rechts in den Marañón einmündenden
Flüsse bewohnen, und den Huambisa des oberen Santiago besteht eine alte unversöhnliche
Feindschaft, trotzdem sie zu einer Sprachgruppe gehören. Diese Feindschaft scheint schon
bis vor die Eroberung Perüs durch die Spanier zurückzugehen. Die Inka sind augenscheinlich
nur bis zum rechtsseitigen Ufer des Marañón vorgedrungen, weshalb die Aguaruna auch viele
Quichua-Wörterinihre Sprache auf nahmen. Nach der Eroberung durch die Spanier waren diese
Indianer auch leichter geneigt, das Christentum anzunehmen. Es gab rechtsseitig des Mara-
ñón verschiedene Missionsstationen. Freilich drangen die Spanier auch auf der linken Seite
dieses Flusses vor, aber die Belästigungen durch die unabhängigen Jivaro waren beharrlich,
wodurch besonders auch die sogenannten zahmen Indianer zu leiden hatten. Diese gegen-
seitigen Belästigungen dauern nun bis heute, obwohl in geringerem Maße, fort.
Plötzlich fällt die eine Partei über die andere her und macht alles Lebende nieder, außer
den jungen Frauen, die als Kriegsbeute lebend mitgeschleppt werden. Den Männern wird der
Kopf abgeschnitten, um später verkleinert zu werden und dann als Kriegstrophäe zu dienen.
Diese Kriegszüge werden von den Weißen „Correrías“ (Streifzüge) genannt.
Der Feind wird nie offen angegriffen. Vorher wird erst spioniert, wie er ahnungslos
überfallen werden kann. Ist alles vorbereitet, so überfallen sie mit Geschrei das Haus, machen
alles mit ihren Lanzen nieder und verschwinden dann mit ihrem Raube, ehe Hilfe herbei-
kommen kann. Gewöhnlich geschehen die Überfälle früh des Morgens bei Mondschein,
nachdem, sie sich lautlos an das Haus herangeschlichen haben. Ich ließ mir von verschiedenen
Aguaruna einen Scheinüberfall vormachen.
In letzter Zeit haben diese Correrías ziemlich abgenommen, nichtsdestoweniger sagte
man mir bei meinem Aufenthalte im Muchingis-Fluß-Gebiet, daß die Indianer sich vor-
bereiteten, ihre Todfeinde, die Huambisa, zu überfallen. Das Orakel war ihnen nur noch nicht
günstig gewesen. Um nämlich zu wissen, ob die Correría einen glücklichen Ausgang haben
wird, genießen sie den narkotischen Absud einer bestimmten Liane, wodurch sie in eine Art
Träumerei versetzt werden, und deuten aus den Bildern, die ihnen dann erscheinen, den
glücklichen oder unglücklichen Erfolg. Diese Liane heißt in Aguaruna „Naktem“, die
Weißen benennen sie mit dem Quichua-Wort „Ayahuäsca“ (Totenstrick).
Als wir in Puerto Meléndez durch Anschwellen des Marañón am 2. Juli einige Tage
zurückgehalten wurden, konnten wir erst am 10. Juli 1902 unsere Rückreise durch den
Pongo de Manseriche fortsetzen. In der Mitte dieses Pongo trafen wär eine Familie von
Aguaruna an — einTeil einer größeren Gesellschaft — es waren ein Mann, zwei junge Mädchen,
eine etwas ältere Frau mit einem Säugling, zwei große Kinder und die unvermeidlichen
Hunde. Man sah es ihnen an, daß sie Hunger gelitten hatten. Beim Übernachten an dieser
Stelle hatte ihnen der Strom ihreKanoa fortgerissen, und so waren sie 8 Tage lang ohne Essen
geblieben. Eine zweite Kanoa, in welchem weitere Mitglieder der Gesellschaft waren, war fort-
gefahren und konnte der starken Strömung wegen nicht wieder zurückkommen.
Ein Augustiner-Mönch, welchen wir bei uns hatten, erzählte uns, daß diese Indianer
vor ungefähr einem Jahre nach Barranca gezogen wären. Während ihres Aufenthaltes dort-
selbst entsprang eine Indianerin der Huambisa, die auf einem früheren Streifzuge als Beute
heimgebracht worden war. Die Indianer, die wir hier im Pongo trafen, nahmen Teil an der
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA 73
Verfolgung dieser Indianerin, konnten derselben aber nicht habhaft werden. Nun überfielen
sie einfach das erste beste Haus, das sie antrafen, machten den Vater nieder und nahmen das
junge Mädchen von ungefähr io—12 Jahren mit sich, letztere war eins der jungen Mädchen,
welche wir bei ihnen sahen. Der Indianer, der Mörder ihres Vaters, wurde jetzt ihr Mann.
Wie es schien, hatte sie sich daran aber gewöhnt und betrachtete es als eine natürliche Sache.
Während wir unsere Kanoa eine Strecke zu Lande forttransportierten, weil die Strömung
hier zu stark war, kam auch schon die andere Kanoa der Indianer, um ihre schiffbrüchigen
Gefährten zu holen.
Reduzierte Köpfe.
Die abgeschnittenen Köpfe der Feinde werden, nach Angabe, auf folgende Weise
reduziert. Am Hinterkopfe wird die Haut aufgeschnitten und dann der Schädel heraus-
genommen, so daß nur die Haut und das Gesichtsfleisch bleibt. Dieses wird über einen runden
Rollstein von etwas mehr als Faustgroße gezogen und in den Rauch gehängt, wo alle Weich-
teile nach und nach zusammenschrumpfen. Zuletzt wird der Stein herausgenommen, die
Haut hinten wieder zusammengeheftet, wie auch die Lippen mit einer Schnur zusammen-
gezogen werden, und dann kommt der Kopf wieder in den Rauch, um vollständig auszu-
trocknen, Der Kopf erhält dadurch ungefähr Faustgroße, das Gesicht sieht etwa wie
dasjenige eines Affen aus. Die Haare behalten ihre volle Länge. In den Lippen wird ein Bündel
bunter Schnüre befestigt.
Blutrache.
Es scheint, als wenn unter den Aguaruna eine Art Blutrache besteht; diese kann aber
durch ein Geschenk abgelöst werden. So hörte ich von einem Falle, wo die Rache durch
das Geschenk eines Blasrohres abgelöst worden sei.
Musik.
Als wirkliche Musikinstrumente habe ich bei den Aguaruna nur eine große Rohrflöte
(Pingui), eine kleine Knochenflöte (Tungui) und eine kleine Trommel (Tambön) gesehen,
man könnte schließlich auch noch die Beinklappern (Makits) dazurechnen.
Das am häufigsten gebrauchte Instrument ist die Rohrflöte, ungefähr 45—50 cm lang
und 3 cm Durchmesser. Sie wird von der Seite angeblasen. Diese hört man in den Häusern
und auf den Bootfahrten. Es ist überall dieselbe Melodie. Diese ist mir im Gedächtnis
geblieben, und ich habe sie jetzt nach 25 Jahren noch aufzeichnen können. Auf unserer
Kanoafahrt hatte immer der unbeschäftigte Indianer die Flöte am Mund, ebenso war in
den Häusern immer einer, der die Flöte spielte.
Mai - tu mai - tu hu - cha hu - cha - hi
Hui ca hui - ca ta - cu ma - sa - hi Maitu huchahi tacu masahi.
Als wir von unserer Reise zurückkamen, fanden wir im Hause unseres Curaca Lai-
ckape welcher uns auf unserer Reise begleitet hatte, in Huaracayo eine phantastische Auf-
führ,mg. Die Männer im Kriegsschmuck gingen zu zwei im Kreise im Hause herum jeder
blies eine Flöte, dann und wann sangen sie dazu; alle waren durch den Genuß des Masato
1 a auf rUn Beinen Die Frauen unter denselben Einflüssen begleiteten die
ein wenig wankend aut eien dc. . . oj
Männer singend und forderten sie immer zu erneutem Trinken auf. Einige saßen oder
lagen auf ihren Betten oder ihren Sitzen, überwunden von vielem Trinken Da uns der
Brujo als verloren prophezeit hatte, feierten sie jetzt unsere glückliche Heimkehr.
IO Baessler-Archiv.
74
HANS H. BRÜNING
Die kleine Knochenflöte ist von ungefähr 12 cm Länge, sie ist aus Rehknochen und hat
drei Löcher, zwei oben und eines unten. Sie wird von einem Ende angeblasen wie die Quena-
Flöte. Die Rehknochenflöte scheint seltener zu sein, denn ich habe nur eine bei einem alten
Curaca gesehen, der darauf eine lebhafte Melodie hervorbrachte.
Ferner habe ich eine kleine Trommel (tambön) von ungefähr 20 cm Durchmesser
gesehen. Diese wird mit einem Stock geschlagen, um dessen eines Ende etwas Baumwolle
gewickelt ist. Zu den Musikinstrumenten kann man auch noch die Beinklapper (mäkits)
rechnen. Sie bestehen aus zusammengebundenen getrockneten Nußschalen und werden beim
Tanzen um die Knöchel gebunden.
Noch einige Worte über das Tündui oder drahtlose Telephon der Aguaruna. Dieses ist
ein ausgehöhlter Baumstamm von ungefähr 100—120 cm Länge und 30—35 cm Dicke. An
jedem Ende ist es mit einem Handgriffe versehen. Eines dient zum Anfassen, das andere als
Stützpunkt auf der Erde, damit das Instrument frei in der Luft schwebt. Oben auf der
Trommel befinden sich in einer Richtung vier Löcher, welche anfänglich zum Aushöhlen
gedient haben und später zurResonanz desTones dienen(Abb.p). Daslnstrument wird mit einem
kurzen Stock, welcher an einem Ende mit vegetabilischer Wolle umwickelt ist, geschlagen.
Je nachdem der Schlag mehr von der Seite oder von oben ausgeführt wird, gibt es einen ver-
schiedenen Ton. Durch Kombination des Schlages nach Art des Morsesystems wird nun die
Nachricht befördert. Bei stillem Wetter kann man das Tündui kilometerweit hören. Die
Nachricht wird so von einem Ort zum andern befördert, indem der eine sie von dem andern
aufnimrat.
Als wir von unserer Reise von Puerto Melendez zurückkamen, wurde unsere Ankunft
durch das Tündui von den an dem Ufer stehenden Häusern von einem zum andern weiter-
gegeben, und als wir inHuaracayo ankamen, war bereits eine große Gesellschaft versammelt,
uns zu empfangen.
Kanoa.
Das wichtigste Verkehrsmittel am oberen Maranön und seinen Nebenflüssen ist die
Kanoa, der Einbaum (Fig. 8). Man möchte sagen das einzige, denn über Land gehen nur
vereinzelte Fußwege.
Fig. 8. Kanoa nebst Ruder.
Von dem Einbaum gibt es sehr verschiedene Größen, von denen einige ein bis zwei Mann,
andere bis zu zwanzig Mann halten. Alle sind aus Zedernstämmen hergestellt. Ob klein oder
groß, haben sie alle dieselbe Gestalt. Unten sind sie im Querschnitt rund, wie es der Baum-
stamm war, aus dem sie hergestellt wurden. Am vorderen und hinteren Ende sind beim
Aushöhlen flache Sitze für die Ruderer gelassen, wie auch aus der Skizze ersichtlich ist. Die
Steuerung des Einbaums erfolgt mittelst Pagaien, nur wenn es flußaufwärts geht, werden
auch die langen Bambusstangen (tanganas) gebraucht, um es damit auf dem Grund vorwärts
zu stoßen. Wenn die Ufer flach genug sind, springen auch einige Indianer ins Wasser, um
den Einbaum mittelst Lianen weiter zu ziehen.
Für einen Neuling ist es nicht leicht, im Einbaum zu fahren, denn es ist eine große
Kunst, das Gleichgewicht zu halten. Es ist erstaunlich, was für dicke Zedernstämme es gibt.
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
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Bei meiner Reise im Maranöngebiet habe ich vor einem entwurzelten Zedernstamm gestan-
den, dessen Durchmesser etwa 1,70 m war.
Ein weiteres Beförderungsmittel im Flußgebiet ist das Floß (Balsa). Es kommt nicht so
häufig vor, da es nur zu Reisen flußabwärts benutzt werden kann. Mehrere Stämme des
Balsaholzes werden zur Herstellung zusammengebunden. Die Flöße werden mit Pagaien in
Richtung der Strömung gehalten.
Bei den Reisen mit den Kanoas möchte ich noch folgendes erwähnen; Sobald eine An-
siedelung in Sicht ist, legen die Indianer an, um sich zu waschen, zu kämmen und ihr Ge-
sicht zu bemalen; dann geht es wieder vorwärts und. beim Passieren der Ansiedelung wird
jedesmal beim Rudern mit den Pagaien auf den Rand des Kanoa geschlagen und dazu mit
lauter Stimme eine lange Rede gehalten, bis die Ansiedelung außer Sicht ist.
Bordesholm, Januar 1928.
Hans H. Brüning-,
kayúca
kuhukón
híntsam
ungumióg
hápa
yagwá
pamáu
yakúm
wási
géhe(n)
D
cási
ohokü
atásu
áyum
cúyo
óng(e)
áung(e)
tsíva
kuyokúyo
Säugetiere.
Kleines Nagetier in Form eines
kleinen Schweins.
Kleines Säugetier in der Größe
einer kleinen Katze, hat
aber flexible Dornen an-
statt der Haare.
Fledermaus.
Großer Nager, von den Weißen
„Ronsoco“ genannt.
Reh.
Hund.
Tapirus, von den Weißen
„Satsavaca“ genannt.
Ein Affe, von den Weißen „Co-
tomono“ genannt.
Ein Affe, von den Weißen ,,Ma-
quisapa“ genannt.
Ein weißer Affe,
Von den Weißen „Mahäs“ ge-
nannt.
Schwanz der Tiere.
V ögel.
Henne,
Hahn.
Ein Truthahn.
Eine Art Truthahn mit far-
bigem Gefieder.
Eine Art Truthahn mit dun-
kelbraunem Gefieder.
Trompetervogel,
Eine große Ente, mit schwar-
zem und weißem Gefieder.
tsúmi
tuis
tingó
sísi
tacúm(p)
Schwarzer Vogel mit rotem
Schwänze.
Grüner Papagei mit blauem
Kopf und Hals, auf ieder
Backe einen schwarzen
Fleck,
Großer grüner Papagei, mit
dem Kopf ins Bläuliche
spielend, oben ein wenig
gelb, ebenso die Seiten. Wird
von den Weißen „Catalina“
genannt.
Kleiner grüner Papagei mit
aschfarbenem Kopf, und
ebenso gefärbten Augen.
Ein blauer Guacamayo (Ara)
mit gelber Brust und gelbem
Leib.
Pius Ein kleiner Gesellschaftsvogel.
Perequito.
Ein großer, grüner Papagei.
Ein Rebhuhn.
Ein Haubenhuhn mit einer
Haube von Federn.
Eine Art einer kleinen Möve.
Tukan oder Diostede.
Eine Schwalbenart.
Weißer Reiher.
Weißgelbliche, wilde Ente,
ungtüng, untü(gn) Brauner Reiher,
mäsu Eine Haubenhuhnart.
Eine Rebhuhnart.
Schopfhuhn (Opisthocomus
hoazin).
kaváu
pangén
pívi
papájum
sukangá
símbi
súnsumans
atás
pangwana
gá$a
10
;6
HANS H. BRÜNING
i1 IiïFiIIB lit W» i 11 i
Fische, Amphibien, Insekten usw.
kánsap Roche mit einem Stachel.
tsúni Eine große Käferlarve.
wambísok Allgemeiner Name für
Schmetterlinge.
kánka Allgemeiner Name für Fische.
dóptu(hint) Schwimmblase der Fische.
miúntse Ein Mosquito.
téti Ein Mosquito.
mántse Grüne Heuschrecke.
nápi Schlange.
zíhin Spinne.
wie sie beim
tóika Laufkäfer Ohrschmuck
wáwa Brillantkäfer angewandt wer-
. den.
téuma Laus.
yantána Ein Krokodil.
kungwím Landschildkröte.
yotóg Große Ameise, von den Weißen
„Isula“ genannt.
kúpitso Ameise, welche einen balsa-
mischen Geruch hat.
kangáihute Fischen mit der Lanze. Pflanzen.
pandap Banane.
samó Reife Banane.
pagáta Süßes Zuckerrohr.
uhúts Baumwolle.
wáwa Balsabaum (Bombacéa).
sikút(a) Vainilla.
íntsi Süße Kartoffel.
tangána (quichua) Bambusart, Caña brava.
ipáko Achote, Ruku.
zángu Tabak.
jíma Aji, spanisch er Beißpfeffer.
sá Mais.
dúse Maní, Erdnuß.
míka Bohne.
máma Yuca, die giftfreie Manihot.
tán(gu) Schiringabaum.
tsíngose Baumfarne.
tsíña Blutbaum.
tsíña nua Feiner Blutbaum.
átsu Eine in Gesellschaft lebende Palme.
satika Pumamaqui, gesellschaftlicher
Baum, welcher auf kulti-
máté viertem und nachher ver- lassenen Boden wächst. Baum, aus welchem eine Fiber
tsimút gewonnen wird (chambira). Baum, aus welchem die „tun-
tui“ hergestellt werden.
kumái Chambira, Fiber aus einem
tsápe Baume, welche zum Binden gebraucht wird. Palme, welche das vegetabili-
tuntuám sehe Elfenbein gibt, Tagua von den Weißen genannt. Palme, deren Schößlinge ge-
uyáy gessen werden. Andere Palme, deren Schoß-
v linge gegessen werden.
pihipí Eine Art Binse, dessen Wur-
númi zeln gegen Insektenstich an- gewandt werden. Baum, Stock, Knüppel etc.
sásta Blüte, Blume.
nlúka Blatt.
ngági Wurzel.
n tímu Liane zum Betäuben der
náktém Fische. Liane narkotika, welche von
□ den Aguarunas genommen
wird, um daraus die Aus- führbarkeit eines Streifzu- ges zu erfragen.
püungái. Eine Art schwarzes Harz und
näüm der Baum, aus welchem es gewonnen wird. Baum, aus dem das Harz
sapáta „pengäi“ gewonnen wird, mit welchem die Blasrohre über- zogen werden. Nuß der „Avila“, Mittel gegen
otuntú Zahnschmerzen. Eine Abkochung; wird inner-
másu lieh und äußerlich gegen Schlangenbiß genommen. Pflanze zum Betäuben der
míske Fische. Barbazco. Pflanze mit einem minzenarti-
genGeruch. EineAbkochung wird gegen Schmerz im Un- terleibe gebraucht.
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
77
tsihigab
asänga
tsipa
wapäy
kapihöna
antsimuntse
wämbokis
wintsi
yamakäy
yanamük
angpangban
n n
künakip
maikuä
piü
nüpis
hingäi
na(ha)häip
9039
süa
Verwandt
aisman
nüa
apabä
Rohes Copalharz.
Kleine Körner, werden gegen
Durchfall gebraucht.
Eine Harzart.
Eine Bohne von einer Schling-
pflanze in Form eines Reh-
auges.
Ein großer Baum mit gelber,
glatter Rinde.
Frucht einer Passionsblume.
Die Frucht einer kleinen Inga-
art.
Die Blüte, welche von den
Weißen „Papagayo“ ge-
nannt wird.
Baum, dessen Blätter zum
Braunfärben des Zeuges ge-
braucht werden.
Kleine Beeren, welche zum
Schwarzfärben der Zähne
gebraucht werden.
Blätter gegen Schlangenbiß
angewandt.
Blätter gegen Schlangenbiß
angewandt.
Heilmittel. Man gibt es den
Kindern, um sie zu reinigen,
ohne daß sie krank sind.
Blätter, um die Zähne schwarz
zu färben.
Blätter, auf welchen Gall-
äpfel wachsen, wird als
Schmuck verwandt.
Galläpfel.
Eine gelbe Frucht mit einer
dicken Schale.
Gift für die Blasrohrpfeile; es
wird gekocht, bis es Sirup-
dicke hat.
Frucht, welche zum Schwarz-
färben des Körpers ge-
braucht wird.
schaftundTeiledesKörpers.
Mann; wird auch zum Anru-
fen gebraucht.
Weib.
Vater.
yatsön Bruder.
nuasä Schwester.
se Schwager.
nuküa Mutter.
nukütsi Großmutter.
utsüts Kleines Kind.
vinuatkäm Verheiratet.
hamzin Schwangere Frau.
tuji Eine mit einer Hautkrankheit behaftete Person.
waktsänghen Hübscher schmucker Bursche.
näki Ein fauler Bursche.
yänum Landsmann ?
müntsu Brust.
ämbo Unterleib.
anantäi Herz.
nümpa Blut.
nähe Fleisch.
okünts(e) Knochen.
nuäpg Haut.
tsingün Ellenbogen.
kois Ohr.
day Zahn
wino Lippe.
mäku Bein.
nijäi Stirn.
nüji Nase.
nantsik Nagel.
soso Kinn.
sangän Ferse.
intäs Haar.
akähik Haarlocke der Männer, welche vorne herabhängt.
tsikmönday Nasenschleim.
ija Exkremente.
iki Furz.
käta Penis.
tsüki Vulva.
hähay Schmerz, Krankheit.
uhütkäta Husten.
Kleidung und Schmuck.
itipe Zeug des Mannes
tarätse Kleidung der Frau.
kamüs Rindenzeug, welches noch am
oberen Senepa getragen wer-
den soll.
kahist Ein Stück Bambusrohr, wel-
jftft.VittvflDfiK'fifitfli'
78 HANS H. BRÜNING
ches noch von einigen der omgomió Visier des Blasrohres.
Antipa im Ohre getragen hápik Ein Stuhlrohr mit etwas Wolle
wird. an einem Ende, um das
akiáta Ohrgehänge. Blasrohr damit zu reinigen.
akíte wáwa Ohrgehänge aus den Flügel- mati (quichua) Die hohle Frucht von Cres-
decken eines Prachtkäfers. centia Cujete (Tutuma), in
akite tóika Ohrgehänge aus den Flügel- welcher die Wolle für die
decken eines Laufkäfers. Pfeile aufbewahrt wird.
atsehókta Kopfschmuck aus Affenfell. wambós (quichua) Eine Art vegetabilische
tawás Kopfschmuck aus Federn. Wolle (Ceiba), mit welcher
dúsip(e) Schwarzes Korn, welches als die Pfeile umwunden wer-
Schmuck verwandt wird. den.
patáko Ein Band, welches von den tonta Ein Stück Bambusrohr, in
verheirateten Frauen am dem die Pfeile aufbewahrt
Arm getragen wird. werden.
pöekta Halsband aus kleinen Por- tsipáti Stroh im Tonta, um das Her-
zellanknöpfen. ausfallen der Pfeile zu ver-
timás Kamm. hindern.
yusána(gi) Rote Früchte, welche auf Bän- gén^ak Der Pfeil.
dern über den Schultern ge- páni Ein Kiefer eines Fisches, auf
tragen werden. welchem die Spitze der Pfeile
dópis Bänder aus schwarzen Kör- eingekerbt wird.
nern, welche über Brust und gingúk(i) Zwei Arten Palmen, aus wel-
Rücken getragen werden. kungúk(i) chen die Pfeile durch Spal-
misa Ein Bund von verschiedenen ten hergestellt werden.
Früchten als Frauen- útsi Gift zu den Pfeilen, welches
schmuck. vom Ucayali gebracht wird.
sua pain tómate Eine Walze, mit welcher die geál Gift, welches die Aguaruna
schwarze Farbe auf den selber bereiten.
Körper getragen wird. ámpi Gift im allgemeinen.
komgbina Gefechtsturm.
M usik Instrumente. n.
pingui Flöte aus Bambusrohr. wampats Netz zum Schießbedarf.
tungui Kleine Flöte aus einem Reh- knochen. H aus und Gegenstände.
túntui Hohler Baumstamm, um da- höa Haus.
mit Signale zu geben. n. tanís Wand.
tambón Kleine Trommel. Tür.
mákits Ein Bund kleiner Nüsse, wel- wáiti 0
che beim Tanzen um die hjía Dach.
Knöchel gebunden werden. peáka Bett.
kután Sitz aus einem niedrigen
Waffen. Stück Holze.
ahahú Flinte itsínak Kochtopf.
yápa Revolver. pinínga Napf zum Trinken.
nánki Lanze mit eiserner Spitze. ikósmo Begräbnisplatz im Hause.
ángos Lanze aus Chontaholz. kogóm Ziearette. O
sikít Lanze zum Fischen, wái Stecken.
5m Blasrohr. tsangína Frauenkorb, ohne Deckel.
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
79
tokópe Männerkorb, mit Deckel.
pungámo Gestell zum Fleischräuchern.
ts(i)kít(a) Spinnspindel.
sémp(i) Spinnwirtel,
uhúts Garn.
ikângamo Spinnspule mit Garn.
n. númi payánko Die beiden dicken Stäbe, über welche die Kette ge- spannt wird.
itsúve kamantsá Ein dünner Stock, an wel-
chem die beiden Enden der
Kette angebunden sind.
númi payánco i Ein dicker Knüppel, welcher die Kette auseinanderhält.
tsikít(a) Stab mit Einschuß, mit dem er in die Kette eingeführt wird.
katsúi Ein keilförmiges Holz, mit welchem der Einschuß fest- geschlagen wird.
itsívay Breithalter.
yúnwa Gurt, welcher über den Rük- ken des Webers genommen wird, um damit das Ge- webe straff zu halten.
nijamánsi Das Yucapräparat, aus wel- chem durch Übergießen mit Wasser das Getränk her- gestellt wird.
nampúki Betrunken.
Himmelskörper, geographische und
mineralogische Namen.
itsa Sonne.
nántu Mond.
llaga Sterne.
náse Wind.
yúmi itáue Regen.
ipamát Donner.
pánki Regenbogen.
ítsa nagumgám Uhr.
hínta Weg.
múha Cordillera.
tsitsíham Fluß?
ánit Berg ? Aufstieg ?
paka Niederstieg ?
pikaui Niederstieg ?
fnça Schlucht,
amohiné Das Anschwellen des Flusses.
mahanó amohiné Der Marañón ist ange- schwollen.
wáintse Stromschnelle.
pánki Teufel des Maranöns; ein Spuk.
kámatak Sandwüste ?
káya Stein.
káyam Sand.
wig Küchensalz.
n. núnga Erde.
yúmi Wasser.
ji so Feuer.
Schaum des Wassers,
áha tongiték I Bearbeitetes Feld. Flußfahrten.
káno Einbaum.
kanét(a) Pagai, Löffelruder.
papángo Floß.
wámpu(d) Rettungsboje.
tangäna (quichua) Ein langes Bambusrohr, mit welchem der Einbaum fortgetrieben wird.
katingmi Geht zur anderen Seite des Flusses hinüber.
tavangita Geht zum Ufer.
ingingita Geht vom Ufer weg.
viandá ! Rudert!
stubadáda Stoßt den Einbaum mittelst der Tangana fort.
vay vav stubadáda Schnell stoßt den Ein- baura fort mittelst der Tan- gana.
hákasta Erwarte mich.
wáma Vorwärts.
wími Laßt uns gehen.
sintsa Mach zu.
ísia Schnell.
tsupínghe Durchnäßt.
Zeitwörter, Eigenschaftswörter usw.
ayú Ja.
maktí Nein.
húhu Dieses.
ahóimi ? Jetzt.
yamáitai ? Jetzt.
yismi
nakítia
nakápate
pimpíkhe
tuaváme ?
Schwer von Gewicht.
Leicht von Gewicht.
Angenehm, köstlich, vortreff-
lich.
Unangenehm.
Schweigsam.
Das Abreißen eines Taues.
Pack an! greif zu!
Tausche mir, verkaufe mir.
pomge
yahäütoi [
tunáu
takamát
suhíngigai
atsíkta !
amàsia
máma amásta Verkaufe mir die Yuca,
tsitsasmi
enemé
sústa
wánda
yúmi wánda
wíkmita
ahákda
sepíkta
minié
minime
ikímseta
azáue
ávay
azávai ?
hakoí
Er heißt.
Liebst du mich. Willst
mich ?
Ich will es kennen lernen.
Ich will nicht.
Messen.
Ich bin müde.
Wo gehst du hin ?
voyahay yuami Laßt uns essen,
mama yuate Ich esse Yuca,
atasu yuäta Du ißt Huhn,
yantana yuam ? Ißt man Krokodil ?
yantana kanga yuavi Das Krokodil ißt Fische,
kungwim papaya yuavi Die Schildkröte ißt
die Papaya.
hakasta hotimi Sprich langsam,
nampüäkmi
Sprich mit mir.
Bringe mir.
Nimm es von mir an.
Trinke.
Trinke Wasser.
Hauen, schneiden.
Hauen mit der Axt.
Schneiden mit dem Messer.
Komm her
Ich komme schon.
Setz dich.
Es gibt nichts. Du hast nichts.
Es gibt.
Hast du ?
Sterben.
nansumámi f
puhámok
puhúmata
huhüä
himaz
apátsem
kampátu
kvásti
unzuhí
huna kanán
Tanzen,
waimpa huhu Wie heißt dieses,
(vi) yaiga Ich heiße.
UL
(amoy) yaitpa ? Wie heißt du ?
hgse yaita ? Wie heißt er ?
Guten Tag.
Auf Wiedersehen.
Eins.
Zwei
Drei
Vier.
Fünf.
Zehn.
Ein Tag ?
yusa, yus, kapänto Rot.
aite, minga Grün,
samäiie Gelb,
moköse, muküsi(a) Blau,
tsuine, süak Schwarz,
pohöpkin Weiß.
Ein Gesang.
Ha ha ha hi
Ha ha ha ha hi
Maitu maitu hutsa hutsahi
Huika huika takumasahi
Maitu hutsahi takumasahi.
reisen im gebiet der aguaruna
81
Abb. 2. Aguarunahütte in S. Antonio am Muchingisflusse (S. 54 ).
11 Baessler-Archiv.
Abb. 1. Die Boote der Expedition auf dem Muchingisflusse (siehe S. 51).
r
REISEN IM GEBIET DER AGUARUNA
Abb. 3. Aguaruna-Frauen (S. 58).
Abb. 4. Geschmückte Aguarunakrieger (S. 62 u. 63).
Abb. 7. Aguaruna-Gruppe am Muchingisflusse (S. 71),
DE KONINKLIJK BATAVIAASCH GENOOTSCHAP
VAN KÜNSTEN EN WETENSCHAPPEN.
1778—1928.
VON
ALFRED MAASS.
Am 24. April 1928 werden es 150 Jahre sein, an dem die
Königliche Batavia’sche Gesellschaft für Künste und
Wissenschaften in W'eltevreden auf Java diesen Ju-
biläumstag feiern kann.
Zum leuchtenden Vorbild ihrer mannigfachen Be-
strebungen nahm die Gesellschaft sich als Richtschnur
den Wahlspruch: ,,Tot nut van’t allgemeen“, ,,Zum
Nutzen des Allgemeinen“. Noch heute wirkt sich dieser
Grundsatz segensreich aus und weiß seine zahlreichen
Strahlen befruchtend zu verbreiten. Die Annalen der
Gesellschaft wollen wir kurz hier in ihrem Werdegang
an unserem Auge vorübergleiten lassen.
Zunächst gebührt der Gesellschaft der Vorrang, daß
sie von ähnlichen Schwestern die erste in ihrer Art ist,
welche ein europäischer Staat in seinen Kolonien im
fernen Osten gründete. Der 24. April 1778 war der Stif-
tungstag. Ursprünglich lag ein anderer Plan vor, der von
Haarlem ausging, um eine derartige Vereinigung zu er-
richten. Dort nämlich, am 21. Mai 1777, feierte die hol-
ländische Gesellschaft der Wissenschaften ihren 25. Jah-
restag. Dieser gab die Veranlassung eines Gedankens,
einer Idee, eine Tochtergesellschaft in Insel-Indien, oder,
wie es damals hieß, in Ost-Indien, ins Leben zu rufen.
Doch schnell wie die Anregung aufflammte, war sie wieder
verschwunden. Am 24.Aprili778 kam es dann zu einer selb-
ständigen Gründung der ,,Bataviaasch Genootschap van
Künsten en Wetenschappen“. Zu den ersten Gründern
dieser Gesellschaft und zu den Mitgliedern der Verwaltung
gehörten die Herren: J. C. M. Rademacher, außerordent-
liches Mitglied des Rates von Indien, als Direktor,
Vorstandsmitglieder waren Jacob de Meyer, Josua van
Iperen, J. Hooyman, S. Bartlo, W. van Hogendorp,
H. N. Laclé, Jacobus van der Steege, Egbert Blomhert,
P. Gevers und als Sekretär Baron F. van Wurmb.
Das bewegende Agens, welches die Gesellschaft zum
Blühen, Wachsen und Gedeihen fördern sollte, sahen die
Stifter im Nutzen von Landbau, Handel und in der
Wohlfahrt für Niederländisch-Indien. Allen Künsten
und Wissenschaften • schenkten sie ihre besondere Auf-
merksamkeit. Namentlich „was Bezug auf Natur-
geschichte, Altertümer, Sitten und Gewohn-
heiten der indischen Völker hat“, das sollte zu
den vornehmsten Aufgaben gehören, an denen die Ge-
sellschaft, ihrem Wahlspruch treu, grundlegend arbeiten
und forschen wollte. Zu erwähnen wäre noch, daß bei der
Aufstellung des Programms die ausdrückliche Erklärung
abgegeben wurde, aus dem Kreise ihrer Untersuchungen
alles auszuschließen, was irgendwie die Berichte der Ost-
Indischen Compagnie betraf.
Als im Jahre 1878 die Gesellschaft das Jubelfest ihres
hundertjährigen Bestehens feiern konnte, war es der da-
malige Präsident, Herr J. H. der Kindern, welcher diese
Veranlassung benutzte, um ein Gedenkbuch herauszu-
geben, in welchem er die Begebenheiten der Gesellschaft
ausführlich zur Darstellung brachte.
Schwierige Zeiten, die ja so oft ihre Schatten voraus-
werfen, sollten auch dieser Gesellschaft beschieden sein
in den langen Jahren ihres Bestehens. Das Glück, das
wetterwendische Kind im Leben der Völker und ihrer
Institutionen, kam ins Schwanken und machte sich im
Kreise der Gesellschaft stark bemerkbar. Ich will hier nur
kurz jenes Zeitabschnittes gedenken, der der englischen
Verwaltung voraufging. Raffles, im Verein mit seinen
sprachkundigen Freunden Horsfield, Mackenzie, Leyden,
Crawfurd u. a. verstand es, in der Gesellschaft die nieder-
ländische Wissenschaft vollständig auszuschalten. Wer
die Verhandlungen der Gesellschaft zu dieser Zeit, etwa
1811 bis 1816, zur Hand nimmt, findet dies dort klar zum
Ausdruck gebracht. Wie nach Regentagen die Sonne im-
mer wieder die Macht ihrer Strahlen zur Geltung zu
bringen weiß, so verstand es der General-Gouverneur van
der Capellen in die Gesellschaft neues Leben und Fort-
schritte zu bringen. 1826 bis 1830 kamen abermals Jahre
des Niedergangs. Unter der Ägide des General-Gouver-
neurs van dem Bosch setzte dann langsam der Aufstieg
wieder ein. Besonders 1843 war ein Jahr neuer Zuver-
sicht im Streben nach oben. Diesen Wendepunkt zum
Aufwärts verdankte die Gesellschaft dem Baron Dr. von
Höevell.
Die bedeutendsten Publikationen, welche der Gesell-
schaft ihr hohes Ansehen in internationalen Gelehrten-
kreisen und in der Welt verschafften, sind, wie folgt:
1. Die „Verhandelingen“, welche heute in 67 starken
Bänden vorliegen; 2. die „Tijdschrift voor Indische Taal-,
Land- en Volkenkunde“; im Jahre 1853 wurde sie zum
ersten Male veröffentlicht und kann heute ebenfalls auf
67 Jahrgänge zurückschauen; 3. die Notulen van de all-
gemeene en Bestuurs-vergaderingen“, sie erschienen 1864
mit dem Deel 1 und umfassen bis 1904 ihrer Zahl nach
40 Bände, seit 1923 kamen dann nur Auszüge in die Zeit-
ALFRED MAASS
schrift der Gesellschaft. Außer diesen Zeitschriften wäre
der Katalog des Museums zu erwähnen, der in drei Ab-
teilungen die ethnographischen, die numismatischen und
archäologischen Sammlungen umfaßt. Nicht unerwähnt
darf der Bericht über die reiche Handschriftensammlung
malaischer, arabischer und javanischer Manuskripte
bleiben.
Wer Niederländisch-Indien kennt, der ist auch ver-
traut mit dem, was diese Königliche Gesellschaft im
Laufe von eineinhalb Jahrhunderten für diesen wert-
vollen Kolonienbesitz Hollands geleistet hat, und was ich
hier nur skizzieren konnte. Ich eile zum Schluß und lasse
meine persönlichen Erinnerungen hier kurz folgen.
Dankbar gedenke ich heute wieder der generösen Gast-
freundschaft, die ich in den entzückenden und stimmungs-
vollen Räumen der Gesellschaft genossen habe. Ich er-
innere mich an den prächtigen Lesesaal im alten hollän-
dischen Stil mit seinen Kostbarkeiten. Mit größter Lie-
benswürdigkeit wurde mir alles, was für mein Interessen-
gebiet in Frage kam, zur Verfügung gestellt.
Die Räume der Gesellschaft am Koningsplein um-
fassen auch das Museum, eine Gründung dieser Gesell-
schaft. In diesem sind die Schätze des ostindischen,
holländischen Besitzes vereint, in dem Sinne, wie die
Katalogabteilungen das schon angaben. Das Prunkstück
der Sammlungen ist die Schatzkammer. In ihr finden wir
die größten Kostbarkeiten, welche überhaupt in einem
Museum zur Schau gestellt werden können. Besonders
sind es die Kleinodien und Reichszierrate aus fürstlichem
Besitz, welche aus den Kriegen der holländischen Re-
gierung gegen den unbotmäßigen Adel des Landes stam-
men. Geschenke von Sultanen mehren den Zauber dieser
indischen Pracht. Kostbarer Frauenschmuck, goldene
Ringe, silberne Schalen und andere Schätze geben dem
Raum seine eigenartige, stimmungsvolle Note.
Die ausgedehnten Beziehungen, welche die Gesellschaft
mit dem Auslande unterhält, zeigen den hohen Ruf und
die Wertschätzung, die sie in der Welt genießt. Blättern
wir in den Mitgliederverzeichnissen, so begegnen wir
manchem illustren Namen.
Das der holländischen Nation befreundete Deutsch-
land gedenkt des heutigen Jubeltages der Gesellschaft
und sendet seine besten Wünsche der fernen Jubilarin.
Immer möge sie treu ihrem Wahlspruch weiter wirken,
den Künsten und Wissenschaften eine hohe Beschützerin
bleiben.
Besprechungen und Büchereingänge.
Das Gesicht des Rif. Von Hans Felix Wolff. 240 S. 16 Ta-
feln. Berlin. Reimar Hobbing.
Der Verfasser war 1925 in Spanisch-Marokko und genoß
die Gastfreundschaft des spanischen Heeres. Seine Ab-
sicht war, von höherer Warte aus die Triebfedern der
aufständischen Bewegung im Rif zu verstehen. Er ging
dem „Woher“ des Aufstandes nach, um das sich der Rifi
selbst nicht kümmert und dessen Nationalstolz keines-
wegs einheitlich ist. Überdies bemüht sich Wolff, in das
geschichtliche Dunkel des Mittelmeeres einige Lichter zu
setzen. Dabei sind seine Wege nicht immer ganz einwand-
frei. Er arbeitet etwas zu viel mit unbeweisbaren Etymo-
logien. Er liebt zweifellos, aus alten Orts- und Flurnamen
alte ethnische Geschichte zu enträtseln, ein Verfahren,
das man nur bei bester Kenntnis der alten und neuen
Sprachen betreiben sollte. Der Fernerstehende kommt aber
sicher bei ihm zu der Auffassung, daß „ligurische“,
„iberische“, „libysche“ Sprachen gut fundierte und klar
erkannte Größen sind.
Der Verfasser bemüht sich, Marokko und Spanien als
geographische und ethnische Einheit darzustellen. Er
weist auf „ligurische“ Spuren in Nordafrika hin. Er hält
das Baskische mit anderen als modernen Ersatz für das
Ligurische, ähnlich wie er aus dem heutigen Berberischen
auf das alte Libysche schließt. Für den Ethnologen kann
das Kapitel „Das goldene Zeitalter“ als das interessan-
teste angesehen werden. Es regt an, wenn auch oft zum
Widerspruch. Wirklich lebendig ist die Schilderung der
modernen Städte Ceuta, Tetuan, Arzila und Larache,
sowie das aktuelle Kapitel: Alhucemas. Hier haben wir
vorbildliche Kriegsberichterstattung, die nicht nur Lo-
kalbericht ist.
Herrn. Baumann.
Günter Tessmann, Menschen ohne Gott, ein Besuch bei
den Indianern des Ucayali. Veröffentlichung der Har-
vey-Bassler-Stiftung, Völkerkunde, Bd. I. Stuttgart
1928. 244 S. 64 Taf. (darunter 5 bunte), 5 Abb. im
Text und 1 Karte.
Durch seine westafrikanischen Studien, denen wir u. a.
Monographien über die Pangwe und Bubi verdanken,
ist der Verfasser in der ungewöhnlichen Lage, auf Grund
eingehender Untersuchungen an Ort und Stelle Ver-
gleiche zwischen zwei so verschiedenen Rassen, wie es die
Neger und Indianer sind, anstellen zu können. Dadurch
muß sein Buch auch weiteren Kreisen sehr interessant
werden. Von einem Forscher, der sich so selbstlos den
völkerkundlichen Forschungen hingibt wie Tessmann, und
der auch in diesem Buche seinen Aufenthalt von 10 Mo-
naten am Ucayali außerordentlich gut für die Kenntnis
der Indianer ausgenutzt hat, müßte man eine irgendwie
geartete innere Fühlungnahme mit seinen Studienobjekten
erwarten, wie es schließlich alle Feldforscher der neueren
Zeit erfahren haben. Das ist aber keineswegs der Fall.
Ehrlich und offen sagt er (S. 181): „Ich stehe nicht an zu
behaupten, daß unsere nette Kapuzineräffin ,Dominga‘
wißbegieriger und geistig regsamer war als im Durch-
schnitt der ischama“, d. h. das Volk der Ssetebo,
Ssipibo und Kunibo, das er am Ucayali studiert hat. „Ich
schäme mich fast, die 1 atsache aufzeichnen zu müssen,
daß es Menschen, ganze Stämme gibt (eben seine
I schama), die sich nur wenig über den geistigen Dunst-
kreis des Tieres erhoben haben, die nicht mehr, nein
weniger — sogar von der ursprünglichsten Religion ____
haben, als etwa ein guter Hund.“ (S. 183.) Selbst ihre
schönen Muster auf Stoffen, auf der Haut, auf den Töpfen,
bei deren Anschauen unser künstlerisches Gefühl, wie
er selbst sagt, in lebhafte Schwingungen gerät, bezeichnet
er als empfindungsloses Nachäffen (S. 178f.) und ihren
Stolz darauf als Einbildung, und so wird man in dem
ganzen Buch trotz vieler an sich keineswegs abstoßender
Züge nicht ein einziges Lob über die Tschama entdecken,
während im Gegensatz zu ihnen „der phantasiebegabte
Neger mit seiner reichen Ideenwelt“ gepriesen wird. Am
Tschama gibt es nach Tessmann nur materielle Ge-
sichtspunkte und konventionelle Gefühlsausdrücke.
Wahr ist es, daß die südamerikanischen Indianer
dem Forscher große Schwierigkeiten bereiten, indem
sie den Fremden nicht gern sehen, seine Fragen wider-
willig und einsilbig beantworten, sich manchmal auch
nicht photographieren lassen und bei der Aufnahme
von Sätzen nicht das übersetzen, was man sie fragt,
sondern eine sachliche Antwort darauf erteilen. Der Ge-
reiztheit darüber gibt der Verfasser durch das ganze
Buch hindurch lebhaften Ausdruck und liefert dadurch
zugleich mit eine Begründung seines absprechenden
Urteils. Diese Charakterzüge habe ich selbst sogar bei
Indianern „mit Gott“ gefunden, obwohl mit der Be-
zeichnung „Menschen ohne Gott“ der Verfasser den Tief-
stand der Indianer kennzeichnen will — aber sobald ich
sie dazu gebracht hatte, mir ihre Überlieferungen in
ihrer Sprache zu diktieren, merkte ich, daß ihre geistige
Welt mir bisher nur verborgen geblieben war. Tessmann
wird daher vielleicht auch etwas milder urteilen, wenn er
von vornherein die Zurückhaltung des Indianers gegen-
über den Weißen als eine höhere, wenn auch unbequemere
Eigenschaft bewertet als die sich unterordnende Zutrau-
lichkeit des Negers. Daß sie auf Tessmann’s offene und
versteckte Fragen nach einem Gott (dios) (S. 183) nichts
antworteten, ist mir nach meinen Erfahrungen durchaus
nicht wunderbar. Ich selbst würde in dieser Weise auch
nie mit Indianern verkehrt haben. Indessen will ich damit
nicht sagen, daß der Verfasser mit seiner Angabe, sie
hätten keinen Glauben an einen Gott oder an mehrere
Götter, noch an ein Fortleben der Seele, nicht Recht
habe, obwohl sie die Leiche schön schmücken und sorg-
fältig in der Hütte selbst beisetzen, während sie alle Habe
verbrennen. Ein Zeichen für seine Fähigkeit, auch die
geistige Verfassung des Indianers für die Völkerkunde zu
sichern, ist die genaue Darstellung des Zauberglaubens.
Es handelt sich dabei aber nicht um zauberische Dinge in
der Natur, die auf das Ergehen der Menschen Bezug haben,
12 Baessler-Archiv.
90
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
sondern einzig und allein um die Fähigkeit von Zau-
berern, mystische Stacheln aus ihrem Leibe zu versenden,
um jemand dadurch krank zu machen, oder von ent-
sprechend zugefügten Krankheiten zu heilen. Die dabei
gebrauchten Selbstkasteiungen und Selbstvergiftungen,
die auch bei der Mannbarkeit oder vor großen Unter-
nehmungen angewandt werden, müssen nach dem Ver-
fasser „als ein Versuch aufgefaßt werden, die geistigen
Kräfte, die der Auffassung und des Willens, die andere
Rassen schon von Natur besitzen, aus der zähen Materie
des rückständigen Gehirns herauszuheben.“
Auch über die Heilung von Krankheiten durch besondere
Mittel, von denen einige magischer Natur sind, und über
die Phasen des sozialen Lebens erfahren wir manches. „Daß
auf dem Gebiet des Rechtslebens Auswüchse — Ver-
brechen — fehlen, liegt an der für den Indianer bezeich-
nenden Eigenschaft der Gleichgültigkeit.“ Indessen ist
der Hauptteil des Buches der Darstellung der materiellen
Kultur gewidmet, die geschickt, um den Leser nicht zu
ermüden, mit seinen persönlichen Erlebnissen durch-
flochten ist. Hausbau, häusliche Geräte, Waffen, Klei-
dung, Schmuck, Spinnen, Weben, Flechten, Töpferei,
Ackerbau, auch Spiele lernen wir in großer Ausführlich-
keit kennen, wobei namentlich der museale Teil Be-
achtung erfährt. Sorgsam sind dabei die Tätigkeiten des
Mannes und der Frau getrennt. Sogar über die Zuberei-
tung der Speisen erfahren wir dankenswerterweise weit
mehr, als man in solchen Büchern gewohnt ist. Ein
Kapitel gibt auch über die sehr primitive und interes-
sante Sprache Aufschluß. Alles in allem ein Buch, das
sich in der Fülle der mitgeteilten Tatsachen würdig an die
deutschen völkerkundlichen Bücher über Südamerika
reiht, wenn man sich dem Standpunkt des Verfassers
auch nicht in der Gesamtauffassung anschließen kann
und daher der Darstellung der geistigen Kultur ein Frage-
zeichen anhängen muß. Wir wünschen dem Verfasser,
daß er sein übriges Material in entsprechender Weise ver-
öffentlichen kann, und er möge sich dazu stets gegen-
wärtig halten, daß die amerikanistische und völkerkund-
liche Wissenschaft seine Mühen mit großer Anteilnahme
begleitet.
K. Th. Preuß, Berlin.
Eckart von Sydow, Primitive Kunst und Psychoanalyse,
eine Studie über die sexuelle Grundlage der bilden-
den Künste der Naturvölker. (Internationaler Psycho-
analytischer Verlag, Leipzig 1927.)
Sydows Arbeit hat das weitgesteckte Ziel, die For-
men der naturvölkischen Kunst nicht in Be-
ziehung zueinander oder zum Material oder zu ihren In-
halten oder zur Gesamtkultur zu setzen und daraus zu
erklären, sondern auf unbewußte seelische Ab-
läufe im Sinne der Psychoanalyse zurückzu-
führen. „Der Gedankengang unserer Überlegungen wird
von der Voraussetzung ausgehen müssen, daß die Formen-
sprache der bildenden und architektonischen Kunst die
latente, verborgene Form durch eine manifeste, vorder-
grundhafte überdeckt.“ (S. 44.) Die Aufzeigung dieser
latenten Formen, der „Urbilder“, betrachtet S. als seine
Aufgabe. Wenn diese Zurückführung der manifesten
Formen auf latente nicht als etwas Künstliches, bereits
als Voraussetzung aus einem anderen Arbeitsgebiet
Hereingetragenes erscheinen soll, so ist es unerläßlich,
zu zeigen, daß diese manifesten Formen in sich etwas
wirklich Problematisches haben, und nicht nur gegen-
über der Formensprache unserer Kunst (denn möglicher-
weise könnte ja gerade diese das eigentlich Erklärungs-
bedürftige sein), und daß die bisher in der Ethnologie üb-
lichen Methoden zur Erklärung tatsächlich unzureichend
sind. Daraus würde sich die Notwendigkeit zu einer prin-
zipiellen Diskussion über die Möglichkeit und Berechti-
gung der Anwendung psychoanalytischer Methoden auf
die Erklärung der formalen Seite der primitiven Kunst
ergeben. Keine dieser Aufgaben hat S. in irgendeiner
Weise erfüllt — er hat vielleicht auch ihre Notwendigkeit
nicht eindringlich genug gesehen. So ist S.’s Schema (bei
Baukunst, Plastik, zeichnerischen Künsten und Körper-
kunst) das der vielen kleinen Schüler des großen Freud:
zunächst stellt man, reichlich krampfig, „Tendenzen“
auf, wundert sich über ihre „merkwürdige Beharrlichkeit“
und stellt fest, daß in ihnen „ein inneres Prinzip von einer
Mächtigkeit gewaltet haben muß, daß allen inneren und
äußeren Einflüssen siegreichen Widerstand leistete. Kein
rein historisches Moment kann solche Allgewalt ausüben,
sondern nur eine unbewußte, organisch gegebene und
bluthaft wirksame Tendenz des menschlichen Daseins.“
Man fragt also: „Wo ist die erotische Zone zu
suchen, in welcher der plastisch (bzw. architektonisch
oder zeichnerisch) sich äußernde Instinkt der Natur-
völker wurzelt ?“ (S. 98) — und daß dann der „Kenner
der psychoanalytischen Forschungsergebnisse“ diese
Zone jedesmal findet, davon dürfen wir im voraus über-
zeugt sein. Man wird nur den peinlichen Eindruck nicht
los, daß diese Gedankenkette bei S. zuerst umgekehrt ab-
gelaufen ist: als Erstes waren da die psychoanalytischen
Forschungsergebnisse, die nach „Anwendung“ riefen —•
es galt also „Tendenzen“ aufzufinden, die diese An-
wendung ermöglichen.
Das Thema der Arbeit S.’s wie überhaupt jeder psycho-
analytische Beitrag zu ethnologischen Problemen ist
wichtig genug, um durch ausführliche Zitate die innere
Haltlosigkeit der Argumentationen S.’s aufzuzeigen.
In dem Kapitel über primitive Architektur über-
nimmt S. zwar die übliche Aufstellung „zweier Wege,
in denen sich die naturvölkische Baukunst vom Wetter-
schirm her entwickelt: die eine Richtung führt vom run-
den Wetterschirm über die Bienenkorbhütte zur zy-
lindrischen Kegelform, die zweite Richtung führt vom
viereckig-keilförmigen Wetterschirm zur Viereckhütte
mit Giebeldach“ (S. 67) — eine Entwicklung also zu
immer größerer Abgeschlossenheit gegenüber Einflüssen
von außen, besonders klimatischen, und zu immer größe-
rer Wohnlichkeit, ermöglicht durch eine Hebung des
Daches durch besonders abgesetzte Wände. Aber S.
genügt diese schlichte Aufstellung nicht: er konstatiert
drei ,, Sonderkennzeichen der naturvölkischen
Bauweise: Geschlossenheit des Raumes, Stre-
ben zur Einräumigkeit, Übergewicht des
Daches.“ (S. 58.) Für die naive Betrachtung erscheinen
diese drei Merkmale als recht natürlich: wenn am Anfang
der Entwicklung der eigentlichen Baukunst die Formen
ohne abgesetzte Wände, also reine Dachbauten stehen,
so ist es doch wohl zu erwarten, daß diese Urformen noch
lange nachwirken —• besonders wo das Dach doch tat-
sächlich der wichtigste Teil am Hause ist und bleibt.
Wenn am Anfang der Entwicklung einräumige Bauten
stehen, inwiefern ist es dann so besonders erstaunlich,
daß die Mehrzahl der Naturvölker auch heute einräumige
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
91
Häuser hat ? Wenn die Entwicklung von dem nur nach
einer Seite schützenden, je nach der Windrichtung ge-
stellten Wetterschirm zur allseitig geschlossenen Hütte
gegangen ist (durch Zusammenstellen zweier oder mehre-
rer solcher Wetterschirme), so ist nicht recht einzusehen,
was an dem sich darin aussprechenden „unabänderlichen
Willen zu einer radikalen Abgeschlossenheit der Räum-
lichkeit“ so verwunderlich sein soll. Wenn man sich
schützen will, schließt man sich ab — je radikaler, desto
besser. Wenn hier etwas zu erklären ist, dann doch nicht
das „Fehlen oder die minimale Größe der Fensteröff-
nungen und die geringe Höhe der Türöffnung“ (das
bedeutet nämlich, schlichter ausgedrückt, die „Tendenz
zur Geschlossenheit des Raumes“). Wissenschaftliches
Problem kann hier im Gegenteil doch nur sein, den Weg
aufzuzeigen, wie aus dem anfänglichen Einkriech- oder
Einsteigeloch, meist zugleich dem einzigen Rauchabzug,
sich immer bequemere oder (wie bei der Gangtür) immer
schützendere Türen entwickeln, wie besondere Rauch-
abzüge, besondere Fenster, mehrere Eingänge hinzu-
kommen. Aber warum es diese Höherentwicklung in
vielen primitiven Kulturen nicht gibt, das heißt doch
wohl wirklich mehr fragen, als die Wissenschaft je wird be-
antworten können — wenigstens nicht generell, während
natürlich die Möglichkeit besteht, in Einzelfällen die
besonderen Gründe aufzuzeigen oder doch wahrscheinlich
zu machen, warum diese oder jene aus anderen Kul-
turen bekannte Weiterentwicklung nicht eingetreten ist.
— Dieselbe Umkehrung der Fragestellung gilt für die
Merkmale der Einräumigkeit und des Übergewichtes
des Daches.
Für S. genügt es nicht, Form aus Form herzuleiten, und
die möglichen Einflüsse von Baumaterial und Gesamt-
kultur auf die Bauformen zu untersuchen, wie das sonst
in der Ethnologie und ebenso in baukunstgeschichtlichen
Untersuchungen üblich ist: er glaubt, das „Urbild der
geschlossenen Bauform“ suchen zu müssen, von dem sich
der primitive Baustil immer habe leiten lassen. Als
Grundlage für die technische Weiterbildung, wieder-
holt S. noch einmal, sei zwar der Wetterschirm anzu-
sehen. „Aber es ist deshalb nicht richtig, in ihm auch die
ästhetische Grundform zu sehen. Denn sein Wesen
besteht gegenüber der Höhle in seiner Offenheit (aber
nur solange er einzeln steht! P. K.), während das Wesen
der Höhle gerade die Geschlossenheit, Einräumigkeit
und der Wert der Bedachung ausmachen. . . . Von An-
fang an scheint ein Wettstreit zwischen Höhle und
Wetterschirm bestanden zu haben. . .. Daß das ästhe-
tische Übergewicht dem weiterwirkenden Gefühl des
Höhlenhaften zu eigen ist, zeigt sich in jenen drei von
uns aufgewiesenen Kennzeichen der naturvölkischen
Bauweise... . Kennzeichen, die ebenso der Höhle zu
eigen sind.“ Und einige Zeilen weiter heißt es bereits
apodiktisch: „das ästhetische Urbild der primi-
tiven Raumformung ist in der Tat die Höhle.“
(S. 68.)
Man weiß schon im voraus, wie es nun weiter geht:
jetzt braucht nur noch gezeigt zu werden, daß die Höhle
ein sexuelles Symbol ist, und wir haben die gesuchte
Grundlage für die angebliche „Übergewalt des Höhlen-
gefühls.“ (S. 73.) Dies Schlußstück der seltsamen Ge-
dankenkette sieht so aus: Stadt und Kiste sind nach
Freud und Jung Symbol des Mutterleibes. „Zwischen
Kiste und Stadt steht das Haus als solches in seiner
Isoliertheit. Muß man beide Extreme als Weib-Symbole
und speziell als Mutter-Symbole deuten, so wird man
nicht fehl gehen, auch in der vermittelnden Vorstellung
die gleiche Tendenz wirksam zu finden.“ (S. 71.) Mit
anderen Worten; „Am Anfang aller eigentlichenBaukunst,
die erst nach dem Gebrauch und der Überwindung des
Wetterschirmes einsetzt,“ steht die Kuppelhütte (bzw.
das Kuppelzelt), die „in ihrer einfachsten Form die pri-
mitive Baugesinnung am reinsten ausdrückt, und die
„Art dieses Beginns besteht lediglich in der Reproduk-
tion der Mutterleibshöhlung“!! (S. 73.)
Die „wahrscheinlichste Entwicklungsreihe der primiti-
ven Plastik“ ist nach S. folgende; „Zuerst der Pfahl, dann
unter dem Einfluß des Ahnenkultes die andeutungsweise
Beschnitzung des I fahles, endlich die Ganzfigur in ihrer
Selbständigkeit.“ „Die Grundform des Pfahles wird auch
von der entwickelten Kunst in ihren Grundzügen bei-
behalten.“ „Das plastische Urbild, von dem die
primitive Skulptur immer ausgeht, und von dem sie sich
nicht befreit, ist die walzenförmige Gestalt,
kegelförmig oder rund oben endend. Aus ihm entwickelt
sich die naturvölkische Plastik mit ihren drei Merkmalen:
der Blockeinheit, Übermächtigkeit des Kopfes
und der Tendenz zur Einfigürlichkeit.“ (S. 96
bis 97). „Wo ist die erotische Zone zu suchen, in welcher
der plastisch sich äußernde Instinkt der Naturvölker
wurzelt?“ Oder anders formuliert; „Welche Bedeutung
symbolischer Art hat die Gestalt des Pfahles gemäß den
Befunden der psychoanalytischen Forschungen ?“ (S. 98
bis 99). „Wir können angesichts der zusammenstimmen-
den Zeugnisse der mythologischen und der Traum-
Symbolik sagen, daß der Pfahl und pfahlähnliche Ge-
bilde das männliche Geschlechtsglied bedeuten. Die
erogene Zone, die in der Plastik der Natur-
völker sich ausspricht und projiziert, ist dem-
nach der Phallus. Es fragt sich nun, ob und inwie-
fern die dreifache Gesetzlichkeit der plastischen Struk-
tur sich aus dieser Grundkonzeption ableiten läßt.
Die beiden Bestimmungen der Blockeinheit
und der Einfigürlichkeit lassen sich ohne
weiteres aus der Abhängigkeit der Plastik vom
organischen Vorbild entnehmen und folgern,—
sie bedürfen keiner weitere Erläuterung“!!
(S. 101.) Etwas mysteriös sind die folgenden Sätze:
„Besonders drastisch spricht sich der Einfluß des phal-
lischen Elementes in der statischen Symmetrie der Fi-
guration aus. Eine Mittellinie zieht sich vom Scheitel über
Nase — Mund — Kinn - - Brustmitte — Nabel bis
zum Geschlechtsorgan; auf beiden Seiten regen sich
die Formkräfte in durchaus analoger Art. Die Gleich-
wertigkeit der beiden Seiten, Körperhälften wird durch
genaue Gegenseitigkeit der Kraftimpulse und ihrer
figürlichen Symbole erreicht.“ „Problematisch kann allein
die Übersteigung der Größe des Kopfes anmuten. Aber
auch diese frappierende Eigentümlichkeit wird aus dem
Bilde des aufgerichteten Phallus als erogen fundiert klar.
Denn dann zeigt sich, daß die Eichel unverhältnismäßig
groß ist gegenüber dem Gliede als solchem. DasGrößen-
verhältnis von Eichel und Glied entspricht
genau jener Übergröße des Kopfes primitiver
Figuren! Jetzt wird auch klar, weshalb die Masken-
kostüme einen so außerordentlichen Wert auf
die Maske selbst legen, — in ihr drängt sich alle
Wichtigkeit zusammen, weil sie das Symbol des
12
92
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
lustempfindlichsten Körperteils ist!“ (S. ioi bis
102, die begeisterten Ausrufungszeichen stammen von
Sydow.)
Die Argumentationen des Kapitels über die zeichne-
rischen Künste sind eigentlich noch dürftiger und zu-
gleich willkürlicher als alle vorhergehenden: die von S.
hervorgehobenen Eigenarten der Gravierungen, Zeich-
nungen und Malereien der Naturvölker gegenüber un-
seren, nämlich: Fehlen der Perspektive, Fehlen einer
rahmenmäßigen Umgrenzung, Beschränkung auf die
Darstellung einer einzelnen Figur (in den weitaus meisten
Fällen), sind zweifellos richtig gesehen. Aber wenn S.
daraus ein „Gesetz der Flächeneinheit“ herleitet („Die
Figuration bildet selbst das Bildfeld, umschreibt es und
füllt es aus“), ein besonderes „Streben nach einer
Geschlossenheit der Fläche“ (S. 116) feststellt, und
dann fragt: „Wie erklärt sich dieser langwährende
Despotismus (!) der Grundsätze der Formgebung?“
(S. 123), so kann der Leser das nun Folgende nach dem
bewährten Schema bereits selbst ausfüllen; „Sie durch
geistige Bestimmtheit erläutern, würde auch hier die
Problematik nicht erschöpfen. Sondern wir stellen die
Frage auf das organische Prinzip ab, das jener künst-
lerischen Darstellungsart zugrunde liegen muß. Wir
fragen also nach der erogenen Zone, die sich in
den zeichnerisch-malerischen Arbeiten widerspiegelt“
(S. 122 und 123), d. h. wir fragen, „welche der drei
allgemeinsten Gruppen erogener Zonen; Körperhaut,
Genitalien, Schleimhaut, als Grundlage der zeich-
nerischen Künste in Frage kommen möchte. Es schei-
den zunächst die Genitalien aus, weil diese bereits für
die Baukunst und Plastik die besonderen Impulse ge-
geben haben“ (S. 124) ■—- wirklich eine seltsame Art
zu argumentieren! Für S. ist es klar, daß ,,.... die
Körpermasse und die Hautoberfläche in einer
engsten Beziehung zu den Darstellungen der primitiven
zeichnerischen Kunst stehen. Denn der naturvölki-
sche Zeichner und Maler stellt die organische
Gestalt in ihrer Ganzheit dar.“ (S. 125.) Jetzt ver-
steht man, weshalb S. sich veranlaßt sah, ein besonderes
„Gesetz der Flächeneinheit“ aufzustellen! „So wird
man von der erogenenZone der Hautbedeckung
des Körpers her die zeichnerischen Künste
abzuleiten haben“ (S. 125), wobei nicht ganz klar
wird, wie aus der Tatsache, daß den Primitiven „augen-
scheinlich der Körper in seiner Gesamtheit seines flächen-
haften Umrisses interessiert“, und aus den angeblich
sexuellen Motiven dieses Interesses das Ganze der zeich-
nerischen Künste, vor allem die geometrisch-ab-
strakten Zeichnungen, erklärt werden sollen. S.
bleibt uns diese Erklärung auch schuldig.
In dem Kapitel über die Körper-Kunst ist folgende
Gedankenkette (auf S. 142 und 143) besonders ver-
blüffend (und zugleich typisch!): „Es erscheint eigentlich
frappant, daß man nicht immer mit ornamentierten oder
sonst kunstreich hervorgehobenen Penisstulpen usw. mit
größerer Betonung auf das wichtigste Glied am männ-
lichen Körper hinweist. . . . Der Prozeß der Verdrängung
der Sexualität .... ist es wohl, dem wir es zuschreiben
müssen, daß mit besonderer Hartnäckigkeit dem männ-
lichen Geschlechtsorgan die Wertschätzung verweigert
wird, auf welche es, logisch betrachtet (!), in hervor-
ragendstem Maße Anspruch hätte. Mit umso größerer
Energie hat man sich bei den Primitiven die Umformung
und Ausschmückung der anderen Körperteile angelegen
sein lassen. Es ist nun charakteristisch, daß sich vor allem
dem Haupte ihre praktische Ästhetik zugewandt hat —
vertritt doch der Kopf vielfach symbolisch die
Eichel des Gliedes“!
Und auf S. 146 sagt S. abschließend: „Es ist charak-
teristisch, daß es sich gerade um die Schleimhautpartien
des Gesichtes handelt, also um erogene Zonen. So löst auch
auf diesem Gebiete der Körperumformung die Psychoana-
lyse wesentlich Fragen in verhältnismäßig einfacher
Weise“ — wobei ihm offenbar nicht bewußt geworden ist,
daß er im besten F alle erklärt hat, warum diese Teile
des Körpers geschmückt bzw. umgestaltet werden und
warum andere nicht, daß er aber nicht den geringsten
Beitrag zu seiner selbstgestellten Aufgabe geliefert hat,
die Formen der Künste, in diesem Falle der Körper-
Kunst, zu erklären.
Ähnlich überraschend argumentiert S. bei der Frage
der Erklärung der Formen der Körperbemalung, Narben-
verzierung und Tatauierung; Zunächst stellt er fest,
daß sie in ihrer Form (also in der Beziehung, die recht
eigentlich zur Diskussion steht) sexuell „neutral“ seien —
so daß also der Leser, der nicht wie S. „Kenner der psycho-
analytischen Forschungsergebnisse“ ist, glauben könnte,
hier gäbe es einmal keine Möglichkeit, ja überhaupt keinen
Anlaß zu einer anderen „Deutung“ als eben ihrer Her-
leitung aus andern Formen („Stilkritik“) oder aus dem
Inhalt oder eventuell dem Material. Aber S. belehrt uns,
daß „das eigen t liehe Objekt (der Körperbemalung usw.)
die erogene Sphäre der Hautfläche ist“. „Diese wird er-
setzt durch eine sexuell neutrale Schicht mit rationalen
und schmuckhaften Charakterzügen.“ (S. 150.) Er sieht
darin „die Rückkehr des Verdrängten und die Erreichung
des Zieles auf dem Umwege über die symbolisierende
Stellvertretung.“ (S. 150.) Irgendwelche Beweise oder
auch nur nähere Ausführungen hierzu hält er offenbar
nicht für nötig.
Da neben Phallus und Hautfläche der Mutterleib nicht
fehlen darf, so belehrt uns S., daß bei der bei einigen
Naturvölkern vorkommenden „ausgesprochenen Vor-
liebe der Männer für fettleibige Frauen,“ zu der „in
manchen Gegenden noch die künstliche Verdickung der
Waden hinzutritt“ (bei Frauen und Männern!), „für
den Kenner der psychoanalytischen For-
schungsergebnisse der Gedanke an den Mutter-
leib unmittelbar naheliegt. Man darf seine Nach-
ahmung in jenen lebenden Fettkolossen vermuten. Die
Idee der Fruchtbarkeit wird durch sie angedeutet. Was
man sonst noch als Grund auszuführen geneigt sein
könnte, als da ist z. B. die Dokumentierung des Reich-
tums, da die Züchtung der Wohlbeleibtheit nur Reichen,
Trägen praktisch möglich ist, trägt offensichtlich den
Stempel der Nebenbedeutung(!). Die Parallele zwischen der
umfänglichen Weibesgestalt und dem schoßhaften Innen-
raum der naturvölkischen Bauweise ist durch die Identität
ihres psychologisch-physiologischen Sinnes mitgegeben.
In beiden Fällen ist es der Mutterleib, von dem der Anreiz
zur künstlerischen Wertschätzung ausgeht“ (S. 139 und
14°).
„Auf dem Grund eines mannigfach gestützten Analogie-
schlusses“ versucht S. die „geschichtliche Reihen-
folge der Künste“ folgendermaßen festzustellen:
Freud hat drei Stufen der sexuellen Entwicklung des
Kindes aufgestellt: Autoerotismus, Narzißmus, Objekt-
BESPRECHUNGEN UNI) BÜCHEREINGÄNGE
wähl, und dies Schema gemäß dem biogenetischen Grund-
gesetz auf die Entwicklung der Menschheit als Ganzes
angewandt. „Wir setzen. . . . die analogisierende Frucht-
barmachung der Parallelisierungen Freuds. . . . ins Werk,
indem wir die Entstehungsstadien der verschie-
denen Künste gemäß der Entfaltung der
Sexualziele innerhalb der Entwicklung des
jungen Menschen ansetzen.“ „Ordnen wir nun die
»Körper-Kunst« und die eigentliche Kunst in dieses
Schema ein, so ergibt sich ein zeitlicher Vorrang der
Körperkunst. Denn sie ist es, die der Beschreibung des
Narzißmus entspricht“! (S. 153.) „Da .... die Haut im
frühesten autoerotischen Stadium eine Rolle als erogene
Zone spielt, so würde die Malerei also die verhält-
nismäßig früheste Stufe der Künste bedeuten.—
Die Architektur zeigte sich im Mutterleibsgedanken ge-
gründet. Dieser erotische Gedanke ist aber nur innerhalb
der Sphäre der Objektwahl denkbar. Also gehört
die Baukunst zur verhältnismäßig spätesten
Stufe(!) — Zwischen beiden Künsten steht die Plastik.
Verbunden mit dem Phallus, hat sie innerste Beziehungen
zum Autoerotismus und ebenso zur Objektwahl. So
müssen wir wohl die Plastik dem Narzißmus
zu weisen“ (S. 155.) Beider Aufstellung dieser phantasti-
schen „Arbeitshypothese“ scheinen jedoch selbst S. Be-
denken gekommen zu sein: „Allerdings darf zum Schluß
eine prinzipielle Einschränkung nicht fehlen. Es gründet
die vermutete Reihenfolge der Künste auf Daten, die wir
lediglich der Entwicklung der Sensualität verdanken. Ob
und inwieweit der Zwang äußerer Umstände und der
eigene Erfindungstrieb das technische Konstruktions-
vermögen, das den Baumeistern innewohnt, vielleicht (im
Sinne unseres Schemas gesprochen:) vorzeitig angeregt
hat (S. glaubt übrigens,, ,daß solche Verführung nicht ein-
getreten ist“), steht jenseits dieser Überlegungen
und ihrer Tragweite“. (S. 155-)
Dieser letzte Passus zeigt das grundsätzlich halsche
in der Position Sydows. Denn solange die theoretischen
Prinzipien der Psychoanalyse in den Kulturwissenschaften
nicht allgemein, wenigstens als fruchtbare Arbeits-
hypothese, anerkannt sind (und S. weiß, wie wenig davon
bis heute die Rede sein kann), geht es nicht an, so wie S.
sich damit zu begnügen, ein in einem anderen Wissens-
gebiet erarbeitetes Schema einfach „anzuwenden“ und
die Frage nach der Berechtigung dieser Anwen-
dung überhaupt nicht zu stellen bzw. sie als außerhalb der
eigenen Aufgabe liegend zu erklären. Ranks „Psychoana-
lytische Beiträge zur Mythenforschung“ und manche der
Arbeiten Roheims haben die Ethnologen ja eben da-
durch zu ernsthafter Stellungnahme gezwungen, daß
sie zu zeigen versuchten, daß nicht nur die bisherigen
Theorien völlig unbefriedigend sind, sondern daß die
Eigenheiten des Materials selber psychoanalytische For-
schungsmethoden geradezu herausfordern. Weicht man
dagegen wie S. allen prinzipiellen Fragen aus (z. B. der
Frage nach dem Verhältnis der von der Psychoanalyse
als allgemeinmenschlich hingestellten Triebkräfte zu
den besonders von der sogenannten Kulturkreislehre be-
haupteten völlig verschiedenem Gehalt der einzelnen
„Kulturkreise“), so darf S. nicht erwarten, daß man mit
solch einer oberflächlichen Arbeit prinzipiell diskutiert,
— man wird sich damit begnügen, die innere Haltlosig-
keit so selbstgenügsamer „Anwendungen“ aufzuzeigen,
wie das hier an Hand ausführlicher Zitate versucht worden
ist. Darüber hinaus wäre es wichtig zu zeigen (wozu hier
nicht der Ort ist), daß Sydows Konstruktionen auch
vom Standpunkt der Psychoanalyse aus gesehen alles
andere als einwandfrei sind.
Wer, wie der Referent, von der grundsätzlichen Rich-
tigkeit der psychoanalytischen Methode und von der
Möglichkeit ihrer Fruchtbarmachung für die Kultur-
wissenschaften und besonders auch die Ethnologie über-
zeugt ist, wird es doppelt bedauern, daß ein so wichtiges
Problem von S. so salopp behandelt worden ist. Er hat
damit weder der Psychoanalyse noch der Ethnologie
einen Dienst erwiesen.
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1927. 16 S. 8°.
Shizuo-Matsuoka, Ethnography of Micronesia. 1927. 8°.
Japanisch.
Sekino, T. S. Y., Archaeological Researches on the ancient
Lolang District. Textband. (Japanisch) und 2 Map-
pen Taf. Chosen: Gov. General 1925. 40.
Sokolow, S. u. J.,Tomskij, Die Volkskunst des russischen
Nordens. Moskau: Arch. Volkswirtschaft!. Gouver-
nement-Sowjets. 8 S. 28 T. 20. (Russisch.)
BAESSLER-ARCH IV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN
AUS DEN MITTELN DES BAE SS LE R-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN DIREK-
TORIALBEAMTEN DER ETHNOLOGISCHEN ABTEILUNGEN
DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE IN
BERLIN REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XIII
MIT 78 ABBILDUNGEN, 54 FIGUREN, 3 KARTEN, 4 TAFELN
BERLIN 1929
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)
I _______________
INHALTSVERZEICHNIS
Aug. Eichhorn: Alt-Hawaiische Kultobjekte und Kultgeräte. Mit 57 Abbildungen im Text ............. 1—30
Leo Sternberg: Der Zwillingskult in China und die indischen Einflüsse ............................ 31—46
Dr. phil. Hedenus: Psychologische Grundlagen der Bestattungsgebräuche bei den Völkern Sumatras. Mit
1 Karte ................................................................................. 49—119
Dr, Hans Findeisen: Bericht über eine Reise nach Finnisch-Lappland. Mit 1 Übersichtskarte und 12 Abbil-
dungen nach Aufnahmen des Verfassers ............................................................. 121—135
Dr. E. W, Schmidt: Die Schildtypen vom Kaiserin-Augusta-Fluß und eine Kritik der Deutung ihrer Ge-
sichtsornamente. Mit 1 Abbildung, 48 Figuren, 1 Karte und 4 Tafeln ............................... 136—177
Rolf Müller: Die Intivatana (Sonnenwarten) im alten Peru mit 8 Abbildungen und 6 Figuren ......... 178—187
BÜCHERBESPRECHUNGEN:
Plaetschke, Bruno, Königsberg: Vom kulturellen Feben in den kleinen Gebieten des Nordkaukasus. Berlin
1928. HansFindeisen.................................................................... 47
Frazer, James George: Der goldene Zweig (The golden bough) das Geheimnis von Glauben und Sitten der
Völker. Abgekürzte Ausgabe. Feipzig 1928. K. Th. Preuß ................................ 47—48
Alfonso Caso: Fas estelas zapotecas. Mexico 1928. K. Th. Preuß................................. 119
Schmidt, Max: Kunst und Kultur von Peru. Berlin 1929. Dr. Günther Stahl ....................... 188—189
Preuß, K. Th.: Monumentale vorgeschichtliche Kunst. Ausgrabungen im Quellgebiet des Magdalena in
Kolumbien und ihre Ausstrahlungen in Amerika. Göttingen 1929. 2. Bde. Krickeberg....... 189—191
Dr. L. Walk: Die ersten Febensjahre des Kindes in Südafrika. Anthropos XXIII 1928.
— Initiationszeremonien und Pubertätsriten der südafrikanischen Stämme. Anthropos XXIII 1928. Dr.
H. Baumann............................................................................. !9*
BÜCHEREINGÄNGE:
Heft 1 . . .
„ 2 .
„ 3—4
48
119—120
191—192
TAFELVERZEICHNIS:
Tafel I II III IV: Schildtypen vom Kaiserin-Augusta-Fluß
174—177
KARTEN:
Bevölkerungskarte von Sumatra .................................................................... 115
Schematische Übersicht über das Petsamogebiet (früher Petschenga)................................. 134
Karte vom Kaiserin-Augusta-Fluß................................................................... I4I
Alle Rechte einschließlich des Übersetzungsrechtes Vorbehalten.
Druck von J. J. Augustin in Glückstadt und Hamburg.
9.4
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HERAUSGEGEBEN
AUS DEN MITTELN' DES BAE SS LE R-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN DIREK-
TORIALBEAMTEN DER ETHNOLOGISCHEN ABTEILUNGEN
DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE IN
BERLIN REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XIII / HEFT i
AUG. EICHHORN: ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND
KULTGERÄTE. MIT 5 7 ABBILD. IM TEXT
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INDISCHEN EINFLÜSSE
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
BERLIN 1929
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)
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DAS BAESSLER-ARCHIV FÜR VÖLKERKUNDE
erscheint in jährlich 4 Heften von. ca. 24 Druckbogen zum Preise von 30.— RM. Einzeln
sind die Hefte zu einem je nach dem Umfang bemessenen etwas höheren Preise käuflich.
Das Baessler-Archiv ist bestimmt für Arbeiten aus allen Gebieten der Völkerkunde mit
Ausnahme der reinen Linguistik und physischen Anthropologie. Seine Hauptaufgabe ist
die wissenschaftliche Beschreibung und Verwertung des in den deutschen Museen ^ufge-
speicherten Materials nach seiner kulturgeschichtlichen und technologischen Bedeutung,
doch werden auch soziologische, mythologische, kunst- und religionsgeschichtliche Themata
berücksichtigt, soweit sie zur Erklärung von Museumssammlungen beizutragen geeignet sind.
Das Honorar beträgt 80.— RM für den Bogen von 8 Seiten.
Außerdem erhalten die Mitarbeiter 2 5 Sonderabzüge.
Bücherbesprechungen werden gleichfalls die Seite mit 10.— RM honoriert.
Redaktionelle Sendungen, Zuschriften und Anfragen sind "zu richten an den Redakteur
Prof. Dr. Alfred Maaß, Berlin SW. 11, Königgrätzerstr. 120
Staatl. Museum für Völkerkunde-
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BEIHEFTE
die besonderen Vereinbarungen unterliegen und Abonnenten zu einem
Vorzugspreise geliefert werden.
1. Beiheft: Sprichwörter und Lieder aus der Gegend von Turfan. Mit einer dort aufge-
nommenen Wörterliste von Albert von Le Coq. Mit I Tafel. [100S.]" 1911.
2. Beiheft: Die Wagogo. Ethnographische Skizze eines ostafrikanischen Bantustammes von
Heinrich Claus, Stabsarzt im Infanterie-Regiment Nr. 48, früher in der Kaiser-
lichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Mit 103 Abb. [IV u, 72'S.] 1911.
3. Beiheft: Die Goldgewichte von Asante (Westafrika). Eine ethnologische Studie von
Rudolf Zeller. Mit 21 Tafeln. [IV u. 77 S.] 1912.
4. Beiheft : Mitteilungen über die Besiedelung des Kilimandscharo durch die Dschagga
und deren Geschichte. Von Joh. Schanz. [IV u. 56 S]. 1912.
5. Beiheft: Original Odzibwe-Texts. With English Translation, Notes and Vocabulary
collected and published byj. P. B. de Josselin de Jong, Conservator at the
State Museum of Ethnography. Leiden. [IV u. 54 S.] 1912.
6. Beiheft: Ein Beitrag zur Ethnologie von Bougainville und Buka mit spezieller Be-
rücksichtigung der Nasioi. Von Ernst Frizzi. [56 S.] 1912.
7. Beiheft: Ein Beitrag zur Kenntnis der Trutz waffen der Indonesier, Südseevölker und
Indianer. Von Haugtmann a. D. Dr. G. Friederici. [78 S.] 1915.
8. Beiheft: Die Banjangi. Von F. Stasche ws ki. Überarbeitet und herausgegeben von
Prof. B. Ankermann. [66 S.] 1917.
%■
Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, Vorbehalten.
Druck von J.J. Augustin in Glückstadt und Hamburg.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE
UND KULT GERÄTE
MIT 57 ABBILDUNGEN
VON
AUG. EICHHORN, BERLIN
Das alte Hawaii der Entdeckungszeit lebt nur noch in den Museen; für den Sammler von
ethnographischen Gegenständen sind schon seit vielen Jahrzehnten jene Inseln ein sehr
unfruchtbares Land, stehen sie doch an erster Stelle unter den Teilen Polynesiens, „wo der
unter den Naturstämmen des Erdteils gerade am raschesten fortschreitende Zersetzungs-
prozeß die ethnischen Eigentümlichkeiten verwischt hat“ (Bastian, handschriftlich).
Der erfolgreichste Sammler um Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
war der Hamburger Arzt Prof. Dr. Arning, der während der drei Jahre, die er zum Zwecke
medizinischer Forschungen (Lepra) auf Hawaii zubrachte, seinen regen Verkehr mit dem
Hause des Königs Kalakaua sowie mit den angesehensten einheimischen Familien auch für
seine hervorragenden ethnographischen Studien und seine einzigartigen Sammlungen
nutzbar zu machen verstand. Für seine Bestrebungen war es besonders günstig, daß beim
König Kalakaua selber sich die Neigung entwickelte, den letzten Zeugnissen der alten,
damals als überwunden betrachteten Zustände seines Inselreiches eingehendere Aufmerk-
samkeit zuzuwenden. Dank dieser fürstlichen Neigung wurden sowohl im königlichen Haus-
halt wie auch bei anderen alten Familien eine Reihe interessanter Stücke aus ererbtem Be-
sitz wieder zutage gefördert, und ein Teil davon konnte von Arning erworben werden.
Besonders reichhaltig ist die Sammlung von Hawaiischen Kultgegenstanden, nach
denen Arning das ganze Inselreich gründlich, stellenweise mit Lebensgefahr abgesucht hat.
Diese Kultobiekte die zusammen mit dem ausgezeichnet geführten Reisetagebuche Ar-
. •’ mrpröffentlieht im Berliner Museum für Völkerkunde lagerten und
mngs seit Dezennien unverottentnent 1 . 6 , - r ,
infolge der Aufteilung der ethnographischen Bestände in eine Schau- und wissenschaftliche
Sammlung sowie durch anderweite günstige Umstände endlich zugänglich geworden sind,
sollen nunmehr zugleich mit den von anderen Sammlern und Geschenkgebern erworbenen
althawaiischen Kultgegenständen, die in den Besitz des hiesigen Museums gelangt sind,
zur Publizierung kommen. Als Hauptaufgabe wird dabei die gute bildliche Darstellung
und sofern die Abbildung nicht genügt, die ergänzende Beschreibung angesehen; ferner
sollen mich das aktliche Material, soweit es von den Sammlern herrührt, und sonstige An-
gaben die wissenschaftlich wertvoll sind, Verwendung finden. Die Veröffentlichung will
nichts’ anderes sein als eine Erschließung dieser zum Teil einzigartigen Museumsschätze,
ein Katalog der die Bausteine und unumgängliche Vorarbeit zu wissenschaftlicher Nutz-
barmachung wertvollsten ethnographischen Rohmaterials liefert.
0
Übersicht der Kultobjekte:
i. Die Idole Kukailimoku VI 253.
Kamohoalii VI 8374.
Kihe wahine VI 8375.
Kamehai kana VI 8376.
Lualii VI 8366.
Kapo (Abortus) VI 8388.
I Baessler-Archiv.
2
AUG. EICHHORN
2. Idole und Kultobjekte der Fischer;
Kuula VI 8379; °der Waikane VI 7288.
Mano Fisch-Gott VI 8373; VI 8385.VI 8367.
Von den Fischern verehrtes Idol VI 7287.
Zauberköder Melo melo VI 8527.
3. Idol der Kanumacher VI 8386.
4. Phallus-Fetische; VI 8372; VI 8389.
5. Idole, deren Name bzw. Zweck unbekannt ist:
Anaana-Idol VI 8382.
Idole aus Stein: VI 8387.
„ „ Holz: VI 8381; VI 7241; VI 256.
6. Andere Kultobjekte und -geräte:
Fetischstein VI 8369.
Sich vermehrende Steine: VI 8370 und Erde VI 8827.
Opferstein VI 8368.
PU, die Kriegstrompete der Hawaiier, und ihre Fundstätte VI 8406.
Tempeltrommel VI 7270.
Trommel für kultische etc. Gesänge VI 8461.
„Das Auge des Gegners“ VI 4183.
Pahoa kanila, ein heiliger Dolch. VI 8393.
Kapa zur Zauberei VI 8858; zur Geisterbeschwörung: VI 8846.
Olona-Netzgeflecht zu Beschwörungen: VI 8371.
Kace-Bohnen zu Beschwörungen und Vergiftungen: VI 8880.
Niho ilio, Beinschmuck, bei Kultfeiern VI 8450.
Haizahnmesser für Kultzwecke VI 243.
Abb. 1 und 2. Kukailimoku, „Götzenbild aus Federn und Menschenhaaren“. 62 cm hoch.
VI 253. Idol Kukailimoku, Kriegsgottheit. Abb. 1, 2.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
o
Das Stützgerüst der Figur bildet ein Flechtwerk aus braungelben rotangähnlichen Streifen
(vielleicht aus Luftwurzeln von Freycinetia arborea, ie-ie). Sechs vollrunde Längsstränge,
die beim Halse anfangend das Kopfteil des Idols durchlaufen, unter dem Scheitel umbiegen
und am Halse endigen, werden von je einem querlaufenden, gespaltenen Geflechtsstreifen
überbrückt und unterflochten. Neben dieser Bindung, die nur am Randstück des Halsteils
angewandt ist, herrscht eine andere Geflechtsart vor, bei der die parallel verlaufenden
Längsstränge durch je zwei Geflechtsstreifen, die einander umwinden, verbunden werden.
Dieses Stützgeflecht ist ungemein kräftig und an der Innenseite des Halsrandes durch eine
mit gedrehten Schnürchen angebundene, kreisförmig gebogene vollrunde Rute (Bambus ?)
verstärkt.
Das Stützgerüst ist mit Ausnahme des mit langem Menschenhaar geschmückten Kopf-
teils von einem engmaschigen Netzwerk, das aus ge-
drehter Schnur hergestellt wurde, überzogen. Die
Maschenweite beträgt durchschnittlich 2 mm. Die Knüpf-
arbeit entspricht der des 01ona1-Netzgeflechts, das z. B.
als Grundlage der Federmäntel diente, aber sie ist be-
deutend engmaschiger und der Faden feiner. Die Art der
Knotung ist aus Abb. k ersichtlich.
Auf dieses Geflecht scheinen Federbüschelchen auf-
gebunden zu sein; ohne Zerstörung des Objekts läßt sich
nichts Bestimmteres feststellen. Meist 6 bis 8 feine gelbe
und rote Federchen von durchschnittlich 17 mm Länge sind am Kielende mit dünnem Faden
umwickelt und verknotet, so daß das Federbüschel als solches zusammenhält. Jedes einzelne
dieser Büschelchen, die in einem gegenseitigen Abstand von % bis 1 cm stehen und sich
dachziegelartig decken, ist zweimal an dem darunter liegenden Netzgeflecht durch sehr
sorgfältige Verknotung befestigt. Zur Bedeckung von ca. 10 qcm Befiederung sind gegen
1000 bis 1200 einzelne Federchen nötig gewesen.
Das federgeschmückte Netzgeflecht läuft an der Übergangsstelle vom Hals zur Brust
in sechs ungefähr quadratische Lappen aus, die gleich dem abschließenden Halsringe gelb
gefiedert sind.
Gelbe Federchen sind sonst nur zur Kennzeichnung des oberen Ohrmuschelrandes,
dessen Hervorwölbung durch untergelegtes Korbgeflecht bewirkt ist, angebracht.
Zur Markierung der stark geschwungenen Augenlider dienen feine schwarze Feder-
büschelchen, die auf einem besonderen, 2 cm breiten Olona-Geflechtstreifen, der angenäht
ist, befestigt sind.
Zur Darstellung der Augen wurden in der Mitte und an den Rändern durchbohrte Perl-
mutterschalenstücke benutzt und mit Schnürchen angebunden. Die Imitation der Pupille
ist durch je eine abgeplattete Holzkugel, die einen schwarzgrünen Farbüberzug hat,
bewirkt.
Der breitgeöffnete Mund ist mit einem Kranz aus Hundezähnen eingefaßt; jeder
einzelne Eckzahn ist in der Mitte des Zahnkörpers fest umflochten und durch diese Um-
flechtung (nicht etwa mittels Durchbohrung der Zahnwurzel1 2) fixiert. Die Zahnspitzen
sind horizontal so weit abgeschliffen, daß der Nervkanal aufgedeckt ist.
Im Unterkiefer liegt hinter der Zahnreihe ein der Länge nach zusammengerolltes
Stückchen eines jetzt überaus morschen Geflechts. Nach der braunroten Farbe und der
Lage dieses Zeugstückes zu schließen, sollte es vermutlich eine Zunge imitieren.
1 Enthält die festeste Faser der hawaiischen Inseln; sie der Universität Göttingen vorhandenen Bild von Ku-
stammt aus der Rinde von Pouchardia latifolia. kailimoku (cf. Hans Plischke; Kukrilimoku. Berlin
2 So z. B. bei dem in der ethnographischen Sammlung 1929).
Abb. 3 a u. b. Art der Knotung des
oIona-Geflechts.
4
AUG. EICHHORN
Die Kopfhaare sind zu Büscheln zusammengeflochten und die Büschel eingeknüpft.
Die Verkürzung der meisten Stirnhaare (3 bis 4 cm) ist vielleicht durch Mottenfraß her-
beigeführt; im allgemeinen ist das Haar 30 bis 35 cm lang, strähnig, kastanienbraun, nur
einzelne Büschel dunkelblond. Anhaftende Nisse lassen auf die Verlausung seiner ehe-
maligen Träger schließen.
Das Idol ist 62 cm hoch. Als Sammler ist Cook angegeben.
Wie aber Cook, der 1778 die „Sandwich“-Inseln entdeckte und 1779 an der Bai von
Kealakeakua auf Hawaii erschlagen ward, in den Besitz dieses Götterbildes gelangte, ist
unbekannt; ebenso wie es in die frühere Kunstkammer der preußischen Könige kam.
Hierüber geben die Akten des Museums für Völkerkunde zu Berlin keinen Aufschluß,
sondern sie melden lakonisch: „Sammler Cook“, ohne Nennung einer Jahreszahl.
Im Hinblick auf das gleiche, im Hofmuseum zu Wien befindliche Kukailimoku-Idol,
dem ein besonders gütiger und liebreicher Gesichtsausdruck nachgerühmt wird und das
ebenfalls zu einer „Cook-Sammlung“ gehört, ist die Vermutung geäußert worden, daß es von
Cooks Offizieren „gestohlen“ gewesen sein könnte. Das gleiche könnte man für das Berliner
Kriegsgottidol annehmen. Sicher ist aus zeitlichen Gründen, daß Kamehameha I„ der
Große, der von 1781 bis 1819 regierte und bis an sein Lebensende der treueste Verehrer
seines Schutz- und Kriegsgottes Kukailimoku war, nicht der Spender dieses Idols — man
zählt gegenwärtig deren noch ein Dutzend — gewesen ist. Aber war nicht der Kult dieser
Gottheit, deren Name als „Ku, der die Inseln beherrscht“ gedeutet wird, auch schon vor
Kamehameha weiter verbreitet ? Zudem galt Cook den Hawaiiern als ein göttliches Wesen;
kein Wunder, wenn man ihm Bilder seiner „göttlichen Brüder“ aus Verehrung schenkte.
Nebenbei sei bemerkt, daß der Kult von Kukailimoku seit dem Tempelbau durch seinen
Gönner Kamehameha L, der jeden Teil des Heiligtums im Blute einer Fülle von Menschen-
opfern badete, zur höchsten Blüte kam.1
VI 8374. Der Steingötze Kamoho alii.2 Abb. 4.
„Aus grauer Lavamasse; unbearbeitet; konisch geformt. Höhe des Steines 39,5 cm.
Umfang 57 cm. Fundort Molokai.
„An dem Nordost-Abhange des Kraters zwischen Kalawao
und Kalaupapa, Molokai, auf einer dem Ostabhange des großen
Lavagulch eingelagerten kleinen Terrasse, finden sich Reste von
Gemäuer, die durch die Regelmäßigkeit des Aufbaues sich vor-
teilhaft von den vielen alten Hausstellen und Umfassungsmauern
unterscheiden. Ein alter, zur Zeit des Niaukaue (Erfinders des
Ukeke) geborener Aborigener bezeichnete diesen Ort als den hei-
ligsten auf dieser Seite von Molokai. Auf dem Wege dahin er-
zählte er: Zu seiner Jugendzeit sei einmal auf Befehl des Moi die
ganze Strecke an der Pali bis zur See, ein drei englische Meilen
langer und eine Meile breiter Streifen, in einem Tage bebaut
worden. Wie Dämme aufgeschüttete Steine, in der Richtung von
Norden nach Süden, sind jetzt noch wahrnehmbar; das Land da-
zwischen wurde mit Sweetpotato, weil steinfrei und windge-
schützt, bebaut. Lageplan“. Abb. 5.
„Der dortige Tempel3 ist ein aus größeren Steinen sorg-
fältig gebautes Mauerwerk, ein Doppel-Quadrat von je zehn Fuß im Geviert, mit ge-
Abb. 4. „Kamoho alii“.
39 cm hoch.
1 cf. Memoirs of the Bernice Pauaki Biskop Museum. 2 Aus dem Tagebuche von Arning.
Vol. I. S. 30 ff. 3 in Abb. 5 ist seine Lage durch ein -|- angedeutet.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE 5
meinsamer Mittelmauer, von zwei Fuß Mauerhöhe. Flache Blöcke bedecken die Grund
fläche,“ Abb. 6.
„Ein konisch geformter, glatter Stein (Abb. 4) mit lei palapalai bekränzt, seit Men-
schengedenken an dieser Stelle (Abb. 6 rechts nach dem oberen Winkel zu), ist als Kamo-
hoalii, Bruder Pele’s bekannt und verehrt.
Der anstoßende Tempelteil war der Schwester Pele’s, Hoomea, geweiht. In diesem
stand (bei + in Abb. 6, im unteren rechten Winkel) der berühmte Giftbaum Kalaipuhoa
der hawaiischen Sage.1 Der alte Mann sagte, er habe noch die Wurzeln des Baumes gesehen,
aber die Kahunas hätten alles weggeholt, nachdem einer der letzten Könige von Kauai
in einer eigenen Expedition sie fortgeschafft habe. Beim Suchen nach Wurzelresten in dem
Gestrüpp und unter den Platten warf der Alte Awa-Wurzel als Sühnopfer für die Störung
hin, ebenso an die Stelle, wo der Steingötze fortgenommen wurde.
Die Legende des Platzes ist folgende: Zwei Männer bauten dort Süßkartoffeln. Eines
Morgens sahen sie bei Sonnenaufgang ein schönes Mädchen, das ihnen ganz unbekannt
Abb. 5. Lageplan des Tempels für
Kamoho alii.
Abb. 6. Ruinen der Tempel für Kamoho alli
und Hoomea.
war, und neben ihr einen kleinen Baum an jener Stelle. Als die Sonne höher und höher
stieg, wuchsen auch Mädchen und Baum; beim Sinken der Sonne schrumpfte die Frauen-
gestalt, der Baum aber blieb groß. Bald hernach wurde der Tempel um ihn herum gebaut.1 2“
Kamohoalii, der Bruder der Göttin Pele, die im Krater des Kilauea ihren Wohnsitz
hat, wird meistens zusammen mit den Gottheiten Hiiaka, Kapo und Pua aufgezählt. Auch
an diese vier göttlichen Wesen sowie an Pele selbst wandten sich der König und die Königin
durch ihre Priester und Wahrsager mit Opfern von Baststoffen und Lebensmitteln, um
Kindersegen zu erlangen.
VI 8375. Göttin Kihe wahine. Abb. 7.
Aus Kon-Holz. Die Augenhöhlen sind mit Perlmutterschale ausgelegt gewesen. Der
.Unterkiefer ist vorgestreckt. Von den ursprünglich zwölf eingesetzten menschlichen Zähnen
sind nur sechs erhalten: vier Incisivi und zwei Praemolaren. Der Kopf ist auf der Hinter-
hauptseite ausgehöhlt (um Gift aufzunehmen ?). An den Ohren einige Löcher, vielleicht
zum Befestigen von Ohrschmuck. Das Loch in der Gegend des Schambergs hat wohl zur
Befestigung von Haaren gedient. Höhe der higur 43 cm. Hamakua, Hawaii.
„Kihe wahine war die oberste Göttin und Herrin der Kobolde, ursprünglich Eidechsen
oder Schlangen (Kiha nui lulu moku).“3
Über Fundort und Fundumstände vergl. VI 8376.
1 Aus dem Tagebuche von Dr. Arning. Maunaloa Kaluakoe, Molokai.
2 Der ursprüngliche Baum stand 1700 bis 1750 in 3 Aus dem Tagebuch von Dr. Arning.
6
AUG. EICHHORN
Kihawahine wird im io. der religiösen Gesänge, pauku, aus der Weissagung vonKeau-
lumoku über Haui ka Lani (Fallen is the Chief), welche den Aufstieg Kamehamehas und
den Sturz des Königreichs behandelt, in folgendem Zusammenhänge erwähnt:
Abb. 7. „Göttin Kiha wahine“. 43 cm hoch.
,,Ka hainana a Iku, mana a Kihawahine
E hia ai ana ia Puna.
The assembly of worshippers of Iku, by the
power of Kiha wahine,
Greatly desiring to consume the land of
Puna.
That is food for that many bodied woman,
For the fish lying on the surface of the water;
the milo below;
For the mullet swimming in the lake Waiwela
Passing thence to Waiakea,
Through Kula, through Kapoho, through
Puehu, through Kumukukui.
Ferner enthält pauku XIV in seinem Anfang einen Lobpreis auf die übernatürlichen
Ia ai ka wahine kino lau,
Ina ia moe aau milo,
Ino anae holo a Waiwela,
Holo wai o Waiakea,
I Kula, i Kapoho i Puehu, i Kumukukui.
göttlichen Mächte von Kiha und Hina:
E Hina, E Hina mele lani,
E Kiha, E Kihawahine mana,
E Hina, e Hina mele lani, E Kiha, e Kiwa-
hine
E Kiha, e Kihawahine mana.
E Kihawahine mana ia ke poo,
0 Hina, o Hina of heavenly song!
0 Kiha, 0 supernatural Kihawahine!
0 Hina, 0 Hina of heavenly song!
0 Kiha, 0 supernatural Kihawahine!
0 supernatural Kihawahine, the supreme
head!
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
7
I nui ka mana i ko oukou Haku
0 ka mana о ka lani о Umi,
Oia kaula mana hoi oia aia,
Ki ina a aina na така о ke kino,
О ke kekea kua aaka,
Ua aaka ili рака kuaina la,
Wahine iki iole keokeo....
Increase the power o£ thy lord,
The power of the chief Umi,
That wise prophet indeed, that there
Procured and ate the eyes of the body
Of the blanched crackled-back;
Skin crackled as of the (shell-fish) ina,
(Like) small female white rodents. . .
VI 8376. Torso des Gottes Kamehai капа. Abb. 8 a und b.
Wahrscheinlich aus Brotfruchtbaumholz; in regelmäßigen Streifen und Abständen
sind Stifte von Kokospalmholz eingeschlagen. Länge 92 cm. Fundort Hamakua, Hawaii.
Männliches Idol in Gestalt einer Herme mit fehlendem Kopf. Die Form läßt sich am besten
vergleichen mit einem Röhrenknochen, dessen
eine Längsseite aufgeschlitzt ist. Das untere
flache Ende kreisförmig, das obere zu Brust
und Schultern geschnitzt, stilisiert wie bei den
hawaiischen Göttern (flache Brust und deut-
liche Wiedergabe des Schlüsselbeines). Im
schlanksten Teile der Taille des Gottes be-
trägt der Umfang 55 cm> die Dicke der Wan-
dung des hohlen Bildes 2 cm. Die Ränder
sind mit roter Erde, alaea, angestrichen. An
den Schultern finden sich keine Spuren von
Armansätzen; die rechte ist etwas höher als
die linke. Auf letzterer zeigen sich Spuren
vom Salben und Ölen.
Uber das Auffinden der beiden Götter-
bilder (VI 8375 und 8376) ist zu bemerken:
„Vor zirka 5 Jahren wurden auf einer nur
durch Schwimmen zu erreichenden Stelle an
der Felsenküste von Hamakua, Hawaii, in
der Nähe eines Ortes, der den Namen Laupa-
hoehoe iki führt, bei Gelegenheit der Aus-
grabung eines Loches für die Aufstellung
einer Destillierblase, um heimlich Okalehau-
Schnaps aus der Ti-Wurzel bereiten zu können,
eine flache Steinplatte gefunden, nach deren Abb. 8a u. b. Torso des Gottes Kamehai Kana.
Aufhebung in einem mit Steinen ausgelegten Vorder- und Rückseite. 92 cm hoch.
Loche diese Götzenbilder lagen. Sie wurden
nach der nahe liegenden Schlucht Waimano
gebracht, bald jedoch auf Geheiß der Kahunas entfernt und wieder in dem Loche am Felsen-
gestade versteckt. Es hatte sich nämlich bald, nachdem die Idole ins Dorf gebracht waren,
eine Krankheit schnell verbreitet, bei der weiße Flecken an Lippen, Mund und Schleim-
haut ein Hauptsymptom bildeten, und diese Plage wurde von den Kahunas als Strafe für
die Störung der Götter angesehen. Insgeheim gelang es, die Fundstelle auszuleeren; neben
den beiden Idolen fand sich dort ein Menschenschädel.“2
1 Memoirs of Bernice Pauahi Bishop Museum. Vol. VI: Thomas G. Thrum. Honolulu 1919_____1920
Fornander Collection of Hawaiian Antiquities and Folk- 2 Aus dem Tagebuche von Arning
Lore... by A. Fornander with Translations... by
AUG. EICHHORN
Kundige Eingeborene deuteten die Herme als Kamehai kana. „Die Hauptgötter
hatten nur ein Bild; an den verschiedenen Verehrungsplätzen eines solchen Gottes waren
hausähnliche Gebilde aus Korbgeflecht hergestellt und mit Federn und Farnkräutern, die
immer wieder erneuert wurden, geschmückt.“1
VI 8366. Idol Lualii. Abb. 9.
Aus Ahakeaholz roh geschnitzt. „Stehende Figur in leicht hockender Stellung. Die
Waden unförmig im Vergleich zu den Oberschenkeln. Füße ohne Zehen. Arme leicht ge-
Abb. 9. Idol Lualii. Höhe der Figur Abb. io. Idol Kapo (für Abortus).
37,5 cm; mit Piédestal 92 cm.
krümmt; frei herabhängend. Rechte Hand kaum angedeutet. Die Brust — wie bei allen
hawaiischen Göttergestalten — flach vorragend; Muskulatur durch zwei Halbmonde stark
angedeutet. Gesichtspartie steht weit vor, prognath, realistisch gehalten. Andeutung von
Zähnen und Zunge im schräggestellten Munde. Augen und Nase durch flache Schnitzerei
gekennzeichnet. Eine bärenmützenartige Kopfbedeckung hängt bis über die Ohren herab. Auf
der Scheitellinie eine Krista mit sechs Zacken, die nach hinten zu größer werden. Die Kopf-
bedeckung soll vielleicht einen aus Pandanusgeflecht gefertigten Hut darstellen.
Gefunden durch Chinesen in einem alten Taropatch bei Wailua-Kauai.“ VI
VI 8388. Idol Kapo (Abortus) Abb. 10.
Aus Ahakea-Holz. Pfriemenförmig. Arme anliegend. Der untere Teil der Figur läuft
in eine Spindel, die früher wohl scharf zugespitzt war, aus. Die oberen vier konzentrischen
Rillen des pfriemenartigen Unterkörpers tragen noch Spuren von blutroter Kapo. 22 cm
lang. Herkunftsort nicht angegeben.
1 Aus dem Tagebuche von Arning,
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
9
,,Der Gott wird Kapo genannt und diente zur Hervorbringung des künstlichen
Abortus. Ob die Figur tatsächlich als Instrument zur Perforation der Fruchthäute gebraucht
oder dabei nur gezeigt wurde, konnte nicht ermittelt werden. Für das letztere spricht,
daß Kapo auch in Fällen von Sterilität, um Kindersegen herbeizuführen, angerufen wurde. In
diesem Falle mußte ein schwarzes Huhn mit weißen Beinen und gelben Augen geopfert werden.
Bei der Abortusprozedur kamen auch die aufbewahrten Nabelsträngefrüherer Kinder zur
Verwendung; sie wurden als Opfer in Scheiben geschnitten und verbrannt “
Die Gottheit Kapo, auch Kapomailele genannt, steht mit Hiika, PUa und Kamohoalii
in gleichem Range; ihr Wohnsitz war Maui. Man sagte ihr nach, daß sie in bestimmte
Bäume eindringe und diese gifthaltig mache. Beim Gebet um Kindersegen wandte man
sich auch an sie. Ein Pule no Kapo enthält die Fornander Collection of Hawaiian Folk-lore;
es heißt in diesem Gebet zu Beginn:
Kane hili ae ka malama iluna
Haahaa ka malama ia ilalo
He wahine lei malama ka e Kapo.
Und an anderer Stelle:
Ku mai e Kapo!
Hele mai e Kapo!
Pupu halii i ke ala o nio kala,
Kau mai.
Kane, thou who art revered above
Who art revered below,
A woman garlanded in reverence is Kapo.
Rise thou, 0 Kapo!
Come thou, O Kapo, pluck thy herb,
Bind it in a bundle and lay it in the shadowy
path,
Have compassion.
E weliweli kolo ke oho i kamanava
Pii ae Kapo iluna o Maunaloa-
Pau kahiko Kapo i kona pau,
He ohu kuamauna, he ao kainuu,
He opua haalele wale la-ana.
Gegen Schluß ruft Beter eindringlich;
A mai hala ka ipo i kamanawa.
Ke aloha mai nei hoi ka ipo,
Ke aloha mai nei Kaulanaula, e Kapo!
The cry of affection creeps to the heart;
Kapo climbs Maunaloa —
Kapo already adorned in her skirt.
A fog of the mountain, a cloud of the rising
sea;
Clouds which easilyfade away.
Pass not the lover of my heart;
The regard is for the lover;
Love for Kaulanaula, 0 ’Kapo!
Zu den Idolen der Fischer sei einleitend bemerkt: Erfolg beim Fischfang erwartete
man nur durch Anrufung bestimmter Gottheiten. An erster Stelle durch Kuula, dann von
seiner Gemahlin Hina und von deren beider Sohn Aiai.
Die Legende berichtet, daß diese drei Fischgottheiten ursprünglich in Alea in Hana
auf Maui wohnten, doch während der Regierung von Kahoalii, des Königs von Hana,
wanderten sie von dort aus, um der heimtückischen Nachstellung dieses Herrschers, der
sie durch Anzündung ihres Hauses töten wollte, zu entgehen. Durch die Explosion von drei
unreifen Kürbisfrüchten, die sie in dem brennenden Hause zurückgelassen hatten, täuschten
sie ihre Vernichtung vor. Fortan wohnten Kuula und Hina im Meere, ihr Sohn Aiai aber
in einer Höhle an der Küste. Gleichzeitig mit ihrem Weggang von Hana zogen sich auch die
Fische von dort und der ganzen Umgebung tief ins Meer zurück. Außerdem hatten Kuula
und Hina die Fischbrut getötet, so daß Kahoaliis Fischerleute stets erfolglos blieben. Nun
entdeckte eines Tages Pilihawawa den Aiai in seiner Höhle an der steilen Klippe: beide
wurden Freunde und bezogen ein gemeinschaftliches Haus. Sie bebauten das Land, um
sich ernähren zu können. Aiai unterrichtete seinen Freund im Flechten von Fischkörben
zum Fange von Lippfischen. An einer felsigen Stelle senkten sie die Reusen ins Meer, wäh-
rend gleichzeitig Aiai seine Eltern um Hilfe anrief;
2 Baessler-Archiv.
IO
AUG. EICHHORN
E* Kuula a me Hina
E hookomo mai olua i ka ia.
0 ka pua hinalea, a me ka opule.
Seine Bitte wurde erhört, und eine Fülle der erbetenen Fische, hinalea und opule, zwei
Lippfischarten, sammelte sich in den Reusen. Alle anderen Fische jedoch trieb Kuula
vom Strand wieder ins tiefe Wasser zurück.
Die Fischer leben des Glaubens, daß bestimmte Steine, in denen die Fischgottheiten
wohnen, nur über bestimmte Fischarten Gewalt haben und daß einzig von diesen Idolen
der Erfolg abhängt. Auch Fischgötter aus Holz kommen vereinzelt vor.
VI 8379, Fischgott Kuula. Abb. 11.
Aus Ahakea-Holz; sorgfältig geglättet und schwarz gefärbt. Wegen Mangels der Brüste
ist das Idol als eine männliche Gestalt zu deuten. Bemerkenswerte Einzelheiten; Die Zunge
Abb. n. Fischgott Kuula. Abb. 12. Seinidol. 1 m hoch.
17 cm hoch.
ist nicht angedeutet. Die sagittale Krista auf dem Scheitel ist 1 cm breit und % cm hoch;
sie kann vielleicht die Leiste eines Helmes, mahiole, darstellen. Die Rückseite der Figur
ist platt. Das Bild steht auf einem kleinen Klotz; ob Füße früher vorhanden waren, läßt
sich jetzt nicht mehr mit Sicherheit nachweisen. 17 cm hoch. Fundort: Maui.
„Die Geschichte des Idols ist folgende: 1879 hörte Theodor Lauter von Frauen seiner
Gemeinde, daß sie ihm keine Austern, opii, und moo1 von einem bestimmten Striche der
Küste holen dürften, weil der Fischgott sie strafen würde. Er fragte: „Welcher Fischgott ?“
Es wurde ihm Kuula genannt und eine versteckte Höhle an der steilen Küste unterhalb
seines Hauses gezeigt. Er ging dorthin und fand in dieser Höhle einen Opu mukau, d. h.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
v
I I
Kürbis zum Aufbewahren von Fischhaken und -leinen. Der Kürbis war halb zerfallen;
in ihm fand sich, in Kapa eingewickelt, dies Idol und die vollständig zerfallenen Reste eines
zweiten, von dem ein Arm und ein Bein noch erhalten waren. Nähere Erkundigungen er-
gaben, daß dieser Fischgott seine besten Fischplätze an einer Stelle der Küste hatte, die
erreicht wurde, wenn die Kanus von dieser Höhle in gerader Linie seewärts fuhren, bis
sie einen Punkt des Nordostkaps von Maui, Kakakuloa bei Waihe, sehen konnten Diese
Stelle war ca. 3 bis 4 englische Meilen vom Lande entfernt.“
VI 7288. Stein-Idol, Kii Pohahu Akua, „Kuula“1. Abb. 12, 13.
Aus anscheinend dichtem Basalt. Die Rillen auf dem Kopf ahmen die alt-hawaiische
Haartracht nach. Rohe Arbeit. Höhe 1 m; größte Breite 43 cm. Breite der Vorderseite
19cm. Sammler: Carl Pflüger, Hawaiischer Generalkonsul
für Deutschland, Bremen.
Sehr alter und hochverehrter Gott der Fischerleute
von der Insel Lanai, wo derselbe seinen Tempel, Puu
henua, hatte.“2
Dieses mehrere Zentner schwere steinerne Idol stand
um 1864 an dem Eingang eines Grundstücks in Kahuku
auf Onbn. Seine Verehrer
Abb. 13. Seitenansicht und Querschnitt.
einer Zuckerrohrpflanzung
kam das Steinbild erst nach Frankfurt a. M. und ging von da in den Besitz des Berliner
Museums über.
Idol Mano’ ä“edi Tempdsb Mo'okini bei Puepe im Kohala-Distrikt auf Hawaii an der
” n \ i pona-naao3 liegt flach auf dem Grase an dem Rande eines
dfeVeife Buclt überragenden Felsabhanges die 2% m lange Figur des Steingötzen Mano,
Eme rohe And^tung^Gesrc^ ^ ^ ^ der M;tte des Steines seitlich
aufcetend“ Verbreiterung dürfte Wohl durch die ungefähre Ähnlichkeit mit einer Haifisch-
finne die Idee zur weiteren Bearbeitung gegeben haben. Auch am unteren Ende ist der
Stein bearbeitet, so daß hier fast die Form eines Gesichts entstanden ist
~ j ’ Mähe dieses Steines steht mitten auf einem freien Grasfelde ein ca. I m
. T Richtungen messender Lavablock, der an der Vorderfläche zwei runde De-
pressionen zeigt An diesem Steine wurde Kamehameha I. geboren. Es soll seine Mutter
fn Geburtswehen herumgelaufen sein; schließlich umfaßte sie den Stein mit beiden Armen,
stemmte die Kniee in die Depressionen und kam nieder.“
.. , . Kaoa paao (= Morgenstern) als ein äußerst mächtiger
1 oder Waikane (handsc rl * 1C_ Fischgott bezeichnet. Er soll aus Tahiti gekommen und
3 ^UUS de^ Tägebuchc von rnmg. r ^ schwerer unweit des Tempels in einer kleinen Bucht da gelandet
• Ihn stellt ein ung SHöhe und 137 5 cm Umfang sein, wo sich die einzige Einfahrt für Kanus an der
grauer Lava von 24,5 _ Versteck an einer der sonst wilden Küste findet. Nach Arning.
wurde als • Aus dem Tagebucbe von Arning.
2'
*
AUG. EICHHORN
i 2
Von diesem Idol ist im Berliner Museum nur eine Skizze aus der Sammlung von Dr. Ar-
ning vorhanden. Abb. 14.
VI 8373 a und b. „Fisch-Gott“. Abb. 15.
Ein Stück gelblicher Korallenkalk mit verschiedenen natürlichen Löchern. Bei einiger
Phantasie läßt sich ein Fischkopf mit geöffnetem Maule (linker Teil der Abb. 15) erkennen.
10,1 cm lang; 8,5 cm breit; 7 cm größte Dicke. Kalaupapa,
Molokai. Der unbearbeitete, verwitterte Stein war in einen
Fetzen roter Кара mit schwarzen Streifen eingewickelt.
„Das Ganze repräsentiert einen
Fisch-Gott, dem beim Auszug zum
Fischfang Öl, Awa und Schweine zum
Opfer gebracht wurden. Das Stück
stammt aus der Familie von Simona
in Kalaupapa, Molokai, Einer seiner
Vorfahren träumte von dem Stein,
Abb. 15. „Fisch-Gott“. fand ihn dann beim Ausgang zum
10,1 cm hoch. Fischfang und wußte dadurch, daß
er ihm Verehrung schuldig sei. Die
Höhlungen im Stein sollen nach der Familienlegende mit scharlachroter Masse ausgefüllt
gewesen sein. Aus der größten Höhlung im Stein soll einmal ein junger, ebenso gestalteter
Gott hervorgegangen sein.“ Vgl. VI 8370: Sich vermehrende Steine.
VI 8385 a bis d „Fisch-Gott“. Abb. 16.
Aus schwerem, stark eisenhaltigem, schwarzbraun glänzendem Gestein. Die Form er-
innert entfernt an den breiten Kopf eines Fisches mit offenem Maule. „Das eine Ende des
Steines ist mehr abgerundet, während das
andere gerade erscheint; ringsherum läuft seit-
lich eine flach eingegrabene Rille. Dieser Stein
mag auch zur Beschwerung der
Haken für den Oktopusfang
(Abb. 17) gedient haben. Er ist
jetzt in drei verschiedene Stücke
Kapa eingewickelt.“1 7% cm
lang, 3,7 cm hoch. Die äußere
Umhüllung besteht aus reh-
farbenem Baststoff; die zweite
bildet ein Fetzen braungelber
Kapa; als dritte, innerste Um-
hüllungdient ein Stückchen rot-
Abb. 17. Köder zum Octopus-Fang.
Abb. 18. „Fisch-Gott.“
14,5 cm hoch.
gestreiften Bastzeugs, Aus Koolau, Oahu. VI
VI 8367. Fischgott. Abb. 18.
Das Idol besteht aus einer von der Natur gebildeten Kombination von schwarzer Lava
und gelblichem Kalksinter. Der untere Teil ist entsprechend dem Basaltkonus bei den
hawaiischen Göttergestalten kegelförmig abgeschliffen worden, so daß er entfernt an den
Rumpf eines Menschen erinnert. Dieser Lavakonus umfaßt kelchähnlich das kugelig ge-
staltete Kalkstück, in das roh die Halseinschnürung, die Augen und Nasenpartie einge-
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
13
schliffen sind. Aufgelagerte münzenförmige Stückchen Lava hat der Steinkünstler als
Haare gedeutet und demgemäß die Kalkmasse zur Charakterisierung des Gesichts bearbeitet.
Die eigenartige Gesteinsmengung und namentlich deren ursprüngliche Form waren
höchstwahrscheinlich die Veranlassung, dem Naturgebilde geheimnisvolle Kräfte zuzu-
schreiben und es zu einem Idol auszugestalten. Höhe 14,5 cm. Fundort Ewa auf Oahu.
Der „Fischgott“ stammt aus einer alten Fischerhütte in Ewa und war in einem Fetzen
Bastzeug eingewickelt. Sein Eigentümer behauptete, sich beim Fischen nicht mehr dieses
Gottes zu bedienen, aber oft habe er seinen Vater vor dem Ausgang zum Fischfang mit dem
Fingernagel an dem Steine kratzen und die abgekratzten Partikel in einem Gefäßt mit
Wasser auffangen sehen, das er dann getrunken habe.
Abb, 19. Idol eines Fischgottes ?
Aus Lava mit Olivineinsprengungen. „Ganze Höhe 26,5 cm. Querdurchmesser der
Beine 5,5 cm. Stammt aus Kauai und ist erst kürzlich in den Besitz des Königs Kalakaua
gelangt. War bis auf den Kopf in weiße Kapa ge-
hüllt. Kopf im Verhältnis zu der einem Schneemann
ähnlichen Figur sehr klein; trägt Andeutungen von
Mund, Nase und Augen. In letzteren Kitt, mit dem
zwei Perlmutterknöpfe in die Augenhöhlen einge-
kittet waren. Wahrscheinlich Fischgott.“1
Abb. 20. Kanu-Idol beim Angeln.
Aus Ahakeaholz. „Durch vielfaches Ölen und
Manipulieren von der Farbe alten Eichenholzschnitz-
werks.“ Figur in hockender Stellung; mit übergroßen
Armen. Nase durch zwei knopfförmige Wülste, Stirn
und Augen durch eingeschnittene Rautenfiguren
dargestellt. Eine Krista verläuft über den Kopf. Ge-
samtlänge 81 cm. Sockel 40 cm
hoch; dessen größter Umfang
24,5 cm.
„Nach Aussage des Kö-
nigs Kalakaua wurde diese
Figur auf der vorderen
Stange des Auslegers am
Kanu auf dessen höchster
Stelle durch Anschnürung
befestigt und diente zum
Halten (zur Stütze) der
während der Fahrt ausge-
legten Angelruten.“
Das Idol befand sich
885 im Besitze des Königs Kalakau; im Berliner Museum befindet sich nur eine Photo-
raphie aus der Sammlung von Dr. Arning. VI
Abb. 19.
Hsch-Gott“. 26,5 cm hoch.
Abb. 20. Kanu-Idol beim Angeln. 81 cm lang.
VI 7287. Stein-„Idol“, Kii Pohaka Akua; ohne Namen. Abb. 21, 22. (Seitenansicht und
Rückseite.)
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
i4
AUG. EICHHORN
Aus stark poröser, trachytartiger, sehr harter Lavamasse. Roh bearbeiteter Block
mit Männerkopf. Stirn niedrig; Ohren sehr groß. Nase verstümmelt. Die Haarpartie ragt
schneppenartig vor und endet hinten in einen kurzen Zopf. Von Ohr zu Ohr verläuft ein
Wulst; in einen zweiten, der sich darunter befindet, geht die feingefältelte Halskrause über.
Höhe 84 cm; größter Umfang 2,8 m. Sammler: Generalkonsul Pflüger in Bremen.
,,Der Name dieses Götzen ist nicht bekannt; das Idol stammt ohne Zweifel aus dem
16. Jahrhundert nach der Landung der ersten schiffbrüchigen Spanier. Vermutlich stran-
Abb. 21 und 22. „Stein-Idol“. Seiten- und Rückansicht“. 88 cm hoch; 2,8 m größter Umfang.
dete Mendoza 1532 mit seiner via Mexico kommenden Gallone auf Hawaii. Diese Jahres-
zahl stimmt so ziemlich mit der Tradition der Eingeborenen überein, daß schiffbrüchige
Spanier um diese Zeit auf Hawaii landeten.
M. Pierce, ein amerikanischer Kaufmann in Honolulu (1825), später Minister-Resident
daselbst, erwähnt, von diesem Götzen gehört zu haben, vermutete aber, daß derselbe bei
der Einführung des Christentums zerstört oder ins Meer geworfen worden sei.
Jedenfalls wurden diese beiden Idole (VI 7287 und 7288) viele Jahre von den Einge-
borenen verborgen gehalten, und sie sind erst nach der Blättern-Epidemie 1853, als die
Eigentümer gestorben waren, zum Vorschein gekommen.
Beide Idole kamen Mitte der fünfziger Jahre in den Besitz des Herrn Robert Mossitt
Steney, welcher sie nach Kahaka (Oahu) bringen und vor seiner Wohnung aufstellen ließ.
Mr. Mossitt starb 1873, und Kahaka ging in den Besitz des alten Judge Wiedemann über,
welcher 1880 an Mr. Campbell verkaufte, die beiden Idole aber von dem Verkaufe ausschloß
und an den Generalkonsul Pflüger verschenkte. Im Juli 1881 wurden sie nach Honolulu
gebracht, alsbald dann nach Bremen, wo sie 1884 im Garten Pflügers Aufstellung fanden.
— Die Eingeborenen in Kahaka boten 50 Dollars pro Jahr, wenn die Idole am Platze
bleiben könnten, da sie für das Resultat ihrer Fischerei fürchteten. Merkwürdigerweise
war der Hafen von Honolulu so stark von Fischen belebt, wie nie zuvor, als der Dampfer
mit den Götzen von Kahaka anlangte.“1
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
15
VI 8527 a und b. Melomelo, Zauberköder beim Fischfang. Abb. 23.
Aus Kanila-Holz, keulenförmig. Oberes Ende knöpf artig. Beide Seiten etwas ab-
o-eflacht und mit groben Längsrillen versehen. 60 cm lang. Umfang des Kolbens 22 cm.
Die Leine aus Olona-Faser, die zu einer zweisträhnigen Schnur zusammengedreht
ist Das Trocknen der Fischleinen geschieht durch Umwickeln über zwei ca. 8 Fuß aus-
einanderstehende Pfosten, die dann durch ein Querholz gespannt werden.“
Die hawaiischen Fischer trennen sich von diesen schweren Hölzern sehr schwer, da
sie jedem einzelnen besondere geheimnisvolle Kräfte zuschreiben.
Beim Fischfang gebraucht man diese Zauberhölzer in folgender
Weise; ,Bei Ankunft auf dem Fischgrund wird der melomelo mit
einem Gemisch von Maile, Kukui-Nuß und Kokosnußol be-
strichen auch die Kerne von Kukuinüssen über die Rillen hm-
und hergerieben; sodann wird es an einer langen Olona-Leme ms
Wasser hinabgelassen; wie einige sagen, bis m die Hälfte der Tic c,
wie andere behaupten, bis auf den Grund und dort in senkrechter
Bewegung auf- und abgestoßen. Zugleich spuckt der Fisc rer ge-
kaute Kukui-Nußkerne auf die Oberfläche des Wassers; dann erst werden die Angel-
M r auf vieles Bitten wurde dieser melomelo veräußert, nach abgeschlossenem Kaufe
klagte der Fischer, daß ihn wohl jetzt das Glück verlassen werde.“'
Für die Art der Aufstellung und für die Formen des Kultus jener Fischgottheiten
gelten höchstwahrscheinlich mehr oder weniger die Beobachtungen die Dr. Arning lb86
bei seinem Besuche des Fischgott-Heiligtums auf Oahu machte Ich hatte von der Existenz
eines mächtigen Fischereigottes auf der Kolau-Seite der nsel Oahu Andeutungen gehört
und war so glücklich, zufällig an das richtige Haus zu gelangen. Die Bewohner leugneten
zwar jegliche Kenntnis dieses Götzen. Als ich spionierend in der Umgebung herumging,
und anfing, einem kleinen, isoliert stehenden, verschlossenen Hause besondere Aufmerk-
-teisrÄÄÄ
SSSiS«-» dit “"Vf1"v":
zierung Der ganze Bau anscheinend wenig über ein paar Jahre alt. Die eine Seite war mit
mehrfachen Laven von Matten bedeckt und durch einen aufrechten Pfosten und ein von
diesem ausgehendes Querholz gewissermaßen abgeteilt. Uber dem Querholz hing eine große
weiße Tapa, die nach hinten zurückgeschlagen war und dort durch ein zweites Querholz
y V eine Art Baldachin bildend. Unter diesem Baldachin befand sich
CSÄSHÄi-* unbearbeiteter S„l. (grau, ln»), du,eh Wa.e, in .1.,
ovoide Form geschliffen, allerdings von sehr regelmäßiger Kontur, etwa zwei Fuß hoch,
vrößte Breite iV, Fuß, ein Fuß dick. Von diesem Steine sah man nur die Spitze; der übrige
Stein war in seinen oberen Partien durch eine mantelförmig umgelegte rosenrote Tapa ver-
hüllt die ihrerseits in den unteren Partien durch eine sehr rohe unvollendete weiße Tapa
1 ’ c irh mich durch Betasten des Steines durch die Umhüllungen hindurch
unddurdi^nfSiTender Hand unter die ziemlich fest angezogenen Hüllen überzeugen
konnte, war der Stein glatt und ohne menschliche Bearbeitung.
Um Schnüre die rings um das Bild liefen, waren Ranken der wohlriechenden Maile,
eines hoch oben in den Bergen wachsenden Schlinggewächses, gewunden, und Opfer: Awa-
wurzeln einLavalu-Fischgericht (ein inDrazaenablättern unter der Erde gebackener Fisch),
Tabak und eine Tabakpfeife lagen auf der Erde vor dem Bilde.
Abb. 23, „Melomelo“,
Zauberköder beim Fischen.
60 cm breit.
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
AUG. EICHHORN
16
Uber den Namen des Götzen konnte ich nichts erfahren, nur so viel, daß der Fetisch
hoch oben in dem von dieser Stelle aus hinaufziehenden Tale seinen ursprünglichen Stand-
punkt gehabt habe und daß der jetzige Besitzer vorm Auszug zum Fischfang nie vergißt,
seinem Gotte und sich selber einen Awatrunk zu spenden.“ Uber die Kultstätte und Art
der Verehrung des Fischgottes Kane auf Molokai bemerkt Arning, daß der die Gottheit
darstellende Lavastein die Gestalt einer Büste hat, ohne Gesicht und ohne linke Schulter
ist, weil Kane sie im Kampfe mit seinem Rivalen einbüßte, und daß er von dem ihn ver-
ehrenden Fischer in Kalaupapa in ein großes Stück gemusterten Kattuns eingewickelt ist;
er steht auf einer Bank in einem Seitenzimmer des Hauses. Dem Gotte, der ursprüng-
lich von der Insel Lauai stammt und von da erst nach Kaunakakai, dann nach Waikolo
und schließlich nach Kalaupapa kam, wird noch heutzutage vor dem Auszuge zum Fisch-
fang geopfert.
Neben diesen Götterbildern gibt es, wie Arning betont, noch eine Unmenge Felsen
und Steine, welchen göttliche Verehrung dargebracht wird. Es werden einem fast bei
jeder Kanufahrt mit alten Fischern in der Küstenbrandung stehende oder auch ganz unter
dem Wasserspiegel verborgene und nur bei stiller See sichtbare Felsen gezeigt, deren Ein-
fluß auf den Fischfang und günstige Witterung auch gewöhnlich durch eine Awaspende
erfleht wird. Nur bei einem dieser Felsen, und zwar bei einem unter dem Wasser liegenden,
ließ sich die ungefähre Gestalt einer menschlichen Figur mit weit ausgestreckten Armen
und Beinen erkennen. Im allgemeinen mögen bei den anderen wohl meistens auffällige
Formen und zugleich günstige Lage als Landmarken bei Einfahrten durch die Brandung
diesen Steinen die Ehre der Deifikation eingetragen haben.
VI 8386. Idol der Kanumacher ? Abb. 24 und 25. „Whetstone Idol.”
Aus grauem, dichtem Gestein. Auf drei Seiten muldenförmige ovale Vertiefungen in-
folge der Benutzung des Steinbildes als Schleifstein für
Steinbeilklingen. 60 cm hoch. Längs- und Querschnitt Abb.
21 a und b. Aus Kailua, Hawaii.
“Stone Idol found by Pila Pohee pali Nov, 13. 1885 in a
lua huna situated in an old kahua hale in Keopu, Kailua,
Hawaii, not far from the Kailua church. As he was looking-
after his goats he noticed this peculiar lua in the kahua and
concluded to search it carefully for curios. After removing a
large quantity of stones he found this
image where he thinks it was placed
for safety by those who formerly
occupied the house above it.
The lua huna is a natural cave,
so common in Kailua over which the
house was built. By removing a
number of stones there was an
opening made into this hidden
chamber below.
No name is known for the idol,
nor has it a well kwown history. It is
supposed to be the petty god of some
craft, probably the canoe makers, and was of the nature of an aumakua,“1
Abb. 24. „Idol der Kanumacher'
60 cm hoch, 31 cm breit.
Abb. 25. Durchschnitt
des Idols Abb. 24.
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
17
VI. 8372. „Phallus-Fetisch.“ Abb, 26.
Aus großblasiger grauer Lava. Der Verfertiger hat die dichtere Struktur des Endstücks
der löchrigen Gesteinsmasse geschickt zur Nachbildung des sulcus coronarius und der glans
penis benutzt. Durch einen Einschnitt gibt er das frenulum praeputii realistisch wieder
21 cm lang. Hana; Maui.
„Dieser Phallus wurde 1884 beim Baden in einem Bache bei Hana Maui zusammen
mit einem weiblichen Genital aus gleichem Stein gefunden. König Kalakaua hält das Stück
unbedingt für einen Fetisch.
Unter den verschiedenen Häusern, welche die Chiefs besaßen, befand sich auch eine
sogenannte hale helau, in welcher die Kanus, Waffen, Kapas sowie die Phalli aufbewahrt
wurden. Hier stellte man die Phalli aus dem mit lepo palolo bezeichnten Ton her und zwar
Abb. 26. „Phallus-Fetisch“. 21 cm lang. Abb. 27. „Phallus-Fetisch“. 49 cm lang.
indem sie den Geschlechtsteilen der verschiedenen Chiefs nachkopiert wurden. Wenn ver-
schiedene Phalli fertig waren, wurden auch die Weiber hereingerufen und man sprach
über die Phalli und deren Verschiedenheit untereinander.“1
VI 8389. Phallus ? Abb. 27.
Aus großblasiger grauer, schwerer Lava. „Kegelförmig, an dem breiteren Teile
ist eine Kehle, die ziemlich ringsherum läuft, eingearbeitet. Das Stück ist im allgemeinen
einer dreiseitigen Pyramide zu vergleichen, die nach der Basis abgerundet und nach der
einen Seitenfläche zu abgeschrägt ist. Die Rundung der Basis greift wulstförmig über den
unteren Abschnitt der Pyramide und ist durch eine tiefe Kehle von ihm getrennt. Die Kehle
läuft von der einen Seitenkante seicht anfangend, allmählich tiefer werdend, parallel mit
der abgeschrägten Basis unterhalb dieses Wulstes um den Stein herum. An der einen Seiten-
fläche stark ausgebogen und eine Art Nase bildend, so daß Sulcus coronae und Frenulum
erzeugt wird. 49 cm hoch; 87,5 cm größter Umfang. Kawaihae, Hawaii.
Der Stein hat seit langen Zeiten in der Nähe der Landungsstelle Kawaihae, Hawaii,
gelegen. Etwas Bestimmtes über seine Bedeutung ließ sich nicht ermitteln, jedenfalls ist
der Stein künstlich bearbeitet und diente vielleicht als Anker für Kanus. Im Gouverne-
mentsmuseum in Honolulu befindet sich ein kleiner, sonst ähnlich geformter Stein, von
dem berichtet wird, er habe in der Tür eines Heiaus (Tempels) gehangen, mit der Bestim-
mung, über dem unbefugt oder feindlich Eindringenden losgelassen zu werden. Dagegen
scheint aber zu sprechen, daß der beschriebene Wulst nicht gleichmäßig und zur Befestigung
eines Strickes zweckmäßig angebracht ist.
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
3 Baessler-Archiv.
AUG. EICHHORN
Auf Kalae, Molokai, soll, sich ein noch größerer Phallus als dieser befinden. Die Grund-
form des Steines ist wohl eine natürlich basaltische; diese Form findet sich häufig bei den
Küstensteinen.U1
VI 8382. Anaana-Idol. Abb. 28.
Aus hartem Holze, Hockende Stellung; geschlechtslos. Die sagittal über den Kopf
sich hinziehende Kammleiste hat sieben vertikale Einschnitte; an der vorderen Zacke ist
ein Büschelchen roter Federn von einer Drepanidenart angebunden. Die Figur steht auf
Abb. 28. Anaana-Idol. 11 cm hoch.
Abb. 29. „Idol“.
16,5 cm hoch.
Abb. 30. „Idol“.
Länge des Gesichtes 55 cm.
einem viereckigen Sockel, dessen unteres Ende abgebrochen ist. 11 cm hoch. Fundort
nicht angegeben. ,,Als das Idol aufgefunden wurde, trug es ein von Insekten zerfressenes
Malo von grauem Faserstoff, von dem noch Spuren vorhanden sind. Es ist dies ein Anaana-
Gott, und er diente zum Hervorrufen von Krankheiten der Ernte wie der Hausgenossen.
Zu ersterem Zweck wurde er vomKahuna für einen Tag oder eine Nacht in das Erdreich der
Süßkartoffelpflanzung oder in das Dach der Hütte des zu Verhexenden versteckt. Damit
der Bann wirksam sei, mußte der Anaana-Kahuna zugleich im Besitze eines Teils des Kör-
pers des betreffenden Opfers sein. Es genügten Exkremente, Sputa, abgeschnittene Nägel
des betreffenden Opfers; auch ein Stück des Kleidungsstücks, das lange direkt am Körper
(Malo) getragen war. So werden auch Zigarren- und Zigarettenstummel eines Chiefs sehr sorg-
fältig entfernt, damit sie nicht zur Anaanainfizierung benutzt werden. Als Opfer dienten
beim Anaana bestimmte Teile vom Schwein, hauptsächlich die Lunge, Akemama, und ganz
bestimmte Teile der Därme, Naau, dann noch Awa und, wenn vorhanden, Stücke des
auf Molokai gewachsenen Giftbaumes Kalaipahoa,“1
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
19
VI 8387. Idol. Abb. 29.
Aus kleinblasiger Lava, in deren Poren nach Ton riechende Erdmasse namentlich an
die Stellen gestrichen ist, die für Hervorhebung der Gesichtsteile wesentlich sind. Die Be-
arbeitung ist grob, doch die hockende menschliche Gestalt unverkennbar
Zweck unbekannt. 16,5 cm hoch. Aus der Umgegend von Honolulu
Idol. Abb. 30.
Aus schwerem, dickem, grauem Gestein; in Lebensgröße. „Angeblich Portrait des
Priesters Makuakaumano. Die angeklebte Etikette trägt die Inschrift: Makuakaumano ke
makaula inohe ma kai papau Koolauwa Laie K. . . Kaleohane.
Länge des Gesichts 55 cm; Kopfumfang 75 cm. Im Besitz des Königs Kalakaua Im
Berliner Museum ist nur eine Abbildung aus der Sammlung von Dr. Arning vorhanden
Von Makuakaumano wird berichtet, daß er sich gelegentlich der Häuptlingswahl für
Hawaii mit seinen Begleitern nach dem Hafen von Moaulanuiakea begeben habe und dort
an den Priester des Ortes, an Lonokeho, einen Gesang folgenden Inhalts richtete:
E Lono, e Lono — e —-! E Lonokaeho!
Lonokulani alii o Kauluonana.
Eia na waa kau mai,
E hoi e noho ia Hawaiikuauli,
He aina loao i ka moana,
I hoea mai loko o ka ale;
I ka halehale poi pu a Kanaloa;
He koakea i halelo i ka wai,
I lou i ka makau a ka lawaia,
A ka lawaia nui o Kapaahu
A ka lawaia nui o Kapuheeuanui — la
A pae na waa, kau mai,
E holo ai i Hawaii, he moku;
He moku Hawaii,
He moku Hawaii na Lonokaeho e noho.
0 Lono, 0 Lono, listen 0 Lonokaeho!
Lonokulani, chief if Kauluonana,
Here are the canoes, get on board,
Come along and dwell in Hawaaii-with- the- green-back,
A land that was found in the ocean,
That was thrown up from the sea,
From the very depths of Kanaloa,
The white coral in the watery caves
That was caught on the hook of the fisherman;
The great fisherman of Kapaahu,
The great fisherman Kapuheeuanui.
The canoes touch the shore, come on board,
Sail to Hawaii, an island,
An island is Hawaii;
An island is Hawaii for Lonokaeho to dwell on.1
1 cf. Fornander Collection of Hawaiian Antiquities and Folk-lore. Vol. I. Honolulu 1916—1917. g. 22,
20
AUG. EICHHORN
VI 8381. Idol. Name und Bedeutung unbekannt. Abb. 31.
Aus Ahakea-Holz. Hockende Stellung. Keine Anzeichen des Geschlechts. Oberschenkel
und Hinterbacken sehr schwach im Verhältnis zu den starken Waden. Gesicht ohne jede
Spur von Auge, Nase und Mund. Helmartiger Kopfschmuck. 23 cm hoch. Kein Herkunfts-
ort. „Figur zeigt ausgezeichnete Arbeit mit der Steinaxt, ohne nachträgliche Überar-
beitung mit feineren Werkzeugen, Bimsstein etc. Unterhalb der Füße ragt ein abgebrochenes
Abb. 31. „Idol“. 23 cm hoch. Abb. 32. „Fetisch“. 21 cm hoch.
Stück zum Einsetzen in den Steinhaufen hervor. Das Bild ist trotz seiner Rohheit ent-
schieden viel gebraucht worden, wie die glatte Handpolitur auch über den rohbearbeiteten
Teilen zeigt.“1 VI.
VI. 7241. Fetisch. Abb. 32.
Aus braunschwarzem, verwittertem Kamoila-Holze. Geschlechtlos dargestellte mensch-
liche Figur; Kopf verloren gegangen. Unterschenkel unverhältnismäßig kurz. Finger und
Füße nicht angedeutet. Sockel defekt;2 war wohl vollrund und diente zum Tragen3 oder
Einstecken des Idols in einen weichen Untergrund. 21 cm hoch. Sammler; Pflüger.
Stammt aus dem vom König Kamehameha I erbauten und dem Kriegsgott Kukaili-
moku geweihten Tempel von Paukohola in Kawaihaë, Hawaii.
1 cf. Fornander Collection of Hawaiian Antiquités and Stabe getragen wurde (handschriftlich).
Folk-lore. Vol. I. Honolulu 19x6—1917- S. 22. 3 Aus dem Tagebuche von Arning.
2 cf. Gott Feno, dessen Idol auf einem 12 Fuß langen
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE 2I
VI. 256. „Götzenbild in Gestalt eines Schwimmenden.“ Abb. 33.
Aus mittelhartem Holze von graugelblicher Farbe. Menschliche Figur, geschlechtslos
dargestellt, nicht „in Gestalt eines Schwimmenden“, sondern in der Haltung eines Menschen,
der mit seinen Händen eine schwere Last hochhält; daher sein nach hinten herabhängender
Kopf.
Die Haare sind durch Schweineborstenbündel, die in Löcher eingelassen sind, markiert.
In die Augenhöhlen sind Perlmutterscheiben eingelassen, der zu ihrer Befestigung dienende
Holzpflock bildet gleichzeitig die Pupille.
Die Zahnreihen des weitgeöffneten Mundes — die Formgebung der Öffnung schreibt
die religiöse Kunstübung vor — sind durch Perlmuttereinlagen nachgebildet.
Finger und Zehen nicht angedeutet. Nennung des Sammlers und Angabe des Her-
kunftsortes fehlen. Höhe 44 cm.
Nach einer Abbildung aus der Edge-Partington Collection zu schließen, handelt es sich
Abb. 33. „Idol“. 44cm hoch. Abb. 35. Idol wie Abb. 34: schräg von oben.
bei diesem Schnitzwerk um eine Figur “for supporting the long spears Standing in front
of chiefs houses as an emblem of their rank.
VI 257. „Götzenbild mit vier Fratzengesichtern.“ Abb. 34 und 35.
Aus mittelhartem, grauem Holze. Die Menschenköpfe, die fast ohne Andeutung der
Stirn dargestellt sind, zeigen eine stark vorgeschobene Kinnpartie und breit geöffnete
Mäuler, in denen die dicken Zungen sichtbar sind.
Die Augäpfel waren durch eingelassene Perlmutterstückchen imitiert, meistens sind sie
verloren gegangen. Die Köpfe der Holzpflöckchen, die jene M^uschelschalenstücke fixieren,
deuten Pupille und Iris an.
Die nahezu quadratische Öffnung im Sockel und Abnutzungsspuren auf der Unter-
seite lassen vermuten, daß das Idol, dessen Basis eine leichte muldenförmige Vertiefung
Abb. 34. Idol. 33 cm lang, 12 cm hoch.
.ju «
AUG. EICHHORN
in der Längsrichtung zeigt, auf eine dicke Stange oder dergleichen aufgesetzt und an ihr
festgebunden worden ist.
Angabe des Sammlers und Bezeichnung des Herkunftsortes fehlen. Länge: 33 cm,
Höhe 12 cm.
Abb. 36. Idol.
Aus Holz. „Eigentümlich an diesem Idol ist, daß der Helm, Mahiole, von dem Kopf
getrennt ist und frei im Bogen über ihn hinüberreicht.“
Name und Fundort unbekannt.
Von diesem Idol ist im Berliner Museum nur eine Photographie aus der Sammlung von
Dr. Arning vorhanden.
Abb. 37. Idol.
1886 befand es sich im Missions-Museum in Boston, Massachusetts.
„Die Sammlung ist in schlechtem Zustande, ungeordnet, unkatalogisiert, Etiketten
■: j
Abb. 36. „Idol“.
Abb. 37. „Idol“.
Abb. 38.
„Götzenkopf“. 34 cm hoch.
fehlen vielfach oder sind unleserlich geworden.“1 Am Ende der zwanziger Jahre vorigen
Jahrhunderts gingen die ersten Expeditionen der Bostoner Mission nach den Hawaiischen
Inseln. VI
VI 7269. Götzenkopf. Abb. 38. („Modern,“)
Aus schwammigem, gelbem Holze. Kopf hinten abgeflacht; breites Gesicht. Von der
rechten zur linken Ohrgegend verlaufen vier etwa 1 cm tiefe Einschnitte über die Scheitel-
partie; drei horizontale Rillen sind über das Hinterhaupt gezogen. Sämtliche Vertiefungen
sind zur Aufnahme von Haaren bestimmt, aber nur in die drei vorderen Rillen sind bis an
22 cm lange braunschwarze strähnige Menschenhaare in einzelnen Büscheln gesteckt und
durch Einkleben, in der vordersten Rille noch durch Einzwängen eines Leinwandstreifens,
fixiert.
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
23
Die Gesichtsfläche ist mit weißgrauer Ölfarbe überstrichen; die Lippen rotbraun, die
Augenbrauen schwarz angemalt. Den einen Augapfel bildet ein Stück Perlmutterschale;
die Einlage des anderen ist verloren gegangen.
In dem wenig geöffnetem Mund sind beide Zahnreihen mit Hilfe von Gaumenzähnen
einer Schlangenart imitiert.
Das Ganze ist eine grobe Arbeit. Das Idol wurde 1881 im alten Heiau (Tempel) in
Waianae auf Oahu zusammen mit der Kokospalm-Trommel VI 7270 gefunden
Höhe 34 cm. Sammler: Generalkonsul Pflüger.
VI 8369. Fetischstein. Abb. 39.
Aus schwarzem, dichtem, schwerem Gestein; Oberfläche glatt. Herzförmig Län e
10,5 cm; Dicke 5 cm. Aus einer Hütte in Molokai.
„Diese glatten, schwarzen Steine finden sich vielfach in den Hütten der Eingeborenen
und werden zu den verschiedensten Zwecken gebraucht, z. B, als
Spielsteine (ala), oder zum Zerstampfen von kukui-Nuß, oder um die
Ecken der Schlafmatten zu beschweren; wenn sie größer sind, auch
als Kopfkissen. Es wohnen ihnen allerlei Geheimkräfte inne, und
hat ein Stein erst mehrere Generationen überdauert, so ist es
nicht selten, daß er geradezu personifiziert und als Fetisch verehrt
wird. Nur auf diese Weise läßt sich erklären, wie schwer sich die Ein-
geborenen von solchen Steinen trennen. Eine der auffallendsten
abergläubischen Vorstellungen, die mit diesen Steinen verbunden
sind, ist die von sogar intelligenten Leuten vertretene Ansicht, daß
solche Steine wachsen könnten; so gilt als unumstößliche Tatsache, daß einer dieser
Steine in die Gabel eines wachsenden Baumes gelegt, dem Wachstum des Baumes ent-
sprechend größer wird.
Derartige Steine sollen sich auch vermehren können; dazu gehört das längere Zusammen-
sein eines männlichen und eines weiblichen Steines.“1 VI
Abb 39. „Fetisch-Stein“.
10,5 cm lang, 5 cm dick.
VI 8370 a bis d. Sich vermehrende Steine. Abb. 40.
Kleine Steine von verschiedener Form, Farbe und Zusammensetzung. Der „männ-
Abb 40a—d. „Sich vermehrende Steine“, a. männlicher St. 2,5 cm hoch,
b, weiblicher St. 2,5 cm hoch, c. und d. Kinder; je 2,5 cm.
liehe“ Stein ist tiefschwarz, aus dichtem Material, glatt, die Oberfläche wie poliert. 2,5 cm
hoch.
Der „weibliche“ Stein hat ungefähr die Form einer Pferdebohne und ist von grauer
Färbung. Seine Gesteinsmasse ist nicht homogen, sondern in die graue Grundsubstanz
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
24
AUG. EICHHORN
sind kleine weiße Gesteinspajtikel von Hirsekorn- bis Linsengrößte, eingelagert; sie ragen
hie und da über die graue Masse hervor, als wollten sie sich vom Muttergestein loslösen.
2,5 cm hoch.
c und d sind mit „Kinder“ bezeichnet; der erstere Stein ist von grauer, der letztere
von gelblich weißer Farbe mit einem Stich ins rötliche. Jeder 2,5 cm hoch. Fundort Koloa
Kauai.
„Diese Steine werden entweder in ein Stückchen Кара oder Flanell gewickelt. Im
allgemeinen bekommt man sie sehr selten zu sehen. Im Verlaufe von Monaten sollen sich
die kleinen Steinchen herausentwickeln und selbständig werden. Diese Steine stammen fast
alle von der Küste von Koloa Kauai. Man begegnet dort vor den Hütten der Eingeborenen
einer Kieselstreuung, von der man immer hört, sie sei im Laufe der Jahre spontan aus
dorthin plazierten zwei Steinen hervorgegangen.“1
VI 8368. Opferstein. Abb. 41.
Aus Lavamasse; unbearbeitet, oval, wohl dem Bachschotter entnommen.
Abb. 41. ,,Opferstein“,
9 cm lang; 7 cm breit.
Abb. 42. Kriegstrompete,
Pu. 27 cm lang.
Beim Passieren des Abgrundes Pali zwischen Kalawao und Waikolu-Molokai werden
noch heute derartige Steine als Opfergabe auf die gefährliche Felsenstelle gelegt, eine Sitte,
die von den Passanten streng innegehalten wird.
9 cm lang; 7 cm breit. Molokai.
VI 8827. Alaea, rote Erde, die sich vermehrt.
Klumpen von Ockererde. Mit Kukui-Nußöl angerührt als Deckfarbe für Idole
und zum Färben der Holzgeräte, der Kapas usw. benutzt. — Die Vorstellung ist allgemein
verbreitet, daß diese Farberde sich vermehrt, wenn man sie längere Zeit im Boden vergräbt.
Aus Kaunakakai.
VI 8406. PU, die Kriegstrompete der Hawaiier. Abb. 42.
Aus dem Gehäuse von Cassis cornuta; die Blasöffnung von ca. 2 cm Durchmesser
ist durch Ausschlagen der Embryonalspitze und eines Teils der benachbarten Gehäuse-
partie hergestellt.
Diese Trompete wurde in einer schwer zugänglichen großen Höhle des Lavastromes
des Hualalai in einer Höhe von ca. 5000 Fuß „gefunden“. Die Höhle wurde durch Zufall
beim Jagen von wilden Ziegen vor einigen Jahren2 entdeckt und ist noch äußerst wenigen
bekannt, weil kein Weg dorthin führt und man sich durch Gestrüpp und über scharfe Lava
zu Fuß den Weg dahin bahnen muß. Es ist entschieden keine von den Höhlen, in welcher
zu Zeiten des Tabu-Bruches Götzenbilder usw. verborgen wurden, sondern selbst eine zum
Gottesdienst verwandte Stelle.
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
2 schreibt Arning 1884—1886.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
25
Die Höhle stellt einen ca. 40 Fuß hohen flachen Halbdom dar; die ganze Hinterseite
und das Gewölbe sind von zu Tropfen erstarrten Lavastalaktyten aller Schattierungen
von braun, grün und bronze gebildet. Die vordere Fläche der Höhle ist sorgfältig geglättet
und in eine 3 Fuß über dem Boden der Höhle gelegene Plattform umgewande.lt, die mit
Abb. 43. Lageplan des Innern der Höhle
im Lavastrome des Hualalai.
a. Vertiefung, b. niedere Pfosten, c. höhere Pfosten,
d. Stabgitter, e. Geröll.
Abb. 44. Durchschnitt durch das Innere
der Höhle
a. Heilige Muschel, b. Vertiefung, c. leerer Hohl-
d. Pfosten, bzw. Pfostenlöcher, e. Plattform, f. Lava-
Stalaktiten.
glattem Geröll überschüttet ist. Nach der Höhle zu ist diese Plattform mit flachen Lava-
blöcken verkleidet, Abb. 43 u. 44.
Die Mitte der Höhle wird durch eine seichte, mit gleichen Lavasteinen gepflasterte
Vertiefung von 8 Fuß Breite und 6 Fuß Länge eingenommen. Um
diese standen mit dem Gesicht ihr zugewendet, ursprünglich zwölf
Pfosten, durchschnittlich 10 bis 12 Fuß hoch. Sämtliche sind aus
Ohia-Holz gehauen und in ihrem mittleren Teile mit einem mensch*
liehen Gesicht (Abb. 45 VI 8377) grob beschnitzt. Nur in zwei dieser
Abb. 45. Schnitzerei auf
einem der Gabelpfosten aus
der ersten Reihe. Ursprüng-
liche Pfostenhöhe ,,10 bis
12 Fuß“.
Abb. 46. Pfähle mit Haifischgesichtern,
oben gegabelten Pfosten waren „Haifisch-Gesichter“ (Abb. 46) einge-
hauen; „die schwarze Farbe der Pfähle und die mit roter Farbe vor-
genommene Ausmalung des Mundes ist leider in neuester Zeit mit
entsprechenden Ölfarben renoviert worden.
Hinter dieser Pfostenreihe, deren Gabelungen gegenseitig ineinander griffen, war eine
zweite, noch höhere Pfostenreihe, von gegen 18 bis 20 Fuß Höhe, eingerammt gewesen,
auch hier Gesichtsdarstellungen (Abb. 47 VI 8378).
4 Baessler-Archiv.
2 6 AUG. EICHHORN
Kurze, kreuzweis gesteckte Stäbe wehrten den Zugang zu der heiligen Stätte; vor
ihnen lag eine Geröllaufschüttung.
Die Vertiefung inmitten der Höhle war mit vertikal gestellten Platten von I Fuß Höhe
ringsum tapeziert; bei genauer Umschau zeigte sich die Platteneinfassung in einem Winkel
locker, und hier war eine weit größere Menge von Baststoff (pulu) zum Dichten der Fugen
verwendet als sonst. Nach Entfernung dieser Platten kam der sorgfältig mit kleinen Steinen
Abb.47. Schnitzerei auf einem der Abb. 48. Tempeltrommel. 46 cm hoch.
Gabelpfosten aus der zweiten Reihe.
Pfostenhöhe „18—20 Fuß“.
und mit pulu verbaute Eingang zu einer kleineren Höhle zutage. Hier war das Muschelhorn
in dichte Lagen von pulu eingebettet. ,,Die beiden anwesenden Kanaker meinten, daß diese
Muschel das eigentliche Idol der Höhle wäre.“ Anderweite Erkundigungen hatten keinen Er-
folg, zumal „die ganze Gegend auch den ältesten Einwohnern unbekannt war.“
Nach Arnings Ansicht kann dies auch eine Muschel sein, mit welcher die Priester
das hawaiische Volk zum Heiau riefen; „übrigens geschah dasselbe von den Missionaren
zu Anfang, als sie noch keine Glocken hatten“. Das Muschelhornsignal rief zum christlichen
Gottesdienst.
VI 7270. Tempel-Trommel. Abb. 48.
Aus einem Kokospalmenstamm, daher „Kaeke“.1 Außen rot gestrichen. OhneTrommel-
feil, aber mit Resten weißen Baststoffes, der am oberen Trommelrande klebt und der als
Unterlage der darüber gespannten Haifischhaut gedient hat. Obere Weite der Trommel-
höhlung 33 cm, untere 28 cm; die Trommelwandung ist bauchig ausgehöhlt. Wandstärke
2 bis 2,5 cm. Der zentrale Teil des Trommelbauches hat am Boden eine ungefähr kreis-
runde Vertiefung von ca. 9 cm Durchmesser und 2 cm Tiefe. Trommelfuß durchbrochen
geschnitzt.
1 nach L. Andrews: „A Dictionary of the Hawaiian Language“ ist kaekeeke a kind of drum made of the
cocoanut tree.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
2 7
Diese Trommel wurde 1881 zusammen mit dem Idol VI 7269 im alten Tempel zu
Waianae auf Oahu gefunden. „Kaekes waren nur im Besitz von Häuptlingen oder der
Heiaus Pookanaka; es gab deren sehr große Exemplare.“
Höhe 46 cm. Oberer Durchmesser 38 cm; unterer 35,5 cm.
VI 8461. Trommel zur Begleitung kultischer und epischer Gesänge. Abb 49
Aus zwei Kürbissen zusammengesetzt. Der obere Kürbis hat oben und unten eine
kreisförmige Öffnung von 9 cm Durchmesser, so daß der untere Kürbis
der an seinem Oberteil gleich weit geöffnet ist, ein Stück in den oberen
hineinragt. An der Verbindungsstelle läuft außerhalb ein ringförmiges
Kürbisstück, das fest aufgeklebt ist, um den Kürbishals herum; dieser
Ring ist bei der einen Trommel mit roh eingebrannten, aus Punkten
gebildeten einzelnen Zacken, bei der anderen mit drei Reihen Zacken-
bändern, die sich aus Strichen zusammensetzen, verziert.
Ein Streifen roter Baumwollenstoff, der durch zwei Löcher in der
verstärkten Verbindungsstelle gezogen ist, dient zum Halten der Trommel.
Risse und ausgesprungene Stellen der Kürbiswandung sind sorgfältig Abb.49. Trommel
mit pflanzlichen Fäden oder mit gedrehten Schnürchen zusammen- zur Begleitung kui-
genäht und Kürbisstücke auf- oder eingesetzt. Höhe 73 cm; Umfang scher Gesänge”'
des unteren Kürbis 125 cm.
„Diese Trommeln dienen zur Begleitung der alten kultischen und epischen Gesänge,
mele, und Hulas. Auf dem Grase oder auf Binsen kniend schlingt der Begleiter das Trommel-
band um die linke Hand; mit der Rechten wird der Bauch der Trommel flach umfaßt. Das
Instrument wird auf den Boden gestoßen oder mit der Maus der Hand geschlagen. Der
dumpfe Schall ertönt weit.“
VI 4188. „Das Auge des Gegners.“ Kultgefäß. Abb. 50,
Aus grauer, dichter, tonhaltiger Steinmasse. Die zentrale Vertiefung hat die Form
eines Kegels mit abgestumpfter Spitze; Durchmesser 4 cm, Tiefe der Höhlung 3 cm Ge-
samtdurchmesser 9 cm.
Das Gefäß wurde beim Ölen des Königs benutzt. Bei der Tempelzeremonie legte man
Abb. 50. „Das Auge des Geg- Abb- 51 • Pahoa kanila; „ein heiliger Dolch“. 34 cm lang,
ners“. Kultgefäß. 9 cm Dm.
in die Höhlung das ausgerissene Auge des Feindes als pukei oder kaua makad — Sammler;
König Kalakaua. Hawaii.
VI 8393. Pahoa kanila, ein heiliger Dolch. Abb. 51.
Aus Kanila-Holz; mit Steinwerkzeugen, deren Schlagmale deutlich erkennbar sind,
hergestellt. Klinge doppelschneidig. 34 Länge des Blattes 21,3 cm. Aus Maui.
1 Vgl. dazu: kapuahi kuni anaana. Brigham: tone im- Hula-Tanz gebraucht und damit m die hohle Hand ge-
plements and stone work of the Ancient Hawaiians. schlagen, aber auch die iarbe zu den Tätowierungen
Honolulu 1902. S. 58. Ferner: Der Stein wurde beim wurde darin angerührt.“ Handschriftlich Dr. Arning.
4*
AUG. EICHHORN
Der Dolch wurde Dr. Arning „ von der aus Lahaina, Maui, stammenden und zum
Clan der Königin Emma gehörenden Ihii mit dem Bemerken gebracht, daß sie dasselbe
erst nach fünfmonatlichem beständigen Bitten von dem Besitzer erlangt habe. Dieser ist
Nachkomme eines Kahu (retainer) des letzten Königs von Maui namens Kahekili, des
Gegners Kamehameha L; die heilige Waffe war in dessen Familie seit vielen Generationen,
mindestens 200 Jahre. Nach Kahekili’s Überwindung floh der damalige Inhaber des Dolches
mit ihm nach Kauai, und dort hat er einige seiner Feinde damit ermordet. Diese Dolche
wurden zum gewöhnlich bei Nacht begangenen Meuchelmorde, weniger in der Feldschlacht
benutzt.
VI 8858. Mahuna Кара zur Zauberei.
Feine gelbbraune Кара mit Schlagmuster: parallele Streifen mit cm Entfernung
untereinander; ohne Druckmuster. 50 cm lang und im Mittel 31 cm breit. Aus dem Nach-
laß der Königin Emma. Kahunakapa.
„Findet sich bei manchen alten Natives als kostbare Reliquie und dient zur Zauberei
und Medizin.“
VI. 8846. Mamukukapa zur Geisterbeschwörung.
Aus roter und grauer Кара zusammengeklopft, so daß die rechte Seite rotgrau er-
scheint. Schlagmuster (Wasserstempel) Abb. 52.
2,83 m lang, 0,85 m breit. Kauai.
„Diese Кара dient den Kahunas1 zur Be-
schwörung der Geister und zum Bannen der
Krankheitsdämonen. Sie wurde mit der linken
Abb. 52. Wasser- Hand aufgenommen, über dem Kranken hin-
stempel im Bastzeug. und herbewegt, dann plötzlich fortgeschnellt
und mit der rechten Hand ausgeklopft. Sie ist Abb. 53. olona-Geflecht.
zu diesem Zweck seit alter Zeit in Kauwiliwili,
Kauai, in Gebrauch gewesen.“
VI 8371. Olona-Netzgeflecht; benutzt bei Beschwörungen. Abb. 53.
Aus Olona-Faser, der Geflechtsfetzen stammt von einem alten Federmantel. Von den
in kleinen Büscheln eingeknüpft gewesenen Federchen sind nicht einmal Reste erkennbar.
Ursprünglich 16 x 25 cm. Kaneohe; Oahu.
„Das Stück diente bis in die neueste Zeit hinein einem alten Kahuna in Kaneohe
(Oahu) bei seinen Beschwörungsformeln. Der Gebrauch wurde in folgender Weise angegeben:
Das sorgfältig in ein Stück Zeug eingewickelte Netzstück wurde von seiner Hülle befreit
und flach auf den Boden gelegt; auf jede Seite wurde eine Kokosnußschale zum Awa-Trinken
gestellt. Nach verschiedenen Manipulationen mit den Fingern, Streichen über das Stück
Netz und Abschütteln in den Awa-Trank senkte der niederhockende Kahuna sein Gesicht
dicht auf das Netz und trug mit starker Stimme eine Inkantation gegen dasselbe vor.
Zu solchen Zaubereien dienen vielfach die unansehnlichsten Stücke: alte Holzsplitter,
Knochensplitter, Steine ohne bestimmte Form, meistens schwarze Ala-Steine ec.“ VI
VI 8880 a bis c. Kace-Bohnen, zu Beschwörungen und Vergiftungen. Abb. 54.
Die Bohne stammt von einer Schlingpflanze, einer Leguminose mit violetten Blüten.
Eine Bohne in der Samenhülse wird von den Hawaiiern als Kamm, Kalei-loa, getragen;
die enthülste Bohne poliert man und verwendet sie zu Zierat.
1 Priestern.
ALT-HAWAIISCHE KULTOBJEKTE UND KULTGERÄTE
29
Hauptsächlich dient sie zu Vergiftungen. Zu dem Zweck wurden unter Einhaltung
bestimmter Beschwörungsformeln vier Bohnen und vier der süßlich schmeckenden violetten
Blüten derselben Pflanze in einem Lavamörser gestampft und die Masse dem Poi des Opfers
beigemischt. Der Tod tritt angeblich nach zwölf Stunden ein.“
Länge der Schote ca. 5,5 cm; Länge der Bohne 2,5 cm.
VI 8450. Niho ilio, Beinschmuck; bei Kultfeiern benutzt. Abb. 55.
Auf einem Grundgeflecht aus Olona-Faser, dessen Struktur infolge einer Auflage
von modernem Wachstuchstoff auf die Rückseite jetzt ohne tiefgehende Zerstörung nicht
Abb. 54. Bohnen zu Beschwörungen und Vergiftungen. Abb. 55. Niho ilio; Bein-
a. in Samenhülle, b. von der Breitseite, c. von der Schmalseite. Schmuck bei Kultfeiern.
erkennbar ist, sind an tausend Eckzähne von Hunden aufgereiht. Jeder Zahn ist an der
Wurzel quer durchbohrt — vielfach ist die doppelkonische Bohrung deutlich sichtbar —
und von der zweisträhnigen Geflechtsschnur so durchzogen, daß das unterste Wurzelteil
Abb. 56. Hula-Tanz. (Aus der Sammlung Arning).
frei auf der Geflechtsrückseite hervorragt. Eine zopfartig geflochtene, im Querschnitt
nahezu quadratische Schnur ist an jeder der Längsseiten des ungefähr trapezförmigen
Schmuckstücks bogig befestigt, damit zum i esthalten des Zierats am Unterschenkel ein
30
AUG. EICHHORN
Schnur oder dergleichen durchgezogen werden kann. Höhe ca. 22 cm; größte Breite 34 cm.
Von einer alten Häuptlingsfrau in Hauapepe, Kauai.
,,Der eigenartige Schmuck wurde bei Kultfeiern unmittelbar über dem Fußgelenk
befestigt — die Spitzen der Zähne nach oben gerichtet — und reichte dann bis zur Mitte
der Wade. Seit langen Zeiten ersetzen die Ein-
geborenen diese sehr seltenen Niho ilios beim
Hulatanz durch Federornamente oder Um-
windungen mit Blättern, besonders Maile.
Dieser Schmuck gilt als Zeichen für das
Alter der Familien, insofern eine jede Generation
eine Reihe Hundezähne zufügt, damit an-
deutend, daß die Familie imstande war, eine
große Anzahl von Hunden zu verzehren. Dieser
Schmuck ist ein sehr großer, doch sollen im Besitz einiger alter Familien noch einige vor-
handen sein, die fast bis zum Knie reichen. Das Zusammenschlagen der Zähne erzeugte
beim Tanz ein klapperndes Geräusch.“
Abb. 56; Hula-Tanz; Tänzer und Tänzerinnen mit Beinschmuck. Aus der Sammlung von
Dr. Arning: Hulas in honour of King Kalakauas’s birthday. Honolulu Nov. 10. 1885.
VI 243. Haizahn-Messer für kultische Zwecke. Abb. 57,
Griff aus braungelbem, mittelhartem Holze. Die Haizähne sind in eine tief eingeschnittene
Rinne eingelassen (Abb. 57a), an ihrer Basis durchbohrt und mittels quer durchgesteckter
Holzpflöckchen befestigt. 13,5 cm lang; größte Dicke 1 cm. Sammler: Förster.
Das Instrument diente als Kultgerät „als Tranchiermesser zum Absägen der Glied-
maßen getöteter Feinde, die verzehrt werden sollten.“1
So viel über die althawaiischen Kultgegenstände, die im Besitze des Museums für Völker-
kunde in Berlin sich befinden. Ihre verhältnismäßig große Zahl ist erstaunlich, um so mehr
da das Material (Federn, Haare, Geflechte, Baststoff, weiches Holz usw.) zum Teil leicht
vergänglich ist.
Der alte heidnische Kult ging auf den hawaiischen Inseln mit Kamehameha I. im
Jahre 1819 zu Grabe. Als sein 22jähriger Sohn Liholiho unter dem Namen Kamehameha II.
den Thron bestieg, wurde der „Götzendienst“ abgeschafft. Damals weissagte Hewahewa,
der Oberpriester des Großen Kamehameha: „He auhulihia ka kope o neia poina ana o
ke akua, aole hoi i ikeia keia mea manua aku e like me keia.“ (Ein Umsturz wird die Folge
der Vernachlässigung des Gottesdienstes sein; ein Ereignis, das seinesgleichen vordem nie
gehabt hat, wird eintreten). Seine Prophezeiung ging in Erfüllung: An Stelle des alten
Kultus trat das Christentum, und in seinem Gefolge kam — durch die Wandlung der so-
zialen Verhältnisse und durch die Macht der weißen Einwanderer — der allmähliche Unter-
gang der selbständigen hawaiischen Königsherrschaft. Allegorisch hatte Hewahewa ver-
kündet : „Aole he auhulihia nui e like me keia ma keia hope iho, e lilo ana na wahi apuupuu
o na aina i mau awawa hohonu, a no na pali hoi i wahi papu like, e lilo ana na wahi laumania
o na pali nihinihi i ma kaulu.“1 2
1 Aus dem Tagebuche von Arning.
2 “No greater reverses will ever occur than the one
forthcoming; hillock places in the land will become
ravines; the cliffs table lands; the smooth faces of the
steep precipices will become settlements.”
DER ZWILLINGSKULT IN CHINA
UND DIE INDISCHEN EINFLÜSSE
VON
LEO STERNBERG1
Tn meiner Untersuchung „Der antike Zwillingskult im Lichte der Ethnologie“*, in der
ich auf die ausgedehnte Verbreitung dieses Kultes bei den verschiedensten Völkern hin-
weise, erwähnte ich, unter zahlreichen anderen Beispielen, sein Vorhandensein in China,
in Gestalt des bis in die Gegenwart hinein allgemeine Verehrung genießenden Zwillings-
paares Ho-Ho-örls-schön, der Genien von Einheit und Harmonie <3 er sog. o o
Unser namhafter Sinologe, Prof. W. Alexejew, sah sich hierdurch veranlaßt, den oben-
T tt TT -np spezielle Untersuchung zu widmen, betitelt: „Die unsterblichen
“A * *-■>“ ■"» >" <***• G°'“ f
fums “ In dieser Untersuchung, die die gewohnten Vorzüge der Arbeiten von Alexejew -
tums. in und erschöpfende Kenntnis des Stoffes — aufweist, gelangt der
Verfasser^edoch zu Schlußfolgerungen, die den von mir abgeleiteten direkt entgegengesetzt
Sind' Die chinesischen Legenden“, so führt er aus, „lassen nichts darüber verlauten, daß
ans T icht der Welt erblickt hätten; meines Erachtens ist dies ein unbestreit-
“Ä fi . L » 7 k,"“K‘h ” D?pp:'-
bandelt“ 1 Seite 268); und weiter: „Es liegen durchaus keine Grunde vor, die die
gang 1 n Könnten den aus dem Aufsatz von L. Sternberg sich ergebenden,
Sinologen veranlas en konnten den^^^^^^^^ ^ ^ ^ ^ ^ Zwillings_
¡MterSnacehndIm Typus der bei arischen und anderen Völkern auftretenden, oder als bei
ihnenVomtlitandpuiTdesSS.enologSen3aus spricht also W. Alexejew den Ho-Ho die Be-
, ' , portlieiten des Zwillingskultes ab. Zugleich wird von ihm auch das Vorhanden-
en irgendwelcher äußeren Einflüsse, die auf den Ho-Ho-Kult eingewirkt haben könnten,
VemBei aller Hochschätzung, die ich Alexejew als dem hervorragendsten unter den russi-
, c , crbnlde kann ich seinen Schlußfolgerungen unmöglich beistimmen. Wird
sehen Smo og ’ se;nen eigenen Worten nach, ausschließlich vom Standpunkte
doch die rage v ^ während ich es in meiner Eigenschaft als Ethnologe für un-
erläßlich ^erachte, derartige Probleme^ vom geschichtlichen wie vom vergleichend-ethno-
l0giSvtnn disi Auffairg ausglhend, hoffe ich, den Nachweis zu erbringen für folgende
O- Erstens dafür, daß die obenerwähnten Ho-Ho Zwillingsgötter
hier aufzustellende ba • wird dieser Satz durch das von Alexejew selbst beigebrachte
Tatsachenmaterial vollkommen bestätigt; zweitens, daß der von ihm erforschte Taoist mit
1 Der Artikel, dessen deutsche Übersetzung hier vorliegt,
ist in den Publikationen des Leningrader Museums
für Anthropologie und Ethnographie, Bd. VI (1927)
erstmalig erschienen. Umschreibung des Chinesischen
nach der deutschen „Einigungsumschrift“ Lessing-
Wilhelm.
Die Abhandlung wird nächstens in der Zeitschr. f.
Ethnol. erscheinen.
32
LEO STERNBERG
der goldenen Kröte ebenfalls eine Persönlichkeit des Zwillingskultes darstellt; drittens,
daß sowohl die Ikonographie als auch die mit den Ho-Ho wie mit dem Tao verknüpften
Legenden vollständig von indischen Einflüssen durchdrungen sind; viertens hoffe ich end-
lich zwei bei Alexejew ungeklärt gebliebene Fragen erhellen zu können, nämlich: die Ur-
sache des Auftretens des Taoisten mit der goldenen Kröte im Ho-Ho-Kult, und den Grund
dafür, daß die Kröte stets mit nur drei Pfoten dargestellt wird.
II.
Für das von uns erforschte Problem ist vor allem, wie aus der weiteren Darstellung
erhellen soll, die Frage nach dem Ursprung des Terminus Ho-Ho von größter Bedeutung.
Von Alexejew wird die Lösung dieser Frage auf folgende Weise angestrebt: Seinen
Ausführungen nach hätte ursprünglich der aus zwei, in Laut und Ton gleichen Worten,
deren eines Eintracht, das andere Einheit bedeutet, zusammengesetzte Terminus Ho-Ho
in keinerlei Zusammenhang mit den den gleichen Namen führenden Gottheiten gestanden.
In seiner eigentlichen und ursprünglichen Bedeutung sei dieser Terminus zur Bezeichnung
von Einheit-Eintracht gebraucht worden. Da jedoch „Einheit-Eintracht“ einen chine-
sischen Glückwunsch darstellt, so hätten, nach Alexejew, die Chinesen, aus der ihnen
innewohnenden „Manie zur Erfindung von Glückwunsch-Rebussen heraus“ für den Glück-
wunsch „Einheit-Eintracht“ einen besonderen Rebus geschaffen. Zu seiner Darstellung
wurden mit Ho-Ho gleichklingende und gleichtönende, der graphischen Darstellung nach
jedoch von ihnen vollkommen verschiedene1 Worte gewählt, deren eines Kästchen (Schmuck-
kästchen), das andere Lotosblume bedeutet. „Nun brauchte die Kunst nur noch einen
Schritt zu tun, um dem stummen Rebus durch seine Ausstattung mit den, das Symbol
bewahrenden Figuren Leben zu verleihen, und davon rührte der Einfall her, einander voll-
kommen gleichende, die Symbole des Doppelgängerpaares Ho und Ho in den Händen
haltende Figuren zu schaffen, die von Sternberg für Zwillinge gehalten werden............
Ich will ja gerne zugeben, daß unter den liegenden auch solche Vorkommen mögen, die
deutlich auf zwillinghafte Wesenheit hinweisen, doch hat dies als post hoc = propter hoc
zu gelten“ (S. 267, 268).
In dieser Darstellung erscheinen also die Attribute der Genien Ho-Ho, Kästchen
und Lotos, als rein zufällig, nur der bloßen Konkordanz der Laute, nicht aber dem Sinne
des Glückwunsches nach gewählt. Die beiden, einander bis ins kleinste gleichenden Doppel-
gängergestalten, die das Objekt des in China am meisten verbreiteten Kultes bilden,
sollen demnach aus einer Künstlerlaune heraus erschaffen worden sein, einen stummen
Rebus zu beleben.
Mit Leichtigkeit läßt sich nachweisen, wie gekünstelt diese Erklärung ist.
Tatsächlich verläuft die Ausgestaltung der, wie aus dem von Alexejew angeführten
lexikologischen Material erhellt, vollkommen abstrakt-metaphysischen Bezeichnung Ho-Ho
im Sinne von „Einheit-Eintracht“ in ganz anderer, dem von ihm geschilderten Prozeß
direkt entgegengesetzter Weise.
Vor allem verdient die Tatsache Beachtung, daß der Glückwunsch Ho-Ho seinem
ursprünglichen Inhalte nach keineswegs Einheit-Eintracht, sondern Reichtum bedeutet,
mithin ein Gut, das mit dem ethischen Gute der seelischen Harmonie nichts gemein hat.
Schon aus diesem Grunde hätte sich, hätten die Worte Ho-Ho, wie Alexejew annimmt,
in ihrer ursprünglichen Bedeutung Einheit-Eintracht bezeichnet, hieraus kein Reich-
tumsrebus bilden können. Ferner sind Kästchen wie Lotosblume durchaus nicht zu-
1 Meines Erachtens sind sie, wie weiter unten ausgeführt werden soll, graphisch keineswegs vollkommen ver-
schieden.
DER ZWILLINGSKULT IN CHINA UND DIE INDISCHEN EINELÜSSE
33
fällig, auf Grund des bloßen Gleichklanges mit Ho-Ho als „Einheit-Eintracht“ zu Sym-
bolen des Reichtums erwählt worden, sondern daher, weil dies von altersher und bis in
die Gegenwart hinein die üblichen Attribute der Gottheiten des Hinduismus, wie des
Buddhismus waren, der in China seit vielen Jahrhunderten feste Wurzel gefaßt und die
chinesische Kunst bekanntlich außerordentlich stark beeinflußt hat.
Auf das Schatzkästlein als Symbol des Reichtums näher einzugehen, dürfte sich wohl
erübrigen, da es deutlich genug für sich spricht; was die in Indien als das Attribut zahl-
reicher Gottheiten erscheinende Lotosblume betrifft, so stellt sie recht eigentlich das
Attribut der Gottheiten des Reichtums dar. Auf den aus der vedischen Periode stammen-
den Bilddarstellungen wird der Gott des Reichtums, Kubera, mit zwei Lotosblumen dar-
gestellt, in jeder Hand eine.1 Die ältesten Reichtumsspender der Inder, die Asvins ge-
nannten göttlichen Zwillinge, werden sogar mit Lotosguirlanden umwunden dargestellt1 2.
Nun ist es aber bemerkenswert, daß die Ho-Ho gleichfalls, selbstverständlich nicht zu-
fälligerweise, Lotosblumen in den Händen haltend, dargestellt werden, wie dies an den
im Museum für Anthropologie und Ethnologie der Akademie der Wissenschaften in Lenin-
grad befindlichen Porzellanfiguren ersichtlich ist (Nr, 673 I79)*3
Beachtung verdient ferner der Umstand, daß auf allen diesen Bilddarstellungen die
Lotosblumen in Krügen stecken, ein echt indisches Motiv (vgl. bei Grünwedel, Mythologie
des Buddhismus, Figur 103, Seite 126, wo Avalokitesvara mit einem Lotos im Kruge
dargestellt ist).
Wenn nun aber Schatzkästlein und Lotosblume nicht als zufällig für einen Rebus
gewählte Symbole erscheinen, sondern als die Attribute eben derjenigen Gottheiten, deren
Zuneigung durch den Glückwunsch erfleht werden soll, so läßt sich eine recht einfache
Erklärung dafür beibringen, daß diese — in dem hier vorliegenden Falle gepaarten —
Gottheiten die gleiche Benennung erhalten haben wie ihre Attribute. Die Sache ist
nämlich die, daß im Buddhismus des Nordens die Gottheiten im allgemeinen, vor allem
aber die Gottheiten des Reichtums sehr häufig nach ihren Attributen benannt werden:
so z. B. wird in Nepal wie in Tibet eine daselbst verehrte Sonderart dieser so mannig-
fachen Götter des Reichtums Jambhala genannt, was eigentlich Zitrone bedeutet: nun
ist aber die Zitrone das für diese Gottheit charakteristische, von ihr stets in der Rechten
gehaltene Attribut. Ebenso wird in Tibet Maitreya als Dscham-Pa (geschrieben Byams-pa)
bezeichnet, nach der weißen Blume mit goldenem Kelch, die als sein Attribut gilt.4
Von diesen und ähnlichen Beispielen ausgehend, behauptet Foucher, die Gepflogen-
heit, die Götter nach dem für sie vor allen anderen charakteristischen Attribut zu nennen,
sei stets volkstümlich gewesen.5 Augenscheinlich hatte sie sich auch in China eingebürgert.
Als das bezeichnendste Beispiel hierfür dürfte wohl einer der Heroen des Ho-Ho-
Zyklus dienen — Liu-hai-örl, von dem in der weiteren Darstellung die Rede sein wird.
Seine literarische Bezeichnung ist Dschan (Kröte), Hai-Dschan (Meerkröte), nach dem
für ihn charakteristischen Attribut, der dreibeinigen Kröte.
Wir glauben daher mit vollem Recht den Satz aufstellen zu können, das göttliche
Paar des Ho-Ho-Kultes wäre nach seinen, diese Bezeichnung tragenden Attributen,
Schatzkästlein und Lotos, so benannt worden, nicht aber umgekehrt, wie Alexejew an-
nimmt. Nun bleibt noch zu erklären, aus welchen Zusammenhängen heraus diese Benen-
nung den abstrakten Begriff „Einheit-Eintracht“ ergab.
1 G. C. M. Birdwood, Indian art. N0. 2, Plate B.
2 RV. 10, 1842, AV. 3, 224.
3 Sehr zu bedauern ist es, daß Alexejew in seiner Unter-
suchung den in Museen befindlichen, ungemein be-
lehrenden Bilddarstellungen der Ho-Ho keinerlei Be-
achtung schenkt und sich nur auf die im Volke ver-
breiteten Abbildungen beruft.
4 A. Loucher, Etude sur l’iconographie bouddhique de
l’Inde, Paris, 1900, p. 113, 125.
5 Ibidem, S. 125.
5 Baessler-Archiv.
34
LEO STERNBERG
Die Erklärung hierfür ist darin zu suchen, daß, wie weiter unten ausgeführt werden
soll, die Ho-Ho, diese beiden miteinander genau übereinstimmenden Reichtum spendenden
Gestalten tatsächlich, wie die indischen Asvins, Zwillingsgottheiten sind, als deren aus-
geprägtestes Charakteristikum recht häufig (s. meine oben erwähnte Untersuchung), wie
bei Kastor und Pollux, eine ideale, bis zur Aufopferung sich steigernde Freundschaft er-
scheint, oder, bei Zwillingen verschiedenen Geschlechts, eine gleichfalls aufopfernde Liebe
zueinander (Yama und Yami, Isis und Osiris).
Ganz natürlich erscheint es daher, wenn die Zwillinge Ho-Ho, wie Kastor und Pollux
in Griechenland, zu Symbolen der Seelenharmonie wurden. Ebenso natürlich ist es ferner,
daß der Terminus Ho-Ho, nach dem Gesetz der sprachlichen Schöpfung (vom Konkreten
zum Abstrakten) die Bedeutung als Prinzip der Harmonie, als Einheit-Eintracht erhielt.
Dieser Prozeß der Ausgestaltung von Ho-Ho zur späteren Bedeutung als Einheit-Ein-
tracht läßt sich m. E. schon durch die graphische Darstellung dieses Terminus nachweisen.
Das Zeichen Ho-Eintracht ist nur eine vereinfachte, folglich also spätere Form des
realistischeren, ein Kästchen (mit Deckel) darstellenden Zeichens Auf volkstümlichen
Bilderbogen wird der Terminus Ho-Ho, nach Alexejews Zeugnis (S. 266) durch zwei voll-
kommen identische Zeichen dargestellt, d. i., wie dies für die konkrete, vereinfachte Denk-
weise des Menschen aus dem Volke ganz natürlich ist, durch die vereinfachten Zeichen des
das Kästchen darstellenden Symbols. Was das zweite, Einheit darstellende, Zeichen be-
trifft, so bedeutet es zugleich auch Wohlergehen, und zwar liegen Gründe vor zu der An-
nahme, dieses sei seine ursprüngliche Bedeutung gewesen. Den Beleg hierfür ergibt die
Tatsache, daß die graphische Darstellung dieses Begriffes aus zwei Zeichen zusammen-
gesetzt ist, deren eines ein Getreidekorn, das andere aber einen Mund repräsentiert,
ein Ideenkomplex, der seinem Sinne nach dem Begriffe der Nahrung, des leiblichen Wohl-
ergehens am nächsten kommt.
Diese Annahme wird ferner dadurch bestätigt, daß, wie oben ausgeführt, der in den
niederen Volksklassen besonders beliebte Glückwunsch Ho-Ho stets mit Reichtum und
Fruchtbarkeit, keineswegs jedoch mit Einheit-Eintracht verknüpft wird, eine Tatsache,
die, wie wir sehen werden, mit der eigensten Wesenheit der Zwillingsgötter unlösbar
verbunden ist. Endlich dürfte wohl der Hinweis von Interesse sein, daß in den chine-
sischen Wörterbüchern Ho-Ho auch durch das sanskritische, Gut — Habe bedeutende
Wort Samagrl — übersetzt wird.
Nun soll die Frage der zwillingsartigen Wesenheit der Ho-Ho untersucht werden.
HL
Die Tatsache, daß die einander genau gleichenden Doppelgänger Ho-Ho ihren Namen
wm indischen Attributen, Lotos und Kästchen, her erhalten haben, von zahlreichen anderen
Einzelheiten ihrer Ikonographie, die mit den für Indien festgestellten vollkommen überein-
stimmen, abgesehen, zeugt davon, daß die Vorstellung der Ho-Ho, selbst wenn sie nicht
gänzlich aus Indien entlehnt sein sollte, dennoch in allerengsten Zusammenhang zu bringen
ist mit irgend einem indischen Paare, mit indischen Doppelgängern, die, ihnen gleich,
universale Verehrung genießen, gleiche Bedeutung als Spender von Reichtum und Wohl-
ergehen besitzen. In dieser Eigenschaft tritt nun aber in Indien ein einziges Götterpaar
auf, nämlich die allbekannten Zwillinge, die Asvins, die Urbilder aller Zwillingsgottheiten
des Indo-Europäischen Zyklus.
Die weiter unten näher zu erörternde Übereinstimmung zahlreicher Einzelheiten in der
Ikonographie von Ho-Ho und Asvins läßt die Vermutung auf kommen, daß die Ho-Ho
keineswegs als von einer Künstlerlaune erschaffene Doppelgänger, sondern recht eigentlich
als Zwillinge aufzufassen seien. Außerdem läßt sich eine auffallende Übereinstimmung fest-
DER ZWILLINGSKULT IN CHINA UND DIE INDISCHEN EINFLÜSSE
35
stellen zwischen zahlreichen, gerade von Alexejew geschilderten, aus der Ikonographie
der Ho-Ho und den auf sie bezüglichen Erzählungen geschöpften charakteristischen Eigen-
tümlichkeiten und den für den Zwillingskult bezeichnenden, ihm allein eigentümlichen und
allenthalben auftretenden Zügen. Zweifellos zeugt dies davon, daß, wie hoch auch die in-
dischen Einflüsse im Hö-Ho-Kult anzuschlagen sein mögen, die Gestalten der Zwillings-
götter in China dennoch aus der universal verbreiteten Psychologie heraus erschaffen
wurden, die allenthalben den Zwillingskult ins Leben gerufen hat.
Welche universal ausgeprägten Züge haben nun als für diesen Kult charakteristisch
zu gelten ?
In meiner bereits mehrfach erwähnten Untersuchung über den Zwillingskult habe ich
folgende, universale Verbreitung aufweisende Züge desselben hervorgehoben.
1. Durch Beispiele, die ich dem Leben der verschiedensten Völker entnahm, habeich nach-
gewiesen, daß die Entstehung des Zwillingskultes begründet ist in der Auffassung der
Zwillingsgeburten als eines übernatürlichen Ereignisses, das man durch die Annahme zu
erklären versucht, an der Zeugung der Zwillinge sei außer dem leiblichen Vater ein anderes,
höheres Wesen, Geist oder Gottheit, beteiligt gewesen.
2. Aus der Beteiligung eines übernatürlichen Wesens an der Zeugung von Zwillingen
ergibt sich, daß, obwohl beide Kinder vergöttlicht werden, der eine Zwilling als von un-
sterblicher, der andere als von sterblicher Wesenheit gedacht wird, ferner, daß sie als mit
einander schroff kontrastierende, mit durchaus gegensätzlichen Eigenschaften bedachte
Gestalten aufgefaßt werden. Erscheint der eine als außergewöhnlich, übernatürlich begabt,
so gilt der andere als durchaus mittelmäßig u. s. f. Endlich führt diese, in der Wesenheit
der Zwillinge begründete Gegensätzlichkeit zwischen ihnen entweder zu erbitterter Feind-
schaft oder aber, kraft eben dieser schroffen Verschiedenheit, zu innigster Anhänglichkeit.
3. Da in dieser Auffassung Geister der verschiedensten Art als die Erzeuger von Zwil-
lingen gedacht werden, so werden auch die Zwillinge, je nachdem, welcher Geist als ihr
Erzeuger gilt, den verschiedensten Götterzyklen zugesellt, so daß sie in manchen Fällen
als Kinder des Sonnengottes, diesem verbunden gedacht, in anderen hinwieder mit dem
Mondgotte in Zusammenhang gebracht werden. Zuweilen wiederum erscheinen in dieser
Eigenschaft Berg-, Wald-, Wasser- und andere, selbst zoomorphe Geister, so das als Er-
zeuger der Asvins geltende Pferd, bei den Giljaken der Bär, mythische Kröten, Frösche
u. a. m.
4. Da Zwillingsgeburten eine durchaus nicht seltene, überall vorkommende Erschei-
nung bilden, so gibt jeder Fall einer solchen Geburt den Anlaß ab zur Entstehung eines
lokalen Kultes, der besonders in den Fällen dauernd sich behauptet, wo einer der Zwillinge
bei Lebzeiten sich auf irgend eine Weise auszeichnete. Daher ist der Zwillingskult in fort-
währender Ausgestaltung begriffen; an verschiedenen Orten lassen sich lokale Zwillings-
heroen nachweisen, jede Zwillingsgottheit besitzt ihre eigene Biographie, ihren eigenen
Geburtsort und -datum. Wohl kann es geschehen, daß der Zwillingskult im Laufe der Zeit
zum gemeinsamen Kult eines Volksganzen aufsteigt, wie dies für den Kult der Asvins in
Indien, der Dioskuren in Griechenland, der Ho-Ho in China der Fall war. Doch wird er,
wie sich für diese Länder nachweisen läßt, in jedem Gebiete, in jeder Stadt mit lokalen Per-
sönlichkeiten, lokalen Kulturheroen in Zusammenhang gebracht, wobei nicht nur ihre
Namen, sondern auch die Namen ihrer Eltern, Ort und Einzelheiten ihrer Geburt, ja ihre
Geburtsstätte angegeben werden, von ihren Heldentaten auf Erden schon gar nicht zu
reden. Endlich ist dieser Kult infolge der Pluralität der Zwillingsheroen in den niederen
Volksschichten am meisten verbreitet, wie dies ja auch für die Ho-Ho der Fall ist.
5. Da zwischen den Zwillingsgottheiten und verschiedenen Menschengruppen ver-
wandtschaftliche Beziehungen bestehen, so erscheinen sie natürlich als die auf das Wohl-
5
LEO STERNBERG
36
ergehen ihrer Sippen- und Stammesgenossen bedachten Gönner derselben und werden daher
recht eigentlich als Wohlfahrt, vor allem also Reichtum spendende Geister verehrt.
Der Kult der Zwillingsgötter beginnt von ihrer Kindheit an, daher werden sie gewöhn-
lich in der Ikonographie wie bei den Naturvölkern als kleine, einander doppelgängerartig
gleichende Kinder, beim Absterben dieser Tradition als Jünglinge dargestellt.
Nunmehr wollen wir untersuchen, welche von den oben geschilderten, dem Zwillings-
Kult eigentümlichen Zügen sich im Ho-Ho-Kult nachweisen lassen.
IV.
Zu allererst soll diese Untersuchung an der aus der chinesischen Ikonographie be-
kannten bildlichen Darstellung der Ho-Ho vorgenommen werden. Auf allen Bilddarstellun-
gen1, die uns bekannt sind, werden sie, wie dies ja auch im Zwillingskulte aller anderen
Völker der Fall ist, stets als einander bis in die geringsten Einzelheiten genau gleichende
kleine Kinder dargestellt. Wenn auch die Figuren zuweilen in Größe wie in Gesichtsaus-
druck dem Kindesalter nicht ganz entsprechen, so lassen dennoch die für die Chinesen-
kinder typische Haarfrisur (glattgeschorener Kopf mit Haarschopf, oder aufgelöstes, mit
einem Reif zusammengehaltenes Haar) und die Kinderschürze am bloßen Körper mit
Sicherheit auf ihr Alter schließen. Nicht nur in Bilddarstellungen, auch im Folklore er-
scheinen die Ho-Ho als kleine Kinder. Wird doch von Alexejew selbst ein Wiegenlied an-
geführt, das einem der Heroen dieses Kultes, Liu-hai-örl, gewidmet ist und folgendermaßen
lautet: „Es hängt, es hängt das Zöpfchen, das Kindlein Liu-hai-örl, es trägt ein Hemdlein
aus blauem Leinen; wer hat’s genäht ? Die Mutter hat’s genäht.“1 2 Von Kindern, die Reich-
tum spenden, ist auch in dem von Alexejew zitierten Neujahrslied die Rede („der Reich-
tum heranziehende Jüngling kommt, er bringt Kostbarkeiten dar“ S. 275). Nun werden
aber, soweit irgend bekannt, keinerlei andere Gottheiten des chinesischen Kultes als kleine
Kinder in Doppelgängergestalt dargestellt; die Erklärung hierfür ist also nur in dem bereits
hervorgehobenen, universalen Charakteristikum des Zwillingskultes zu suchen. Wohl wäre
es möglich, daß es sich hier um unmittelbare indische Einflüsse handelt. Obwohl wir keine
Bilddarstellungen der indischen Asvins, mit denen die Ho-Ho in manchen Zügen voll-
kommen übereinstimmen, besitzen,3 so lassen sich dennoch recht einleuchtende Belege
hierfür beibringen. Im Rgveda werden sie stets mit dem Epitheton „jung“ bedacht,
zugleich aber als die Ältesten unter den Göttern bezeichnet (7, 6710; 7, 625 * *). Mit Sicherheit
wissen wir ferner, daß die Asvins der indo-europäischen Mythologie, die Dioskuren, als
kleine Kinder dargestellt werden4.
Im Hinblick jedoch auf die universale Verbreitung des Brauches, Zwillingsgottheiten
als kleine Kinder darzustellen, darf man wohl annehmen, daß sich in diesem Falle keiner-
lei indische Einflüsse ausgewirkt haben.
Des weiteren sollen die auf die Ho-Ho bezüglichen Legenden untersucht werden.
Was in diesen Legenden im Hinblick auf die dem Zwillingskult eigentümlichen, in
ihm ausgeprägten Züge auffällt, ist folgendes: obwohl der Ho-FIo-Kult, wie ja der Kult
1 Außer den von Alexejew angeführten volkstümlichen
Bilderbogen wurden von mir die im Museum für An-
thropologie und Ethnologie befindlichen Porzellan-,
EIolz- und Bronzeskulpturen verwertet.
2 Allerdings geht Alexejew in seiner Skepsis so weit, daß
er Zweifel daran laut werden läßt, ob es sich hier auch
tatsächlich um ein Kind handele. „Ist hier nicht“, so
meint er, „eine Zusammenstellung des dem Volke
unverständlichen Liai (Meer) mit Liai (kleines Kind)
verborgen?“ (S. 272.) Was haben jedoch, schaltet man
das Kind aus dem Liede aus, Hemd, Mutter, ja das
Wiegenlied selbst damit zu tun. ?
3 Außer den Kinderfiguren auf der Bilddarstellung des
Gottes Kubera aus Gandhära (Grünwedel, Op. cit.
S. 23, Fig. 14.)
4 S. Pauly-Wissowa, Bethe, Art. Dioskuren, S. 62:
„Kleine Kinder mit Spitzmützen, die Zwillinge dar-
stellen“. Die Dioskuren werden als ocvocxtsi; tvouSzc, be-
zeichnet.
DER ZWILLINGSKULT IN CHINA UND DIE INDISCHEN EINELÜSSE
37
der Asvins auch, zum gemeinsamen Kulte des ganzen Volkes sich ausgestaltete, obwohl
es den Anschein hat, als hätten sie sich zu individuellen Gottheiten gewandelt, so ent-
stehen dennoch hiermit zugleich, an den verschiedensten Orten, an verschiedenen Zeit-
punkten, im Zusammenhänge mit bestimmten Persönlichkeiten und den von ihnen voll-
brachten Heldentaten lokale Ho-Ho-Kulte. Als diese Persönlichkeiten erscheinen stets
zwei Brüder, die die für den Zwillingskult charakteristischen Züge aufweisen. Einer der
beiden — und nur einer — zeichnet sich durch besondere Vorzüge aus: die Brüder sind
miteinander verfeindet; zuweilen tritt in der Legende, obschon beide Brüder vergött-
licht werden, nur einer derselben auf. Obwohl in allen diesen Legenden das aus Indien
Entlehnte deutlich erkennbar ist, so wird dennoch durch die Namen der Heroen, sowie
durch biographische Einzelheiten ihr lokaler, volkstümlicher Artcharakter, folglich ihr
volkstümlicher Ursprung bekundet.
An dieser Stelle soll nur auf die von Alexejew selbst angeführten Legenden näher ein-
gegangen werden.
Alles in allem werden von ihm drei, außerordentlich charakteristische Legenden an-
geführt, die den verschiedensten Zeitpunkten, dem XII. Jahrhundert v. Chr., dem IX. Jahr-
hundert n. Chr., ja endlich dem XVIII. Jahrhundert n. Chr. angehören — ein einleuchten-
der Beleg dafür, daß der Zwillingskult in China, wie auch anderwärts, zu wiederholten
Malen aufkam. Aus den Lebensbeschreibungen der von den drei Nationalreligionen ka-
nonisierten Heroen dieser Legenden erhellt ferner, daß sie den verschiedensten Gebieten
entstammen, wiederum ein Beweis für den lokalen und pluralen Artcharakter der chine-
sischen Zwillingskulte. Ferner geben die im Volke verbreiteten Vorstellungen von diesen
Heroen, wie auch der um viele Jahrhunderte von dem Zeitpunkte ihrer tatsächlichen
Existenz entfernte Zeitpunkt ihrer Kanonisation den Beweis ab für ihren rein volkstüm-
lichen Ursprung.
Von der konfuzianischen Glaubenslehre wurden im Ho-Ho-Kult die Brüder Bo-i
und Schu-tsi kanonisiert, deren Existenz ins XII. Jahrhundert fällt, und denen Helden-
taten beigelegt werden, darin bestehend, daß sie den Begründer der Dynastie als Thron-
räuber brandmarkten und im Urwalde den Hungertod erlitten. Nicht diese Tat ist es jedoch,
um derentwillen sie in den im Volke umlaufenden Sagen verherrlicht werden. Ihre Kult-
bilder (s. Alexejew Abb. 7) sind mit folgender, in Versen abgefaßter Inschrift versehen:
„Bo-i und Schu-tsi, sie fegen mit dem Besen, sie fegen und teilen Geld aus, sie bringen Kost-
barkeiten dar, diese beiden Unsterblichen“. Alexejew äußert seine Entrüstung über die
„brutale Trivialität“ dieser Verse, die doch den schlagendsten Beweis abgibt für den volks-
tümlichen Ursprung des Kultes dieser Heiligen sowie für die Tatsache, daß sie ursprüng-
lich eben als Zwillinge kanonisiert worden waren und als solche für Reichtumsspender
galten. Der Konfuzianismus verfuhr mit diesen volkstümlichen Gottheiten in der gleichen
Weise wie das Christentum mit Florus und Laurus, Cosmas und Damianus, die aus rohen
heidnischen Zwillingsgottheiten zu Helden der Kirche gewandelt wurden.
Von dem Buddhismus hinwieder wurden im Ho-Ho-Kult zwei Mönche, Han-schan-ds'i
und Schi-dö-dsi kanonisiert, die im IX. Jahihundert n. Chi. lebten. Im Laufe von neun
Jahrhunderten hatten sie als Heroen der niederen Volksschichten bei diesen intensive Ver-
ehrung genossen, bis ihnen im Jahre 1733 e^n kaiserliches Edikt den Ehrentitel als Ho-Ho
verlieh und ihren Glaubenseifer verherrlichte. Offenbar hatte das Volk in allen diesen Jahr-
hunderten wirksame Gründe zu ihrer \ erehrung gehabt, die Gründe eben, die stets die
Veranlassung zum Zwillingskult abgeben. Die Ursache dafür, daß diese Gerechten, die schon
bei Lebzeiten als Bodhisattva galten, unter dem Namen Ho-Ho kanonisiert und als ein-
ander genau gleichende, Reichtum spendende kleine Kinder dargestellt wurden, sieht
Alexejew (S. 304) als unerhellt an und ist bestrebt, seine eigene Erklärung hierfür ab-
38 LEO STERNBERG
zugeben. Er erblickt hierin nämlich nur die Auswirkung eines Künstlereinfalls, der ihnen
,,figurale Assonanz“ verliehen, d. h. sie als Doppelgänger dargestellt hätte, wodurch ihre
Verwechslung mit den Ho-Ho, den Reichtumsspendern bewirkt worden wäre. Mit anderen
Worten ausgedrückt hätten wir es hier mit dem Ergebnis eines reinen Mißverständnisses zu
tun (S. 304), die Künstlerlaune sei zum ikonographischen Kanon erhoben und hierdurch
die Wandlung der Bodhisattva zu „trivialen“ Reichtumsspendern bewirkt worden.
Und doch hätte Alexejew es recht wohl vermocht, aus dem von ihm verwerteten Tat-
sachenmaterial eine vollkommen befriedigende Erklärung abzuleiten, wenn er nur die
aus der vergleichenden Forschung des Zwillingskultes, vor allem des indischen, gewonnenen
Ergebnisse hierzu verwertet hätte. Es werden von ihm zwei Legenden angeführt, die diese
Heiligen betreffen und deren eine literarischen, die andere volkstümlichen Ursprungs ist.
Die erste hat folgenden Wortlaut d „Am Orte Hun-nung lebte Herr Dschang, der
mit seinem ,,Vor“namen Wan-hui hieß. Sein Bruder war in An-si in Kriegsdienst.
Die Eltern sandten ihn aus, ihn zu besuchen. Am Morgen machte er sich auf den Weg, am
Abend kehrte er heim. Von Hun-nung, seiner Heimat, bis An-si sind es mehr als zehntausend
Li, daher nannte man ihn auch Wan-hui, der Zehntausend-Rückkehrende. Nun werden
sie gemeinsam (d. i. beide) als Ho-Ho verehrt.“ Weiter heißt es: ,,... folglich kann er
(d. i. Dschang) es nicht sein“. Der Kommentator hält also diese Erzählung daher für unwahr-
scheinlich, wreil beide Brüder ununterschiedlich vergöttlicht werden, wo doch die Wunder-
tat von dem einen Bruder vollbracht wurde. Dieser Umstand eben gibt aber den Beleg ab
dafür, daß es sich um Zwillinge handelt. Ist doch, wie von mir bereits wiederholt betont
worden, für den Zwillingskult eben der schroffe Gegensatz zwischen den Brüdern charak-
teristisch, deren einer als Kind eines Geistes mit wunderbaren Kräften bedacht, der andere
hingegen nur ein gewöhnlicher Sterblicher ist. Nun geht aber aus einer anderen, diesmal rein
volkstümlichen Legende hervor, daß die in diesem Falle als Helden auftretenden Brüder
von verschiedenen Vätern abstammen.
Ferner ist die von Dschang vollbrachte Heldentat bedingt durch seine übernatürliche
Fähigkeit, Entfernungen zu bezwingen — eine Fähigkeit, die vor allem für den indischen
Zwillingskult charakteristisch ist. Die Asvins sind es, die sich durch diese Gabe auszeichnen.
Rascher, als der Gedanke, ist der Lauf ihres Wagens (Rrgveda 1, 1172), an einem Tage durch-
eilt er Himmel und Erde (3, 58®), im Wettrennen tragen sie den Sieg davon u. s, f.2-3
Noch einleuchtender aber tritt uns die zwillingsartige Wesenheit dieser Ho-Ho in
einer von Alexejew in Peking nach einer mündlichen Erzählung niedergeschriebenen Volks-
legende entgegen, in der vor allem zwei charakteristische Züge hervorzuheben sind: erstens
wird hier in deutlichster Weise die Abstammung der Brüder von verschiedenen Vätern be-
zeugt, die, nach Alexejews Auffassung, die zwillingsartige Wesenheit unserer Helden wider-
legen soll, in Wirklichkeit aber die Tatsache der gleichzeitigen Zeugung von zwei verschie-
denen Vätern, einem göttlichen und einem sterblichen, hervorhebt. Hätte Alexejew den Er-
zähler gefragt, wie eigentlich die Worte „von verschiedenen Vätern“ aufzufassen seien,
so wäre ihm gewiß eine entsprechende Aufklärung in diesem Sinne zuteil geworden.
Als eine andere bedeutsame Einzelheit dieser Erzählung verdient die erbitterte Feind-
schaft der Brüder, die zwischen ihnen sich abspielenden Kämpfe hervorgehoben zu werden,
ein Zug, der, wie bereits oben ausgeführt, den Helden des Zwillingskultes ebenso eigentümlich
ist, wie hinwieder in anderen Fällen innigste Freundschaft (die oben erwähnten Brüder
Bo-i und Schu-tsi, werden als durch unzertrennliche Freundschaft verbunden dargestellt)
(S. 302).
1 Zitiert in der ausführlicheren, von Prof. Iwanow be-
reitwilligst übersetzten Version, aus der sich besonders
wertvolle Hinweise ergeben.
2 A. A. Macdonell. Vedic Mythology, 50.
3 Vgl. Gubernatis, Zoological Mythology, II., 94.
DER ZWILLINGSKULT IN CHINA UND DIE INDISCHEN EINFLÜSSE
39
Zuletzt wollen wir noch den Umstand hervorheben, daß der zwischen den Brüdern
ausbrechenden Feindschaft ein recht bezeichnender Anlaß zugrunde gelegt wird, nämlich
der Kampf um die von ihnen angesammelten Reichtümer. Gemeinsam hatten sie Handels-
geschäfte betrieben und kolossale Reichtümer gewonnen. Dann eignete sich der eine die
Schätze des andern an, worauf zwischen ihnen eine erbitterte Feindschaft ausbrach,
die bis zu ihrer siebenten Wiedergeburt fortdauerte, worauf sie endlich von einem Him-
melsbewohner nicht nur miteinander ausgesöhnt, sondern überdies zu unsterblichen
Geistern gewandelt wurden. Dieser Zug ist nun m. E. als gänzlich aus Indien, dem klassi-
schen Lande der Zwillingspaare, entlehnt aufzufassen. An dieser Stelle sei die indische
Version Mahäbhärata angeführt: ,,Zwei Brüder stritten miteinander, wie ihre Reich-
tümer zu teilen seien. Sie verfluchten einander und wurden darauf verwandelt, der eine
zu einem Riesenelefanten, der andere zu einer Schildkröte, bis endlich der Riesenvogel
Garuda sie beide ergreift und auf den Bergesgipfcl emporhebt (augenscheinlich ist hier der
Berg Sumeru gemeint, die Wohnstätte der Götter und der Bewahrungsort von Schätzen).
Hierzu muß noch bemerkt werden, daß die klassischen Zwillinge, die Asvms, ais auf einem
Bergesgipfcl lebend gedacht werden (RG, 7, '/o'). In der in Peking von Alexejew notierten
Legende weicht die Verwandlung in Einzelheiten von der indischen Version ab: an Stelle
des Riesenvogels Garuda ist ein Himmelsbewohner getreten, doch unterliegt die Über-
einstimmung beider Legenden keinem Zweifel.
V.
In der Kategorie der Ho-Ho- dürfte die als Liu-hai-örl bezeichnete Persönlichkeit
wohl ganz besonderes Interesse beanspruchen.
Ihre Bedeutung ist nicht nur in bezug auf ihre Zugehörigkeit zum Zwillingskulte recht
hoch anzuschlagen, sondern auch vom methodologischen Standpunkte, vom Standpunkte
der vergleichenden religionsgeschichtlichen und mythologischen Forschung. Im Laufe von
Jahrhunderten wurden mit dieser Gestalt drei verschiedene religiöse Auffassungen ver-
knüpft. In der animistischen Auffassung, die sich bis heutigentags im chinesischen Volke
recht lebendig erhalten hat, wird Liu-hai-örl als das göttliche Zwillingskind, als Reich-
tumsspender vergöttlicht. Vom Buddhismus wurde er mit den mannigfachsten Attributen
der verschiedensten, dem indischen Pantheon angehörenden Gottheiten ausgestattet, die
nur irgendwann und irgendwie mit Zwillingskult und Reichtum in Zusammenhang standen.
Von der taoistischen Hagiographie wurde er gleichfalls der Götterschar zugeeignet und
mit dem Nimbus eines großen Heiligen, eines durch Tugend, Weisheit und Zauberkünste
in gleichem Maße ausgezeichneten Helden umgeben. Aus diesem kunterbunten Gemenge
gestaltete sich die volkstümliche, im Volke am intensivsten verehrte Gottheit Liu-hai-örl
aus, bei deren Erforschung nicht nur chinesische Kommentatoren, sondern selbst europäische
Sinologen vom Rufe eines Chavannes sich in Widersprüche verstrickten — und dies, da
man Liu-hai-örl als rem chinesische Gottheit aufzufassen bestrebt war? während seine
Geschichte von Hinduismus vollkommen durchdrungen ist. Auch Alexejew betrachtet
dieses Problem vom rein sinologischen Standpunkte aus. Tatsächlich bietet nun bei einer
derartigen Einstellung die Erforschung der, von dem verworrenen Hintergründe ihrer
Ikonographie und Liegende nur unklar sieb abhebenden Persönlichkeit des Liu-hai-örl be-
trächtliche Schwierigkeiten.
Mit den Bilddarstellungen dieser Gottheit wollen wir beginnen. Auf volkstümlichen
Bildnissen wird er stets mit den Ho-Ho zusammen dargestellt. In Gestalt, Haartracht,
Kleidung erscheint er als das für die Ho-Ho typische kleine Kind, obwohl er häufig auch
mit zersausten Haaren, die Lenden mit einer Laubgirlande umwunden dargestellt wird,
Durchgreifend unterscheidet ihn jedoch von den Ho-Ho das ihm nie fehlende Attribut.
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40 LEO STERNBERG
die goldene, ungeklärterweise stets nur mit drei Pfoten und in den verschiedensten Stellun-
gen dargestellte Kröte. Bald erscheint Liu-hai-örl rittlings auf ihr, bald über ihr hüpfend
und sie mit dem Fuße tretend; zuweilen hinwieder wird sie auf einer Münze dargestellt,
die er aus dem Wasser herausfischt. Auf manchen Bildnissen endlich hält das Kindlein
Liu-hai-örl hoch über seinem Kopf eine Schnur mit daran aufgereihten Münzen empor,
nach denen die Kröte hascht.
Erscheint Liu-hai-örl als Einzelfigur in einer der oben geschilderten mannigfachen
Stellungen abgebildet, so werden gewöhnlich mit ihm zugleich auch die Ho-Ho dargestellt.
Fehlen diese, was zuweilen der Fall ist, so erscheinen an Stelle des einen Liu-hai-örl ihrer
zwei. Beim Fehlen des Liu-hai-örl hingegen hält einer der Ho-Ho — diese Tatsache ist
besonders hervorzuheben — anstatt des Schatzkästleins eine Kröte, aus deren Maul Kost-
barkeiten hervorquellen. Endlich sind Liu-hai-örl, wie Ho-Ho im Gefolge des Gottes des
Reichtums, Tsai-shön anzutreffen, dem ein Tributpflichtiger Gaben darbringt. Auch die
Geschichte des Namen dieses Gottes stellt sich als recht verworren dar. Sein ursprünglicher
Name lautete LiuHüanying, in der Ikonographie wird er gewöhnlich alsLin-hai-erh, Lin-hai
bezeichnet, eine Benennung, die von den Sinologen auf zwei verschiedene Arten übersetzt,
wie auch von den Chinesen in zwiefachem Sinne ausgelegt wird — entweder als Liu = Kin,d,
oder als Liu = Meer („von Ubersee“). Doch wird er auch Liu-hai-tschan genannt, was soviel
heißt als Liu-Meerkröte,
An diese Benennung knüpft sich das ihm beigelegte Epitheton als „Licht der Kröte —
des Mondes aus den Meereswellen“. Die Kröte wiederum wird auf die verschiedenste Weise
dem Monde, der Sonne des Mondes, der Essenz des Mondes, der Essenz des Goldes u. s. f.
gleichgestellt (Alexejew 282, Anm.).
Bunter noch und verworrener als die Namengebung erscheint die den Liu-hai-örl um-
gebende Legende. In der taoistischen Hagiographie erscheint er als geschichtliche Persön-
lichkeit, als bedeutender Staatsmann, Ministerpräsident und Philosoph. Einst erschien ihm
jedoch ein Taoist, der ihm die Lehre von der beschaulichen Ruhe, vom Steine des Lebens
u. s. f. verkündigte und, um ihm die Vergänglichkeit alles Irdischen anschaulich vor Augen
zu führen, auf eine Goldmünze eine Pagode aus zehn Eiern türmte, deren Zerbrechlichkeit
er mit den Gefahren des eitlen weltlichen Treibens verglich. Darauf leistete der Staatsmann
auf Titel und Reichtum Verzicht, verbrachte seitdem seine Tage in beschaulichem
Nachdenken und im Suchen nach der Pille der Unsterblichkeit und fand endlich in der
Schar der Unsterblichen Aufnahme.
In der von Huang Bo-lu angeführten Legende hingegen wird Liu-hai-örl als einfacher
Knecht dargestellt, der in einer Nacht wunderbarerweise 1200 Li durchlief. Ferner holte
er aus einem Brunnen eine Riesenkröte hervor, die er, in heller Freude über den guten
Fang, an einen langen Strick band, upd mit der er in fröhlichen Sprüngen herumlief. Endlich
erscheint in der von Alexejew in '^Peking niedergeschriebenen Legende Liu-hai-örl (wie
in der oben genannten indischen Erzählung von den zwei Brüdern, deren einer in maßloser
Habsucht die Schätze des anderen sich aneignet) im Kampfe mit dem Habsüchtigen, der
sich in seinen Inkarnationen zu einer Kröte gewandelt hat, die er bezwingt, indem er sie
durch einen goldenen Köder anlockt und aus dem Wasser herausfischt (S. 297).
So vielgestaltig ist also das bunte, die Persönlichkeit des Liu-hai-örl umgebende
Sagengewebe, das nunmehr in seinen Einzelheiten erforscht werden soll, um über den
Ursprung dieser Gottheit Aufschluß zu erlangen.
Wie bereits oben erwähnt, will Alexejew hier keinerlei Entlehnungen zugeben und ist
bestrebt, alles vom rein sinologischen Standpunkte zu erklären. Von diesem Grundsätze
ausgehend, hält er nur literarische Zeugnisse für glaubwürdig und legt seiner Untersuchung
ausschließlich die von uns hier wiedergegebene taoistische Legende zugrunde. Seiner
DER ZWILLINGSKULT IN CHINA UND DIE INDISCHEN EINELÜSSE 4i
Ansicht nach ist Liu-hai-örl recht eigentlich als taoistischer Heiliger aufzufassen. Die
Tatsache nun, daß er als solcher, nachdem er sich von Welt und Reichtum losgesagt und
die Unsterblichkeit gewonnen hatte, in den Kult der Ho-Ho, der Reichtunisspender ein-
bezogen wurde, sei als reines Mißverständnis aufzufassen und nur dadurch zu erklären,
daß seine Biographie die Episode mit der goldenen Münze und dem Verzicht auf seine Reich-
tümer enthalte. Nach Alexejews Darstellung wäre seine Einbeziehung in den Kult der Ho-Ho
ursprünglich zurückzuführen auf „eine tief durchdachte Bilddarstellung, in der er als ein
innerlich gewandeltes Wesen erscheint, das von einem unheildrohenden, auf eine Münze
getürmten Eierhaufen träumt. . . “ Die trivialen Zeichner volkstümlicher Bilderbogen hätten
dann auf eben diese Münze ihr Augenmerk gerichtet und den Liu-hai-örl mitsamt den Ho-Ho,
die man infolgedessen nach seinem Vorbilde als unsterblich zu denken begann, dem Gefolge
des Reichtumsgottes Tsai-shön einverleibt (S. 298, 299).
Diese Erklärung erscheint jedoch recht wenig glaubwürdig. Nie ist ein, besonders in
so hohem Maße volkstümlicher Kult aus einem Gebilde von Künstlerhand entstanden,
so „tief durchdacht“ dieses auch sein mochte. Doch auch das Auftreten der goldenen Kröte
erheischte eine Erklärung.
Nach Alexejew ist die Gestalt der Kröte in mystischem Sinne aufzufassen als „das
Symbol des Pathos, des Hingerissenseins des glaubenseifrigen Alchimisten, seiner Wand-
lung zu einer astralen Emanation, von dieser langlebigen Amphibie ausgehend, die durch
die Weisheit des Go-hung ihrer ekelhaften Gestalt enthoben und zum Symbol ewigen Lebens
erhoben wurde“ (S. 282, Anm.). Eines nur vermag Alexejew nicht zu ergründen, wie ja
übrigens auch die klassischen chinesischen Kommentatoren es nicht vermocht haben:
warum ist denn diese mystische Kröte mit nur drei Pfoten bedacht ?
Was stellt nun die Persönlichkeit des Liu-hai-örl tatsächlich dar ? In ihr sind, wie dies
bereits von uns ausgeführt worden, drei Gestalten miteinander verwoben — eine volkstüm-
lich-chinesische, eine indische und eine taoistische.
Die im Volke über Liu-hai-örl herrschenden Vorstellungen haben mit der taoistischen
Legende nichts gemein. In der volkstümlichen Tradition erscheint er bald als einfacher
Knecht, bald als Holzknecht. Werden doch im Volke Zwillinge unabhängig von ihrem
Milieu, wie von ihrer gesellschaftlichen Stellung vergöttlicht. Auf Bilddarstellungen (volks-
tümlichen Bilderbogen, Statuetten) erscheint er mit dem, Zwillingen eigentümlichen Charak-
teristikum, nämlich als Kind oder Jüngling, wofür ja auch sein Name Zeugnis ablegt: Liu-
hai-örl, d. i. Li = Kind. Wie bereits erwähnt, ist ein Wiegenlied ihm eigens gewidmet,
in Lobliedern wird er als Jüngling gepriesen. Allerdings erscheint er am häufigsten in Einzel-
gestalt. Doch können für die Geschichte des Zwillingskultes zahlreiche Fälle angeführt
werden, wo nur einer der Zwillinge vergöttlicht wird, cs seien hier nur die Götterzwillinge
des klassischen Altertums erwähnt, von denen mancherorts der eine, Pollux, andernorts
hingegen der andere, Kastor, vergöttlicht wurde.
Vor allem erscheint dies in den Fällen als naturgemäß, wo im Volke die Vorstellung
herrscht, einer der Zwillinge sei als die Verkörperung des bösen Prinzips zu denken. Wie
bereits erwähnt, wird in der Legende von Peking Liu-hai-örl im Kampfe mit einem hab-
gierigen Feinde geschildert, der sich daraufhin zu einer Kröte wandelt und von Liu-hai-örl
aus dem Wasser herausgefischt wird. Die Wandlung zur Kröte ist eben als Wandlung des
anderen Zwillingskindes aufzufassen.
Aus der Zusammenstellung dieser Legende mit jener anderen, die von dem Kampf der
beiden Brüder Ho-Ho miteinander berichtet und ihn gleichfalls als durch die Habsucht
des einen Bruders veranlaßt darstellt, ergibt sich unzweifelhaft die Schlußfolgerung, in
dieser Legende sei die, dem universalen Zwillingsmythus angehörende Idee des Kampfes
der beiden Brüder wiedergegeben. Noch deutlicher wird dies durch die oben erwähnte
6 Baessler-Archiv.
42
LEO STERNBERG
gleichartige, zum indischen Zyklus gehörende Legende bezeugt, wo direkt von zwei Brüdern
die Rede ist, deren einer sich zu einer Kröte (Schildkröte) wandelt. Offenbar rührt die
chinesische Legende unmittelbar von Entlehnungen her, die aus Indien stammen. Die Tat-
sache aber, daß diese Entlehnungen den Mythen des Zwillingszyklus entstammen, sowie
die hervorragende Popularität, die diesem Zyklus in China zuteil wurde, zeugt davon,
daß auch den Chinesen der Glaube an die übernatürliche Wesensart der Zwillinge, wie auch
die Tendenz zu ihrer Vergöttlichung nichts Fremdes waren. Auch verschiedene andere,
für Liu-hai-örl, wie für die Ho-Ho charakteristische Züge, erscheinen gleichfalls als den
Asvins und anderen Göttern des Reichtums entlehnt.
Am auffallendsten gibt sich die Übereinstimmung mit den Asvins darin kund, daß die
das Attribut des Liu-hai-örl darstellende Kröte nur drei Pfoten hat. In der weiteren Dar-
stellung soll der Nachweis dafür erbracht werden, daß sowohl die Gestalt der Kröte, als
auch dieses ihr Charakteristikum, die Dreizahl der Pfoten, auf Indien zurückzuführen sind.
Für die Asvins jedoch, als für die typischen Zwillingsgottheiten ist dieser prägnante Zug
ganz besonders bedeutsam.
Von allen Gottheiten nämlich, die in der Auffassung der Inder den Himmel auf sog,
Vähana (Wagen) durcheilen, erscheinen nur die Asvins auf dreirädrigen Wagen. Es ist
noch zu erwähnen, daß die Vorstellung von diesen Vähana einer späteren Zeit angehört,
während ursprünglich die Götter als auf Tieren sich fortbewegend gedacht wurden. Das
Vähana konnte recht wohl an Stelle der Schildkröte getreten sein. Daß diese Dreizahl der
Räder durchaus nicht als zufälliges Merkmal, sondern als Symbol aufzufassen ist, erhellt
daraus, daß nicht nur die Räder, sondern auch für alle anderen Wagenteile, Reif, Speichen
usw., die Dreizahl gilt.1
Der Ursprung der Dreizahl der Räder läßt sich gleichfalls in vollständiger Überein-
stimmung mit dem Ursprung der Dreizahl der Pfoten bei der Kröte feststellen. Ursprüng-
lich soll der Wagen der Asvins vierrädrig gewesen sein, doch ging eines der Räder bei einem
Unfall verloren, der ihnen auf der Reise zur Hochzeit des Gottes Sürya zustieß. Nun hatte
aber auch die Kröte (s. w. u.) ursprünglich vier Pfoten gehabt, deren eine sie gleichfalls
durch einen Unfall — eine Verletzung mit einem Wurfgeschoß — einbüßte. Von anderen
Zügen, in denen sich Zusammenhänge zwischen Asvins und Kröte bekunden, wird noch die
Rede sein. Vorerst sollen noch weitere, aus Indien entlehnte Züge untersucht werden, die
von Alexejew als rein chinesisch aufgefaßt werden.
Zu den Bilddarstellungen des Liu-hai-örl ist folgendes zu bemerken: I. Zuweilen wird
er mit einem Blättergewinde umgürtet dargestellt. Alexejew erblickt hierin (S. 272) ein
bloßes Mißverständnis. Tatsächlich ist dies aber ein uraltes Attribut eben der indischen
Gottheiten. Die Göttin Parnasavari erscheint auf einer ihrer ältesten Bilddarstellungen
in eben dieser Weise bekleidet (Grünwedel op.. cit. S. 152, Fig. 126).
2. Häufig wird Liu-hai-örl lachenden, jovialen Angesichts dargestellt; nun wird aber
auch der in Nepal verehrte Gott des Reichtums, der mit Kubera identische Jambhala,
nach Foucher: ,,la bouche souriante, lui donnant un air comique de bourru bienfaisant“
abgebildet.2
3. Häufig wird Liu-hai-örl, wie auf der im Museum für Anthropologie und Ethnologie
der Akademie der Wissenschaften zu Leningrad befindlichen Figur 673—96 auf einer
Kröte stehend, eine Schnur mit Quasten und Schmuck haltend, ein Trinkgefäß (Kalebasse)
am Gürtel dargestellt — lauter Einzelheiten, die die indische Gottheit Kubera charakteri-
sieren. Am bedeutsamsten ist hier die Tatsache, daß die Kalebasse des Liu-hai den gleichen
1 Macdonell schildert diesen Wagen folgendermaßen: Vedic Mythology, 50.
“It is peculiar in construction, being threefold, having 2 Foucher, op. cit., 124.
three wheels, three fellies and some other parts triple”.
DER ZWILLINGSKULT IN CHINA UND DIE INDISCHEN EINFLÜSSE
43
Typus aufweist, wie die, mit welcher Kubera ausgestattet wird, von dem nie fehlenden
Attribut des letzteren, der mit Kostbarkeiten behängten Schnur schon gar nicht zu reden
(Mus.Fig. 782—9). Ferner wird auch Kubera in dieser Stellung, nämlich ein Ungeheuer,
einen Dämon mit Füßen tretend, abgebildet.. (Grünwedel S. 15, Fig. 6.) Ein solches Un-
geheuer ist auf der bei Grünwedel (Abb. 127) wiedergegebenen Bilddarstellung Kuberas
erkennbar, wo die ihr gleichartige Gottheit, Kurukulle genannt, in einem Siegestanz über
dem Dämon Rähu erscheint. Aus dem Auftreten des Dämons aber läßt sich die Erklärung
ableiten für die, als Attribut von Liu-hai-örl wie von Kubera erscheinende Kalebasse:
diese stellt kein einfaches Trinkgefäß dar, sondern das Behältnis des amrta, des Götter-
trankes. Von Rähu war es entwendet worden, nun straft ihn die rachsüchtige Gottheit
dafür, indem sie ihn im Siegestanze mit Füßen tritt. Hinzuzufügen ist noch, daß das Ge-
fäß mit amrta als eines der ältesten Attribute verschiedener Gottheiten erscheint.
Der Kröte des Liu-hai-örl, aus deren Maul Kostbarkeiten hervorquellen, entspricht
der Ichneumon des Kubera.
4. Besonders anschaulich treten die Entlehnungen in jenen Bilddarstellungen zutage,
wo im Gefolge des Tsai-shön neben den Ho-Ho und Liu-hai-örl der Goldbarren darbrin-
gende Tributpflichtige erscheint. Hier liegt eine unmittelbare Nachahmung des indischen
Motivs vor, dessen Vorbild zu suchen ist in dem bekannten Relief des Museums von Lahor,
Kubera darstellend, zu dessen Füßen von einer Seite eine, Goldbarren als Tribut darbringende
Figur dargestellt ist, von der anderen ein Jüngling, der die Hände faltet, als wolle er nach
den Kostbarkeiten greifen (Grünwedel S. 23, Fig. 14).
5. Auf manchen volkstümlichen Bildern (s. Alexejew Nr. 12) sind zwei kämpfende
Tsai-shön dargestellt, die an den Kampf erinnern zwischen den Herrschern der Berge
Meru, der Fundstätte für Kostbarkeiten.
6. Nun bleibt nur noch das dem Liu-hai-örl speziell eigentümliche Attribut , die goldene
Kröte, zu erhellen. Die Sinologen glauben diese Frage auf recht einfache Weise lösen zu
können. So meint Chavannes1, die Kröte als Attribut sei einfach als Illustration zur falschen
Übersetzung seines Namens mit hai-dschan (tschan = Kröte) aufzufassen. Alexejew be-
handelt die Frage von einem mystischen Gesichtspunkte aus, indem er die Kröte als das
abstrakte Symbol der Ekstase, des Pathos des Heiligen der taoistischen Legende auffaßt
und keine Entlehnung zugibt.
Für denjenigen aber, der mit den Religionen Indiens vertraut ist, liegt es klar zutage,
daß es sich hier durchweg um Entlehnungen aus Indien handelt, mit dem Unterschiede nur,
daß in Indien die mythische Kröte gewöhnlich als Schildkröte bezeichnet wird, während in
der indischen Mythologie die Bedeutung der Kröte mit derjenigen der Schildkröte voll-
kommen übereinstimmt.1 2 Wird doch auch in chinesischen Quellen (Alexejew S. 281) die
goldene Kröte mit allen der Schildkröte eigentümlichen Zügen geschildert (außergewöhnliche
Größe, langsame Bewegungen, Unfähigkeit zu springen und Töne von sich zu geben, Pro-
tuberanzen auf dem Rücken), so daß die Annahme als vollkommen berechtigt erscheint,
auch im chinesischen Mythus handele es sich nicht um eine goldene Kröte, sondern um eine
goldene Schildkröte, welch letztere in der indischen Mythologie, wie weiter unten
erhellen soll, sowohl mit der die charakteristische Funktion des Liu-hai-örl darstellenden
Idee des Reichtums aufs engste verknüpft ist, als auch mit der buddhistischen Gottheit
Manjusri, deren Züge wir im Liu-hai-örl wiederfinden. Hatte doch Liu-hai-örl durch seine
nach der Kanonisation im taotistischen Kulte erfolgte Wandlung zum Genius von Weisheit,
Wissen, Alchemie und Magie die für diese Gottheit des Buddhismus vor allen anderen
1 Zitiert nach Alexejew, S. 294. Wie im Deutschen, so nähern sich übrigens auch in
2 Gubernatis loc. cit. Kröte und Schildkröte sind mit anderen Sprachen die Bezeichnungen der beiden Tiere
dem Monde identische Bezeichnungen. einander fast bis zur Übereinstimmung.
6*
44
LEO STERNBERG
charakteristischen Züge angenommen. Die Wandlung des Liu-hai-örl zum Manjusri ging
um so leichter von statten, als letzterer sogar in der buddh istischen Tradition (die Legende
von Nepal) als der Nationalheros der Chinesen dargestellt wird: als seine Geburtsstätte
gilt ein in Nordchina aufragender Berg mit fünf Gipfeln, den Mittelpunkt seines Kultes
bildet das berühmte Kloster Wu-tai-schan in Schan-si.1
Wie weit diese Identifikation des Liu-hai-örl mit Manjusri reicht, ist daraus ersichtlich,
daß jener, diesem gleich, mit dem für Manjusri charakteristischen Attribut, dem Schwerte
dargestellt wird. Auf einem, den taoistischen Liu-hai-örl darstellenden Amulett, dem
Alexejew, obwohl er es a. a. O. selbst anführt, bei der Erforschung dieser Gottheit offen-
bar gar keine Beachtung schenkte, findet sich folgende Inschrift: ,,Der himmlische Lehrer
Dschang(Titel des Liu-hai-örl), der erbliche hohe Magier mit dem mächtigen Schwerte in der
Hand droht der unten befindlichen dreibeinigen Kröte“1 2. Zuweilen wird dieser Dschang auf
einem Tiger, dem Könige der Tiere, reitend dargestellt, wie Manjusri und Kubera auf Löwen.3
Was den Zusammenhang zwischen Manjusri und der goldenen Schildkröte betrifft, so
ist hier zu betonen, daß die gesamte indische Kosmogonie auf diesem Zusammenhang auf-
gebaut ist.
Die indische Kosmogonie, die vom Buddhismus des Nordens vollständig übernommen
und dem sog. weißen Kalender zugrunde gelegt wurde, beruht auf dem Mythus von der
Erschaffung der Welt durch Manjusri aus seiner eigenen Inkarnation, aus einer goldenen
kosmischen Riesenkröte. Dieser Mythus tritt in verschiedenen Versionen auf. Am bedeut-
samsten ist für uns die von Pallas angeführte4, die wir hier wdedergeben wollen: ,,.... Nach
einem furchtbaren Orkan stieg eine goldfarbige, herzförmige Wolke auf, die einen riesen-
mäßigen Regen ausschüttete. Daraus entstand im unteren Raum das große Weltmeer.
Auf dessen Oberfläche sammelte sich ein Schaum, welcher sich, nachdem das Meer wieder
ruhig geworden, verdickte und zum Grundstoff des Weltgebäudes ward. Die Grundlage,
worauf sich der Niederschlag dieses weltschwangeren Schaumes anlegte, war eine ungeheure,
goldene Schildkröte, welche vor Entstehung des Weltgebäudes, von dem Geiste des großen
Vaters der Götter, Manjusri, belebt, lange Zeit über der Tiefe geschwebt hatte. Als die
Zeit erschien, da dies Weltgebäude erschaffen werden sollte, nahm der diese Schildkröte
beseelende Manjusri einen anderen Körper an, erhob sich in den oberen Raum und durch-
schoß jenes über den Wassern schwebende Ungeheuer mit einem Pfeil, dergestalt, daß
dieser auf einer Seite so lang wie auf der anderen hervorragte. Die Schildkröte sank leblos
in die Tiefe. Aus ihrer Mitte kam nachher der Berg Summer-bola hervor, der alle erdenklichen
Kostbarkeiten enthält. Die Erden- oder Weltteile haben sich auf diesem Meer in großen
Inseln gesammelt, die die Gliedmaßen der großen Schildkröte zur Grundlage haben...“
Aus dieser Darstellung wird es uns verständlich, warum Liu-hai-örl, der Reichtum-
spender, mit Manjusri, der den Berg des Reichtums erschaffen, sowie mit der seine In-
karnation darstellenden goldenen Schildkröte in Zusammenhang gebracht wird. Ferner
erhellt hieraus, warum Liu-hai-örl bezeichnet wird als Liu-hai-tschan-dsi: Meerkröte.
Ist doch die Manjusri inkarnierende Schildkröte aus dem. Meere hervorgegangen. Auch der
Umstand, daß Liu-hai-örl auch als lin = Meeresmond übersetzt wird, sowie die Tatsache,
daß die Kröte nicht nur als das Symbol, sondern auch als der Gatte des Mondes gilt,
finden hierin ihre Erklärung: es handelt sich hier wiederum um eine bloße Entlehnung aus
der indischen Mythologie, wo die Schildkröte dem Monde gleichgesetzt wird, wo eine be-
sondere Mond- wie auch eine Sonnenschildkröte vorhanden sind.5
1 Foucher 114.
2 Alexejew, Beschreibung der chinesischen Amulette in
Münzform, S. 15; s. die Abb. von Manjusri mit dem
Schwerte bei Grünwedel, op. cit. S. 137, Fig. in.
3 Alexejew, Von verschiedenen Haupttypen chinesischer
Beschwörungsbilder, S. 16.
4 Pallas, Nachrichten über die mongolischen Völker-
schaften. B. II, S. 92 ff.
5 Gubernatis, Op. cit. II, 93, S. 365.
DER ZWILLINGSKULT IN CHINA UND DIE INDISCHEN EINFLÜSSE
45
In dieser ihrer Eigenschaft kommt die Schildkröte, folglich also auch Liu-hai-örl, dem
Zwillingspaar der Asvins nahe, die ja ebenfalls mit dem Monde in Zusammenhang gebracht
werden. Von anderen indischen Zwillingspaaren wird Yama gleichfalls als Mondgottheit
gedacht.1 Auch in anderer Beziehung lassen sich Zusammenhänge feststellen zwischen
dem Mythus von der Erschaffung der Welt durch Manjusri und den Zwillingen.
Manjusri, der Schöpfer der Welt, wird durchaus nicht immer als Einzelgestalt dar-
gestellt. Gerade diejenige Legende, die am meisten verbreitet ist, schildert ihn als einen
der beiden Genien, die zu gleicher Zeit aus Amidas rechtem Auge geboren und zur Orga-
nierung des Weltalls erkoren waren, d. i. also als Zwillinge im wahren Sinne. In der näm-
lichen Legende heißt es, Mahjusris Grabstätte befinde sich unter dem Berge Sumeru, dem
Verwahrungsort der vier Schätze.1 2
Diese, einer späteren Zeit angehörende Legende erscheint nur aber als eine Version
der ältesten, der vorbuddhistischen Periode angehörenden Legende vom Schöpfer Brahma
(dem Mahjusri3 des späteren Buddhismus), der im erstenMeltaltei der Schöpfung, nachdem
er die Erde erschaffen, ein Zwillingspaar erschuf, das wiederum anderen Zwillingspaaren
das Leben gab, die offenbar als Erste das Weltsystem organisierten.4
Die zwischen dem (mit Mahjusri identischen) Liu-hai-örl und dem Zwillingskult be-
stehenden Zusammenhänge unterliegen also keinem Zweifel.
Es bleibt noch zu ergründen, warum die Kröte mit nur drei Pfoten bedacht ist. In der
Literatur konnte ich, wie ja auch Alexejew, keine Erklärung hierfür finden. Doch möchte
ich verschiedene Erwägungen darlegen, die meines Erachtens die Erhellung dieses Pro-
blems fördern könnten.
Vor allem ist hier die Tatsache zu beachten, daß die kosmische Schildkröte nicht nur
als Inkarnation des Mahjusri, sondern auch als die der ältesten Gottheit, des Visnu, ge-
dacht wird: nun wird aber bekanntlich in dem Mythus dieses Gottes der Dreizahl hohe Be-
deutung beigelegt. Als das ureigenste Charakteristikum des Visnu erscheint die Tatsache,
daß er den Himmel in drei Schritten durcheilt. Diese Dreizahl findet in seiner Inkarnation,
in der Schildkröte, ihren symbolischen Ausdruck. Bemerkenswert ist es ferner, daß in
Rrgveda I, I556 Visnu in der, für Liu-hai-örl eigentümlichen Weise charakterisiert wird als
,, Jüngling, der kein Kind mehr ist“.
Doch besteht auch eine Legende, die das Fehlen der vierten Pfote aus rein physischen
Ursachen herzuleiten sucht. Ich meine hier die bei Schlagintweit5 angeführte Legende
von der Schöpfung des Weltalls, derzufolge Manjusri die Schildkröte mit dem von ihm
abgeschossenen Pfeil nicht tötete, sondern nur an der Seite verwundete, so daß sie sich nicht
mehr auf dem Wasser halten konnte und auf den Meeresgrund niedersank. Augenschein-
lich hatte sie durch die Verwundung eine ihrer Pfoten eingebüßt und nur drei behalten.
Dieses Charakteristikum, die Dreizahl der Pfoten, ist also gleichfalls rein indischen Ur-
sprungs. Daß diese dreifache Wesensart mit dem Zwillingskult verknüpft ist, erhellt auch
daraus, daß das Vahana der Asvins, wie bereits erwähnt, durchgängig in allen ihren
Teilen, von der Räderzahl schon gar nicht zu reden, auf dem Prinzip der Dreizahl auf-
gebaut ist.
Durch die oben dargelegten Ausführungen glauben wir den Nachweis erbracht zu
haben dafür, daß die chinesischen Ho-Ho als Zwillingsgottheiten im eigentlichen Sinne
aufzufassen sind, daß Liu-hai-örl gleichfalls eine Zwillingsgottheit darstellt, der durch die
taoistische Kanonisation die Züge des dem Zwillingskulte wiederum eng verbundenen
1 S. Bethling Art. Asvins, wo dieser Terminus auch in 4 Jacobi, Ages of the World (Encyclopedia of Religion
der Bedeutung als Mondhaus angeführt wird. an Ethics).
2 Nil. Buddhismus, S. 23, 43. 5 Schlagintweit, Buddhismus in Tibet, 200, sq.
3 Grünwedel, Op. cit. 138.
46 LEO STERNBERG
Manjusri verliehen wurden -und daß endlich sowohl die Ikonographie des Liu-hai-örl als
auch die mit ihm verknüpften Legenden durchweg aus Indien übernommene, von der
chinesischen Hagiographie nur oberflächlich übermalte Entlehnungen darstellen. Zugleich
gibt die, gerade in den breiten Volksschichten so intensive Verehrung der Ho-Ho wie des
Liu-hai-örl den Beweis dafür ab, daß auch in China, wie bei anderen Völkern, ein ein-
heimischer primitiver Zwillingskult bestand, den die höheren Kulte, Buddhismus und
Taoismus — wie ja auch das Christentum es getan — aus erzieherischen Gründen sich
zueigneten und hierdurch seine ursprüngliche volkstümliche Abstammung bis zur Un-
kenntlichkeit verwischten.
Besprechungen und Büchereingänge.
Plaetschke, Bruno, Königsberg: Vom kulturellen Leben in
den kleinen autonomen Gebieten des Nordkaukasus.
(Osteuropa. Zeitschrift für die gesamten Fragen des
europäischen Ostens, Berlin, 3. Jhg. 1928, S. 689—
697.)
Der Verfasser, der schon vor der Errichtung der Sow-
jetherrschaft verschiedene Teile des Kaukasus bereist
hat, besuchte im Jahre 1927/28 den Dagestan und das
autonome Gebiet der Tschetschenen zu landes- und volks-
kundlichen Studien. In der vorliegenden Arbeit gibt er
die Ergebnisse seiner Untersuchungen über die Aus-
wirkung der kulturellen Autonomie im Nordkaukasus
wieder. Er will schildern, „welche kulturellen Fort-
schritte die kleinen Völker seit dem Bestehen der Auto-
nomie schon gemacht haben und auf welchem Wege sie
erreicht wurden“. Recht wichtig erscheint mir der Ge-
sichtspunkt, daß es dabei nicht nur auf eine Wiedergabe
mehr oder minder statistisch erfaßbarer Tatsachen an-
komme, sondern auf die Stimmung, die in diesen kleinen
Völkern heute herrsche, darauf, wie sie selbst ihre Lage
empfänden, auf ihre innere Einstellung zum Sowjet-
system. Als Ergebnis teilt P. mit, daß die kleinen Völker
im allgemeinen mit der Sowjetregierung sympathisierten,
die ihnen auf dem Gebiet des Schulwesens, der Kranken-
behandlung und auch des Wirtschaftslebens mancherlei
Gutes gebracht hätte. Immerhin sagt er, daß etwa eine
gleichmäßige Besitzverteilung, die theoretische Grund-
maxime des Systems, bei dem unbändigen Sinn der Ge-
birgsvölker zu schweren Erschütterungen führen müßte.
Wie überall in Rußland und Sibirien bildet die G. P. U.,
die frühere Tscheka, die gefürchtetste Behörde, die sich
ja auch durch ihre Methoden weder bei den Russen noch
bei den sonstigen Völkerschaften als „gerecht“ arbeitend
erweisen konnte. Da sie überall ihre geheimen Mit-
arbeiter hat, ist sie mit am meisten daran schuld, daß
nirgendwo in Rußland bei den etwas höher kultivierten
Völkern eine ruhige Arbeitsstimmung entsteht. Sie ist
im Zusammenhang mit der drückenden Wirtschaftslage
Rußlands daran schuld, daß die schweren moralischen
Vergiftungen des Dorf- und Stadtlebens im Gesamtgebiet
der U. d. S. S. R. sich nicht vermindern, und anstatt
gegenseitiges Vertrauen zu verbreiten, für den Wirt-
schaftsprozeß eine unbedingte Voraussetzung, überall
Mißtrauen, Heuchelei, Hinterlist und Angeberei das Feld
beherrschen. — Auch im Kaukasus konnte P. feststellen,
daß die Repräsentationsposten gewöhnlich von Ein-
heimischen bekleidet werden, die wichtigeren Sekretariate
dagegen von Russen, Juden oder sonstigen Andersstäm-
migen.
Die antireligiöse Propaganda der Sowjets ist den Ein-
geborenen am wenigsten angenehm, und P. schreibt
dieser Propaganda auch die Hauptursache der schweren
und sehr blutig niedergeschlagenen Aufstände in den
Bergen zu. Diese antireligiöse Propaganda richtet sich
ja nicht nur gegen die christliche und mohammedanische
Religion, die der Verfasser anführt, sondern ebensogut
auch gegen den Buddhismus und Schamanismus, wo
überall dieselbe Verbitterung hervorgerufen wird. Die
Tatsache der antireligiösen Propaganda zeigt ja, daß auch
die kulturelle Autonomie letzten Endes nur eine recht
beschränkte ist. Und die sozialistische Religion, die man
den Völkern dafür bringt, ist leider so sehr durch den
Klassenkampfcharakter des Sowjetstaatswesens getrübt,
daß vom Sozialismus außer dem Namen eigentlich nicht
das geringste zu spüren ist.
Ganz mit meinen Beobachtungen in Sibirien stimmen
auch Plaetschkes Einsichten darin überein, daß der Vor-
gang der Russifizierung durch Erteilung der sogenannten
kulturellen Autonomie und auch trotz der Bevorzugung
der jeweiligen Landessprache gegenüber dem Russischen
keineswegs aufgehalten worden wäre, sondern eher noch
rascher vorwärtsschritte als früher. Diesen Prozeß kann
man an allen Ecken und Enden des Sowjetreiches bei
allen Völkerschaften beobachten, in den Tundren und
Wäldern Nordsibiriens, in den Steppen des Südens, im
Osten und Westen. Für die Ethnographie ist dieser Vor-
gang aber eine gewaltige Mahnung, so schnell wie nur
möglich noch zu retten, was in letzter Stunde noch zu
retten ist. Die alten Eingeborenenkulturen Rußlands
gehen mit Riesenschritten ihrem endgiltigen Untergang
entgegen.
Hans Findeisen.
Frazer, James George: Der goldene Zweig (the golden
bough), das Geheimnis von Glauben und Sitten der
Völker. Abgekürzte Ausgabe. Leipzig 1928, C. L.
Hirschfeld Verlag. VII und 1087 Seiten, 8°.
Es sind 39 Jahre her, seitdem die erste Auflage des
“golden bough” 1890 in drei Bänden erschien. In der
dritten Auflage war das Buch durch die Vermehrung der
Quellen über denselben Inhalt auf zwölf Bände ange-
schwollen, so daß der Gedankengang des Ganzen, der
schon an sich durch die vielseitige Erklärung des Aus-
gangs, der Überlieferung über den Priesterkönig des Sees
von Nemi, nicht leicht festzuhalten war, unter den zahl-
reichen Belegen aus der ganzen Welt vollkommen be-
graben wurde. Es ist deshalb zu begrüßen, daß der kunst-
volle Aufbau mit seinen sprachlichen Schönheiten durch
diese Ausgabe in einem Bande wieder einigermaßen ge-
rettet worden ist. Das ist freilich nur durch Fortlassen oder
Kürzen sehr vieler Beispiele, der Anmerkungen und der
Quellenangaben erreicht worden, wodurch das Werk auf
etwa ein Fünftel des Umfangs der zwölfbändigen Ausgabe,
aber unter Beibehaltung der ganzen Anordnung verklei-
nert werden konnte.
Dieser verkürzte Band ist aber für die Ethnologie auch
deshalb wichtig, weil der Verfasser durch ihn zum Aus-
druck bringt, daß er noch jetzt seiner ursprünglichen All-
gemeinauffassung treu geblieben ist. Letzten Endes ist
er Evolutionist, der davon überzeugt ist, daß die Hoff-
nung auf Fortschritt — und zwar sowohl auf sittlichen
48
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
wie auf geistigen — in Zukunft mit dem Schicksal der
Wissenschaft verbunden ist. Demnach betrachtet er
Glauben und Sitten der Völker, denen sein Buch gewid-
met ist, nicht als ein irrationales Bedürfnis der Mensch-
heit, sondern als eine Kette von Irrtümern primitiver
Denkart, die aufzudecken das Ziel seines Buches ist, so
sehr er auch zuweilen geneigt ist, dem romantischen, un-
wiederbringlich verlorenen Inhalt eine Träne nachzu-
weinen. Den evolutionistischen Gedanken entspricht es
nun auch, daß er, wie bekannt, es als wahrscheinlich hin-
stellt, die Magie sei der Religion, dem Glauben an Götter,
vorausgegangen, indem der Mensch allmählich ein-
gesehen habe, daß die menschlichen Kräfte nicht aus-
reichend seien, die großen Veränderungen in der Natur
hervorzubringen, und daß es demnach besondere Wesen
dafür geben müsse. Die Magie ist ihm daher eine Art
primitiver Wissenschaft, und die Tiefen der Religion
bleiben für ihn kein Rätsel. Die geschichtliche Seite von
Glauben und Sitte zu behandeln, liegt ihm fern — sie
zu verfolgen wäre auch im Rahmen eines solchen Buches
schwer genug gewesen — er nimmt vielmehr seine ver-
gleichenden Beispiele zur Erklärung aus allen Zeiten und
Völkern, wo er solche findet.
Fragt man sich nun aber, ob seine Anschauungsweise
und Methode, die heute von vielen Ethnologen nicht mehr
geteilt wird, ihn etwa verhindert habe, zu bleibenden Er-
kenntnissen zu gelangen, so muß man im Gegenteil bei
der Gewissenhaftigkeit seiner Forschung anerkennen,
daß gerade „der goldene Zweig“ teils eine Reihe ge-
sicherter Ergebnisse, teils wenigstens Hinweise zur Er-
klärung aufweist, die man auch weiterhin immer wieder
anwenden wird. Dahin gehört z. B. der Grundzug des
Buches, dem zufolge das im König oder Priester oder sonst
in einer Person, einem Tier oder Symbol verkörperte
Naturwesen durch Tötung auf der Höhe der Kraft er-
halten wird. Solche imitative Magie hat sich z. B. in
Mexiko zur Erklärung gewisser Arten der Opfer trefflich
bewährt. Freilich werden diese Dinge von Frazer gewisser-
maßen nur im Groben herausgemeißelt: das Verständnis
der Götter oder ihrer Verehrer erfordert viel mehr und
namentlich nicht nur Gedankenfeststellung, sondern reli-
giöses Eindringen. Andererseits wird man z. B. seine Er-
klärung von Tod und Auferstehung des Jünglings bei der
Initiation zur Zeit der Geschlechtsreife, die nach ihm vor
allem bei totemistischen Stämmen Vorkommen soll, als
zu speziell und rationalistisch ansehen. Er meint nämlich,
der Knabe sterbe als Mensch und werde als Tier wieder
geboren, indem die beiderseitigen Seelen gewissermaßen
ausgetauscht werden. Ebenso sei es mit dem gleichen Vor-
kommnis des Sterbens und Auferstehens bei der Initiation
in Geheimbünde.
Wenn wir dieses klassische Denkmal des Evolutionis-
mus noch einmal überschauen, so erkennen wir einmal,
daß wir solche einfachen Vergleiche durch Aneinander-
reihung von Quellen auch ferner zur ersten Orientierung
stets werden vornehmen müssen, sei es nun mit oder ohne
die Weltanschauung des Evolutionismus. Gerade die
magische Seite der Religion gibt uns ein leichtes Verständ-
nis und befriedigt auch die Auffassungsgabe von Leuten,
die sich wenig damit abgegeben haben. Der Erfolg des
Buches erklärt sich auch dadurch, daß Frazer stets mit
beiden Beinen auf der Erde steht und die Astralmytho-
logie, die zum Verständnis dieser Erscheinungen gehört,
geradezu ängstlich vermeidet, denn dadurch würde ein
strittiges, manchen unverständliches Element hinein-
kommen. Einschmeichelnd ist auch der trotz aller hervor-
gehobenen Abweichungen durchgehende Gedanke, daß
gewissermaßen eine ganze Phase der menschlichen Ent-
wicklung auf einmal beleuchtet wird. Es ist aber selbst-
verständlich, daß ein tieferes Eingehen in die Einzeler-
scheinungen im Zusammenhang mit der sonstigen Kultur
des jeweiligen Volkes verlangt und daß andererseits die
geschichtliche Verbreitung und womöglich Aufeinander-
folge in jedem Falle ins Auge gefaßt werden muß.
K. Th. Preuß.
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bis 1928. Berlin: Selbstverk 1929. 47 S. 8°.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER
BESTATTUNGSBRÄUCHE BEI DEN
VÖLKERN SUMATRAS
MIT i KARTE
VON
DR. PHIL. H. HEDENUS
A. EINLEITUNG.
Indonesien, die große Durchgangspforte für zahlreiche Völkerströmungen nach dem
Pazifik, und selbst ein Gebiet, indem jahrhundertelang die Einflüsse der wichtigsten Kulturen
Asiens __die arabische, indische und chinesische — aufeinanderstießen, sich befruchteten
und z. T. auch wieder verdrängten, dürfte wie nur wenige andere Gebiete der Erde für das
Studium völkerpsychologischer und ethnologisch-kultureller Züge geeignet sein.
Dank der umfassenden wissenschaftlichen Arbeiten holländischer und auch anderer
europäischer Gelehrter ist reichlich Material für die wichtigsten Teile Sumatras vorhanden.
Allerdings ist es sehr verstreut in den Werken verschiedenster Forschungsgebiete und in den
Ergebnissen z. T. recht abhängig von jeweilig geistesgeschichtlichen Strömungen und per-
sönlichen Einstellungen der Autoren. Es empfiehlt sich daher, bei unseren Betrachtungen
von einem oder zwei dieser Völkerstämme auszugehen, für die ziemlich einwandfreies
Quellenmaterial vorliegt, und von da aus Parallelen zu ziehen für die übrigen Gebiete
Sumatras. Die andernfalls notwendige Textkritik und die Rekonstruktion von manchem
nur sehr bruchstückartig überlieferten Material liegt nicht im Rahmen dieser Schrift, die
in erster Linie völkerpsychologischen Erwägungen gewidmet sein soll. Ich wählte die Bataker
und Niasser aus, die auf Grund ihrer Verwandtschaft in mancherlei Hinsicht sich ergänzendes
Material liefern, wenn aufgezeichnete Quellen überhaupt fehlen oder nicht ganz zuverlässig
sind. So ergibt sich ein ziemlich einheitliches und vollständiges Bild der Bestattungsgebräuche
in ihrer Gesamtheit, das zugleich einen Gewinn für das Verständnis der Riten und Kulte der
übrigen Gebiete bringt. Denn nach den Quellen gibt es für die übrigen Teile Sumatras keine
wichtigen Züge, die nicht bei dem einen oder dem anderen der beiden zu schildernden
Völkerstämme vertreten wären.
Da es Aufzeichnungen dieser Völker über sich selber kaum gibt, und materielle Kultur-
denkmäler, die die Jahrhunderte überdauerten, in tropischem Klima nur sehr vereinzelt
sind, so bleibt neben den Ausgrabungen das Studium der alten Mythen, Riten und Kulte für
uns die einzige Quelle zur Erschließung urtümlichen geistigen und wirtschaftlichen Lebens.
Auch Frobemus sagt daher einmal: ,,Die Sitten und Gebräuche sind bei jenen (den Primi-
tiven) gewissermaßen Ausdrucksformen dessen, was bei uns die Sprache, das Denken, das
Bewußtsein wiedergeben.“ Um nun jedoch diese „Sprache richtig zu deuten, dürfen wir
sie weder symbolisch, noch allegorisch auffassen, sondern müssen sie vielmehr, um mit
Cassirer (p. 51) zu sprechen, tautegorisch aus sich selbst heraus erklären.
Unter den Riten nun, die für solche Ausdeutung in Frage kommen, sind die, die das
unvermeidliche Erlebnis des Todes in Formen zu fassen suchen, die wichtigsten und fast
immer die archaischsten. Die Furcht vor dem Tode, der mit Geburt und Pubertät im Mittel-
7
Baessler-Archiv
r^V' rr rff f Tüiahil
ggggsag- k.-
50 H. HEDENUS
punkt des menschlichen Lebens steht, gestattet nur in den seltensten Fällen ein Abändern
oder Auslassen einmal geschaffener Bräuche und Tabus. Es ist der Tod, der das Leben recht
eigentlich bestimmt. Sein Schatten fällt von der ersten Stunde über unser Dasein. Desto
tiefer der Mensch steht, desto mehr ist er ihm verfallen. Diese Erkenntnis wurde wohl kaum
je in erhabenerer Form dargestellt als in den Lehrern des Buddhismus, der ja auch Indonesien
so stark beeinflußte. So müht sich beispielsweise bei einer Reihe von Völkerstämmen des
Indischen Archipels der Hausvater sein ganzes Leben lang recht eigentlich nur darum ab,
um zum eigenen Totenmahl genügend Opfertiere, einen Sarg und reiche Gewänder für die
Bestattungsfeier zu haben.1 Denn je prächtiger die Bestattung ausfällt, desto angenehmer
und angesehener soll das Leben in irgendwelchen Totenreichen sein. Daher sagt auch
Camerling (p. n), daß die Art der Bestattung von Wichtigkeit sei für den Ahnenkult, denn
die Toten könnten ohne richtige Bestattung nicht unter die Ahnen aufgenommen werden.
Aus diesem Grunde dürften z. B. durch Unglücksfälle ums Leben Gekommene fast überall
gesondert bestattet werden, um sie auch im Totenreich oder in einer sonstigen Postexistenz
von den übrigen Verstorbenen fernzuhalten.
Diese Ansicht, daß die Bestattung sozusagen von den herrschenden psychisch-religiösen
Vorstellungen abhängig ist, vertritt auch Buschan in der Einleitung zu seiner dreibändigen
Völkerkunde. Sie dürfte die Anschauung sein, der man am häufigsten begegnet, und die auch
durch zahlreiche Beispiele gut zu belegen ist. So berichtet uns Vomering2, daß eine Be-
stattung in Indonesien als unerläßlich angesehen werde, denn erst dadurch werde der Tote
oder der ,Geist4 dieses Toten endgültig aus seiner früheren Umgebung herausgelöst. Auch
die für ihn und die Hinterbliebenen wünschenswerte Ruhe und Frieden würden erst durch
sie garantiert. So begräbt man an vielen Stellen des Archipels als Ersatz für einen unauf-
findbaren Leichnam ein Stück Holz oder Stein, um so auf magische Weise das gleiche zu
erzielen als bei einer regelrechten Bestattung. Ferner dürfte dies der Grund sein, warum
man bei vielen Völkern z. B. für die Zauberer ebenfalls eine besondere Art der Bestattung
anwendet. Ihr gefürchtetes Wesen soll dadurch für alle Zeiten vernichtet werden. So wird
der weibliche Guru3 (Zauberer) bei den Karo-Batakern im Gegensatz zu der üblichen Be-
stattung verbrannt, oder bei dem selben Volke der tondi si chorchor (, Seelenstoff4) eines
bösen Menschen auf magische Weise im Westen dem Feuer übergeben.4 Dies soll einerseits
den sofortigen Tod dieses Menschen bewirken und andererseits die in ihm wohnenden beiden
übrigen unstofflichen Wesen, den tondi siguliman oder si pargongon, sowie den tondi si
antahara zu ahasverischem Dasein verdammen. Auch die Fesselung der Leiche, sowie eine
Abart davon, die Hockerbestattung, dürften als Konsequenzen bestehender Seelenvor-
stellungen oder zumindesten von der eines lebenden Leichnams beeinflußt sein.
Dieser Anschauung der Abhängigkeit der Bestattungsriten von religiösen Auffassungen,
steht die entgegengesetzte Richtung gegenüber, die die seelischen Vorstellungen als eine
Folge der Bestattungsgebräuche ansieht. Es ist das Verdienst von R. Moss, in ihrem Werke5
immer wieder auf die schwierige Entscheidung dieser Fragen hingewiesen zu haben, anstatt
wie bisher die oben dargelegte Annahme einfach vorauszusetzen. Nach ihr (p. zoqff., p. 216)
besteht auf der frühesten sozialen Stufe überhaupt kaum eine Verbindung zwischen Be-
stattungsriten und religiösen Anschauungen. Erst wenn die Bestattungsgebräuche durch
Tradition und Priesterspekulationen stereotyp geworden sind, erfordern die teils historisch,
teils geographisch bedingten Riten eine Ausdeutung, die häufig genug auf die bestehenden
religiösen Vorstellungen reformierend einwirkte. Auf einer noch späteren Stufe sollen dann
wieder die auf diese Weise erweiterten religiösen Anschauungen umgestaltenden Einfluß auf
ua.
1 Lampong, Nias, Bataker, Papi
2 Vomering, p. 160.
3 Neumann IV (p. 24H.).
4 Wilken (I) p. 6 ff.
5 s. Literatur-Verzeichnis.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE 5 t
gewisse Einzelheiten des Rituals haben. Im großen und ganzen möchte ich dieser Auffassung
wechselseitiger Beeinflussung von Ritus und Kult durchaus beistimmen. Mir scheint nur die
von Moss angegebene Dreiteilung:
1. Keine Relationen zwischen Kult und Ritus
2. Beeinflussung des Kultus durch den Ritus und
3. Rückwirkender Einfluß des Kultus auf den Ritus
etwas zu scharf begrifflich fixiert. Die wechselseitige Beeinflussung von der einen Seite so-
wohl als von der anderen dürfte auf jeder der drei Stufen stattfinden. Denn warum sollte
man die primitivsten Formen der Bestattung wie Hinausschaffen der Leiche in den Busch,
oder Aussetzen auf Bäumen nicht auch als ein entsprechendes Verhalten gegenüber noch
völlig unentwickelten religiösen V orstellungen auffassen ? Was ließe sich ferner dagegen ein-
wenden, wenn man allmähliche Erweiterungen im Ritual letztendlich auf religiöse An-
schauungen, wenn auch vielleicht solche persönlicher Art mit eventuell rein zufälligen
Motivierungen und Nüancierungen zurückführt! Es ist stets eine Gefahr, solche Fragen
summarisch entscheiden zu wollen. Zum mindesten muß man in einem solchen Fall be-
rücksichtigen, ob es sich um Priester- oder Volkstraditionen handelt. Bei ersteren dürfte
man wohl stets damit rechnen, daß die Wirkung der dogmatisch ausgebauten Religion auf
das Ritual stärker ist als umgekehrt. Dagegen dürfte bei Volkssitten das materielle, der
Ritus, im Vordergrund stehen und dann erst später eine mehr oder minder abergläubisch
naive Ausdeutung erhalten.
Obwohl sich aus dem Gesagten eigentlich mit Notwendigkeit bereits die Verbindung
zwischen Bestattung und magisch-religiösen Vorstellungen ergibt, möchte ich doch noch be-
sonders auf eine dritte Anschauung eingehen, nach der die Bestattung zunächst lediglich
auf rein praktischen und hygienischen Motiven beruht. So z. B. zum Schutz der Hinter-
bliebenen vor Infizierung mit Krankheitskeimen, zur Verhütung der Verpestung der Luft,
Schutz der Leiche vor Beschädigung etc. Diese Annahmen mögen wohl zutreffen, wenn man
das Instinktmäßige an dieser Handlungsweise charakterisieren will. Es dürfte andererseits
aber ein Trugschluß sein anzunehmen, daß dem Primitiven die Verbindung zwischen An-
steckung und Krankheit, etc. wirklich bekannt wären. Denn für den homo divinans ent-
steht alles Leid und vor allem alle Krankheit allein durch Anstiften eines bösen Geistes,
welcher meistens einem verstorbenen Ahnen zugehört. Daher sagt Junghuhn einmal (II p.
249): ,Ihr Glaubenssystem (Batak) ist zugleich ihre spezielle Pathologie.4 Es dürften hier
gleiche Motive mitspielen, wie wenn die Eingeborenen auf Grund von Instinkt und Erfahrung
gar oft treffliche Mittel zur Heilung von Krankheiten und Wunden kennen, dennoch aber
nie die Genesung diesen ,Arzeneien4 zuschreiben, sondern sie auf magische Vertreibung der
bösen Geister zurückführen. Bei unseren Ausdeutungen und Erwägungen ist daher stets
eins zu berücksichtigen: es gibt nicht nur einen manifesten Bedeutungsinhalt, sondern
ebenso gut einen latenten. Erst durch die Zusammcnscliau dieser beiden Komponenten darf
man wirklich von einer Ausdeutung sprechen.
Ein weiteres Argument gegen die materielle Auffassung der Bestattungsgebräuche ist
in der ursprünglichen Denkweise des homo divinans selber begründet. Diese dürfte am
klarsten in folgenden Ausführungen Cassirers dargelegt worden sein, demzufolge der Primi-
tive anstelle der analytischen Diskretion zwischen den Erscheinungen von Tod und Leben
und zwischen ihren empirischen V oraussetzungen nui die Anschauung eines ungeteilten
Daseins an sich kenne. Daher dürfte ihnen der Tod als eine endgültige Trennung vom
Leben sozusagen überhaupt fremd bleiben, mag er nun für seine affektive Einstellung auch
noch so tragisch und quälend sein. Das physische Dasein des Toten bricht heineswegs im
Augenblick des Todes ab, sondern wechselt nur den Schauplatz seiner Existenz. Wir haben
7*
52
H. HEDENUS
es hier also zu tun mit der Vorstellung des gebenden Leichnams4, der wohl fast allen Völkern
Sumatras bekannt sein dürfte. Körperliches und Seelisch-Geistiges bilden für das primitive
Denken eine untrennbare Einheit. Daher ist es ihm selbstverständlich, daß die , Seele4 auch
nach dem Tode noch solange lebenskräftig bleibt, solange der Körper noch nicht zerfallen
ist. ,,Aller Totenkult44, sagt deshalb Cassirer (p. 50) weiterhin, ,,beruht wesentlich auf dem
Glauben, daß der Tote auch der physischen Mittel zur Erhaltung seines Seins, daß er seiner
Nahrung, Kleidung, seines Besitzes beständig bedürftig bleibt,44 Andererseits ist es jedoch
nicht nur die mangelnde analytische Diskretion, die den homo divinans zu solch scheinbaren
Trugschlüssen verführt. Es liegt im Wesen des Menschen selbst begründet, daß er seine
inneren Empfindungen nach außen- (Naturgeister, Götter) oder in andere hineinprojiziert
(Seelen, Individualgeister). So sagt Lorenzen (p. 82): „Wo immer die Außenwelt in Er-
scheinung tritt, erregt sie in uns jene Spannungen, die unser Bewußtsein vom Leben aus-
machen, und diese Empfindung vom Leben ist es, die Göttern, wenn in diesem Begriff sich
der Mensch das Wirken der Natur erklärt, ihr eigenes Leben gibt. In gegenseitiger Durch-
dringung schaffen des Menschen Bild als Symbol des inneren Erlebnisses und die im Gleich-
nis des Menschen vorgestellten Wandlungen des Naturgeschehens die Götter der animisti-
schen Religion.44 Daher sind Animismus und Manismus (Spiritismus) die zwei Anschauungen,
die nach Kruijt ((I) p. 4) das Denkbild des Indonesiers fast ausnahmslos beherrschen.
Animismus in Bezug auf den unpersönlichen Seelenstoff, der alles ,beseelt4, Mensch, Tier,
Pflanze und übrige Materie, und der nach dem Tode sich sofort einen neuen Wohnsitz sucht.
(,Seelenwanderung4). Manismus in bezug auf die ,Individualseele4, die nach dem Tode auf
eigene Kosten weiterlebt in einem Totenreich oder frei herumschwirrend in der Luft. Sie
ist es, die man fürchtet und daher verehrt. Sie ist es ferner, die Anlaß und Ausgangspunkt
aller Bestattungsritten bildet.
Da es jedoch außerhalb des Rahmens dieser Arbeit liegt, näher darauf einzugehen, wie
der kollektiv eingestellte homo divinans zu diesen komplexen Vorstellungen von dem, was
wir Seele nennen, gekommen ist, möchte ich auf etwas anderes hinweisen, wodurch solche
Vorstellungen auch ohne psychologische Erwägungen verständlich werden. Auf der Stufe,
wo das Ritual, die Bestattungsgebräuche und der Seelenkult ihren Ursprung nehmen, lebt
der Mensch noch derartig eng mit der Natur verbunden, daß er zwischen seiner Existenz und
der der Tiere und Pflanzen kaum wesentliche Unterschiede macht. Daher muß auch Tod
und Wiederaufleben der Natur, das Wunder von Frühling und Herbst — oder in denTropen
von Regen- und Trockenperiode — ihm nicht nur symbolisch sein für sein eigenes Geschick,
sondern ihm zur Selbstverständlichkeit werden. Von hier aus betrachtet wird fernerhin er-
klärlich, warum der Totenkult so sehr häufig mit Fruchtbarkeitsriten, oft der allergröbsten
Art1 verbunden ist. Es dürfte sich hier um ähnliches handeln wie bei den Zeremonien, die
überall auf der Erde zur Stärkung und Wiederbelebung der Vegetationsgottheiten gefeiert
werden.2 Der Tote soll für seine frühlingshafte Auferstehung gestärkt und magisch unter-
stützt werden.
Wenn nun auch die Vorstellungen von einem fortlebenden geistigen Prinzip — mögen
wir es , Seele4, Schatten oder Spiegelbild nennen —für alle Stufen menschlichen Daseins als
gesichert anzusehen sind und zweifellos stets mehr oder weniger starken Einfluß auf den
Totenkult ausübten, so muß man sich dennoch bei der Erforschung dieser Beziehungen klar
sein, daß sie nicht immer und nicht bei allen Bestattungen offen zu Tage treten. Es sind
da vielmehr bei den einzelnen Völkerstämmen auch schon auf den frühesten Stufen der
Gesittung Unterschiede gemacht worden, je nachdem es sich nun um Frauen oder Männer,
Kinder oder Erwachsene, normal oder anormal Verstorbene handelt. So erhält z. B. auf Nias
der Tote, der einen Sohn hinterläßt, ein ganz anderes und bei weitem, stattlicheres Leichen-
1 s. Bataker und Niasser. 2 von Frazer (1) zusammenhängend im 28. Kapt. beschrieben.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
53
begängnis als der, der ohne Erben verstarb (Kramer p, 475). Diese Dinge beruhen keines-
wegs nur auf geographisch-wirtschaftlichen Verhältnissen oder den historisch bedingten
Stammestraditionen, sondern sind ein Ausdruck der psychischen Einstellung zu über-
sinnlichen, jenseitigen Dingen. Die Bestattung gehört für den Kulturarmen nur bedingt in
das Gebiet realer und alltäglicher Handlungen, sie gehört für ihn ebensosehr zu den magi-
schen. Daher spielt bei ihr der Medizinmann und Priester meist die wichtigste Rolle. Da der
Tote in keiner Weise aufhört, Glied der Stammesgenossenschaft zu sein, sondern zum
mindesten für eine unbestimmte Zeit an ihr partizipiert, gilt es in erster Linie seinen Ein-
fluß durch die magischen Riten der Bestattung für das Wohl und Wehe der Hinterbliebenen
günstig zu beeinflussen, oder auch die .Wiedergeburt' von diesem oder jenen Toten zu
fördern oder zu verhindern. _ .
Trotzalledem studiert man die Bestattungsriten am besten bei den großen, prunkvollen
Riten für tote Häuptlinge. Denn so wie der Häuptling oder der König auch bei anderen
Gelegenheiten als Repräsentant des ganzen Stammes oder Volkes eine Handlung zum Wohl
oder Wehe der Gesamtheit symbolisch vollzieht, — seien es nun Ernte- oder Fruchtbarkeits-
riten Opfer für das Wohlwollen der Götter usw. —, so wird auch durch seine besonders
reiche Bestattung summarisch für die Postexistenz aller seiner Stammesmitglieder gesorgt.
Seine Bestattung gilt nicht dem Individuum als solchen, sondern dem Häuptling, dem In-
begriff der Macht und Kraft der Gesamtheit aller Volksgenossen.*
Wenn daher auch die Häuptlingsbestattung gewissermaßen allen zu gute kommt, so
beruhen doch die oben angeführten Unterschiede in der Leichenbesorgung nicht allein auf
dem wirtschaftlichen Faktor, daß man einfach nicht dazu in der Lage ist, für alle die gleichen
Opfer zu bringen und die selben Aufwendungen zu machen. Es darf beim homo divmans me
vergessen werden, daß er stets bereit ist, sich jeder noch so beschwerlichen Zeremonie und
für seine Verhältnisse noch so drückenden Opfer zu unterziehen, wenn er sich dadurch vor
dem schlechten Einfluß der Geisterwelt schützen kann. Dies beruht vielmehr z. T. auf ver-
schiedenen Tenseitsvorstellungen, die sich innerhalb jeder Völkerschaft infolge der Be-
rührung mit anderen Stämmen finden. So weist Moss (p. zu) überzeugend für Polynesien
nach daß die Seelen der Armen in das Totenreich eines Stammes geleitet werden sollen,
der den jetzigen Machthabern unterlegen ist und von ihnen seit längerem oder kürzerem
assimiliert wurde. Angesehenen soll dagegen durch die Bestattung zu einem Leben in dem
eigenen angestammten Totenland des Siegerstammes verhelfen werden. Dafür gibt uns
Krui't ((H) P 170fr.) ein gutes Beispiel für Indonesien. Nach ihm kennt man mTaikako und
Sila'(Mentawei) drei Arten der Bestattung, die man scheinbar unterschiedslos ausübt, je
nach dem Wunsch des Toten. Nach Überprüfung der einzelnen Fälle und Situationen, muß
man jedoch zu der Überzeugung gelangen, daß auch hier die von Moss aufgestellte These zu
fCC!l Diesen^Abänderungen, die die Bestattungsriten trotz der herrschenden Seelenvor-
stellungen erfahren, tritt außer dem eben angeführten historischen Faktor auch ein sozialer
umgestaltend zur Seite. Es handelt sich hierbei um den Einfluß, den matriarchalische und
patriarchalische Kultur nicht nur auf die Bestattungsriten, sondern auf die ganze Auffassung
des Todes und seiner Bedeutung für den Eingeborenen ausüben. Dieser Faktor ist gerade für
Sumatra von größter Bedeutung, denn hier wechseln oft auf engstem Raum beide Systeme
mit ihrer ganzen Zahl von Abarten, — wie kognatischer und agnatischer Familienfolge —,
miteinander ah und kommen manchmal zu den eigenartigsten Kompromissen. Der Ahnen-
kult der ja nach W. Crooke und anderen in religiöser Hinsicht das Kennzeichen des patri-
archalischen Systems ist,2 findet sich keineswegs nur in den Zentren dieses Systems, — also
, T , . tt c des Ahnenkults aus totemistischen Vorstellungen, E.
1 Tunghuhn II, p. 136. ^ 6
2 Crooke, s. seine Untersuchungen über die Entwicklung E. R. p. 430«.
54
H. HEDENUS
bei den Batakern und Niassern —, sondern ebensogut bei den matriarchalisch organisierten
Minangkabauern und dem gesamten Süden Sumatras, also in Benkulen, Djambi, Palembang
und Lampong, wo cognatische Gesellschaftsformen vorherrschen, soweit diese Gebiete nicht
durch den Islam bekehrt und beherrscht sind. Wilhelm (p. 53) gibt einmal eine sehr schöne
Schilderung, wie der Totenkult im alten China umorganisiert wird durch den Übergang von
dem düsteren, von chronischen Gottheiten beherrschten Matriarchat zum hellen, Geist be-
herrschten System patriarchalischer Gesellschaftsordnung. Wenn man im Anfang nur tiefes
Grauen vor dem Toten kannte und ihn möglichst schnell und voller Scheu beseite schaffte,
so sucht man in späteren Zeiten gerade diesen Toten durch ehrfürchtige Verehrung ans Haus
zu fesseln, damit sein guter Einfluß den Hinterbliebenen nützlich werde. Obwohl nun
Wilhelm diese chinesische Entwicklung religiöser Gesittung als etwas allgemeines hinstellt,
so dürfte doch hervorzuheben sein, daß hier — in Sumatra — mancherlei Abweichungen zu
finden sind. Denn betritt das matriarchalische System einmal die Bahnen kultureller und
gar zivilisatorischer Entwicklung, so bleibt auch innerhalb seiner Grenzen die dauernde
Pflege und Verehrung der Vorfahren und mit ihr eine Erweiterung der Bestattungsriten
nicht aus. Alle Kulturen, ganz gleich auf welchem sozialen System sie beruhen mögen, be-
deuten nicht zuletzt Pflege und Erhaltung des Gewesenen und Gewordenen. Dagegen findet
man noch heute gerade bei den patriarchalisch eingestellten Batakern und Niassern, daß die
Furcht vor dem Tode nicht nur den Ahnenkult und die von ihm abhängigen Bestattungs-
gebräuche beherrscht, sondern sogar das ganze Leben mit seinen Sitten und Gewohnheiten
in seinen Bann zieht. Nur die Manen weniger Auserwählter, z. B. die besonders verehrter
Häuptlinge, machen davon eine Ausnahme. Sie allein begräbt man innerhalb des Kampongs
(Dorf) und bittet in Nöten vertrauensvoll um ihre Hilfe. Vor allen anderen zeigt man
größte Scheu und ist froh, wenn man nichts mit ihnen zu tun hat.
Trotzalledem sollen gewisse Einflüsse dieser sozialen Ordnungen nicht geleugnet werden.
Ist es doch immerhin auffällig, daß es gerade die patriarchalisch eingestellten Völkerschaften
sind, die sich am längsten von dem bekehrenden Einfluß anderer Religionen und Kulturen
fernhielten. Es sind die Bataker und Niasser, sowie die Mentaweier, — bei denen patriarcha-
lisches System mit territorial übergeordneten genealogischen Verbänden herrscht — wo
auch heute noch am besten die ursprünglichen Bestattungsriten und Seelenvorstellungen zu
studieren sind. Zweifellos ist dies dem allmächtigen Einfluß des Ahnenkults zu danken. So
hören wir von Missionaren wie Warneck und Schreiber immer wieder, daß auch christliche
Bataker sich meist ihren Verpflichtungen den Ahnen gegenüber nicht entziehen mögen, und
aus diesem Grunde häufig den Bekehrungsversuchen einen unüberwindlichen Widerstand
entgegensetzen.
B. DAS BAT AK- GEBIET.
I. Allgemeine historische, wirtschaftliche und politische Einführung.
Die Bevölkerungszentren Sumatras haben sich im großen und ganzen durch die Jahr-
hunderte hindurch nur wenig verschoben trotz der großen hinduistischen und islamitischen
Invasionen vom Norden der Insel her. Das dürfte in der Hauptsache an den Bedingungen
des Bodens für die primitive Wirtschaftsbearbeitung liegen, sowie an den klimatischen Ver-
hältnissen, die besonders in den sumpfigen Niederungen an der Ostküste einer allgemeinen
Expansion einen Riegel vorschoben,1
Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß die Bevölkerung sich gleichermaßen von fremden
Einfluß freigehalten oder ihn mit der Zeit immer wieder gänzlich resorbiert habe. Für das
Batakgebiet war er allerdings auf die Dauer niemals sehr stark. So ist von dem buddhisti-
1 Kowal p. 71-
55
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
sehen Einfluß, wie er aus den Quellen des Itsing (Takakusu) und anderen chinesischen Doku-
menten (Groeneveldt) —besonders aus der Zeit der Ming-Dynastie — hervorgeht, heut-
zutage so gut wie nichts mehr zu finden. Dennoch sollen seine Lehren besonders in derZeit
zwischen dem 8. und 16. Jahrhundert weithin verbreitet gewesen sein. Etwas mehr hat sich
dagegen von hinduistischen Dingen erhalten. Noch 1342—56 soll über den mittleren Teil
Sumatras ein König Adityavarman regiert haben,1 der ein Anhänger des Mahayana-Bud-
dhismus war.1 2
Was nun die rassischen Verhältnisse des Batakgebietes anbelangt, so läßt sich darüber
nur wenig mit Sicherheit aussagen. Man rechnet sie zu den Proto- oder Altmalaien. Außer
ihnen wohnen vor allem Riau-Malaien in ihrem Gebiet. Nach den Berichten von Favre
(p. 70—72) aus dem Jahre 1865 gehören sie zu den orang binua (men of the soil,) zu denen er
auch die Jakuns und andere Wildstämme des Malayischen Archipels und Malakkas rechnet.
Von diesen orang binua soll dann ein großer Teil der Malaien abgezweigt sein. Wenn auch
Favres Untersuchungen kaum auf anthropologischen Methoden beruhen dürften, so kann
man ihnen doch wohl eines entnehmen. Die Bataker scheinen schon seit sehr langer Zeit
auf Sumatra zu sitzen. Ihre Zugehörigkeit zu der Urbevölkerung der Insel kann dagegen
nicht mit Sicherheit festgestellt werden, denn von den autochtonen Rassen Sumatras ist
uns kaum etwas bekannt. Jedenfalls übten sie schon seit alters einen starken Einfluß auf
die umliegenden Gebiete aus. So betrachten Hagen und Snouck Hurgronje die Gajo und
Alas einfach als einen Stamm der Bataker, was allerdings nicht völlig bewiesen ist. Im Süden
dagegen zwangen sie vielfach den Mandailingern und Lubus (in Mandailing und Padang
Lawas) ihre Sitten und Gebräuche auf und vermischten sich mit ihnen. Die Orang-Ulu
dürften dagegen nach Lekkerkerker (p. 116) Minangkabauischer Herkunft sein. Wie diese
haben sie gleichfalls matriarchalische Verfassung.
Der Batakereinfluß erstreckte sich jedoch keineswegs nur auf die ihnen anliegenden
Gebiete. Auch die Lamponger und die Bewohner von Kroe (Benkulen), die bereits seit
Jahrhunderten unter sundanesischem und javanischem Einfluß stehen, zeigen auch heute
noch in vielen Dingen auffallende Ähnlichkeit mit den Batakern.3
Wenn also auch die kulturellen Einflußsphären sehr weitläufig sind, so konzentriert sich
doch das eigentliche Batakergebiet auf ein verhältnismäßig kleines Territorium. Es erstreckt
sich in der Hauptsache auf die Residentschaft Tapanuli mit ihren 7 Unterabteilungen:
1. Si Bindung
2. Toba-Hochfläche
3. Toba
4. Barus
5. Samosir
6. Dairilanden
7. Habinsaran.
Im einzelnen zerfallen die Bataker in 4 Stämme. Im Norden und Nordwesten vom
Tobasee am Smgkelfluß sitzen die Karo (Dell, Scrdang, Langkat), die 1(^14 ca. 120000
Seelen zählten.4 Sie haben besonders stark unter hinduistischem Einfluß gestanden und
nehmen daher auch — wie wir später noch sehen werden eine eigene Stellung gegenüber
den anderen Stämmen ein. Nach Westenberg (p. 211) sollen sie sich selber weniger zu den
1 Winkler p. 1.
2 Diese Nachricht dürfte gleichfalls interessant sein hin-
sichtlich der Richtung, von der diese Einflüsse aus-
gegangen sein müssen. Denn die buddh. Lehre Süd-
indiens, Ceylons, Neapels, Birmas etc. war und ist der
Hinayana-Buddhismus. Der Mahayana ist speziell in
China und dem übrigen Ostasien zu suchen. Demzu-
folge dürfte also die buddh. Invasion auf Sumatra über
Hinterindien von China aus stattgefunden haben.
3 Lekkerkerker p. 130.
4 Krämer, unter Bataker.
56
H. HEDENUS
Toba oder Timur rechnen als zu den Menschenfleisch fressenden Pakpak, die ja ihre Nach-
barn sind. Dies dürfte auch die Auffassung der Encyclopaedie sein. In religiöser Hinsicht
soll speziell das Gebiet um Deli bereits 1823 rein mohammedanisch gewesen sein,1 während
Lekkerkerker (p. 156/57) 1916 angibt, daß das Karoland erstaunlicherweise fast noch ganz
heidnisch wäre. Beide Feststellungen dürften wohl in ihren Verallgemeinerungen etwas weit
gegangen sein.
Zwischen den Karo- und den Toba-Batakern sitzen die bereits erwähnten Dairi- oder
Pakpak mit etwa zusammen 22000 Köpfen (1914). Vom Süden nach Norden zerfallen sie
in die Simsim, Kepas und Pegagan. Auch sie zählt Lekkerkerker (a. a. 0.) noch zu den fast
unvermischten Heiden.
Im Osten des Toba-Sees sitzen die Timur, auch Simelungun genannt. Zusammen mit
den Angkolaern (in Angkola und Sipirok), sowie den noch weiter südlich sitzenden islami-
tischen Mandailingern, die man häufig auch zu den Minangkabauern rechnet, zählte man
dort 1914 ca. 160000 Köpfe.2
Das wichtigste Gebiet ist jedoch entschieden das der Toba-Batak mit ca. 400000 Seelen.
Die Toba, die in den zentralen Bataklanden auf der Hochfläche von Toba und am Tobasee,
sowie im Norden von Padang Lawas sitzen, sind der Batakerstamm, von dem mutmaßlich
die übrigen abgezweigt sind. Von der Hochfläche von Toba aus sollen hier — wie auch in
anderen Ländern — ab Mitte des 12. Jahrhunderts3 die Wanderungen nach der Küste statt-
gefunden haben. Was wir also bei ihnen an Sitten und Kulten finden werden, ist sozusagen
auch für das ganze übrige Gebiet repräsentativ.
Hervorzuheben ist, daß die Bataklanden bis vor ca. 50 Jahren von-Europäischer Seite
her noch so gut wie unerforscht waren. Auch heute noch haben sie z. T. der holländischen
Regierung gegenüber ihre Unabhängigkeit bewahrt. Der Islam hat hier ebenfalls niemals
weitere Ausbreitung erfahren, während allerdings die christliche Mission — besonders auf
Grund ihrer gern besuchten Missionsschulen — in den letzten Jahrzehnten gerade unter den
Toba an vielen Stellen festen Fuß gefaßt hat. Nach Lekkerkerkers Feststellung von 1916
(p. 156/57) ist die Bevölkerung von Toba ca. zur Hälfte heidnisch und zur Hälfte christlich.
Auf Samosir (Insel im Tobameer) zur überwiegenden Mehrzahl heidnisch, und in Sipirok
soll ungefähr 1/5 christlich sein.
2. Seelenvorstellungen.
Um in den Eingeborenen nichts hineinzuinterpretieren, lasse ich ihn über seine Vor-
stellung vom Toten und dessen Schicksal selber sprechen. In einem alten Batakervers heißt
es :4
Tendi djadi begu.
Buk djadi idjuk.
Djukut djaditaneh.
Tulan djadi batu.
Dareh djadi lau.
Kesah djadi angin.
Der Tondi wird Begu.
Das Haar wird Idjuk.5
Das Fleisch wird Erde.
Die Knochen werden Steine.
Das Blut wird Wasser.
Der Atem wird Wind.
Hierin ist klar ausgesprochen, daß der sogenannte ,Seelenstoff‘ (tondi) zum begu (Ge-
spenst, ,Individualseele4) wird. Die Kesah hingegen, der ,beseelte4 Atem wird zu Wind.
Ferner ist wichtig, daß nur von einem tondi die Rede ist. Diesem Eingeborenenzeugnis sollen
nunmehr die Berichte unserer Forscher gegenübergestellt werden6.
1 Anderson p. 224.
2 Krämer s. Bataker.
3 Junghuhn II, p. 45.
4 Joustra (II) p. 419.
5 Fasern der Zuckerpalme.
6 s. hierzu auch Camerling p. 30!!.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
57
Marsden (p. 386) teilt mit, daß die Seele der Bataker den Sterbenden durch die Nasen-
löcher verläßt und dann vom Winde gen Himmel zu Debata (sanskr. Deva, oberster Gott)
getragen wird. Da Marsden jedoch nicht angibt, welches bataksche Wort er mit ,Seele4 über-
setzt und welcher Volksschicht dieser Glaube entspricht, kann seine Mitteilung unser Pro-
blem nicht klären.
Ihm folgt an älteren Berichten der C. de Haan’s (p. 17). Nach diesem wird der Mensch
zum begu und bleibt als solcher in seinem Hause wohnen oder steigt auch manchmal zum Him-
mel auf. Also ist der Begu nicht schon zu Lebzeiten im Menschen, sondern der Mensch wird
erst zu ihm, wird zum Gespenst. Dies würde sich beinahe mit der Auslegung des Batakerverses
decken, nur daß es darin heißt, der tondi (Schatten, Spiegelbild) wird zum begu, nicht
einfach der Mensch. C. de Haan’s Darstellung deckt sich meiner Ansicht nach auch in Wirk-
lichkeit mit der der Eingeborenen. Denn der tondi ist vor allem das Belebende, Schatten
werfende im Gegensatz zum Schattenhaften, Gespenstig-Leblosen. Wenn man allerdings für
den tondi nur die Bezeichnung ,unpersönlicher Seelenstoff4 anwendet, so wird es überhaupt
unmöglich, daß dieser zum begu (,Individualseele4) wird. Nenne ich aber tondi das Leben-
dige, Belebende und nehme die ganze Aussage nicht als prinzipielle begriffliche Fixierung,
sondern als einfache Beschreibung wie die übrigen Verse, so heißt es lediglich, aus dem Be-
lebten wird etwas gespenstig Unlebendiges, oder wie de Haan sich ausdrückt, aus dem
lebendigen Menschen wird ein Gespenst.
Wenn mir auch dadurch die viel umstrittene Frage von der Relation zwischen tondi
und begu für unseren Fall einigermaßen geklärt zu sein scheint, möchte ich hier auch noch
die Meinungen anderer bekannter Gelehrter skizzieren, um dadurch zu einem annehmbaren
Kompromiß zwischen den beiden Theorien, der der Wissenschaft und der der Eingeborenen,
zu kommen.
So spricht Wilken ((I) p. 6) von einer Dreizahl der , Seelen4, zwei im Körper — tondi
siguliman oder si pargagon und tondi siantahara — und eine außerhalb — tondi sichorchor.
Geschieht der letzten ein Unglück, so stirbt der Mensch im gleichen Augenblick. Wilken
bemerkt ferner in Übereinstimmung mit Kruijt ((I) p. 2), daß dieser Bericht über den drei-
geteilten , Seelenstoff4 auf einer Verwechselung zwischen diesem selbst und seinen ver-
schiedenen Sitzen im menschlichen Körper beruht. In Wirklichkeit, oder besser nach Volks-
anschauung, hat man es nur mit einer, alles belebenden Lebenskraft (tondi) zu tun. Ihr Sitz
soll nach Wilken in den Haaren sein. Dem begu dagegen weist er eine selbständige Existenz
zu, was sich wohl mit unseren modernen Theorien,1 aber nicht mit dem Ausspruch der Ein-
geborenen selber ganz deckt.
Wilken bringt die gleiche Anschauung wie Hagen. Die übereinstimmende Anordnung
des Materials bei beiden läßt vermuten, daß Wilken diese Dreiseelentheorie von Hagen über-
nommen hat.2
Nach Winkler dürfte der Sachverhalt folgendermaßen sein : (p. 4ff.) Der tondi geht mit
dem Tode als Atem zum Wind. Wir hören nichts mehr von ihm. Der begu hält sich dagegen
noch sieben Tage in der Nähe des Grabes auf und lebt dann zusammen mit seinen Stammes-
genossen, deren Totenreich man sich in der Nachbarschaft des Heimatdorfes denkt. Nach
Winklers Meinung sind und bleiben tondi und begu ganz getrennte Begriffe, ferner identifi-
ziert er den tondi gewissermaßen mit der kesah (Atem).
Nach Warneck ((I) p. 14), bei dem wir für religiöse Auskünfte über die Bataker die
kompetenteste Antwort erwarten dürften, gibt es einen ,unpersönlichen Seelenstoff4 (tondi),
der in der Weltmaterie existiert und einen begu, einen ,individuellen Totengeist4 oder Ge-
spenst. Das eine kann nicht zum anderen werden, Uberpersönliches nicht im Tode in Per-
sönlichem aufgehen.
1 s. Lévy-Bruhl (II).
8 Baessler-Archiv
2 Camerling p. 30.
58
H. HEDENUS
Mit diesen Erwägungen hat Warneck für unser Empfinden durchaus recht. Auch Lévy-
Bruhl (a. a. O.), sowie Otto1- unterscheiden ganz allgemein einen überindividuellen Lebens-
geist und einen individuellen Totengeist (lebenden Leichnam), Da Lévy-Bruhl diese Vor-
stellungen ungefähr bei allen kulturarmen Völkergruppen der Erde nachgewiesen hat, dürfte
wir eigentlich nicht erwarten, daß gerade die Bataker hierin eine Ausnahme machen sollten.
Immerhin gibt diese Selbstdarstellung ihrer Auffassungen zu denken. Wie sind die Europäer
wohl darauf gekommen, tondi (Spiegelbild, Schatten), also eigentlich etwas durchaus
Persönliches, mit unpersönlichem Seelenstoff und begu (Gespenst) mit ,Individualseele4 zu
übersetzen ? Warum sollte sich der Schatten nicht zum Schattenlosen, das Spiegelbild zum
lebenden Leichnam wandeln, so wie aus allem Lebendigem sein Gegenteil wird ! Wenn man
dagegen anführt, daß der tondi den Menschen im Schlaf verlassen kann, so dürfte das
immerhin noch kein Gegenbeweis sein für die Konstruktion eines derartige abstrakten Be-
griffes wie es der unpersönliche Seelenstoff ist. Schläft der Mensch, so wirft er ja tatsächlich
keinen Schatten, und durch Ausschaltung des Bewußtseins ergibt sich auch kein Spiegel-
bild, reflektiert er sozusagen nicht. Wenn man ferner hier den tondi als überpersönlichen
Seelenstoff interpretiert, so ist nur schwer zu verstehen, was der Eingeborene meint, wenn
er bei Bestattungen durch Schwingen von Zweigen die tondi der Hinterbliebenen verhindern
will, dem Toten ins Grab zu folgen.2 Der tondi soll bei dieser Gelegenheit zwar dem Durch-
schnittsmenschen nicht erkennbar sein, wohl aber den Priestern und Medizinmännern. Wie
aber sollten diese, selbst auf magische Weise, erkennen können, daß es sich hier gerade um
den tondi des Individuum X und nicht um den des Individuum Y handelt, wenn der Ein-
geborene unter dem sogenannten Seelenstoff nicht auch etwas Individuelles, eben das Spiegel-
bild, den Schatten versteht ! So sagt der Bataker auch, daß der Mensch sterben muß, wenn
sein Schatten in das offene Grab fällt, da der Tote seinen tondi mit sich genommen habe.3
Andererseits haben allerdings auch Tiere, Pflanzen und sogar Gegenstände tondi4
Lebenskraft, geistige Spiegelbilder. Der Mensch kann sich durch die Nahrung, durch das
Halten und Tragen solcher Tiere und Gegenstände um deren tondi bereichern, was wiederum
— wie auch Camerling einmal feststellt — auf eine unpersönliche Artung dieses tondi hin-
weist. Auch die Tatsache, daß man einem guru(Zauberer)alle Körperöffnungen verstopft, damit
sein begu nicht heraus und den Hinterbliebenen schaden kann, ist mit der Vorstellung des leben-
den Leichnams allein nicht gut vereinbar. Es dürfte daher hier genau so gegangensein wie mit
unserem Ausdruck für Seele (griech. cxiokoc—beweglich, das Wehende, Atmende5); um ein Ab-
straktes ausdrücken zu können, mußte man ein konkretes Anschauungsbild zugrunde legen.
Wenn nun auch ohne umfassendere Studien bei anderen Völkern der Erde keineswegs
diese wichtigeFrage von , Seelenstoff'£ und ,Individualseele4, oder ganz materiell ausgedrückt,
so wie der homo divinans nun einmal zu empfinden pflegt, von Schatten und Gespenst, hier
ohne weiteres zu lösen ist, und ich für mein Teil auch durchaus auf der Seite von Lévy-
Bruhl stehe, mußte ich doch auf diesen Widerspruch zwischen eigener Aussage des Ein-
geborenen und europäischer Interpretation eingeh en. Zum mindesten scheinen die Dinge so
zu liegen, daß anfänglich tondi und begu etwas rein materielles, den Schatten des Lebenden
und das Gespenst des Toten vorstellten, später dann immer mehr geistig isoliert wurden, bis
schließlich unsere Interpretation von Seelenstoff und Seele berechtigt wurde.
Diese Erörterungen weichen zunächst etwas von dem Thema der Bestattungsgebräuche
ab, sind jedoch gemäß der Relation zwischen Bestattungsart und religiösen Anschauungen
unerläßlich zur sinngemäßen Interpretation der Riten. Denn es ist ein Unterschied, ob ein
Ritus das ewige Heil einer Seele bezweckt oder lediglich die Ausschaltung der gefährlichen
Wirkungen des lebenden Leichnams.
1 Otto, s. Literatur-Verz. 4 Warneck (I) p. IE
2 Neumann (4) p. zpff. 5 Grimm, Ethymologisches Wörterbuch.
3 Warneck (I) p. 9.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
59
3. Magische Ursachen desTodes.
Da die Bestattungsriten nicht erst nach eingetretenem Tode ihren Anfang nehmen, ist
zunächst nach den mutmaßlichen Ursachen des Todes zu fragen.
Diese Ursachen sind für den Bataker nicht so mannigfaltiger Art wie sie es für uns sein
können, indem wir unterscheiden zwischen verschiedenen Anlässen wie Altersschwäche,
Krankheit, Selbstmord usw. Der Bataker kennt dagegen eigentlich nur eine Todesursache:
der begu eines Verstorbenen hat den tondi des Toten geholt, entweder auf Grund eigener
Rachegelüste oder auf Anstiften eines anderen, eines Zauberers. Ein Mann in den besten
Jahren soll z. B. von einem weiblichen Begu geholt worden sein, eine Frau von einem männ-
lichen mit der Absicht, um sie zu heiraten.1 Mit anderen Worten ausgedrückt, bedeutet dies,
ein Gespenst, die Projektion des schlechten Gewissens —wie wir später noch sehen werden_
hat den Schatten, das Spiegelbild, das Zeichen der Lebendigkeit geholt. Ob sich in dieser
Anschauung überhaupt irgendwelche metaphysische Anschauungen aussprechen oder ledig-
lich die rein beschreibende Tatsache der veränderten Daseinsbedingung, mag dahingestellt
bleiben, da ich nur auf Quellen zweiter Hand angewiesen bin.
4. Zeremonien vor der Bestattung,
a) Verlassen oder Heraustragen des Sterbenden ins Freie.
Bei der Darstellung der Bestattungsriten soll neben der psychologischen Ausdeutung
gleichzeitig versucht werden, ihre zeitlichen Bedingtheiten und Abänderungen zum Ausdruck
zu bringen. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß kaum einer der Bräuche nicht auch noch
in heutiger Zeit hier oder da zu finden wäre. Allerdings hat islamitischer Einfluß und die
Knappheit an Büffeln — dem beliebten batakschen Opfertier — hierin große Beschrän-
kungen auferlegt.1 2
Das Verlassen des Sterbenden noch vor eingetretenem Tode, wie es heute noch bei den
Kubus Vorkommen soll3, oder das Heraustragen des Toten ins Freie, wie es uns Snouck
Hurgronje ((I) p. 420 ff.) von den modernen Atjehern berichtet, ist bei den Batakern im
allgemeinen unbekannt. Allerdings fand ich bei den Timur-Batakern eine Sitte, die mir auf
gleichen Anschauungen zu beruhen scheint wie die beiden eben erwähnten Gepflogenheiten.
Liegt bei ihnen ein Mann im Sterben, so trägt man seinen parsilih — ein für den Betreffenden
in menschlicher Form geschnittenes Stück Pisangstamm — nach draußen, um dadurch die
bösen Geister aus dem Hause heraus zu locken.4 Zweifellos dürfte auch der Atjehbrauch, wo
man nicht ein Abbild des Sterbenden, sondern ihn selbst in Person herausträgt, auf der
gleichen Vorstellung der magischen Wirkung des Analogiezaubers beruhen. Durch gleich-
zeitiges Öffnen der Vorhänge, Türen und des Moskitonetzes soll den bösartigen Begus freier
Abzug gegeben werden.
b) Die Totenklage.
Noch ehe der Sterbende seine Augen für immer geschlossen hat, wird von allen Frauen
des Hauses unter Jammern und Weherufen die Klage um den Toten erhoben. Alle Tugenden
des Verstorbenen werden laut immer und immer wieder aufgezählt.5
Diese Tatsache, daß die Hinterbliebenen sich scheinbar zunächst vor Trauer kaum zu
fassen wissen, dürfte uns auf den ersten Blick kaum als seltsam und einer besonderen Er-
klärung wert erscheinen. Dennoch haben sich schon unsere frühesten Berichterstatter ein-
gehender damit befaßt. Das rein mechanische Ein- und Aussetzen der Totenklage selber,6
1 Warneck (I) p. 67. 5 v- Brenner p. 233, Kruijt (1) p. 325, Snellemann p. 825,
2 Joustra (I) p. 187 ff. Junghuhn II p. 137, Winkler p. 68 '69.
3 van Dongen (I) p. 234. ö Junghuhn a. a. 0.
4 Tidemann p. 148.
8*
6o
H. HEDENUS
sowie das sozusagen genau geregelte Aufzählen der Verdienste des Toten usw. dürfte doch
wohl noch andere Tendenzen erkennen lassen als die, sich lediglich seinem Schmerz unge-
hemmt hinzugeben. So sagt Kruijt ((I) p. 32 5) in einer Besprechung der Bataker von Angkola
etwa folgendes: durch die Totenklage solle der , Seele* des Gestorbenen der eingetretene Tod
kundgegeben werden. Denn wie Warneck ((I) p. 72/73) bei anderer Gelegenheit einmal mit-
teilt, ist der Begu des Toten über seine veränderten Verhältnisse zunächst einmal durchaus
nicht im klaren. Er fliegt vielmehr auf irgendeinen Grashalm, wippt darauf herum, hält
Umschau und merkt schließlich erst nach einiger Zeit, daß er in keinem Körper mehr ein-
geschlossen (!) ist. Da läßt er sich von einem Habicht davontragen.
Eine andere verbreitete Ansicht, die man häufig ohne Begründung angegeben findet, ist
die, daß durch das laute Jammern die Verwandten von dem traurigen Ereignis in Kenntnis
gesetzt werden sollen. Ganz abgesehen davon, daß dies vor allem durch Boten und andere
Dinge besorgt wird, so bliebe dann immerhin noch ganz unverständlich, warum man die
lauten Klagen selbst dann fortsetzt, wenn bereits alle Gäste erschienen sind. Snellemann
(p. 825) scheint mir dagegen dem wahren Sachverhalt nahe zu kommen. Nach ihm soll in
erster Linie die , Seele* des Verstorbenen durch das beängstigende Schreien und verzweifelte
Umsichschlagen der Frauen aus dem Hause vertrieben werden und mit ihr die anderen begu,
die zu seiner Abholung herbeigekommen sind. Diese Sitte entspricht im übrigen unserem
Absingen von Totenliedern und dem unablässigen Murmeln von Stellen aus der heiligen
Schrift, sowie dem Sterbegeläute der Glocken.1 So ist es auch bei den Batakern eine der
ersten Handlungen nach eingetretenem Tode, daß man die fünf großen Pauken (ondas-ondas)
aufstellt und durch sie das Lärmen der Frauen unterstützt.2
Die Totenklage ist daher bei diesen Völkern nicht so sehr eine Äußerung des Schmerzes
der Hinterbliebenen als vielmehr ein Abwehrzauber. Der Begu soll ,beschwichtigt* werden,
wie Warneck sagt ((I) p. 15). Was dagegen das Aufzählen aller Tugenden und Vorzüge des
Verstorbenen anbelangt, so dürfte dabei weit mehr der Akzent auf der Beteuerung der eigenen
Unschuld und der freundlichen Gesinnung gegenüber dem Toten liegen, als daß es einem
wirklich so sehr darum zu tun wäre, nunmehr in übertriebener Weise von Vorzügen des
Toten zu sprechen, die man bei seinen Lebzeiten höchstwahrscheinlich gar nicht einmal so
sehr zu schätzen wußte. Trifft daher ein Hinterbliebener auf den eben erwähnten Habicht,
auf den sich der begu des Toten niedergelassen haben soll, so sagt er charakteristischer-
weise: ,,Komme nicht in meine Nähe, du Hundehabicht, nicht wir haben dich weggeschickt,
du bist es, der Überdruß hatte am Leben!**3 Wenn hier von Unschuldsbeteuerungen ge-
sprochen wurde, so setzt dies andererseits ein schlechtes Gewissen voraus. Dies dürfte für
den magisch denkenden Menschen in der Tat zutreffen. Da es für ihn keine realen Ursachen
des Todes gibt, fühlt er sich durchaus für den Verlust, den er nun so auffällig und so schmerz-
lich betrauert, verantwortlich. Diese Einstellung des Kulturarmen ist auch uns nicht
fremd. Sie rührt von der Ambivalenz der menschlichen Gefühlsbeziehungen her, wonach es
nichts im Leben grbt, dem wir nur Liebe entgegenbringen könnten. Dies ist ein unwider-
legbares Gesetz zur Erhaltung des inneren Gleichgewichts, das uns in neuerer Zeit besonders
wieder von der Psychoanalyse vor Augen geführt wurde, dessen Erkenntnis jedoch schon
sehr alt4 ist. Indem nun der homo divinans seinen Gedanken den Wert von Tatsachen bei-
mißt, genügt es für ihn, an den Tod eines Menschen lediglich zu denken, um damit un-
weigerlich das Ende seines irdischen Daseins zu bewirken.5 Durch die Kombination dieser
beiden Vorstellungsreihen wird daher sein Schuld- und Angstgefühl wohl verständlich.
4 Heraklit von Ephesus.
5 s. Freud (II).
1 Zulliger p. 45.
2 Joustra (I) p. 18711.
3 Warneck (I) p. 73.
■«Vf
VSS&i
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
6i
c) Waschen des Toten und Reinigung der Hinterbliebenen.
Während nun die Klagen der Frauen andauern — charakteristischerweise meist bis
zur endgültigen Einsargung wird mit dem Toten eine vollkommene oder teilweise
Waschung vorgenommen. Dies geschieht ein- bis dreimal, je nach Adatsbestimmung1 und
den herrschenden islamitischen Bräuchen. Ebenso wie die Totenklage ist dies ein Brauch,
den man heute wie in frühesten Zeiten anzutreffen pflegt, es lohnt sich daher auf seine
latente Bedeutung für Sumatra in Verbindung mit anderen Waschzeremonien einzugehen.
Denn nicht nur der Tote wird gewaschen, sondern auch die Hinterbliebenen, vor allem die
Frauen die ja am meisten mit ihm zu schaffen haben. Sie müssen sich wiederholten Reini-
gungszeremonien unterziehen, teils vor, teils nach dem Leichenbegängnis.1 2 * * * Auch stellt man
wohl einen Wassertrog unter die Haustreppe, in den alle mit der Zehe des linken Fußes
hineintauchen müssen, wenn sie auf der Treppe zum Hause hinaufsteigen wollen.» Hat
jemand von dem Toten geträumt, so nimmt man in Toba mit ihm eine Waschung auf dessen
Grabe vor und sagt dabei nachdrücklichst: „Das sei dein Abschied von ihm! Du bist es, der
nicht für sich sorgen lassen wollte, nicht wir sind es, die nicht für dich sorgen wollten!“*
Auf ähnlichen Vorstellungen dürfte der Brauch beruhen, den Toten, solange er noch im
Hause ist und später auch sein Grab mit Zitronen-Wasser zu besprengend
Die magischen Gründe für alle diese Riten liegen vor allem in der Abwehr der begu
und sind ein Symbol der Trennung zwischen dem Toten und den Hinterbliebenen, wie an
Hand folgenden Materials ausgeführt werden soll. Frazer ist es, der gerade hierzu einige sehr
interessante Anmerkungen macht ((2) p. 77), die sich durchaus mit dem Bericht Warnecks
((I) p 68) decken, daß die Bataker annehmen, der begu müßte sich unweigerlich vor Feuer
und Wasser zurückziehen. Man muß dabei selbstverständlich berücksichtigen, daß nach
allgemeiner Annahme des Kulturarmen, der Begu noch so lange in der Nähe seines Körpers
verweilt als dieser noch nicht völlig zerfallen ist (lebender Leichnam). Es ist daher äußerst
gefährlich einen Toten im Hause zu haben, und viele Völker haben aus diesem Grunde die
Gewohnheit den Toten so schnell als möglich zu bestatten. Meist wird er bereits am Tage
des Todes mit Sonnenuntergang zur letzten Ruhe gebracht.6 Es ist daher zu erwarten, daß
alle diese Waschzeremonien ein Schutz der Hinterbliebenen gegenüber dem Begu des Toten
sind nicht aber umgekehrt, wie man häufig in den Berichten angeführt findet. Dadurch soll,
wie bereits erwähnt, die Trennung zwischen dem Lebenden und dem Toten vollzogen werden.
Zugleich soll verhindert werden, daß der Tote durch eventuelle Spuren von Tränen und
Fingerabdrücken der Hinterbliebenen in den Besitz ihres tondis kommt. Denn würde er
diesen mit sich ins Grab nehmen, so entstände Unheil daraus für deren Besitzer, ja vielleicht
wäre sogar ihr Tod die traurige Folge. Ähnliches wird von Maass [(2) p. 64] und Kruijt
[(2) p. 69] über die Mentaweier berichtet. ,
Die gleichen Motive würden für die stets und überall erfolgenden Waschungen der
Hinterbliebenen gelten, von denen Frazer [(2) p. 77] sagt, daß man sie fälschlicherweise von
1 Adat, festgelegtes, durch die Jahrhunderte hindurch
unabgeändert überliefertes Herkommen, durch das alle
Lebensfunktionen geregelt werden.
2 Junghuhn II p. 139; Winkler p. 69'70; Warneck (I)
p. 68. Wer die Waschung des Toten zu übernehmen hat,
ist nicht für alle Gebiete feststehend. Brenner (p. 233)
berichtet, dai3 dies bei männlichen Toten Männer, bei
weiblichen Frauen besorgen. Andere Autoren bezeugen
dagegen, daß die Waschungen in der Hauptsache nur
von Frauen vollzogen werden, während der Tote dabei
auf den Schoß der weiblichen Anverwandten, besonders
der Schwiegertöchter zu liegen kommt.
3 Warneck a. a. O.
4 Winkler p. 68ff.
5 s. hierzu die Bedeutung des Weihwassers in der katho-
lischen Kirche. Die Zitronenzweige und Blätter werden
auch sonst als Antibegumittel von den Batakern an-
gewandt. So hängt man sie z. B. über der Tür eines
Hauses auf, in dem eine Wöchnerin liegt. Warneck (1)
P- 95-
6 Gewöhnliche Bestattung der Bataker, Niasser, Enga-
noer, Mentaweier, sowie auch der islamitisch beein-
flußten Völkerstämme Sumatras.
fei
6 2
H. HEDENUS
vornherein als Reinigungszeremonien von ritueller Beschmutzung bezeichnet hat, ihre Ab-
sicht sei vielmehr, eine Schranke zwischen den Lebenden und den Toten aufzurichten. Auch
Mr. Fallaize in seinen Ausführungen in der Encyclopaedia of Religion and Ethic (p. 456) ist
der Ansicht, daß diese ,Reinigung* in erster Linie Sühnung einer Tabuübertretung bedeutet
und keinerlei ethischen Charakter habe. Pflichtet man seinen verständnisvollen Aus-
führungen bei, so bleibt die Frage offen, welches Tabu bei dieser Gelegenheit von den
Hinterbliebenen übertreten worden ist. Da jedoch die Waschungen derjenigen, die mit dem
Toten zu tun haben, während der Dauer der Bestattungsfeierlichkeiten häufig wiederholt
werden, dürfte sich diese Frage nur von Fall zu Fall lösen lassen. Es wäre billig, sich hier
— wie manche Psychoanalytiker — damit zufrieden zu geben, daß man immer und immer
wieder auf den Ausgangspunkt aller Tabus hinweist, der durch die Situation des Ödipus-
komplexes von Freud charakterisiert wurde.
Das Wasser als Symbol der Trennung dürfte sich am klarsten offenbaren in dem Brauch,
während der Trauerzeit einen Wassertrog unter der Treppe des Hauses aufzustellen. Indem
man mit der Zehe hineintaucht, vollzieht man sozusagen symbolisch eine trennende
Waschung des ganzen Körpers. Interessant ist nun, daß Snouck Hurgronje [(I) p. 425ff.]
den gleichen Brauch bei den Atjehern antraf, die ihm jedoch dafür eine ganz anders lautende
Erklärung gaben. Das Wasser solle zum Trinken des ewig durstenden Geistes des Toten sein,
der sich ja auch nach der Bestattung noch für einige Tage in der Nähe seiner alten Wohn-
stätte aufhält. Dieser Wechsel in der Motivierung dürfte meiner Einsicht nach etwas ge-
künstelt aussehen und den Eindruck machen, als ob der ursprüngliche Sinn entweder ver-
loren gegangen ist oder überhaupt nie bekannt wurde, da man die ganze Sitte von einem
anderen Volke übernommen hat. Da wir wissen, daß die Bataker zeitweilig ihren Einfluß
bis weit hinein in Atjehsches Gebiet ausübten, ist es nicht ausgeschlossen, daß dieser Brauch
von ihnen stammen dürfte.
Daß unsere Deutung der trennenden Symbolik des Wassers dem Denken des homo
divinans wirklich nahe kommt, erhellt daraus, daß vielfach das Totenreich von einem großen
Wasser umflossen wird, über das entweder ein Fährboot oder — in bereits entstellterForm —
eine Brücke führt. Ist der ,Geist* des Toten einmal über dieses Wasser hinübergekommen, so
gibt es für ihn kein Zurück mehr. Auch die Toba und alle übrigen Batakerstämme kennen
diesen Fluß um das Seelenland. Er heißt bei den Toba aek persalinan.1 Die trennende Be-
deutung des Wassers ist hier offensichtlich.
d) Form und Bedeutung des Sarges.
Nachdem der Tote nun so weit vorbereitet ist, wird er feierlich in den Sarg auf den sa-
rong goenting gelegt.1 2 Große Häuptlinge haben sich schon längst vor ihrem Tode einen
steinernen oder hölzernen Sarg anfertigen lassen, um dadurch einer möglichst prächtigen
Bestattung sicher zu sein.3 Ist dies nicht der Fall, so wird gleich nach eingetretenem Tode
die Länge der Leiche genau gemessen und danach Sarg und Grab fertig gemacht.4 Würde
nämlich eines oder das andere zu lang sein, so wächst der begu und ,seine Verwandten
kennen ihn nicht mehr.*5 Dessen ungeachtet dürfte diese Erklärung nicht ganz befriedigen.
Ich möchte diese Sitte anders deuten. Der Sarg und das Grab hat ursprünglich die Bedeutung
des Gefängnisses, in dem der Tote vor den Überlebenden zurückgehalten werden sollte. So
bezeichnet Rank auf Grund seiner Untersuchungen den Sarg geradezu als ,Leichenfresser*6.
Ist daher Sarg und Grab zu groß, so hat der Tote darin Bewegungsfreiheit, und es besteht
1 Dieser „Oceanos“ wird auch Aek silumalan in den To- 4 Warneck (1) p. 67.
haschen Klagegesängen genannt. (Kruijt (I) p. 362. 5 Warneck (I) a. a. 0.
2 Joustra (I) p. 187ff. 6 Zulliger p. 45.
3 Warneck (I) p. 70.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
63
die Gefahr, daß er aus Sarg und Grab zum Unheil der Hinterbliebenen herausschreitet. Es
dürfte also das gleiche Motiv sein, wie wir es später bei der Hockerbestattung wiederfinden
werden.
Diese Deutung wird ferner durch eine Anmerkung Junghuhns [(II) p. 137] nahe gelegt.
Er schreibt, daß der Sarg aus einem Stück bestehen müsse und von besonderer Holzart
(Durian, Goedi oder Sinkam) angefertigt werde. Dieser Sarg aus einem Stück erinnert an
die Totenkleider ohne Naht, deren Bedeutung man dahin erklärt hat, daß es dem Toten
dadurch unmöglich gemacht werden soll, wieder aus ihnen herauszuschlüpfen.
Interessant an diesem Sarg ist auch seine Form. In den meisten Fällen hat er die Ge-
stalt einer Prauw (Boot) d Der Baumstamm wird in zwei genau aufeinanderpassende Teile
zerlegt, deren ausgehöhlte Hälften dann als Sarg und Sargdeckel dienen.2 Zuunterst wird
in diesen Sarg meist eine Schicht von gestampftem Jagon und geröstetem Reis gelegt, um
alle etwaige Feuchtigkeit aufzusaugen, darauf folgt eine Matte und schließlich ein kostbares
Tuch, mit dem der ganze Sarg bedeckt wird.3 Täglich wird der Tote von den Frauen mit
verbrannten Palmblattstielen und Kampfer bestreut, solange der Sarg noch nicht fest ver-
schlossen ist. Dies hat lediglich rein hygienische Gründe und ist notwendig, weil man einen
vornehmen Toten oft monatelang im Hause behält, bis die großen Leichenfeierlichkeiten
gebührend vorbereitet worden sind.4
Soweit dürften die Dinge im großen und ganzen klar liegen, dagegen bedarf die Boots-
sargform als solche noch der Erörterung hinsichtlich der damit verknüpften Vorstellungen.
Nach Kruijt [(I) p. 345/46, 357) soll durch die Bootssargform dem Toten die Möglichkeit
gegeben werden, den Fluß, der die Unterwelt umgibt, zu passieren. Ich möchte in diesem
Zusammenhang zugleich auch die Theorie Tylor’s nennen, da beide Gedankengänge durch
ein und dieselben Überlegungen widerlegt werden. Nach ihm ist die Bootsbestattung mit
einer ursprünglichen Naturmythe in Verbindung zu bringen, wonach der Verlauf des
menschlichen Lebens gleichzusetzen wäre mit dem Zug der Sonne vom Osten übers Meer
nach dem Westen, nach der Unterwelt. Der Tote soll daher in seinem Boot der Sonne nach-
folgen können übers Meer hin nach ihrem westlichen Untergangsland.5 Wohl hörten wir
zwar bei den Batakern von einem Fluß ums Totenreich, auch eine gewisse Übereinstimmung
zwischen Menschenschicksal und Sonnenverlauf könnte festgestellt werden, dennoch
scheinen mir diese beiden Vorstellungen nicht verwendbar, denn die Bootssargform dürfte
bei weiter älter sein als alle genaueren Anschauungen und Ausmalungen der Art und Be-
schaffenheit des Totenreiches. Auf den Gedanken, die Toten in Booten übers Meer der
untergehenden Sonne nachzusenden, können doch wohl nur Küstenvölker kommen. Da die
Bataker aber zumindesten seit geschichtlicher Zeit auf der Toba-Hochfläche und am Toba-
see im Inneren des Landes wohnen, dürfte dies ebensowenig in Frage kommen, wie eine
andere Deutung der Bootsbestattung, die darin Reminiszenzen an eine ehemalige Tiefsee-
bestattung sieht. Am wahrscheinlichsten für die Deutung im Batakgebiet klingt eine vierte
1 Joustra (I) p, 187 ff.
2 Marsden p. 387; v. Brenner p. 233ff.
3 Marsden a. a. 0.
4 lunghuhn II, p. 138.
5 Daß die Ausdeutung der Mythen in Verbindung mit
Naturerscheinungen keineswegs so fern abliegt, wie
verschiedene Autoren heutzutage annehmen, dürfte fol-
gende Batakeranschauung beweisen. Der Eingeborene
lebt tatsächlich oft noch so eng verbungen mit allem
Naturhaften, daß dieses ihm häufig genug zum Gleich-
nis seiner selbst wird. So erzählt Dr. Kruijt ((I) p. 369),
daß die Bataker von Angkola ein Kind mit sogot (etwa
7 Uhr morgens) bezeichnen; einen Jüngling mit pan-
gului (8 Uhr a. m.); den Vater von Kindern mit hos
(12 Uhr mittags); ältere Menschen mit guling (2—3 Uhr
p. m.) oder auch mit bot (abends). Da das Wort „ster-
ben“ und „Tod“ bei sehr vielen sumatranischen Völker-
schaften tabu ist, sagt man daher hier von einem Ster-
benden; kiot sundut mata ni ari (die Sonne will bei
ihm untergehen).
Inwieweit dies jedoch lediglich einer der vielen Aus-
drücke bildhafter Sprache ist, mag dahingestellt bleiben.
Da Kruijt keine weiteren Erklärungen darüber abgibt,
kann man nicht vorsichtig genug sein, daraus ohne
weiteres eine Weltanschauung abzuleiten.
H. HEDENUS
64
These, derzufolge die Bestattung eine Erinnerung an früher stattgefundene Wanderungen
über See sein soll. Der Tote soll in seiner Prauw (eigentlich Boot, hier Sarg) nach seinem
angestammten Totenreich jenseits des Meeres zurückfahren können. Leider kann jedoch
diese Deutung auch nicht ohne Zweifel angenommen werden, da uns kein Autor etwas von
einem batakschen Totenreich in weiter Ferne berichtet. Allerdings könnte sich ja die Lage
des Totenreiches im Laufe der J ahrhunderte verschoben haben in der Vorstellung der Ein-
geborenen und so immer weiter an die neue Heimat herangerückt sein, wo man es nach
Winkler in heutiger Zeit lokalisiert.1 Da ferner in heutiger Zeit LIolz- und Steinsärge ziemlich
wahllos miteinander abwechseln, läßt sich daher kaum mehr über die Bedeutung der Boots-
sargform sagen, als daß dadurch ein Fahrzeug ins ferne Totenreich dargestellt werden soll,
so wie die Karo auch heute noch am Pakuloeh-Fest bewußt die Asche ihrer Toten den Lau
Biang hinunter ins Meer senden.
So ungewiß die Bedeutung der einen oder der anderen Form des Sarges sein mag, um so
einheitlicher ist der Sinn des Sarges oder der Totenkiste selber. Der Sarg ist ein uraltes
Mutterleibssymbol.2 Da nun die Bestattung in der Sprache unbewußten Denkens die
Zurückgabe des Toten an die Mutter bedeutet, so vollzieht man diese Zurückgabe symbolisch
bereits bei der Bestattung indem man den Toten in das Boot, die Kiste, die Mutter hinein-
bettet!
Durch eine solche Deutung würde noch eine andere Sitte verständlich. Der Sarg (batang)
sowie seine äußerste Umhüllung (batang rapotan) sind nicht nur mit Arabesken und Schnitze-
reien von Tierungetümen, sondern auch mit phallischen Figuren auffälligster Art geschmückt,
die später am Grabe aufgestellt werden.3 Schon in der Einleitung wurde darauf hingewiesen,
wie nahe der Gedanke der Wiedergeburt für den Kulturarmen liegt.4 Auch v. Brenner
[(I) p. 237] sagt einmal, als er auf die viel schöneren Grabmäler im Süden als im Norden des
Bataklandes zu sprechen kommt, daß sie dennoch alle eins gemeinsam hätten; die phallische
Symbolik der Sarg- und Grabfiguren. Er liest aus ihnen den Wunsch heraus, daß der Tote in
seinen Nachkommen für immer weiterleben möge. Wenn man hierzu ferner bedenkt, daß
der Verstorbene im Jenseits ganz so leben soll wie auf Erden, dort also auch Kinder zeugt
usw., und daß man sich jederzeit an ihn wendet um Gewährung aller Arten von Frucht-
barkeit, so wird das Anbringen derartiger Figuren durchaus verständlich.
e) Verstopfen der Körperöffnungen, Hockerbestattung.
Liegt der Tote nunmehr im Sarge, so werden ihm bei einigen Gelegenheiten sämtliche
Körperöffnungen mit Kalk oder Kapok verstopft. Nach Joustra f(I) p. iSyff.] dürfte dies
bei den Batakern ein allgemeiner Zug sein. Alle anderen mir bekannten Autoren dagegen
kennen ihn nur in besonderen Fällen wie bei Wöchnerinnen, Zauberinnen (sibaso) und
Zauberpriestern (guru).5 Ich schließe mich aus folgenden Gründen der Ansicht der letzteren an.
Der Bataker macht bei der Bestattung gewöhnlicher Sterblicher keinerlei Umstände.
Der Tote wird einfach in Leinewand und eine Matte gehüllt auf dem gemeinsamen ,Fried-
hof* begraben. Die Hauptsache bei solcher Bestattung sind Schießerei, Musik und ein großer
1 Winkler p. ^ff. Auch die Berichte anderer Forscher
geben uns kein Recht, das bataksche Totenreich in
weiter Ferne zu suchen. So nennt v. Brenner (p. 240)
ein lotenreich der Toba namens Padang Silungun
(Land der Sehnsucht und Trauer), ferner eines der Karo,
namens Si Nabun, das man sich als weite, von heißer
Sonne beschienene Ebene vorstellt. Auch Warneck be-
richtet uns ausführlich darüber ((I) p. 82/83). Nach
ihm sollen die Gefallenen und Kinderlosen in der
„Himmelsluft“ wohnen, die Durchschnittsbegu auf frei-
em Feld, andere dagegen im sombaon (geheiligte Stätte),
worunter große Bäume, Schwefelquellen, versumpfte
Flußmündungen und ähnliches zu verstehen ist. Für
weitere Nachweise hierüber siehe: Joustra (I) p. 166;
Marsden p. 386; Camerling p. 62 ff.; Kroesen p. 272.
Jung p. 200 u. 204; Winthuis p. 12.
Joustra (I) p. 187ff.; v. Brenner p. 233 ff.; Junghuhn II,
p. 140/41.
s. p. 52.
Kruijt (I) p. 254; de Haan p. 41 ff.; Winkler p, 68.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
65
Leichenschmaus.1 Die Hinterbliebenen scheinen demnach den Toten keineswegs besonders
zu fürchten, denn sonst würde man sich wahrscheinlich nicht mit so geringen Zeremonien
begnügen. Denn man darf nie vergessen, daß die Bestattungsriten mit in erster Linie zum
Schutze der Hinterbliebenen da sind, und daß alle pietätvolle Auslegung, die in ihnen Maß-
nahmen zum Vorteil und Seelenheil des Toten sehen wollen, spätere Umbiegungen und Ver-
schiebungen der urtümlichen Auffassung sind. Auch bei der Bestattung großer Häuptlinge
erübrigen sich solche Maßnahmen wie das Verstopfen der Körperöffnungen, in denen sich
durchaus feindliche Tendenzen offenbaren. Denn das Zutrauen zu ihren begus ist immerhin
so groß, daß man ihre Leichen oder zumindesten ihre Schädel und Knochen innerhalb des
Kampongs selber aufbewahrt.
Ganz anders liegt dagegen der Fall, bei toten Wöchnerinnen und anderen gefährlichen
Toten, die zu den energischsten Maßnahmen zur Vernichtung und Vertreibung ihrer begus
herausfordern. Daher bindet man Frauen, die im Kindbett verstarben, Daumen und Zehen
zusammen, verstopft ihren Mund, sowie ihre Augen und Ohren mit Asche und verschnürt
obendrein die ganze Leiche fest in einer Matte. Auch der noch lebende Säugling wird ihr
mitgegeben, damit er nicht durch sein trauriges Wimmern den begu der Mutter zurückruft.1 2
Gleiche Maßnahmen werden gegen einen guru ergriffen, den man im Leben und im
Tode fürchtet. Denn auch der Tote bleibt ja Mitglied der Gemeinschaft und behält im all-
gemeinen, sowohl im Totenreich, als auch in der Gemeinde der Hinterbliebenen alle seine
alten Funktionen bei. Er kann auch weiterhin seine Wünsche entweder durch Medien oder
unmittelbar durch Verursachen von Unheil oder Wohltaten ausdrücken. Nach Kruijt
T(I) p. 2154] werden seine Daumen und Zehen aneinandergebunden, Augen und Nase mit
Kapok verstopft und seine Beine bei den Toba fest mit einem Kleidungsstück umwickelt.
Man füllt ihm auch wohl den Mund mit Reis, indem man dies euphemistisch seine letzte
Nahrung nennt. Der wahre Grund dafür dürfte jedoch der sein, den man für den ,Obolus*
angibt, der ihm anstelle des Reises in manchen Gegenden in den Mund gestopft wird. Der
Tote soll am Sprechen gehindert werden aus Angst, dabei das Geldstück zu verlieren.3 Noch
mehr als der männliche guru wird der weibliche gefürchtet, da sie bei Lebzeiten als Geister-
medien in ganz besonders enger Verbindung mit der Schar der begu stehen. Man bindet sie
daher in sitzender Stellung und verbrennt sie später. Bei den Karo dagegen, die für ge-
wöhnlich ihre Leichen verbrennen, behandelt man die toten guru gerade umgekehrt. Man
begräbt sie gefesselt in Hockerstellung.4
Die Gründe für diese Maßnahmen liegen nahe. Man möchte dem , Geist* des Toten die
Möglichkeit nehmen, irgendwie aus dem Körper zu entweichen. Hierzu ein ähnliches Bei-
spiel, das meine Deutung weiterhin erhärten soll. Die Toba verhängen alle Haustüren, an
denen Leichen vorbeigetragen werden, mit belaubten Zitronenzweigen5 wird dagegen eine
Leiche aus einem anderen Kampong am eigenen Dorf vorbeigetragen, so wird das Dorftor
mit einem Stück Zeug abgeschlossen. Auf gleiche Weise wird auch der Zugang zu den Reis-
feldern vor den begus gesperrt.6 Dieses Verstopfen der Haus- und Dorföffnungen kann
keinen anderen Zweck haben, als den eigenen tondi daran zu hindern, dem Toten zu folgen
1 de Haan p. 41 ff.
2 Winkler p. 68.
3 Übrigens findet sich die Sitte, dem Toten ein Geldstück
in den Mund zu geben auch bei den sonstigen Bataker-
Bestattungen. s. v. Brenner p. 233, Krämer unter Toba-
Batak.
4 de Haan p. 421 ff.; Joustra (I) p. 182. Diese Divergenz
zwischen den Karo und den übrigen Batakern ist in
mancher Hinsicht interessant. Während man auf der
einen Seite den guru verbrennt, um ihn für alle Zeiten
endgültig zu vernichten, hält man auf der anderen ge-
rade die Feuerbestattung für ein Mittel, wodurch die
Toten am sichersten in das angestammte Totenreich ge-
langen können. Man ersieht daraus, daß es wahrschein-
lich gar nicht so sehr auf die Vernichtung des bösen begu
ankommt, wie uns häufig berichtet wird, als vielmehr
auf seine Absonderung von der Schar der übrigen Toten.
So hörten wir ja bereits, daß jede Bestattungsart den
Zugang zu einem besonderen Totenreich nach sich zieht
_ (s. p. 53)-
5 Vgl. p. 61 Anm. 5.
6 Kruijt (I) p. 254ff.
9 Baessler-Archiv
66
Ti. HEDENUS
und andererseits dem begu des Verstorbenen den Zutritt zu den Wohnstätten der Hinter-
bliebenen zu verwehren.
Eine Parallele aus Atjeh zeigt die Art der Wanderung der Sitten und Gebräuche von
Volk zu Volk, die sehr häufig mit einem gleichzeitigen Bedeutungswandel verbunden ist.
Nach Jacobs (p. 338) taucht dieser alte Brauch, dem Toten zum Schutze gegen den
entweichenden begu sämtliche Körperöffnungen zu verstopfen, mitten unter der großen Zahl
komplizierter islamitischer Leichenfeierlichkeiten auf. Er hat jedoch hier und heute eine
ganz andere Bedeutung: indem man die zum Verstopfen benützte Baumwolle reichlich
mit Kampfer bestreut, sollen die Verfallserscheinungen an der Leiche aufgehalten und er-
träglicher gemacht werden. Daß man in der Tat den ursprünglichen animistischen Sinn
dieses Brauches nicht oder nicht mehr kennt, geht daraus hervor, daß man ihn unterschieds-
los für alle Toten anwendet, soweit man mit ihnen überhaupt besondere Umstände zu
machen pflegt. Ob man nunmehr auf Grund der scheinbar mißverstandenen Anwendung
dieser Maßnahmen soweit gehen kann, sie als eine Entlehnung von einem anderen Volk
— in unserem Fall den Batakern — zu bezeichen, ist stets schwer zu entscheiden.
Uber den Sinn der Hockerbestattung sind nicht weniger als sieben Theorien auf-
gestellt worden.1 Bedenkt man, daß ihr meistens ein gleichzeitiges Verschnüren von Armen
und Beinen, sowie auch des ganzen Körpers parallel geht, und daß ferner häufig die Achilles-
sehne des Toten, sowie seine Handmuskulatur durchschnitten wird, so kann kein Zweifel
darüber herrschen, daß damit eine Fesselung der Leiche bezweckt wird. Dennoch soll hier
kurz eine der Theorien erwähnt werden, da sie in anderer Hinsicht manches für sich hat,
wenn man mit Zulliger (p. 51) der Auffassung ist, daß das Begräbnis für den Toten ein
Zurückgehen in die Mutter bedeute, „sei es nun in die Mutter Erde, in das Feuer oder in
das Grab unter der Herdplatte des Hauses.“ Es handelt sich um diejenige von Troyon, Joly
und Dieterich. Nach ihr ist die Hockerbestattung eine Nachahmung der Lage des Embryo
im Mutterleibe, wodurch dem Toten eine eventuelle Wiedergeburt erleichtert werden soll.
Bei dieser Annahme bleibt die Frage jedoch völlig offen, woher die Eingeborenen schon
auf frühester Stufe die Embryonallage kennen sollten, ferner warum man diese Art der Be-
stattung gerade für solche Tote wählt, von denen man alles andere wünscht als daß sie je
wiedergeboren werden.
Was das Vorkommen dieser beiden Sitten Verstopfen der Körperöffnungen und Hocker-
bestattung im heutigen Bataklande anbelangt, so lautet der Entscheid dahin, daß die
heidnischen Bataker diesem Brauch treu geblieben sind. Denn Winklers Bericht über die
Sonderbestattung der Wöchnerin stammt ca. aus dem Jahr 1925, während de Haans
Schilderungen um das Jahr 1875 zu datieren sind, und Kruijt im allgemeinen gar keine
Unterschiede macht in der Darstellung der animistischen Bräuche der Indonesier.
f) Sarglegung und Totenwache.
Man läßt den Sarg vor dem Hineintragen ins Haus für gewöhnlich erst einige Stunden
in der Sonne stehen.1 2 Ein Grund dafür ist leider nicht angegeben.
Wird er schließlich hineingebracht, so müssen alle Klagenden sich umdrehen und zurück-
ziehen, damit ihr tondi nicht in den Sarg hineinfällt. Aus diesem Grunde soll auch der Tote
sofort in den Sarg gelegt und dieser dann mit dem Deckel fest verschlossen werden,3
1 Vgl. hierzu die Besprechung der 7 Theorien bei v. Trau-
witz-Hellwig p. 1 i4ff.; ferner Moss p. 229; Vatter p. 144.
2 Warneck (I) p. 70/71.
3 Warneck a. a. O. Interessant ist hier, daß der tondi
scheinbar nur das sehen kann, was seine menschlichen
Besitzer auch wahrnehmen können. Vermögen diese
nichts zu erblicken, weil sie den Vorgängen den Rücken
zukehren, so sieht auch der tondi nichts. Man kann daher
nicht vorsichtig genug sein, den tondi stets mit „un-
persönlichen Seelenstoff“ zu übersetzen. Allerdings
könnte hier auch noch imitative Magie vorliegen. So
wie man sich selber abkehrt, soll sich der tondi gleich-
falls von dem Toten abwenden.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
67
Jünglinge und Mädchen wachen für eine bestimmte Zeit Tag und Nacht unter unaus-
gesetztem Lärmen am Sarge des Toten. Sie sollen dadurch die herumschwirrenden begus
verscheuchen, wie man sagt.1 In erster Linie dürfte jedoch dieses Wachen ein ,Bewachen*
des Toten selber sein zum Schutze der Hinterbliebenen. Es ist weiterhin auffällig, daß es
gerade junge Leute beiderlei Geschlechte sind, die dieses ununterbrochene Zusammensein
mit dem Toten auf sich nehmen müssen. In Anbetracht der vielen phallischen Figuren, die
man an Sarg und Totenbahre anbringt, wäre es wohl möglich, daß bei denBatakern die An-
nahme besteht, daß von dem Toten gewisse Kräfte ausgehen, die bei seinen jungen Stammes-
genossen erhöhte Fruchtbarkeit bewirken. Näheres darüber wird uns jedoch nicht berichtet.
Ist die erste Zeit nach dem Tode verstrichen, wird der Sarg entweder im bonggar-
bonggar, einer Art Balkon im Giebel des Hauses, aufgestellt oder auch im sopo, in der
Reisscheuer, bis man ihn endlich nach Wochen, Monaten oder Jahren begräbt.1 2 Die Länge
der Zeit, in welcher der Sarg über der Erde blieb, richtete sich in alter Zeit3 danach, wie
lange der eigens am Sterbetage ausgesäte Reis zu seiner Reife und Ernte brauchte. Im
Durchschnitt wurden dafür 6 Monate gerechnet. Auch Collet in seinem großen Werk von
1925 bestätigt diese Angaben, ohne jedoch zu vermerken, ob es sich dabei um alte oder noch
geläufige Bräuche handelt. Es ist schwer zu entscheiden, ob wir hier hinter diesem Aussäen
von besonderem Reis für die Leichenfeierlichkeiten mehr zu suchen haben, als den Wunsch,
für das Totenmahl die nötige Menge an gutem Reis zu haben. Auch ein ähnliches Vorkommen
auf Engano gibt darüber nicht mehr Aufklärung.4 Dort muß der Witwer, wenn er keinen
eigenen ladang (trockenes Reisfeld) besitzt, sich während der Trauerzeit einen anlegen, um
darauf die Nahrung für das Kaleak-Fest anzubauen, das am Ende der Leichenfeierlichkeiten
begangen wird. Da diese Völkerstämme auch sonst im allgemeinen keinen besonderen Wert
auf rituelle Reinheit der Speisen und sämtlicher Personen und Dinge, die mit dem Opfer zu
tun haben, legen, sehe ich in dieser Sitte nichts anderes als ein Überbleibsel aus Zeiten, wo
ein noch unentwickeltes Handelssystem den ausreichenden Eintausch von Waren unmöglich
machte.5
Während nun bei gewöhnlichen Bestattungen der Sarg schon nach wenigen Stunden
herausgetragen wird,6 wird er bei Häuptlingsbestattungen zunächst feierlichst aufgebahrt
in der rapotan, einem ringsherum mit kostbaren Tüchern verhangenen Bambusgestell.7
Waffen, Zierate und Staatskleider werden dem Toten mitgegeben in den Sarg oder auch über
diesem aufgehängt.8 Dann beginnt unter lautem Wehklagen der Frauen und unter dumpfen
Trommelschlagen das Abschlachten der von den anwesenden Häuptlingen gestifteten Büffel.
Ob dies auch heutzutage noch ganz so feierlich vorgeht, wie es uns von Junghuhn9 be-
schrieben wird, ist zu bezweifeln und konnte auch von Joustra nicht einwandfrei festgestellt
werden. Da jedoch bei diesen alten Bräuchen psychologisch sehr interessante Züge auftreten,
die gleichzeitig allgemeine Bedeutung haben hinsichtlich aller Opfer- und Totenmahle, soll
hier näher auf sie eingegangen werden.
Die Dauer dieser Opferfeiern war nach Marsden (a. a. 0.) neun Tage und neun Nächte,
oder sonst so lange wie der Vorrat an mitgebrachten Nahrungsmitteln reichte. Alle ge-
stifteten Büffel werden an Pfählen (borotan na godang), die eigens zu diesem Zweck vor dem
1 v. Brenner p. 234; Joustra (I) p. 187ff.
2 Meerwaldt p. 540; Kroesen p. 284/85.
3 Junghuhn II p. 137 ff.
4 Helfrich p. 312 in ’De eilandengroep Engano“, T. A.
G. 1888, Deel V.
5 S. auch den Brauch des besonderen Anpflanzens von
Reis für rituelle Zwecke in Japan. (Bei D. C. Holtom,
„The JapaneseEnthronementCeremonies“, Tokyo 1928,
p. 95 ff.).
6 Warneck (I) p. 71.
7 Kroesen p. 284/85; Joustra (I) p. 187ff.; Warneck (I)
P; 72-
8 Über die Symbolik der Staatskleider sagt Frazer tref-
fend ((H) p. 86); „placed on the dying fine clothes are
a bait to lure the soul back; placed on the dead they
are a bribe to it to stay away.“
9 Junghuhn II, p. 139ff.; Marsden p. 387ff.
9'
68
H. HEDENUS
Sarggestell eingerammt werden, festgebunden, Ihre Hörner werden mit Idjuk (Fasern der
Zuckerpalme) verziert und ihre Augen mit Tüchern verbunden. Die Frauen und Söhne des
Toten gehen zunächst siebenmal klagend um den Büffel herum,1 Darauf wird von der älte-
sten anwesenden Frau ein Topf mit Reis, der von der eigens für den Toten angebauten
Ernte stammt;1 2 auf der Stirn des Opfertieres zerschlagen. Dies ist scheinbar der Höhepunkt
der ganzen Zeremonie, denn in diesem Augenblick kennt man keine Grenzen mehr in
seinem Klagen, Haare ausraufen und verzweifeltem Umsichschlagen, um dann eigenartiger-
weise kurze Zeit darauf plötzlich aus scheinbarer Erschöpfung gänzlich zu verstummen.
Danach werden die Büffel von ihren Stiftern, nachdem auch diese siebenmal um sie herum
gegangen sind, gespeert und geschlachtet. Während nach Junghuhn (II p, 139) nun die ge-
schlachteten Büffel an Ort und Stelle liegen bleiben und das Gestell mit dem Sarg zu Grabe
getragen wird, spielt sich nach Joustra [(2) p. iS/ff.] der ganze Vorgang etwas anders ab.
Da aber die Berichte Joustras in allen Dingen zuverlässiger und fast immer mit Eingeborenen-
Ausdrücken belegt sind und außerdem auf modernen Forschungsmethoden beruhen, ver-
dienen seine Darstellungen den Vorzug. So erwähnt er beispielsweise noch ein zweites Büffel-
schlachten am Vorabend des Begräbnisses (pangoenkap bongbong) und berichtet ferner,
daß die Büffel nicht von den Stiftern, sondern von den soehoe-soehoe (Bürgerstand von der
selben Klasse wie der Adel) gespeert werden. Durch ihn erfahren wir auch, daß sich der
Nachfolger anschließend an das Büffelopfer vor die rapotan niederzusetzen pflegt, um so den
Titel des Herrschers zu empfangen. Gerade dieser Zug ist für die nachstehende Ausdeutung
nicht unwichtig.
Um allerdings den Sinn dieser Sitten erschöpfend darzustellen, müßte ich weiter aus-
greifen, als es mir im Rahmen dieser Arbeit möglich ist. Ich werde mich daher bei meinen
Ausführungen auf Freuds [(I) p. 178—190] Werk ,Totem und Tabu‘ stützen und seine
Argumentationen voraussetzen. Nach ihm bedeutet das Tieropfer eine Erneuerung der Ge-
meinschaft der Stammesgenossen (kinship), die auf der Identität der Substanz beruht. Dies
kann nur durch Vergießen von Stammesblut geschehen. Da nun durch Robertson Smith
nachgewiesen wurde,3 daß das Opfertier mit dem alten Totemtier identisch ist, wird durch
seine Tötung tatsächlich Stammesblut vergossen. Die Psychoanalyse ist nun auf Grund
ihrer Beobachtung von Neurotikern und vor allem von Kindern noch einen Schritt weiter
gegangen und hat nachgewiesen, daß wiederum das Totemtier ein Ersatz für den Vater ist.4
Diese Feststellung dürfte besonders für Indonesien zu recht bestehen, wo man beispielsweise
an allen Stellen Sumatras Krokodile, Tiger usw. mit , Großvater* oder ähnlichen Verwandt-
schaftsbezeichnungen betitelt.
Auch daß das heutige Tieropfer der Bataker ehemals ein Menschenopfer gewesen sein
muß, läßt sich dank einer alten, noch erhaltenen Sitte einwandfrei feststellen. So banden
die Toba anläßlich des Festes, das für einen neu eingesetzten sombaon (Verehrungswürdigen,
höchste Stufe der begu) gegeben wird, einen Menschen gleichzeitig mit dem Schlachtbüffel
an den erwähnten Opferpfahl. Dieser Mensch wurde später nach der Erstechung des Büffels
wieder fortgejagt. Niemand durfte ihm jedoch Nahrung oder Obdach gewähren, da man ihn
von jener Stunde an nicht mehr unter die Menschen, sondern unter die begu rechnete.5
Wenn man nun fragt, wie es zu dieser ambivalenten Gefühlseinstellung gegenüber dem
Vater kam, die immer von neuem auf seine Beseitigung hindrängt, so weiß Freud [(I)
p. 190/91] auch dafür einen überzeugenden Nachweis hinsichtlich der Verhältnisse der
Urgeschichte der Menschheit zu führen. Demzufolge ist das Opferfest ein Erinnerungsmahl
1 Zur Zahlensymbolik der „7“ s. Cassirer p. 18zj.ff.: Ost- 3 Freud (1) p. 83.
West-Nord-Süd-Zenith-Nadir-Weltmitte, ferner Wil- 4 Freud (I) p. 189.
heim p. 61/62: der große Bär. 5 Kruijt (I) p. 286/87.
2 S. p. 67.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
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an jenes Urereignis menschlichen Daseins, das durch die sogenannte Ödipussituation charak-
terisiert wird, wo der Vater von der Urhorde getötet und verzehrt wurde. Zur Sühne sowohl
als auch zur Befriedigung und Abreaktion dieser sich stets erneuernden unbewußten Wünsche
muß das Fest der ,Vateropferung' immer und immer wieder zur Erhaltung des Stammes und
zur Erneuerung der Blutsgemeinschaft gefeiert werden.
Demnach haben wir unter dem Büffel den Toten selber zu verstehen, der bei dieser
Gelegenheit ein zweites Mal getötet wird, und dessen Todesopfer man dann beim Leichen-
schmaus feierlichst begeht. Aus diesem Grunde erhebt man auch das laute Wehklagen, das
beim Tode eines gewöhnlichen Tieres durchaus unverständlich bleiben müßte. Denn diese
Klagen dürften ein ,Besprechen', ein Abwehrzauber gegen den Zorn und den Unwillen des
Toten (-Büffel) sein. Aus dieser Deutung heraus wird auch das feierliche, siebenmalige Um-
schreiten des Büffels verständlich. Denn auch mit dieser einkreisenden Bewegung verbindet
sich eine magische Tendenz, so wie man bei uns im Mittelalter versuchte, den Teufel in
einem Kreidekreis oder einem Pentagramm zu bannen.1 Dies dürfte ferner die Ursache dafür
sein, daß bei den Toba die Witwe als einzige nicht von dem geschlachteten Opfertier essen
darf,2 oder daß man ihr bei den übrigen Stämmen ähnliche Enthaltsamkeitsgebote auf-
erlegt. So darf sie in Silindung nicht an dem Ort essen, wo sie mit ihrem Gatten zusammen-
zusein pflegte, inAngkola muß sie sich überhaupt gänzlichst aller Speisen enthalten, solange
der Sarg des toten Ehegenossen noch über der Erde ist. Die Erklärung dafür war bisher,
daß man alle Speisen von dem begu infiziert hielt und durch deren Genuß in gefährliche Be-
rührung mit ihm kommen könne. Danach ließe sich jedoch nicht einsehen, warum dann
nicht auch den übrigen Hinterbliebenen gleiches Unheil durch die beim Totenmahl dar-
gebotenen Speisen drohen sollte. Nimmt man dagegen mit Freud an, daß das Opfertier für
das unbewußte Denken des Eingeborenen, aus dem heraus der größte Teil seiner Riten und
Kulte geschaffen wurde, ein Ersatz des Vaters, des Toten ist, so wird die Enthaltsamkeit
der Witwe ohne weiteres verständlich.
Damit erklärt sich, warum der Sohn und Erbe gerade in dem Augenblick den Titel des
Herrschers empfängt, wo das Opfertier — der Vater — tot am Boden liegt. Denn erst in
diesem Augenblick endete die Herrschaft des Vaters für immer. Auch Frazer [(I) p. 1003/4]
berichtet von einer rein totemistischen Anschauung der Bataker. Sie kennen oder kannten
eine ,außerkörperliche Seele', die ihren Sitz im Totemtier hat, stirbt dieses Tier, so stirbt
auch der betreffende Mensch in der gleichen Stunde.
Diese Deutung dürfte keineswegs mit der üblichen anderer Berichterstatter kolli-
dieren, wonach die Büffel z. B. als.Reittier des Toten im Jenseits dienen sollen,3 oder als
Zeichen des Reichtums des Toten in irgendwelchen Totenreichen angesehen werden.4 Denn
unsere Deutung dieser Zeremonie befaßte sich vor allem mit dem einen Büffel, der im Mittel-
punkt von allem steht, der von der Frauen beweint und von allen feierlichst siebenmal um-
schritten wird. Ob allerdings nicht auch die übrigen Büffelopfer einen anderen Sinn haben,
als den von Veth und Wilken angegebenen, mag dahingestellt bleiben. Tieropfer sind sehr
alt und auch bei den Batakern vermutlich viel älter als alle eingehenderen Vorstellungen
von einem jenseitigen Leben!
g) Heraustragen des Sarges, Streit um den Toten, Leichenspiele.
Nach der Schlachtung der Büffel wird der Sarg zu Grabe getragen. Im allgemeinen
schafft man ihn durch die gewöhnliche Haustür aus der Wohnung heraus, nur bei der Be-
1 Übereinstimmend mit der gegebenen Auslegung, sagt
auch Hartland (p. 426): „There can be little doubt that
the rite (of circumambulation) is magical, intended to
keep the dead in the grave and prevent him from
disturbing the survivors.“
2 Kruijt (I) p. 280.
3 Veth I, p. 418.
4 Wilken (I) p. 92.
;o
H. HEDENUS
stattung von Wöchnerinnen ergreifen die Toba besondere Maßnahmen. Solche Leichen
werden unter Verwünschungen durch ein Loch des Fußbodens hinunter in den Stall ge-
stoßen, von wo man sie an einem Strick zu einer Schlucht oder dem nächsten Fluß zerrt,
und sie da hineinwirft.1 Durch diese Herausbeförderung der Leiche auf besonderem Wege
soll der begu der Toten bei seinen späteren unliebsamen Geisterbesuchen irre gemacht werden,
so daß er den Eingang zum. Hause nicht mehr finden kann. Denn das Loch im Fußboden
wird sofort nach dem Herausschaffen wieder geschlossen. Auch bei den Batakern können
Geister stets nur auf dem Wege zurück, auf dem sie eingedrungen sind.2
Wenn sich auch bei der normalen Bestattung das Heraustragen der Leiche auf ge-
wöhnliche Weise vollzieht, so verläuft dennoch der Weg nach dem Grabe nicht ganz ohne
Unterbrechungen. Moszkowski (p. 242) berichtet 1909 von den Mandailingern folgendes.
Das Sarggestell wird zunächst von Anhängern zweier verschiedener margas (Clans) hoch-
gehoben. Während die einen nun damit voranschreiten wollen, trachten die anderen danach,
sie daran zu hindern. Hinter jeder Marga steht ihr Dubalung (-Vorkämpfer) mit gezogenem
Schwert, um seine Leute anzutreiben. Erst wenn das Gestell (dake) bricht, kann der Tote
beerdigt werden, anderenfalls muß der Kampf bis Sonnenuntergang fortgesetzt werden.
Dreizehn Frauen, die sich aus den nächsten Verwandten des verstorbenen Radjas rekru-
tieren begleiten diesen Streit mit ihrem Wehklagen und Jammern. Das gleiche Zeremoniell
wird 100 Tage später beim Aufstellen der beiden nesang (Grabsteine) durchgeführt. Ob-
wohl es sich hier um ein mohammedanisches Begräbnis handelt, gehört dieser Zug durchaus
in die Sphäre des homo divinans.
Eine Abart dieses Brauches beschreibt v. Brenner [(I) p. 235 ]. Die Männer, die das
Sarggestell aufgehoben haben, gehen damit zunächst einigemale vor und zurück, ehe sie
endgültig den Weg nach dem Grabe antreten. Als Grund wird angegeben, daß der begu des
Toten dadurch verwirrt werden soll, um nicht mehr den Weg nach seiner alten Wohnstätte
finden zu können. Da die Leute jedoch mit dem Sarg nicht etwa einen Umweg machen oder
einen sonst noch nicht begangenen Weg einschlagen, wie wir es z. B. von den Niassern hören3,
sondern ausdrücklich vor- und zurückgehen, liegt auch hier scheinbar noch ein anderes
Motiv vor als das von Brenner angegebene.
Als Erinnerung an den Leichenstreit sehe ich ferner folgenden Brauch der Karo an.4
Nachdem die Leiche an einem Bambusstock von einer ungeraden Anzahl von Frauen und
Männern um das Haus herumgetragen worden ist, bringt man sie unter Orchesterbegleitung
nach dem Grabe, jedoch nie — mag der Weg auch noch so kurz sein — ohne dabei einige
Male zu rasten.
Dieses stereotype Rasten nun, das Vor- und Zurückschreiten mit dem Sarggestell, so-
wie der Kampf der beiden margas um den Sarg wird von Mr. Hartland5 an Hand eines
ähnlichen Beispieles von Car Nicobar als ein Zeichen des Unwillens von Seiten des Toten
gegen seine Bestattung gedeutet. Diese Erklärung des so dramatischen Vorgangs mag wohl
im großen und ganzen zu recht bestehen, dürfte aber dennoch etwas zu allgemein gehalten
sein für diesen höchst komplizierten Ritus. Leider muß ich zugeben, daß auch ich nicht im
stände bin, ihn ganz und gar sinngemäß auszudeuten, da noch zuviele Einzelzüge in den
Berichten der Autoren ungeklärt blieben. So wissen wir z. B. nicht, was wir unter der dake,
diesem Traggestell aus zwei kurzen und zwei langen Hölzern zu verstehen haben, die auf
jeden Fall zerbrechen müssen, ehe der Tote bestattet werden kann.6 Bedauerlicherweise wird
auch nirgends vermerkt, welche marga für die Bestattung, welche dagegen kämpft. Wahr-
scheinlich sucht jedoch diejenige, der der Tote ehemals angehörte, ihn im Hause zurück-
1 Winkler p. 68 ff.
2 S. Faust, I. Teil.
3 Rappard p. 573.
4 Joustra (I) p. 182 ff.
5 Hartland p. 427.
6 v. Brenner p. 234.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE 7 1
zubehalten, und wünscht auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen, daß sie den Tod ihres
Clangenossen nicht gewollt und nicht verschuldet habe. Ob dieser Scheinkampf ferner in
früherer Zeit so weit geführt wurde, bis auf einer der beiden Parteien Blut floß und man das
ganze daher als eine Rächung des Toten ansehen könnte, läßt sich aus den vorliegenden
Berichten nicht entscheiden; wäre aber möglich.
In Europa sind solche Wettkämpfe aus Anlaß einer Leichenfeierlichkeit übrigens nicht
unbekannt. Ich erinnere an die Spiele, die Achill für den toten Patroclos veranstalten läßt.
Auch unter allen batakschen margas, mit Ausnahme der marga Simbiring, sind solche
Kriegs- und Wettspiele das Charakteristikum ihres allgemeinen Totenfests (Arteleboeh).1
Während der vier Tage dieses Festes wrerden einen Tag wie den anderen des morgens kriege-
rische und scherzhafte Unterhaltungsspiele ausgeführt. Am Nachmittag dagegen bis zum
Sonnenuntergang führt man einen regelrechten Kampf auf, wobei die Gefangenen später
frei gekauft werden müssen. W as den Frauen während ihrer Gefangenschaft angetan wird,
nimmt man nicht weiter übel. Gemeinsame Mahlzeiten finden nicht statt, des abends geht
man einfach wieder in sein eigenes Kampong zurück. Der Sinn dieser kriegerischen Spiele
liegt völlig im dunklen, muß aber irgendwie mit den oben angeführten Anschauungen Zu-
sammenhängen. Ohne weitere Nachforschungen unter den Eingeborenen selber, wird sich
auch darüber keinerlei Entscheid fällen lassen.
h) Abwehrmaßnahmen gegen die Begu.
Während man den Toten zu Grabe trägt, werden eine Reihe von Abwehrmaßnahmen
gegen die herumschwirrenden feindlichen Begu getroffen. Hierher gehört in erster Linie das
Schießen, Trommeln und wildes Umsichschlagen mit Zweigen, Stöcken und anderem, das
während der ganzen Bestattung anhält.
Auch die Sitte nach vorübergetragenen Leichen auszuspucken, dürfte unter diese
Rubrik fallen, obwohl der Speichel für den Indonesier auch noch eine ganz andere Bedeutung
haben kann. So hören wir, daß nicht nur die Leute im Leichenzuge selber, sondern auch die
Bewohner eines Hauses, an dem ein Toter vorbeigetragen wird, nach diesem spucken und
dabei etwa folgende Reden führen: ,Nur bis hierher will ich den Toten sehenV oder ,Be-
halte dein Unheil für dich!‘ und ähnliches mehr.2
Dies soll sowohl ein Opfer für den Toten zu dessen Stärkung bedeuten, da ja der Speichel
wie alles andere, was sonst noch zum Menschen gehört, tondi enthält, und andererseits
seinen begu bewegen, damit vorlieb zu nehmen und den übrigen Menschen in Ruhe zu lassen.
Der letztere Grund dürfte auch Anlaß für die Sitte sein, daß Schwangere, die unglücklicher-
weise die Leiche eines Selbstmörders zu Gesicht bekommen oder von einem solchen reden
hören,3 mehrmals ausspucken müssen.
Ferner gehören hierher folgende Gewohnheiten der Karo. Bei den schamanistischen
Zeremonien angesichts der Leiche stellen sich alle Angehörigen unmittelbar vor der Be-
stattung am Ende der ekstatischen Tanzereien rings um den Toten auf. Ein Teller mit
djerango (acorus calamus L., fam. Araceae) einem echten Antibegumittel — wird herum-
gereicht, jeder nimmt etwas davon, reibt sich damit Stirn, große Zehennägel und andere
Körperteile ein, spuckt dann darauf und wirft es auf die Leiche mit den Worten: ,Von nun
1 de Haan p. 43 ff. um ^as junge Stammesmitglied entziehen wollten. Durch
2 Warneck (I) p. 70/71; Winkler p. 7°> Ktuijt (I) p. 40. das Ausspucken sollen sie wahrscheinlich beweisen, daß
3 Warum dieses „Sühneopfer“ von den Frauen gerade in sie mit dieser Kategorie von Menschen nichts zu tun
diesem Fall gefordert wird, dürfte durch folgende An- haben wollen und ihnen keine Macht über sie ein-
schauung der Eingeborenen verständlich werden. Sie räumen, oder auch durch das Speichelopfer sich von
sehen Frauen, die bei der Geburt sterben, als Selbst- ihnen loskaufen wollen.
mörder an, die sich aus eigenem bösen Willen, der Sorge
72
H. HEDENUS
an will ich nichts mehr mit dir zu tun haben !41 Bei einer im übrigen gleich verlaufenden
Bestattung einer alten Frau"beobachtete Neumann (a. a. 0.), daß das Medium, während
sich der Geist der Toten noch in ihm aufhielt, kurz vor der Grablegung Sirihspeichel auf
seine Hand spuckte und damit die Schwiegertochter der Verstorbenen zwischen den Brüsten
und unter dem Sarong1 2 beschmierte. Nach Kroesen wird auch der Tote mit. dem Speichel
einer Sirihpneme befeuchtet, nachdem der Sarg kurz vor der Bestattung noch einmal ge-
öffnet wurde, damit der Tote die Abschiedsrede seiner Verwandten mit anhören könne. Zu
erwähnen sei ferner, daß der Sirihpriem eines der gewöhnlichsten und häufigsten Opfer für
die begus ist, und auch sonst als Geschenk und Ausdruck gegenseitigen Wohlwollens unter
den Eingeborenen eine wichtige Rolle spielt.
Das letzte Beispiel von Kroesen hält sich durchaus im Rahmen der übrigen. Nur das
Bestreichen der Schwiegertochter durch die sibaso (Priesterin) mit Speichel, der zuvor mit
der Toten in Berührung gebracht wurde, gehört in das Gebiet der Ubertragungsmagie und
soll die Fruchtbarkeit und andere gute Eigenschaften der Verstorbenen auf die junge Frau
übertragen.
i) Abschiedsreden an den Toten, Orientierung der Leiche in bestimmter Richtung.
Auch die sogenannten Abschiedsreden an den Toten, denen schon in dem Beispiel von
Kroesen Erwähnung geschah, dürften im Grunde zu den Abwehrmaßnahmen gegen dessen
gefährlichen begu gehören. Dieser Brauch kam und kommt im ganzen Batakergebiet vor3.
So berichtet uns Junghuhn, daß in dem Augenblick, wo man am offenen Grabe angelangt ist,
plötzlich aller Lärm verstummt, das versammelte Volk sich niederkauert und nun der
Deckel des Sarges noch einmal geöffnet wird. Dann tritt der älteste Sohn des Toten vor und
spricht mit zum Himmel erhobener Hand: ,Jetzt siehst du, Vater, zum letzten Mal die
Sonne, die du nun nie mehr sehen wirst !4 Dann wird der Sarg geschlossen und ins Grab ver-
senkt. Ein ähnlicher Bericht von v. Brenner [(I) p. 235] läßt den Sinn solcher Reden be-
reits deutlicher klar werden. Es heißt bei ihn: ,Siehe jetzt noch einmal die Sonne an, dann
sei stille und verlange nicht mehr nach uns, sondern nur noch nach deinen toten Kameraden!4
Die abwehrende Tendenz in dieser beschwörenden Aufforderung an den Verstorbenen, nun
endlich von seinen Nachkommen abzulassen, ist hier nicht mißzuverstehen. Der Tote weilt
noch immer unter seinen Stammesgenossen, man will ihn endlich los sein. Das geht noch
klarer aus der Abschiedsrede hervor, die uns von Kroesen (p. 284/85) mitgeteilt wurde. Da
sagt der älteste Sohn: ,Früher habt ihr mich stets mit Reis gefüttert, nun gebe ich euch
dies von ganzem Herzen vor eurer Abreise zurück!4 Nach dieser Rede werden dem Toten
noch Reis, Sirih und andere Lebensmittel in den Sarg gelegt, worauf dieser in die Erde
herabgelassen wird. Am klarsten jedoch dürfte einerseits die abwehrende Tendenz und
andererseits der Wunsch, dem Toten noch einmal verständlich zu machen, daß es mit ihm
nun wirklich aus und zu Ende ist, aus nachstehender Abschiedsrede der Karo hervorgehen.
Dies ist auch die Ansicht von Hartland (p. 427), der eine ähnliche Stelle in der Encyclopaedia
of Religion and Ethic zitiert und interpretiert. Man läßt da den Toten noch einmal kurz die
Sonne sehen, ruft ihm zu, daß er nun wirklich tot sei und nicht mehr zu den Lebenden
zurückkönne und begräbt ihn dann in größter Eile, nachdem man zuvor die tondi der Über-
lebenden durch Schüsse und wildes Umsichschlagen vertrieben hat.4
Was hat dies alles nun, abgesehen von dem Verjagen des begu des Toten, mit der Sonne
zu tun, deren Erwähnung Junghuhn [(II) p. 143] als einen Ausdruck ,erhabener Poesie4 be-
zeichnet ? So weit sich das erkennen läßt, liegen der Verbindung dieser beiden Bräuche
1 Neumann (IV) p. 24!!. 3 Junghuhn II, p. 141; Joustra (I) p. 182ff.
2 Der Sarong ist ein um die Lenden gewickeltes Tuch aus 4 Neumann (IV) p. zpff. Joustra (I) p. 182 ff.
mehr oder minder kostbaren Stoffen.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
73
meines Erachtens magische Motive zugrunde. Da die Toten auf ganz Sumatra fast immer
am Abend mit untergehender Sonne bestattet werden, ist wohl das ,Untergehen4, das Ver-
schwinden4 hier das Tertium Comparationis der magischen Besprechung des lebenden Leich-
nams. Der Verstorbene soll der Sonne sozusagen nachgeschickt werden in das jenseitige,
dunkle Untergangsland. Dies ist um so wahrscheinlicher, da nach allgemeiner Anschauung
der Kulturarmen, der Eingang zum Totenreich durch das ,Loch4 gebildet wird, in das die
Sonne am Horizont des Abends verschwindet.1 Daß nebenbei für die abendliche Bestattung
auch noch eine anderes Motiv mitspielen mag, nämlich daß zu dieser Zeit die Menschen
keinen Schatten mehr werfen, den der Tote heimtückisch mit sich ins Grab nehmen könnte,
schließt die andere Deutung keineswegs aus. Denn es bleibt stets psychologische Konstruktion,
wenn wir alte, komplizierte Riten eindeutig durch eine einzige Komponente erklären wollen.
Diese Verbindung zwischen dem Toten und der untergehenden Sonne legt zugleich die
Besprechung eines anderen Brauches nahe, der bei den meisten Bestattungen beachtet wird:
die Orientierung des Toten oder des Grabes in bestimmter Richtung. Ob diese Orientierung
allerdings stets mit dem Lauf der Sonne in Verbindung zu bringen ist, bleibt zweifelhaft.
Sehr häufig bettet man den Toten so zur letzten Ruhe, daß er mit dem Kopf nach dem Kam-
pong liegt und so dieses nicht zu sehen vermag.1 2 Es gibt dafür ferner ganz bestimmte Über-
lieferungen für die einzelnen margas.3 4 5 So müssen die Toten des Stammes Harahap mit dem
Gesicht nach Westen gekehrt liegen, die von Si Regar mit dem Kopf nach Osten und die
von Dadi Munte mit dem Haupt nach Norden und dem Gesicht nach oben.
Diese Orientierung, die wohl im Falle der marga Harahap mit dem Sonnenlauf über-
einstimmt, dürfte trotzdem allgemein auf anderen Grundsätzen basiert sein. Es ist zu auf-
fällig, daß die Orientierung der einzelnen margas je nach ihren geographischen Wohnsitzen
verschieden ist. Das legt die Vermutung nahe, daß sie ihre Toten mit dem Gesicht nach
ihrer alten Heimat, dem Lande ihrer Ahnen, woher sie einst ausgewandert sind, orientieren,
wie man es auch in Austronesien häufig findet.4
Von tatsächlicher Ost-West-Orientierung hören wir dagegen von den Gräbern im
Tobaland5 ferner bei der Knochenbestattung der Karo- und Tobahäuptlinge am Totenfest
Turun.6 Hieraus wird ersichtlich, daß sich die Frage der Orientierung keineswegs allgemein
entscheiden läßt, wie das häufig getan wird. Ein endgültiges Urteil kann nur von Fall zu
Fall abgegeben werden.
k) Schamanismus und Totentänze.
Die Abschiedsreden sind engstens verbunden mit gewissen schamanistischen Vor-
gängen, die wir auf Sumatra allein bei den Batakern finden, wenn sie uns auch sonst von
den übrigen Völkern Indonesiens wohl bekannt sind.7 Diese Gebräuche dürften bei den
Leichen- und Knochenbestattungsfeierlichkeiten aller Batakerstämme auch heute noch
stattfinden.8 Sie werden häufig auch aus anderen Anlässen wie Mißernte, Krankheits- und
Kriegsgefahr usw. angewendet, um dadurch die Wünsche des zürnenden begu zu ermitteln
Das dazu benutzte Medium ist bei den Batakern fast immer eine Frau (sibaso' Sie be'
ginnt ihr Werk bereits in dem Augenblick, wo die in Matten gehüllte Leiche vor dem Hause
auf die dake (Bambustragbahre) gebunden werden soll, und ihre Bemühungen enden erst
wenn auch die Bestattung vorüber ist.9
1 Moss p. 78.
2 Neumann (IV) p. 24 ff.
3 Joustra (I) p. 187; Kruijt (I) p. 371.
4 Moss p. 171/72; s. hierzu auch Prof. Cassirers Ausfüh-
rungen über das primitive Raumgefühl (p. 115 ff.).
5 v. Brenner (I) p. 175.
6 Kruijt (I) p. 371.
7 Elartland p. 438.
8 Z. B. bei den Dajaks (s. ßuschan (II) I, p. 252ff.
9 Volz p. 110ff.; de Haan p. 17; Neumann (IV) p. 24ft.;
Joustra (I) p. 182 ff.
IO Baessler-Archtv
74
H. HEDENUS
Nach Marsden soll sich die sibaso eigentümlicherweise dazu zuvor Arme und Beine mit
Bildern von Vögeln und wilden Tieren tatauieren und den ganzen Körper in bunten Farben
bemalen. Ferner soll sie während der Zeremonie eine Maske tragen, die leider nicht weiter
beschrieben wird. Von diesen Dingen, die stark an totemistische Züge erinnern, hören wir in
neuerer Zeit nichts mehr.1 Dennoch lohnt es sich, hieran eine kurze Betrachtung zu knüpfen,
da hierdurch besonders das identifizierende Denken des Kulturarmen1 2 verständlich wird.
Nach Frazer [(I) p. 1003/1004] soll der Bataker den Sitz der äußeren Seele im Totem-
tier annehmen. Das Tier als Seelenträger ist auch im übrigen Archipel weit verbreitet. So
sehen wir ,daß bei den Orang Semang auf Malakka die Vögel des Gottes Kari als Uber-
mittler der ,Seeleb ja als diese selbst bezeichnet werden.3
Malt sich daher die sibaso diese ,Seelentiere4 auf ihren Körper, so bedeutet das für das
identifizierende Denken des Kulturarmen, daß sie dadurch dieses Tier mit samt der in ihm
wohnenden menschlichen ,Seele4 in ihre Gewalt bringt. Sie zwingt die Seele des Toten, sich
in ihr niederzulassen, denn sie hat sie ja bereits ,gefangen genommen4.
Diese soll wie Hartland (p. 438) angibt, nicht nur die herumschwirrenden begus ver-
treiben und die tondi der Überlebenden zurückhalten, sondern man will auch dem Toten
eine Gelegenheit geben, seine Wünsche hinsichtlich von Opfern und Racheaktionen gegen
seine ,Mörder4 zu äußern. Wichtig ist hier auch die Absicht, dem Toten noch einmal nach-
drücklichst zu erklären, daß er von nun an nichts mehr an seinen alten Wohnstätten zu
suchen habe. Daher heißt auch die ganze Zeremonie, die bei besonders gefürchteten begus
am Abend des Begräbnistages noch einmal wiederholt wird, peroemah begu (Nachhause-
geleiten des Begu).4 Dadurch, daß man den begu des Toten einlädt, in dem Medium seinen
Aufenthalt zu nehmen, will man ganz sicher gehen, daß der begu des Toten bestimmt mit
der Leiche zusammen ins Grab gelangt, und sich nicht etwa irgendwo verbirgt, um dann
seinen Hinterbliebenen Schaden zuzufügen.
Verbunden mit den ekstatischen Tänzen der guru (Priesterinnen) sind Tänze der weib-
lichen Hinterbliebenen, die teils vor dem Trauerhause, nachdem der begu in die sibaso ge-
fahren ist, teils am Grabe stattfinden. Nach Neumann [(IV) p. 24ff.] führen Frauen und
Mädchen vorm Sterbehause nach eingetretenem Trancezustand des Mediums Tänze rings
um die Leiche herum auf.5 Nach Marsdens (p. 38yff.) älterer Darstellung sollen nicht die
Frauen tanzen, sondern die jungen Leute, während die weiblichen Familienmitglieder mit
verdecktem Kopf (!) klagend dabeisitzen. Die Tänze sind begleitet von Schießereien und
Trommelmusik. In den allgemein gehaltenen Angaben Krämers wird uns berichtet, daß bei
dieser Gelegenheit auch Schwerttänze ausgeführt werden, was für eine eventuelle psycho-
logische xAusdeutung von großem Interesse wäre. Leider verzichtet Krämer (s. unter Bataker)
jedoch hier wie auch an anderen Stellen darauf, direkte Literaturnachweise zu geben.
Während wir in der Literatur über den Verlauf und die Bedeutung dieser Tänze nur
wenig, ja kaum etwas erfahren, wird uns dagegen ausführlich über eine bestimmte Art des
batakschen Totentanzes berichtet, den Maskentanz der Timur, der in seiner archaisch-tote-
mistischen Färbung von besonderem Interesse ist.
Es treten dabei zwei Tänzer auf, Sklaven von fremdem, anderem Stamm als der Tote,
denen man am Schluß des Tanzes plötzlich den Hals abschneidet und sie samt ihrer noch zu
beschreibenden Verkleidung zu unterst in das Grab legt. Der eine kommt am Fuß-, der
andere am Kopfende des Toten zu liegen, so daß der Sarg auf ihren beiden Körpern ruht6.
1 Marsden p. 388 ff.
2 Winthuis p. 21 u. 34.
3 Winthuis (I) p. 228.
4 Neumann (IV) p. 24ff.
5 S. Anm. 1, p. 69.
6 joustra (I) p. 183/84; Pleyte p. 311/312. Kopf und Fuß
sind sehr alte weibliche und männliche Symbole (s.
Winthuis p. 227ff., sowie Aigremont „Zur Fuß- und
Schuhsymbolik“, Internat. Psychoanalyt. Verl.) Wie
ausdrücklichst berichtet wird, stellt der eine Sklave ein
männliches, der andere ein weibliches Wesen dar. Leidet
wird uns jedoch nicht berichtet, welcher von beiden am
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
75
Krämer (s. unter Bataker) gibt dafür noch folgende, durch keinerlei Literaturquellen ge-
stützte Variante an, die ich deshalb dem sehr zuverlässigen Bericht von Pleyte nachstellen
muß. Nach ihm werden die beiden Sklaven mit dem Toten zusammen in den Sarg gelegt,
um für ihn Lager und Diener im Jenseits zu sein. Diese letztere Deutung scheint mir doch
nicht so ganz selbstverständlich zu sein, wie es Krämer allem Anschein nach voraussetzt.
Denn diese Maskentänze kommen auch sonst noch bei anderen Anlässen des täglichen
Lebens vor, wo eine solche Erklärung ganz und gar nicht zutreffen würde.1
Von diesen Masken hat die eine (topeng) ein menschliches Antlitz, manchmal ist sie
sogar das genaue Abbild des Toten. Trotzdem ist ihre Herstellungsart sehr einfach, meist
besteht sie lediglich aus einem Flaschenkürbis mit zwei Schlitzen für die Augen. Der Tänzer,
der diese Maske trägt, wird als Mann vorgestellt. Der andere Tänzer, der als weibliches Wesen
bezeichnet wird, trägt eine Art offene Kiste (kuda-kuda) über seinem mit einem Tuch be-
deckten Kopf. Hinten hat er sich einen Lappen als Schwanz angebunden, während er in der
Nabelgegend eine Stange balanziert, an deren Spitze der Kopf eines Nashornvogels2 be-
festigt ist. Der Vogelkopf ist mit zwei Schnüren versehen, damit ihn der Tänzer je nach
seinen Bewegungen lenken kann.3 In dieser Weise verkleidet vollführen die beiden allerlei
eigenartige Bewegungen, die leider ebenfalls nirgends näher beschrieben werden, und so die
Ausdeutung dieses an sich schon nicht einfachen Ritus sehr erschweren.
Es läßt sich daher darüber nur eines sagen. Der Träger der Topeng-Maske ist der Ver-
storbene selber, wie es schon dadurch klar zum Ausdruck kommt, daß er häufig dessen
Züge trägt. Der Nashornvogel, wegen seines langen Schnabels bei vielen Kulturarmen ein
beliebtes phallisches Symbol4, muß dagegen das alte Totemtier der Timur-Batak sein,
interessant ist auch, daß am Ende dieser ganzen Zeremonie Toter und Totemtier von den
Hinterbliebenen getötet werden. Denn nach identifizierendem Denken des homo divinans
stellen die Maskenträger keineswegs nur dies oder jenes vor, sondern sind es selber in aller
nur wünschenswerter Realität.5 Der Tote tanzt also am Tage seiner eigenen Bestattung einen
mystischen, allem Anschein nach auch auf Fruchtbarkeitsriten beruhenden Tanz und wird
dann zum zweiten Male getötet.6 Für weitere Ausdeutungen kann ich leider nur auf die
Bedeutung des Vateropfers hinweisen, so wie ich sie in Verbindung mit dem Opfermahl be-
reits darzustellen suchte. Möglich wäre allerdings auch, daß man durch diese zweite Tötung
erreichen will, daß der Tote nunmehr auch wirklich ,tot‘ sei und den Hinterbliebenen nicht
länger hindernd im Wege stehe, so wie man bei uns etwa in sehr viel früheren Zeiten einen
Toten vor dem man keine Ruhe zu haben glaubte, noch besonders ,tot schlug*, um sich end-
gültig von ihm zu befreien.
Noch eine dritte Maske der Timur-Batak, die Dongal-Dongal, wird ebenfalls bei Leichen-
feierlichkeiten benützt. Sie besitzt eine eigenartige Tränenvorrichtung, über deren Bedeutung
uns allerdings in keinerlei Weise etwas ausgesagt wird. Im Inneren der Maske befindet sich
feuchtes Moos, so daß Wasser aus den Augen hervorquillt, wenn derMaskenträger von innen
her auf dieses Polster drückt.'
Fuß- oder Kopfende zu liegen kommt. Sollte nun der
männliche am Kopfende, der weibliche zu Füßen des
Toten ins Grab gelegt werden, so wäre für die Deutung
der Winthuissche Gedanke des Zweigeschlechterwesens
nicht von der Hand zu weisen und würde manches zur
Klärung der Symbolik des ganzen Ritus beitragen.
1 Pleyte p. 311/312.
“ Bucerus rhinocerides.
3 Joustra (I) p. 183(84; Pleyte a. a. O.
4 Winthuis (I) p. 255 ff.
0 Winthuis (I) p. 21 u. 34 s. Lévy-Bruhl (11).
6 S. p. 68(69.
7 Pleyte p. 31U312. Es ist kaum anzunehmen, daß diese
künstlichen Tränen lediglich ein Zeichen der Trauer sein
sollen. Höchst wahrscheinlich kommt ihnen noch eine
magische Bedeutung zu.
Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, daß z. B.
die Toradjas (Celebes) die Regentropfen als Tränen der
Ahnen bezeichnen (Kruijt (I) p. 46) und bekannter-
maßen die Ahnen fast überall in Indonesien als Regen-
spender gelten. Es wäre daher möglich, daß man durch
die Handhabung dieser Maske die Ahnen zum Spenden
von Fruchtbarkeit erzeugendem Regen in eben dem
reichen Maße veranlassen will wie man bei einem Masken-
tanz künstliche Tränen vergießt.
;6
H.HEDENUS
5. Ausstattung des Grabes, Grabopfer.
An den Maskentanz schließt sich unmittelbar die Grablegung an, über die hier nicht
viel zu berichten ist, da außer der bereits besprochenen Orientierung der Leiche sowie der
allgemeinen Schießerei nichts besonderes daran zu bemerken ist.
Auch die Grabbeigaben für den Toten sind durchaus die üblichen, wie man sie bei eien
meisten Völkern Indonesiens antrifft. Außer Kleidern, Schmuck und Geld, die mit in den
Sarg eingeschlossen werden, legt man Rauchutensilien, Reis, Sirih und die Schlafmatte des
Toten für ihn aufs Grab. Soweit es sich dabei um Schüsseln und Töpfe handelt, werden
diese alle zerbrochen, da im Totenreich gerade umgekehrte Sitten als wie auf Erden herrschen
sollen.1
Nach Warneck (a. a. O.) bringt man etwas von diesen Opfergaben an jedem der drei
der Bestattung folgenden Tage aufs Grab. An anderen Orten dagegen werden diese Opfer
überhaupt erst am dritten Tage für den Toten hinausgeschafft. Das hängt wahrscheinlich
mit den Vorstellungen über den Verbleib des Begu (lebenden Leichnams) zusammen. Jeden-
falls hören wir darüber von den Autoren die verschiedenartigsten Berichte. Winkler (p. 130)
z. B. spricht von zwei Tagen, an denen Speisen hinauf aufs Grab getragen werden, Wilken
[(I) p. 106] von vier.
Man kann daraus im großen und ganzen ersehen, daß es bei den ,heidnischen4 Riten mit
der Zeitrechnung nicht so streng genommen wird im Gegensatz zu dem genau geregelten, alles
vereinheitlichenden Opfer- und Totenkult des Islams. Die Grabopfer sind an Umfang und
Häufigkeit je nach Stammestradition und Macht und Ansehen des Toten durchaus ver-
schieden.
Zu den Grabopfern gehört bei den Batakern auch das Blutopfer. So erzählt Warneck
[(3) p. 346], daß bei den Toba außer der Blutspende, die selbstverständlich mit jedem Tier-
opfer verbunden ist, manchmal auch Blut in das Grab direkt hineingegossen wird, um da-
durch ,dem abgeschiedenen Geist Seelenstoff zuzuführen4. Nach Marsden (p. 3Syff.) soll
außerdem auch der Sarg mit dem Blut eines jungen Schweines bespritzt werden. Ferner soll
ein Huhn über dem Toten von dem datu (Zauberdoktor) getötet werden, dessen Blut dann
ebenfalls zum Beschmieren des Sarges benutzt wird.
Ohne hier auf die Bedeutung des Blutopfers als solchem einzugehen, möchte ich lediglich
auf das zurückkommen, was verschiedene Autoren als selbstverständliche Bedeutung dieses
Opfers für Indonesien voraussetzen. So sagt Kohlbrugge (p. 61): ,Die Seele kann sich eben
nur von Seelen nähren, und deren Hauptsitz ist ja das Blut/ Daraus versucht er dann das
Blutopfer als Nahrung für den Toten im einzelnen weiter zu erklären. Darin dürfte er mit
Warneck [(3) p. 346] übereinstimmen, der dieses Opfer als Beseelung des Toten darstellt,
desgleichen mit Hartland (p. 431), der dies als eine der drei wahrscheinlichen Deutungen
des Blutopfers angibt. Möglich wäre diese Vorstellung wohl, besonders wenn man das Blut-
opfer mit den übrigen Opfern für den Toten, die ja zu seiner Stärkung und für sein Leben
im Jenseits bestimmt sein sollen, unter ein und dieselbe Kategorie rechnet. Man darf jedoch
nicht vergessen, daß das Blutopfer mit zu den ältesten Gebräuchen zählt, die uns überhaupt
bekannt sind. So kennen es auf Sumatra z. B. die Kubu, Sakai und Sakit, die zur weddoiden
Urbevölkerung zählen, und deren Vorstellungen von einem Jenseits und einem Fortleben
der ,Ahnenseelen4 vor der Berührung mit dem islamitischen Ideenkreis nur sehr geringe ge-
wesen sind. Forbes (p. 260) erzählt von ihnen, daß sie noch um die Zeit von 1885 ihre Toten
einfach an Ort und Stelle liegen ließen, ohne sich später weiter irgendwie um sie zu kümmern.
Dennoch sollen sie sich quer über die Stirn mit scharfen Gegenständen Wunden beigebracht
1 Marsden p. 387ff.; Warneck (I) p. 71 ff.; v. Brenner (I)
p. 236/37; Junghuhn II, p. 142; Winkler p. 130.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
77
haben und dann das herausfließende Blut auf die Leichen tropfen lassen.1 Kruijt [(I) p. 24],
der den gleichen Brauch von den ihnen nahe stehenden Sakai aufgezeichnet hat, gibt dafür
folgende Erklärung. Durch dieses Opfer an Blut und dem in ihm enthaltenen ,Seelenstoff
soll der Tote bewegt werden, von seinen Rachegelüsten abzustehen und den übrigen Menschen
frei zu geben.
Diese Erklärung scheint mir durchaus dem urtümlichen Denken des Kulturarmen, aus
dem heraus alle diese Opferriten entstanden, gerecht zu werden. An Stelle des Menschen
selbst, den man in allerältesten Zeiten dem Toten als Opfer darbrachte, trat sein Blut. An
Stelle des Menschenblutes trat dann auf noch späterer Stufe das Blut der Opfertiere, das
nach Freud und Robertson Smith gleichfalls Stammesblut sein soll.1 2 Eine solche Annahme
wird auch durch die allgemeinen Untersuchungen von Hartland bestätigt. Er erklärt die
Sitte des Blutopfers mit dem Wunsche, den Verdacht an der Urheberschaft an diesem Tod
mittels Zauberei zu zerstreuen. Als weiteren Grund gibt er an, daß dadurch eine Verbindung
(corporal union) zwischen dem Toten und seinen Hinterbliebenen hergestellt wird. Dies
wird insbesondere von Warneck [(I) p. 9] für die Bataker bekräftigt. Er sagt: „Durch Ver-
mischen von Blut befestigt man Freundschaften und Bündnisse, indem die Beteiligten
dabei tondi austauschen und so sich innerlich nahe treten. Diese Gemeinschaft dürfte in
zweierlei Hinsicht wertvoll und nützlich sein. Blutsgenossen sind auf Grund dieser ganz re-
alen Bindung zu einer Reihe von gegenseitigen sozialen Verpflichtungen angehalten. Hat
man daher mit dem Toten die Blutsgemeinschaft erneuert, so wird sein gefährlicher Ein-
sfluß unmöglich gemacht und ausgeschaltet.
Ferner ist der Ahn schon auf totemistischer Stufe derjenige, von dem alle Fruchtbar-
keit ausgeht, der die Kinderkeime in die Frauen hineinbringt usw.3 Es dürfte daher auch
deshalb wichtig sein, sich mit ihm immer aufs neue in engste Verbindung zu setzen. Daß
diese Annahme durchaus mit dem Denken des Batakers übereinstimmt, soll Warneck
(a. a. O.) erläutern: ,Mit Blut bestreicht man die Hauspfosten, ebenso die Kokospalmen,
damit der im Blut enthaltene tondi sie fruchtbar mache/ Allerdings in Übereinstimmung
mit dem Denken des Kulturarmen dürfte dieses ,Wunder4 weniger durch den tondi, der sich
im Blute aufhält, als vielmehr durch die ganze geschlechtliche Bedeutung des Blutes selber
bewirkt werden.4
6. Leichenschmaus.
Mit den Grabopfern in enger Verbindung steht der Leichenschmaus, der in früheren
Zeiten unmittelbar in Anwesenheit des Toten auf dem Grabe abgehalten wurde, und der
dann oft Tage lang andauerte.5 Der wahre Sinn dieses gemeinsamen Essens wird zweifellos
durch die von Freud gegebene Erklärung getroffen:6 das Band zwischen den Stammes-
genossen soll dadurch erneuert werden.
Daß man gerade in diesem Augenblick besonders das Bedürfnis nach Erneuerung der
Blutsgemeinschaft hat, wird verständlich, wenn man bedenkt, daß Trauerzeiten Zeiten ver-
stärkter Gefahren bedeuten. Denn das Wohl und Wehe, sowie der Friede unter den Stammes-
genossen wurde durch den Tod des Dahingegangenen in höchstem Maße gefährdet. Da es
für den homo divinans keinen natürlichen Tod gibt, so mußte sich einer der ihren am Tode
des Clangenossen schuldig gemacht haben. Für den kollektiv eingestellten Naturmenschen
ist jedoch die Schuld oder die Beleidigung des einzelnen Sache des ganzen Stammes. Daher
hat auch der ganze Stamm für die Bluttat des einen mutmaßlichen ,Mörders4 aufzukommen
und die schlimmen Konsequenzen Zorn und Rache der begus — zu tragen.
1 Moszkowsky p. 102. Winthuis (I) p. 226.
2 Freud (I) p. 183. 5 v- Brenner (I) p. 237; Marsden p. 388ff.
3 Winthuis (I) p. 145«. u. p. 206. 6 Vgl. p. 68.
78
H. HEDENUS
Da der Leichenschmaus in früheren Zeiten unmittelbar am Grabe stattfand, so muß
man ihm wohl auch die Bedeutung zuerkennen, daß der begu des Toten durch die vom
Mahle abfallenden Opferreste besänftigt und in seinen Rachegelüsten an den Hinterbliebenen
entschädigt werden soll.
7. Bestattungsarten,
a) Erdbestattung:
In den Ausführungen des letzten Abschnitts über die Grabopfer mag es den Anschein
haben, als ob die Erdbestattung bei den Batakern die einzige Bestattungsform wäre. Dies
trifft nur im großen und ganzen zu, daneben kommen vereinzelt auch noch andere Arten
vor. So wird z. B. bei der marga Simbiring (Karo) Erdbestattung nur in Sonderfällen an-
gewendet.1
Dieser Unterschied in den Bestattungsformen mag zum großen Teil auf abweichenden
Stammestraditionen oder auf magischen Vorstellungen und Tendenzen beruhen.
b) Plattform- und Baumbestattung:
Im Zentralbatakland kommt unter anderem auch das Beisetzen der Leiche in aus-
gehöhlten Baumstämmen vor.2 Andere Arten der Baumbestattung sind dagegen bei den
Pakpak zu finden. Diese haben im allgemeinen Zweistufenbestattung. Die Leiche wird
zunächst auf einem Gestell ausgesetzt, während man nach einem Jahr — manchmal auch
nach noch längerer Zeit — die übrig gebliebenen Knochen verbrennt und die Asche in ein
weißes Stück Zeug geknüpft an einem Geisterbaum aufhängt. Der Begriff des Geister-
baumes bedarf einer Erläuterung, durch die zugleich diese ganze Bestattungsart verständlich
wird: Nach Vorstellung der Bataker von Nord-West Tapanuli (Pakpak) wohnen die weib-
lichen und männlichen begus der Verstorbenen voneinander getrennt auf zwei großen
Bäumen.3 Auch Wilken berichtet ganz allgemein, daß die , Seelen4 von Durchschnitts-
menschen in den Baumwipfeln hausen,4 während wir von Hagen [(I) p. 6] hören, daß beim
Tode eines Tobahäuptlings der Baum, der mit ihm grünte und wuchs, zur Stunde seines
Todes entwurzelt in den Fluß sank.
Für die animistisch denkenden Bataker bestehen zweifellos Verbindungen zwischen
dem Menschen und fast allen Gegenständen seiner Umgebung, ja an allem, was mit ihm
in Berührung kommt, hat er irgendwie Anteil. Stirbt daher ein Mensch, so ist es keineswegs
verwunderlich, daß auch der Baum, der ihm besonders nahe stand, — sozusagen zum Be-
reiche seines tondi gehörte — gleichfalls vernichtet wird.5
Ganz abgesehen von dieser magischen Bedeutung des Baumes ist er zugleich ein gutes
Versteck, in dem die Leiche vor Tieren oder Feinden sicher ist. Denn würde sie diesen zum
Opfer fallen, so würde sich der begu des Toten sicherlich an den Hinterbliebenen dafür
rächen.
Neben Plattform- und Baumbestattung findet man bei den Karo auch die Sitte, die in
Tücher gewickelte Leiche in einer Art Netz an einem Gerüst aufzuhängen.6 Dieser Brauch
soll zu v. Brenners Zeiten noch ziemlich häufig ausgeübt worden sein. Ob er auch noch heute
vorkommt, konnte Joustra [(I) p. iSzff.] nicht einwandfrei feststellen.
Es ist interessant, daß gerade bei den Karo, deren rassische Abstammung auf ver-
schiedene Ursprünge zurückgeführt wird, keine einheitliche Bestattung herrscht. Wenn man
Vgl. p. 65.
Joustra (I) p. 185.
Joustra (I) p. 166. Nach Moss (p. 157) stehen Plattform-
bestattung und Baumbestattung in den meisten Fäl-
len in einem gewissen Zusammenhang und werden sehr
häufig auch in Austronesien zusammen angetroffen.
4 Frazer (I) p. 169/70; Wilken (I) p. 6.
5 Cassirer p. 115 ff.
6 v. Brenner (I) p. 236.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
79
daher auch mit einiger Sicherheit sagen kann, daß diese verschiedenen Sitten nicht alle
Karosches Stammeseigentum sind, so bleibt doch schwer zu entscheiden, woher die je-
weiligen Bräuche übernommen wurden.
Was nun die Erdbestattung anbelangt, so erwähnte ich bereits, daß sie diejenige Art
ist, die im Batakland am häufigsten vorkommt, und daher auch den Karo schon von ältesten
Zeiten her bekannt sein dürfte. Die Bestattung im Netz ist mir auf Sumatra sonst nirgend
begegnet, und ich kann daher nur annehmen, daß sie besonderes Gut der Karo sein muß.
Anders scheint es mir dagegen mit der reinen Sargbestattung zu sein, die hier in zweierlei
Formen auftritt. Entweder wird der Sarg auf ein 2 23/4 m hohes, mit einem Dach ge-
schütztes Gestell niedergesetzt, was an die Plattformbestattung der Pakpak (p. 40) erinnert,
oder man stellt ihn einfach auf flaches Land hin und errichtet darüber einen Erdhügel, der
durch ein Grabhäuschen oder lediglich ein einfaches Schutzdach vor Verwitterung geschützt
wird. Solche Bestattungsplätze nennt man Kubur. Diese letztere Form der Sargbestattung
findet man auch im übrigen Batakgebiet hier und da verstreut, wie zum Beispiel die eigen-
artigen Steinsarkophage mit den Pferdeköpfen auf Samosir (Insel im Tobameer). Lediglich
der Zug ist neu, daß man über diesem Sarg nicht nur ein Totenhäuschen errichtet, sondern
auch noch eine Art Tumulus darüber aufschüttet, wovon mir bei anderen Stämmen und
Völkern Sumatras nichts bekannt wurde.
c) Feuerbestattung und Pakuluh-Fest.
Soweit es mir bekannt ist, kommt die Verbrennung des Toten, außer für den weiblichen
guru und der Einäscherung der Knochen bei der Zweistufenbestattung der Pakpak, im
Batakgebiet in ältester wie in jüngster Zeit nur bei den Karo vor.
Bei den Karo verbrennt man außer den Kinderleichen manchmal auch die wieder aus-
gegrabenen Knochen, nachdem man zuvor durch ein Medium mit dem begu des Verstorbenen
in Verbindung getreten ist.2 In der Marga Simbiring dagegen müssen alle Leichen verbrannt
werden, wenn man deren begus nicht erzürnen will, so daß diese dann zur Strafe Bauch-
schmerzen, Brechen und ähnliches hervorrufen.
Die Verbrennung findet auf der Karo-Hochfläche unter Anwesenheit zahlreicher Zu-
schauer statt. Der Tote liegt mit dem Gesicht nach unten auf den Scheiterhaufen, Ob es
damit irgendwelche Bewandtnis hat, wird nicht vermerkt, möglich wäre jedoch, daß er
die Herumstehenden dadurch nicht sehen soll. Während die Flammen aufzüngeln, wird
dem Toten von allen Seiten zugerufen: ,Verbrennt rasch, damit euch die Wogen schnell
davonführen !3‘ Die Asche wird dann in Urnen gesammelt und am Pakoeloeh-Fest auf
Schiffchen von Sibraja aus den Lau Biang hinuntergeschickt mit der Bestimmung, nach
dem Geisterland von Sanggarpoera oder Sanggarapi zu treiben.4
Dieses Fest, das Thema zahlreicher Untersuchungen, identifiziert man allgemein mit
dem Hasan-Hoesain-Fest, das zum Andenken an den Märtyrertod des Sohnes des Propheten
Muhamet gefeiert wird. Andere wiederum wie Kruijt [(I) p. 338] nehmen auf Grund der
Untersuchungen von Kern über den drawidischen Ursprung einer Reihe von Bezeichnungen
der marga Simbiring an, daß an diesem Fest die Asche der Toten nach ihrer Heimat in
Vorderindien gesandt werden soll. Der reale Vorgang ist folgender: Alle Asche wird vor
die Abbilder der Toten auf kleine Schiffchen gelegt, die seltsamerweise am Stern des Schiffes
ein Löwenhaupt zeigen.5 Vor jedem Totenbild (gana-gana) wird ein kleiner Mast auf-
1 Neumann (IV) p. 24!!. v. Brenner (I) p. 237.
2 Neumann (IV) p. 28.
3 Interessant ist, daß der Tote hierbei als lebender Leich-
nam sozusagen der Handelnde bei der ganzen Aktion
ist. Er verbrennt sich selber, die anderen assistieren nur.
Auch psychologisch ist diese Verschiebung beachtens-
wert. Denn dadurch wird die Verantwortung für dieses,
für die spätere Existenz des Toten so bedeutsameEreignis
von den Hinterbliebenen auf den Toten selber abgewälzt.
4 de Haan p. 42; Joustra (I) p. 183 ff.
5 Löwen gibt es allerdings in Indien nicht, aber man kennt
dafür schon in frühesten Zeiten Abbildungen.
8o
H. HEDENUS
gerichtet, an den Waffen, Kostbarkeiten und Kleider gehängt werden, die man vor Abfahrt
der Schiffe wieder wegnimmt. Ungefähr zwanzig solcher Schiffchen werden im gleichen
Augenblick abgesandt.1
Es ist offensichtlich, daß man an diesem Fest die Asche nach einem Totenreich schickt,
das wahrscheinlich in der alten Heimat des Stammes liegt. Da als Heimat der Karo Arabien
in keinem Falle in Frage kommt, ist eine Identifizierung dieser Feierlichkeiten mit dem
Hasan-Hoesain-Fest doch etwas gezwungen, besonders da auch der Anlaß zu diesem Fest
ein völlig anderer ist, wie bereits erwähnt wurde. Die Ansicht Kruijts hat dagegen bei weitem
mehr für sich, obwohl auch sie noch nicht endgültig feststehen dürfte, bis nicht der Vergleich
auch anderer kultureller Züge der Karo ein nach allen Seiten hin gesichertes Vergleichs-
material bietet.
d) Kannibalismus.
So wie die Karo in vieler Hinsicht eine Ausnahme machen, ist es auch bei einer weiteren
batakschen ,Bestattungsart4, dem Kannibalismus, der Fall, der bei ihnen nicht Vorkommen
soll.2 Er findet sich dagegen bei allen übrigen Stämmen, und ist dort nach ihren eigenen
sagenhaften Überlieferungen am Anfang des 17. Jahrhunderts zuerst aufgetreten.3 In Wirk-
lichkeit aber, wie v. Brenner [(I) p, zobff.] aus arabischen Quellen nachweist, muß er im
Batakgebiet zumindesten schon im 9. und 10. Jahrhundert bekannt gewesen sein.
Zu Junghuhns Zeiten — ca. 1845 -— war aus dem Kannibalismus, der nach seiner An-
sicht zunächst einmal aus irgendwelchen Rachegelüsten im Kriege entstanden war, schon
seit ziemlich langer Zeit eine stehende Sitte, ja noch mehr: ein Gesetz geworden. Blut-
schande, Ehebruch mit der Frau eines Häuptlings, sowie Landesverrat mußten damit be-
straft werden. Auch Feinde, die bewaffnet in der Nähe des Kampongs angetroffen werden,
unterliegen diesem Adat.
Ein ganz besonderer Fall von Kannibalismus, der für die spätere Beweisführung über
die vermeintlichen Ursachen dieses Brauches nicht unwichtig sein dürfte, wird uns von
Buschan [(II) I, p. 261] geschildert. Es handelt sich um das Verzehren alter Leute, die zu
nichts mehr recht zu gebrauchen sind und dem Stamme nur zur Last fallen. Auch Junghuhn
(II, p. 157) hat wohl davon gehört, meint aber, daß so etwas niemals bei den Batakern vor-
gekommen wäre und nach dem bestehenden Adat als Mord bezeichnet werden müßte. Da
Junghuhn jedoch in seinem Werk eine immerhin stark moralisierende Tendenz verfolgt und
so z. B. das Auffressen von Ehebrechern für eine ,gewisse Keuschheit4 hält, ist seine Ansicht
mit einiger Vorsicht zu behandeln. Es mag dagegen wohl sein, daß dies bereits zu seiner Zeit
durch den Adat verboten war, was aber hindert daran, daß der Brauch dennoch auf noch
früherer Stufe existierte! Außerdem ist diese Sitte bei den Batakern keineswegs einzig da-
stehend, auch die Eskimo haben sie beispielsweise früher gekannt.
Uber den eigentlichen Vorgang, wie er in aller Ausführlichkeit bei Buschan beschrieben
ist, soll nur folgendes erwähnt werden. Zur Reifezeit der Orangen mußten die alten Leute
auf den Baum klettern und sich von da auf die Erde fallen lassen, wo sie von den übrigen
ergriffen und aufgezehrt wurden. Dabei sangen die Herumstehenden: ,Wenn die Frucht
reif ist, fällt sie vom Baum!4
Wenn man nach dem Sinn dieser so seltsamen Sitte fragt, so könnte man zunächst
einmal die ganz reale Last dafür anführen, die die Alten für die Gesamtheit bedeuten. Be-
denkt man jedoch, daß die Bataker schon seit langem ein seßhaftes Volk auf reichem Boden
sind, so dürfte das Motiv, besonders angesichts der großen Bedürfnislosigkeit der Ein-
geborenen, doch nicht recht in Frage kommen.
1 de Haan a. a. O.
2 v. Brenner (I) p. 207; Anderson p. 224.
3 Junghuhn II, p. 23.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
81
Stellt man sich ferner vor, daß nach primitiven Denken geistige Güter eine beinahe
ebenso reale und materielle Macht bilden wie stoffliche, und daß beide zusammen weniger
als Besitz des Einzelnen als vielmehr der Gemeinschaft angesehen werden, so ist noch
folgende Auffassung möglich. Dadurcii daß der Mensch altert und der Körper verfällt,
werden auch seine geistigen Fähigkeiten geschwächt, was nach dem Denken des Kultur-
armen eine Verminderung des Stammesvermögens bedeutet. Man trifft daher Maßnahmen,
um diesem Verluste vorzubeugen. Einen ähnlichen Grund gibt übrigens auch Frazer [(I)
p. 432] für das Töten des Baumgeistes und der zeitweiligen Könige an.
Wenn ich auch hiermit keine endgültige Entscheidung zu treffen wünsche, so möchte
ich doch diese wahrscheinliche Deutung erwähnen.
Außer den bereits erwähnten Anlässen berichtet schon Anderson (p, 224) — um 1820_
daß der Kannibalismus geradezu zur Befriedigung der feinschmeckerischen Gelüste von Häupt-
lingen und Reichen ausgeartet sei. So schreibt er, daß z. B. der Radjah von Tanah Jawa
(Sumatras Ostküste) Bauchschmerzen bekäme, wenn ihm nicht täglich Menschenfleisch vor-
gesetzt würde. Jede andere Nahrung verweigere er. Mag nun diese Nachricht auch über-
trieben sein, so geht doch daraus hervor, daß die Entartungserscheinungen schon so weit
zurückliegen, daß man von den heutigen Batakern kaum mehr eine richtige Deutung
dieses alten Brauches erwarten darf. Obwohl der Kannibalismus trotz strengsten Verbots
von Seiten der Holländer auch noch in den letzten Jahrzehnten hier und da vorgekommen
ist und zu v. Brenners Zeiten — um 1890 — durchaus an der Tagesordnung war.
Dennoch werden uns von den Autoren auf Grund der Eingeborenenaussagen zahlreiche
Erklärungen dafür gegeben. So sagt Warneck [(I) p. 9 u. 21], daß die Menschenfresserei
ursprünglich dem Verlangen entstammen dürfte, den eigenen tondi durch den des anderen
zu bereichern und zu stärken. Diese Deutung scheint mir schon wahrscheinlicher zu sein,
als die viel häufigere, daß es sich beim Kannibalismus um bloße Rachegelüste gegen den
Heimgesuchten handle. Trotzalledem dürfte auch diese Erklärung keine Lösung bringen für
die Gesamtheit der Fälle, in denen Kannibalismus angetroffen wird. Denn warum sollte
man sich wohl gerade mit dem tondi von Ehebrechern, Dieben und Landesverrätern be-
reichern wollen ?
Die Ursachen für diesen Brauch scheinen mir vielmehr auf sozialen Motiven zu beruhen.
Der zum Auffressen Verdammte ist in allen Fällen ein Schädling an der Gemeinschaft, mag
es sich nun um untauglich gewordene alte Leute, um Übertreter der primitiven Gesetze und
Tabus handeln oder auch um harmlose Leute aus fremdem Stamm, die als Feinde von den
Eingeborenen unter die gleiche Kategorie gezählt werden. Um von diesen für alle Zeiten be-
freit zu werden, bleibt nach magischer Anschauung nichts anderes übrig, als sich diese Übel-
täter einzuverleiben. Denn würden sie lediglich hingerichtet, so hätte man nach der An-
schauung des homo divinans erst recht Grund, sich vor ihnen zu fürchten, denn ihre begu
würden dann die ganze Gemeinde mit allerlei üblen Dingen heimsuchen. Daß nun der Ein-
geborene wirklich annimmt, einen Menschen für immer in seiner Existenz vernichten zu
können, indem ein anderes Lebewesen sich diesen einverleibt, beweist folgendes Beispiel:
Wird ein Mensch von einem Tiger oder anderem Raubtier gefressen, so nimmt man an, daß
es mit seinem begu beim Tode dieses Tieres für ewige Zeiten aus und zu Ende sei.1
e) Sonderbestattung anormal Verstorbener.
Ebenso wie der Kannibalismus beruht auch die Sonderbestattung anormal Verstorbener
in der Hauptsache auf sozialen Gründen.
Die Unterschiede solcher Bestattungen von denen gewöhnlicher Sterblicher erstrecken
sich in der Hauptsache meist nur auf einen anders gelegenen Bestattungsort, wozu häufig
1 Neumann (IV) p. 35.
I I Baessler-Archiv
H. HEDENUS
eine große Beschleunigung t und Vereinfachung der ganzen Zeremonie kommt, verbunden
mit verstärktem Abwehrzauber gegenüber den bösartigen begus dieser Toten.
Es wäre falsch, zu behaupten, daß die Bataker jeden außergewöhnlich Verstorbenen
fürchten. Im Gegenteil, man unterscheidet unter diesen zwei scharf getrennte Gruppen. Die
einen, zu denen Kinder, Verunglückte und Gefallene gehören genießen sogar besondere Ver-
ehrung, man erklärt sie daher zu einem djinoedjoeng, einer Art Schutzgeist.1 Aus diesem
Grunde dürften wohl z. B. Zauberlehrlinge häufig sieben Nächte lang hintereinander auf
dem Grab eines Gefallenen oder Verunglückten schlafen in der Hoffnung dadurch sich die
Stärke und die List des Toten anzueignen.1 2
Lediglich Wöchnerinnen und gurus gegenüber hegt man größtes Mißtrauen und ver-
säumt niemals, sich aller nur erdenklichen Vorsichtmaßregeln zu bedienen.
Die Gründe für eine solche Einstellung dürften nicht einfach festzustellen sein, be-
sonders da in der Literatur kaum Angaben für eventuelle Deutungen gegeben werden. Daß
man die Gefallenen achtet, sollte nicht weiter verwunderlich sein. Man ißt sie sogar manch-
mal auf, um sich dadurch in den Besitz ihres Mutes und ihrer Stärke zu bringen.3 Auch die
Verehrung der kindlichen begus läßt sich aus den übrigen Sitten und Gewohnheiten der
Bataker erklären. So werden Kinder z. B. als besonders wirksame Ingredienz für den
Zauberbrei benutzt, der zu allen möglichen Zwecken wie Beseelung der Zauberstäbe usw.
verwandt wird.4 Wie es jedoch zu der besonderen Verehrung von Verunglückten kam, bleibt
mir durchaus unverständlich. Dies steht im Widerspruch zu der Auffassung fast aller übrigen
Kulturarmen, wie Levy-Bruhl [(I) p. 311 u. 319] für eine sehr große Zahl von Fällen nach-
gewiesen, sowie psychologisch begründet hat. Verständlicher ist dagegen das Verhalten
gegen tote Wöchnerinnen und gurus. Diese Frauen sind ein schlechtes Beispiel für die
anderen, denn ,sie haben sich gedrückt*, wie der Bataker zu sagen pflegt. Würde man nicht
dafür sorgen, daß sie durch andere Bestattung von den übrigen Toten getrennt werden, so
könnten sie leicht bei den anderen Frauen durch magische Übertragung ein gleiches Schick-
sal bewirken.5
8. Bestattungsort.
Der Bestattungsort ist keineswegs belanglos für das Denken des magischen Menschen,
Aus zweierlei Gründen gewinnt er für ihn besondere Bedeutung, Zunächst einmal kann das
Wohl und Wehe der Hinterbliebenen und des Toten selber dadurch beeinflußt werden.
Indem man einerseits einen vom Kampong weit abliegenden und schwer zugänglichen Ort
wählt, erschwert man es dem begu, nach diesem zurückzufinden und die Hinterbliebenen zu
belästigen. So disputiert man vor Begräbnissen auch wohl obendrein, wo man den Toten
bestatten solle, begräbt ihn dann aber meist an einem ganz anderen Ort, um seinen begu zu
täuschen.
Andererseits glaubt man, daß alle am gleichen oder wenigstens nahe beieinander-
liegendem Ort bestatteten Toten dadurch auch in ihrer künftigen Existenz befähigt würden,
ein gemeinsames Leben zu führen.6
Trotzdem kennt man keine Friedhöfe in unserem Sinne. Die Gräber befinden sich
außerhalb des Dorfes überall herum verstreut. Im allgemeinen verwendet man wenig Sorg-
falt auf ihre Pflege. Ein einfacher Bambuszaun ist meist das einzige Kennzeichen.7 Findet
man dagegen Gräber, die an den vier Ecken mit weißen Leinwandwimpeln und hölzernen
1 Joustra (II) p. 416.
2 Warneck (III) p. 358.
3 Warneck (I) p. 9.
4 Westenberg p. 236.
5 Interessant ist auch hier wieder die rein materielle Auf-
fassung des begu, des lebenden Leichnams. Allein durch
Absonderung der Leichen gefährlicher Toter nimmt
man an, diese selber für alle Zeiten von den übrigen
(lebenden Leichnamen) trennen zu können.
6 Neumann(IV) p. 25.
7 Junghuhn II, p. 136; v. Brenner (I) p. 235.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
83
Stangen verziert sind, an denen Kinnbacken von Karbauen (Wasserbüffeln) hängen, so
ist dies stets ein Zeichen, daß man vor einem Häuptlingsgrab steht.1 Im allgemeinen be-
stattet man allerdings Häuptlinge innerhalb des Kampongs und zwar meist auf dem Dorf-
platz vor dem sopo (Reisscheuer).1 2 Man errichtet für sie häufig kunstvolle Totenhäuschen,
die einem kleinen Batakerhause gleichen, oder auch nur einfache Schutzdächer sind.3
Die Timur haben dagegen für ihre Fürsten ein gemeinsamesTotenhaus (roemah roemah).
In diesem ,MausoleunT ruhen zugleich die sterblichen Überreste der fürstlichen Frauen und
Kinder, sowie die Masken für das Totenspiel.
Wenn man absieht von der sogenannten Zweistufenbestattung, wäre mit der Be-
schreibung des Bestattungsorts die Darstellung der eigentlichen Bestattungsgebräuche ab-
geschlossen. Da jedoch die Gepflogenheiten der Trauerzeit allgemein mit zu den Bestattungs-
riten gezählt werden und diese allerdings in mancher Hinsicht für deren Deutung wertvoll
sind, soll kurz auch auf das wichtigste dieser Bräuche eingegangen werden.
9. Tabus während der Trauerzeit,
a) Speiseverbote.
Im ganzen Batakgebiet werden den Hinterbliebenen oder zumindesten dem Witwer
oder der Witwe völlige oder teilweise Speiseverbote auferlegt, wie bereits an anderer Stelle
erwähnt wurde.
Es ist viel über den Sinn dieser Verbote geschrieben worden, doch leider auch vieles, das
nicht ganz befriedegend ist. Wenn wir nach den hauptsächlichesten Theorien forschen, so
wäre an erster Stelle die von Tylor (p. 12/ff.) zu nennen. Er bringt die Speiseenthaltung mit
dem in der Trauerzeit häufig auftretendem Gebot zusammen, sich die Haare oder Finger-
nägel abzuschneiden. Nach ihm will man dem Toten dadurch keine Gelegenheit geben, sich
durch die Speisereste oder abgeschnittenen Fingernägel etwas von dem tondi der Hinter-
bliebenen anzueignen, was natürlich sehr zu deren Schaden wäre. Eine ähnliche Erklärung,
nur sozusagen von der entgegengesetzten Seite aus betrachtet, gibt Frazer [(2) p. 92—94].
Er bringt zunächst eine Reihe von Beispielen, denen zufolge die Hinterbliebenen Speise zu
sich nehmen dürfen, wenn diese nicht im Sterbehause selber zubereitet wurde. Frazer zieht
daraus den Schluß, daß Speiseverbote aus dem Grunde bestehen, weil an solchen Speisen
etwas von dem begu (ghost) des Verstorbenen haften geblieben sein könnte. Man würde
also den gefährlichen begu mit den Speisen mit hinunterschlucken, was natürlich durchaus
zu vermeiden ist.
Ohne daß ich im allgemeinen gegen die Erklärungen Tylors und Frazers etwas ein-
zuwenden hätte, so scheinen sie mir doch das ganze etwas zu sehr zu komplizieren. Nimmt
man dagegen mitWinthuis (p. 5—15) an, daß das Denken des Kulturarmen überwiegend
geschlechtlich eingestellt ist, und ferner der Akt des Essens für sie gleichfalls eine solche
Bedeutung hat,4 so kann man doch wohl zu einer anderen Erklärung kommen.5 Die Speise-
enthaltung der Witwe, wie sie uns von Angkola, Silindung und Toba berichtet wird,6 hat
demzufolge vielmehr mit aller Wahrscheinlichkeit den Zweck, die Witwe von einem ge-
1 Junghuhn II, p. 136.
2 Warneck I, p. 76.
3 S. Abbildungen bei v. Brenner (I) p. 234/235.
4 Winthuis (2) p. 222.
5 Da hier leider nicht der Platz dafür ist, die geschlecht-
iche Symbolik des Essens nachzuweisen, kann ich nur
auf die psychoanalytischen Ergebnisse der 1 raum-
forschung von Prof. Freud, Dr. Steckei und anderen
hinweisen. Ferner auf das Buch von Winthuis, das Zwei-
geschlechterwesen, worin er auf p. 222 schreibt, daß
z. B. bei den Gunantuna ein verheirateter Mann nicht
im Beisein der weiblichen Verwandten seiner Frau essen
dürfe, da dies als zu große Vertraulichkeit betrachtet
würde. Der Mann, der sich solches erlaubte, käme in den
Verdacht, geschlechtlichen Umgang mit jenen Frauen
zu haben.
6 Kruijt (I) p. 280.
84
H. HEDENUS
schlechtlichen Verkehr nach dem Tode ihres Mannes für eine Zeit lang zurückzuhalten. Denn
für das identifizierende Denken des magischen Menschen können auch unsere Symbole
höchste Realität erlangen, ja es gibt eigentlich dieses Abstraktum ,Symbol‘ — wie wir es
verstehen -— für den Kulturarmen noch überhaupt nicht. Dies geht klar aus mehreren von
Winthuis [(I) p. 15/16] zitierten Begebenheiten hervor. So muß z. B. ein Mann, wenn er auch
nur im geringsten mit einer Frau in Berührung kommt, die mit den daka-Liebesmitteln
bemalt ist, dieser Frau eine intime Zusammenkunft gewähren. Denn die Bemalung ihres
Gesichts, das er in irgendwelcher Weise streifte, ist nicht symbolisch zu verstehen, sondern
gibt die gewünschten Dinge mit der selben Realität wieder, wie sie auch ihre Vorbilder be-
sitzen.
Diese Deutung stimmt auch gut überein mit dem tatsächlichen Verbot der Wieder-
verheiratung der Witwe, bis nicht eine gewisse ,Trauer-Periode* abgelaufen ist. Sie decken
sich ferner mit den Aussagen zahlreicher kulturarmer Völker, wonach bestimmte Speisen
während Tabu-Perioden deshalb gemieden werden, weil von ihnen eine sexuell erregende
Wirkung ausgehen soll.1 Also auch hier bei den Einzelverboten gewisser Speisen soll wiederum
der geschlechtliche Verkehr verhindert werden.
Diese Erklärungen mögen zunächst etwas überraschen, da meines Wissens bisher in der
indonesischen Literatur darüber nichts angegeben worden ist. Wenn man jedoch bedenkt,
daß diese Quellen hauptsächlich von Missionaren, hochgestellten Beamten der Nieder-
ländisch-Indischen Regierung und von Forschungsreisenden stammen, die in kürzester
Zeit Material für hunderte von Dingen zugleich sammeln mußten und wollten, so dürfte dies
kaum verwundern. Denn der Eingeborene ist nach Aussagen der überwiegenden Mehrzahl
der Forscher nur zu gern bereit, dem Weißen das zu sagen, was er hören will. Zudem weiß er
sehr wohl in den meisten Fällen, daß unseren moralischen Begriffen derartige Interpretationen
zuwiderlaufen und daher zu befürchten ist, daß er sich mit einer wahrheitsgemäßen Dar-
stellung seiner Riten und Kulte in seiner Einschätzung und Bewertung schaden könnte.
Auch diese Tatsachen werden immer wieder in dankenswerter Weise von Winthuis hervor-
gehoben.
b) Verbot der Wiederverheiratung.
Daß tatsächlich ein Verbot des geschlechtlichen Verkehrs nach einem Sterbefall be-
steht, ist wohl bezeugt. So gibt Joustra [(I) p. 189] an, daß diese Zeit für die Batakerwitwe
im großen und ganzen ein ,Reisjahr* dauern dürfte. Erst nach dieser Zeit wird ihr eine
Wiederverheiratung erlaubt.
Es bleibt lediglich die Frage offen, warum mit ziemlicher Einstimmigkeit bei so vielen
Kulturarmen diese Verbotsschranken errichtet wurden. Daß auch hier in erster Linie keine
moralischen Gründe dafür angenommen werden dürfen, scheint sich mir bereits aus der
Tatsache zu ergeben, daß dieser Brauch schon auf primitivster Kulturstufe vorkommt, wie
auf Sumatra z. B. bei den Kubus.2 Ich möchte daher hierfür folgende Motive annehmen. Da
die Witwe ebensogut zu dem Eigentum des Toten zählt wie dessen Acker oder Vieh, wurde
sie in noch früherer Zeit ihm einfach mit ins Grab gegeben. Denn nach identifizierendem
Denken, dem fast alle Grenzen und Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt fremd sind,
gehört der Besitz des Toten fast ebenso sehr zu diesem selber wie seine Arme und Beine,
seine Haare und seine Nägel. Zum mindesten ist all dies stark von ihm infiziert. Ein Ver-
kehr mit der Witwe in derZeit, wo der lebende Leichnam noch existiert, hieße daher sich
mit dem gefährlichen Toten selber in Berührung bringen. Gerade das aber soll durch das
komplizierte Ritual der Totengebräuche vermieden werden. Daher muß sich auch die Witwe
während der Trauerzeit häufig in den Busch zurückziehen, damit auf jeden Fall die ge-
1 Reik p. 102. 2 van Dongen (I) p. 235 ff.
MB
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE 85
fährliche Begegnung mit ihr vermieden wird.1 Allerdings hat diese vollkommene Abge-
schlossenheit der Hinterbliebenen von den übrigen Dorfgenossen auch noch einen anderen
Grund. Sie wollen sich vor dem Toten verbergen, damit er sie zur Stillung seiner Rache-
gelüste nicht zu finden vermag. So schreibt Kruijt [(I) p. 280], daß die Witwe vor dem begu
häufig in ihr Elternhaus ,fliehe*.
Zur weiteren Stützung meiner Deutung dient auch folgender Brauch der Toba-Batak.
Bei ihnen dürfen Leidtragende eine Woche lang nach der Bestattung von ihren Dorf-
genossen nichts erbitten und auch keine Geschenke mit ihnen austauschen. Ferner ist es
Ehemännern, deren Frauen ein Kind erwarten, nicht einmal erlaubt, das Begräbnis ihrer
eigenen Verwandten zu besuchen, da sonst Frau und Kind bei der Geburt sterben würden2.
Was dieses letztere Beispiel anbetrifft, so dürfte dem Psychoanalytiker darin wohl
außer dem magischen Motiv der Vermeidung der Übertragung der gefährlichen Ansteckungs-
keime des Toten auf die Überlebenden auch noch vor allem die ambivalente Gefühlsein-
stellung der Menschen an sich auffallen, deren negativen Seiten durch dieses Verbot ein
Riegel vorgeschoben werden soll. Nicht nur daß die Schwangerschaft dem Mann gewisse
Beschränkungen auferlegt, sondern auch das zu erwartende Kind verlangt von ihm in mehr
als einer Beziehung Opfer aller Art. Denn er wird von nun an die Liebe und Fürsorge der
Mutter mit dem Kinde teilen müssen und mit ansehen,-wie dieses oft die besten Kräfte
seiner Frau für sich allein in Anspruch nimmt. Es kann daher keineswegs verwundern, daß
trotz aller Freude über den künftigen Nachkommen in seinem Unterbewußtsein auch Ten-
denzen wach werden, die auf Beseitigung dieses Eindringlings drängen, die der Frau zürnen,
daß sie ihm durch die Mutterschaft z. T. die Befriedigung der eigenen Wünsche unmöglich
gemacht hat. Daß solche unbewußten Wünsche natürlich gerade in dem Augenblick akut
zu werden pflegen, wo sich an einem anderen erfüllt, was man unbewußt im geheimen einem
bestimmten Menschen zugedacht hatte, ist eine alte Tatsache, und ich weise dafür nur auf
die verständnisvollen Ausführungen Zulligers hin.3 Es ist daher sehr möglich, daß man zur
Vermeidung der Bewußtwerdung dieser ambivalenten Triebe, instinktmäßig das besagte
Tabu errichtete.
sein
c) Namenstabu.
Ebenso wie die Frauen und die übrigen Besitztümer des Toten tabu sind, ist es auch
Name. Allerdings ist mir in der Literatur über das Batakgebiet nur die Vermeidung der
Namensnennung des Toten selber, sowie der Ausdrücke für Sterben aufgefallen. So gebraucht
man allgemein mehr oder minder euphemistische Umschreibungen für den Toten; nie würde
man ihn bei seinem eigentlichen Namen nennen. Die Bataker von Padang Lawas, die ja
aus Toba und Silindung stammen sollen, sagen beispielsweise für sterben: ,Er ist nach Toba
gegangen!*4 Ob bei ihnen auch Namensänderung der Hinterbliebenen im Sterbefall eintritt
wie bei den Mentaweiern,5 konnte ich nicht mit Sicherheit ermitteln, nehme es aber an da
die Bataker auch sonst häufig bei allerlei Anlässen wie Kindsgeburt, Krankheit usw ihren
Namen wechseln.6 Leider ist auf alle diese feinen Nuancierungen in den Sitten und Gebräu
chen trotz der wissenschaftlichen Genauigkeit der holländischen Gelehrten wenig geachtet
worden. So ist es ein ziemlicher Unterschied, ob es sich nur um Vermeidung des Totennamens
(Batak) oder um seine Neu- und Umbenennung handelt (Engano),7 um Namensä d
der Hinterbliebenen für kurze oder längere Zeit oder auch für immer (Mentawei) um Namens”
tabu für Wörter, die mit dem Namen des Toten ähnlich klingen (China) oder um Auf
1 0. L. Helfrich „De Eilandgroep Engano“, T. A. G. 5 Kruijt (2) p. 57.
(1888) p. 312. 6 Warneck (I) p. 124.
3 ^]fer P-/.1- ... 7 A- c- Oudemaus, „Engano“, zijne Geschiedenis, Be-
Zulhger s. Literaturverzeichnis. vvoners, en Voortbrengselen, T. A. G (1880) Deel VI
4 Joustra (I) p. 187. ■ ■ \ yj
86
H. HEDENUS
erstehung des Totennamens nach Beendigung der Tabuperiode in seinen Enkelkindern
(Nias).1
Wollte man daher die Bedeutung des Namenstabu speziell bei den Batakern genau
kennen lernen, so müßte man unbedingt zuvor wissen, wie sie sich zu all diesen Einzel-
möglichkeiten verhalten. Ohne diese Feststellungen ist jede Deutung müßig.
d) Trauerkleidung.
Erfreulicherweise liegt über die Trauerkleidung bei weitem mehr Material vor als zu
dem Thema des letzten Abschnittes.
Kruijt [(I) p. 279/80] und M. Collet (p. 367) berichten, daß bei allen Batakerstämmen
während der Trauerzeit eine besondere Bedeckung des Kopfes stattfindet — übrigens das
Kennzeichen der Trauerkleidung auf ganz Sumatra —, ferner daß man in möglichst zer-
rissenen und beschmutzten Kleidern einhergeht und sich auch wohl die Stirn schwärzt wie
bei den Karo,1 2 desgleichen hält man sich von allen Festlichkeiten fern. Nach Collet erstreckt
sich diese besondere Kleidung nicht nur auf die Witwe, sondern auch auf die Eltern des
Verstorbenen. Von den Toba hören wir bezüglich der Kopfbedeckung noch etwas genaueres3.
Der Witwer schneidet sich dort im Trauerfall die Haare ab, — nach Wilken [(II) p. 75—77]
ein verkapptes Menschenopfer — während sich die Witwe den Kopf mit einem Kleid oder
Tuch bedeckt. Sie legt ferner allen Schmuck ab und klagt sieben Nächte lang. Nach Ablauf
dieser Friest werden ihre Verwandten zum essen geladen, wobei sie ihr Reis auf den Kopf
streuen4 und sagen: ,Du sollst nie wieder Witwe werdend Dieser Brauch, einem Menschen
Reiskörner zur Abwehr gegen die bösen Geister auf den Kopf zu streuen, ist eine Sitte, die
die Bataker häufig bei der Bewillkommnung von Leuten ausüben, die von weiten und ge-
fährlichen Reisen zurückgekehrt sind, diese Anwendung ist übrigens für unsere spätere
Deutung nicht belanglos.
Uber den Sinn dieser Bräuche ist sehr viel geschrieben worden, da sie von allgemeinster
Bedeutung sind und sich sogar auch bei uns erhalten haben. Das Verständnis der urtüm-
lichen Bedeutung solcher alter Sitten wird allerdings meist erschwert, wenn sich ähnliches
auch im Schlosse unserer eigenen Kultur vorfindet. Denn wir sind dann nur zu geneigt,
diese mit Hilfe unserer eigenen ethischen Anschauungen zu interpretieren. Allein die Zu-
sammenfassung dieser ganzen Vorschriften unter dem Begriff ,Trauergebräuche4 ist ein
wenig irreführend.5 Denn die Trauer steht dabei keineswegs im Mittelpunkt, mag sie auch
in jedem Einzelfall noch so ehrlich empfunden werden.6 Es handelt sich vielmehr um eine
Verbindung zwischen Tabuvorschriften und Abwehrmaßregeln gegen den gefährlichen
,Geist4 des Verstorbenen.
Damit übereinstimmend lautet die allgemeine Erklärung dieser Sitte dahin, daß die
Hinterbliebenen sich durch die Trauerkleidung vor dem Toten unkenntlich machen wollen
und ihn auf diese Weise irreführen, so daß er sie nicht herausfinden und belästigen kann7.
Damit wird jedoch noch keineswegs erhellt, warum man meist gerade einige Körperteile
wie Kopf und Haar besonders schützt oder wie auf Engano zum Zeichen ,der Trauer4 gar
keine Kleider trägt, und ferner warum man sich im allgemeinen gerade schwarz färbt — also
mit der Farbe des begu.8 Wenn man alle diese Einzelzüge zusammen betrachtet, muß man
wohl zugeben, daß die obige Deutung zum mindesten noch der Erweiterung bedarf.
Wie ich bereits erwähnte,9 bedeutet das Haaropfer auf Sumatra ein verkapptes Men-
schenopfer. Auch die Kopfbedeckung soll lediglich den Zweck haben, in der ,Trauerzeit4 das
1 Camerling p. 172.
2 Kruijt (I) p. 240.
3 Kruijt (I) p. 279/80.
4 Reis als Abwehrmittel gegen die bösen Geister ist in
ganz Ost- und Südost-Asien bekannt.
5 Frazer (II) p. 99.
6 Snellemann p. 824; „Het zal noodig zijn zieh te ontdoen
van de idee, dat rouwen treuren is.“
7 Collet p. 367; Frazer (II) p. 99; Kruijt (I) p. 388.
8 Kruijt (I) p. 239.
9 S. Wilken (II) p. 75 ff.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
87
eigentlich zu opfernde Haar vor dem rachsüchtigen Begu zu verbergen,1 Wenn man ferner
bedenkt, daß es gerade zerrissene Kleider sind, die man in dieser Zeit trägt, so erinnert das
an den Brauch, alles, was dem Toten zum Opfer dargebracht wird, zu zerbrechen und zu
zerstören.2 Man hätte also auch hier wiederum m. E. zu konstatieren, daß es sich um ein
verkapptes Menschenopfer handelt. Auch der Brauch der Enganesen während der Trauer-
periode gar keine Kleider zu tragen und nur den Kopf mit einer Art phrygischer Mütze aus
Palmblättern zu bedecken, braucht dieser Deutung nicht zu widersprechen. Denn noch bis
um 1888 brachte man den Leichnam vielfach ohne jegliche Bedeckung irgendwohin bei-
seite.3 Das kleiderlose Herumgehen der Enganesen dürfte daher also tatsächlich den Zustand
des Toten nachahmen. Diese Bedeutung der Schwarzbemalung ist in gleicher Richtung zu
suchen. So sagt Tylor einmal, als er wegen der Bedeutung der schwarzen Farbe der Trauer-
kleidung befragt wurde: ,1t simply refers to the dead passing from day into night.‘4 Auch er
hält also das Schwarze für ein Charakteristikum des schattenhaften Daseins des Toten. Da
man sich ferner in Indonesien vorstellt, daß der tondi beim Tode durch ein Loch im Kopfe
entweicht — weshalb man den zu opfernden Menschen oder Tieren zuvor ein wenig Haar
abschneidet5 — liegt es nicht allzu fern, auch den schwarzen Punkt, den sich die Karo auf
die Stirne malen, mit einem solchem Loch zu identifizieren. Wäre dies wirklich der Fall, so
offenbaren sich also auch in der Schwarzbemalung Reminiszenzen an ehemals blutigere
Zeiten.
Faßt man die Bedeutung aller dieser Einzeldaten zusammen, so ergibt sich, daß die
Trauerkleidung weniger ein Mittel ist, um sich damit vor demToten unkenntlich zu machen,
als vielmehr ein Anklang an eine ehemalige Opferung des ganzen Menschen zur Stillung des
Zorns des rachsüchtigen begus.
10. Zweistufenbestattung.
Nach der Besprechung der wichtigsten Trauergebräuche, die sich meistenteils der
ersten Bestattung anschließen — mag diese nun eine vorläufige oder eine endgülti e
sein — soll näher auf die Zweistufenbestattung — die Sonderbestattung von Schädel und
Knochen — eingegangen werden. Erst nach ihr enden die Verpflichtungen der Hinterblie-
benen gegenüber dem Toten. Denn solange die Knochen noch nicht von den weichen Teilen
befreit sind, lebt der Tote noch mitten unter den Zurückgebliebenen (lebender Leichnam)
und bedarf ihrer ständigen Pflege. Daher hat man die Feier der Zweistufenbestattung auch
wohl mit der symbolischen Darstellung des endgültigen Eingehens der , Seele’ in das Toten-
reich erklärt.6 Demzufolge dürfte für das magische Denken auch erst dann das eintreten, was
wir begrifflich denkenden Menschen mit Tod und Sterben bezeichnen. Erst wenn de/ tote
Leichnam vernichtet ist, ,stirbt4 der Mensch, d. h. er gehört nicht mehr zu dieser Welt. Daher
ist auch erst mit der ondas godang (Knochenbestattung) die Aufnahme des Toten unter die
Ahnen verbunden,7 was man symbolisch dadurch auszudrücken pflegt, daß man seine Ge-
beine häufig an einem der Ahnenverehrung geweihten Ort bestattet.8
Die ondas godang ist daher ein Fest, bei dem es hoch hergeht, wobei man sozusagen
wieder erleichtert aufatmen kann, denn damit finden alle Beschränkungen die der Tod
dieses Stammesmitgliedes mit sich brachte, ein Ende. Der Tote gehört von nun an zu den
Ahnen, und genießt meist nur noch als solcher gewisse verehrende Fürsorge, seine einstige
Individualität jedoch wird mit diesem Zeitpunkt so gut wie ausgelöscht
1 Kruijt (I) p. 388.
2 S. p. 76.
3 S. Anm. 1 p. 85.
4 Snellemann p. 828.
5 Wilken (II) p. 77.
6 Rappard p. 572.
7 Winkler p. 131.
8 Warneck (II) p. 148
88
H. HEDENUS
Dieses Fest wird meist erst nach ein bis zwei Jahren gefeiert und dauert dann eine
Woche, kann aber auch möglicherweise auf drei Monate ausgedehnt werden.1 An manchen
Orten besteht es lediglich aus der einfachen Beisetzung der gereinigten und gesalbten
Knochen, die bei den Karo nicht bestattet, sondern häufig verbrannt werden,2 an anderen
Stellen des Batakgebiets ist es dagegen auch nicht selten verbunden mit der Einsetzung von
einem oder mehreren begus zum sombaon (Verehrungswürdigen). Das Eintreten des letzteren
Falles hängt davon ab, ob sich bei dieser Gelegenheit begus bereits früher Verstorbener ver-
nehmen und durch Medien diesbezügliche Wünsche kund werden lassen.1 Aus diesem Grunde
spielt die sibaso beim ondas godang eine wichtige Rolle.
Eine solche Verschmelzung von anscheinend zwei ganz verschiedenen Festanlässen,
mag zunächst überraschen, ist aber durchaus berechtigt. Allerdings scheint mir die hierar-
chische Abstufung der begus, die sich durch ihre Erklärung zum sumangot (zweithöchste
Stufe der Ahnengeister3 oder sombaon (höchste Stufe der Ahnengeister)4 5 ergibt, jüngeren
Datums zu sein, und sich erst aus Gebräuchen des ondas godang entwickelt zu haben. Denn
bei diesem Fest holt man nicht nur die Gebeine des Toten aus dem sopo (Reisscheuer) ab oder
gräbt sie von neuem aus dem Boden, sondern man tut gleiches auch mit den Knochen der
Vorfahren des Häuptlings. Da nun bei den Batakern die Knochen an sich schon als Kontak-
mittel für den Verkehr mit den Abgeschiedenen benützt werden,6 erklärt es sich, daß durch
die Berührung der alten Häuptslingsknochen auch deren begus herbeigerufen werden.
Nach dem Ausgraben oder sonstigem Herbeischaffen der Knochen begibt man sich in
den Wald, um dort unter Hersagen vieler Heilswünsche für den Toten und Darbringung
eines Opfers den Opferpfahl feierlich auszusuchen, an dem das Opfertier (Büffel, Pferd oder
Schwein) sterben soll. Der Pfahl wird dann später auf dem Dorfplatz errichtet und mit Grün
geschmückt. Am oberen Ende wird er etwas ausgehöhlt und ein Maß Reis und zwei Opfer-
kuchen (sagusagu tamba tua) in die Vertiefung getan, die dann mit Motungblättern (Ficus
toxicaria L.) bedeckt und zugebunden wird. Einer dieser Opferkuchen (tamba tua — Glücks-
mehrer, Glücksbeschwerer) wird später unter die Festteilnehmer verteilt, während der
andere aufgehoben wird als kräftige Zaubermedizin gegen die Unfruchtbarkeit der Frauen7.
Ist das Tier an dem Opferpfahl festgebunden, so tanzt man unter Musik mit den Schädeln
der Häuptlinge um den Pfahl.8 Die Musik soll dabei ausschließlich dem Opfertier gelten und
als Geleit seiner , Seele* nach dem Jenseits bestimmt sein. (!) Das Tier wird dann gespeert
und sein Fleisch an alle Festteilnehmer verteilt.9
Dies wäre in großen Zügen der Hergang des ondas godang, wie es uns sowohl in früherer
als auch in ganz moderner Zeit bezeugt wurde.10 Bevor noch eine besondere Abart dieses
Festes besprochen werden soll, will ich eine Ausdeutung der einzelnen Züge versuchen.
Zunächst wäre nach der Symbolik des Opferpfahls (borotan) zu fragen, auf dessen Ein-
bringung man soviel Sorgfalt verwendet, und der die Opferkuchen, die in seiner oberen Aus-
höhlung liegen, derart Fruchtbarkeit erregend macht, daß sie zu ihrer Wirkung nicht ein-
mal mehr der Zaubersprüche des datu (Medizinmannes) bedürfen. Dieser Zug wird aus-
drücklichst von Winkler (p. 131/32) als auffallend und einzigartig hervorgehoben. Er ver-
anlaßt mich Winthuis Entdeckung des Zweigeschlechterwesens als mystischen Eingangs-
und Ausgangspunkt aller Riten und Kulte heranzuziehen. Obwohl ich seinen Verallge-
1 Winkler p. 131.
2 Warneck a. a. O.
3 Joustra (I) p. 184.
4 Warneck (I) p, 129.
5 Warneck (I) p. 128.
6 Warneck (I) p. 14.
7 Der Opferkuchen, der unter die Menge verteilt wird,
nachdem das Blut des Opfertieres geflossen ist, dürfte
in seiner Symbolik gewisse übereinstimmende Züge mit
der Oblate des heiligen Abendmahls zeigen, wie be-
sonders noch aus den späteren Ausführungen hervor-
gehen wird.
8 Wilken (III) p. 9.
9 Winkler p. 131/32.
10 Wilken a. a. O.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BE SPALTUNGSBRÄUCHE
89
meinerungen über die Bedeutung dieses hermaphroditischen Wesens für die religiösen Vor-
stellungen der Kulturarmen nur mit Vorbehalt zustimme. Ich fasse daher diesen Grün be-
kränzten1 batakschen Opferpfahl mit dem Loch, der Aushöhlung,2 an seinem oberen Ende
als ein solches zweigeschlechtliches Symbol auf. Auch in dem Tanz, der rings um diesen
Pfahl ausgeführt wird, möchte ich in Übereinstimmung mit einem sehr ähnlichen Beispiel
von den Weddas auf Ceylon, das von Winthuis ausgedeutet wurde, die gleiche Bedeutung
sehen. Winthuis identifiziert [(I) p. 233] den in der Mitte stehenden Pfahl (bei den Weddas
Pfeil) ohne Bedenken mit dem Phallos, während der Kreis, der durch die Tanzenden ge-
bildet wird, die dem entsprechende geschlechtliche Bedeutung erhält.
Es ist mir natürlich leider nicht möglich, hier darauf einzugehen, was die Kulturarmen
zu der Verehrung dieses Zweigeschlechterwesens führte. Ich muß dafür schon auf das be-
kannte Buch des Pater Winthuis selber hinweisen. Zusammenfassend kann nur gesagt
werden: das Zweigeschlechterwesen bedeutet den ungeteilten Urgrund alles Seins, aus dem
alle Schöpfung entstand und mit dem verbunden zu sein, soviel bedeutet als wie das
ewige Leben zu haben.
Diese Deutung- des Opferpfahls wirft ferner ein Licht auf die symbolische Bedeutung
des Opfertiers. Denn ganz abgesehen von den Erwägungen Freuds (p. 55), der das Opfer-
tier mit dem Urvater — in unserem Falle dem Toten — identifiziert, ergibt sich aus der
ganzen Situation, daß es vor allem der Tote sein muß, der hier mit dem mytsischen Zwei-
geschlechterwesen in Verbindung gebracht werden soll, um ihm einerseits eine künftige
Fortexistenz zu sichern und ihn andererseits als kommenden Spender der Fruchtbarkeit zu
qualifizieren. Hätte dagegen der Büffel3 nicht diese Bedeutung, so wäre nur schwer zu be-
greifen, warum sich bei einem Fest, dessen Anlaß die endgültige Bestattung der Gebeine
eines angesehenen Toten ist, alles einzig und allein um einen Büffel dreht. Die Musik ist für
ihn, der Tanz bewegt sich um ihn, ja das ganze Fest trägt seinen Namen nach ihm und dem
Opferpfahl: ondas na mangaliat tu borotan (Fest der Leichenmusik, die sich um den Opfer-
pfahl bewegt).4 Durch dieses Opfer des Büffels werden nicht nur die Bande der ,Kinship‘
erneuert und gestärkt, sondern in Verbindung mit der Symbolik des Opferpfahls und des
Kreistanzes der Männer mit den Schädeln der ehemaligen Häuptlinge auch zugleich die
Fruchtbarkeit des Stammes gewährleistet.
Daß gerade die Schädel der früheren Häuptlinge dabei eine gewisse Rolle spielen, ist
nicht so ganz ohne Bedeutung, wie es anfangs aussehen möchte. Diese Schädel der Ahnen
sollen assistieren und den neuen Genossen in Empfang nehmen, wenn man feierlich einen der
ihren mit Hilfe des Rituals unter die Reihe der Vorfahren aufzunehmen trachtet.
Dieses eigenartige Fest wird bei ganz feierlichen Anlässen besonders ausgestattet, und
diese Variante auch noch für die heutige Zeit als gebräuchlich bezeugt.5 Sie besteht darin,
daß man Ahnenschädel in beliebiger Anzahl zur Herstellung von ,medjan‘ verwendet.6 Dies
sind bewegliche Gliederpuppen (sigalegale) von halber Menschengröße, denen man den
1 Winthuis (I) p. 13.
2 Winthuis (I) p. 148.
3 Früher muß das Opfertier wahrscheinlich stets ein
Büffel gewesen sein, der erst später wegen der zuneh-
menden Knappheit dieser Tiere durch anderes wie
Pferde oder Schweine ersetzt worden ist. Denn der
Büffel hat für den Bataker eine ganz besondere Bedeu-
tung, die noch in totemistische Zeiten herabzureichen
scheint. So hören wir von v. Brenner ((I) p. 78) daß bei
einem Fest der Karo ein Medium seine Aussagen durch
folgende Sätze einleitete: „In der Welt ist alles umge-
kehrt, denn die Menschen sind eigentlich Büffel, und die
Büffel von rechtswegen Menschen!“ Wenn man auch
eine solche einmalige Aussage nicht überschätzen darf,
so ist doch schon allein die geistige Einstellung, die sich
darin ausdrückt, kennzeichnend und aufschlußreich.
4 Winkler p. 133.
5 Winkler a. a. O.; Wilken (III) p. 10.
6 Man darf dieses Fest nicht verwechseln mit demjenigen,
das die Toba-Batak für reiche Leute zwei Monate nach
derem Tode feiern, wenn diese starben, ohne einen männ-
lichen Erben zu hinterlassen. Denn bei dieser Gelegen-
heit wird ebenfalls eine hölzerne Puppe (sigalegale), die
die Züge und Kleidung des Toten trägt, an Fäden rhyth-
misch bewegt, während Eltern und Brüder des Toten
am Tanze teilnehmen. Zuletzt, nachdem noch Opfer-
tiere geschlachtet wurden, wird das Bild erschossen und
weggeworfen. (Warneck (I) p. 108; Joustra (I) p. 185).
12 Baessler-Archiv
90
H. HEDENUS
Schädel eines Toten aufsetzt. Diese Schädel werden dazu eigens aufgeputzt. Die fehlenden
Fleischteile werden durch einen Brei aus Reismehl und Baumwollfasern ersetzt, die Zähne
mit Ruß geschwärzt (!) und das Gesicht mit Eigelb gefärbt. (!) Die Augen werden durch
Bleistücke angedeutet, während man ihnen ferner eine Frisur aus aufgeklebten Pferde-
haaren macht, über die ein Kopftuch gebunden wird. In die hölzernen Ohren steckt man
Ohrringe aus Gold. Diese Figuren werden dann in einem Karren um den Opferpfahl herum-
gefahren, indem ein Mann dabei hinterhergeht und sie an Schnüren derartig bewegt, daß sie
die Gesten eines batakischen Tänzers nachzuahmen scheinen.
Im Grunde genommen ist die Zeremonie die gleiche wie bei der zuerst angeführten ein-
facheren Art des ondas godang, nur daß hier nicht die männlichen Flinterbliebenen mit den
Schädeln tanzen, sondern die Ahnen persönlich auf treten. Auch der Abschluß dieser Fest-
lichkeiten ist in beiden Fällen der gleiche. Die Gebeine werden alle gemeinsam in einem
Grabe in der Nähe des Dorfeingangs beigesetzt, kommen wohl auch in einen steinernen
Sarkophag, der mit stilisierten Tierköpfen (batu gadju) verziert ist, oder in einen sopo
pasogit, ein Knochenhäuschen im Stile der batakschen Reisscheuern.1
Trotzdem haben die Gebeine und Schädel der toten Häuptlinge auch dann noch nicht
ihre letzte Ruhestätte gefunden, sondern werden immer wieder bei großen Bestattungen
(ondas sitasita) oder in Zeiten der Not (ondas saem) ausgegraben und gefüttert. Da dies
jedoch bereits zum eigentlichen Ahnenkultus gehört, kann ich mich hier nicht näher darauf
einlassen. Hervorheben möchte ich dagegen noch einmal, daß von den Batakern wie auch
fast allen übrigen indonesischen Völkern dem Schädel als Sitz des tondi größte Zauberkraft
zugesprochen wird, und man ihn daher in jeder Weise verehrt. Fast in allen bales (Häupt-
lingshäusern) finden sich davon eine ganze Reihe unter dem Dach, die als besonderes Zeichen
der Macht und des Reichtums des Besitzers gelten.
Nach dieser Darstellung der Bestattungsgebräuche der Bataker soll nunmehr vor
allem auf die der Niasser eingegangen werden. Da sie ihnen kulturell und auch rassisch
nahestehen, dürfen wir hoffen, dadurch für manche nicht ganz befriedigende Erklärung
gewisser Batakgebräuche bei ihnen ergänzende Vorstellungen zu finden, die unser Bild von
ihrem speziellen Denken und Leben, sowie dem des Indonesiers überhaupt, noch weiterhin
vervollständigen.
C. NIAS.
I, Allgemeine historische, wirtschaftliche und politische Einführung.
Die Bevölkerung der Insel Nias wird im allgemeinen zu den Alt- oder Protomalaien
gezählt. Eine Ausnahme davon bilden die Toala, bei denen Weddoide Elemente nachge-
wiesen wurden.2 Nach Junghuhn (II p. 9) und anderen Forschern sollen die Niasser den
Batakern nahe stehen, was auch geographisch verständlich ist, da sie von deren Wohn-
sitzen nur durch eine schmale Meeresstraße getrennt sind. Diese Verwandtschaftsbeziehungen
drücken sich auch in ihren Mythen aus, nach denen ihre Urmutter ein Mädchen aus Suma-
tra (Batakland) sein soll. Es wurde von ihrem Vater verstoßen, weil es bereits vor der Ehe
ein Kind bekam. In einem kleinen Boot trieb es bei Udjong-Badok auf Nias an.3 Auch die
alte Bezeichnung Nias oder Batu-Inseln dürfte auf gewisse Verbindungen zwischen den
beiden Völkerschaften hinweisen.
Der Sinn dieser Zeremonie ist nicht leicht zu verstehen. vor nicht noch so viele komplizierte Anstalten zu treffen.
Denn wenn durch Erschießen und Wegwerfen des Ab- 1 Winkler p. 133; s. auch die Abbildungen bei v. Brenner
bildes des 1 oten einfach bezweckt werden sollte, diesen (I) p. 234, 235 und 237.
für immer zu vernichten, da er der obersten Pflicht der 2 Camerling p. 12 ff.
Gemeinschaft nicht entsprochen hatte und für einen 3 Andree p. 83.
Nachkommen gesorgt, so brauchte man doch wohl zu-
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
91
Im allgemeinen ist der Süden reineren Blutes als der Nhrden, der unter anderem auch
stark unter Atchinesischen Einfluß steht. Äußerlich unterscheiden sich die Niasser allerdings
ziemlich stark von den Malaien und weisen ,mongoloide Züge mit Hindubeimischung1 2 3 4 auf.1
Eine derartige allgemeine Angabe für ein Gebiet von 4000 qkm mit einer schätzungsweisen
Einwohnerzahl von 135000 Köpfen (1914)2 will natürlich nicht viel besagen und ist auch
für unsere Betrachtungen nicht weiter wichtig. Worauf es für uns dagegen in der Hauptsache
ankommt, ist der Unterschied zwischen Nord und Süd, der sich auch in kultureller und reli-
giöser Hinsicht ausdrückt. Wie wir häufig sehen werden, trifft man im Norden von Nias
auf andere Sitten und Gebräuche als im Süden. Allerdings sind die Unterschiede meist nicht
sehr groß, sondern man hat es im Süden oft nur mit einer primitiveren Stufe eines im
Norden ebenfalls noch vorhandenen Brauchs zu tun.
2. Seelenvorstellungen.
Die Seelenvorstellungen auf Nias sind weit komplizierter als im Batakgebiet. Nicht nur
daß von den Autoren darüber die verschiedensten Traditionen berichtet werden, auch inner-
halb dieser Überlieferungen selbst ergeben sich eine Reihe von Widersprüchen und Ver-
wickelungen. Diese mögen z. T. darauf beruhen, daß gerade Nias an der Straße der großen
Wanderungen liegt, die in der Hauptsache an der Westküste Sumatras entlang nach dem
Pazific gingen und auf die ganzen dortigen Gebiete nicht ohne Einfluß geblieben sind. Ein
anderer Grund dafür, ist die bekannte Tatsache, daß sich die Eingeborenen gerade über diese
Dinge nur selten genaue Vorstellungen machen und auf Befragen einfach antworten, was
ihnen dazu gerade im Augenblick einfällt.
Im großen und ganzen hat man mit einer Dreizahl ,seelenhafter Wesen4 zu rechnen.
Eines davon ist der vom Batakgebiet bereits bekannte beghu,3 den Camerling als ,Seele4
identifiziert. Dieser beghu soll nach vier Tagen in ein Totenreich eingehen, dort aber zunächst
in betäubtem Zustand verweilen, bis er durch Zufügung von ,Seelenstoff4 geschnellter Köpfe
(hambaruan) zu einer weiteren Fortexistenz befähigt wird.4 Im Gegensatz zu den Batakern
begleitet dieser beghu den Menschen schon bei Lebzeiten und kann im Sonnenschein oder
bei Licht und bei Feuer vom guru wahrgenommen werden.5 Er verläßt den menschlichen
Körper in der Sterbestunde zusammen mit der noso (, Seelenstoff4) und wird dann beghu si
mati genannt.6 Diese Auffassung des beghu ist die gleiche für Nord und Süd, nur daß im
Süden dieser beghu weniger ein kleiner Mensch im Menschen ist, sondern vielmehr hier
geradezu mit dem Schein von Licht und Feuer identifiziert wird.7 Daher kommt es wohl
daß man sagt, derjenige, der vom beghu berührt sei, bekäme Brandflecken.8
Daß auch hier der beghu si mati zunächst nur der lebende Leichnam gewesen ist
scheint mir allein schon daraus hervorzugehen, daß er sich noch vier Tage in der Nähe des
Grabes aufhält. Ferner dürfte auch die auf Nias an manchen Stellen _____ nach Camerh
(p. 175) nur in Zentralnias, nach Kruijt [(I) p. 322] auch im Norden — übliche Zweistufen-
bestattung darauf hinweisen.9 Denn die Zweistufenbestattung fällt ursprünglich___wie ich
schon bei den Batakern erwähnte — mit dem Zeitpunkt der endgültigen Vernichtun des
lebenden Leichnams zusammen, woraus sich dann später Vorstellungen von einem
schließenden Fortleben dieses lebenden Leichnams in irgendwelchen Totenreichen kq t
haben dürften. Dies wird auch durch Missionar Friess10 für Nias ausdrücklichst bcstäti t der
die Zweistufenbestattung als eine symbolische Feier der Versetzung der Seele4 nach dem
himmlischen Seelenland Teteholi ana’a auffaßt.
1 Andree p. 83.
2 Krämer, unter „Nias“.
3 Camerling p. 36.
4 Camerling p. 38; Rappard p. 57^-
5 Kleiweg (I) I, p. 260; Chatelin p. 143.
6 Kleiweg (I) I, p. 258—60.
7 Rappard p. 585/86.
8 Chatelin p. I43744-
9 Rappard p. 571/72; Schröder I
10 Friess p. 76.
>P- 383; Kruijt (I) p. 332.
92
H. HEDENUS
Bei dieser zweiten Bestattung werden die Knochen, oft auch nur die Schädel der Toten,
von einem Sklaven, der später dafür ,zu Ehren*1 des Verstorbenen geköpft wird, ausgegraben
und gereinigt. Die Knochen werden dann in eine hölzerne oder steinerne Kiste gelegt, die
Köpfe aber unter dem Dach des Hauses oder unter den Ahnenbildern aufgehangen.1 Dank
Nieuwenhuis und v. Rosenberg können wir uns ein genaueres Bild von dieser Kiste oder dem
hölzernen Sarg machen, in dem die Gebeine des Toten geborgen werden. An der Rückwand
befindet sich ein Schiebedeckel durch den der Behälter geöffnet werden kann, vorn aber ist
ein großer, unbedeckter Phallos angebracht.2 Hier wie bei unseren späteren Betrachtungen
ist die enge Verbindung zwischen Totengebräuchen, Ahnenkult und Ahnenfigur einerseits
und phallischen Emblemen andererseits stets von neuem auffällig. Uber die wahren Gründe
dafür ist man sich jedoch noch nicht einig geworden. Es mag sein, es handelt sich hier
lediglich um eine symbolische Darstellung des Ahns als Spender aller Fruchtbarkeit, es mag
aber auch sein, daß dadurch der Ahn in Übereinstimmung mit den Winthuisschen For-
schungen ausdrücklichst zum Zweigeschlechterwesen, dem Spender und Urgrund alles
Seins gemacht werden soll. Kleiweg [(III) p. 345ff-] berichtet, daß wenigstens eine Reihe
von solchen Ahnenfiguren tatsächlich bisexuell sind.
Doch zurück zu den Niassischen Seelenvorstellungen. Dem batakschen tondi (, Seelen-
stoff£) entspricht, bei ihnen die noso, der Atem,3 auch wohl sumange inNord-Nias genannt4.
Im großen und ganzen weichen die Vorstellungen über noso und tondi nicht sehr von einander
ab. Die Menge an noso, die ein Mensch bei seiner Geburt mitbekommt, bestimmt über seine
Lebensdauer und sein Schicksal. Man könnte beinahe sagen, nicht der Mensch hat die noso,
sondern die noso hat ihn, denn er ist ihren Bedingungen willenlos unterlegen.
Im allgemeinen wird die noso im Tode zu Wind5 oder kehrt auch wohl zu den ,Göttern4
zurück.6 Eine Ausnahme davon macht nur die noso von Häuptlingen und sonstigen Führern
und Angesehenen. Sie wird in der Sterbestunde von dem ältesten Sohn des Hauses in dessem
Munde aufgefangen und von da an eheha genannt. Der Sohn beugt sich dazu entweder selber
über den Mund des Sterbenden, oder man deckt auch wohl zu diesem Zweck einen Geld-
beutel, ein Tuch oder einen ,Hut4 über das Haupt des Dahinscheidenden,7 * Obwohl dieser
Brauch in genau der gleichen Form an anderen Stellen Sumatras nicht bekannt sein dürfte,
ist er dennoch nicht so seltsam, wie es zunächst scheint. Denn daß die Hinterbliebenen von
der entweichenden ,Lebenskraft4 des Sterbenden soviel als möglich aufzufangen suchen, ist
auch den Batakern eine nicht unbekannte Vorstellung. So streichen die batakschen Frauen
häufig an dem Körper des Sterbenden entlang, um dadurch etwas von dessen tondi teil-
haftig zu werden. Auch die Wirkung des pangalubalang, den die Bataker zu Zauberzwecken
benützten, beruht letztendig allein auf dem tondi, den man sich künstlich von dem un-
glücklichen Opfer verschaffte, indem man diesem rasch, ehe der tondi (Atem) entweichen
konnte, glühendes Blei in den geöffneten Mund gießt.3
Der Niasser kennt nun noch ein drittes außer dem beghu und der noso: die mit dem
Herzen identifizierte todo, die für ihn die größte Bedeutung besitzt. Diese ,Herzkraft4 lebt
nach dem Tode weiter als noso dodo oder aloloa dodo in Gestalt einer kleinen Spinne, der
moko-moko.9 In Süd-Nias bezeichnet man sie als den ,Schatten bei Sonnenlicht4.10 Überall er-
wartet man von ihr nur Gutes und Günstiges.
1 Schröder I, § 383. Kruijt (I) p. 332.
2 Nieuwenhuis en v. Rosenberg p. 41 ff.
3 Rappard p. 676.
4 Kleiweg (1)1, p. 258/59; Camerling p. 6.
5 Chatelin p 143. Diese sumange darf nicht verwechselt
werden mit der batakschen sumangot, die nach War-
neck (I. p. 129) eine Erscheinungsform des begu ist.
Allerdings soll die wörtliche Bedeutung von beiden die
gleiche sein und bedeutet Atem, Lebenskraft!
6 Camerling p. 36 ff.
7 Camerling p. 36ff. Schröder § 806; Modigliani in E. R,
E. vol. 4 p. 415-
8 Warneck (I) p. 64—66.
9 Rappard p. 576.
10 Rappard p. 585/86.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
93
Eine solche Anschauung ist mir auf Sumatra selber nirgends begegnet, wohl aber bei
den Bergstämmen auf Ceylon.1 Dort stellt man in der Nähe des Grabes eine Reuse auf, die
man drei Tage nach der Bestattung stehen läßt. Dann geht man hin und sucht nach einer
Spinne, die sich in dem Netzwerk eingenistet haben soll. In dieser Spinne verkörpert sich
der Geist des Toten, den man dadurch ehrt, daß man die Spinne pflegt und füttert. Diese
Übereinstimmung dürfte mehr als auffällig sein, da auch auf Sumatra an vielen Stellen
Weddoide sitzen, (Kubu, Lubu, Sakai, Orang Mamak), ja sogar auf Nias selber (Toala)2.
Sollte daher wohl dieser Brauch ein Import von Ceylon sein ?
Bei diesen Erörterungen über die Seelenvorstellungen der Niasser wurden absichtlich
diejenigen fortgelassen, die nicht unbedingt zur Erläuterung der Bestattungsgebräuche
notwendig sind. Da sich diese jedoch zum größten Teil mit dem Einfangen der moko-moko
des Toten, sowie der Vertreibung des beghu und dem Schutz der noso der Hinterbliebenen
beschäftigen, konnten sie unmöglich unerwähnt bleiben, ehe nunmehr auf die eigentlichen
Bestattungsriten eingegangen wird.
3. Magische Ursachen des Todes.
Für die magischen Ursachen des Todes gibt es auf Nias keine so einfache Antwort wie
bei den Batakern. Gewiß glaubt man auch hier, daß der Tod nicht auf Grund irgendwelcher
physischer Schäden oder normaler Anlässe eingetreten sein kann, sondern nimmt in allen
Fällen magische Ursachen verschiedenster Art an.
Zunächst sind da zahlreiche Arten von beghus, die dem Menschen Krankheiten schicken,
an denen er zu Grunde gehen muß. Auch die beghus si mati, die Geister der Verstorbenen,
trachten danach, den Menschen ins Schattenreich hinüberzuziehen. Nach Ansicht eines
Teils der Eingeborenen sollen sie versuchen, die lumo-lumo, ein verkleinertes Abbild des
Menschen, das diesen während seines ganzen Lebens begleitet,3 aufzuessen. So kann der
Priester erkennen, ob Seelenraub durch einen bösen Geist der Anlaß des Todes war, denn in
diesem Falle färbt sich die Leiche unmittelbar nach dem Tode schwarz.4 Nach Schröder
dagegen kann der Medizinmann ein solches gefährliches Eingreifen der beghu verhindern,
so daß man es nicht eigentlich als Todesursache bezeichnen kann.5
Bezeichnenderweise hält man jedoch auf Nias vor allem die Angehörigen für schuldig
am Tode des Verstorbenen. Wenn ein Kranker trotz aller Genesungszauber der Priester
stirbt, so führt man dies auf zu spärliche Opfer zurück, die die Hinterbliebenen als Ersatz
für den Kranken den beghus dargeboten haben,6 oder auch auf irgendwelche Tabuüber-
tretung. Die gleiche Auffassung fanden wir auch bei den Batakern, ja, sie ist gewissermaßen
typisch für das Denken der Naturvölker überhaupt, wie Levy-Bruhl [(I) p. 21 ff.] nach-
gewiesen hat. Dieses Schuldgefühl mag ferner der Anlaß dafür sein, daß man die Toten so
sehr fürchtet und nichts unterläßt, um sich vor ihnen zu schützen.
Die Niasser kennen jedoch außerdem noch eine andere eigenartige Ursache des Todes.
Lature, ,ein höheres Wesen*, das gleich Lowalangi (dem höchsten ,Gott‘) aus den drei
Früchten des Baumes Tora’a entstanden ist, hat die Menschen oder vielmehr deren Schatten
in einem Spinnennetz oder mit Hilfe des Regenbogens gefangen,7 um sich oder seine Gäste
mit ihrer noso zu ernähren. Die Niasser bezeichnen sich daher selber als die Schweine
1 Zulliger p. 40.
2 Camerling p. 12.
3 Camerling p. 36 ff.
4 Kleiweg (I) I, p. 48.
5 Kleiweg (I) I, p. 17.
6 Lévy-Bruhl (I) p. 342; Sundermann p. 373.
7 Daß man auf Nias tatsächlich den Regenbogen als
Himmelsleiter oder ein Seil für eine beliebte Geister-
brücke hält, zeigen folgende Zeremonien. Ist ein Niasser
schwer erkrankt, so dreht man aus Palmblättern ein
Seil, das von der Spitze des Hauses bis zur Erde reicht.
Dann macht man im Innern des Llauses einen Ohren be-
täubenden Lärm, so daß die beghu vor Schreck eiligst
aus dem Hause entfliehen und sich am Palmstrick auf
den Boden hinablassen, um das Weite zu suchen.
Frazer (I) p. 798/99)-
94
H. HEDENUS
Latures und glauben, daß ein Mensch sterben muß, wenn der Priester es nicht fertig bringt,
Lature zu bewegen, den Schatten eines anderen Schweins (-Menschen) als seine Speise an-
zunehmen.1
Leider ist es mir nicht ganz gelungen, ausfindig zu machen, welche Bedeutung es mit
dem ,Gott‘ Lature auf sich hat. Vielleicht ist er die Verkörperung irgendwelcher Natur-
kräfte, denen sich der Mensch unterlegen fühlt, und die er daher mit solch übernatürlichen
Kräften begabt. So soll Lature in der Sonne wohnen, während der Weg zu ihm der Regen-
bogen ist. Es wäre daher möglich, daß ehemals die Vorstellung bestand, daß die Geister der
Toten dem Lauf der Sonne folgen, was sich dann in dieser Mythe niedergeschlagen hat So
begräbt man im Norden vonNias fast immer die Leichen erst nach Sonnenuntergang.2 Auch
Orientierung der Toten in west-östlicher Richtung kommt im Süden vor. Man richtet dort
den Kopf nach Westen und die Füße nach Osten mit der Angabe, daß der Tote dadurch in
der Lage sein soll, in seinem Sarg (-owo-Boot) nach dem Totenland zu fahren. Beides ist
jedoch noch kein Beweis für tatsächliche Orientierung des Toten nach dem Sonnenlauf,
wie ich schon an anderer Stelle aufzeigte.3 Man müßte erst weiter die Lage des oder der
Niassischen Totenreiche untersuchen.
So dürfte man allgemein annehmen, daß sich das Seelenland unter der Erde befindet4.
In Süd-Nias dagegen gehen speziell die beghu der Häuptlinge und Priester in ein oberirdisches
Totenreich ein, das von Manaradja Beghu beherrscht wird.5 Beides hat ohne weiteres auch
nicht viel mit dem Lauf der Sonne zu tun. Camerling (p. 76) sagt sogar ausdrücklich, daß
gerade für die Niasser eine Identifizierung des Totenreichs mit dem Herkunftsland der
Ahnen vorläge, allerdings gibt sie dafür keinen Beweis.
Dagegen spricht Rappard (p. 578, Chatelin p. 145) einmal davon, daß der Eingang zum
Totenreich am Ende des Meeres läge.6 Diese Stelle am Horizont könnte man wohl mit dem
Sonnenuntergangsloch im Westen in Verbindung bringen. Am Eingang zu diesem Totenreich
steht ein Wächter (kale kamo),7 der alle Ankömmlinge über die Klinge eines Schwertes
springen läßt. Die, die ein schlechtes Leben führten, eine Katze töteten und nicht genug
Totenopfer bekamen, werden von einer Katze ins Wasser gestoßen. Die anderen gehen über
den Rücken der Klinge oder über den Schwanz der Katze ins Totenreich ein wo immer die
zusammenwohnen, die eines gleichen Todes starben.
Fragen wir nach dem Sinn dieser mythischen Anschauungen, so könnten wir das Ganze
als Sonnenmythos auffassen. Denn die scheinbar wichtigste Rolle darin spielt die Katze,
deren Bedeutung jedoch aus den Niassischen Anschauungen allein nicht zu klären ist, ob-
wohl in ihrer Mythologie mancherlei darüber ausgesagt wird. So war sie z. B. früher ein
Mensch, eine junge Frau, die von ihrem Mann kurz nach der Hochzeit getötet wurde. Sie
hatte seinen Widerwillen erregt, indem sie sich nur von Katzen und Mäusen ernährte. Er
schnitt daher ihren Körper in zwei Hälften, aus deren einen, die er vor das Haus warf, die
Hauskatze wurde, während aus der anderen, die hinter dem Hause zu liegen kam, die Wild-
katze entstand.8 Zu weiterem Verständnis soll noch folgende indische Erzählung aus dem
1 Kleiweg (I) I, p. 10; Krämer unter Nias.
2 Nieuwenhuis en v. Rosenberg p. 41 ff.
3 Vgl. p. 72—73.
4 Schröder I, p. 531—34.
5 Das spezielle Totenreich für Häuptlinge und Priester
unter der Herrschaft des Manaradja Beghu dürfte we-
nig ursprünglich und etwas eigenartig anmuten. Un-
willkürlich denkt man dabei an den bekannten, sagen-
umwobenen Batakerfürsten Singa Mangaradja, von
dem erzählt wird, daß er nicht starb, sondern als
sombaon (Verehrungswürdiger) in die Himmelsluft ent-
rückt wurde und nun ebenso wie bei Lebzeiten als
Spender von Segen und Fruchtbarkeit angesehen wird.
Sein Titel Mangaradja (—Maharadja) bezeichnet War-
neck auch schon für die Bataker als eine fremdländische
Entlehnung, (Warneck (I) p. 127) was natürlich erst
recht für Nias festzustellen wäre. Möglicherweise haben
wird daher hier auf Nias mit batakschem Einfluß zu
rechnen, der seinerseits auf noch ältere Einwirkungen
aus der Hinduzeit zurückgeht.
6 Rappard a. a. O.
7 Kleiweg (I) I, p. 124/25.
8 Kleiweg (I) I, pl. 213/14.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
95
3. Buch des Pancatantra1 herangezogen werden, wo es heißt: der Sonnenheld geht am Abend
mit dem Sonnenpferd in einen Berg ein und wird zu Stein, während der ganze Himmel die
Farbe dieses Berges annimmt. Aus dem Berg kommen dann die Mäuse, die Schatten der
Nacht, heraus, die von der Katze Mond und der Katze Zwielicht verjagt werden. Daher ist
es auch den Indern verboten, Katzen zu töten.
Diese beiden Mythen zeigen gewisse auffallende Übereinstimmungen, In beiden Fällen
ist von zwei Katzen die Rede — dem Mond und dem Zwielicht — und andererseits von dem
Sonnenhelden (—Mann — Kaie Kamo). Es wurden daher diese ganzen, von Rappard be-
richteten Vorstellungen über das Totenreich als ein Überbleibsel aus der Hinduzeit anzu-
sprechen sein, wie so manches andere auf Nias.
Sie sind aus diesem Grunde wenig geeignet zur Stützung unserer Vermutung, daß die
Niasser bestimmte Vorstellungen von der Übereinstimmung zwischen Sonnenlauf und
Menschenschicksal kennen. Da auch unsere übrigen Nachforschungen wenig sicheres Material
ergaben, muß die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des ,Gottes4 Lature leider
offenbleiben, bis sich bessere Unterlagen dafür ergeben.
4. Zeremonien vor Eintritt des Todes,
a) Einfangen der eheha.
Nach der Besprechung der magischen Ursachen des Todes sind zunächst einige Dinge
zu behandeln, die vor dem Eintritt des Todes ausgeführt werden. An erster Stelle das Ein-
fangen der eheha.
Eine eheha (Hauch) besitzen keineswegs alle Sterblichen, sondern nur die Häuptlinge2.
Sie ist für die Niasser das Abzeichen des Herrschers. Wer sie auffängt, ist ebenso zur Führung
des Stammes berufen, wie der erwählte Häuptling.3 Es soll daher vorgekommen sein, daß
einer der Häuptlingssöhne sich unter den Pfählen des Hauses aufstellte, mit einem Bambus-
rohr den Fußboden des Raumes, in dem der Sterbende lag, durchbohrte, und auf diese
Weise dessen letzten Hauch einfing.4
Frazer [(I) p. 427—31] weist in dem zusammenfassenden Abschnitt über Seelen-
nachfolge nach, daß auch bei anderen Völkern die Anschauung einer erblichen Seele (here-
detary soul) besteht und zwar insbesondere für Häuptlinge und andere Führer. Dieser Ge-
dankengang scheint sehr verständlich in Anbetracht des rein gegenständlichen Denkens der
Kulturarmen, nur möchte ich mich ungern auf das Wort und den Begriff ,Seele4 dabei fest-
legen. Denn der ganze Vorgang erklärt sich meines Erachtens gerade dadurch, daß dem
sogenannten primitiven Denken alle Abstraktionen fernliegen. Er kennt daher recht eigent-
lich nicht unser Abstraktum: Herrschaft, Königsmacht usw., sondern dies sind vielmehr
reale Dinge für ihn, die sich einerseits durch äußeren materiellen Besitz nachweisen lassen,
andererseits aber ebensogut ein Teil des Körperstoffes (boto) sind wie Herz, Blut und anderes
auch. So ist dies für den Niasser der letzte Hauch (eheha), wie die Zunge in Abeokuta
(West-Afrika) oder das Herz in Lagos (West-Afrika).5
b) Gemeinsames Abschiedsmahl.
Unmittelbar vor dem Tode pflegen die Angehörigen auf Nias mit dem Toten zusammen
ein gemeinsames Abschiedsmahl einzunehmen.6 Dieser Brauch stimmt durchaus überein
mit den Anschauungen, die zur Übertragbarkeit der eheha führten.
1 De Gubernatis p. 391
2 Schröder I, § 806.
3 Frazer (I) p. 429/30.
4 Frazer a. a. 0.
5 Frazer (I) p. 430/31.
6 Fehr p. 51; Rappard p. 569.
96
H. HEDENUS
Wenn wir daher mit Frazer annehmen, daß Speiseverbote deshalb so vielen kultur-
armen Völkern auferlegt werden, weil die Gefahr besteht, mit den Speisen etwas von dem
daranhaftenden Geist (ghost) des Toten zu verzehren, so ist dies in unserem speziellen Fall
geradezu zum Anlaß eines letzten gemeinsamen Mahles mit dem Toten geworden. Denn
ebenso wie der Sohn und Erbe durch das Auffangen der eheha sich einen Teil der Kraft des
Sterbenden anzueignen sucht, ebenso trachten auch die übrigen Hinterbliebenen danach,
noch möglichst viel von der noso des einst so mächtigen Häuptlings auf sich zu übertragen.
Ein anderes Motiv dafür ist in der Erneuerung der ,kinship‘ zu suchen, wie ich mich
nach den Darlegungen von Freud und Robertson Smith für die Bataker bereits auseinander-
zusetzen bemühte. Diese Erneuerung der Stammesgemeinschaft dürfte gerade in diesem
Augenblick ihren besonderen und zwiefachen Zweck haben. Sie soll einerseits von den
Hinterbliebenen den Verdacht der Schuld an diesem Tode abwälzen, andererseits aber
das Band mit dem zukünftigen Ahnen, von dem ja alle Fruchtbarkeit jeglicher Art abhängt,
in einer Weise stärken, daß man seines Beistands gewiß sein darf. Dazu kommt noch, daß
Menschen gleichen Bluts, die durch ein gemeinsames Mahl die gegenseitigen Beziehungen
obendrein bestärkt haben, sich nichts Schlechtes antun dürfen: der Tote also dadurch in
seinen rachsüchtigen Gelüsten ebenfalls gehemmt wird.
5. Zeremonien vor der Bestattung,
a) Totenklage.
Ist der Tod eingetreten, so erhebt man die übliche Totenklage unter Aufgebot sämtlicher
verfügbarer Musikinstrumente, wie vor allem Trommeln und Gongs. Dieses Lärmen dauert
die vier Tage, in denen sich der begu noch in der Nähe seiner früheren Wohnstätten auf-
halten soll, ununterbrochen an.1 Es werden dabei von den Frauen und der sich am 2. Tage
nach dem Tode versammelnden öri (Genossenschaft) in 12 verschiedenen, traditionell über-
lieferten Weisen ganz bestimmte Klagelieder gesungen. Außerdem sucht man die herum-
lauernden beghus, abgesehen von den bereits von den Batakern her bekannten Schießereien,
auch noch durch Waffenlärm zu vertreiben. Alle Männer kommen daher bewaffnet zu den
Bestattungsfeierlichkeiten, als ob sie in ein wirkliches Gefecht gingen. Auch der Dorfplatz
wird mit gezogenen Schwertern bewacht und mit Lanze und Schild verteidigt.2
Dieses stereotype in der ganzen Behandlung der Totenklage erhärtet von neuem meine
Auffassung, die in dem Abschnitt über die gleichen Dinge bei den Batakern niedergelegt
wurde; die Totenklage ist in erster Linie ein Abwehrzauber zur Vertreibung der beghu,
wenn auch wirkliche Gefühle der Trauer hier wie anderswo nicht bestritten werden sollen.
Allerdings führt Kleiweg [(I) p. 23] speziell für die Niasser noch ein anderes Motiv an.
Er meint, daß die Klagegesänge aus dem Grunde noch wochenlang jeden Abend angestimmt
würden, weil man dem Toten dadurch zeigen wolle, daß man ihn nicht vergessen habe.
Denn sonst würde er sich an den Hinterbliebenen auf allerlei Weisen rächen. Dieses Motiv
schließt im übrigen das andere keineswegs aus, und entspringt der gleichen seelischen
Haltung: dem Schuldgefühl und der Furcht vor dem Toten, das sich in besonderer Fürsorge
und verstärkten Abwehrmaßregeln abreagiert.
Unter dem betäubenden Lärm der Totenklage gebärden sich auch alle sonstigen an-
wesenden Dorfgenossen ,wie Wahnsinnige*.3 Man rauft sich die Haare, kneift den Toten
bringt sich selber Wunden bei und ähnliches. Dies soll sogar — wie ausdrücklichst berichtet
wird — auch in Fällen Vorkommen, wo durchaus kein weiterer Anlaß zur Trauer vorliegt.
Ja, man geht so weit, daß man verlangt, mit dem beghu begraben zu werden, und nur da-
1 Rappard p. 569; Schröder § 807. 3 Kleiweg (I) I, p. 22.
2 Schröder §§ 807 u. 809.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
97
durch, daß man die scheinbar wahnsinnigen Anverwandten festhält, werden sie vor noch
schlimmerem bewahrt,1
Solch eine ungeheure Affektbezeugung nach der einen Seite muß unbedingt durch ein
ebenso großes negatives Empfinden auf der anderen Seite ausgeglichen werden, denn das
liegt in der ambivalenten Gefühlseinstellung des Menschen zutiefst begründet. So müßte
man rein theoretisch gesprochen dem übergroßen , Schmerz4 der Eingeborenen eine große,
freudige Genugtuung auf der anderen Seite entgegenstellen. Das klingt zunächst für unser
ethisches Empfinden hart und unfaßbar, ist es aber nicht auch in unserer zivilisierten Welt
häufig genug der Fall, daß die Angehörigen mit dem Tod eines Verwandten durchaus ein-
verstanden sind, weil sie wenigstens im Stillen recht zufrieden mit dem Reichtum und der
Macht sind, die nun von diesem Toten auf sie übergeht ? Dazu muß man beim Eingeborenen
noch besonders bedenken, daß ihm ein Menschenleben wenig oder nichts gilt. Wo kein Sinn
für das Individuelle, Einmalige entwickelt ist, hat auch der Einzelne als solcher nur geringen
Wert. Auf die primitiven Trauergebräuche angewandt, will diese Erkenntnis besagen, daß
man weniger den Verlust dieses bestimmten Menschen betrauert, als vielmehr den Verlust,
den dieser Mensch für die Gemeinschaft als solche bedeutet durch den Ausfall seiner Kennt-
nisse und Arbeit. Dadurch wird auch die große Beteiligung aller Kamponmitglieder an den
Trauerfeierlichkeiten verständlich, ganz gleich, ob sie mit dem Toten verwandt sind oder nicht.
Zieht man hieraus seine Schlüsse, so scheint dieser simulierte Wahnsinn, den wir auf
Sumatra z. B. auch bei den Ulu2 finden, vor allem ein Ausdruck des Schuldgefühls gegen-
über dem Toten ist. Man will ihm zeigen, daß man im Augenblick nicht ganz zurechnungs-
fähig ist, und daher auch nicht von ihm zur Verantwortung herangezogen werden kann.
b) Der Tanz um die Leiche.
Eine wichtige Rolle bei diesen vorbereitenden Abwehrriten spielt auf Nias der Tanz.
Leider wird er wohl von allen Autoren erwähnt, aber ohne daß dabei auf seine spezielle
Pantomimik und Bedeutung eingegangen wird. Auch Nieuwenhuis bringt in seinem Artikel
über den Tanz im Malaiischen Archipel lediglich Erörterungen allgemeiner Art.
So wissen wir nur, daß am zweiten Tage nach dem Tode ein Reigentanz (lao-lajago) der
Männer um die Leiche stattfindet, die in einem durch Matten und Tücher abgeschlossenem
Raum zu diesem Zweck an einem Mittelpfahl festgebunden wird. Dieser ganze Brauch er-
innert stark an das Büffelopfer der Batak, das sowohl bei der Leichenfeier wie auch beim
ondas godang veranstaltet wird. Da mir die Deutung dieser niassischen und batakschen
Bräuche in gleicher Ebene zu liegen scheint, verweise ich hier lediglich auf meine Ausfüh-
rungen auf S. 56/57 u. S. 116/17.
c) Waschung des Toten.
Ebenso wie wohl bei allen anderen Völkern Sumatras wird die Leiche nach dem Tode
gewaschen. In Nord-Nias (Luzamonu) parfümiert man dazu das Wasser mit dima-Blättern.
Man soll dadurch den Toten an seinem Geruch im Totenreich erkennen können. Diese
feinfühlige Erklärung Schröders (I § 806) scheint mir jedoch im Zusammenhang mit der
Deutung aller übrigen Bestattungsgebräuche nicht ganz den Tatsachen zu entsprechen. Ich
erinnere vielmehr an den Batakerbrauch, Zitronenscheibchen- und Blätter dem Wasser bei-
zufügen, mit dem man den Toten zur Abwehr der beghu besprengt.* Dort hatte diese Par-
fümierung4 keineswegs den Zweck, dem Toten einen besonderen Geruch zu geben, sondern
die trennende Bedeutung der Waschung sollte dadurch noch verstärkt werden. Ähnliche
Motive möchte ich auch für diesen niassischen Brauch annehmen, denn es wäre doch selt-
1 Fehr p. 54. 3vgl. P. 61.
2 Ris p. 518/19.
13 Baessler-Archiv
98
H. HEDENUS
sam, wenn man den Toten im Seelenland nur gerade an diesem allgemeinen Geruch er-
kennen sollte.
Daß die Niasser im übrigen ebenfalls die von Frazer nachgewiesene trennende Be-
deutung des Wassers kennen, zeigt sich darin, daß alle Teilnehmer am Begräbnis nach der
Bestattung ein Bad nehmen oder sich zum mindesten — wie im Osten von Nias — die Hände
waschen. Auch in diesem Wasser befindet sich scheinbar noch eigens ein Antibeghumittel,
das sofusofu-Gras.1
Die Schale mit Wasser unter der Treppe des Hauses, die ich bereits bei den Batakern
und Atjehern anführte, wird hier ebenfalls vorgefunden. Man stellt je eine davon am vierten
Tage nach dem Tode, nachdem der Verstorbene aus dem Hause herausgetragen worden ist,
rechts und links von der Treppe auf. Dr. Kleiweg [(I) p. 21/22] bemerkt ausdrücklich, daß
dies zusammen mit anderen eigentümlichen Zeremonien zur Vertreibung des bösen Geistes
des Toten geschieht. Allerdings hat hier dieser Brauch wohl noch eine andere Bedeutung.
d) Absperren des Hauses vor den Beghus.
Am vierten Tage nach dem Tode wird rings um das Haus eine Umzäunung aus ge-
spaltenem Bambus (wohawoha) aufgestellt. Nur der Durchgang an der Treppe bleibt frei,
wo die oben erwähnten beiden Kokosnußschalen mit Wasser aufgestellt werden. Der Priester
zieht daraufhin mit einem Messer, wie Chatelin sagt, (p. 143) oder, was wohl das ursprüng-
lichere sein dürfte, mit einem Stück Eisen, das zuvor auf dem Nabel des Toten gelegen hat2,
in diesem Durchgang zwei sich kreuzweise auf der Erde schneidende Linien. Dann wird der
Geist des Toten unter Lärmen aus dem Hause getrieben, die beiden Kokosnußschalen zer-
brochen und mit ihrem Wasser der Boden getränkt.3
Um den Sinn dieser Zeremonie zu verstehen, muß Stück für Stück die Symbolik der
einzelnen Züge untersucht werden. Dafür gibt uns Kleiweg zunächst einmal Aufklärung
über die Bedeutung der gespaltenen Bambusstöcke, die bei den Niassern auch noch an
anderer Stelle eine Rolle spielen. So müssen beispielsweise die Leute in einigen Gegenden
von Nias nach der Bestattung durch gespaltene Bambusstöcke hindurchlaufen, um es dem
Geist des Toten unmöglich zu machen, ihnen zu folgen.4 Auch die At jeher sollen nach Snouck
Hurgronje diese Sitte als Abwehrzauber kennen und anwenden.5 Es wäre daher nach Klei-
weg die wohowoha6 in Verbindung zu bringen mit den Hirschgeweihen respektive Karbauen-
hörnern und deren Symbolik. So sollen die Niasser die Spitze eines solchen Geweihes für ein
phallisches Symbol halten. An einer Reihe von Beispielen7 weist er diese Symbolik der Ge-
weihe als phallischen Abwehrzauber auch noch bei anderen Völkern der Erde nach. Der
Phallos als Abwehrzauber dürfte uns im übrigen wohl bekannt sein von den Wegegottheiten,
die von Griechenland bis Ostasien fast alle einen solchen Charakter haben, so daß diese Aus-
deutung der Geweihsymbolik keineswegs Bedenken erregt.
Die Erklärung Kleiwegs gibt zugleich Aufschluß darüber, warum die Bataker auf ihre
Gräber stets die Hörner und Kinnladen der geschlachteten Büffel legen.8 Auch sie dürften
darin einen phallischen Abwehrzauber erblicken. Absichtlich unterließ ich oben diese Aus-
deutung, um diesen Batakerbrauch hier weiter zu untersuchen. Wenn die Geweihe eine
phallische Symbolik haben, so ist mit einer gewissen Logik anzunehmen, daß den Kinn-
laden eine gleiche oder ähnliche Bedeutung zukommt. Wenn nun Winthuis [(I) p. 264]
1 Schröder I, p. 811.
2 Schröder I, §§ 809, 813.
3 Schröder I, § 807; Chatelin p. 143; Kleiweg (I) I,
p. 21/22.
4 Kleiweg (I) I, p. 68.
5 Kleiweg a. a. P. Wie wir hörten, ist der Norden von
Nias stark mit Atchinesischem Blut durchsetzt. Den-
noch möchte ich für diese Sitte Entlehnung nicht an-
nehmen, da gerade die wohawoha ein durchaus typi-
scher niassischer Brauch ist, der den Atjehern gar nicht
bekannt sein dürfte.
6 Schröder I, § 807.
7 Kleiweg (I) I, p. 66—68.
8 Vgl. Winthuis (I) p. 218.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
99
immer wieder betont, daß alles Runde, Sichelförmige als weibliches Symbol anzusprechen
sei, und ferner der Zweck aller Kulte darauf hinausliefe, dem Menschen seine Doppel-
geschlechtlichkeit wiederzugeben, damit er ewig fortlebe in seiner ,Heimat', so glaube ich,
daß er damit auch in unserem speziellen Falle durchaus recht hat. Denn nicht nur bei den
Niassern (adu zatua), sondern auch bei den Batakern (Zauberstäbe) treffen wir diese doppelte
Symbolik an. Bedenkt man ferner, daß diese beiden Völker die Ahnen, und sie allein, für
alle Fruchtbarkeit auf Erden verantwortlich machen, so ist es im Gegenteil verwunderlich,
daß wir nicht mehr und nicht häufiger von Kulten und Gebräuchen hören, die diese für ihr
,schöpferisches Amt' zu stärken und zu befähigen suchen. Vergleicht man dazu die indo-
nesischen Kulte mit denen der ihnen nahestehenden Austronesier, von denen wir gerade
durch Winthuis über zahlreiche Riten aufgeklärt wurden, so muß man wohl zu dem Schluß
kommen, daß wir immer noch nicht in der richtigen Weise der urtümlichen Bedeutung der
indonesischen Bräuche nahegekommen sind.
Verfolgen wir den Anfangs erwähnten niassischen Abwehrzauber weiter in seinen
Einzelheiten, so hören wir, daß der Priester die Erde kreuzförmig einritzt mit einem Stück
Eisen, das zuvor mit der Leiche in Berührung gekommen war. Erinnert man, daß Magie
stets eines Teils vom Körper des Menschen, gegen den sie sich richtet, bedarf, um zu wirken,
so mußte das Eisen zunächst mit dem Toten in Berührung gebracht werden. Mit diesem
Eisen wird nun der Boden kreuzförmig eingeritzt. Ganz augenfällig soll damit zunächst der
Zugang zum Hause abgeschlossen werden. Wäre dies nun aber letztes Ziel und Zweck, so
hätte man einfach einen geraden Strich von der einen Seite nach der anderen ziehen können.
Es muß da also doch wohl noch eine andere Tendenz mitgewirkt haben, die sich daraus
erklärt, daß gerade das Kreuz überall auf der Erde eine ganz bestimmte Symbolik besitzt.
Seit alters ist es ein Symbol des Weiblichen.1 Hört man dazu ferner, daß gerade über dieser
eingeritzten Erde das Wasser der Kokosnußschalen verschüttet wird, so läßt diese Symbolik
keinen Zweifel über ihren geschlechtlichen Charakter. Es handelt sich daher hier mit größter
Wahrscheinlichkeit um eine Nachahmung des Befruchtungsaktes, durch dessen lebendige
Kraft die Macht des schattenhaften beghu gebrochen werden soll.
e) Verstopfen der Körperöffnungen, Hockerfigur und Schwärzen der Zähne des Toten.
Zu den Schutzmaßnahmen gegenüber dem Toten gehört es, daß man seine Nase mit
Kapok verstopft und kleine Topfscherben auf seine Augen legt.2 Die Bedeutung dieser
Handlung haben wir bereits bei den Batakern kennen gelernt. Si soll dem ,Geist' des Toten
das Entweichen durch die Körperöffnungen unmöglich machen, und seine Augen am Sehen
verhindern.
Ferner bindet man die Unterkiefer des Toten zusammen und fesselt seine Zehen und
Zeigefinger.3 Die Bänder, mit denen der Tote gefesselt wurde, werden jedoch — kurz nach-
dem der Tote in den Sarg gelegt wurde — wieder gelöst. Der Sarg scheint daher auch hier
eine Art ,Gefängnis' zu sein, das besondere Fesselung überflüssig macht. Zudem wird die
Fesselung keineswegs völlig beseitigt, sondern lediglich auf den adu zatua (Ahnenbild) über-
tragen, das inzwischen für den Toten angefertigt wurde, und in dem seine , Seele' nunmehr
ihren Aufenthalt genommen haben soll.4
In Verbindung mit dem Fesseln der Leiche habe ich auf Nias nicht wie bei den Batakern
Spuren von Hockerbestattung finden können. Dagegen zeigen im Durchschnitt fast alle
Ahnenbilder, die für jeden einzelnen Toten angefertigt werden, die Hockerstellung.5 Da
diese Stellung einer Fesselung des Körpers gleichkommt, (vgl. p. 65—66) ist wohl die Frage
1 Vgl. Jung (Literaturverzeichnis). 3 Rappard a. a. O.; Schröder a. a. O.
2 Rappard p. 569; Hartland p. 433; Schröder § 808; 4 Kleiweg (I) 1, p. 20; Schröder § 810.
Kruijt (I) p. 254. 5 Kleiweg (I) I, p. 18.
iS*
lOO
H. HEDE NUS
berechtigt, ob diese Bedeutung auch für die Ahnenfigur in Frage kommt. Vatter (p. 144)
schneidet dieses Problem wohl an, weiß aber leider keine Antwort dafür zu geben. Trotzdem
möchte ich diese Frage wenigstens für Nias bejahen auf Grund folgender Überlegungen.
Die Bataker, die keine persönlichen Ahnenfiguren kennen, in denen der Geist des Toten
seinen Aufenthalt nimmt, fesseln ihre Toten, um sie dadurch in ihrer Bewegungsfreiheit zu
hindern. Die Niasser dagegen, bei denen sich der ganze Totenkult um die adu zatua kon-
zentriert, geben mit vollem Recht der Ahnenfigur die Hockerstellung zu dem gleichen
Zweck. In Übereinstimmung damit wird daher der Tote auf Nias selber nur vorläufig ge-
fesselt, um dann diese Fesselung auf den adu zu übertragen.
Daß diese Deutung bisher anderen Forschern noch nicht auf gef allen ist, dürfte daran
liegen, daß wir auf Grund unserer eigenen Vorstellungen die ,Verehrungi der Eingeborenen
für ihre Ahnenbilder viel zu sehr mit dem Gedanken der Pietät zusammenbringen, anstatt
zu bedenken, daß allen diesen Bräuchen in erster Linie das Motiv der Furcht vor dem Toten
zugrunde liegt.
Wichtig ist ferner, daß der älteste Sohn, der die Fesselung des Toten vornimmt, darauf-
hin einige Tage lang mit verschiedenen Tabus belegt wird. So darf er kein Feuer anmachen
und auch keine Papajafrüchte1 genießen. Leider wird uns für diese auffällige Vorschrift
keinerlei Erklärung gegeben. Wenn man jedoch die einzelnen Züge prüft, so dürfte sich
immerhin folgendes mutmaßen lassen.
Die Melonenfrucht spielt auch sonst im Archipel eine große Rolle. Man glaubt z. B.,
daß Schwangere, die solche Früchte essen, dadurch schöne Kinder bekommen.2 Für die
Symbolik des Feueranmachens dagegen kann ich nur auf Winthuis [(I) p. 72] verweisen, der
diese Handlung mit ,Erwecken der Libido‘ übersetzt und ihr eine bestimmte geschlechtliche
Bedeutung zuspricht. Zu der gleichen Auffassung gelangt übrigens auch Kaplan (p. Spff.)
und zwar noch in viel allgemeinerem Sinne. Ohne nun wie die Psychoanalytiker fast überall
verdrängte Incestwünsche vermuten zu wollen, scheint es mir doch in diesem Zusammen-
hang auffällig, daß man offenbar nicht nur den Sohn durch obige Vorschriften zu binden
sucht, sondern auch die Mutter sobald als möglich von ihren Kindern zu isolieren trachtet.
Nicht selten verheiratet man sie mit Gewalt noch am Tage des Begräbnisses.3 Ihre bisherigen
Kinder gehen ihr dadurch für immer verloren. Natürlich steht auch hierfür die Verhütung
des Inzests als Deutung dieser Sitte keineswegs fest. Bedenkt man aber, wie sehr gerade
diese geschlechtliche Vergehung bei Batakern und Niassern gefürchtet, ja häufig mit dem
Tode bestraft wird, so würde es wohl verständlich sein, wenn man die Gemeinschaft prophy-
laktisch in jeder Weise davor zu schützen sucht und auch dieser Brauch ähnliche Zwecke
verfolgen sollte.
In Verbindung mit obigen Sitten hören wir bei den Niassern noch von einem ganz be-
sonderen Zug, der mir auf Sumatra sonst nirgends begegnete. Man schwärzt im Norden von
Nias die Zähne des Toten mit der Begründung, er solle in dem Ei, das man ihm als Speise
am vierten Tage nach dem Tode hinstellt, ein sichtbares Zeichen hinterlassen können4.
Diese Erklärung klingt wenig befriedigend und sieht etwas nach der erfinderischen Gabe des
Eingeborenen aus, mit* der er dem Forscher phantastischste Auskünfte gibt, um ihn zu-
friedenzustellen und gleichzeitig sein Geheimnis zu wahren. Unwillkürlich denkt man da-
gegen vielmehr an das Schwarzfärben der Zähne bei Batakern und Niassern zur Zeit der
Pubertät, das auch heute noch allgemein üblich ist.5 Fragt man allerdings heute nach den
Gründen für diese ,Verschönerung‘, so begegnet man meist verlegenem Achselzucken und
der tröstlichen Antwort, daß man das eben immer so gemacht habe. Da nun aber dieser
1 Papaja L. fam. Passifloraceen, Melonenbaum. 4 Schröder I, § 806.
2 N. P. W. p. 194. 5 Kleiweg (I) I, p. 142/43.
3 Fehr p. 54.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
IOI
Brauch gerade mit der Zeit der Pubertät zusammenfällt, so liegt schon an sich der Gedanke
an eine sexuelle Bedeutung nahe, was in der Tat von Winthuis [(I) p 220/21] für einige
Stämme Malakkas und des übrigen Archipels nachgewiesen wurde. Seine Untersuchungen
entsprechen im übrigen den theoretischen Erwägungen der Psychoanalyse. Danach ist der
Zahn ganz allgemein ein phallisches Symbol, das Schwarze die weibliche Ergänzung An
anderer Stelle sagt Winthuis [(I) p. 257] geradezu: ,Es genügt beispielsweise die Darstellung
des schwarzgefarbten Zahnes, sowohl um das Zweigeschlechterwesen anzudeuten, wie auch
jenen Teil des menschlichen Körpers, der von diesem Zauberdoppelwesen den besonderen
Schutz erfahren soll.“ In Anbetracht des stark phallischen Charakters des Klassischen Toten-
und Ahnenkults überhaupt, scheint diese Erklärung auch hier zuzutreffen Denn daß die
Ahnen für den Niasser tatsächlich Zweigeschlechterwesen darstellen, hat Kleiwe IYTTD
P- 343ff-] bereits 1922 nachgewiesen, also lange vor Erscheinen des WinthuisscheTluches
f) Tabus hinsichtlich der Äcker des Toten.
Wie bei den Sakai1 und auf Engano2 werden auch auf Nias sofort nach dem Tode eine
oder mehrere Kokospalmen des Verstorbenen gekappt. Die Ratten und fliegenden Hunde
würden sonst die Anpflanzung völlig verwüsten.3 Unter diesen Tieren hat man sich nach
Kruijt4 die inkarnierten Seelen der Verstorbenen zu denken. Ferner dürfen die Äcker des
Toten vier Tage lang nach dessen Heimgang — also genau die Zeit, wo der Tote noch an
seinen alten Verbleibsorten weilt ■— von den Hinterbliebenen nicht betreten werden denn
die Ratten würden auch in diesem Falle die Ernte auffressen.5 In Süd-Nias treten diese
Beschränkungen noch in sehr erweitertem Maße auf, indem den Hinterbliebenen das Be-
treten aller Stellen, die der Tote früher aufzusuchen pflegte, verboten ist.6 Des weiteren
wird ein kleines Stück Feld von dem großen Acker für den Toten abgetrennt und darauf
etwas von alle dem, was man im übrigen anpflanzt, kultiviert. Dies geschieht vor allem zur
Abwehr und Befriedigung der raublustigen beghus.7
Absichtlich wurden hier diese drei Bräuche zusammengestellt, da sie auf den gleichen
Anschauungen beruhen und aus dem letzten klar hervorgeht, daß es sich hierbei ganz all-
gemein um die Abwehr der begu handelt. Unverständlich bleibt dagegen trotz der Kruijtschen
Erklärung die Bedeutung der Ratten und fliegenden Hunde. Bei den ausführlichen Auf-
zählungen von Tieren, in die sich die niassischen , Seelen4 ,verwandeln4 können, fand ich
keines der beiden Tiere angegeben. Das ist auffällig, da sie ja hier keine unerhebliche Rolle
gegenüber den Hinterbliebenen spielen.8 Doch immerhin könnte es sich dabei um eine Aus-
lassung oder ein Übersehen meinerseits handeln. So fand ich allerdings bei Kruijt [(I)
p. 176/177] an anderer Stelle verzeichnet, daß man eine fortwährend heraus- und hinein-
laufende Maus einen beghu si lo raha nennt und ihn für die , Seele4 eines kinderlos gestorbenen
Mannes hält. Dadurch wären wenigstens für die Ratte als Seelenträger gewisse Unterlagen
beigebracht.
Nun ist aber dagegen ganz allgemein einzuwenden, daß die Seelenwanderung — wic
auch Moss (p. 150/51) bereits nachwies — weder für Nias noch für Sumatra als ursprüng-
liches Erzeugnis der Eingeborenen zu betrachten ist. Zumindesten wurde sie stark beein
flußt von Hinduismus und Buddhismus. Das ergibt sich gerade für Nias schon daraus daß
die Vorstellungen von einer , Seelenwanderung4 hier sehr kompliziert und keineswegs’ ein-
heitlich sind. Während in Indonesien im allgemeinen das, was wir ,Seelenstoff4 nennen ent-
1 Abr. Halle, „On the Sakais“ Anthr. Institute of Gr.
Britain and Ireland, vol. 15 (1886) p. 291/92.
2 J. van Straten en P. Severiin, „Engano“, T. I. T. L. V.
Deel III 1855) p. 361 ff.
3 Camerling p. 174/75; Kleiweg (1) I, p. 21.
4 Camerling p. 174/75.
5 Kleiweg (I) I, p. 21 ; Schröder I, § 810.
6 Kleiweg (I) I, p. 21.
7 Chatelin p. 143; Kleiweg a. a. 0.
8 Fehr p. 54; Chatelin p. 143 ff ; Camerling p. 66 ff. ;
Rappard p. 577.
102
H. HEDENUS
weder in die Luft oder auch auf ein Tier übergeht und zu dessen ,Lebenskraft* (tondi, nosö
etc.) wird, die ,individuelle Seele* des Toten dagegen in ein Schattenreich eingeht, nachdem
sie sich zuvor noch längere Zeit am Grabe aufhielt,1 ist es damit auf Nias ganz anders bestellt.
Der beghu begibt sich zunächst nach dem Totenreich, stirbt dort neunmal, nachdem er
jedesmal zuvor seine irdische Lebensdauer erlangte, und verwandelt sich dann in ein Tier2.
Daß dies irgendwie amalgamierte Vorstellungen sind, scheint mir durch den Vergleich mit
anderen ziemlich festzustehen. Jedenfalls entsprechen sie einer viel späteren Stufe als das
Zerstören oder teilweise Vernichten des Nachlasses des Toten, sowie das Meiden gewisser
Plätze, an denen der Tote sich aufzuhalten pflegte, was auf und um Sumatra gerade bei den
wenigst zivilisierten Stämmen vorkommt. So hören wir es von den Kubus,3 Mentaweiern4,
und Enganoern,5 wobei sich gerade bei den letzteren gut erkennen läßt, was dieser Brauch
im Grunde bezweckt. Man bricht dort z. B. das Haus des Toten ab, verteilt aber die ein-
zelnen Teile zu weiterem Gebrauch an die Hinterbliebenen mit der Weisung, sie keinesfalls
je wieder in der alten Weise zusammenzubauen. Dieses Beispiel für die Alles- oder Nichts-
Reaktion im Denken des magischen Menschen zeigt ganz klar, daß er sich nicht deshalb
scheut, den Nachlaß des Toten in Besitz zu nehmen, weil dieser mit dessen Wesen infiziert
sein könnte, sondern weil dieses sich Aneignen für sein Empfinden Raub bedeutet. Denn
— wie wir ja wissen — gehört der Tote für eine Zeit lang noch ebensogut zu der Stammes-
gemeinschaft wie jeder andere Lebende auch. Erst wenn man daher die Form seines Be-
sitzes verändert und daraus etwas Neues macht, das mit dem Toten nach primitiver Vor-
stellung, die fast alle Vorgänge nur in ihrer Ganzheit auffassen kann, nichts mehr zu tun hat,
werden durch eine Aneignung die Rechtsanschauungen nicht mehr verletzt.
Nach allen diesen Überlegungen scheint es mir daher nicht zulässig, die Mäuse und
fliegenden Hunde selber als ,Seelen* der Toten anzusprechen. Möglich wäre dagegen, daß
sie dort häufig zum Anlaß von Mißernten werden, und daher sagt dann der stets bildhaft
und nur selten abstrakt denkende Eingeborene, wenn er unseren Begriff ,Mißernte* zum Aus-
druck bringen will: die Ratten und fliegenden Hunde kommen und fressen unsere Ernte auf,
wenn wir uns unerlaubterweise am Besitz des Toten vergreifen.
g) Speiseverbote.
Die Speiseverbote sind bereits besprochen,6 dennoch ist hier kurz darauf einzugehen, da
jedes Gebiet seine individuellen Züge zeigt, und die Berichte verschiedene Begründungen
dafür angeben, die einer Erörterung bedürfen. Wie bei den Batakern gelten diese Speise-
verbote auf Nias in erster Linie der Witwe, setzen aber bereits vor der Bestattung ein,
während mir danach nichts darüber bekannt wurde. Solange der Tote noch im Hause ist,
gehen die Frauen nicht von seiner Seite,7 und dürfen in dieser Zeit nichts anderes essen als
was man auch dem Toten als Opferspeise vorsetzt, also Reis mit Schweinefleisch. Diese
Nahrung nehmen sie nicht selber ein, sie wird ihnen vielmehr von den Kindern oder Sklaven
in den Mund geschoben. Auch die übrigen Teilnehmer an der Bestattung ernähren sich
lediglich von der bei Leichenfeierlichkeiten üblichen Kost.8
1 Moss p. 61.
2 Rappard p. 377.
3 van Dongen (I) p. 99.
4 Kruijt (II) p. 175.
5 v. Rosenberg (I) p. 214.
6 Vgl. p. 83-84.
7 Übrigens wird bei Häuptlingen auch noch acht Tage
nach der Bestattung am Grabe gewacht. Dabei ist
schwarze Kleidung amonita (verboten), sie muß rot,
gelb oder weiß sein. (Schröder § 814). Diese Farben-
symbolik ist noch gänzlich unaufgeklärt.
Ich kann dazu nur anführen, daß die Figuren-Paare
an den großen Prunkgrabhäusern von Lahömi und dem
Moro-o-Tal blau-weiß und rot bemalt sind. Das gilt für
die Figuren, die scheinbar Szenen aus dem Eheleben des
Toten darstellen. Die andere Gruppe von Holzfiguren,
die mit Lanze und Speer ausgerüstet ist und gleichfalls
geschlechtliche Szenen darstellt, zeigt schwarze Farben
und soll die Geister symbolieren. Warum nun aber die
Hinterbliebenen sich nicht in der Farbe der beghus
kleiden sollen, läßt sich daraus allein schwer entnehmen.
Kleiweg (1) I, p. 21; Schröder I, § 8x3.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
103
Kruijts Erklärung dafür ist folgende. Die ,Seelen* der Verstorbenen nehmen nur die
Essenz der Speise zu sich, daher müssen auch die Gefährten des Toten und ganz besonders
die Witwe so tun, als ob sie ebenfalls nichts äßen.1 Er führt also die teilweise Speiseent-
haltung auf gewisse Sympathieäußerungen gegenüber dem Toten zurück, was doch wohl
ein wenig zu westlich und zu begrifflich gedacht ist. Dagegen scheint mir die Winthuissche
These von der geschlechtlichen Bedeutung der Speiseverbote der Sache mehr auf den Grund
zu gehen. Wenn bei den Batakern die Witwe wohl essen durfte, sofern sie die Nahrung nicht
an dem Platze einnimmt, an dem sie früher mit ihrem Manne zusammenlebte, so wird dieses
Tabu auf Nias dadurch umgangen, daß man die Frauen durch andere füttern läßt und sie
als die eigentlich Handelnden ausschaltet. Diese Tabugebräuche sind im übrigen die gleichen
wie in Mela- und Polynesien, wie sie Freud [(I) p. 71 ff.] eingehend untersuchte, auf den ich
nur verweisen kann. Dieses Tabu beruht nach ihm auf einer der zahlreichen Verschiebungen
der Libido, die, ausgehend von ihren beiden ursprünglichen Haupttrieben: Tötung des
Totemtiers (Vater) und Inzestverlangen nach dem Totemgenossen des anderen Geschlechts,
sich diese Dinge immer wieder versagen muß, daher stets neue Objekte für die Befriedigung
dieser Triebe aussucht und infolgedessen auch zu immer neuen Tabus gelangt.2 Eines von
diesen Tabus dürfte nun das vorliegende Speiseverbot sein.
Faßt man die scharfsinnigen Überlegungen Freuds und Winthuis’ zusammen, so
kommt man zu einem fast lückenlosen Beweis für die Errichtung solcher Speisetabus für
den ,Primitiven*. Denn das Speiseverbot steht für eine ursprünglich ganz anders lautende
Einschränkung, die sich auf unerlaubten geschlechtlichen Verkehr bezieht. Da man oben-
drein mit dem Akt des Essens ebenfalls geschlechtliche Vorstellungen verbindet,3 4 * so ver-
steht man wohl, warum von dem Eingeborenen diese Verbote mit besonderer Strenge und
Genauigkeit durchgeführt werden müssen.
6. Abschiedsbesuche des Toten, Sarglegung.
Im Norden legt man den Toten in seinen besten Kleidern* auf dem Rücken liegend im
Sterbehaus in den Sarg, und stellt diesen dann inmitten der Ahnenbilder auf.» Im Süden
Hammen geschieht dies außerhalb des Kampongs6 7 8 9 10 11, oder wie Schröder berichtet nach der
Rückkehr von den Abschiedsbesuchen im Sterbehause selber.’ Diese eigenartige Sitte
i Abschiedsbesuche des Toten ist von folgenden Umständen begleitet. Man trägt den
Toten in besonderen, nahtlosen Kleidern auf einem dazu eigens bestimmten Stuhl (usali)
festvebunden im Dorf umher, sowie einmal stromauf- und stromabwärts.» Lanze und Schild
des Verstorbenen werden dabei am Ausgang des Dorfes, wo der Leichenzug das Kampong
verläßt, in den Boden gesteckt.» Uber den Toten selber hält man einen Baldachin aus ver-
schiedenen Farben,*» um ihn vor Sonne zu schützen.'* Die Ruckwand dieses Stuhls bildet
eine hockende Ahnenfigur (sarabija). Betrachtet man sich einen solchen usali,* so sind damit
1 Kleiweg a. a. O.
2 Freud (I) p. 43. Schurtz p. 226: „Das Tabu haftet ur-
sprünglich nicht an den Sachen, sondern an den Per-
sonen, die es erst von sich auf andere Personen oder auf
beliebige Gegenstände übertragen.“
3 Vergleiche hierzu auch die geschlechtliche Bedeutung
der dreieckig gefeilten und geschwärzten Zähne. (Win-
thuis (I) p. no, 143 und 221 ff.)
4 Frazer (II) p. 86.
0 Schröder (I. §§ 802, 809.
6 Rappard p. 573.
7 Schröder a. a. O.
8 Rappard a. a. O. ; Schröder I, §§ 813, 823.
9 Nieuwenhuis en v. Rosenberg p. 42.
10 Vgl. Anm. (7) p. 102.
11 Schröder I § 813.
12 Im Munde (Winthuis (I) p. 9, 122, 219) hält diese Ahnen-
figur ein längliches Brett (Winthuis (I) p. 12), wahr-
scheinlich als Stütze für die Füße des Toten. Auf dem
Kopf (Winthuis (I) p. 227 ff.) der Figur erhebt sich ein
oben und unten abgestumpfter Kegel (Winthuis (I)
p. 12), dessen schmaleres Ende auf den Kopf zuläuft,
das breitere, obere den Sitz für den Toten abgibt. An
diesem flachen, rundlichen Sitz (Winthuis (I) p. 12) ist
ein sich nach obenhin verjüngendes Brett angebracht,
das oben in eine schmale, sichelförmige Halsstütze
(Winthuis (I) p. 219) ausmündet. Es ergibt sich also,
wenn man den Ausführungen von Winthuis zustimmt,
die dreimalige Vereinigung der beiden Ursymbole des
Zweigeschlechterwesens. (Vgl. Abbildung 9 bei Schröder,
Bd. II).
104
H. HEDENUS
nicht nur phallische Vorstellungen verbunden, sondern diese ganze Ahnenfigur selber ist in
höchstem Maße eine Darstellung des Zweigeschlechterwesens. Diese Feststellung — ob-
wohl sie von Schröder geleugnet wird — ist für unsere weiteren Ausführungen von Belang.
Da wir über den Sinn dieser Abschiedsbesuche der Leiche auf Nias nichts weiter er-
fahren, müssen wir versuchen, den selben Brauch an anderen Stellen Sumatras zu vergleichen.
Maass [(I) I, p. 80] berichtet von den Padanger Bovenlanden, daß man dort in Erinnerung
alter Hindugebräuche1 den Toten zuweilen aufgerichtet auf eine Matratze hinsetzt, ihm
eine Strohzigarrette in den Mund steckt und ihn unter der Begleitung der Mutter und anderer
weiblicher Angehöriger bei allen Bekannten herumträgt. Die etwa dabei an den Toten ge-
richteten Fragen werden von seinen weiblichen Begleiterinnen für ihn und in seinem Namen
beantwortet. Diese Minangkabauischen Gepflogenheiten zeigen, daß man den Toten ganz
wie einen Lebenden behandelt. Er raucht, spricht zu seinen ehemaligen Gefährten und sitzt
auf seiner Matratze wie er da zu Lebzeiten saß. Da nun der Niasser annimmt, daß sich der
Verstorbene noch vier Tage nach seinem Tode an seinen ehemaligen Wohnstätten aufhält2,
so könnte dieser Brauch die Absicht zeigen, vor dem Toten so zu tun, als ob man ihn noch
zu den Lebenden rechnete. Denn kein Toter geht gern in das Schattenreich ein; sollte er
daher gewahr werden, daß man ihn durch die Bestattung dorthin verweisen möchte, könnte
er leicht zornig werden und den Hinterbliebenen schaden.
Eine andere Möglichkeit der Deutung dieser Abschiedsbesuche wäre die, daß man ur-
sprünglich den Schuldigen an diesem Todesfälle herausfinden wollte, indem man ihm seinem
Opfer gegenüberstellte. So glauben z. B. die Kai (Deutsch-Neu-Guinea), daß der Tote im-
stande sei, ein Zeichen zu geben, wenn sich ihm der Schuldige naht. Er spuckt dann den
Betel, den man ihm in den Mund legte, aus oder macht sich auf andere Weise bemerkbar3.
Ein Nichterscheinen bei den Bestattungsfeierlichkeiten gilt daher als unausgesprochenes
Eingeständnis der Schuld. Da auch die Niasser die Ursachen für den Tod der Zauberei oder
Böswilligkeit eines anderen Menschen zuschreiben, so wäre eine solche Motivierung auch
hier keineswegs ausgeschlossen.
Eine dritte Deutungsmöglichkeit liegt in der Richtung der batakschen Abschiedsreden
an den Toten, wo man’diesen ebenfalls noch einmal kurz vor der Bestattung einen Blick auf
seine ehemalige Heimat tun läßt. Diese letzte Gegenüberstellung mit alle dem, was dem
Toten einst gehörte, sollte ihm klar machen, daß er sich nun davon trennen muß und auf-
hört zu den Lebenden zu zählen. Da Eingeborenen-Aussagen über den Sinn dieses Brauches
fehlen, läßt sich nicht entscheiden, welche der drei wahrscheinlichen Deutungen richtig ist.
Nicht viel klarer liegen die Dinge hinsichtlich der Form und der Bedeutung der Särge
selber. Sehr häufig hat man diese schon vor dem Tode angefertigt und läßt sie dann im
Hause stehen, bis man ihrer bedarf,4 Sie bestehen im Norden aus einem ausgehöhlten Baum-
stamm, dessen Hälften genau aufeinanderpassen.5 Das würde dem üblichen Batakersarg
entsprechen, dem sogenannten Bootssarg. Es ist sogar wahrscheinlich, daß diese Form von
den Batakern übernommen wurde, da sie im allgemeinen nur in dem stark unter fremden
Einflüssen stehenden Norden vorkommt, wo man überdies die Vorstellung eines Toten-
reichs besitzt, das in dem Ursprungsland der Ahnen liegen soll.6 Die Formen des Bootssarges
variieren je nach der Gegend und dem Reichtum der Toten. Schröder fand ganz einfache,
unverzierte Holzsärge, die lediglich durch eine, mit Rotangschnüren befestigte Latte oder
1 Sollte der Brauch übrigens wirklich aus der Hinduzeit
stammen, so dürfte das auch für die Herkunft dieser
Gepflogenheit auf Nias ein Fingerzeig sein. Da diese Sitte
aber andererseits gerade im Süden auftritt, wo alle Vor-
stellungen sich von alters her ziemlich rein erhalten
haben, bleibt der Gedanke der Entlehnung doch immer-
hin fraglich.
2 Vgl. Lévy-Bruhl (I) p. 58 ff.
3 Lévy-Bruhl (I) p. 67.
4 Schröder I, p. 281, § 806.
5 Rappard p. 57off.
6 Camerling p. 76.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE I05
auch überhaupt nicht bedeckt waren. Daß bei solchen Särgen der Inhalt mit der Zeit
herausfallen muß, kümmert den Niasser nur wenig, denn bei ihm enden Kult und Pflege
des Toten, wenn diese bestattet und sein Körper zerfallen ist.
Im Gegensatz zum Bootssarg gibt es in Zentral- und Süd-Nias Särge, die vorn mit einem
Vogelkopf, der an einen Nashornvogel erinnert, und hinten schmal zulaufend mit einem
Knopf verziert sind.1 Der Schnabel soll einen beschirmenden Einfluß ausüben. Nach den
Erörterungen über die primitive Symbolik des Nashornvogels2 und des Phallos als Abwehr-
zauber ist der Grund für die beschirmende Wirkung des Vogelschnabels klar. Es zeigt sich
darin auf Nias die gleiche Tendenz wie bei den Batakern, die an ihren Särgen zum Teil noch
heute phallische Symbole unverhüllt anzubringen pflegen. Ob der Vogelsargform als solcher
noch irgendwelche weitere Symbolik zukommt, kann ich nicht entscheiden, da mir auf Nias
von einem Vogel als ,Seelenträger4, wie wir ihm z. B. auf Malakka finden,3 nichts bekannt
wurde.
Die bei weitem gebräuchlichste Sargform des Südens ist der Steinsarg, den man un-
mittelbar auf der Erde stehen läßt oder ihn auch'auf einer Unterschicht von Steinen auf-
stellt.4
7. Bestattungsarten.
Außer der Steinsargbestattung kommt im Süden von Nias hauptsächlich das Aussetzen
der Leiche auf 6 Fuß hohen Gerüsten vor. Erdbestattung ist nur sehr selten.
Der Sarg wird, ehe man ihn auf das Gerüst stellt, mit rot-weißen Tüchern umhüllt.
Gegen die Witterungseinflüsse sucht man ihn zu schützen, indem man über ihm ein kleines
Schutzdach anbringt. Wimpel, Flaggen (badredra) und hölzerne, geschnitzte Vögel (manu-
manu) werden in seiner Nähe aufgestellt oder auch am Gerüst selber befestigt.5 Um diese
Gestelle herum schlingen sich sehr bald zahlreiche Pflanzen, so daß die Beisetzungsstätten
nach kurzer Zeit das Aussehen einer Art Plantage zeigen.6 Ob diese Wildnis, durch die
jeder Zugang abgeschnitten ist, beabsichtigt ist oder nicht, steht dahin. Vom Norden wird
ausdrücklich berichtet, daß man an den Grabstätten eigens üppig wuchernde Vegetation
anlegt, um den beghu die Rückkehr nach dem Dorf zu erschweren.7
Fragt man warum sich die Südniasser gerade für diese Bestattungsart entschieden
haben, so ist eine Antwort darauf schwer. Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, was ein
Mentawei-Häuptling zu dieser Frage zu sagen hatte8, da seine Anschauungen charakte-
ristisch für die Vorstellungen der umliegenden Völker Sumatras sein dürften. Nach ihm
sollen die Toten deshalb nicht zur Erde bestattet werden, weil sonst alle von dem Feuer
das unter der Erde brennt, vernichtet würden. Im Norden von Nias mag diese ursprüngliche
Anschauung verloren gegangen sein, denn dort sind es gerade die gewaltsam Verstorbenen
die man zur Strafe derartig bestattet. Mit Ausnahme von im Kampf Gefallenen und
meist auch von Ertrunkenen läßt man solche Leichen entweder einfach liegen oder setzt
sie auf Gerüsten aus. Hier bewahrheitet sich also wieder die Theorie von Moss (p 21 iu
217), daß man die weniger geachteten Toten durch eine gesonderte Art der Bestattun * *
ein anderes Totenreich zu senden versucht wie die übrigen, ferner daß dieses Totenreich
meist das des unterlegenen Stammes ist. Denn der Norden wurde allem Anschein nach
stark von batakscher Seite her beeinflußt, man nahm deren Sitten____die Erdbestattu ______
an, und hielt deren Kultur infolgedessen für die bessere, während die ursprünglich* ein-
1 Nieuwenhuis en v. Rosenberg p. 42; Rappard p. 574; 5 Schröder I, §§ 833, 835; Rappard n r7*
Schröder § 281. 6 Rappard p. 421.
2 Vgl. p. 75.
3 Winthuis (I) p. 228, vgl. p. 168.
4 Schröder I. §§ 835, 840. Deel 26 (1881)
7 Schröder § 830.
8 H. A. Mess, „De Mentawei-Eilanden“, T. I. T. L. V.
14 Baessler-Archiv
io6
H. HEDENUS
heimischen Bräuche nur noch für arme und unliebsame Stammesgenossen Anwendung
fanden.
Neben dieserBestattungsart kennt man für dieArmen auch noch eine noch primitivere ;
Man bindet sie einfach auf ein Brett und legt dieses dann außerhalb des Kampongs auf
den Boden oder auch auf Bäume.1 Sklaven bleiben sogar häufig unbestattet.
8. Leichenschmaus und Speiseopfer.
Im Norden wie im Süden wird der Tote schon am nächsten Tage, nachdem er die
Augen für immer geschlossen hat, zur letzten Ruhe bestattet. Nur sehr reiche und an-
gesehene Stammesmitglieder läßt man so lange über der Erde stehen, bis die Mittel zum
großen Totenmahl zusammengebracht sind.2
Während im ersteren Fall nach der Bestattung nur ein kleines Essen stattfindet, dem
nach einiger Zeit noch ein anderes, größeres folgt, ist in dem anderen Fall das Totenmahl
geradezu in den Mittelpunkt der Bestattungsriten gerückt. Dennoch hat es hier auf Nias
seinen ursprünglichen und Religiösen ‘Sinn fast gänzlich verloren.3 Man sagt zwar, daß es
zum Ruhme des Toten veranstaltet würde, denn je mehr Tiere geschlachtet werden, desto
angesehener ist seine Stellung im Jenseits, im Grunde aber ist es nur mehr eine Macht- und
Prestigefrage der Hinterbliebenen. So kommt es vor, daß ein Häuptlingssohn nach langer
Zeit noch ein zweites großes Totenmahl für das verstorbene Familienoberhaupt gibt, wenn
ihm inzwischen eine andere reiche Familie durch die Anzahl der anläßlich eines Todesfalles
geschlachteten Schweine zuvorgekommen ist. Bei diesen zweiten Fest wird dann einfach
die noch fehlende Anzahl von Tieren nachgeschlachtet.4
Auch den beghus pflegt man an manchen Stellen im Anschluß an das Totenmahl der
Hinterbliebenen unter der Treppe des Hauses ein kleines Mahl herzurichten. Allerdings
schreibt Schröder [I § 817], daß er auch davon nur aus zweiter Quelle gehört habe. Dennoch
erscheint mir diese Sitte im Zusammenhang mit den bereits früher besprochenen Abwehr-
zaubern, die man gerade an dieser Stelle anwendet, als durchaus wahrscheinlich. Indem
man den beghu dorthin Speise setzt — übrigens nur in zerbrochenen Gefäßen — lenkt man
sie ab, so daß sie den wahren Zweck ihres Kommens vergessen.
Selbstverständlich erhält der beghu auch sonst die allgemein üblichen Speiseopfer. Er
bekommt sie bereits mit ins Grab,5 und erhält außerdem noch vier Tage nach der Bestattung
Rauch- und Eßwaren, sowie seine Liegematte, was ihm alles von den Hinterbliebenen nach
seiner neuen Wohnstätte nachgebracht wird.6
9. Heraustragen des Sarges, Leichenstreit.
Das Heraustragen des Sarges geschieht auf Nias allgemein auf dem gewöhnlichen Wege
nur tote Wöchnerinnen7 werden wie im Batakland auf besondere Weise aus dem Hause
geschafft.
Auch der von Sumatra her bekannte und bereits besprochene Streit um die Leiche bei
deren Heraustragen tritt hier regelmäßig im Süden und Norden auf.8 Hier sind es vor
allem die Frauen, die diesen stereotypen Beweis ihrer Liebe zum Toten und ihrer Unschuld
an dessen Dahinscheiden zu liefern haben. Vielleicht könnte man daraus schließen, daß
man sie unbewußt für die Hauptschuldigen an diesem traurigen Ereignis hält, was auch
1 Schröder I, § 813. 5 Schröder I, § 809.
2 Rappard p. 570. 6 Rappard p. 570.
3 Vgl. p. 77/78- 7 Schröder I, § 824.
4 Nieuwenhuis er v. Rosenberg p. 42 ff. 8 Fehr p. 54; Schröder I, §§ 809, 813.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
107
psychologisch wohl verständlich wäre. Denn die Frau hat bei den patriarchalisch ein-
gestellten Niassern eine sehr wenig angesehene Stellung, so daß man ihr alles nur mögliche
Schlechte zutraut, und außerdem sind die ambivalenten Gefühlsschwankungen um so
größer, je enger die Beziehungen sind, die uns an einen Menschen knüpfen.1
Ist der Sarg, der mit allerlei Goldzierrat und anderen Dingen bedeckt ist, die ty-
pischerweise vor dem Begräbnis (vor dem Unschädlichmachen des Toten und seiner
Wirkungen) von den Frauen wieder zurückgenommen werden, endlich zum Hause hinaus,
so wird auf dem Dorfplatz noch einmal Halt gemacht.2 Dort wird der Sarg mit dem Kopf-
ende auf einen Kochtopf gestellt, in dem sich Reis und ein Küken befindet, das Fußende
dagegen auf einen Hahn.3 Beide Opfer werden dadurch von dem Sarge zermalmt. Rappard,
(p. 57off.) dessen Bericht aus der Zeit um 1909 stammt, gibt an, daß man den Sarg früher
anstelle des Kükens einen geschnellten Kopf zerdrücken ließ, um dem Toten den ,Ruf der
Tapferkeit* ins Jenseits vorauszuschicken. Zu dem Hahn weiß dagegen Schröder (a. a. O.)
an anderer Stelle anzumerken, daß er beim Tode von Häuptlingen im Norden von Nias
einen roten Tuchhahn am Vordergiebel des Hauses aufgehangen sah. Seine Bedeutung blieb
ihm unbekannt. Nach Winthuis [(I) p. 168, 180] ist er als phallischer Abwehrzauber an-
zusprechen. Trotzdem bleibt es sehr zweifelhaft, ob der Hahn in unserem Spezialfall die
gleiche Symbolik hat.
Da diese beiden kurzen Bemerkungen von Rappard und Schröder das einzige sind,
was ich in der Literatur zur Deutung dieses Brauchs fand, so kann vielleicht die Unter-
suchung der Symbolik des Koppensnellens Anhaltspunkte bieten, da dieses früher schein-
bar engstens mit unserem Brauch verbunden war.
10. Das Koppensnellen.
Über das Koppensnellen auf Nias hören wir bereits von dem persischen Kaufmann
Solennan aus dem Jahre 851 n.Chr.- Auch in der heutigen Zeit soll es hier und da trotz des
scharfen Verbots der holländischen Regierung vereinzelt Vorkommen, wenn inan sich auch
etzt an manchen Stellen hölzerner Köpfe bedient.• Anlaß zum Koppensnellen wird vor
aUem durch den Tod eines Häuptlings gegeben, aber auch beim Wiederausgraben und
Reinigen der Knochen werden Kopftrophaen dargebracht.6 .
Diese Sitte wurde vielseitig erörtert, ohne daß man dabei zu einer Einigung gelangt
wäre Wie Rappard mitteilt, soll sie den Beweis eigener oder auch der Tapferkeit des Ver-
warc. V 7 Schon Kleiweg hat diese Auffassung damit widerlegt, daß es sich
bTmToUensneflen meist um den Meuchelmord eines Feindes oder Sklaven handelt und
daß man die Köpfe einfach von beruflichen Koppensnellern kaufen konnte.
Kruiit und Schröder dagegen nehmen als wichtigsten Grund an, daß der Tote durch
Zufügen der lumo-lumo des Opfers an ,Seelenstoff1 bereichert werden soll«. Möglich wäre
ein solcher Gedanke allerdings, denn die beghu müssen erst neu beseelt« werden, um im
T . „ r-p- 7U Sein.9 Dennoch scheint diese Erklärung die Sache nicht zu treffen.
Jenseits exis e g auf ganz Nias eine solche Vorstellung über den beghu, während
dagegen' das Koppensnellen überall zu finden ist, und zweitens sind solche Anschauungen
1 Vgl. hierzu auch Freud (II) das Kapitel über die All-
macht der Gedanken.
2 Fehr p. 54. Übrigens sitzt in Nord-Nias auch der älteste
Sohn auf dem Sarg und wird mit diesem zu Grabe ge-
tragen. Er verbirgt dabei sein Gesicht in die lauru
(Reismatte), in der, bedeckt mit einem Tuch (so om-
bawa), die eheha aufgefangen wurde. (Schröder I, § 809).
3 Schröder I § 809; Kleiweg (I) I, p. 31.
4 Kleiweg (I) I, p. 24.
0 Kleiweg a. a. O.
6 Rappard p. 571(72; wegen weiteren Anlässen für das
Koppensnellen siehe Kleiweg (I) I. p. 25(26.
7 Kleiweg (I) I, p. 28; Vomering p. 1325.
8 Kruijt (I) p. 18/19; Schröder bei Kleiweg (I) I, p-3°/31 •
9 Vgl. p. 91.
io8
H. HEDENUS
so kompliziert, daß man sie" nicht als ursprüngliche ansprechen kann. Jedenfalls müssen
sie sehr viel später als das Koppensnellen entstanden sein, das man auf Nias und bei den
Dajaks (Borneo) schon auf primitivster Kulturstufe findet. Dagegen würden ferner der
Gebrauch hölzerner Köpfe als Ersatz in heutiger Zeit sprechen,1 denn in ihnen dürfte sich
doch wohl keine lumo-lumo befinden. Wir hören auch nichts davon, daß man versucht,
solche zuvor künstlich hineinzubringen. Gewiß könnte man sagen, daß die heutigenNiasser
vielleicht selber nicht mehr den Sinn ihrer alten Riten kennen und einfach den alten Brauch
auf irgendwelche Weise nachgeahmt haben. Doch auch das erscheint mir unwahrscheinlich.
Wenn einmal das Bedürfnis vorhanden ist, eine Sitte, die sich in der alten Form nicht mehr
durchführen läßt, in anderer Weise zu erneuern, so weist das zugleich auf eine innere Not-
wendigkeit und Lebendigkeit dieses Brauches. Man würde sonst wohl einfach diesen Brauch,
wie so viele andere auch, fallen lassen und es sich bequem machen.
Als nächsten Grund führen Kruijt und Vomering an, man wolle dem Toten die ge-
nügende Dienerschaft im Jenseits besorgen.2 Dies ist bereits eine sehr alte Theorie, die auch
zur Erklärung der Grabopfer aufgestellt wurde. In unserem Falle bleibt dabei aber un-
berücksichtigt, daß höchstwahrscheinlich längst Köpfe abgeschlagen wurden, ehe man etwas
von Sklavenhaltung oder einem ,Dienerstand‘ wußte. Zudem werden Köpfe auch noch aus
ganz anderen Anlässen dargebracht, wie z. B. beim Schließen von Heiratsverträgen und
Mündigkeitserklärungen (Ceram und Borneo),3 ferner bei Geburten und Einweihung von
Häuptlingshäusern (Mentawei, Timor, Dajaks auf Borneo).4 Bei diesen'Anlässen paßt die
obige Erklärung ganz und gar nicht.
Kruijt (a. a. 0.) stellt dann noch eine ebenfalls etwas komplizierte These auf. Er meint,
die Seele des Geopferten solle alle die Bitten und Opfer der Hinterbliebenen mit anhören
und dann dem Toten davon berichten. Nun lebt aber der Tote nach niassischer Vorstellung
durchaus noch mitten in seiner alten Gemeinschaft. Er bedarf sogar nicht einmal schama-
nistischer Riten wie bei den Batakern, um sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Allerdings
dürfte in Indonesien eine gewisse Vermittlung zwischen den Bewohnern der Erde und des
Totenreiches bekannt sein. So geben z. B. die Bataker dem Toten allerlei Dinge mit ins
Grab für ihre früher verstorbenen Anverwandten.5 Dennoch kommt eine solche Auffassung
in unserem Falle wohl kaum in Frage, da von einem gewalttätig Geopferten nicht gerade
anzunehmen ist, daß er im Totenreich günstige Aussagen über seine Mörder machen wird.
Das beweist allein die große Furcht, die die Leute vor der Rache eines solchen Opfers haben
und all die Vorsichtsmaßregeln, die um seinetwillen getroffen werden.6
Weitere Thesen von Vomering, Friess und anderen,7 wonach das Koppensnellen den
Zweck hat, zauberkräftige Kopftrophäen zu erhalten oder dem Toten damit einen Ehren-
beweis zu geben, wurden ebenfalls schon von Kleiweg [(I) p. 33] widerlegt.
1 Camerling p. 174/75; Kleiweg (I) I, p. 23.
2 Kruijt (I) p. 18/19; Vomering p. 1167 und 1173.
3 Vomering p. 1329/30.
4 Vomering p. 1320, 1330, 1335.
5 Warneck (I) p. 72.
6 Kleiweg (I) I, p. 33. Über die Opferung und ihre Vor-
sichtsmaßnahmen wären noch folgende Einzelheiten zu
erwähnen. Unmittelbar vor der Exekution werden dem
Opfer zunächst einige Haupthaare abgeschnitten, die
der gere (Zauberpriester) dem adu zatua des Toten an-
heftet. Sein Rumpf wird nach der Hinrichtung außer-
halb (!) des Kampongs begraben, während der Kopf
vorläufig vor dem Eingang des Sterbehauses beigesetzt
wird. Nach Monaten gräbt man dann seinen Schädel
von neuem aus und hängt ihn unter dem Dach des
Hauses oder in einem Schädelhäuschen auf. (Nieuwen-
huis en v. Rosenberg p. 42ff.).
Eine solche Hinrichtung heißt benu hogo (Ehren-
beweis durch Köpfen). Im Gegensatz dazu steht das
benu auri (Ehrenbeweis mit im Leben lassen), wo man
dem Opfer lediglich das besagte Haarbüschel ab-
schneidet und ihm zum Schein mit dem Rücken des
Schwerts auf den Nacken schlägt. (Kleiweg (I) 1, p. 27).
Gerade dieser Niassische Brauch ist in anderer Hinsicht
ein guter Beweis für die Theorie Wilken’s, das Haar-
opfer in Indonesien als ein verkapptes Menschenopfer
anzusehen. (Wilken (II) p. 75—77). ln Nias findet man
dazu übrigens noch anderes reiches Material. Träumt
z. B. ein Eingeborener, daß ihm die Kopfhaare abge-
schnitten werden, so weist das auf seinen baldigen Tod
hin, denn Lature pflegt den Schweinen (Menschen) vor
dem Schlachten einige Haare abzuschneiden. (Kleiweg
I, p. 264/65, 248, 78).
Kleiweg (I) I, p. 33; Vomering p. 1178 und 1327.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
109
Ich möchte mich daher mit Kleiweg [(I) I p. 34] dafür entscheiden, daß das Koppen-
snellen als ein Sühneopfer anzusehen ist. Nicht nur der folgende Vers, der von den Niassern
bei der Darbringung des Kopfes an den adu zatua des Verstorbenen hergesagt wird, sondern
vor allem die ganze psychologische Situation spricht für diese Annahme. So sagt der älteste
Sohn bei dieser Gelegenheit:1
,Erwürg nicht unsere Knaben mehr,
gezollt ist Dir Dein Anteil schwer;
Erwürg nicht unsere Söhne mehr,
Du hast nun Deine Ruh und Ehr/
Ebenso wie man im alten Rom einen Prügelknaben hielt, einen Sklaven, der alle Strafen
tragen mußte, deren sich die Kinder reicher Leute schuldig gemacht hatten, ebenso wird auch
hier ein anderer getötet, um die Schuld der Hinterbliebenen am Tode ihres Familienmit-
gliedes abzubüßen.
So wird auch verständlich, warum man zu Anlässen wie Geburt, Heirat und Ein-
weihung von Häuptlingshäusern ebenfalls Köpfe abschlägt. Denn bei all diesen Gelegen-
heiten ist die günstige Gesinnung des Ahns von besonderer Wichtigkeit, als Spender der
Fruchtbarkeit, des Regens und anderer Glücksumstände.
Wenn man als Opfer in erster Linie Leute aus fremden Stamme nimmt, so dürfte das
noch den weiteren Grund haben, daß man auch noch den Verdacht der Schuld von sich
abwälzen will, indem man dadurch andeutet, daß es die Fremden, die Feinde waren, die
dieses Unglück anrichteten. Zu welchen Konsequenzen das schließlich führen kann, sehen
wir aus einem Bericht Schröders [I § 818] von einem Totenfest in Hilisimaeta-no (Süd-Nias.)
Dort soll der sterbende Häuptling seinen Erben mitgeteilt haben, wieviel Köpfe und die
Köpfe welcher Feinde er dargebracht haben wollte. Der alte Brauch, die Rachegelüste des
Toten an seinen Hinterbliebenen zu stillen, wird hier umgewandelt in die Befriedigung der
Rachegelüste des Toten überhaupt.
Ein Bericht von Nieuwenhuis en v. Rosenberg [p. qzff.], der im übrigen unsere hier
gefundene Deutung durchaus bestätigt, zeigt noch einen kleinen besonderen Zug auf, der
bisher der Beachtung entgangen zu sein scheint. Danach häuft man, um den neidischen Ge-
lüsten des Toten nach seinem ehemaligen Hab und Gut zu entgehen, auf dem Kopf eines
Sklaven soviel als möglich von dem früheren Besitz des Toten auf. Dann schlägt man ihm
den Kopf ab, wodurch die Beziehungen zwischen dem toten Häuptling und seinen alten
Stammesgenossen ebenfalls abgeschnitten werden. Der Nachdruck liegt also hier auf dem
trennenden: ab! So wie man den Kopf des Sklaven vom Rumpfe trennt und mit dem Be-
sitz des alten Häuptlings an diesen darbringt, so soll er sich andererseits von seiner Gemeinde,
seiner Familie, dem zurückgelassenen ,Rumpfe4 trennen. Daß eine solche Annahme magi-
schem Denken des Indonesiers durchaus entspricht, soll durch ein Beispiel erhärtet werden.
Will der Malaye, daß jemand stirbt, so braucht er nur ein eigens angefertigtes Abbild des
Toten mit dem Kopf nach unten in ein Leichentuch zu wickeln und es auf dem Wege, den
das Opfer beschreiten muß, zu begraben, dann wird sein Ziel sicherlich erreicht.2
Aus diesen Erörterungen sehen wir, wie kompliziert die Ausdeutung dieser alten Ge-
bräuche der Naturvölker ist. Obwohl wir uns zu einer bestimmten Deutung entschlossen
haben, konnte auch sie nicht ganz einheitlich motiviert werden. Es ist überhaupt nicht zu-
treffend, bei solchen Untersuchungen stets gichtig4 und ,falsch4 sagen zu wollen. Im Gegen-
teil, wenn die Erklärungen nicht lediglich unseren begrifflich logischen Abstraktionen ent-
stammen, sondern durch Eingeborenenzeugnisse belegt werden können, so sind auch sie
,richtig4, mögen sie auch noch so sehr von einander abweichen. Man muß dabei nur die
1 Kleiweg (I) p. 32. 2 Frazer (I) p. 19.
I IO
H. HEDE NUS
historische Bedeutungswandlung aller Sinneszusammenhänge in Rechnung stellen. Wobei
es mir hingegen bei den Ausdeutungen der Riten in dieser Arbeit vor allem ankommt, ist,
die Situation aufzuspüren, die Ritus oder Brauch bedingte. Diese müßte sich wohl bei ge-
nügendem Quellmaterial eindeutig bestimmen lassen. Andererseits werden natürlich andere
Deutungen dadurch nicht ausgeschlossen, wenn man dabei hinzusetzt, es solle die oder
jene Sitte z.B. zurZeitder ersten Berührung der Eingeborenen mit den Europäern etc. erklärt
werden.
Um nach dieser Klärung der Bedeutung des Koppensnellens auf unseren speziellen
Brauch zurückzukommen, wobei von dem Sarg ein Hahn und ein Küken zermalmt werden,
so ergibt sich folgendes. Ehe man den Toten aus der Umfriedung der Dorfgemeinschaft ent-
läßt und herausträgt, wird ihm noch ein Sühneopfer vorgesetzt, damit er nicht in Groll von
den Seinen scheide. Indem man als Ersatz eines abgeschlogenen Kopfes an dieser Stelle
Reis und Küken wählte, das wahrscheinlich von den übrigen Opferspeisen des Totenmahls
genommen wurde, wird gleichzeitig das Band der ,kinship* mit dem Toten, das durch ge-
meinsames, geheiligtes Essen erneuert wird, von neuem in Erinnerung gebracht und ge-
stärkt.1
Diese ,Erklärung* ist ein Versuch, diesen Problemen zunächst einmal nahe zu kommen.
Es bleibt dabei unaufgehellt, warum man gerade Hahn und Küken dazu benützt, und ob
deren Blut wirklich ein vollgültiger Ersatz für das einstmals beim Koppensnellen vergossene
Menschenblut sein kann.
II. Die Moko-Moko.
Am Schluß dieser Erörterung der Niassischen Bestattungsgebräuche ist noch über den
eigenartigen Brauch der Einholung der Moko-moko zu sprechen. Unter ihr versteht man
die ,Herzkraft* des Toten (noso-dodo), die man in Gestalt einer kleinen schwarzen, Gold
gepunktelten Spinne bei der Manao-Feier vom Grabe aufliest, um ihr dann in dem adu zatua
des Toten eine Wohnstätte anzuweisen.2 Da diese noso-dodo nicht sofort nach dem Tode in
die Moko-moko übergeht, kann man sie erst nach einiger Zeit vom Grabe abholen, meist
erst nach einigen Monaten, manchmal erst nach einem Jahr oder mehr. Holt man sie jedoch
gar nicht, so schickt sie dem Menschen Krankheit oder geht überhaupt fort, was für die
Hinterbliebenen das größte Unglück bedeutet.3
Am Tage der Manao-Feier versammeln sich alle Familienmitglieder mit dem ere
(Priester) am Grabe, wo das Schwert, der Schmuck und die besten Kleider des Verstorbenen,
sowie Reis, Fleisch und Palmwein auf dem säuberlich gereinigtenPlatz für den Toten bereit
gelegt worden.4 Dann werden alle Teilnahmer ausdrücklich bei ihrem Namen aufgerufen5.
Diese Namensnennung ist für den magischen Menschen im höchsten Maße auffällig,
und es ist daher bedauerlich, daß darüber keine weiteren Beobachtungen angestellt wurden.
Denn gerade auf Nias glaubt man, daß dem Menschen von dem beghu Schaden zugefügt
würde, wenn man ihn bei seinem eigentlichen Namen riefe. Deshalb vermeidet man es be-
sonders bei Kindern — sie bekommen einen eigenen Scheltnamen als Rufnamen6 — sowie
auch bei Erwachsenen den wahren Namen eines Menschen auszusprechen.7 Wird ferner
beispielsweise ein Kind krank, so glaubt man, daß die Ursache dafür bei einer falschen
Namensgebung liegt, und ändert infolgedessen seinen Namen.8 Das Aussprechen des Namens
bei gewissen Zaubereien (Liebeszauber u. a. m.) gibt geradezu Gewalt über den anderen9.
Allerdings wird in unserem Fall die Gefahr der Namensnennung wesentlich abgeschwächt,
1 Vgl. p. 68. 6 Kleiweg (I) 1, p. 242.
2 Vgl. p. 92/93. 7 Frazer (I) p. 357
3 Kleiweg (I) I, p. 18/19; Wilken (I) p. 170. 8 Kleiweg a. a. O.
4 Wilken a. a. 0.; Chatelin p. 1461!. 9 Kleiweg (I) I, p. 78.
0 Schröder I, § 812.
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
11 I
indem der Einzelne nicht selber seinen Namen nennt, sondern der ere es für ihn tut. Dies ist
nach den Dadegungen von Frazer [(I) p. 358] ein großer Unterschied und lange nicht so ge-
fährhch. Ferner befindet man sich hier ausschließlich unter Stammesgenossen, was jedoch
nicht die Gegenwart feindlicher beghus ausschließt.
Die einfachste Deutung dieses Brauches in unserem Falle wäre wohl die Absicht der
moko-moko kund zu tun, daß es wirklich die Stammesgenossen sind, die zu ihrer Abholung
kamen, und sie daher ohne Scheu hervorkommen kann. Dies ließe sich aber auch auf andere
Weise erreichen, ohne dabei eine so gefährliche Handlung zu vollziehen, wie es die Namens-
nennung in jedem Fall für den homo divinans ist. Wir müssen daher noch andere Motive
annehmen. Der ganze feierliche Augenblick mit seinen nachfolgenden nmcto jv i j
streng durchzufuhrenden Zeremonien laßt erwarten, daß man sich zu Beginn der Ver
anstaltung zunächst noch einmal der Zusammengehörigkeit und Gutwilligkeit der einzeln
Teilnehmer versichert. Das Aufrufen und gegenseitige Austauschen der Namen dürfte daher
— wie an anderer Stelle der Austausch von Blut — als ein Mittel zur Erneuerung der kin
ship‘ angesehen werden. Denn für den magisch denkenden Menschen ist der Name ebenso gut
ein Teil des Körpers wie das Blut und er kann unter Umständen die gleiche Lebenswichtigkeit
erlangen.
Nachdem man feierlich alle Anwesenden bei ihrem Namen aufgerufen hat setzen sich
alle rund um das Grab herum und unter Trommelschlag und Hermurmeln von Zauber-
formeln beginnt das Suchen nach der Moko-moko. Sucht man länger als einen Tag vergebens
nach dieser Spinne, so begibt man sich nach der dela (Zufluchtsort der beghu) und sucht
dort weiter. Von dieser dela mit ihren zwei Reihen von Ahnensteinen, aufrechten langen und
liegenden quadratischen,1 die man gelegentlich eines Festes füttert und mit Zweigen schmückt
hat bereits Chatelin (p. iqSffOeine klare, umfassende Schilderung gegeben, auf den ich ver-
weise. Hat man dort schließlich die moko-moko oder moko-mokos in kleinen Bambus-
behältern eingefangen, so läßt man sie später wieder frei auf einem ausgebreiteten Sarong
herumlaufen, da man ihnen Gelegenheit geben will, ihre Ahnen kennen zu lernen. Dabei
kommt es nun nur zu häufig vor, daß sich eines der Tierchen verkriecht. Trotz großer an-
fänglicher Bestürzung weiß man sich damit rasch abzufinden, indem man einfach ein anderes
dafür nimmt, mag es auch noch so sehr von dem früheren verschieden sein. Dann sagt man
lediglich, daß Spinnchen habe eben in der Zwischenzeit das Kleid gewechselt. Kann man gar
keinen Ersatz finden, so tröstet man sich damit, wenn es sich um arme Leute handelt daß
die moko-moko wohl bereits allein nach dem Dorfe zu ihrem adu zatua zurückgelaufen sei
Gerade dieses Verhalten zeigt wieder einmal die überraschende Übereinstimmung von
Vorstellung und Wahrnehmung im Denken des magischen Menschen. Es ist unberechtigt,
dem Eingeborenen vorzuwerfen, daß er seine Sache nicht ernst nähme oder daß er ein
Heuchler wäre, denn er sieht tatsächlich — genau wie unsere Kinder — in der Wirklichkeit
das, was er sehen will.
Ist man nach Hause zurückgekehrt, so wird unter allerhand Zeremonien, wie Auf-
stellen eines Geschlechtsregisters usw. der Behälter mit der moko-moko geöffnet und vor
das Ahnenbild gestellt, damit das Spinnchen dort hineinkriechen kann. Anschließend daran
findet ein erneuter Leichenschmaus statt, an dem sich auch die Mädchen ausnahmsweise
beteiligen.2
Die Überbringer der moko-moko vom Grabe nach den Ahnenbildern ___________ meist die
ältesten Söhne — müssen sich daraufhin vier Tage lang in einem von Matten geschlossenen
Raum aufhalten. Wenn sie diesen zu bestimmten Verrichtungen verlassen so darf dies nur
1 In Anbetracht der Symbolik dieser Ahnensteine (vgl. 2 Chatelin p. 148 ff.
Winthuis (I) p. 12) dürfte die dela nach Winthuis ein
Ort sein, wo man dem Zweigeschlechterwesen huldigt.
SÄ
■MH
II2 H. HEDENUS
mit geschlossenen Augen geschehen. Die gleiche Vorschrift gilt bei ihrer endgültigen Ent-
lassung, wo sie unter Aufsicht des ere (Priester) auf dem säuberlich gefegten Weg heraus-
geführt werden.1 In der Zwischenzeit wird ihnen zu Ehren ein Ferkel geschlachtet, von
dessen Fleisch ihnen täglich etwas zusammen mit dem gewöhnlichen Reis in ihren , Gefängnis-
raum4 hineingereicht wird. Warum diese seltsame Abschließung stattfindet, hat leider bisher
keiner der Forscher versucht herauszufinden. Desgleichen wird uns nirgends berichtet, was
die Leute diese vier Tage lang innerhalb dieses geschlossenen Raumes machen und ob sich
auch Frauen unter ihnen befinden. Eine unmittelbare Deutung dieser Riten ist daher nahezu
ausgeschlossen, dennoch möchte ich analoge Dinge aus anderen Bräuchen zu einer späteren
Aufhellung anführen.
Reik gibt auf Grund seiner ausführlichen Studien über die Bedeutung der Initiations-
riten für das Gebot, die Augen bei dem Verlassen des Raumes zu schließen, folgende Auf-
klärung2: ,Die Blendung (auf welche das Geschlossensein der Augen hindeutet) als unbe-
wußtes Kastrationsequivalent ist nicht nur durch die Ödipusmythen, sondern auch aus
vielen Analysen von Träumen bekannt.4
Nimmt man daher Reik’s Deutung für diesen einzigen, genau überlieferten Zug an, so
ist zu vermuten, daß auch die übrigen Verbote ähnliche Sicherheitsmaßnahmen gegen die
Ausübung inzestuöser Wünsche bezwecken. Wie diese allerdings im einzelnen zu deuten
sind, läßt sich wegen der unvollständigen Überlieferung des Materials nicht ohne weiteres
sagen. Stellt man sich jedoch einmal die ganze Situation unseres Spezialfalls klar vor, so
ist es begreiflich, daß man sich größter Vorsicht bedient in dem Augenblick, wo man den
,Vater4, den Ahn, wieder in sein altes Heim zurückgeholt hat, nachdem man ihn vorher mit
Gewalt in ein Grab einsperrte und ihn von seinen Stammesgenossen trennte. Hat man sich
doch unterdessen all seines Besitzes, sowie seiner sozialen und anderen Funktionen be-
mächtigt, was schon allein Anlaß genug wäre, seinen Zorn und seine Rache zu fürchten.
Nur durch ständige Opfer und freiwillige Beschränkung — hier Enthaltsamkeit von dem
Verkehr mit den übrigen und dem anderen Geschlecht — kann einigermaßen das Unheil von
den Hinterbliebenen abgewendet werden.3
Fragt man nach dem Sinn dieser Einholung der Moko-moko, so kann uns dafür ein
bereits erwähnter Batakerbrauch Aufschluß geben. Das Ahnenbild hat keine Zauber- und
Lebenskraft, solange es nicht irgendwie ,beseelt4 wurde. Es ist das gleiche wie mit dem
Pangulubalang und den batakschen Zauberstäben. Erst durch den Pukpuk (Zauberbrei), in
dem sich der tondi des Opfers befindet, werden diese für ihre weittragenden Wirkungen be-
fähigt.
Wenn auch der Naturmensch sich auf der Stufe des Animismus die gesamte Natur als
irgendwie belebt vorstellt, so ist dieses keineswegs mit unserer entmaterialisierten Beseelung
zu verwechseln. Daß es eine ,höhere Kraft4 in unserem Dasein gibt, ist auch ihm auf jeder
Stufe bewußt und fühlbar geworden. Es blieb ihm jedoch verschlossen, sich diese,Kraft4 auf
dem Wege abstrakter Spekulationen als rein Geistiges in unserem Sinne vorzustellen. Diese
Kraft, die das Materielle beherrschen soll, blieb bei ihm dennoch rein materiell; Herz, Blut,
Haare und anderes (z. B. die Moko-moko) wurden dem homo divinans zu ihrem sicht- und
greifbaren Ausdruck.
1 Chatelin a. a. 0.; Kleiweg (I) I, p. 80. 3 Vgl. hierzu auch das Zurückgezogenleben der Witwe für
3 Reik p. 128; s. auch die Beiträge von Dr. 0. Rank, eine bestimmte Zeit nach der Bestattung.
Dr. M. Eder, Dr. R. Reitler und Dr. S. Ferenczi über
Augenträume und Augensymbolik in der Internat.
Zeitschr. f. Psychoanalyse Bd. I. (1923).
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BESTATTUNGSBRÄUCHE
T i
D. DAS GRUNDPROBLEM DES TOTENKULTS.
Wenn man zurückblickt auf diese zahlreichen und teilweise komplizierten Bestattungs-
riten des Kulturarmen, so erhebt sich die Frage, warum machen Völker, die sich im übrigen
mit bescheidenen Lebens- und geistigen Ansprüchen begnügen, im Falle des Todes so überaus
große Aufwendungen, die sich durch die Jahrhunderte hindurch unverändert erhalten ?
Warum halten Stammesverbände, die bereits auf der Stufe des Ahnenkults stehen, so zäh
an der Verehrung und der Furcht vor ihren Toten fest sowie an der Überzeugung, daß der
ganze Stamm bestraft und unweigerlich ein neues Todesopfer gefordert würde, wenn die
Bestattungszeremonien nicht in aller Form durchgeführt werden, ja daß selbst Natur-
erscheinungen wie Regen und Ertrag der Ernte dadurch beeinträchtigt werden können i1
Warum erscheint der Tote stets übelgesinnt und reizbar, mag er im Leben auch noch so
gut und freundlich gewesen sein ?
Lévy-Bruhl [(I) p. 61 ff.] gibt für alle diese Dinge zahlreiche Beispiele von den ver-
schiedensten Völkern der Erde, und bestätigt somit die allgemeine Verbreitung solcher Ein-
stellung gegenüber dem Toten bei allen Kulturarmen. Dennoch läßt er [(I) p. 72] sich dafür
auf keine näheren Erklärungen ein, da nach ihm die primitive Mentalität unseren logischen
Erwägungen so fernsteht, und ihre Sitten und Gebräuche ein derartiges Amalgam aus histo-
rischen Faktoren bildet, daß nur schwerlich eine psychologische Analyse zu wagen wäre.
Ich meine jedoch, daß gerade weil der homo divinans so allgemein trotz aller dieser Ver-
schiebungen an der Vorstellung des rachsüchtigen Toten festgehalten hat, eine allgemein
menschliche Einstellung zu Grunde liegen muß, die stärker ist als alle Stammestraditionen,
stärker als alle geographischen und völkischen Bedingtheiten, und die auch in uns irgendwie
mitschwingen und verständlich sein muß.
Vielleicht könnte hierfür die Psychoanalyse, die schon manche völkerpsychologische
Probleme aufklärte,2 etwas weiterhelfen.
Psychoanalytische Forschungen über Zwangsneurose ergaben, daß die Angst einem
schlechten Gewissen entstammt, das beim Zwangsneurotiker durch denjenigen geweckt wird,
gegen den sich ursprünglich seine selbstauferlegten Zwangsverbote richteten. Dieses schlechte
Gewissen beruht auf wirklichem oder eingebildeten Schaden, den der Neurotiker dem andern,
zufügte [oder zugefügt zu haben glaubt] oder auf der unbewußt bleibenden ambivalenten
Gefühlseinstellung zum anderen. Denn durch die Analyse wurde einwandfrei nachgewieseen
daß der Mensch auch dem Nächststehenden gegenüber bewußte oder unbewußte Gefühls-
schwankungen kennt, die zwischen größten Extremen wie Liebe und Haß hin- und her-
schwingen. Es gibt keinen durch Blutsbande oder sonstwie besonders nahestehende
Menschen gegen den man nicht einmal im Leben einen versteckten oder offenen Todes-
wunsch hegte, mögen auch solche Wünsche in der Mehrzahl der Fälle nicht bis an die Sphäre
des Bewußtseins empordringen. Das hindert unser Unterbewußtsein, das sich über bewußt
oder unbewußt nicht hinwegtäuschen läßt, keineswegs, solche Wünsche als durchaus real
zu quittieren.
Da der homo divinans den größten Teil seiner aktiven und passiven Lebensregungen
unmittelbar aus dem Unterbewußtsein bezieht, ohne sie zuvor der hemmenden Kritik des
Bewußtseins zu unterwerfen, so fühlt er sich demzufolge auch ganz real schuldig oder
wenigstens mitschuldig an dem Tode des Stammesmitgliedes. Findet man ja auch gerade in
Indonesien, wie auch sonst bei sehr vielen kulturarmen Völkern,3 daß man ohne weiteres
einen anderen Menschen der mit Hilfe des Ordals oder auf Aussagen des Sterbenden
selbst hin ausfindig gemacht wird offen für schuldig am Tode des Verstorbenen erklärt.
1 Lévy-Bruhl (I) p. 63.
2 S. die Schriften Freuds und Ranks im Literaturverz.
Lévy-Bruhl (I) p. 20 ff.
î 5 Baessler-Archiv
II4 H. HEDENUS
Ganz abgesehen davon, wird unsere Deutung auch noch durch die Tatsache gestützt, daß
der homo divinans gemäß der ,Allmacht der Gedanken4 meint, Gedanken könnten wirklich
töten, so daß man nur an den Tod eines anderen denken braucht, damit dieser auf der Stelle
stirbt.
Die bösen Geister der Toten sind daher als ,Projektionen der eigenen feindseligen
Regungen gegen den Toten41 aufzufassen, so wie wir von Menschen, die anderen nur Schlech-
tes Zutrauen, sagen, daß sie wohl selber schlecht sein müssen.
Diese knappen Andeutungen sind kein genügender Beweis für die allgemeine Annahme
des Naturmenschen von der Bösartigkeit des Toten oder Totengeistes, wohl aber ein Hin-
weis auf mögliche Erklärungen dieser Phänomene, wenn es dem Menschen überhaupt ge-
geben sein sollte, die letzten und tiefsten Motive unseres Handelns und Empfindens auf-
zuweisen.
1 Zulliger p. 45.
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Bevölkerungs-Karte von Sumatra.
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1
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’ 95 Abb.
Die zapotekischen Monumente haben bekanntlich gar-
nichts mit den sogenannten zapotekischen Bilderschriften
zu tun. Diese muß man also vollständig beiseite lassen,
wenn man etwas über das Wesen und die Bedeutung der
zapotekischen Hieroglyphen feststellen will. Letztere und
nicht, wie der Titel anzeigt, die Stelen überhaupt bilden
den Gegenstand der Betrachtung des Buches, da der Verf.
nur die Monumente mit Hieroglyphen heranzieht, soviel
ihm davon bekannt geworden sind. Außerdem werden
aber die zapotekischen Figurengefäße bei der Erklärung
der Hieroglyphen berücksichtigt. Durch die nebenstehen-
den Zahlen 1—13 offenbaren sich die meisten Hiero-
glyphen als Tageszeichen, so daß sie mit den Zahlzeichen
zusammen entweder Daten des Tonalamatl oder dem
Kalender entnommene Namen von Göttern und Häupt-
lingen darstellen. Auch kommen 4 der Tageszeichen nebst
den Zahlen zusammen mit der von Caso mit Recht als
Jahreszeichen aufgefaßten Hieroglyphe des Gottes Cocijo
(Tlaloc) vor. Eins von den 4 Tageszeichen ist der Hirsch
(china, macpatl), so daß die Jahre wie im alten Mayareiche
mit den Tagen yk, manik (= mafatl), eb, caban ange-
fangen haben müssen. Freilich ist die Zahl der auf-
gestellten Tageszeichen 26 statt 20, und andererseits
wird man nicht von der Identität der als dasselbe Zeichen
zusammengestellten Hieroglyphen überzeugt sein. Es
werden also nach Kenntnis weiterer Zeichen immerhin
noch einige Umordnungen notwendig sein. Einige andere
Hieroglyphen ist der Verf. geneigt, als Monatszeichen
anzusprechen, weil sie zwischen dem Jahreszeichen und
den Tageszeichen ihre Stelle haben. Andere wiederum
scheinen Ortshieroglyphen zu sein.
Es ist klar, daß eine so schwierige Materie nicht mit
einem Schlage bis in alle Einzelheiten aufgehellt werden
kann. Indessen bedeutet das Buch in seiner geduldigen,
methodischen Untersuchung, die auch alle künftigen
Forscher befolgen müßten, und demgemäß auch in den
Ergebnissen einen großen Fortschritt. Vor allem kann
man den Fortgang der Untersuchung Schritt für Schritt
verfolgen, er werden keine unbewiesenen Behauptungen
aufgestellt, und auch die Beziehungen zu den übrigen
Kulturen, namentlich zu den Maya einerseits und Xochi-
calco und dem Stein von Tenango andererseits werden
deutlich gemacht. Schließlich ist auch die gewissermaßen
doppelte Behandlung des Themas, einmal die Heraus-
hebung der einzelnen Hieroglyphen und dann die Be-
schreibung der Stelen und Steine, wo sie Vorkommen,
durchaus zu billigen und als richtig anzuerkennen.
K. Th. Preuß.
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1 20
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BERICHT ÜBER EINE REISE NACH
FINNISCH-LAPPLAND1
VON
DR. HANS FINDEISEN, BERLIN
MIT EINER ÜBERSICHTSKARTE UND 12 ABBILDUNGEN NACH
AUFNAHMEN DES VERFASSERS
Die Reise nach finnisch-Lappland1, die ich zusammen mit meiner Frau im Sommer 10^0
unternommen hatte, geht auf Anregungen zurück, die aus Gesprächen mit Herrn Curt
Biging stammten, der finnisch-Lappland im Jahre 1928 bereist hatte und darüber ein sehr
anschaulich geschriebenes Buch veröffentlichte („Inari. Eine Lapplandfahrt“, Büchergilde
Gutenberg, Berlin 1929. 171 S.), das auch von finnischen Kritikern warme Anerkennung
gefunden hat. Unsere Reise war ursprünglich auf drei Monate berechnet, jedoch waren wir
in lappischer Gesellschaft nur vom 15. Juli bis zum 12. August, also knapp einen Monat.
Der vorzeitige Abbruch unserer Arbeiten erklärt sich durch telegraphische Bitten der Not-
gemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, Herrn Prof. Sauer-Freiburg auf einer Studien-
reise nach der Krim, dem Kaukasus und Armenien zu begleiten, einer Aufforderung der
ich nachkam, da sich daraus die Möglichkeit ergab, im Anschluß an die Reise mit Herrn
Professor Sauer ethnographisch bei den Krimtataren zu arbeiten und eine Sammlung für
das Berliner Museum für Völkerkunde anzulegen, in dem bisher nur einige zufällige Stücke
von den Krimtataren vorhanden waren.
1 Eine kurze Übersicht über die Ergebnisse der Reise siehe
in dem Führer durch die Sonderausstellung im Staad.
Museum f. Völkerkunde: Krimtataren und Kolalappen,
Staatl. Museen, Berlin 1930, S. 11—16.
Die Literatur über die Lappen ist recht umfangreich
und liegt besonders in schwedischer, norwegischer,
deutscher, finnischer und russischer Sprache vor. Das
zusammenfassende Hauptwerk ist das im Jahre 1873
erschienene: „Om Lappland och Lapparne“ von
G. v. Düben, das jedoch eine Neubearbeitung unter
Berücksichtigung der seitdem gewonnenen Forschungs-
ergebnisse verlangte. Derjenige, der eine solche Aufgabe
wohl am ersten bewältigen könnte, ist zweifellos der
finnische Ethnograph und Lappenspezialist Itkonen,
dessen Plan zu einer neuen und großangelegten Mono-
graphie über die Lappen in der gesamten Fachwelt
gewiß freudige Zustimmung und Ermunterung erfahren
wird.
Bei der Betrachtung der Lappen haben wir die
schwedischen, norwegischen, finnischen und russischen
zu unterscheiden, von denen die drei ersteren Gruppen
näher miteinander verwandt sind, während die russi-
schen oder Kolalappen sich schärfer von den übrigen
abheben. Die Trennung zwischen diesen Stämmen geht
dabei so weit, daß die finnischen Lappen (z. B. in Vuotso
und Purnumukka) die Koltlappen als Renntierdiebe be-
zeichnen, während umgekehrt die Koltlappen dasselbe
von den „Filman“ genannten finnischen Lappen be-
haupten. Man erzählte uns auch, daß früher beim
Zusammentreffen von finnischen und russischen Lappen
stets kriegerische Verwicklungen die Folge gewesen
wären, und wenn sich im Walde zwei Männer trafen,
einer den anderen zu töten versuchte. Vgl. über Lebens-
weise und Charakter der Kolalappen die Schilderung
Castrens in seinen „Reiseerinnerungen aus den Jahren
1838—1844“, herausgg. von A. Schiefner, St. Petersburg
1853, S. 125—135. — Das ethnographische Hauptwerk
über die russischen Lappen ist die 1890 in den „Mitteilg.
d. Ges. von Liebhabern der Naturkunde, Anthrop. u.
Ethnogr.“ erschienene SchriftN. Charuzins: „Ruskie
lopari“ (Die russischen Lappen). Moskau 1890. Vgl.
darüber aus letzter Zeit die Äußerung von N. Poppe
im Abschnitt ,, Ethnographische Erforschung der
Lappen“ in seiner Arbeit: „Die ethnogr. Erforschung
der finnisch-ugrischen Völkerschaften“ (russ.), S. 37—39
in „Finnougorskij Sbornik“, Leningrad, Akad. d. Wiss.
1928. — Im Jahre 1921 ist in Helsingfors eine finnisch
geschriebene Monographie über die Koltlappen von Sa-
muli Paulaharju erschienen; Kolttain mailta (Aus dem
Lande der Kolalappen) 202 S. und vielen Abbildungen.
l6 Baessler-Archiv.
122
HANS FINDEISEN
Da wir die Lehren unserer Nordsibirienexpedition1 aus den Jahren 1927/28 ausnutzen
konnten, waren die für das Berliner Museum für Völkerkunde ausgeführten Sammelarbeiten
trotz der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit recht erfolgreich, so daß wir etwa 200
Gegenstände erwerben konnten, durch die unsere bisherige Kenntnis, besonders von den
Kolalappen, in verschiedenen Punkten wesentlich ergänzt wird. Wir fanden die Lappen
auch nicht verschlossen und stumpf vor, wie sie dem finnischen Schriftsteller Ilmari Kianto
erschienen, einem vortrefflichen Rußlandkenner, der in derselben Zeit wie auch wir finnisch-
Lappland als Tourist bereiste. Uns gegenüber waren die Lappen immer offen und liebens-
würdig im höchsten Maße, so daß wir uns nur recht schwer von ihnen zu trennen vermochten.
Als wir am Ende unserer Reise das Dorf Moskwa verließen, gaben uns sämtliche Einwohner
das Geleit, Männer, Frauen und Kinder, so daß es uns ganz weh ums Herz war, von so
freundlichen Leuten Abschied nehmen zu müssen. Ein Faktor der die Stimmung der Lappen
uns gegenüber recht stark zum Guten beeinflußte, war eine von meiner Frau mitgenommene
Guitarre, zu deren Begleitung sie fast jeden Abend russische Lieder sang, die die Lappen des
Petsamogebietes außerordentlich lieben. Es gelang sogar, Frauen und Mädchen zum Tanzen
anzuregen, wodurch deren Stimmung gleichfalls gehoben, lebhaft erregt, und jede Scheu vor
uns schnell überwunden wurde. Recht wesentlich war überhaupt unsere Kenntnis des
Russischen, so daß wir mit den Petsamolappen ausschließlich russisch sprechen konnten,
eine Sprache, die sie ebensogut wie das Lappische selbst beherrschen, sind sie doch erst seit
dem Jahre 1920 finnische Staatsbürger geworden.
Die im folgenden mitgeteilten Schilderungen entstammen Briefen, die während der
Reise in die Heimat geschickt worden sind und geben die unmittelbar an Ort und Stelle
gewonnenen Eindrücke wieder. Spezialfragen können erst näher nach der Durcharbeitung
des von uns gesammelten Materials behandelt werden, das vom 1. Februar d. J. ab zusammen
mit den Ergebnissen unserer Studien bei den Krimtataren in einer Sonderausstellung im
Berliner Museum für Völkerkunde dem Publikum zugänglich gemacht wird.
Berlin, den 1. Januar 1930.
Heute gegen Mittag sind wir munter und
ist so prächtig, wie man es sich nicht besser
1 Aus den Ergebnissen dieser Reise liegen bisher folgende
Veröffentlichungen vor: Hans Findeisen, Reisen und
Forschungen in Nordsibirien. Skizzen aus dem Lande
der Jenissejostjaken.“ 46 S. Selbstverlag d. Verf., Berlin
1929 (Die Schrift ist durch den Buchhandel beziehbar).
— Ders., Bei dem Fischer- und Jägervolk der Jenissej-
ostjaken in Nordsibirien. Der Erdball, Jahrg. 1928,
Heft 9, S. 338'—346. Mit 6 Abb. — Ders. Die Sowje-
tisierung der Eingeborenen des Turuchansker Landes;
Sonderabdruck aus „Koloniale Rundschau“, Jahrg. 1928
Heft 7. 6 S. ■— Ders. Neue Untersuchungen und Materi-
alien zum Problem der westsibirischen Altasiaten sowie
über den Ursprung der Altasiaten überhaupt; Zeitschr.
f. Ethnologie, Jahrg. 1927, Schlußheft. — Ders., Eine
Sammlungs- und Forschungsfahrt nach Nordsibirien.
Mit 3 Abb.; Der Sammler, Berlin, Jahrg. 1929, S.55—58.
— Ders., Von Berlin in den sibirischen Norden; Völker-
kunde, Wien, Jahrg. 1929, S. 1—12. — Ders., Als
Ethnograph in Leningrad und Umgebung; Völkerkunde,
Wien, Jahrg. 1929, S. 73—81. — Ders., Reise zu den
Jenissejostjaken in Nordsibirien; Forschungen und
Rovaniemi, den 14. Juli 1929.
vergnügt in Rovaniemi2 angekommen. Wetter
wünschen kann. Auch die Dampferfahrt war
Fortschritte, Berlin, Jahrg. 1929, S. 238!. — Schamanen-
tum in Nordsibirien; der Erdball, Jahrg. 1929, S. 338
bis 341. — Nata Findeisen, Von Sitten und Gebräuchen
eines aussterbenden sibirischen Polarvolkes; Der Welt-
kreis, Berlin 1929, Heft 1, S. 2—8.
2 Rovaniemi. In der Schilderung seiner Reise nach Lapp-
land im Jahre 1828 (Reiseerinnerungen a. d. Jahren
1838—1844, ed. Schiefner, St. Petersburg 1853, S. 71
rühmt Castren den Bewohnern der Kirchspiele Rova-
niemi und Kemi außerordentliche Raschheit, Geistes-
gegenwart, Entschlossenheit und Energie in allen Unter-
nehmungen nach. Das genannte Gebiet war früher eben-
falls von Lappen bewohnt, hat aber später einen großen
Bevölkerungszuwachs aus russisch Karelien oder dem
Lande der alten Bjarmier erhalten (Castren, S. 71). Auch
schon zu Castrens Zeiten ist der Handel dieser Leute
ein wichtiger Erwerbszweig gewesen, und Castren spricht
von oft ausgeführten Handelsreisen nach Stockholm und
Petersburg (ebenda). Heutzutage ist Rovaniemi das
wichtigste Handelszentrum an der südlichen Grenze
Lapplands, bis wohin gute Eisenbahnverbindung be-
BERICHT ÜBER EINE REISE NACH FINNISCH-LAPPLAND
123
ungewöhnlich schön. Ha-
ben gestern und heuteüber-
nachten müssen, da wir
keinen Anschluß hatten.
Morgen um sieben Uhr
geht es mit dem Autobus
in zwölf Stunden nach Iva-
lo1 am Südufer des Inari-
sees. Mir gefällt Finnland
außerordentlich gut. Ein
vollkommen europäisches
Land, sauber und appetit-
lich. Ich bin sehr vergnügt
und freue mich auf die
Weiterfahrt. Auch oben
bei den Lappen am Eis-
meer herrscht im Juli und
August gutes Wetter, wie l' Poststat'on und Herberge Vuotso.
mir ein bekannter finnischer Ethnograph erzählte, der ebenfalls auf der „Ariadne“ war
Die Lappen im Petsamogebiet sprechen alle Russisch, so daß also, wenn sonst nichts da-
zwischen kommt, der Erfolg wohl auch gesichert erscheint. Wir sind hier wieder im Gebiet
der Hochtannen, wie in Sibirien an der Tunguska. Vor den Fenstern unseres sehr freund-
lichen Hotelzimmers fließt der schnelle Kemi-joki. Nacht gibt es nicht. Jetzt, um Y2I2 Uhr
schreibe ich im Zimmer am Schreibtisch.
II.
Vuotso, an der Autofahrstraße Rovaniemi—
Petsamo, den 16. Juli 1929.
Gestern Abend, am sechsten Reisetage, bin ich in Vuotso2, 221 km nördlich von Rovaniemi,
angekommen und traf zufällig daselbst auf Herrn Steinitz3, der mir in Rovaniemi einen
Brief zurückgelassen hatte, der jedoch nicht in meine Hände gelangt ist. Wir sind hier im
Gebiet der südlichen Renntierlappen, wo sich die alte lappische Tracht noch in vollem
Gebrauch befindet. Sofort nach unserer Ankunft suchten wir ein lappisches Gehöft auf,
mit dessen Bewohnern sich Herr Steinitz schon hatte bekannt machen können. Die inter-
nationale Sprache ist hier noch das Finnische, so daß mir Herrn Steinitz’ gute Kenntnis dieser
Sprache sehr zustatten kommt.Es war uns schon möglich, verschiedene interessante lappische
steht, und von wo aus eine Autostraße bis zum Eismeer
führt, auf der Tag und Nacht die großen Lastkraftwagen
zur Versorgung des Nordens rattern. Vgl. die Schilderun-
gen Bigings in „Inari. Eine Lapplandfahrt“, S. 32.
1 ln Ivalo befindet sich eine trefflich geleitete Touristen-
herberge des Finnischen Touristenvereins. Von Ivalo
aus gingen im Sommer 1928 Bigings speziell dem Inari-
see gewidmeten Exkursionen. Vgl. Biging, Inari, S. 39:
„Start in Ivalo.“
2 Vuotso ist ein kleines finnisch-lappisches Dorf und ist
Raststation für die Touristenautos, die zwischen Rova-
niemi und Ivalo verkehren. Es gibt auch einige Fremden-
zimmer daselbst, von denen wir ebenfalls eins bezogen.
Vuotso ist auch Poststation und besitzt eine Militär-
wache des Grenzkommandos.
3 Herr Steinitz, einer der besten deutschen Finnland-
kenner, hat dem Berliner Museum für Völkerkunde
schon einmal eine sehr wertvolle und reichhaltige
Sammlung zur finnischen Volkskunde verschafft. Da
Herr Steinitz, der am Ungarischen Seminar in Berlin die
finnisch-ugrische Abteilung bearbeitete, ebenfalls An-
fang Juli wieder nach Finnland reisen wollte, bat ich
ihn, meine Frau und mich doch eventuell nach Lappland
zu begleiten. Nach gemeinsamen Besprechungen mit
Herrn Biging fuhr Elerr Steinitz etwa eine Woche vor
uns nach Lappland, wo er uns in Vuotso erwartete.
Seiner Sprachkenntnis ist es zu verdanken, daß wir von
den finnischen Lappen gute, unsere bisherigen Museums-
materialien ergänzende Gegenstände erwerben konnten.
Über seine Beobachtungen bereitet Herr Steinitz einen
speziellen Aufsatz vor.
16*
124
HANS FINDEISEN
Gegenstände zu erwer-
ben, oder wenigstens han-
delseinig zu werden. Die
Lappen, bei denen wir
waren, sind reiche Renn-
tierbesitzer. Sie sollen et-
wa 1000 Stück besitzen.
Man gestattete uns, alle
Vorratshütten genau an-
zusehen, und da war dann
nun des Staunens unse-
rerseits kein Ende. Es er-
wies sich, daß sich ihre
alte Renntierkultur voll-
kommen erhalten hat,
daß Geräte und Formen
alteinheimisch lappisch
2. Lappen aus dem Dorfe Vuotso. sind, und der finnische
Einfluß sich in diesen Gebieten ihres Lebens überhaupt nicht hat auswirken können. Im
Gegenteil, die finnische Bevölkerung ist gezwungen, ebenfalls die Renntierwirtschaft an-
zunehmen. Diese Tatsache zeigte sich schon bald hinter Rovaniemi, wo wir während der
Autobusfahrt in rein finnischem Gelände schon verschiedene Male auf Renntiere stießen,
die von den Finnen nicht nach Norden auf die Weiden gelassen worden waren, wie es
die Lappen machen. Die hiesigen Lappen
wohnen in finnischen Häusern und haben
auch die finnische Badestube übernommen.
Sie sind evangelisch, Laestadianer, die aus
den Herrenhutern hervorgegangen sind.
Der Rasse nach besteht zwischen den
hiesigen Lappen und Finnen kein Unter-
schied. Es sind dieselben rotwangigen, hell-
äugigen und auch hellhaarigen Elemente,
denen wir selbst angehören. Das wird je-
doch im Norden, im Petsamogebiet, anders,
wie mir der finnische Lappenspezialist It-
konen versichert hat, den ich auf dem
Dampfer kennenlernte. Dort sollen die Lap-
pen klein, dunkelhäutig und schwarzhaarig
sein.
Mich interessieren die Lappen natür-
lich besonders unter dem Gesichtspunkt
ihres kulturellen Zusammenhanges mit den
sibirischen Renntierzüchtern. Es ist dies eine
Problemgruppe, die natürlich nicht nur von
sprachlicher Seite her ihre Lösung finden
kann. Hier ist der Streit der Ansichten noch
immer in vollem Gange. Auch die Sprach-
wissenschaftler selbst sind sich keineswegs 3- Kochzelt. Vuotso. Wird heutzutage nur noch selten
, r ,. von den Vuotso-Lappen beim Wäschewaschen benutzt,
einig. Ich möchte nur au die Meinung des Die Jugend benutzt das Kochzelt nicht mehr.
BERICHT. ÜBER EINE REISE NACH FINNISCH-LAPPLAND
I25
srnammmaw
Akt"
III'*'
hervorragenden deutschen
Kenners der finnisch-ugri-
schen Sprachenwelt, Hein-
rich Winkler1, hinwei-
sen, der seinen Standpunkt
in einem großen Aufsatz in
der,,Zeitschrift für Ethno-
logie“, Berlin, niedergelegt
hat, der vor etwa zwei
Jahren erschienen ist.
Winkler schließt das Lap-
pische nicht an das Finni-
sche an, sondern weist
wichtige und eindeutige,
nahe Verwandtschaft mit
dem Ostjakischen und
Wogulischen nach. Eine
andere Meinung geht da- 4- Gerüst zum Trocknen von Renntierfleisch. Vuotso
hin, daß die Lappen ursprünglich überhaupt eine nichtfinnisch-ugrische Sprache gesprochen
und ihre jetzige erst unter dem Einfluß der Finnen angenommen hätten.
Auch die kulturelle Stellung der Lappen ist ja keineswegs klar. Wiklund, und nach
ihm Sirelius, wollen ja einen zumindest doppelten Ursprung der Renntierzucht annehmen.
Noch 1924 erklärte Sirelius2 in seinem Buch über den Ursprung der Finnen, die lappische
Renntierzucht wäre skandinavischen Ursprungs, da die Lappen Milchwirtschaft trieben
die den sibirischen Renntiernomaden fremd geblieben wäre. Das ist nun keineswegs der Fall'
worauf ich schon seinerzeit bei Besprechung des Sireliusschen Buches hingewiesen habe Bei
allen tungusischen Stämmen, vom Jenissej an bis zum Ochotskischen Meer, ist Renntier-
milchwirtschaft bekannt. Nun könnte man vielleicht noch sagen, daß die sibirische und die
lappische Renntierkultur dennoch verschiedenen Ursprungs wäre und sich an beiden Stellen
selbständig entwickelt hätte. Man will in der Art der Renntierhaltung genügend Unterschiede
gefunden haben, die diese Meinung bestätigen sollten. Auch hier bin ich anderer Ansicht
denn die gewiß zusammengehörende sibirische Renntierzucht weist ebenfalls von Volk zu
Volk z. T. große Unterschiede auf, so daß dieses Argument ebenfalls nicht recht stichhaltig
ist. Im Gegenteil, meine Überzeugung, daß die Lappen unmittelbar an die sibirischen
Kulturen angeschlossen werden müssen, hat sich mir schon hier sofort bestätigt. Aus unseren
1 Winklers Aufsatz trägt den Titel: „Gedanken und Be- zahl der Fälle, daß Übereinstimmung mit ostfinnischen
J I____r>... ji._. nr. t (i C „1 • 1 ,, , . . , o . ÖUllcn
denken zu Paudlers Werke über die hellfarbigen Rassen.
Z. f. E„ Jahrg. 1926, S. 29—49. Es kann hier auf diese
im höchsten Maße wichtigen Auseinandersetzungen
nicht näher eingegangen werden, da eine weitläufigere
Behandlung des Problems an Hand der neuen von uns
gemachten Beobachtungen den Rahmen dieses Bei-
trages sprengen würde, der nur eine allgemeine Über-
sicht über den Reiseverlauf zu geben bestimmt ist.
Winkler wendet sich gegen Paudlers Ansicht, daß die
Lappen fennisierte „Innerasiaten“ sind, die ursprünglich
eine ganz andere als ihre jetzige Sprache gesprochen
haben müssen, und nach dessen Meinung das Lappische
— cum grano salis — ein Suomisch im Munde von
Innerasiaten ist. Demgegenüber lauten die Feststellun-
gen Winklers; „Fragt man nun nach deren (Bildungen,
die dem Baltisch-Finnischen fremd sind) Wesen und
Herkunft, so findet man in der überwältigenden Mehr-
________Q V^^XXXIUOUICII
Sprachen wie dem Mordwinischen, Permischen, haupt-
sächlich aber mit dem ugrischen Zweige, also dem Ost-
jakischen, Wogulischen und Magyarischen vorliegt, also
lauter Sprachen, mit denen Lappisch nach P’s.
Theorie nie etwas zu tun gehabt haben kann.“
2 Sirelius, DieHerkunft der Finnen. Die finnisch-ugrischen
Völker, Helsinki 1924, S. 60 sagt.; „Eine interessante
Tatsache ist, daß die Lappen nach dem Vorbild ihrer
skandinavischen Nachbarn das Renntier auch zum
Melktier entwickelten, eine Errungenschaft, die den
sibirischen Renntiernomaden fremd geblieben ist.“
Leider widmet Sirelius den Lappen in der genannten
Schrift nur wenige Notizen, so daß deren Kultur-
geschichte nicht ganz verständlich wird, auch bei der
Annahme des finnisch-ugrischen „Urvolkes“ und der
hypothetischen von Sirelius bezeichneten Wanderungen.
HANS FINDEISEN
i 26
bisherigen Museumssamm-
lungen ließ sich noch keine
feste Beweisführung auf-
bauen. Ich habe aber jetzt
schon Stücke erworben,
die ebensogut aus Sibirien
hätten stammen können
wie von den Lappen. Un-
ter anderem habe ich den
Renntierlastsack mit dem
Stützgestell bekommen,
und dieser Sack entspricht
vollkommen dem dolgani-
schen, den ich von der
Sibirienreise mitgebracht
habe. Weiter ist die lap-
pische Schneeschaufel, die
die Renntierhirten im
Winter benutzen, sogar mit der jenissejostjakischen typologisch verwandt, genau so,
wie auch die kleine Holztasse, die von Hirten und Jägern mit in den Wald und auf die Tundra
genommen wird. Die Verwendung der Renntierfußfelle (Kamas; in Sibirien überall, auch
von den Russen, Kamos genannt; finnisch Koipi) zur Schuhherstellung, entspricht ebenfalls
genau der in Sibirien allgemeinen Weise. Ich will jetzt hier nicht näher auf diese Fragen
eingehen, da man natürlich auch die unterscheidenden Elemente näher bezeichnen
müßte, um zu einem endgültigenUrteil zukommen. Dieses ist aber natürlich jetzt noch nicht
möglich, da ich die lappische Kultur doch noch zu wenig kenne. Es fallen auch hier sofort
Techniken auf, die mehr den südlicheren finnisch-ugrischen Völkern gemein sind, wie Bast-
flechterei, auch finden sich ebenso wie in Westsibirien, wohl aus der Bronzezeit stammende
kreisförmige Anhänger für den Nadelbehälter und die Schere. Dieser Nadelbehälter selbst
ist wieder derselbe wie in Sibirien.
Was die bisher erworbenen Sachen betrifft, so habe ich, wie vorher beschlossen, mein
Hauptaugenmerk auf alle mit der Renntierzucht zusammenhängenden Gegenstände gerichtet
und schon den vollständigen Renntieranspann in einem Festtagsexemplar erwerben können.
Auch das Lasso ist schon vorhanden, wie auch das Renntierschlachtmesser.
Gestern waren wir im Lappendorf Purnumukka, 16 km von Vuotso entfernt und haben
dort den ganzen Tag gearbeitet. Es war, Gott sei Dank, recht schneidend kalt, so daß wir
unter den Mücken so gut wie gar nicht zu leiden hatten. Jetzt scheint sich das Wetter leider
wieder aufzuklären, so daß man diesen Plagegeistern des Nordens kaum wird entrinnen
können. Auch über dem Bett haben wir ein großes Mückenzelt aufgespannt, um während
des Schlafens nicht ganz und gar zerstochen zu werden.
Morgen fahren wir nach Petsamo, wohin ich eine Empfehlung habe, die Herr Steinitz
noch in Rovaniemi hat besorgen können, damit uns von den Ortsbehörden keine Schwierig-
keiten in den Weg gelegt werden. Im allgemeinen ist man sehr freundlich zu uns, so daß
gewiß alles auch weiterhin gut gehen wird.
BERICHT ÜBER EINE REISE NACH FINNISCH-LAPPLAND
127
III.
Touristenherberge am Yläluostari, 14 km
südlich von Petsamo, den 21. Juli 1929.
Gestern Abend sind
wir nun bei dem Kloster
angekommen, in dessen
Nähe sich ein Lappendorf
befindet. Schon auf dem
Wege von Salmijärvi1) bis
hierher konnten wir uns
mit ein paar Lappen be-
kanntmachen, die aus dem
Dorf stammten, uns aber
sagten, daß im Augenblick
dort niemand sich aufhal-
te, da die ganze Bevölke-
rung mit dem Fischfang
in der Petsamobucht be-
schäftigtwäre. Ich möchte
mir das Dorf aber doch
erst mit eigenen Augen an-
sehen, ehe ich weiter nach
Norden fahre. Mein Plan für die nächste Zeit ist nun festgelegt. Danach werden wir
nirgends lange an einem Ort bleiben, sondern diesmal lieber ein größeres Gebiet ansehen
Leider kosten die Tage, die man unterwegs ist, immer sehr viel, so daß ich mich gern wieder
für eine Weile festsetzen wollte. In Salmijärvi haben wir auch Lappen gefunden, die dort
nahebei wohnen. Während weiter südlich, wo wir zuerst waren, die Lappen überhaupt nicht
von den Finnen zu unterscheiden gewesen waren und ebensogut aus Deutschland hätten
stammen können, sind es hier dieselben Leute, die wir in Sibirien gesehen haben, mongo-
loide Typen, mit plattgedrückten Nasen.
Das Wetter ist unfreundlich und kalt, aber dann wird man wenigstens nicht von Mücken
belästigt. Südlich von hier liegen zum Teil mit Schnee bedeckte Berge (wenigstens sagten
uns die Lappen, dsß es Schnee wäre), was bei einer Höhe von etwa 300 m einen Rückschluß
auf die hiesigen klimatischen Bedingungen zuläßt. Sonst ist die Landschaft fast dieselbe wie
auch in Deutschland. Die Pflanzenwelt unterscheidet sich, wenigstens in den auffallenden
Hauptvertretern, nicht von den uns gewohnten Formen.
6. Sommerhäuser der Kolalappen am Petsamofjord.
IV.
Trifona, Sonntag, den 28. Juli 1929.
Eben sind wir von einer Bucht im Petsamofjord, etwa 15 km nördlich von Petsamo,
wieder in Trifona angekommen, einer kleinen, öden Siedlung, etwa sechs bis acht Kilometer
1 In Salmijärvi hatten wir das erste Zusammentreffen mit
Kolalappen: einige Frauen befanden sich an der Stelle,
von der der Autobus abfuhr und waren in Booten herbei-
gekommen. Da wir sie russisch ansprachen, hielten sie
uns für Russen. Es war aber zu bemerken, daß sie recht
erfreut waren, mit uns russisch sprechen zu können;
dasselbe war auch der Fall bei zwei Männern, die
zusammen mit uns im Autobus nach Norden fuhren.
Sie kamen von Vermessungsarbeiten, bei denen sie als
Arbeiter tätig waren und besuchten ihre Angehörigen
aus dem Dorfe Moskwa. Was uns sofort auffiel, war der
rassische Unterschied, der sie ebenfalls in Gegensatz zu
den eigentlichen finnischen Lappen brachte: schwarzes
straffes Haar, gelbliche Hautfarbe und Augen von einem
ganz anderen Ausdruck als bei den finnischen Lappen.
Dieser Typus ist unbedingt als mongoloid zu bezeichnen,
wenngleich er von dem „reinen mongolischen“ lypus
auch erheblich abweicht. Bei den Frauen fiel mir z. B.
ein eigentümlich weißliches, fahles Gelb der Gesichts-
farbe auf, das ich dann noch häufig bemerken konnte.
128
HANS FINDEISEN
nördlich von Petsamo (Petschenga). Wir
haben eine Woche in einem lappischen Som-
merdorf1 zugebracht, das gegenüber den
Jenissejerlagern die Annehmlichkeit bot,
nicht nur reichlich Läuse, sondern auch
noch im Überfluß Wanzen aufzuweisen.
Nachdem wir die erste Nacht wenig Ruhe
gefunden hatten, zogen wir in einen offenen
Vorraum, der früher ebenfalls ein Zimmer
war und richteten uns dort nach alter Weise
auf ein paar Brettern ein. Es war zwar kalt,
und man mußte in aller Kleidung schlafen,
war aber wenigstens vor Wanzen gesichert.
Hier führen die Lappen eine sehr inter-
essante Wirtschaft. Sie haben zwar auch
noch Renntiere, sind jedoch in der Haupt-
sache zuHochseefischern geworden. Sie
sind ein kühnes und mutiges Volk, rassisch
sehr viel reiner als die eigentlichen finni-
schen Lappen, bei denen wir anfänglich
waren. Sie fangen auch, wenn es gut geht,
Seehunde und stellen aus dem Leder die
Riemen für das Renntiergeschirr her. Neben
der Renntierzucht haben die hiesigen Lap-
pen Schafzucht übernommen und stellen
eigene hübsche Handschuhe und Strümpfe
her. Die Kopfbedeckung der Kolalappen,
zu denen diese hier ja gehören, weicht vollkommen von der der finnischen Lappen ab.
Eine hübsche, alte Frauenhaube mit Perlenstickerei habe ich schon erwerben können, ich
hoffe jedoch, noch weitere im Winterdorf zu erhalten, wohin ich in etwa einer Woche reisen
werde. Morgen um neun Uhr geht es zunächst nach Boris Gleb (Kolttaköngäs), südlich
von Kirkenes, welcher Ort gewiß auf dem Atlas zu finden ist. Bei den dortigen Lappen
werden wir nur vier Tage bleiben, da ich glaube, daß sie schon durch den Touristen-
verkehr verdorben sind. Diejenigen, in deren Sommersiedlung wir waren, waren dagegen
nur schwer zu bewegen, Sachen zu verkaufen.
1 Das Sommerdorf Wladjeno besitzt neben einer vom
Petschengakloster erbauten Landungsbrücke und einem
großen Lagerhaus für Fischereiprodukte auch eine
„Klosterhütte“, ein ebenfalls vom Kloster erbautes
Haus, das von den Lappen bewohnt wird. Hier hatten
wir so recht die Möglichkeit, das intime Leben der
Lappen kennenzulernen, zumal fast alle Männer auf
dem Fischfang weit draußen im Meer waren und nur
auf kurzen Besuch ihre Familien aufsuchten. Ein ein-
faches, Arbeit, Ausruhen und Fröhlichkeit in gesunder
Mischung enthaltendes Gemeinschaftsleben zeigte sich
uns, an dem wir eine zeitlang regen Anteil nahmen, und
an dem man uns sofort, ohne Widerstände, teilnehmen
ließ. Wir fühlten uns selbst fast als Mitglieder des
dortigen Lebensverbandes, und da alle gleichermaßen
in ihrer Eigenart geduldet und anerkannt waren,
ordneten wir uns schnell in den Rhythmus des sommer-
lichen Wirtschaftslebens ein. Da wir durch den Ankauf
von Sachen den gutmütig-liebenswürdigen Lappen nicht
nur Geld brachten, sondern auch viele Neuigkeiten aus
Rußland erzählen konnten und sie durch Gesang und
Guitarrespiel erheiterten, wurden auch wir in kürzester
Zeit als zu ihnen gehörig betrachtet, was für den Erfolg
unserer Sammlungsarbeiten von Wichtigkeit war.
7. Der Lappe Nikifor Kopytow mit seinem Vorrat von
getrockneten Fischköpfen, die, zu Suppe verkocht, den
Schafen im Winter als Nahrung dienen. Sommerdorf am
Petsamofjord.
BERICHT ÜBER EINE REISE NACH FINNISCH-LAPPLAND
I 29
V.
Boris GJeb, den 31. Juli 1929.
Jetzt sind wir nun in
dem vierten Lappendorf1 * * * * * *
auf unserem Wege, und
es bleiben nur noch ein-
mal ebensoviel zu bezwin-
gen übrig. Im Grunde ist
das ja alles recht schnell
und ohne sonstige große
Schwierigkeiten gegangen,
und auch die Ausbeute an
Sammlungsgegenständen
ist recht verlohnend, so daß
ich ganz zufrieden sein
kann. An unserer jetzigen
Stelle haben wir es dazu
noch besonders bequem ge-
troffen, da wir in einem
hübschen Gasthause des
Touristenvereins leben, 8’ Vorrats^auser ^ei Eappen von Boris Gleb (Kolttaköngäs).
und das Lappendorf dicht daneben liegt. Diese Stelle ist die schönste von allen, die wir bis-
her getroffen haben. Nicht weit entfernt ist ein riesiger Wasserfall, und der Fluß ist ziemlich
reißend. Die Bäume, Birken, sind wieder etwas höher, so daß alles freundlich und einladend
aussieht. Die Fahrt von Trifona über das Eismeer hierher dauerte mit dem Aufenthalt '
der Industriestadt Kirkenes (Norwegen) 12 Stunden, und eine zeitlang schüttelte unseren
kleinen Dampfer noch ein ziemlich heftiger Sturm, so daß wir, als wir in der Kajüte Kaffee
trinken wollten, beinahe seekrank wurden, wie andere, die die Kajüte überhaupt nicht ver-
ließen. In der frischen Luft dagegen war es besser, und wir gingen auch während des
Restes der Fahrt nicht mehr von Deck. Mit uns fuhr der Direktor der Bibliothek des ita-
lienischen Abgeordnetenhauses in Rom, Slawist, der gut russisch sprach. — Hier werdet
wir bis Sonnabend bleiben und dann dieselbe Fahrt zurück unternehmen, um das Winter
dorf der Lappen aufzusuchen, bei denen wir gelebt haben.
Das Leben ist hier natürlich auch interessant, jedoch in Sibirien war es ursprünglicher
Hierher kommen doch immerzu viele Touristen, um derentwegen hübsche Gasthäuser
errichtet sind. Überall aber ist nur Durchgangsverkehr zu bemerken. Man bleibt einen
oder zwei Tage, jedoch nur selten länger, und dann sind wieder neue Gäste da. Man trifft
auch auf viele Deutsche, die ebenso reisen. Diese Art des Reisens ist mir ja nun wenig ver-
ständlich, wenn man auch andererseits zugeben muß, daß meist nicht allzuviel des
Interessanten zu sehen ist. — Hier in Boris Gleb könnte ich mich für eine länv 7 •
niederlassen und wohnen, trotz des immerwährend trüben Wetters. Man klagt all *
über den kalten Sommer, der ziemlich ungewöhnlich wäre. ° em
1 Die Lage der Lappen von Kolttaköngäs (Boris Gleb) ist
ungünstiger als die vom Petsamofjord. Zuerst sind sie
vom offenen Meer ziemlich entfernt und müssen jedesmal
wenn sie ins Meer fahren wollen, die Erlaubnis der
norwegischen Behörden einholen. Lebensmittel sind bei
ihnen wegen der schwierigen Transportverhältnisse
teurer als im Petsamofjord, und bei der Einfuhr aus
Norwegen ist ein verteuernder Zoll zu entrichten. Der
Lachsfang vor dem großen Wasserfall, der auch von
vielen Vergnügungsreisenden betrieben wird, ist eben-
falls nur selten erfolgreich, Waldwirtschaft kann erst
viel weiter südlich getrieben werden: all das hat aus
den Lappen von Boris Gleb nicht sehr zufriedene Leute
gemacht und ihrer Wirtschaft den Stempel der Arm-
seligkeit aufgedrückt, der sie nicht zu entrinnen ver-
stehen.
17 Baessler-Archiv.
130
HANS FINDEISEN
VI.
9. Kinder der Kolalappen aus dem Dorfe Moskwa.
Oberes Petschenga-Kloster, den 4. August 1929.
Die letzte Woche habe
ich in dem Lappendorf
Kolttakongäs zugebracht,
das von Petsamo aus in
einer Tagesfahrt über das
Eismeer durch norwegi-
sches Gebiet zu erreichen
ist. Dort sah ich auch noch
zufällig norwegische Lap-
pen, die zu Einkäufen in
die Stadt gekommen wa-
ren und noch sämtlich
Lappentracht trugen, im
Gegensatz zu den hiesigen
Lappen, bei denen von den
Männern ausschließlich eu-
ropäische Tracht getragen
wird, während von alter
Tracht sich beiden Frauen
wenigstens noch die hübsche Haube erhalten hat, von der ich bisher schon zwei Exemplare
habe auftreiben können. In Kolttakongäs haben wir den Renntieranspann in zwei inter-
essanten Exemplaren gekauft, eine interessante Wintermütze für Männer, ebenfalls mit
Perlen bestickt, zwei Netze, davon eins mit einem hübschen Ornament, eine Schlafdecke
aus Schaffell, Form wieder vollkommen den sibirischen aus Renntierfell entsprechend. Das
fast ununterbrochen schlechte Wetter ist leider recht hinderlich und verursacht manche
Schwierigkeiten beim Photographieren oder läßt dieses gar nicht zu.
Der Erwerb der Sachen ist ebenfalls schwieriger als ich gedacht hatte. Die Lappen sind
keineswegs dazu übergegangen, etwa für die Touristen Sachen als Andenken herzustellen,
wie man es ja von den norwegischen zum Teil erzählt. Alle Sachen, die man in den Touristen-
herbergen als Andenken an Lappland kaufen kann, darunter auch lappische Täschchen,
werden in Helsingfors gearbeitet, in einer kunstgewerblichen Werkstatt. Man hat den Lappen
von Kolttaköngas des öfteren den Vorschlag gemacht, sie sollten doch für die Fremden
Sachen hersteilen, die dann in der Touristenherberge verkauft werden könnten, aber sie
sind nicht dazu zu bewegen, wenn sie auch dabei recht gut verdienen könnten und es auch
eigentlich nötig hätten. Man will nirgends Sachen verkaufen, da man nicht viel hat und
alles selbst braucht. So ist es uns z. B. trotz stundenlanger Verhandlungen und trotz
Aufbietung aller Überredungskünste nicht möglich gewesen, ein Paar alte aber ausgezeichnet
erhaltene weiße mit Perlen bestickte Schuhe aus Renntierfell zu erwerben. — Einen Wald-
schlitten finnischen Typs und ein Faß mit Sachen von Kolttaköngas habe ich von Kirkenes
aus an das Museum abgeschickt.
Heute geht es zu dem Winterdorf „Moskwa“ (Moskau), um die letzten Sachen einzu-
handeln und schon gekaufte abzuholen. Die Hauptarbeit wird also in einer Woche fertig sein.
VII.
Lappendorf Moskwa, den 9. August 1929
Da wir ziemlich eifrig tätig gewesen sind, können wir schon jetzt auf einen guten Erfolg
in der Sammlungsangelegenheit zurückblicken. Wie haben nunmehr Sachen aus folgenden
BERICHT ÜBER EINE REISE NACH FINNISCH-LAPPLAND
lappischen Orten: Vuotso,
Purnumukka (finnländi-
sche Lappen); Wladjeno,
Sommerdorf, „Moskwa“,
Winterdorf, und Koltta-
köngäs (Kolalappen). Im
ganzen haben wir über 160
Gegenstände beieinander,
wodurch die Kultur, be-
sonders der Kolalappen,
gut dargestellt wird.
Auch hier1 haben sich
die Lappen natürlich ras-
sisch nicht rein erhalten
können, und es gibt Leute,
die sich nicht im geringsten
von uns unterscheiden.
Andererseits ist die Zahl IO' Vorra'shaUS und m Dorfe Moskwa.
der mongoloide Merkmale aufweisenden Personen doch recht groß, nur kommen auch hierbei
gelber Hautfarbe und breitem Gesicht blaue Augen vor. Die Größe ist im allgemeinen auch
nicht geringer als bei uns, man müßte aber, um da wirklich brauchbares Material zu erlangen,
Messungen vornehmen.
Die Kolalappen haben alle Häuser, sie führen aber trotzdem ein Nomadenleben das
ganze Jahr hindurch. Die jährlichen Wanderungen sind jedoch ganz anders geartet als etwa
bei den Jenissejern in Sibirien. Bei den Kolalappen ist der Winter die Jahreszeit der größten
Seßhaftigkeit, in dem Sinne, daß man von Jagdausflügen immer wieder in das Winterdorf
zurückkehrt, während die Jenissejer in der strengsten Winterzeit (Januar bis April) ihre
größten Jagdzüge mit der gesamten Familie unternehmen, bis zu 300 und mehr Kilometern
von den Sommerplätzen entfernt. Während aber bei den Jenissejern und auch sonst in
Westsibirien die Familien den Sommer über zusammen verleben, ist bei den Koltlappen das
Leben von Männern und Frauen in der Sommerzeit getrennt, da die Männer mit einem
erwachsenen Sohn oder einer Tochter auf dem Eismeerfischfang sind, die Frauen aber an
1 Unser Aufenthalt in dem Winterdorf Moskwa war wegen Biging, kann ich nicht umhin, eine andere Meinung über
der allgemein herrschenden freundlichen Stimmung von
bestem Erfolge begleitet. Wir richteten uns wieder in
einem Vorraum ein und besuchten alle einzelnen
Familien, um nach alten Sachen zu fahnden. Zuletzt
beschäftigten wir uns mit volksliterarischen Samm-
lungen, die bei der Kürze der Zeit jedoch nur erste
Ergebnisse bringen konnten. Beim Abschied gab uns
das ganze Dorf das Geleit. Wir waren rechte Freunde
geworden und hatten auch noch Bestellungen für
Modelle von Booten zurückgelassen. Ich war gespannt,
ob man uns auch wirklich diese Sachen nachschicken
würde. Vier Monate vergingen, bis mir von dem Prior
des Petschengaklosters, der sich liebenswürdigst bereit-
erklärt hatte, die Weiterbesorgung der Gegenstände zu
übernehmen, die Nachricht erhielten, die Sachen wären
von dem Lappen Nikifor Kopytow ins Kloster gebracht
worden und würden nunmehr zur Post gegeben werden
können. — Auch unser Aufenthalt in dem stillen und
beschaulichen Petschengakloster war für uns eine große
Freude. Trotz meiner Hochachtung vor dem Beobach-
tungstalent unseres Freundes, des Herrn Schriftstellers
die Kulturarbeit des Petschengaklosters auszusprechen
als er. Dieses Kloster ist wirklich ein Kulturfaktor
ersten Ranges für die polaren Völkerschaften an der
Eismeerküste gewesen und bildet für die Lappen auch
jetzt noch eine wichtige wirtschaftliche Stütze. Be-
zeichnend ist doch gewiß die Stimmung der Lappen
selbst dem Kloster und seinen Insassen gegenüber. Wir
haben ausschließlich echte Dankbarkeit und wirkliche
Hochachtung vor den Mönchen vorgefunden, und wenn
das Kloster und seine Einrichtungen nicht bestände,
würden die Lappen bestimmt weniger zufrieden und
auch weniger angenehm leben. Es ist so, daß wir in
einer Reihe der uns näher bekanntgewordenen Mönche
Menschen von dem alten russischen Schlag haben
kennenlernen können, deren Wesen von so einfach-
herzlicher Liebenswürdigkeit und Behutsamkeit war,
daß der Verkehr mit ihnen ein rechtes Ausruhen und
eine rechte Stärkung bedeutete. •— Über Geschichte und
Leben des Klosters bereite ich eine besondere Arbeit vor,
die demnächst fertiggestellt werden soll.
einer günstigen Stelle
hauptsächlich Angelfisch-
fang betreiben und häus-
lichen Arbeiten nachgehen.
— Eichhörnchenjagd wird
in günstigen Waldbestän-
den ebenfalls betrieben,
jedoch übersteigt die Zahl
der erbeuteten Eichhörn-
chen in einem guten Jahr
nicht 100 (bei den Jenis-
sejerniooo).Die allgemeine
Elauptnahrung ist Fisch,
der einfach in Wasser ge-
kocht wird und auch noch
manchmal von langen, ge-
bogenen rechteckigen Tel-
ii. Neuerrichtete Vorratshüite im Koltlappendorf Moskwa. lern gegessen wird, VOll de-
nen ich einige Exemplare erworben habe. Nach vielen vergeblichen Versuchen ist es uns
nunmehr auch gelungen, die Kopfbedeckung der Witwen zu erlangen. Die unverheirateten
Mädchen trugen früher ebenfalls eine besondere Mütze, die jedoch jetzt vollkommen ver-
schwunden ist.
Interessant ist es, daß trotz der Grenzziehung gegen Rußland die hiesigen Lappen
dennoch im Herbst Verkehr mit ihren auf russischer Seite verbliebenen Verwandten pflegen,
denen von Sowjetseite aus solches streng untersagt ist. Die Waldgebiete sind aber so groß,
und die Militärposten so spärlich, daß die hiesigen Lappenfrauen sich zum Teil Mützen auf
der russischen Seite von geschickten Näherinnen hersteilen lassen.
In den letzten Tagen haben wir uns noch etwas mit der lappischen Volksliteratur
beschäftigt und sind dabei auf eine interessante Gruppe von Überlieferungen gestoßen,
die sich an das frühere Leben der Lappen angeschlossen haben. Daraus geht hervor, daß
früher das Jagdhandwerk sehr viel bedeutungsvoller war als heutzutage, auch daß seit alter
Zeit Verkehr mit germanischen Gruppen an der Küste bestanden haben muß, mit denen
auch kriegerische Verwicklungen nicht selten waren. Es ist sehr schade, daß wir diesen
Überlieferungen jetzt nicht weiter nachgehen können, wo wir nunmehr gut mit den Lappen
bekannt sind. Ich denke aber, daß ich noch einmal hierher komme, dann jedoch im Winter,
um mich speziell mit diesen Fragen befassen zu können.
VIII.
Lappendorf Moskwa, den 9. August 1929.
Morgen ist es ein Monat, daß wir Berlin verlassen haben. Wir haben in dieser kurzen
Zeit viel Abwechselungsvolles gesehen und in mancherlei Stuben, Hütten und Verschlügen
gewohnt. Am meisten freut es mich aber, daß die Museumssammlungen so gut wie voll-
ständig sind, wir zwar viel Mühe hatten, all das Material zusammenzubekommen, daß aber
doch überall alte Stücke zum Vorschein kamen.
Am Sonntag werden wir dieses Dorf verlassen und nach kurzem Aufenthalt in dem
Kloster die Rückreise nach Helsingfors antreten. Wo es möglich war, haben wir in den
Herbergen des Touristenvereins gegessen, wenigstens einmal am Tage. Man ißt dort aus-
gezeichnet, besonders, was kalte Küche anlangt. Es wird überall in diesen Herbergen Butter,
Brot, Käse Tomaten, Räucherlachs, Renntierschinken, Sardinen, Schinken und Sonstiges
HANS FINDEISEN
BERICHT ÜBER EINE REISE NACH EINN1SCH-LAPPLAND
Ü33
zum Aussuchen gereicht,
so daß man wirklich gut
satt wird. Dazu gibt es
Milch und einen warmen
Gang, etwa zwei gebratene
Eier: Das heißt Abendbrot.
Beim Mittagbrot erhält
man noch eine Suppe, ein
warmes Fleisch-oder Fisch-
gericht sowie Nachkost.
Das Abendbrot kostet hier
deutsche Mark HS®’ ^as
Mittagsbrot 2 Mark. Mehr
kann man gewiß nicht ver-
langen. Unser Zimmer im
Kloster kostet mit Morgen-
tee, dazu Buttel und Milch, I2 Koiaiappin mit wenige Wochen altem Kind. Mosk\
Brot, ebenfalls nicht mehr . . . . . T . ,
als eine deutsche Mark den Tag. Da wir ja aber meist unterwegs sind, ist das Leben durch
die Fahrt- und Transportkosten dennoch sehr teuer. Wenn ich noch länger Zeit hätte,
würde ich gern zwei Wochen in dem Kloster zugebracht haben, um mich mit dem dortigen
Leben näher bekanntzumachen. Leider wird wegen der schnellen Rückreise auch nichts aus
den zwei Wochen Helsingfors, während welcher ich das dortige Museum gründlich studie-
ren wollte.
:wa.
Mittwoch, den 10. Juli 1929
Donnerstag, den 11. Juli
Freitag, den 12. Juli
Sonnabend, den 13. Juli
Sonntag, den 14. Juli
Montag, den 15. Juli
Dienstag, den 16. Juli
Mittwoch, den 17. Juli
Donnerstag, den 18. Juli
Freitag, den 19. Juli
Kurzgefaßte Chronologie.
4 Uhr ab Stettin auf Dampfer ,,Ariadne“ der Finn-
ländischen Dampfschiffahrts A. G., Helsingfors.
Ostsee; herrliches Wetter. Bekanntschaft mit dem fin-
nischen Lappenspezialisten Itkonen.
Ankunft in Helsingfors. Ab Helsingfors nach Norden,
abends 8,50 Uhr.
11 Uhr Vormittag, Ankunft in Kokkola. Übergang vom
Schlafwagen in Tageswagen. 8 Uhr abends, Ankunft
in Kemi. Übernachten.
Ab Kemi 6 Uhr morgens. Ankunft in Rovaniemi um
Y2ii Uhr. Unterkunft im Hotel Lipponen.
Ab Rovaniemi um 7 Uhr morgens im Autobus 221 km
bis Vuotso, wo wir ganz zufällig Herrn Steinitz
treffen, gegen 5 Uhr. — Am Abend zu einem Lappen-
gehöft.
Wieder zu den Lappen. Am Abend Sitzung finnischer
Laestadianer, wobei auch Lappen teilnehmen.
Zum Lappendorf Purnumukka. Reiche Ausbeute. Abends
zu Fuß zurück.
Vuotso. Herstellung des Sammlungskataloges. Be-
sprechung des weiteren Verlaufes der Reise.
Herr Steinitz fährt morgens um y29 Uhr nach Rovaniemi
zurück. Wir ab Vuotso gegen 3 Uhr nach Ivalo.
34
HANS FINDEISEN
Schematische Übersichtskarte über das Petsamogebiet (früher Petschenga) mit den Reise-
wegen + + + von Hans und Nata Findeisen, Spätsommer 1929. Aus den Orten, deren
Namen auf der Karte unterstrichen sind, sind Sammlungsgegenstände für das Berliner
Museum für Völkerkunde erworben worden. Gezeichnet von M. Seidel, nach der Karte
1 : 400000, Maanmittaushellituksen Kivipaino, Helsinki 1923.
Ankunft dort 7 Uhr Abend. Beziehen eins der kleinen
Unterkunftshäuschen. Kühl. Drei Koffer wegen Uber-
füllung des Autos mit Touristen noch in Vuotso
gelassen.
Sonnabend, den 20. Juli Ab Ivalo 7 Uhr. Ankunft in der Touristenherberge beim
Petschengakloster am Abend nach zuletzt schlechter
Fahrt im offenen Auto. Von Pitkäjärvi bis Salmijärvi
auf Motorboot. In Salmijärvi treffen wir auf die ersten
mongoloiden Lappentypen.
Sonntag, den 21. Juli Besuch im Petschengakloster, finnisch Yläluostari. —
Ab 7 Uhr nach Trifona.
BERICHT ÜBER EINE REISE NACH FINNISCH-LAPPLAND
135
Montag, den 22. Juli
Zwischenzeit
Sonntag, den 28, Juli
Montag, den 29. Juli
Sonnabend, den 3. August
Sonntag, den 4. August
Sonnabend, den 10. August
Sonntag, den 11. August
Dienstag den 12. August
Mittwoch, den 14. August
Donnerstag, den 16. August
Freitag, den 16. August
Sonnabend, den 17. August
Montag, den 19. August
Vorbereitung zur Fahrt in das lappische Sommerdorf
Wladjeno am Petsamofjord, dicht am Eismeer. Im
Boot zur Stelle. Kalt und regnerisch.
Ethnographische Arbeiten.
Fahrt von Wladjeno mit zwei Lappinnen im Boot nach
Trifona zurück.
Morgens um 9 Uhr Abfahrt von Trifona über Kirkenes
und Elvenes nach Boris Gleb (Kolttaköngäs).
Fahrt von Boris Gleb nach Trifona und weiter zum
Petschengakloster.
Wanderung zum lappischen Winterdorf ,,Moskwa £.
Der berühmte finnische Schriftsteller Ilmari Kianto
besucht auf einer Studienreise das Lappendorf
Moskwa.
Rückkehr zum Petschengakloster.
Abreise vom Kloster.
Ankunft in Rovaniemi.
Ab Rovaniemi 5,40 Uhr morgens.
An Helsingfors.
Ab Helsingfors mit Dampfer „Ariadne“.
Ankunft Stettin.
die SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-
FLUSS UND EINE KRITIK DER DEUTUNG IHRER
GESICHTSORNAMENTE
MIT i ABBILDUNG, 48 FIGUREN, 1 KARTE UND 4 TAFELN
VON
DR. E. W. SCHMIDT
EINFÜHRUNG.
Aus der reichhaltigen Sammlung der Kaiserin-Augusta-Fluß-Expedition des Staatlichen
Museums für Völkerkunde in Berlin ist besonders eine Gruppe von Objekten geeignet, unter
ethnographischen Gesichtspunkten einer eingehenden Untersuchung unterzogen zu werden.
Es sind dies die Schilde der Eingeborenen, von denen eine große Zahl aus der Umgebung des
K.-A.-Flusses von seiner Mündung bis an die holländische Grenze, sowie aus der Umgebung
seiner größeren Nebenflüsse, besonders des Töpferflusses, dem Studium zur Verfügung
stehen. Der Schildtyp von Potsdamhafen schließt sich eng an den der Schilde vom K.-A.-
Fluß an und ist in seiner besonderen Gestalt über die Mündung dieses Flusses bis in die
Gegend des unteren Töpferflusses gewandert. Potsdamhafen muß aus diesem Grunde als
Ausgangspunkt der Betrachtung gewählt werden. Es stehen zu dieser Untersuchung ins-
gesamt 154 Schilde zur Verfügung. Zum Vergleich mit der Form der Brettschilde (die in
der Nähe der holländischen Grenze, etwa vom Mäanderberg an, die für den K.-A.-Fluß
besonders charakteristische Schildform ablösen) sind am Schluß außerdem noch 22 Schilde
von der Küste, und zwar aus der Gegend von Berlinhafen bis zur holländischen Skoh-Küste
zur Untersuchung mit herangezogen.
Es ist nicht nur für weitere Fachkreise von Interesse, dieses Material an sich und zu
Vergleichs- oder Bestimmungszwecken kennen zu lernen, sondern die große Zahl der gleich-
artigen Objekte bietet auch dem Bearbeiter einen besonderen Reiz zum Studium. Denn
mit der Zahl der Objekte wächst auch die Möglichkeit, genügend vollständige Formenreihen
aufzustellen, die, wenn sie mehr oder weniger in sich abgeschlossene Gruppen bestimmter
Typen darstellen, nach Maßgabe ihrer Herkunft auf das Vorhandensein geographisch ab-
geschlossener Gebiete deuten können, in denen der betreffende Typ zu Hause ist.
Nun bietet der Schild an sich schon ein besonders günstiges Objekt zur Untersuchung
ethnographischer Fragen. Der Zweck des Gegenstandes ist überall der gleiche, und das
Objekt wird durch seine konkrete Form realisiert zu einer Abwehr- bzw. Schutzwand. Dabei
besteht jedoch die Möglichkeit, den Schild nach Form, Griff und Ornamentik in der ver-
schiedenartigsten Weise herzustellen und auszustatten. DieseUnterschiede sind es, in denen die
Geschicklichkeit, der praktische Sinn und die Höhe der Kunstfertigkeit der verschiedenen
V ölker und, auf engerem Gebiet wie am K.-A.-Fluß, der verschiedenen Stämme zum
Ausdruck kommen. Aus diesen geistigen und körperlichen Eigenschaften kann der Ethno-
graph wichtige Schlüsse ziehen, nicht nur auf die genannten Eigenschaften, sondern auch
auf die körperliche und geistige Gemeinschaft der Stämme, auf den Handel mit diesen
oder auf die Erbeutung dieser Gegenstände^ auf Nachahmung in der Form und in der
Ornamentik, auf gemeinsame seelische Vorstellungen, die sich aus der Benutzung gleich-
artiger Figuren oder ornamentaler Muster ergeben, ferner auf eine Entwicklung der Kunst
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS
137
und des Kunststiles selbst, wie sie sich aus dem Vergleich von dem Äußeren nach ausgesprochen
alter Objekte mit jüngeren ergibt, wie auch auf dem Verfall der Kunst bei den unter dem
Einfluß der Zivilisation hergestellten Schilden.
Die Sammlung der Schilde vom K.-A.-Fluß und seiner Umgebung erlaubt durch ihre
Reichhaltigkeit die Ausdehnung der Betrachtung auf alle diese Punkte. Ein genaueres Ein-
gehen auf alle Einzelheiten und längere Ausführungen über diese würden jedoch den Rahmen
dieser Arbeit überschreiten.
Bei der vorliegenden Arbeit ergab sich allerdings schon eine Schwierigkeit in der geo-
graphischen Bestimmung der Herkunfts-Orte, denn für die verhältnismäßig zahlreichen
Dörfer, aus denen die zu untersuchenden Objekte stammen, werden in der Literatur1 oft
mehr als 2 verschiedene Namen für dasselbe Dorf angegeben und ebenso finden wir auf den
vorhandenen Karten1 die Dörfer oft mit verschiedenen Namen benannt. Indessen konnten
schließlich fast alle Orte identifiziert und geographisch festgelegt werden, was für die Ein-
teilung in lokale Formgruppen von besonderer Wichtigkeit ist (s. Kartenskizze nach Thurn-
wald, Zeitschr. f. Ethnologie 1917 S. 149). Nur die Lage einiger Dörfer am Töpferfluß war
nicht festzustellen. Es hat dies jedoch auf die Festlegung lokaler Schildtypen keinen Einfluß
mehr haben können, denn sowohl nach dem ganzen Typ eines Schildes aus einem Ort un-
bekannter Lage wie nach der bekannten Lage derjenigen Dörfer, in denen dieser Typ zu
Hause ist, wird der unbekannte Ort als in der Gegend der Heimat des aufgestellten Schild-
types liegend anzunehmen sein. (Die photographischen Aufnahmen der Schilde konnten leider
aus Gründen der Zeit und der Kosten nicht mit orthochromatischen Platten und Gelbscheibe
hergestellt werden. Die Farbwerte kommen daher oft in den Umrissen der Figuren nicht
zum Ausdruck und es mußten daher auf zwei Abbildungen diese Umrisse, wie leicht zu
erkennen, mit Tusche nachgezogen werden. Die Angaben der Nummern bei den Abbildungen
beziehen sich auf die Reihenfolge der Schilde.Die Bezeichnung: Fig. 1,6 bedeutet Schild
vom Typ I, Nr. 6.)
Überblicken wir das Resultat der Untersuchung aller Schilde vom K.-A.-Fluß und
seiner Umgebung, so ergeben sich zwei große Gruppen: die „ B r e 11 s c h i 1 d e “ mit Tragband
und die , Hohlschilde“ (s. u.) mit festem Holzgriff. Brettschilde mit festem, senkrechten
Holzgriff, wie ihn Frobenius1 als Kennezichen für seine ,,nigritische Schildform“ aufstellt,
kommen am K.-A.-Fluß nicht vor. Dagegen sind aus der Gegend des April- und Mai-Flusses
einige Schilde vorhanden, die zwar einen festen Holzgriff haben, der jedoch dem der Hohl-
schilde nachgebildet ist und diesen Typ von Brettschilden als einen vereinzelt dastehenden
Übergangs- oder Mischtyp kennzeichnen.
DIE BRETTSCHILDE.
Im allgemeinen ist über die beiden großen Schildgruppen folgendes zu sagen. Die
Brettschilde haben eine ebene und verhältnismäßig dünne Wand. Diese kann sowohl in der
Querachse gebogen sein (Küstenschilde Typ Arop und z. T. die vom Typ Angriffshafen (bis
zur holländischen Skoh-Küste) oder in der Längsachse (Schilde der Kaileute). Die Biegung
dieser Brettschilde wird durch eine Behandlung erreicht, welche die ganze Schildwand
krümmt. Die äußere Form des Brettschildes kann rechteckig, oval, ellipsenförmig, kreisrund
usw. sein. Außerdem tritt am K.-A.-Fluß (an der Grenze von holländisch Neu-Guinea) noch
eine merkwürdige Schildform auf, die ein Rechteck darstellt, dessen eine Längsseite flach
gerundet ist. Zu erklären ist diese Rundung wohl daraus, daß die Bearbeiter bei der Ent-
nahme des Materials aus den Bretterwurzeln der Bäume die natürliche Rundung der oberen
Wurzelkante haben bestehen lassen. Aus welchem Grunde, falls nicht aus Bequemlichkeit,
1 s. Literaturverzeichnis.
l8 Baessler-Archiv.
!38
E. W. SCHMIDT
ist nicht zu ersehen. Der für die Brettschilde charakteristische Griff (vgl. S. 151
Yig. 26_33) ist am K.-A.-Fluß und Umgebung das Tragband aus Tapa (Töpferfluß) oder
ein ganz roher Baststreifen (holl. Grenze). Die Befestigung des Tragbandes erfolgt am
Töpferfluß durch Benutzung zweier in der Mitte der Seitenkanten des Schildes oder etwas
darüber angebrachter Durchbohrungen. (S. 151, Fig. 26—29).
Bei den Brettschilden in der Gegend des Mäanderberges, des Nordflusses und des
Grenzjägerlagers treten verschiedene kleine Abänderungen (S. 151, Fig. 30—33) insofern
auf, als außer den in der Mitte der Seitenkanten angebrachten Löchern entweder noch
eine weitere Durchbohrung in der Mitte des oberen Schildrandes sich befindet oder zwei
Löcher an dessen Seiten, oder zwei nicht weit von dessen Mittelpunkte entfernt, oder
schließlich zwei in der Mitte des oberen Randes angebracht sind. Eine durch diese Löcher
des Oberrandes angebrachte Bastschlinge umfaßt das untere Tragband und erhebt es etwa
bis zur Mitte der oberen Schildhälfte. Bei einigen Schilden haben die sonst an den Mitten
der Seitenränder angebrachten Durchbohrungen eine mehr oder weniger diagonale Lage
zueinander (Abb. XII, Nr. 5). Bei den Brettschilden der Küste von etwa Berlinhafen bis
nach holl. Neu-Guinea (Skoh-Küste) hinein befinden sich die Durchbohrungen, dicht neben-
einander liegend, etwa in der Mitte des ganzen Schildes (Schildtyp Angriffshafen) oder
etwas darüber (Schildtyp Arop). Das Tragband ist hier auffallend kurz.
DIE HOHLSCHILDE.
Zu der andern großen Schildgruppe gehören Schilde, die im Gegensatz zur Brettform
als ,,Hohlschilde“ bezeichnet sein mögen. Diese Schilde haben keine ebene Wand, sondern
diese ist entweder bauchig gerundet mit mehr oder weniger deutlicher senkrechter Mittel-
kante oder dachförmig. Bei den dachförmigen Schilden ist entweder eine reine Dachform
zu beobachten, d. h. die Seiten des Daches sind eben, wodurch die senkrechte Mittelkante
scharf hervortritt oder die Dachseiten sind mehr oder weniger gewölbt. Die Rückseite
der Hohlschilde besitzt eine Aushöhlung, um den menschlichen Körper aus Gründen
des Schutzes besser zu umfassen. Im Gegensatz zur Brettform ist die Rundung der Außen-
bezw. Innenseite der Hohlschilde nicht durch eine Biegung des ganzen Schildes hervorge-
bracht, sondern durch Herausschneiden aus dem Vollen des ganzen Holzklotzes,
aus dem der Schild gefertigt wurde.
Der für die Hohlschilde charakteristische Griff ist der in der Mitte der
Rückseite angebrachte feste Holzgriff. Bei ihm sind drei Unterformen zu unterscheiden.
Als erste Unterform zwei aus dem Vollen geschnitzte, parallele Längsleisten
mit je 2 bis 4 Durchbohrungen zur Aufnahme des Rotangbandes, mit Hilfe dessen die quer
über den Leisten und über den Durchbohrungen liegenden (nicht wie bei Reche1 hindurch-
gesteckten ?) Querhölzer (Arm- und Handgriffe) durch kreuzweise Umschnürung festge-
halten werden (vergl. Fig. 1,6 und I,q; die Zahlen geben die Entfernungen in Zentimetern
an). Bei den meisten Schilden werden die über den oberen Leisten-Enden liegenden Quer-
hölzer durch einen Armgriff aus mehreren Rotangstreifen ersetzt, der in seinem zwischen
den Leisten liegenden Teil durch nochmalige Umwicklung mit Rotang verstärkt ist. Bei
weiterer Verstärkung dieses Griffes durch Hinzufügung eines neben dem ersten liegenden
zweiten Rotanggriffes (je 2 Löcher an den oberen Leistenenden) sind diese beiden oberen
Griffe dann durch Umschnürung ihrer Mitten durch Rotang immer fest miteinander ver-
bunden (vergl. Fig. 11,4 und II, 10). Als vereinzelte Spielform findet man statt der oberen
Rotanggriffe auch solche aus Rotangverschnürung mit Umwicklung von Tapastoff oder
Bast (Fig. IV,5)-
1 s. Literaturverzeichnis.
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AETGEFSTA-FLUSS
139
Auch bei den Längsleisten selbst finden wir drei Unterformen: a) gerade Leisten
(big. H,io), b) in der Mitte flach (big. 1,6 und IV,5) bis tief (Fig. IjZj. und 11,4) ausgebuchtete
oder eingekerbte (Fig. II, 1), c) (theoretisch) die Schlußform dieser Entwicklung, bei der
die Mitte der Leisten ganz herausgeschnitten ist, so daß von den Leisten (oben und unten)
nur die Ösen bestehen blieben (Untergruppe Hatzfeldthafen des Typ Potsdamhafen), die
wahrscheinlich (nach der Herkunftsbezeichnung eines Schildes mit dieser Grifform) in der
Gegend von Hatzfeldthafen hergestellt wurde (vergl. Abb. I b, Nr. 1).
Bei der zweiten Unterform des festen Holzgriffes sind die aus dem Vollen ge-
schnitzten parallelen Längsleisten ersetzt durch zwei z. T. auffallend starke Längshölzer
oder Knüppel (Fig. VIII,2 und VII,3). Die Befestigung dieser Längshölzer ist derart erfolgt,
daß entweder unter ihren Enden Ösen in das Holz der Rückwand des Schildes (ohne Durch-
bohrung dieser Wand!) hineingearbeitet sind (eine durch einen Steg oben getrennte Ver-
tiefung) oder die Schilde sind an den betreffenden Stellen völlig durchbohrt. Die Be-
festigung der Längshölzer ist dann wie üblich durch Rotangstreifen erfolgt, die um das
Trennungsstück dieser Vertiefung geschlungen sind. Bei dieser Knüppel-Grifform finden
wir keine Querverbindungen aus Rotangstreifen, sondern nur runde, hölzerne Arm-
und Handgriffe und zwar bis zu fünf Stück (Fig. VII,3, Schildtyp von Kara).
Als dritte Unterform des festen Holzgriffes tritt entweder ein unmittelbar an der
Rückfläche des Schildes befestigter (Fig. V,z) großer Rohrbügel oder -Bogen auf (Typ
Jentschemangua), dessen Enden nach unten etwa so weit reichen, wie die untern Enden
der festen Leisten und dessen schmaler, enger Bogen so hoch ragt, wie etwa die Schulter
oder ein Rohrbügel auf vier Sperrhölzern (Füßen) von etwa 3—4 cm Länge (Fig. V,i),
die senkrecht auf der Hinterwand des Schildes stehen und zwar über vier Ösen (welche
die Schildwand durchbohren), durch die die Sperrhölzer mittels Rotangstreifen an der
Schildrückwand befestigt sind. Ihr oberes Ende, auf das der Rohrbügel wie auf vier Füßen
liegt, ist durch Rotangverschnürung mit dem Rohrbügel verbunden. Die Sperrhölzer sind
mit Bast- oder Tapastreifen umwickelt, leilweise sind die Bügelfüße noch recht stabil,
meistens jedoch sind sie, wie es bei dieser lockeren Versteifung nach vielem Gebrauch
leicht erklärlich ist, umgeknickt, so daß der Bügel zu eng an der Rückwand des Schildes
liegt, um über die Schulter gehängt werden zu können. Um die Absperrung des Bügels
18*
E. W. SCHMIDT
I 40
von der Schildwand wieder herzustellen, hat der Eingeborene, wie zwei Schilde zeigen,
teils aufgerollte Tapastreifen, teils Holzklötzchen zwischen Bügel und Schildwand ober-
halb der oberen Bügelfüße eingeklemmt (Fig. VI,4 oben links). Diejenigen Schilde, bei
denen der Rohrbügel unmittelbar an der Rückwand verschnürt ist, lassen sich wegen dieser
engen Verbindung natürlich nicht über die Schulter hängen. Soweit ersichtlich ersetzen sie
nur die Längshölzer und tragen die Arm- und Handgriffe.
Bei allen drei Gruppen des festen Holzgriffes findet man ab und zu außerdem noch ein
Tragband für die Schulter aus Baststreifen, das locker unter die Querhölzer hindurch-
gezogen, am oberen oder unteren Querholz oder am oberen oder unteren Ende des dem
menschlichen Körper näher liegenden Längsholzes oder Bügelschenkels befestigt ist
(Fig. VIII,2; VIII,3; IX,3). Einzelne Formen der Griffe sind als Mischformen anzusehen.
Dies zeigt sich darin, daß der Griff aus Elementen der Griffe benachbarter Schildtypen
zusammengesetzt ist (Fig. HI,3). (Näheres bei der Einzelbeschreibung.)
GEOGRAPHISCHE GEBIETE DER SCHILDTYPEN1.
Die genannten beiden großen Schildgruppen vom K.-A.-Fluß verteilen sich geographisch
auf drei größere Gebiete. Die Hohlschilde mit ihren für die Schilde des K.-A.-Flusses
charakteristischen Formen und Griffen findet man schon an der Küste in Potsdamhafen.
Sie haben sich (von diesem nur angenommenen Ausgangspunkte) am K.-A.-Fluß entlang ausge-
breitet bis etwa zu dem Dorfe Vogumasch am Aprilfluß. Am Töpferfluß ist dieser Typ an dessen
Unterlauf entlang gewandert und noch bis zum Dorfe Gologopa am Mittellauf zu finden.
Hier treffen wir auf das eine Gebiet der Brettschilde, die (in ihrer Art), soweit Objekte
vorhanden sind, in der Gegend zwischen Dörferfluß und Ramu ihre Heimat zu haben scheinen.
Die meisten dieser Brettschilde stammen vom unteren und mittleren Töpferfluß.
Das andere Gebiet der Brettschilde beginnt oberhalb Vogumasch nach Auslassung einer
längeren Flußstrecke, von der keine Hohlschilde vorhanden sind, etwa am Mäanderberg
und reicht bis an die Grenze von Holl.-Neu-Guinea und wohl bis in dieses Gebiet hinein.
Das an Vogumasch südlich des K.-A.-Flusses angrenzende Gebiet des April- und Maiflusses
enthält die oben genannten Mischformen von Brettschilden, die eine für diese Schildart
auffallend lange und schmale und damit an die benachbarte Hohlschildform erinnernde
Gestalt und z. T. auch den für diese Hohlschilde typischen festen Holzgriff haben (Fig. IX,
3—4).
Innerhalb der beiden Provinzen der Hohl- und Brettschilde lassen sich engere Gebiete
feststellen, in denen sich lokale Schildtypen herausgebildet haben. Trotzdem z. B. die ge-
samten Hohlschilde vom K.-A.-Fluß gegenüber den Schilden aus anderen Gebieten eine
eigentümliche und daher selbständige Schildform darstellen, die durch ihre Größe, Form
und besonders auch durch die Herausarbeitung und Zusammensetzung ihres Griffes cha-
rakterisiert ist, ergeben sich doch innerhalb dieser Schildgruppe nach Form (Umriß, Dicke,
Bezapfung, Gestalt der Vorderseite) Griff und Verzierung (Stilcharakter des Ornamentes,
Besatz mit Fransen usw.) Unterschiede, die es ermöglichen, die genannten lokalen Schild-
typen herauszuschälen und je nach ihrem Heimatsorte als für gewisse Gegenden charakte-
ristisch in geographisch begrenzte Bezirke unterzubringen. Da es sich herausgestellt hat,
daß auch die Herkunftsorte jedes Schildtypes in einem geographisch begrenzten Gebiete
liegen, so sind damit die Schildtypen als lokale Formtypen gesichert.
Für die Hohlschilde ergeben sich von Potsdamhafen bis einschließlich April- und
Maifluß 12 verschiedene Schildtypen, die (teilweise bei Reche als ,,Gruppen“ auf-
geführt) an den beiden Ufern des K.-A.-Flusses in aneinandergrenzenden, verhältnismäßig
1 Vergl. die Karte auf S. 141.
142
E. W. SCHMIDT
fest umgrenzten Gebieten hergestellt wurden. Eine merkwürdige Ausnahme bildet die
Gegend von etwa Timbunke bis Tschesbandai am Unterlauf, wo drei verschiedene Schild-
formen sich etwa staffelförmig überlagern. Es ist dies insofern auffallend, als auch diese
drei z. T. sich deckenden Lokalformen in sich geschlossene Schildtypen darstellen und
außerdem (wie nur noch der weiterhin angrenzende Typ von Malu) der durch den Rohrbügel
am Griff ausgezeichnete Typ von Jentschemangua innerhalb der Gebietsgrenzen der Typen
von Timbunke und Kararau vertreten ist. (Genauer liegt die Sache so, daß die Gebiete der
drei Typen die gleiche westliche Grenze haben, der Typ Timbunke am weitesten nach Osten
reicht, nicht ganz so weit der Typ von Kararau und der Bügeltyp von Jentschemangua bis
etwa zur Mitte des Gebietes des Kararautypes reicht1). Weiterhin ist von Interesse, daß einzelne
Mischformen von Schilden vorhanden sind, die bezeichnenderweise an den Grenzen zweier
Typengebiete auftreten und sich dadurch auszeichnen, daß sie entweder bei Innehaltung
ihrer eigenen Typenform die Grifform des benachbarten Gebietes annehmen (so einmal ein
Timbunkeschild den Rohrbügel des Typ von Jentschemangua, ein typischer Maluschild von
der Grenze zu den Karaschilden den Griff des Karatypes, also mit Hinweglassung des ihm
sonst eigentümlichen Rohrbügels) oder in anderer Weise sich als Mischformen erweisen.
Bei den Brettschilden sind die Unterschiede zwischen aneinandergrenzenden Schild-
typen, wie es bei der weniger komplizierten Form dieser Schilde zu erwarten ist, nicht so
groß, sie zeigen sich nur im Umriß und in der Ornamentik. In den beiden Provinzen der
Brettschilde an der holländischen Grenze und am Töpferfluß sind nur je 2 verschiedene
Schildtypen festzustellen.
Frobenius2 erwähnt nur einen Schild (aus Hatzfeldthafen), welcher der Hohlform der
K.-A.-Fluß-Schilde zu entsprechen scheint. Er nennt ihn eine „Mischform“ (Dachform mit
asiatischem Griff), „die man äußerlich wegen ihrer dachförmigen Wand unbedingt zur
Gruppe Indonesiens zählen würde“, dort jedoch nicht bekannt sei, doch müsse er wegen
seines doppelten asiatischen Griffes den asiatischen Schilden der „nigritischen Form der
Südachse“ angegliedert werden. Ich glaube, daß Frobenius dem Griff eine zu weit gehende
Bedeutung bei der Einteilung der Schilde beimißt, und daß auch dem Doppelgriff der
Rundschilde von der Nordostküste Neu-Guineas (Grager-Insel etc.) mehr eine Zufalls-
bedeutung als eine Verwandtschaft mit den asiatischen Schilden zuzusprechen ist. Die
Schilde vom K.-A.-Fluß, die Frobenius nach dem oben Gesagten als „Mischform“ anspricht,
entsprechen aber weder dem von Frobenius für diese Gruppe aufgestellten „charakteri-
stischen Prinzip der Kantenwirkung in der senkrechten Richtung“, da diese Kante nicht
bei allen Schilden vom K.-A.-Fluß vorhanden und bei vielen nur schwach angedeutet ist,
noch besitzen sie den der „nigritischen Form“ eigentümlichen festen, senkrechten
Holzgriff, sondern eine ganz selbständige, eigentümliche Grifform. Ebensowenig lassen sich
die Griffe dieser Schilde vom K.-A.-Fluß als „schwächlich“ bezeichnen, denn sie sind nicht
nur sehr stabil, sondern z. T. sogar klotzig groß. Dann kann man schließlich diesen Schilden,
wie Frobenius meint, auch nicht einen „einheitlichen Typ“ absprechen, wie aus den folgenden
Ausführungen hervorgehen wird. Die Schildform vom K.-A.-Fluß ist demnach wohl weniger
als eine Abart anderer Formen, sondern vielmehr als eine gut durchgebildete, selbständige
Schildform anzusprechen.
DIE ORNAMENTIK
Charakteristisch für die einzelnen lokalen Formkreise der Schilde ist neben Form und
Griff im höchsten Maße auch die Verzierung der Schildfläche durch Schnitzerei und Malerei,
denn der Charakter der Ornamentik, sowohl der ganze Stil wie einzelne Elemente seiner
1 Vergl, die Karte S. 141. 2 s. Literaturverzeichnis.
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS
143
Muster, sind ebenfalls sichere Wegweiser für die Zugehörigkeit eines Schildes zu einem be-
stimmten lokalen Typ, Bei der Verzierung der Schilde ist fast durchweg die Schnitzerei in
Verbindung mit der Ausmalung, sowohl der vertieften Linien als auch der ausgesparten
flachen angewandt. Wenige Schilde sind nur beschnitzt und nicht bemalt. Einige wenige
Schilde aus der Gegend des Töpferflusses sind nicht beschnitzt, sondern nur bemalt. Beider
Bemalung sind die üblichen Tonfarben schwarz, rot, weiß und gelb in verschiedener Zu-
sammenstellung benutzt. Plastisch herausgearbeitete Darstellungen sind selten Hierher
kann man einige besonders plastisch hervortretende Gesichtsmasken a
r» j t r 1 . . T7. lr. , . . *en der Gruppe von
rotsdamhafen rechnen, sowie eine Vogelfigur, die als einzige aus der Schildwand heraus
tretende Holzplastik die oberste Verzierung eines Schildes der Untergruppe von Hatzfeldt
hafen bildet (Abb. la Nr. 4). Eine Verwandtschaft in Bezug auf die Darstellung plastisch
Gesichtsmasken zeigen übrigens die Hohlschilde von Potsdamhafen und Hatzfeldthafen und
die Brettformen der Schilde von Hatzfeldthafen und die von der Vulkaninsel.
Wie bereits angedeutet hat jede lokale Formgruppe der Schilde ihren eigenen Kunststil
Die Charaktere dieser Kunststile sind in Anbetracht der nahen Grenzen benachbarter Orna-
menttypen immerhin auffallend verschieden. Von Interesse ist es, daß trotzdem hervor-
ragende Elemente des Stiles und zwar meist figürliche Darstellungen (besonders der Vogel)
der einen Gruppe in benachbarte Gruppen hinüberwandern, hier mehr stilisiert erscheinen
und nach weiterer Stilisierung in anderen Gruppen sich fast oder fast ganz auflösen oder
daß nur noch einzelne Teile der stilisierten Figur (meist der Vogelflügel) in Erscheinung
treten.
Ein vergleichendes Studium der Ornamente hätte zwei Deutungen des Dargestellten im
Ornament zu geben. Einmal eine äußere Deutung der dargestellten Figur, sodann eine
innere Deutung, eine Aufdeckung des Zusammenhanges zwischen den dargestellten Figuren
und etwa der Mythologie, der sie entnommen sind; denn es besteht wohl kein Zweifel daß
die durch Schnitzerei und Malerei dargestellten Figuren immer mit einer in der betreffenden
Gegend heimischen Mythe, einem Geister-, Dämonen- oder Aberglauben in Zusammenhang
stehen. In der vorliegenden Arbeit kann, da uns diese Mythen etc. noch zu wenig bekannt
sind, soweit es möglich ist, nur eine äußere Deutung gegeben werden.
Wichtigster Grundsatz bei solchen Deutungen muß es bleiben, mit größter Vorsicht
vorzugehen, denn wie die Praxis zeigt (s. Reche1 u. a.) lassen wir uns allzu leicht ver-
leiten, jede Fläche mit 2 Punkten oder Kreisen als menschliches ,, Gesicht“
zu deuten und für die Undeutlichkeit der Figur ihre Stilisierung ver-
antwortlich zu machen! Es sei in dieser Beziehung an die Schilde der Sulka von Neu-
pommern erinnert, deren Bemalung zum Teil ein scheinbar deutliches ,,Gesicht“ mit Augen,
Nase und Mund darstellt, und doch haben die Sulka, wie Parkinson1 berichtet, von dieser
Deutung nichts wissen wollen, ja darüber gelacht. Wenn wir uns diese ,,Gesichter“ daraufhin
näher ansehen und andere stilisierte Muster mit ihnen vergleichen, von denen wir durcli
näheres Studium erkannt haben, daß sie keine stilisierten Gesichter, sondern einen nun
deutlich erkennbaren Vogel darstellen, so können wir das Gelächter der Sulka verstehen
und daraus unsere Schlußfolgerungen ziehen.
Diese Bemerkungen seien voranzustellen gestattet, einerseits um zu betonen daß der
Verfasser die anzuwendende Vorsicht bei der Deutung dargestellter Figuren und ornamen
taler Verzierungen auch selbst zu beobachten bestrebt gewesen ist, andererseits um auf
einen interessanten Fall (ein alter Schild vom Typ Potsdamhafen) schon hier anzuspielen,
auf den später näher einzugehen sein wird. Wo eine Deutung nicht ganz sicher ist soll dies'
zum Ausdruck gebracht werden.
1 s. Literaturverzeichnis.
i44
E. W. SCHMIDT
DIE FIGUREN UND DIE ENTWICKLUNG DES HAUPTORNAMENTES.
An dargestellten Figuren lassen sich, soweit es sich um realistische Wiedergaben
handelt, als sicher erkennen: das (wirkliche) Menschengesicht, besonders in Maskenform
(Typ Potsdamhafen), der ganze Mensch (auf einem Schilde der Sissanu, abgebildet bei
Neuhauss, I, S. 306, Fig. 206a. Diese Figur soll nach De Clercq1, in dessen Werk über Holl.
Neu-Guinea sie auf einem Türbrett von der Südwestküste der Geelvink-Bai, Taf. 39, Nr. 8,
abgebildet ist, eine gebärende Frau darstellen), der Vogel, einmal ohne Erkennung der Art
(Gruppe von Potsdamhafen und Untergruppe Hatzfeldthafen, Gegend Töpferfluß (hier der
Kakadu und scheinbar der Nashornvogel), der Fisch (Brettschilde der Küste aus der Nähe
der holländischen Grenze, Typ von Angriffhafen) und bis nach Holländisch-Neuguinea
hinein. Aus stilisierten Figuren ist mit Sicherheit erkennbar: das Menschengesicht, die
ganze Menschenfigur, reihenweise stilisiert nach dem Muster des Sissanuschildes, in der
bekannten hockenden Stellung mit hochgehobenen Armen und gespreizten Beinen als Rand-
verzierung bei den Küstenschilden aus der Nähe der holländischen Grenze und, merk-
würdigerweise, bei zwei Schilden von der Malu-Gruppe, also inmitten der anderen Gruppen,
bei denen diese Darstellung sonst völlig fehlt; ferner ist zu erkennen ein Vogel (zum Teil
die Stilisierung der als Nashornvogel angenommenen Figur), der Fisch (Küstenschilde aus
der Nähe der holländischen Grenze), weiter höchstwahrscheinlich die stilisierte Wiedergabe
einer Art Eidechse (des Leguan ?) und mit gleicher Wahrscheinlichkeit die Schlange (selten,
Gegend Mäanderberg).
Als sehr merkwürdig hat sich die zusammengefaßte Darstellung von Vogel
und Menschengesicht ergeben (Gruppe Potsdamhafen und mit Stilisierung des Vogels
in den flußaufwärts angrenzenden Gebieten). Diese Zusammenfassung ist, wie ein Vergleich
verschiedener Muster ergeben hat, bei der Anfertigung des Ornamentes nicht ohne weiteres
erfolgt, sondern beruht auf allmählicher Entwicklung beim Ausbau des Ornamentes.
Es sind Schilde vorhanden, auf denen nur der Vogel, andere (die meisten) auf denen der
Vogel in Zusammenfassung mit dem Menschengesicht und schließlich solche (dies die
selteneren), auf denen das Menschengesicht allein dargestellt ist. Ein Vergleich der Ornamente
führt nun zu dem zunächst vielleicht auffallend erscheinenden Schluß, daß das menschliche
Gesicht erst später hinzugefügt ist. Wie wir aber sehen werden, beherrscht die Vogel-
gestalt und damit vielleicht ein Vogelkult die Ornamentik der Schilde und anderer
Gegenstände (Fig. 9) in weit höherem Maße als das Menschengesicht!
Die Erkenntnis dieser Entwicklung ergibt sich aus der Vergleichung der Schildmuster,
besonders derjenigen, des oben genannten alten Schildes vom Typ Potsdamhafen, der
jedenfalls aus der Gegend des Töpferflusses stammt (Fig. 1—4), mit den Darstellungen auf
einigen bemalten Baumrinden (Abb. I) aus der gleichen Gegend. Dieser Vergleich bringt,
außer der Kritik über das primär Dargestellte zugleich die Erkenntnis, daß es sich bei dem
genannten alten Schilde und zwar bei seiner Hauptfigur nicht um ein stark stili-
siertes Menschengesicht, sondern um eine weniger stilisierte Vogelfigur
handelt, ein Fall, in dem man ohne Kenntnis der Entwicklung bzw. ohne Vergleichsversuche
die stilisierte Vogelfigur nach der allgemein üblichen Deutung zunächst wohl als stärker
stilisiertes Menschengesicht ansprechen könnte. Denn die Lage desVogels und dieVerteilung
seiner Glieder fällt zusammen mit den Hauptteilen eines Gesichts, wobei dieFlügelzeichnung
(zwei übrigens immer wiederkehrende Kreise) an Stelle der Augen, der lange Hals an Stelle
des Nasenrückens, der Vogelkopf an Stelle der Nasenflügel zu liegen gekommen ist (Fig. 3).
Auf die verschiedenen Stadien der Entwicklung des Menschengesichts aus dem Vogel,
1 s. Literaturverzeichnis.
DTE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS
J45
oder richtiger unter dem Vogel sowie auf die nähere Erklärung, wobei auch die Psychologie
des Sehens des Künstlers eine Rolle spielt, wird weiter unten zurückzukommen sein.
Vergleichende Studien der Ornamentik können nicht nur zur Erkenntnis einer wirklich
dargestellten Figur führen, sondern auch zur Erklärung sonst unverständlicher, weil schein-
bar unnatürlicher, ornamentaler Zusätze zu dieser Figur (Fig. io). Dieser Fall tritt sehr
häufig auf bei den fälschlich als „Menschengesichter“ gedeuteten Figuren und diese Zusätze
erklären sich eben daraus, daß es sich hier nicht um ein Gesicht, sondern um einen Vogel
handelt. Solche Studien können auch weiterhin dazu verhelfen, scheinbar rein ornamentale
Verzierungen wie etwa Spiralen als stilisierte Figuren zu erkennen, wobei natürlich Vorsicht
zu walten hat (vgl. das Ornament des Schildtypes von Kara, Abb. VII, Nr. 3_3) Aus der
Kenntnis der Stilformen, wie etwa der Schilde, läßt sich dann auch die Zugehörigkeit und
damit die Heimat anderer Objekte feststellen, da die lokalen Stilformen an anderen ethno-
graphischen Objekten meist leicht wiederzuerkennen sind.
Schließlich sei noch gesagt, daß sowohl eine ganze Schildgruppe (Gegend April- und
Maifluß) sowie einzelne Schilde einer Gruppe (Typ Kara Abb. 1—4) ein Ornament besitzen,
das keine realistisch dargestellten und (oft nur scheinbar) auch keine stilisierten Figuren
enthält, bei denen vielmehr eine rein ornamentale Verzierung angewendet bzw. scheinbar
angewendet ist. In der Gegend des April- und Maiflusses ist es die Spirale. Dieses Muster
und andere, meist rein ornamentale, tragen auch Schilde, die aus der Gegend vom Mäander-
berg bis Grenzjägerlager stammen. Dagegen sind die meisten scheinbar ornamentalen Ver-
zierungen der Küstentypen Arop und Angriffshafen zweifellos stilisierte Figuren (häufig der
Fisch).
Auch die Rückseite mancher Schilde ist mit einzelnen Mustern versehen. So sind
mehrere Schilde vom Typ Potsdamhafen auf der Rückseite zunächst einfach ganz rot
gefärbt. Von der Schildgruppe aus der Gegend von Kamboa bis Kambringi ist einer mit
roher, roter Netzzeichnung, roten Punkten und einer roten Zickzacklinie am Rande versehen.
B ei einem anderen Schilde dieser Gruppe ist die ganze Rückseite mit einer weißen, feder-
artigen Zeichnung auf rotem Grunde sauber bemalt. Schnitzer eien auf der Rückseite
finden sich bei mehreren Schilden vom Typ Potsdamhafen und auf einem Brettschilde. Als
Muster sind vorhanden einfache ring- und kreuzartige Muster (Fig. 22 und 25) oder etwas
kompliziertere, die meist Einzelteile, z. B. eine ohrenartige Figur (Fig. 22 u. 23) einmal eine
Vogelgestalt(Fig. 24), aus demMuster der Vorderseite des betreffenden Schildes wiedergeben
Vielleicht handelt es sich hier um Eigentumsmarken.
DEUTUNG DES ORNAMENTES.
Es wurde oben bereits auf eine bei der Schildgruppe von Potsdamhafen öfter auftretende
Darstellung hingewiesen, die einen Vogel und ein unter ihm (übrigens später, flußaufwärts
in ihm, Fig. 10) befindliches Menschengesicht zeigt. Da sowohl der Vogel allein, andererseits
auch das Menschengesicht allein, am häufigsten jedoch beide Darstellungen zusammengefaßt
Vorkommen und sie sich in dieser Form auch bei mehreren anderen Schildgruppen immer
wieder finden, so ergibt sich zunächst die interessante Frage, ob derVogel oder das Menschen-
gesicht, wenigstens bei den Schilden aus Potsdamhafen und Hatzfeldthafen, die primäre
Darstellung ist. Weiter ergeben sich die Fragen, wie lange bei einer Wanderung durch die
verschiedenen Schildgruppen längs des K.-A.-Flusses Vogel und Gesicht in mehr oder weniger
stilisierter Darstellung als solche zu erkennen sind, wie die verschiedenen Grade der Stili-
sierung dieser Figuren aussehen, ob und wie weit sich diese Figuren bei benachbarten
Gruppen (wie meistenteils in höher stilisierter Form) wiederfinden, mit dem Ziel, im all-
gemeinen erkennen zu können, ob diese oder jene Hauptfigur eines Schildes wirklich, wie fast
IQ Baessler-Arckiv.
i45 E. W. SCHMIDT
immer angenommen wird, ein menschliches „Gesicht“ darstellt oder nicht und was sie
darstellt, ohne die Absicht, sich auf sonstige Deutungsversuche aller möglichen Ornamente
einzulassen, da eine solche Untersuchung zu weit führen würde.
Um die aufgeworfenen Fragen zu lösen, suchen wir Darstellungen realistisch behandelter
Figuren an beschnitzten und bemalten Gegenständen anderer Art, damit wir zuerst einmal
eine objektiv richtige Deutung erhalten. Indem wir auf manchen Schilden des Typ Potsdam-
hafen den Vogel, zunächst, soweit er realistisch dargestellt ist, also als solcher sicher zu
erkennen ist, vorfinden, erinnern wir uns, daß er in der Südsee nicht nur als mythologische
Figur eine große Rolle spielt, sondern auch als Darstellungsobjekt des Künstlers, besonders
in Neu-Guinea selbst, mit an hervorragender Stelle steht. Hier sowohl in Holländisch Neu-
Guinea wie auch als gemalte und plastische Figur an Gegenständen der am K.-A.-Fl,
wohnenden Eingeborenen. Als plastische Darstellung findet er sich an menschlichen Holz-
figuren, an geschnitzten Brettern, als Giebelspitze (Abb. I, bei einer anderen Giebelspitze
steht er auf den Schultern einer menschlichen Figur) usw. Malerisch behandelt finden wir
den Vogel in realistischer Darstellung besonders auf bemalter Baumrinde (übrigens auch auf
den bekannten schönen Federschilden teilweise sehr deutlich) z. T. als Kakadu erkennbar
(Eichhorn1, Fig. 21, oben am Rande beiderseits).
Hatte nun der Künstler an den breiten und ebenen Flächen der Schilde einen besonders
großen Spielraum sowohl für seine Phantasie, mit deren Hilfe er sich in realistischen Dar-
stellungen und dann in Stilisierungen ergehen konnte, als auch für seine Kenntnis in mytho-
logischen Dingen und in den als Schutzgeister, Dämonen oder Abschreckungsbildern ge-
bräuchlichen Darstellungen, eine besonders gute Gelegenheit, diese Muster in Anwendung
zu bringen, so ist es erklärlich, daß wir wichtige Figuren, wie den Vogel und das Gesicht
auch hier ausgiebig behandelt wiederfinden. In der Gruppe Potsdamhafen sind mehrere
Schilde vorhanden, deren zu oberst liegendes als erhabene Fläche geschnitztes und bemaltes
Hauptornament einen deutlichen Vogel darstellt (Abb. 1, Nr. 2—3; Abb. la, Nr. 2 und
Fig. 1, 2, 5, 6). Einmal finden wir den Vogel freistehend geschnitzt oben auf der Vorderseite
eines Schildes (Abb. la, Nr. 4),
Dem künstlerisch veranlagten Hersteller der Verzierungen geht es natürlich ebenso wie
dem phantasiebegabten Künstler eines in der Kultur höherstehenden Volkes. Sei es aus
Spielerei, sei es mit einer bestimmten Absicht, sucht er die im Ornament freigebliebenen
Flächen auszufüllen indem er Ergänzungen hinzufügt zu einem Bilde, das er in seiner
Phantasie aus der Umgrenzung der freigebliebenen Fläche herausliest. Hat diese Fläche
etwa annähernd den runden oder ovalen Umriß eines Gesichtes, so fühlte sich auch der ein-
geborene Künstler veranlaßt, sie als Gesicht umzugestalten. Er tat dies, indem er zunächst
in die Gegend der Augen zwei Punkte oder Kreise hineinsetzte oder, wo solche Kreise schon
vorhanden (wie das Flügelkreisornament!), diese als Augen benutzte (vgl. etwa Fig. 7), ging
er gleich weiter, was jedoch nicht immer der Fall war, so fügte er noch einen Mund hinzu,
(Bei den Schilden vom K.-A.-Fl. ist nämlich die Nase in Gestalt des Vogelhalses meist
schon vorhanden.) Diese psychologisch begründete Ergänzungssucht der Künstlerphantasie
hat auch die Entstehung des Gesichtes unterhalb der Vogelfigur auf den
Schilden von Potsdamhafen und anderen veranlaßt, womit zugleich gesagt ist, daß die
Figur des Vogels das primäre Ornament und das Menschengesicht das
sekundäre ist.
Betrachten wir nun unter diesen Gesichtspunkten die in Abb. I wiedergegebenen be-
malten Baumrinden, so ist die unten links abgebildete in dieser Beziehung besonders inter-
essant und instruktiv. Der fliegende Vogel ist mit seinem fächerförmigen Schwanz und den
ausgebreiteten Flügeln (typische Flügelzeichnungen!) so deutlich dargestellt, daß kein
1 s. Literaturverzeichnis.
DIE SCHILDTYPEN VOM KA1SERIN-AUGUSTA-FLUSS 147
Zweifel an der Figur eines Vogels bestehen kann. Von größter Bedeutung für die richtige
Deutung mancher Figuren und Ornamente ist auf diesem Bilde jedoch nicht die oben
erwähnte Ergänzung der freigebliebenen Fläche (in die der Vogelkopf hineinragt) durch
Hinzufügung zweier scheinbarer „Augen“ (rechts und links vom Vogelkopf, der selbst mit
seinem Hals eine „Nase“ in diesem Gesicht vertreten kann) und die weitere Einfügung einer
mundähnlichen Zeichnung unter der „Nase“, sondern die besondere Bedeutung dieses Bildes
liegt hier in der Flügelzeichnung des Vogels! Sie besteht aus zwei Kreisen mit an-
schließenden halbmondförmigen, manchmal geknickten Linien. Es läßt sich nun feststellen
daß dieses Flügelornament typisch für den Vogelflügel ist, denn es kehrt auf vielen anderen
Abb. I. Baumrindenmalereien vom Töpferfluß mit Vogelfiguren. Daneben der Vogel
einer Giebelspitze mit dem typischen Flügelornament.
realistischen Vogeldarstellungen wieder, von denen als Beispiel hier nur die Holzplastik auf
der gleichen Abbildung wiedergegeben ist. Der oben genannte Vogel auf den Schultern der
menschlichen Figur zeigt die gleiche geschnitzte Flügelform. Ferner verweise ich auf die Ab-
bildungen bei Neuhauss, Bd. 1, Fig. 34, Nr. 2 (Turmfigur), Fig. 278, 280 und 282 („Zier-
ansätze“ für Betelkalkbehälter), Fig. 318 und 332 (Speerschleudern), Fuhrmann S. 97
(Handtrommel), S. 33 (Zieransatz), S. 87 (Holzschnitzerei, 4 Vögel) usw. Alle diese
realistisch dargestellten Vögel besitzen die oben genannte Flügelzeichnung,
die wir somit als für den Vögelflügel typisch und im Reiche der stilisierten
Figuren als einen Schlüssel (also als eine Art Leitmuster) zur Erklärung
vieler Ornamente bezeichnen können (vgl. Fuhrmann S. 95 und S. 108, Schilde,
S. 67 Aufhängehaken, unsere Abbildung der Baumrindenmalerei, ferner Abb. H, Nr. 2
unten und die Flügelmuster auf Abb. III, Nr. 3, Abb. V, Nr. 1—4 usw.). Die Kreise dieser
Fliigelzeichnung sind, wie ich nun feststellte, die Urbilder des später entstandenen mensch-
lichen Gesichts und in dessen vorhergehendem Stadium die Flügelkreisornamente der so
oft fälschlich als „Gesicht“ gedeuteten stilisierten Vogelfiguren. Wie leicht man sich
selbst bei der genannten Rindenmalerei (unten links) auf ein (falsches) „Gesicht” um-
stellen kann, zeigt die Wirkung des ganzen Bildes, wenn man sich die Flügelkreise als
„Augen“ denkt. Das auf Abb. I wiedergegebene fächerartige Rindenstück weist in seiner
19*
148
E. W. SCHMIDT
■ n.
Bemalung den in Hals und Kopf, Form und Augendarstellung gleichen Vogel auf wie die
unten links dargestellte Baumrinde; von den Flügeln sind nur noch die (hier verdoppelten)
Kreise übrige geblieben. Der Sprung in der Umzeichnung ist hier verhältnismäßig so groß,
daß die Möglichkeit besteht, der Maler habe mit unbewußter Benutzung der stilisierten
Vogelform hier schon ein wirkliches Menschengesicht andeuten oder wiedergeben wollen.
Die ,,Ergänzungsaugen“ hat er noch übernommen, obwohl sie hier schon ihren Sinn verlieren.
Es sei hierbei bemerkt, daß natürlicherweise von der oben erwähnten typischen Flügel-
zeichnung die an den Kreis anschließenden Bogenlinien manchmal fortfallen können oder
müssen, besonders wenn die Flügel seitlich ausgebreitet sind, in welchem Falle die Zeichnung
schon aus Gründen des Raumes nicht mehr so angebracht ist, wie auf den nach hinten ge-
richteten, langgestreckten Flügeln. Aus praktischen Gründen sei die auf Abb, I unten links
dargestellte, schlankköpfige Vogelform als „Typ 1“, die auf dem Rindenstück unten in der
Mitte gemalte breitköpfige, rundflügelige (alsVogel angenommene) Figur mit eingeschnürtem
Hals (Flügelkreise meist ohne Kreisbogen) als „Typ 2“ bezeichnet. Bei dieser Gelegenheit
sei auch auf die langhalsigen Vogelköpfe der gleichen Abbildung (auf den Baumrinden unten
in der Mitte, in den vier Ecken und oben links; in diesem Bilde unten, liegend) und auf ihre
Wiederkehr in stilisierter Form bei mehreren Schilden (Federschild) verwiesen und diese
Figur mit „Typ 3“ bezeichnet. Während der Vogeltyp 1 verhältnismäßig selten dargestellt
ist (Fig. 3 von Fig. 1), kehrt der breitköpfige, rundflügelige Typ 2 mit eingeschnürtem Halse
auf mehreren Schilden der Brettform vom Töpferfluß besonders deutlich wieder (Abb. XI,
Nr, 1—3).
Auf dem genannten alten Schilde von Potsdamhafen (Fig. 1) ist diese Vogelfigur vom
Typ 2 oben sehr realistisch dargestellt. (Fig. 2 gibt eine sehr genaue Skizze wieder.) Der
breite Kopf trägt zwei nach oben gerichtete große, runde Augen, in der Gegend der Ohren
sitzen an ihm zwei nach hinten verlaufende, breite Lappen. Der Kopf erhält durch diese
Darstellung etwras reptilartiges. Die Federzeichnung auf den Flügeln ist durch parallele
Strichreihen angedeutet. Bei den nach hinten gerichteten Füßen sind die einzelnen Zehen
herausgearbeitet. An den Flügelschultern fallen zwei rückwärts gerichtete Haken auf.
Wegen dieser merkwürdigen Haken, des breiten Kopfes, der ohrartigen Lappen und der
großen runden Augen bestehen natürlich Zweifel ob es sich hier um einen Vogel oder um
ein anderes geflügeltes Tier handelt. Die Gestaltung der Figur läßt fast den Gedanken auf-
kommen, ob es sich hier vielleicht um ein fledermausartiges Tier (fliegender Hund in
hängender Stellung?) handelt (vgl. betreffs dieser Deutung auch die Figur oben auf dem
Schild in Abb. 1, Nr. 4 mit den in breiten Lappen auslaufenden Füßen).
Ein gutes Beispiel für ein scheinbar stilisiertes Gesicht finden wir im Hauptornament
des gleichen Schildes (Fig. 3). Dieses gibt genau den Vogel vom Typ 1 wieder. Es handelt
sich bei dieser Figur um eines von den Motiven, die so oft fälschlich als stilisierte ,,Gesichter“
aufgefaßt werden.
Zum Verständnis eines ebenfalls häufig auftretenden ornamentalen Bandes, besonders
längs der senkrechten Mittellinie der Schilde von Potsdamhafen und anderer (auch längs
der Ober- oder Unter kante), sei auf ein verziertes Brett hingewiesen (Fig. 11—12), welches
das Originaltier, dessen Körper das genannte Bandmuster in z. T. hochstilisierter Form
enthält (Fig. 12 u. 15), in realistischer Darstellung zeigt. Dieses Tier ist ein Reptil, wohl eine
Eidechsenart. Auf dem genannten ornamentalen Bande gehen bei der Darstellung in stilisierter
Form immer die Vorderfüße in die Hinterfüße des vorhergehenden Tieres über (Fig. 13 u. 15).
Manchmal bildet dieses Tier in hochstilisierter Form als Einzeltier das oberste Ornament der
Schilde wobei die Füße in Spiralen auslaufen, oder es bedeckt die vordere Schildfläche
(Abb. I a, Nr. 3)5 teils auch in Reihen gesetzt und quer gestellt die Seitenteile der Schildwand.
Es ist dies das von Reche als ,,Schmetterlingsfigur“ benannte Muster, In dieser Form
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGEiSTA-FLUSS
149
hat das Tier einen kurzen eckigen Körper. Wir finden dieses Tier auch, teilweise in kaum
wiederzuerkennender Gestalt, auf Brettschilden vom Töpferfluß wieder (Abb. XI, Nr. 5 u.
Fig. 17—18), die ihrer Form nach zu dem gleichen Schildtyp gehören, welcher als Haupt-
ornament den Vogel Typ 2 der Rindenmalereien enthält (Abb. I, Nr. I_____3).
ÜBERBLICK UBER DIE SKIZZEN FIG. 1—33
Um meine Darlegungen darüber, daß es sich in vielen Fällen nicht um ein „Gesicht“,
sondern um einen Vogel und im übrigen höchstwahrscheinlich um ein Eidechsenornament
handelt, durch einige Unterlagen mit anschließenden Bemerkungen zu belegen, füge ich
in den Figuren 1 — 21 einige Skizzen bei, die auch das sonst über die Ornamentik Gesagte
unterstützen können. In den Figuren 11—12 ist die Eidechse, das Urbild der stilisierten
Figuren in dem sehr häufig angewendeten schmalen Ornamentalbande längs der Mittellinie
der Schilde, in den Figuren 13—18 sind einige Stadien aus ihrer Entwicklung zu stilisierten
Formen abgebildet. Die Figuren 19—20 geben das Hauptmotiv aus den Schnitzkeilen von
Schilden vom Töpferfluß wieder, Figur 21 das gleiche Tier wie es in größerer Form (56 cm)
auf der Wandfläche (Bruchstück) eines verwandten Schildes dargestellt ist.
In Fig. 1 habe ich den alten Schild vom Typ Potsdamhafen kurz skizziert als Beispiel
für diejenigen Schilde, deren Hauptmotiv allgemein fälschlich als „Gesicht“ gedeutet wird.
Am Kopf des Schildes finden wir die in Fig. 2 getreu wiedergegebene vogel- oder fledermaus-
artige Figur (vgl. Näheres bei der Spezialbeschreibung unter Schildtyp I, Nr. 12). Der Kopf
dieses Tieres selbst entspricht dem des Vogels vom Typ 2 auf den Baumrindenmalereien.
Unter dieser Figur finden wir das in Fig. 3 wiedergegebene Ornament, in welchem uns das
typische Flügelornament bei den „Augen“ auffällt. Da wir dieses Ornament als Leitmuster
für Flügel kennen gelernt haben, sehen wir sofort, daß es sich hier nicht um,,Augen“, sondern
um die Vogelflügel handelt. Das zwischen den Flügeln liegende fächerförmige Ornament
erkennen wir sodann leicht als den Schwanz des Vogels mit quergestellter Befiederung und
die „Nase“ als den Kopf eines Vogels, der nach seiner ganzen Haltung dem Vogel vom Typ 1
entspricht. Im Schwanzende trägt der Vogel das in Fig. 4 abgebildete Ornament, das wir
trotz seiner stilisierten Form an den ausgebreiteten Flügeln mit ausgearbeiteter Befiederung
und an dem fächerförmigen Schwanz ebenfalls leicht als Vogel deuten können. Fig. 5 gibt
die Vogelfigur vom Kopfe eines Schildes vom Typ Potsdamhafen wieder, dessen Gesichts-
maske charakteristisch ist für diejenigen Schilde dieser Gruppe, als deren Herkunftsort
Ramumündung“ genannt wird. Zwischen Kopf und Flügeln liegt die noch undeutbare
Kreisfläche wie bei Fig. 2. Einen fast gleichen Vogel finden wir am Kopfe eines Schildes bei
Reche1 Taf. LVHI, Fig. 4. Reche hat nur den Kopf dieses Vogels erkannt und ihn als „ganz
kleines Gesicht“ gedeutet.
Als Beispiel, daß Ornamente, die mit einem Gesicht nichts gemeinsam haben außer zwei
Kreisflächen, als „Gesicht“ gedeutet und beschrieben werden, gebe ich in Fig. 8 eine Pause,
die nach der Abbildung 473, Seite 459 bei Reche gefertigt ist. Reche beschreibt diese Figur
(obwohl kein Mund vorhandenist) als „Gesicht“ mit ihm auffallenden langen „Nasenflügeln“
(ein Beispiel für unverständliche Zusätze!) In ihr ist mit Leichtigkeit ein fliegender schwarzer
Vogel zu erkennen. Die Kreise des Flügelornaments sind ornamental hinter den Flügeln
angebracht. — Sehr schwierig wäre es zunächst das den Schilden vom Typ Kararau an-
gehörige „Gesicht“ zu deuten, wenn wir nicht bei Reche Taf. LX, Nr. 2 auf der „Nase“ (?)
zwei Augen fänden (s. Fig. 7) und durch das die „Augen“ darstellende Flügel-Kreisornament
wieder zum Vogel geleitet würden. Diese Figur wie auch Figur 8 sind gute Beispiele dafür,
wie uns unverständliche Zusätze und merkwürdige Formen in einem als „Gesicht“ gedeuteten
1 s. Literaturverzeichnis.
E. W. SCHMIDT
150
Ornament (Reche spricht mehrmals seine Verwunderung über die „zum Gesicht umgestaltete
Nase“ aus) sich leicht erklären lassen, wenn wir das ,,Gesicht“ als Vogel, bzw. als aus der
Vo gelfigur entstanden deuten, wie ich dies in der Einführung ausgeführt habe. Die zum
Gesicht umgestaltete ,,Nase“ ist eben der Vogelkopf und aus diesem Grunde tragen die
,,Nasen“ Gesichter d. h. die Augen der Vogelfigur. Die merkwürdige Form des Kopfes dieses
Vogels fällt gar nicht mehr so auf, wenn wir uns erinnern, daß die unzweifelhaft einenVogel
darstellende Fig. 4 genau dieselbe Kopfform hat und wenn wir sehen, daß auch der Vogelkopf
vom Typ 2 auf der Rindenmalerei spitze Zipfel trägt, die bei der noch realistischer dar-
gestellten Fig. 2 als Ohren erscheinen. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß der Ein-
geborene diese sehr weit stilisierte Vogelfigur zugleich als Gesicht hat wirken lassen
wollen. Denn dieses Ornament gehört schon zu den Stadien der Stilisierung des
Vogels, in welchen der stilisierte Vogel und das stilisierte (später aber rea-
listischer ausgebaute) Gesicht sich decken, welche Möglichkeit dadurch gegeben ist, daß
das Gesicht in seiner Entwicklung seinen Ausgang nicht von einer rea-
listisch dargestellten Gesichtsfigur genommen hat, sondern einen seltene-
ren Entwicklungsgang durchgemacht hat, an dessen Anfang eine andere
stilisierte Figur (der Vogel) steht. Das Gesicht ist also (sekundär) aus dem (primären,
stilisierten) Vogel entstanden, wobei das Kr eisor na ment der Flügel das Urbild der
späteren menschlichen Augen darstellt. Wir finden übrigens den Vogel auch auf
Gegenständen, auf denen wir ihn zunächst gar nicht vermuten, so, um nur ein Beispiel zu
geben, auf dem kleinen Brustpanzer aus Eberzähnen und Früchten in Fig. 9, wo die Eberzähne
zwischen den Flügeln und dem Vogelschwanz liegen. In natura tritt diese fliegende Vogel-
figur auch bei anderen solchen Brustschilden wegen der Farbenunterschiede noch viel
deutlicher hervor als auf der Schwarzweiß-Skizze. Auch auf dem Federschilde bei Eichhorn
Fig. 1-8. Vogelgestalten aus den Ornamenten der Schilde.
Fig. 9. Der Vogel auf einem kleinen Brustschilde.
152
E. W. SCHMIDT
(Fig. 21) erkennen wir die „Augen“ leicht als die Kreisornamente der (runden) Flügel eines
mehr rundköpfigen Vogels, ähnlich dem Typ 2, wieder. Die weiße Fläche mit dem „Wangen-
schmuck“ hat genau die gleiche Form wie die unter den Vögeln Typ I und 2 der Rinden-
malereil Zu beiden Seiten über diesem „Gesicht“ finden wir ganz oben am Rande Vogel-
köpfe vom Typ 3 wieder, die auch den Vogel vom Typ 2 auf der Rindenmalerei (unten in
der Mitte) oben einrahmen.
Nach diesen Untersuchungen wird es keinem Zweifel unterliegen, daß auch die „Ge-
sichter“ vom Schildtyp jentschemangua und anderer Schildtypen aus der stilisierten Vogel-
figur entstanden sind. Bei dem in Fig. 10 skizziertem Schilde dieses Types ist der Fächer-
schwanz mit seitlich angedeuteter Befiederung noch leicht zu erkennen. Die auffallenden,
ovalen (vertieft geschnitzten) Teller, in denen die Augen liegen, sind die Reste der runden
Flügel, die Augen das Flügelkreisornament, die sonst unverständlichen eckigen Ausschnitte
unter ihnen die Reste der Flügelschultern vom Vogel Typ 1 oder 2.
Das Urbild der später stilisierten Eidechse zeigt das geschnitzte Brett
(Fig. 11), diese selbst ist vergrößert dargestellt in Fig. 12. Die Stilisierung dieses Tieres
scheint nach zwei Richtungen hin erfolgt zu sein. Einmal ist die lange, schmale Form
(Fig. 13—15), sehr häufig als schmales ornamentales Band längs der Mitte der Schilde vom
Typ Potsdamhafen (Fig. 15 stammt von Fig. 1, Fig. 14 von einem Hüfttuch aus Tapa, Fig. 13
vom Schilde Abb. Ib, Nr. 4) entwickelt, andererseits finden wir eine kurze, breite Form mit
großen Spiralbeinen, höchstwahrscheinlich ebenfalls die stilisierte Eidechse und zwar teils
als Kopffigur der Schilde (Abb. Ib, Nr. 3 und Abb. XI, Nr. 5), teils hochgestellt, die Vorder-
seite der Schilde bedeckend (Abb. Ib, Fig. 3) teils quergestellt auf den beiden Seiden des
Schildes („Schmetterlingsfigur“ bei Reche). Fig. 16, vom Schild XI,6 (XI,6 = Schildtyp XI,
Schild Nr. 6), Fig, 17 (XI,5) und Fig. 18 (XI,1) gehören zur breiten Form (vgl. auch das
Stirnornament auf dem Schädel bei Reche Abb. 388, S. 368 und die Eidechsenfiguren auf
den Köpfen der geschnitzten Holzfiguren und auf den Stirnen der Holzmasken). Aus der
Stilisierungsform von Fig. 18 (Abb. XI, Nr. 1, Mitte des Schildes) kann sich das Gesicht
ausnahmsweise auch aus der stilisierten Eidechsenfigur entwickeln (wie bei
Abb. XI, Nr. 5). Der Nasenquerbalken in diesem Gesicht (wie auch bei dem noch realisti-
scheren, Abb. XI, Nr. 1, unten) deutet auf den Eidechsenkörper hin (vgl. auch den „Nasen-
balken“ an der Nasenwurzel in Fig. 18, wenn man diese Figur als stilisiertes Gesicht auf-
faßt), also auf seine Verwandtschaft mit der Körpermitte von Fig. 13. Höchst interessant
ist es, daß wir auch bei dieser Figur (18) auf den „Backen“ die bekannten Flecke finden,
die hier ausnahmsweise dreieckig sind. Die Figuren 19 und 20, aus den Schnitzkeilen von
den Schilden XII, 1 und XI,2 (vom Töpferfluß) gehören einem unbekannten Tier an, evtl,
auch der Eidechse, das in größerer Form (Fig. 21) auch auf der Schildwand der Schilde
(außerhalb der Schnitzkeile), z.T. im Verein mit den vielen fratzenhaften und „behaarten“
(Tier-) Gesichtern zu finden ist (vgl, Abb. XII, Nr. 5, hier ist es nur zur Hälfte dargestellt
und, wie öfter, mit vom Nacken ausgehenden, wimpelartigen Bändern). Eine ganze Reihe
weiterer Einzelheiten sind als Beispiele in den Einleitungen zu den Spezialbeschreibungen
der verschiedenen Schildtypen und in den kurzen Beschreibungen der Schilde selbst
zu finden.
Die Figuren 22 (I a, 6), 23 (I b, 1), 24 (I b, 3) und 25 (I a, 7) stellen Schnitzereien auf der
Rückseite der Schilde vom Typ Potsdamhafen dar. Die Figuren 26 (XI,3), als einziger
Brettschild mit (geschnitztem) Rückenmuster, 27 (XI,2), 28 (XI,9) und 29 (XII, 11) deuten
verschiedene Arten der Befestigung des Tragbandes der Schilde vom Typ Kagnia an, ebenso
die Figuren 30 (X,i), 31 (Xa,5), 32 (Xa,i) und 33 (Xb,p) verschiedene Anbindungen des
Tragriemens bei den Typen vom Mäanderberg (X), Nordfluß (Xa) und Grenzjägerlager (Xb).
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS
EINZELBESCHREIBUNG
Im folgenden wird eine möglichst kurze Beschreibung des in den einzelnen Gebieten
vorherrschenden Schildtypes sowie der einzelnen Schilde dieser Gebiete gegeben werden.
Durch die vorhergehenden Ausführungen sind die Fragen, welche Form Griff und Orna-
mentik dieser Lokalgruppen betreffen, bereits so weit erörtert worden daß es möo-hrb ist
die Einzelbeschreibung kurz zu fassen. Mit dieser Einteilung des Stoffes ist eine reihenweise
Emzelaufzahlung der Gruppen und der Emzelobiekte vermieden Fin„ i u •• j • t
nur ermüdend wirken, sondern durch die Aneinanderreihung der besprochenen Fra
würde sich ein zu unübersichtliches Bild ergeben, zumal in manchen Fragen
Übersicht über alle oder mehrere Gebiete hätte erhalten bleiben müssen. C Cauern e
DIE HOHLSCHILDE
I Schildtyp Potsdamhafen
Neunzehn Schilde (Abb. la u. Ib, Fig. I, 4; I, 6 (Griffe); Fig. 1—^ 22 25;
Reche, Taf. LVHI, Nr. 1—5, Taf. LIX, Nr. 1). Etwa manneshoch, bis 40 cm breit, obere
Kante, teils gerade, teils gerundet, untere meist gerade, Vorderseite stark gerundet, Mittel-
kante mehr oder weniger deutlich, drei Schilde ohne Längskante. Rückseite tief ausgehöhlt
(Abb. Ib, Nr. 1), unterhalb der Oberkante eine meist starke, runde, aus dem Vollen ge-
schnitzte Aufhängeöse, durch die ein meist noch vorhandener, aus Rotang geflochtener,
schmaler Ring gezogen ist (diese Öse ist sichtbar Auf Abb. Ib, Nr. 4, wo sie ausnahmsweise
oben auf dem Schilde sitzt). Am linken Schildrand, etwas von der Schildkante entfernt,
eine schmale, mit Löchern versehene, aus dem Vollen geschnittene Leiste (Abb. Ia, Nr. 3,
Abb. Ib, Nr. 2 sichtbar), an welcher ein verschieden breites Flechtband aus Gras befestigt ist
(sichtbar auf Abb. Ia und Ib bei Nr. 2 oben), dessen unverflochtenes Material als breite
dichte Grasfranse zur Schildseite herabhängt. Vorderseite beschnitzt und in den üblichen
Farben bemalt. Hauptornamente: der Vogel, realistisch und stilisiert, das Gesicht, stilisiert,
teils flach geschnitzt, teils als plastisch geschnitzte Maske, die Eidechse stilisiert, (meist
Längsornament der Mittellinie, z. T. in Verbindung mit Spiralmustern), Rückseite teilweise
rot angestrichen, teilweise mit Schnitzmustern versehen, die aus Elementen der Ornamente
der Vorderseite bestehen.
Der Griff weist zwei Formen auf. Die eine Form besteht aus zwei in der Mitte der
Rückseite liegenden, aus dem Vollen geschnittenen, parallelen Längsleisten, deren Mittelteil
flach ausgebuchtet ist und an deren vier Enden sich je eine Durchbohrung befindet. Die
quer über diesen Löchern liegenden und mit Rotangstreifen befestigten Arm- und Hand-
griffe sind meist aus runden (Handgriff unten) oder flachen (Armgriff oben) Hölzern ge-
fertigt. Die andere Grifform besteht aus vier aus dem Vollen geschnittenen runden Ösen,
deren Entstehung man sich so denken kann, daß die Mittelteile der Längsleisten nicht aus-
gebuchtet, sondern ganz herausgeschnitten sind, so daß nur ihre mit Löchern versehenen
Enden stehen blieben (Abb. Ib, Nr. 1). Als Arm- und Handgriffe sind die oben genannten
Hölzer in gleicher Weise über den Ösen befestigt. Bei beiden Formen sind die unteren Quer-
hölzer manchmal mit Bast, Tapa oder Rotang ganz umwickelt.
I A Schilde mit Leistengriff
Nr. 1. VI 41495 Tzimundo (Töpferfluß) Abb. Ia Nr. 1
Nr. 2. VI 41 715 Gorogopa (Töpferfluß) Abb. Ia Nr. 2
Nr. 3. VI 19394 Potsdamhafen (Ramu-Expedition) Abb. Ta Nr. 3
Nr. 4. VI 19407 Potsdamhafen Abb. Ia Nr. 4 Fig. I, 4
Nr. 5. VI 19399 Potsdamhafen Abb. Ia Nr. 5
20 Baessler-Archiv.
I54
E. W. SCHMIDT
Nr. 6. VI 19397 Potsdamhafen (Ramu-Expedition) Abb. la Nr. 6 Fig. I, 6 und Fig. 22
Nr. 7. VI 19406 Potsdamhafen Fig. 25
Nr. 8. VI ? „Potsdamhafen ?“
Nr. 9. VI 19400 Potsdamhafen ?
Nr. 10. VI 19404 Potsdamhafen
Nr. II. VI 19408 Ramu-Mündung (cf. Neuhaus, I, Abb. 206b); Fig. 5, Fig. I—4 u. 15
Nr. 12. VI ? Töpferfluß?
Die Schilde Nr. 1, 160:29 cm und Nr. 2, 154:23 cm vom Typ Potsdamhafen, stammend vom unteren Töpfer-
fluß, weichen vom genannten Typ insofern ab, als bei ihnen die Aufhängeöse auf der Rückseite fehlt und die Quergriffe
über den Längsleisten nicht aus Querhölzern, sondern aus verschnürten Rotangbändern bestehen. Bei Nr. 2 sind diese
mit Tapastoff umwickelt. Ferner sind die Seitenfransen nicht an einer Längsleiste, sondern am durchlochten Schild-
rande selbst befestigt. Auch der ganze Ornamentstil ist ein etwas abweichender. Nr. 1 trägt als oberste Figur einen
kleinen Vogel vom Typ 2, darunter befindet sich ein großes Gesicht mit Backenpflaster und durchbohrter Nase, dessen
Entstehung aus der Vogelfigur durch den hinten angesetzten gefiederten, unten als Ornament wiederholten Schwanz
noch erkennbar ist. Seitlich über dem Gesicht ein hier seltenes Ornament, zwei sonnenkreisartige Figuren. Bei Nr. 2
ist an Stelle des großen Gesichtes der Vogel von Typ 2 noch vorhanden und leicht erkennbar. Ein größerer, stilisierter
Vogelkörper mit gefiedertem Schwanz ist ihm scheinbar unterlegt, rechts und links oben zwei realistisch gemalte Vögel
in der üblichen aufrechten Stellung wie sie die Vögel auf den Giebelspitzen einnehmen. Beide Schilde tragen außerdem
Spiralmuster, die aus den Abbildungen erkennbar, jedoch nicht sicher zu deuten sind (stilisierte Eidechse ?). Die Vogel-
figuren vom Typ 2 sind jedenfalls aus den Ornamenten der Baumrinden und Brettschilde (Abb. I), die hier am Töpfer-
fluß heimisch sind, übernommen. Die Schildform selbst ist also von der Küste (Potsdamhafen) bis zum unteren bzw.
mittleren Töpferfluß verbreitet. Die Vorderseite ist bei Nr. 1 stärker gebogen als bei Nr. 2 und trägt eine deutliche
Mittelkante. Die Rückseiten zeigen Reste von Verkohlung. Die Schilde sind von höherem Alter, die Farben außer dem
Weiß fast ganz verloren gegangen. Nr. 3, 160:27 cm, alter Schild, Farben verloren bzw. verblichen, flach gewölbt,
Mittelkante vorhanden, Aufhängeöse an der Rückseite sehr klein, Quergriff der Längsleisten, wie allgemein üblich
oben flach, unten rund, mit Rotang umwickelt. Oberstes Ornament fliegender Vogel, Schwanzende eingekerbt, der
Hals hinter dem Kopf (nicht der Schnabel) mit Durchbohrung für Grasschmuck, die Freifläche unter ihm durch zwei
Augen, die durch ihre Schrägstellung noch an das Flügelornament (Kreise) erinnern und durch einen Mund zu einem
Gesicht ergänzt. Unten ein zweites, gesichtartiges Ornament, aus der Stilisierung der Vogelfigur entstanden, worauf
die flügelartigen „Augen“ hinweisen, außerdem Spiralmuster. Nr. 4, 154:24 cm, („Gesichtstyp“ der Schilde der Ramu-
mündung), flach gewölbt, Mittelkante schwach. Längsleisten auffallend schmal, oben und unten über ihnen runde
Querhölzer, oberstes Ornament ein geflügeltes Tier (in scheinbar hängender Stellung, fliegender Hund ?, vergl. Fig. 2,
die 4 Füße endigen in runde Platten) oder stilisierter Vogel, dessen Hals wie bei Nr. 3 durchbohrt und mit Grasschmuck
versehen ist. Darunter eine sehr plastische, aus der Vogelfigur entstandene „Gesichtsmaske“ ohne Mund, die Nase
nach rückwärts vogelschwanzartig (!) verbreitert (man beachte auch die flügelartige Verbreiterung der Augen mit dem
Kreisornament). In der Gegend der Ohren Grasbüschel an Ösen. Die Nase steht auf einem kleinen Holzklotz (wie auch
bei Nr. 10 von Ramumündung), dessen Maske auch den gleichen groben Typ zeigt) zwischen Nase und Klotz eine
Durchbohrung mit feingeflochtenem Ring, darunter halskettenartige Ornamente, wie aus Hundezähnen und Ringen.
Medianes Längsornament; wohl die stilisierte Eidechse mit Spiralbeinen, unten Mäanderlinie. Nr. 5, 153:30 cm, Quer-
hölzer des Griffes wie üblich oben flach, unten rund, Rückseite verkohlt. Der besondere Ornamentstil des Gesichts
und der übrigen Muster stimmt überein mit dem von Nr. 7 und 11. Gesichtsumriß schmal, ellipsenförmig, Nasenflügel
pfeilförmig, Septum durchbohrt, Stirnband glatt, Mund nicht vorhanden, Ohrbüschel an Ösen. Gesichtseinfassung
ausgefranst, ganz unten ein scheinbar stilisiertes Gesicht, jedoch nur mit Augen. Seitenspiralen mit schräglaufenden
Bändern. Zwei sonst mehr ohrartige (und nicht spiralig geformte), gestielte Spiralen stehen hier höher als sonst (vgl.
auch Abb. I a, Nr. 6). Medianlinien mit Ellipsen. Nr. 6, 160:35 cm, Gesichtstyp der Ramumündung. Breit, stark gewölbt,
doch fast dachförmig, Mittelkante vorhanden, große Aufhängeöse. Armgriff flach, mit Tapa umwickelt, Handgriff rund
(Fig. I, 6). Rückseite mit Resten von Verkohlung und mehreren verstreuten Schnitzereien (Fig. 22): oben links am Rande
und rechts, nahe der Mitte, ein „Ohrornament“ (wie Vorderseite links), unter dem rechten eine einfache Spirale, am rech-
ten Innenrande eine Zickzacklinie, unten linksein Kreuz. Der Schild ist oben links gespalten und mit Rotang repariert,
im Spalt ist ein Büschel Menschenhaar eingeklemmt. Die Vorderseite trägt als Ornament eine stilisierte, flächenhafte
Figur, ein Gesicht mit breiter, durchbohrter „Nase“. Die obere Hälfte der Figur endigt in der Höhe der seitlichen Ecken
rechts und links in einen geschnitzten Absatz, einen nach unten vorspringenden Bogen, wodurch wieder eine Erinnerung
an Vogelflügel wachgerufen wird (auf der Abbildung nachgezogen), „Nasenrücken“ über der Stirn verlaufend wie bei
Nr. 4. Dicht über der durchbohrten „Nase“ zwei kleine schräggestellte ergänzte „Augen“, unter der „Nase“, außerhalb
des Gesichtsumrisses, ein schmaler Mund. Über dem „Gesicht“ zwei gestielte Ohrmuster. Die Komposition dieser
Gesichtselemente ist also ganz unorganisch, das „Gesicht“ daher etwas Sekundäres in der ornamentalen Figur. Unter
dem „Gesicht“ bedecken den Schild mehrere schräg herabhängende ornamentale Bänder, welche stilisierte Figuren
zeigen, die jedenfalls nicht als Gesichter aufzufassen sind, vielmehr sind sie ebenso wie die oberste Figur aus einer andern
stilisierten Hgur hervorgegangen und zeigen die Anfänge zu einer Umstilisierung in ein Menschengesicht, für dessen
Kennzeichnung hauptsächlich der breite Mund (auf der Abbildung mehr als Nase erscheinend) und die dem Künstler
als Augen erscheinenden Spiralen eine Rolle spielen. Ganz unten eine kleinere, dem obersten Gesicht am Umriß ähnliche
Figur ohne jede Kennzeichnung eines Gesichts, Farbe hauptsächlich rot, Grenzen der Ornamentbänder schwarz und
weiß. Nr. 7, 164:40 cm; groß, breit, deutliche Mittelkante, Längsleisten tief eingebuchtet, unterer Handgriff mit
Rotang umwickelt, Rückseite verkohlt. Unter der Aufhängeöse auf der Rückseite ein sternenartig geschnitztes Muster
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS
155
aus einem breiten Kreuz, dessen Umriß von mehreren parallelen, sich allmählich abflachenden Linien umgeben ist
(Fig. 25). Gesicht des Ornaments vom Typ Nr. 5> ohne Mund, jedoch ist symmetrisch zur Unternase eine zweite solche
oben angebracht. Septum der unteren und Flügel der oberen Nase durchbohrt und mit Grasbüscheln versehen, alle
Nasenflügel fiederartig gezackt, rechts und links der oberen Nase zwei gestielte Ohrornamente. Gesichtseinfassung
gefranst, Seitenteile mit Spiralen zwischen schräg nach rechts bzw. nach links abfallenden Bändern. Medianornament
ähnlich Nr. 5. Farbe; weiße Limen auf rotem Grunde, gelbe Flecken auf den Flächen. Nr, 8, 170:40 cm, wie Nr. 7,
im Griff zwei flache Querhölzer. Gesichtstyp wie Nr. 5 und 7, obere Nase fehlt. Von der Oberkante des Schildes ver-
läuft eine Leiste zur oberen Spitze der Gesichtsellipse, wo sie sich teilt und bis zu den Ohrgegenden weiterläuft. Diese
beiden Enden und das Nasenseptum (für Grasschmuck) durchbohrt, Nasenflügel fiederartig gezackt Stirnband Matt
Über dem Gesicht zwei, in der linken Ohrgegend ein Ohrornament. Querbänder der Seitenspiraleil beiderseits von
oben rechts nach unten links verlaufend. Medianornament ähnlich Nr. 5. Ornamentale Grenzbänder oben und unten
mit stilisierten Eidechsenfiguren. Farben: schwarz, weiß, rot, gelb. Nr. 9, 150:25 cm, schmal, ohne Mittelkante ohne
Aufhängeöse, Längsleisten schräg an die Seitenwände gestellt (wie Nr. 11), in ihrer Mitte eine Einkerbun " unten '
rundes Querholz, Rückseite verkohlt, roh, ungeglättet, ohne Fransenleiste, Seitenrand des Schildes für (Befransen1
durchlocht. Ornamente sehr roh geschnitzt: ein längliches, realistisches Gesicht, Nase und Ohrgegend durchbohrt5
Augen knopfartig klein, übriges Ornament sehr roh und schwer zu entziffern, Farben: rot, wenig weiß. Nr. 10, 1^3-2 cm’
alter Schild, dünn, leicht, schmal, ohne Mittelkante, Längsleisten schräg auf die Seitenwände gestellt. Längsleiste für
die Seitenfransen fehlt, Schildrand durchbohrt. Fransen und Quergriffe verloren, oberstes Ornament stilisierte Eidechse
mit Spiralbeinen (vgl. Nr. 3 a, unten). Darunter ein stilisiertes Gesicht mit herzförmigem (vergl. Maskenumriß bei Nr.3a)
Umriß, ohne Nase und Mund. Rechts und links daneben zwei sehr schwache (abgenützte) längliche Erhabenheiten
(ergänzte „Augen“), darunter ein ebenso schwach angedeuteter Mund. Seitenteile mit Wellenlinien (losen Spiralen)
Medianornament zwei gerade, parallele Linien, abwechselnd längs und quer gestellt, unten Mäanderband. Nr. 11
170:30cm, (Gesichtstyp Ramumündung) groß, stark gewölbt, (ergänzte?) Quergriffe aus zwei kantigen Hölzern'
Gesichtstyp und Medianornament wie Reche, Taf. LVHI, Nr. 1. Große, runde, flache, sehr tief liegende Augen ohne
Pupille, kurze grobe Nase, darunter ein Klotz, Nase durchbohrt. Oberstes Ornament ein etwas stilisierter Vogel (Fig. 5),
Form ähnlich Nr. 4, fast genau wie bei Reche oben auf dem Schild Taf. LVHI, Nr. 4, zwischen Kopf und Flügeln zwei
große, runde, schwarze Kreisflächen. Obwohl die Vogelfigur, wie aus der Abbildung bei Reche zu ersehen, sehr deutlich
zu erkennen ist, hat Reche nur ein „ganz kleines Gesicht“ erkannt (Kopf des Vogels). Nr. 12, 161:27 cm, der öfter
erwähnte alte Schild, dünn leicht wie Nr. II, aber stärker gewölbt, ohne Mittelkante und Fransenleiste, Schildrand
mit Durchbohrungen, Quergriffe fehlen, kleine Aufhängeöse. An dieser eine kurze aus Rotangstreifen gedrehte Schnur
mit Öse. Auf der Rückseite unten links ein ringförmiges Schnitzmuster (zwei konzentrische Kreise). Ornament äußerst
interessant. Oben ein sehr realistisch dargestellter fliegender Vogel (?) oder fliegender Hund (? (Fig. 2), Flügelhaltung
wie Nr. 11 und Reche Taf. LVHI, Nr. 4. An den nach hinten gestreckten Füßen sind die einzelnen Zehen ausgearbeitet.
Auf den Flügeln ist die Befiederung durch parallele Strichreihen angedeutet (vergl. das Flügelmuster links in der
Baumrinde, Abb. I oben links), die vorderen Flügelspitzen tragen Widerhaken (Krallen ?). Der Kopf zeigt den Typ
Nr. 2 des Vogels auf der Baumrindenmalerei, Abb. I, unten Mitte. Fig. 2 gibt eine sehr genaue Skizze dieses Vogels
wieder. Der breite Kopf trägt zwei große, runde Augen und zwei nach hinten gerichtete breite Lappen (Ohren ?) (auf
der Baumrinde spitze Fortsätze). Es könnte sich hier wie oben angedeutet vielleicht um einen hängenden fliegenden
Hund handeln: Flügelwiderhaken = Krallen der Vorderflügel, Kopflappen = große Ohren, breiter Kopf, große Augen,
hängende Stellung, besonders der Flügel. Aus dem Munde ragen zwei merkwürdige, mit dem Rücken gegeneinander
gekehrte Haken wie eine gespaltene Zunge hervor. Sehr interessant ist es, daß wir auch hier zwischen Kopf und Flügeln
die zwei kreisrunden (erhabenen) Flächen wiederfinden, wie bei der Baumrindenmalerei und anderen „Gesichtern“,
die hier wegen ihrer eingeklemmten Lage zwischen Hals und Flügeln als „Augen“ eines stilisierten Gesichtes sicher
nicht aufgefaßt werden können, also eine andere, uns noch unbekannteBedeutung haben müssen.Falls die entsprechenden
Kreisflächen auf der Rindenmalerei also wirklich ergänzte Augen eines stilisierten Gesichtes darstellen, so wäre das
mit dem darunter gemalten „Munde“ zu begründen. Die unbekannte Bedeutung dieser Kreisflächen müßte, falls sie
dem Rindenbemaler als Vorbild gedient haben, von ihm (bewußt oder wohl eher unbewußt) ignoriert sein. Wir haben
hier also ein ähnliches Ornament wie dasjenige, über welches Eichhorn in diesen Blättern (Band V, Heft 6) als Backen-
schmuck berichtet hat, welche Deutung bei den von Eichhorn aufgeführten Gegenständen zutreffen mag, bei dieser
Vogelfigur jedoch sicher nicht, da wir hier ja kein Gesicht, sondern eine sehr deutlich dargestellte vogelähnliche Figur
vor uns haben. Unter diesem Vogel liegt eine hochstilisierte kleinere Vogelfigur (Fig. 4, im Schwänze der Fig. 3), unter
ihr das Hauptornament (Fig. 3, im verkleinerten Maßstabe zu den oberen Figuren 2 und 4 gezeichnet), das zu den
Mustern gehört, die üblich als stilisiertes „Gesicht“ bezeichnet werden. Nach den obigen Erörterungen und dem Ver-
gleich mit der Baumrindenmalerei erkennen wir hier sofort die sehr deutliche Vogelgestalt vom Typ 1 wieder. Nur die
Flügel mit der typischen Flügelzeichnung sind schmäler (vgl. die „Augen“ des großen „Gesichts“ bei Reche Taf. LVHI 4)
und der Schwanz (mit querliegender Federandeutung) ist mehr stilisiert. Der Kopf ist lang und schmal, vom mensch-
lichen Gesicht ist nichts vorhanden, die Flügelkreise täuschen Augen vor. Die Seitenwände sind mit ’losen Spiralen
verziert wie bei Nr. 10. Das Medianornament stellt eine Mäanderlinie dar (Fig. 15).
20
i56
E. W. SCHMIDT
I B Schilde mit Ösengriff
Nr. i VI 19402 Potsdamhafen Abb. Ib Nr. 1, Fig. 23
Nr. 2 VI 19401 Potsdamhafen Abb. Ib Nr. 2
Nr. 3 VI 21 215 Wattam (K.-A.-Fl.-Mündung) Abb. Ib Nr. 3, Fig. 24
Nr. 4 VI 24813 Potsdamhafen Abb. Ib Nr. 4, Fig. 13
Nr. 5 VI II 415 Hatzfeldthafen Abb. Ib Nr. 5
Nr. 6 VI 21216 Wattam (verkauft)
Nr. 7 VI 27688 „Wohl Potsdamhafen, Hatzfeldthafen“
Allgemein unterscheidet sich diese Schildgruppe nur durch den Ösengriff (Abb. Ib, Nr.i)
deutlich von der vorhergehenden. Außerdem fällt nur auf, daß die plastische Gesichtsmaske
öfter auftritt und die Rückseite oft rot bemalt ist und als Farben meist nur rot und weiß
benutzt sind.
Nr. 1, 155:30 cm (Gesichtstyp Ramumündung) stark gewölbt, Mittelkante schwach, Rückseite mit Resten
roter Bemalung, Handgriff rundes Holz mit Resten von Tapaumwicklung(auf der Abbildung herabhängend), auf der
Rückseite oben rechts(auf der Abbildung rechts neben derMitte des schmalen Schattens)ein geschnitztesOhrornament mit
zackigem Rande, darüber ein zweites schwächeres mit glattem Rande (Fig.23), Oberteil gespalten, mit Rotang repariert
(Aufhängeöse wohl ausgebrochen). Gesicht grob, tiefliegende Augen durch nach unten gerichtete Dreiecke angedeutet.
Nasenrücken über der Stirn verlaufend, wie bei Nr. 4 und 6 von 1 a Nasenklotz mit Durchbohrung, wie Nr. 4 und 11 von
la. Über dem Gesicht zu beiden Seiten zwei Ohrornamente mit gezacktem Rande, deren Stiele sich über der Stirn
nähern; Seitenwände mit Spiralen. Nr. 2, 159:23 cm, alter Schild, verblichene Farbreste, sehr dunkel, schwach gewölbt,
Mittelkante schwach, Rückseite mit Resten vonVerkohlung, Arm- und Handgriff flaches bzw. rundes Querholz. Oberstes
Ornament der gleiche Vogel wie bei Nr. 3 von la, oben mit gleicher Hals- außerdem mit Schnabeldurchbohrung. Zwei
unter den Flügeln schräg herablaufende lange spitze Leisten, deren Bedeutung nicht erklärlich ist. Medianornament
langgestrecktes, stilisiertes Eidechsenmuster. Seitenwände mit Spiralen, von denen einige, oberhalb der Mitte der
linken Seite teilweise unterbrochen und mit einer schwarzen Masse überschmiert sind, Reste von Fransenbesatz. Nr. 3,
164:25 cm, leicht gewölbt, Mittelkante schwach, an den oberen Griffösen Tapareste, unten rundes Holz mit Tapa-
umwicklung, Rückseite mit Resten roter Farbe. Die Aufhängeöse liegt zwischen den Flügeln einer (auf der Rückseite)
geschnitztenVogelfigur vom Typ 1 (Fig.24). Oberstes Ornament derVorderseite stilisierte Eidechse mit Spiralbeinen wie
Nr. 10 von la („Schmetterlingsfigur“ bei Reche), darunter eine plastische Gesichtsmaske mit dreieckigem Nasenklotz
und Durchbohrung zwischen Nase und Klotz. Halsbandartiges Ornament mit runden „Perlen“ wie Nr. 10 von I a. Unter
der Maske Wiederholung des obersten Ornamentes, oben und unten schmale Mäanderbänder. Nr. 4, 150:24 cm, schmal,
stark gewölbt, ohne Mittelkante, Rückseite gerötelt, Quergriffe fehlen, Flängeöse oben auf dem Schilde (s. Abb. I b, Nr.4),
keine Fransenleiste, Schildrand durchbohrt. Oben auf der Vorderseite ein freistehend geschnitzter Vogel von dem Typ,
wie er häufig auf geschnitzten Brettern dargestellt ist (vgl. Reche Taf. FIX, Nr. 3, zwischen den Beinen der Figur,
von der Mündung des K.-A..-Fl.). Seine ösenartigen Flügel und sein Schnabel mit kleinen Grasbüscheln verziert. Unter
diesem Vogel eine plastische Gesichtsmaske vom Typ der Masken und Holzfiguren von der Ramumündung mit schnabel-
artiger, unten umgebogener Nase und stilisiertem Eidechsenornament auf dem Kopfe. Seitenwände mit Bogenlinien,
Spiralen und kronenartigen Mustern verziert, Medianornament die langstilisierte Eidechse (Fig.i 3), unten Mäanderband.
Lebhafte rote und weiße Färbung, Maske fast ganz schwarz. Nr, 5, 168:29 cm, unten 34 cm breit; groß, stark gewölbt,
Rückseite rot gefärbt, Quergriffe rundes und flaches Holz. Hauptornament: kleine plastische Gesichtsmaske, an Stelle
der Augen zwei kerbschnittartige, kantige Vertiefungen, deren obere Flächen mit roten Punkten als Pupillen bemalt
sind, Nase durchbohrt. Medianornament ein breites Band mit stilisierten Eidechsenkörpern und zwar eineinhalbfach
nebeneinander liegend, Seitenspiralen unten unsymmetrisch, scharf geknickt, in breite runde Lappen an gezackten
Stielen endigend, Farbe rot. Nr. 6, 166:28 cm, stark gewölbt, fast dachförmig, ohne Mittelkante, Rückseite rot,
Handgriffe zwei dreikantige (ergänzte ?) Hölzer. Vorn ein stilisiertes „Gesicht“ (?), auf der Stirn von den Augen aus-
strahlend zwei breitere, in der Mitte drei schmalere, in runden Platten endigende Leisten, darüber Bandornament mit
stilisierter Eidechse. Zuoberst ein stilisiertes Eidechsenmuster, Medianornament, breites Band mit je zwei vereinigten,
langstilisierten Eidechsenpaaren; rote Farbe vorherrschend. Nr. 7, 155:30cm, frisch gefertigt, rohere Arbeit, flach
gewölbt, frische, ziemlich rohe aber deutliche Schnitzerei aus (durch Verkohlung) schwarzem Grunde hell hervortretend,
Griffösen kantig, ihre Löcher scharfwinklig, über ihnen je ein mit Eisennägeln aufgenageltes, schmales, dünnes Brett-
chen. Vorderseite mit stark stilisierter vogelartiger Figur (schmale Flügel wie Nr. 12 von I a, Hals durchbohrt), da-
rüber ein, darunter mehrere Muster der kurz stilisierten Eidechse mit Spiralbeinen (vgl. Abb. I b, Nr. 3).
II Schildtyp Kamboa—Kambringi
Fünfzehn Schilde (Abb. II, Nr. 2—4, Abb. IX. Nr. 1—2, Fig. II,1; II,4; II,10; Reche
Taf. LX, Nr. I, LXI, Nr. 1; Schulze Taf. XXXV). (Die Titelnamen geben etwa die Grenzen
des Gebiets dieses Schildtyps an.) Breiter und flacher als Typ Potsdamhafen, deutlich
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS 157
dachförmig, Seitenwände flach gewölbt, beide Schildseiten mit Grasfransen versehen,
die nicht an Fransenleisten, sondern durch den durchbohrten Schildrand
(je 3 bis 4 Büschel an einem Grasring geknotet) gezogen sind.
Oben am Schildrande ein Holzzapfen, der manchmal durchbohrt ist; um diesen Zapfen
ein breiter Rotangflechtring, über ihm ein Kranz aus kurzgeschnittenen Grasfasern, angefügt
ein Federbusch aus Kasuarfedern. Dieser steckt entweder in dem Flechtring oder ist, andern
zugehörigen Hautstreifen sitzend, herumgebunden. Ober- und Unterkante gerade, Ornament
auffallend durch lebhafte Farben, eigentümlichen Stil, Reichhaltigkeit der Muster mit z. T.
feiner Linienführung, schmalen gezackten Ornamentbändern, Verwendung mehrerer, hoch-
stilisierter, flach geschnitzter „Gesichter“ mit meist geflügelten Augen, realistischer,
plastischer Nase, die durchbohrt und mit einem Grasbüschel verziert ist, unter den Nasen
Münder (Abb. II, Nr. 3). Bei einigen Schilden ist die Ornamentik mehr flächenhaft (Abb. II
Nr. 4). Letzterer Stil scheint der Erhaltung der Schilde nach der jüngere zu sein. Dagegen
zeigen zwei Schilde von unzweifelhaft höherem Alter in ihrem Ornament leicht erkennbare
langhalsige Vogelköpfe (Abb. II, Nr. 2). Die aus dem vollen geschnitzten Längsleisten der
Griffe sind teils flach gebuchtet, teils grade, teils mit einer weiten Einkerbung (in ihrem
Mittelteil) versehen und enthalten drei Durchbohrungen, unten eine, oben zwei. Die Quer-
griffe bestehen unten aus einem Querholz (einmal ein Knochen, Fig. II, 4), oben aus
zwei Bandgriffen, die aus Rotang, zum Teil mit Tapaumwicklung, gefertigt sind.
Nr. 1. VI 41 517 Kumblamba Abb. II Nr. 2; Fig. II,1
Nr. 2. VI 42051 Kamboa
Nr. 3. VI 42099 „Kondimua oder Kamidjim“ Abb. II Nr. 3
Nr. 4. VI 42059 Gidjimua Fig. 11,4
Nr. 5. VI 42026 Gidjimua
Nr. 6. VI ? „K.-A.-Fluß“
Nr. 7. VI 42054 Giau
Nr. 8. VI 41 802 Kambringi
Nr. 9. VI 41 513 Kanduonum Abb. II Nr. 4
Nr. 10. VI 41977 Mutatungri Abb. Schulze, Taf. XXXV, rechts; Fig. 11,10
Nr. 11. VI ? ?
Nr. 12. VI 41976 Mutatungri Abb. Schulze, Taf. XXXV, links
Nr. 13. VI 42057 Mangoduma
Nr. 14. VI 42122 Kambringi Abb. IX Nr. 1
Nr. 15. VI 41733 Lidjuma (unterer Dörferfluß) Brettschild Abb. IX Nr. 2
Nr 1 164:37 cm und Nr. 2, 157:32cm; zwei alte Schilde, daher leicht, wenige Farbreste, von schwarzgrauer
Färbung mit Ornamenten gleichen Stilcharakters. Nr.i mit tiefer ausgebuchteten Längsleisten (Fig. II, 1), unteres
Querholz mit Rotang umwickelt, oben Doppelgriff mit einem unteren Querholz und einem oberen Rohrgriff, beide
vereinigt durch zwei ihre Mitten verbindende Querverschnürungen aus Bast; Holzzapfen durchbohrt. Die Verzierung
der Vorderseite zeigt oben eine große ovale, ornamental zusammengefaßte Figur, etwa in deren Mitte eine kleine
plastische Gesichtsmaske, oben scheinbar ein stilisierter Vogelschwanz, unter der Maske ein stilisiertes „Gesicht“,
in dem die Augen durch langhalsige, stilisierte Vogelköpfe vertreten sind (vgl. die durchbrochen geschnitzten Bretter
vom K -A -Fluß) und eine grobe, plastische Nase mit gedrehter Schnur in der Durchbohrung. In der Mitte des Schildes
beiderseits zwei stilisierte dünnhalsige Vogelköpfe, unten ein stilisiertes „Gesicht“, zu dessen Augen die charakte-
ristischen Vogelflügel vom Typ 1 verwendet wurden. Der Vogelkopf liegt nach oben gerichtet in der Stirn der schein-
baren Gesichtsfigur, er ist breit und zweizipflig (vgl. Fig. 4) und trägt Augen, Nase wie oben; unten zwei stilisierte
langhalsige Vogelköpfe. Farbreste schwarz, weiß, rot. Nr. 2 wie Nr. 1; Handgriffe verloren, figürliches Ornament etwas
anders gestaltet - drei stilisierte Gesichter oben, in der Mitte und unten, auf den Seiten scheinbar stilisierte Vogelköpfe
Nr. 3, 164:36 cm in Bezug auf Charakter des Ornaments am häufigsten vertretener Schild. Längsleisten des Schildes
flach gebuchtet, unten flaches Querholz, oben Doppelgriff aus zwei schmalen Bandwicklungen von Rotang. Das
Ornament zeigt fünf auf der Mittelkante verteilte, stilisierte „Gesichter , jedoch ist nur bei dem mittleren mit un-
geflügelten Augen die Absicht der Darstellung eines solchen zu erkennen, ohne Anschluß an vorhandene und zu be-
nutzende Stilelemente anderer Figuren (Vögel). Die Benutzung solcher andersfigürlichen Stilmuster zur Ausgestaltung
eines Gesichts geht jedoch bei den übrigen vier Gesichtern aus deren merkwürdigen und undeutbaren Augenformen,
ihren Verlängerungen, dem fehlenden Gesichtsumriß usw. deutlich hervor. Augenstiele des ersten und fünften Gesichts
nach innen, des zweiten und vierten nach außen umbiegend, letztere in geschlitzte Lappen endigend. Nur die Nase ist
auch hier, wie so oft, ein gern plastisch dargestellter Gegenstand, der zur Anbringung eines Grasschmuckes benutzt
wird. Nr. 4, 157:34 cm, Typ wie Nr. 3; als Handgriff ist über die flach gebuchteten Längsleisten unten ein (Menschen- ?)
i5§
E. W. SCHMIDT
Knochen mit Rotang geschnürt (T ig. 11,4), der nach den vorhandenen Resten mit Bast umwickelt war, oben ein
breiter Doppelgriff aus zwei Rotanggr-iffen, die mit Bast umwickelt sind und durch eine schmale Querverschnürung
zusammengehalten werden. Ornament; fünf stilisierte „Gesichter“ mit langausgezogenen Augen, Nasen wie oben,
oberste Nase geflügelt, auf den Seiten Spiralen. Farben schwarz, weiß, rot, gelb. Nr. 5, 154:35 cm, Typ wie Nr. 3.
Grade, ungebuchtete Längsleisten, unten mit Querholz, oben zwei breite Bastgriffe. Um die Quergriffe ist lose ein
Tragband aus Tapa geschlungen. Dieses ist, wo nicht erwähnt, wohl auch bei den anderen Schilden vorhanden gewesen
aber verloren gegangen. Zapfen mit Kasuarfederbusch im Rotangflechtring, der mit kurzgeschnittenem, dichten
Graskranz umgeben ist, Hauptornament zwei ungestielte, drei gestielte Augenpaare, Nasen wie oben, oberste geflügelt.
Seitenspiralen wie Nr. 4. Nr. 6, 170:36 cm, Typ wie Nr. 3. ungebuchtete Längsleisten unten mit Querholz, oben zwei
in der Mitte verbundene Rotangbänder. Die ganze Rückseite ist mit einer schönen, sorgfältig ausgeführten Malerei
bedeckt, die ein weißes federartiges Ornament auf rotem Grunde darstellt. Das gleiche Motiv zeigt eine fast kreisrunde
in der Mitte durchlochte, rundschildartige Holzscheibe von etwas 80 cm Durchmesser, ohne Griff aus Manduguma
(Dörferfluß). Stil der Gesichter wie Nr. 3. Nr. 7, 165 cm und Nr. 8, 170: 40 cm, gehören nach Zeichnungen auf
den Katalogzetteln zum Typ von Nr. 3. Nr. 9, 171:39 cm, ein von den bisher besprochenen abweichender Typ
von etwas schwererer Gestalt und gröberem, bzw. mehr flächenhaftem Ornament. Längsleisten des Griffes
länger und dünner wie vorher, unten mit Querholz, oben mit zusammengebundenem Doppelband. Ein Trag-
riemen aus Tapa ist am oberen und unteren Quergriff befestigt. Holzzapfen mit breitem Flechtring, um den ein
schmaler Hautlappen mit angewachsenen Kasuarfedern geschlungen ist. Drei „Gesichter“, oberstes mit runden,
unterstes mit flügelartig gefiederten Augen, Nasen wie vorher. Die Ornamente der Seitenflächen laufen in stilisierte,
beschopfte und mit Augen versehene Vogelköpfe vom Stil Nr. 1 (Abb. 2, Nr. 2) dieser Gruppe aus. Nr. 10, 163:36 cm;
Handgriff sehr stabil (Fig. II, 10) mit 77 cm langen, schmalen Längsleisten; unten ein rundes Querholz, oben zwei mit
Bast umwickelte und durch vier aus Bast gewickelte Querverbindungen zusammengehaltene Rotanggriffe. Ornament
in der Feinheit zwischen Nr. 3 und 4 stehend. Augen des oberen „Gesichts“ mit hochstehenden Flügelflächen, des
unteren mit herabhängenden an gezackten Stielen. Darunter zwei flächenhafte Motive, ganz unten zwei Flügelorna-
mente, Augenflügel einseitig zerschlissen, alle Gesichter mit den üblich dargestellten Nasen. Nr. 11, 157:33 cm, Griff-
leisten mit breiter Einkerbung, unten ein rundes Querholz, oben zwei Rotanggriffe, durch eine schmale Rotang-
verschnürung verbunden, Zapfen durchbohrt, Rückseite oben mit rotem, groben Netz- und Punktmuster und einer
Zickzacklinie. Ornamentstil wie Nr. 10, sehr reichhaltig gemustert. Oben ein stilisiertes Gesicht mit runden Augen,
in der Mitte zwei gegeneinander geneigte Spiralen (stilisierte Vogelköpfe ?), unten zwei geflügelte Augen mit zerschlisse-
nem Flügelornament wie bei Nr. 9 unten. Nasen unter den Augen und unter dem Spiralmuster wie oben. Nr. 12,
161:42 cm; Griff aus zwei kantigen Ösen, untere mit Querholz, obere Doppelöse mit zwei breiten Bandgriffen aus
Tapa. Hauptverzierung zwei große vereinigte Ovale, zu beiden Seiten ein dem Flügelornament ähnliches Muster. Unter
dem Zapfen ein plastischer Knopf. Nr. 13, 155:34 cm; Handgriff mit sehr langen, dünnen bis zum Zapfen reichenden
und sich dort vereinigenden Längsleisten, unten Querholz, oben Doppelband. Tragriemen aus Tapa mit beiden Enden
am unteren Querholz befestigt und eine Hälfte hinter dem oberen Quergriff durchgezogen. Zapfen mit Flechtring und
Graskranz. Ornamentovale wie Nr. 12. Im oberen Ornament ein stilisiertes Gesicht mit kleinen Flügelaugen und
kleinem plastischen Gesicht auf der Stirn, im unteren Oval Flügelaugen, unten ein flaches, stilisiertes Gesicht mit
runden ungeflügelten Augen, Nasen wie vorher. Nr. 14, 152 cm lang. Dieser Schild ist mit dem Herkunftsorte Kam-
bringi, wie Nr. 8, bezeichnet, fällt jedoch ganz aus der Reihe und ist auch anderswo nicht unterzubringen. Es ist ein
ovaler, mit Zapfen versehener Brettschild aus leichtem Erythrinaholz mit zwei in den beiden Drittelgrenzen des
Schildes liegenden, durch Randdurchbohrungen geführten Tragbändern aus zwei umeinander gedrehten schmalen
Rotangstreifen. Rückseite angekohlt, Ränder mit rotem und gelbem Grasbehang. Das lebhaft schwarz, weiß, rot
gefärbte Muster enthält drei Reihen mit je drei Gesichtern; die Nasen der Mittelreihen mit Grasbüscheln versehen,
die beiden oberen und unteren Randgesichter verkehrt. Das oberste Gesicht der Mittelreihe mit einem Kranz von
Armen umgeben, an denen die Finger ausgearbeitet sind, seitlich vom Mittelgesicht je drei gleiche Arme (Abb. IX, Nr. 1).
Nr. 15 (Abb. IX, Nr. 2). Ebenfalls ein eigenartiger Typ aus dem gleichen leichten Holz, gleichfalls brettförmig, hat aber
aus dem Vollen geschnittene Längsleisten, oben zwei Rotangbänder, unten ein Querholz. Am Zapfen ein Grasbüschel,
seitlich Grasfransen wie Nr. 14. Das Ornament zeigt Vogelköpfe ähnlich Nr. 2.
III Schildtyp Timbunke
Sieben Schilde (Abb. III, Nr. 1—4; Fig. III, 3; Eichhorn, Band 5 dieser Hefte, Heft 6,
Fig- 15—17; Reche, Taf. LXI, Nr. 2 (= Fuhrmann S. 108, rechts). Während die beiden
vorher besprochenen Schildtypen in ziemlich abgeschlossenen Gebieten Vorkommen, be-
treten wir mit dem Typ von Timbunke ein bis zur Angabe: ,,Dorf unterhalb Tschesbandai“
reichendes Gebiet, in welchem der Typ von Timbunke und die beiden folgenden Typen von
Kararau und Jentschemangua sich teilweise überlagern, obwohl der Charakter der drei
genannten Typen in Form, Ornament und Griff ganz verschieden ist, wie dies schon aus den
Abbildungen III, Nr. 1—4, Abb. IV, Abb. V hervorgeht.
Die lange schmale Form des Typ Timbunke mit ihrer gerundeten Vorderseite steht der
von Potsdamhafen am nächsten, doch sind die Schilde größer. Teilweise ist die Vorderseite
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS
x59
durch eine Mittelkante fast dachförmig. Dieser Typ ist schwerer, weil im allgemeinen länger
als der Typ Potsdamhafen. Das zunächst ziemlich gleichartig erscheinende Ornament weist
Verwandtschaften mit denen der beiden folgenden Typen von Kararau und Jentschemangua
und sogar mit dem der Brettschilde vom Töpferfluß auf. Aus der letzteren Verwandtschaft
läßt sich der Schluß ziehen, daß scheinbar auch diese Gesichter aus der fliegenden Vogel-
gestalt entstanden sind. So erklärt sich die lange Nase und die Stirnplatte (Vogelschwanz).
Ein für den Kararautyp charakteristisches Motiv, die Sternblumenspirale, erscheint auf der
unteren Hälfte des Timbunkeschildes Abb. III, Nr. 4. Auch die gezackte obere Gesichts-
einfassung dieses Schildes erinnert an diesen Typ (Abb. IV, Nr. 2). Derselbe Schild aus
Timbunke(Abb. III, Nr.4), wie auch die Abbildung bei Eichhorn (Fig. 15) hat die in großen
„Tellern“ (Flügel) liegenden „Augen“ (Flügelornamente) des Schildtyp von Jentschemangua.
Der Timbunkeschild aus Palimbai III (Abb. III, Nr.3) hat als einziger auch den Rohrbügel-
griff, der für den Jentschemanguatyp charakteristisch ist, übernommen. Ein Vergleich mit
einer Gruppe von Brettschilden vom Töpferfluß läßt uns die Entstehung des übrigens sehr
großen Timbunkegesichts aus dem fliegenden Vogel erkennen. Es läßt sich zunächst nicht
bezweifeln, daß die drei auf Abb. XI, Nr. 1—3 abgebildetenBrettschilde oben nicht ein
„Gesicht“ sondern den fliegenden Vogel vom Typ 2 (Umrisse auf der Abbildung z.T. nach-
gezogen) der Baumrindenmalerei (Abb. I in der Mitte unten) als ornamentale Figuren ent-
halten. Bei dem ersten dieser Brettschilde enthält der Vogelschwanz eine weiße Platte, zu
welcher der Vogelschwanz beim Timbunketyp sich ganz zurückgebildet hat, schon ein-
gezeichnet. Es kann dies natürlich hier Zufall sein. Vergleichen wir diese Vogelfiguren mit
dem„Gesicht“ des sehr altenSchildes aus Timbunke(Abb. III, Nr.i), so finden wir den breiten
Vogelschwanz noch in Verbindung mit dem Körper wieder. Der Hals des Vogels ist zur Nase
umgestaltet. Der schon auf dem Brettschilde Abb. XI, Nr. 1 (gegenüber dem Vogelkopf von
Nr. 3 und dem auf der Baumrinde) verkleinerte Kopf ist auf den Timbunkeschilden zu den
auffallend kleinen, schrägen, meist abgesetzten Nasenflügeln umgestaltet.Die SchildeAbb. III,
Nr. 3 und besonders Nr. 4 vom Typ Timbunke weisen noch eine auffallende Selbständigkeit
(Trennung) der Nasenflügel vom Nasenrücken auf, wie sie beim Vogelkopf vom Vogelhals
noch natürlich erscheint. Der Vogelschwanz löst sich in eine Stirnplatte auf, die ihren
Zusammenhang mit dem Nasenrücken (bzw. Vogelkörper) allmählich verliert (Abb. III,
Nr. 2 u. 3). Das typische Flügelornament, der Kreis bzw. die Kreisfläche mit angegliederten
Kreisbögen ist hier häufig ein selbständiges Motiv geworden und findet sich überall auf den
Schilden angebracht (Abb. III, Nr. 2u. 3). DerVogelkopf, auf dem sonst fälschlich als „Nase“
gedeuteten Teil* der Figur mit Augen versehen (!), zeigt sich noch einmal sehr deutlich in der
gesichtartigen Figur des Schildes Abb. III, Nr. 3 ganz unten. Schild Nr. 4 Abb. III, trägt
oben beiderseits des „Gesichts“ die stilisierten langhalsigen Vogelköpfe vom Typ 3, die
auch auf der oben genannten Baumrindenmalerei beiderseits der Vogelfigur (hier noch
realistischer) zu sehen sind. Die Nasenspitze ist nicht plastisch gestaltet, jedoch meist durch-
bohrt und mit einem Grasbüschelchen verziert. Der Griff besteht aus zwei Längsleisten mit
2 bis 3 Durchbohrungen, die Leisten tragen unten ein Querholz, oben meist einen Bastgriff.
Nr. I. VI 41512 Timbunke Abb. III Nr. I
Nr. 2. VI 41520 Timbunke Abb. III Nr. 2
Nr. 3. VI 41 510 Palimbai III Abb. III Nr. 3; Fig. III, 3.
Nr. 4. VI 42 120 Timbunke Abb. III Nr. 4
Nr. 5. VI 41518 Kararau Eichhorn Fig. 16
Nr. 6. VI ? wie Abb. Reche Tafel LXI,2 (aus 293-Km-Dorf)
Nr. 7. VI 42115 Dorf II unterhalb Tschesbandai
Nr. 8. VI ? Timbunke, Eichhorn Fig. 15
Nr. 9. VI ? Kararau, Eichhorn Fig. 17
Nr, 1, 177:34 cm; alter, fast farbloser Schild, durch Mittelkante etwas dachförmig, Seiten flach gebogen, Ober-
und Unterkante sanft gerundet (die Photographie täuscht zu starke Färbung durch Lichtspiegelung vor). Durch-
E. W. SCHMIDT
I 6o
bohrungen in der Obrgegend, sternförmige Augen, großes „Backenpflaster“; Längsleisten ziemlich tief gebuchtet,
oben zwei, unten eine Durchbohrung, unten rundes Querholz mit halsförmigem Ende zur Verschnürung, oben Bast-
band, dessen sich teilende Enden durch die beiden Löcher der Längsleisten gezogen sind. Ornament s. Einleitung und
Abb. III, Nr. i, unterhalb des ,,Gesichtes“ein gezähnter Mund. Nr. 2,170:29, schmaler Schild, dachförmig mit schwach-
gewölbten Seiten, Griff aus ungebuchteten Längsleisten, oben zwei Durchbohrungen für den bastgeflochtenen Doppel-
griff, unteres Querholz verloren. Stil des Ornaments nahe verwandt mit Fig. 17 bei Eichhorn und Nr. 7 dieser Gruppe.
Die Stilisierung des Vogels ist weitergeführt. Der ursprüngliche Schwanz, die Stirnplatte, liegt vom Nasenrücken
getrennt. Über und unter der Platte die ebenfalls stärker stilisierten Vogelköpfe vom Typ 3. Augen sternförmig, unter
dem gezähnten Munde ein für diese Gruppe charakteristisches Ornament von Gestalt des Schwertes vom Schwertfisch.
Ebenso sind die kleinen Gesichter (im unteren Drittel) und die schmalen Fleckenreihen der Querbänder in dieser Gruppe
häufig wiederkehrende Ornamente. Durchbohrungen der Nase und der Ohrgegend wie bei Nr. 1. Nr. 3, 160:28 cm,
nach Form, Griff und Ornament ene Mischform. Vorderseite schwächer gerundet, Mittelkante vorhanden, Rückseite
gerötelt, besitzt als einziger Schild dieser Gruppe den Bügelgriff, der dem des Types von Jentschemangua nachgebildet,
jedoch anders befestigt ist. Er liegt auf vier Ösen (vgl.Ösengriff der Untergruppe Hatzfeldthafen), die kantig geschnitten
sind, oben und unten am Bügel je ein Querholz (Fig. III,3). Stirnplatte freiliegend, ganzes Flügelornament als „Augen“
verwendet, Durchbohrungen der Ohrgegend fehlen, Nase durchbohrt, Nasenflügel freiliegend, unter dem Mund das
Schwertmotiv. Ganz unten eine gesichtähnliche Figur, die den Vogel noch deutlich (Kopf mit Augen! Flügelornament)
erkennen läßt. Farben lebhaft, schwarz, weiß, rot, gelb. Nr. 4, 171 ¡42 cm, breite Form, durch Mittelkante dachförmig
mit flachgewölbten Seiten, Längsleisten mit Einkerbungen in der Mitte, oben und unten je eine Duchbohrung, unten
Querholz, oben dünner Rotanggriff, der wohl wie üblich mit Bast umwickelt gewesen ist. Gesicht kürzer als bei Nr. 2
und 3. ovale Augenteller und plastisch geschnitzte Augen nach dem Gesichtsstil von Jentschemangua gebildet (vgl.
auch Eichhorn, Fig. 15). Nasenrücken kürzer, schlank, Nasenflügel freiliegend, Septum durchbohrt. Die Sternspiralen
in der unteren Schildhälfte und die zackige obere Gesichtsbegrenzung verwandt mit dem Stil von Kararau. Stilisierte
Vogelköpfe vom Typ 3 oben beiderseits am Rande, dazwischen ein kleines, spiraliges (falsches) „Gesicht“, unter dem
mittleren ornamentalen Querbande ein kleines stilisiertes Gesicht. Nr. 5, 168:33 cm, schmale Form, Rückseite flach
ausgehöhlt, Vorderseite scharf dachförmig, Längsleisten flach gebuchtet, zwei Löcher, unten Querholz, oben Bastgriff.
Im Ornament ist das stilisierte „Gesicht“ auffallend viereckig. Nase nicht durchbohrt, die ganze Gesichtsfigur erscheint
uns, ebenso wie die vorhergehenden merkwürdig und unverständlich, wenn wir sie als stilisiertes Gesicht auffassen.
Erklärbar ist die „Nase“ als aus dem Vogelkopf mit schlankem Hals entstanden. Die Backenflecke entsprechen denen
neben den Köpfen der anderen fliegenden Vögel (Fig. 2, 5, 6 usw.). Hauptsächlich die ganze Gesichtsform erklärend,
sind die breiten Flächen der Augenbrauenbögen in Verbindung mit den Seitenrändern wohl als Reste der nach vorne
geschwungenen Vogelflügel der eben genannten Figuren zu denken. Ebenso wie bei der Rindenmalerei und bei anderen
Schilden dieser Gruppe finden wir auch hier oben rechts und links die Vogelköpfe vom Typ 3 mit großen Augen. Da-
zwischen und unten je eine kleine gesichtähnliche Figur, sie ist der (scheinbar umgekehrte) Kopf eines hier hoch
stilisierten Vogels, der mit seinen nach rückwärts gerichteten Flügeln das dritte Viertel des Schildes, mit dem langen,
breiten Hals das vierte Viertel einnimmt, neben dem Hals, wie üblich, die Kreisflächen (Eichhorn, Fig. 16). Nr, 6,
170 cm; etwa Nr. 2 am nächsten stehend. Längsleisten flach gebuchtet, drei Durchbohrungen, unterer Quergriff fehlt,
oben ein dünnes Rotangband durch die unteren Löcher gezogen. Im Ornament fast genau übereinstimmend mit Reche
Taf. LXI, Nr. 2. Nr. 7, 188:40 cm, auffallend großer, ziemlich breiter, unten etwas schmälerer Schild. Längsleisten
mit zwei breiten Einkerbungen in der Mitte, unten Querholz, oben breiter Bastgriff, Vorderseite stark gerundet, Ge-
sichtscharakter wie Eichhorn Fig. 17, Unterteil mit Wellenlinien und darin eingeschlossenen Kreisflächen. Nr. 8. Im
Ornament (Eichhorn, Fig.15) vergleiche man das „Gesicht“ mit der Vogelfigur vom Brettschild Abb. XI, Nr. I. Wir
haben hier genau dieselben Umrisse wie dort beim Vogel. Zum Überfluß ist auch dort der Schwanz mit einer weißen
Platte versehen; die lose angesetzten Nasenflügel entsprechen hier genau dem dortigen kleinen Kopf, die Halsform
der dortigen, die Augenteller und „Augen“ den runden Flügeln mit den Kreisornamenten, die Backenflecke den
„Ergänzungsaugen“ auf der Baumrindenmalerei neben dem Vogelkopf. Wir haben hier also ein sehr gutes Beispiel
dafür wie eine stilisierte Figur (Vogel) durch einfache Ergänzung (Mund) in eine andere
stilisierte Figur (Gesicht) übergehen kann, und daß eine stilisierte Figur ihre Entwicklung
nicht von einer realistischen Darstellung aus zu nehmen braucht. Im Unterteil des Schildes zwei
kleine gesichtähnliche Figuren. Nr. 9, Abbildung bei Eichhorn Fig. 17. Stil des Ornaments verwandt mit Nr. 6 und 7.
IV, Schildtyp von Kararau
Fünf Schilde (Abb. IV, Nr. 1—3, Fig. IV,5; Schlaginhaufen1 S. 61, N4 und 04, Reche,
Taf. LX, Nr. 2—5). Der Typ Kararau wird vom Typ Timbunke überlagert. Es sind ver-
hältnismäßig kurze, schmale, in der Längsachse meist stark gebogene Schilde.
Mittelkante vorhanden. Die stärker gebogenen mit erhabenem, leistenförmigen Mittelgrat
(Abb. 4? Nr. 2 3); größte Schildbreite in der Mitte liegend. Längsleisten unten mit 1—2,
oben mit l—3 Durchbohrungen, Handgriff ein Querholz, Armgriff ein Bast- oder ein mit
Tapa umwickelter Rotanggriff. Das Ornament ist sehr reichhaltig und wirkt äußerst gefällig
1 s. Literaturverzeichnis.
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERTN-AUGUSTA-FLUSS
durch höher entwickelte Kunstformen. Nur etwa das obere Drittel des Schildes trägt eine
Figur und zwar ein scheinbar sehr verzerrtes „Gesicht“, richtiger eine Gesicht-Vogel-
Stilisierung, das für diese Gruppe typisch und in der Form sehr konstant ist (vgl. Fig. 7
und Text hierzu im „Überblick“!). Uber dieser Figur helmbuschartige Verzierungen, die
nach Schlaginhaufen1, S. 61, aus Vogelköpfen entstanden sein sollen. Uber die Entstehung
dieser Gesichter ließ sich zunächst nichts vermuten, allerdings steht merkwürdigerweise
gerade an Stelle des Vogelschwanzes ein fiederartiges Ornament. Wir finden aber bei Reche,
Taf. LX, Nr. 2 einen Schild, der zu diesem Typ gehört, aus dessen gesichtartiger Figur
unzweifelhaft hervorgeht, daß auch die Gesichtsfiguren dieses Schildtypes aus der stilisierten
Vogelfigur hervorgegangen sind. Die „Nase“ der bei Reche abgebildeten Figur (Fig 7) ist
der Vogelkopf, der zwei Augen trägt (!), übrigens von gleicher Form wie der von Fig 4-
zur Seite des Vogelkörpers die runden Flügel mit Kreisornament vom Vogel Typ 2. Auch
die übrigen Ornamente kehren innerhalb derGruppe nach Form und Verteilung immer wieder.
In der Mitte ein kleines längliches, stilisiertes Gesicht, unten Sternblumen an zum Teil ge-
zackten Spiralen; meist mehrere schmale, ornamentale Querbänder. Farben: schwarz, weiß,
rot und schwarz, weiß, gelb.
Nr. 1 VI 41502 Dorf II unterhalb Tschesbandai Abb. IV Nr. 1
Nr. 2 VI 41497 Jauandai (Jaunda) Abb. IV Nr. 2
Nr. 3 VI 41 500 Kararau Abb. IV Nr. 3
Nr. 4 VI 39385 Kararau
Nr. 5 VI 41496 Dorf IV unterhalb Tschesbandai Fig. IV,5
Nr, 1, 168:32 cm, lange schmale form, scharfe Mittelkante, daher dachförmig, in der Längsachse gebogen,
Rückbiegung (Rücktritt der Schmalkanten hinter die Rückenmitte) 7 cm, Längsleisten flach gebuchtet, je zwei
Endlöcher, nur oben ein dünner Bastgriff vorhanden. Ornament vgl. Abb. IV Nr. i und Einleitung, Farben schwarz,
weiß, rot. Nr. 2, 140:35 cm, kleine Form, Seitenränder nach hinten etwas umgebogen, stärker gebogen, Rückbiegung
17 cm, Mittelkante gratförmig, Ornamente nicht mehr so sorgfältig wie bei Nr. i gefertigt. Aus der Vogelfigur ist ein
schon menschenähnlicheres Gesicht mit nur zwei „Helmbuschfedern“ geworden. Unterstes Viertel des Schildes un-
bemalt, Mittelgesicht und Spiralen roh bemalt. Nr. 3, 163:37 cm, längere, gestrecktere Form, ziemlich stark gebogen,
Rückbiegung 13 cm, Mittelkante gratförmig, Längsleisten hoch und schmal, flach gebuchtet, unten eine, oben drei
Durchbohrungen, unten Querholz, oben zwei bastumwickelte Rotangbänder, „Gesicht“ wie Nr. 1, Nase durchbohrt,
unten zackige Spiralen mit Sternblumen (vgl. Abb. III, Nr. 4,). Nr. 4 165:29 cm, lange, schmale Form, nur oben etwas
nach hinten gebogen, Rückbiegung 6 cm, Längsleisten flach gebuchtet, unten Querholz, oben zwei gekreuzte Tapa-
bänder, Gesichtstyp wie vorher, Nase durchbohrt, unten ein zweites kleines Gesicht, Sternblumenspirale. Farben
schwarz-weiß, wenig rot, untere Hälfte unbemalt. Nr. 5, 140:36 cm, kurze, sehr stark gebogene Form, Rückbiegung
20 cm, Mittelkante gratförmig, Längsleisten grade, unten und oben je zwei Löcher, unten Querholz (Enden mit
spitzem Knopf), oben breiter Griff aus zwei mit Bast umwickelten Rotangschnüren (Fig. IV,5). Ornament wie
Nr. 3. Schildränder nach hinten gebogen, Nase durchbohrt, mit Rotangring. Farben schwarz, weiß, unteres Drittel
unbemalt.
V Schildtyp Jentschemangua
Sieben Schilde (Abb. \ , Nr. i—4, Fig, V,i; V,2 u. Fig. 10; Reche Tafel LXI, 3, Griff;
Reche Abb. 309; Fuhrmann S. 95, 2 Schilde, und S. 108, links). Wie der Schildtyp von
Timbunke noch in das Gebiet der Kararauschilde hineinreicht, so decken sich auch die
Gebiete, in denen die Kararauschilde und die von Jentschemangua verkommen. Voraus-
gesetzt muß natürlich werden, daß die Schilde in ihrem Heimatsgebiet erworben sind, was
vielleicht nicht immer zutrifft. Die Schilde von Jentschemangua zeichnen sich durch kurze
breite Form mit gerade abgeschnittener Ober- und Unterkante aus. Meist sind sie oben und
unten gleich breit, teilweise unten etwas schmäler. Die Vorderseite ist flach gebogen bis
scharf dachförmig. Der Griff ist hier mit Benutzung von vier in einem Rechteck liegenden
Durchbohrungen der Schildwand befestigt. Jede Durchbohrung enthält eine Öse, zwei
nebeneinanderliegende Löcher, um deren Scheidewand der zur Befestigung benutzte Rotang-
streifen geschlungen ist. Diese Schildgruppe, wie auch die folgende von Malu ist bemerkens-
wert durch die Benutzung des in der Einführung bereits näher beschriebenen Rohrbügels,
1 s. Literaturverzeichnis.
21 Baessler-Archiv.
16 2
E. W. SCHMIDT
der teils unmittelbar an die Schildwand geschnürt ist (Fig. V,2), teils auf 4 kurzen Füßen
ruht, die senkrecht auf der Schildwand stehen und mit Benutzung der 4Ösen festgebunden
sind (Fig. V,i). F)as Ornament ist sehr charakteristisch. Es stellt ein großes, fast den ganzen
Schild bedeckendes ,,Gesicht“ dar, mit weit herausgestreckter, teils fest anliegender, teils
gebogener (henkelförmiger) Zunge und, in vertieft geschnitzten, ovalen „Tellern“ liegenden
(Flügelornament) Augen. Das Gesicht ist unter Benutzung der stilisierten Vogelgestalt nur
durch Ergänzung von Mund und Zunge und durch Umgestaltung des Vogelkopfes zu Nasen-
flügeln entstanden (vgl. Fig. 10) und erklärt so die merkwürdigen sonst unverständlichen
Zusatzfiguren. Wie beim Timbunketyp haben wir auch hier den Vogelschwanz als runde
Stirnplatte (Abb. V, Nr. 1 u. 3), teils sogar noch den fächerförmigen Schwanz (Fig. 10 und
Abb. V, Nr. 1 unten, Nr.2 oben und unten, Nr. 4 oben), die Flügel mit der typischen Kreis-
zeichnung (als Telleraugen, Abb. V, Nr. 1) und das ganze Flügelornament, besonders deutlich
bei den „Augen“ von Nr. 2, 3 und 4 und mit Schwanzornament bei Nr. 1 (unten in der Mitte),
ohne Schwanz bei Nr. 4 unten. Man vergleiche denUmriß der freien Ornamentfläche
bei Nr. 1, in welche die „Nase“ hineinreicht mit der gleichen Fläche bei der Baum-
rindenmalerei, Abb. I unten links. Man wird sofort die gleichen Umrisse dieser Flächen
wieder erkennen und, was von besonderer Bedeutung ist, die Erklärung für diese dreieckigen
Ausschnitte unter den Augen als die Reste der (anatomisch als Handgelenk zu bezeichnenden)
Flügelgelenke (bei zurückgebogenen Flügeln) erkennen. Die aus dem Vogelkopf entstandenen
Nasenflügel sind erhaben geschnitzt. Die Farben sind sehr lebhaft schwarz, weiß, rot, gelb.
Nr. I VI 42055 Lager bei Kaulagu Abb. V Nr. 1 Fig. V, 1.
Nr. 2 VI 41 887 Jentschemangua Abb. V Nr. 2 Fig. V,2.
Nr. 3 VI 41688 Palimbai Abb. V Nr. 3
Nr. 4 VI 41691 „Dorf y“ Abb. V Nr. 4
Nr. 5 VI 42117 Jentschemangua
Nr. 6 VI 41712 Dorf V unterhalb Tschesbandai
Nr. 7 VI 41 711 Dorf V unterhalb Tschesbandai Fig. 10.
Nr. 1, 150:44cm, flach gebogen, Griff: Rohrbügel auf 4 Füßen, unten am Bügel ein dünner Handgriff aus ge-
drehten Rotangsstreifen, oben Querholz. Ornament: die runde Stirnplatte (der Vogelschwanz) ist noch mit der
Nasenwurzel verbunden (vgl. Abb. III, Nr. 1), Telleraugen mit knopfförmiger Pupille, aus der Flügelzeichnung ent-
standen. Die spitzen Ausschnitte unter den Augen als Reste der zurückgebogenen Vogelflügel. Zunge flach anliegend.
Untere Seitenwände mit plastisch geschnitzten Flügelornamenten, dazwischen die Fächerform des Vogelschwanzes,
der im ornamentalen Abschluß wegen der unten liegenden Schildkante in verkehrter Richtung im Verhältnis zu der
Richtung der Flügel) vor den Flügeln liegt, scheinbar ein Kunstgriff wie wir ihn zur Ausnützung der richtigen Richtung
für die Nase auch beim Schild Abb. II, Nr. 2 unten, haben, wo der Kopf des Vogelkörpers an Stelle des Schwanzes
sitzt. Farben schwarz, weiß, rot. Nr. 2, 140: 42 cm, scharf dachförmig, Seitenwände eben, Rohrbügel ohne Füße, an die
Schildwand geschnürt, unten Querholz, am rechten Bügelschenkel oben und etwa in der Mitte ein Tragband. Im
Gegensatz zu den anderen Schilden dieser Gruppe sind nur Augen, Nase und Zunge plastisch geschnitzt, die übrigen
Ornamente nur malerisch dargestellt; Augen knopfförmig, Nase sehr realistisch, durchbohrt, mit gedrehter Schnur
versehen, Zunge schmal, stark gebogen, henkelförmig. Im übrigen ist im Ornament das zum Teil erweiterte Motiv der
Flügelzeichnung benutzt. Die dunklen Dreiecke oben und unten sind aus dem fächerförmigen Vogelschwanz entstanden
(vgl. Nr. 1 unten). Farben schwarz, weiß, rot. Nr. 3, 147:40 cm, flach gebogen, unten schmaler als oben, Rohrbügel auf-
fallend breit, Durchbohrungen daher an den Schildrändern liegend, unten über dem Bügel ein Querholz, unter diesem
eine Rotangschnur, oben Querholz. Gesicht sehr lang, Vogelschwanz zur schmalen Stirnplatte geworden, knopfförmige
Augen ausgebrochen. Unter den Augen Flügelmotive. Zunge lang, anliegend, unter der Unterlippe ansetzend, Farben
schwarz, weiß, rot, gelb. Nr. 4, 116:26 cm, klein, stark gewölbt, Rohrbügel auf vier Holzfüßen ruhend. Im Ornament
nehmen die sehr langen, nach hinten und vorn ausgezogenen Flügel den größten Teil des „Gesichts“ ein. Augenteller
noch verbunden. Ihre Trennung erfolgt wohl meist erst später bei deutlicherer Umgestaltung der Vogelfigur zu einem
Gesicht (vgl. die Vogelfiguren ohne Flügeltrennung auf Abb. XI, Nr. 1—3). Zunge sehr plastisch, anliegend. Zwischen
Nase und Mund ein zweiter gemalter Mund (?) oder Nasenschmuck, unten beiderseits Flügelmotive. Nr. 5, 147:40 cm,
stark gewölbte Vorderseite, Rohrbügel ohne Füße, oben und unten Querholz, in der Mitte eine Rotangschnur (wie
Abb. VI, Nr.3). Gesichtstyp wie Nr. 7 (s. Fig. 10 von Nr. 7) Vogelschwanz mit gezackten (gefiederten) Schwanzrändern,
abgesetzte Nasenflügel, lange, flach gekrümmte, henkelförmige Zunge. Unten Fächerschwanzmotiv. Nr. 6,
136:24 cm, Schildwand flach gebogen, fast eben, oben etwas schmaler (31 cm) als in der Mundhöhe (34 cm). Rohrbügel
auf vier Füßen, oben ein Querholz, unterer Griff fehlt. Im Ornament ist die Vogelfigur noch sehr ursprünglich. Flügel
wie Nr. 5, fächerförmiger Schwanz mit gezacktem Rande und eingezeichnetem großen Kreis (Stirnplatte); schmaler
Vogelhals ohne Verbreiterung des Kopfes, vorn sich verjüngend und zwischen zwei verhältnismäßig kleinen runden
DIE SCE1ILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS l63
Kreisfächen liegend, Zunge flach anliegend. Farben schwarz, weiß, rot. Nr. 7, 152:35 cm, Typ wie Nr. 5. Schildwand
flach gebogen, Rohrbügel auf vier Füßen, unten ein Querholz. Die Vogelfigur im Gesicht sehr deutlich (Fig. 10),
Schwanz fächerartig, seitlich gefiedert, neben dem Hals Flügelschultern, ovale Flügel mit Kreisornament (Telleraugen),
Kopf zu Nasenflügeln umgestaltet. Zunge schmal, lang, henkelförmig. Nr. 8 entspricht nach dem Katalogzettel dem
Charakter von Nr. 4, Nr. 9 dem von Nr. 1.
VI Schildtyp von Main
Vier Schilde (Abb. VI, Nr. i—3, Fig.VI,4; Eichhorn, Fig. 18; Reche, S. 303, Abb. 308.
Griff Abb. 310, = Fuhrmann S. in, rechts, verkehrt gestellt). Dieser Schildtyp ist ver-
treten in einem Gebiet, das weiter oberhalb am K.-A.-Fluß liegt und, soweit Schilde vor-
handen, von Malu (über Jambun) bis Kamberau reicht, also geographisch von der Heimat
der zuletzt besprochenen Schildgruppen durch ein Gebiet von etwa 35 km Luftlinie getrennt
ist. Der Charakter dieser Schilde ist wiederum ein ganz anderer, als der der vorhergehenden
Gruppe und nach Form und Ornamentstil ein sehr einheitlicher. Die Schilde sind in natura
(da sie alt und zugleich angekohlt sind), schon an ihrem schwarzen, verrußten Aussehen,
dem allen gemeinsamen, auffallenden breiten, gitterartigen obersten Ornamentband und der
ausgeprägten, wenn auch flachen Dachform, als zu einer Gruppe gehörig leicht zu erkennen.
Die Schildwand ist unten und oben gerade geschnitten, unten schmäler als oben; die Seiten-
wände sind flach gewölbt, Vorder- und Rückseite sind stark angekohlt. Im Griff finden wir
hier, als auch für diesen Schildtyp charakteristisch noch den Rohrbügel der vorigen Gruppe
(ohne Füße) wieder (Abb. VI, Nr. 3 und Reche, Abb. 310). Nur einSchild (Nr. 2), der vom
westlichsten Teil dieses Gebietes stammt, hat keinen Rohrbügel mehr, sondern schon den
für die dort angrenzende Gruppe der Karaschilde charakteristischen Knüppelgriff über-
nommen. Im Ornament weichen zwei Schildgruppen etwas voneinander ab, innerhalb dieser
Gruppen stimmen jedoch die Schilde in Form, Muster, Anwendung und Verteilung der
Motive sowie in der Stilisierungsmanier fast genau überein. Zum Stiltyp von Nr. 1 gehören
Nr. 1, Nr. 3 (= Eichhorn, Fig. 18) und die Abb. 308 von Reche, zu dem von Nr. 2 gehören
Nr. 2 und Nr. 4. Sehr auffallend ist es, daß nur in der Malugruppe das Motiv des stilisierten
Menschenkörpers in der bekannten hockenden Stellung (Abb.VI, Nr, 1 und Eichhorn Fig. 18
unten) ganz isoliert am K.-A.-Fluß auftritt, innerhalb eines weiten Bezirkes angrenzender
Schildgruppen, die dieses Motiv im Ornament nicht haben. Das Motiv, das aus der mehr
realistischen, bei Neuhauss (S. 306, Abb.206a) abgebildeten Darstellung eines Schildes der
Sissanu entstanden ist, finden wir erst bei dem Schildtyp der Aropleute an der Küste wieder
(Abb. XIII, Nr. 1 am Rande und bei Nr. 3 oben) und beim Schildtyp von Angriffshafen
(Abb. XIV, Nr. 1 oben und unten) bis nach Holländisch Neu-Guinea (Skoh-Küste) hinein
und zwar als Rand-Reihen-Motiv. Die Brillenform der Augen läßt sich wohl am ehesten so
erklären, daß man diese Augenformen wieder als Reste der stilisierten Vogelflügel mit der
üblichen Flügelzeichnung (Kreise) und Nasenrücken und Nasenflügel als Vogelhals bzw.
-Kopf auffaßt. Wir sehen auch zwei, hier knopfförmige Ornamente (vgl. Fig. 2), die wir dem
Vogelkopf auch sonst (als Kreisflächen) beigegeben finden, außerdem oben recht und links
zwei Ornamente, die den langhalsigen Vogelkopf vom Typ 3 in stilisierterForm wiedergeben.
An Farben sind Reste weißer Farbe nur bei Nr. 3 (Eichhorn Fig. 18) zu erkennen. Das Auf-
tauchen der hockenden stilisierten Menschenfigur könnte vielleicht auf einen Verkehrsweg
zur Küste hindeuten.
Nr. 1 VI 41507 Malu Abb. VI Nr. 1
Nr. 2 VI 41492 Kamberau Abb. VI Nr. 2
Nr. 3 VI 41 508 Mau Abb. VT Nr. 3 (Eichhorn Fig. 18)
Nr. 4 VI 41695 Jambun, wie Nr. 2; Fig. VI,4
Nr. 1, 151:44 cm, Rohrbügel mittelst die Schildwand durchbohrenden Ösen (Abb. 1 über Zackenkrone und unter
dem Munde sichtbar) mit Rotang an die Rückwand geschnürt. Zwischen linkem Rohrschenkel und Schildwand, ober-
E. W. SCHMIDT
I 64
halb der linken Oberöse ein Sperrklotz zur Abhaltung des Bügels von der Schildwand eingeklemmt; unten über dem
Bügel rundes Querholz, oberhalb dieses eine Rotangschnur (vgl. Fig. VI, 4 vom Schild Nr. 4), in der Mitte ein zweites
Querholz, über den Oberösen eine zweite Rotangschnur, am rechten Bügelschenkel der Rest einer Tragschnur aus
Rotang, unterhalb der Oberöse und neben der Unteröse befestigt. Ornament: oben ein breites, engmaschiges Gitter-
band, darunter rechts und links zwei Vogelköpfe (Typ 3) (vgl. Abb. III, Nr. 4), schmalnasiges Brillengesicht im großen,
zackigen Dreieck, unten das hier seltene Motiv der hockenden Menschenfiguren als Randreihenmuster. Nr. 2,152:42cm,
stammt aus dem westlichen Feil dieses Formkreises. Griff von der Form des westlich angrenzenden Karatypes, ohne
Rohrbügel und ohne Rotanggriff, aus zwei an die Rückwand geschnürten parallelen, groben Längshölzern, darüber
unten drei, oben ein rohes Querholz (vgl. Fig. VII,3). Die vier Querhölzer durch eine senkrechte Rotangschnur ver-
bunden. Im Ornament weites Gittermuster und im übrigen etwas von Nr. 1 abweichende Muster: die zwei Vogelköpfe
noch erkennbar, breitnasiges Gesicht im ovalen Zackenkranz, Augen von Gestalt der Flügelzeichnung, Spiralen größer,
unten ein Zackenband. Nr. 3, 148:43 cm, wie Nr. 1, Griff (Abb. VI, Nr. 3), Rohrbügel sehr lang, 2 flache Querhölzer,
oberes schräggestellt, unten ein Rotanggriff, Rest einer Tragschnur aus Rotangstreifen am Bügelschenkel. Ornament
s. Eichhorn Fig. 15. Die drei Menschenfiguren im untersten Ornamentbande mit doppelten Armen und Beinen; weiße
Farbreste. Nr. 4, 148:41 cm, etwa aus der Mitte des Gebietes, Bügelgriff (Fig. VI,4), zwei runde Querhölzer, ganz unten
Rotangband, über der linken Oberöse ein Sperrklotz, Ornament wie Nr. 2, engmaschiges Gitterband, Gesichts-
umriß in Nasengegend etwas eingezogen, im unteren Ornamentband Zacken, die eine hochgestellte Rhombenfläche
umschließen.
Da Reche in seinem Werke erwähnt, daß nur ein Exemplar eines Lederschildes (aus Malu) vorhanden sei, so sei
bemerkt, daß sich im Berliner Museum nach den Katalogzetteln noch zwei weitere solche Lederschilde (von ovaler
Form) befinden oder befanden; der eine, VI 41 506 ,,aus Schweinsleder“, 116:54 m> der andere, VI 41 505, aus „Kroko-
dilleder“.
VII. Schildtyp von Kara
Fünf Schilde (Abb. VII, Nr. 2—5, Fig, VII,3). Das Gebiet dieses Types grenzt unmittel-
bar an das der Maluformen. Der Maluschild mit Karagriff stammt aus Kamberau, welcher Ort
in gleicher Höhe mit Kara, jedoch auf der Nordseite des Flusses liegt. Auch diese Schildform
weicht wiederum erheblich von der vorhergehenden ab. Es sind sehr große, breite, dicke
und daher schwere Schilde mit stark gerundeten Oberkanten und von sehr dunklem Aus-
sehen. 4 Schilde haben eine flache Dachform, einer, Nr. 2, ist brettförmig flach. Der Griff
(vgl. Fig. VII,3) besteht aus zwei langen, sehr klobigen Längsknüppeln, über die auffallend
viele (2—5) grobe, runde Querhölzer geschnürt sind. Die Befestigung der Längshölzer an
der Schildwand ist nur bei dem brettförmigen Schilde Nr. 2 mit Hilfe einer Durchbohrung
der Schildwand erfolgt, während bei den übrigen Schilden die Ösen aus dem Vollen der
Schildrückwand geschnitten sind, eine Form der Befestigung, die wir schon einmal kennen
gelernt haben. Das Ornament ist wenig kompliziert und besteht in den Hauptfiguren aus
Spiralmustern. Diese Spiralmuster sind sicher nicht als stilisierte Gesichter aufzufassen,
sondern, wie aus dem oberen Muster von Nr. 2 (Abb. VII, Nr. 3) deutlicher hervorgeht, als
Reste der stilisierten Vogelfigur. Bei Nr. 2 sind die Flügel (Spiralen), Kopf und Schwanz
noch leicht zu erkennen, bei Nr. 3 sind die Köpfe in den Spiralfiguren oben und unten
bereits verloren gegangen, bei Nr. 4 dagegen, etwas abgetrennt noch vorhanden. Nr. 1 hat
ein rein ornamentales Spiralmuster.
D amit stehen wir am Endpunkte einer nach Raum und Zeit allmäh-
lich entstandenen Stilentwicklung, aus der es uns nach den bisherigen
Betrachtungen ermöglicht ist zu erkennen, daß diese einfachen Spiralmuster
(wie die auf Abb. VII, Nr. 3—5) einer Vogelf igur entstammen.
Nr. 1 VI 41696 Kara Abb. VII Nr. 2
Nr. 2 VI 41498 Kara Abb. VII Nr. 3
Nr. 3 VI 41 511 Kara Abb. VII Nr. 4; Fig. VII,3
Nr. 4 VI 42058 Kara Abb. VII Nr. 5
Nr. 5 VI ? Kubka
Nr. 1. 168 ¡32 cm, schmale Form, oben 5 cm dick, Griff zwei Längshölzer, darüber oben und unten je ein Quer-
holz, Ösen aus dem Vollen der Rückseite geschnitten. Reines Spiralmuster, ohne Bemalung, Spaltungen mit Rotang
repariert. Nr. 2, 160:38 cm, brettförmig, oben am Rande 2 cm dick, Mittelkante vorhanden (daher kein echter Brett-
schild), grobe Längshölzer des Griffes an Durchbohrungen der Schildwand befestigt, darüber oben und unten je zwei
MB
il
1H
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS 165
flügelartige Motive. Im mittleren Drittel zwei nach außen gedrehte Spiralbögen, unteres Drittel unverziert, Farben
schwarz, rot, weiß. Nr. 3, 167:46 cm, sehr groß, breit und schwer, Seitenkante oben am Rande 3 cm dick. Die Dicke
nimmt nach der Mitte hin infolge der Dachform noch zu, unten etwas schmaler. Der äußerst massive und große Knüppel-
griff nimmt mit seiner ungewöhnlichen Länge von 77 cm (Fig. VII,3) fast die Hälfte der Schildlänge ein. Über die
6 cm dickenLängshölzer sind 5 runde, grobe Querhölzer geschnürt. Die Ösen sind aus der Rückwand herausgeschnitten.
An den vereinfachten Spiralmustern sind die Vogelköpfe fortgefallen, vom Schwänze ist ein kleines Rudiment bestehen
geblieben. Farben schwarz, weiß, rot. Nr. 4, 156:48 cm, kürzerer, sehr dicker und breiter Schild, obere Seitenkanten
6 cm dick, unterer Schildteil schmaler. Massiver Knüppelgriff aus 2 Längshölzern und 5, durch Rotangschnur ver-
bundene, runde Querhölzer. Ösen aus der Rückwand geschnitten. Spiralmuster ähnlich Nr. 3. Nr. 5, 170:44 cm, sehr
groß, Form wie Nr. 3, Griff 2 Längs-, 4 Querhölzer, 2 oben, 2 unten, Tragband zwischen den zwei oberen Querhölzern
und neben dem untersten am rechten Längsholz befestigt. Ösen aus dem Vollen geschnitten. Oben und unten je ein
Spiralmuster ähnlich Nr. 3 und 4, in der Mitte zwei Spiralbögen ähnlich Nr. 2.
VIII Schildtyp von Vogumasch
Zehn Schilde (Abb. VIII, Nr. 1—4; Fig. VIII,2 u. VIII,3). Die Form dieser Schilde ist
etwa lang-rechteckig, zum Teil sind sie unten etwas schmäler. Die Wand ist ausgesprochen
dachförmig. Der Griff besteht aus zwei Längs-und 3 4 Querhölzern, ist also ähnlich dem der
benachbarten Karaschilde, jedoch kleiner in den Maßen und sorgfältiger in der Bearbeitung
der Hölzer. Die Enden der Längshölzer und die meisten der Querhölzer sind zwecks sicherer
Anschnürung flaschenhalsförmig geschnitten (Fig. VIII,3) oder mit einer ringsherum
laufenden Einkerbung versehen (Fig. VIII,2). Sie sind an der Schildwand mit Hilfe von
Ösen, welche den Schild durchbohren, verschnürt. Abweichungen hiervon bestehen bei Nr. 6,
dessen vier Ösen wie bei den Karaschilden aus dem Vollen der Rückwand geschnitten sind
(er stammt aus dem westlichsten Dorf des Vogumaschtypes, also von der Grenze zum Kara-
typ) und bei Nr. 4. Dieser Schild zeigt eine starke Annäherung an den benachbarten
Aprilfluß-Typ, nicht nur durch den Besitz von Längsleisten, die aus dem Vollen geschnitten
sind, sondern auch durch das rein ornamentale Spiralornament (Abb. VIII, Nr. 4, Vogumasch
liegt neben der Mündung des Aprilflusses). Andererseits hat ein Schild (Nr. 10), der aus
,,Lager I, Aprilfluß“ stammt, die charakteristische Form der Vogumaschschilde, imOrnament
auch das oberste Zackenband, das stilgemäß bei vielen dieser Schilde vorhanden ist, im
übrigen aber das reine Spiralornament des April-Maifluß-Typcs. Die Schildform scheint also
bis in das Gebiet dieser Flüsse vorgedrungen zu sein. Im Ornament dieser Gruppe treten
zackige Linien besonders hervor, ferner ein stilisiertes Gesicht, dessen lange Nase an die der
Timbunkeschilde erinnert, weiter schwanenhalsige Vogelköpfe, die das Gesicht umgeben
(Abb. VIII, Nr.2) und mehr oder weniger stilisiert auch selbständig im Ornament auftreten
(Abb. VIII, Nr. 3 u. 1). Farben lebhaft schwarz, rot, gelb, weiß.
Nr. 1 VI 42121 Vogumasch Abb. VIII Nr. 1
Nr. 2 VI 42 166 Vogumasch Abb. VIII Nr. 2 Fig. VIII,2
Nr. 3 VI 41 716 Vogumasch Abb. VHI Nr. 3 Fig. VIII,3
Nr. 4 VI 41 720 Vogumasch Abb. VHI Nr. 4
Nr. 5 VI 40914 Vogumasch
Nr. 6 VI 41 717 Kubka
Nr. 7 VI 41718 Gabukai
Nr. 8 VI 41494 Vogumasch
Nr. 9 VI 41 514 Vogumasch
Nr. 10 VI 39383 Lager I Aprilfluß.
Nr. 1, 145:40 cm, Griff aus 2 Längshölzern mit eingekerbten Köpfen und 3 Querhölzern (vgl. Fig. VHI,2).
Rückseite angekohlt. In den Formen der gesichtartigen Figur ist von der stilisierten Vogelfigur kaum etwas übrig
geblieben außer dem Flals, aus dem vielleicht die lange Nase entstanden ist. Der Bogen unter der Nase dürfte kaum
als Mund und damit auch die ganze higur nur unsicher als „Gesicht zu deuten sein. Die übrigen Figuren sind wohl
aus den bei Nr. 2 deutlich dargestellten Vogelköpfen entstanden. Nr. 2, 156:38 cm, Ein Iragband aus doppelter Bast-
schnur ist am oberen Längsholz durchgezogen. In Ornament zwei „Gesichter mit dreieckiger Stirnplatte (Vogel-
schwanz ?) umgeben von je 4 langhalsigen Vogelköpfen. Nr. 3, 163:39 cm, am Griff zwei flaschenhalsige Langhölzer,
darüber oben ein, unten zwei Langhölzer, Iragband am oberen Querholz und unten am rechten Längsholz befestigt
(Fig. VIII,3). Das Ornament zeigt oben vier (Nashorn- ?) Vogelköpfe, unten Zeichnungen, die an das Flügelornament
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E. W. SCHMIDT
erinnern Nr. 4, 158:32 cm, Griff mit Längsleisten wie Typ Aprilfluß, oben und unten je zwei flache Querhölzer.
Unter den Verschnürungen der Querhölzer sind zur Verspannung mit den Längsleisten zwei breite, dünne Rohrstreifen
geschoben Die Längsleisten haben oben eine, unten zwei quadratische Durchbohrungen (vgl. Griff vom Aprilfluß,
Fig IX 3). Das vierte Querholz ist auf den Rohrstreifen verschnürt, Ornament ein reines Spiralmuster, ebenfalls
verwandt mit dem der Schilde vom Aprilfluß. Nr. 5, 168:40 cm, Griff wie Nr. 2, Tragband aus Bast, lose hinter den
drei Querhölzern durchgezogen. Im Ornament ein „Gesicht“ wie bei Nr. I, im mittleren Drittel des Schildes liegend;
Nasenbögen und Umrißlinien nur bis zu den Augen reichend, unterstes Drittel ohne Verzierung. Farben frisch auf-
getragen. Nr. 6, 157:34 cm, hat Griff der Karaschilde, Ösen aus dem Vollen geschnitten, Reste von vier Querhölzern,
untergeschobene Rohrplatten wie Nr. 4, zwei „Gesichter“ wie Nr. 2, jedoch mit kurzem, graden Mund und in zwei
vereinigten Ovalen liegend; seitlich große Flügelmuster. Nr. 7, 162:32 cm, Griff wie Fig. VIII,3 von Nr. 3 mit vier
flachen Querhölzern, das vierte in der Mitte, ohne Tragband. Ornament der oberen Hälfte wie Nr. 2 (jedoch mit Ver-
bindung der Schnabelspitzen der Vögel, kürzerer Nase, runder Stirnplatte), Seiten der Mitte mit großen Flügelmotiven.
Nr. 8, 158:32 cm, alter Schild, dunkel, unbemalt, untere Hälfte unverziert, Griff mit 4 Querhölzern wie bei Nr. 7,
primitives Tragband kurz, aus rundem Lianenstrang (vgl. Abb. II, Nr. 1, wo ein gleiches z. T. sichtbar) lose hinter den
Querhölzern durchgezogen, „Gesicht“ wie Nr. 1, vier Vogelköpfe wie Nr. 3. Nr. 9, 155 :37 cm, Griff mit zwei flaschen-
halsigen Längs- und drei Querhölzern, mittleres schräggestellt. Das wenig sorgfältig gefertigte Ornament besteht oben
aus zwei sehr großen, stilisierten Vogelköpfen (mit nach unten gerichteten Schnäbeln), deren Augen an Stelle der
Menschenaugen liegen, dazwischen eine lange, schmale „Nase“, neben ihr zwei Kreisflächen. Das Ornament des
Unterteils ist unfertig, wobei zu bemerken ist, daß die Muster, soweit sie geschnitzt wurden auch bereits bemalt sind.
Nr. 10, 150:33 cm, Dachform mit nur 1 cm starken Seitenkanten, Rückwand fast eben, stark verkohlt, am Griff
3 runde Querhölzer, Muster der oberen Hälfte fortlaufende, lose Spiralen mit breiten, gezackten Endflächen (vgl.
Abb. VII, Nr. 1) wohl aus Vogelköpfen vom Typ des Schildes Nr. 3 entstanden. (Annäherung an Spiralmuster
des Aprilfluß-Typ, stammt aus Lager I Aprilfluß), Zackenband oben wie bei den Vogumaschschilden, untere Hälfte
unverziert.
DIE BRETTSCHILDE
A Übergangsformen
IX Schildtyp April- und Maifluß
Fünf Schilde (Abb. II, Nr. 1, Abb. III, Nr. 5—7, Abb. VII, Nr. 1; Fig. IX,3 u. IX,4). Mit
dem Vogumaschtyp verlassen wir das Gebiet der Hohlschilde und treffen in der Gegend des
April- und Maiflusses zunächst eine merkwürdige Mischform an und zwar Brettschilde, die
von den Hohlschilden noch die Länge, Schmalheit und (außer Nr. 5) den aus dem Vollen
geschnittenen Leistengriff übernommen haben, in der Form jedoch zur Gruppe der flachen
Brettschilde gehören. Bei 3 Schilden herrscht in der Verzierung das Spiralmuster vor. Schild
Nr. 1 fällt durch seine Krümmung in der Längsachse und durch sein Ornament (vgl. Typ
Kararau) ziemlich weit aus der Reihe. Der Stil seines Ornaments ist dem der Hohlschilde
nahe verwandt.
Nr. 1 VI 39384 Opitzhütte am Aprilfluß Abb. II Nr. 1
Nr. 2 VI 41 577 Lager I Aprilfluß Abb. III Nr. 7
Nr. 3 VI 41724 Jauun Abb. III Nr. 6 Fig. IX,3
Nr. 4 VI 41723 Hütten unterhalb Lager I Maifluß Abb. III Nr. 5 Fig. IX,4
Nr. 5 VI 41 750 Hütten unterhalb Lager I Maifluß Abb. VII Nr. 1
Nr. 1, 166:40:2 (Dicke) cm, alter, unbemalter Schild, in der Längsachse gebogen, ähnlich den Kararauschilden
Rückbiegung 6 cm, unten schmal, Kanten gerundet, Griff: 2 grade Längsleisten, durch deren 4 Enden ein zweifaches
Lianenband fortlaufend hindurchgezogen (a. d. Abb. II, Nr. I sichtbar) und an einer Seite mit Rotang verschnürt ist.
Das Ornament zeigt als Hauptfigur ein gesichtähnliches Muster (ohne Mund!) und spitze Spiralen mit breiten Innen-
flächen (die aus Vogelköpfen entstanden sein könnten, wie sie der nebenstehende Schild in der Mitte zeigt). Der zackige
Umriß der Hauptfigur erinnert an den des Timbunkeschildes auf Abb. III, Nr. 4. Nr. 2, 171:33:2 cm, rechteckig, lang,
schmal, Griff ursprünglich wie von Nr. 3 (vergl. Fig. IX,6) mit zweifach gekerbten, aus dem Vollen geschnittenen Längs-
leisten, die je 3 quadratische Löcher tragen, auf ihnen eine kreuzweise Verschnürung aus Rotang. Der Rest des ab-
gebrochenen, kleinen, dünnen Rohrbügels steckt unter dieser Verschnürung, über ihr ist auf den Längsleisten ein
neuer, aber falscher Griff angebracht durch Aufschnürung zweier Längshölzer mit 2 (ursprünglich 3) neuen Querhölzern.
Spiralmuster, verwandt mit dem der Karaschilde. Nr. 3, 180:32:1 cm, rechteckig, sehr lang, dünn und schmal. Griff
(Fig. IX,3) auS 2 gtaden, aus dem Vollen geschnittenen Längsleisten, in die je 3 quadratische Löcher geschnitten sind.
Die Leisten sind mit Rotangstreifen kreuzweise umschnürt unter diesen sind zwei Rotangstreifen bügelartig (vgl. den
„Bügelgriff“) hindurchgezogen; die 3 Quergriffe aus Rotangverschnürung; an den beiden oberen die Reste einer
Tragschnur. Ornament: Spiralen und Kreise. Nr. 4, 183:31:1 cm, Form wie Nr. 3, schwache Mittelkante(l), Rück-
seite angekohlt, Griff aus zwei schmalen, dreifach durchbohrten Längsleisten mit 3 aufgeschnürten Rohrstöckchen
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS 167
(Fig. IX,4), Muster spitzflügelig mit Kreisfiguren. Nr. 5, 173:29:1,5 cm, Mittelkante gratförmig, oben (durch
Abbruch ?) zugespitzt, dieser Schild besitzt bereits die am Rande liegenden Durchbohrungen für die Tragschnur, die
für die Brettschilde charakteristisch sind. Ornament: wellenförmiges Spiralmuster mit gezackten Wellenköpfen.
B REINE FORMEN
Typen: Mäanderberg, Nordfluß, Grenz jägerlager
Vierundzwanzig Schilde (Abb. X und Xa, Fig. 30—33). Aus der Umgebung des K.-A.-
Flusses fehlen Schilde zwischen den Typen von Vogumasch und denen vom Mäanderberg.
Mit den hier zu besprechenden, oben genannten drei Typen gelangen wir in das Gebiet der
sozusagen „reinen“ Brettschilde, das wohl bis in Holländisch Neu-Guinea hineinreicht.
(Auch an der Küste sind in gleicher Höhe mit diesem Gebiet Brettschilde vertreten, bei
Berlinhafen, den Aropdörfern, Angriffshafen, Holl. Skoh-Küste.) Diese Brettschilde sind aus
den Bretterwurzeln der Bäume hergestellt, ihre Form ist lang-rechteckig mit etwas ab-
gerundeten Ecken und bei den meisten dadurch auffallend, daß die eine Längskante eine
auffallende Rundung zeigt gegenüber der anderen. Die Kante mit der stärkeren Rundung
ist wohl die Oberkante der Bretterwurzel. Die meisten Schilde sind in Längs- und Querachse
ein wenig nach vorne umgeboden. Diese Biegung ist natürlich unbeabsichtigt und wohl durch
einseitige stärkere Feuchtigkeit (auf der zum Schutz nach außen gestellten Rückwand) ent-
standen; Ober- und Unterkante gerade. Der charakteristische Griff der Brettschilde, die
Tragschnur, die hier aus ganz rohem Bast besteht (sichtbar auf Abb. Xa) ist durch 3—4
Durchbohrungen gezogen, von denen 2 etwas über der Mitte des Schildes an den Seiten-
rändern liegen, während die dritte unter der Mitte der Oberkante angebracht ist; statt der
einen oberen Durchbohrung können zwei vorhanden sein, die entweder in der Nähe der
Seitenkanten oder in der Mitte der Oberkante nebeneinander liegen. Die Befestigung ist so
erfolgt, daß ein Band durch die beiden unteren Löcher und ein zweites durch das bzw. die
zwei oberen Löcher gezogen und mit dem unteren Band verknotet bzw. (bei zwei oberen
Löchern) um dieses herumgeschlungen ist (Fig. 30—33). Die zwei Arten der Befestigung des
Tragbandes scheinen bei allen drei Gruppen vorzukommen. Die Ornamentierung zeigt wenig
komplizierte und meist scheinbar rein ornamentale Spiral- oder Bandmuster. Mit einiger
Sicherheit sind nur zwei Figuren zu deuten, von denen die eine wohl einen offenen, bezahnten
Mund (Abb. X, Nr. 3—4)1). die andere wohl eine Schlange darstellt (Abb. X, Nr. 2 u. 4).
Wegen der Unkompliziertheit in Form und Ornament erübrigt sich eine Spezialbeschreibung,
zumal eine Beschreibung solcher Muster doch kein richtiges Bild geben würde.
X. Schildtyp Mäanderberg
Sechs Schilde (Abb. X, Nr. 2 u. 4 und Fig. 30). Schilde mittlerer Größe, oben eine
Durchbohrung (Nr. 5 hat zwei an einer Seite). Die einzelnen Linien der Muster mit scharfer
Kante, Flächen nicht sehr tief ausgeschnitzt, Motive; Schlange, bezahnter Mund, Spirale;
bemalt, weiß und rot vorherrschend.
Nr. 1 VI 41 730 Ort unterhalb Mäanderberg Abb. X Nr. 2 Fig. 30
Nr. 2 VI 41 752 Ort unterhalb Mäanderberg Abb. X Nr. 4
Nr. 3 VI 41 754 Ort unterhalb Mäanderberg
Nr. 4 VI 41 726 Ort unterhalb Mäanderberg
Nr. 5 VI (?)•
Nr. 6 VI 41 734 Dorf II oberhalb Hügeldorf
Größen in cm: 1. 125:43, 2. 149:53, 3. 148:46, 4. 134:36, 5. 114:40.
1 Durch die Färbung auf der Abbildung undeutlich.
E. W. SCHMIDT
1 68
Xa Schildtyp Nordfluß
Sieben Schilde (Abb. X, Nr. 3, Abb. Xa, Nr. 1—2 und Fig. 31—32). Schilde mittlerer
Größe, oben eine oder zwei Durchbohrungen, letztere teils an den Seiten, teils in der Mitte
liegend. Motive: bezahnter Mund, Spiralen. Ornamentale Linien mit scharfer Kante. Flächen
(Zwischenräume) tief herausgearbeitet, meist unbemalt. Nr. 1 u. 6 mit kurzem oberen Trag-
band.
Nr. 1 VI 41729 Unterhalb Mündung Nordfluß Abb. Xa Nr. 1 Fig. 32
Nr. 2 VI 41 742 Unterhalb Mündung Nordfluß Abb. Xa Nr. 2
Nr. 3 VI 41747 Unterhalb Mündung Nordfluß
Nr. 4 VI 41 515 „Dorf 30“ (Lage wie vorher) Abb. Schulze Taf. XXXV, d
Nr. 5 VI 41745 unterhalb Mündung Nordfluß Fig. 31
Nr. 6 VI 41 746 Mündung Nordfluß Fig. 31 Nr. 3
Nr. 7 VI 41 728 Mündung Nordfluß
Größen in cm: 1. 127:48, 2. 119:47, 3. 120:50, 4. 126:49, 5. 128:44, 6. 122:39. 7. 120:42.
Xb Schildtyp Grenzjägerlager
Zwölf Schilde (Abb. X, Nr. 1, Abb. Xa, Nr. 3—4 und Fig. 33). Meist große Schilde, oben
eine oder zwei Durchbohrungen (letztere in der Mitte liegend). Gegenüber dem Ornamenttyp
von Xa und Xb bedeckt ein zusammenhängendes Ornament ohne ornamentales Querband
die Vorderseite. Muster mehr haken- als spiralförmig. Die einzelnen bandartigen Linien der
Muster sind von weicher gerundeter Oberfläche, Nr. 11 und 12 haben abweichend eine ovale
Form und sind oben mit durchbohrtem Zapfen versehen, Farben weiß und rot vorherrschend.
Nr. I VI 41 751 Dorf bei Endlager Abb. Xa Nr. 3
Nr. 2 VI 41 501 Dorf bei der Verzweigung Abb. Xa Nr. 4
Nr. 3 VI 41 519 Manduguma, Abb. Schulze Taf. XXXV, c
Nr. 4 VI 41739 Dorf III oberhalb Grenzjägerlager
Nr. 5 VI 41 509 Dorf III oberhalb Grenzjägerlager
Nr. 6 VI 41753 Dorf III oberhalb Grenzjägerlager (unbemalt)
Nr. 7 VI 41 741 Dorf bei Endlager
Nr. 8 VI 41 505 Dorf I u. II oberhalb Grenzjägerlager
Nr. 9 VI 41 516 Dorf I u. II oberhalb Grenzjägerlager
Nr. 10 VI 41749 Dorf III oberhalb Grenzjägerlager Fig. 33
Nr. 11 VI 41743 Dorf bei der Verzweigung
Nr. 12 VI 41748 Dorf bei der Verzweigung
Größen in cm: 1. 137:54, 2. 128:53, 3. 137:63, 4. 131:61, 5. 130:59, 6. 137:60, 7. 113:57, 8. 118:46, 9. 139:51,
10. 145:56, 11. 145:57, I2- I57:58.
DIE BRETTSCHILDE VOM TÖPFERFLUSS
Das Gebiet der Brettschilde am K.-A.-Fluß verlassen wir in der Nähe der Holländischen
Grenze, da weitere Schilde aus dieser Gegend nicht vorhanden sind. Einer neuen Expedition
mag es Vorbehalten bleiben im Anschluß an die vorhandenen Sammlungen vom K.-A.-Fluß
die hier angrenzenden Landesteile von Deutsch und Holländisch Neu-Guinea nach weiteren
ethnographischen Objekten zu durchforschen.
Ein zweites Gebiet, in dem Brettschilde zu Hause sind, liegt, soweit Objekte vorhanden,
am unteren und mittleren Töpferfluß und am unteren Dörferfluß. Von letzterem Flußgebiet
sind jedoch nur wenige Schilde vorhanden. Wie am K.-A.-Fluß finden wir auch hier am
Töpferfiuß, wenn auch nur 2 Schildgruppen, die nach Form und Ornamentik von einander
abweichen. Eine Gruppe, Schildtyp Kagnia (Abb. XI) wird vertreten durch Schilde von
ovaler Form, die sich in den Hauptfiguren ihrer Ornamentik unmittelbar an den Vogeltyp
Nr. 2 der Baumrinden vom unteren Töpferfluß anschließen. Der andere Schildtyp Bunaram-
Ramu(Abb.XH) umfaßt Schilde mit einem Umriß, dessen Gestalt man etwa als langes Recht-
eck mit abgerundeten Ecken bezeichnen kann. In der Ornamentik dieser Schildgruppe fällt
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS
169
im oberen Teil, weil dieser sonst meist unbemalt ist, ein erhaben aus der Schildwand heraus-
geschnittener, schmaler Keil besonders auf, dessen Basis am oberen Schildrand und dessen
Spitze teils bis zum ersten Drittel des Schildes, teils bis zur Mitte reicht. Der Keil ist mit
Schnitzereien verziert, unter denen meist eine Figur (stilisiertes eidechsenähnliches Tier ?)als
Hauptmotiv zu erkennen ist(Fig. 19—21). Ein Teil dieser Schilde ist von einem Rotangflecht-
werk(eine dünne Matte) umgeben, welches den größten Teil des Schildes so bedeckt, daß oben
ein breiterer, unten ein schmalerer Teil des Schildes frei bleibt. Diese Schilde kommen in
der Gegend zwischen dem mittleren Töpferfluß und dem Ramu vor. Auch bei ihnen finden
wir im Keil meist die gleiche stilisierte Figur; der untere Teil der Schilde ist unverziert. Bei
diesen Schilden trägt oben meist nur der Keil die Schnitzverzierung (Abb. XII, Nr. 1__3).
In einer anderen Untergruppe ohne Flechtwerk ist der Keil so geschnitten, daß seine Basis
den oberen Schildrand etwas überragt. Diese Schilde sind seitlich des Keiles mit je zwei
kreis- oder sternförmigen oder mit ellipsenförmigen und dann augenartigen Ornamenten
versehen (Abb. VI, Nr. 4—5), Auch bei ihnen scheint der untere Teil meist unverziert zu bleiben.
Die Ornamentik besteht, wie üblich, aus Schnitzerei und Bemalung in den gebräuchlichen
Farben. Selten, aber vorhanden sind Schilde, die unbeschnitzt und nur bemalt sind. Die
Schilde ohne Flechtwerk, außer denen mit oben vorstehendem Keil, von denen nur einer ein
Flechtwerk besitzt (Abb. XII, Nr, 2), sind mit reichhaltigen Mustern und einer großen Zahl
von gleichartigen (Tier- ?) Gesichtern bemalt. Bei einigen Schilden fällt die fratzenartige
Verzerrung dieser Gesichter mit z. T. „behaartem“ Umriß auf. Eine vergleichende Unter-
suchung führt zu dem Schluß, daß es sich auch hier nicht um ein Menschengesicht, sondern
um den, teils sorgfältiger (Abb. XII, Nr. 5), teils fratzenhaft stilisierten Kopf (Abb. XII,
Nr. 4) eines Tieres (Fig. 21) handelt (Eidechse, Leguan? Vgl. die Köpfe auf den oberen
Baumrindenmalereien.)
Die Schilde werden an einem breiten Tragband aus Tapa getragen, das durch zwei am
Rande, in mittlerer Schildhöhe oder etwas darüber liegenden Durchbohrungen befestigt
ist. Das Tragband wird meist an der einen Schildseite durch einen auf der Vorderseite
liegenden Knoten gehalten, während das andere Ende um den zwischen Loch und Schild-
kante liegenden Holzteil der anderen Seite des Schildes geschlungen ist. Bei anderen Schilden
ist die Befestigung des Tragbandes durch Knoten oder Umbindung auf beiden Seiten gleich-
förmig gestaltet (vgl. Abb. XI u.XH). Die Einzelbesprechung aller dieser Schilde würde eines-
teils zu weit führen, anderenteils läßt sie sich wegen der nicht allzu großen Unterschiede
durch die Heraushebung einzelner, besonders charakteristischer Vertreter durchführen. Wie
aus den Herkunftsorten zu erkennen ist, bilden die beiden genannten Schildtypen keine in
sich abgeschlossenen Lokalformen, sondern ihre Vertreter stammen teilweise aus denselben
Orten, so daß, wenigstens in ihren Grenzgebieten, eine lose Mischung der Typen stattfand.
(Die Lage mancher Orte in dieser Gegend konnte leider nicht geographisch festgelegt werden;
Kagnia liegt am mittleren Töpferfluß.)
XI Schildtyp Kagnia
Elf Schilde (Abb. XI, Nr. 1—5; Fig. 16—18, 20, 26—29). In der Form mittelgroße,
verhältnismäßig dünnwandige, schlank- oder spitz-ovale Schilde. Der Tragriemen ist ein
breites Tapa band, das fast immer durch die auf der Vorderseite liegenden Knoten seiner
Enden gehalten wird. Die Durchbohrungen liegen am Rande, meist etwas über der Mitte
der Schildhöhe, in einem Falle (Abb. XI, Nr. 2) liegen sie in diagonaler Richtung zueinander.
Die Vorderseite ist charakterisiert durch eine dem Ornament angepaßte erhabene band-
(Abb. XI, Nr. 1), keil- (Nr. 2—3) oder andersförmige (Nr. 4) Fläche, die innerhalb der
oberen Schildfläche liegt, oben, unter einem Mäanderband den stilisierten Vogel Typ 2,
170
E. W. SCHMIDT
darunter z. T. die stilisierte Eidechse (Fig. 16—18, Abb. XI, Nr. 1, 4 u. 5), z. T. eine ihr
ähnliche Stilisierungsform (Fig. 19—20, Abb. XI, Nr. 2-—3) trägt. Der Vogel trägt auf den
breiten, runden Flügeln das Kreisornament. Die untere Schildfläche ist unverziert oder mit
bandförmigem Muster bemalt, die Farben sind meist lebhaft schwarz, rot, gelb, weiß.
Nr. 1 VI 41686 Kagnia Abb. XI Nr. 1 Fig. 18
Nr. 2 VI 41694 Kagnia Abb. XI Nr. 2 Fig. 20 u. 27
Nr. 3 VI 41727 Kagnia Abb. XI Nr. 3 Fig. 26
Nr. 4 VI 41 726 Kagnia Abb. XI Nr. 4
Nr. 5 VI 41690 Bugendum Abb. XI Nr. 5 Fig. 17
Nr. 6 VI 41684 Kagnia Fig. 16
Nr. 7 VI 41735 Kagnia
Nr. 8 VI 41499 Kagnia
Nr. 9 VI 41 705 Kamboa Abb. IX Nr. 3 Fig. 28
Nr. 10 VI 41689 Takub Abb. IX Nr. 4
Nr. 11 VI 41707 Tzimundo
Nr. 1, 128:50 cm, Ornament breites Schnitzband längs der Schildfläche, oben stilisierter Vogel vom Typ 2 unter
einem Mäanderband. In der Mitte stilisierte Eidechse (breite Form) unten menschenähnliches Gesicht ohne Mund;
Vogelschwanz und Gesicht mit weißer, runder, Platte; schwarz, weiß, gelb. Nr. 2, 113:41 cm, im Schnitzkeil der
gleiche Vogel unter Mäanderband, darunter schlanke Eidechse, Band- und Flächenornamente; schwarz, weiß, gelb.
Nr. 3, 118:39 cm, im Schnitzkeil oben derselbe Vogel, von dessen Schwanz ein Dreieck sich abgelöst hat, darunter
schlanke Eidechse (Stil wie Nr. 1 des 12. Schildtyp [aus Kagnia] s. folgende Gruppe). N". 4, 134:43 cm, im Ornament
scheinbar eine Zusammenfassung von Vogel (-schwänz) und Eidechse (Körper als Nase) zu einem Gesicht; oben noch
der stilisierte Vogelschwanz, darangefügt der stilisierte Eidechsenkörper (zwei Nasenquerbalken •— vgl. Fig. 16 im
Körper—der Körper selbst wie Fig. 12) aus den Spiralbeinen der Figur in der folgenden Schildabbildung sind die
nach unten gebogenen Nasenflügel entstanden, ein Mund vorhanden, damit zugleich Übergang zum menschlicheren
Gesicht (vgl. Abb. IX, Nr. 3). Farben vorwiegend weiß und rot. Nr. 5, 129:46 cm, ohne erhabene Fläche, oben und
unten stilisierte Eidechsen, in der Mitte ein Gesicht mit Mund, das dem Querbalken der „Nasenwurzel“ nach (zwischen
den Augen vgl. auch Nr. 4, Nr. 1 unten) aus der stilisierten Eidechse entstanden zu sein scheint. Weiße und rote Farben.
Nr. 6, 112:40 cm, entspricht etwa Nr. 2; bei Nr. 7, 97:42 cm> läuft der Schnitzkeil unten in ein Schnitzband aus. Der
Vogelschwanz liegt als runde Fläche („Stirnplatte“, vgl. Timbunkeschilde) losgelöst zwischen dem Flügelausschnitt.
Nr. 8, 116:47 cm, entspricht Abb. XII Nr. 4, ist aber unter dem großen Flügelornament unverziert.
Abweichenden Typ zeigen folgende drei Schilde, die in der äußeren Form sich der folgenden Gruppe nähern.
Bei Nr. 9, 108:38 cm, läuft ein erhabener Schnitzkeil bis zum dritten Viertel nach unten. Im Ornament oben zwei
Vögel mit langen, herabhängenden, gefiederten Flügeln (Kreisornament auf den „Schultern“!) und langem Schwanz
(Paradiesvogel ?). Dazwischen und unten je ein Gesichtmotiv. Ein großes Flügelornament bedeckt die Seiten. An den
Seiten je zwei Löcher, das Tragband in zwei einander diagonal gegenüberliegenden befestigt (s. Abb. IX, Nr. 3); schwarz,
weiß, rot. Nr. 10, 117:49 cm, oben Schnitzkeil, oben in diesem ein stilisiertes „Gesicht“ (Tier ?) mit Mund, darunter
Eidechsenornament, anschließend ein zweites „Gesicht“ (Vogel), unten 5 gemalte, stilisierte Vogelkörper mit reali-
stischen Köpfen, dem Typ Nr. 3 nahestehend, auf den Seiten großes Flügelornament; Farben lebhaft, schwarz, weiß,
rot, unten frischer. Nr. 11, 113:37 cm, oben Zapfen mit Durchbohrung, Schnitzkeil über ganzen Schild laufend,
Lnienornamente laufen über einer andersgearteten, älteren Schnitzerei aus einfachen Linien, Farben schwarz, weiß,
rot.
XII Scliildtyp Bunaram-Ramu
Siebzehn Schilde (Abb. XII, Nr. I—5, Abb. VI, Nr. 1 und Fig. 19, 21 u. 29). Bei der all-
gemeinen Kennzeichnung dieser Gruppe ist den einleitenden Worten zu den Brettschilden
vom Töpferfluß nur noch hinzuzufügen, daß die Befestigung des Tragbandes verschieden ist.
Bei Nr. 1 ist es nur durch das Rohrgeflecht gezogen und zwar durch zwei nahe beieinander
liegende Löcher des Geflechtes der Rückseite, bei Nr. 14 jedoch mit Befestigung durch
Knoten am Geflecht der Vorderseite. Hier sind die Enden des Bandes um die Schildkanten
nach vorne herum, dann zwischen Schild und Geflecht nach unten gezogen durch das Ge-
flecht hindurchgeführt und dann mit Knoten versehen (s. Abb. XII, Nr. 2). Oft liegen die
Knoten des am Rande durch den Schild hindurchgezogenen Bandes vorn (Abb. XII, Nr. 3),
bei anderen sind die Enden um die Schildkanten geschlungen, deren Löcher manchmal in
diagonaler Richtung zu einander liegen (Abb. XII, Nr. 5). Das Flechtwerk ist allgemein vorn
dicht und trägt ein Muster aus großen, zackigen Bändern. Auf der Rückseite ist das Geflecht
DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-FLUSS
171
sehr weitmaschig und die Rotangstreifen verlaufen (Rechtecke bildend) senkrecht zueinander.
Bei Nr. 5 stecken 4 (Reserve-) Pfeile zwischen Rückwand und Geflecht.
Nr. 1 VI 41 756 Kagnia*) Abb. XII Nr. 1 Fig. 19
Nr. 2 VI 41685 Bunaram
Nr. 3 VI 41755 Bunaram Abb. XII Nr. 3
Nr. 4 VI 41 722 Kagnia*)
Nr. 5 VI 15022
• Nr. 6 VI 41 721 Augadji*) Abb. XII Nr. 4
Nr. 7 VI 41 732 Bunaram
Nr. 8 VI 41 692 Takub*) Abb. XII Nr. 5
Nr. 9 VI 41 693 Ramunga*)
Nr. 10 VI 42092 Bunaram
Nr. 11 VI 41744 ,,5°~km-Dorf“ (Bunaro) Abb. VT Nr. 4 Fig. 29
Nr. 12 VI 41 736 Augadji*) Abb. VI Nr. 4
Nr. 13 VI ? ,,50-km-Dorf“
Nr. 14 VI 15002 Ramu Abb. XII Nr. 2
Nr. 15 VI 42062 Augadji*)
Nr. 16 VI 42037 Ningobadji*)
Nr. 17 VI 42038 Ningobadji*)
*) Die genaue Lage konnte vom Verfasser nicht festgestellt werden (z. T. Angabe: unterer und mittlerer
Töpferfluß)
Größen in cm: 1. 130:48, 2. 128:44, 3- 123:45, 4- H9:45> 5- 133:7°» 6- 130:46, 7. 130:41, 8. 107:42, 9. 91:40,
10. 156, 11. 129:57, 12. 75:28, 13. 80:30, 14. 122:46.
Nr. 1—10 Schnitzkeilbasis am Oberrand; Nr. 1—3 und 5 mit Flechtwerk umgeben (Abb. XII, Nr. 1 und 3), nur
Nr. 2 hat ein (rot und weiß) bemaltes Geflecht und ist außer im Schnitzkeil noch auf den Seitenteilen und unten mit
einfachen Mustern bemalt. Bei Nr. 4 (ohne Flechtwerk) ist die Fläche über dem Flechtwerk oben rot, darunter weiß.
Verwandte Schnitzmuster im Keil (Eidechse ?) haben Nr. 1, 2, 5 einerseits, Nr. 3 und 4 andererseits. Die Knotenenden
des Tragbandes liegen bei Nr. 2—5 vorn (Abb. XII, Nr. 3). Nr. 6—10 (Abb. XII, Nr. 4-—5) ohne Flechtwerk, ganz be-
malt, viele „Gesichter“ (Tierköpfe ?), vom Typ der beiden Rindenmalereien Abb. I oben, bei Nr. 6 besonders fratzenhaft
verzerrt und „behaart“ (Abb. XII, Nr. 4). Nr. 10 ist oval, oben mit Holzzapfen; bei Nr. 6 und 7 Schnitzerei nur im Keil,
im übrigen weiße und rote lineare Zeichnung auf schwarzem Grunde; Nr. 8—10 weiße Linienzeichnung, schwarzer
Grund (Abb. XII, Nr. 5); Nr. 11—12 (Abb.VI. Nr. 4—5), Nr. 13 und 14 (Abb. XII, Nr. 2): Schnitzkeilbasis überragt den
Oberrand, die Keilmuster bei Nr. 11—13 tragen fast gleiches Ornament wie Nr. 1 und 2 jedoch mit anderem, schwung-
volleren Stil, Kreismuster bei Nr. 12 augenförmig; Nr. 11 Keil sehr breit, sternkreisförmige Nebenmuster, am Rande
je 2 Löcher, unbemalt, schwarz; Nr. 12 lebhaft, Nr. 13 matt bemalt; Nr. 14 mit Flechtwerk, Keil breit; Kreismuster
mit anderer Umgrenzung; Nr. 15-—17 kleine Formen („Rückenschilde“) mit roh gearbeiteten Mustern, Keil nicht
hervorragend.
DIE BRETTSCHILDE VON DER KÜSTE
(Berlinhafen bis Holländische Skoh-Küste)
Zum Vergleich mit den bisher besprochenen Brettschilden seien noch die von der Nord-
küste aus der Gegend von Berlinhafen bis zur Holländischen Skoh-Küste kurz erwähnt.
Wir können unter diesen, z. T. sehr großen Schilden zwei Typen unterscheiden, den von Arop
und den von Angriffshafen; gemeinsam ist beiden die scharf rechteckige Form und die Be-
festigung des sehr kurzen Tragbandes, welches durch zwei in der Schildmitte oder in seinem
oberen Drittel dicht neben einander liegende (Arop-Schilde) Löcher der Schildwand ge-
zoge ist.
Schildtyp Arop
Zwölf Schilde (Abb. XIII, Nr. 1—5, Schulze1, Taf. XXXVb, Van der Sande1, Taf. 26,
Nr. 2 und Nr. 11—14).
Nr. 1 VI ? Arop 124:45 cm Abb. XIII Nr. 1
Nr. 2 VI 17605 Arop 130: 50 cm Abb. XIII Nr. 2
Nr. 3 VI 14556 ? 124:52 cm Abb. XIII Nr. 3
1 s. Literaturverzeichnis,
172
E. VV. SCHMIDT
Nr. 4 VI 16968 ? 114:38 cm Abb. XIII Nr. 4
Nr. 5 VI 19947 Berlinhafen 112:37 cm
Nr. 6 VI 17604 Arop 119:55 cm
Nr. 7 VI 23400 ? 131cm
Nr. 8 VI 62845 Arop 154:83 cm
Nr. 9 VI 28426 Arop 160:69 cm
Nr. 10 VI 24859 „Gegend Berlinhafen“ 105:40 cm Abb. XIII Nr. 5
Nr. 11 VI 24858 „Gegend Berlinhafen“ 81:32 cm
Nr. 12 VI 17606 Arop 120 cm
Die Schildwand der Aropschilde ist mehr oder weniger deutlich in der Querachse ge-
bogen. Das Ornament fällt auf durch braunrote und weiße Färbung. Als figürliche Motive
finden wir stilisierte, hockende Menschenfiguren als Randreihenmuster (Abb. XIII, Nr. 1,
Nr. 4 unten und Nr. 3 oben), scheinbar eine Vogelfigur (Abb. XIII, Nr. 2 oben und unten)
den Fisch, zum Teil ganz realistisch bis sehr stilisiert (Abb. XIII, Nr. 5), scheinbar ein
großes Kerbtier (Abb. XIII, Nr. 4 Mitte, mit spitzem Rüssel und umgeknickten Beinen).
Ferner sind häufig Spiralen und einzelne, undeutbare über die Vorderseite verstreute, stark
stilisierte Figuren (Abb. XIII, Nr. 5). Ab und zu ist ein Holzzapfen am Oberrande vorhanden.
Wir finden diesen beim Schildtyp Angriffshafen und die Aropschilde mit Zapfen (Abb. XIII,
Nr. 5) scheinen Ubergangsformen zu sein. Zum Aroptyp gehören auch die Schilde des be-
nachbarten Berlinhafen.
Schildtyp Angriffshafen
Zehn Schilde (Abb. XIV, Nr. 1—4, Neuhauss, Abb, S. 164; S. 103 Abb. 206a (Sissanu).
Nr. 1 VI 9203a Angriffshafen 112:44 cm
Nr. 2 VI 9203b Angriffshafen 111:44 cm Abb, XIV Nr. 4
Nr. 3 VI 9203c Angriffshafen 112¡43 cm
Nr. 4 VI 92036 Angriffshafen 116:53 cm Abb. XIV Nr. 2
Nr. 5 VI 15 169 Angriffshafen 118:47 cm Abb. XIV Nr. 3
Nr. 6VI18301 ? 103:45cm
Nr. 7 VI 30354 Tamimündung (Holl. Neu-Guinea) 129:68 cm Abb. XIV Nr. 1
Nr. 8 VI ? Skohküste 140:71 cm
Nr. 9 VI 42177 Skohküste 152:60 cm Schulze Taf. XXXVb
Nr. 10 VI 30979 Sissanu 186:67 cm Neuhauss Abb. 206a
Flache Wand, nicht oder sehr schwach gebogen, oben ein abgesetzt geschnitzter
Zapfen. Das Ornament fällt auf durch scharf und tief geschnittene Muster (Abb. XIV,
Nr. 1—4), durch fast schwarze unbemalte Oberfläche (Ausnahme Abb. XIV, Nr. 1) und
durch eine Darstellung der Figuren außer in stilisierter auch häufig in sehr realistischer Form.
Aus den Figuren sind zu erkennen der hockende Mensch als Randmuster (Abb. XIV, Nr. 1),
die Eidechse (Abb. XIV, Nr. 2) mit seitlichen Spiralmustern, Vogelköpfe (Nr. 2 oben und
unten) und ähnliche Figuren mit rundem Kopf ohne Schnabel (Menschen ?) ferner der Fisch.
Zu diesem Schildtyp gehören auch die Schilde der Sissanu und die von der Holländischen
Skoh-Küste.
LITERATUR-VERZEICHNIS
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DIE SCHILDTYPEN VOM KAISERIN-AUGUSTA-ELUSS
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tifique Néerlandaise à la Nouvelle-Guinée en 1903,
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S. 404ff. und frühere Berichte: 1913, S. 357ff., 1914,
S. 81 ff. und S. 338ff., 1916, S. 82ff.
TAFEL I
Abb. za Nr. i—6. Schildtyp Potsdamhafen (Leistengriff).
II
Abb. II Nr. i. Gegend April-Maifluß. Nr. 2—4. Schildtyp Kamboa-Kambringi
Abb. III Nr. 1—4. Schildtyp Timbunke. Nr. 5—7. Schildtyp April-Maifluß.
VII
Abb. VIII Nr. i—4. Schildtyp Vogumasch.
Abb. X Nr. 1. Grenzjägerlager, Nr. 2 u. 4. Mäanderberg, Nr. 3. Nordfluß.
Abb. IX Nr. 1—2. Gegend Kamboa-Kambringi. Nr. 3—4. Schildtyp Töpferfluß.
3
Abb. Xa Nr. 1—2. Nordfluß, Nr.
4. Grenzjägerlager.
SCHMIDT
23 Baessler-Archiv. TAFEL IV
Abb. XIII Nr. i—4. Schildtyp Arop (Berlinhafen).
Wg^L
IBI
DIE INTIWATANA (SONNENWARTEN)
IM ALTEN PERU
MIT 8 BILDERN UND 3 FIGUREN
VON
ROLF MÜLLER, POTSDAM.
Nach Beendigung rein astronomischer Studien und nach Auflösung der deutschen
astronomischen Beobachtungsstation in La Paz (Bolivien) unternahm ich in Gemeinschaft
mit Prof. Posnansky aus La Paz eine fast vierwöchige Studienreise zu den Ruinenstätten
Cuzco, Machu-Pijchu, Ollantaytampu und Pisac. Der Hauptzweck dieser Reise war
für mich die Erforschung der sogenannten „Intiwatana“ in den Ruinen des alten Peru.
Intiwatana heißt wörtlich übersetzt; ,,Ort an dem man die Sonne anbindet“, bedeutet
also etwa ,,Sonnenwarte“. In allen Berichten, die uns aus älterer Zeit überliefert sind, wird
schlechthin von astronomischen Observatorien oder astronomischen Beobachtungsstätten
der Inka gesprochen. „An diesen Orten“, so heißt es ungefähr, „beobachtete man die
Stellung der Sonne in den Solstitien und legte die Jahreszeiten fest“ usw. Ich glaube, daß
man mit solchen allgemeinen Redensarten z. T. recht falsche Vorstellungen über die astro-
nomischen Kenntnisse der Inka erweckt hat. Die Frage aber, wie oder mit welchen Hilfs-
mitteln man den Sonnenlauf verfolgte, hat man bisher noch nicht näher geprüft oder zu
beantworten versucht. Man neigt heute in Peru allzu leicht dazu ,Monumente oder Bauten,
die sicherlich nichts mit einer „Sonnenwarte“ zu tun hatten, „Intiwatana“ zu nennen. Ich
hoffe, daß dasBeobachtungsmaterial, welches wir auf unserer immerhin zeitlich beschränkten
Reise Zusammentragen konnten, einen Beitrag zur Frage der Bedeutung der Intiwatana liefert.
Die mitgeteilten geographischen Positionen wurden durch Theodolitmessungen und Ab-
hören des funkentelegraphischen Zeitsignales von Washington bestimmt.
Ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen, Herrn General Kundt, Chef der bolivia-
nischen Armee, für die leihweise Überlassung der drahtlosen Empfangsstation und Herrn
Pater Descotes vom Jesuiten-Colleg in La Paz für seine Hilfe und wertvollen Ratschläge
meinen besten Dank zu sagen. Durch die Vermittlung des peruanischen Gesandten in
Bolivien, Sr. Bustamante Ballivian, wurden unsere Studien in weitestgehender Weise unter-
stützt und gefördert. Allen peruanischen Behörden und den Herren Professoren von der
Universität Cuzco sind wir zu großem Dank verpflichtet.
Cuzco.
Die geographische Lage des Beobachtungsortes (Plaza de Armas) ist folgende:
Geogr. Länge = 4h 47111 54® westl. Gr.1
Geogr. Breite = — 130 31' 24"
Meereshöhe = 3403 m.
1 Bestimmung der Yale Expedition (Am. Journ. of Science XII, 1916). Geogr. Länge = 4h 47™ 56*. Geogr. Breite
= — 13° 31' 29"-
DIE INTIWATANA (SONNENWARTEN) IM ALTEN PERU
179
Der Sonnent empel. Templo del Sol. Coricanclia. Heute Kloster San Domingo.
Wenn Squier in seiner Beschreibung der Ruinen Perus1 den Sonnentempel von Cuzco
„das wichtigste Gebäude nicht nur Cuzcos, sondern ganz Amerikas“ nennt, so ist damit
reichlich viel behauptet. Man kann auch sagen, daß dieses Moment der alten Peru-Kultur
den spanischen Geschichtsschreibern in
ihren Chroniken, in denen sie die ma-
jestätische Größe, Schönheit und die
verschwenderische Pracht des Tempels
und des goldenen Tempelgartens (Cori-
cancha) schildern, Anlaß zu phanta-
stischen Übertreibungen gab. Sicher-
lich gibt es, allgemein gesagt, in den
zahlreichenHistorien über die Geschichte
I TXT
Fig. I. Planskizze vom Sonnentempel in Cuzco.
Bild f. Basismauer des Intiwatana in Cuzco.
des Inkareiches manch wertvolle Überlieferung, das meiste jedoch ist so phantastisch, daß
es eigentlich nur als Legende zu werten ist. Ich will es daher nach Möglichkeit vermeiden,
die Berichte der spanischen Eroberer zur Basis der vorliegenden Betrachtungen zu machen.
Die Beschreibung der Mauerreste des Sonnentempels in den Chroniken des XVI. und
XVII. Jahrhunderts kann im allgemeinen bestätigt werden. Figur 1. (nach Aufzeichnungen
des Pater R. Zarate, Cuzco) gibt als Planskizze die Ruinen aus der alten Zeit. Nach den An-
gaben der Geschichtsschreiber befand sich das Haupttor imNorden. In der äußeren Westecke
des Tempels stand einst eine riesige goldene Tafel, die das Bild der Sonne darstellte, sie soll
aus einem Stück bestanden haben. Die Räume im Innern des Hofes sollen Kultstätten für
den Mond, die Venus, die Plejaden, Donner und Blitz und den Regenbogen gewesen sein.
Schon Squier macht darauf aufmerksam, daß der Tempel keineswegs nach den Kardinal-
punkten, wie oft behauptet ist, sondern nach der Richtung der Hauptstraßen Cuzcos
orientiert war, die seiner Untersuchung nach um etwa 45 Grad gegen die Haupthimmels-
richtungen geneigt verlaufen. Squiers Ansicht trifft, wie ich später zeigen werde, nur
näherungsweise zu.
Etwas zurückliegend im Westen, also dort, wo das goldene Sonnenbild gestanden haben
soll, verläuft im runden Bogen eine große Mauer (Bild 1, Fig. la), die, wie alle Bauten im
1 G. Squier. „Peru, Reise und Forschungserlebnisse in dem Lande der Incas“, Deutsche Übersetzung. Leipzig,
1883.
23*
i8o
ROLF MÜLLER
Sonnentempel, aus schön und präzise bearbeiteten und gefügten Steinen besteht; sie ist
nach oben zu leicht geneigt. Sicherlich befand sich auf ihr als Basis das Heiligtum mit dem
goldenen Sonnenbild und der Intiwatana, der Beobachtungsstand für Sonnenbeobachtungen.
(Fig. ic.) Heute erhebt sich an dieser Stelle der große Hochaltar der Kirche, der alte Inti-
watana wurde zerstört. Irgendwelche Beobachtungen zur Bestimmung der eventuellen
astronomischen Orientierung der auf- oder untergehenden Sonne in Bezug auf den Intiwatana
sind daher heute von hier aus nicht mehr möglich.
Ich wählte alsBeobachtungsstand einen Platz in der noch sehr gut erhaltenen Westwand
des Hofes (Fig. ib). Hier befindet sich im Verlauf der eigentlichen Mauer etwas zurück-
liegend ein sorgfältig behauener und mit Verzierungen und Einbohrungen versehener Mono-
lith, der ehemals mit Goldblättern bedeckt gewesen sein soll.
Aus Azimutmessungen der Sonne ergab sich die Abweichung der Wand zu 230 23' gegen
Nord. Die Strahlen der aufgehenden Sonne fallen also senkrecht auf die Wand und folglich
in die Längsachse des Tempels, wenn die Sonne 23,4° nördlich vom Ostpunkt aufgeht. (Wir
setzen dabei voraus, daß die Längsachse des Tempels senkrecht zu der in Rede stehenden
Wand stand, was angenähert sicher der Fall war.) Nun liegt, wie die Rechnung zeigt, der
Aufgangspunkt der Sonne zur Zeit des Junisolstitiums (des Wintersolstitiums für die südliche
Halbkugel) in der Tat ungefähr in dieser Richtung. Man findet nämlich für die geographische
Breite von Cuzco und unter Berücksichtigung der durch die umgebenden Berge bewirkten
Horizonterhöhung von etwa 5,3° als Azimut der gerade aufgehenden Sonne im Junisolstitium:
Für das Jahr 1929 = 250 33' ]
4 . n, . . n 1 „ n , 1 nördlich der Ostrichtung
Für die Zeit von Christi Geburt = 250 49 ) 0
Die Abweichung von etwas über 2° ist zwar nicht gering, wir können aber nicht wissen,
ob die Richtung von dem goldenen Sonnenbilde zu dem Tor des Sonnentempels, durch
welches das Licht der Sonne einfiel, nicht etwas von der Senkrechten zur Beobachtungswand
abwich. Auch ist zu beachten, daß die Bestimmung der Richtung der Beobachtungswand
schon wegen der Kürze und Neigung der letzteren keineswegs sicher war.
Alles in allem dürfen wir sagen, daß der Sonnentempel ungefähr nach dem Aufgangs-
punkt der Sonne im Wintersolstitium orientiert war, so daß die Strahlen der aufgehenden
Sonne zu dieser Zeit auf das goldene Sonnenbild fielen. Dies entspricht der Überlieferung,
und wie wir sehen werden, ist auch der Intiwatana von Machu-Pijchu nach dem Winter-
solstitium orientiert.
Die Hauptrichtung alter Inkastraßen in
Cuzco.
Das Zentrum des alten Cuzco war der große Platz
Huacaypata, die heutige Plaza deArmas. Nach alten
Überlieferungen soll man von diesem Platz aus Sonnen-
beobachtungen angestellt haben. Die Chronik berichtet,
daß man auf den umliegenden Bergen Steinpyramiden
als Beobachtungsmarken gehabt hat. Jeder Sonnenauf-
oder Untergang hinter solcher Marke entsprach einem
oder zwei bestimmten Daten im Sonnenjahr.
Ich habe von der NO-Ecke des Platzes Huacaypata
(Fig. 2a) einige Punkte vermessen und durch Anschluß
an Sonnenbeobachtungen ihre Azimute bestimmt:
1, Hauptrichtung des heutigen Platzes.
2. Kreuz auf dem Inkafort Sacsahuaman.
Fig. 2. Azimute vom Platz Huacaypata.
11 Iilllii—Wlf *m lili
■i
DIE INTIWATANA (SONNENWARTEN) IM ALTEN PERU
181
3. Richtung der alten Inkastraße1 Calle Loretto.
4. Richtung auf ein Objekt, das fern auf den Bergen steht und vielleicht ein
altes Steinmal ist ?
Richtung Azimut
1 I42° 51
2 159 00
3 327 50
4 99 2
Nm i87.7
Bild 2. Inkastraße, Calle Loretto in Cuzco.
Die Himmelsrichtungen sind in der Figur eingezeichnet. Nm = magnetische Nord-
richtung. Wenn ich vom Azimut der Südrichtung mit o° beginnend über W, N, O fortzähle,
erhalte ich folgende Azimute:
Ich glaube, daß die Hauptrichtung des Platzes ehemals in der
Richtung der Calle Loretto lag, man könnte daher für Azimut 1
ein solches von etwa 148° erwarten. Die ersten oder letzten Strahlen
der im Junisolstitium auf- oder untergehenden Sonne fielen dann
vielleicht in Richtung der Diagonalen des Platzes.
___ _ /7/ Aus fünf Einzelbestimmungen erhielt ich für die magnetische
Nordabweichung (Cuzco, September 1929) den Wert = 7,7° + 0,3° Abweichung nach Osten.
Machu-Pijchu.
Auf eine eingehende Beschreibung der Ruinenstadt Machu-Pijchu muß ich verzichten,
ich verweise auf die Literatur, insbesondere auf die Arbeiten von Bingham2.
Auf dem Panoramabild von Machu-Pijchu (Bild 3) sind zwei Stätten bezeichnet, die
von besonderem astronomischen Interesse zu sein scheinen.
1. Der Turm, den ich im Folgenden mit „El Caracol“ bezeichnen möchte.
2, Das Observatorium, der „Intiwatana“.
Die turmartige Konstruktion des Caracol ist auf einem gewaltigen Felsblock errichtet.
Dieser Steinblock ist unten zu einer großen Höhle (Grabkammer) ausgebaut. Die Bilder
4 und 5 zeigen den Aufgang und die Anlage des Caracol. Ich habe eine Vermessung desselben
1 Die Calle Loretto (Bild 2) führt in grader Richtung von 2 Bingham. „In the Wonderland of Peru.“ The National
dem Platz Huacaypata zum Sonnentempel. Geogr. Magazine. Vol. XXIV, 4, April 1913- XXVII,
2, Februar 1915. Vol. XXIX, 5, Mai 1916.
WjT*- I ■* '■ "
DIE INTIWATANA (SONNENWARTEN) IM ALTEN PERU
und der anliegenden Gebäude vorgenom-
men, die in Fig. 3 wiedergegeben ist. Der
eigentlicheCaracol(Schnecke) und das an-
schließende doppelstöckige Haus (Fig. 3, 1
u. la) ist aus sorgfältig behauenen und ge-
fügten Steinen errichtet, gehört also einer
Zeitepoche an, die wahrscheinlich weit vor
der eigentlichen Inkaperiode liegt und mit
Recht „Praeinkaperiode“ genannt wird.
Die beiden südlich gelegenen Gebäude
(2 u. 3) sind aus roherem Material gefügt
und wohl viel später erbaut (Inkaperiode).
Die Hauptrichtung der drei Gebäude
la, 2 u. 3 habe ich vom Beobachtungs-
stand c aus bestimmt, es ergibt sich ein
Azimut von i7°o' östlich der Südrichtung.
In dem Rundbau der Schnecke befinden
sich 2 Fenster, deren Richtungen ich von
dem beliebig gewählten Beobachtungs-
stand d aus festlegte. Auffallend ist, daß
die Blickrichtung der Fenster südlich und
nördlich der Ostrichtung liegt, also zum
Aufgangshorizont der Sonne zeigt. Vom
genannten Beobachtungspunkt aus ist der
Öffnungswinkel 67,1° und die Abweichung
der Durchblicke von der Ostrichtung 14,2° nördlich resp. 52,9° südlich. Es liegt die Vermutung
nahe, daß man die Fenster wenigstens roh nach den Aufgangspunkten der Sonne in den
Solstitien orientierte. Die Winkelöffnung müßte dann, entsprechend der Horizonterhöhung
und dem Polhöheneinfluß, etwa 510 betragen. Hätte ich meinen Beobachtungsplatz etwa
Bild 4. Aufgang zum Caracol in Machu-Pijchu.
Bild 5. Nischenwand im Caracol in Machu-Pijchu.
184
ROLF MÜLLER
2 m zurück und etwas seitlich (südlich) verschoben, dann würden die Fenster symmetrisch
zur Ostrichtung nach den Aufgangspunkten der Sonne zur Zeit der Solstitien schauen.
Es ist erstaunlich, mit welcher Sorgfalt und Genauigkeit die Baumeister jener Zeit ihr
Werk ausführten; besonders bemerkenswert ist die gleichmäßige Abmessung der vielen
Nischen, die in die Wände eingebaut sind. Die folgende Übersicht gibt die Vermessung von
Türen und Nischen im Caracol.
Nische Abstand von der Ecke a zur Mitte der Nische Brc oben dte unten Höhe Tiefe Tür Breite oben unten Höhe
1 °,555 ш 0,42 0,52 0,83 o,37 I 1, 14a)
2 1,890 o,4i o,53 0,80 0,365 II 1, 4
3 ЗА25 °,4°5 o,53 0,80 0,36 III 0,80 0,95
4 4,365 °,42 o,54 0,805 o,35 IV 0,78 1,03 1,98b)
5 S,i606 0,42 0,52 0,80 0,36 2,20°)
6 6,835 0,40 o,53 o,79 0,36 V 0,85 0,96 L75c)
7 8,085 0415 o,53 0,805 0,36
Mittel-
werte 0,4 *3 o,53 0,804 0,361
a) Mittelwerte
b) bis zur Schwelle
c) bis zum Boden
Abstand von der Breite
Nische Ecke b zur Mitte Höhe Tiefe
der Nische oben unten
8 а со o,45 О I ön -H 1 0,80 0,295
9 2,455 o,47 o,55.c 0,81 0,300
Mittlere Wanddicke = 0,645
Das Observatorium (Intiwatana).
Wenn mir heute die Aufgabe zufiele, im Gelände von Machu-Pijchu einen geeigneten
Platz für Sonnenbeobachtungen zu suchen, so könnte die Wahl nur auf die Stelle fallen,
wo man auch einstmals den großen Kalenderstein, den Intiwatana, errichtete. Er liegt auf
einer kleinen Kammhöhe, zu der bequem behauene steinerne Treppen führen; von hier aus
ist der Horizont, abgesehen von den Erhöhungen der fernliegenden Berge, frei, und der
Lauf des Tagesgestirns kann vom Auf- bis zurr Untergang verfolgt werden. Der Aufbau der
Sonnenwarte ist folgender: Aus einem gewaltigen Felsblock (Bild 6) von 10 m Umfang ist
ein Quaderblock ausgehauen, der nach oben konisch zusammenläuft. Figur 4 gibt eine
Ansicht des Gnomons von SW gesehen. Wie aus den Maßen hervorgeht, ist der Kopf des
Blockes abgeplattet; die obere abschließende Fläche hat eine Neigung von 29,3° gegen die
Horizontalebene. Die Hauptorientierung der beiden größeren Flächen des Intiwatana liegt
27?5° resp. 25,5° nördlich der Westrichtung.
Die astronomische Deutung dieser Orientierung geht aus der Figur 5 hervor. Zur Zeit
des Junisolstitiums liegt der Untergangspunkt der Sonne (Sonne untergehend vom
Intiwatana in Machu-Pijchu aus beobachtet) 26,6° nördlich der Westrichtung. Fast in
dieselbe Richtung fallen die ersten Strahlen der im Sommersolstitium (23. Dezember) auf-
gehenden Sonne; der Aufgangspunkt der Sonne liegt dann etwa 23,3° südlich der Ostrichtung,
(Die Verschiedenheit der beiden Winkel wird durch die Horizontverhältnisse bedingt). Die
Azimute einer im wahren Horizont auf- oder untergehenden Sonne liegen im Junisolstitium
240 2,9' nördlich der Westrichtung und im Dezembersolstitium 240 9,8' südlich der Ost-
Bild 6. Der Intiwatana in Machu-Pijchu.
richtung, (es ist dabei mit einer Ekliptikschiefe von 230 27'o", einer Refraktion von 30' und
einem mittleren Sonnenhalbmesser von 16' 2" gerechnet.) D. h. also die Strahlen der unter-
oder aufgehenden Sonne fallen um die Zeit der Sonnenwenden fast genau längs der Haupt-
kanten des Gnomon. Die Diagonallinie A1? A3 liegt ungefähr in der West-Ostrichtung. In
ihrer Verlängerung nach Ost resp. West liegen die Auf- resp. Untergangspunkte der Sonne
zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche,
Die geographischen Koordinaten der Ruinenstadt Machu-Pijchu sind:,
Geogr. Länge = 411 50,5m westl. Gr.
Geogr. Breite — — 130 1,7'
Die Höhe des benachbarten
Felskegels Pichu-Pijchu ist =
2694 m ü/M. Die magnetische
Nordrichtung liegt 9,4° östlich
vom astronomischen Nordpunkt
(3 Bestimmungen, Sept. 1929)
Wenige Kilometer flußab-
wärts von Machu-Pijchu liegt
im Tal ein großer Felsblock,
der einstmals von Künstlerhand
s<< sorgfältig ausgearbeitet wurde,
die Eingesessenen nennen ihn
Fig. 5- Aufsicht und Orientierung des Gnomons von Machu Pijchu. ¿en Int:watana VOn Arobam-
Su = Richtung zum Sonnenuntergangspunkt. ”
Sa = „ „ Sonnenaufgangspunkt. bau. Meine Messungen zeigen,
24 Baessler-Archiv.
i86
ROLF MÜLLER
daß ihm keine astronomische Bedeutung zukommt. Die Hauptorientierung des Monumentes
läuft fast genau in nordwestlicher Richtung.
Pisac.
Einer der bekanntesten Intiwatana ist der von Pisac, eine Tagereise von Cuzco entfernt.
Das ganze Bauwerk, dessen Basis natürlicher Fels bildet, hat die Form des BuchstabenD
(Figur 6). Wie bei allen Konstruktionen aus dieser Epoche sind die Umfassungsmauern leicht
geneigt, die obere Umfassung mißt etwa 23 m im Umfang. Fünf Stufen führen durch ein
Bild 7. Aufgang zum Intiwatana in Pisac.
Ost
\
\
c
Fig. 6. Aufsicht des Intiwatana
von Pisac.
Portal (Bild 7) zur Plattform des Intiwatana. Auf einer fast eben ausgeschliffenen Fläche
ist ein konisch zylindrischer Zapfen von 40 cm Höhe und einem oberen resp. unteren Durch-
messer von 23 resp. 28 cm ausgespart (Figur 6a). Noch innerhalb des eigentlichen Rundbaues
liegt etwa y2 m tiefer ein zweiter Zapfen gleicher Form (Figur 6b). Ein dritter Zapfen befindet
sich außerhalb des Intiwatana (Figur 6c).
Die Bedeutung der Zapfen bleibt rätselhaft, irgendwelche astronomische Orientierung
der Verbindungslinien zwischen den drei Pfeilern in Bezug auf Sonne oder Mond sind nicht
zu erkennen; und doch kann ich mich nicht des Eindruckes erwehren, daß der Turmbau von
Pisac ein Intiwatana, eine astronomische Kultstätte, war.
Fine Längenbestimmung habe ich in Pisac nicht vorgenommen, durch Anschluß an
Kartendaten ergibt sich die geographische Länge zu 4h 47,2m westl. Gr. Die geographische
Breite von Pisac ist 130 25,6'. Meereshöhe = 3485 m. Magnetische Nordabweichung
= 7,o° nach Osten.
DIE INTIWATANA (SONNENWARTEN) IM ALTEN PERU
187
Ollantaytampu.
Oberhalb der alten Feste Ollantaytampu befindet sich ein Gebäude, das mir als Inti-
watana bezeichnet wurde. Auch Squier nennt in seinem Werk diesen Platz Intiwatana. Die
wenigen Ruinenreste geben heute keinerlei Anhalt dafür, daß es sich hier tatsächlich um eine
alte Beobachtungsstätte handelt.
Besondere Aufmerksamkeit verdient im Ruinenfeld von Ollantaytampu eine aus sechs
gigantischen Blöcken gefügte Mauer. Ich habe ihre Hauptorientierung vermessen sie verläuft
etwa in nordöstlicher Richtung, 370 32' nördlich der Ostrichtung.
Eine Ansicht dieser Wand zeigt das Bild 8.
Ollantaytampu: Geogr. Länge — 411 49,qm westl. Gr.
Geogr. Breite — — 130 20,3'.
Bild 8. Große Wand in Olllantaytampu.
24
Besprechungen.
Schmidt, Max, Kunst und Kultur von Peru. Berlin,
Propyläen-Verlag, 1929. 40. n6 S. Text, 452 S. Abb.,
18 färb, lafeln, 42 S., Katalog u. Register, 1 Karte.
Das Werk besteht aus zwei Teilen, einem kürzeren
lext- und einem umfangreicheren Bilder- resp. Tafel-Teil.
Die Darstellung wird eingeleitet durch eine Beschrei-
bung der Landschaft des altperuanischen Reiches, das
seiner äußeren Natur nach hauptsächlich in vier ver-
schiedene Zonen einzuteilen ist. Küstengebiet (Costa) —
die Ebenen an den Gipfeln der Cordilleren (Despoblado
oder schwarze Puna) — das große Plateau zwischen den
beiden großen Gebirgsketten (Sierra) — das Gebiet der
östlichen Andenabhänge (Montana). Anschließend folgt
eine Skizze über den Verschmelzungsprozeß der einzelnen
Bevölkerungsteile des sich gewaltsam ausdehnenden Inka-
reiches. Der hiermit verbundene Assimilationsprozeß be-
wirkte, daß die Inkaperuaner zur Zeit der Ankunft der
Spanier ein mehr oder weniger einheitliches Gepräge zeig-
ten. Wir werden kurz über die innerpolitische Krise und über
die Eroberung durch die spanischen Conquistadoren (nach
Prescott) orientiert.Währenddie Literatur nur Aufschlüsse
über die unter dem nivellierenden Einfluß der späteren
Inkaherrschaft stehenden alten Peruaner gibt, besitzen
wir in den archäologischen Funden eine Quelle, die uns
Kenntnisse der bis in entlegenste Zeiten hineinreichenden
übrigen Kulturen vermittelt. Aus diesem archäologischen
Material geht hervor, daß die vorinkaische Zeit keines-
wegs dasselbe einheitliche Kulturbild aufweist wie die
Inkaepoche. Eine Anzahl abweichender Kulturen haben
bestanden, die räumlich nebeneinander und auch zeitlich
übereinander gelagert sind( S. 21).Verfasser unterläßt es mit
Recht, in dem engen Rahmen seiner Arbeit irgendwelche
absolute Altersbestimmungen der einzelnen Kultur-
perioden zu fixieren und verwirft die unter den Namen
„Protonasca“, „Protochimu“ usw. konstruierten Kultur-
perioden, da bisher systematische, nach streng wissen-
schaftlichen Prinzipien ausgeführte, Grabungen im alten
Peru noch sehr wenig ausgeführt worden seien (?). Auch die
Versuche durch astronomische Hilfsmittel zu festen
Daten zu gelangen können nach Ansicht des Verfassers
als Grundlage für weitere Schlußfolgerungen vorläufig
nicht in Betracht kommen, obwohl der letzten Methode
(Posnansky) Anerkennung darüber ausgesprochen wird,
daß sie die Zeitbestimmungen aus dem bisherigen engen
Rahmen heraushebt. Die Möglichkeit, daß die altperu-
anischcn Kulturen ebenso weit zurückreichen wie die
ältesten altweltlichen Kulturen, besteht durchaus. Die in
letzter Zeit wieder in den Vordergrund tretende Frage,
ob direkte altasiatische Einwanderungen für die Ent-
stehung der peruanischen Kultur maßgebend gewesen
seien, wird mangels ausreichender Beweismaterialien vom
Verfasser abgelehnt. Ebensowenig Wert mißt Verfasser
den Theorien über eine direkte Übertragung von Kultur-
elementen der Maya nach dem alten Peru bei. Lediglich
die Annahme indirekter,Verkehrsbeziehungen, über deren
Art allerdings zur Zeit noch nichts bekannt sei, die aber
zu Kulturbeeinflussungen zwischen Andengebiet und
Zentralamerika geführt haben, kann nach seiner Auf-
fassung sachlichkritischem Urteil standhalten. Diese
müßten nach Ansicht des Referenten wegen der sehr
großen kulturellen Verschiedenheiten in sehr früher Zeit
stattgefunden haben, und eine bis in die Inkazeit hinein
dauernde frühzeitig erfolgte Unterbrechung bewirkte
dann, daß beide Kulturen ihre getrennte Entwicklung
fortsetzten (vgl. Krickeberg, W., Mexikanisch-peruanische
Parallelen. Festschrift P. W. Schmidt, 1928). Eine grund-
sätzliche Ablehnung der Frage nach vorculumbischen
Beziehungen amerikanischer und altweltlicher Hochkul-
turen liegt aber dem Verfasser auch nicht im Sinn. Tat-
sächlich ist die Erkenntnis hinsichtlich dieser Probleme
noch so lückenhaft, daß es Referenten ratsam erscheint,
diesen ganzen Komplex vorläufig noch nicht aufzurollen,
sondern erst einmal möglichst völlige Klarheit über die
amerikanischen Hochkulturen auch in geschichtlicher Be-
ziehung zu erlangen. Im Grunde sind wir über die amerika-
nisch-asiatischen Zusammenhänge noch nicht viel besser
orientiert als Alexander von Humboldt, der in seinem
„Kosmos“ schon hinwies auf die auffallende Überein-
stimmung in religiösen Überlieferungen, Zeiteinteilung
und Werken der Kunst in Amerika und im östlichen
Asien; auf die Wanderungen der mexikanischen Völker,
auf jene alten Mittelpunkte aufdämmernder Zivilisation
in Atzlan, Cuivira und des oberen Louisiana, sowie in den
Hochebenen von Cundinamarca und Peru. Die Möglichkeit
ist m. E. noch nicht von der Hand zu weisen, daß es einst
gelingen wird, Beweise (Fusang-Problem) für überseeische-
asiatische Beziehungen (auf Grund von Wanderungen
in südlicheren Breiten als die Beringsee) in den Zentral-
und Südamerikanischen Hochkulturen zu erbringen.
(Krickeberg, W., Vorcolumbische Kulturbeziehungen
zwischen Amerika und Asien, Stein der Weisen, Heft
20, 1927, S. 460/63. Klapproth, Ostasien und West-
Amerika, Zeitschr. f. allg. Erdkunde, Berlin, 1833.
Erkes, Chinesische-amerikanische Mythenparallelen,
Tagungsber. d. deutsch. Anthropol. Ges. 45.—47. Verslg.,
S. 85!. Kunike, H., Die Quadranten-Theorie. Asien und
Amerika in ihren ältesten mythologischen Zusammen-
hängen. Der Erdball, 1930, Heft 1, 2 und folgende) u. a.
Viel Wahrscheinlichkeit muß man auch der Auffindung
malaio-polynesischer Einflüsse zugestehen, aber Rivet
geht doch wohl entschieden zu weit, heute schon vor-
columbische Handelsbeziehungen zwischen Ozeanien und
Amerika anzunehmen. (Vgl. Friderici, Die vorcol. Ver-
bindungen der Südseevölker mit Amerika, Mittig, a. d.
deutsch. Schutzgeb. Bd. 36, Heft 1, 1928, S. 27/51.
Ders. im Anthropos, 1929, Heft 3/4, S. 441 ff. Imbelloni.
Einige konkrete Beweise für die außerkont. Beziehg. der
Ind. Amerikas. Mittig, der Anthr. Ges. Wien, 58, 1928,
S. 301 ff). Aus rein praktischen Erwägungen heraus hat
Max Schmidt derartige Hypothesen vorläufig überhaupt
nicht berücksichtigt. Es bleibt abzuwarten, ob die aller-
letzte Theorie von H. Kunike (Der Erdball, 1930, Heft 1,
BESPRECHUNGEN
2 und folgende), die sog. „Quadrantentheorie“, neue
positive Resultate bringen wird.
Nach dem bisherigen Befund stellt Verfasser folgende
Beziehungen der verschiedenen peruanischen Kulturen
fest: einer niedrigstehenden Bevölkerungsschicht (Fischer-
bevölkerung; heutige Uro und Chango ?) am Anfang der
Entwicklung steht als Endglied die eigentliche Inkakultur
gegenüber, die von Cuzco im Hochland sich ausbreitete;
örtlich bezeichnet durch die Hauptfundstätten: Tacna
und Arica, bei Ica, Pachacamac, bei Ancon und bis
hinauf nach Ecuador. Eine weitere deutlich gekenn-
zeichnete Kulturschicht, die sog. Tiahuanaco-Kultur, ging
der Inkakultur voraus. Sie ist weit nach Norden und bis
an die Küste verbreitet gewesen. Ihren Brennpunkt kenn-
zeichnet die bekannte (schon von den Inkas als vor-
geschichtlich angesehene) Ruinenstätte von Tiahuanaco.
Im Norden zeichnen sich die sog. Chimu oder Mochica ab.
Aus den Ruinenstätten Trujillo und Chimbote hat das
prächtige Berliner Sammlungsmaterial (Keramik, Holz
und Metallerzeugnisse) herangezogen werden können.
Südlich davon z. B. in Ancon lassen sich nach den bis-
herigen Funden nach Ansicht des Verfassers verschiedene
Stile erkennen, die entweder durch räumliche Verschie-
bungen benachbarter Kulturgebiete zu verschiedenen
Zeiten oder durch einen Gütertauschverkehr oder schließ-
lich dadurch entstanden sind, daß Leute aus den ver-
schiedenen Nachbargebieten auf denselben Begräbnis-
plätzen samt ihrer Habe begraben worden sind.
Die dicht beieinander gelegenen aber doch ganz ver-
schiedenartigen Kulturen von Ica und Nasca, mit ihrer
plektogenen resp. figürlichen Ornamentik, werden ver-
schiedenen Zeitperioden zugerechnet. (Voriges S. 22 ff.)
In den folgenden vier Hauptabschnitten des Buches
wird unter Zugrundelegung des reichen Materials aus dem
Berliner Museum für Völkerkunde „ein möglichst voll-
kommenes Bild der altperuanischen Kulturen in ihren
verschiedenen zeitlichen und räumlichen Erscheinungs-
formen“ gegeben, wobei Verfasser die Verteilung des
Stoffes im Anschluß an das in seiner „Völkerkunde“
(Verlag Ullstein, Berlin) näher begründete System vor-
nimmt.
Die Darstellung beginnt mit den Lebensnotwendig-
keiten (Ernährung, Körperbehandlung, Kleidung und
Wohnung, Sport, Spiel und Kult). Es folgt ein Abschnitt
über die materielle Wirtschaft, eingeteilt in Urproduktion
(Bodenkultur, Fischfang, Jagd, Tierzucht), gewerbliche
Produktion (Töpferei, Metallverarbeitung, Holz-, Stein-
und Fellbearbeitung, Flechterei, Weberei, Knüpferei) und
Transport und Erhaltung der Sachgüter. Daran an-
schließend wird die soziale Wirtschaft, die soziale Or-
ganisation des Inkareiches und der soziale Wirtschafts-
prozeß (Sachgüterproduktion — Sachgüterbewegung) be-
handelt. Den Abschluß bildet die geistige Kultur. Zu-
nächst die Kunst geordnet nach Materialien und gruppiert
nach den Kulturprovinzen, dann die Religion, die in den
vorigen Abschnitten schon teilweise behandelt wurde, an
Hand einiger wichtiger Mythen.
Der zweite umfangreichere Teil des Werkes enthält die
systematisch geordneten Bilder und Tafeln in geradezu
glänzender Reproduktionstechnik. Dank Herrn Wiemanns
fachmännischer Hilfe im Propyläen-Verlag.
Ein Abbildungsverzeichnis, eine archäologische Karte
sowie ein Register vervollständigen das Werk. Ein
Literaturverzeichnis fehlt leider.
189
Das gelungene Buch füllt eine Lücke in der bisherigen
Literatur über Peru aus. Über 1350 Gegenstände der
Berliner Sammlungen aus Ton, Metall, Holz, Knochen,
Stein und Muschelschale, Geweben, Geflechten, Knüpf-
arbeiten, Mumien und Mumienteilen, sowie 22 Ansichten
von Ruinen und Ruinenstätten werden hier größtenteils
zum erstenmale veröffentlicht.
Der lext ist kurz gehalten, gemeinverständlich und
klar geschrieben und vermeidet die vielfach übliche
hypothetische Theorienphraseologie; er harmoniert
bestens mit dem oft zitierten Abbildungsmaterial.
Das Werk ist recht geeignet, als Handbuch die Grund-
lage für weitere Forschungen zu bilden.
Dr. Günther Stahl, Berlin.
Preuß, K. Th., Monumentale vorgeschichtliche Kunst.
Ausgrabungen im Quellgebiet des Magdelena in
Kolumbien und ihre Ausstrahlungen in Amerika.
Bd. I (Text), II (Tafeln und Abbildungen nebst Ver-
zeichnis). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1929.
8°. 12, 116 und 15 Seiten, 87 Tafeln, 193 Abbildungen
und 1 Karte.
Erratischen Blöcken gleich ragen große, steinerne
Monumente aus dem Dunkel der amerikanischen Vorzeit
in unsere Gegenwart hinein, scheinbar wurzellos und
ohne Beziehung zu bekannten Völkern neben den sonstigen
mittel- und südamerikanischen Denkmälern, die sich mit
den Hauptkulturvölkern der Neuen Welt verknüpfen.
In Mittelamerika sind es die Monumente von Santa
Lucia Cozumalhuapa nahe der pazifischen Küste
Guatemalas, in Südamerika die von San Agustín im
innersten Winkel des Magdalenatals zwischen der kolum-
bischen Zentral- und Ostkordillere, die uns die meisten
Rätsel aufgeben. Man hat sie zwar auch mit bekannten
Völkern, den Pipil bzw. Andaqui, in Verbindung gebracht,
aber doch eigentlich nur deshalb, weil diese Völker zur
Zeit der Entdeckung in der Nähe der Fundstellen wohnten,
während es andererseits sicher ist, daß die Spanier jene
alten Kulturen, von denen die Monumente zeugen, nicht
mehr am Leben trafen. Deutsche Forscher haben uns die
beiden alten Kulturen erschlossen und deren wesentlichste
Denkmäler in Originalen und Abgüssen dem Berliner
Museum zugeführt, zu dessen größten Schätzen sie ge-
hören. Aber während es Karl Hermann Berendt versagt
blieb, die Früchte seiner entsagungsvollen Arbeit in Santa
Lucia Cozumalhuapa zu ernten, bei der er den Tod fand,
ist der Erforscher der Monumente von S. Agustín, Konrad
Theodor Preuß, nicht nur in der Lage gewesen, Originale
und Abklatsche trotz der schwierigsten Verhältnisse kurz
nach der Beendigung des Weltkrieges (1919) selbst nach
Berlin zu überführen und ihre Aufstellung zu leiten,
sondern auch die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner
Grabungen in S. Agustín (Mitte Dezember 1913 bis Ende
März 1914) in vollem Maße auszuschöpfen. Die deutsche
Amerikanistik ist dadurch, nach einer langen Pause der
Stagnation auf dem Gebiet archäologischer Forschung,
um ein Werk bereichert worden, auf das sie stolz sein
kann.
Schon in seiner Anlage sticht das Werk in mancher
Beziehung vorteilhaft von anderen, die die amerikanische
Archäologie der letzten Jahrzehnte hervorgebracht hat,
ab. Es ist zunächst trotz hervorragender und völlig aus-
reichender Bildausstattung von handlichstem Format,
was jeder, der öfters mit Wälzern etwa von der Art der
i —
BESPRECHUNGEN
190
„Archaeology“ Maudslays, der Pachacamac-Publikation
Uhles und der „Altperuanischen Kunst“ Bäßlers zu tun
gehabt hat, besonders zu schätzen wissen wird. In der
Anordnung des Textes ist streng zwischen dem Bericht
über den objektiven Befund (S. 15—75) und den Schluß-
folgerungen daraus (S. 75—116) unterschieden, eine
Selbstverständlichkeit, die aber leider oft nicht beachtet
wird. Endlich gibt die peinliche Gewissenhaftigkeit und
Genauigkeit der Beschreibungen, die bildliche Darstellung
der einzelnen Ausgrabungsphasen und die Nebeneinander-
stellung von Photographien der Originalstücke und der
Abgüsse, zu denen oft noch Zeichnungen wichtiger,
schwer erkennbarer Einzelheiten kommen, dem Benutzer
das beruhigende Gefühl, hier einem ganz einwandfreien
Material gegenüberzutreten. Die Methodik der archäologi-
schen Berichterstattung ist es denn auch, die den Ver-
fasser im Vorwort zu einem längeren Exkurs veranlaßt
hat, in dem er seinen Standpunkt in der bekannten
Kontroverse mit W. Lehmann über die drei Kultur-
schichten des mexikanischen Hochlandes entwickelt.
Die Geschichte der Erforschung S. Agustins ist kurz.
Aus der Entdeckungszeit gibt es keine Berichte über die
Denkmäler, die damals anscheinend schon im tiefen
Urwald begraben lagen, in den später die kreolische Be-
völkerung des Caucatals rodend vordrang. 1851 erhält die
Wissenschaft die erste Kunde von den Denkmälern durch
Rivero undTschudi. 1857 weilt der italienische Geograph
Codazzi an der Stätte und skizziert 34 Statuen und
einige der Schreine, in denen sie einst standen; seine Be-
schreibungen und Zeichnungen, in dem Werk des Felipe
Pérez über die Geographie Kolumbiens niedergelegt,
bilden die Grundlage aller weiteren Forschung bis 1913.
Denn die Zahl der bekannten Monumente vermehrt sich
in der Folgezeit, wo Stübel (1869), Ed. André (1876),
Dowding (1899) und Stöpel (1911) S. Agustín besuchten,
nicht wesentlich, auch gelangen nur wenige Abgüsse und
nur zwei Originalfiguren (Taf. 44,2 und 46,1) durch diese
Forscher in europäische Museen. Erst durch Preuß’ Tätig-
keit wird die Fundstätte in ihrem ganzen Umfange bekannt.
Er dehnt seine Untersuchungen über das bisher aus-
schließlich erforschte, spitze Dreieck zwischen Magdalena
und Naranjo hinweg auf das linke Magdalena-Ufer aus,
also auf ein sechsfach größeres Gebiet (500 qkm), und
entdeckt 74 neue Statuen sowie zahlreiche Schreine und
Gräber. 14 kleinere Steinfiguren und -köpfe, darunter
zwei besonders schöne und charakteristische (Taf. 35,4
und 77), werden ins Berliner Museum überführt, von allen
übrigen Abklatsche genommen, eine Arbeit, die in dem
regenreichen Klima und bei den verhältnismäßig be-
scheidenen technischen Hilfsmitteln des Forschers eine
außerordentliche Leistung darstellt; denn die überaus
schweren steinernen Deckplatten mancher Schreine (die
größte maß 4,40 x3,06 m) mußten oft erst entfernt
werden, um die darunter verborgenen, in die Erde ge-
sunkenen Statuen zum Vorschein zu bringen.
In der sog. „Meseta“ w. des heutigen Ortes S. Agustín,
von der etwa 40 größere Steinfiguren stammen, und im
„Alto de las 1 iedras“ n. vom Magdalena lagen die Haupt-
fundstellen. Leider wurde eine große Zahl von Statuen
nicht mehr an ihrer ursprünglichen Stätte gefunden;
14 der größten sind auf dem Dorfplatz von S. Agustín
aufgestellt, andere bilden heute die Basis von Holz-
pfeilern des Kirchenportals, Bordschwellen usw., noch
andere wurden nach Bogotá überführt. Von der ursprüng-
lichen Aufstellung gab insbesondere die Untersuchung der
drei „Tempel“ oder besser Schreine der Meseta ein gutes
Bild. Es sind rechteckige Kammern, die von mächtigen,
unbearbeiteten, auf die Kante gestellten Steinplatten als
Seitenwänden und einer oder mehreren Deckplatten ge-
bildet werden. Diese an einer Seite offenen Kammern sind
mit Erde bedeckt, oft auch etwas in die Erde versenkt,
hauptsächlich aus praktischen Gründen, um die Seiten-
platten zu stützen und die Deckplatten leichter auf die
letzteren hinaufzubefördern. Die Gräber sind auf allen vier
Seiten geschlossen, sonst aber in ihrer Konstruktion den
Schreinen ganz ähnlich. Während jedoch die Gräber
große, gutgearbeitete, oft mit Deckeln versehene mono-
lithische Steinsärge enthalten, sind in den Schreinen oder
in ihrer unmittelbaren Umgebung Statuen aufgestellt, in
den Schreinen gewöhnlich eine Haupt- und zwei Begleit-
figuren ; bisweilen werden die letzteren durch Ritz-
zeichnungen oder Flachreliefs auf den Seitenplatten
ersetzt. Die freistehenden Statuen aus vulkanischem
Gestein (Dacit, Andesit, Basalt) lassen noch deutlich den
Ausgangspunkt dieser Rundplastik, den rechteckigen
Pfeiler, auf dem die Figur zunächst reliefartig wieder-
gegeben wurde, erkennen. Bekanntlich ist die monumen-
tale Rundplastik aller amerikanischen Kulturvölker auf
diesen Ausgangspunkt zurückzuführen, selbst in ihren
vollkommensten Beispielen, den Mayastelen von Copän
und Quiriguä.
Daß es sich bei den Funden von S. Agustin um eine
Kultur von selbständiger Eigenart, langer Dauer und
ehrwürdigem Alter handelt, lehrt ihr einheitlicher Stil,
die unverkennbare Entwicklung, die sich im Sinne einer
allmählichenVervollkommnung der plastischenAusdrucks-
fähigkeit vollzogen hat, und der archaische Charakter der
Bauten und Skulpturen. An zwei Orten war es Preuß
möglich, eine ältere und jüngere Periode der Kultur fest-
zustellen (S. 55, 104). Leider sind die sonst zur Gewinnung
einer relativen Chronologie so brauchbaren Kleinfunde in
S. Agustin spärlich und wenig charakteristisch; z. B.
trägt die Keramik ein recht einförmiges Gepräge mit
bescheidener Ornamentik. Um so wichtigere Resultate
hat Preuß’ Analyse der Denkmäler ergeben, insbe-
sondere was den geistigen Gehalt der Kultur betrifft.
Die Menschen von S. Agustin waren seßhafte Ackerbauer,
die neben der Steinmetzkunst auch den Goldguß pflegten,
wie die häufig dargestellten goldenen Zierate an Stir^,
Brust und Rücken beweisen. Sie verehrten außer Natur-
gottheiten — Mond- und Erdgöttinnen, Wasser- und
Windgöttern, Sonnengöttern — „Stammesgötter“, d. h,
Heilbringer von der Art Quetzalcouatls oder Huirakochas
(auch Fluirakocha formt die Menschen aus Stein, wie
die Stammesgötter von S. Agustin, die mehrfach Ham-
mer und Meißel als Embleme führen); die vielspältige
Wesensart dieser Götter wird durch die Begleitfiguren
ausgedrückt, die in den Schreinen neben der Hauptfigur
stehen. Trotz der großen Mannigfaltigkeit der Darstel-
lungen, unter denen sich kaum ein Motiv wiederholt, ist
es möglich, ganze Gruppen von Figuren als zusammen-
gehörig zu erweisen; sie stehen gewöhnlich auch räumlich
in engerer Beziehung zueinander, so daß die ganze
Fundstätte sich in eine Anzahl heiliger, bestimmten
Gottheiten geweihter Bezirke gliedert. Zu den für S.
Agustin typischen Darstellungsformen übernatürlicher
Mächte gehören das fast allgegenwärtige Maul mit den
hervorstarrenden, spitzen Eckzähnen, die krallenartig ge-
.*se•>’>
il
*$- OH
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
191
krümmten Finger mancher Erdgöttinnen (beides deutet
auf Beziehungen zum Jaguar hin), die diademartige
Gesichtsumrahmung der Sonnengötter, das kleine, aus
dem Maul von Wassergöttern hervorkommende Wesen
mit Tier- oder Menschengesicht (4 Beispiele) und die
merkwürdige Zweigestaltigkeit mancher „Stammes-
götter“, über deren Gesicht ein zweites erscheint, von
dem ein langer, doppelter Schlangenleib mit Köpfen an
den Enden ausgeht (5 Beispiele). In einem Falle ist die
Zweigestaltigkeit, das „Zweitelch“, durch ein Wesen mit
elefantenartigem Kopf, das auf dem Rücken eines anderen,
menschengestaltigen hockt, ausgedrückt (Taf. 5°)- Mit
Ausnahme der zuletztgenannten Variante kehren alle diese
Formen in Peru wieder; die Darstellung des „Zweiten Ich“
ist in der Chavin- und Nazca-Kultur allerdings etwas modi-
fiziert, während Steinfiguren von Nicaragua und vom Rio
Trombetas hierin der Darstellungsweise der S. Agustin-
Monumente näher stehen (S. 112—114). Das Gesicht der
S. Agustin-Kultur ist also nach Süden gekehrt, und es
hängt von kommenden Ausgrabungen in Peru ab, wieweit
sie ihre rätselhafte Isoliertheit auch in Zukunft behaupten
wird. Tellos Entdeckungen in Chavin de Huantar, wo es
auch unterirdische Tempel mit monolithischen Götter-
figuren gibt, während an anderen Stellen Perus Schreine
und Steinsärge nachgewiesen worden sind, können bereits
als verheißungsvoller Auftakt zur Lösung des S. Agustin-
Problems betrachtet werden. Diese Lösung wäre un-
denkbar ohne das sichere Fundament, das Preuß’ For-
schungen gelegt haben.
W. Krickeberg.
Dr. L. Walk: Die ersten Lebensjahre des Kindes in Süd-
afrika. Anthropos XXIII 1928.
: Initiationszeremonien und Pubertätsriten der süd-
afrikanischen Stämme. Anthropos XXIII 1928.
Der Verfasser hat mit großer Sorgfalt eingehendes
Material zur Darstellung des Kinderlebens und der
Pubertätsriten der Südafrikaner gebracht. Das be-
schränkte Untersuchungsfeld gestattete ihm allerdings
nicht weitgehende Schlüsse zu ziehen. Seine Folgerungen
sind abwägend und bedächtig. Er gehört zum Anthropos-
kreis und vertritt daher die Köppers-Schmidtsche
Richtung Kulturhistorischer Forschung.
W. rechnet die Buschmänner und Bergdama zur
ältesten afrikanischen Kulturschicht. Es fehlen ihnen
charakteristischerweise die Knabenbeschneidung, die
Kindestötung aus magischen Motiven, die Rangordnung
unter den Geschwistern; animistische und manistische
Ideen spielen nur eine geringe Rolle in der Initation.
Ihnen gegenüber, stehen die stark animistisch einge-
stellten Bantu mit dem Glauben an den Stammesahnen,
der als Gesetzgeber auch in den Jünglingsweihen alles
Interesse auf sich und die Ahnen konzentriert Mutter-
recht und Lunarmythologie ist bei mehreren Bantu eng
damit verbunden (Basuto, Thonga, Ovambo). In der
Hererokultur und schwächer bei den Kaffem und Zulu
trifft man sowohl den viehzüchterisch-nomadischen als
auch den vaterrechtlich-totemistischen Kulturkreis ver-
treten. Nirgends kommt aber einer der bekannten
Kulturkreise rein vor.
Nicht zustimmen wird man der Ansicht von W., daß
Buschmänner und Hottentotten als gemeinsames Merk-
mal „nur ganz sporadisch sich zeigende Spuren von
magischem Denken und Tun“ besitzen. Das Bleeksche
Buch („Buschman-Folklore“) beweist im Gegenteil, daß
eine Fülle magischer Riten von seltener Klarheit wenig-
stens den Buschmännern eigen ist. Und die Hottentotten ?
Die Heitsi-Eibeb-Mythen sind zum Teil großartige
Phantasien „präanimistischer“ Denkart (etwa die Epi-
sode vom Rosinenbaum). Dann klammert sich W. zu
sehr an verschiedene Zuordnungsdogmen: Beschneidung-
totemistischerKulturkreis; Mutterrecht-Lunarkult, so daß
er etwa auf „mutterrechtliche Kultur“ schließt, wenn
lediglich von einer Darstellung des Kindes an den Mond
die Rede ist. Der immer noch am schlechtesten erkannte
totemistische Kulturkreis ist besonders in Afrika so
schwer zu beweisen, daß man als Afrikanist das Dogma
von der Zugehörigkeit der Beschneidung zu diesem
Kulturkreis lieber beiseite läßt.
Im Übrigen bringt die Arbeit bemerkenswerte Auf-
schlüsse und ist für weitere Arbeiten dieser Art nicht zu
entbehren. Dr. H. Baumann.
K
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BAESSLERARCHI V
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN AUS DEM ERWERBUNGSFOND DES
STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE
UNTER MITWIRKUNG DER DIREKTOREN DER ETHNOLOGI-
SCHEN ABTEILUNGEN DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR
VÖLKERKUNDE IN BERLIN. REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND X
MIT I TAFEL UND 57 FIGUREN IM TEXT
BERLIN 1926
VERLAG VON DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN)