BAESSLER-ARCH IV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN
AUS DEN MITTELN DES BAESSLER-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN DIREK-
TORIALBEAMTEN DER ETHNOLOGISCHEN ABTEILUNGEN
DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE IN
BERLIN REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XXII
MIT 156 ABBILDUNGEN
BERLIN 1939
VERLAG VON DIETRICH REIMER
/ANDREWS & STEINER /
Z ? ^V>s-
INHALTSVERZEICHNIS
Alfred Maaß: Die Kunst bei den Malaien Zentral-Sumatras. Mit 100 Abbildungen im Text.............. i—62
Ernst Mengin: Unos annales históricos de la nación mexicana. Teil I. Die Handschrift nebst Übersetzung.
Mit 30 Abbildungen im Text ................................................................ 69—168
Anna Rüstow: Die Objekte der Malaspina-Expedition im archäologischen Museum zu Madrid. Mit 26 Ab-
bildungen im Text ................................................................................ 173—204
BÜCHERBESPRECHUNGEN
Wassen, Henry: Original Documents from the Cuna Indians of San Blas, Panama as recorded by the
Indians Guillermo Haya and Ruben Pérez Kantule. In: Ethnological Studies, 6, 1938. — Snethlage 63
Böhme, Hans Heinrich: Der Ahnenkult in Mikronesien. Jordan & Gramberg, Leipzig 1937. Studien zur
Religionswissenschaft Bd 2. 124 S. — Theo Körner............................................. 63
Uhlenbeck, C. C.: A concise Blackfoot grammar based on materials from the southern Peigans. Verhande-
lingen der Koninklijke Nederlandsche Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Afdeeling
Letterkunde N. R. XLI. Amsterdam: 1938. 240 S. 40. — W. Krickeberg .......................... 63—-64
Haeckel, Josef: ZumProblem des Individualtotemismus in Nord-Amerika. Internationales Archiv für Ethno-
graphie Bd. 35, Heft 1—3 Leiden, E. J. Brill 1938. 9 S. 40. —W. Krickeberg.......................... 64
Körner, Theo: Totenkult und Lebensglaube bei den Völkern Ost-Indonesiens. Leipzig. Jordan & Gramberg
1936. Studien zur Völkerkunde Bd. 10. — H. H. Boehme......................................... 64—65
Passarge, S.; Geographische Völkerkunde Band 5: Asien. Moritz Diesterweg. Lrankfurt am Main 1938.
140 S. — Theo Körner ........................................................................ 169
Mühlmann, Wilhelm E.: Staatsbildung und Amphiktyonien in Polynesien. Eine Studie zur Ethnologie und
politischen Soziologie. Stuttgart; Strecker & Schröder 1938. 119 S., 2 K. — Georg Eckert..... 169—170
Cline, Walter, Mining and Metallurgy in Negro Africa. General Series in Anthropology, Nr. 5. Hrsg, von
Leslie Spier. Paris, Paul Genthner 1937. 155 S. Textzeichnungen und Verbreitungskarten. — Jul.
Glück........................................................................................ 170
Mackay, Ernest: Die Induskultur. Ausgrabungen in Mohenjo-Daro und Harappa. (Aus dem Englischen
von Dr. Max Müller, Iserlohn). Leipzig, Brockhaus, 1938. 152 S., 78 Abb., 1 Karte, Preis 3,15 RM.,
geb. 3,80 RM. — Gelpke....................................................................... 171
Mühlmann, Wilhelm: Methodik der Völkerkunde. VIII und 275 S. F. Enke, Stuttgart, 1938. 14,— bzw.
15,80 RM. — W. Milke ........................................................................ 205—208
BÜCHEREINGÄNGE
Heft 1 .
Heft 2—3
65
172
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN
AUS DEN MITTELN DES BAESSLER-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN DIREK-
TORIALBEAMTEN DER ETHNOLOGISCHEN ABTEILUNGEN
DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE IN
BERLIN REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XXII/HEFT i
ALFRED MAASS; DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL
SUMATRAS
BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
BERLIN 1939
VERLAG VON DIETRICH REIMER
/ ANDRE WSö-ST EINER/
' I
J.
DAS BAESSLER-ARCHIV FÜR VÖLKERKUNDE
erscheint in jährlich 4 Heften von ca. 24 Druckbogen zum Preise von 30. RM. Einzeln
sind die Hefte zu einem je nach dem Umfang bemessenen etwas höheren Preise käuflich.
Das Baessler-Archiv ist bestimmt für Arbeiten -aus allen Gebieten der Völkerkunde mit
Ausnahme der reinen Linguistik und physischen Anthropologie. Seine Hauptaufgabe ist
die wissenschaftliche Beschreibung und Verwertung des. in den deutschen Museen aufge-
speicherten Materials nach seiner kulturgeschichtlichen und technologischen Bedeutung,
doch werden auch soziologische, mythologische, kunst- und religionsgeschichtliche 1 hemata
berücksichtigt, soweit sie zur Erklärung von Museumssammlungen beizutragen geeignet sind.
Die Mitarbeiter erhalten 30 Sonderabzüge
und 3.-— RM. für die Seite.
Redaktionelle Sendungen, Zuschriften und Anfragen sind zu richten au den Redakteur
Prof. Dr. Alfred Maaß, Berlin sw. il, Saarlandslr. i 10
Staatl. Museum für Völkerkunde.
BEIHEFTE
die besonderen Vereinbarungen unterliegen und Abonnenten zu einem
Vorzugspreise geliefert werden.
1. Beiheft: Sprichwörter und Lieder aus der Gegend von Turfan, Mit einer dort aufge-
nommenen Wörterliste von Albert von Le Coq. Mit 1 Tafel. [100 S.] 1911
2. Beiheft; Die Wagogo. Ethnographische Skizze eines ostafrikanischen Bantustammes von
Heinrich Claus, Stabsarzt im Infanterie-Regiment Nr. 48, früher in der Kaiser-
lichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Mit 103 Abb, [IV u. 72 S.] 1911.
3. Beiheft: Die Goldgewichte von Asante (Westafrika). Eine ethnologische Studie von
Rudolf Zeller. Mit 21 Tafeln. [IV u. 77 S.] 1912.
4. Beiheft: Mitteilungen über die Besiedelung des Kilimandscharo durch die Dschagga
und deren Geschichte. Von Joh- Schanz. [IV u. 56 S]. 1912.
5. Beiheft; Original Odzibwe-Texts. With English Translation, Notes and Vocabulary
collected and published byj. F. B. dejosselin dejong, Conservatoi at the
State Museum of Ethnography, Leiden. [IV u. 54 S.] 1912.
6. Beiheft: Ein Beitrag zur Ethnologie von Bougainville und Buka mit spezieller Be-
rücksichtigung der Nasioi. Von Ernst Frizzi. [56 S.] 1912.
7. Beiheft: Ein Beitrag zur Kenntnis der Trutzwaffen der Indonesier, Südseevölker und
Indianer. Von Hauptmann a. D. Dr. G. Friederici. [78 S.] 19J 5-
8. Beiheft: Die Banjangi. Von F-Staschewski. Überarbeitet und herausgegeben von
Prof. B. An k er man n. [66 S.] 1917.
9. Beiheft: Die mexikanische Bilderhandschrift Historia Tolteca Chichimeca. Von
K. Th. Preuss u. E. Mengin. Teil 1: Die Bilderhandschrift nebst Über-
setzung, mit 148 Abb. i. Text u. auf 25 Taf. [104 S.j 1937.
Peil II: Der Kommentar. Baeßler-Archiv Bd. XXI, H. 1—2 [66 S.] 193^-
Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, Vorbehalten.
lirutk von J.J. Augustin in Olückstadt-Hamburg New York
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
VON ALFRED MAASS.
Eine dankbare und anregende Aufgabe will es mir scheinen, in diesen Seiten einmal
eingehender die Kunst der braunen Inselsöhne Sumatras zu behandeln. Vertiefen wir uns
mit Lust und Liebe in ein Gebiet des indischen Archipels, das bis jetzt bei uns in Deutsch-
land keineswegs eine ihm gebührende Betrachtung gefunden hat; machen wir den Versuch
die indonesische Kunst in ihrem Werdegang zu entwickeln und berücksichtigen wir dabei
namentlich die verzierenden Künste der Minangkabauer, wie sie uns heute auf Schritt und
Tritt bei einer Wanderung durch Zentral-Sumatra entgegentreten.
Noch besonders möchte ich betonen, daß, wenn in dieser Arbeit von Kunst gesprochen
wird, die Zierkunst, wie wir sie in der Holzschneidekunst, dem Kunstgewerbe, nament-
lich in den Gold- und Silberschmiedearbeiten, der Weberei und im häuslichen Leben
antreffen werden, gemeint ist.
Vier große Phasen sind es, die uns bei der Kunst Indonesiens, insonderheit Sumatras,
fesselnd in ihren Bann nehmen.
1. Die künstlerischen Bestrebungen der Naturvölker.
2. Was verdankt die Kunst der malaiischen Inseln ihren Beziehungen zu Indien ?
3. Welche Einflüsse übte der Islam auf die Kunst Inselindiens ?
4. In welchen Formen, in welcher Art und Weise begegnen wir heute der Kunst in
Zentral-Sumatra ?
Der Anfang aller Kunst, die autochthone Kunst, jene primitive Kunst, die allen Ur-
völkern der Erde wohl gemeinsam war, die wir heute noch bei niedrigstehenden Natur-
völkern antreffen, wie z. B. für den malaiischen Archipel bei den Kubus, Mentawai Insu-
lanern1, Enganesen u. a., sie hat nichts mehr mit der Kunst in historischer Zeit zu schaffen,
auch nicht mit jener, wie sie sich in unseren Tagen bei den Kulturvölkern der malaiischen
Inselwelt wiederspiegelt. Für den aber, welcher sich mit dem Studium der Entwickelungs-
lehre auf dem Gebiete der Kunst beschäftigen möchte, darf ich einige wesentliche Arbeiten
in der Literatur nicht übergehen, und so will ich hier kurz hinweisen auf: Grosse, Ernst, die
Anfänge der Kunst; Haddon, Evolution in art; Verworn, Anfänge der Kunst und Psycho-
logie der primitiven Kunst.
Um die Kunst eines Landes kennen zu lernen, ist es notwendig, im Buche seiner Ge-
schichte nachzuschlagen, um rückwärts schauend zu sehen, welche A oraussetzungen und
Bedingungen zur Entwicklung seinerKunst beigetragen haben, oder wir erkennen dort, wo
eine Kunst in ihrer geschichtlichen Entwicklung greifbar vor Augen tritt, die Elemente,'
welche notwendigerweise dazu geführt haben sie zu formen. Haben wir uns mit den beein-
flussenden Tatsachen soweit vertraut gemacht, um die kulturbildenden Werte für die ein-
zelnen Perioden in Ansatz bringen zu können, dann wird es uns ein Leichtes werden, das
Fortleben des Alten im Neuen zu erkennen.
Meine vornehmste Aufgabe in dieser Arbeit sehe ich deshalb darin, zu untersuchen, wie
das Gewesene im Werdenden fortlebt, besonders aber in der Kunst der Malaien Zentral-
Sumatras.
1 Maass, Alfred, Die primitive Kunst der Mentawei Insulaner. Berlin 1906. Zeitschr. f. Ethn., Bd. 38, H. 4 u. 5
I Baessler-Archiv.
2
ALFRED MAASS
Was verdankt die Kunst der malaiischen Inseln ihren Beziehungen
zu Indien?
Ich möchte bei dieser Ausführung länger verweilen, als es sonst bei ähnlichen Arbeiten
üblich ist, die sich kurz und bündig mit dem Hinweis, daß Indien das Mutterland der malai-
ischen Kunst ist, abfinden. Ich lege ganz besonderen Wert darauf, einmal ausführlicher an
dieser Stelle den historischen Werdegang der indonesischen Kunst zu berücksichtigen. Dieser
aber bietet uns, wie bei allen bildenden Künsten, Gelegenheit auf die im Wandel der Zeiten
entstandenen Stilepochen eingehen zu können. Würdigen wir also das Mutterland aller in-
dischen Künste, Indien selbst, zuerst unserer näheren Betrachtung,
Um die malaiische Kunst vergangener Jahrhunderte lieb zu gewinnen, müssen wir an
der Wiege dieser Kunst verweilen. Indien ist hier das Zauberwort, welches uns fesselt und
in der Tat ist es keine leere Phrase, wenn wir von dem Zauberbann, den Indien im Orient
und Okzident stets ausübte, hier reden wollen. Erinnern wir uns nur unserer Jugend, wie
sich der Märchenreichtum dieses einen Landes in zauberhafter Fülle vor uns entfaltete,
wie es alle übrigen Länder durch diesen Reichtum zu übertreffen wußte.
Wohin aber auch in der Geschichte Indiens wir blicken mögen, überall begegnen wir
einer geradezu fabelhaften Entfaltung im Reichtum, also auch in der Architektur seiner Bau-
werke. Durch die Anhäufung von Motiven ins Massenhafte wurde von den Indern ein
Empfinden zur Schau gestellt, das nie künstlich, nie spannend und nie raffiniert genug
wirken konnte. Es fehlte ihnen der Sinn für das Einfache, Anspruchslose und Kindliche.
Wenn wir Europäer trotzdem bewundernd vor diesem Formenreichtum indischer Bau-
werke stehen, so offenbaren sie uns das Geheimnis zur Seele der Künstler, die sie einst
schufen, sie spiegeln uns den Inder in seinem Charakter, Fühlen und Denken wieder. Die
indische Baukunst bestätigt uns in glänzender Weise, was Indien seinen Künstlern ver-
dankt, den Forschern zeigt sie auf Schritt und Tritt, wie diese Künstler beschaffen
waren.
All die Eigenarten der indischen Baukunst sind Eigenarten der Inder selbst. Nur ein
Volk mit diesen Eigenarten konnte auf allen Gebieten der Kunst das zustande bringen, was
uns die Geschichte lehrt und was wir noch heute, voll Bewunderung erfüllt, schauen können.
Betrachten wir die Menschen, die es verstanden haben, ihrem Lande eine eigenartige, indi-
viduelle Kunst zu geben, so finden wir in ihnen Charaktereigenschaften, die sie gerade dazu
disponieren. Ein ausgeprägter Scharfsinn, der sich mit spielerischer Leichtigkeit niemals
im Überbieten genug tun kann, vermischt sich mit einer Schmiegsamkeit und Biegsamkeit
des Denkens; ihm gegenüber finden wir in dem Indier jenen ausgesprochenen Zug des Orien-
talen, das Träumerische, jenes „in sich versenkt sein“. Blicken wir in diese dunklen,
seelenvollen Augen, in denen der Schimmer des Mystischen sich wiederspiegelt, aus denen
ganz plötzlich ein nie vorher empfundenes Ahnen aufleuchtet, um die letzten Geheimnisse
der Welten entschleiern zu wollen, um ganz in das Wesen der Götter einzudringen, dann
verstehen auch wir und lernen begreifen, daß ein Geschlecht, mit solchen Eigenschaften,
einen Märchenzauber über seine Kunst verbreiten konnte. Doch keineswegs ist hiermit die
Fülle dessen, was im Wesen des Indiers schlummert erschöpft, wir müssen, um ihm psycho-
logisch verwandt zu werden, noch tiefer in sein Inneres dringen, und da sehen wir, welch eine
Wonne es für ihn ist, im Wunderbaren und Seltsamen ganz aufzugehen, aber auch Grau-
samkeit und Quälerei sind dem Charakter dieser Menschen etwas ebenso Selbstverständ-
liches, wie die in ihnen unausrottbare Leidenschaft zum Massenhaften. Die Kunst Indiens
ist eben innig verwoben mit dem Naturell seiner ausübenden Künstler, die sich nicht los-
reißen können von ihrer Ideenwelt, die allein nur darin sich glücklich fühlt, wenn sie schwel-
gen kann im Erdrückenden, Formlosen, Überladenen, Verwickelten, um Erdachtes und Ge-
träumtes durcheinander fließen zu lassen.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
3
Wenn wir von diesem Standpunkt aus die Mutterkunst des malaischen Archipels be-
trachten, dann werden wir auch ganz zu dem Bewußtsein kommen, welche Faktoren not-
wendigwaren, um all das Schöne, Große und Erhabene in der malaischen Inselwelt, nament-
lich auf Java, zu schaffen, dann werden wir verstehen, welchen Einfluß noch heute der in-
dische Stil für die Kunst des Archipels bedeutet.
Trotz der großen Fülle dessen, was uns die alte indische Kunst noch jetzt in so reizvoller
Weise zu geben vermag, dürfen wir nicht vergessen, daß eigentlich bis vor wenigen Jahren
diese Kunst in der allgemeinen Kunstgeschichte lange noch nicht so geklärt war, wie es
wünschenswert gewesen wäre. Forschen wir nach den Gründen, so kommen wir dazu, daß
uns das Mutterland der malaiischen Kunst, wie Grünwedel1 sagt: „innerhalb der Geschichte
der menschlichen Kultur in seiner wirklichen Bedeutung zu wenig bekannt war ■— und zum Teil
noch ist, so daß die leider weitverbreiteten Anschauungen von übermäßig hohem Alter des in-
dischen Kulturlebens die geläufige Eingliederung der indischen Kunst neben die übrigen orien-
talischen Völker des Altertums herbeiführten. Ein weiterer Grund lag darin, daß unsere von der
Antike abhängigen ästhetischen Anschauungen dieser unendlich reichen, dabei aber sehr lücken-
haft erhaltenen Kunst ratlos gegenüber standen, ja sich geradezu davon abgestoßen fühlten.“
Um die Geschichte der bildenden Künste in Indien richtig beurteilen zu können, muß
man zwei Kulturgebiete unterscheiden: das Drawidische und Arische. Bei der Betrachtung
dieser beiden von einander ganz verschiedenen Gebiete bemerken wir, daß sich in Ersterem
die ursprünglichen Formen mehr und länger erhalten finden, aber dafür wiederum weniger
Weiterentwicklung stattgefunden hat, während in Letzterem persische und griechische Ein-
flüsse in hohem Maße zur Geltung gelangten bis zu jener Zeitepoche, wo beide Kulturkreise
von islamitischem Geist beherrscht wurden.
Bei eingehender Würdigung der bildenden Künste Indiens kommen wir zu dem Er-
gebnis, daß wir es in ihrer Entwicklung mit vier Richtungen oder Stilen zu tun haben.
Dementsprechend würden wir zu unterscheiden haben, den typisch indischen, den persisch-
indischen, den griechisch-indischen und den islamitischen. Dieser letzte gelangte seit dem
15. Jahrhundert zur unbedingten Herrschaft; in ihm finden wir all jene kostbaren Bau-
werke, prächtigen Paläste, herrlichen Moscheen und bewunderungswürdigen Grabmäler,
die zum Ruhme Indiens als Wunderland beigetragen haben.
Die Veranlassung aber zur Entstehung aller dieser Herrlichkeiten verdanken wir dem
Buddhismus, dessen Stifter Siddhartha im 6. Jahrhundert v, Chr. lebte. Die Lehre Buddhas
aber wurde durch Agoka, den dritten König aus der Dynastie der Maurya, welcher von 263
bis 229 v. Chr. regierte, etwa 250 v. Chr. zur herrschenden Religion in Indien erhoben. Ihr
schreiben wir die Entwicklung einer regen Bautätigkeit zu. Diese kausale Wirkung wurde
durch die Eigenart des Buddhismus hervorgebracht, die einen Reliquienkult mit den Über-
bleibseln Buddhas und besonders frommer Anhänger treibt. Die so zur Staatsreligion er-
hobene Philosophie einer Schar gelbgekleideter, geschorener Mönche wurde aber auch für
die Entwicklung der Kunst Indiens von hoher Bedeutung unter Agoka. Grünwedel sagt2:
Die Negotiationen des Königs zu den Diadochenkönigen führten griechische Kulturelemente in
seinem Reiche ein, die besonders in der bildenden Kunst auf Grund früher eingedrungener per-
sischer Elemente, zum Ausdruck kamen.“ Weiter förderte die Regierungszeit dieses Königs
einen nachhaltigen Einfluß auf den Werdegang in der Architektur; in ihr können wir 5
Gruppen von Baudenkmälern unterscheiden, die der buddhistischen Baukunst ein beson-
deres Gepräge gegeben haben, das ihr einen prägnanten Charakter verleiht. Zu den fünf
Gruppen, die den Baustil der Buddhisten beherrschen, zählen wir: die Stambhas, Stupas,
Tschaityas, Klöster und Steinzäune.
1 Grünwedel, Albert, Die Kunst des alten Indiens in: pag. 545.
Schultz, Alvin, Allgem. Kunstgeschichte I, 2. Hälfte, 2 AUgem. Kunstgesch, I 2, pag. 548.
1
4
ALFRED MAASS
Die Stambhas sind Säulen mit einem Kapital, das von einem religiösen Symbol, wie
einem Rade oder Dreizack etc., gekrönt wurde.
Manchmal kommen auch Säulen vor, auf deren Kapitäl wir Löwen antreffen, die als
Träger des Symbols dienen. Zu den Stupas haben wir Baudenkmäler zu zählen, deren
steinerner Unterbau eine quadratische Grundform zeigt, auf welchem sich ein massiver
Steinaufbau in Form einer „Wasserblase“ (dem Sinnbilde des menschlichen Lebens, das die
Krönung der fünf Elemente nach buddhistischer Auffassung vorstellen soll) erhebt. Er
wird durch eine Terrasse bekrönt, über der wir einen Schirm mit einem oder mehreren
(sieben) Dächern sehen können. Von diesen Denkmälern wird angenommen, daß sie ur-
sprünglich Königsgräber waren. Wie eng aber der Stüpabau mit dem Buddhismus ver-
knüpft ist, können wir daraus entnehmen, daß wir ihn in seinen Hauptelementen überall
dort antreffen, wohin sich auch diese Religion außerhalb ihres Vaterlandes verpflanzt hat;
dabei machen wir dann die Wahrnehmung, daß die Stupas im Laufe der Zeiten lokale Ver-
änderungen zwar durchmachen mußten, aber das Eigenartige, das Ursprüngliche, ihnen zu
allen Zeiten erhalten blieb. Zu den charakteristischen Formen, die wir außerhalb Indiens
antreffen, möchte ich hier nur kurz auf die birmanischen, tibetisch-mongolischen, nepale-
sischen hinweisen. Ganz besonderes Interesse für uns aber dürfte die altjavanische Form
haben, deren höchste Kunstblüte wir ja im Bärä-Budur finden. Wir hätten uns nun den
Tschaityas zuzuwenden. Sie stammen noch aus der Zeit Agokas und werden mit ihnen
Höhlentempel bezeichnet, die ein Heiligtum d. h. einen Stupa enthalten. Zur vierten Gruppe
haben wir die Vihäras oder Klöster zu zählen, welche sich häufig in der Nähe der Tschaityas
befinden.
In diesem Baustil der Buddhisten finden wir aber noch eine ganze Anzahl figürlicher
Darstellungen, welche wir in den Kreis unserer Betrachtung einbeziehen müssen, an denen wir
nicht achtlos vorüber eilen dürfen, da sie die Bauten aus der Hinduzeit reizvoll beleben.
Sehen wir uns nun einmal diese indischen Götterfiguren näher an, so werden wir bei einiger-
maßen Blick für die Kunst Indiens, bald herausfinden, daß sich im Laufe der Zeiten, im
Wechsel der Jahrhunderte zwei Richtungen herausgebildet haben, die mit ihren charak-
teristischen Merkmalen das Auge des Beschauers zu fesseln wissen und untrüglich den
Stempel ihrer Zeit, in der sie entstanden sind, zeigen.
Wir haben es hier mit zwei Perioden von Kultureinflüssen zu tun; in der einen treten
in prägnanter Form die griechischen Einflüsse mehr und mehr in den Vordergrund und
dürfen wir wohl annehmen, daß diese Periode zweifellos uns die ältere Schule der indischen
Plastik vor Augen führt. Sie bewegt sich in ihrer Auffassung mehr nach der idealen Seite,
während die andere Periode uns mehr das indische Element zum Ausdruck bringt. Zu den
Vertretern der älteren Kunstrichtung haben wir namentlich die Gändhäraskulpturen zu
zählen, während die jüngere Epoche, die mehr durch indische Einflüsse hervorgerufene und
beeinflußte Kunstrichtung, sich dann später zur Geltung bringt. Grünwedel1, dieser fein-
sinnige Kenner altindischer Kunst, sagt von diesen beiden Kulturepochen; ,,Der idealisti-
schen Richtung gehören Buddhaköpfe an mit jugendlichen, apollinischen Zügen, mit sanft lächeln-
dem Munde, während die Augen halb geschlossen sind, mit weichen und vollen Fleischpartien,
feingebauter Nase und scharf pointiertem, reich gewachsenen und elegant gelegten Haupthaare.. ..
Neben diesem idealistischen Typus von rein griechischer Formengebung stehen schematisch
gearbeitete Köpfe indischen Blutes. Auf dem unter Nr. 75 (hier Abb. i1 2) abgebildeten ist
das indische Element schon stark vorhanden. Ein Schritt weiter und es ergibt sich der Typus
des Buddhakopfes, wie ihn das unter Nr. 6j (hier Abb. 2) abgebildete Relief zeigt. Im großen und
1 Grünwedel, Albert, Buddhistische Kunst in Indien. künde in Berlin war so freundlich, mir die Abb. I, 2,
Berlin W. Spemann 1900, pag. 143—144. 4, 5 und 6 zur Verfügung zu stellen, wofür ich hier noch-
2 Herr Kustos Dr. Gelpke am Staatl. Museum für Völker- mals danken möchte.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
5
ganzen bewahrt er die alten idealistischen Formen, aber künstlich erhalten, frei von jeder
Individualität und jeder Selbständigkeit: ein Bild stiller, in sich versenkter Schönheit,, welches
weichlich, unmännlich wirkt. Die nördliche Schule hat diesen Typus gut erhalten: von er-
Abb. i.
Abb. 2.
staunlicher Reinheit zeigt er sich noch in den Buddhaköpfen vom
Bärä-Budur, vgl. Nr. 76 (hier Abb. 3). Das Haar ist völlig, wie
schon in Abb. 2, in kleine Löckchen aufgelöst, mV ¿/¿r Kanon es
verlangt. Die überlangen Ohrlappen aber fehlen nie, mVÄi
m besten Köpfen. Es scheint, daß auch diese Eigentümlich-
keit, welche auf das Ablegen des königlichen Schmuckes so ent-
schieden hinweist, aus Versuchen stammt, welche Hindukünstler
in Bezug auf den Buddhatypus machten, bevor die Gändhärabild-
hauer ihn idealisierten... “
Berücksichtigen wir jetzt die geographische Lage Indiens
und versuchen wir aus ihr die Schlußfolgerungen für die Ent-
wicklung und den Werdegang der indischen Kunst zu ziehen,
welche sich naturgemäß ergeben müssen. Dort, wo sich die
Schneedome des Himälaya zum Himmel empor türmen mit
ihrer grandiosen Gletscherwelt, von da zieht sich nach Süden
eine mächtige Halbinsel mit gewaltiger Terrassenbildung bis
weit ins Meer, den indischen Ozean, hinein; ein Land ist es, das in geschlossener Masse
sich bis zum Cap Comorin erstreckt. Im Osten und Westen wird es durch großartige
Ströme eingerahmt, während die ostasiatische und europäisch-asiatische Kultursphäre
es umschließen. Ein solches Land war von jeher durch seine natürliche Lage zu einem
fest in sich abgeschlossenen Kulturleben prädestiniert und sicherte diesem die Vermittler-
rolle.
Abb.
6
ALFRED MAASS
Die Bewohner dieses Landes sind Stammesgenossen der Meder und Perser. Vom
Norden her durch die Käbül-Pässe, an der Nordwestgrenze, waren sie als ein Hirtenvolk,
das sich später seßhaft machte, ins Land gekommen. Schon zu jenen Zeiten der Einwande-
rung lebte in diesem Volk, wie wir aus alten Festgesängen wissen, eine rege, wenn auch noch
kindliche Phantasie, die sich am Sinnlichen zu erfreuen wußte, der das Sinnliche Gelegen-
heit gab sich zu ihren Göttern emporzuranken, sie mit einer naiven Selbstsucht zu verehren,
ihnen Opfer darbrachte, um sie zu versöhnen und für ihre Wünsche günstig zu stimmen. In
den Künsten befinden sich diese Einwanderer noch im Zeitalter der Primitivität. Zimmer1
sagt: ,,Betrachten wir die Kunst des Holzarbeiters (takshan, tashtar), wie sie sich vorzüglich im
Rigveda dar stellt, etwas näher: er ist noch Zimmermann, Wagner und Schreiner in einer
Person. Seine Hauptbeschäftigung bildete der Wagenbau.“ Derselbe Verfasser fährt dann
mehrere Seiten später weiter fort: „Feinere Arbeiten in Holz verfertigte man, Schnitzwerke
zum Schmuck der Gemächer der Reichen; Rv. IO, 86,5 beklagt sich Indränl bei ihrem Gatten,
daß Vrshäkapi ihr ihre lieben prächtigen Schnitzsachen (priyä vyaktä tashtäni) verdorben
habe. „Herrlich bist du Nacht (nächtlicher Himmel) wie ein geschnitzter Becher“ Av. ig, 4g, 8;
cf. Rv. J, 161, 9; 3, 60, 2.“
Von der Mitte des zweiten Jahrtausends an bis etwa gegen 500 v. Chr. ( ?) sehen wir
dann, wie diese Einwanderer langsam vom Flußgebiet des Ganges bis nach Ceylon weiter
Vordringen, um die Ureinwohner zu besiegen und zu verdrängen.
Einen anderen wichtigen Faktor bei der Entwicklung einer Kunst bildet die Natur des
Landes, in dem wir sie sich ausbreiten sehen, demzufolge müssen wir auch einige wenige
Worte über die Natur Indiens hier einschalten. Rauh und kräftigend ist das Klima Indiens
im Norden und in den die Halbinsel durchziehenden Bergländern, während wir an den
Küsten und im Stromgebiet des Ganges jene überreiche Fruchtbarkeit und Fülle der
Tropen antreffen, welche ohne Menschenhilfe einen fast ununterbrochenen Segen hervor-
bringt. So fanden die Bewohner ein Land vor, in dem nicht durch harte Arbeit erst der
Scholle, Mutter Erde, mit Fleiß, Energie und Tatkraft Lebensmittel für die Existenz ab-
gerungen werden brauchten. Sie spendete freiwillig aus ihrem Schoß mit vollen Händen;
auf dem Felde wie an den Bäumen ruht der Segen hundertfältig keimender Frucht, die reif
die Existenz eines Volkes zu sichern wußte. Farbenschimmernde Blüten, duftende Blumen,
seltsam wachsende Schlinggewächse, die die Wälder einem Märchentraum gleich umspannen,
der die Phantasie zu bannen wußte, alles das und noch mehr vermochte Indien hervor-
zubringen. In dem Boden fanden die Bewohner dieses Landes wertvolle Metalle, und das
Meer schenkte ihnen aus der Fülle seiner ungezählten Schätze ein seltenes Kleinod, schim-
mernde Perlen mit ihrem kostbaren Glanz. Sonnenschein am tiefblauen Himmelszelt, der
nur zu bestimmten Zeiten durch rasende Wetter verdüstert wird, sendet eine Flut von
Wärme und Licht auf dieses Land.
Je verschwenderischer aber Mutter Natur die Menschen aus dem Füllhorn ihrer Gaben
bedenkt, desto intensiver sehen wir ihre Wirkungen an dem Geschlecht, das sie empfängt,
so auch bei den Indiern. Diesem Volke wurden durch die üppige Fülle der Natur nicht die
Möglichkeiten gegeben, ein energisches zielbewußtes Geschlecht zur Entwicklung kommen
zu lassen. Die besten Bedingungen waren vorhanden, die ein Volk zu einer traumhaften
Ruhe führen mußten. Hier gab es für den Volksgeist keine Möglichkeit, sich von einer ge-
wissen Passivität der Volks Veranlagung freimachen zu können. Diese drängte im Gegenteil
vielmehr die noch vorhandene Kraft in das Innere des Gemüts zurück, und so kam es auch,
daß der Volksgeist wenig Gelegenheit fand, sich kraftvoll am pulsierenden Strom des Lebens
zu betätigen. Die ganze Welt der Erscheinungen wurde für ihn dadurch im gewissen Sinne
wertlos. Ruhe und Beschaulichkeit traten an ihre Stelle, sie ließen ihm diese als den ein-
1 Zimmer, Heinrich, Altindisches Leben. Berlin Weidmann 1879, pag. 245 u. 253.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
7
zigen Zustand erscheinen, in dem das Ewige sich allein nur kundgeben konnte. Daß ein
solcher Zustand für ein Volk zu tief einschneidenden Konsequenzen führen mußte, liegt klar
auf der Hand.
Wir dürfen aber an diesen nicht unerwähnt vorüber gehen; wir haben die Verpflichtung,
auf sie hinzuweisen und sie somit in den Kreis unserer Betrachtungen einzubeziehen. Sie
resultieren daraus, daß das Leben, das eigene Selbst, im Laufe der Zeiten jede Bedeutung dem
Ewigen gegenüber einbüßen mußte. Hieraus aber ergibt sich wiederum, daß die Volksseele
es gewissermaßen als ihr Ziel auffaßte, alle Regungen, die aus dem energischen Bewußtsein
von Taten ersprießen können, lieber in dem Abgrund des Gottesgedankens zu versenken.
Dieses Streben nach Ruhe, dieses traumartige Sinnen mußte aber notwendigerweise dazu
führen, die Phantasie nicht nur zur Herrscherin zu erheben, nein vielmehr noch, sie konnte
sich zur Despotin aufschwingen. Ein solcher Zustand aber mußte auf die Dauer alles Wirk-
liche zu einem wirren Spiel ausarten lassen, in dem der Geist zu den höchsten Höhen für
Augenblicke emporgehoben wurde, um ebenso oft wieder in einen dumpfen Halbschlaf zu
verfallen. Möge man nun diese Weltauffassung beschauen, wie man wolle, so birgt sie doch
zweifelsohne viele edle und schöne Eigenschaften in sich, die dem indischen Geist „einen
zarten Sinn für fremdes Leid, ein tiefes Gemütsleben, eine kindliche Weichheit, Anmut und
tiefen Ernst den ewigen Rätseln des Seins gegenüber“ gaben.
Diese Teilnahmlosigkeit der Volksanlage bedingte unter anderem, daß der Priesterstand
in den Vordergrund trat und sich zu einer gewissen Mächtigkeit entwickeln konnte. So
sehen wir dann das Religionssystem mehr und mehr Form gewinnen, das Kastenwesen nahm
die Gestalt einer Gottessatzung an, in ihm wußten die Priester das Motiv zum Ausdruck zu
bringen, der Stand, den ein Mensch einnehme, sei die Folge von Taten, die er in einem
früheren Leben bereits vollführt habe. Dafür sei es seine Pflicht, in seiner Niedrigkeit den
Willen Gottes gehorchend zu ertragen, sich von allen Leidenschaften zu reinigen, um einst
bei seiner Wiedergeburt, eines Besseren würdig zu sein. Solche Forderungen, die nicht zum
Streben über die gegebenen Grenzen aufforderten, waren einer freien Geistesentwicklung
des Individuums hinderlich, sie konnten nicht fördernd wirken. Je mehr wir uns aber mit
dem religiösen Leben der Indier beschäftigten, desto klarer tritt dabei die indische Welt-
anschauung in den Vordergrund, deren höchstes Ziel es ist, auf den Hang nach Ruhe und
träumischer Phantastik belebend, stärkend zu wirken.
Grünwedel1, unser vorzüglicher Indologe und feinsinniger Kenner der indischen Kunst,
sagt sehr richtig: „In diesem reichbegnadeten, tausendjährigen Kulturleben, dessen Arbeit zu-
nächst auf die Herstellung einer Kultur für die ganze große Halbinsel sich bethätigte, mußten
Einwirkungen von außen um so mächtiger wirken, je seltener sie waren. Die Kabul-Pässe an
der Nordwest grenze waren die Eingänge für die beutegierigen Fremden, welche das Land und
sein Reichtum reizte — das Meer verband mit Ostasien und den Inseln des Archipels und
führte zur Kolonisation: wir sehen also, daß vom Westen her importiert und nach Süden und
Südosten weiter gegeben wurde. Und auch eine uralte Handelsstraße, die Zentralasien mit
dem Orient verband, stand den Produkten Indiens offen: die Straße über Choten nach China
und von da über Korea nach Japan.
Die reiche Entwicklung auf der indischen Halbinsel, die eine Reihe nationaler Stil-
varianten hervorbrachte, wurde noch überboten, als die Kolonisation von Hinterindien und der
Inseln des Archipels hier der Hindükultur eine neue glanzvolle Welt zufügte: die buddhistischen
und brahmanischen Fempel auf der Insel Java mit dem großartigen Boro-Budur und die brah-
manischen des hinterindischen Königreiches Kambodscha mit den Ruinen von Angkor Wat,
Bayon usw. bilden die höchste Stufe der indischen Kunst, sowohl der Architektur wie der
Plastik.
1 Allgemeine Kunstgeschichte I 2, pag. 546—547.
ALFRED MAASS
Halten wir also die drei Hauptpunkte: Religionsgeschichte, fremde Einflüsse und Weiter-
entwicklung des Geschaffenen mit lokalen Varianten fest, so bemerken wir, daß diese drei
Punkte mit einander in Zusammenhang stehen. Dem Einbrüche der Griechen folgte die Blüte-
zeit des Buddhismus . . . und dem Aufkommen des Hinduismus und seiner Sekten folgte die
Periode der brahmanischen und dschainistisehen Kunst; dem Einbruch der Mohammedaner
folgte die letzte Phase der nationalen Kunst: die Bauten der Mogul und ihrer Zeitgenossen.“
Habe ich in den vorangehenden Seiten den Versuch gemacht die Verhältnisse, wie sie
für die Kunst in historischer Zeit auf dem Festlande Asiens, im Mutterlande Indien lagen,
zu schildern, so möchte ich mich jetzt den Inseln des malaiischen Archipels zuwenden. Was
verdanken diese, insonderheit Sumatra, dem Stammlande Indien ?
Der malaiische Archipel, diese große Inselwelt, welche wir als ein abgeschlossenes Ganze
für sich betrachten können, zieht sich im indischen Meere bis zum 14.0 n. Br. hinauf. Hier
finden wir die Nordspitze der Andamanen, der nordwestlichen Inselgruppe des Archipels,
deren nördlichste Insel südlich vom Kap Negrais liegt. Südlich von den Andamanen treffen
wir die Nikobaren an. Die Westseite des Archipels bildet dann die große nach S.S.O. sich
hinziehende Insel Sumatra, der westlich parallel ein Gürtel kleiner Inseln und Inselgruppen
läuft. Im Süden wird der Archipel von Java und den kleinen Sunda-Inseln begrenzt; im
Osten finden wir eine ganze Reihe größerer Inselgruppen wie die Molukken, Philippinen,
denen im Norden die kleine Gruppe der Baschi-Inseln vorgelagert ist; daran würde sich als
nördlichster Abschluß auf dieser Seite Formosa anreihen. Mitten in dieser Inselwelt treffen
wir noch Borneo, die zweitgrößte Insel der Erde an und die eigentümlich gestaltete Insel
Celebes. Dies würde mit wenigen Worten uns das skizzieren, was wir den malaischen Archipel
im großen und ganzen nennen. Auf eine genauere Beschreibung hier einzugehen, liegt nicht
in dem Inhalt dieser Arbeit.
Fassen wir jetzt die Konsequenzen näher ins Auge, welche der malaiische Archipel nach
sich zu ziehen wußte. Wenn wir einen Blick auf die Karte Indonesiens werfen würden, so
finden wir, daß es aus zwei nicht homogenen Teilen besteht. Wir sehen dort eine Anzahl
großer Inseln und dann wiederum eine Fülle kleiner verbindender Inselgruppen, die sich
mehr oder minder weit zu beiden Seiten des Erdgleichers befinden.
Diese insulare Welt, welche von Monsunen bestrichen wird, hat eigenartige Bedingungen
für Tiere und Pflanzen geschaffen, auf die ich hier nicht weiter einzugehen habe. Wichtiger
für uns sind die Folgeerscheinungen, welche sich aus dem Wehen der Monsune für die
Menschen ergaben. Sie ermöglichten den Bewohnern des Festlandes, die Inseln auf ihren
kleinen Fahrzeugen zu erreichen und in der Inselwelt des malaiischen Archipels neue Sitten,
Gewohnheiten, Religion, Kunst und Kulturprobleme zur Entfaltung zu bringen.
Unser Interesse ist immer wieder darauf konzentriert, was verdankt der malaiische
Archipel in der Kunst Indien; denn wäre dieses Mutterland nicht gewesen, so würden wir
vielleicht auf den malaiischen Inseln eine Kunst mit malaiopolynesischem Charakter ange-
troffen haben, die niemals imstande gewesen wäre, das zu erschaffen, was dem Einfluß des
Buddhismus in historischer Zeit gelang auf den Inseln der indischen See hervorzubringen.
In welcher Weise dieser zur Geltung kam, namentlich auf Java, habe ich bereits angedeutet.
Wir haben dort drei Phasen in seiner Entwicklung zu unterscheiden: die Art und Weise
wie wir ihm in den Sundaländern auf dieser Insel in der Form des Typus von Padjadjaran,
einem alten Hindureich des XII. Jahrhunderts, begegnen, dann würden die Bauwerke des
Buddhismus folgen, und endlich die Altertümer givaitischen Charakters. Wollen wir noch
weiter gehen, hätten wir uns auch jener Bauwerke zu erinnern, die eine Mischung des brah-
manischen und buddhistischen Stils darstellen, den man gewöhnlich mit javanischem
Buddhismus bezeichnet. Selbst ein eingehenderes Studium würde bei letzterem schwerlich
zu einer charakteristischen Grenze gelangen, dementsprechend tun wir gut, wenn wir diese
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
9
Altertümer dem Buddhismus angliedern, zumal der ganz reine buddhistische Tempel eine
Seltenheit für Java bedeutet.
Gehen wir in unseren Betrachtungen über die Kunst des Archipels jetzt wenigstens in
gedrängter Kürze auf das imposanteste und größte Denkmal des Buddhismus in Java, den
Bärä Budur, s. Abb. 4, näher ein. Er ist ein Terrassentempel oder vielleicht besser präzisiert
Abb. 4.
ein Denkmal, das sich durch Pracht und Größe von allen buddhistischen Bauwerken des
malaiischen Archipels auszeichnet, das uns im Schmuck seiner reichen Skulpturen ein ganzes
Weltsystem in all seinen Phasen darstellt. Der Bärä Budur ist aus schwarzgrauer Trachyt-
lava erbaut. Er liegt in der Provinz Kedu, mitten in der Ebene des Progo auf Java, von
vier mächtigen Vulkanen umschlossen, die mit ihren Spitzen 2900 bis 3200 m zum Himmel
emporragen. Uber die Entstehung des Bauwerks ist jegliche Tradition erloschen, vermutlich
können wir es, seinem Charakter nach, etwa in die Zeit des VII. bis IX. Jahrhunderts an-
setzen Prof. Kern und Dr. Brandes nehmen etwa 850 n. Chr. an. Dieser Terrassentempel
deckt eine quadratische Grundfläche, deren Basis 151,5 m Seitenlänge zeigt; er steigt pyra-
midenhaft aufwärts zu einer Höhe von 37 m. Dieser Aufstieg wird durch fünfundzwanzig
über einander liegende Terrassen gebildet, die äußerste hat 123 m im Geviert. Seiner Form
nach vollzieht sich dieses Ansteigen im wesentlichen vierseitig, aber mit ein- und auswärts
springenden Ecken, so daß sich sein Grundriß zu einem 36seitigen Polygon erweitert, wie
dies von Pagodenbauten ebenfalls bekannt ist. Eine iV2m hohe Steinmauer umschließt
eine jede dieser Terrassen. In ihrer Mitte, ebenfalls in der Mitte einer Terrasse, ist ein archi-
tektonisch reich verziertes steinernes Tor errichtet, um vermittelst einer Freitreppe den
Aufgang zur Spitze zu ermöglichen. Diese Unterbrechungen kehren auf jeder Seite wieder.
In den Terrassen finden wir kapellenförmige Nischen mit überlebensgroßen Buddhafiguren.
Haben wir die sechste Terrasse erreicht, dann beginnt der Aufbau des Tempels in vier
kreisrunden Absätzen sich weiter auszubauen. 72 kleine Stupas sind es, die in drei kon-
zentrischen, übereinander sich erhebenden Kreisen hier von dem Baumeister angeordnet
wurden. Aus ihrer Mitte heraus ragt noch ein letzter 6 m hoher Stupa empor, welcher die
bekrönende Spitze des ganzen Bauwerkes bildet. Eine sitzende Buddhastatue wurde in
2 Baessler-Archiv.
ALFRED MAASS
Abb. 5.
Abb. 6.
einem jeden dieser Stupas er-
richtet. Einen Schnitt von dem
obersten Stupa zur Basis des
Tempels geführt, zeigt uns
Abb. 5. Sie veranschaulicht den
Aufbau in seiner Gliederung.
Erdrückend ist der Reichtum
an figürlicher Darstellung mit
denen die Wandflächen der
Terrassen geschmückt wurden.
Besonders interessant ist die
zweite Terrasse mit der ganzen
Legende Gautama Buddha’s
nach der ausgeschmückten Er-
zählung, vermutlich des Lalita-
vistara, welcher, wie mir Herr
Professor Grünwedel sagte,
mit dem tibetanischen r Gya
er volpa identisch sein soll. Die
anderen führen uns Haupt-
stoffe aus den Vorgeburtsge-
schichten des Buddha, den Ja-
takas, vor Augen. Wir ver-
fügen heute über eine wissen-
schaftliche Bearbeitung dieser
grandiosen Menge von Skulp-
turen1, die im Stil an die-
jenigen der Grottentempel zu
Adschantä erinnern, nament-
1 Krom, N. J. en T. van Erp, Be-
sdirijving van Bara Budur. Elaag,
Nijhoff, 1920—1931.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
lieh Grotte 4. Die unterste Terrasse, welche zu meiner Zeit, 1907, noch im Boden versteckt
lag, ist schon frühereinmal aufgedeckt gewesen, dann aber wieder mit Erde beworfen worden.
Höllenbilder und Inschriften bildeten ihren Schmuck.
Besonders reiche Tempelreste längst entschwun-
dener Zeiten des Buddhismus auf Java finden wir noch
auf dem Dieng-Plateau. Viele Repräsentanten alter java-
nischer Baukunst treffen wir dort in den Tempelruinen
von Prambänan, Kediri, Singa Sari und Suku an. Wir
dürfen an diesen Stätten nicht achtlos vorüber eilen
und wenigstens durch einige wenige Abbildungen den
Schönheitssinn der alten Hindujavanen bewundern.
Abb. 6, die Nische eines kleinen Ecktempelchens von
Tjandifiwa, der zur Tempelanlage von Prambänan ge-
hört. Abb. 7, die prächtige Prajnäpäramitä ausMalang,
Distrikt Pasuruan, welche uns die transzendente Erkennt-
nis darstellen soll. Das Original befindet sich jetzt im
Leidener Ethnographischen Reichsmuseum. Beide Ab-
bildungen sind Saher „Verzierende Künste“ Tafel XII
und XX entnommen.
Wer sich eingehender mit den Altertümern des
malaiischen Archipels, namentlich Java’s, beschäftigen
möchte, der lese den guten Artikel: „Oudheden“ in der
Encyclopaedie van Nederlands Indie Bd. III, pag. 127 bis
141 nach. Um eine andere Tempelanlage des Buddhis-
mus, wie wir ihn heute auf Bali antreffen, zeigen zu
können, habe ich in Abb. 8 einen der Tempel von Sangsit gewählt.
Wie wir bereits früher schon erwähnt, hatten die arischen Indier einen nicht unbedeu-
tenden Einfluß auf den Werdegang indischer und indonesischer Kunst. An dieser Stelle sei
2'
Abb. 8.
ALFRED MAASS
I 2
einem berufenen Kenner dieser Kulturphase im historischen Entwicklungsgang der Kunst
das Wort gegeben. Kuhn1 sagt: ,,Die intensive Beeinflussung des malaiischen Archipels
durch indische Colonisation ist seit Wilhelm von Humboldts Werk „Über die Kawi-Sprache
auf der Insel Java“ auch in weiteren Kreisen wenigstens oberflächlich bekannt geworden. Daß
nach den Inschriften zu urteilen, die Colonisation mit der Hinterindiens in dieselbe Periode
gesetzt werden muß, haben wir bereits .... gesehen, mancherlei Anzeichen scheinen sogar auf
einen directen Zusammenhang beider Gebiete hinzudeuten, dessen genaue Beschaffenheit freilich
noch festzustellen ist.“ . . .
Abb. 9.
Lage der Altertümer in Muara Takus 1 . 1000.
*0
Bezüglich des malaischen Archipels sagt dieser Verfasser:
,Etwas mehr beweisen zwei dem 14. Jahrhundert angehörige Inschriften von Sumatra und
zwar deswegen, weil sie mit anderen erheblichen Spuren des Hinduismus gerade auf dieser Insel
zusammenstimmen. Solche bestehen in
den untereinander nahe verwandten Al-
phabeten, welche bei den drei Stämmen
der Battak, Redjang und Lampong im
Gebrauch sind und sich deutlich als Um-
gestaltungen des alten javanischen Al-
phabets zu erkennen geben . . .
Das schwerwiegendste Zeugnis aber
für die Energie, mit welcher sich der
indische Einfluß bei allen diesen Völker-
schaften (des Archipels) mit Einschluß
der längst zum Islam und zur arabischen
Schrift üb er gegangenen eigentlichen Ma-
laien Bahn gebrochen hat, bilden die
zahlreichen indischen Vorstellungen und
Namen in ihrem Volksglauben und die
Sanskrit Lehnzvörter in ihren Sprachen,
welche allen Wandel der Zeiten über-
Abb.io. a. Tjandi Tua, b. Tjandi bungsu, c. Stupa, d. Palangka. dauert haben.
Ein-
gang
&
J.
1 Kuhn, Ernst, Der Einfluß des arischen Indiens auf die
Nachbarländer im Süden und Osten. Rede beim An-
tritt des Rektorats der Ludwig-Maximilians-Universi-
tät, gehalten am 21. November 1903. München: Kgl.
Hof- u. Universitätsdruckerei Dr. C. Wolf & Sohn 1903.
40. (Aus; Münchener Akademieberichte, pag. 17 u.
20—21.)
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
:;cc:.
r.7r.
Für uns, die wir die Kunst der Malaien Sumatra’s schildern wollten, verfolgen wir ihren
Werdegang jetzt weiter auf dieser Insel.
Im Verhältnis zu Java sind die Reste alter Kunstdenkmäler aus jener Zeit, in der sich
die Einflüsse der Hindus auf Sumatra bemerkbar machten, dort nicht in dem Umfange und
von der Bedeutung wie auf jener |
Insel anzutreffen. Es fehlen fast
gänzlich bedeutende Tempelanla-
gen. Was wir von dem Einfluß der
Hindus in Sumatra in Bezug auf
ihre Kunst wissen, ist heute in zahl-
reichen größeren und kleineren Ar-
beiten, namentlich in holländischen
Zeitschriften, verstreut zu finden,
dennoch weise ich auf eine Rede
von Dr. N. J. Krom1: „De Suma-
traans he Periode der Javaansche
geschiedenis“ hier hin, die uns fes-
selnd die Einflüsse Sumatras auf
Java darstellt. Eine Ikonographie
der Altertümer Sumatras, die uns
ein Gesamtbild geben würde, ent-
behren wir bis jetzt.
Diese Arbeit aber soll wenig-
stens die bedeutendsten Altertümer
von Sumatra dem Leser vor Augen
führen.
Hören wir auch, was uns ein er-
fahrener Kenner, A. L. van Hasselt2,
über die Kunst der alten Sumatraner
zur Zeit ihrer Beeinflussung durch
die Hindus sagt:
. in den sumatranischen Al-
tertümern wird nicht der Kunstsinn,
welchen die Hinduüberbleibsel auf
Java so eigenartig kennzeichnen, wie-
dergefunden; diese sind über erstge-
nannte hoch erhaben. Wahrscheinlich
ist das dem zuzuschreiben, daß Su-
matra die Hindubeeinflussung nur
aus zweiter Hand durch Vermittlung von Java empfing. Dies weiter zu erforschen, bleibe
dem Geschichtsschreiber überlassen; hier haben wir nur auf die Tatsache hinzuweisen, daß,
welche Höhe auch die Kunst um solche Bau- und Bildwerke erstehen zu lassen unter den Suma-
tranern möge erreicht haben, sie jetzt ganz verloren gegangen ist. Es ist darum vorläufig anzu-
nehmen, daß sie durch die Hindujavanen nach Sumatra gebracht, nicht Eigentum der ur-
sprünglichen Bevölkerung geworden ist, und daß auch ihre Nachkömmlinge sie niemals in sich
auf genommen haben. “
Betrachten wir von diesem Gesichtspunkt heute die Kunst der alten Sumatraner, dann
werden wir zu dem richtigen Maßstab ihrer Bedeutung und Würdigung kommen. Halten
1 Leiden; E. J. Brill 1919. 2 Midden Sumatra-Expeditie III, 1 pag. 100.
Abb. 11. Vorderansicht und Grundriß der Stupa,
Seitenansicht der Palangka und Grundriß. Maßstab 1: 50.
3
Abb. 13. Die Altertümer zu Muara Takus, Maßstab r: 100.
Vorderseite von Tjandi bungsu, 2. Vorderseite von Tjandi tua, 3. Vorderansicht von Tjandi tua, die rekonstruierte Spitze, 4.-5. Durchschnitt und
Grundriß von Tjandi bungsu, 6. Grundriß von Tjandi tua.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
ALFRED MAASS
I 6
wir also dabei immer im Auge, daß wir es mit einer Kunst sekundärer Natur zu tun haben,
dann können wir in ihr die Schönheiten, die sie uns gab, in dem Bewußtsein genießen, daß
die Kunstperiode der Hindujavanen auf Sumatra verdient, geschichtlich und-in ihren besten
noch vorhandenen Vertretern festgelegt zu werden.
Gedenken wir der Tempelanlage bei Muara Takus, die zum Gebiet des oberen Kampar
gehört und des großen Stupa dort. Zunächst sehen wir diese Tempel mit den zugehörigen
Teilen Abb. 9 so, wie sie 1913 der Assistent Resident L. C. Westenenk1 sah. Diese Ruinen
sind seit ihrer Entdeckung im Jahre 1858 durch den Mineningenieur C. de Groot2 wiederholt
besucht worden. I. W. Yzermann3, der sie im Jahre 1889 sah, gibt uns eine Rekonstruktion
der Bauwerke in Muara Takus; aus diesen Zeichnungen erkennen wir die ganze Anlage in
ihrer ehemaligen Schönheit; um sie auch meinen Lesern zugänglich zu machen, habe ich
einige dieser Zeichnungen kopieren lassen und führe sie auf Abb. 10—13 vor.
Haben wir aus dieser
Tempelanlage die Hindus als
Künstler in der Architektur
kennen gelernt, so sollen jetzt
ein paar Beispiele folgen, aus
denen wir den Wert erkennen
mögen, was sie uns in künst-
lerischer Hinsicht als Bildhauer
gaben. Ich wähle zu diesem
Zweck die schöne Mahäkäla-
Statue, nahe bei SungaiLang-
sat am BatangHari (Abb. 14).
Eine ausführliche Beschreibung nach Pleyte habe ich in meinem großen Werk „Durch
Zentral-Sumatra“4 gegeben. Vor wenigen Jahren 1935—3Öunternahm F. M. Schnitger größere
Abb. 15.
Tijdschr. v. I. Taal-, Land- en Volkenkde. Deel LV
(19*3)» Pag- 209—212.
ibidem Deel IX (i860), pag. 531—533.
Abb. 16.
3 ibidem Deel XXXV (1891), pag. 48—74; dazu VI Tafeln.
4 Maass, Alfred, Durch Zentral-Sumatra, Bd. I, pag,
145—146.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
1 7
Abb. 17.
archaeologische Forschungen über die Hinduzeit in Sumatra, wobei er auch die Altertümer
am Batang Hari besuchte. Seine Ergebnisse: „The
archaeology of Hindoo-Sumatra“1 waren von gutem
Erfolg begleitet. Auch die künstlerischen Reste von
Solok in Djambi, welche vor der großen holländischen
Expedition nach Mittel-Sumatra2, aufgenommen
wurden, zeigen uns die Hindus auf Sumatra als
Künstler von Formenschönheit und Eleganz in der
Handhabung der Linienführung. Abb. 15—16 wer-
den uns mit einigen in Djambi befindlichen Hindu-
altertümern bekannt machen. Es handelt sich bei
diesen Skulpturen um das bekannte Makaraorna-
ment, welches den Kopf des Elefantenfisches oder
Delphins, wie wir sagen würden, wiedergibt. Diese
Reste gehören zweifelsohne zu den reichsten und
schönsten Skulpturen, die wir aus dem Zeitalter der
Hindus auf Sumatra bis jetzt kennen gelernt haben.
Endlich möge die alte geschichtliche Kunst in
Sumatra noch in der Wiedergabe bearbeiteter Mono-
lithen, mit und ohne Inschrift, zeigen, welche Meister
die Hindus auch auf diesem Gebiet in Form und Aus-
führung waren. Die Abb. 17 bringt uns mitten im
Zauber tropischer Schönheit eine Anzahl bearbeiteter
Steine von vielseitiger Formenbildung, welche Reis-
blöcke und Grabsteine darstellen, worunter viele mit
Hindumotiven versehen sind. Diese Steine stehen
in Tandjung, Unterabteilung Fort van der Capellen,
in den Padanger Hochländern.
Einen anderen Monolithen aus Limo Kaum
(Kubur Radjo), Abb. 18 mit einer selten schön ge-
meißelten sechzehn-zeiligen Inschrift, die sich auf
Adityavarman bezieht, treffen wir in der gleichen
Unterabteilung der Padanger Hochländer an. Wer
sich für die Literatur dieser alten Denkmäler
1 Internat. Arch. für Ethnographie Supplement zu
XXXV. Leiden; E. J. Brill 1937.
3 Baessler-Archiv.
Abb. 18.
Bd. 2 Midden Sumatra Expeditie Bd. II, pag. 202—203.
ALFRED MAASS
interessiert, lese die Quellenangabe bei N. J. Krom1 ,,Inventaris der Oudheden in de
Padangsche Bovenlanden“ nach.
Diese beiden Abbildungen verdanke ich der Güte des Herrn Prof. Krom durch liebens-
würdige Vermittelung der Bataviaasch Genootschap van kunsten en wetenschappen in
Batavia (Weltevreden).
Ich bedauere an dieser Stelle nicht näher auf die Hindukunst Sumatras eingehen zu
können, vielleicht wäre es möglich, uns in einem großzügig angelegten und gut ausgestatteten
Sammelwerk, Sumatras Schätze aus der Hinduzeit in archäologischer Bearbeitung, mit
Hilfe der Königlich holländischen Akademie der Wissenschaften, vor Augen zu führen.
Wir treten nunmehr in die dritte Phase, welche die malaiische Kunst im
Laufe der Jahrhunderte durchzumachen hatte, ein: das Zeitalter des Is-
lams.
Wieder ist es die Religion, mit der zuerst der islamitische Einfluß seinen Einzug in den
malaiischen Archipel hält. Schritt für Schritt breiten sich die Eroberer des neuen Glaubens,
und mit ihnen was sie als Kulturträger mitbringen, über die Inselwelt von Niederländisch
Indien aus, so daß der buddhistischen Religion in ihrer Reinheit heute nur noch Bali ge-
blieben ist.
Wie einstens im klassischen Altertum der Tempel das Ideal war, aus dem der religiöse
Kultus geboren wurde, der die Laien von dem gemeinsamen Gottesdienste ausschloß, so
verstand es auch die Glaubenslehre des Propheten, der geweihten Stätte ihrer religiösen
Handlungen den Stempel der Eigenart, der aus diesem Kult hervorging, in der Anordnung
des Grundrisses zu geben. Zu den konsequenten Bedingungen dieser Grundform haben wir
vier charakteristische Merkmale zu rechnen. Der Raum für das Gebet, die Nische für den
Imam beim Gebet, die zugleich auch den Aufbewahrungsort für den Koran bildet; sie ist so
orientiert, daß sie die Richtung nach Mekka angibt, wohin der Gläubige das Gesicht beim
Beten zu wenden hat. Eine dritte Notwendigkeit zur Erfüllung religiöser Vorschriften bildet
beim Mohammedaner das Wasser zu den Waschungen, welches nahe bei der Moschee sein
muß, endlich gehört zu ihr, ein Ort von dem aus der Mu’azzin, der Gebetrufer, die Stunde
des Gebetes angibt.
Wie solch ein Gotteshaus (mäsidjid) bei den Malaien in Sumatra beschaffen sein muß,
darüber habe ich mich ausführlicher in meinem Werke „Durch Zentral-Sumatra“ Bd. I,
pag. 458—461 ausgesprochen. Das Eigenartige in der Kunst des Islams beruht in Einzel-
formen und in der Behandlung des geometrischen Ornaments. Zu diesen ersteren haben wir
die Ausgestaltung des Bogens zu rechnen. Sie tritt uns in den besonders typischen Formen
als Spitzbogen und Hufeisenbogen entgegen; auch die Konstruktion des Gewölbes, durch
Ausbildung einer Art von Nischen bis hoch in die Kuppeln hinein, zeigen eine charakte-
ristische Wirkung im islamitischen Stil. Geradezu bewundernswert aber ist es zu sehen, wie
die schwelgende Phantasie das Ornament zu handhaben weiß. Ein Traum von Formen in
entzückenden Tönen, der uns den bestrickenden Zauber dieser Ornamente in dem kräftigen
Rot des Granatapfels, dem satten Blau eines orientalischen Himmels und in dem wechsel-
vollen Grün, Braun, V iolett vorführt, zwischen denen verklärend, beruhigend das Gold in
seiner Reinheit hervorschimmert. Beliebt ist es auch gradlinige Flächen und Koransprüche
in stilisierter Form anzubringen.
Wie wenig diese Kunst der Araber im malaiischen Archipel, und für uns in Sumatra, zu
befruchten verstand, werden wir später sehen. Man sollte glauben nach dem, was die Groß-
moguls in Indien an Bauwerken, Tempeln und Palästen hervorgebracht haben, ein leuch-
tendes Fünkchen ihres Abglanzes in Inselindien wiederzufinden, doch nichts von alldem. Der
Mohammedanismus verstand es zwar, auf den Inseln des malaiischen Archipels das wirklich
1 Oudheidk. Dienst in Ned. Indie. Oudheidk. Verslag 1912, tweede kwartaal, pag. 41.
i V
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
künstlerisch Große, das blühende Zeitalter der Hindubeeinflussung im gewissen Sinne zu
vernichten, um dafür nichts Bedeutendes in der Entwicklungsgeschichte der Kunst an
seine Stelle zu setzen. Wie konnte das auch anders sein bei dem Vordringen des Islams, der
jeder Darstellung von Menschen und Tieren abhold ist.
Das anmutige Blumenornament mit dem der Malaie heute die Flächen seiner Häuser
z. B. in der Padanger Hochebene behandelt, ist meines Erachtens nach, persischen Ursprungs.
Erst im Laufe der Zeit ging es in die islamitische Kunst über, um dort zur strengen Stili-
sierung zu gelangen.
Es ist ein trauriges Ergebnis, wenn man sieht, wie die mohammedanischen Eindringlinge
auf Sumatra die Hindukunst vernichtet, ja selbst Denkmäler dieser Epoche begraben haben.
Halten wir jetzt nach geschichtlichen Beispielen aus dem Zeitalter des Islams auf
Sumatra Umschau. Zu diesem Zweck müssen wir das ehemalige Reich Pase1, im Gouverne-
ment Atjeh mit seinen zugehörigen Teilen, aufsuchen. Dort wurden an verschiedenen
Örtern wie Kuta Kareueng, Samudra, Tungu Sidi, Peuet-Ploh-Peuet, Tjot Astana, Tungu
Meurande Alue, Lubu, Ruseb, Tungu Sareh, Tungu di Ibus, Tungu Said Sjarif, Tungu Ulee
Blang und Tungu di Bale größere Gräberkomplexe entdeckt, welche untrügliche Zeichen
künstlerischer Beeinflussung durch islamitische Motive zeigen. Unter diesen Gräbern be-
finden sich auch einige Prachtgräber verstorbener Sultane.
Herr Professor Krom, in seiner Eigenschaft als Direktor des ,,Oudheidkundige Dienst
in Nederlandsch Indie“, sandte mir auch für diesen Teil meiner Arbeit die notwendigen
Abbildungen, und somit bin ich, dank dieser Unterstützung, in der angenehmen Lage den
Lesern einige Teile der Sultansprachtgräber vorführen zu können. Abb. 19 gibt uns die An-
Abb. 19.
1 Vgl. Oudheidk. dienst in Ned. Indie. Oudheidk. verslag
1912, pag. 53—56. 69—72. 118—119. 1913, pag. 11—12,
Abb. 20.
53 54- 7°—72.
3
20
ALFRED MAASS
sicht eines Grabsteins von Samudra mit reich stilisierter Inschrift, ein Merkmal, das zu den
Attributen islamitischer Beeinflussung gehört. Das Ganze macht einen formvollendeten
Eindruck, dem man nicht eine gewisse Grazie in der Linienführung absprechen kann.
Dieser Stein ist, meinem Kunstempfinden nach, ein gutes Beispiel dafür, in welcher Weise
islamitische Kunst hier in Sumatra zu schönem Formenausdruck kam.
Abb. 20 zeigt uns, in welch reizvoller Anordnung das Blumenornament auf einem Grab-
stein in Tungku Klee Blang Verwendung findet. Zierlich und graziös heben sich die stern-
förmigen Blüten aus dem Blattwerk hervor und werden von Schriftzeichen umgeben.
In Abb. 2i möchte ich noch einen Grabstein mit
islamitischem Einfluß bringen, der sich im Leidener Mu-
seum befindet. Wir lesen darüber im Katalog1 dieses
Instituts unter: „Nr. 148/1. . . (nisan inöng) im Durch-
schnitt viereckig, mit zwei aufwärts gerichteten flügelför-
migen Auswüchsen; das Ober ende etwas knopfförmig. Auf
dem unteren Teil ringsumgehende Reihen ein geschnitzter
Ornamente, Vorder- und Hinter fläche völlig mit Blattschnör-
keln, Spiralen und Schnurornament bedeckt, auf der Mitte
tiefe, gerade Gruben, etwas einer Tür ähnlich; auf jedem der
Auswüchse auf Vorder- und Hinterfläche ein runder Schild,
auf den Schmalseiten, zumal auf jenen des Oberendes, Reihen
eingeschnitzter Dreiecke und spitzer Auswüchse. Beschädigt.
— Für das Grab eines Weibes. Aus Pönajöng stammend.“
Ich verdanke diese Abbildung der Freundlichkeit
des Herrn Dr. Rassers vom Ethnographischen Reichs-
museum inLeiden. Lassen Sie mich jetzt die Kunst
der malaiischenlnselwelt so betrachten, wie wir
Holzschneidekunst, dem häuslichen Leben und den Gold-
auf Sumatra begegnen. Wer sich mit der Kunst
Abb. 21.
ihr heute in der
und Silberschmiedearbeiten
unserer Zeit in Insulinde eingehender beschäftigt, der weiß, wenn von einer Kunst daselbst
die Rede ist, daß eigentlich nur das Kunstgewerbe in Betracht kommen kann. Eine höhere
Kunst, wie sie der Abendländer in der Malerei, Bildhauerei und Architektur besitzt, haben
die jetzigen Bewohner Inselindiens nicht. Die kausalen Bedingungen, die die Veranlassung
dazu bilden, werden wir gleich sehen.
Die drei großen markanten Züge, die Lebensadern, aus denen die malaiische Kunst zu
dem geworden ist, was sie uns heute vor Augen führt, haben wir bereits kennen gelernt. Ich
möchte sie noch einmal kurz resümieren.
1. Die sogenannten künstlerischen Bestrebungen der Naturvölker im malaiischen Insel-
meere, wie sie uns teilweise aus der Praehistorie geläufig sind.
2. Jene interessante Kunstepoche, die durch die Hindus ihren befruchtenden Samen
auszustreuen wußte und die geschichtliche Zeit der ersten Jahrhunderte unserer
Zeitrechnung ausfüllt. Sie ist das goldene Zeitalter der Kunst für den malaiischen
Archipel, die Periode des Monumentalen mit ihren prächtigen Repräsentanten auf
Java, zum Teil auch auf Bali, weniger leider auf Sumatra, wo größere buddhistische
Tempelanlagen fast gänzlich fehlen mit Ausnahme von Muara Takus.
3. Das Zeitalter des islamitischen Elements mit seinen Wirkungen und Hemmungen in
der Beschränkung des Figuralen.
So verstand es jede Phase in den Wandlungen der Kunst, hier den ihr zukommenden
Anteil zum Ausdruck zu bringen. Eins aber blieb allen Epochen gemein, die Religion bildete
1 Bd. VI (Sumatra I) Atjeh... pag. 198.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
2 I
das Paradigma aller indischen Kunst. Solange Menschen die Welt bevölkern werden, und
der Sonnenwagen im Azur gleißt und zieht, haben sie darnach getrachtet, sich Vorstellungen
von dem, was sie verehrten oder fürchteten, zu machen. Das Gute oder Böse in Formen zu
kleiden, die ihnen bildlich oder plastisch den Ausdruck ihrer Phantasie näher bringen sollten.
Lassen wir nur einmal an unserem geistigen Auge die Götterwelt der Griechen mit dem in
ihr wohnenden Schönheitsideal vorüberziehen, dem Streben nach Edlem und Hohem, dann
will es uns scheinen, als ob sie den Gottbegriff durch Vollendung höchster Kunst im Wider-
spiel des rein Menschlichen darstellen wollten. Analog finden wir dies Streben in der christ-
lichen Glaubensgemeinschaft wieder.
Wie ganz anders in Indien und dem von ihm beeinflußten malaiischen Archipel. Hier
tritt das Dämonische in den Vordergrund und eine glühende Phantasie durch Wiederholen
einzelner Körperteile wie Arme, Beine und Köpfe an einem gemeinsamen Rumpf, sowie grelle
Farben in der Bemalung kommen zum Ausdruck. Je unfaßbarer für den Indier das Wesen
seiner Götter wurde, desto zweifelhafter seine Darstellung von ihnen. Sein stetes Sinnen
und Trachten, das sich mit dem ewigen Versenken in seine Götter- und Dämonenwelt be-
schäftigt, prägt sich auch in der Baukunst seiner Tempel aus. Die formenreiche bewegliche
Kunst der Länder, die sich vom Himalaya terrassenförmig nach Süden erstrecken, wurzelt
also in den religiösen Anschauungen ihrer Bewohner. Die Kunst Indiens ist der ins Körper-
liche übertragene religiöse Inbegriff menschlicher Phantasie,
F. W. van Eeden1 sagt: „Weil die Indier das rein Menschliche weniger achteten als das
unbegreifliche, göttlich ewige Wesen, den Brahma, woraus alles geboren ist und worin alles
wieder aujgeht, — so war ihre Kunst mystisch und wurde durch das Volk nicht in höherem
Sinne auf gef aßt als körperlich und entartete zur Abgötterei.
Die symbolischen Bildwerke der Indier, die sogenannten Götzenbilder, wurden bei späterer
Entartung wirkliche Götzen; jedoch waren sie anfangs nur Zeichen, Vorstellungen zur Erinne-
rung an gewisse allgemein angenommene Begriffe, durch allzu körperlichen Ausdruck wirkten
sie abscheulich.
Jedoch bei der Anpassung dieser Motive als Verzierung in Gegenständen des täglichen
Gebrauchs ging das Symbolische allmählich in das rein Dekorative über, und so entstanden die
gefälligsten Verzierungen, gefällig weil daran eine aus der Symbolik geborene Methode einen
geheimnisvoll verlockenden Charakter gab.u
Wie schon angedeutet wurde, übten die in alten Zeiten aus Vorderindien eingewanderten
Hindus im malaiischen Archipel Einfluß dort auf den Kunstsinn der Eingeborenen aus.
Jasper, J. E., und Mas Pirngadi2 äußern sich darüber wie folgt:
„Zwei Umstände sind hierbei anzumerken; I. daß die Übertragung von Kunstsinn und
Kunstanwendung das erlernte Gewerbe, nicht aber die ganze Technik in ihrer vollen Entwicklung
hat erfassen können; 2. daß der Einfluß nur bei bestimmten Völkern in Ost-Indien hat durch-
dringen können.
Urenn man den Unterabteilungen des Gewerbes nach geht und mit denen aus dem Lande
des Ursprungs vergleicht, kommt man zu der Überzeugung, daß viele Techniken hier im ganzen
nicht mehr oder nur noch sporadisch und fragmentarisch bestehen, und davon nenne ich z. B. die
h'erfertigung und den Gebrauch von Niello, die Verzierung mit Emaille, die Kunst des In-
krustier ens, das dekorative Atzen von silbernen Gegenständen, das Anfertigen und aufeinander
Schweißen von Filigranmotiven, welche Techniken in dem britischen Indien von heute noch
viel der früheren Blüte besitzen. Die Anlage und die praktische Fähigkeit der früheren Lehr-
meister sind also nicht völlig auf die Lehrlinge üb er ge gangen.
JVas den zweiten Punkt betrifft: die hierhin aus gewanderten Hindus sind absolut nicht
1 De waarde der Indische kunst. Batavia: 1883, Pag- 136. IVde goud en zilversmedekunst. ’s Gravenhage 1927;
2 De inlandsche Kunstnyverheid in Nederlandsch Indie Montou & Co., pag. 1—2.
ALFRED MAASS
2 2
mit allen indonesischen Völkern in Berührung gewesen, und die Tatsache, daß die immer außer-
halb der Berührung und von dem großen Verkehr abgeschlossen gewesen seienden Stämme, die
ein wahres Nomadenleben geführt haben, die Bearbeitung von Metallen kennen und dabei sehr
alte Methoden anwenden, weist darauf, <¿0/? die Geschichte von dem Entstehen des primitiven
Handels zu einem viel früheren Zeitpunkt zurückdatiert werden muß als der Volksauszug der
Hindus nach Java und den umliegenden Inseln. So ist der Gebrauch von dünnen Gold- und
Silberplatten und Kügelchen eine sehr alte Verzierungsweise, welche mit sicherer Vorliebe an-
gewandt wird durch die Völker von Süd-Sumatra, durch Bataker und Dajaks, ja selbst durch
die Stämme von den abgelegenen Inseln Timor und Flores.“
Würdigen wir jetzt die verzierenden Künste der Malaien in Sumatra. Wie ich schon
auf Seite 19—20 zeigte, nimmt die Kunst der Atjeher einen besonderen Platz in der
Kunstgeschichte Sumatras ein. Snouk Hurgronje1 zwar stellt ihr kein schmeichelhaftes
Zeugnis aus, er sagt ganz allgemein: ,,Die Kunst ließen wir... unerwähnt, da sie in Atjeh,
soweit unsere Kenntnis jetzt reicht, nie besonders viel bedeutet zu haben scheint.“
Lassen wir uns durch diesen Ausspruch eines großen Gelehrten nicht abschrecken, sehen
wir an einigen Beispielen in der Architektur und der Gold- und Silberschmiedekunst, was
Atjeh auf diesen Gebieten leistet.
Natürlich als erste Bedingung bei der Betrachtung einer fremden Kunst gilt, meiner
Meinung nach, der Grundsatz, den Künstlern nachzuempfinden, mit ihnen psychologisch
zu harmonieren. Jede uns fremdartige Kunst dürfen wir
nicht nach europäischem Können beurteilen. Orientalische
Kunst ist, wie wir gesehen haben, aus ganz anderen Ge-
fühlen herausgeboren und sie müssen für uns den Wert-
messer, diese Kunst richtig zu beurteilen, bilden.
Ich persönlich möchte mich über das, was ich an
Atjehkunst aus Museen und durch Abbildungen kenne
dahin äußern, daß diese Kunst zwar dieselbe Höhe wie
die Kunst der Minangkabauer einnimmt, was ihr aber
einen eigenen Reiz verleiht, ist das in ihr hin und wieder
stärker auftretende islamitische Element.
In dem Ethnographischen Reichsmuseum in Leiden2
finden wir die Schnitzerei einer Türumrahmung, Abb. 22,
aus Mölaböh an der Westküste von Atjeh, die uns in den
Pentagrammen Spuren islamitischer Beeinflussung zeigt
und von rotbraunem Holz hergestellt ist. Herr Konser-
vator H. W, Fischer beschreibt dieses Muster wie folgt:
„Die Pfosten mit einer Reihe Kreise, die ausgebuchtete
Blumen umschließen; in den übrig bleibenden Flächen
Schmetterlings ähnliche Figuren; oben durch ein Kreuz ge-
teiltes Quadrat mit vier Figuren wie oben. Der obere Teil
unten und oben mit breitem Rand ineinander greifender
Spiralen; das übrig bleibende Rechteck mit einer Reihe
Quadrate umrandet, die abwechselnd zu kleinen Rauten ge-
teilt oder mit einem Kreuz und Figuren wie oben gefüllt; auf dem mittleren Teil des Recht-
ecks., zwischen zwei fünf spitzigen Sternen, eine arabische Inschrift:
(Allah kann die Gewalt der Ungläubigen auf hören machen.
Er ist stärker als sie und seine Strafen sind schrecklicher)“.
1 De Atjehers, deel II, pag. 63. 2 Katalog Bd. VI 1429/132 pag. 194 u. Tafel XV.
Abb. 22.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
Der Liebenswürdigkeit des Direktors vom Ethnographischen Reichsmuseum in Leiden,
Herrn Dr. H. H. Juynboll, verdanke ich die Möglichkeit, die kommenden Abbildungen,
Abb. 23.
Abb. 24.
Schmuckstücke aus Atjeh, hier zeigen zu können, als Beispiele des
islamitischen Einflusses in der Atjehkunst.
„Brustschmuck, tundjöng badjee mörante, (Ahb. 2jJ aus drei
Teilen bestehend, welche. . . an drei Stellen mittelst kleiner Ketten anein-
ander gehängt; die Teile von welchen der untere kleiner als die andern
jedoch ohne Mittelkiel und im Ganzen nur mit sieben farblosen Steinen
(in beiden unteren Teilen fehlt einer). Auf der Mitte jeder der Ketten
eine vierblätterige Blume mit einem ebenfalls farblosen Stein in der
Mitte. Wird meistens auf der Westküste und hauptsächlich durch
Männer getragen
„Brustschmuck, kawet badjee1, (Abb. 24) von Gold, halbmondförmig mit zahlreichen her-
vortretenden Spitzen; längs allen Rändern ein gezacktes Bändchen auf der Vorderfläche Ver-
zierung von Blattranken, ön lipat, ön siröng und ön kalö*; in der Mitte aus gezackten Bändchen
bestehende, erhabene Schnörkel, welche ein menschliches Antlitz ( P) bilden. Auf regelmäßige Weise
verteilt siebenzehn farblose Steine, je von einer Schnur umgeben. Hinterfläche glatt mit zwei an-
gelöteten Ösen, woran eine kleine, mittelst eines 00 -förmigen suasa Plättchens zu verschließende,
suasa Kette.“ Diese beiden Schmuckstücke werden in Atjeh d. h. sowohl in Groß-Atjeh, als
auch in den Küstenländern getragen, aber nicht im Binnenlande.
„Haarschmuck, ajöem gumba'2, (Abb. 25) von Gold; Mittelstück rautenförmig ä jour ge-
arbeitet, an allen Rändern in spitze Schnörkel endend; Vorderfläche mit Blattornament (ön
kalA und ön tumba') von Gold und grünem Email; längs des Umkreises regelmäßig verteilt
acht farblose Steinchen, in der Mitte ein größeres und darunter eine Reihe vierblättriger Blumen
von grünem Email. Dieses Mittelstück hängt mittelst einer Öse an einer silbernen Kette; an
den anderen Ecken hängen solche, aber viel kleinere rautenförmige Figuren je mit fünf farblosen
Steinchen; beiderseits des Unterrandes des Mittelstücks und an zwei Ecken der kleineren Rauten,
bei der mittleren auch an der unteren Ecke hängen herzförmige aus Blättern zusammengestellte
und mit grünem Email gefüllte Figürchen (bungong prie ) und an diesen, sowie an den kleinen
Rauten, rautenförmige, teilweise eingeschnittene Stückchen Goldblech. Dieser Schmuck kommt
in ganz Atjeh vor.“
1 Katalog d. Ethn, Reichsmus, VI 1590/62; 1599/63,
Pag- 39-
Katalog d. Ethn. Reichsmus. VI. 1429/107, pag. 29—30
Taf. 1, Fig. 5.
24
ALFRED MAASS
Noch ein Beispiel islamitischen Einflusses möge hier durch die Abb. 261, welches uns
ein kostbares Tuch vorführt, Platz finden.
„Tuch, idfa tob ulee kasah bungdng kalimah, von Seide, die Mitteljläche rot (pödöndang. . .)
die Enden und die Längsränder dunkeipurpurn (lambajöng. . .). Gänzlich mit Golddraht durch-
weht. Muster. . . stilisierte aber nicht umgewendete kalimah-Motive ab gewechselt von Rändern
Abb. 26.
Abb. 25.
mit Kreuzen und bungdng glima... in einiger Entfernung der Enden eine Doppelreihe tumpal. .,
aus Blumenmotiven zusammengestellt. . . Den Längsrändern entlang Reihen kalimah-Motive. . .
eingefaßt von karierten. . . oder bungdng awan. . . Rändern. Nahe den Enden des Tuches. . .
eine Reihe etwas gekrümmter Blätter (?)... kurze purpurne Fransen. — Für Kopf- und
Schulterbedeckung der Frauen bestimmt. Diese alten, kostspieligen Tücher durften nur durch
die Gemahlin und weibliche Nachkommenschaft des Sultans und die Gemahlinnen der Panglima
Sagi, Rangs- oder Geburtswegen getragen werden.“ Sie kommen in Groß-Atjeh und in den
Küstengebieten vor, aber nicht im Innern. Das Interessante für uns an diesem Tuch bildet
das kalimah (Glaubensbekenntnis) Motiv. Wir sehen es deutlich im Muster hervortreten
und darf unsere Annahme wohl zweifelsohne berechtigt sein, daß hier mohammedanischer
Einfluß vorliegt. Dasselbe Motiv kommt öfters in atjehschen Gegenständen vor. Ich werde
darauf noch einmal an anderer Stelle zurückgreifen, wo ich über die Formenentartung beim
islamitischen Element noch einiges erwähnen will. Diese Beispiele mögen einen kleinen
1 I599/I4° Pag- 65.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
25
Überblick wenigstens davon geben, in welcher Weise das islamitische Element in unserer
Zeit seinen Einfluß in der sumatranischen Kunst auszuüben weiß, und wie es der Atjeher
versteht, seinen Schmuck und Gewebe zu verzieren. Ich darf aber von Atjehs goldenem und
silbernem Geschmeide nicht Abschied nehmen, ohne die schöne, eingehendere Arbeit von
T. J. Veitmann: ,,Nota betreffende de Atjehsche goud- en zilversmeedekunst“1, zu erwähnen.
Um den heutigen Einfluß des Islams auf die Kunst der malaiischen Inselwelt richtig zu
beurteilen, meine ich darauf hinweisen zu müssen, daß es tatsächlich manchmal eines feinen
Stilgefühls bedarf, um zur richtigen Erkenntnis zu kommen. Zum Beweise hierfür möchte
ich ein paar Beispiele anführen.
Im Katalog des Ethnographischen Reichsmuseums zu Leiden, Band VI finden wir auf
Seite 60 die Verzierung eines Kopftuches 370/2983 abgebildet, siehe Abb. 27. „Das Tuch,
tangkulö% ist von grober Seide, fast quadratisch, dunkelviolett (lamhajöng) gänzlich mit. . .
Golddraht durchweht; auf der Mitteljläche in regelmäßigen Reihen, Stickerei von bungong sölöpö
und bungong glima (nach den Blumen der s. g. djambu klutuk, Psidium Guajava, L. Filet
Nr. 1939; de Clerk, Nr. 2902 gibt aber für glima: Punica Granatum L.); längs der Ränder
eine Reihe tumpal, gefolgt von einer Reihe stilisierter und umgewendeter kalimah-(Glaubens-
bekenntnis ) Motiven. Wird benutzt zum Umwickelnder kupiah (Mütze) 1882 für fl. 5 — gekauft.“
Gebräuchlich in Groß Atjeh, wie in den Küstenländern, im Gegensatz zu den Binnenländern.
Abb. 28.
Interessant für uns an diesem Tuch ist die Art der Stilisierung des kalimah Motivs,
noch liegt die Möglichkeit der Erkenntnis von Buchstaben vor. Wohin aber bei einem an-
deren Beispiel diese Stilisierung von Buchstaben führen kann, das wird uns eine Stelle aus
einem Brief zeigen, den mir vor längerer Zeit Herr Conservator Fischer vom Ethnographischen
Reichsmuseum in Leiden schrieb.
Herr Fischer teilte mir also mit: ,,. . . viel merkwürdiger sind in dieser Fl insicht die leider,
nicht photographierbaren Mützen, weil aus ihnen klar wird, wie die Schriftzeichen Allah,
allmählig stilisiert und zuletzt in eine einfache Reihe Striche oder Dreiecke umgebildet werden.
Im Katalog des ethnographischen Reichsmuseums Bd. VI, S. 55 und 56 werden einige Bei-
spiele angeführt; in der Sammlung in Amsterdam zeichnete ich von ähnlichen Mützen die hier
stehenden Figuren (Abb. 28). Merkwürdig ist es, wie ein Ornament bis zur Nichtwieder-
erkenntlichkeit umgebildet werden kann, so daß kein Eingeborener wahrscheinlich mehr den
Ursprung weiß.“
Wenden wir uns jetzt der Kunst der Minangkabauer zu, deren altes Reich in den
Padanger Hochländern einst seinen Sitz hatte. Der Leser möge mich dorthin begleiten.
Eine prächtige Tropennatur entfaltet hier in den Bergen des Barisangebirges großartige
Stimmungsbilder. Einen besonders intimen Reiz bieten die malerisch gelegenen größeren
Örter und Dörfer mit ihren bunt bemalten, oft reich geschnitzten, Häusern. Ida Pfeiffer2
1 Tijdschr. Ind. T.—, L. en Vk., deel XLVII, all. 3 2 Meine zweite Weltreise. II. Teil. Wien: Gerold 18565
en 4. S. 11—12.
4 Baessler-Archiv.
2 6
ALFRED MAASS
schreibt schon im Jahre 1852: „Am meisten fiel mir die Bauart der Häuser auf; viel länger
als breit, mit schmal zulaufenden Endseiten, die das Mittelgebäude überragen, gleichen sie eher
Schiffen als Häusern. Die Dächer sind zwei- bis dreimal ausgeschweift und jede Ausschweifung
mit zwei Sfitzen versehen, was ihnen das Ansehen Türkischer Sättel gibt. Die Häuser sind
von Holz und mit hellen Ölfarben angestrichen, die Vorder- und Seitenwände mit kunstvoll aus-
geschnittenen Arabesken oft ganz bedeckt. Sie stehen auf Pfählen, von welchen man aber nichts
sieht, da sie von Bambus- und Bretterwänden umkleidet sind. Man kann sich wirklich nichts
geschmackvolleres, nichts originelleres vorstellen.“
Ein farbenfreudiges Bild gewährt der Anblick eines Markttages in den Hochländern,
wenn in festlich geschmückten Gewändern mit reichem Gold- und Silberschmuck die Be-
wohner dem Marktort ein eigenartiges, stimmungsvolles Gepräge zu geben wissen.
Beschäftigen wir uns zunächst einmal eingehender an der Hand zahlreicher Beispiele,
soweit es der Raum hier gestattet, mit der Holzarchitektur in den Hochländern von Padang.
Ein berufener Kenner, Herr Assistent Resident L. C. Westenenk1, der jahrelang in
diesem schönen Teile Sumatras weilte und ein eifriger Förderer einheimischen Kunst- und
Gewerbefleißes war, sagt über die Holzschneidekunst : „Es ist in dem Lande Minangkabau
von der alten Kunst viel übrig geblieben. Früher war das Anbringen von Holzschnitzarbeit an
den Häusern allgemein und wurde mit roter, blauer Erde und gelben Pfeifenton bemalt; dieser
wurde vor dem Gebrauch gekocht und von allen unreinen Bestandteilen gesäubert, danach mit
Hasser auf die Schnitzarbeit gestrichen. Heutzutage kommt das so zu sagen nicht mehr vor;
man bemalt sein Haus mit importierten Farben, oft schreiend und häßlich. War dann auf diese
Weise bereits „Verzierung“ angebracht, unterblieb die kostbare Holzschnitzarbeit.
Das überhäuft Dekorative, welches einen großen Teil der Wände .älterer Häuser und Reis-
scheunen bedeckt, wird jetzt selten, darum gibt es dann auch nur noch wenige tukangs (Meister),
die die Kunst verstehen.
Bei Begüterten werden die starken Pfähle durch steinernen Unterbau ersetzt, oder, damit
es wenigstens so aus sieht, ziehen sie vor den Pfählen eine dünne Kalkmauer auf ! Sie tauschen
die malerische leichte Form des Hauses ein für das plumpe viereckige aber praktische indo-euro-
päische Modell, — und hieran paßt ihre Schnitzarbeit nicht, so daß es bei sternförmigen Ver-
zierungen (bintang) über den Türen und einigen Figuren an den Pfosten bleibt.
Es ist jedoch noch viel vom Alten bewahrt, aus welcher Zeit die überall angebrachten Ver-
zierungen stammen, ist bei oberflächlicher Betrachtung nicht festzustellen: ein gutes Kampong-
haus ist so solide gebaut, daß es ein hohes Alter erreichen kann.“
Ich möchte weiter die Gelegenheit benutzen an dieser Stelle, für denjenigen der sich
für die Kunst der Malaien Sumatras interessiert, auf einige holländische Arbeiten hinzu-
weisen.
Kemp, P. H. van der, Resumé van gewestelijke rapporten over de kunstnijverheid in
Nederlandsch-Indie. Batavia: Ogilvie & Co. 1889.
Nijverheid, De inlandsche, ter Westkust van Sumatra, Tijdschr. v. Nijverh. en Land-
bouw in Ned. Ind. Deel XLIX, afl. 5.
Kunstnijverheid, De inlandsche, in de Residentie Palembang. Tijdschr. v. Nijverh. en
Landbouw in Ned. Ind. Deel XLVII, afl. 6.
Jasper, I, E., Het een en ander over de Padangsche Bovenlanden. Ind. Gids. 30.
Als ich im Jahre 1907 in Solok, einem Hauptplatz des Gouvernements Sumatras West-
küste, Residentschaft Padanger Hochländer, Abteilung der XIII und IX Kotas, zu wieder-
holtem Male weilte, ließ ich mir von einem Eingeborenen, Mas Sukandar, ein Skizzenbuch
anfertigen, welches auf Tafel I und II die verschiedenen Arten farbiger Schnitzereien, wie
sie in Solok und den Padanger Hochländern an Häusern Vorkommen, zeigen soll. Wir sehen
1 Weekblad voor Indie. Soerabaja 1905. 2de Jaarg. N0. 34 bl. 603.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
2 7
aus diesen Abbildungen, daß der Minangkabauer mit Vorliebe seine Ornamente aus dem
Pflanzen- und teilweise auch dem Tierreich entnimmt.
Zur Erklärung der beiden Tafeln möge hier kurz gesagt sein, daß die abgebildeten
Stücke einfach die Bezeichnung des Ornaments und den Zweck ihrer Benutzung am Hause
angeben sollen.
Tafel I.
1. ukir balik, Schnitzwerk mit zurücklaufender Linie, wird am Hause als papan tabal,
dickes Brett, benutzt.
2. akar tjino, ein Ornament, das uns Limacia oblonga Miers, resp. Taenioch laena
Griffittni Hook. f. darstellt, welche zu den kletternden Strauch- oder Stauden-
gewächsen gehören. Hier ist es als papan tagak, stehendes Brettchen, gedacht.
3. bungo, eine Blume oder Blüte, die in der Architektur hier als Verzierung, tabaan,
benutzt wird.
4. akar tjino, wieder auf einem papan tagak verwandt.
5. saluk laka, ein Ornament, das sich wie das Flechtwerk um Töpfe oder Pfannen
hinein zu setzen untereinander verbindet. Es wird in diesem Fall als tabaan, s.
Nr. 3, benutzt.
6. itik itik, der Name eines Musters, das (hinter einander gehende) Enten darstellt und
beim Hausbau als bandur, Holz-Balken-Rahmen zur Befestigung oder als Grund-
lage, Stütze usw. resp. als Schwelle oder unterer Falzrahmen zwischen den Fenstern,
auch als Bodengebälk Verwendung findet.
7. lapis djarami, soll uns trockene Reisstengel ohne Körner, die ineinander laufen, als
Verzierung darstellen: benutzt wird die Planke beim Hause als bandur, s. Nr. 6.
8. akar tjino, s. Nr. 2 findet hier seine Verwendung.
Tafel II.
9. Djandela lambung, Fenster an der Seite eines Hauses.
10. akar tjino, s. Nr. 2, als tabaan, s. Nr. 3, angebracht.
11. akar tjino, s. Nr. 2, diesmal zur Ausschmückung von kasan bermain, einer Dach-
latte verwandt.
12. akar tjino, s. Nr. 2, als tabaan, s, Nr. 3, angebracht.
13. akar tjino, s, Nr. 2, sakuluk, in Windungen oder Krümmungen auf einem bandur,
s. Nr. 7, als Ornament ausgeführt.
14. ukir balik, s. Tafel I, 1, welches zur Verzierung eines papan tagak, s. Tafel I, 2, dient.
15. akar djatuk, ein herabfallendes Staudengewächs, als tabaan, s. Taf. I, 3, angebracht.
16. akar djatuk, in einer anderen Variation wieder als tabaan, s. Taf. I, 3, als Orna-
ment benutzt.
Tafel III.
17. akar tjino, s. Taf. I, 2, zur Ausschmückung eines Bogen, galung, verwandt.
18. sait wadjik, soll ein Ornament sein, das Scheibchen von Reiskuchen ähnelt und auf
einem bandur, s. Taf. I, 6, dargestellt ist.
19. lapis djarami, s. Taf. I, 7, als tabaan, s. Taf. I, 3, benutzt.
20. awan awan, Wolken als Ornament gedacht, als tabaan, s. Taf. I, 3 verwandt.
21. saluk laka, s. Taf. I, 5, welches als tabaan, s. Taf. I, 3, dient.
22. akar tjino, s. Taf. I, 2, in Verbindung mit einem Spiegel als Schmuck, als tabaan,
s. Taf. I, 3, angebracht.
4'
TAFEL II
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15
16
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
I
Abb. 29.
Als Gesamteindruck, wie die Ornamente in der Architektur der Minangkabauer wirken,
möchte ich in Abb. 29 die Ansicht des Rathauses, balai, in Padang-Pandjang aus den Pa-
danger Hochländern bringen. Dieses Bild gibt
uns die reich entwickelte Giebelansicht und Seiten-
front des Gebäudes.
Außerdem füge ich noch ein Stück reizvoller
Verzierung einer großen Hausplanke ausPangean
bei. Abb. 30.
Wir dürfen hiermit die Padanger Hochländer
noch nicht verlassen, ohne wenigstens einen flüch-
tigen Blick auf die Schönheit ihrer Gewebe, auf die malerische Tracht ihrer Bewohner ge-
worfen zu haben. Abb. 31 führt sie uns in einem Gruppenbild vor.
Um die Art und Weise zu veranschaulichen, in welch gefälliger Manier die Malaien
Zentral-Sumatras auch im Haushalt ihre Gerätschaften allerliebst zu verzieren wissen, gebe
ich hier einige Beispiele, die dem Hausrate des täglichen Lebens angehören.
Die Abb. 32 bringt uns eine Gruppe verschiedener Behälter und Büchschen, die wir in
allen möglichen Varianten, häufig wie hier, reich verziert antreffen. Die Gegenstände stellen
von links nach rechts, 1. einen Behälter für Seidenfäden, tabung sutä (täbuäng sutä)1, 2.
einen Behälter für künstliche Hahnensporen, talak barümbuäng (tala barümbuäng tadji),
3. einen Behälter für Tabak, tampat roko (tampe* rokö*), 4. einen Behälter für Goldstaub,
tampat mas (tampU mas) und 5. abermals einen Seidenfädenbehälter vor. Die Stücke Nr. 1
bis 3 und 5 stammen aus Alahan Pandjang in den Padanger Hochländern, während ich
Nr. 4 in Sungai Batung, welches bereits in den IX Kota’s im Innern Sumatras liegt, erhielt.
Betrachten wir diese Hausgeräte im einzelnen und besonderen mit Berücksichtigung
der Ornamente. Zu diesem Zweck sind die Gegenstände durch Federzeichnung wieder-
1 Hinter der Schreibform des Stichwortes folgt (in form bei den von mir gesammelten Stücken,
runden Klammern) erforderlichenfalls die Ansprache-
32
ALFRED MAASS
Abb. 31.
gegeben worden, damit das, was uns an ihnen in künstlerischer Beziehung interessiert, noch
prägnanter zum Ausdruck kommt.
Abb. 33 Behälter für Seidenfäden: 1. keine Erklärung; 2. saluk löka(r), Flechtwerk von
rotan, das als Untersatz für einen Topf dient: 3. die beiden Linien führen keinen besonderen
Namen; 4. kaban-kaban, eine Art Halszierat; 5. Linien mit Sternen, baris sama bintang:
6. zwei Linien, baris; 7. wie 4; 8. wie 3; 9. lapik djarami, ineinander geflochtene Reisstengel;
10. wie 3; 11. wie 2 in einfacherer Form; 12. putjuk rabung (räbuäng), junge Bambus-
sprossen; 13. aka(r) tjinä, nicht vollendet; 14. eine dicke Linie; 15, wie 4;
16. eine dicke breite Linie; 17. wie 2; 18. wie 14; 19. wie 12; 20 wie 14;
21 wie 9; 22. wie 14; 23. wie 12; 24. eine dünne und eine dicke Linie.
Bgeg
HURI
-9
-13
-11
*■'
3
Abb. 32.
Abb. 33.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
33
Abb. 34 Behälter für künstliche Hahnensporen: I. aka(r) (minangkäb. aka) tjinä sä-kaluk,
Chinawurzel (eine Liane) mit zurücklaufendem Bogen; 2. sait wadjik, Scheibchen von Reis-
kuchen; 3. putjuk rabung (räbuäng), junge Bambussprossen; 4. kaban-kaban, eine Art
Halszierat; 5. wie 4; 6. lapik (läpie*) djarami, ineinander geflochtene Reisstengel; 7. aka(r)
tjinä; 8. wie 6; 9. wie 3. Früher wurden diese Behälter aus Bambus gemacht, der hier ab-
gebildete ist von puleh-Holz (Fagraea imperialis Miq.). Er enthält 7 Sporen von verschie-
dener Form.
Abb- 34.
Abb. 35 Behälter für künstliche Hah-
nensporen, welchen ich der Güte des Herrn
Oberleutnant Baptist in Sungai Batung
verdanke, ebenso die hier wiedergegebene
Zeichnung, die von einem Eingeborenen
angefertigt und mit Beschreibung versehen
Abb. 35.
wurde.
Abb. 36 Behälter für Goldstaub, der aber auch für Tabak gebraucht werden kann.
1. eine dünne Linie, baris (minangkäb. barih); 2, kaban-kaban, eine Art Halszierat; 3. wie
1; 4, wie 2; 5. wie 1; 6. wie 2; 7. itik-itik, Enten, die hinter einander gehen; 8. eine einge-
brannte Linie; 9. eine eingeschnittene Linie wie 1 (baris); 10. wie 2; 11. wie 1; 12. wie 2;
dann kommt ein silberner Rand mit einer Öse, der den Abschluß des Deckels bildet. Die
obere Fläche des Deckels ist mit einem Filigranmuster in Silber verziert. Der eigentliche
Behälter ist oben durch einen Ring mit einer Öse versehen, die Ornamente beginnen wieder
mit einer Linie: 13. wie 1; 14. wie 2; 15. wie 1; 16. wie 2; 17. wie 1; 18. wie 1; 19. wie 2;
20. aka(r) tjinä; 21. wie 2; 22. wie 1; 23. wie 1; 24. wie 2; 25. wie 1; 26 wie 2; 27. und 28.
wie 1; 29. bintang-bintang (Sterne); 30., 31., 32., nur Linien wie 1; 33. und 34. putjuk
rabung (räbuäng), junge Bambusspitzen; 35. wie 1; 36. wie 1; 37. wie 2; 38. wie 1; 39. wie
2; 40. wie 1; 41. wie 33; 42. aka(r) tjinä sä-batik; 43. wie 1; endlich ein silberner Abschluß
für den Boden des Behälters. Der Behälter ist aus Bambus gefertigt.
5 Baessler-Archiv.
34
ALFRED MAASS
Abb. 36a. Behälter für Seidenfäden, tabung(täbuäng) sutä, die auf seiner Wandung sicht-
baren Ornamente sollen hier nach Zahlen angegeben werden, Für i—2 konnte ich von meinem
Gewährsmann keine Erklärung erhalten; 3. kaban-kaban, eine Art Halszierrat, hier als
Name eines Ornamentes verwandt; 4. lintadu ba korong bar-ara‘, Raupen mit Streifen,
welche hintereinander kriechen; 5. Linien, die eine Krümmung haben, baris-baris säkaluk
(sä-käluä*). 6. Ineinander geflochtene Reisstengel mit Schwalbenflügeln, lapik (lapie*)
djarami sama sajap (sajö8') lajang-lajang. 7. Linien mit Krümmungen, baris-baris sakaluk
(sä-kälua*). 8. Das bekannte Motiv der chinesischen Wurzel in gekrümmter Linie verlaufend,
akar (aka) tjinä säkaluk (sä-käluä*). 9. Oben spitze Stäbchen, die durch einen Verband
miteinander verbunden sind, in der Mitte junge Bambussprossen, an den Seiten das Rank-
werk der chinesischen Wurzel, tadjam balik (bähe’), putjuk (pütjuä*) räbuäng und akar
(aka) tjinä. 10. Ineinander geflochtene Reisstengel, lapik (lapie-) djarami. 11. Spitze Stäb-
chen, die miteinander verbunden sind, tadjam balik (balie*). 12. Das Rankwerk der zwei-
mal verschlungenen chinesischen Wurzel, akar (aka) tjinä dua batang. Der Behälter ist
aus Bambus mit schwarzer Malerei und stammt aus Alahan Pandjang in den Padanger
Hochländern. Ein reizvolles Stück minangkabauischer Verzierungskunst, die in fröhlicher
Abwechselung heitere Ornamente auf den Bambuszylinder schuf.
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Abb. 36 a.
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Abb. 37.
Abb. 37 Webspule, tura’’, von Bambus gemacht und stammt aus Taluk, am Kwantan.
1. Ein Ornament, däs neunmal gebrochen ist, patah sambilan; 2. hintereinander laufende
Raupen, lintadu bär-arafr; 3. aka(r) tjinä; 4. putjuk rabung (rabuäng); 5. Blumen und Sterne,
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
35
bunga-bunga dan bintang-bintang; 6. Schwalben, die mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt
sind, lajang-lajang sama sajap-sajap (sajö^-sajö^); 7 und 8 sollen kleinen Bambusstäbchen,
die eingesteckt werden um den Zugang zu einer Reuse zu markieren, ähneln; tjutjuk (tjüt-
juä*) tadjam bolak (eigentlich spitze, scharfe Pflöcke, die unrichtig eingesteckt sind). Die
sich wiederholenden Ornamente wurden nicht berücksichtigt.
7AV*V»V.VAT.TiViViVAV.T.VAViVA,j
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(!J (i (') (•) f) i») (
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Abb. 38.
Abb. 41.
Abb. 38 Webespule, tura*, von Bambus gemacht und stammt aus
Taluk am Kuantan; am oberen Rande hat sie eine Bleieinfassung, damit
das Platzen des Bambus verhütet wird. Die Ornamente sind: 1. patah
sambilan; 2. aka(r) tjinä sa-batang; 3. putjuk rabung (räbuäng); 4. hat
keinen besonderen Namen, wird nur ukir, Zeichnung resp. Ornament, ge-
nannt; 5. wie 3; 6. aka(r) tjinä; 7. wie 4; 8, wie 3; 9. Flügel von Schwal-
ben, sajö* lajang-lajang.
Weitere Beispiele der Verzierungskunst mögen die Abb. 39, ein hübsch geschnitztes
und buntbemaltes Riet eines Webstuhls, papan suri, und Abb. 40 Teil einer Wollhaspel,
die ich in Taluk erwerben konnte, zeigen.
Abb. 41 ein Garnwickler, tukäl (tuka), der wie die Malaien sagen bälang, bunt, ist.
Betrachten wir ihn näher, so werden wir auf ihm eine Anzahl uns bereits bekannter Muster
sehen. In der Mitte des oberen Querbalkens sind lintadu bär-ara", hinter einander laufende
Raupen, dargestellt, welche nach rechts und links einer in Holz geschnittenen Blume, bungä
Abb. 39.
5*
ALFRED MAASS
36
kaju, zustreben. Seitwärts von diesen Blumen finden wir Rankwerk mit Blättern, dann
aka(r) tjinä sä-batang. Wenden wir uns dem gabelförmigen Mittelstück des Garnwicklers
zu. Am oberen Rande sind gebrochene, enthülste Reiskörner, patah bäreh, als Verzierung
gedacht. Die Mitte dieser U-förmig gestalteten Arme ist mit Dreiecken belegt, welche ein
ßlattmotiv umschließen, das uns bekannte daun aka(r) tjinä sä-batang, während der innere
Rand junge Bambussprossen, putjuk rabung (räbuäng), enthält. In der Mitte des ganzen
Garnwicklers abermals aka(r) tjinä von patah bäreh umgeben. Die beiden unteren Schenkel
zeigen in dem äußeren und inneren Rand die gleichen Verzierungen wie oben, während in der
Mitte dieser Schenkel das rankende Blattwerk der Chinawurzel angeordnet ist. Das Stück
stammt aus Taluk.
Abb. 42. Abb. 43.
Abb. 42 ein Reismesser, tuai, das seiner Form nach, den Hörnern eines Büffels, tanduk
(tänduä*), karbau, nachgebildet ist. Die linke Seite ist mit aka(r) tjinä geschmückt, in deren
Ranken kleine goldschimmernde Plättchen eingelassen sind, während wir auf der rechten
Seite lintadu bär-ara* antreffen; die Spitze ist durch patah baras (bäreh) verziert. An der
Spitze ist ein orangefarbiger und ein roter, weißpunktierter Streifen Zeug befestigt. Her-
kunft Taluk.
Ein anderes Reismesser, tuai, Abb. 43, wird an den beiden Kanten von patah bäreh
eingefaßt, daran schließen sich von innen nach außen putjuk rabung (räbuäng), dann folgen
links und rechts zwei Reihen gebrochener Reiskörner als Ornament, während auf der linken
Seite eine Reihe Blumen, bungä kaju, erscheinen, enthält die andere Seite nur ein Ornament,
ukir, ohne weitere Benennung. An den Seiten dieses Messers sind kleine Ketten, die in
Plättchen enden, als Behang, anting, angebracht. Die Spitze ist mit einem orangefarbigen
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
37
und roten Streifen Kattun, der weiß punktiert ist, versehen, außerdem sind an ihr noch zwei
weiße Perlschnüre, die in kleine Schellen endigen, befestigt. Beide Messer sind Geschenke
junger Männer an ihre Braut in Taluk gewesen.
Abb. 44 ein Brillenfutteral, tampat tjeremin mata, gemacht von ambatjang utan, Man-
gifera foetida Lour. Mit vertrautem Blick sehen war das Rank- und Blätterwerk der China-
wurzel; in der Mitte sind gebrochene Reiskörner, denen sich hintereinander laufende
Raupen anordnen, die Schieber, simpai, von Rotan gemacht, schließen das Futteral. Ort
der Herkunft Taluk.
Abb. 46. Abb. 47.
Abb. 45 bringt uns ein anderes Brillenfutteral. Leicht erkennen wir aka(r) tjinä sä-
batang, lintadu, bär-ara*, in der Mitte die Körner einer Frucht, bidjö labu manih, des süßen,
gewöhnlichen Kürbisses. Ort der Herkunft Taluk.
Ein wirklich schön und edel geschnitztes Werk malaiischer \ erzierungskunst ist eine
Schreibtafel aus Taluk, deren Kopf von der Vorder- und Rückseite die Abb. 46 und 47 ver-
anschaulichen.
Wie weit sich die Lust der Malaien in Zentral-Sumatra an Verzierungen von Gegen-
ständen im täglichen Leben zu betätigen weiß, das soll jetzt noch durch eine Reihe anderer
Beispiele erörtert werden, zumal für den Leser die Anschauung das einzige Mittel ist, um
ihn mit den Gegenständen vertraut zu machen.
Abb. 48 ein Hackenstiel, tangkai tjängkuä(r), aus Taluk, wie er von jungen Männern als
Brautgeschenk dem Mädchen ihrer Wahl gemacht wird. Die Ornamente sollen von oben
an, vom Griff, genannt werden. 1. putjuk rabung, (räbuäng); 2. ramä-ramä, Schmetter-
linge; 3. wie 1; 4. ukir selimpat, Ornament in Arabeskenform. 5. putjuk rabung, (rabuäng);
38
ALFRED MAASS
jang patah sambilan und aka(r) tjinä sä-batang jang patah sambilan; 6. nochmals junge
Bambussprossen, die neunmal geknickt sind; 7. wie 6; 8. wie 5? 9- w^e ^5 I0- aka(r) tjinä
sä-batang kaluk, (kahiä*) mit Krümmungen und Ringen, galang.
Abb. 49 ein Ruder pängajuh, (pängäjuäh), das
reich verziert ist und auch Bräuten zum Geschenk
gemacht wird; es stammt aus Taluk.
Abb. 50. Brettchen eines Vogelkäfigs, papan
sanka(r) burung (büruäng). Das Ornament der Spitze
putjuk rabung (räbuäng), daran schließt sich aka(r)
tjinä. Zwischen den beiden viereckigen Zapflöchern
bemerken wir lintadu bär-ara*, daran schließen sich
die Ranken von aka(r) tjinä sä-batang, zwischen ihnen
finden wir in regelmäßiger Anordnung Kürbissamen-
kerne, bidjä labu. Der Abschluß dieses mittleren
Teils wird wieder durch aka(r) tjinä gebildet, wäh-
rend die Schnitzerei am Ende oben junge Bambus-
sprossen zeigt; darunter die Ranken der chinesischen
Wurzel. Das hübsche Stück stammt aus Taluk.
Abb. 51. Ebenfalls ein Brettchen, das zu einem
Vogelkäfig gehörte, papan sangka(r) buruung. Mit
viel Liebe und Fleiß ist dieses, aus Taluk stammende,
Stückchen ausgestattet und gewährt einen anmutigen
Anblick. Ich verdanke diese Reproduktion Herrn
Conservator H. W. Fischer vom ethnographischen
Reichsmuseum in Leiden. Die Spitze zeigt im oberen
Rande aka(r) tjinä, in der Mitte ramä-ramä batang
kait, Schmetterlinge, an einem Stamme sitzend, der
untere Rand wird durch putjuk rabung (räbuäng)
eingenommen. Der mittlere Teil dieses Brettchens
führt oben selimpat, Arabesken, in der Mitte ramä-
ramä batang kait und im unteren Rande putjuk
rabung (räbuäng), an den Zapflöchern bidjä labu. Das äußerste Ende links wird von aka(r)
tjinä verziert.
Abb. 48.
Abb. 49.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
39
Abb. 52 und 53. Zwei kleine alte Riechfläschchen, buli-buli, die mit Craquelé versehen
sind und aus chinesischem Porzellan von graugrüner Lasur bestehen. Für uns hier von In-
teresse ist die eigentümliche Ausbildung der Stöpsel aus Holz, die wie hier, manchmal mit
farbigen Bändern und goldenen Füttern verziert werden; sie wurden in Taluk erworben.
Abb. 54.
Abb. 54 bringt uns die Umwandung einer
alten, aus einem Elefantenzahn gemachten Elfen-
beindose, deren Deckel und Boden fehlt, so daß
man die Vermutung hegen könnte, es hier mit
einem Armband zu tun zu haben. Der obere
und untere Rand ist mit aka(r) tjinä sä-batang
geschmückt, während in der Mitte Blumen, mit
kleinen Kreuzen abwechseln; aus Taluk.
Abb. 55 führt uns einen alten Behälter für
Gewehrkugeln, tampat, (Pampe*), piluru, aus
Elfenbein vor, von rotbrauner Farbe. Die weni-
Abb. 52. Abb. 53. gen Ornamente, welche wir gut erkennen, zeigen
eine Reihe kleiner, neben einander liegender
Plättchen, kaban-kaban, die von feinen Linien, baris, begrenzt werden, dann folgt das
uns bekannte Motiv der ineinander geflochtenen Reisstengel, djarami bä-saluk (bä-säluä*),
und an der Spitze finden wir aka(r) tjinä sä batang. Taluk.
Abb. 55.
Abb. 56 ein Messer, pantjung (päntjuäng); die Scheide wird von oben durch ein
gekrümmtes Farnblatt, kaluk (käluä*) paku, verziert, darunter befindet sich ein aus
40
ALFRED MAASS
Abb. 56.
Abb. 57.
Rotan geflochtener Ring, simpai, wel-
cher die beiden Seiten der Scheide
zusammenhält. Auf der eigentlichen
Scheide bilden die Rundornamente ab-
geschnittene Stückchen, karat-karat
(karedcare4), in der Mitte sind anein-
ander gereihte Raupen, ulas (uleh) lin-
tadu, angebracht. Gehen wir zum Griff
des Messers über, der oben als kugel-
förmiger kleiner Behälter, tjupu, aus-
gebildet ist. Ein Stöpsel mit Behängen
von Silber, die Flügeln der Schwalben
gleichen, sumbe tjupu sama sajap (sa-
jö4) lajang-lajang, sind an silbernen
Kettchen befestigt. Der obere Rand
dieses kleinen Behälters, welcher für
wohlriechendes 01 oder Harz benutzt
wird, ist aus den kleinen, die Frucht des
Mangostän umschließenden Blättern,
buah manggis, gebildet. Von den Mo-
tiven, die unsere kleine Abbildung
noch erkennen läßt, wären ulas (uleh)
lintadu und karat-karat (kare4-kare4)
zu nennen. Das Stück stammt aus
Lubuk Djambi.
Ein Kopftuch, selendang, soll uns
auf Abb. 57 erfreuen. Es ist ein altes
pusakä (d. h. Erbstück) von feinem
seidenem Lüster, dessen dezentes vio-
lettrötliches Farbenspiel mit seinen ver-
blaßten Goldfäden wohltuend auf das
Auge des Beschauers zu wirken weiß.
Dieses Tuch ist mit Blumen und an-
deren Figuren sowie Gold durchwebt,
ini kain pätah buah banang amas
(ameh). Am unteren Rand läuft eine
goldgewebte Kante mit aka(r) tjinä;
in fünf Reihen sind auf dem seidenen
Grund Blumen mit Goldfäden herge-
stellt und eingestickt worden, bungä
sungkit. Die großen spitzen Muster
sind putjuk räbuäng, an welche sich
eine Kante von aka(r) tjinä schließt.
Für die übrigen Webemuster konnte
ich keine genügende Erklärung bekom-
men. Das Stück stammt aus Si Lung
kang, und wurde von mir in Si-Djund-
jung erworben.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
4*
Abb. 58 und 59 führen uns zwei Becher aus Messing vor, welche das bekannte aka(r)
tjinä sä-batang Muster zeigen. Beide Stücke bilden Teile eines alteren Sinhbestecks aus
Taluk. Ein selten schönes Beispiel von Töpferkunst, welches ich aus Lubuk Djambi erhielt
und das aus den Batang Hari Gebieten stammen soll, ist ein Gefäß mit dickem Bauch und
engem Hals. Die Eingeborenen nennen es buli-buli, Abb. 60, seine Wandung ist mit Rauten
und Dreiecken versehen, in denen wir die uns bekannten Ornamente bungä kaju und Blatter,
daun, von aka(r) tjinä sehen.
Abb. 60.
Abb. 61.
Zum Vergleich führe ich ein ähnliches Stück aus dem Frankfurter Völkermuseum an,
dessen Abb. 61 ich seiner Zeit der Güte seines Leiters, meinem Freunde Hagen, verdankte.
Es stammt aus Celebes.
Interessant an diesen Stücken ist die Form und Technik, da sie einander gleichen, ohne
identisch zu sein, und ich möchte Hagen zustimmen, daß wir es bei meinem Exemplar
zweifelsohne mit buginesischem Einfluß zu tun haben; vielleicht liegt auch die Möglichkeit
vor, daß der Künstler ein Buginese war. Hiermit möchte ich die Beispiele, welche aus den
Haushaltungsgegenständen der Malaien Zentral-Sumatras genommen waren, beschließen.
Ö Haessler-Archiv.
42
ALFRED MAASS
Ein altes Gebiet der Kunst wollen wir wieder betreten, möge mich der freundliche Leser
nochmals in das Herz Sumatras nach Taluk begleiten, und besuchen wir die primitive Heim-
stätte eines Gold- und Silberschmiedes daselbst, damit wir kennen lernen, in welcher Art
dieser all den hübschen Schmuck herzustellen weiß. „Die Werkstatt ist ein kleiner vier-
eckiger Raum, der sich kaum i m über den Boden befindet, Abb. 62. Der hintere Teil des
Abb. 62.
Raumes wird von der Familie als Wohnung benutzt; nur der vordere Teil dient als Werk-
statt, hier arbeitet der Meister mit seinen beiden Gehilfen. In der Mitte stand als Kohlen-
becken eine eiserne Schüssel auf einem kleinen viereckigen Holzrahmen, langka(r). Auf dem
Boden der eisernen Schüssel befindet sich ein Gemenge von acht Teilen Erde und zwei Teilen
starken Salzwassers. Dieses Gemenge soll im Verein mit dem Holzrahmen das Durchbrennen
des Fußbodens verhindern. Auf den angefeuchteten Sand kommt dann Kokosnußasche und
Kohlenstückchen aus der harten Kernschale der Kokosnuß. Ein Bambusblasrohr (säluäng
api) facht bei Bedarf das Feuer bis zur Rotglut an. In der Nähe des Feuers sehen wir hier
zwei kleine vierkantige Ambosse (ländasan, ländehan) stehen; zu ihnen gesellt sich noch ein
dritter kleiner Amboß (tingiran), der namentlich zum Formen des Edelmetalls dient. Kohlen-
stückchen und Metallgegenstände, die in der Glut des Feuers zum Glühen gebracht werden
sollen, werden mit einer kleinen leichten Feuerzange (sapi[t] barä „Zange für die Holz-
kohlen“) ins Feuer geschoben oder herausgeholt. Die Anzahl der von unserem Meister ver-
wandten Hämmer belief sich auf drei Arten. Ein großer (töktök gadang) mit kurzem Stiel,
ein kleiner, ganz leichter Hammer ([pän]tjatja| r]), ähnlich wie ihn bei uns die Tapezierer zum
Einschlagen (tjatja(rj) der Drahtstifte benutzen, und eine noch kleinere Art Hammer, bei
dem der eiserne Teil durch Horn ersetzt wird (tjatja[r] tänduä*), und der zum Aushämmern
der feinen Formen benutzt wird. Von Zangen gebraucht man: eine große Art (sapi[t])
bäluk), die beim Drahtausziehen Verwendung findet, eine kleine Drahtzange mit breitem
Mundstück oder flachen „Backen“ (mimit pitja*) und eine solche mit spitzem Mundstück
oder langen und spitzen „Backen“ (mimit bulak). Ein Streckeisen, tarikan, (täriean) für
Draht, mit dessen Hilfe ihm die geeignete Stärke gegeben wird, ist mit einer Reihe Löcher
verschiedener Größe versehen. Eine kleine Pinzette (sapi(t)sanam), sowie zwei kleine Blech-
scheren (guntieng) und ein kleiner Schraubstock (papit katam) vervollständigen das Hand-
werkszeug, zu dem noch eine ganze Anzahl Stanzeisen (pahefrpäükie) kommen, die zum Teil
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DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
aus alten Nägeln gemacht werden. Ein Pfriem, si-girik, (si-girie*), mehrere Feilen, wie eine
gröbere halbrunde (kikie(r) kasak „gröbere, gewöhnliche Feile“), eine dreikantige kikir,
(kikie (h)älu (h)äluih „Feinfeile“), sechs kleine sehr feine runde Feilen (kikie ekuä(r) mantjT
„Rattenschwanzfeilen“), die auch wir Rattenschwänze nennen, und zwei Bürsten (gunda(r))
mit Messingborsten mögen die Aufzählung der Werkzeuge beschließen.
Wichtig für einen Goldschmied ist die Goldwage (taradju) mit dem dazu gehörigen Satz
von Gewichten (bungka(l)), die vom tahil (gesprochen tähie) abwärts gebraucht werden.
Zu Matrizen wird Damarharz verwandt. Zum Befestigen der Steine benutzen sie die Fäzes
der kleinen Bohrwespe (galä-galä), wie sie sagen, also eine Art Wachs und Blei (timah) zum
Aushämmern. Wollen sie einen Gegenstand versilbern oder vergolden, so geschieht dies auf
recht primitive Art und Weise. Sie beziehen die chemischen Substanzen gleich in fertigen
Lösungen als Scheidewasser aus Padang unter den Namen äie(r) säpuäh mas für Gold und
äie(r) säpuäh pira* für Silber. Zu dem weiteren Inventar eines inländischen Goldschmiedes
gehört ein Magnet (basi barani, „mutiger Stahl“), der die Aufgabe hat, beim Goldankauf das
Gold von fremden beschwerenden Teilen zu befreien. Eine Anzahl Tassenköpfe, halbe Kokos-
nusschalen, alte Konservenbüchsen usw. dienen als Behälter für verschiedene Kleinigkeiten,
die ganz untergeordneter Natur und infolgedessen nicht von wesentlichem Belang sind. Zu
nennen sind noch ein Abziehstein (batu rake4 (= rakat)),. . . und ein Prüfstein (batu udjian).
Topfscherben von Tjaranti-Töpfen werden zu Schmelztiegelchen (tambingkar, eigentlich
„Topfscherben“) verwandt. Der Gießtrog (tuangan) ist aus einem gespaltenen halben
Bambus gemacht, der die Länge von einem Gliede hat. Ein kleines Eisen, pahat (pahe4-
pämanggal) „Meißel mit breitem Ende“ in der abgebildeten Form ^ dient zum Spalten
von Blech; zwei kleine Muscheln (lokan pati und lokan pidja(r)) werden als Goldschäufelchen
benutzt; ferner ist ein Gerät zum Drahtziehen (pämilin tali äie(r)) vorhanden und ein Be-
hälter für Stabeisen (sambang pahe4). Zu erwähnen wäre noch, daß an der großen Zange
Einschnitte angebracht sind, um Draht zu formen. In kleinen Kistchen oder Kasten werden
die kleinen Gerätschaften aufbewahrt; dorthinein werden auch angefangene Stücke und
fertige Sachen gelegt. Um Gold- und Silbersachen zu reinigen, benutzen sie äie(r) asam
limau, eine Zitronenwasserlösung1.“
Was der Gold- und
Silberschmied mit diesem
primitiven Handwerkszeug
zu schaffenvermag, soll jetzt
an einigen Beispielen ver-
anschaulicht werden.
Abb. 63 eine große gol-
dene Gürtelschnalle pan-
ding amas, (pändieng ämeh)
am Kuantan und Kampar,
vonTaluk. Die Ränder, tali
äiö(r): zwischen ihnen sind
blattförmig rankende Ver-
zierungen als Hauptorna-
mente angebracht, während
äußeren Rand kleine
buckelförmige Erhöhungen eine Bordüre, djalä-djalä, einem Wurfnetz ähnlich bilden. Das
am meisten in die Augen fallende Ornament ist aka(r) tjinä sä-batang mit Blumen am
Stengel, sama bungä sä-tangkai. In der Mitte ist auf einer Unterlage alas (aleh) ein Edel-
1 Maass, Alfred, Durch Zentral-Sumatra Bd. I, pag. 371—373.
6*
44
ALFRED MAASS
stein, parmatä (parämatä), angebracht, dessen Einfassung mit putjuk-rabung (räbuäng)
jungem Bambussproß, verglichen und rumah parmatä genannt wird. Den Stein selbst nannte
mein Gewährsmann einfach batu.
Hergestellt ist die Gürtelschnalle
aus geringem Gold, mas muda.
Abb. 64 kleine kupferne Gür-
telschnalle panding, (pändieng),
bringt in schöner edler Form das
aka(r) tjinä sä-batang Ornament
zur Anschauung. Zu bemerken wäre
bei diesem Stück, daß es eigentlich
die Unterlage zu einer einst mit
Gold plattierten Gürtelschnalle bil-
dete. Das aufliegende weiche Gold-
blech ist im Laufe der Zeiten mit
dem durch Hämmern auf ihm her-
vorgebrachten Muster verloren ge-
gangen. Diese Schnalle stammt aus Taluk.
Abb. 65 kleine Kalkdose, silapä kapur (käpuä), von weißem Messing, löjang putih,
welches wir als Neusilber bezeichnen würden. Sie wurde in Si-Djundjung erworben. In der
Mitte des Deckels befindet sich als ornamentaler Schmuck Blume und Blätter einer Wald-
pflanze, aka(r) andung, Penanga patula Bk, die zur nat. Familie der Palmae gehört; eine
Schnur, tali air (äie), faßt sie ein. Der äußere Deckelrand, ebenfalls von einer Schnur ge-
bildet, zeigt hintereinander laufende Enten, itik-itik, (itie-itie) als Ornament. Zwischen
beiden Schnüren liegt wieder ein Kranz von Blumen und Blättern der oben genannten
Waldpflanze, akar andung. Die Umwandung der Dose zeigt am Deckel einen schraffierten
Rand, der die Glieder sait (saP) einer gewöhnlichen Halskette kalung (kaluäng) darstellen
Abb. 64.
Abb. 65. Abb. 65 a.
soll. Die eigentliche Wandbekleidung der Dose wird mit einem Kranz gekrümmter Farn-
blätter, daun paku, die zwischen den Blumen angeordnet sind, verziert. Für den untersten
Rand, der sich um die Wände der silapä zieht, konnte ich keinen Namen erfahren. Interes-
sant ist auch die Ausschmückung des Bodens dieser Dose. Abb. 65 a. Er wird von den
Gliedern einer Kette, sait kala mahie eingefaßt und auch durch diese in drei Abschnitte ge-
teilt. Im rechten und linken Felde finden wir einen gekrümmten Fisch, ikan bungku, und
in der Mitte eine Inschrift angeordnet.
Herrn Dr. Hubert Jansen, dem ich diese kleine Inschrift zur Entzifferung gab, teilte
mir mit:
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
45
Vor hemerkungen:
1. Der Akzent ' bezeichnet die Tonsilbe; z. B. siläpah.
b) о ist ein kurzes offenes o. Wenn es im Auslaute dem rein-malaiischen -a entspricht,
wird es meist mit ä bezeichnet.
c) Unterstrichene Vokale sind in der arabischen Schrift plene (d. h. mit der mater
lectionis) geschrieben, also mit i, j bzw. z. B. ^-\j radfä „Fürst“; y>-\ j tarqdju
„Wage“; 4.*jj rumah „Haus“; ¿Cl ikan „Fisch“.
II. Der Verfasser der eingravierten Inschrift sprach Minangkabauisch; das sieht man
an phonetischen Schreibungen wie jT .j\ qrägo (auch ägo gesprochen, wobei das -r- mit
dem Hilfsvokal -ä- verstummt) statt des gewöhnlichen ii.yt, [hjdf räJgä „Wert“, „Preis“;
jas pddo statt aIs padä „für“, „zu“, „an“ (letzteres ist die minangkabauische Schreib-
weise für rein-malaiisches as pada). Er war aber kein literarisch gebildeter Minangka-
bauer; das sieht man:
a) aus diesen meist ungebräuchlichen phonetischen Schreibweisen;
b) aus dem Gebrauche des in rein-malaiischen Wörtern ganz unberechtigten (nur in ara-
bischen und persischen Lehnwörtern vorkommenden, aber auch in diesen wie S ge-
sprochenen ) Buchstaben Jß S (= sch) statt S; z. B. Jasudqh (statt sudqh)
„Vollendung“, Fertigstellung“; y* musim statt ^j-° musim „Jahr“ (minang-
kabauische Aussprache musin, auch wohl geschrieben musin);
c) aus der ganz willkürlichen und ungeregelten Schreibung oder Weglassung von matres
lectionis, z. В.: 4.1s putih statt 4j^s putih (minangkab. putVh) „weiß“; jas pado statt
Als padä; musim statt ^j* musim oder musin „Jahr“, usw.
III. Der Graveur hat nicht bloß ziemlich schlecht graviert, sondern er war auch der arabischen
Schrift nicht sehr kundig; er hat seine Vorlage mechanisch kopiert, und dabei entstanden
falsche Wortbilder wie statt J J löfang („Messing“); der letzte Buchstabe я hat
eine Nukte zu wenig, und die Nukten sind ungenau gesetzt. Das Wort 4.Jj rupiah
(„Gulden“) trennt er törichterweise, es auf zwei Zeilen verteilend, so ab: J
........4. -i
— also so, daß der erste Buchstabe in der ersten dieser Zeilen ganz allein steht!— Manche
Buchstaben ahmt er beim Gravieren so schlecht nach, daß man sie nur mit Mühe wie der-
er kennt, z. В. das j (r) in f.J d 1 rä]go; ferner das a in obyS sudqh, das er wie ein j (r)
zeichnet; das schon erwähnte ä in % j) lojang, usw.
46
ALFRED MAASS
Die Original-Inschrift
sieht etwa so aus:
JJ) TAi*
<y o\*>J~
Das soll heißen (in besserer Schreibung): In Transkription:
\r lni-lah siläpah Iqfang
putVh ä[ rä ]go-njâ sa- rupiah, sudqh-njä
padq musim
1854.
P
P
NB. Über und unter
der Inschrift steht ein
Bild des jTU mäkar [in
minangkahauischer
Aussprache: maka),
d. h. des 10. ’Tier-
kreiszeichens, das un-
serm „Steinbock“ ent-
spricht; vgl. Alfred
Maaß: „Durch
Zentral- Sumatra“,
Bd. I, p. 505.
Die Lesung der 3. Ziffer ist mir unsicher, die letzte ist höchstwahr-
scheinlich eine 4; beide zeigen ganz ungewohnte Formen, die wohl
durch die Ungeschicktheit des Graveurs entstanden sind.
Die normale
S chreibung
würde so sein:
fSöP'
( oder 1834 )
P
In Transkription:
lni-lah siläpah lòjang
pütVh hdrägä-njä sa-
rupiah, suda-njä
padä musim
1854
?
In Übersetzung:
Diese Kalkdose aus
[weißem Messing — ]
Neusilber: ihr Preis
[ istj 1 Gulden, ihre
Vollendung [fand
statt) im Jahre
1854
P
Abb, 66. Dose von Messing, silapä lojang, welche für Betelblätter und Tabak benutzt
wird. Der reich gearbeitete Deckel ist mit einem Oma-,
ment versehen, von dem einige Teile weggenommen sind,
um aus dem Metall des Deckels das Ornament erhaben
entstehen zu lassen. Der Inländer nennt dies ukir atam.
In der Mitte ist als beliebtes Motiv die chinesische
Wurzel verwandt, während rechts und links von ihr
als Blattornament daun sungkai, Spathodea macroloba
Miq., den Abschluß bis zur Zierleiste des Randes bildet,
der von Blättern des Pfefferstrauches, daun ladä, ein-
genommen wird. Der obere und untere Rand der Dose
selbst ist mit Scheibchen belegt, die zwischen den Blumen Abb. 66.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
47
angeordnet sind, welche sich wie eine Halskette herumziehen, sait kala mahie. Zwischen
diesen beiden Rändern ist rankend aka(r) tjinä sä-batang gedacht. In den Ecken und an
den Seiten der Dose haben drei gestielte Blumen, tiga bungä sä-tang kait, als Muster Ver-
wendung gefunden, während die Mitte der Hinterseite wieder durch das chinesische Wurzel-
motiv ausgefüllt wird. Am Boden der Dose ist eine willkürliche Zeichnung eingearbeitet,
welche der Vermutung Raum gibt, daß wir es hier in den Ecken mit Häuschen, deren
Pfähle auf Steinen ruhen, zu tun haben. In der Mitte ist ein mir unbekanntes Ornament
eingraviert worden. Das Stück stammt aus Pajäkumbuh in den Padanger Hochländern.
Abb. 67a u. 67b goldenes Armband, gälang ämeh, das Blattornament wird hier durch
feinen Golddraht gebildet. Eine derartige Verzierung nennen die Minangkabauer pangaran.
Kleine Plättchen finden wir auf ihr zerstreut angebracht. Der Malaie sagt, sie liegen wie ein
flaches Netzwerk, djalä-djalä pitjak, auf. Das blattförmige Ornament, gekrümmte Farn-
blätter, kaluk (käluä8), paku, werden von einer feinen Schnur umsäumt. Von der Mitte des
Armbandes läuft nach rechts und links eine dreieckige ornamentale Fläche aus, die gleich-
falls von einer Bordüre, tali äie(r), eingefaßt wird, während die Flächebildung mit jungen
Bambussprossen, putjuk rabung (räbuäng), verglichen wird. In der Mitte des Armbands
ist ein breites konkaves Band angebracht, panükui( ?)kapala gälang; das Scharnier, kuntji
gälang; die Steinfassung, kapuk-kapuk, (kapuä*-kapuä*), parmatä. Das ganze Armband
wird von einer Bordüre kleiner Kreise, biku-biku, eingefaßt. Es stammt aus Karit.
Abb. 67 a.
Abb. 67 b.
Abb. 68 goldenes Armband, gälang ämeh. Es ist ein älteres wertvolles Stück, das reich
mit Rubinen verziert, die sich netzförmig um einen größeren Stein anordnen. Der obere
mittlere Teil des Armbands, kapala gälang, die viereckige Ein-
fassung des größeren Rubinen in der Mitte kapuk-kapuk, (kapuä*-
kapuä“) ampat sagi, die oval gefaßten Steine, werden einfach
als flach, pitja*, bezeichnet. Der größere mittlere Edelstein, par-
matä dalimö genannt, wird hier mit dem leuchtenden Rot der
Frucht des Granatbaumes, Punica granatum, verglichen. Der
kleine Stift, welcher als Verschluß dem Armbande dient, pasak
(pasa*) gälang, stellt eine blühende Grasart, bungä rumpui‘, dar.
Das Stück wurde in Si-Djundjung erworben.
Abb. 69 goldenes Armband, gälang ämeh. Es ist in seiner Art und Weise ähnlich dem
Armband Nr. 67a; auch hier wird die drahtförmige Verzierung, pangaran, d. h. mit einem
Gebälk verglichen. An den Seiten und am Scharnier finden sich rautenförmige Verzierungen,
sait kala mahie, der obere Rand mit Ringen, biku-biku; die dreieckförmigen Bildungen,
putjuk rabung (räbuäng), werden durch ein Schnurornament, tali tumali, eingefaßt. Am
unteren nicht sichtbaren Rand sind Fischeier, telor ikan, als Muster benutzt worden, die
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ALFRED MAASS
mit aka(r) tjinä sä batang vereint sind. Der Inhalt der Romben soll kapuk kapuk (kapua*-
kapua*), ampu, leere Seidenbaumwolldaunen, darstellen. Der obere mittlere Teil des Arm-
bands, kapalä gälang, zeigt aka(r) tjinä. Das
Scharnier, kuntji gälang mit putjuk rabnng
(räbuäng). Das Stück wurde in Si-Djundjung
gekauft und stammt aus den Padanger Hoch-
ländern.
Abb. 70 eine große goldene Gürtel-
schnalle, pandieng ämeh, in reicher Weise
wird sie durch ein bandförmiges Blattorna-
ment, daun langä, Blätter von Sesamum
indicum L., verziert, die von einer Schnur,
tali äie(r), umsäumt werden. Der Edelstein,
batu urung, in der Mitte bildet den Kelch
einer Blume, bunga malur gadang, Jasminum
Abb. 71. Eine Gürtelschnalle, die aus Palembang stammt, zeigt uns eine ganz andere
Art und Manier der Verzierung; hier sind die drahtförmigen Verzierungen in eine dicke,
feste, schwarze Paste, einer Art Emaille, eingebettet. Um die blumenartigen Ornamente
zu heben, wurden farbige, rote Steinchen und Silberdraht verwandt.
Abb. 72. Kalkdose, silapa kapuk (käpuä8), von Silber. In der Mitte des Deckels ist
ein Vogel, burung sawai, der zur Sorte der Raubvögel gehören soll und sich durch zwei lange
Schwanzfedern auszeichnet, angebracht; er ist von bläulich schwarzer Farbe. Das Scharnier
wird durch putjuk rabung (räbuäng) gebildet. An der Seite des Scharniers sind Blätter von
Abb. 69.
grandiflorum L. Ort der Herkunft Taluk.
Abb. 71.
Abb. 72.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
langä, Sesamum indicum L., angebracht. Am unteren, nicht sichtbaren Rande der Dose,
dort, wo die eine Seite des Scharniers aufgelötet ist, befindet sich das Motiv eines zweig-
förmigen Ornaments, das dem Sesamstrauche, langä, nachgebildet ist. In dem Rankwerk
des Deckels, das aus aka(r) tjinä besteht, finden wir noch rechts und links von dem oben er-
wähnten Vogel, zwei fliegende Vögel, burung ular, die zur Art der Reiher ( ?) gehören sollen.
Die Ornamentbildung des Randes wird von paku kanek, Lycopodium cernum L., sowie
Blättern von paku rasan, Gleichenia linearis Clarke, mit einer Blume, bungä tandjueng,
Mimusops Elengi L., eingenommen. Der kleine Anhänger zeigt in dreieckigen Feldern aka(r)
tjinä. Die Dose ist in Kötä Gadang gemacht und in Fort de Kock, Padanger Hochländer,
erworben worden.
Abb. 73.
Abb. 73. Großer goldener Hals- und Brustschmuck. Eine blattförmig ausgebildete
Halskette, geschmückt mit den Ranken der chinesischen W urzel, die von tali äie(r), Gold-
borte, eingefaßt werden, endet in zwei S-förmige Haken, kait-kait (kaf-kaf), bärangkai, an
denen ein sternförmiger Brustschild, bintang bantal djanti, hängt. Behänge, djalo-djalo,
die in Ösen, tampat kait, befestigt sind, dienen ihm zur Verzierung. In der Mitte des Brust-
schildes ein kristallinisch ausgebildeter Stein von Schwefeleisen oder Spießglanz, batu urung,
um den sich aka(r) tjinä rankt. Dieser Schmuck stammt aus Taluk.
Zum Schluß sei hier noch ein prächtiger älterer Silberfiligranbecher mit Deckel ab-
gebildet (Abb. 74). Reicher Blumenschmuck und Fruchtgewinde zieren ihn. Er befindet
sich im Staatlichen Museum für Völkerkunde in Berlin Nr. I C 7865, wurde von einem Herrn
7 Baessler-Archiv.
50
ALFRED MAASS
Moßner im Jahre 1877 geschenkt und befand sich ursprünglich in der Königlichen Kunst-
kammer. Es ist wohl ohne Zweifel ein Stück aus den Padanger Hochländern.
Verlassen wir hiermit das Gebiet des Schmuckes, den wir in verschiedenen Stücken aus
den Padanger Hochländern und in Formen, wie er in Zentral-Sumatra angetroffen wurde,
kennen gelernt haben.
Wir wenden uns jetzt der Holzschneidekunst zu, einem Gebiet, das im Innern Sumatras
nicht mehr so häufig als in den Hochländern von Padang angetroffen wird.
In welch reizvoller Form der Malaie seine Türen zu bekrönen weiß, soll Abb. 75 uns vor
Augen führen. Diese Bekrönung wird Türstern, bintang pintu, genannt. Die in ihr wieder-
gegebenen Schnitzmuster sind aka(r) tjinä, katjang katäduä, aka(r) tjinä gadang, rumah
djarami, bungä djarami. DieMus-
ter folgen der Reihe nach von oben,
dem äußeren Rand also, bis zu dem
Blumentopf in der Mitte, welcher
Reisblüten trägt. Ich fand dieses
Stück in einem kleinen Dorfe, Pa-
matang Pandjang bei Si-Djun-
djung. Hergestellt ist diese Supra-
porte aus dem Holz des batasan-
Baumes. Ein besonderes Augen-
merk hatte ich bei meiner Reise
durch die zentralen Teile Sumatras
darauf gerichtet, Umschau zu hal-
ten, wie weit es möglich war, ältere
Häuser mit Schnitzwerk anzutreffen. Meine Studien nach dieser Richtung führten mich
zunächst nach Taluk, von dort aus nach Karit, Sintadjo und Pangean am Kuantan. In
diesen Dörfern findet man hin und wieder einige hübsch mit Schnitzwerk versehene Häuser.
Da die Bewohner der Kuantan Distrikte arm sind, so konnte es natürlich nicht anders
möglich sein, daß mit Schnitzerei versehene und farbig bemalte Häuser nur selten angetroffen
werden, denn ein schönes mit Schnitzereien versehenes Haus läßt gewöhnlich nach dem
Mutterrecht auf eine wohlhabende Besitzerin schließen. Um dem Leser einen Gesamtein-
druck von der Verzierung dieser Häuser mit farbig geschnitzten Planken und bemalten
Wänden zu schaffen, sollen jetzt einige hübsche Häuser aus den von mir besuchten Örtern
hier abgebildet werden.
Abb. 76, Ein reichverziertes Haus in der kötä Taluk. Wenn wir dieses Bild eingehender
betrachten, so kommen wir zu der Erkenntnis, daß der Malaie einen Hauptwert bei der Ver-
zierung seiner Häuser auf eine große Planke legt, die oberhalb der Pfähle, auf denen das
Haus ruht, angebracht ist, sie dient zur Verblendung des Fußbodenbelags im Hause. Diese
Planke wird im Innern Sumatras pangaran rumah (in van der Toorn’s Minangkabausch-
Maleisch-Nederlandsch Woordenboek, pag. 254 pangadan) genannt. Sie endet auf unserer
Abbildung in eine kühn aufsteigende, durchbrochen gearbeitete Spitze. Bei diesem Hause
sind selbst die Pfähle durch Verblendungsstiele verziert worden. Auch die Vorderwand des
Hauses ist reich pfeilerartig ausgebildet, während die zwischen liegenden Fensterläden, ohne
Schmuck anzubringen, einfach und schlicht gehalten wurden.
Abb. 77 bringt Teile einer reichen Hausverzierung eines älteren Hauses in Taluk. Auf
dem ersten Blick erkennen wir auf der pangaran rumah das aka(r) tjinä-Muster zwischen
dessen Ranken kleine Blumen, bungä, angeordnet sind. Bemerkenswert aber an dieser
Planke ist die große in der Mitte angeordnete Scheibe, die wir mit einem Blumenkelch ver-
gleichen möchten. Ohne Zweifel haben wir es mit einem fremden Einfluß in der Architektur
Abb. 75.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
51
des Schnitzwerkes zu tun, und dies ist das Auffallende für uns. Wir erkennen bei näherer
Betrachtung dieses interessanten Motivs das Ineinandergreifen der doppelten T-Formen des
chinesischen Hakenkreuzes. Daraus ergibt sich für uns die Schlußfolgerung, daß chine-
sischer Einfluß hier vorliegt.
7
Abb. 77.
5 2
ALFRED MAASS
Wilhelm Hein1 sagt in seinen „Ornamentale Parallelen“; „Faßt man, was jedoch nicht
gerade ein naturgemäßer, aber ein die Erkenntnis der Ornamente sehr fördernder Vorgang ist
in Fig. 4 (hier Abb. 78) die das Negativum bildenden Elemente in’s Auge, wie es Virchow
getan hat, so wird man unwillkürlich an die ineinander gesteckten Doppel- F-Formen des chine-
sischen Hakenkreuzdessins erinnert. Wie aus Fig. 7 (hier Abb. 79) ersichtlich ist, beruht der-
Abb. 78. Abb. 79-
selbe auf der Verbindung von Hakenkreuzen, von denen je vier zunächstliegende sich in Eck-
punkten eines gedachten Quadrates befinden;. . . nur die durch Diagonalen dieser Vierecke ver-
bindbaren Kreuze haben im selben Sinne gedrehte Haken, welche sich entgegen ihrer Drehrich-
tung mit den entsprechenden Haken der zunächst liegenden Kreuze verbinden, so daß sie sich
gegenseitig in ihren Rotationsbestrebungen hemmen. Das Zentrum jedes Hakenkreuzes bildet
den Eckpunkt von vier zusammenstoßenden Parallelogrammen, in welche je eine Verbindungs-
linie der vier Haken fällt. Während demnach im chinesischen Dessin eine vierfache Verb indun g
von Hakenkreuzen stattfindet, beruht das Ornament von Koban bloß auf einer zweifachen Ver-
bindung von Zinkenkreuzen im ZAckzackbande. Wie ein einfacher Versuch ergibt, verträgt das
Zinkenkreuz ohne Gefährdung seines Charakters eine Behandlung nach der Art des chine-
sischen Musters nicht; es werden daher nur die in einer Reihe stehenden Kreuze mit Verlust
der in die Verbindung fallenden Zinken zu einem Bandornament vereinigt und die übrig-
bleibenden Zinken in alternierender Stellung angeordnet, wobei diese dem Zuge des Zickzack-
bandes gehorchend, sich sämtlich nach der Längsrichtung desselben kehren
Bei weiterer Beschauung dieser pangaran rumah, Abb. 77, die, wie wir schon früher
gesehen haben, in eine nach oben gerichtete, reich verzierte Spitze ausläuft, welche das
gleiche Motiv trägt, wie die eigentliche Planke, bemerken wir noch die prächtig ausgebildete
Form einer Ananas. Unterhalb der pangaran rumah läuft noch eine kleine, schmale, reich
verzierte Verblendungslatte, deren Motive ich nicht mit Sicherheit feststellen konnte. Die
Pfähle dieses Hauses sind ohne Verzierung, während die Seitenwände in je sechs rahmen-
artige, aufrechtstehende Fächer geteilt werden, zwischen denen in der Mitte ein quer-
liegendes, mit aka(r)tjinä geschmücktes Feld angebracht ist. Die Fensteröffnungen werden
hier durch Traillen angedeutet.
Unser Weg führt uns jetzt nach Karit, einem kleinen Dorfe westlich von Taluk, in der
Nähe des Kuantan gelegen. Wir wurden dort überrascht, wie die Wände der Häuser mit
ganz anderen Motiven in roter, gelber und schwarzer Malerei geschmückt waren, während
die Verblendungsplanke in bekannter Weise ausgebildet wurde; auch die Pfähle des Hauses
sind durch Anbringung von Verblendungspforten durch Profile verziert.
Abb. 80 und 81 zeigen reich verzierte und bemalte Häuser aus Karit. Die vor den
Fenstern angebrachten kleinen Dreiecke in Abb. 81 sind Holzscheibchen, welche an Schnü-
1 Bd. XX (d. neuen Folge Bd. X) d. Mitteil. d. Anthrop. Gesell, in Wien 1890, pag. 53—54.
Abb. 81.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS 53
ren hängen, die unterhalb der Dachkante befestigt sind. Abb. 82 bringt uns diese Fliegen-
scheuchen in vergrößertem Maßstabe und wir sehen in welcher Art der Malaie sie mit
Schnitzwerk und Bemalung auszuschmücken weiß. Der Eingeborene nennt diese Holz-
täfelchen, lajang-lajang, Schwalben.
Ein anderer Ausflug von Taluk führte uns auf dem Kuantan stromabwärts nach dem
östlich von Taluk gelegenen Dorfe Pangean in dem eine größere Anzahl mit Schnitzereien
Abb. 80.
ALFRED MAASS
versehener Häuser sich befinden, die denen in Taluk ähnlich sind, wie sie uns Abb. 83
wiedergeben soll. Von Interesse dürfte es sein hier mitzuteilen, daß an den Giebelwänden
einzelner Häuser kleine durchbrochene Planken, die zwischen Balkenlagen eingeschoben
waren, siehe Abb. 84, als neue Motive gefunden wurden. Um diese neuen Einflüsse in der
Abb. 82.
Abb. 84.
Abb. 83.
Dl£ KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
55
Architektur besser beurteilen zu können, gebe ich sie in Abb. 85 in größerem Maßstabe. Der
Malaie vergleicht derartige Muster mit einer karierten Kante. Er nennt sie tarawang pahe,
eine von Karo’s durchbrochene Kante. Zu ihrer Herstellung wurde das Holz von kaju sape,
Eugenia tenuicuspis Miq. benutzt. Das Stück stammt aus Taluk.
Abb. 86 eine kleine Planke ähnlicher Art, nur daß wir es hier mit einem scheinbaren
oder blinden Durchbruchmuster zu tun haben. Die beiden Seiten werden im Muster mit
Kürbissamen, bidjä labu, verglichen, während der ganze mittlere Teil als tarawang pahe
angesprochen wird. Die Planke ist ebenfalls aus Taluk und aus einem aufs Geratewohl
ausgewählten untersten Teil von madang Holz, madang tapak gadjar, gemacht. Dieses
Holz gehört zu jenen Arten, die als Bauholz vielfach Anwendung finden und Bäumen ent-
nommen wird, welche der Familie der Lauraceae angehören und hauptsächlich zur Gattung
Litsaea Lam. = Tetranthera Jacq. zählen.
Abb. 85.
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Abb. 86.
Im Kommenden sollen eine Anzahl Holzschnitzereien behandelt werden, die von ein-
zelnen Gebäudeteilen der von mir vorher angegebenen Dörfer stammen.
Abb. 87. Eine kleine Holzplanke, die als Wandbekleidung diente. Vier senkrechte
Linien, baris, säumen dieses Stück ein. An den beiden Senkrechten der Innenseiten setzen
sich blattförmige Ornamente an, die einfach als Verzierung, ukir, gedacht sind. Damit diese
kleine Planke in zwei Felder geteilt werden kann, erhebt sich aus der Mitte dieser Tafel ein
blumenartiges Ornament, bungä langa, Sesamum indicum L., die so gewonnenen Flächen
werden von einer in Holz geschnittenen Blume, bungä kaju, Abb. 88 eingenommen. Das
Objekt ist aus madang-Holz hergestellt und stammt aus Taluk.
Abb. 87.
Abb. 88.
56
ALFRED MAASS
Abb. 89. Der obere Teil einer Tür: Querholz, palang, welches als Verzierungslatte,
lambai-lambai, dient. Das Motiv ist aka(r)tjinä sama batang dan daun, also die chinesische
Wurzel mit Stengel und Blätter, als Rankwerk gedacht. Hergestellt ist das Stück aus
madang-Holz und wurde in Taluk gemacht.
Abb. 90. Der obere Teil einer Tür, Querholz, palang, die zu einer Kammer, bilik, ge-
hörte. In der Mitte ist die Blüte der chinesischen Wurzel, bungä aka(r)tjinä, angeordnet,
welche von dem Rankwerk der chinesischen Wurzel umgeben ist. Die den kleinen Spitz-
bogen einsäumende Kante wird durch ineinandergeflochtene Reisstengel, lapik djarami, ge-
bildet. Die Seiteneinfassung sollen bungä aka(r)tjinä darstellen. Das Stück stammt aus
Taluk und ist aus madang-Holz gemacht.
Abb. 89.
Abb. 92. Abb. 93.
Abb. 91. Ebenfalls oberer Teil einer Tür, Querholz, palang, die zu einer Kammer,
bilik, führte. Das hier abgebildete Ornament soll Schmetterlinge zeigen, die sich gefangen
haben, ramö-ramö tatangköL Das kleine Ornament in der Mitte oberhalb des Spitzbogens,
welches in dem nach unten geneigten Dreieck angebracht ist, wird als sprießende Bambus-
sprossen, putjuk (putjua*) räbuäng, angesprochen. Das Stück ist aus lösä-Holz, Lansium
domesticum, gemacht und stammt aus Taluk.
Abb. 92. Kleines Brettchen, das zur Wandverkleidung im Innern des Hauses diente.
Rechts und links sind zwei sternförmig bunt getüpfelte Blumen, bungä bälang tandtjang
(tändjuäng), angebracht, die oben und unten von je vier kleinen Spitzen, tadjam bäle*, be-
grenzt werden, während die Mitte von einem rautenförmigen Muster, das ä jour gearbeitet,
tarawang, eingenommen wird. Dieses Muster wird wieder durch drei kleine umrahmte
Spiegelchen, rumah tjarmin, in seiner Mitte unterbrochen. Das Brettchen ist aus madang-
Holz gemacht und wurde in Taluk erworben.
Abb. 93. Ein ähnliches kleines Brettchen, das durch senkrechte Linien, baris, in drei
Felder geteilt ist. Die beiden Seitenfelder sind mit aka(r)tjinä ausgestattet. In der Mitte
fand wieder eine bunt getüpfelte Blume, bungä bälang tandjung (tändjuäng), Verwendung.
Ort der Herkunft Taluk. Es ist aus madang-Holz gemacht.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
57
Auf Tafel IV sind eine Anzahl farbiger Planken zusammengestellt, wie sie in der malai-
ischen Architektur im Innern Sumatra’s Vorkommen. Mit Ausnahme von Nr. i haben wir
es hier mit älteren Stücken zu tun.
1. Eine neuangefertigte Planke aus Pangean, pangadan rumah; sie befindet sich, wie
die meisten dieser Planken über den Pfählen auf denen das Haus errichtet ist, um den
Fußbodenbelag zu verblenden, und gewährt beim Anblick des Hauses eine Hauptzierde.
Das hier angewandte Hauptmotiv zeigt die zweimal sich ineinander rankende chinesische
Wurzel in roter Farbe auf dunklem Grunde. Grüne, weiße und blaue eingestreute Blumen,
bungä, beleben das kunstvoll behandelte Stück, während der in rot, weiß, blau und grün
behandelte Rand dieses Brettchens, lintadu bär-arak, hintereinander laufende Raupen, dar-
stellt.
2. Kleine Planke, die in der Vorderwand eines Hauses in Taluk eingelassen war. An
den Seiten, zwischen geraden Linien, sind kleine, weiße, rote und schwarze Dreiecke, die
mit einem spitzen Gitterwerk, tadjam bale*, verglichen werden. In der Mitte, die ran-
kende chinesische Wurzel mit Blättern und Blumen, in welchem kleine Spiegelchen in
Umrahmungen, rumah tjarmin, angebracht wurden, um den Effekt des Ornaments zu er-
höhen. Die Bemalung der Planke ist in schwarz, weiß, rot und gelblichen Farben gehalten;
zu ihrer Herstellung wurde madang-Holz verwendet.
3. Kleine Planke aus Taluk, die vor einer Kammer, bilik, angebracht war. Mit schwarzer,
weißer, roter und gelber Farbe bemalt. Das Ornament bildet aka(r)tjinä. In seinem Rank-
werk sind kleine umrahmte Spiegelchen, rumah tjarmin, eingelassen. In der Mitte sind
zwei konzentrische Kreise angeordnet mit weißer Umrandung, zwischen beiden wechseln
rote, weiße Dreiecke, tadjam bale% auf schwarzem Grund ab. Gefertigt ist die Planke aus
madang-Holz.
4. Pfeiler zum Einlassen in die Bretterwand an der Vorderseite eines Hauses aus
Taluk. Verziert wird er durch aka(r) tjinä dua batang. Hergestellt aus madang-Holz.
5. Planke von der Vorderwand eines Hauses in Taluk. Ornamentiert durch lintadu
baköreng-köreng, Raupe mit Streifen. Gemacht aus madang-Holz.
6. Planke von der Vorderwand eines Hauses aus Taluk, von madang-Holz, sie bildet
den oberen Abschluß der V orderwand und ist mit aka(r) tjinä sa batang in der Mitte ausge-
stattet, während die beiden Enden in putjuk rabung (räbuäng), junge Bambussprossen
auslaufen.
7. Verzierungslatte, lambai-lambai, um die Dachsparren zu verblenden. Mit in Holz
geschnittenen Blumen, bungä kaju, verziert. Stammt aus Taluk und ist aus madang-Holz
gearbeitet worden.
8. Verzierungslatte, lambai-lambai, um die Dachsparren zu verblenden. Sie ist schwarz,
weiß und rot bemalt und zeigt links putjuk rabung (rabuäng), in der Mitte sich aneinander-
reihende Karos, ukir, Schnitzerei, genannt, am Schluß Linien, baris, mit einem Ornament,
das keine Erklärung fand.
9. Verzierungslatte, lambai-lambai, aus Taluk. In der Mitte bungä aka(r) tjinä sa
batang, daran schließen sich senkrechte Linien, die kleine Ornamente mit Kreuzen begrenzen,
an den Enden tadjam baleV Die Planke ist in den uns bekannten Farben bemalt und wie die
anderen aus madang-Holz gefertigt.
10. Große Planke mit aka(r) tjinä sa batang aus Taluk, von madang-Holz.
& Baessler-Archiv.
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DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
59
Um auch ein Stück alter Holzschneidekunst zeigen zu können, habe ich eine Tür ge-
wählt, die zu den Sultansgräbern von Palembang führt: Abb. 94. Im Völkerkundemuseum
zu Frankfurt a. M. finden wir eine getreue Nachbildung. Ich verdanke die hier wieder-
gegebene Reproduktion einer Originalauf-
nahme meines Freundes, Herrn Professor
Dr. Hagen, von seiner letzten Reise 1905
nach Sumatra.
Welche Kunstschätze aber diese Für-
sten von Palembang besaßen, möge hier an
einem reichverzierten goldenen und mit
Edelsteinen geschmückten Sirihbesteck
Abb. 95-—96 dargestellt werden. Auch ein
prachtvoller, goldener Brustschmuck Abb.
97 und ein herrlicher alter Kriß mit gol-
dener Scheide, Abb. 98—99, die mit Dia-
manten besetzt ist, sowie ein prächtiger
Dolch (Abb. 100), zeigen auf welcher Höhe
sich einstens die Kunst der Malaien Suma-
tra’s befand. Diese Stücke fürstlichen
Prunkes sind Perlen von hoher Schönheit
und kulturhistorischem Wert. Sie befinden
sich seit 1907 in der Goldkammer des Mu-
seums zu Weltevreden mit noch anderen
Prunkstücken aus dem Besitz des letzten
Sultans von Palembang.
An Beispielen aus den verschiedenen
Gebieten des menschlichen Lebens in denen
uns das künstlerische Empfinden eines \ ol-
kes entgegen zu treten vermag, habe ich
Abb. 94.
Abb. 95.
8*
6o
ALFRED MAASS
versucht, bei dem Leser die Liebe und den Sinn zur Kunst der Malaien Sumatras zu
erwecken.
Abb. 96.
Ein Punkt jedoch, wenn wir von den künstlerischen Bestrebungen dieser braunen
Inselsöhne sprechen, darf meines Erachtens nicht
unerwähnt bleiben. Ich meine die Farben rupä-
rupä, in welchen Tönen sie, außer den uns schon
bekannten, zur Anwendung kommen.
In welcher Art und Weise sich das Farben-
empfindungsvermögen dieser Bewohner des inne-
ren Sumatra’s wiederspiegelt, habe ich bereits in
meinem Werke; „Durch Zentral-Sumatra“ Bd. II,
pag. 135—152 angegeben, so daß ich hier ver-
zichten kann, nochmals näher darauf einzugehen.
Ganz allgemein möchte ich nur sagen, daß wir in
der Bemalung der Häuser eine schöne Farbenhar-
monie finden, die auch für das Auge und Empfin-
den des Europäers symphonisch auszuklingen
weiß.
Die Namen der Farben, soweit ich sie bei
der Bemalung der Häuser, in Kleidungsstoffen
und bei anderer Anwendung im Gebrauche des
praktischen Lebens kennen lernte, sollen jetzt
ganz kurz berücksichtigt werden, um dem Leser
wenigstens einen kleinen Begriff von der Art zu
98 99 100 geben, wie der Eingeborene Ausdrücke für ver-
schiedene Farbenkompositionen oder Töne bildet.
Schwarz (= dunkel): (h)itam. Gewöhnlich bezeichnet damit der Malaie ein tiefes Dunkel-
blau. Von anderen Variationen seien hier genannt: (h)itam pata(r) oder puta(r): „pech-
schwarz“, (h)itam manih: ein „hübsches“ oder „schönes Schwarz, Blau oder Braun“
(dunkelfarbig). „Glänzend schwarz“ (h)itam lagam. (H)itam mudä, „dunkelblau“,
(h)itam manih: „lieblich braun“, namentlich bei der Hautfarbe; (h)idjau (h)itam:
„dunkelgrün“; mänakih itam: „(am Randevon, oder) dicht an Schwarz sein“, „fast
schwarz“; (h)itam merah; „brandrot“, fuchsrot“, auch „rotschwarz“; mähitam:
„schwarz oder dunkel werden“ von Farbe; kähitaman „schwärzlich“.
DIE KUNST BEI DEN MALAIEN ZENTRAL-SUMATRAS
6 I
Rot: sirah oder merah; tampuä : „ein Rot, das der Umhüllung am Stiel einiger Früchte
und diese teilweise einschließend, ähnelt“. Linggam: „Zinnober -— feuerrot“.
Weiß: pütieh.
Gelb: künieng auch künjieng bätuä: „das richtige, rechte echte, wahre Gelb.“
Blau: biru, (h)itam, seltener ungu (eigentlich braunrot). Ein besonderes Blau wird nach
einem dunkelblauen Kattunstoff bezeichnet als „kain bambu“. Biru lauf „seeblau“
= himmelblau. Biru mansi sarasah „indigoblau mit weiß“.
Grün: (h)idjau; (h)idjau rumpuP „Grasgrün“,
Braun: kalabu, kulabu (eigentlich „grau“, „aschfarbig“); pirang: (auch „ein nicht sauberes
Weiß“ wird damit bezeichnet). „Braunrot“: ungu; „dunkelbraun“: sirah tuä: = alt
oder dunkelrot. Tangguli: „hellbraun“.
Grau: kalabu, kulabu. Kulabu awan: „wolkengrau“; kulabu bäsi: „eisengrau“; kulabu
bras: „reisgrau“.
Orange: sirah (merah) mudä = ein helles oder junges Rot; auch mäsuä* kä merah „es
geht ins Rot“; künieng merah: „Rotgelb“; künieng tjämpuä(r) sirah: „ein Gelb mit
Rot vermengt“; kä künieng: „nach Gelb hin“; rupä merah: „eine Art Rot“.
Violett: biru tuä: d. h. „ein altes oder dunkles Blau“; merah tuä: „ein altes oder dunkles
Rot“; mäsuädca (h)itam: „es geht ins Blaue“; (h)idjau ungu: „ein Grün mit braun-
rotem Schimmer“; ungu: „braunrot“; rupaä biru: „eine Art Blau“; rupä merah: „eine
Sorte Rot“; (h)itam mudä: „ein helleres Blau“.
Endlich mögen hier noch einige allgemein vorkommende Ausdrücke angeführt werden,
die vielleicht von Interesse sein können, da sie teilweise bei der Bemalung der Häuser, haupt-
sächlich aber bei Kleidungsstoffen Verwendung finden.
„Gestreift“ balang, oder bälang, womit auch „bunt“ bezeichnet wird; balang büdjuä(r)
„längsgestreift“; tär-akar = „(wie) mit Lianen(zweigen, fäden) versehen“ (etwa:
kreuz und quer gestreift); bä-tjürieng-tjöreng voller Streifen; gendjang „schrägge-
streift“. — „Gestreift“, d. h. mit Streifen oder Linien versehen: bä-garis — „mit
Streifen oder Gekritzel versehen“: bä(r)-tjüntieng-tjüntieng, bä(r)-tjore -tjore; „mit
Streifen verschiedener Farbe: bä(r)-palang; „gestreifter Kattun“: kain genggang; —
,feingestreifte Leinwand“; (kain) lürie% gesprenkelt.
„Gesprenkelt“: matä itie* (wörtlich „Entenaugen“), batjafr-batja* oder bätiefr-bätieh —
„Sprenkeln“: märandjis, „Sprenkel“ (Fleck) randjih, auch rantjieh. —
„Getüpfelt“, „punktiert“: pätie% auch bätiek — „Punktieren“; mämbübuäh titie* oder
mambübuäh nuqtah.“ —
„Kariert“; tjela(r) (Name eines gewürfelten Kattunstoffes), auch pälakat, pälikat (ge-
sprochen pälake", pälike*) oder paik( ?), sowie gendjang „schräg kariert“. —
„Geblümt“: bä(r)-bungä, z. B. „geblümte Seide“: kain sutä bä(r)-bungä.
Am Schlüsse meiner Arbeit angelangt, möchte ich betonen, wer es versteht, sich mit
allen Fasern seines Herzens in das Wesen der Kunst bei den Malaien Zentral-Sumatras
hinein zu versetzen, wer es vermag, diesen braunen Menschenkindern so ganz nachzu-
empfinden, der muß ihre künstlerischen Bestrebungen liebgewinnen, weil er die Gefühle
kennt, aus denen diese Kunst geboren wurde, nämlich die Freude und Lust zu verzieren,
Zu schmücken; in Farben Frohsinn und Heiterkeit zu erwecken.
Vergessen wir nicht, daß diese Kunst größtenteils in Dörfern heimisch ist. Eine echte
wahre Volkskunst in der so viele gute Elemente, trotz der Beimischung fremder asiatischer
Einflüsse stecken. Möge sie noch recht lange von europäischem Einfluß verschont bleiben
und sich aus dem Schatz ihrer bodenständigen Motive heraus, die zum größten Teil dem
Pflanzenreich, weniger der Fauna entnommen sind, im malaiischen Sinne weiter entwickeln
und entfalten, damit der intime Charme ihres eigenen, ursprünglichen Charakters mit seinen
6 2
ALFRED MAASS
indischen Beimischungen, welche Mutter Asien ihren Kindern in der malaiischen Inselwelt
gab, bewahrt wird. Eine solche Kunst wird, wenn der Wohlstand der malaiischen Rasse
wächst, wieder eine Zukunft haben.
Der alte Zauber, den wir in den kostbaren Stücken aus fürstlichem Besitz kennen
gelernt haben, er möge die Kunst Sumatras zu einer neuen Aera führen, in der wir das
Wahre, Gute und Schöne des Alten von neuem erblühen sehen.
Denen aber, welchen die Kunst der Eingeborenen in Insulinde von der Regierung an-
vertraut wird, und jene, die in merkantiler Hinsicht für ihre Verbreitung Sorge tragen,
sollten darüber wachen, daß dieser Kunst ihr alter schöner Formenreichtum erhalten
bliebe, daß sie aus dem Charakter und Gefühlen der Eingeborenen heraus Weiterentwick-
lung fände, jedoch vor abendländischen Einflüssen, wie ich nochmals wünschen möchte, be-
wahrt bliebe. Nur so ist es möglich, eine echte einheimische Volkskunst in gesunde Bahnen
weiter zu entwickeln, deren ideeller Zauber uns dann das Schönheitsgefühl, den Kunstsinn
und die Liebe zur Kunst der Malaien wiederspiegeln wird. Ihre intimen Reize werden wir
empfinden und genießen, weil sie in den Anschauungen der asiatischen Psyche blieb, um
sich rein für ihre Weiterentwicklung zu erhalten. -— Ich, der die Kunst Sumatras im malai-
ischen Sinne liebe, wäre erfreut, wenn diese Arbeit ein ehrenvolles Blatt für ihre Weiter»
Verbreitung sein würde.
AL
Besprechungen.
Wassén, Henry: Original Documents from the Cuna
Indians of San Blas, Panama as recorded by the
Indians Guillermo Haya and Rubén Pérez Kantule.
In: Ethnological Studies, 6, 1938 by Walter Kaudern.
Der verstorbene schwedische Forscher Erland Nor-
denskiöld arbeitete in den letzten Tagen seines Lebens
an den zahlreichen Dokumenten, die er während seiner
letzten Reise gesammelt oder die ihm von Rubén Pérez
Kantule, einem Nele der Cuna, 1931 nach Göteborg
mitgebracht worden sind. Leider hat sich die Heraus-
gabe dieses Materials sehr verzögert, so daß in dem vor-
liegenden Werk gewissermaßen die Fortsetzung vor dem
Anfang erschienen ist. Da Wassén sich wiederholt auf die
noch nicht herausgegebene Arbeit Nordenskiöld bezieht,
ist eine endgültige Stellungnahme nicht möglich. Wir
dürfen uns aber freuen, daß durch die Herausgabe der
von W. gesammelten Urkunden (Gewährsmann Guillermo
Haya) ein tieferer Blick in die Mythologie der Cuna getan
werden kann. Beigegebene, z. T. farbig gehaltene Bilder-
schriften sind besonders wertvoll. Bemerkungen über den
Medizinmann und seine Heilpflanzen, über Albinismus
und einige Unterhaltungsgesänge in der Cuna-Sprache
mit Interlinearübersetzung sind beigefügt.
Snethlagc.
Hans Heinrich Böhme: Der Ahnenkult in Mikronesien.
Jordan und Gramberg, Leipzig 1937. Studien zur
Religionswissenschaft Bd. 2. 124 S.
Durch die Forschungen der Hamburger Südsee-Expe-
dition sind wir über die ethnographischen Verhältnisse
Mikronesiens besser unterrichtet als über die meisten
anderen Kulturgebiete. Leider ist dieses reiche Material
bisher ethnologisch so wenig ausgewertet und dadurch
auch dem Nicht-Ozeanisten zugänglich gemacht worden,
daß die vorliegende Untersuchung über den Ahnenkult
in Mikronesien mit um so größerer Freude begrüßt
werden muß.
Die geographische Begrenzung gestattet dem Verfasser
eine Vertiefung nach der sachlichen Seite hin. Mit Recht
erblickt er die Grundlagen des Ahnenkultes in einer ganz
bestimmten Lebens- und Jenseitsauffassung und wählt
deshalb die Bestattungsformen, die Grabriten und den
Totenglauben zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung.
Anschließend gibt er einen Überblick über die ver-
schiedenen Formen des Ahnenkultes Mikronesiens, um
danach die Einflüsse des Ahnenkultes auf die übrigen
religiösen Anschauungen zu erörtern. In der Zusammen-
fassung behandelt Verf. zunächst die psychologischen
Grundlagen und die Entwicklung des Ahnenkultes und
betrachtet sodann die kulturelle Schichtung und ihre
mögliche Beziehung zu den historischen Kulturen der
Südsee und Südostasiens vom religionsethnologischen
Standpunkte.
Es ist unmöglich, der Fülle des dargelegten Materials
und der gewonnenen Ergebnisse in einer kurzen Be-
sprechung gerecht zu werden. Es sei daher nur kurz auf
einige der wichtigsten Ergebnisse hingewiesen.
Böhme bezeichnet die Ahnenverehrung als die Haupt-
form des religiösen Kults in Mikronesien. Sie hat sich
aus den bei der Bestattung geübten Riten entwickelt,
ist also das Ergebnis einer Entwicklung. In dieser Form
wird sie im Wohnhaus der Familie oder Sippe, oder auch
in besonderen Kulthäusern geübt. Die Ahnen gelten als
die Spender der Nahrung, was — wie Verf. sehr richtig
betont — ein Beweis ist, daß auch die Vorstellung eines
glücklichen Jenseits ein Moment für die Entstehung des
Ahnenkults sein kann. Im Gegensatz zu der alten These,
daß der Ahnenkult rein animistischen Gedankengängen
entspringe, konnte Böhme zahlreiche nicht-animistische
Vorstellungen (Konservierung des Leichnams, Schädel-
kult, Steinkult) nachweisen. Für das Verständnis der
kulturellen Gliederung Mikronesiens wichtig ist die Be-
stätigung der aus den soziologischen Verhältnissen
Polowats von Damm erschlossenen, von Ost nach West
gehenden Kulturwelle, und die Annahme eines von West
nach Ost verlaufenden Kulturstromes, der durch eng mit
dem Ahnenkult verbundene Fruchtbarkeitskulte gekenn-
zeichnet ist. Diese als „zentralkarolinisch“ bezeichnete
Schicht enthält ferner Elemente des Bootskultes, übt
die Bootsbestattung aus und besitzt den Nagaschlangen-
kult-Komplex. Diese zentralkarolinische Kultur glaubt
Verf. mit der jüngeren Megalithkultur Vroklages gleich-
setzen zu können. Theo Körner.
Uhlenbeck, C. C.: A concise Blackfoot grammar based on
materials from the Southern Peigans. Verhandelingen
der Koninklijke Nederlandsche Akademie van Weten-
schappen te Amsterdam, Afdeeling Letterkunde.
N. R. XLI. Amsterdam: 1938. 240 S. 40.
Dem vorliegenden Werk hat der Verf. zwei große
Textpublikationen (1911 und 1912), ein zweibändiges,
zusammen mit R. H. van Gulik herausgegebenes Voka-
bular (1930 und 1934) und zahlreiche Abhandlungen
über einzelne Gebiete der Blackfoot-Grammatik (Kon-
junktivartige Modi, 1913; Flexion der Substantiva, 1913;
Affixe nichtpronominaler und -formativer Art, 1920;
Abwesenheit des Dativs, 1927; Emphatischer Gebrauch
von relativpronominalen Endungen, 1928) vorausge-
schickt, ferner eine Abhandlung über die Morphologie des
Blackfoot (indenVerh. Kon. Nederf. Akad. v. Wetensch. te
Amsterdam, Afd. Letterk. N. R. XIV 5, 1914). Damit
gehört diese Indianersprache heute zu den am besten
bekannten und am gründlichsten durchforschten Nord-
amerikas. Das Material zu seinen Blackfoot-Arbeiten
sammelte Uhlenbeck auf zwei kurzen, teilweise gemein-
sam mit J. P. B. de Josselin de Jong unternommenen
64
BESPRECHUNGEN
Sommerreisen zu den Peigan (gewöhnlich Piegan ge-
schrieben) der Blackfoot-Reservation in Montana (1910
und 1911). Auch wer die älteren Arbeiten Uhlenbecks
nicht kennt, wird sich schon bei einer flüchtigen Durch-
sicht des riesigen, in der Grammatik verarbeiteten Sprach-
stoffes davon überzeugen, was diese von unendlicher
Sorgfalt und eindringender Sachkenntnis zeugende Lei-
stung des holländischen Forschers für die Amerikanistik
bedeutet. Leider muß ich es mir in einer vorwiegend
völkerkundlichen und archäologischen Themen gewid-
meten Zeitschrift versagen, auf Einzelheiten einzugehen.
Es sei nur auf die sehr übersichtliche systematische
Gliederung des Stoffes hingewiesen, die ein rasches Ein-
dringen in den Geist der Sprache erlaubt. Beim Vergleich
mit verwandten Sprachen beschränkt sich der Verf. auf
kurze Hinweise. Das Blackfoot bildet mit seinen drei
Dialekten (Peigan, Kaina, Siksika) eine selbständige
Hauptgruppe innerhalb der Algonkin-Sprachen und ist
nach Truman Michelson (28. Ann. Rep. Bur. Amer. Ethn.,
1912, 232!. und 289) am nächsten einigen Zentralalgonkin-
Sprachen (Sank, Fox, Kickapoo und Cree) verwandt,
zeigt aber auch Beziehungen zum Ostalgonkinischen.
Während es im Lautsystem durch seine Neigung zur
Anhäufung von Konsonanten eine Sonderstellung ein-
nimmt, ist einer der wichtigsten grammatikalischen Züge,
die dvandvaartige Kuppelung mehrerer Verbalstämme,
typisch algonkinisch.
W. Krickeberg.
Haeckel, Josef: Zum Problem des Individualtotemismus
in Nordamerika. Internationales Archiv für Ethno-
graphie Bd. 35, Heft 1—3. Leiden, E. J. Brill:
1938. 9 S. 4°.
Nordamerika hat der Völkerkunde wohl die meisten
Schulbeispiele sowohl für den Clan-, wie für den Indi-
vidualtotemismus geliefert. Der Verf. des vor-
liegenden Aufsatzes wendet sich gegen die gerade von
nordamerikanischen Ethnologen öfter unternommenen
Versuche, den einen vom anderen abzuleiten, mit dem
Argument, daß sie getrennte Hauptverbreitungsgebiete
hätten und dort, wo beide nebeneinander verkommen,
entweder der Clantotemismus (bei den Zentralalgonkin)
oder der Individualtotemismus (bei den Sioux) jüngeren
Datums, also wahrscheinlich von auswärts eingeführt
worden sei. Der Individualtotemismus tritt vor allem
in der Form auf, daß ein Schutzgeist, meist tierischer
Art, zur Zeit der Pubertät oder später im Traum oder in
einer durch Fasten herbeigeführten Vision gewonnen
wird. Diese Form scheint ihre Heimat im Norden und
Nordwesten des Erdteils — bei den Eskimo und Algonkin,
Dene und Wakasch — zu haben und später von den
meisten Sioux, Irokesen und einigen Südoststämmen
übernommen worden zu sein. Wahrscheinlich ist die
generelle Schutzgeistersuche nur eine Weiterentwick-
lung der ganz gleichartigen schamanistischen, denn
der ganze Schamanismus beruht ja auf dem Glauben
an solche übernatürlichen Helfer. Die Entwicklung muß
sich im wesentlichen in Nordamerika abgespielt haben,
da in Asien, der Heimat des Schamanismus, Fälle gene-
reller Schutzgeistersuche ziemlich selten zu sein scheinen.
Als der schamanistische Komplex nach Nordamerika
übertragen worden war, machte der Schutzgeisterglaube
noch verschiedene andere Wandlungen durch. Er verband
sich bei den Algonkin mit der Hochgott-, bei den Sioux
mit der Wakonda-Vorstellung und spaltete sich in
zwei Richtungen, von denen die eine die Tötung des als
Schutzgeist angenommenen Tieres unter Beobachtung
gewisser Vorschriften zuläßt und sogar fordert, da ein
Teil des Tierkörpers dem Besitzer des Schutzgeistes als
Amulett zu dienen hat, während die andere das Tier im
Gegenteil tabuiert. Die erstgenannte Richtung ist
weiter verbreitet und hat bereits in der schamanistischen
Schutzgeistersuche Nordasiens Vorstufen, enthält aber
auch Elemente, die ursprünglich nichts mit dem Scha-
manismus zu tun hatten. Bei der zweiten könnte man
an einen Einfluß der Tabuvorschriften des Clantotemis-
mus denken, doch erklärt sich die Übereinstimmung,
worauf J. Haeckel mit Recht hinweist, wohl schon aus
der inneren Verwandtschaft beider Formen des Totemis-
mus in ihrer Einstellung zum Tier.
Als Spezialform des nordamerikanischen Schutzgeister-
glaubens ist der Nagualismus zu betrachten, bei dem
die Verbindung zwischen Mensch und Schutzgeist so
eng wird, daß jeder Unfall, den der eine Teil erleidet,
auch den anderen trifft. Diese Vorstellung war vor allem
in Mexico und Mittelamerika verbreitet, wo sie sich mit
einer Art Werwolfglauben verband. J. Haeckel weist
jedoch nach, daß sie sporadisch auch in Nordamerika
(bei den Selisch, Maidu, Mono, Zuhi, Ojibwa, Meno-
mini, Creek) auftritt, z. T. in der Form, daß der Schutz-
geist in den Körper des Schützlings fährt. Zum Schluß
seiner vortrefflichen Übersicht behandelt der Verfasser
einige mit dem Schutzgeisterglauben zunächst schwer in
Einklang zu bringende Dinge, wie die Vererbung des
Schutzgeistes und die hier und da auftretende Neigung,
einzelne Teile von Tieren und materielle Dinge
als Schutzgeister zu wählen. In den beiden letzteren
Fällen zeigt sich wiederum der Einfluß des Wakonda-
Glaubens, der mit der Mana-Vorstellung der Südsee-
völker viele gemeinsame Züge besitzt.
W. Krickeberg.
Körner, Theo: Totenkult und Lebensglaube bei den
Völkern Ost-Indonesiens. Leipzig. Jordan & Gram-
berg 1936. Studien zur Völkerkunde Bd. 10.
Der Verfasser legt eine ungemein eindringende und
fleißige Untersuchung über eins der wichtigsten Probleme
der geistigen Kultur vor. Dabei knüpft er an gewisse
Arbeiten von Ankermann und Stülpner an, um durch
eine Erweiterung derselben Problemstellung auf andere
Gebiete unsere Einsicht in die Kulturerscheinungen zu
vertiefen.
Das Werk bietet eine Reihe sehr interessanter Er-
gebnisse: Die Völker Ost-Indonesiens denken sich den
Menschen trialistisch, d. h. er besteht nach ihrer Meinung
aus „Leib“, „Lebenskraft“ und „Schattenbildwesen“.
Das letztere allein lebt nach dem Tode als Schemen
weiter. Diese Vorstellungen sind aus einem präanimisti-
schen Einheitsglauben entstanden. Nach Meinung des
Verfassers kann man aber bei dem „Schattenbildwesen“
der Indonesier noch nicht von echter Seelenvorstellung
sprechen, da dasselbe noch zuviel Eigenschaften der
Materie besitzt. Allerdings scheint es fraglich, ob eine so
enge Definition den Begriff Seele nicht letzten Endes
überall ausschalten würde. Die langsame Entwicklung
des Totenglaubens, die eine fortlaufende Vergeistigung
der Vorstellungen darstellt, ist ausgezeichnet heraus-
gearbeitet.
BÜCHEREINGÄNGE
65
Ganz besonders verdienstlich ist es aber, daß der Ver-
fasser die so gewonnenen Ergebnisse auch zur Klärung
dringender kulturgeschichtlicher Probleme benutzt, in-
dem er zeigt, daß sich das Verbreitungsgebiet der Alt-
malaien mit dem der vorläufigen Bestattung deckt und
daß diese bereits die geschilderte trialistische Auffassung
vom Menschen besaßen. Der Vergleich mit Madagaskar,
wo sich die Vorstellungen nicht weiter entwickelt haben,
lehrt, daß die weitere Vergeistigung des Totenglaubens
in Richtung auf einen entschiedenen Dualismus von
Körper und Seele nur ein Werk jungmalaiischer, also
durch die Hochkultur beeinflußter Schichten sein kann.
Für die deutsche völkerkundliche Literatur bildet
diese umfassende Bearbeitung eines bisher sehr vernach-
lässigten Gebietes eine schätzenswerte Bereicherung.
H. H. Boehme.
Büchereingänge.
Baldus, Herbert: Abhandlungen i—2. 1. As pinturas
rupestres de Sant’ Ana da Chapada (Matto Grosso).
Aus; Rev. Arqu. Mun., nr. 40. 1937. 2. Tereno-Texte.
Aus; Anthropos, Bd. 32. 1937. 40.
Caso, Alfonso: Exploraciones en Oaxaca quinta y sexta
temporadas 1936—1937. Tacubaya, Mex.; Inst.
Panam. Geogr. His. 1938. 96 S., 19 PI. 40.
Haeckel, Josef: Zum Problem des Individualtotemismus
in Nordamerika. Aus: Int. Arch., Bd. 35, 1—3. 193B.
4°-
Mackay, E. J. H.: Further excavations at Mohenjo-Daro.
Being an official account of archaelogical excavations
at Mohenjo-Daro carried out by the Gov. of India
between 1927—1931. 2 vis. with 146 pi. New Delhi:
Manag, of Publ. 1938. 2 Bde. 40. 1. Text. XVI, 718 S.,
2. Plates. IX S., 146 Taf.
Mackay, Ernest: Die Induskultur. Ausgrabungen in
Mohenjodaro und Harappa. Mit 78 Abb. u. 1 K.
Leipzig: Brockhaus 1938. 151 S. (Aus d. Engl.:
The Indus civilization. Lond. 1935 übers, v. Max
Müller.)
Winkler, Hans-Alexander: Rock-drawings of Southern
Upper Egypt 1. Sir Robert Mond Desert Expedition
Season 1936—1937. Preliminary report by Hans-
Alexander Winkler. London: The Egypt Expl. Soc.
1938. VIII, 41 S., 41 Taf. 40 (Arch. Surv. of Egypt.)
Schulz-Kampfhenkel, O.: Rätsel der Urwaldhölle. Vor-
stoß in unerforschte Urwälder des Amazonenstromes.
Mit Tagebuchber. s. Jagd- u. Fliegerkam. Gerd
Kahle. Mit 93 Aufn. d. Verf., 3 Kartensk. u. 6 Ind.
Zeichn. Berlin: Deutscher Verl. 1938. 210 S.
9 Baessler-Archiv.
if
BAESSLER-ARCH IV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN
AUS DEN MITTELN DES BAE SS LE R-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN DIREK-
TORIALBEAMTEN DER ETHNOLOGISCHEN ABTEILUNGEN
DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE IN
BERLIN REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XXII/HEFT 2—3
UNOS ANNALES HISTÖRICOS
DE LA NACION MEXICANA
DIE MANUSCRITS MEXICAINS NR. 22 UND 22B1S DER BIBLIOTHEQUE
NATIONALE DE PARIS
ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT
VON
ERNST MENGIN
KOPENHAGEN
TEIL I
DIE HANDSCHRIFT NEBST ÜBERSETZUNG
MIT 30 ABBILDUNGEN IM TEXT
BERLIN 1939
VERLAG VON DIETRICH REIMER
/ ANDREWS & STEINER /
MEINEM HOCHVEREHRTEN LEHRER
HERRN PROFESSOR DR. PHIL.
KON RAD THEODOR PREUSS
IN DANKBARKEIT
ZUGEEIGNET
DER VERFASSER
AN SEINEM ERSTEN TODESTAG,
DEN 8. JUNI 1939.
DRUCK VON J. J. AUGUSTIN,
y
Tr-\C
GLÜCKSTADT - HAMBURG - NEW YORK
VORWORT
Zu den großen Aufgaben der mexikanischen Wissenschaft gehört die Erforschung der
geschichtlichen Tatbestände des präkolumbischen Mittelamerika und ihre innere Ver-
knüpfung. Fraglos gebührt der Arch äologie bei der Lösung dieser Probleme ein hervor-
ragender Platz und es ist daher nur zu wünschen, daß die Forschung im Felde auch weiterhin
so emsig mit allen Mitteln moderner Wissenschaft fortgesetzt werden möge, wie bisher.
Bei aller Anerkennung ihrer Leistungen kann jedoch nicht genug betont werden, daß die
Archäologie im engeren Sinne, verstanden als Forschung im Felde durch Ausgrabungen,
nicht genügt, um die Probleme der amerikanischen Altertumskunde zu meistern und uns
die Geschichte dieses Teiles unseres Planeten voll zu erschließen. Soll dieses Ziel erreicht
werden, so muß auch die Linguistik zu ihrem Rechte kommen und durch Erschließung
und Zugänglichmachung der Sprachdenkmäler des alten Amerika, die in den Archiven der
alten und der neuen Welt schlummern, unsere Erkenntnis erweitern und vertiefen.
Es ist das große Verdienst Eduard Seler’s, dies mit genialem Forscherblick erkannt
und soweit dies die kurze Spanne Zeit eines Menschenlebens gestattet, in die Tat umgesetzt
zu haben. Freilich hat der von ihm erhobene Ruf „ad fontes“ nicht den Widerhall gefunden,
den er verdiente. Denn wenn man Umschau hält und der Frage nachgeht, was an azte-
kischen Texten in den letzten zwanzig Jahren in moderne Kultursprachen übersetzt wurde,
so ist das Ergebnis sehr dürftig.
Von der Überzeugung getragen, daß der von Eduard Seler eingeschlagene Weg im
Interesse der mexikanischen Sprach- und Altertumskunde unbedingt weiter verfolgt werden
muß, haben daher mein leider inzwischen verstorbener Lehrer, Herr Prof. Dr. K. Th. Preuß
und ich, gestützt durch verständnisvolle Förderung von Seiten des Baeßler-Kuratoriums,
im Jahre 1937 die „Historia Tolteca-Chichimeca“ in den Beiträgen zur Völkerkunde ver-
öffentlicht.
Die Herausgabe der vorliegenden Arbeit, auf deren Erscheinen er sich schon gefreut
hatte, hat Professor Preuß leider nicht mehr erleben können. So widme ich sie ihm posthum
in treuem Gedenken an gemeinsam betriebene jahrelange Forscherarbeit als ein bescheidenes
Zeichen meiner Dankbarkeit über das Grab hinaus.
Wenn die vorliegende Arbeit im „Baeßler-Archiv“ erscheinen kann, so verdanken
dies die Freunde der Mexikanistik vor allem dem Kuratorium der Baeßler- Stiftung und
den Herren Prof. Dr. Maaß und Prof. Dr. Krickeberg, die auch in diesem Falle ihr tiefgehendes
Verständnis für die Notwendigkeit der vorliegenden Forscherarbeit bekundet haben. Ihnen
meinen tiefgefühlten Dank an dieser Stelle zum Ausdruck zu bringen ist mir daher ein
ganz besonderes Bedürfnis,
Ernst Mengin.
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Vorwort und Inhaltsverzeichnis...................................................... 69 u. 71
Geschichte und Beschreibung der Urkunden............................................ 73 74
Angabe der erwähnten Literatur........................................................ 75
Text und Übersetzung ............................................................... 7^/77
I. Teil
1. Abschnitt; Die Königsliste von ‘Ilatelolco.................................... 7^/77 Sü/üy
2. Abschnitt: Die Königsliste von Ienochtitlan .................................. 9°/9I 92/93
II. Teil
1. Abschnitt: Die Genealogie der Könige von Azcapotzalco ........................ 94/95 9^/99
2. Abschnitt: Vervollständigung der Genealogie der Könige von Azcapotzalco....... 9^/99 100/101
3. Abschnitt: Die Geschichte von Tlatelolco von der ältesten sagenhaften Zeit an bis in die
erste Zeit der Spanier ...................................................... 100/101 162/163
Index der Orts-, Personen- und Völkernamen ......................................... *68
GESCHICHTE UND BESCHREIBUNG DER HANDSCHRIFTEN
Die beiden aztekischen Handschriften, welche die Nationalbibliothek in Paris unter
der Bezeichnung „manuscrit mexicain nr. 22“ und „manuscrit mexicain nr. 22bis“ verwahrt,
stammen aus der großen Handschriftensammlung, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts
von dem Mailänder Antiquar Cavaliere Boturini Benaduci gesammelt, dann aber von
der spanischen Kolonialverwaltung beschlagnahmt wurde.
Während seines Aufenthaltes in Mexiko gelang es J. M. A. Au bin, einige wertvolle
Stücke dieser Sammlung, worunter sich auch die beiden oben genannten Manuskripte
befanden, zu erwerben, die ihm dann der Kunsthändler Eugene Goupil abgekauft hat.
Nach seinem Tode wurden sie der Bibliötheque Nationale in Paris übergeben, wo sie noch
heute verwahrt werden.
In dem hier abgesteckten Zeitraum hat sich die Handschrift Nr. 22 verschiedene Namen-
gebungen gefallen lassen müssen. Während sie im Katalog des Boturini Benaduci §VIII, 10
unter der Benennung „Unos AnnalesHistóricos délaNacionMexicana enpapelln-
diano_____y lengua Náhuatl, enquadernados con cordeles de yxt le ... en 16 fojas
útiles“ registriert wird, ist sie im Bobanschen Atlas der Aubin-Goupilschen Sammlung
als Manuscrit de 1528 bezeichnet. Im gegenwärtigen Handschriftenkatalog der Pariser
Nationalbibliothek ist sie, wie oben erwähnt, als Manuskript Nr. 22 und die Kopie als
Manuskript Nr. 22 Ms aufgeführt.
Eduard Seler hat den hohen Wert der Handschrift, die er „als das älteste Literatur-
denkmal der mexikanischen Sprache“ bezeichnet, frühzeitig erkannt und ihr im Jahre
1913 im Rahmen einer Sitzung der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften
einen Vortrag gewidmet, in dessen Verlauf er den Inhalt unserer Urkunde in großen Zügen
streift.
Die Handschrift, wie sie sich zur Zeit in Paris vorfindet, besteht aus 21 Blättern von
0.41 m Höhe und 0.23 m Breite. Drei Seiten in der Mitte, nämlich fol. 3, 3 verso und 4,
sowie drei Seiten am Schluß sind unbeschrieben. Es ist zu vermuten, daß die Handschrift
ursprünglich aus sechs Heften zu je vier Blättern, also im ganzen aus 24 Blättern bestanden
hat, die mit Agavebastschnur zusammengebunden waren. Es fehlen also leider 3 Blätter,
nämlich zwei Blätter des ersten und ein Blatt des zweiten Heftes. Hinsichtlich des ur-
sprünglich vierten Blattes des ersten und des ursprünglich ersten Blattes des zweiten Heftes
wiegt dieser Verlust nicht so schwer, da diese gleich dem ursprünglich zweiten Blatte des
zweiten Heftes unbeschrieben waren. Anders verhält es sich mit demá erlust des ursprünglich
dritten Blattes, weil dessen Vorderseite beschrieben gewesen sein muß. Da nämlich der
Schreiber des Manuskriptes seinen Text über die Seiten fol. 2 verso nach ursprünglich fol. 3
recto durchgehend schrieb, ebenso wie von fol. 1 verso nach fol. 2 recto, so ist die ursprünglich
auf Seite 3 recto gestandene Hälfte der Zeilen verloren gegangen.
Wir müssen daher besonders dankbar sein, daß die Bibliötheque Nationale noch eine
Kopie unserer Handschrift besitzt, die unter Nummer 22 Ms verwahrt wird und aus der
Mitte des 17. Jahrhunderts stammen dürfte. Denn aus ihr können wir nicht nur diefehlenden
Textstücke, sondern auch die Teile des Originals, die durch Abreißen am oberen Rande
74
ERNST MENGEN
verloren gegangen sind, lückenlos ersetzen, ja sie hat sogar noch Textstücke, die im Original
Nr. 22 nicht enthalten sind.
Wie schon der Boturinische Katalog erwähnt, ist der Text geschrieben auf „papel
Indiano“, d. h. das Papier besteht aus einheimischer Faser, die Agavefaser zu sein scheint.
Auf dem Wege einer scharfsinnigen Sprachvergleichung kommt Ed. Seler zu dem
Ergebnis, daß das vorliegende Original das „vielleicht älteste Denkmal eines in mexikani-
scher Sprache geschriebenen Textes ist“, das wir besitzen (a. a. O. S. 1031).
Eine Übersicht des Textbestandes entsprechend ihrer wirklichen Aufeinanderfolge
gibt die folgende Gegenüberstellung der beiden Manuskripte Nummer 22 und 22 bls.
Gegenüberstellung der Urkunden.
I. IE I. II.
Die Seiten des Originals Die Seiten der Kopie Die Seiten des Originals Die Seiten der Kopie
Nr. 22 in richtiger Nr. 22bis in richtiger Nr. 22 in richtiger Nr. 22^® in richtiger
Reihenfolge Reihenfolge Reihenfolge Reihenfolge
2 I 2 A 16 24, 25, 26
3 U 26, 27
4 18 27, 28, 29
5 l9 29, [3°, 31
6 20 3i]#, 32
7 21 32, 33, [34
8 22 34, 351*
9 23 35, 36
IO 24 36, 37, 38
4 II 25 38, 39
5 26 39, [4°
12 27 4°, 41
I2bis 28 41!*, 42
6 13, H 29 42, 43
7 H, 15 3° 43, [44
8 unbeschr. 31 44, 451*, 46
9 15 32 46, 47
10 16, 17 33 47, 48
11 17, 18 34 48, 49
12 18, 19, 20 35 49, 5°
13 20, 21 36 5°, 5i
H 21, 22 37 5E 52
U 22, 23, 24 38 52, 53
* Die in [] Klammern angeführten Seiten der Kopie Man. Mex. 22Ws sind von anderer Hand ergänzt.
ANGABE DER ERWÄHNTEN LITERATUR
Bob an Eugène: Documents pour servir à l’histoire du
Mexique. 2 Bde und Atlas. Paris 1891
Boturini Benaduci Lorenzo: Idea de una nueva historia
general de la America septentrional. Madrid 1746-
Carochi Horacio: Compendio del arte de la lengua
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In: Baessler-Archiv Jahrg. 1937. Teil II: Der
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kunde. Bd. VI. Berlin 1899.
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— Gesammelte Abhandlungen zur amerikanischen
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Nationale de Paris. In: Sitzungsberichte der kgl. preuß.
Akademie der Wissenschaften. LHI. Berlin 1913.
— siehe Sahagun.
Siméon Rémi: Dictionnaire de la langue nahuatl ou
mexicaine. Paris 1885.
IO Baessler-Archiv
TEXT UND
I.
i. Ab-
i. Die Königsliste
Ms. Mex. 22. Seiten 2 und 3.1
I. [1 MEX1CA, AMO VALGELJ2 iuhtiaque [in agico chapoltepec, can oc]
gencante [Nican motoca] yonti [a, In izquin] ti ynic [ge itoca poia] vitl
memella xolm [a, Michiniztac Cemacachiquitl AAtlatl Xomimijtl atla-
quavitl tenoch [oCelopan] acatzintli [Ogelotl] chalchiu [tonac, A] yonqua
xocvyol tlaque ftz IZQUIN EINI, AU IN IELAEOCAUH, Itoca tozcu]-
ecues: oc cempoval xivitl yn ocan tepacho y ch[apolteJ peque yn omic
2. nima valmotlali y vitzilivitzi[n E yuh3 XXIII xihuitl tepachohua, Tnic namoyajloque
mexica: ypan cen tochtli xivitl av yn oc quezq mocauh[que] niman yc tetlan omocallaqque
yn cvlhvancan yn tlatlauh[tito Ttoca Eztlogelopa Auh yn] otlayvaque xomimitl michi-
niztac tenoch yztac chiauhtototl ynic neminto y nesticpac yn tecvictolla yn iztacalco [Ca
fencate Tn oyuh motlalico Eemazca jltintla (;a nepanixticante
j. e iuh XIII xivitl ynic valmogeloque tlantilolco xaliyacac yn ipan ce cali
xivitl yn can oc moya [huaque ga oc motlalique Tn MJexica XXX xivitl
ynic motlantocantlali yn quaquapigavac ypan ce tochtli xivitl ce xivitl yn
gan[oc onpa catea Azca] pongalco.
4. av[ynic hualla Elatilulco] ypa omacatl xivitl yn omacatl xivitl yn omot-
lalico in tlantilolco e iuh oxitl xivitl tlantocanti yn otepeuh mexicatl yn
chimallhuacan anten [co Nican] moteepana [yhquacJ tlequavitl [uetz]
yquac molpili yn ixiuN mexica e yuh XV xivitl tlanto canti yn omomo-
ztique mexica e iuh XVI xitl tlanto canti yn cvnpeuh tepanovayancalqui
gan oye[xiuhyoc] cvnpeuh mizqui [catl yhua yJtepeval y cuitlavac yvan
yva quauhnavacatl yzqui cani[n] yn itepeval quaquapigavac yn tlantocat
xochmilcatl
XXXV11 xivitl yn omic valmotlali
1 Der Text der Originalurkunde auf Agavepapier ist
über die Seiten 2 verso und 3 recto durchgehend in
fortlaufenden Zeilen geschrieben.
2 Da hier zahlreiche Textstücke des Originals durch Ab-
reißen verloren gegangen sind, mußten sie aus Ms. Mex.
22WS ergänzt werden. Diese aus Ms. Mex. 22^is er-
ÜBERSETZUNG
Teil.
schnitt.
von Tlatelolco.
1. Als die Mexikaner in Chapoltepec ankamen, waren sie noch nicht in Trennung begriffen,
sondern bildeten noch eine Einheit. Hier sind alle aufgezählt: der erste mit Namen
Poiauitl, ferner Memella, Xohna, Michiniztac, Cemacachiquitl, Aatlatl, Xomimitl,
Atlaquauitl, Aenoch, Ocelopan, Acatzintli, Oqelotl, Chalchiuhtonac, Ayoqua, Xocoyol,
Alaquetz, alle diese. Ihr Herrscher hieß Aozcuecues. Noch 20 Jahre war er Herrscher
in Chapoltepec. Als er starb,
2. da setzte sich Uitziliuitzin als Herrscher hin. Nach 23 Jahren seiner Regierung wurden
die Mexikaner das Opfer eines Überfalles im Jahre 1 Kaninchen. Und soviele es
waren, die noch übrig blieben, unterwarfen sich Colhuacan und gingen und baten
einen mit Namen Eztlo^elompan (um Aufnahme). Und sie mußten durch Sklavenarbeit
ihr Brot verdienen: Xomimitl, Michiniztac, Aenoch, 2 ztac chiauhtototl und lebten in
Nexticpac, Aecuictollan, Iztacalco noch zusammen. Nachdem sie sich in Aemazcaltitlan
niedergelassen hatten, spähten sie sich nur noch gegenseitig aus.
3. Nach 13 Jahren trennten sie sich dann in Alatelolco xaliyacac im Jahre 1 Haus. Allein
bis die Mexikaner sich ausbreiteten und niederließen vergingen noch 30 Jahre. Da
setzte sich im Jahre 1 Kaninchen Ouaquapitzauac als Herrscher hin. Nur ein Jahr
war er noch dort in Azcapotzalco.
4. Dann ging er im Jahre 2 Rohr nach Alatelolco. Im Jahre 2 Rohr ließ er sich in Alate-
lolco nieder. Nach 2 Jahren seiner Herrschaft siegte der Mexikaner in Chimalhuacan
atenco. Hier stellen sie sich dann in Reih und Glied auf und es wurde der Feuerbohrer
in Bewegung gesetzt. Da vollzogen die Mexikaner ihre Jahresbindung.4 Nach 15 Jahren
seiner Herrschaft errichteten die Mexikaner einen Steinsitz für das Götterbild. Nach
16 Jahren seiner Herrschaft besiegte er den Aepanouayancalqui. Noch bevor 3 Jahre
um waren besiegte er den Mizquicatl und es waren seine Eroberung der Cuitlauac und
der Xochimilcatl und der Quauhnauacatl. Alle diese wurden die Beute des Ouaqua-
pitzauac. 37 Jahre war er Herrscher, als er starb, da setzte sich (als Herrscher) hin
setzten Buchstaben und Worte sind durch eckige 4 d. h. sie erbohren das neue Feuer und leiten damit den
Klammern kenntlich gemacht, Beginn einer neuen Periode von 52 Jahren ein,
e mh statt ye yuh.
io!
7§
ERNST MENGIN
CooJ.
5. tlacanteontzi ypan VII tecpatl xitl e iuh VII xitl tlatocanti y
moma chalca yaoyotl e iuh IX xivitl tlantocanti y quimoma
tecpantlacalque nican mopova yn izquican itepeval toltintla qua-
uhtintla chalco acolhva ontempan acolhvacan tollantzinco ynic
^ mic tlacanteontzi teuhtica tlagoltica yvan mic yn teuhtle-
vancantzi
6. no yqua[c] mic yn chimalpopocan tenochtitla tlantlatovani catca amo quali yc mictiloque
yevatl quimicti yn azcapogalco maxtlato teuhtica tlagvltica mictiloq atzompan tetepacholoque
yn tlacanteontzi tlantocat XVII xivitl yn omic nima [n] valmontlali
7. quauhtlatovatzin yn ipan X tecpatl xivitl e iuh ce xivitl tlantocanti ynic [mononotzque ynJ
tlatilvlco tlacochcalcati mochinti yn tiacava yvan pipilti yn ipampa ynic omictiloque yn
itlantocavan yquac [olin] yn tepaneca yaoyotl no yquac yecauh
yn tenochtla teocali yn tecpanecatl ytepeval yn quauhtlantovantzi
,,,,,,,,,, ye yquac mic y [n] maxtlaton e yuh XXV xivitl tlantocanti yn
C \ V 1 r\ OT) mogetechvique mexica ye yquac yn quauhtica anotiaque1 gano
‘ * ’ * yquac........1 2 molpili ynxiuh mexica yn quauhtlatovatzin
§ 7 tlantocanti XXIX xivitl yn omic valmotlali — Einschiebung:
itepeval azcapogalco acolhuacan tlacopa atlacvivayan teocalhuiyacan mizquic cuitlavac
xochimilco coyovanca covantlichan yztapalocan quauhnavac xivacd copalla yovalla
tepeaca tetella quauhtla tecalco tetlanalla......3 tepeyacac oztoticpac tlaolla avilizampa
8. yn moquivix yn ipan XII tecpatl xivitl e iuh X xitl tlanto-
canti yn e notempa4 moma chalca yaoyotl e iuh XV xitl
tlantocanti yn ecauh teoncali tlantilolco
9. e iuh XX xivitl tlantocanti opeuh yn yaoyo yn tlatilolco ynic
omixnamique yn axayanca ympeuh nenecaliztli omopillova
tonatiuh yn tatzinticatca yntoca oncan chicvicnauhtla yn tla-
tilolca yn tziva yxquich tlacatl tlama ga no yvi yn tegontlalnamacvya yxquich tlacatl
tlama yn tlantilolcan tziva ga no yvi yn atinantitech yn itocayonca .............5 ga yn
cvmochtlamanq yn tlatilolcan tziva cenca miec ymal mochiuh.
10. av ic onaquiz tonatiuh nima [y] e yc tetlacavaltia yn tecvictlatoq ynic..........6 nemi yn
tecvmpa yn traytores yn ipipiltin yn quinavalpoloque altepetl yn itlanavatil[huan] ytoca
mixcova tlaylotla [tecuhtli].
Ms. Mex. 22bis. Seite 3.7
il. Izcate necoc quitlalique yn tlatol yn pipilti(n) traytoles in tlatilulca quinahualpolozquia
altepetl nican motocate Nehua yn izquitin
Hecohuatl Mexicatl
EcatzitzimitV
Tepoco8i
Calmeca8
Conihui Tecpdtzinco
Amaxac chane--------
Anayacacolco chane —
chane
chane
chane
1 Mol. II. s. v. quauhtica nemi. labrador o maceual. idem
s. v. anonteaquia. desfavorecer o no hazer cuenta de
alguno. Dieselbe Ausdrucksweise kehrt wieder in § 59.
2 Hier sind einige Worte im Original durch Verblassen
unleserlich.
3 An dieser Stelle sind 4—5 Worte unleserlich.
i Diese Stelle ist sehr undeutlich im Original geschrieben.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
79
5. Alacateotzin im Jahre 7 Feuerstein. Nach 7 Jahren seiner Herrschaft kam es zum
Krieg mit den Chalca. Nach 9 Jahren seiner Regierung führte er Krieg mit den Aec-
pantlacalque. Hier sind alle seine Eroberungen aufgezählt: Aoltitlan, Quauhtitlan,
Chalco, Acolhuan, Otempan, Acolhuacan und A ollantzinco. Dann starb Alacateotzin
in Schmach und Schande und es starb Aeuhtleuacatzin.
6. Zu derselben Zeit als er starb, war Chimalpopoca in A enochtitlan Herrscher. Auf un-
ehrenhafte Weise wurden sie getötet. Er, Maxtlaton von Azcapotzalco tötete sie.
Schmachvoll wurden sie getötet, denn sie wurden in Atzompan gesteinigt. Alacateotzin
regierte 17 Jahre. Als er starb, da setzte sich (als Herrscher) hin
7. Quauhtlatouatzin im Jahre 10 Feuerstein. Nach 1 Jahre seiner Regierung berat-
schlagten sich in Alatelolco der Gerichtshof, alle Häuptlinge und Fürsten, weil man
ihre Herrscher getötet hatte. Da begannen die Aepaneca den Krieg. Gleichzeitig
wurde in Aenochtitlan die Pyramide vollendet und die Aepaneca wurden die Eroberung
des Quauhtlatouatzin und es starb Maxtlaton. Nach 25 Jahren seiner Herrschaft kamen
die Mexikaner geschlossen zusammen. Da lebten sie verachtet als Sklaven.1 Da voll-
zogen die Mexikaner ihre Jahresbindung. Quauhtlatouatzin regierte 29 Jahre. Als er
starb, setzte sich (als Herrscher hin) — seine Eroberung waren; Azcapotzalco, Acolhuacan,
Alacopan, Atlacuiuayan, Aeocalhutacan, Mizquic, Cuitlauac, Xochimilco, Coyouacan,
Couatlichan, Yztapalocan, Quauhnauac, Xiuacan, Copallan, 1 ouallan, Aepeaca, Aetella,
Quauhtla, Aecalco, Aetlanalla.......3 Aepeyacac, Oztoticpac, Alaollan, Auiligapan —
8. Moquiuix im Jahre 12 Feuerstein. Nach 10 Jahren seiner Regierung kam es zum
Krieg mit den Chalca. Nach 15 Jahren seiner Herrschaft wurde der Tempel in Ala-
telolco fertig gestellt,
9. Nach 20 Jahren seiner Regierung begann der Krieg. Da gerieten in Streit die Be-
wohner von Alatelolco und die Leute des Axayacatzin und es begann der Kampf. Als
die Sonne im Sinken war, kamen wir dort an (an einem Ort) mit Namen Chicuicnauhtla.
Die Frauen von Alatelolco und jedermann macht Gefangene. Ebenso in Aegontlal-
namacuyan macht jedermann Gefangene. Die Frauen von Alatelolco ebenso an einem
Ort mit Namen Atenantitech. Die Frauen der Alatelolco machen großen Beute; sehr
viele Gefangene wurden gemacht.
10. Und als die Sonne unterging, hielten die Befehlshaber die Leute zurück. Sie leben
in Aencopan die Verräter und Edlen welche den Staat ins Unglück stürzten und die
Spione (Agenten) eines Mannes mit Namen Mixcoua Alaylotla Aecuhtli waren.
11. Hier sind sie, welche doppelzüngig waren, die vornehmen Verräter der Alatelolca, die
den Staat ins Unglück stürzen sollten. Sie sind hier alle genannt:
Aecouatl Mexicatl, Bewohner von Amaxac
Ecatzitzimitl, Bewohner von Anayacacolco
Aepoco, Bewohner von7 8
Calmeca, Bewohner von8
Conihui, Bewohner von Aecpantzinco.
Zugrunde gelegt ist nach der Kopie „inic tepä“.
Wort ist unsicher, da nicht leserlich,
unleserlich.
7 §§ 11—47 fehlen im Original und sind aus der Kopie
22WS ergänzt.
8 Hier ist ein unleserliches Zeichen im Originaltext.
8o
ERNST MENG1N
12. Tehua(n)tin (y)nin in traytorles yn izqui(n)tin tetlaneque necoc quitlalique Tn intlatol
On calaquia tenochtitla(n) No hualcalaquia nican tlatilulco Ca no yehua(n)tin Coyolo
cocoltito in axayacatzin Conilhuito Ma ga ytla conitta Tn moquihuis Auh yn oc oncauhque
Axayaca Nimà hualaque y(n) nicà tlatilulco in técopa conilhuito in tlatohuanie Mo-
quiuistzin Ca otohuia in tenochtitla otitlatecpanato, huel motequipachotzinotica y(n)
tlacatl tlatohuani Axayacatzin Auh ynin tic timaylia, ma ga on chimalmanalo yhuà ma
onmaquauhximallo ye timitztonemachtilia tlatohuanie Ma ytla topà mochiuh gan ihui ynic
polihuizquia altepetl Tlatilulco.
ij. Auh in tenochtitla(n) tlatohuani Axayacatzin
Ms. Mex. 22bis. Seite 4.
ye yhquac nohuid motetlaquehui yn altepehuaca y(n) tonahuac onoque Tnic tlayhihua
Thquac quitemacac Copilli tlatocayotl Thua(n) chayahuac Cozcatl yhua(n) chalchihuitl
yhua(n) quetzali(t)ztli yn axayaca ynic tetlatlauhti ynic quipoloz altepetl tlatilulco,
Conitohua Ma oc tech mopalehuiliqui yn yaotiacahud Tn huel chichicahuaque ca ye tech-
poloznequi Tn tlatilulca.
14. Auh ca no contitlani in Copilli yn tlatocayotl yn ipd omotepielizque ca ompa no conihua
yn incozcatzin yn imacuestzin in chalchihuitl intilmatzin yncactzin in chalchiuhtilmatzin
Tncactzin ynic hualazque yn tiacahud tepehuanime yehua(n)tin y(n) huelchichicahuaque
gan ihui ynic motetlaquehuique tenochca y(n) nohuian altepepd.
15. Auh auelpoliuh Tn tlatilulco Ahuelquipoloque ye huel miequi(n)tin Nican Mocauhque
Maltimochiuhque auh ga Cihua in tlamaque Tn izquica tagiticatcd yhuan chiuhnauhtla
Thua(n) tegotlalnamacoya Thua(n) atena(n)titech yzquica in tlamalotl yn omito. TE
yhquac Cempoliuh Tn tecuhyotl tlatocayotl Tn tlatilulco.
16. Nican motocayotia in Motenehua quauhtlatoque, ye yquac peuh Tn ga quauhtlatolo nican
Tlatilulco. yehua(n)tini yn oquipixque Altepetl Tlatilulco yn izqui(n)tini mochiuhque
tlatoque, Chichitzin tlacatecatl Omotlatoca(t)lali yn omic hualmotlali Quigemitohuatzin
Tlacatecati Tn omic, hualmotlali Tlacatecatl Tn omic hualmotlalli Tlachcalcati tlacatecatl
Tnomic hualmotlali Totogacatzin Tlacatecatl yn omic hualmotlali Tlacatecatl yn omic
hualmotlali
Ms. Mex. 22bis. Seite 5.
Ttzquauhtzin Tn omic hualmotlali Tlacochcalcati Tn omic hualmotlali Teyolcocohuatzin Tn
omic hualmotlali Tlacoch calcati Tn omic Tc òca tlami quauhtlatoque Tn quipisque altepetl
Tlatilulco 1520 anos.
iy. Auh nican Motiatocatlali quauhtemoctzin Tlacateuhtli Xocoyotl ypd matlactli acatl(xihuitl)
Tpd agico Castilteca qui(n) ye nauh xihuitl tlatocati y nican Tlatilulco Tpan Mochiuh
Ta(o)yotl T nican tlatilulco. Auh yn omochiuh Taoyotl Tehuatl Capita(n) Marques
quihuicac Castilla yhud tenochca y(n) huicozquia.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
12. Diese sind die Verräter, alle diese die Agenten. Sie redeten doppelzüngig. Sie, die
hingingen nach Tenochtitlan und die auch eintraten hier in Tlatelolco. Sie beunruhigten
Axayacatzin und sagten zu ihm: „Möge er auf Moquiuix Acht haben!“ Und nachdem
sie von Axayacatzin weggegangen waren, gingen sie nach Tlatelolco Tencopan und
sagten zu ihm: ,,0 verehrter Herrscher Moquiuix, wir gingen nach Tenochtitlan, um
die Dinge zu ordnen. Der Herrscher Axayacatzin ist bestürzt. Und nun, was tust du ?
Möge man Schilde hersteilen und möge man Schwerter anfertigen mit Sägen von Obsidian
auf beiden Seiten. Wir sagen es Dir im Voraus, o Herrscher! Möge kein Unheil über
uns kommen!“ Auf diese Weise nur sollten sie den Staat Tlatelolco zu Grunde
richten.
13. Und Axayacatzin, der Herrscher von Tenochtitlan wirbt hierauf überall in den um-
liegenden Orten Söldner an. Darauf sendet er Boten aus und er gab ihnen die königliche
Krone und das mit Gehängen versehene Geschmeide und Türkise und Smaragde und
bat die Axayaca, daß sie die Stadt Tlatelolco vernichten sollten. Er sagte zu ihnen:
„Möchten sie sich uns nützlich erweisen und unsere Krieger allerorten recht stark
machen, damit sie die Tlatelolca für uns vernichten!“
14. Dann sendet er die königliche Krone, daß sie sie für ihn bewahren sollten und er sendet
ihre Kleinodien, ihre Armbänder, Türkise, ihre Mäntel, ihr Schuhzeug, ihre Edelstein-
gewänder, ihre Sandalen, daß sie herkommen sollten die siegreichen Krieger, sie die
überaus starken. Nur auf diese Weise warben sich die Tenochca allenthalben in den
Siedlungen Söldner.
15. Aber Tlatelolco ging nicht unter. Sie vernichteten es nicht, vielmehr mußten sie hier
viele als Gefangene zurücklassen. Und allein die Frauen machten überall Gefangene,
wo wir hinkamen: in Chiuhnauhtla, Tegontlalnamacoya und Atenantitech. Überall da
gab es Gefangene, wie (schon) erwähnt wurde. Damit ging für immer unter die Herr-
schaft, das Königtum von Tlatelolco.
16. Hier sind aufgezählt die Namen der Statthalter, (denn) da begann die Statthalterschaft
hier in Tlatelolco. Die Gouverneure, welche die Stadt Tlatelolco verwalteten sind
folgende: Chichitzin tlacatecatl setzte sich (zuerst) als Statthalter hin. Als er starb,
setzte sich Quigemitohuatzin tlacatecatl als Statthalter hin. Als er starb, setzte sich
Tlacatecatl als Statthalter hin. Als er starb, setzte sich Tlachcalcatl Tlacatecatl als
Statthalter hin. Als er starb, setzte sich Toto^acatzin Tlacatecatl als Statthalter hin.
Als er starb, setzte sich Tlacatecatl als Statthalter hin. Als er starb, setzte sich
Ttzquauhtzin als Statthalter hin. Als er starb, setzte sich Tlacochcatl als Statthalter
hin. Als er starb, setzte sich Teyolcocouatzin als Statthalter hin. Als er starb, setzte
sich Tlacochcalcatl als Statthalter hin. Als er starb, da enden dort die Statthalter, die
den Staat von Tlatelolco verwalteten. Im Jahre 1520.
\y. Und hier (sc. in Tlatelolco) setzte sich Quauhtemoctztn Tlacatecuhth Aocoyotl im Jahre
10 Rohr als Herrscher hin. Als die Leute aus Kastilien hier ankamen, war er 4 Jahre
Herrscher hier in Tlatelolco. Da gab es Krieg hier in Tlatelolco. Als der Krieg vor-
bei war, führte der Kapitan JMaTques Leute aus Kastilien und Tenochca her, daß er
(sc. Quauhtemoctizn) weggebracht werde.
82
ERNST MENGIN
18. Auh aocac tlatohuani'tenochtitld ge tlacatl teuchiuhitiuh ytoca Mexicatl huel Cozoololtic
gd tzapató Thud Oc gequiti ycnihud Tnic ye mohuica Centetl quiquechilia yn ixacalltzin
quauhtemoctzin Nonoqua moxacaltitihuetzque gentetl Tlatilulco xacalli No gentetl in
tenochcatl yxacal quique chillia Nóqua Motlalitihui.
29. Auh yehuatzin Tlacatl tlatohuani quauhtemoctzin Te quimitalhui tetecuhtine Tlatilulcaye
ca ye tihuico in Castilla. Auh y nica Cate amomagehualhuan y nican Acallan Tía xiquimol-
huili in tetecuhti alcallan motlapielia yuhqui xiquimolhuilica Ca ye tihuico Castillan Ma
cana ytlatzin techtlaocólica Te tocontotlapalhuizque Tn huey teoutl Tlatohuani Castilla
moyeztica.
20. Auh nimd yaque in titla(n)tin Tlatilulca. Auh yn omaxitique Acalan Nimd quitlapaloque
i tetecuhti Acalantlaca quimónonotzque yn iuh omotlanahuatilia quauhtemoc(tzin). Auh
yniquac oconcaque tlatocatlatolli. Nima mochi(n)tin Quitoque Ma hualmohuica y(n)
tlacatl yn totecuiyo totlatocatzin Ma tic-
Ms. Mex. 22bis. Seite 6.
tomagehuitzinoca(n) Ma yxtzinco ycpactzinco tlachiecd yn imagehualtzintziuan ca yntla
yn quimotequipachilhuia ca honcatqui ca honmocuiz.
21. AUH NIMAN MOCUepque i( n )titla( n )tin ynic quimononoch ilito yn tlacatl y totlatocatzin
quimolhuilia tlacatle tlatohuanie ca hotóhuia yn ompa otitechmoti(t)lani Ca yuh oqui-
huallihtoque ma hualmohuica yn totlacatzin Ma quimotiliqui yn imagehualtzintzihua(n).
Ma tictomagehuitzinocd hueca yohuatzinco yn iuh quimocaquilti quimitalhui yoyahue
Ma yuh mochihuaz Ma oc yohuatzinco toquigazque.
22. Auh yn otlathuic. Nimd quimitalhui Ma tihuid Ma tiquihualapaloti yn tetecuhti Acalan-
tlaca Nimd mohuicaque tlatoque eyntin Quauhtemoctzin Tlatilulco Tlatohuani Niman
Cohuanacochtzin chañe tezcoco yni ey tlacatl Tetlepdquetzatzin chañe Tlacopd yhua(n)
o(c)gequi(n)ti tlatoque. Auh niman ye mohuica.
23. Auh yehua(n)ú Acallantlaca huel otlagencauhque Acxoyatica conmonamiquilico
quetzalyecagehuaztli ye comocaltilico comololhuico xiuhtilmatli yhud xiuhcactli Thud
chayahuac Cozcatl Cozticteocuitlatl yhua(n) quetzaliztli Cozcatl Macuextli quetzaliztli
chalchihuitl huelagotli yhud yn tlatocayotzin genca octlapanahuia ynic mahuiztic ynic
tlachiuhtli chalchihuitl huetlage(n)cauhtli huelpepetlaca tlanextia No yhui tehuicaque No
tlauhtiloque tehud Cozc atillo que.
24. auh yn onaxihuac Nimd ye motlalia yquigiuhca1 teatol maco pinolli yn ihuac Auh nimd
tetlamacoc Motlaqualtique in tlatoque Auh yn ontlaqualoc Nimd ocgepa tetlauhtia yn
tetlauhtiloc.
25. Nimd quimotlatlauhtili yn tlatoque Acalan quimolhuilia ma yxquich amotlapaltzin
ypaltzinco teoutl Ma ximopaquiltitiecan Macamo cana tealtepeuh ypd ximohuicaca ma
ga ye nican xipactiecd Tnic amo anquitolinizque yn cuitlapilli atlapalli yn illamatzin y(n)
huehuetzin yn piltzintli yn moco(n)goltentoc yn mohuillana yn moquequetza xiqutmo-
cuitlahuicd xiquitlaocólica Amo capa tealtepeuh ypd yazque xiquitlagotlacd manen anqui-
xicauhti ca huelnamechtlaquauhnahuatia ca nel ye tihuico Castilla Cuix niemati Ago ni
hual no cuepaz Anogo ompa nipopollihuiz Aoc mogepa amixtzinco amocpatzinco nitlachie-
quiuh Ma yxquich amotlapaltzin xicmochihuilicd
Zu lesen : „icifiuhca“.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
83
18. Da gab es keinen Herrscher mehr in Tenochtitlan. Einen Mann mit Namen Mexicatl
setzten sie feierlich als Herrscher ein, der kugelrunde Waden hatte, nur ein Zwerglein
und noch einige seiner Freunde. Da begeben sie sich fort. Einer errichtet eine Hütte
für Quauhtemoctzin. Abgesondert bauen sie sich in Eile Hütten, eine in Tlatelolco, eine
Hütte für den Tenochcatl bauen sie und siedeln sich für sich abgesondert an.
19. Und er der Herrscher Quauhtemoctzin tlacatl sagt zu ihnen: „Ihr Herren von Tla-
telolco ! Ist es so, daß wir schon nach Kastilien gehen ? Und hier sind euere Untertanen,
hier in Acallan ! Sagt den Herren, die Acallan betreuen, so sprecht zu ihnen „ist es
so, daß wir schon nach Kastilien gehen ?“ ! Möge sein Onkel uns bemitleiden, weil wir
dem großen Herrn huldigen sollen, der der Herrscher von Kastilien ist.
20. Alsdann gingen die abgesandten Leute der Tlatelolca weg. Als sie in Acallan ankamen,
da grüßten sie die Herren, die Leute von Acallan und berichteten ihnen, wie sich
Quauhtemoctzin geäußert hatte. Und als sie die Herrscherworte vernommen hatten,
sagten sie alle einstimmig: „Möge er kommen, der Herr, unser Herrscher und Gebieter !
Mögen wir (diese Gnade) uns verdienen! Mögen sie uns, ihre Untertanen schonungslos
behandeln! Denn wenn er uns etwas auferlegt, es findet sich (schon), wo er es sich
nehmen wird.
21. Sobald die Boten heimgekehrt waren, redeten sie mit unserem Herrscher und Herrn
und sagten zu ihm: „Herr und König! Wir gingen dorthin, wohin du uns gesandt
hast. In dieser Weise haben sie uns geantwortet: Möge er herkommen unser Herr-
scher ! Möge er seine Untertanen besuchen! Mögen wir uns (diese Gnade) verdienen!“
Es war am frühen Morgen, daß er sie anhörte. Er erwiderte ihnen: „O! Es geschehe
also ! Laßt uns noch beizeiten aufbrechen!“
22. Und als es Tag geworden war, sagte er zu ihnen: „Gehen wir und besuchen wir die
edlen Acallantlaca /“ Darauf brachen die 3 Herrscher auf: Quauhtemoctzin, der Herr-
scher von Tlatelolco, Couanacochtzin von Tezcoco, und Tetlepanquetzatzin von Tla-
copan und noch einige Vornehme. Alsbald gehen sie weg.
23. Und die Leute von Acallan schmückten sich mit Acxoyatl und kamen ihnen entgegen
mit goldverzierten Quetzalfederfächern und bildeten damit einen Thronhimmel und
brachten zusammen blaue königliche Schulterdecken und blaue Sandalen und mit
Gehängen versehene Geschmeide aus Gold und Nephrithalsbänder, Armbänder aus
Nephrit von hohem Wert und die königliche Krone überbietet alles bei weitem durch
ihre Pracht. Mit wundervoll gearbeiteten Smaragden geziert, glänzt und schimmert sie.
Mit Beifall wurden die Träger gefeiert mit ihnen,
24. Als man angekommen war, setzen sie sich und alsbald wurde ihnen Maisbrei gegeben
und man trank Pinolli. Und nachdem es verabfolgt war, speisten die Herren. Nach
dem Mahl machte man Geschenke.
25. Nachdem die Geschenke getauscht waren bat er die Herrscher von Acallan und sagte
zu ihnen: „Strengt euch an so sehr ihr könnt, mit Gottes Hilfe! Seid zufrieden!
Begebt euch in keine fremde Ansiedlung ! Seid glücklich hier ! Damit ihr nicht Schmerz
zufügt den Leuten des Volkes, den Alten, den Greisen, den Kindern, die noch in der
Wiege liegen und denen, die sich erst im Gehen üben, denen die spielen. Seid um sie
besorgt und habt Mitleid mit ihnen ! Sie sollen in keine fremde Siedlung gehen. Liebet
sie! Laßt sie nicht im Stich. Ich empfehle sie euch ausdrücklich, denn wir werden
nach Kastilien gebracht. Was weiß ich, ob ich (je) zurückkehren werde, oder ob ich
dort untergehen werde. Vielleicht werde ich euch nicht Wiedersehen.
11 Baessîer-Archiv.
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ERNST MENGIN
26. Ma yhuia(n)
Ms. Mex. 22bis. Seite 7.
yocoxca xiquinmotlagotillicd yn amopilhuan macamo xiquitolinica Auh ca ga yehuatl
ynic noconnitohua Ma cana ytlatzi xitechtlaocollicd ca yehuatl ynic noconNotlapalhuiz
Y(n) huey teoutl tlatohuani Castillan Moyetztica.
27. Yhquicuepillique ytlatoltzin tlatohuani Quauhtemoctzin / tlacatle tlatohuanie Cuix tito-
magehualtzi in ca timitztahuilquixtilia Macamo ximotequipachotzinocd oncd yn motlat-
quitzin Ocatqui yn motlacalaquiltzin Ma hualquica chicuey acatanatli Coztic teocuitlatl
chayahuac Cozcatl yhud quetzaliztli yhud chalchiuhCozcatl Ma yauh ca maxcatzin ca
motlatquitzin ca nican otimitztopieliliaya.
28. tlananquili y tlatohuani oannechmocnelilique tetecuiuhtine Otlacauhqui yn amoyollotzin /
Nimd Comamaque chicuetetl Acatanatli nimd ye mohuica in tlamamaque Concahudto yn
ompa catea Xacaltzinco Auh yehudtin Acallantlaca oquihualtecaque teponaztli yhud
quetzaltemd'li ynic macohuallo netotiloya.
29. Auh yn yehuatzin Y(n) tlacatl tlatohuani Quauhtemoctzin yhud Cohuanachoctzin1 Yhud
Tetlepdquetzatzin ynin ym omexti tlahtoque yn Cohuanachoctzin che Tezcoco Auh
tetlepaquetzatzin chañe Tlacopd Ynic nican tetlamoyetztitihui ayac imagehualtzin ga ytla-
tzinco Motlaqualtitihuia in quauhtemoctzin atle ymitacatzin Auh ymeixtitzitzin Ommo-
matzinoque ye mitotia gemilhuitl (Yn) netotiloc Auh ye omopillohua tonatiuh huel pacohua
mahgehuallo.
30. Auh yehuatl Mexicatl tenochca Ayac quinoz Ca ge yxacal ompa mogehuia Auh ye ontlachia,
huel hualcaquizti Teponaztli Yhud y(n) cuicatl ontlachia quetzalli yuhqui xoquiuhtiuh
Auh in Malttzin ohualquiz quilhuia Yn Mexicatl tleyn taxtica Notlatzin Mexicatl Tía
xihualmohuica Nochpochtzine ca nontlamahuigohua Ca tlahuisnextito yn Quauhtemoctzin
tía xocomotilli Yhui on Ynic nica tipopolihuizque yhud Yehuatzin teotl Marques yhud
tehuatzin nochpochtzen Malitzine.
Ji. quito in Malin cuix huel melahuac
Ms. Mex. 221)is. Seite 8.
yn tiquitohua acagomo melahuac yn iuh tiquitohua yaotecato in quauhtemoctzin.
J2. Auh yehuatl Mexicatl in cozooltic oquito Ca huel melahuac niquitohua ca otiquincacque
Yn yohualtica mononotza quitohua Ca techhuica in tenime yn otomin Cuix huecauh yntla
tiquinmonpopolocd tleypa Y ani ca gan ihui yn otic cae que ynic mononotza yohualtica Auh
ypdipa nitlaocoya Ca nica mopopolihuitiz in Capita marques yhud tehuatzin.
33. ca ye qualli Mexicatl otitlanelltili Auh yehuatl in Malttzin / Niman quinonotz in teoutl
Marques yn iuh oquicac Cozte Mexi(catl).
1 Vgl. § 22, wo dieser Name Cohuanacochtzin heißt. Zu Grunde gelegt ist „Cohuanacochtzin“, von „nacochtli“,
UNOS ANNALES HISTÓRICOS UE LA NACION MEXICANA
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26. Tut alles, was in euren Kräften steht! Liebet ruhig und in Frieden eure Kinder! Be-
reitet ihnen keinen Kummer ! Und ich sage nur dies: Steht mir irgendwie bei mit etwas,
daß ich den großen Gebieter bewillkommnen kann, der Herrscher von Kastilien ist.“
27. Sie erwiderten auf die Rede des Quauhtemoctzin folgendes: ,,0 Herr und Gebieter!
Bist du etwa unser Untertan, daß du dich demütigst ? Beunruhige dich nur nicht,
denn dein Eigentum ist da. Er ist da, dein Tribut. Es mögen abgehen 8 Rohrkörbe
mit gelbem Gold, mit Geschmeiden, die mit Gehängen versehen sind und Smaragde
und Türkishalsschmuck. Möge es abgehen, denn es ist dein Eigentum, dein
Tribut!“
28. Der Herrscher antwortete; ,,Ihr habt mir Gutes getan, ihr Herren mit dem, was euer
Herz mir überläßt.“ Dann nahmen sie die 8 Körbe auf den Rücken und die Lastträger
brachen auf. Sie gehen und bringen sie dahin, wo Xacaltzinco liegt. Und sie, die
Acallantlaca, stellten die Holzpauken auf und die Quetzalfederbälle und dann breitet
man die Hände aus und tanzt.
29. Er, der Herrscher Quauhtemoctzin tlacatl und Couanacochtzin1 und Tetlepanquetzatzin,
weil diese beiden Herrscher Couanacochtzin von Tezcoco und 7"etlepanquetzatzin hier
keine Sklaven bei sich haben, so gibt ihnen nur Quauhtemoctzin etwas zu essen, da
sie keinen Mundvorrat haben. Und alle drei befanden sich wohl, schon tanzen sie.
Man tanzt den ganzen Tag. Und als die Sonne im Sinken war, herrscht Jubel und man
gibt sich dem Tanze hin.
30. Er aber, der Mexicatl von 7enochtitlan, den keiner gerufen hatte, ist allein in seiner
Hütte und ruht dort. Da sieht und hört er deutlich die Holzpauken und den Gesang
und er sieht die Quetzalfederbälle. Da ging und jammerte er. Und Malintzin kam
heraus und sagte zu ihm: „Was hast du, mein Onkel MexicatlP“ Komm her meine
Tochter ! Denn ich sehe, daß Quauhtemoctzin ganz verzückt bei der Herrschau erscheint.
Sieh’ ihn! So werden wir hier zu Grunde gehen und er, der Herr Marques und du,
meine Tochter Malintzin.
31. Malintzin sagt zu ihm: „Ist es wirklich wahr, was du sagst? Vielleicht ist es nicht
durchaus richtig, was du behauptest, daß nämlich Quauhtemoctzin sich an die Spitze
einer Verschwörung gestellt hat.
32. Aber er, der Mexicatl Cozooltic erwiderte: „Es ist durchaus richtig, was ich sage, denn
wir haben sie nachts sich beratschlagen hören. Sie sagten, daß sie uns die Fremden,
die Otomi wegnehmen. Wieviel Zeit würde es in Anspruch nehmen, bis wir sie ver-
nichteten ? Möge man sie überfallen! In dieser Weise haben wir sie sich des Nachts
beratschlagen hören. Ich jammere (nur) deswegen, weil der Kapitän Marques und
du hier zu Grunde gehen werdet.“
33. Es ist schon gut, Mexicatl, was du dargetan hast. Darauf berichtet Malintzin selbst
dem Herrn Marques so, wie sie es von dem Mexicatl Cozooltic gehört hatte.
orejeras.
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ERNST MENGIN
34. Auh ye onmopillohUa tonatiuh niman yc motlanahuatilia Nimà ocgepa techocayotiloc
(tecochcayotiloc) qutmogalhuique yn tlatohuani quauhtemoctzin oc nwtlaqualtique Auh
yn otlaqualoc Nimà ye huillohua Tm eixtin momaniltitihui yn tlatoque Ca ymac maxitito
Tn Soldatosme yuhqui chichitzitzin quintoquequechmecayotique yn tlatoque Nimà ye yc
quimotlecahuilia pochotitech yn quauhtemoctzin oncan quimopilhuique in Cohuanachoctzin
eh6 tezcoco yhuà tlepàquetzatzin che Tlacopa yn meyxtintzitzin ompa momiquillito y(n)
hueymolla pochotitech amo ma quimotlatoltilique gan ihui ynic momiquilito ompa qutpillo
in Marques yhuà in Malin Can ihui ynic mopolihuitito tlatohuani quauhtemoctzin ynic
momiquilito.
33. Auh yn iztlacatini ye yhquac quii ocayotique in tlatilulca Cozte Mexi-Auh yehuatl yztlaca-
tini yn Cozte mexi(catl) ye omomiquilique tlatoque ye yc quihualihua in Malitzin Quilhui
notlatzin Mexicatl ca otimitzhuicazquia in Castilla Auh yn axeà Amo huel tiaz xiyauh
ximocuepa Mochà tenochtitlà yn iquac tihualtocuepazque timitztemozque Manen amo tagi
Ma cana tealtepeuh ypà timotlali huel tagitiuh yn mocha ca ye tinahuatilloc ca mitz-
motemoliz in teoutl Capitan Marques Qa òca hualmocuep yn hueymollan acalan-
36. Auh yn oc omentin tlatoque yn Ecatzin tla[ ca ] te catl Tlapanecatl Popocatzin Yhuà Temilo-
tzin tlacatecatl tezcacohuacatl popocatzin Tnin ga nimà motlatito yti(c) calaque acalli
Ms. Mex. 22bis. Seite 9.
castilla quicoleuhque yn i huapalli yn ipà ma(n)tihuiCaualloti yxopetlayo OmpàMotlatito
Tm omexti(n) yniquac quimopilhuique tlatohuani Quauhtemoctzin yn calaque Caualiliga
ypà moquetztihui huapalli Auh tlani temoque ynpà quihualmotzauhque ym omextin ye
chicomilhuitl nenemi yn acalli tlatoticate oncan monotza Auh yn oquicacque quilhuitito
in Marques yhuà Mali aquique in tlatohua ytic acalli Niman quito in Marques yhuà
Malitzin xiquimitaca aquique Auh yehuatl Malinero oquimitac ca tlaca Ca yehuatl in
Ecatzin tlacatecatl Tlapanecatl popocatzin yhua(n) Eemillotzin tlacatecatl Tezcacohuacatl
popocatzin.
3J. Auh yn oquimitaque Nimà quilhuito i marques ca omenti(n) ca yehuatl yne Ecatzin yn
huel ticmotemolia yn ocagic Vàtelà yhuà temilotzin tlacatecatl. Auh nimà quihualquixtito
yn tlatzintla(n) catca. Auh yn oquimittaque quito in Mali(n) yhua(n) Marques tle yca
amomauhtia Ancholohua Otlana(n)quilli in Ecatzin oquito cuix amotemauhti yn
iqualantzin yn tlacatl teoutl Marques ca ye quimopilhuia yn tlatohuani Quauhtemoctzin
yhuà ome(n)tin tlatoque ypampa otitotlatito Ma oc gehui yn iyollotzin teotl Marques
ypàpa yn ic otitotlatito Cihuapille Malitze.
38. quito Tla xihualauh ye ca quimitalhuia teoutl Tn axcanOmpa tihui Castilla(n) tictotilizque
huey teoutl tlatohuani Ompa titetecoz anogo tihuihuilanaloz Ompa tipopolihuiz. Auh
yehuatl in Ecatzin tlacatecatl tlapanecatl popocatzin Oquilhui in Malitzin Cuix ninomauh-
tia cuix amo gan (n)o (i)hui yaopà onimiquizquia ca tei ye yc niauh Cihuapille Malitzine.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
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34. Und als die Sonne im Sinken war, da nahm man Abschied. Da speiste man noch
einmal und sie hielten den Herrscher Quauhtemoctzin zurück, um zu essen. Und nach
dem Essen brach man auf. Alle drei Herrscher übergeben sich den Händen der Sol-
daten, die herantreten. So wie Hunde an den Hals (ihrer Opfer), so heften sie sich
an die Herrscher. Dann heben sie sie hinauf auf den Pochotebaum und straften sie
mit großer Grausamkeit durch Erhängen: den Quauhtemo ctzin, den Couanacochtzin
von Eezcoco und den Elepanquetzatzin von Elacopan. Alle drei wurden dort in Uey-
mollan auf dem Pochotebaum getötet. Man stellte nicht einmal ein Verhör mit ihnen
an, sondern nur so wurden sie getötet. Marques und Malintzin ließen sie hängen dort.
Nur auf diese Weise ging der Herrscher Quauhtemo ctzin zu Grunde, so ließen sie ihn
töten.
35. Einen Lügner aber nannten sie von da an in Elatelolco den Mexicatl Cozooltic. Und
zu ihm, dem Lügner Mexicatl Cozooltic kommt, als die Herrscher getötet waren, die
Malintzin und sagt zu ihm: „MeinOnkelchenMexicatl, wir sollten dich nach Kastilien
bringen. Aber jetzt sollst du nicht mehr dahin gehen. Gehe! Kehre zurück in dein
Haus nach 7 eno chtitlan / Wenn wir zurückgekehrt sein werden, werden dich
suchen. Gib Acht, daß du nicht herkommst! Hüte dich, daß du dich in irgend einer
anderen Siedlung niederläßt! Gehe nur zu dir zurück, denn du bist schon vorgemerkt,
daß dich der Kapitän Marques aufspürt! Nur dorthin, nach Ueymollan Acallan kehrt
er zurück.
36. Die zwei anderen Herrscher aber, Ecatzin tlacatecatl Elapanecatl Popocatzin und
7emilotzin tlacatecatl Tezcacouacatl Popocatzin verbargen sich alsdann, indem sie in
das Innere des Schiffes von Kastilien hineingingen. Sie bogen eine Planke des Fuß-
bodens zur Seite, da, wo die Pferde ihren Stall haben. Dort verbargen sich alle beide,
nachdem sie (sc. die Spanier) den Herrscher Quauhtemo ctzin gehenkt hatten. Sie gingen
in den Pferdestall hinein, drücken ein Brett in diesem ein, stiegen darunter hinab
und schlossen es wieder über sich beiden zu. Als das Schiff schon 7 Tage fährt, sprechen
sie dort und unterhalten sich. Und die sie hörten, begeben sich zu Marques und Ma-
lintzin und sagen folgendes: „Wer sind die, die im Schiffsinnern sprechen?“ Darauf
sagen Marques und Malintzin zu ihnen: „Sehet nach, wer sie sind! “ Und er, der
Matrose sah nach (und sieht), daß es Menschen sind, nämlich er, der Ecatzin tlacatecatl
Elapanecatl Popocatzin und Eemillotzin tlacatecatl 7 ezcocouacatl Popocatzin.
37. Als sie zum Vorschein gekommen waren, sagte er zu Marques: „Es sind zwei, nämlich
er selbst Ecatzin, den du suchst, der die Fahne erbeutete und 7 emilotzin tlacatecatl.
Da holten sie sie hervor, die da unten waren. Als Malintzin und Marques sie erblickten,
sagen sie zu ihnen: „Warum habt ihr Furcht ? Warum flieht ihr ?“ Ecatzin antwortete
und sagte: „Wer fürchtete sich nicht vor dem Zorn des Herrn Marques? Ließ er
doch den Herrscher Quauhtemo ctzin und die beiden (anderen) Herrscher aufhängen.
Deswegen haben wir uns verborgen. Möge sich doch das Herz des edlen Herrn Marques
besänftigen! Das ist der Grund, warum wir uns verborgen haben, Herrin Ma-
lintzin /“
38. Sie sagt: „Kommt her! Der Herr sagt, daß wir jetzt dorthin nach Kastilien gehen.
Dort wirst du vielleicht in Stücke gehauen oder auf der Schleife hinausgeführt. Dort
wirst du umgebracht.“ Aber er, der Ecatzin tlacatecatl Elapanecatl Popocatzin sagte
zu Malintzin: „Warum habe ich (deswegen) Furcht? Ist es nicht gerade so, als ob
ich im Kriege getötet würde ? Nichtsdestoweniger reise ich (ruhig), o Herrin Malintzin.“
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ERNST MENGIN
jg. quito Tía xihualauh tía xiccaqui gan ihuidtzin xiquito quezquintin yn otiquimicti teteo
Soldatosme Nochpochtzine amo niquípohua cuix hamo ninotlalohua Ago niccuexcochuitec
anogo oni(c)metzpoztec Anogo onicxopoztec Anogo onicmapoztec Nogo onicquatlapd Cuix
niqualita Tila omic Auh ytlacamo omic Cuix tlapohualli aquí tlapohua ca ga(n) nitla-
huitequi Cuix nicmati ytla omic ytla camo mic.
Ms. Mex. 22bis. Seite 10.
40. Auh yn tehuatl Ternilla(tzin)mdahuac xicmocuiti quezqui huel otiquinpopolo teteo tía
ximocaquilti Malitzine Ca oconmitalhui in Ecatzin Cuix nitlapouhtica niayaoti nitla-
huitequi nitemayauhtiquiga amoga miec.
41. Auh yn axcd ca tihui tictotilizque in huey teoutl tlatohuani Castilla(n) moyetztica Ompa
anpopolihuizque anniquitihui (ti)andquilli ma yn mochihua ca tel ye ye tihui nochpochtze
Malitze —
42. Auh yniquac mochiuh tlatolli ca ye yxquich chiquagemillhui y(n) nenemi acalli Auh
nimd oquitlatocatlali yn marques oquimilhui yn axcd a(n)huehueytin antlatoque ximo-
tlalicd auh omotlalique ym omexti tlatoque / Auh nimd hualmoquetztehuac Tn temillotzin
y momati Ecatzin ago moxi(ctla)gaz. Nimd ye quilhuia En ecatzin tlatohuanie Ecatzine
cd tihui cd titlamdti Ma tihuid yn tocha y ecatzin quimolhuilia tleyntimalia temillotzine
can tiazque ca ye chiquagemilhuitl ye nenemi Acalli-
43. Auh yehuatl Temillotzin Amoquicaquiznequi yn quigalohua Macamo yauh yn ca(m)pa
yaznequi / Quihualittaque / atld ohualmomayauh Atlacxohuitectihuitz Tonatiuh
ycallaquiapa ytztihuiz quihualtzatzilia in Malitzí quilhuia cd tiauh temilotzin xihual-
mocuepa xihualmohuica amo tetlacamd Cd ca hui(t)z yequene ye pohuhtiuh.
44. Ayac quimati yntla atenquigaco Anogo Cohuatl oquitollo Anogo cuezpalli oquiqua yn
anogo Michin quiquac in temillotzin Auh yntla atenquigaco Amo negizquia amo ihitozquia
i(n) nican ymalnel (= immanel) nogo altepetl ypd Amo negizquia Can ihui ynic
mopolihuiltito ayac quimomictili.
43. Ca yehuatl yn tlatolli quimocaquilti ynic tetecozque Anogo huihuillanalozque ynic mo-
mauhtitzino temillotzin auh ca ga Cen yn ipiltzin xptiano omoquatequi Don Juan
ahuelitoc1
46. Te oned tlami ynic momiquilito tlatohuani quauhtemoctzin pochotitechpiloloque Auh
o(c)gequi Tn amo nica mocaqui tlatolli Can onca poliuhtica in tlatocayotl Tlatilulco.
47. Auh yn Ecatzin Caxitique Castilla(n) huel quimotlapalhuito T(n) huey tlatohuani
Emperador c ah amo mictilloc yn Don Martin Ecatzin tlacatecatl tlapanecatl Popocatzin
hualmocuep Macuilli xihuitl ynic nica Agico México tlatilulco Ca ompa quimomaquili
altepetl ynic tlayecoltiloz Ttocayocd tziuhcohuac altepetl —
1 Ñame ?
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
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39. Sie sagte: „Komme her! Höre! Sage nur ganz ruhig! Wieviele Soldaten des Herr-
schers hast du getötet?“ ,,0, meine Gebieterin! Ich habe sie nicht gezählt. Bin ich
nicht deswegen geflohen ? Vielleicht habe ich welche am Hinterkopf verwundet, viel-
leicht habe ich einem das Bein (mit einer Keule) in Stücke geschlagen, vielleicht einem
den Fuß, vielleicht habe ich einen an den Händen lahmgeschlagen, vielleicht habe ich
einem den Schädel zertrümmert. Habe ich es denn gesehen, ob einer starb oder ob
er nicht starb ? Wie zählen ? Wer wird sie da zählen ? Wie kann ich es wissen, ob
einer gestorben ist oder ob er nicht gestorben ist ?“
40. Und du, Eemilotzin, gestehe aufrichtig, wieviele der Herren du getötet hast! „Höre
Malintzin, es verhält sich so, wie Ecatzin es dir gesagt hat. Wie konnte ich mich (lange)
mit dem Zählen abgeben ? Ich habe gekämpft, ich habe zugeschlagen, ich habe ohne
darauf zu achten nicht wenige zu Boden geschlagen.”
41. „Und jetzt ist es an dem, daß wir den großen Herrscher besuchen werden, der in Kastilien
weilt. Dort werdet ihr zu Grunde gehen, dorthin geht ihr, um zu sterben”, antwortete
sie (sc. Malintzin). „Möge es so geschehen, meine Herrin Malintzin, daß wir dorthin
gehen I“
42. Als dieses Gespräch stattfand, war das Schiff schon 6 Tage unterwegs. Da erhebt sie
Marques zur Königswürde und sagt zu ihnen: „Ihr seid jetzt große Herrscher. Setzt
euch!“ Da setzten sich alle beiden Herrscher, Da erhebt sich plötzlich Eemilotzin und
es denkt sich Ecatzin, sicher wird er die Überlegung verlieren. Dann sagt er zu Ecatzin:
„O Herrscher Ecatzin, wohin gehen wir ? Wo befinden wir uns ? Laß uns nach Hause
gehen!“ Ecatzin erwidert ihm: „Sind wir nicht gefangen, Temillotzin? Wohin sollen
wir gehen, denn das Schiff ist schon 6 Tage unterwegs ?”
43. Aber er, Eemilotzin, will es nicht hören, daß er ihn abhält. 0, daß er nicht dahin
ginge, wo er hingehen will! Sie sahen ihn, wie er sich ins Wasser stürzte. Er schwimmt
im Wasser mit den Beinen nach Westen hin. Malintzin ruft ihm und sagt zu ihm:
„Wohin gehst du, Eemilotzin? Kehre um, komme her!“ Er gehorchte nicht. Vielmehr
geht er. Schließlich entschwindet er.
44. Niemand weiß, ob er die Küste (je) erreicht hat. Ob ihn eine Schlange verschlang,
ob ihn ein Krokodil verzehrte oder ob ihn, den E emilotzin die Fische auffraßen. Wenn
er aber die Küste erreicht hat, so darf er sich nicht sehen lassen, so darf er sich nicht
verdingen. Auch dann nicht, wenn da eine Ansiedlung ist, darf er sich nicht in ihr
sehen lassen. Nur so hat er sich zu Grunde gerichtet, niemand hat ihn getötet.
45. Nur weil er die Rede gehört hatte, daß sie in Stücke gehauen oder vielleicht auf einer
Schleife fortgeführt würden, hatte er Furcht, Eemilotzin. Er hatte nur einen Sohn,
der die christliche Taufe erhielt, Don Juan Auelitoc}
46. Hier endet (die Erzählung davon), wie sie den Herrscher Quauhtemoctzin töteten,
indem sie ihn auf einem Pochotlbaum henkten. Und es bleibt hier nur noch zu er-
zählen, daß (damit) dort in Elatelolco das Königtum unterging.
47. Ecatzin aber brachten sie nach Kastilien. Er huldigte dem großen Herrscher, dem
Kaiser. Denn er wurde nicht getötet. Don Martin Ecatzin tlacatecatl Elapanecatl
Popocatzin kehrte zurück. Nach fünf Jahren kam er hier nach Mexico Elatelolco.
Dort bekam er zu seinem Lebensunterhalt die Ansiedlung mit Namen Eziuhcouac.
90
ERNST MENGIN
2. Ab-
2. Die Königsliste
Ms. Mex. 22. Seiten 4 und 5.1
zj.8. [ln tenoch] tintla(n) ynic [mollali tlatohuani E (i)uh ge xihuitl tintolo
yn tlatilulco, conpehualti tinto ) cayotl tenochtintld ynt [oca Tlacoten y-
teicauh in quaquapitzahuac ga no om,pa quitlani Tn azcapotzalco gan
iteycauh pitzahuac ynic mollatocatlali] XI cali xivitl[amo] ve[caJvac ga
matlacpovalilviti yn o(n)ca [n catca.
/f.g. Tn omic hualmotlali gan iteycauh ytoca Teuhtlehuatzin amo huecahuac
amo ytech moma yn teno] chea ga ya yn azcapogalco yn tlatocatque neva
ytiach [cauh gä ge xihuitl.
30. yn oya onxihuitl yn ayac, teyaeä, ga cactima(n)ca.
31. Niman Tc hualmotlali in tlatocatiz] Acamapich yn ipa 1 tecpatl xitl ymotlatocatlali e
iuh VI xivitl tl [atocati Tn momoztique Mexica y(n) tlatocat Acamapich XXI xihuitl.
52, yn oyuh omic hualmotlali yn itocaJ — yn itepeval mizquicatl xochmilcatl quauhnavacail
evitlavacati2 — Vitzilivitl yn ipan Vili tecpatl xivitl ypan mollali
53. e iuh chiquage xivitl tlatocanti [yn pehualoque Tepanohuaya tlacatl yn ipa ya(que)
altepetl Tpan ge lochili xihuitl nahui(n)tin yn tlatoque e iuh]ge xivitl yn tepevaloc yn
inxiuh molpilli mexinca ga no yn gexiuhyoc yn omocaltique [Tn tlatocat, Vitzilihuitl
XXII xihuitl.
34. Tniquac omic niman hualmotlali ytoca] — yn itepeval toltintla quauhtitla otompan. . . .
[tollan] tzinco acolman. . . chimalpopoca y(n) mollali ypan III calli xivitl.
55. e iuh oxivitl tlatocanti yn chalca yaoyotl moma(n) [yhquac quimixquetz yn tlaquilque
Tnic yxquetzaloque E iuh nahui xihuitl tlatocati
36. Arno qualli yni[c] mieque] yn teconpa yn azcapogalco maxtlanto no yquac mie yn teuhtle-
vatzin yvan iquac mie [yn tlatilulco Tlacalteotzin yn tlatilulco, teuhtli tlagolli yc mieque
yn tlatocat, XI xihuitl yn tepeuh] yn temictico maevilti yn onca nenca covacalco yn
tlacanteotl yn [ocommat inic] quimictizq niman [omotlalo cholohuaya(n) gan oncan
(n)eca? contetepachoque
Ms. Mex. 22bis. Seite 12.
Cohuacalco omotlalo cholohuaya(n) can onca(n) contetepechoque3 yn tecaman Atzonpan
conxaxamani] que.
57, yn oyuh omic valmotlali yzcovantzi y motecvictlali ypan I tecpatl xivitl e iuh ge xivitl
tlatocanti y ye mononoga y [Mexica tlatoque yn tlatilulco yn tlacatecatl yn tlacochcalcati
Mixcohuatzin ca oncan ne(n)tlamati]ynic omictiloque yn intlatocava yn gan teuthica
tlagoltica.
38. e in qua4 oli yn tepaneca yaoyotl [ ye yhquac mie Maxtlatò huel yehuatl yn tecopa mochiuh
yn (Quauhtla)tohuatzin Tlatilulco] yn nizeovantzi yn tlatocant matlactlomey xivitl.
1 Da hier ein Blatt im Original fehlt, mußten die verloren
gegangenen Worte aus der Kopie 22bis ergänzt werden.
Die aus der Kopie ergänzten Worte sind in [] Klammern
beigefügt.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
91
schnitt.
von Tenochtitlan.
48. In 1enochtitlan dann setzt sich als Herrscher hin nach dem einen erwähnten Jahr in
Tlatelolco und eröffnete die Reihe der Könige von Tenochtitlan einer mit Namen
Tlacoten, der jüngere Bruder des Quaquauhpitzauac. Nur dort in Azcapotzalco übt er
die Herrschaft aus der jüngere Bruder des Quaquauhpitzauac. Als er sich im Jahre
11 Haus als Herrscher hingesetzt hatte, blieb er nicht lange. Nur 200 Tage war er dort.
49. Als er starb, setzte sich nur sein jüngerer Bruder T euhtleuatzin als Herrscher hin.
Nicht lange verweilte er da, denn er konnte sich nicht an die Tenochca gewöhnen; nur
ein Jahr waren er und sein älterer Bruder Herrscher von Aczapotzalco.
50. Als er ging, gab es zwei Jahre keinen Herrscher und der Thron stand verwaist.
51. Dann setzte sich hin und wird Herrscher Acamapich. Im Jahre 1 Feuerstein setzte
er sich als Herrscher hin. Nach n Jahren seiner Regierung errichteten die Mexikaner
einen Steinsitz für das Götterbild. Acamapich regierte 21 Jahre.
52. Als er starb setzte sich hin einer mit Namen — seine Eroberungen waren der Mizqui-
catl, der Xochimilcatl, der Quauhnauacatl und der Cuitlauacatl— Uitziliuitl. Im Jahre
8 Feuerstein setzte er sich hin.
53. Nach 6 Jahren seiner Regierung wurden die Tepanouaya besiegt. Es zogen gegen die
Stadt (zu Felde) in diesem Jahre 1 Kaninchen vier Herrscher. Ein Jahr nach der
Belagerung vollzogen die Mexikaner ihre Jahresbindung. Noch ehe dieses eine Jahr
zu Ende war, baute man Häuser. Uitziliuitl regierte 22 Jahre.
•54. Als er starb setzte sich hin — seine Eroberungen waren Toltitlan, Quauhtitlan, Otompan
, , .Tollantzinco, Acolman. . . — Chimalpopoca. Er setzt sich als Herrscher hin im
Jahre 3 Haus.
55. Nach 2 Jahren seiner Regierung gab es Krieg mit den Chalca. Er nahm sie in Dienst
und sie wurden als Maurer beschäftigt. Nach vier Jahren seiner Herrschaft
56. starben sie nicht gut in Tecompan von Maxtlaton aus Azcapotzalco. Damals starb auch
Teuhtleuatzin und es starb in Tlatelolco der Tlacateotzin von Tlatelolco. Auf schimpfliche
Weise starben sie. Bis zu seinem Sturze hatte er 11 Jahre regiert, (sc. der Tlacalteotzin).
Es waren 5, die ihn töteten. Sie wohnten dort in Couacalco. Da Tlacateotl voraussah,
daß sie ihn umbringen wollten, flüchtete er nach Cholouaya. Nur als er sich da auf-
hielt, steinigten sie ihn. Von Couacalco flüchtete er nach Cholouaya. Nur da steinigten
sie ihn.3 In Tecaman Atzonpan zertrümmerten sie ihm den Schädel.
57. Als (sc. Chimalpopoca) er gestorben war, setzte sich 2 tzcouatzin hin. Er setzt sich als
Herrscher hin im Jahre 1 Feuerstein, Nach 1 Jahr seiner Regierung beratschlagten
sich die Herrscher der Mexikaner, Tlacatecatl, Tlacochcalcatl und Mixcouatzin in Tla-
telolco, denn sie sind ungehalten darüber, daß ihre Herrscher auf so schimpfliche Weise
getötet wurden.
58. Darauf begannen die Tepaneca Krieg und es starb Maxtlaton. Es kam an in Tecompan
er, der Quauhtlatouatzin von Tlatelolco. Itzcouatzin regierte 13 Jahre.
2 yn itefeval bis cvitlavacatl findet sich nur im Original, 3 steht zweimal im Text des Originals,
nicht in der Kopie 22^s. entspricht „ye yhquacii (vde Kopie).
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ERNST MENGIN
59. ye miqv valmoüali Vevemontecvicgvmatzi y motlatocantlali yn ipan Xlll tecpatl xivitl
evatl vel qquetz yn [tenochtitla Vitzilopochtli, E iuh caxtolli xihui(tl) tlatocati yn mo-
cetochuique1 Mexico.] quavtica anotiaq.2
60. yn ipo gentochtli xivitl (¡a no yn gexiuhyoc y molpili ynxiuh mex[ica E iuh XXV xijvitl
Üantoncanti(sie!) yn ecauh tlantilolco yn teocali y mocempova tlatocat (sie!) yn veve-
monteevie [gomatzin XV11 xihuitl.
61. yn omic niman hualmotlali] Tn axayacantzi y motlatocantlali yn ipa 11 tecpatl xivitl
e yuh V xivitl tlantocanti yn om.ix[namicque tlatilulco Moquiuis Tpa(n) Vil calli
xihuitl yzqui canin yteJpeval xiquipilco tolocan tzinacantepeq tlacontepeque calimaya
teótenaco tendtzinco xochiv.....[quauhximalpd, xalathlauhco, quapajnovaya teovyacac
tepeyacac tecalco cvezcomatl yacac matlatlan oztonticpac [Tlahuililpa(n) Poscauhtlan
Tototld Cuextla Cuegaloztoc Mixtld tetzapotitla yhua(n)] cvyovancan tochpan cuexte-
cantepeq ocgentepetl yn tlatocat yn [axayacatzin Xlll xihuitl.
62. oncan mic hualmotlali] TIgvntzincantzin y motlantoncantlali yn ipan orne cali xivitl e
iuh exivitl tlantocant yn cvnch [iuh Temalacatl Tigogicatzin yn itepehual tequauhcozcac,
Ocgetepec Toxico, Ecatepec] tzilan mantlantzinco magavancan ecantlapechco matlapachco
Ms. Mex. 22bis. Seite 12Ms.
octzetepetl tía [tlauhqui yexie, can onca(n) tilmätlä, Ycxochitla(n) Atezcahuacä yn
tlatocat Tigogicatzin] V xivitl
6j. yn omic o xivitl ayac tlatocat( sie!) valmoüali Avintzontzin yn ipan 1 ce ancatV xivitl y
motlali e iuh XI xivitl tlantoncanti yn quiquetz [Acuecuexatl.
64. Yzca yn itepehual Tlatlauhqui ycxi, oncan tziuhcohuac, Molanco, tzapotitla(n) XalJ-
tepequec pantlanala xochtla amaxtla yauhtepeque cvzcaquauhtenaco, xollochiuhcan
[Tzohuipillan, Coyocac, Acalecan, Xihuistlahuaca(n), Acatepec, Acapolco, Tcxolotla.J
pequec nexpan yztac tlalocan teocvitlantlan tzotzolla xiconchimalco quauhxayancanti
[huayd, Coyollo apa, Nacazquauhtla, Cuegalcuitlapilco, Tzhuatla(n), Cihuatld, hueh-
uetla(n) Vitztla, Xolot]la matzantlan vipillan tequantepeqc ayontochcuintlatlan [Izatochco,
Cuitlatld, quahuiztla(n), Vizquitld, Tlacotepec, Quauhpilloyd. Tn tlatocat Auitzotzin
XV111 xihuitl.
65. yn omic hualmotlali] MOteccvma X tochtli xivitl yn ipan motlali e iuh VI xivitl tlatocanti
yn molpili ynxiuh [Mexico
66. ye iuh XVI xihuitl tlatocati T(n) machiztico Castilteca Ateneo.
67. Yzca Yn itepehual tlatlauhq] uitepeqc gotzollan, atl...A tecuictepeqc nocheztlan toton-
tepeque tlaniztla golla yepant [epec tlalotepec, Chichihu[i]ltatacalan, Texotla(n) Piaztlä,
Molldco, Vitztlan, tzihuactla(n)J tlachinolla amaxtlan xicontepeqc toztepeqc mictlan
vexolontla tliltepeq nopalla tezon [quauhtla(n) Teconpatla(n) Tecpdtla yacac Caltepec,
Tepepd, Teoatl ypdtzinco, Tlacaxolotlan, Achtlachinolld, Magatla, Cihuatld, Tlachqjui-
yauheo mallin alte pequec quichtepeqc centzontepeqc qgiltepeq cuezcoma yxtlavacan tzit
[laltepec, Salpd, Xaltiaquizco, Yolloxonecuillan, yzgeuitepec, Yzcuitepec, yztitld.
68. yn tlatocat MoteJccvma XV111 xivitl e yquac yn agico Espanioles yn ipa ce acatl xivitl
ye oncab [tldtica yn tlatocayotl i Nican Mexico tenochtitla(n) Yhud Nohuid España ).
1 lies: mocetechuique. 3 Die Kopie hat ce acatl.
2 Siehe Anmerkung zu § 7. 4 unleserlich.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
93
59. Als er gestorben war, setzte sich hin U euemotecuhgomatzin. Er setzte sich als Herrscher
hin im Jahre 13 Feuerstein. Er war es, der in Tenochtitlan (das Götterbild des)
Uitzilopochtli aufrichtete. Nach 15 Jahren seiner Regierung waren alle Mexikaner
vereint beieinander und lebten verachtet als Sklaven.2
60. Im Jahre 1 Kaninchen, als 1 Jahr um war, vollzogen die Mexikaner ihre Jahresbindung.
Nach 25 Jahren seiner Regierung wurde der Tempel in Tlatelolco vollendet und zu-
sammengerechnet herrschte U euemotecuhgomatzin 27 Jahre.
61. Als er starb setzt sich hin Axayacatzin. Er setzt sich als Herrscher hin im Jahre
2 Feuerstein. Nach 5 Jahren seiner Regierung gab es Streit mit Moquiuix von Tlate-
lolco im Jahre 7 Haus. So viele sind seine Eroberungen: Xiquipilco, Tolocan, Tzinaca-
tepec, Tlacotepec, Calimaya, Teotenaco, Tenantzinco, Xochiu... Quauhximalpa, Xala-
tlauhco, Quapanouaya, Teouyacac, Tepeyacac, Tecalco, Cuezcomatl Tacac, Matlatlan,
Oztoticpac, Tlauililpan, Pozcauhtlan, Tototlan, Cuextla, Cuegaloztoc, Mixtlan, Tetza-
potitlan\mdCoyouacan,Tochpan, Cuextecatepec,Ocgentepetl. regierte 13 Jahre.
62. Als er gestorben war, setzte sich hin Tigogicatzin. Er setzte sich im Jahre 2 Haus
als Herrscher hin. Nach 3 Jahren seiner Herrschaft machten sie Tigogicatzin auf dem
runden (Opfer)stein fest. Seine Eroberung waren: Tequauhcozcac, Ocgetepec, Toxico,
Ecatepec, Tzilan, Matlatzinco, Magauacan, Ecatlapechco, Matlapachco, Ocgentepetl,
Tlatlauhquiycxic ebenso Tilmatlan, Icxochitlan und Atezcauacan. Tigogicatzin regierte
5 Jahre.
63. Als er starb, stand der Thron zwei Jahre verwaist, (dann) setzt sich hin Auitzotzin.
Im Jahre 1 Rohr setzt er sich (als Herrscher) hin. Nach n Jahren seiner Regierung
brachte er den (angreifenden) Acuecuexatl zum Stehen.
64. Soviele sind seine Eroberungen: Tlatlauhqui ycxi dort in Tziuhcouac, Molanco, Tzapo-
titlan, Xaltepec, Patlanalan, Xochtla, Amaxtla, 2 auhtepec, Cozcaquauhtenanco, Xollo-
chiuhcan, Tzouipillican, Coyocac, Acalecan, Xiuiztlauacan, Acatepec, Acapolco, Icxolo-
tlan, . . . Nexpan, Iztac tlalocan, Teocuitlatlan, Tzotzollan, Xiconchimalco,
Quauhxayacatuayan, Coyolloapan, Nacazquauhtla, Cuezalcuitlapilco, Izhuatla, Ciuatlan,
Ueuetlan, Uitztla, Xolotla,Magatlan, Uipillan, Tecuantepec, Ayotochcuitlatlan, Izatochco,
Cuitlatlan, Quauiztla, Vizquitlan, Tlacotepec, Quauhpiloyan. Auitzotzin regierte 18
Jahre.
65. Als er starb, setzte sich hmMoteuhgoma. Im Jahre 10 Kaninchen setzt er sich alsHerr-
scher hin. Nach 6 Jahren seiner Regierung vollzogen die Mexikaner ihre Jahresbindung.
66. Nach 16 Jahren seiner Regierung kamen sie und meldeten, daß die Leute aus Ka-
stilien an der Küste sind.
67. Soviele sind seine Eroberungen: Tlatlauhquitepec, Cotzollan, Atl..., Tecuictepec,
Nocheztlan, Tototepec, Tlaniztla, Colla, Icpatepec, Tlalotepec, Chichiueltatacalan,
Texotla, Piaztlan, Mollanco, Uitztlan, Tziuactlan, Tlachinollan, Amaxtlan, Xicotepec,
Toztepec, Mictlan, Huexolotlan, Tliltepec, Nopallan, Tegon quauhtla, Teconpatlan,
Tecpantla yacac, Caltepec, Tepepan, Teoatl ipantzinco, Tlacaxolotlan, Achtlachinollan,
Magatlan, Ciuatlan, Tlachquiauhco, Malinaltepec, Quichtepec, Centzontepec, Quigiltepec,
Cuezcoma, Ixtlauacan, Citlaltepec, Xalpan, Xaltianquizco, Tolloxonecuillan, Izgeuitepec,
Izcuintepec, Iztitlan.
68. Moteuhgoma regierte 18 Jahre, als die Spanier ankamen im Jahre 1 Rohr, Sie richteten
hier in Mexico-Tenochtitlan ihre Herrschaft auf und so entsteht allenthalben Spanien.
5 Mit „oncan“ endet die verloren gegangene Seite des Originals.
12
94
ERNST MENGIN
IL
I. Ab-
Ms. Mex. 22. Seite 6.1
Die Genealogie der Könige von
69. [Nican] vmpeva yn imecayo [tlatoque Azcapo] tzalco. Tnic ematico y chichim f eca yn ipà]
axiuaco yn tziuac tlatonac2 y cuitlachtepec tlatoani. nima ye tenayoca tequanitziz gauatla
yxcogauhcalzi quauaca tlallollin tecuhtli nima ye xaltocan vpantzi nima ye gitlaltepec
tlauizcalpotonqui nima ye tecpayoca vauhquil nima ye tlotli tecuhtli4 nima ye coati ycha
tzontecomatl acolva y ygivauh tzonpachtli yn ipiltzi tlacoxi yontetoca5 tzontecomatl yehuan-
tinti y chichimeca achto tlaleque:
70. yn iquac axiuaco valteyaca achto ualla Matlacoatl amo mitica amo chimaltica namicoc
ye nani xiuitl y gan oc yuh catca6.
71. azcapotzaltonco vnpa valla yoa7 matlacvatl ynic quitlatlauhtico ynic quitlanilico yni
ychpoch chichimecatl tziuac tlatonac y ciuatl ytoca Azcueytft ye mopilhuatia quichiuhq
Chicóquiauhtzi.
72. gan iyo yn oomic(sic !) matlaccouatl valmotlali yn ipiltzi chicóquiauhtzi nima yc quiual-
ciuatlania xaltoca yychpoch chichimecatl vpantzi y ciuatl ytoca xicomoyaual ye mopil-
huatia ye quichiva tezeapoetzin acolnauacatzi gan omestiQ ypilhua
7J. yn omic Chicóquauhci nima ye valmotlalia tezeapoetzi.
74. Tn omic valmotlali acolnauacazi (sic!) cociuatlanico tenayoca yychpoch tequanizi y
ciuatl ytoca Cuetlaxogi ye mopilhuatia ye quichioa y Viziliuitl tepàquizqui yc ome epcouazi
nima ye civatl moxogi tlagogonizcatl nima ye chalchiuhnenezi nima ye tianquiznenezi
xocoiotl tegogomoctli yacateteltetl nipeuhqui ic chiquacemi yn ipilhua acolnauacatz y
uitziliuigi tepanquizqui y epcouagi yoà yn inta Acolnauacagi ymeyxti mique tetecoqz
vztopolco yn cvyoacaXQ yntechpa Mexica ynic quintlagotlatiuh ypàpà quallanqz tepaneca.
75. Auh yn tlatzotzonizcatzi moxozi yni ychpoch acolnauacazi quiuallitla11 cuati ycha (sic!)
tlatvani acolmiztli viziliuitl ye mopilhuatia ye tlacati yxcuecuetzi12 yc ome acxocueytlxz.
76. yn oomic acolnauacazi ye omotlalia tegogomoezi yeua(t)l ciuatlani gauatlà yychpoch
yxcogauhcazi yztac Xóchitl y mopilhuatia yac apa epevazi quaquapitzavac yc ome Acolna-
vacazi tetoca. yc. 3. teyolcocouazi yc. 4. maxtlato yc. 5. quaquauhzi yc. 6. moquiuizi.
1 Hier beginnt die Seite 6 des Originalmanuskriptes 22.
Es ist nicht über die beiden Seiten durchgehend ge-
schrieben. Die benutzte Tinte ist blau und deutlich
lesbar. Die in § 69 in eckigen Klammern stehenden
Worte sind aus der Kopie 22bIs Seite 13 ergänzt.
2 Die Kopie hat Tlatohuani.
3 Kopie: Tequatzin.
4 Kopie, teotitla teuhtli.
5 Kopie: ynotetoca.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
95
Teil.
schnitt.
Azcapotzalco.
69. Hier beginnt die Genealogie der Könige von Azcapotzalco. Als sie ankamen waren
(bereits vor ihnen) angelangt die Chichimcca nämlich, Aziuac tlatonac Herrscher in
Cuitlachtepec. Ferner in Aenayocan der A equanitzin, in CauaÜan der 7~xcogauhcatzin,
in Quauacan der Tlalolin tecuhtli. Ferner in Xaltocan der Upantzin, in Citlaltepec der
Alauizcalpotonqui. Dann in Aecpayocan der Uauhquil und in ... der Alotli tecuhtli. ■
Dann in Couatl ychan der Sohn des Azontecomatl von Acolhuacan und seiner Gemahlin
Azonpachtli, der Alacoxi, mit dem Beinamen Azontecomatl. Diese Chichimeca ließen
sich zuerst nieder.
70. Als man ankam war Anführer und kam zuerst her Matlaccouatl. Ohne Pfeile und ohne
Schilde begegnete man sich. Vier Jahre waren sie nur noch so da.
71. Nach Azcapotzaltonco dort ging Matlaccouatl und bat (um die Hand) der Tochter des
Chichimeken Aziuac Alatonac, ein Mädchen mit Namen Azcueitl. Und sie zeugten
Chiconquiauthzin.
72. Als Matlaccouatl gestorben war, setzte sich sein Sohn Chiconquiauhtzin (als Herrscher)
hin. Dann freite er in Xaltocan die Tochter des Chichimeken Upantzin, ein Mädchen mit
Namen Xicomoyaual. Erzeugte nur die beiden Kinder Aezcapoctzin und. Acolnauacatzin.
73. Als Chiconqu\}\auhtzin starb, da setzte sich (als Herrscher) hin Aezcapoctzin.
74. Als er starb, setzte sich Acolnauacatzin (als Herrscher) hin. Er freite in Aenayocan
die Tochter des Aequanitzin, ein Mädchen mit Namen Cuetlaxotzin. Er zeugte (als
ersten) Uitziliuitl Aepanquizqui, als zweiten Epcouatzin, dann ein Mädchen Moxotzin
tlagogonizcatl, ferner Chalchiuhnenetzin, dann Aianquiznenetzin (und schließlich) als
jüngsten Aegogomoctli Tacateteltetlnipeuhqui; diese sechs sind die Kinder des Acolnaua-
catzin. Uitziliuitzin Aepanquizqui und Epcouatzin und ihr Vater Acolnauacatzin
starben alle drei. Sie wurden in Stücke gehauen (geopfert) in Oztopolco Coyoacan. Da
sie sie liebten, waren deswegen die Aepaneca auf die Mexikaner zornig.
75. Und die Alagogonizcatzin Moxotzin, die Tochter des Acolnauacatzin freit der Herrscher
Acolmiztli Uitziliuitl von Couatl ichan. Und er zeugte und es wird geboren (zuerst)
Txcuecuetzin12, und als zweites (Kind) AcxocueitlX
76. Als Acolnauacatzin starb setzte sich (als Herrscher) hin Aegogomoctzin. Er heiratete
die Tochter des Txcogauhcatzin von Cauatlan (namens) Tztac Xochitl. Er zeugte
erstens Epcouatzin Quaquauhpitzauac, zweitens Acolnauacatzin mit Namen, drittens
Aeyolcocouatzin, viertens Maxtlaton, fünftens Quaquauhtzin, sechstens Moquiuixtzin.
6 Kopie: fan oquiuh catca. Vgl. zu §§ 69 und 70 die §§ 98 ff.
7 Kopie: huala yhua.
8 Kopie: Acueyotl.
9 Kopie; omen,
10 Kopie: Cohuaca.
11 Kopie: hualcihuatlä.
12 Kopie: yxcuicuiyatzin.
13 § 242-
96 ERNST MENGIN
Jp. Nima ye yc quiuallatocatlatia y quaquapigauac epcvatzin yn tlatilulco nima yeua(t)l
ciuatlani coatí ycha yychpoch acolmiztli vigiliuitl y ciuapilli ytoca Acxocueytl. ye mopil-
Ms. Mex. 22. Seite 7.
y8. uatia (ya )capantli tlacateutzi yc. 2, yaocuistli yc. J. tegogomoctli yc. 3. xiuh coy olma quiztli
yc. 5, atotoztli yc. 6. epgoatzin yc. 7. vacalgintli yc. 8. matlaltzi.
79. Auh yn acolnauacagi tlacopan amotlali veyca mecatzintli1. Nima ye teyolcocoagi contla-
tocatlali acolma. Auh nima ye contlatocatlali mastlato coyoaca. Auh y quaquautzi
contlali tepechpd Moquiuiz omotlali quauhnauac yzquintinin yn ipilhua tegogomoczi y
quimoyauh Nouian altepetl ipa.
80. Auh yn oumomiquili tlatilulco tlatoani quaquauhgi Nima ye ualmotlalia yn ipilgi tlaca-
teuzi ye cogiuatlania y coatlycha y copa ciuatlanoc Te onanato ciuapilli ytoca chalchiuh-
toxochitzi yychpoch Xanquinzi Ye yxuiuh acolmiztli.
81. Nima ye mopilhuatia ye tlacati acolmizi ganiyo oquichtli nima ye pilli ciuazi chicomo-
yollozi2 quetzalxillozi, uacalgintli ontetoca tlacuchcuezi, Coatonalgi, Mogelciuazi, Xocozi
yc chicuey yn ipilhua tlacateuzi.
82. Auh yn tlacateuzi yteyccauh yaocuistli ye omotlatocatlali mesicatzinco ynic eyxtineua
ye omotlatocatlali a quauhtitla ytoca tegocomoczi.
83. Auh yn iueltiuh xiuhcoyolmaquiztli vallitlanoc quechollac valciuatla cuetzpaltzi quauhtepec
quinal ciuatlani yn ipilzi matlacalli.
84. Auh yn atotoztli totomihuaca vallitlanoc yoquichui mochiuh tochintecuhtli.
83. Auh y vacaltzintli valitlanoc tenochtitla yoquichui mochiuh yzcouazi tenochtitld tlatoani.
86. Te mopilhuatia ye quichiva tigavatzin toltitld tlatoani mochiuh yc omentlacatqz tegogomoezi.
Auh ynic chicóme matlalzi yc o(m)pa valciuatlanoc totomiuacan yoquichui mochiuh
yztacoyotl.
8y. Auh yn tlacateuzi ypilzi Acolmizi tlacatecatl mochiuh ye ociuatlani quauaca yychpoch
ogellotecuhtli y ciuatl ytoca mizquixaualzi ye mopilhuatia ye qchiua quauhtlato.
88. Auh yn acolmizi yueltiuh achto vallitlanoc y quauhnauac pilligiuazi [Chicomoyollozi]
valciuatla tlaltecazi.3
8g. yc orne vnpa ya quauhnavac [Quetzalxillotzin] chicomollozi4 yoquichui mochiuh teytzla-
coazi5 ynic ey ytoca quetzalxillozintlT vacalalgintli quiuallitla toltitla tizauazi. ynic naui
tlacuchcuezi ye quiuallitlani ge ollintecuhtli oztoticpac ynic macuilli coatonalzi ye quiualli-
tlani xiuh y aote cuhtli tianquizteco Mogelciuazi vallitlanoc vaxtepec yoquichui mochiuh
tepaquizcagi y xocogi vallitlanoc chalcopochtla yoquichhui mochiuh acacitli.
1 Olmos S. 212: mecayutl= Arbol, o padre primero,
o principio de generación, señor o gouernador. Da
,,ueyea mecaizintli“ auf Te(0(omoctzin geht, so würde
man zu deutsch besser sagen: „der große Stamm-
vater“.
2 Kopie: chicomolotzin.
3 Ein Vergleich des § 81 mit den §§ 88, 89 zeigt, daß dem
Verfasser die Namen der Töchter des Tlacateotzin
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
97
77. Dann wurde Quaquauhpitzauac Epcouatzin König von Elatelolco. Hierauf heiratet
er die Tochter des Acolmiztli Uitziliuitl von Couatl ich an, ein Edelfräulein mit Namen
Acxocueitl.
78. Er zeugt erstens Elacateutzin, zweitens Taocuixtli, drittens Eegogomoctli, viertens
Xiuhcoyolmaquiztli, fünftens Atotoztli, sechstens Epcoatzin, siebtens Uacalzintli, achtens
Matlaltzin.
79. Und Acolnauacatzin setzt sich (als Herrscher) hin in Tlacopan. Das große Geschlecht1
setzt E eyolcocouatzin zum Herrscher hin in Acolman. Und es setzt Maxtlaton zum
Herrscher hin in Coyoacan. Und den Quaquauhtzin setzt es (zum Herrscher) hin in
Eepechpan. Moquiuix setzt sich (als Herrscher) hin in Quauhnauac. Diese sind alle
die Söhne des Eegogomoctzin, die er hinstreute allenthalben in den Ansiedlungen.
80. Als dann in Elatelolco der Herrscher QuaquaQpitzauac) starb, setzte sich (als Herr-
scher) hin sein Sohn Elacateutzin. Er freite in Couatl ichan; zum zweiten Mal freite
man für ihn und man ging und holte für ihn ein Edelfräulein mit Namen Chalchiuh
toxochitzin, die Tochter des Xaquitzin, die Enkelin des Acolmiztli.
81. Dann zeugte er und es wurde geboren nur ein männlicher Nachkomme, der Acolmiztli
und die Töchter Chicomoyollotzin2, Quetzalxillotzin, Uacaltzintli mit dem Zunamen
Elacochcuetzin, Coatonaltzin, Mogelciuatzin und Xocotzin. Das sind die 8 Kinder des
Elacateutzin.
82. Und der jüngere Bruder des Elacateutzin, der 2 aocuixtli setzte sich als Herrscher hin
in Mexicatzinco. Und sein drittjüngster Bruder mit Namen Eegogomoctzin setzte sich
als Herrscher hin in Quauhtitlan.
83. Seine älteste Schwester Xiuhcoyolmaquiztli wurde in Quechollac gefreit. Es erbat sie
zur Frau Cuezpaltzin von Quauhtepec. Er freite sie für seinen Sohn Matlacaltzin.
84. Und Atotoztli wurde in Eotomiuacan gefreit. Es machte sie zu seiner Ehefrau Eochinte-
cuhtli.
85. Und Uacaltzintli wurde in Eenochtitlan gefreit; es machte sie zu seiner Gemahlin
Tzcouatzin der Herrscher von Eenochtitlan.
86. Er zeugte Eigauatzin, den Herrscher von Eoltitlan. Als zweiter wurde geboren Eego-
gomoctzin. Und die siebente Matlaltzin wurde dort in Eotomiuacan gefreit. Es machte
sie zur Gemahlin Tztacoyotl. .
87. Und der Sohn des Elacateutzin der Acolmiztli tlacatecatl nahm sich zur Frau in
Quauacan die Tochter des Ogelteuhtli, ein Mädchen mit Namen Mizquixaualtzin und
zeugt Quauhtlaton.
88. Und Pilligiuatzin [Chicomoyollotzin] die ältere Schwester des Acolmiztli wurde als
erste in Quauhnauac gefreit. Es warb um sie Eialtecatzinp
89. Die zweite, Quetzalxillotzin, ging dort nach Quauhnauac; es nahm sie zur Ehefrau
E eiztlacouatE. Die dritte mit Namen Uacalaltzintli freite Eigauatzin von Eoltitlan. Die
vierte, Elacochcuetzin, freite Ce ollintecuhtli von Oztoticpac. Die fünfte, Coatonaltzin,
freite Xiuhyaotecuhtli von Eianquiztenco. (Die sechste), Mogelciuatzin, wurde in
Uaxtepec gefreit; es nahm sie zur Ehefrau Eepaquigatzin. (Die siebente), Xocotzin,
wurde in Chalcopochtlan gefreit; es nahm sie zur Ehefrau Acagitli.
durcheinandergeraten sind. Die deutsche Übersetzung
baut sich daher auf § 81 auf und stellt die rechte
Reihenfolge wieder her.
4 Dieser Name Chicomollozi gehört nach § 88, während
hierher Quetzalxillotzin gehört.
5 Kopie: yztaccoyotzin.
6 Dieser Name gehört zu „yc ome“.
9 8 ERNST MEN GIN
90. Cecni oquichiuh moquiuizi yn atepexogi vnpa valla quauhtincha ye inehua moquiuizi
itoca quaugi quiualloquichitla micacalcatl vexogi(n)co. ynic ey quauhtomicicuilca(tl)
ga vnpa ycuitlan1 ic ya quauhtincha tlatocatito.1 2 3
gi. yzqui(n)tinin yn ipilhua tlacateuzi ga mochmoyauaqz yueltiua acolmigi.
92. Auh yn acolmigi ye mopilhuatia ye quichiva quauhtlatoazi yc ome xiuhquecholpotoncazi
giuacpopocazi mometzcopinazi yveltiuh Coluazi tepexic ya.
gj. Auh yn vmic tlacateuzi nima ye omotlalia yn yxuiuh quauhtlatoazi tlatilulco ye moci-
uahuatia macuestecagi yychpoch y cona ye mopilhuatia ye quichiua onepantlazi yc ome
xiuhcanaualzi.
94. yn omic quauhtlatouazi ye omotlalia yn itlazi moquiuiciz
II.
2. Ab-
Vervollständigung der Genealogie
Ms. Mex. 22. Seite 8. Diese Seite im Original ist unbeschrieben.
Ms. Mex. 22. Seite 9.
95. Nican peoa yn quenin vallaque Mexica inic agico nica y gan oyuhque hespañoles ynic
vallaque ynic oagico nica Mexico y gan ymiuh y gan inchimal4 yn quiqua yn amomiquiz-
mauhque ca (¡an oyuhque y Mexica ga no ymiuh ga no ynchimal yn oquique5, yn oqui-
quaque amo no miquizmauhque.
96. yzcate y chaneque yn achto tlalmaceuhque yn achto onoya yn ayamo valhuiloua yn tla-
tlamachiotitinenque6 yn tepeticpac y Xocotl ycpac y tlamachiotitinenca ytoca vetzi.
97. Auh yn icpac popocatepetl ytlamacevayan catea ytoca tzontecomatl. Auh yn matlalcuaye
ycpac ytlamacevayan catea ytoca acatonal yehuantin yn achto tlalmaceuhque yn achto
onoca yn tepetl ycpac tlamaceuthinenca.
g8. yzcate y much tlaca: Couatlichä vztoyoque. Auh yzcate y much poui y yepa chaneque
ytoca tziuactlatonac yn iciuauh youalgicatl ypiltzi tochintecuhtli yc ome azcueytl ciuatl
ynihin chichimeca tlato (huani) Cuitlachtepec. j| Auh y tenayoca ytoca yxcogauhqui
tequanitzi yn ixeogauhqui ychpoch ytoca yztac xochitl. Auh yn tequanitzi ychpoch ytoca
Cuetlaxxotzi. II7
1 Zu Grunde gelegt „icuitlaf an“; Olmos S. 177/178.
2 Die Worte „cecni“ bis ,,quaugi“ sind zwischen 2 Zeilen
eingeschoben; die folgenden 12 Worte stehen als Rand-
glosse im Original.
3 Elier endet das Kapitel im Original. Die Kopie fügt noch
folgende 12 Worte hinzu: quihuahtla Miccacalcatl Vexo-
tzinco Tc iey Quauhtochtzin chiuhnahuapa(n) 7 nican
Üayhitlania Quauhtinchan tlatohuam.
4 Wörtlich „Pfeile und Schilde“ = Krieg.
5 Die Kopie hat „oyaque“.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
99
90. Außerdem zeugte Moquiuixtzin die Atepexotzin; sie kam dorthin nach Quauhtinchan
mit Moquiuixtzin. Eine mit Namen Quauhtzin nahm zum Gemahl Micacalcatl von
Uexotzinco. Der dritte war Quauhtomicicuilcail:; er kam nach ihnen zur Regierung
in Quauhtinchan.
91. Das sind die Kinder des cTlacateutzin; alle sie streuten nur die älteren Schwestern
des Acolmitzli hin.
92. Acolmitztli zeugte (als erstes Kind) Quauhtlatouatzin, als zweites Xiuhquechollpotoncatzin
Ciuacpopocatzin. Mometzcopinatzin, die ältere Schwester des Coluatzin ging nach
Tepexic.
93. Als Placateutzin starb, da setzt sich (als Herrscher) hin der Enkel des Quauhtlatouatzin
in Platelolco. Er freite und heiratete die Tochter des Macuextecatzin und zeugte und
bekam (als erstes Kind) Onepantlatzin, als zweites Xiuhcanaualtzin.
94. Als Quauhtlatouatzin starb, setzt sich (als Herrscher) hin der Onkel des Moquiuixtzin.
Teil.
schnitt.
der Könige von Azcapotzalco.
95. Hier beginnt man (mit der Erzählung) davon, auf welche Weise die Mexikaner an-
langten, als sie hier herkamen. Nur ebenso, wie die Spanier anlangten, als sie hier-
herkamen nach Mexiko, fristeten sie ihr Dasein allein durch den Krieg und Todes-
verachtung. Geradeso fristeten auch die Mexikaner ihr Dasein nur durch Krieg und
T odesverachtung.
96. Hier sind die Bewohner (genannt), die als Erste von dem Lande Besitz ergriffen und
sich zuerst niederließen, ehe überhaupt noch jemand hergekommen war, sie, die das
Land abgrenzten auf den Bergen in Xocotl icpac. Derjenige, welcher das Land ab-
grenzte hieß Uetzin.
97. Und derjenige, welcher Popocatepetl icpac erwarb, hieß Pzontecomatl. Und Matlalcueye
icpac erwarb einer mit Namen Acatonal. Sie waren die Ersten, die sich wegen des
Landes (miteinander) verglichen, zuerst auf den Bergen siedelten und das Land in
Besitz nahmen.
98. Hier sind sie so viele es waren: In Couatlicha?i Oztoyoque .... Und hier sind diejenigen,
welche in hohem Ansehen standen bei denen, die vorher die Bewohner (des Landes)
waren: Einer mit Namen Tziuac tlatonac und seine Gemahlin Toualgicatl und die
Kinder dieses Herrschers der Chichimeca in Cuitlachtepec (nämlich erstens) Tochinte-
cuhtli und zweitens Azcueitl, ein Mädchen. Und in Penayocan war einer mit Namen
Pequanitzin und die Tochter des Pequanitzin hieß Cuetlachxotzin. (Und in Cauatlan
einer mit Namen) Yxcogauhqui und die Tochter des Txcogauhqui hieß Iztac xochitl.1
6 ,,tlacoxinque itoca auh in chicuhnauhtecatl icpac ic
tlamachiotitinemi“ steht nicht im Original, (vgl.
Seiet a. a. O. S. 1038).
7 Da der Originaltext an dieser Stelle verwirrt ist, wurde
im Anschluß an die §§ 69—und 207 ff. hier folgender
13 Baessler-Arcliiv
revidierter Text zu Grunde gelegt: Auh y tenayoca
ytoca tequanitzin; auh yn tequanitzin ychpoch ytoca
Cuetlaxxotzin. Auh y (auatla ytoca yxcocauhqui; auh
yn ixcogauhqui ychpoch ytoca yztac xochitl.
I GO ERNST MENGIN
99. Auh yzcate yn chichinieca tlatoque y much poui yn yepa chaneque: j| y tenayoca tlatocati
ytoca yxcog auh quite quanitzi yn ixcogauhqui ychpoch ytoca yztac xochitl j)1 yciuauh mochiuh
tegogomoctli yn azcapotzalco yn tequanitzi ych'poch muchiuh cuetlaxotzi yciuauh muchiuh
Acolnauacatzi azcapotzalco. Auh yn cuitlachtepec tlatocati ytoca tziuac tlatonac yn iciuauh
ytoca yoalcicatl yn ipiltzi tochintecuhtli yn tochintecuhtli vexotla tlatocat.
100. Auh yn iueltiuh azcueytl yciuauh mochiuh matlacouatl azcapotzalco. Auh y xaltoca
tlatocati Vpantecuhtli yn iciuauh Azcatl xochitl yn iychpoch ytoca xicomoyaual. y xico-
moyaual azcapotzalco moquichhuatico yoquichui muchiuh Chicóquiauhtzi y nehuan ehui
ytoca teucoxotzi ye quichui muchiuh tochintecuhtli vexotla tlatouani.2
101. Auh yn tecpayoca ytoca vauhquil vmextin tlotlitecuhtli yn yehuantinhi Vauhquil tlotlite-
cuhtli ga yaque yn upa mic yn axca yuh mitoua Vauhquil ycha Ca yehuantinhi yn achto
vnoca yn upa axiuaco chichimeca tlatoque.
102. Citlaltepec ypd axiuaco tlauizcalpotonqui chichimecan.
ii.
3. Ab-
Die Geschichte von Tlatelolco
Ms. Mex. 22bis. Seite 15.3
103. Tnin amatl gan iuhui yn icuiliuhtica ye huecauh mochiuh nican Tlatilulco ypan xihuitl
de 1328 anos quin iuh hualhuiCastilteca huelompatlaana Tnic hualquixohuac deocolhuaca
Aztla ca tel Mochi nican mottac.
Ms. Mex. 22. Seite 10.
104. y colhuaca y chicomoztoc y quin euhya vncan quixouac vncä quiz [que yn to] colua ynic
momä altepetl ypa ynic valquizque yn incha yn [oztocJ y moteneva chicomoztoc.
103. ynic quizque ce acatl xiuitl y gemilhui [tonalli] yn ipd quizque ce gipactli. Auh yn oyuh-
quizque matlac xiuitl omey yn quiztinenqz y nequametitla y tziuactla yeuatl yn intilma
yeuatl yn imaxtli gotoli yn incac yn cogoyauallol yntlauitol. ytlemacuex y quiquaya cvatl
tochi, magatl, netzolli, xoconochtli, nopalli. Auh ynic valleuhque ce tecpa xiuitl yc mactlac
xiuitl onaui ynic valquizq chicomoztotlynic valleuaqzyn oagico quetzaltepecvncanexexeloloc
Der Originaltext ist hier gleichfalls verwirrt, weshalb im
Anschluß an die §§ 69—76 und 98, sowie §§ 207 ff. fol-
gender revidierter Text zu Grunde gelegt ist: y tenayoca
tlatocati ytoca tequanitzi y gauatla tlatocati ytoca yxco-
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
IOI
99. Und hier sind die Herrscher der Chichimeca, die alle angesehen waren bei den vor-
herigen Bewohnern (des Landes): In Aenayocan herrschte einer mit Namen Aequa-
nitzin, (In Cauatlan herrschte einer mit Namenl T xcogauhqui und die Tochter des
Y xcogauhqui hieß Iztac xochitl. Sie freite und heiratete Aegogcmoctli von Azcapotzalco.
Und die Tochter des Aequanitzin (mit Namen) Cuetlachxotzin freite und heiratete
Acolnauacatzin von Azcapotzalco. Und in Cuitlachtepec herrschte einer mit Namen
Aziuac tlatonac und seine Frau hieß Toualgicatl. Ihr Sohn war Aochintecuhtli. Der
A ochintecuhtli herrschte in Uexotlan.
100. Und seine (sc. des Aochintecuhtli) ältere Schwester Azcueitl freite und nahm sich zur
Frau Matlaccouatl von Azcapotzalco. Und in Xaltocan herrschte Upantecuhtli und seine
Gemahlin Azcatl xochitl. Ihre Tochter hieß Xicomoyaual. Die Xicomoyaual freite
und nahm sich zur Frau Chiconquiauhtzin von Azcapotzalco und ihre gleichaltrige
Schwester Aeuhcoxotzin nahm A ochintecuhtli der Herrscher von Uexotlan zur Frau.2
101. Und in Aecpayocan (waren zwei), (der erste) mit Namen Uauhquil und (der zweite mit
Namen) Alotlitecuhtli. Und sie (diese beiden) kamen nur an, dann starben sie (sofort)
dort (an der Stelle) die (noch) jetzt benannt wird “U auhquilichan“. Nur diese ließen
sich zuerst nieder als man dort ankam (nämlich) die Herrscher der Chichimeca.
102. In Citlaltepec kam an Alauizcalpotonqui der Chichimecatl.
Teil.
schnitt.
von den ältesten Zeiten an.
103. Dieses Buch, so wie es geschrieben ist, ist in alter Zeit entstanden, hier in Alatelolco
im Jahre 1528. Die Leute aus Castilien waren eben erst ins Land gekommen, hatten
eben erst dort ordentlich Wurzel gefaßt. Wie das A'olk hierher kam von Aeocolhuacan
und Aztlan, das wird man hier alles sehen.
104. Von Colhuacan, von Chicomoztoc brachen sie in noch nicht weit zurückliegender Zeit
auf, dort ging man fort, von dort gingen sie weg unsere Vorfahren. Es lag verlassen
da die Siedlung, als sie weggegangen waren, ihre Häuser und die Höhle, die Chico-
moztoc hieß.
105. Sie gingen im Jahre 1 Rohr fort, am Tage 1 Drachen zogen sie fort. Als sie so weg-
gegangen wTaren, schweiften sie 13 Jahre in der öden Steppe umher. Ihre Kleidung
und ihre Schambinden waren aus Palmfaser, ihre Sandalen aus geflochtenem Stroh-
polster, desgleichen ihre Bogen, ihre Jagdtaschen (aus Stroh). Sie aßen Schlangen,
Kaninchen, Hirsche, stachlige Pflanzen, wilde Feigen und Kaktusse. Als sie im Jahre
1 Feuerstein, 14 Jahre nachdem sie von Chicomoztoc aufgebrochen waren, nach Que-
tzaltepec kamen, zerstreuten sie sich dort über das Land.
çauhqui yn ixcoçauhqui ychpoch ytoca yztac xochitl...
2 vgl. § 207 ff.
§ 103 ist aus der Kopie 22bis hier eingeschaltet. Er gibt
für die Abfassung der Urkunde das Jahr 1528 an,
102
ERNST MENGIN
UNíV. BIBt
3ERLi.iy
106. valeuac valyacatia yn ázcapotzalcatl valteyaca matlacvatl. niman ye quivaltoquili xochmil-
catl, valteyaca quauhquilaztli. nima ye chalcatl valteyaca chichimeca tecuhtli quivaltoquili
Acolhua valteyaca manatí Nima ye [Ue] xotzincatl quiualtoquili valteyaca Mazamoyaual
Nima ye Colhuacatl valteyaca quauhtexpetla. Nima ye cuitlauacatl valteyaca yayauhqui
xiuitl. Nima ye mizquicatl valteyaca xalpanecatl. nima ye quauhnauacatl valteyaca
pechitl. nima ye couixcatl y ualteyaca (sic!) tlecuilina. Nima ye matlatzincatl valteyaca
tecpa. Nima ye malinalcatl valteyaca Citlalcouatl.
ioy. Auh y mexica(ti) y quauchpane1 yod2 matlactegacauaq oc onpa vncaualloque ve uecauaque.
108. Nima valleuac y mexicatl quiualyaca tlotepetl: auch y michuaque quinpachoua teoatl
y matlactegacauaqz ymachcauh Acix.
iocj. Auh y tlotepetl[i]q yefsic!) quinauatia y quauchpane y matlactegacauaque ye quimil-
huia: Ma no go tiuia(n) ca vchilloac ye ye quiuallilhuia: Ma ximouica ma ye xitlama-
chiotitiuh ma xicmatzaydtiuh y quauitl: ma teil xictlalitiuh ynic tiquitztiazque.
no. Nima ye ye valleva valteyacana tlotepetl xiuhcouatl. nima ye cuitlaciuatl epcouatl apan
tecuhtli quauhcouatl xiuhtecuhtli Acamilca(tl) Mixcouatl quauhtliquetzqui tecuhillama
Cuitlachconati gipac yuitl. ye yuh moztla vallacizque tlatzalla(n).
111. y ye quimotitia tlotepetl vitzilopochili tlacateculotl yn oquimoteutique mexico naui quauhtli
cemilhui tonalli ypa quinotza tlotepetl quilhuia tlotepetle macamo xitlaocoya macamo
xinentlamati ye nehuatl niemati nimitzuica nimitzyacana.
112. yn o(n) arique tlatzalla vnca moquequezque y mexica vned mie y tlotepetl yod yueltiuh
vitzilmoyaual.
Iij. yn oyuh omic tlotepetl Nima ye conixquetzqz y quauhtliquetzqui ye quiualyaca mexica.
114. Auh yn ovnagico vaxquauhtla nima ye ye quitlalia tlalmomoztli yn oca vnoca matlacxiuitl
omome.
115. Nima ye ualleva omotlalico Conati ycamac no vnca motlalmomoztique yexiuhtiqz. Nima
ye ualleva omotlalico matlauacalla momotlalmomoztique yexiuhtique valleuaqz omotlalico
ococacapa no motlalmomoztiqz macuilxiuhtiq valleuaqz omotlalico Couatepec no motlal-
momoztique ye yuh nauhxiuitl vnoque.
116. vnca molpilli yn ixiuh: chicuhnauhxiuhtiqz yn unca valleuaque vn motlalito chimalcoc
no motlalmomoztique ye yuh oxiuhtia.
117. vnca tecu(h)huetz y quauhtliquetzqui: macuilxiuhtiqz yn úca yn exiuitl ayac quiyaca
yn mexica valleuaqz
Ms. Mex. 22. Seite 11.
omotlalia tlemaco no vnca motlalmomoztiqz quimoned quitlalique y quiualyaq apdtecuhtli
ga valueuechiuhtia y quauhtliquetzqui
1 Kopie: quachfane.
2 für ihuan.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
IC3
106. Es brach auf und kam zuerst an der Azcapotzalcatl, den Matlacouatl anführte. Nach
ihm kam der Xochimilcatl, den Quauhquilatzli führte. Dann der Chalcatl, den Chichime-
catechutli führte. Auf ihn folgte der Acolhua, den Magatl anführte. Dann der Uexotzin-
catl, welchen Maqamoyaual führte. Darauf der Colhuacatl, den der Quauhtexpetla
herführte. Danach der Cuitlauacatl, den Tayauhqui xiuitl herführte. Dann der Miz-
quicatl, den Xalpanecatl hergeleitete. Darauf der Quauhnauacatl den Pechitl herführte.
Danach der Couixcatl, welchen Alecuilina hergeleitete. Dann der Matlatzincatl, den
Tecpa herführte. Danach der Malinalcatl, den Citlalcouatl herführte.
107. Und der Mexicatl, der Quachpane und die Matlactecacahuaque wurden noch zurück-
gelassen und blieben noch da.
108. Dann brach der Mexicatl auf, den der AlotepetlXiuhcouatl führte. Und dizMichhuaque
befehligte Aeoatl und die Matlactecacahuaque sein älterer Bruder Acix.
109. Und Alotepetl beruft dann Quachpane und die Matlacteqacahuaque ein und sagt zu
ihnen; „Laßt uns gleichfalls gehen, da alle fortgegangen sind“. Darauf erwiderten sie
ihm: „Führe du! Ordne alles an, laß Holz schneiden, die Steine hinsetzten, dann
werden wir dir zu Diensten sein“.
110. Alsbald brachen sie auf. Alotepetl führte. Dann wrerden sie auf diese Weise am nächsten
Tage in Alatzallan eintreffen (nämlich); Cuitlaciuatl, Epcouatl, Apan tecuhtli,
Quauh couatl, Xiuhtecuhtli Acamüca, Mixcouatl, Quauhtliquetzqui, Aecuhillama,
Cuitlachcouacatl, Cipac, Yuitl.
in. Da erscheint dem Alotepetl der Gott Uitzilopochtli, den die Mexikaner göttlich ver-
ehren, am Tage4Adler, ruft ihn und sagt zu ihm: „0 Alotepetl! Sei nicht traurig!
Sei nicht niedergedrückt! Ich weiß es schon. Ich werde dich führen und leiten.
112. Als die Mexikaner in Alatzallan angekommen waren, blieben sie da. Dort starb Alotepetl
und seine ältere Schwester Uitzilmoyaual.
113. Als Alotepetl gestorben war, setzten sie Quauhtliquetzqui in dieses Amt ein und er
führte (nun) die Mexikaner.
114. Als sie in Huaxquauhtla (— am Akaziengehölz) ankamen, errichteten sie eine Erd-
pyramide. Dort bleiben sie 12 Jahre.
115. Dann brachen sie auf und ließen sich in Couatl icamac (-— am Rachen der Schlange)
nieder. Dort errichteten sie einen Steinsitz für das Götterbild und blieben 3 Jahre.
Dann brachen sie auf und ließen sich in Matlauacallan (— im Lande der Jagdtasche)
nieder. Sie errichteten einen Steinsitz für das Götterbild und blieben 3 Jahre. Dann
brachen sie auf und ließen sich in Ocococapan (— am Kiefergrase) nieder. Da errichteten
sie einen Steinsitz für das Götterbild und blieben 5 Jahre. Dann brachen sie auf und
ließen sich in Couatepec (— am Schlangenberge) nieder. Da errichteten sie einen Stein-
sitz für das Götterbild und blieben 4 Jahre.
116. Da vollzogen sie ihre Jahresbindung. Nach 9 Jahren Rast brachen sie von dort auf
und ließen sich in Chimalcoc (— am Schildort) nieder. Dort errichteten sie einen Stein-
sitz für das Götterbild und blieben 2 Jahre.
117. Dortselbst legte Quauhtliquetzqui sein Führeramt nieder. 5 Jahre blieben sie da. Dann
führte 3 Jahre keiner die Mexikaner. Sie brachen auf und ließen sich in Alemaco (— am
Räucherbecken) nieder. Dort errichteten sie einen Steinsitz für das Götterbild und
setzten Apan Aecuhtli als Führer ein; Quauhtliquetzqui ließen sie nur an der Führung
teilnehmen.
104
ERNST MENGIN
Il8. vxiuhtique yn vea valleuaque vn agico y tolla: omotlalmomoztiq chicuhnauhxiuhtique
valleuaque vmotlalico atl itlallac ya y motlalmomoztique y exiuhtique valleuaque motlalico
atotoniltòco motlalmomoztiqz gexiuhtiqz valleuaque omotlalico apazco motlalmomoztiq ye
yuh oxiuhtia vncà mie apatecuhtli
119. nimà contlaliq Citlal yexiuhtiqz valleuaque omotlalico tequixquiac motlalmomoztique
vxiuhtique valleuaque vmotlalico tlillac motlalmomoztique matlacxiuhtiqz oge valleuaque
omotlalico yn gitlaltepeqz.
120. (y)e onca quinamiqui mitica chimaltica ytoca tlavizcalptonq conan quimictia yn tla-
vizcalpotonqui y quauhgoq yn itzonteco yevanti yc tlatocayontique y mexica ynic zvmpanco
yni quimaque zvpantli.1
121. nima ye vncà ypa momana vitzilayauitl napouall ilhuitl vnca mopopoloqz y mexica
cequi yaqz chalco cequi yaqz quauhtitla cequi yaqz vexotzinco cequi matlatzinco valleuaque
vmotlalico yn quauhtitla ye ucan miqui Citlal.
122. vnca vmotlali tecuhyllama valleuaque vmotlalico nextlatilco motlalmomoztique gexiuhtiqz
valleuaque motlalico tolpetlac nepopoualco motlalmomoztiqz ye exiuhtia vnca miqui
tecuhyllama.
123. nima ye yc omotlalia tlagotzi macuilxiuhtiqz valleuaqz omotlalico tecpayoca motlalmomoz-
tiqz ypa agico vauhquil tlotli tecuhtli ye macuilxiuhtia vnca molpi yxiuh chicuhnauhxi-
uhtiqz yn uca valleuaque motlalico acolnauac vnca mie y tlacotzi
Tetepetzinco
§ 124
J24. vncà omotlalia tozcuecuex valleuaqz motlalico y tetepetzinco motlalmomoztiqz
ye yuh oxiuhtia mayanqz mexica yoà xixiyotqz teucocoxqz chicue calli
xiuitl ypa.
123. Auh y tozcuecuex cono, yn ichpoch vned quitlacatetemicti yc moxtlauh y
pdtitla ypdpa cocoliztli chicuey calli xiuitl ypa nauxiuhtiqz yn oca valle-
huaqz omotlalico chapoltepec. motlalmomoztiqz occenpoual xiuitl yn úcan
tepacho tozcuecuex
126. oc ye teyacana tozcuecuex. y ualla Copil teticpac ycha(n) ye yuh yeyl-
huitl quitlacatecolouia2 quiualpoloua copil? ynic ye quita quauhtliquetzqui
quinotza tlacatecolotl quilhuia
I2J. quauhtliquetzq tle taxtoc4 ye amechotlaquixtilia Copil5 yeylhuitl yn amechualpoloua
xoconotza tenoch ye conotza tenoch.
Chapoltepetl
§ 125
Von „matlacxiuhtiqz“ in § 119 bis „zvpantli“ in § 120
im Original von anderer Hand geschrieben.
Dieses Wort tlacatecolouia kommt auch bei Sahagun
(a. a. O. S. 359) vor, wo er von den männlichen Böse-
wichtern handelt. Es heißt da von dem bösen Zauberer:
inte tetlacateculouia, „darum behext er die Leute“,
übersetzt Seler diese Stelle.
Hier befindet sich links am inneren Rande folgende
spanische Notiz: „entrando los Mexicanos en esta
laguna junto de Quadelupe les sobreveno una en-
fermedad de xiote y empeynes. el capitán sacrifico una
hija suya por ello.“
Kopie: tleyn taxtoc.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
105
118. Nachdem sie 2 Jahre dort zngebracht hatten, brachen sie auf und kamen in Aollan
an. Sie errichteten einen Steinsitz für das Götterbild und blieben 9 Jahre. Dann
brachen sie auf und ließen sich in Atlitlallac nieder. Sie errichteten einen Steinsitz
für das Götterbild und blieben 3 Jahre. Dann brachen sie auf und ließen sich in Ato-
toniltonco nieder. Sie errichteten einen Steinsitz für das Götterbild und blieben 1 Jahr.
Dann brachen sie auf und ließen sich in Apazco nieder. Sie errichteten einen Stein-
sitz für das Götterbild. Als sie 2 Jahre da zugebracht hatten, starb Apantecuhtli.
119. Da setzten sie Citlal (als Herrscher) ein. Sie blieben (noch) 3 Jahre. Dann brachen
sie auf und ließen sich in Aequixquiac nieder. Sie errichteten einen Steinsitz für das
Götterbild und blieben 2 Jahre. Dann brachen sie auf und ließen sich in Alillac nieder.
Sie errichteten einen Steinsitz für das Götterbild und blieben 11 Jahre. Dann brachen
sie auf und ließen sich in Citlaltepec nieder.
120. Da haben sie ein kriegerisches Treffen mit einem namens Alauizcalpotonqui. Sie er-
griffen und töteten ihn und hefteten seinen Kopf an ein Gerüst. Deswegen nannten
die Mexikaner (die Stelle) Azompanco (d. i. an dem Schädelgerüst), weil sie da das Holz-
gerüst aufstellten.
121. Dann gab es 80 Tage Nebelsturz. Da verloren sich die Mexikaner gegenseitig (aus den
Augen). Einige kamen in Chalco an, ein Teil in Ouauhtitlan, ein Teil in Huexotzinco,
ein Teil in Matlatzinco. Sie brachen auf und ließen sich in Quauhtitlan nieder. Da
starb Citlal.
122. Dort setzte sich (als Herrscher) hin Aecuhillama. Dann brachen sie auf und ließen
sich in Nextlatilco nieder. Sie errichteten einen Steinsitz für das Götterbild und blieben
I Jahr. Dann brachen sie auf und ließen sich in Aolpetlac Nepopoualco nieder. Sie er-
richteten einen Steinsitz für das Götterbild und bleiben 3 Jahre. Daselbst stirbt
A ecuhillama.
123. Dann setzt sich (als Herrscher) hin T'lacotzin. Sie bleiben 5 Jahre. Dann brachen sie
auf und ließen sich in A ecpayocan nieder. Sie errichteten einen Steinsitz für das Götter-
bild und kommen danach in Huauhquil Alotli Aecuhtli an. Sie blieben 5 Jahre. Da
vollzogen sie ihre Jahresbindung. Nach 9 Jahren Aufenthalt brachen sie von dort auf
und ließen sich in Acolnauac nieder. Dort starb Alacotzin.
124. Da setzte sich Aozcuecuex als Herrscher hin. Sie brachen auf und ließen sich in Ae-
tepetzinco nieder. Sie errichteten einen Steinsitz für das Götterbild und nach 2 Jahren
Aufenthalt litten die Mexikaner Hungersnot und wurden aussätzig und krätzig im
Jahre 8 Haus.
125. Da nahm Aozcuecuex seine Tochter dort und opferte sie, damit er die Schuld tilge in
Pantitlan für die Krankheit im Jahre 8 Haus. Nach 4 Jahren Aufenthalt dortselbst'
brachen sie auf und ließen sich in Chapoltepec nieder. Sie errichteten einen Steinsitz
für das Götterbild und Aozcuecuecx war dort noch 20 Jahre lang Herrscher.
126. Aozcuecuex war noch Führer, als Copil kam, der in Aeticpac wohnte. 3 Tage behexte
er2 den (Quauhtliquetzqui) und verwirrte ihn, Copil, bis Quauhtliquetzqui merkt, daß
der Dämon ihn ruft und zu ihm sagt:
127. „Quauhtliquetzqui, was machst du? Es sind schon 3 Tage, daß Copil5 euch den Ver-
stand nimmt und euch das klare Urteil raubt. Rufe Aenoch /“ Dann ruft er Aenoch.
5 Vgl. W. Krickeberg: Märchen d. Azteken, S. 107
u. Anm. 354, wo sich der Bericht über Copil’s Opferung
nach Duran wiedergegeben findet. Danach ist Copil
eine Gestalt der aztekischen Wandersage. Ed. Seler:
Das Manuscrit Mexicain Nr. 22, S. 1042 läßt diese
Sage aus der Vorstellung entspringen, „daß jedes Haus,
jeder Tempel, jede Figur, jedes Idol lebendig sein, ein
lebendiges Wesen, ein Herz oder den Ersatz eines
Herzens (einen grünen Edelstein) im Fundamente
bzw. in der Brust haben mußte. Umsomehr der Tempel,
der das Herz und das Palladium eines großen und
kriegerischen Volkes, wie es die Mexikaner waren,
bildete.“
io6
ERNST MENGIN
128. conilhuia tla xiualla aquin onechnotz quilmach y eylhuitl y ye techualpoloua Copil.
12g. Auh ynin tla ximouica vnpa xitlamatiuh y nacuezcomac miec yn mocouh xocócui yoä
motlema yntla oticä titletlaliz vncä mopä nagiquiuh. Auh y nehuatl nitlamatiuh quauhxi-
malpa ytla onica nitletlaliq tinechitatiuh. Nima ye yc yauh y quauhtliyquetzqui tlallä
omotecac.
130. nimä yc quigaco y copil. Nima
Ms. Mex. 22. Seite 12.
quicuitiuetz quilhui ac te(huatl) quinäquili quilhui ca nehuatl y ni (copil) nimoxeliuhca
ca gä no titihuäti y titopopoloqz tzópanco.
131. Auh yni camo ninoyocoya: ca nitlayual1 y Colhuacd Acxoquauhtli auh ynin aye niauh
nechca onocócauh nochpotzi. ma oc toconanati.
IJ2. niman ya yc ui canazque quauitic callaque quauhtitech moquetzticac yn ichpoch xico-
moyaual. nima yc quinotza yn ichpoch quilhuilhuia: nochpochtze xicuica y quauhtli-
quetzqui ca ga motla.
133. nima ye quilhuia quauhtliquetzq xicuica nochpochtzi. ma yca timocacayauh. nima ye
quiuicatz ymatitech cona. Nimä y(c) comicti còquechcoto y copil. cócuili yn itzcoteco
yoa yn iyollo y xiquipilco còtlalli. nimä yc oca còtocac yn inacayo copil. yn axcan
ytocayoca Acopilco yehuatl yc tlatocayoti y quauhtliquetzqui.
134. yn oquigaco tlatepa nima ye yc tletlalia nima ye yc vmpa ypä tleco tenoch quilhuia otic-
mihiouilti conilhuia ca onica y copil yzca yn itzóteco xictoca y tlatzinco
yehuatl quitocato yn itzóteco tenoch.
135- Nuh y quauhtliquetzqui quitocato yn iyollo copil acanepätla vncä ycac
nopalli ga ce yn iatlapal yuhqui tiganelliuhticac ynic vnca valmoxixa
quauhtli ynic tlatocayoti tenochtitlä.
§ T35 136. C(a) ye yuh cempoualxiuhtia y(n) mie tozcuecuex nehua mique y quauhtli-
—J—•' yn vmique nimä yc omotlali vitzilliuitl ye yuh cempoual
(n) matlactli oce omic y mexicatl y chapoltepec yn nonoualcatl
13p. tepeuhtiuitz vntetl yn quetzalcalli cotlatoctia vntetl y quauhxicalli qui-
notztiuitz yn iteuh tlacatecolotl. nouiä tepeuhtiuitz yn itena ye tiuitz
quiauitl yecatl yn otepeuh2 yn quauhnavac.
138. nima (y)e qnavatia (y)e qlvia yn tlacatecolotl timati (y)e yxqch y titoeniva (y)e niauh
nima (y)e qlvia yn timal otomotlamachti quiaz quagiz yn opa nitlamatiuh aocca nimi-
tzintaz.
13g. qlvi qmaca macamo xine(n)tlamati onca (ini)qnavati ytocayocan chiquimolan.
140. nima (y)e yc choca yn timal. Av in timal nima (y)e onca cuicapiq (y)e qva:
1 Zugrunde gelegt ist „nitlaqueual.'
2 Was jetzt folgt, ist von anderer Hand geschrieben,
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
107
128. Er sagt zu ihm: „Komme her!“ „Wer rief uns“ -—- fragt der (Tenoch) ? Drei Tage
verwirrt uns schon Copil.
129. So geht (doch) und überlistet ihn in Nacuezcomac ! Man hat dort viele Waren gekauft,
ergreife sie und zugleich deine Räucherpfanne. Wenn du sie genommen hast, sollst
du ein Feuer anzünden und dort werde ich mich mit dir vereinigen. Ich für mein Teil
gehe, um ihn in Quauhximalpan zu überlisten. Wenn ich ihn fasse, werde ich das Feuer
anzünden. Du wirst mich da finden.
Alsbald ging Quauhtliquetzqui fort und ließ sich auf dem Boden nieder.
130. Darauf geht auch Copil weg. Da packt er ihn schnell und sagt zu ihm: „Wer bist du ?“
Er antwortet: „Ich bin es, Copil, ein Verwandter von dir; denn wir sind vom gleichen
Stamm. Wir verloren uns in Tzonpanco.
131. Und dies mache ich nicht aus Gefälligkeit (freiwillig), denn ich bin (nur) der Diener
von Acxoquauhtli von Colhuacan. Und ich gehe noch nicht weg, denn ich habe meine
Tochter dabei. Holen wir sie !“
132. Alsbald gehen sie, um sie zu holen. Sie werden sie ergreifen. Sie gingen in das Gehölz.
Zwischen den Bäumen steht (da) aufrecht seine Tochter Xicomoyaual. Dann ruft er
seiner Tochter und sagt zu ihr: „Meine Tochter! Führe Quauhtliquetzqui, denn er ist
dein Onkel.“
133. Dann sagt er zu Quauhtliquetzqui'. „Führe meine Tochter! Täusche sie nicht!“ Als-
bald führt er sie her, er nimmt sie bei ihrer Hand. Dann tötet er Copil. Er schneidet
ihm den Kopf ab. Er nimmt (danach) seinen Kopf und sein Herz und legt sie in einen
Sack. Dann vergräbt er den Leib des Copil an der Stelle, die heute Acopilco genannt
wird. Er, der Quauhtliquetzqui gab ihr den Namen.
134. Angekommen in Tlatenpan zündet er das Feuer an. Dann dort über dem Feuer sagt
Tenoch zu ihm: „Du hast viel gelitten.“ (Quauhtliquetzqui) antwortet: „Ich habe den
Kopf von Copil genommen. Vergrabe ihn in Tlatzinco!u Tenoch macht sich auf, um
den Kopf zu vergraben.
135. Quauhtliquetzqui aber macht sich auf, um das Herz des Copil inmitten des Rohr-
dickichtes zu vergraben. Dort stand der Feigenkaktus aufrecht. Er hatte nur ein
Blatt, er ist wie voll von Kreide, weil der Adler dort seinen Kot läßt. Daher kommt
der Name Ienochtitlan.
136. Nachdem sie so 24 Jahre zugebracht hatten, starb Tozcuecuex und es starb der Quauthli-
quetzqui. Als sie gestorben waren, da setzt sich Uitziliuitl (als Herrscher) hin. Nach
31 Jahren starb der Mexikaner und der Nonoualcatl Timal kam in Chapoltepec an.
137. Er kommt als Eroberer und errichtet zwei Quetzalfederhäuser und 2 Adlerschalen
für seinen Gott, den er Tlacateotl nennt. Er macht allenthalben Eroberungen und
hat Regen und Wind als Schutz, als er Quauhnauac eroberte.
138. Dann ruft ihn der Tlacateotl und sagt zu ihm: „Du weißt, daß wir viele Freunde haben.
Ich gehe.“ Darauf sagt Timal zu ihm: „Du machst dir Ehre. Ich werde Weggehen,
ich werde mich fortbegeben dahin, wo ich Gefangene machen kann. Ich werde dich
nicht mehr sehen.“
139. Jener antwortet ihm: „Ja, sei (nur) ohne Sorge!“ Und er nahm von ihm Abschied
an der Stelle, die Chiquimolan heißt.
140. Aslbald vergießt Timal Tränen. Außerdem stimmt Timal dort einen Gesang an und
erhebt (seine Stimme):
weniger leserlich als das Vorhergehende und altertümlicher, mit starken Abkürzungen, wie man sieht.
14 Baeßler-Archiv,
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ERNST MENGIN
141. ,,timal timal niyol niqua vipilo neva timal niuecvpinaltz eva ventzi (y)e yoval covatla
nota yzta qqalo tonati ma niquinteotl itlani niyaz ninonovoleati, nino gagilia ma ye
ovallaque nipevaq ovay you avay yay uyzca ycuepca Aya voooviaaayyao1 nehuan timalli
anictopaloz tlallamanic quauhtiuaya ocelotiuaya oanicgetlamitiaz chichimecoyoti niaz
ninonoualcatl ninotzatzilia ma yc vallaquia nexeuaque ouayyo auayyaX
142. Nima ye yc uallachia omoquetzaco tlatepa ga valmixmauhtia y(n) uallachia poctli
euatoc.
143. nima ye yc quiquauhtentoca yn oagic chalco nima ye yc tepeva vncä tlauaua y timal,
Niman ye yc onollini acito chololla yaotica namicoc.
144. y timal yc vncä axiuac vncä cuilliloc yn imauizyo y vncä quicauh yn
ixquich co(n)tlatoctiaya vncä mie yoä yxquich vnca mie yn imageval
ynhin mochiuh chiquace tochtli xiuitl ypa y mie timal
Ms. Mex. 22. Seite 13.
143. Auh y mexica vmpoualxiuhtique omome y
chapoltepec yc omey ynic namoyeloque ge tochtli xiuitl ypa y(n) vit-
ziliuitl mexica ytlatocauh vicoc y colhuaca yoä ychpoch chimallaxotzi
xoehmileo vicoque Cimatecatl tehua tezcacouacatl tozpaxoch Matlatzinco.
146. vicoq ciuatzitziti quauhnauac vicoqz Couatzontli yoa ciuatzitzinti Chalco
vicoqz vitziltecatl yoä ciuatzitzinti A colhuaca civatzitzinti vicoqz Xaltoca
vicoqz tepantzi tezcatlamiaualtzi.
14p. valcholoqz amo mique vncä tepä agico Colhuaca Azcapotzalco eihuatzitzinti vicoqzMagauaca
vicoc yaogol valcholo vncä tepä agico Colhuaca yn oc quezquimocauh acocolco motecato
atlitic ye maeuililhuitia yn teyenoitoto y Coluaca.
148. yuia tlatlatlauhtito eztlogelopan y tlatlauhtiloto tlatoqz Acxoquauhtli cuxcuxtli chalchi-
uhtlatonac achitometl quimonilhuia yn mexica ueuetque:
14g. totecui(y)ouane tlatoquehe techualiua y tenoch. auh yn izta(c) chiauhtototl auexotl
tenantzin conitoa: Ma oc xiquintlatlauhtiti y tlatoqz Coluaca motolinia y mageualli yn oc
omocauh yn atlitic y quiyouitoc ma nogo titletlalica(n) ma titlachpanaca ma yntlä tito-
callaquica(n) y tlatoqz.
130. Ouiualilhuia y tlatoqz can ovamaquizqz quimonilhuia ca atlitic vncä yn acocolco Nima ye
yc conotza y tecpoyotl conilhuia ila xiauh xiquinpoua quezqui yn oc omaquizque qui-
mitato Az(o) oc vntecpant(l)i
131. auh yn mexica yueltiuh ge utztli vnca mixiuh yn atlitic quitocayotiqz y tlacat axolotl3
1 Elier hört die altertümliche Schrift wieder auf.
2 axolotl, eine Froschart mit beständigen Kiemen, die im.
See von Tetzcuco sehr verbreitet ist und als Nahrungs-
mittel (ajolote) dient. In Man. Mex. 22bis Seite 21 findet
sich am linken Rande die Hieroglyphe von axolotl,
auf deren Wiedergabe im Text jedoch wegen der Un-
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
109
141. ,,Timal, cTimal! Ich genese, ich esse das Aufgenommene (vom Boden). Ich Timal,
werde fortgezogen sein, dann (wenn) sich hernieder senkt die Nacht, die Schlange, dein
weißer Vater, wenn die Sonne verschlungen worden ist. Möge ich sie göttlich verehren
(durch Menschenopfer). Ich werde gehen, ich der Nonoualcatl rufe dich. Mögen sie
nur herkommen, ich bin Sieger ouay youauay yayu denn ich kehre zurück aya uooo
uiaaayyao ich, ‘Timal. Ihr werdet Genuß haben, (denn) das Land liegt offen da am
Orte des Adlers, am Orte des Affen. Ihr, das Chichimekengeschlecht, werdet Abschied
nehmen. Ich werde gehen, ich der Nonoualcatl. Mögen sie kommen! Es schließen sich
(die Reihen)! ouayyo auayya.“
142. Alsbald macht er eine Beobachtung, während er sich in Tlatenpan aufhält. Er wundert
sich über den Anblick von Rauch, der aufsteigt.
143. Er folgt ihm am Waldessaum und gelangte so nach Chalco. Er erobert es, er macht
Streifen (d. h. er opfert Gefangene), Timal. Dann setzt er sich in Bewegung und gelangte
nach Cholula, wo man ihm feindlich begegnet.
144. Hier angekommen ist es, wo Timal gefangen genommen wird, hier wird er um seine
Größe gebracht. Hier verlor er alles, was er sich geschaffen hatte. Hier ging er zu
Grunde mit seinen Vasallen. Das geschah im Jahre 6 Kaninchen. In diesem Jahre
starb Timal.
145. Die Mexikaner brachten 42 Jahre in Chapoltepec zu. Es war im 43. Jahre, daß sie
geplündert wurden, im Jahre 1 Kaninchen. In diesem wurde Uitziliuitl der Herrscher
der Mexikaner und seine Tochter Chimalaxotzin nach Colhuacan gebracht. Es wurden
nach Xochimilco geführt Cimatecatl und T ezcacouacatl, aber T ozpaxoch nachMatlatzinco.
146. Man führte die Frauen nach Quauhnauac, man führte weg Couatzontli und brauen
nach Chalco. Uitziltecatl und Frauen führte man nach Acolhuacan. Man führte Frauen
nach Xaltocan. Man führte Tepantzin und Tezcatlamiaualtzin weg.
147. Sie entflohen (aber) und starben so nicht (den Opfertod). Sie vereinten sich wieder
mit den anderen in Colhuacan. Nach Azcapotzalco wurden Frauen weggeführt. Nach
Magauacan führte man Taogol weg. Sie floh dort in Tepan und vereinte sich wieder
mit den anderen in Colhuacan. Die kleine Zahl derer, die blieben, zog sich nach Acolco
zurück inmitten des Wassers. Fünf Tage waren schon vergangen, als die Leute
demütig flehend nach Colhuacan kamen.
148. Eztlogelopan geht und bittet die Herren Acxoquauhtli, Cuxcuxtli,Chalchiuhtlatonac und
Achitometl. Sie flehen die alten Mexikaner an und sagen zu ihnen:
149. Verehrte Herren! Tenoch sendet uns, sowie Iztac chiauhtototl, Auexotl, und Tenatzin.
So sprechen sie: „Geht hin und bittet die Herren von Colhuacan. Das Volk, das in-
mitten des Wassers zurückgeblieben ist, leidet und ist in Not. Laßt uns Feuer an-
zünden, laßt uns ausfegen, laßt uns eintreten bei ihnen, den Herren (von Colhuacan)!“
150. Die Herren erwidern ihnen: „Von wo seid ihr entflohen ?“ Er antwortet ihnen: „Aus
der Mitte des Wassers, dort von Acocolco.“ Dann ruft er Tecpoyotl und sagt zu ihm;
„Gehe, zähle die, die noch entronnen sind!“ Er geht und sieht nach; es waren noch
vierzig.
151. Aber eine ältere Schwester der Mexikaner, welche schwanger war, kam inmitten der
Lagune nieder. Man nannte den, welchen sie gebar Axolotl.
deutlichkeit ihrer Zeichnung verzichtet werden mußte. Beischrift: Pilto[n]tli ytoca axoloti
Es ist die Zeichnung eines kleinen Jungen mit der in der hier folgenden Form:
i4:
I IO
ERNST MEN GIN
132. Auh y(n) vitziliuitl ayàmo miqui ynic vntlatitlanqz conilhuia qué quitoa cuix oc ypà
aciquicui yn imagevalhua ca ye uitze yn oc vmacauhqz
133. Nimà ye tzatzitiquiz y giuatzintli quito tley cà amo timiquizqz tley cà topa aciquiui ma
quimocaquitica y tlatoqz tley cà amo timiquizqz ma tigatzintli yuitzintli1 tocòtitlanica(n)
còcaqz y tlatoqz quitoqz xoconilhuiti y vitziliuitl cuix no tigatl yuitl quinequi te colli qui-
momaxaqualhuiqz ynic tlequauitl quimonaniliqz.
134. Auh ynic quintigauiqz ye y tenoxtli(sic !)2 ynic tlaauitectli tlequaztli[i]el momozco
quimomictiqz.
I55- vncà tlatoca y ciuatzintli ye achto contlecauiqz tzatzitiuh mochoquilitiuh quiualitoa Colhuaqz
ayeniauh y nemanià y can tenti y notzon y nizti moch tlacaquigaz ga no yui tzatzitiuh
vitziliuitl yn oumicque nimà ye yc quipopoua yn imezyo.
136. Niman yc oyaqz mexica vn coluaca vncà tlaliloqz tigaapa quimilhuia Oanquihyouiqz
mexica ma ximotlalican vncà tigaapa.
13J. Auh y ye matlaquilhuitia. nimà ye yc quinauatia Coluaca tlatoqz quimilhuia Mexicae
xicualhuillanaca y chinamitl vnca vallicatiaz yn aztatl vnca vallonotiaz y conati ciyotec y
chinamitl vnca anquitecaquiui ytecpà quiauac yn oyuh quiualnauatique nima ye
mochoquilia y mexica quitoa ototlauelliltic qué ticchiuazqz.
158. yc quinotz y vitzilipochtli quimilhui
Ms. Mex. 22. Seite 14.
Mac amo ximomauhtica ye riehuatl nicmati nechtemi chinamitl anquiuillanatiui name-
chititiz.
13(3. veloquichiuhque y quiuillanqz y(e) y cueptli tlatlatlalilli 0 ypan ycatia yn aztatl auh yn
conati mani tentiuh yn chinamitl.
160. Tc genca quimotetzauiqz colhuaca tlatoqz quitoqz aquiqz in y mexica yn oquiuillqanqz
chinamitl ye ne quinte quitia quimilhuia
161. Mexicae quimitalhuia y colhuaca tlatoque ma ypaltzinco canati magati yn acà tlamintli
macana gequi quitlaxiliti yn iyomio ytla yuh quichiuazqz ye tehuanti ticmati y quemin
tiquichiuazqz.
1 tigatl, yuitl, „weiße Kreide und Daunenfedern“ ist ein
terminus technicus der Kultsprache der alten Mexi-
kaner und bedeutet so viel wie Opferschmuck. Tigatl
(weiße Kreide) dient dazu, den Leib und das Gesicht
des zu Opfernden weiß anzumalen; mit yuitl (Daunen-
federn) wurden sein Kopf und seine Haare beklebt.
Der volle Ausdruck für diese Kultzeremonie heißt nach
Olmos S. 213: tigatl, yuitl, in tlilli, in tlapalli, in tecu-
gauitl in quitlalia, in quichiua. Hierbei bedeutet das
Bemalen des Gesichtes mit schwarzer Earbe (tlilli) und
die Bemalung von Kinn und Lippen mit roter Farbe
(tlapalli), sowie das Übermalen des weißen Gesichts-
und Körperanstriches mit Längsstreifen aus gelber
Ockererde (tecugauitl) die Herrichtung des Kriegs-
gefangenen zum Sacrificio gladiatorio. — Einem
weiße Kreide und Daunenfedern geben, bedeutet also
so viel, wie ihn zum Sacrificio gladiatorio bestimmen
und wird daher von Olmos a. a. 0. gleichzeitig mit
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I i i
152. Damals war Uitziliuitl noch nicht gestorben, weswegen man ihn bitten ließ. Was meint
man ? Werden seine Leute ihn einholen ? Denn die, welche zurückgeblieben waren,
treffen schon ein.
153. Alsbald geht eine Frau hinaus und ruft; „Warum wollen wir nicht sterben ? Warum
wollen sie sich mit uns vereinigen ? Mögen es die Herren (nur) hören! Warum wollen
wir nicht sterben ? Laßt uns um weiße Kreide und Daunenfedern (d. i. Opferschmuck)
bitten!1 Die Herren hören sie und sprechen: ,,Sage zu Uitziliuitl, ob er auch weiße
Kreide und Daunenfedern (d. i. Opferschmuck) haben will! Sie zerrieben Kohle mit
den Händen in Staub, wozu sie die Feuerhölzer nahmen.
154. Und danach erweisen sie Gnade dem Nopalkaktus,2 dem weißübertünchten Feuerherd
seiner Brust und töten ihn auf dem Opferstein.
155. Die Frau aber, die zuerst gesagt hatte, daß sie sie als Opfer darbringen sollten, schreit,
weint und sagt: ,,0 Colhuaque, schon gehe ich zur Rast, wo der alleinige Gott (d. i. die
Sonne) sichtbar wird (d. i. nach dem Osthimmel). Meine Haare und Nägel sollen alle
zu Menschen werden (die mich rächen)!“ Ebenso ruft Uitziliuitl. Als sie gestorben
waren, wischt man ihr Blut ab.
156. Danach gingen die Mexikaner nach Colhuacan. Sie ließen sich in Tigaapan nieder
und man sagte zu ihnen: „Seid willkommen, Mexikaner! Laßt euch (nur) in Tigaapan
nieder!“
157. (Und sie waren gerade (erst) 10 Tage da, als die Herren von Colhuacan die Mexikaner
einberiefen und zu ihnen sagten: „Schleppt ein umpfähltes Sumpfbeet herbei, wo auf-
recht zu stehen kommen soll der Reiher, wo sich hinlegen wird die Schlange, ein um-
pfähltes Sumpfgelände, das für Hasen geeignet ist, Ihr sollt es anbringen anderlüre
des Palastes. Als sie (sc. die Herren von Colhuacan) sie entlassen hatten, weinen die
Mexikaner und sprechen: „Wie unglücklich sind wir! Was sollen wir tun?“
158. Deswegen ruft ihnen Uitzilopochtli und sagt zu ihnen: „Habt keine Angst! Ich weiß
es schon. Es liegt Rohr für uns da. Ihr werdet gehen und es herschleppen, ich werde
es auch zeigen.“
159. Sie machten genau das; sie schleppten es her und über dem künstlichen Rasen stand
aufrecht der Reiher, die Schlange ist auch da und das Rohrgitter wächst (ringsum)
empor.
160. Die Herren von Colhuacan waren darüber sehr überrascht und sagten; „Was sind
das doch für (merkwürdige) Leute, diese Mexikaner, welche dieses umpfählte Sumpf-
beet hergeschleppt haben!“ Schon bürden sie ihnen eine (neue) Arbeit auf und sagen
zu ihnen:
161. „Ihr Mexikaner! So sprechen die Herren von Colhuacan: „Geht und holt für sie einen
Hirsch, der aber nirgends von einem Pfeil verwundet sein darf! Verletzt ihm nirgends
seinen Knochenbau ! Wenn sie es fertig bringen, so werden wir wissen, was wir machen
sollen.
„hazer misericordia la persona o el señor, o hazer
limosna, o consolar al afligido“, „einem eine Gnade er-
weisen, oder den Betrübten trösten“ übersetzt. Denn
die „weiße Kreide und die Daunenfedern“ sind Sinn-
bilder des Himmels und der Luft, oder der Morgen-
dämmerung, aus der die Sonne aufsteigt und wohin
die Toten gehen.
tenochtli, Nopalkaktus steht hier als metaphorische
Bezeichnung für den zu Opfernden. Denn in der Kult-
sprache der alten Mexikaner ist das Herz des zu
Opfernden die Kaktusfrucht, die Kaktusfeige (quau-
nochtli); also ist ihr Träger, der zu opfernde Kriegs-
gefangene, der Nopalkaktus (tenochtli), dessen Frucht,
das Herz (d. i. die Kaktusfeige, „quauhnochtli“) der
Sonne dargebracht wird.
1 I 2
ERNST MENGIN
162. yniquac onauatiloque cenca tlaocoxqz niman yaque quitemoto yn manatí nouiä nenqz yn
acuezcomac y chapoltepec ycauacatiui y tlapeuia.
163. ynic ypd quizato y xaltocä axiuaca y mexica tepa yoä yueltiuatzi tezcatlamiaualtzi yn
ypa quigato yn acatitla yn oca motlatiaya nimä quimonanqz a° ma quitoqz y timexica.
164. yn oyuh tlamaqz. nima ye ynic vntlayua y(n) coluaca tlatoqz quimilhuito Ma quimoca-
quiltica y tlatoqz ca ayac y mazatl quimonequiltia ca ye otitlamaqz ge oquichtli ge giuatl
yn oticaciqz1. Nima ye yc quiuica yn inmalhua ycauacatiui yn tlapeuia yqu[ac] ipd quigaco
magatl acatitla nenemi nima ye yc quitoca onpa quitztiltiui y colhuaca yc omogoquiaquito
gd quemado condque cóquimiloqz yc onca tlatocayotiqz yn axca magatla.
163. Nima y couicazqz yn imixpd tlatoqz magatl quinita yn acd quenapni Auh nima ye yc
quitlatlania y colhuaca tlatoqz quimilhuia mexica catliqz yn amomalhua
166. quin ic oca tlacaque y tepa y tezcatlamiaual quin vea y ye choca quitoua ilacago timexica
yn otechdqz yc ye conitoua totecuyouane ca timexica ca tehudti timexica y xaltoca taxiuaqz
otiualcholoque ynic gd yma quiualhuicaltique y mexica.
167. Auh y ye yuh vncan onoque tigaapa nima yc ui quitlatlauhtizque y colhuaca tlatoqz quim-
ilhuia Nopiltzintzine tarnechotoyollitlacalhuiz ca achitzi tocontlaliznequi tlalmomoztli yn
oca 0antechmotlaocolitique.
168. Amo gizque y tlatoqz ynic nima ye quiualitoua cuxcuxtli Niccauhtzine ma ga(n) qui-
tlalica(n) yc nima yc qui(n)hualylhuia [ca ye qualli ma caquitlalica ynic nima yc
quiualilhuia]2 Ca ye qualli ma xictlalica.
lóg. Auh yn oyecauh tlalmomoztli nima ye yc ui quintlatlauhtizque tlatoque quimilhuia
N opiltzintzine ca oyecauh y tomomoz ma nogo nechca tiuallagiti ago cana ypd tiquigatiui
to chi ano go conati ynic ouetziz tlequauitl.
170. quiualhuiqz y tlatoqz ca ye qualli tla xiuia
Ms. Mex. 22. Seite 15.
gd veca xiccallaquica xochmilcopa xitztiuia Auh y ye iuhqui oyaque nima ye yc vntlayua
y coluaca tlatoque quimonilhuia y xochmilca.
171. xochmilcae tie anquimati ca ye vnpa ui y mexica ma ocge anquicauhti nima ye ic hui y
mexica tlapeuitiui ycauacatiui.
172. ye vnpa ynca ualleuaque xochmilca oquitlate quili que nima ye yc micalli yc vnca much
tlamaque y mexica aca orne aca y ey caci.
173. Nima ye yc ualmotitlani y mexica quinonotzazque colhuaca tlatoque quimilhuia totecui-
ouane ca otlamaque y mexica ypd ocholoto y xochmilca yn oquicaque tlatoqz genca quimo-
tetzauiqz qtoqz aquique y mexica. yniquac momoztique om(e) aca(tl) xiuitl ypan ycuac
no molpi yn ixiuh.
1 Zugrunde gelegt ist aus der Kopie 22Ms, Seite 22: „otiquimagique“.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I 13
162. Auf diesen Auftrag hin wurden sie sehr traurig. Sie gingen, um den Hirsch zu holen,
sie gingen nach allen Richtungen, nach Acuezcomac, nach Chapoltepec und es machen
Lärm die, welche ihn aufzuscheuchen haben (d. i. die Treiber).
163. Als die Mexikaner Tepan und seine ältere Schwester T' ezcatlamiyaualtzin in Xaltocan
ankamen, berühren sie Acatitlan. Jene waren da versteckt. Da nahmen sie sie (ge-
fangen). Sie sagen (aber) nicht: „Wir sind Mexikaner.“
164. Als sie die Gefangenen gemacht hatten, dunkelte es schon und sie lassen den Herren
von Colhuacan sagen: „Mögen die Herren es wissen, daß es nicht einen solchen Hirsch
gibt, wie sie ihn wünschen, daß wir aber einen Mann und eine Frau gefangen haben!“
Darauf führen sie ihre Gefangenen her. Die Treiber machen Lärm, (denn) sie wollen
einen Hirsch überholen, der in Acatitlan unterwegs ist. Sie verfolgen ihn, sie treiben
ihn nach Colhuacan. Da bleibt er im Morast stecken, behutsam ergreifen sie ihn und
banden ihn. Deswegen wird die Stelle dort noch heute Magatlan genannt.
165. Dann führten sie den Hirsch vor das Angesicht der Herren, die ihn unversehrt sehen.
Darauf bitten sie die Herren von Colhuacan und sagen: „Mexikaner! Wo sind eure
Gefangenen ?“
166. Das hörten Tepan und Tezcatlamiyaualtzin. Daraufhin weinen sie und sprechen:
„Sicherlich sind wir Mexikaner!“ Auch sagen sie: „Ihr Herren! Wir sind Mexikaner,
wir sind wirklich Mexikaner, wir anderen! Wir wurden in Xaltocan gefangen. Wir
sind geflohen.“ Deshalb vereinigten sie (sc. die Herren von Colhuacan) sie mit den
Mexikanern.
167. Als sie in Ti^aapan waren, gehen sie hin, bitten die Herren von Colhuacan und sagen
zu ihnen: „Meine Edlen! Wir kommen, um euch eine Kleinigkeit zuzumuten. Wir
möchten einen Steinsitz für das Götterbild errichten da, wo ihr es uns erlaubt.“
168. Die Herren wollten (erst) nicht. Deswegen sagt Coxcoxtli: „Mein jüngerer Bruder!
Mögen sie doch den Steinsitz für das Götterbild errichten !“ Darauf sagen sie zu ihnen:
„Es ist schon gut. Errichtet ihn!“
169. Als der Steinsitz für das Götterbild fertig war, gehen sie und bitten die Herren und
sagen zu ihnen: „Meine Edlen! Unser Steinsitz für das Götterbild ist errichtet. Laßt
uns (ein wenig) Weggehen! Vielleicht fangen wir einen Hasen, vielleicht eine Schlange,
vielleicht ein Kaninchen, damit das neue Feuer fällt.“
170. Die Herren erwiderten: „Es ist schon gut, geht! Nur geht ein wenig weit weg, begebt
■ euch nach der Gegend von Xochimilcan /“ Dann also gingen sie und als es dann Nacht
wurde, sagten die Herren von Colhuacan zu den Xochimilca:
171. „Xochimilca ! Wißt ihr es nicht, daß die Mexikaner dorthin (zu euch) kommen ? Laßt
keinen von ihnen (bei euch) eintreten !“ Dann gehen die Mexikaner. Sie machen Lärm
und veranstalten eine Treibjagd.
172. Als sie dahin kamen, standen die Xochimilca gegen sie auf. Sie stellen den Feinden
eine Falle und sie kämpfen miteinander. Da machten alle Mexikaner Gefangene. Die
einen nahmen zwei, die anderen drei gefangen.
173. Alsbald werden Mexikaner ausgesandt, um es den Herren von Colhuacan zu berichten
und sie sagen zu ihnen: „Unsere Herren! Die Mexikaner haben Gefangene gemacht.
Sie haben die Xochimilca in die Flucht geschlagen.“ Als dies die Herren vernahmen,
waren sie sehr bestürzt und sagten: „Wer sind (eigentlich) diese Mexikaner ?“ Dann
errichteten sie einen Steinsitz für das Götterbild im Jahre 2 Rohr. In diesem vollzogen
sie danach ihre Jahresbindung.
2 Das in [] Klammern stehende ist, weil hier ohne Sinn, in der Übersetzung weggelassen.
ERNST MENGIN
I 14
174. niman ye mononotza y-coluaca tlatoque ye quitoa cuix yncha mexica yn omomoztiqz ma
qualyollotiliti yc ye quinotza amatlamatqz yzquinauatia quinquiyollotilizqz yn imomoz
mexica. ynic tlayoliatilique (yca) cuitlatl tlagolli teuhtli malacatl ychcatlE
175. yn oyaqz nima ye yc quiualquixtia yn mexica y iley oquitocaco yn itlaollouh mochiuh
acati nacazvitztli aueuetl auh y cuitlatl y tlagolli y teuhtli yn ichcatl yuitl cate ytualne-
pàtla quitocaque quitoque.
iy6. cuix tocha Auh y nica quiilaliqz y momoz tolxacalli quitlayauallochtiqz much quincou-
anotzqz y tlatoqz amo yaque.
J77. can iyo oya y cuxcuxtli quito tla niquimita quenin quichivazque mexica Auh yn oya
cuxcuxtli omanaloque y xochmilca veltlanepàtla y quitlalique nima ye yc ualtemo tetzt-
zoualli nima ye yc valtemo xiuhcouatl1 2 niman ye yc teilecauillo niman ye yc miqui xoch-
milca
iy8. qui ye y ya vnca ylhuichiuhqz ynic vallaqz acà yuhqui quichiuhqui yniquac ye micoua
nima ye quicacque y mexica yoà y cuxcuxtli3 ye nanatzca yn ilhuicatl.
J79. vnca ypà temoc y quauhtli ycpac moquetzaco xacalli yn iteocal yuhqui xacaltapafgJolli y
quitlallico ycpac y moquetzaco quauhtli yn ocvntlanqz miqui xochmilca nima yc patla
ga no vnpa ytztia yn ualtemoc.
180. y coluaca onoca mexica cempoalxiuitl vnca mociuauatiqz vnca mopiluatique ye yc opoual-
xiuitl ye tlaquallania auh ynic ye tetlatilo yn òpa giuaua vnca tlatiloc yn ópa moquichoati
vnca tlatiloc chicuhnaui tochtli xiuitl nauhxiuhtica y contiilà onoca mexica.
181. chicuey toch(ili) xiuitl ypa ynic netlatiloc ynic oxiuhtiqz chicuhnaui acati xiuitl ynic y
exiuhtiqz matlactli tecpa(tl)xiuitl ynic nauhxiuhtiqz matlactloge calli xiuitl.
182. Auh yniquac tlanotzqz matlacomome xiuitl tochtli ynic ye monauatia Coluaqz qtoqz
Coluaquehe ago cana ce nemi y mexica xiquitemoca ca ye toc alla y ualnemi Xochmilcatl
y monozqz y mexica nima ye yc quinauatia quimilhuia
Ms. Mex. 22. Seite 16.
Mexicahe tla oc amehuàtin ca ye vnca nemihi xochmilcatl yn oualnauatiloqz.
183. nima ye yc monauatia y mexica qmolhuia mexicae tle àquimati ca nel otitequitiloqz oca
yaqz ma ac a tequixti gà titeuiuitequi ytomalfhuan / youal cececni tiquinacaztlaga.
1 Die hier berichtete Einweihung der Pyramide mit Kot
und Weibergerät gehört zu den charakteristischen
Zügen der aztekischen Wandersage. Vgl. W. Kricke-
berg a. a. O. S. 99, wo uns der gleiche Vorgang be-
richtet wird.
2 Vgl. Anmerkung zu § 194. Unter xiuhcouatl, „Türkis-
schlange“, ist hier ein Trachtstück des Idols des
Uitzilopochtli zu verstehen . Wenn an unserer Stelle
hier gesagt wird, es komme der tzoualli, „der Melden-
teig“ und die xiuhcouatl, „die Türkisschlange“ herab,
so steht in diesem Falle “pars pro toto“, d. h. tzoualli
und xiuhcouatl sind nur andere Namen für ihren Träger,
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I 15
174. Danach rufen die Herren von Colhuacan sie und sagen zu ihnen: „Sind (genug) Mexi-
kaner bei euch, um den Steinsitz für das Götterbild zu errichten ? Man gehe und weihe
ihn ihnen! Infolgedessen befragen sie die Schriftkundigen und befehlen ihnen, die
Pyramide der Mexikaner zu weihen. Als sie die Weihehandlung vornehmen, geschieht
es mit Exkrementen, Kehricht, Staub, Spindeln und Baumwolle (d. h. mit verachtetem
Weibergerät).2
175. Als sie fortgegangen waren, nahmen die Mexikaner wieder das heraus, was jene (als
Opfergabe) in die Erde gesenkt hatten. Als ihr Herz wurde genommen Schilf, Ohr-
dornen, Aueuetl (eine Zypressenart), die Exkremente aber, das Kehricht, der Staub,
die Spindeln und die Baumwolle vergraben sie inmitten des Hofes und sprechen:
176. „Soll dies (wirklich) unser Haus sein?“ Sie errichteten da ihre Erdpyramide, sie
führen ringsumher Binsenhäuser auf und laden die Herren ein. Sie kamen (aber) nicht.
177. Nur Coxcoxtli allein kam. Er sagt: „Ich möchte sehen, was die Mexikaner machen.
Als Coxcoxtli gekommen war, opferte man (gerade) die Xochimilca. Sie wurden in
die Mitte gesetzt. Dann kommt hernieder die Meldenmehlteigmasse, es kommt herab
die blaue Schlange1 und darauf wurden die Xochimilca auf den Opferstein hinauf-
gebracht (auf der Höhe des Tempels) und man opfert sie.
178. Gleich danach feierten sie ihr Fest. Seit ihrer Ankunft hatten sie nirgends mehr
ähnliches getan. Während jene geopfert wurden, hörten die Mexikaner und Coxcoxtli2
den Himmel brummen (d. h. es donnern).
179. Dann stieg an dieser Stelle der Adler herab und er ließ sich auf dem Binsenhaus nieder,
welches ihr Tempel war. Es ist wie ein Binsennest, welches anzulegen ein Adler kommt.
Er stellt sich aufrecht darauf. Als sie mit dem Opfern der Xochimilca fertig war,
flog der Adler (wieder) weg; er erfrischt sich nur dort, von wo er herab gekommen war,
180. Die Mexikaner blieben 20 Jahre lang in Colhuacan. Sie verheirateten sich da und
zeugten Kinder da. Nach Beendigung der 20 Jahre wurden sie böse (aufeinander).
Deswegen wird da einer verborgen, der eine Frau geheiratet hat, da wurde (auch)
verborgen, die dort einen Mann geheiratet hat. Im Jahre 9 Kaninchen wurde so ver-
borgen gehalten. Die Mexikaner verweilten 4 Jahre in Contitlan.
181. Im Jahre 8 Kaninchen geschah es, daß man sich verbarg. Als 2 Jahre um waren, war
das Jahr 9 Rohr. Als 3 Jahre um waren, war das Jahr 10 Feuerstein. Als 4 Jahre um
waren, war das Jahr 11 Haus.
182. Es war im Jahre 12 Kaninchen, als man die Colhuaque einberief und zu ihnen sagte:
„0 Colhuaca! Sind zufällig irgendwo Mexikaner ? Sucht sie! Denn schon streicht der
Xochimilcatl um unsere Wohnungen herum.“ Die (Colhuaque) riefen den Mexikanern
und sagten im Befehlston zu ihnen: „0 Mexikaner! Seid eurer selbst noch würdig,
denn der Xochimilcatl ist (wieder) da!“
183. Als sie entlassen worden waren, riefen sie die Mexikaner zusammen und sagen zu ihnen;
„0 Mexikaner! Wißt ihr es schon, womit wir beauftragt wurden? Daß von den-
jenigen, die gehen sollen ja keiner einen (gefangen) wegführt. Wir schlagen (verwunden)
sie nur. Wir reißen die Ohren unserer Gefangenen auf der einen Seite ab.“
den Uitzilopochtli. Eine analoge Schilderung dieses
Vorganges überliefert uns Sahagun a. a. O. S. 213 wo
bei der Beschreibung des Panquetzatiztli-Festes mit-
geteilt wird: niman ye yc ualtemo yn xiuhcoatl, „dann
kommt ebenfalls herunter die blaue Schlange.“ —
15 Baeßler- Archiv
3 Der hier genannte Coxcoxtli, der als Freund der
Mexikaner gezeichnet wird, ist gleichfalls eine bekannte
Gestalt der aztekischen Wandersagen. Vgl. W. Kricke-
berg a. a. 0. S. 98 ff.
ERNST MENGIN
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184. yuh quichiuhqz• y ce cade yn ome cade yn ei cade yzqui nacaztli quiuatquic1
vallaqz niman ye yc quinonotza Coluaca tlatoque yn ixpa contepeuhtitlaliqz yn
nacaztli nima ye yc quipoua yn izqui ymal mochiuh quimonilhuia ca oticchiuhqui
y totequiuh ca ycalla otiquicauato
185. yn oualquizque. nima ye mononotza y coluaca tlatoque quitoqz Aquiquehi y mexica ga
amo quicaquizqz auh ynhi coluauehe ga tiquìpopoloua y ye yuhqui yn onenonotzaloc.
186. nima ye ontlayua y cuxcuxtli ynic mexica condona nixonexca nitlamapique ca axea
youac anpopoliuizqz auh yuhi azoc velanquichivazqz gan ic vntlapoyauia xiquigaca.
i8y. ynic quizqz ga much quicuitlacoyoniqz y calli y quiquiauac1 2 nouia ga pipichoya3 y itoqz
ye vntlami y quiga nima ye yc ycauaca y colhuaqz mexicatzincopa ytztiui ynic ye vnca
valmomana mi calli acatzintla.
188. atla y micalque ye chimaltica panoqz ynic tematitlà quizqz gequi(n)tla-
maqz ynic vnca miqz yn imalhua ynic vnca cenquizqz y mexicatzinco amo
vecauaqz vnca y quitocayotiqz mexicatzinco yehicà vnca tecpichauhqz vnca
mochoquiztlapalloqz vnca mopouhqz.4
l8g. Nima ye yc oneva nexticpac vnca quitlalia yntlalmomoz ynic ye vnca quitlatlatia ytana
ychiquiuh vnca motlatlatiliqz.
igo. matlactlomey aca(tl)xiuitl yca nima ye yc oneua motlalito tecuhtolla ge tecpatl xiuitl
yca yn oca catea motlalmomoztiqz. Nima ye yc valleva vmotlalico yztacalco.
igi.nima yc motlatlania y mexica y duauaqz catea colhuaca yn iciuaua(n) quiuatquiliqz
yn imamatlacuilol auh y dua yn vpa oquichuaqz catea yn imoquichva yn imamatlacuilol
quiuatquiliqz.
ig2. niman yc (y)e mononotza quitoa cà tini ca titlamatiui ca ve motimicquin ma cana tinam-
velloti tle(yn) ticchiuaqz yn imamauh y colhuaqz yn otiquiualitquilique ma ticnechicoca
ma ticcetlalica
193. yn oquinechicoqz muchi amatlacuilolli. nima ye quitzoualpepechoua yc onca quimamatepe-
tique quitzoualpepechoqz tzoualli quitzote còti que ydcuica vnca quine xtiq niman ye quicui-
catia acaluapalli quiuitequilia ye vnca quitlalia yn inquic:
194. yztacaltzincopa yollitiloc tamatepeuh yuh ge youal y yeuaca maytiloc yxtlauacan maytiloc
tamatepeuh y cuepa Nanogiuatzi tetocatzi ayyayyeuaye yxtlauaca maytiloc tamatepeuh.5
1 Zu Grunde gelegt ist „quihualitquic“. Die Hieroglyphe
am Rande hat die Beischrift „in ynacaz xochmillca
2 yqui quiauac = ynic inquiauac.
3 gleich ,,pipixoya
4 Die Hieroglyphe hat die Beischrift: „chimalpanoque
Mexicau.
5 Den Hintergrund zu den hier geschilderten Vorgängen
bildet die Abhaltung einer Kultfeier, wie sie an den
Jahresfesten der alten Mexikaner üblich waren. So
haben wir von Sahagun Beschreibungen, die das hier
Erzählte näher veranschaulichen. Ich erinnere nur an
seinen Bericht über die Feier des Toxcatl-Yestes
(a. a. 0. S. 101), wo uns die Herstellung des Idols des
Uiizilo'pochtli in folgenden Worten überliefert wird:
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
II 7
184. Sie taten also. Derjenige, welcher einen fing, derjenige, welcher zwei fing, derjenige,
welcher drei fing, brachte ebensoviele Ohren mit. Als sie angekommen waren, benach-
richtigen sie die Herren von Colhuacan und schichten die Ohren vor ihnen auf und zählen
(genau) nach, wieviele Gefangene sie gemacht hatten. Sie sagen zu ihnen (sc. den Col-
huaque): „Wir haben unseren Auftrag ausgeführt, wir gingen und zwangen sie ihre
Wohnungen zu verlassen“.
185. Als sie weggegangen waren, sagten die Herren von Colhuacan (untereinander): „Was
sind das für (merkwürdige) Leute, diese Mexikaner ? Sie sollen es nur nicht hören!
0 Colhuaque ! Laßt sie uns vernichten! So wurde es beschlossen.“
186. Alsbald sendet Coxcoxtli deswegen einen Boten und läßt den Mexikanern sagen: „Ich
benachrichtige euch, daß ihr in dieser Nacht vernichtet werden sollt, ich, der ich es
in der Hand halte (d. i. genau weiß). So werdet ihr vielleicht genau in der Weise ver-
fahren; Sobald es Nacht wird, geht fort!“
187. Um zu entrinnen durchlöchern sie ihre Hütten, weil man sie nur draußen an den Türen
ausspähte. Als diese sahen, daß es den (Mexikanern) gelungen war zu entkommen,
machten sie Lärm. Die Colhuaque kommen von der Seite, wo Mexicatzincopa liegt her,
und stehen daher in Acatzintlan. Sie kämpfen.
188. Sie kämpfen im Wasser. Schon laufen sie mit Schilden vorbei, um den Händen (der
Feinde) zu entrinnen. Einige werden gefangen genommen, weshalb einige Gefangene
geopfert wurden. Sie werden sich wieder in Mexicatzinco vereinigen, hielten sich aber
da nicht lange auf. Sie nannten es Mexicatzinco deswegen, weil es da war, daß sie sich
wieder vereinigten. Da grüßten sie sich mit Tränen in den Augen, da zählte man sich.
189. Dann brachen sie auf und ließen sich in Nexticpac nieder, wo sie ihre Erdpyramiden
errichteten. Dort versteckten sie ihre Binsenkörbe. Dort wurden sie versteckt.
190. Dann erhoben sie sich im Jahre 13 Rohr und ließen sich in Teuhtollan nieder. Im
Jahre 1 Feuerstein waren sie noch da und errichteten Erdpyramiden. Dann brachen
sie auf und ließen sich in Iztacalco nieder.
191. Dann sehen die mexikanischen Ehemänner, deren Frauen aus Colhuacan stammten,
bei sich nach und brachten ihre (Heirats)urkunden herbei. Und die Ehefrauen, deren
Männer von dort (aus Colhuacan) stammten, brachten (ebenfalls) ihre (Heirats)-
urkunden herbei.
192. Darauf beratschlagen sie sich und sprechen: „Wohin gehen wir ? Was haben wir im
Sinne ? Wo enden wir noch ? Daß wir nur nicht irgendwo geplündert werden ! Was
sollen wir tun ? Laßt uns zusammenbringen, laßt uns anhäufen das beschriebene
Papier der Colhuaca, welches wir hergebracht haben!“
193. Als sie all’ ihr beschriebenes Papier beisammen hatten, da stopften sie (das aus Stäben
gefertigte Idol) mit Meldensamenteigmasse aus, umwickelten es mit Papier, machten
es zu ihrem Herrn und enthüllten es erstmalig dort. Darauf machen sie Musik indem
sie auf Schiffsplanken schlagen und dichten dort folgenden Gesang:
194. „In Iztacaltzincopan wurde unser Berg aus Rindenpapier5 (Idol) wieder erneuert, nach-
dem es in einer Nacht wieder mit der Hand verfertigt worden war. In einer öden
Steppe wurde unser Berg aus Rindenpapier (Idol) mit der Hand verfertigt. Es kehrt
wieder Nanofiuatzin mit Beinamen. Refrain. In der öden Steppe wurde mit Händen
gemacht unser Berg aus Rindenpapier (Idol).“
michivauhizovalli ynic quipepechoaya yn imizquio, „mit
Teig aus zerquetschtem Stachelmohnsamen um-
mauerten sie sein aus Mezquitezweigen gefertigtes
(Knochengerüst)“. Und a. a. 0. S. 163, in dem Bericht
über das Xocotl uetzi-Fest lesen wir: michiuauhtzoualli
quiüaliaya ga cemiztac yn amatl yn quimamaca, „aus
15*
Teig von Meldensamen formten sie den Leib, mit ganz
weißen Papieren statteten sie ihn aus. Wie uns
Sahagun III 1 § 2 meldet, hatte dieser Meldensamen-
teig die Klebefähigkeit von Teer, war also ein erst-
klassiges Bindemittel,
ERNST MENGIN
118
*95• y coyoua. y coluacatl iquiualcaqui cenca ypa1 omoteca cuicail
Ms. Mex. 22. Seite 17.
nimcL ye yc yaotlatoua tepanecae ma tiquimótòpepeniti cuix oc miequi y mexica yn iztla-
caticate ynic ye yaotlatoua.
igó. nima ye yc uitze ypan agito y mexica quicuicatia yn imamatepeuh yn quitaque coyouaca
yuhqui tzitzimitl. Auh nima ye yc ycauaca y mexica nima ye yc mi calli nima ye yc
ypa poloni at(l) coyoaca vnca much miqz yxquich ciuatl yn tlama.
igy. niman ye yc yxpa micouà amatepetl amo uecauaqz yn iztacalco.
ig8. Auh nima ye yc uitze onmotlalico y tenochtitlà, tollitic, acaytic yn icac
tenochtli vme calli xiuitl yn agico nima ye yc motlalia tlachcuitetelli
yn omotlalli tlachcuitetelli nima ye yc ui y namizqz y qtemozqz couatl
y toch(tl)i acuezcomac ytztiui ypa quigato tla[c]xipetlalli ycxiotli
vmpa valpeuhticac y colhuaca.
icjcj. niman ye yc ueca conita gà quenin neztihuitz nenenqui. nima ye yc
quimilhuia mexicae aqui ye uitz ma oc titotlatica ynic necoc omac
vmotecaqz.
200. yc nima quigaco giuatl valyacatia ge[mJmatica quitztiuitz yn ioquichui quatzótlalpitiuh
ytlamecayouh ymacuauhtopilli yc nima a[ch]to quicuitihuetz y giuatl xomimitl yc ye
yeual motlaloa yaotequia quitlacaualtiz xomimitl yc no vnca quicuitiuetz yhui momestin
quimagic.
201. niman ye yc ycauaca yn muchinti mesica (sic!) quimonololhuico nima ye yc qtoa Mexicae
ca nel onimic amoca niauh xaltoca magauaca axca maculili ompopolliuizque niyaoteqca
niticomecatl chichilquauitl.
202. valla yuaqz quimonotzaco y tenoch ogelopa acagitli xiuhcac auexotl. quimilhuico yn otlama
tegacatetl chiauhtototl1 2 quimononotzaco3 ca otlama y xomimitl colhuaqz yn oquimacic
yniquac mique gemilhuitonalli ge gipactli ynin yca momamal yn tlachcuitetelli tenochtitlà.
20J. ye yuh vmpoualli cate y ye uallaiva acolnauacatzi tlatouani azcapotzalco val[t]lachia
ye poctli evatoc acaytic ye quiualliva tezcacouacatl tlacuchcalcati cacauitl y quimitaco
mexica acaitic motlapopochillitoqz yn oualla quimilhui ac amehua ca onechualliua yn
acolnauacatzi.
204. quilhuiqz ca tehuà y timexica Nima y(c) quinonotzato y tlatoani y yehuàti mexica
tlapopotztoque.
205. ye nogepa quiualliva quilhuia xiquitlatlauhti y mexica ma motlalica(n) ca notlalpa yn
omotlaliqz quiquinpepenia aye4 yxquich cauitl y tlaihiouia yn acà ymihyo quicui.
1 gleich „impan“.
2 Als Gebieter des XomimiÜ ist er auch zugleich selbst
derjenige, der Gefangene gemacht hat, denn XomimiÜ
ist gleichsam nur sein verlängerter Arm.
3 Gemeint ist der 2"egacatetl Chiauhtototl, dem nun per-
sönlich die Gefangennahme mitgeteilt wird.
UNOS ANNALES HISTÖRICOS DE LA NACION MEXICANA i 19
195. Der Coyouacatl, der Colhuacatl hört den Gesang, der weithin ertönt. Und sogleich
ruft er zu den Waffen, 0 Aepanecatl! Wollen wir gehen und sie zurechtweisen! Sind
es denn noch viele Mexikaner ?“ Sie täuschen sich, als sie zu den Waffen rufen.
196. Dann gehen sie schnell und langen bei den Mexikanern an, welche ihr Idol besingen und
in den Coyouaca (zuerst) so etwas wie Dämonen sehen. Und alsbald erheben die Mexi-
kaner ihr Schlachtgeschrei. Bald kämpfen sie, bald bemächtigt sich ihrer eine große
Wut. Dort starben viele Coyouaca. Jede Frau macht Gefangene.
197. Dann bringt man (die Gefangenen) dem Berg aus Rindenpapier (Idol) zum Opfer.
Man blieb nicht lange in Iztacalco.
198. Dann gehen sie und ließen sich nieder in Tenochtitlan, wo inmitten des Schilfes, inmitten
des Rohres, der Nopalkaktus aufrecht steht. Im Jahre 2 Haus kamen sie an und er-
richteten alsbald einen Rasenaltar. Als sie die Rasenpyramide errichtet hatten, gehen
sie auf die Jagd und suchen Schlangen und Kaninchen. Sie sind in der Nähe von
Acuezcomac, sie gingen auf einem niedergetretenen Fußpfad, der dort in Colhuacan
seinen Anfang nimmt.
199. Dann sehen sie undeutlich von weitem, daß ein Wanderer sich zeigt und sie sagen
untereinander: „Mexikaner! Wer kommt da ? Verbergen wir uns! “ Deshalb ducken
sie sich zu beiden Seiten des Weges nieder.
200. Da kommt bald darauf eine Frau. Sie geht voraus, (während) ihr Mann ihr im Ab-
stand von einer Elle nachfolgt und die Schnur seiner Obsidianlanze festmacht. Xomi-
mitl packt zuerst die Frau. Der Kapitän läuft rasch auch herzu, um Xomimitl daran
zu hindern. Da wird auch er gepackt und auf diese Weise machten sie beide zu Ge-
fangenen.
201. Alsbald kommen lärmend alle (übrigen) Mexikaner herbeigelaufen und jener sagt:
,,Mexikaner, soll ich von euch geopfert werden ? Ich gehe nach Xaltocan Ma^auacan.
Heute gingen schon fünf zu Grunde. Ich bin Kapitän, ich bin Ticomecatl Chichiquauitl.
202. Sie sandten daraufhin Boten und beriefen (dazu) Tenoch, Oqelo'pan, Acagitli, Xiuhcac,
Auexotl und sagten zu ihnen; ,,Der Te^acatetl Chiauhtototl2 hat Gefangene gemacht.
Diese benachrichtigten ihn (daraufhin) und sagten zu ihm3; ,,Es ist so, daß Xomimitl
Gefangene gemacht hat. Er nahm Colhuaque gefangen.“ Danach starben sie (den
Opfertod) im Jahre 1 Drache und es wurde mit ihnen die Pyramide in Tenochtitlan
eingeweiht.
203. Die Mexikaner waren ungefähr 40 (Tage) da, als Acolnauacatzin, der König von Az-
capotzalco Boten sendet. Er beobachtete, wie sich inmitten des Schilfrohres Rauch
erhebt. Er sendet den T ezcacouacatl Alacochcalcatl Cacauitl, der die Mexikaner in-
mitten des Schilfrohres besucht. Sie waren gerade dabei Feuer anzumachen, als er
ankam und er sagt zu ihnen: ,,Wer seid ihr ? Denn mich entsendet AcolnauacatzinX
204. Sie antworteten ihm: „Das sind wir, wir sind Mexikaner!“ Darauf ging er hin und
benachrichtigte den König, daß diejenigen, welche den Rauch verursachen, Mexikaner
sind.
205. Er sendet ihn zum zweitenmale und sagt zu ihm: ,,Lade die Mexikaner ein! Sie
mögen sich niederlassen, denn das Land, auf dem sie sich häuslich niedergelassen
haben, das sie sich angeeignet haben, gehört mir. Es ist so sehr lange her, daß sie
Mühsale erdulden, daß sie keinen Ort haben, wo sie Atem schöpfen können.“4
4 Eüer findet sich folgende spanische Notiz am Rande: entraron en la laguna; weiter unten: govierno de
como fueron los mexicanos de los azcapotzalcas cuando azcapotzalco.
T 20
ERNST MENGIN
§ 206
206. Nima ye yc mononotza y mexica Mexicae ma titlachpanati yn azeapot-
zalco1 ma tictlatlauhtiti y tlacatl acolnauacatzi niman ye yc quimaxilia y
tototl y michi y cuiatl acaquauhtzintli tlacopopotl ynic yaqz tlachpanato
tletlalito azcapotzalco yn ichä tlatouani Acolnahuacatzi.
2oy. yn acico mexica ye chicuepoual xiuitl omatlactli tlatocatiua azcapotzalco ye
nani tlatocati azcapotzalco y tlatocayotl cópe-
Ms. Mex. 22. Seite 18.
ualti matlaccouatl yn iciuauh ytoca azcueytl yychpoch cuitlachtepec tziuactlatonac chi-
chimeca tlatoq2 yn ipa axiuaco.
208. Auh y matlaccouatl yn azcueytl ye mopilhuatia ye quichiua chicoquiauitl yn tlatocat
matlaccouatl ye pouali xiuitl vmatlactli oc yehuatl y ualteyaca yn agico yn iquac agico
vmpa azcapotzaltonco ye xiuitl y gan oc yuh catea yn chichimeca tlaihyouitinenca yc nauh
xiuitl y ualtemoqz ynic motecpdcaltico axca yc úcan azcapotzalco
2og. ñau acatl xiuitl ynic moma tlatocacalli ynic omomiquilli matlaccouatl nima ye yc val-
motlalia ypiltzi chicúquiauitl yn iciuauh vnpa valla xaltoca ytoca xicomoyaval yychpoch
vpdtzi chichimeca ye yn impa axiuaco y chicoquiauitl xicomoyahual ye mopilvatia ye
quichioa tezcapoctzi nehud acolnauacatzi yn tlatocat chicoquiauitl gempoal xiuitl vn
chiquage.
210. yn omic nima ye valmotlalia tezcapoctzi amo pilhuatiuh gepoual xiuitl vn caxtolli tlato(cat).
211. yn omic valmotlalli acolnauacatzi ogiuatla tenayoca tequanitzi ychpoch ytoca Cuetlaxoch
ye mopilvatia ye quichioa vitziliuitl y ontetoca tepdquizqui, yc orne epcouatl te[huatl] e[y]
ca giuatl tlatzotzonizcatl y vntetoca moxotzi yc naui chalchiuhnenetzi yc macuilli tian-
quizcatzi xocoyotl tegogomoctli.
212. ynhin acolnauacatzi yehuatl tlatocati yniquac agico mexica ye
tenauhea. Auh yn mexica matlac xiuitl omome y ga cencatca te-
no chtitla yc omey yc valmoxeloque ge calli xiuitl ynic omotlalico
tlatilulco xaliyacac.
21 j. yn onagico nima ye yc motlachcuiteteltia yca vetz tlequauitl chapoltepec axiuaqz quauaqz
ce ytoca ato ymal y xiuhtecuhtli y tezca ymal tecolixtli. Auh y mexica ye castolxiuhtia ye
onaui xiuitl ynic momiquili acolnauacatzi chicomacatl xiuitl yn ipa mic yn tlatocat
epohual xiuitl.
214. Nima ye ualmotlalia tegogomoetzi ye vgiuatlani tenayoca ychpoch yxcogauhcatzi y giuatl
ytoca yztac xochitzi ye ymixpa y mexica motlatocatlalli. Auh y tegogomoctli yed yztac
Xóchitl ye mopilhuatia ye quichihua cuacuapitzauac yc otetl ytoca epcovatzi yc orne acol-
nauacatzi yc ey teyolcocouatzi yc naui maxtlatzi yc 5 quaquauhtzi yc chiquace moqui-
ui[ x Jtzi.
1 azcaputzalii, hormiguero. Ameisenhaufen.
2 § IO°-
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I 2 I
206. Darauf sagen die Mexikaner untereinander: „Mexikaner! Laßt uns nach Azcapotzalco
gehen und dort ausfegen! Laßt uns den edlen Herrn Acolnauacatzin bitten!“ Alsbald
zogen sie aus und holten für ihn Vögel, Fische, Frösche,trockenes Schilfrohr, Holzbesen
ein, um nach Azcapotzalco zu gehen und (dort) das Feuer anzuzünden, in dem Palaste
des Herrschers Acolnauacatzin.
207. Bei der Ankunft der Mexikaner waren es schon 170 Jahre her, daß das Königtum von
Azcopotzalco bestand. Es hatte bereits vier Herrscher in Azcapotzalco gegeben seit der
Begründung der Monarchie durch Matlaccouatl und seine Gemahlin namens Azcueitl,
einer Tochter des Tziuactlatonac, der in Cuitlachtepec Herrscher der Chichimeca war2,
als man anlangte.
208. Matlaccouatl und Azcueitl zeugten und bekamen Chiconquiauitl. Matlaccouatl regierte
70 Jahre. Er war es noch, der regierte, als man ankam. Bei der Ankunft dort in Az-
capotzalco lebten sie nur noch drei Jahre nach Art der Chichimeca unter harten Müh-
salen. Im vierten Jahre stiegen sie hinab und errichteten ihre Burg an der Stelle, wo
heute Azcapotzalco liegt.
209. Es war im Jahre 4 Rohr, daß Matlaccouatl den königlichen Palast errichtete und (zu
der Zeit) starb. Darauf setzte sich (als Herrscher) hin sein Sohn Chiconquiauitl. Seine
Frau mit Namen Xicomoyaual kam dort von Xaltocan her und war eine Tochter des
Chichimeken Umpantzin. Es war in ihrer (Regierungs)zeit, daß man ankam. Chicon-
quauhtzin vermählte sich mit Xicomoyaual und sie zeugten 7'ezcapoctzin und Acol-
nauacatzin. Chiconquiauitl regierte 26 Jahre.
210. Als er gestorben war, setzte sich 7ezcapoctzin (als Herrscher) hin. Er verheiratete sich
nicht und war 35 Jahre König.
211. Als er gestorben war, setzte sich Acolnauacatzin (als Herrscher) hin. Er freite in
7enayyocan die Tochter des 7equanitzin mit Namen Cuetlaxoch und vermählte sich
mit ihr und zeugte zuerst ein Kind Uitziliuitl mit dem Beinamen 7epanquizqui\ der
zweite war Epcouatl; das 3. Kind war ein Mädchen 7latzotzonizcatl mit dem Beinamen
Moxotzin; das 4. war Chalchiuhnenetzin; das fünfte war 7ianquizcatzin und das jüngste
Kind war 7ego^omoctzin.
212. Dieser Acolnauacatzin war Herrscher, als die Mexikaner in 7enayyocan ankamen.
Und die Mexikaner waren nur 12 Jahre in 7enochtitlan zusammen. Sie trennten sich
dann im 13. Jahre und ließen sich im Jahre 1 Haus in 7latilolco Xalliyacac (d. i. „am
Sandvorsprung“) nieder.
213. Als sie daselbst ankamen errichteten sie eine Rasenpyramide und es kommt in Cha-
poltepec der Feuerbohrer hernieder. Als man ankam, furchte (d. i. opferte) man einen
mit Namen Ato, der ein Gefangener des Xiuhtecutli war und 7ezca, den Gefangenen
des 7ecolixtli. Als die Mexikaner 19 Jahre daselbst waren, starb Acolnauacatzin. Er
starb im Jahre 7 Rohr, nachdem er 60 Jahre lang regiert hatte.
214. Darauf setzte sich Aeqogomoctzin (als Herrscher) hin. Er freite in 7enayyocan die
Tochter des Txcogauhquicatzin, ein Mädchen mit Namen Tztac xochitl und herrschte
über die Mexikaner. Und als 7ego^omoctli sich mit Tztac xochitl vermählt hatte,
zeugten sie zuerst Ouaquauhpitzauac mit Beinamen Epcouatzin; das zweite Kind war
Acolnauacatzin; das 3. 7eyolcocouatzin\ das 4. Maxtlaton\ das $. Quaquauhtzin; das 6.
Moquiuixtzin.
I 2 2
ERNST MENGIN
2J5- ye yuh maculi xiuitl tldtocati te^ogomoctzi y poliuhque colhuaque matlactli ornarne acati
xiuitl yn ipà poliuhqz nauh xiuitl y youatimanca1 colhuaca ge tochtli xiuitl yn tletlalito
tepdtonco yn ixcuecuenvtl yn atleti, ye nauiluitl tlatlatitica yn ixcuecuenotl mexiratl.
216. y ye quiualita tletl colhuaqz y momatqz ag[aJimicniuh nima ye yc uitze yn oquitaque
cenca quitlatlauhtique yehuatl tlacanechico yminca. Auh yn ixcuecuenotl yehoatl quiual-
yaca y colhuaque.
2iy. ynic valcallaque quitlatlauhtito tegotqomoctzi <qa no ypa $e tochtli
xiuitl y quitlatlauhtito y mexica y te^o^omoctzi ynic quitlanito yn
ipiltzi yn ìtlatocauh2
Ms. Mex. 22. Seite 19.
mochiuh conilhuia:
218. nopiltzintzine tlatouanie techualliuaque y motechiuhcavan mexica
veuetque ca conitoa ma quimocaquiti tlacatl motolinia y mocolhua
ca titoteutiznequi ca tictomaco y mocozqui moquetzal ma yc
timitztoquallaniliti ma xitechmomaquili y motla^opiltzi yn epco-
uatzi y quaquauhtzi ca motlalpantzinco yn otitotlalico.
2ig. Nima yc quitoa te^o^omoctzi quintlatlauhtia qmilhui oanquihiouiqz mexicae oantlacnelliqz
y nicà anquitquitiuitze yn amochoquiz yn amotlaucol yn àquitemoa yn anquinequi avey
ayetic tley anquiqualtizqz y nopiltzi àquitlani cuix ye ancomeqz cuix ye ancaxeqz.
220. Auh ynhi oc xiuian oc auallazqz ma oc ninonotza y mexica yc op(p)a ylloque yn oyaqz
acan quitaque y teqoqomoctzi yehuatl valquiz y tezcacouacatl chachazi quimilhuia ca qui-
mitalhuia tlacatl oquihyouiqz y mexica ma motlalica tleyn ic vallaqz conilhuia ma qui-
mocaquiti y tlacatl ca oquimocuilli ca oquimocaquiti y tochoquiz y tonetlamachiliz.
221. Nimä callac y tezcacoacatl chacha [tzinJ quiualilhui Ma oc movicaca y mexica ma oc
mononotzaca y tepaneca ma oc quichiaca y notlatol niquimonotzaz ynhin vpayxtivia
nepanixtivia y tenochca yn tlatilulca yzquipa ytlatqui ye tiuia tototl michi cui[yJatl.
222. ynic expa ylloqz (:a nextlatilco motlaliqz y tenochca y quenin omononotzqz aucmo aciqz
<;a yyoqz aciqz tlatilulca yn oyaqz tezozomoctzi vncä ca teuythualco nehud cate yn indtzi
Cuetlaxotzi ye cotlatlauhtia cotequilia yn ixquich yc mexica conilhuia:
223. nopiltzintzine tlatouanie ca yehuatl yn ticmocuilli y tochoquiz y totlaocol ynic tonentlamati
yn oquicac tefofomoctzi ye conilhuia yn ind(t)zi 0 nicauhtzine ca timeuiltitica que toco-
mitalhuia.
1 Zugrunde gelegt ist aus der Kopie 22]lis Seite 28 2 Die Hieroglyphen zu §§ 217—219 tragen folgende az-
„yyocactima(n)ca“. tekische Beischriften: a) über den 3 Köpfen steht: Nican
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
123
215. Nachdem E egogomoctzin fünf Jahre regiert hatte, gingen die Colhuaque zu Grunde.
Sie wurden im Jahre 12 Rohr vernichtet. Vier Jahre lag Colhuacan verlassen und ganz
zerstört da. Es war im Jahre 1 Kaninchen, daß Txcuecuenotl hingeht und in Eepan-
tonco das Feuer entzündet. Vier Tage hatte der Mexikaner Txcuecuenotl das Feuer
in hell brennendem Zustande erhalten.
216. Als die Colhuaque das Feuer von weitem sehen, dachten sie, daß es vielleicht ihre
Freunde seien. Bald kamen sie hin. Als sie ihn (d. h. Txcuecuenotl) sahen, baten sie
ihn inständig (um seine Hilfe). Er war es, der sie da vereinigte. Er, Txcuecuenotl, ist
es, der die Colhuaca führt.
217. Darauf gingen sie hin und baten flehentlich den E egogomoctzin (in Mexiko aufgenommen
zu werden). Gerade im Jahre 1 Kaninchen baten die Mexikaner den Eegogomoctzin.
Sie gehen hin um ihn zu bitten, daß er seinen Sohn zu ihrem Herrscher mache und
sprechen zu ihm:
218. ,,Edler Fürst und Herr! Unsere Häuptlinge, die alten Mexikaner, senden uns und
lassen euch sagen, möge der edle Herr es vernehmen, daß seine Vorfahren Mangel
leiden, daß wir für uns einen König von dir wollen, daß wir herkommen, um uns dein
Kleinod, deine Quetzalfeder (d. i. deinen Sohn) zu nehmen. Sei nicht beleidigt darüber !
Gib uns deinen geliebten Sohn Epcouatzin Quaquauhtzin /, denn es ist so, daß wir uns
auf deinem Herrschaftsgebiet niedergelassen haben“.
219. Darauf erwiderte E egogomoctzin, dankt ihnen und sagt zu ihnen: ,,Ihr habt euch sehr
angestrengt, o Mexikaner! Ihr habt gut daran getan, eure Tränen und euren Kummer
hierher vor mich zu bringen. Es ist nicht so groß, nicht so schwer, was ihr sucht und
begehrt. Aber was werdet ihr meinem Sohn zu essen geben, um den ihr bittet ? Habt
ihr denn schon Suppennäpfe, habt ihr Fleischtöpfe ? (d. h. das für seinen Lebens-
unterhalt Notwendige).“
220. „So geht noch einmal und kommt noch einmal wieder, damit ich es mir (inzwischen)
noch einmal überlege. Aus diesem Grunde kamen die Mexikaner noch ein zweites Mal
wieder. Als sie hinkamen, sahen sie nirgends den E egogomoctzin. Nur er, der tezca-
couacatl Chachatzin kommt heraus und sagt zu ihnen, daß der König ihnen mitteilen
läßt, sie hätten sich sehr angestrengt die Mexikaner. Mögen sie sich nur niederlassen!
Warum sind sie denn wiedergekommen? Sie antworten ihm: „Der König möge uns
wissen lassen, ob er angenommen und erhört hat unsere Tränen und unseren Kummer.“
221. Da ging der Eezcacouacatl Chachatzin hinein und er ( d. h. der König) sagt zu ihm: „Die
Mexikaner mögen noch einmal Weggehen. Es mögen sich die Eepaneca noch einmal
darüber beratschlagen; mögen sie noch einmal auf meine Antwort warten! Ich werde
sie rufen lassen.“ Diese beiden Male bewirkten, daß die Eenochca und die Elatelolca
sich wechselseitig vereinigten. Jedesmal brachten sie Vögel, Fische und Frösche mit.
222. Als sie nun zum dritten Male wiederkehrten, hielten sich allein die Eenochca in Nex-
tlatilco auf und da sie sich beratschlagten, kamen sie nicht mit, sondern die Elatelolca
gingen allein. Nachdem sie hingekommen waren, war Eegogomoctzin dort. Er befand
sich im königlichen Hof mit seiner Mutter Cuetlaxotzin. Die Mexikaner überreichen
ihm alle Geschenke und sprechen zu ihm:
223. „Mein Fürst und Gebieter! Das, was ihr empfangen habt, sind unsere Mühen und
unsere Not, Wir haben uns deswegen angestrengt.“ Nachdem sie Eegogomoctzin angehört
hatte, sagte seine Mutter zu ihm: „Mein jüngerer Bruder!, es ist so, daß wir uns fort-
während bitten lassen. Was sagen wir ihnen ?“
tlaytlanito; b) unter dem Männerkopf steht: te(0(omoctzin.
16 Baessler-Archiv.
ERNST MENGIN
I 24
224. Nima ye quiualilhuia "Motolinia y mocolhua y machcava auey y ye quihiouia y ye
quitzacua1 yuian y poliuhque chapoltepec auh y colhuaca Auh ynhi ma xicmomacauilli
ma xiquimomaquili y nocozqui y noquetzal y noxuiuhtzi.
225. Niman ye quiuallitoa tlatoani Mexicae ma xiuian namechmaca yn epcovatl y quaquauhto
vnpa vapauallo oztocuiuaya. Auh yni amacana centetl xocomanaca tolxacaltzintli auh
niquimonivaz y tepaneca amachopalleuitiui azo no cétetl cótlalitiui yniquac oantlayecoqz
oc anuallazqz anechnonotzaquiui.
226. y mexica quillayauallochtique xacalli auh y tepaneca quimixcauiqz y quiquetzqz y tecuh-
tlatoaya nauhtetl tlapdcalli nauhtetl xacalli ypd ycaco yn calli y tezcacoacatl chacha. Auh
yn otlayecauh quinonotzato tlatoani te^o^omoctzi yn otlayecauh.
227. nima acalco valmotlalli tlatouani y quitaco y xacalli omotecac yn vnacico ytualnepantla
moquetz. niman ye choca tepozóqui quiqueticac yn itlatocatilma nima ye qmilhuia
Mexicae oantlacnelliqz aya0 nica yez can oc vmpa yez yn azcapotzalco y ye yuhqui nima
ye ye yauh tlatouani.
228. nima ye ye mocemollini y mexicatl yxquich oli y ciuatzintli y piltzintli ytamal ymatol
yetiuh2 yn opa azcapotzalco. Nima ye ye motecuhtlalia
Ms. Mex. 22. Seite 20.
quaquauhtzi y motlatocatlalli ce tochtli xiuitl ypa can oc onpa catea ce xiuitl yn upa
ótetlamamacaya yn tlatilulca y tenochca cotlamaniaya vnpa cocallaquiaya y tototl michi
cuyatl.
229. Auh y ye ye valmiquani om(e) aca(tl) xiuitl ynic omotlalico tlatilulco ye yquac oncoto y
tetlamamacaya tlacallaquiaya azcapotzalco quivalitquitia y quaquauhtzi ynic nica ye
quimamacaya yn ixquich cócacallaquiliaya tego(¡omoctzin y tenochca nica quitlamamacaya
yod tlatilolca.
2jo. y cotlamaniaya y quaquauhtzi ytechiuhcauh valyetia y tezcacoacatl chacha y quaquauhtzi
quiualitquitia y calpixcantli xochicalco y calpixqui ytoca maniatzin yn oyuh omotlali
quaquauhtzi ydcuicd tepeuh y mexicatl y nica chimalhuaca ateneo.
2ji. yca motecpaA y chimaluaca yca tlequauitl vetz yquac molpili yxiuh yniquac omotlatoca-
tiqz yquac motlalli yn iyollo y mexica yn acaytic y tollitic onoya yquac cópeuhqz
chimalhua y no vmolpili yxiuh nima ye quilnamiqui ye omocuepa yn imicdpa yn ixquich
ypa omochiuh tlayhyouiliztli y chapoltepec y colhuaca.
2J2. y chapoltepec yn iuh poliuhqz y cuicatitech quilnamiqui yn itlayyouiliz coneva conitoa
choca tlaocoya yn iuhquilnamiq;
1 gleich „quitzaqua“.
2 von „ca“, sein; Futurum.
UNOS ANNALES HISTÖRICOS DE LA NACION MEXICANA l2$
224. Da erwidert er: „Ew. Hoheit (wörtl. deine Vorfahren und Vornehmen) sind in Ver-
legenheit. Ist es nicht schwer genug, was sie gelitten haben, was sie in Bescheidenheit
gebüßt haben? Sie, die vernichtet wurden in Chapoltepec in Colhuacan.“ „Ja!“,
(antwortet) diese; „gebt ihnen meine Perle, mein Kleinod, meinen Enkel!“
225. Daraufhin sagte der König zu ihnen: „Mexikaner! Geht (nur), ich gebe euch Epcouatl
Quaquauhton. Er wird dort in Oztocuiuayan erzogen. So errichtet an einem Platz
ein Haus von Binsenstroh! Ich werde die Tepaneca senden, um euch zu helfen. Viel-
leicht werden sie auch hingehen und eines errichten ? Wenn ihr sie errichtet habt, so
werdet ihr kommen, um mir Bericht Zu erstatten.“
226. Die Mexikaner fassen (nur) die Strohhütte mit einem Zaun ein, aber die Tepaneca
beschäftigten sich ausschließlich mit den Häusern, in denen man Audienz erteilt und
errichteten vier Terassen zu den Häusern und es kamen darauf zu stehen die 4 Häuser
für den Tezcacouacatl Chachatzin. Als man damit fertig war, gingen sie hin und zeigten
dem König Tegogomoctzin die Fertigstellung der Häuser an.
227. Daraufhin bestieg der König ein Schiff, um die Häuser zu besehen, die man errichtet
hatte. Angekommen, hält er an, stand er stille inmitten des Palastes. Alsbald weint
er mit bebendem Mund. Er steht aufrecht, bekleidet mit einem königlichen Mantel.
Dann sagt er zu ihnen: „Mexikaner! Ihr habt euch großes Verdienst erworben. Er
wird aber noch nicht hierherkommen, sondern er wird sich noch in Azcapotzalco auf-
halten.“ Nachdem es also geschehen war, ging der König fort.
228. Alsbald setzen sich alle Mexikaner in Bewegung, die Frauen, die Kinder, alle machen
sich auf den Weg; ihr Brot, ihr Maisbrei (d. h. ihr Unterhalt) werden in Azcapotzalco
sein. Alsbald setzte sich Quaquauhtzin als König hin. Als er im Jahre 1 Kaninchen
die Regierung übernommen hatte, waren sie gerade noch in diesem einen Jahr dort
und die Tlatelolca und Tenochca dienten ihm dort und sorgten für seinen Unterhalt und
lieferten ihm Vögel, Fische und Frösche.
229. Schon im Jahre 2 Rohr wechselt er dann (seinen Wohnsitz) und residiert von da an in
Tlatelolca. Damals hörte man auf mit dem, was man (bisher) nach Azcapotzalco ge-
liefert und als Tribut gebracht hatte. Weil Quaquauhtzin sie nun hier regierte, leiste-
ten sie ihm von jetzt an hier den Tribut; er aber lieferte alles wieder an Tegogomoctzin
ab. Die Tenochca leisteten dorthin ebenso Tribut, wrie die Tlatelolca.
230. Sie lieferten (den Tribut) ab an Quaquauhtzin; es kam aber nur sein Statthalter Te-
zcacoacatl Chachatzin. Quaquauhtzin lieferte (alle Einkünfte) an das Staatsmagazin
in Xochicalco. Der Magazinverwalter hieß Maniatzin. Als Quaquauhtzin König ge-
worden war, wurden die Mexikaner zum ersten Male wieder siegreich hier in Chimal-
huacan Atenco.
231. Unter Zuhilfenahme der Chimalhuaca wurde die Ordnung hergestellt und es kommt
der Feuerbohrer hernieder, als man die Jahresbindung vollzog. Als sie sich einen
König gewählt hatten, da ist ihr Herz beruhigt und die Mexikaner ließen sich inmitten
des Schilfrohres und der Binsen nieder. Dann besiegten sie die Chimalhuaca. Und als
sie ihre Jahresbindung vollzogen, da wird die Erinnerung wach und es kommt ihnen
ihre Vergangenheit wieder ins Gedächtnis, alle Mühsale, die über sie in Chapoltepec,
in Colhuacan, gekommen waren.
232. In einem Gesang erhalten sie die Erinnerung lebendig an ihre Vernichtung in Chapol-
tepec, sie besingen ihre Mühsale, sie sprechen davon, sie weinen, sie werden wehmütig,
wenn sie so daran denken:
3 Zugrunde gelegt „motecpanvon tecpana.
ERNST MENGIN
i 26
233. y tlalli tenüapa topa machiztic yeuaya topa matzayan yn ilhuicatl topa temoc ypalne-
mouani ye úcan chapoltepetl ycatca1 ayyo ycuepca yquac topa mochiva yeuaya ce y
toch(tli) tonalli [ijxiu intlatquic yeuaya choquiztli yeuaya ye uicallo y mexica ye üca
chapoltepetl ycatca yyao oaniayye ave nello quitoa mexicatl ayacan ineluayo ylhuicatl
<¡an ótlatoa ypalnemouani vi xaueye xachocaca can ompolliuiz y maceualli ayyo tley qui-
mocauh uec tley(n) cococauh y tlamacazqui axoloua ye tigaatl y manca choca yyolio cä
polliuiz y maceual ayyo.
233. $an tlacuecuepal chimaltica ye tipoliuhqz chapoltepec teda nimexicatl yeuaia omotlamachti
y colhua omotlamachti1 2 y tepanecatl yyo Nauh capa vicalloqz mexica mochoquilitiuh
tlacuchcatl vitziliuitl 00 acepanitl ymac otecoc y colhuaca yyao yyd.3
233. tematitla quizqz i mexica ueuetqz atla yaqz amoxtli quimoquétiqz acocolco nica y tolli(n)
acati ycoyoca euaia qmamatiuitze inauatil teda.
236. vned quitaqz xiuhchimadi quetzalpayo ayo vuia y chimadi cuecuepalloc y ye tepätonco4
y yeuaya vcaualloc codiuaca yca todinque ye timexica choquiztli [euay] yeuaya ye cematl
mania moma^eval ayyo pipilti totecuhva ayyevaya ocaualloc codi chaca yca todinqz ye
timexica choquiztl euay euay a ye cematl mania momatqeval ayyo
1 vgl. § 145; daran wird hier angeknüpft. das Seler a. a. 0. S. 1044 tut, trifft nicht den richtigen
2 Mol. I. s. v. gloriarse o glorificarse, nino, tlamachtia. Sinn dieser Stelle und ist auch nicht wörtlich.
Dieses Wort mit „übermächtig“ zu übersetzen, wie
mA
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
i 27
233. Der Saum der Erde zerbarst,
Unheilverkündende Zeichen stiegen über uns auf,
Über uns zerteilte sich der Himmel,
Und es kam über uns herab in Chapoltepec
Er, ,,durch den alles lebt“. Refrain.
Als seine Wiederkunft sich über uns vollzieht,
Da erhob sich das Schicksal des Jahres 1 Kaninchen,
Da erhob sich sein, in ihm Beschlossenes (d. h. da erfüllte sich des Schicksals Fügung),
Und es erhob sich Wehklagen, (denn)
Die Mexikaner werden als Hörige nach Chapoltepec geführt. Refrain.
Ganz mit Recht sagt man,
Daß die Mexikaner nicht mehr bestehen,
Daß nirgends mehr ihres Himmels Ursprung (wörtl. Wurzel) ist.
Aber der, ,,durch den alles lebt“, sagt;
,,0, wenn du auch nicht mehr groß bist, weine nicht!“
Er wird nicht um seine Geschöpfe kommen. Refrain.
Warum verweilt er denn abseits ?
Wozu sind sie das Eigentum des Priesters Axoloua?
Schon liegt Ti^aapan (wartend) da.
Ihr Herz weint.
Denn es werden die Vasallen zu Grunde gehen. Refrain.
234. Durch den nach verschiedenen Seiten gewandten Schild
Gingen wir in Chapoltepec zu Grunde. - '
Ich, der Mexikaner.
Mit Ruhm bedeckte sich der Colhua, mit Ruhm bedeckte sich der Tepanecatl. Refrain.
Nach den vier Weltgegenden wurden die Mexikaner als Hörige weggeschleppt.
Der Häuptling Uitziliuitl beweint sich,
Als ihm die Opferfahne in die Hand gedrückt wurde in Colhuacan. Refrain,
235. Die Mexikaner aber, die den Händen (des Feindes) entrannen,
Die Alten gingen in die Mitte des Wassers
Sie nahmen die Bücher mit sich nach Acocolco.
Hier, wo die Binsen und das Schilfrohr sich rauschend (im Winde) wiegen,
Begeben sie sich zaghaft unter ihr Gesetz.
Da schätzten sie die Türkisschilde, ihre kostbare Schutzhülle,
Sie gingen mit den nach allen Seiten gewandten Schilden
Bis sich (endlich) 1epantonco erhob; Colhuacan wird zurückgelassen.
Da setzten wir uns in Bewegung, wir Mexikaner;
Wehklagen erhob sich,
Bis sich (endlich) erhob eine Handbreit (Land) und sie sich rüsten, deine Belohnung
(Lehen) zu empfangen, Refrain.
Die Söhne deiner Edlen. Refrain.
Colhuacan wird zurückgelassen;
Da setzten wir uns in Bewegung, wir Mexikaner;
Wehklagen erhob sich,
Bis sich (endlich) erhob eine Handbreit (Land) und sie sich rüsten, deine Belohnung
zu empfangen. Refrain.
7Í
236
Vgl. Anales de Cuauhtitlan in: Anales del Museo Na-
cional. Mexico 1885, Seite 38, wo sich fast der gleiche
Wortlaut des § 234 findet.
Vgl. § 215, auf den hier Bezug genommen wird,
ERNST MENGIN
i 28
Ms. Mex. 22. Seite 21.
237. Ao youalpa ye necalizpa vallolinqz mexica 000 tigapä colu-
aca valchimalpanoqz y mexica veuetqz tlacuchpaneqz y ye
uca 0 yn acatzintitla yyao.
2j8. y nica ya ytoa ye in mexicatl nogelopa quemach vel vnca
^'yCA\AA/\ ¿sjo. j 'l'LLU' yu yivU' yt cn, n,vuujju t^McrruiLu ucl urutu
vAy^y\jKWj^y\AAA y ye motlamageuia y tetecuhti acolnauacatl tegogomoctli at
/V\ Av/Wv^4VV^\aAx/VV\/v ^
6' = OiJ
quemania quatti yectla ytlatol y azcapotzalca pipilti yyo.
237
2jy. Ma quin Suia yn aynopilhua cano ye mictla tecpanecatl ye
acazitli amopä tzopiz yavyotl topa milliniz ye tlachinolli
oooouaye mach oc achica nican notlapia y ye azcapotzalco yyoviya.
240. y ye yuhqui yn oqlnamicqz ytlayyouiliz mexica yn oyuh omotlali yntlatocauh quaquauhtzi
yn oquimopeuh chimalhuaca.1
241. nima ye y(c) qutcuiqueva conevaya mogoniqz acolhuaqz ye quiualita chiqualoapa [ — chi-
caloapan?] y tamalcapa [ tómale apa ? ]2 mochimal petldtiuitz aypa netlalolo piltzintli
cozolconoc ye cauolloc yeva aneado netti quiuetquilia tegogomoctli quaquapitzahuac (sic!)
yyau cana yani etc.
242. Auh3 yn quaquauhtzi (y)e contlaytlania y mexica yn covati ichan ompa valla y civapili
ytocan acxocueyttt ychpoch yn acolmiztli y mexica yn civatlanito navinti navintih ytoca
mixcovatl yaoteqva ynic ome calaomitl yq (e)y ytoca poyauh yc navi tecoyyantzi naviztin
tecoiyatzin6
243. conilhuia nopiltzigine tlatovanie ma xicmocaqti ca tictomaco y mocozq yn moqgal y civapitti
yn acxocoeytl auh ynic valmacoq (y)evatl ygivauh mochiuh yn quaquauhgin.
244. j Calli xiuitl yäcuicä yc yaotlatoqz quauhnauaca yniqualixtocaua? quauhnauaca tza-
qualtitla y chalco N0 iquac xitinqz quauquecholteca vnca motecaco macuilxochitl yn
tenochcatl caxtol(li) xivitl onca yn tetlamamacaya yn tlatilolco in oyuh omic yn tenoch
navui tochtli ypan i mie niman i(c) concauhq yn aoctle qvalcava y
tenoch ca yn tlatilolco.
245
245. auh (y)e valmotlalia yn acamapich macuill acatl xiuitl ypani
motlali ga mexica yn ipiltzin yn acamapich yc vtlaliq q iquac
[y]c cecni omotlaliq yn ixqch cavitl va(l)teyacan tenochca ga cen-
catca yn quauhquauhtzin yn tenochca macuil(li) acatl y motlali yn
acamapich y chiquacen tecpatl xivitl aoctle mochiuh y chicóme cali
antle mochiuh av i chicuey tochtli dtle mochiuh.
1 Von diesem Hymnus hat Ed. Seler einige kleine Teile
übersetzt, die hier mit herangezogen wurden. Der ganze
Gesang ist eine Art Heldenepos, das in dichterischer
Eorm die Schicksale, Leiden und Freuden, Kämpfe
und Niederlagen, schildert.
2 Der Text ist hier unsicher, weshalb von einer Über-
setzung dieser 3 Worte abgesehen wurde. Das Man.
Mex. 22bis hat an Stelle von „tamalcapa“ das Wort
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I 29
237. Während der Nacht, während des Kampfgetümmels,
Wälzten sich die Scharen der Mexikaner von Tigaapan Colhuacan.
Mit dem Schild überschritten die Mexikaner das Wasser,
Mit dem Speer überschritten die Alten das Wasser,
Dort zwischen dem Rohr.
238. Dann sagt der Mexikaner Ogelopan:
„Wie glücklich sind doch die edlen Herren Acolnauacatl und Tegogomoctli daran,
Die sich durch Bußübungen dieses Land verdienten.
Vielleicht ist (uns) günstig die Rede der Fürsten von Azcapotzalco. Refrain.
239. Wenn sich die Edlen nur nicht in das Land der Toten begeben!
Und der Tepanecatl Acacitli nur nicht mit euch ein Ende macht,
Und sich nur nicht Feindschaft und Krieg über uns herwälzen werden! Refrain.
240. In dieser Weise riefen sich die Mexikaner ihre Mühsale ins Gedächtnis, nachdem sich
König Quaquauhtzin als ihr Herrscher hingesetzt und die Chimalhuaca besiegt hatte.2
241. Dann singen sie, sie erheben ihre Stimme:
,,Schon erzürnten sich die Acolhuaque,
Sie beobachten von ferne.........
Deine Schilde blinken (im Sonnenlicht).
Alles läuft geschwind.
Die Kinder, die in der Wiege liegen, werden verlassen.
Wird er sie vielleicht wirklich regieren, Tegogomotczin Quaquauhpitzauac ?
Es kommen irgendwo Wanderer etc.
242. Indessen freien die Mexikaner für Quaquauhtzin in Couatl ichan. Von da kommt eine
Prinzessin namens Acxocueitl, die Tochter des Acolmiztli. Die Mexikaner, welche hin-
gingen und diePrinzessin freien, waren vier. Die Namen der vier (Brautwerber) waren:
[erstens] Mixcouatl, ein Häuptling, zweitens Calaomitl, drittens Poyauh, viertens
Tecuiyantzin.
243. Sie sagen: ,,Mein Fürst und Gebieter! Hört zu, denn wir sind hergekommen, um dein
Kleinod, deine Quetzalfeder von dir zu trennen, die Prinzessin Acxocueitl. Wir holen
sie, daß sie die Gemahlin des Quaquauhtzin werde.
244. Im Jahre 3 Haus rufen die Quauhnauaca zum erstenmale zu den Waffen. Die Quauh-
nauaca begehrten T zaqualtitlan von Chalco. Alsbald wurden die Quauhquecholteca völlig
geschlagen. Macuilxochitl setzte sich dort (als Herrscher) hin. Sechzehn Jahre waren
es gerade, daß die Tenochca Tribut lieferten dem Herrscher von Tlatelolco, als Tenoch
im Jahre 4 Kaninchen starb. Als er gestorben war, hörten die Tenochca damit auf, noch
irgend etwas nach Tlatelolco abzuliefern.
245. Dann setzte sich Acamapich (als Herrscher) hin. Es war im Jahre 5 Rohr, daß er sich
hinsetzte. Acamapich war ein mexikanischer Prinz. Als man ihn einsetzte, ließ man
sich an einer anderen Stelle nieder. Die ganze Zeit, während der die Tenochca regierten,
waren die Tenochca und Quaquauhtzin vereint beisammen. Im Jahre 5 Rohr setzte sich
Acamapich (als Herrscher) hin. Im Jahre 6 Feuerstein ereignete sich nichts. Im Jahre
7 Haus ereignete sich nichts. Im Jahre 8 Kaninchen ereignete sich nichts.
„Aztahuaca“.
Hier beginnt im
Schreibweise,
vgl- § 75-
Original wieder eine altertümliche
5 ,,navinti“ steht doppelt im Original.
6 „tecoiyatzinu steht gleichfalls doppelt im Original.
7 gleich „ynic quinal...“
130
ERNST MENGIN
246. chicnavi acati xivitl ypan ixitinq y chichimeca y metztitla onocan ynic yaq
ymaltepetlalito yn axca ve(l)on metztitla av i tlaxcalteca tenayocan onocan
onca yn ite eh tlaxcaltecatepetl av i vyzqloq ompa yaq y tliliuhqtepeque av
i gavateca ompa yaq y teopàtla ocan evaq y tenayocan nigavatlan.1
§ 246
247. av in matlactli tecpatl yquac oliq yn chichimeca y tenayocan onoca av i tec-
payocan onoca y vauhql y tlotli tectli ynic o(m)pa yaq y motogavica1 2 3 y
covati icamac y vauhql icha (y)evatl ompa tlatocayotito yn tecpayocan evac
chichimeca y matlactloge cali xivitl atle mochiuh? XII tochtli xivitl àtle
ypa mochùih matlactlomey acati atle ypà mochiuh.
248. Ce tecpatl yc poliuhqz mizquica. ome calli xiuitl yc poliuhqz chimalhuaqz. y ey tochtli
xiuitl yc velpopoliuhqz xochmilca yca momamal ytlatilulco teucalli yoà quauhtinchàtlaca4
quiquetz quaquauhtzi. Nani acati atle ypa mochiuh. Macuilli tecpatl yc po-
Ms. Mex. 22. Seite 22.
liuhqz cuitlauaqz ca. Chiquacen calli xiuitl yc xiti quauacatl ynic tepa moyauac. Chicóme
tochtli yc tapachiuhqz quiauhtica muchi popoliuh y chinamitl. Chicuey acati yc timayàqz
acpatlaolli atecocolli atetetzo yn quicuaqz5 mexica. chicuhnaui tecpa(il)xiuitl atle muchiuh.
Matlactli calli y quiz yn atl ycpani motete chinamitl. XI tochtli xiuitl atle muchiuh.
24g. XII aca(tl) xiuitl vnca miqco tenochtitlä tlatoani acamapichtli. XXI tlato[cJa? XIII
tecpatl atle vnca mochiuh (sic!).
250. Ce calli xiuitl atle muchiuh. ome tochtli xiuitl atle muchiuh. nauhxiuitl yn aiac tlatoani
catea tenochtitlä. T ey acail yc motlatocatlalli vitziliuitzi tenochtitlä. naui tecpatl (xiuitl)
atle mochiuh. 5 calli (xiuitl) atle muchiuh. VI tochtli (xiuitl) atle muchiuh. VII
a c atl (xiuitl) atle muchiuh. VIII te cp atl (xiuitl) atle muchiuh. IX calli (xiuitl) atle
muchiuh.
2p)i. X tochtli xiuitl yc poliuhqz quauhtinchantlaca vnca anoc y tlatoani tecuhtlacogauhcatzi
yoä yychpoch tepoxotzi yoä vnca popoyomictiloqz1 y mexica yn coyoacan mopiloa tonatiuh.
XI acatl (xiuitl) techpopoyomictiqz azcapotzalca. XII te cp atl (xiuitl) y quiualtzaqz8 y
choica. XIII calli(xiuitl) atle muchiuh.
252. ce tochtli(xiuitl) atle muchiuh. Omacatl xiuitl vnca molpi yxiuh mexica atle muchiuh.
111 te cp atl (xiuitl) atle muchiuh. IV calli (xiuitl) atle muchiuh. V tochtli (xiuitl) atle
muchiuh. VI acatl( xiuitl) atle mochiuh (sic!). VII te cp atl( xiuitl) yquac quicaualtiqz
yn atentli chalca yquac [uj^alcallaqz gä chiquacepoalticä toeniuh catea ye nocepa qui-
ualtzacuh.
1 Die Hieroglyphe § 246 trägt die Beischrift „Tenayoeä“.
2 gleich motocavica.
3 Hier endet im Original die altertümliche Schrift.
4 Sinngemäß ist zu Grunde gelegt „xochmilca yoä quauh-
tinchantlacada diese beiden Worte nicht hierher, son-
dern zu „xochmilca“ gehören.
5 gleich quiquaque.
6 „XXI tlato au steht im Original am Rand.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I31
246. Im Jahre 9 Rohr wurden die Chichimeca völlig geschlagen, welche in Metztitian wohnten.
Damals geschah es, daß sie fortzogen, daß sie hingingen, um ihre Wohnungen in der
Gegend zu errichten, die heute genau so Metztitian heißt. Die Tlaxcalteca, welche in
Tenayocan ansässig waren, dort bei dem T laxe alte ca-Gz birge und die Uizquiloque
begaben sich dorthin nach Tliliuhquitepec. Und die Cauateca gingen dorthin nach
Teopantla. Dort brachen sie auf in Tenayocan Nigauatlan.
247. Im Jahre 10 Feuerstein dann setzten sich die Chichimeca in Bewegung, welche in
Tenayocan lagen. Damals war es, daß die, welche in Tecpayocan lagen, Uauhquil und
Tlotli tectli nach der Gegend zogen, die den Namen Couatl ycamac führt, der Heimat,
des Uauhquil. Er geht hin und übernimmt dort die Herrschaft in T ecpayocan, nachdem
die Chichimeca aufgebrochen waren. Im Jahre 11 Haus ereignete sich nichts. Im Jahre
12 Kaninchen ereignete sich nichts. Im Jahre 13 Rohr ereignete sich nichts.
248. Im Jahre 1 Feuerstein gingen die Mizquica zu Grunde. Im Jahre 2 Haus gingen die
Chimalhuaque zu Grunde. Im Jahre 3 Kaninchen gingen die Xochmilca und die
Quauhtinchantlaca unter. Mit ihnen wurde der Tempel in Tlatelolco eingeweiht, den
Quaquauhtzin errichtete. Im Jahre 4 Rohr geschah nichts. Im Jahre 5 Feuerstein
gingen die Cuitlahuaca. zu Grunde. Im Jahre 6 Haus ging der Quauacatl zu Grunde
und verlor von da an sein Ansehen. Im Jahre 7 Kaninchen hatten wir eine Über-
schwemmung. Durch das Regenwasser wurden viele Umfriedungen verwüstet. 8 Rohr,
da hatten wir eine Hungersnot. Da aßen die Mexikaner Algengemüse, Muscheln und
Wasserschwämme. Im Jahre 9 Feuerstein ereignete sich nichts. Als im Jahre 10 Haus
das Wasser sich verlief, lagen die Umfriedungen verstreut auf der (Erd)oberfläche.
Im Jahre 11 Kaninchen ereignete sich nichts.
249. Im Jahre 12 Rohr stirbt in Tenochtitlan der Herrscher Acamapichtli. Er hatte 21 Jahre
regiert. 13 Feuerstein ereignete sich nichts da.
250. Im Jahre 1 Haus ereignete sich nichts. Im Jahre 2 Kaninchen ereignete sich nichts.
Vier Jahre gab es in Tenochtitlan keinen Herrscher. Im Jahre 3 Rohr da setzt sich
Uitziliuitzin in Tenochtitlan als Herrscher hin. Im Jahre 4 Feuerstein ereignete sich
nichts. Im Jahre 5 Haus ereignete sich nichts. Im Jahre 6 Kaninchen ereignete sich
nichts. Im Jahre 7 Rohr ereignete sich nichts. Im Jahre 8 Feuerstein ereignete sich
nichts. Im Jahre 9 Haus ereignete sich nichts.
251. Im Jahre 10 Kaninchen da gingen die Quauhtinchantlaca zu Grunde. Da wurden
(gefangen) genommen der Herrscher T ecuhtlacogauhcatzin und seine Tochter Te-
pexotzin und es wurden die Mexikaner in Coyoacan geopfert, als die Sonne sich neigte.
Im Jahre 11 Rohr opferten sie uns in Azcapotzalco. Im Jahre 12 Feuerstein empörten
sich die Chalca. Im Jahre 13 Haus ereignete sich nichts.
252. Im Jahre 1 Kaninchen ereignete sich nichts. Im Jahre 2 Rohr da vollzogen die Mexi-
kaner ihre Jahresbindung. Es ereignete sich nichts (weiter). Im Jahre 3 Feuerstein
ereignete sich nichts. Im Jahre 4 Haus ereignete sich nichts. Im Jahre 5 Kaninchen
ereignete sich nichts. Im Jahre 6 Rohr ereignete sich nichts. Im Jahre 7 Feuerstein
da traten wir den Chalca die Küste ab. Als sie noch einmal hier(bei uns) eintraten,
waren sie nur 120 (Tage) unsere Freunde; dann empörten sie sich wieder.
7 Mol. II. s. v. pupuyuti. añublarse el trigo etc. Praeteritum in § 252, „quiualtzacu“ od. . .tzauc regel-
8 Diese Form ist ungewöhnlich; man erwartet „tzaucqué“ mäßig gebildet.
vgl. Carochi II. Buch cap. 4; demgegenüber ist das 9 vgl. „valcalac“ § 264.
17 Baessler-Archiv.
132
ERNST MENGIN
253. Vili calli(xiuitl) vnca momiquilli y tlatoani tlatilulco quaquauhtzi ye poual xiuitl y
tlatocat quaquauhtzi yn ipilhua quaquauhtzi chicuey yn iacapa tlacateutzi yn oyuh omic
quaquauhtzi nime ye onmotlalli y tlacateutzi tlatilulco. yc ome ypiltzi qqutzi ytoca yao-
cuixtli ye Vacate cati y quitlatocatlalito mexicatzinco. ynic ey ypiltzi tegogomoctzi ye
tlacuchcalcati y còtlalito quauhtitla. ynic nani ypiltzi ciuatzìtli xiuhcoyolmaquiztli vnpa
vicoc y quechollac ynamic mochiuh itoca matlacaltzi. ynic V ga(n) no ciuatzintli ytoca
atotoztli vicoc totomiuaca yoquichhui muchiuh tochintecubili, ynic VI ypiltzi epcoatzi.
234. ynic VII chicome ciuatzintli ytoca vacaltzintli yoquichhui mochiuh tenochtitla tlatoani
yzcoatzi mopilhuatiqz quichiuhqz tigauatzi. yn tigauatzi toltitla tlatouani mochiuato y
tegogomoctzi tocuiltecatl yaotequiua yehuatl ynta y tlatoque yn otlatocaqz tenochtitla.
255. ynic Vili ypilzi (sic!) quaquauhzi ytoca matlaltzi. yc ome vnpa vicoc totomiuaca yo-
chuichhui mochiuh yztac coyoti yn oyuh omic quaquhzi valmotlalli yn ipiltzi tlacateutzi,
yn ovmotlalli nima ye quimana tlatocacalli yoà quiquani y tianquiztli vnca quimà yn
axca mani.
2$6. Chicuhnaui tochili(xiuitl) atle mochiuh. X acatl(xiuitl) atle mochiuh. XI tecpa(tl)
xiuitl vnca momiquili vitziliuitzi tenochtitla
Ms. Mex. 22. Seite 23.
tlatoani cempoual xiuitl omome yn tlatocat. Xll calli xiuitl yc poliuhqz tollantzinca.
XIII to chili ( xiuitl) atle mochiuh. nauh xiuitl cactimanca tenochtitla ayac tlatocat y
poliuhqz tollàtzinca ayac tlatoani.
257. Ce acatl(xiuitl) ynic motlatocatlalli chima(l)popocatzi. vme tecpatl (xiuitl) ynic yaqz
xaltocameqz motecato tlaxcalla. y ey calli(xiuitl) atle mochiuh. 4 tochtli xiuitl atle
mochiuh. 5 acati xiuitl atle mochiuh. VI tecpatl(xiuitl) atle mochiuh. VII calli xiuitl
atle mochiuh. Vili tochtli xiuitl atle mochiuh. IX acati xiuitl atle mochiuh. X tecpa(tl)
xiuitl yc poliuhqz auilizapaneca. XI calli(xiuitl) atle mochiuh.
258. Xll tochtli xiuitl vncan miquico tegogomoctzi azcapotzalco tlatoani no yquac poliuhqz
toltitlàcalqz no yquac mie y chimalpopocatzi moquech mecani nehuà yn itla[caJtecauh
miqz tlacatecatlteuhtleuacatzi momauhtiqz yaoyotica quitoqz capa titouicazqz ca ye toyaouh
y tepanecatl que ca toteicauh tlacateutzi ca ycha azcapotzalco aualnicanililoz}
259. XIII acati xiuitl ypan momiquili tlacateotzi no yquac mic yn acolhuaca tlatoani yxtlil-
xochitzi yquac valla negaualcoyotzin nica nemico mexico. cempoual xiuitl yn tlatocat
tlacateutzi. Ca no yquac xiuitl y ualmotlatocatlaliqz quauhtlatouatzi tlatilolco ytzcouatzi
tenochtitla.
260. Ce tecpa(tl) xiuitl poliuh tepanecatl yquac mic azcapotzalco tlatoani maxtlatzi gd e xiuitl
tlatocat azcapotzalco. In oyuh omic y maxtlato cuyouaca tlatoani gd comocuili y tlato-
caiotl gan ic omoteepae2 quiualolini y yaoiotl.3
mquan.
Zu Grunde gelegt ist : „no ce tecpatl
t
«t
UNOS ANNALES HISTÓRICOS HE LA NACION MEXICANA
133
253. Im Jahre 8 Haus da starb Quaquauhtzin, der König von Elatelolco. Quaquauhtzin
hatte 60 Jahre lang regiert. Quaquauhtzin hatte acht Kinder. Sein Erstgeborener war
Elacateotzin. Als Quaquauhtzin gestorben war, da setzte sich Elacateotzin in Elatelolco
(als Herrscher) hin. Den zweiten Sohn des Quaquauhtzin namens Taocuixtli tlacatecatl
setzte er in Mexicatzinco als Herrscher ein. Seinen dritten Sohn E'eqogomoctzin tlacoch-
calcatl setzte er zum Herrn über Quauhtitlan. Sein viertes Kind, die Prinzessin Xiuh-
coyolmaquiztli wurde nach Quechollac geholt. Es machte sie einer namens Matlacaltzin
zu seiner Gemahlin. Die fünfte war auch nur eine Prinzessin namens Atotoztli. Sie
wurde nach Eotomiuacan geholt und es machte sie zu seiner Gemahlin 1 ochintecuhtli.
Sein sechster Sohn war Epcoatzin.
254. Die siebente, eine Prinzessin mit Namen Uacaltzintli nahm Izcouatzin, der Herrscher
von 1enochtitlan zur Gemahlin. Nachdem sie sich vermählt hatten, zeugten sie Ei-
qauatzin. Dieser Eiqauatzin ging hin und machte sich zum Herrscher in Eoltitlan. Der
Prinz Eegoqomoctzin tocuiltecail'weet der (Stamm)vater der Herrscher, die in Eenochtitlan
regierten.
255. Das achte Kind des Quaquauhtzin mit Namen Matlaltzin wurde gleichfalls nach Eoto-
miuacan geholt. Es nahm sie Iztac coyotl zur Gemahlin. Als Quaquauhtzin gestorben
war, setzte sich sein Sohn Elacateotzin (als Herrscher) hin. Als er die Regierung über-
nommen hatte, errichtete er den Palast und verlegte den Markt dahin, wo er sich noch
jetzt befindet.
256. Im Jahre 9 Kaninchen ereignete sich nichts. Im Jahre 10 Rohr ereignete sich nichts.
Im Jahre 11 Feuerstein da starb der Herrscher Vitziliuitzin von 1enochtitlan. Er
hatte 22 Jahre regiert. Im Jahre 12 Haus gingen die Eollantzinca unter. Im Jahre
13 Kaninchen ereignete sich nichts. Vier Jahre lag Eenochtitlan verlassen da. Niemand
regierte. Als die Eollantzinca untergingen gab es keinen Herrscher.
257. Im Jahre 1 Rohr setzte sich Chimalpopocatzin als Herrscher hin. Im Jahre 2 Feuer-
stein da gingen die Xaltocameque weg und ließen sich in Elaxcallan nieder. Im Jahre
3 Haus ereignete sich nichts. Im Jahre 4 Kaninchen ereignete sich nichts. Im Jahre
5 Rohr ereignete sich nichts. Im Jahre 6 Feuerstein ereignete sich nichts. Im Jahre
7 Haus ereignete sich nichts. Im Jahre 8 Kaninchen ereignete sich nichts. Im Jahre
9 Rohr ereignete sich nichts. Im Jahre 10 Feuerstein da gingen die Auilizpaneca
unter. Im Jahre 11 Haus ereignete sich nichts.
258. Im Jahre 12 Kaninchen da starb Eeqoqomoctzin, der Herrscher von Azcapotzalco. Da
gingen auch die Eoltitlancalque zu Grunde. Auch starb da Chimalpopocatzin moquech-
mecaniy mit ihm starb sein General, der Elacatecatl Eeuhtleuacatzin. Sie fürchteten
sich vor dem Krieg und sagten: „Wohin werden wir gehen? Denn schon ist der
Eecpanecatl unser Feind. Auf welche (schimpfliche) Weise ist nicht unser jüngerer
Bruder Elacateotzin, der in Azcapotzalco wohnt, behandelt worden?“
259. Im Jahre 13 Rohr da starb Elacateotzin, da starb auch 1 xtlilxochitzin der Herrscher
von Colhuacan; da kam Neqaualcoyotzin und lebte hier in Mexiko. 20 Jahre war
Elacateotzin Herrscher. In dem gleichen Jahre setzten sich dann Quauhtlatouatzin
in Elatelolco und Itzcouatzin in Eenochtitlan als Herrscher hin.
260. Im Jahre 1 Feuerstein ging der Eepanecatl zu Grunde. Da starb in Azcapotzalco der
Herrscher Maxtlatzin, der nur drei Jahre in Azcapotzalco regiert hatte. Es starb (auch)
Maxtlaton, der Herrscher von Coyouacan, nachdem er sich die Herrschaft nur mit Gewalt
angeeignet hatte. Deswegen nur hatte er einen Krieg im Jahre 1 Feuerstein angestiftet,
3 Hie 18 Worte von „In oyuh“ bis „yaoiotlstehen im Original als Randbemerkung.
134
ERNST MENGIN
261. Onte calli xiuitl yc poliuhque coyoaqz no yquac coniuaqz tlatoqz quauhtlatoazi(sic !)
yzcoatzi mixcoatl yn upa coniuaqz1 yehuatl yn tlanelhuatito xilotepec. y ey tochtli xiuitl
ypa yc poliuhqz acolhuaqz.
262. Nau acati xiuitl yc motlato cadali ne c; anale oyotzi yni yehuatl contzinti conelhuaioti y
tecuhiotl tlatocaiotl acolhuaca yehuàtin quauhtlatoatzi yzcoatzi cótlatocatlaliqz y acolhuaca
yn oyuh còtlaliqz nimà yc yazqz y mexica ueuetqz y quinechicoto acolhuaqz ymitepa
moyauaqz nauhxiuhticà tecpichauhqz yn ocótlaliqz ne (¡anale oyotzi y quitlaocoliqz cal-
quetzato y mexica.1 2 *
2ÓJ. Macuilli tecpatl motlaçolteuuiqz matlatzinca ye yquac momayauac tepa xiti matlatzincatl
yaoyotl quichiuh ye yquac moyauaqz yn axca oc noça tepa moyauatoqz.
26/f. chiquacen calli(xiuitl) yca yquac poliuh quauhnauacatl. chicóme tochtli xiuitl yquac
valcalac y tepanecatl yn onoca quauhtlayetepec quin iquac
motlato cadali totoquiuatzi tlacopa? qui yehuatl còtzinti conel-
huaioti y tlatocayotl No yquac xitinqz y totomiuaqz tepa may-
's i E1-1 J auaqz. chicuey acati xiuitl yca ye mononotza quauhtlatoazi
/~\ yzcoatzi y quiquetzato mexica calpolli tlacateco yn ucà tigaapa.
chicuhnaui tecpa(tl) xiuitl atle mochiuh. matlactli calli xiuitl
yc mictiloc cuitlauac tlatoani quauhtemoctzi. matlactloce tochtli
264
(xiuitl) atle mochiuh.
265. matlactlomome aca(tl) xiuitl vnca mie ytzcoatzi matlac(tli) xiuitl omey tlatocat. Matlac-
tlomey tecpatl(xiuitl) motlatocatlalli y ueue Motecuh(¡oma(¡i.
266. Ce calli xiuitl yc poliuh quauhtepec vnca tlatoani catea cuetzpaltzi Ome tochtli xiuitl yc
poliuh oztoticpac tlacatl vnca mie ceollintecubili Atle mochiuh y ei acati xiuitl atle mochiuh
naui tecpatl xiuitl macuilli calli xiuitl anotle mochiuh. Chiquace tochtli xiuitl anotle
mochiuh. Chicóme acati xiuitl anotle mochiuh. Chicuey tecpatl (xiuitl) anotle mochiuh.
chicuhnaui calli xiuitl anotle mochiuh. Matlactli tochtli xiuitl mayanqz yn atlà onoqz
y ye yxquich
Ms. Mex. 22. Seite 24.
atlanchaneque y michi y cuiatl axolotl etc. Matlactloçe acati xiuitl çeuetzico yaualiui
toctli çeuechililloc. Matlactlomome tecpa(tl) xiuitl yc opa çeuechililloc toctli ça no yaualiui
ceuetz. Matlactlomey calli xiuitl no çeuetz tecuylhuitfi ypa xillotomactli çeuechilliloc ypâ
iquac tlallolli tzatzayâ y dalli xixiti y chinamitl ye yquac no nenanamacoc mayanaliztica.
267. çe tochtli xiuitl y nima aoc moquiauh yquac xitinqz mexica maianaliztica quauhtica
anotiaqz mexica Om(e) acati xiuitl yquac quiauico no yquac molpili yn ixiuh yn oquiauh
ayac tocac y tlaolli y chia yn auauhtld yn ayotli ayac quitocac ca nouiâ i yxuac y tepetitech
yn otlica ye yquac veueix yn îtequiuh y couixca yn ipàpa ynic techteumictiqz ynic quin-
couhqz mexica yniquac mayâqz y cana çêtecpantli cana matlactli quítevmictiaya [ynic
quicouhque Mexica yhquac mayanaliztli ypâ mochiuh quiteuhmictique Mexica yn]6
quimiquac veyx yn îtequiuh y ye chalchiuhtequiti y ye quetzaltequiti ynin couixca amo
1 hier endet das abgerissene Blatt.
2 Die 8 Worte von „yn ocdtlaliqz“ bis „mexica“ stehen
als Randnote.
3 Die 3 Worte „motlatocatlali totoquiuatzin tlacopa“ stehen
zugleich als Beischrift bei der Elieroglyphe zu § 264.
4 Gemeint ist das „Uei Tecuilhuitl“, das Fest des jungen
i35
UNOS ANNALES HISTÖRICOS DE LA NACION MEX1CANA
261. Im JahrezHaus gingen di eCoyouaque zu Grunde, als die Herrscher Quauhtlatouatzin und
Itzcouatzin dznMixcouatl sandten. Als sie ihn gesandt hatten, ging er hin und begründete
das Herrscherhaus in Xilotepec. Im Jahre 3 Kaninchen gingen dizAcolhuaque zu Grunde.
262. Im Jahre 4 Rohr setzte sich Negaualcoyotzin als Herrscher hin; da begann und be-
gründete er die Herrschaft, das Königtum in Acolhuacan. Quauhtlatouatzin und
Itzcouatzin waren es, die ihn als Herrscher hinsetzten nach Colhuacan. Als sie ihn in
Acolhuacan als Herrscher eingesetzt hatten, kamen die alten Mexikaner und sammelten
die Acolhuaque, die sich zerstreut hatten. Es dauerte vier Jahre, bis man sie wieder
gesammelt hatte. Als man Negaualcoyotzin zum Herrscher eingesetzt hatte, waren es
die Mexikaner, die ihm Beistand leisteten und hingingen und ihm Häuser errichteten.
263. Im Jahre 5 Feuerstein da gaben sich die Matlatzinca Ausschweifungen hin; es war
damals, daß der Matlatzincatl sein Ansehen einbüßte und völlig unterging, als er Krieg
anfing. Damals zerstreuten sie sich, die noch jetzt in der Zerstreuung bei anderen leben.
264. Im Jahre 6 Haus ging der Quauhnauacatl zu Grunde. Im Jahre 7 Kaninchen da trat
der Tepanecatl ein, der in Quauhtlayetepec lag; da setzte sich Totoquiuatzin in Tlacopan
als Herrscher hin; er ist derselbe, der die Herrscherreihe, das Königtum begründet hat.
Da gingen auch die Totomiuaque völlig unter und verloren ihr Ansehen, Im Jahre
8 Rohr beratschlagten sich Quauhtlatouatzin und Itzcouatzin; damals errichteten die
Mexikaner den Tempel Tlacatecco dort in Tigaapan. Im Jahre 9 Feuerstein ereignete
sich nichts. Im Jahre 10 Haus wurde der Herrscher von Cuitlauac, Quauhtemoctzin,
getötet. Im Jahre 11 Kaninchen ereignete sich nichts.
265. Im Jahre 12 Rohr starb Itzcouatzin. Er hatte 13 Jahre regiert. Im Jahre 13 Feuer-
stein setzte sich Ueue Motecugomatzin als Herrscher hin.
266. Im Jahre 1 Haus ging Cuetzpaltzin, der Herrscher von Quauhtepec unter. Im Jahre
2 Kaninchen ging der Herr von Oztoticpac unter, da starb Ceollintecuhtli. Es ereignete
sich nichts im Jahre 3 Rohr. Es ereignete sich nichts im Jahre 4 Feuerstein. Im Jahre
5 Haus geschah auch nichts. Im Jahre 6 Kaninchen ereignete sich nichts. Im Jahre
7 Rohr geschah auch nichts. Im Jahre 8 Feuerstein geschah auch nichts. Im Jahre
9 Haus geschah auch nichts. Im Jahre 10 Kaninchen gab es eine Hungersnot. Da
lagen tot auf der Wasser(oberfläche) alle Bewohner des Wassers: die Fische, die
Frösche, die froschartigen Reptilien etc. Im Jahre 11 Rohr gab es Frost. Da erfror
die keimende Maissaat. Im Jahre 12 Feuerstein gab es wieder Frost und der Mais
erfror gerade als er keimte. Im Jahre 13 Haus gab es Frost noch am „Herrenfest“;4
da erfror der schon dicke Mais. In diesem (Jahre) gab es auch Erdbeben, da bekam die
Erde Risse und die Umfriedungen stürzten zusammen, da verdingte man sich umsonst
während der Hungersnot.
267. Im Jahre 1 Kaninchen regnete es nicht mehr (d. h. es gab Dürre). Da gerieten die
Mexikaner in Unordnung infolge der Hungersnot und die Mexikaner gingen nicht
mehr auf die Felder. Im Jahre 2 Rohr da regnete es, da vollzog man die Jahresbindung
und da es regnete, säte keiner, Mais, Chian, Melden und Wassermelonen, die keiner
gesät hatte, keimten allenthalben; es keimte auf den Höhen und auf den Wegen. Da-
mals erhöhte man den Tribut der Couixca, weil sie uns opferten, weil sie während der
Hungersnot Mexikaner kauften. An einer Stelle opferten sie zwanzig, an einer anderen
das in [] Klammern findet sich nicht im Original; es
ist aus Man. Mex. 22bls S. 37 ergänzt.
Maises, das 8. Jahresfest.
5 Man erwartet ,,uauhtliMelde.
136
ERNST MENGIN
ytepeual y mexicatl ga1- onictlaueuechiuhqz y quauhnauac tlatoqz ye ueuechiudiloqz tla-
tilulco Üatoani tlacateutzi tenochtitla chimalpopocatzi.
268. y ey tecpatl amotle mochiuh. nani calli amotle mochiuh. maculili tochtli xiuitl ye poliuhqz
Cohuayxtlauaqz. chiquace acati xiuitl a[mjotle mochiuh. chicóme tecpa(tl) xiuitl amotle
mochiuh. chicuey calli xiuitl yquac poliuhqz quauhtochca. chicuhnaui tochtli xiuitl
amotle mochiuh.
269. Matlactli acatl(xiuitl) ye poliuhqz Cuetlaxteca tlacatecati[c] moquiuitzi tzonpd tecuhtli
amo no yehud tenochca gan ineyxcauil y moquiuixtzi (¡a v attillo qz y tenochca quiualyacd-
tiquizqz y tlatoqz quiyacätiuia yehuatl quimalilttt ueue motecuhgomatzi y genquigato y
tlaxcaltecatl y vexotzincatl y chololtecatl yn cuetlaxtla yn ititla veue motecuzoma(tzin)
ytoca chichimecatecuhtli y quimócuepato tenochca yn chichimecateutl yyxpd y ya cuetlaxte-
catl quiuicatine[n] yn moquiuitzi yn tenochcatl y ga moteuicalti tlatilulco yniqc vnpoliuh
cuetlaxtecatl niman ye nemalpoalo yn imalhua tlatilulco tehoa mopouhque centzótli
omatlactli ga no yehuatl quiualitquic y malpoualli chichimecateutli. Auh y vexotzincatl
tlaxcaltecatl chololtecatl y quimanauizquia cuetlaxtecatl yod mie yod maltic.
2yo. ynin mochiuh yz ca ycuicayo [cuicatl tecuicati ín tlatilulcatl ye tenahualahuac]3 tonilhui
goloa y timoquiuitzi ye no ydcuic tiemana aynilhuicatlo ynaualtzonpa y tetzauitli nepdpd
tlacatl ycali quiquania vexotzincatli y tlaxc alte catti y chololtecatli y cuetlaxte catta ouaya
ouaya. Auh yz ca y quimonauac moquiuitzi tlaxcalteca vexotzíca chololteca Aayye
ayayy topal yttamalo yztac coyoto ticinotzaloco ye cuetlaxtla nimd cozcatl nimd yquetzal
nima ye quitlani [in itlaxtlanil_/4 yyyaye yztlacatigipil y xayaca macha ayav ayoayia.
2JI. ycuepca yz mano ye yui ma ne
Ms. Mex. 22. Seite 25.
yollica y tiquinpatiay catlin Atonal catlin atona [amotatontli_/4 tequanehuatl yyaye.
1 gan ic ti ...
Zugrunde gelegt nach der Kopie 22bis S.37 „quimauhti
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
137
Stelle zehn [weil sie die Mexikaner in der Zeit der Hungersnot kauften. Damals ge-
schah es, daß sie die Mexikaner opferten.] Damals erhöhte sich ihr Tribut und sie
begannen als Abgaben zu entrichten Jadesteine und Quetzalfedern. Diese Couixca
waren nicht eine Eroberung des Mexicatl. Nur ließen die Herren von Quauhnauac
sie am Gewinn teilnehmen. Es wurden zu Teilhabern (am Tribut) gemacht Tlacateotl,
der Herrscher von Jlatelolco und Chimalpopocatzin (der Herrscher) von J enochtitlan.
268. Im (Jahre) 3 Feuerstein ereignete sich nichts. Im (Jahre) 4 Haus ereignete sich nichts.
Im Jahre 5 Kaninchen gingen die Couayxtlauaque zu Grunde. Im Jahre 6 Rohr er-
eignete sich nichts. Im Jahre 7 Feuerstein ereignete sich nichts. Im Jahre 8 Haus
gingen die Quauhtochca zu Grunde. Im Jahre 9 Kaninchen ereignete sich nichts.
269. Im Jahre 10 Rohr gingen die Cuetlaxteca zu Grunde. Moquiuixtzin, der Herr von
Jzompan, ist Befehlshaber. Doch waren es nicht sie selbst die Jenochca, sie waren
nur das Gefolge des Moquiuixtzin. Die Jenochca kehrten nur so zurück, die Herren
gaben ihnen in Eile das Geleite. Der Ueue Motecuhgomatzin, der sie befehligte, er
selbst schüchterte sie ein, weil der Jlaxe alte catl, der Uexotzincatl und der Chololtecatl
sich in Cuetlaxtlan vereinigten. Der Abgesandte des Ueue Motecuhgomatzin namens
Chichimecatecuhtli war es, der die Jenochca zur Rückkehr veranlaßte. Es geschah unter
den Augen des Chichimecatecuhtli, daß der Cuetlaxtecatl abmarschierte, zurückgeführt
von Moquiuixtzin. Der Jenochcatl ging nur unter Bedeckung nach Jlatelolco. Nach-
dem der Cuetlaxtecatl vernichtet worden war, wurden die Gefangenen gezählt. Die
(Gefangenen) von Jlatelolco zusammengezählt mit den anderen beliefen sich auf 410.
Chichimecatecuhtli führte allein die gezählten Gefangenen zurück. Und der Uexotzincatl,
der J laxe alte catl und der Chololtecatl, welche den Cuetlaxtecatl verteidigten sollten,
wurden dabei getötet oder gefangen genommen.
270. Hier ist ihr Siegeslied, das sie sangen, als sich dies begeben hatte, (der Gesang, den der
Jlatelolcatl anstimmte, um (gleichzeitig) einen zu verspotten):
„Tatenlos schleppen wir unsere Tage dahin;
Da breitest du, Moquiuix, einen neuen tätigen Himmel,
Ein verkleidetes Schädelgerüst hin,
Für den „Gott des unheilvollen Vorzeichens“ (d. i. Uitzilopochtli).
Ihm, dem Herrn zuliebe, kämpft man,
Vertilgt man den Uexotzincatl, den Jlaxcaltecatl, den Chololtecatl
Und den Cuetlaxtecatl. Refrain.
Und siehe, wie Moquiuix zurechtwies die J laxe alte ca,
Die Uexotzinca und Chololteca! Refrain.
Mit unserer Hilfe wurden Gefangene gemacht.
Der Tztac coyotl geht hin und man ruft nach dem Medizinmann.
Dann bat er um das Kleinod, dann um seinen Sohn, seinen Lohn. Refrain.
Es ist nur eines Lügenmedizinmännleins Gesicht
Seine Antwort, wie man sieht. Refrain.
271. Hierdurch werden sie dazu bewogen (in den Krieg zu ziehen).
Mögen sie nur auferstehen, die wir heilen!
Wo ist Atonal, wo ist Atonal? Euer Väterchen Jequanehuatl? Refrain.
3 Das Eingeklammerte steht nicht im Original S. 37, 4 Undeutlich im Original, daher in [] gesetzt,
sondern Man. Mex. 22bis S. 38.
138 ERNST MENGIN
272. yztlacati^ipil y xayaca macha ayao ay yn tinoticitzi teno^elotl quil temotlatoltzi ymc
poyomiqz y mexicatl oztoticpac auili^apa ye cuetlaxtla telateca ye anquitzaqua amoztlacate
amoztlacatlatol ma(o xicauaca amoztlacate amoztlacatlatol yyao.1
273. Matlactlo^e tecpa(tl) xiuitl ye yaqz chalca ye omixtlatiqz quauhtla y calac Atle mochiuh
matlactlome calli xiuitl. Matlactlomey tochtli xiuitl ye poliuhqz2 tepeyacacalqz vnca mic
tlatoani chichtli ynca moma tzonpantli ynca momamal couacalli tlatilulco.
S 275
274. Ce acati xiuitl ye miquico quauhtlatouatzi tlatilulco tlatoani.
vmpoual xiuitl oce tlatocat tlatilulco $a no yquac vnmotlato-
catlalli y tzopantecuhtli moquiuitzi tlatilulco.
275. vme tecpa(tl) xiuitl yc momiquili veue motecuh^omatzi cem-
pohual xiuitl vnchicuhnaui tlatocat y ey calli xiuitl yc
motlatocatlalli axayacatzi. Naui tochtli xiuitl atle mochiuh.
Macuilli acatl xiuitl amomotle mochiuh. Chiquagen tecpa(tl)
xiuitl y quimictique y queuacatzi ye tlatoani yezquia
tenochtitla.
2p6. Chicome calli xiuitl yc mixnamiqz tlatilulco tenochca vnca
momiquilli moquiuitzi <;a no chico(me) xiuitl y tlatocat
moquiuitzi ga no yquac valmotecuhtlalli y tlauelloctzi. Chicuey
tochtli xiuitl atle mochiuh. Chicuhnaui acatl xiuitl yc
poliuhqz matlatzinca. Matlactli tecpatl xiuitl yc poliuhqz
ocuilteca. Matlactloce calli(xiuitl) atle mochiuh. matlactlo-
mome tochtli(xiuitl) amotle mochiuh. Matlactlomey acatl-
(xiuitl) atle mochiuh.
277. Ce tecpatl (xiuitl) atle mochiuh. Ome calli xiuitl yc mic
axayacatzi. matlac(tli) xiuitl omey tlatocat.
2p8. y ey tochtli xiuitl yc omotlatocatlalli tifoficatzi tenochtitla. Nau(i) acatl xiuitl y cotzinti
teucalli tenochtitla. Macuilli tecpa(tl) xiuitl yc techpoyomictique oztoticpactlaca yoa
tozteca <;a niman no yquac poliuhque (¡a no yquac quiualtzaque3 yn (chic)pantlaca vepanato
ytzmiquilpa aueuetl y quiuillanato y tlaquetzallo yezquia yteucal vitzilopochtli y no
vmotlatziuhcaneque contlatiqz yn iuepamecauh y(c) quhialtzaqz.
279. Chiqua^en calli xiuitl yc omic ti^ocicatzi. nau(i) xiuitl yn otlatocat. Chicon y cozcaquauh-
yoc quicauhtiuh y teucalli.
1 Zum Verständnis dieser Hymne ist es notwendig, sich
an das Wahrsagewesen im alten Mexiko zu erinnern.
Kein irgendwie wichtiger Schritt im Leben des Ein-
zelnen, wie des Stammes wurde unternommen ohne
vorherige Befragung des Wahrsagers. In erster Linie
galt dies auch von Kriegshandlungen, die nur unter-
nommen wurden, wenn der Wahrsager einen sieg-
reichen Ausgang veraussagte. So konnte es Vorkommen,
daß die Wahrsager zweier verschiedener, sich be-
fehdender Stämme, gleichzeitig ihren Befragern einen
siegreichen Ausgang des Krieges prophezeiten, weshalb
sich der Orakelspruch des einen hinterher als falsch
herausstellte. Dies hatte aber zur Eolge, daß er den
Spott des siegreichen Gegners über sich ergehen lassen
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
139
272. Es ist nur eines Lügenmedizinmännchens Gesicht,
Wie man sieht. Refrain.
(Aber) du, der du mein Medizinmann bist,
Du, Ogelotl, (dich) rühmt man, daß du dein Wort gehalten hast,
Als die Mexikaner geopfert wurden in Oztoticpac, Auiligapan
Und Cuetlaxtlan telateca\ alsdann
Macht ihr Schluß mit eurem Lügenmaul, eurem Lügengeschwätz;
Da laßt nur bleiben euer Lügenmaul, euer Lügengeschwätz !al
273. Im Jahre 11 Feuerstein, da zogen die Chalca fort, weil man ihr Land verwüstete und
zogen sich in den Wald zurück. Im Jahre 12 Haus ereignete sich nichts. Im Jahre
13 Kaninchen, da gingen die A epeyacalque zu Grunde, Da starb der Herrscher
Chichtli. Mit ihnen (d. h. unter ihrer Zuhilfenahme als Opfer) wurde der Azompantli-
Tempel und das Schlangenhaus in Alatelolco eingeweiht.
274. Im Jahre 1 Rohr starb Quauhtlatouatzin, der Herrscher von Alatelolco. Er hatte
21 Jahre in Alatelolco regiert. Dann setzt sich Azompantecuhtli Moquiuix als Herrscher
in Alatelolco hin.
275. Im Jahre 2 Feuerstein da starb der Ueue Motecuhgomatzin. Er hatte 29 Jahre regiert.
Im Jahre 3 Haus da setzt sich Axayacatzin als Herrscher hin. Jahr 4 Kaninchen er-
eignete sich nichts. Jahr 5 Rohr ereignete sich nichts. Jahr 6 Feuerstein tötete man
Queuacatzin, der König von Aenochtitlan werden sollte.
276. Im Jahre 7 Haus da stritten sich die Aenochca in Alatelolco. Da starb Moquiuixtin.
Nur im Jahre 7 Haus war Moquiuixtzin Herrscher. Dann setzte sich Alauelloctzin
als Herrscher hin. Jahr 8 Kaninchen ereignete sich nichts. Jahr 9 Rohr da gingen
die Matlatzinca unter. Jahr 10 Feuerstein da gingen die Ocuilteca unter, Jahr 11 Haus
ereignete sich nichts, Jahr 12 Kaninchen ereignete sich nichts. Jahr 13 Rohr ereignete
sich nichts.
277. Jahr 1 Feuerstein ereignete sich nichts. Jahr 2 Haus da starb Axayacatzin. Er hatte
13 Jahre regiert.
278. Jahr 3 Kaninchen da setzte sich Aigogicatzin als Herrscher in Aenochtitlan hin. Jahr
4 Rohr da begann man den Tempel in Aenochtitlan. Jahr 5 Feuerstein da opferten uns
die Oztoticpactlaca und Aozteca. Da gingen auch die Chicpantlaca zu Grunde, weil sie
sich empört hatten. Sie mußten in Itzmiquilpan Balken schleppen; sie mußten Zypressen
schleppen, die als Pfeiler des Tempels des Uitzilopochtli dienen sollten und da sie träge
waren, verbrannte man ihre Taue. Deshalb erhoben sie sich.
279. Jahr 6 Haus da starb Aigogicatzin. Er hatte 4 Jahre regiert. Am Tage 7 Halsbandadler
stellte man die Arbeiten am Tempel ein.
mußte. Ein solcher Fall liegt unserer Hymne zu
Grunde, die nicht nur ein Triumphlied ist, das den Sieg
des Moquiuix über die Cuetlaxteca verherrlicht, sondern
zugleich ein Spottlied, das den eigenen tüchtigen
ticitl oder Medizinmann (so übersetzt schon Seler in
seinem Sahagunwerk, Seite 363, treffend dieses az-
tekische Wort) preist, während es den gegnerischen
iS Baeßler-Archiv
Wahrsager höhnisch als einen iztlacati—ticitl — pil,
was wörtlich mit ,,Lügen-Medizinmänn-lein” zu über-
setzen ist, abtut.
2 Hier findet sich folgende spanische Notiz am inneren
Rande: en esta guerra tubieron mucha puja los tlatelolcas
— muere quauhtlava y entra moquihuix.
3 vgl. Anm. zu § 251/252.
140 ERNST MENGIN
280. Chicon tochtli xiuitl yc -valmotlalli auitzotzi qui ye quipantlaz y teucalli. chicuei acatl
xiuitl yc momamal y teucalli tenochtitl ynca momal tziuhcoaca vnca mic magatltecuhtli
nehod ychpoch. Chicuhnaui tecpa(tl) xiuitl vnca poliuhqz coyollapaneca ga no yquac
momiquili tlacatecuhtzi tlauelvetzi Ca no yquac caxtol(li) xiuitl yn intlapix.
Ms. Mex. 22. Seite 26.
valmotlalli giuac popocatzi tlacatecatzintli. Matlactli calli xiuitl yea yquac poliuhque
cozcaquauhtenanca. Matlactl oce tochtli xiuitl yc poliuhqz chiapaneca. Matlactlomome
acatl xiuitl atle mochiuh. Matlactlomey tecpa(tl) xiuitl atle mochiuh.
281. Ce calli xiuitl atle mochiuh. Ome tochtli xiuitl yquac mixnamiqz Chololteca tepeacalqz.
y ey acatl(xiuitl) atle mochiuh. Naui tecpa(tl) xiuitl mochiuh ypa gan ic valmoma yn
tonatiuh ye quallo veltlayouac nezqz y gigitlalti. Macuilli calli xiuitl yc poliuhqz Amasteca
yod xochtlantlaca. Chiquagen tochtli yea yquac yaotlato Avitzotzi yn tequantepec ye
xiquipilli ypa nauhtzotli y yaomiquito ynic mochin apanecan.1
Acuecuexal
§ 282
282. Chicomaca(tl) xiuitl yquac peuh motlagolteuuia2 vexotzica chiauh-
tzinco peuh toltecatzin tlatoani y toltecatzi mexico nica nemico no
yquac moquetz yn acuecuexatl. Chicuey tecpatl(xiuitl) yc moquetz
tetenamitl yn atlitic. Chicuhnaui calli atle mochiuh.
28j. matlactli tochtli xiuitl ypa mic Auitzotzi caxtol(li) xiuitl omome
tlatocat auitzotzi3 ga(n) no yquac valmotlalli y motecuhgomatzi.
284. matlactloce acatl(xiuitl) atle mochiuh. matlactlomome tecpatl xiuitl yc
poliuhqui achioteca. Matlactlomey cal(l)i (xiuitl) yquac poliuhqz
Cogolteca ye no yquac y mayanaloc tlaolmamaloc totonacapa y moteneva netotonacauiloc.
285. Ce tochtli xiuitl yea moquetzaya ayotli chapoltepec no yquac mic tziuacpopocatzi tlatilulco
tlacatecatzintli. Caxtol(li) xiuitl on naui y nonte(y)aca. valmotlaliqz tlacatecuhzi4
yolloquanitzi tlacuchcalcati ytzquauhtzi. Omacatl xiuitl yquac molpi xiuitl yquac poliuhqz
tecuhtepeca. Y ey tecpatl xiuitl atle mochiuh. Naui calli xiuitl yquac poliuhqz amatlan-
ilaca. Macuilli tochtli xiuitl yquac yaque ycpatepeca. Chiquacen aca(tl) xiuitl atle
mochiuh. Chicome tecpa(tl) xiuitl ypa yc nequequetzaloc togac yquac viloaya golla.
Chicue(i) calli (xiuitl) atle mochiuh. Chicuhnaui tochtli xiuitl yquac poliuhqz cuezcoma
yxtlauaque. Matlactli acatl xiuitl yquac val[cJallacqz vexotzinca no yquac tlalpoliui
yztac tlalloca
Ms. Mex. 22. Seite 27.
Matlactloce tecpatl(xiuitl)atle mochiuh.
286. Matlactlomome calli(xiuitl) yquac auayoca yxpoliuhqz tenochca etzontli miquito5 ga ye
no yquac yn tlatilulco totogacatzi tlacatecatl teu(i)tualco mic vexotzinco canazquia Camaxtle
vnpa tonoqz titlatilulca tiyaotlapiato y uexotzinco tiquipia yn tlaxcalteca. ga no yquac
valmotzacuh y vexotzinca nied totla(n) ne(n)ca vexotzincatl ye nocepa tecallaquiloc ynic
yequene quiualtzacuh.
1 Elier steht folgende spanische Bemerkung am äußeren
Rand: mueren veynte y cynco mil seys cientos de los
que fueron contra los de '„equantepec — muere tzihuac-
popoca Sor de tlatilolco.
2 Zugrunde gelegt ist . . teuhtia“.
3 Hier findet sich folgende spanische Notiz: aqui muere
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
141
280, Im Jahre 7 Kaninchen da setzte sich Auitzotzin als Herrscher hin; er war es, der den
Tempel vollendete (wörtl. höher baute). Im Jahre 8 Rohr da wurde der Tempel in
A enochtitlan eingeweiht. Er wurde mit Leuten von Aziuhcouacan eingeweiht. Da
starb der Sohn des Ma^altecuhtli. Im Jahre 9 Feuerstein da gingen die Coyolapaneca
zu Grunde. Da starb auch der tlacatecuhtzin Alaueluetzin. Nur 15 Jahre hatte er die
Herrschaft ausgeübt (wörtl. bewahrt) und es setzte sich danach der Alacatecatzintli
Aziuac Popocatzin als Herrscher hin. Im Jahre 10 Haus da gingen die Coscaquauhte-
nanca zu Grunde. Im Jahre 11 Kaninchen da gingen die Chiapaneca zu Grunde. Jahr
12 Rohr ereignete sich nichts. Jahr 13 Feuerstein ereignete sich nichts.
281. Jahr 1 Haus ereignete sich nichts. Jahr 2 Kaninchen da gerieten die Chololteca mit
den Aepeacalque in Streit. Jahr 3 Rohr ereignete sich nichts. Jahr 4 Feuerstein damals
ereignete sich nur, daß die Sonne nach ihrem Aufgang sich verfinsterte (wörtl. [vom
Jaguar] gefressen wurde); es wurde dunkel und die Sterne wurden sichtbar. Jahr
5 Haus, da gingen die Amaxteca und die Xochitlantlaca zu Grunde. Jahr 6 Kaninchen
da erklärte Auitzotzin A equantepec den Krieg. 25600 fielen damals im Kriege, alle in
Apanecan.1
282. Im Jahre 7 Rohr da begannen die Vexotzinca sich zu erheben. Aoltecatzin begann als
Herrscher in Chiauhtzinco. Aoltecatzin lebt dann hier in Mexico. Dann erhebt sich der
Acuecuexatl. Im Jahre 8 Feuerstein wurde eine steinerne Mauer (Damm) im Wasser
errichtet. Jahr 9 Haus ereignete sich nichts.
283. Jahr 10 Kaninchen da starb Auitzotzin. Auitzotzin hatte 17 Jahre regiert. Dann
setzte sich Motecuh^omatzin allein (als Herrscher) hin.
284. Jahr 11 Rohr ereignete sich nichts. Jahr 12 Feuerstein da gingen die Achioteca zu
Grunde. Jahr 13 Haus da gingen die Cofolteca unter; da war Hungersnot und man
führte Mais aus Aotonacapan ein, weshalb man sagt „man geht zu den Aotonaca“.
285. Im Jahre 1 Kaninchen da baute man einen Kanal in Chapoltepec. Da starb auch der
Alacatecatzintli Aziuacpopocatzin von Alatelolco.4 19 Jahre lang war er Gouverneur
gewesen. Da setzten sich (als Gouverneure) hin der edle Herr Tolloquanitzin und der
Alacochcalcatl Itzquauhtzin. Im Jahre 2 Rohr da vollzog man die Jahresbindung. Da
gingen die Aecuhtepeca zu Grunde. Jahr 3 Rohr ereignete sich nichts. Jahr 4 Haus
da gingen die Amatlantlaca zu Grunde. Jahr 5 Kaninchen da gingen die Icpactepeca.
Jahr 6 Rohr ereignete sich nichts. Jahr 7 Feuerstein, in diesem erhob man sich in Aozac.
Da gingen alle nach Collan. Jahr 8 Haus ereignete sich nichts. Jahr 9 Kaninchen da
gingen die Cuezcoma ixtlauaque zu Grunde. Jahr 10 Rohr da unterwarfen sich die
Uexotzinca; da verwüstete man das Land in Iztac tlallocan. Jahr 11 Feuerstein er-
eignete sich nichts.
286. Jahr 12 Haus da vernichteten sich die Auayoca und Aenochca gegenseitig. Da fielen
1200.5 Da starb auch (den Opfertod) Aotoqacatzin, der Herr von Alatelolco im könig-
lichen Hof in Uexotzinco. Er wird dem Camaxtli geopfert. Wir Alatelolca lagen in
Uexotzinco, um dort Schildwache zu stehen und um die Alaxcalteca zu bewachen.
Es war damals, daß die Uexotzinca sich empörten, der Uexotzincatl der hier mit uns
zusammen wohnt. Er wurde nochmals unterworfen, weil er sich abermals empört hatte.
ahuizotl. 5 Am inneren Rand steht hier folgende spanische Bemer-
4 Hier findet sich die folgende spanische Notiz: aqui kung: mueren en esta guerra mil y dolientes mexicanos;
muere cihuacpopoca señor de tlatilolco. van soldados de presidio a huexotzco, son tlatelolcas,
18*
142
ERNST MENGIN
28 y. Matlactlomey tochtli xiuitl yquitoqzi1 spañoles alla no yquac miquito mexica tloapa.1 2
288. Ce acati xiuitl ipä quigato spañoles3 y tecpä tlayacac. nima ye ic vitz yn capita(n) yniquac
oquigaco tecpa tlayacac nima ye quinamiqui cuetlaxtecatl ye ucä quimamaca y teocuitla-
tonatiuh centetl costic centetl yztac yoä tezcacuitlapilli yoä teucuitlaquaapaztli teucui-
tlaquatecugiztli yoä quetzallapanecayotl epchimalli4 yn capitan yxpan tlamictiloc
ye[y]e y[n] quallan yn eztli quauhxi calti ca quimacaya capita(n) ye[y]e yc quimicti
yn eztli quimacaya quiuitec espadatica ye[y]e yc xitinque y tenamique ynhin yxquich.
28g. quimamacato Capitan ymoma5 motecuzoma ga ye y(c) quilotiz y capitan yehuatl ytequiuh
moquichiuh y cuetlaxtecatl ga nima yquac acitiuetzico tenochtitla yn acico quecholli
cemilhuitonalli chicuey ecatl.
290. yn vn acico tenochtitla nima ye tiquimamaca y totolli y totoltetl yn iztac tlaolli yn iztac
tlaxcalli niman ye tateca nima ye magatlaqualli ticallaqz yoä quauitl Cecni quiteca yn
itetlamamac tenochcatl cecni quiteca yn itetlamamac tlatilulcatl.
291. Auh y capitan nimä ye yc vnpeva ateneo6 quicauhtia y Don pedro alvarado tonatiuh.
2g2. nimä ye quitemolia moteeugoma yn quenin quilhuiquixtilia ynteuh. nima ye quimilhuia
quenami ma xictlalica yn quexquich ytlatlatquio ma xicchiuacan yniquac tenauati tonatiuh
ye ylpitoc moteeugoma yoä y tlatilulco ytzquauhtzi tlacuchcalcati, yquac quipiloque acol-
huaca pilli negaualquentzi atenantitech.
293. yc ome mie nauhtla tlatoani ytoca Coualpopocatzi quimiminqz yn oconmiminque ye
nemitican tlatlac ynic tlapia tenochca7 quauhquiauac centlapal yncal ma[n] tenochca
centlapal yncal ma[nJ tlatilulca.
293. yehoäti quimonilhuico ynic mochichiuaz vitzilopochtli
Ms. Mex. 22. Seite 28.
Nima ye quitlalia y uitzilopochtli moch yc chichiuhtica yn iamatlatqui auh yn ixquich
ytlatlatquio muchi y quicencauhque nima ye y(c) cuiconoua y mexica yniuh quichiuaya y
cemilhuitl.
293. gan oc vel mochiuh ynic omilhuitl cuicoanoque ye yquac mique y tenochca yn tlatilulca.
y cuicoanoua gä pepetlauhtinenca gan ixquich yncuechi y(n)xixiuh ytempilo ycozqui
ymaztaxel ychochol.8
1 = ic itoque.
2 teoapan.
¿ Spanische Randbemerkung: llegan los españoles.
4 Es handelt sich bei diesen Geschenken um die aus
Sahagun bekannten Stücke der Göttertrachten, die
Moteeugoma dem D. Hernando Cortez, in dem man einen
Gott sah und dementsprechend zunächst behandelte,
überreichen ließ und mit denen er von ihnen bekleidet
wurde. (Vgl. Sahagun übers, von Seler: S. 460—465).
5 Carochi: inoma.
6 Hier findet sich folgende spanische Randbemerkung:
entran en mex“ los españoles, sirvenlos los tenochcas
de por sí y tlatilolcas de por sí. la matanza q hiyo
alvarado en el templo de huitzilopuchtli quando por
engaño los encerró en él.
7 Zu der besonderen Rolle, die die Tenochca u. die
Tlatelolca bei den Festen spielen, vgl. z. B. Sahagun
v. Seler S. 74.
8 Die hier genannten Gegenstände sind die bekannten
Putzstücke, die zu den Göttertrachten gehörten. So
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
143
287. Im Jahre 13 Kaninchen erschienen die Spanier auf dem Meere; da kamen Mexikaner
auf dem Meere um.
288. Im Jahre 1 Rohr legten die Spanier in Pecpan tlayacac an. Da kam alsbald der Kapitän.
Als er in Pecpan tlayacac gelandet war, da gingen ihm Cuetlaxteca entgegen. Da gab
man ihm goldene Sonnen, eine gelb, eine weiß und einen Kreuzspiegel und goldene
Hauben, goldene Schneckengefäße, die auf dem Kopfe getragen wurden und den
grünen Federschmuck der Leute vom Gestade (von Tabasco) und Muschelschilde.4
Vor den Augen des Kapitäns wurde ein Opfer dargebracht. Er erzürnte sich, als man
ihm das Blut in der Adlerschale darreichte und es tötete der Kapitän den, der ihm das
Blut darreichte persönlich mit dem Degen. Dadurch gerieten die, die ihm entgegen-
gegangen waren, völlig in Unordnung.
289. Es war mit dem Willen des Motecugoma geschehen, daß man dem Kapitän soviele
Dinge gegeben hatte, nur damit er, der Kapitän, heimkehre. Nach seinem Befehl
handelte der Cuetlaxtecatl. Alsbald traf er (sc. der Kapitän) in Tenochtitlan ein, wo
er im (Monat) Quecholli anlangte, am Tage 8 Wind.
290. Als er in TI enochtitlan ankam, gaben wir ihm Hühner, Eier, weißen Mais und weißes
Brot. Darauf lieferten wir ihm Wasser und gaben ihm als Tribut Pferdefutter und
Holz. Der Penochcatl belieferte ihn gesondert und der Tlatelolcatl belieferte ihn für
sich gesondert.
291. Darauf brach der Kapitän nach der Küste auf und ließ den Don Pedro Alvarado
Ponatiuh da.
292. Bald danach zogen sie [die Mexikaner], bei Motecugoma Erkundigungen ein, in welcher
Weise sie das Fest ihres Gottes feiern sollten. Er gibt ihnen (genau) Bescheid in welcher
Weise. „Stellt ihm alle Abgaben hin ! Tut also !“ Als der Ponatiuh ihnen die Erlaubnis
erteilt, sind alle beide schon in Ketten gelegt, Motecugoma und der Placochcalcatl
Itzquauhtzin von Platelolco. Damals war es, daß sie N egaualquentzin, den Fürsten der
Acolhua in Atenantitech aufhängten.
293. Als zweiter starb der Herrscher von Nauhtlan mit Namen Coualpopocatzin. Sie er-
schossen ihn mit Pfeilen und als sie ihn mit Pfeilen gespickt hatten, wurde er noch
lebend angezündet; von da an bewachen die Penochca7 die Adlerpforte, auf deren einen
Seite die Penochca und auf deren anderen Seite die Platelolca ihre Häuser errichtet hatten,
294. Ihnen ließ man sagen, daß man Uitzilopochtli schmücken solle. Daraufhin richteten
sie Uitzilopochtli her. Er ist geschmückt mit allen seinen Papierkleidern und sie putzten
ihn aus mit der ganzen Tracht die ihm geziemt. Danach stimmten die Mexikaner ihren
Chorgesang an. Damit brachte man den ersten Tag zu.
295. Es war am zweiten Tage, als man kam, um zu singen, da kamen die Penochca und die
Platelolca um. Diejenigen, welche singen, sind in entkleidetem Zustand, Alles, was
sie an hatten, waren ihre Schneckengehäuse(ketten), ihr Türkis(schmuck), ihre Lippen-
gehänge, ihre Halsgehänge, ihre Reiherfedergabelbüsche, ihre Hirschhufe.8
kommen z. B. die cuechtli, „Schneckengehäuse“, in
dem Putz des Omacatl vor (Sahagun a. a. 0. S. 16); die
tempilolli, „Lippengehänge“ trugen die Häuptlinge
z. B. als Ausputz beim 8. Jahresfest, dem „großen
Herrenfest“ (Sah. a. a. 0. S. 144)- Cozqui, „Halsband“,
teils aus grünen Edelsteinen, daher chalchiuhcozqui
genannt oder aus scheibenförmigen Schnecken-
gehäusen, daher chipolcozcatl bezeichnet, trugen die
Göttin Chalchiuhtlicue (Sah. a. a. O. S. 42) bzw. die
Krieger am Feste Toxcatl (Sah, a. a. O. S. 97) als
Schmuck. Den aztaxelli, „Reiherfedergabelbusch“ oder
auch „gabelförmig auseinandergehender Reiherfeder-
busch“ tragen z. B. der Tlacochcalco yaotl (Sah. a. a. O.
S. 49), wie auch der zum Opfer bestimmte Krieger am
Fest Toxcatl (Sah. a. a. O. S. 98). Auch erwähnt
Codex Borgia erl. v. E. Seler Bd. I, 297 u. Abb. 18.
Die chocholli, talon o pie de venado, „Hirschhufe“,
legten die Häuptlinge beim 8. Jahresfest „uei tecuilhuitlu
am linken Unterschenkel an; sie werden auch maga-
chocholli genannt (Sah. a, a. 0. S. 145.)
BBÌrolSK,
144
ERNST MEN GIN
296. yn ueuetzoftzojnaya ueuentzitzi ymihiyetecon ymacayacach yehod achto quipeualtiqz vnca
quimatlatlazqz quitentlatlazque nima ye yc micoa yn ixquichti cuicoanocaya muchinti
tlatlataque vnca mique.
297. y techpeualti ye techmictia y ey hora yn (n)o vntemictiqz teutualco nima ye callaqui y
callitic ynic moch quimictiqz yn atecaya y(n) magatlaqualli quitocaya y tezia yntlach-
panque yn tlapiaya.
298. Auh yn tlatoani motecugomazi tlatilulco tenochtitla
quiuicatinemi yn Itzquauhtzi tlacuchcalcati tlatilulco
y quintlacaualtiaya spanoles quimilhuiaya totecuiouane
ma yxquich tle(yn) a(n)mailia motolinia mageualli
cuix ychimal cuix ymaquauh ye tinemi ga mopetlauil-
titinemi.
2gg. yn agico Capitan ye otechmicti tonatiuh ye cepoualilhuitl
techpoyomicti y tonatiuh ynic uia ateco capitan.
300. ynic onacico amo yaoyotica namicoc gan iuia(n) yn
oncalaquico quin imoztlaoc yn tiquintocaque tlacauacac
ye yc vntzinti yaoyotl.
301. Nima ye yc quiga youaltica tecuhylhuiticd quizque ye
yquac yn mique tolteca acaloco. vncan tiquintlatepeualtique.
298
302. ye yuh yoaltica quigazque oc achtopa motlachichito magatzintamalco yn otlachicto ye
yquac y youaltica quizqz ome tecpa(tl) xiuitl yca ye yquac mic y motecuhgomatzi no
yquac mic yn itzquauhzi tlatilulco tlacuch calcatl.x
303. yn onehuaque motlalito acueco quimopeuito omotlalito teucalhuiaca onehuaqz goltepec
onehuaqz vnca motlalito tepotzotla onehuaqz omotlalito gitlaltepec onehuaqz motlalito
temazcalapa vnca namicoqz macoqz totolli totoltetl tlaolli vnca yyocuitiloque.
304. ye yc calaqz motlalito tlaxcallan. Nima ye yc mornana cocoliztli tlatlaciztli tlachinol
Ms. Mex. 22. Seite 29.
totonqui gauatl y ye quentel quiga cocoliztli.
303. nima ye yc ualleua vnpa quigato tepeyacac achto vncan tlalpolo Nima ye yc valleva pillauan
onquigato tlapechuaca yzcalli matlacpoualticä quigaco vmotlalico tetzcoco vnca vnpoualti.
306. nima ye yc valleuac ye nocepa quiualtocac gitlaltepec tlacopan vmotecaco tecpa2 auh y ye
yxquich chiuhnauhtecatl xaltocamecatl quauhtitlancalcati tenayocatl azcapotzalcatl tlaco-
panecatl coyoacatl muchinti nica valcallaque chicomilhuitl yn techicallico gan onca tlacopa.
30p. ye nogepa y cuitlauic ya ga ye no yehuatl y quitocaqz yn uncan quizqz ye no omotecato yn
tetzcoco. Napoaltica ye nocepa quigaco vaxtepec quauhnavac vnca valtemoc xochmilco
vnca micqz tlatilulca ye nocepa gan vnpa quiz yn upa valla tlalliztacapa ye no miqz y
tlatilulca.
1 Spanische Randbemerkung: muere motecuh^oma y itz-
quauhtzin gobernador y capitan de tlatilulco,
2 Spanische Randbemerkung: viene cortez otra vez. —
entran en la ciudad muchos convecinos. — tubieron
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
145
296. Die Alten (Priester), welche die Pauken schlugen, und welche ihre Kürbisrasseln, ihre Ta-
bakkalebassen schüttelten, griff man zuerst an. Sie schlugen ihnen die Hände und das Ge-
sicht ab. Darauf kamen alle um. Alle die sangen, alle Zuschauer kommen da ums Leben.
297. Danach griffen sie uns an, bringen uns um. Drei Stunden nach der Niedermetzelung
im Hofe des Tempels drangen sie in sein Inneres ein und töteten die, welche Wasser
gebracht und den Pferden Futter hingestreut hatten; (dazu) die, welche Mais mahlen,
die den Boden fegten und die, welche Wache hatten.
298. Da sagte Motecugoma, der König von Tlatelolco und Tenochtitlan, begleitet von dem
Tlacochcalcatl Itzquauhtzin von Tlatelolco, der die Spanier zurückhielt, zu ihnen:
,,Meine Herren! Es ist genug. Was tut ihr ? Das Volk leidet. Wo sind seine Schilde,
wo seine Obsidianschwerter ? Wir sind ganz entblößt von Waffen.“
299. Als der Kapitän ankam, hatte uns schon der Tonatiuh niedergemetzelt. Zwanzig Tage
lang hat der Tonatiuh uns gemordet während der Reise des Kapitäns an die Küste.
300. Bei seiner Ankunft begegnete man ihm (den Kapitän) nicht feindlich; er trat ganz
friedlich ein. Erst am folgenden Tage, als wir verfolgt wurden, brach der (offene)
Krieg aus.
301. Während der Feier des „Festes der Herren“ brachen sie in der Nacht auf und gingen
fort. Damals war es, daß die T ölte ca in Acaloco umkamen. Damals nötigten wir sie,
sich zu zerstreuen.
302. Als sie während der Nacht fortgegangen waren, stießen sie zuerst auf Magatzintamalco.
Nachdem sie es besucht hatten, gingen sie (noch) in der Nacht fort. Im Jahre 2 Feuerstein
starb dann Motecugomatzin. Da starb auch Itzquauhtzin, der Tlacochcalcatlxon Tlatelolco.
303. Nachdem sie aufgebrochen waren, ließen sie sich in Acueco nieder. Als man sie vertrieb,
ließen sie sich in Teucalhuiacan nieder. Dann brachen sie von Coltepec auf. Als sie
von da aufgebrochen waren, ließen sie sich in T epoqotlan nieder. Dann brachen sie auf
und ließen sich in Citlaltepec nieder. Dann brachen sie auf und ließen sich in Temat;-
calpan nieder. Da wurden sie (gut) aufgenommen und man gab ihnen Hühner, Eier
und Mais. Da wurden sie neu gestärkt (man erquickte sie).
304. Dann traten sie in Tlaxcallan ein und ließen sich da nieder. Darauf breitete sich eine
Seuche aus, Husten; es herrschte glühende Hitze. Alsbald läßt die Seuche etwas nach.
305. Darauf brach (Cortez) auf und begab sich nach Tepeacac; dort eroberte er zuerst das
Land. Dann brach er wieder auf am „Feste des Pulquetrinkens der Kinder“ und begab
sich nach Tlapechuacan (im Monat) Izcalli. Als 200 Tage um waren, begibt er sich nach
Tetzcoco, wo er 40 Tage verweilte.
306. Danach brach er auf und besuchte noch einmal Citlaltepec. Er geht hin nach Tlacopan
und stellte sich dort in Reih und Glied auf. Darauf traten alle, der Chiuhnauhteca /,
Xaltocamecatl, Quauhtitlancalcatl, Tenayocatl, Azcapotzalcatl, Tlacopanecatl und Coyoa-
catl, alle diese traten hier ein. Sieben Tage kämpfen sie gegen uns nur dort in Tlacopan.
307. Als er selbst noch einmal von da nach rückwärts ging, folgten sie ihm, die von dort
weggingen und ließen sich in Tetzcoco nieder. Nach Verlauf von achtzig kehrte er noch
einmal zurück und ging nach Uaxtepec Quauhnauac. Dort stieg er hinab nach Xoch-
milco. Dort kamen Tlatelolca um. Von da ging er ein zweites Mal fort und marschierte
nach Tlalliztacapan. Da kamen Tlatelolca ums Leben.
entre sí los mexinos pendencia y murieron muchos vergantines.
señores por el servicio q hacían a los españoles. — los
ERNST MENGIN
I 46
3Ò8. ynic ye no omotecato tetzcoco yquaz peuh y ye momimictia
tenochca. y ey calli xiuitl ypa quimictiqz yn inpillo Ciuacoatl
tziuacpopocalzi yoa gipactzi tencuecuenotzi ypilhua motecuh-
gomatzi axayaca xoxopeualloc quimictique.
30g. yni y mopoloqz tenochca ga monetechhuiqz y momimictique
ypanpa y yehuantini pipilti mictiloque quitlavculiaya ypà
tlatoaya y magehualli ynic monechicoz yztac tlaolli totolli
totoltetl ynic tetlà quineallaquizqz mageualli.
310. tlamacazqz achcacauhti tiachcaua y temictique tecuhtlatoqz yn
cuallanqz.
311. ynic mictiloqz pipilti quitoqz y temictique cuix tiuapillotiaque
ye y gempoalloc y yequene totechmopilloque totechmoquetzaco
toxcatl.
312. ye yc gemotecaco y ye techicali ye yuh matlaquilhuitl techicalli
calli1 yn quigaco yacal.y(c) cempoalilhuitl gan ve quixcani y
mie al nonovalco yc o(n)ca magatzintamalco.
313. yniquac quigaco yacal yztacalco quigaco ye yquac tetlan
vncallac yztacalcatl no vnpa valicatia nimà vnca motecaco
ac alii acachinanco.
313. nima ye no vnca moxacaltia vexotzincatl tlaxcaltecatl necoc vmac. Nima ye yc moyaua
yn imacal yn tlatilulcatl ypa mical yn otii nonovalcatl yc o(n)ca magatzintam.alco mical
Auh y xoxouiltitla yn tepeyacac ayac mical
313. gd ticpixqz y titlatilulca yn otii yniquac onacico ymacal ga on ymoztlaoc quicauhqz xoloco
omilhuitl ye[iJcalliuac vitzalla ye yquac y ye momomimictiqz tenochca.
316. y quimolhuiqz catliqz topilhua ago ye gepa contlagazqz ac coquichtizqz ca naui y qui-
mocuicuitiuezqz y ye quimictia yacatia comictiaqz quauhnochtli tlacateco tiachcauh cuapa
viznauac tiachcauh tlenamacaqz amdtla tlenamacac tlallocan
Ms. Mex. 22. Seite 30.
tlenamacac.
31p. ynin y mopoloque ynic opa momimictiqz tenochca contecaco vnepantla tlequiquiztli tecama
quiuatitiqz yn otii yn oquitlazqz tlequiquiztli quauhquiauac yn[u]etzico. nima ye yc
cemollini tenochcatl nima ye y(c) quinapaloa yn uitzilopoch(tli) quiuacallaquiqz tla-
tilulco contecaco quiualcallaquiqz amaxac telpochcalli.
318. Auh ynintlatoc auh c ondali co y(n) yacacolco quauhtemo ctzi1 2 Auh y(n) ye yxquich mage-
hualli ye yquac quicauh yn iauh yn itepeuh tenochtitlan catea ynic callaquico tlatilulco
tocada acitimoquetzacoz nima ye yc motlalico nouian tocaltitla totlapanco. Auh ye tzatzi4
yn impiloa yn intecuhtlatocaua quitoqz
1 Dieses calli steht überflüssigerweise doppelt im Original.
2 Spanische Randbemerkung: aqui se vienen los con-
veemos.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
147
308. Als sie sich in Tctzcoco niedergelassen hatten, begannen die Tcnochca sich gegenseitig
zu töten. Im Jahre 3 Haus töteten sie ihre Fürstlichkeiten, Ciuacouatl Tziuacpopocatzin
und Cipactzin Tcncuccucnotzin; sie töteten (auch) Axayaca und Xoxopeualoc, die Söhne
des Motccugomatzin.
309. Nachdem sie sich auf diese Weise ins Unglück gestürzt hatten, fingen die Tcnochca
mit einander Streit an und töteten sich gegenseitig, weil die Prinzen getötet worden
waren. Sie bemitleideten sie und verteidigten ihre Sache, damit ihnen das Volk weissen
Mais, Eier und Hühner als Abgaben vorweg bringe, damit sich das Volk ihnen unter-
werfen solle.
310. Die Priester, Oberpriester, Häuptlinge waren die Mörder. Die obersten Richter (der
Beamtenadel) waren diejenigen, welche aufgebracht waren,
311. weil die Fürsten getötet worden waren. Die Mörder sagten zu ihnen: ,,Wozu ließen
wir sie aufhängen ? Wozu wurde abgerechnet (mit ihnen) ? Gleicherweise werden wir
erhängt werden, werden wir hochgenommen werden am (Feste) Toxcatl.“
312. Dann sammelten sie sich wieder, dann kämpfen sie gegen uns. Nachdem sie uns zehn
Tage bekämpft hatten, verließ er sein Schiff. Zwanzig Tage brachten sie ausschließlich
in gegenseitigem Kampf zu in Nonoualco und dort in Ma^atzintamalco.
313. Als sein Schiff anlegte, landete er in Iztacalco. Darauf unterwarf sich der Iztacalcatl
(den Spaniern) und marschierte mit ihnen zusammen. Dann fuhren die Schiffe (weiter)
und landeten in Acachinanco.
314. Da errichteten die Uexotzinca und Tlaxcaltcca Hütten zu beiden Seiten des Weges.
Dann gerieten die Schiffe der Tlatclolca in Unordnung; da kämpfte der Nonoualcatl
auf dem Wege und er kämpfte auch in Ma^atzintamalco. In Xoxouiltitlan und in
Tcpcyacac kämpfte niemand.
315. Nur wir Tlatclolca bewachten die Wege, als ihre Schiffe ankamen. Es war nur am
folgenden Tage, daß sie Xoloco preisgaben. Zwei Tage kämpfte man schon in Uitzallan.
Es war damals, daß die Tenochca sich gegenseitig töteten.
316. Sie sagten untereinander: „Wo sind unsere Fürsten? Ohne Zweifel würden sie ihn
ein zweites Mal verjagen. Wer ist derjenige, der uns Mut einflößen kann, denn vier
haben sie schon fortgeschleppt und getötet. Sie töteten den Anführer Quauhnochtli,
den Vorsteher vom Tlacatccco (d. i. Tempel Uitzilopochtli’s) und Cuapan, den Vorsteher
vom Uitznauac (d. i. Tempel T czcatlipoca’’s), die Räucherpriester; den Räucherpriester
von Amantlan und den Räucherpriester von Tlalocan.
317. So vernichteten sie sich zum zweiten Male, indem die Tcnochca sich gegenseitig töten.
Man fuhr Artillerie auf der Mitte des Weges auf. Von Tccaman richteten sie sie auf
den Weg. Als sie Feuer gaben, stürzte es in Quauhquiauac nieder. Da setzte sich der
Tcnochcatl geschlossen in Bewegung. Damals trugen sie (das Götterbild) des Uitzilo-
pochtli im Arme (fort). Sie brachten es nach Tlatclolco in Sicherheit; sie setzten es hin
und schlossen es ein im Junggesellenhaus von Amaxac.
318. Und Quauhtcmoctzin richtete seine Herrschaft in Tacacolco auf. Damals geschah es,
daß das ganze Volk seine Siedlung in T cnochtitlan aufgab. Sie traten in Tlatclolco
ein, und machten da Halt, um in unseren Häusern zu leben. Alsbald ließen sie sich
allenthalben nieder bei unseren Häusern, auf den Erdwällen. Und sie jammern, daß
man ihre Edlen aufgehängt hat und sagen:
3 Gehört zu den 5 Verben, die die Ligatur timo statt ti 4 Spanische Randbemerkung: entranse los tenuchcas en
haben. Carochi: Buch II, § 8. tlatelolco.
19 Baessler-Archiv.
148
ERNST MENGIN
Jig. totecuioane Mexicae tlatilulcae atoqueztelqi1 (¡a tocacalpixca1 2 * * amoma axitinque y calpix-
catli y tlalli yzcatqui amocococauh y tlauiztli yn oamechpieliaya yn amotlatocauh yn
chimalli tlauiztli y tecuecuextli y quetzallalpilloni y teucuitlana co chili yn chalchiuhtli ca
yxquich amaxca amotlatqui.
320. Ma amoyollicatzP ma amohiyocauilliti campa tiuallaque ca timexica ca titlatilulca
muchocatiui(t)z'1 yn tlatoua ye yquac quimacaque yn tlauiztli yn teucuitlaio yn quetzallo.
321. Auh y(n) yehuanti tzatzitinenqz yn otlica y caltzalla yn tianquizco xipanoc5 tetlyaco
tlaco ciuacoatP motelchiuh yniquac vi[t]znauatP xochitl acolnauacatP anavacatl tlacoch-
calcatP ytzpotonqui acvaqaca covayvitl oyximachoc tezcacovacatl™ vaniti, oqqz mixcova-
tlaillotlac11 yn axca teuhcalcatl tentili
322. yehoantini yn tza(t)zitinenqz yn yxquich quiteneuhtinenque yn omito yn iquac valcallaque
tlatilulco.
323. Auh yzcate yn tlaca[c]qz Coyoaqz tlacopaneca azcapotzalca tenayoca quauhtitlancalqz
toltitlancalque chicuhnauhteca tetzcoco Coanacotzi cuitlauac
Ms. Mex. 22. Seite 31.
tepochpan y(t)zyocan yni12 <;a moch (y)evanti yn tlatoque y quicanque13 yn iuh qtoq
intlatol yn teñochcan.
323. av in ixquich caviti yn ticalivaque aocan momexti yn tenochcatl yn izq otli y nica y(n)
yacacolco yn atizcapa y covatla y nononovalco (sic !)u popoviltitla y tepeyacac qa novia
toneixcavil mochiuh y titlatilolca qa no yvi yn acalotli moch toneixcavil mochiuh.
323. av i(n) tenochcatl yteqva catean onca quaqontec av i(n) achcauhtli omochmoquaqotiq av
i(n) quachic yn otomitl qa moquaquimilotinemi aoca ixquezq yn ixqch caviti ticalivaq.
326. yn itlatocauh qa moch (y)evantini tlatilolca y cololviticate av in icivava(n) moch no
qpinaviq qmavaq qilviq tenochca.
323. caca monoq amo apinava ayc civatl amotla no moxauhtoca av i iqivava(n) mochoqli-
tinemi yn qntlatlauhtia y tlatilolca av i(n)(y)e tlachia yn avaq y tepevaq (y)e valayva
yn aoca metzi tenochca.
328. av in tlatilolcatl ye yxpolivi y quachic yn otomitl y yaoteqva ye ye miq y tleqqztli yn
tepozmitl15 (y)e valaiva yn acolvacan yn tlatovani y tecocoltzin (yjevanti nonotqaloco y
tlatilulco ticocyavacatl16 topatemoetzi tezcacovacatl17 quioyecatzin tlacatecatl18 temilotzi
tlaco eh calcati™ coyovevetzi tzivatecpanecatl20 matlalacatzi.
1 atoqueztel(i — a(o — quenteltzin; (s. Mol. I. s. v. por
Ventura, dfo, at, azäzo und R. Simeon s. v. quentel;
Rev. quenteltzin, vde. Carochi Kap. 5, § 5). A^o oder
at kann entweder fragend, zweifelnd, soviel wie cuix
quenteltzin, „sind es noch in etwas, in irgend einer
Hinsicht ?“ (Car. Kap. 4 § 1), oder auch einfach ver-
neinend amo-quenteltzin, „nicht ein bißchen, in gar
keiner Hinsicht“ bedeuten. (Olmos, Seite 179).
2 ealfixea, Flur, cacalpixca, das Olmos, S. 46 mit „el
lugar donde guardan algo“ übersetzt, ist am besten
nach Seiet, Anh. S. 3£; mit „Staatsmagazine“ wieder-
zugeben.
3 Vgl. Carochi: Buch V. Kap. 5, § 3.
4 = moch choca.. .
0 Xicpanoc{ ?) Xictli, Vulkan b. Mexiko.
6 „höchster Richter“, obrigkeitliche Person, deren
Macht fast der des Königs glich.
7 mexikanischer Adelstitel.
8 acolnauatl tiacauh zur Zeit des Itzcauatl'Titel des Häupt-
lings Cauac. Seler, Ges. Abh. II, 511.
9 „der vom Speerhause“, eine der 4 obersten mili-
tärischen Rangklassen.
UNOS ANNALES H1STÖR1COS DE LA NACION MEXICANA 14g
319. „0 Herren, o Mexikaner, o Tlatelolca l In keiner Hinsicht sind es nur (noch) unsere
Staatsmagazine, In euere Hände gingen über die Staatsmagazine und das Land. Hier ist
es, euer Eigentum: Die Kriegerdevisen, die euch der König bewahrte, die Schilde, die
Kriegerdevisen, die Handgelenkriemen, die Bandriemen mit Quetzalfederquasten, die
goldenen Ohrpflöcke, die Jadeitperlen; denn alles ist (nun) euere Habe, euer Besitz.
320. Gott behüte euch! Er verschone euch! Wohin ist es mit uns gekommen, daß wir (nun)
Mexikaner, daß wir Tlatelolca sind ?“ Alle Redner brechen in Weinen aus. Darauf
übergab man die Kriegerdevisen aus Gold und Quetzalfedern.
321. Und diejenigen, welche wehklagten auf den Wegen, in den Häusern, auf dem Markte
in Xipanoc, Tetlyaco, Tlaco, waren der CiuacoatY Motelchiuch, ferner der UitznauatV
Xochitl, der AcolnauacatY Anauacatl, der Tlaco chcalcatP Ttzpotonqui, Acua^aca, Couai-
uitl, Oyximachoc und der Tezcacouacatl10 Uanitl, ferner der Mixcoua tlaillotlacn, gegen-
wärtig der Teuhcalcatl Tentlil.
322. Das sind die, welche herumgingen und wehklagten und es verkündeten und sagten, als
sie in Tlatelolca eintraten.
323. Und hier sind die, welche es anhörten,(nämlich) die Coyoaque, Tlacopaneca, Azcapotzalca,
Tenayoca, Quauhtitlancalque, Toltitlancalque, Chicuhnauhteca, Tetzcoco, Coanacotzin,
Cuitlauac, Tepochpan und Ttzyocan. Das sind alle die Herren, die sie anhörten, als die
Tenochca so ihre Ansprache hielten.
324. Und die ganze Zeit, während wir kämpften, erschienen die Tenochca nirgends auf
einem der Wege von hier nach Yacacolco, Atizcapa, Couatla, N onoualco, Popouiltitla,
Tepeyacac. Alle diese Orte fielen uns Tlatelolca allein als Anteil zu, ebenso die Wasser-
leitung, die unser Besitz wurde.
325. Und die Tenochca, welche Häuptlinge waren, schnitten sich da die Haare; und alle
Anführer schnitten sich die Haare und der Quachic, der Otomitl gehen allein mit be-
decktem Kopf. Sie ließen sich während der ganzen Zeit, als man gegen uns Krieg führte,
nirgends sehen.
326. Ihren Befehlshaber allein umringen sie alle, die Tlatelolca und alle ihre Frauen und
taten ihnen Schimpf an, schalten sie aus und sagten zu den Tenochca:
327. „Es ist so, daß nur ihr (untätig) daliegt. Schämt ihr euch nicht ? Nie mehr putzt sich
eine Frau für euch.“ Und ihre Frauen kommen alle weinend her und flehen die Tlate-
lolca an und als die Bewohner der Siedlung das sehen, schicken sie Boten hin; aber die
Tenochca lassen sich nirgends sehen.
328. Unterdessen gehen die Krieger der Tlatelolca, der Quachic, der Otomitl allein zuGrunde,
getötet von den (Metallgeschossen) der Artillerie und den eisernen (Armbrust)pfeilen.
Da sendet Tecocoltzin, der Herrscher von Acolhuacan Boten her. Diejenigen, welche
als Sendboten bestimmt wurden und nach Tlatelolca hingingen, waren der Tigocyauacatl16
Top ante moctzin, der T ezcacouacatl17 Quioyecatzin, der TlacatecatlY Temilotzin, der
Tlacochcalcatl19 Coyoueuetzin und der Tziuatecpanecatl20 Matlalacatzin.
lü „der von dem Hause der Spiegelschlange“, eine der
4 obersten militärischen Rangklassen.
11 Häuptlings- oder Beamtentitel in Mexiko.
12 Hier beginnt wieder eine mehr altertümliche Schrift
mit zahlreichen Abkürzungen.
13 = quicacque.
14 Spanische Randbemerkung: los puestos que guardaron
los tlatelolcas.
15 Spanische Randbemerkung: mensage de Tecocoltzin
señor de tezcuco.
16 „der von dem Hause der Pulqueprozession“, eine der
4 obersten militärischen Rangklassen.
17 „der von dem Hause der Spiegelschlange“, eine der
4 obersten militärischen Rangklassen.
18 „der vom Tlacatecco“, eine der 4 obersten militärischen
Rangklassen.
19 „der vom Speerhause“, eine der 4 obersten militärischen
Rangklassen.
20 Vermutlich Rangtitel (vgl. Sah, v, Seler a, a. 0. S. 567
„te-panecail“,
ig:
ERNST MENGIN
J5o
J2g. qmifljvico yn ititlava(ñ) yn acolvaca tecocoltzi conilvia ca techvaliva tlacatl y covacatl y
tecocoltzi ca comitalvia tía qcaqca y mexica y tlatilulca (c)a (y)e y toneva ca (y)e chichi-
meca yn iyolo yn inacayo motolinia auh ca no yvi nevati ca otonevac[c]a ochichinacac
y noyolo yn tleyntzi noconocovia yn noqmilco y nocuexa(n)co y novia uncan y nechtla-
cuicuilia omochiuh opoliuh yn ava y tepeva.
330. fa noconitova manofo yyocan contlali tenochcatl ma iyoca opolivi aya tle noconchivaz oc
noconchia yn itlatol qnqtozq qzqlvitl contlalizqz ca ixquich qmocaqtica(n) y notlatol ye
concuepa yn tlatolli yn tlatilolco tlatoq qmonilvia otechmocneliti yn ticauhtzin atei (n)evatl
ynic tona ynic tota yn acolva y chichimecatl.
JJI. ca yzca qmocaqtia (c)a (y)e ce(m)povali qneqa y mochivazqa yn iuh qvalmitalvia av in
axca can oc niquitac ca ovelmixtlati [cja aocac motenochcafafilia ca ye ceq moquauhtitla(nj-
calca tlapiqca ceq tenayoca azcapofalco coyovaca ye motlamiya.
332. ca nocniqta auh (y)evatl ye motlatilulcafafilia qnocnochivaz otlacauhq yn iyollotzi oqui-
mocnelili y moqqfa1 y movillana
333. (c)a (yJe toconchia yn i(n)yo yn itla(tol)
Ms. Mex. 22. Seite 32.
yn i(n)yo yn itlatol1 2 yn totecoyovan ye yuh epoualli ticalliua? y(n) ye quinomauico4
spañoles yn tzatzico ytoca Castañeda.
334. ytocayoca y yauhtenco tzatzico quiualhuicac tlaxcalteca(tl)y(c) ye quiualtzatzilia yaotlapia
y tenantitla tlaxoxiuhco ytoca y(t)zpancalqui achcauhtli chapoltzi omexti tlapaltecatl
cuexacaltzi.
333. quiualhuia xiualhuia(n) acame yn oca ancaxco auh ye comolhuia tley quitozqz ma fa
tocócaquiti nima ye ye acalco motlaliqz fan oc veca motecaqz qmonilhuia.
336. tley anquitoznequi ye quiualhuia y tlaxcalteca(tl) canafajmochd quimonilhuia ca ye
quallih amehud yn amotemoua xiualhuia amechnotza teutl capitán ye nima velonquizqz
nima ye ye quiuica y nonovalco ayauhcalco vned capitán yoa malintzi yod tonatiuh y
Sandoual vnca cenquiztimani yn altepetl ypa tlatoque.
33p. tlatolo conilhuia y capitd ca ouallaqz tlatilulca otiqmanato quiualilhuid malintzi tía
xiualhuia ca cómitalhuia y capitán que momati y mexica6 cuix cenca oc piltontli quauhte-
moc Amo quitlavculia y piltzintli yn ciuatzintli y ye iuhqui poliui ueuentzi ca nica mani
y tlatoqz tlaxcala vexochitzico chololla chalco acolhuaca quauhnauac xochmilco mizquic
cuitlauac Colhuaca.
1 = moquequetza.
2 Diese Worte stehen doppelt im Original.
3 Hier endet die altertümliche Schreibweise.
4 lies: quinomanico.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
151
329. Die Abgesandten des A ecocoltzin von Acolhuacan kamen her und sprachen folgendes:
„Uns sendet der Couacatl Tecocoltzin. Er läßt dir sagen: Möchten sie es doch
hören, die Mexikaner, die Tlatelolca, daß die Herren der Chichimeca von Schmerz zer-
rissen sind, daß ihre Körper leiden! Und auch ich bin schwer geprüft und es leidet
mein Herz. Was kaufe ich (noch) ? Man plündert mich in meinen Gewändern, in
meinen Kleidern (d. i. mich völlig) aus. Es kommt (noch dahin), daß die Ansiedlungen
untergehen.
330. Ich sage nur dies: Möge er (ruhig) den Tenochccatl (von sich) aussondern (= ihn auf
sich allein stellen)! Möge er (ruhig) untergehen! Ich werde nichts tun. Ich warte
noch auf seinen Bescheid. Was wird man sagen ? Wieviele Tage werden sie ihn ab-
sondern ? Daß nur alle meine Rede hören möchten!“ Sogleich antworten die Herren
von Alatelolco auf diese Rede und sprechen zu ihnen: ,,Er hat sich uns nützlich er-
wiesen, unser jüngerer Bruder. Ist er nicht unsere Mutter, ist er nicht unser Vater,
der Acolhuacatl, der Chichimecatl?
331. Hierdurch benachrichtige ich ihn, daß man schon 20 Tage wünscht, daß es so gemacht
werde, wie er es vorträgt. Aber heute habe ich gesehen, daß alles vernichtet wurde,
daß es keinen mehr gibt, von denen, die sich Tenochca nennen. Daß schon die einen
sich als Quauhtitlancalca ausgeben, die anderen (aber) sich nach Tenayoca, Azcapotzalco
und Coyouacan wegschleichen.
332. Denn ich sehe ihn gut (sc. den Tenochcatl, der sich drückt) und ihn, der den Mut hat,
sich Tlatelolca zu nennen. Er wird sie zu Waisen machen; sie ließen es zu. (sc. die
Tenochca durch ihre Feigheit). Er (sc. Tecocoltzin) hat sich nützlich erwiesen denen,
die sich einfältig und kindisch benehmen.
333. Wir erwarten den Bescheid unserer Herren. Es sind schon 60 Tage her, daß die Spanier
sich niederließen und man den Namen Castaneda nennt.
334. Er geht hin an einen Ort mit Namen Tauhtenco und ruft uns laut. Er brachte Alax-
calteca mit, als der denen ruft, die in Aenantitlan Alaxoxiuhco Wache stehen; ihre
Namen waren Itzpancalqui, der Achcauhtli Chapoltzin und die beiden; Tlapaltecatl
und Cuexacaltzin.
335. Sie rufen von weitem: ,,Kommt her!, einige, hier herauf!“ Da sagen sie unterein-
ander: „Was wollen sie uns sagen ? Gehen wir nur, sie anzuhören!“ Alsbald nehmen
sie im Schiff Platz, halten sich (aber) nur in einiger Entfernung und fragen sie;
336. „Was wollt ihr uns sagen?“ Die Tlaxcalteca fragen zurück: „Woher seid ihr?“ Sie
antworten ihnen. „Es ist schon gut, ihr seid die, welche man sucht. Kommt, der Herr
Kapitän ruft euch!“ Alsbald gehen sie hin. Darauf führt man sie nach Nonoualco und
Ayaucalco. Dort ist der Kapitän und Malintzin und der Tonatiuh Sandoval. Dort sind
versammelt die Herrscher der Städte,
337. Man beratschlagt und sagt zum Kapitän, daß die Alatelolca, die wir holen gingen,
angekommen sind. Malintzin spricht zu ihnen: „Kommt her! Der Kapitän läßt euch
fragen: Was meinen die Mexikaner ? Ist denn Quauhtemoctzin noch ein ganzes Kind ?
Hat er nicht Mitleid mit den Kindern, mit den Frauen, wenn so die Alten untergehen ?
Es befinden sich hier (schon) die Herren von Alaxcallan, Uexochitzinco, Chololan,
Chalco, Acolhuacan, Quauhnauac, Xochimilco, Mizquic, Cuitlauac und Colhuacanu.
5 Spanische Randbemerkung: dos tlatelolcas fueron 6 Spanische Randbemerkung; mensage para quauhtemoc.
llevados a cortez.
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\J
T52
ERNST MEN GIN
338. conitoa auey ynic teca omocacaiauh y tenochcatl no tonehoac yn iyollo yn atl ipd tepetl
ipa tlatoca auh ynhi ma yyoca1 quinal[tJlalica tenochcatl ma yyoca vmpopoliuq(ui)
cuix atle yc tonehoa yn iyollo tlatilulca yn iuh opoliuhqz ynic yca omocacaiauhqz.
33g. nima ye quiualilhuia tlatoqz Cuix a(m)o yuhqui anquitoa yn ätlatoqz conitoa ca qmaca
ma yuhq mocaqti y to°2 tenti ma yyoca quala[t]lica(n) tenochcatl ma yyoca vnpopoliui
Oca yuhquihi y tlatolli anquimotquilia (a)motechiuhcava(n).
340. ca conitoa tenti ma quilhuiti y quauhtemoc ma mononotzaca(n) ma yyoca còtlaliqz tenoch-
catl oc ye nechca no onquania teucalhuiaca yn quenin amononotzazque vnpa notechacitiuh
yn (a)motlatol auh yn acalli oc ye coyoaca omiquania.
341. yn ocòcaque <;a quiuatoque can oc tiquimanazque yn qui-
motemolia ca otouitique macuelle toconihyouica ca yuin yn
impa mihito y tenochca vnpa ynca necétlalliloc.
332. ga acalticà vntztatzito y ga aucmo udii yyoca quintlalia
tenochca. y ye iuh qui
Ms. Mex. 22. Seite 33.
yequene yc totech moquetzque y necalliztli niman agitimo-
quetzaco Cuepopa auh y Cozcaquauhco vnca moyeco tlate-
pozmiuiaia coyoueuegi nauinti.
343. Auh yn acalli motecaco texopa yeylhuiti yn (n)ecalliztli vnca techualleuitique Nimd vnca
agico teu[i]thualco nauilhuiti .necalliztli Auh y nica niman agico yacacolco ye yquac
vnca axiuaque Spanoles tlilhuacan vili
344. ypa niman ye yxquich aua tepeua macuiltzonili yn unca mic yca ineyxcauil tlatilulcatl yquac
tont[z]otzonpantiquez yn titlatilulca yexca y mdca tzonpantlA y manca teuythualco tlilla5
yn vnca gogotoca yn intzonteco totecuioud [yhua oncan quitlalique yn vatella yn cagiz
Ecatzin tlacatecatl tlapanecatl Popocatzin].6
343. yc vca1 yacacolco no vnca gogotoca yn intzóteco y totecuioua yod vntetl cauallo ytzonteco
yqu exea facatia ciuateucalli yxpa <¡a yneyxcauil yn tlatilulca Auh y ye yuhqui techualeui-
tique agitimoquetzaco tianquizco.
346. ye yquac yxpoliuh8 yn tlatilulcatl vey o^elotl vey tiacauh yc omo^ema yn necalliztli ye
yquac yn nocontlazque micalque tlatilulca dua teuiuiteque tlamamaque tlauiztli onac-
tinenque yn icue moch cacoquixtique ynic veltetocaya.
1 Mol. I, 38 s. v. desacampañado o desamparado, yyoca
ca; ebenda s. v. aparte, nonqua. cecni yyoca. Und
Mol. II, 37 s. v. iyuca ca estar alguna cosa sola y
desacompañada o estar algo aparte. Hier in diesem
Zusammenhang am besten zu übersetzen mit „ihn
auf sich allein stellen“, „ihn sich selbst überlassen“, im
Sinne von „ihm die Gefolgschaft verweigern, versagen.“
= totecuyo.
Spanische Randbemerkung: tres presas que hicieron
solos los tlatelolcas.
tzompantli, das Holzgerüst, auf dem an Querstangen
die Köpfe der Geopferten aufgereiht zu werden pflegten;
solche Schädelgerüste sind uns bekannt von dem Plan
des Haupttempels von Mexiko und seinen Baulich-
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
153
338. Sie sagen (weiter:) „Hat der Tenochcatl sich nicht übermäßig über sie lustig gemacht ?
Er bedrückt noch die Herzen der Städte, über die er regierte. So möge man den
Tenochcatl auf sich allein stellen, damit er für sich allein zu Grunde gehe. Bedrückt
es nicht etwa die Herzen der Tlatelolca, daß sie so untergehen werden dadurch, daß
er sein Spiel mit ihnen trieb ?“
339. Dann sagte er zu den Herren: „Ist es nicht so, wie ihr sagt, ihr Herren ?“ Sie ant-
worten; „Möge Gott, unser Herr, es hören! Mögen sie den Tenochcatl auf sich allein
stellen, damit er für sich allein zu Grunde gehe. O! das ist der Bescheid, den ihr euren
Vorgesetzten zu überbringen habt!“
340. Der Herr sagt: „Mögen sie hingehen und es dem Quauhtemoc sagen! Mögen sie sich darüber
beratschlagen! Mögen sie die Tenochca auf sich allein stellen! Ich ziehe mich dort
nach Teuhcalhuiyacan zurück; wie werdet ihr euch entschließen ? Dort wird mich euer
Bescheid erreichen. Das Schiff dort ist schon da, das mich noch nach Coyoacan bringt.“
341. Nachdem sie (seine Rede) vernommen hatten, sagten sie: „Wo werden wir die noch
(rasch) holen, welche sie suchen ? Wir sind in Gefahr! Auf! Erdulden wir die Be-
schwerden! Denn es verhält sich so, wie es uns bezüglich der Tenochca gesagt wurde:
man hat sich dort gegen sie verschworen.“
342. Nur vom Schiff aus rief man ihnen zu, daß es unmöglich sei, die Tenochca im Stiche
zu lassen (wörtl. auf sich allein zu stellen). Auf diese Weise übertrugen sie den Kampf
auch auf uns (wörtl. richteten ihn auf bei uns). Dann kamen sie, um Cuepopan zu
besetzen. Und in Cozcaquauhco kämpfte man; da erschoß Coyouetzin vier (Leute)
mit Pfeilen.
343. Dann legten die Schiffe in Texopan an. Drei Tage dauerte der Kampf und sie ver-
trieben uns von da. Dann kamen wir nach Teoithualco und brachten da vier Tage
kämpfend zu. Darauf gelangten wir hierher nach Yacacolco und dort erreichten die
Spanier den Weg nach Tlilhuacan.
344. Da kamen alle Bewohner der Siedlungen, zweitausend Leute, um und der Ruhm der
Tlatelolca wurde durch sie vermehrt. Darauf errichteten wir Tlatelolca Schädelgerüste.4
Sie befanden sich an 3 Seiten die Schädelgerüste; sie waren im Tempelhofe aufgestellt,
(Das erste) in Tlillan (d. i. Haus der Dunkelheit). Dort durchbohrte man die Schädel
unserer Herren (um sie auf dem Schädelgerüste aufzureihen). Dort stellte man auch die
Fahnen hin, welche der Tlacatecatl Ecatzin und der Tlapanecatl Popocatzin erobert hatten.
345. Am zweiten Ort, in Tacacolco, durchbohrte man die Häupter unserer Herren. Und
zwei Pferdeköpfe am dritten Ort, in Cacatlan, vor dem Tempel der Frauen; das waren
ausschließlich die Ruhmestaten der Tlatelolca. Als dies geschehen war, vertrieben sie
uns; sie kamen her und bemächtigten sich des Marktes.
346. Das war damals, daß die Tlatelolca untergingen,8 der große Jaguar (d. i. Krieger), der
große Führer. Von da breitete sich der Krieg aus und stürzte alles um. Es war auch
damals, daß die Frauen der Tlatelolca kämpften, sie versetzten (den Feinden) Hiebe
und machten Gefangene; sie gingen bekleidet mit Kriegerdevisen, sie schürzten ihre
Röcke hoch, um sie besser verfolgen zu können.
keiten, der sich in dem Sahagunmanuskript der Biblio-
theca del Palacio real in Madrid findet. Dort sieht man
auch den (teo-)itualli, Tanzplatz oder Tempelhof an-
gegeben.
5 Wegen Tlillan, Haus der Dunkelheit, das Erdinnere;
vde: Codex Borgia ed. Seler, I, 296—299. Es handelt
sich bei den in den §§ 344/5 geschilderten Vorgängen
um kultische Handlungen, zu denen wohl die Feier des
Tititl-¥estes den Hintergrund abgegeben haben dürfte.
6 Die in [] stehenden Worte stehen nur in der Kopie Ms.
Mex. 22bls, Seite 47.
7 = occan
8 Spanische Randbemerkung: aqui fenece la guerra. —
esto escribió el que la vio.
154
ERNST MENGIN
347- ye iuhqui vncà conquachcaltico capitan tianquizco momozco
ye yquac no quiquetzque quauhtematlac yn úca momozco
yn unca tianquizco matlaquilhuiti necalliztli. Auh yxquichhi
yn topa mochiuh yn tiquitaque y ticmauizoqz y techocti y
tetlaocolti ynic titlaihiouique.
348. [auh yn otlica omití xaxamatoc tzontli momoyauhtoc calli
tzontlapouhtoc calli chichiliuhtoc ocuilti moyacatlamina otlica
Auh yncaltech hahalacatoc yn quatextli Auh yn atl (¡a yuhqui
chichiltic ga yuhqui tlapatlatl ca yuh tiquique tiquia tequix-
quiatl.]1
349. Auh oc yn atl tiquiqz tequixquiatl xantetl ypantlatetzotzontli
yn atlacomolli ga teneneyxcauil chimaltitld y pieloya yn oc
nen aca moteyccequiliznequi ga chimaltitla
330. tiquaque y tzonpan quauitl yn tequixquigacati y xatetl y
cue(t)zpalli quimichi teutlaquilli. Ocuilli titonetechquaqz
yn iquac tlepan quimontlaliaya y ye ycuci(c) ynacayo vncan
con no iuh tleco quiquaya.
331. Auh y topatiuh mochiuh yn ipatiuh mochiuh y telpochili y tlamacazqui yn ichpochtli y
piltzintli y ye yxquich mageualli yn ipatiuh mochiuh ga omatecochtli tlaolli ga matlactli
axaxayaca tíaxcalli tequixquigacatl (ti)axcalli ga genpoualli topatiuh mochiuh yn teu-
cuitlatl yn chalchiuitl yn quachtli y quetzalli y ye yxquich tlagotli auctle ypa motac ga
tetepeui
Twrrmrrr, 7777771
Uff" Ulf/'"'
nh.nnTTl ■77777777777777 i
limili,ÚT 777777777777777 f (Ult
Itimhi-TT II ! II 1 1
11 /.T/» n »7/7 um
1,Itiulhi 77777 1 IUI ninnili um
347
Ms. Mex. 22. Seite 34.
yn oyuh coquetzque quauhtematlatl tiaquizco.
332. [auh yehuatzin Quauhtemoctzin quimohuiquilia y malti amo yuh quicahua yn tecahuato
achcauhti tlatlacateca necoc quitititza quimititlapanaya yoma Quauhtemoctzin].2
333. ye yquac concauaco y yaomic acolnauacatl Xóchitl tenochtitlan y cha ye yuh genpoualilhuitl
quicatinemi y quicauaco tianquizco tlatilulco motlami amo moteno che aito.
334. ynic quiualhuicaqz nenecoc quiualaantiaque yoa ce tepozmitl ce tlequiquiztli y(c) quiual-
pixtia yn ocoque(t)zaco copalnamacoa.
333. nima ye ye valtzatzi vallaz p[iJalli3 nima ye ye oui tlatilulca canato vnte(y)aca vitznauac
tiachcauh toueyo.
336. yn oconaque Xóchitl quiualnauatia y vi[tJznauac tiachcauh quilhuia ca quitquitiuh yn
tlatolli Xóchitl yn oquinonotz quauhtemoc topantemoc tehvatl ticnonotzaquiuh y capitán.
1 Das in [] Klammern steht nur in der Kopie Ms. Mex.
22bis, Seite 47.
2 Die in [] Klammern stehenden Worte finden sich nur
in der Kopie Ms. Mex. 221)is, Seite 48.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
155
347. Das war auch damals, daß man für den Kapitän einen Thronhimmel am Markttempel
errichtete. Es war damals, daß sie eine Steinschleuder aufstellten. Tn dem Tempel
dort auf dem Markte brachten sie zehn Tage kämpfend zu. So ging es mit uns; das
war es, was wir sahen, was wir mit Verwunderung erlebten, wert der Tränen, wert des
Mitleides, weil wir (so bitteres) Leid erduldeten.
348. [Auf den Wegen lagen zerbrochene Knochen, wirre Haare, die (Dächer der) Häuser
sind abgedeckt, die Behausungen sind gerötet (von Blut), die Würmer wimmelten
in den Straßen. Das Mauerwerk ist mit Gehirnen beschmiert, das Wasser ist wie
rötlich, wie gefärbtes Wasser. So tranken wir es. Wir tranken sogar salziges Wasser]1.
349. Und das Wasser, das wir tranken, war natronhaltig (d. i. salzig). Oben auf den Brunnen
waren behauene Lehmziegel (angebracht); wir hüteten sie als einen ganz besonderen
Besitz zwischen Schilden. Was noch irgend lebend war, (hütete man), wie wenn es
sich einer braten wollte, zwischen Schilden.
350. Wir kauten Tzompantliholz (Erythrina corallodendron), Queckengras, Lehmknollen,
Eidechsen, Mäuse, mit Staub Bedecktes, Würmer. Wir aßen miteinander, was man
auf das Leuer legte und wenn dessen Eleisch gar war, aß man es da (gleich) so am
Teuer.
351. Und wir hatten nur einen Preis; das war der allgemeine Preis für einen jungen Mann,
für einen Priester, für ein Mädchen, für einen Knaben. Der Gesamtpreis für einen
Sklaven betrug nur 2 Handgruben (voll) Mais. Nur 10 Sumpffliegen (war der Preis)
für ein Maisbrot. Nur 20 Einheiten Queckengras war der Preis für Gold, Türkise,
einen Wollmantel, Quetzalfedern; jede beliebige Kostbarkeit wurde gleich gewertet
(wörtlich: angesehen). Man verschleuderte sie (förmlich), als man die Steinschleuder
auf dem Markte aufrichtete.
352. [Und er, Quauhtemoctzin läßt die Gefangenen abführen; diejenigen, welche sie führen,
ließen deshalb keinen da. Die Obersten und Anführer streckten sie von zwei Seiten
und Quauhtemoctzin öffnete (wörtl. zerbrach) ihnen eigenhändig den Leib]2.
353. Es war damals, daß man zurückließ und daß im Kriege starb der Acolnauacatl Xochitl
von Tenochtitlan. Nachdem er sie 20 Tage begleitet hatte, ließen sie ihn zurück auf
den Markt in Tlatelolco. Man stahl sich heimlich weg, man nannte sich nicht mehr
Tenochcatl.
354. Darauf führten sie ihn den (Xochitl) her, auf beiden Seiten eskortiert und unter Be-
wachung von einem Armbrust- und einem Feuerrohr(schützen) und sie gehen hin
und stellen ihn am Kopalmarkt auf.
355. Dann rufen sie her: „Es wird ein anvertrautes Gut (d. i. eine wichtige Mitteilung, eine
Botschaft) kommen. „Alsbald kommen die Alatelolca hin und nehmen ihn in Empfang.
Es führte sie an der Patron vom Uitznauac (d. i. Tempel des Tezcatlipoca im südöst-
lichen Teil der Hauptstadt Mexiko), unser Nachbar.
356. Als sie Xochitl in Empfang genommen hatten, melden sie es dem Patron von Uitznauac,
und sagen ihm, daß Xochitl ihm eine Botschaft überbringen werde. Er zeigte es dem
Quauhtemoctzin an, dem Topantemoctzin (mit den Worten); „Du wirst mit dem
Kapitän verhandeln.“
3 pialli. deposito. Mol. II. Daß dies Wort „pallials „ptalli“ oder „pielliu.
„pialliu gelesen werden muß, geht aus § 364 hervor.
20 Baessler-Archiv.
156 ERNST MENGIN
357• yniquac concauaco nim'd yc moman yn chimalli aucmo necalliva aocac ano Auh nima ye
quivica contlalito axoc:tzinco Ciuateucalco yn oc otlalito nima ye yc ui quilhuizqz topdte-
moc(t)zi coyoueuetzi temilotzi (y)e niman yc no yc y itlatocauh tcnochca.
338. conilhuia nopiltzitzinc ca oconcauaco yn amotcchiuhcauh acolnauacatl xochitl quil tlcy
ynahuatil amcchmomaquiliz.
359- Nima yc yc mo7iono(t)za comolhuia qucn anquitoua nima yc mochiti tzatziteuaqz maca-
gocmo nicä quiualhuicaca ca yuhqui toncxtlaual omochiuh.
360. ca oticamapouhqz ca otic(c)opalpouhqz ma gan (n)o ye quiualqui1 yn (i)tlatol yn ocanato
ynic ga ye no ye yc yauh viznauac tiachcauh toucyo y quicuiz y tlatolli.
361. Nima ye yc quitlatoltia quitilmacaltique quitcmolia yn tlatolli y quiualitquitia quitoa
acolnauacatl xochitl caquimitalhuia tcutl Capitán yod y malin(t)zin.
362. tía quicaqui quauhtcmoc y coyoucue topdtcmoc amoquitlaoculia y mageualli y piltzintli
yn ucuc(t)zi yn illamatzi ca ga yxquich y nica cuix oc vcl ce ne(n)tlalolli. auh y nima
yxquich ma ualla chipauac giuatl chipauac tlaolli totolli totoltetl chipauac tlaxcalli Auh
ca [njoconc [hJia que quitoz ma yyoca quiuallalica tenochcatl ma yioca vnpopoliui.
Ms. Mex. 22. Seite 35.
363. yn oconcuic tlatolli viznahuac tiachcauh toueyo nima ye yc yauh quimacaz y tlatolli
tlatilulco tlatoque tetlan vnca meuititica2 y tenochca yntlatocauh quauhtcmoc y ocócaque
yn ixquich y tlatolli quiua[li]tquic acolnauacatl Xochitl nima ye yc monono(t)za tla-
tilulco tlatoque comolhuia que anquitoa que amonono(t)za.
363.. Nima ye quiualitoa Coyoueuetzi tlacuchcalcatl tía quiualno(t)zacd toueyo conilhuia tía
xiuallauh quen antlachia que anquita yn amotlapiello conitoa tefo]ua(n) amatlamatqui
amatequi Nopilgigte ma xicmocaquitica(n) tleyn (n)el tiquitozqz
363. ca ga nauilhuitl yn titlanapoualtizque Auh y mach yehuatl yn inahuatil y vitzilopochtli ca
(a)yatle vetzin cuix ychtaca aanquimotilizque ma oc tonagica ca ga nauilhuitl yn titlana-
poualtilizque Auh y ye yuhqui amo mouelcaqui ye no yc peuh y yaoyotl.
366. £a ye nonoicz conixtito copeualtito yaoyotl viznahuac tiachcauh toueyo yc yequene tece-
molinique amaxac a$itimoque( t )zaco necalilliztli nima ye yc ñeque quédalo ga tlacapax
netlaloloc yn atl tlac[g]atica tzop tlac[gJaticate yuin in poliuhti'ue yn atl tlacgatica tzop
tlac[gJaticate5 ga ye y maquiz.
1 = quiualcui.
2 vde. Olmos S. 113.
3 Zu Grunde gelegt: no ye.
4 Mol. II. s. v. itlacapan tepetl. ladera de sierra.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
157
357. Solange man ihn daließ, ruhten die Schilde und man kämpfte nicht mehr, und es
wurde keiner mehr gefangen. Darauf führte man ihn hin und wies ihm einen Platz
an in Axocotzinco, im Ciuateocalco. Als er sich da (häuslich) niedergelassen hatte,
gehen sie hin und sagen es dem Topantemoctzin, Coyoueuetzin, Temillotzin, bald darauf
auch dem Herrscher der Tenochca.
358. Sie sagen zu ihm: ,,0 edler Fürst! Sie sind gekommen, um eueren Obersten, den
Acolnauacatl Xochitl herzubringen“. Er sagt: „Warum?“ (Sie antworten:) „Er will
euch seine Botschaft überbringen.“
359. Darauf beratschlagten sie miteinander und sprachen: „Was sagt ihr dazu ?“ Alsbald
riefen sie alle aus: „Daß man ihn nur nicht unter irgend einem Vorwand hierher bringt
und auf diese Weise ein Schuldverhältnis für uns entstand!“
360. Denn wir befragten die Bücher, wir befragten das Weihrauchharz (welche sagen:)
„Es möge nur der allein ihre Botschaft entgegennehmen, der hinging, um ihm das
Geleite zu geben!“ Deswegen geht auch nur der Patron vom Uitznauac, unser Nach-
bar, um die Botschaft in Empfang zu nehmen.
361. Dann veranlaßt er ihn, zu sprechen, seine Botschaft vorzutragen, er erkundigt sich
bei ihm nach der Botschaft, die er herbringt. Der Acolnauacatl Xochitl sagt: ,,Der
Kapitän und Malintzin legen euch dringend nahe:
362. „Mögen Quauhtemoc, Coyoueue und Topantemoc es hören! Sie haben kein Mitleid
mit dem Volk, den Kindern, den Alten, Männern und Frauen. Deswegen allein bin
ich hier. Wird meine Botschaft noch ganz nutzlos sein ? Man möge darum (doch
ruhig) alles herbringen: die keuschen Frauen, den weißen Mais, Hühner, Eier, das
weiße Brot. Denn ich warte noch; was wird Quauhtemoctzin sagen ? Möge er doch die
Tenochca auf sich allein stellen, so daß sie allein untergehen!“
363. Nachdem der Patron vom Uitznauac, unser Nachbar, diese Rede vernommen hat,
geht er und überbringt sie den Herren von Tlatelolco. Dort nimmt bei ihnen Platz2
der Herrscher der ‘Tenochca, Quauhtemoctzin. Nachdem sie die ganze Botschaft ver-
nommen hatten, welche der Acolnauacatl Xochitl überbracht hatte, beratschlagten
die Herren der Tlatelolca miteinander und sprechen: „Was sagt ihr ? Was meint ihr ?“
364. Dann sagt der Jlacochcalcatl Coyoueuetzin; „Unser Nachbar (der Patron vom Uitz-
nauac) möge uns raten!“ Sie sagen zu ihm: „Komme her! Wie betrachtet, wie
schaut ihr an euer anvertrautes Gut (d. i. die Botschaft) ?“ Der Priester, der Schrift-
gelehrte, der auf Grund der Bücher wahrsagt, erklärt: „Edle Herren! Möget ihr es
vernehmen, was wir wahrsagen !
365. Es sind nur (noch) vier Tage, so werden wir 80 Tage um haben. Und so lautet der
Bescheid (Spruch) des Uitzilopochtli, daß (dann) nichts eintritt. Vielleicht werdet
ihr es heimlicherweise sehen. Gehen wir nur noch die vier Tage zu Ende, denn schon
in vier Tagen werden wir 80 Tage vollenden. Und wenn sie es so nicht günstig auf-
nehmen, wird der Krieg Wiederbeginnen.“
366. Er allein, unser Nachbar, der Patron vom Uitznauac war der, der den Krieg anregte
und begann. Deswegen setzten sich auch alle Leute, alle Kräfte in Bewegung. Der
Krieg wurde vorgetragen bis nach Amaxac. Da gab es ein Gedränge; alles stob aus-
einander nach den Abhängen. Das reißende Wasser machte den Garaus denen, die in
eiligem Lauf begriffen waren; so gingen sie zu Grunde, Das reißende Wasser machte
den Garaus denen, die in eiligem Lauf begriffen waren;5 nur so sollte es ausgehen,
(d. h. der Kampf nimmt diesen Ausgang).
5 Dieser Satz ist. im Original zweimal wiederholt. Der Text ist an dieser Stelle unsicher, wie man sieht.
158 ERNST MENGIN,
367. yuinympoliuh y mexicatl tlatilulcatl yn oquicauh yniauh yn itepeuh y ye unca Amaxac
yn ixquich ye ticatca auctle tochimal tomaquauh auctle tochimal auctle tinquani yuh ce
youal yn topà quiauh y ye yuhqui yn oonalquiz.
368. nima ye yc ui y coyoueue(t)zi topantemoc(t)zi temilo(t)zi auh yn quauhtemoc(t)zi
concauaco y quauhtemoc(t)zi yn ucà catca Capitan Dò p° aluarado Do(na) malin(t)zi
Ms. Mex. 22. Seite 36.
369. Tn ovnanoqz yquac peuh y yc quiga mageualli yn canpa motztilitia yni quixoa yn oc aca
tzotzomatzintli yc motzinilacatzotiuh ciuatzintli nouià y quitlatemolia xpianoti quitlaxilia
yn iquetzi1 nouia nemi yn innacazco yn icamac yn inxilla(n) yn intzontitla.
370. ca ye yui y quiz maceualli ynic nouia moyauac yn atl ipan tepetl ypa y texomolco tecaltech
ma aquito.
3JI. y ey calli xiuitl yca poliuh altepetl ynic tixitinqz ypa nexochimaco cemilhuitonalli ce
conati yn oiuh tixitinque y tlatilulco tlatoque motlalito quauhtitla y topantemoctzi
tlacuchcalcatzintli Coyoueuetzi temilotzi.
3J2. ye vey tiacauh y vei oquichtli ga cani(n) moquiquixtia ga ytzotzomatzi ye tinemi No yuhqui
ciuatzintli ga tzotzontecomayo y quimocuetia tlacuiloltzintli quimouipiltia.
373- yn^c ye nentlamati tlatoqz ye ypa mononotza y ye nocepa tixpoliui y cetzin ocoquizqz ca
macehualli y ye tichtacamictilo acolhuacan otontla.
373. ye yc mononotza y quitlaoculla macehualli ye quitoa y ma tiuia ma tictlatlauhtito yn to°
tlatoani Capitan. Nima ye yc motemoua teucuitlatl tetlatemolilo ye tetlatlanilo yn ago[o]c
aca achi teucuitlatl y chimaltitech yn tlauiztiteeh oquicuic oquimopielti yn anogo ytenteuh
ytenpilol yn anogo (o)c aca oquitla oquiquixtili yn iteua(n) yn azo teucuitlatl yn anogo
yyacametz anogo ypilol y ye yxquich nima ye yc monechicoa
375- y ye yuhqui yn omonechico yn oc quixquich onez nima ye yc quiualisquetza yn intechiuh-
cauh tlap altee atl Cuexacaltzi tecpaneca(t)zintli vitzi(l)tzi vi(t)znauac tiachcauh toueyo
Cuytlachcoacal pogongi yehuantini yn quicauato teucuitlatl Coyouacan.
3j6. yn oonacique conilhuia Capitan totecuioe tlatoanie mitzualmotlatlauhtilia y motechiuhcaua
Ms. Mex. 22. Seite 37.
y tlatilulca tlatoque conitoa Ma quimocaquiti yn tlacatl y toc Motolini yn imaceualtzi
ca ye conihiohuia y nauacà tepevaca y texomolco tecaltech ca ye yca mocacaiava yn acolhua
yn otomitl.
1 = icuetzi.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
159
367. So gingen zu Grunde die Mexikaner, die Platelolca und ließen ihre Siedlungen (ver-
waist) zurück. Schon als wir in Amaxac waren, soviele wir auch waren, hatten wir
nicht mehr unsere Schilde, unsere Obsidianschwerter, nicht mehr unsere Schilde,
nicht mehr das gewohnte Essen. Wir hatten die ganze Nacht Regen. So kam auf diese
Weise das Ende.
368. Dann kamen Coyoueuetzin, Popantemoctzin, Pemilotzin und der Quauhtemoctzin. Sie
kommen und liefern den Quauhtemoctzin aus. Es war da der Kapitän Don Pedro
Alvarado und die Herrin Malintzin.
369. Damals, als man sie gefangen genommen hatte, begann das Volk abzuwandern. Wo
finden sie Erfrischung (d. i. ihr Auskommen) ? Bei ihrem Weggang, sofern es noch
eine Frau gibt, welche Lumpen anhat, mit denen sie ihre Blößen bedecken (wörtl. ihren
Hintern einwickeln) kann, so durchsuchen sie die Christen überall; sie ziehen ihnen ihre
Hüfttücher aus, sie untersuchen alle Teile ihrer Körper (wörtl. von allen Seiten unter-
suchen sie sie), ihre Ohren, ihren Mund, ihren Unterleib, ihre Haarfrisur.
370. So geht das Volk weg, als es sich allenthalben zerstreute in andere Siedlungen, als
sie sich verstohlenerweise wegbegeben in die Schlupfwinkel fremder Häuslichkeit.
371. Es war im Jahre 3 Haus, als die Siedlung zu Grunde ging. Wir gingen zu Grunde am
Nexochimaco (= „wo man allgemein Blumen pflückt“; das ,,kleine Totenfest“ der
alten Mexikaner), am Tage 1 Schlange. Nach unserer Vernichtung ließen sich die
Herren von Platelolco : Popantemoctzin, der Alacochcalcatl Coyoueuetzin und Pemillotzin
in Quauhtitlan nieder.
372. Der große Gebieter, der mächtige Mann, wenn er ausgeht, trägt er nur (noch) Lumpen.
Wie eine Frau trägt er nur eine Gewandung, seine Kopfhaarfrisur. Er trägt angezogen
ein gesticktes Hüfttuch und ein hemdartiges Obergewand (wie die Frauen).
373. Während die Herren noch niedergeschlagen sind und sich über (das Geschehene)
beraten, richtet man uns noch einmal zu Grunde. Als ein Mann aus dem Volke zufällig
weggeht, wird er in Acolhuacan bei den Otomi meuchlings ermordet.
374. Diejenigen aus dem Volke, welche mit ihm Mitleid haben, versammeln sich und
sprechen: „Laßt uns gehen und unseren Herrn, den Herrscher, den Kapitän (um Hilfe)
anflehen!“ Daraufhin sucht man Gold, man forscht und spürt bei den Leuten nach,
ob vielleicht einer zufällig noch ein wenig Gold genommen und aufgehoben hat, auf
seinem Schild, auf seinen Kriegerdevisen oder vielleicht an seinem Lippenpflock,
seinem Lippengehänge. Oder ob vielleicht einer zufällig aufgespürt und aufgehoben
hat ein wenig Gold von seinen Lippen, seiner halbmondförmigen Nasenplatte oder
seinem Gehänge. Das bringt man alsdann alles zusammen.
375. Und als man auf diese Weise alles zusammengebracht hatte, was noch zum Vorschein
kam, betrauten sie damit ihre Obersten, den Plapatecatl Cuexacatlzin, P ecpanecatzintli,
Uitziltzin, den Patron vom Uitznauac, unseren Nachbarn, Cuitlachcoacal und Pogongin,
daß sie das Gold nach Coyouacan brächten.
376. Als jene dort angelangt waren, sprachen sie: „Kapitän, o, unser Herrscher und Ge-
bieter! Es flehen dich an deine Obersten, die Herrscher der Platelolca und sprechen:
„Möge er sie anhören der Herr, unser Gebieter, weil seine Vasallen in Not sind; daß
sie seufzen in ihren Siedlungen, in den verborgenen Schlupfwinkeln fremder Häuslich-
keit ! Denn es spotten über sie die Acolhua, die Otomi,
I 6o
ERNST MEN GIN
377. ye quichtacamictia Auh yni ca yzcatqui yni[c] quiualmotlatlauhtilia ca yehuatl yn iteteuh
yn inacoch y motechiuhcauh auh yn toteua yn intech ocatea auh y chimaltitech oca calca
ye yxpan contequilia ye tanatitia.
378. Auh yn oquitac y Capitan y Malin A (¡a niman ye ce yquallani qtoa cuix ye y yntemolo
ye y quimotemolia y nicä tolteca acalloco anquiatlagaltique canpa ca ma ned.
37g. Nima ye y(c) conitoa [ajmo titläqz ca oquimanili y quauhtemoc(t)zi y ciuacoatl auh y
vi(t)znauatl (c)a yehuäti cornati yn campa ca ma qutmotlatlanili yn oquicac yequene yc
vel quimonilpi tepoztli quimotlatlalili quiualilhuia malingi
380. ca conitoa Capitan Ma uia(n) ma quinonotzati yn itlatocaua onechmocneliliqz azo nelli
ye motolinia maceualli ye yca necacayauallo ma ualhuia ma motecaqui yn tchä tlatilulco
yn ixquich yntlal ma ypa motecaca tlatilulca yoa xiquimilhuilica(n) yn tlatilulca tla-
toqz y tenochtitlà aucac motecaz ca nel y tepeualpä y teteuh ca ye yncha ma mouicaca(n).
381. ye yuhqui yn oyaque tlatilulca tlatoqz yntitlaua nimä ye yc intech moquetza tenochtitlä
tlatoqz y quintlatoltia ye yquac quiqxitlatique yn quauhtemoctzi.
382. Auh (¡a vallathui y quiualhuicaqz vallilpitiaqz quauhtitech quimonylpico quauhtitech
ychan auitzotzi yn acatl yacapa vncä quiz y espada tlequiquiztli yn imaxca totecuioua y
quintoatqaltiqz.
383. Auh yn teucuitlatl quiquixtito Cuitlauactonco ycha ytzpotonqui.
384. yn ocoquixtico totecuioua ye nocepa quiuica Coyoaca ylpitiui
Ms. Mex. 22. Seite 38.
ye unca mic y teua y quiqiaya vitzilopoch(tli) yn quitemoliaya yn campa onoc ytlatqui
tlacatecolotl ynehuä totec tlamacazqui tlenamacac.
383. ye yquac quimomachitocaque ynic teyacdqz Xaltoca quachilco y pieloya ytlatqui yn üpa
qui^acato yn onez y momexti quinpilloque ma^atla onepantla.
386. y ye yuhqui yquac peuh y ye ualcallaqui maceualli ynic motecaco tlatilulco naui tochtli
xiuitl yca. Nimä ye yc uitz y temillotzin vmotlalico capoltitla(n).
387. auh y Do Juan1 veuen(t)zi omotlalico aticpac. Auh y coyoueuefi y topätemoc(t)zi quauh-
titla mique yn otontecaco nican tlatilulco (¡an oc tyyoque ayamo motecaco y to° xpianoti
(¡an oc yc techyollalique y coyoaca(n) yxquich cauitique
388. vnca quipilloqz vi(t)zilopochco tlatoani macuilxochitzi nima ye colhuaca(n) tlatoani
pi(t)zo(t)zi mv2 vncä quipilloqz yoan quauhtitla(n) tlacatecatl yoä tlillancalqui qui-
pelloqualtique.
1 Ist im Originaltext undeutlich geschrieben. Kann auch Pedro heißen.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
161
377. Sie ermorden sie meuchlings. So siehe hier, wofür sie dich bitten ! Dies sind die Lippen-
pflöcke, die (goldenen) Ohrpflöcke von deinen Obersten und das, was (Schmuck)
unserer Götter war und was sich an den Schilden befand. Dann breiten sie es vor ihm
aus, entnehmen es den Körben.
378. Als es der Kapitän und Malintzin sehen, da werden sie nur zornig und sprechen: „Wie ?
Ist das vielleicht das, was man sucht ? Das, wonach (der Kapitän) fahndet und was
ihr hier in den Kanal der I ölte ca hineingeworfen habt ? Wo ist es ? Man bringe es
zum Vorschein I“
379. Darauf sagen sie: „Wir haben es nicht aufgespürt; denn er überreichte es: Quauhte-
moctzin, Ciuacouatl und der Uitznauacatl. Sie wissen, woher es ist. Möge er sie aus-
forschen ! Als er dies vernommen hatte, legte er sie in Eisen, nahm ihnen alles weg und
Malintzin sagt zu ihnen:
380. „Der Kapitän läßt euch sagen: Mögen sie hingehen und ihren Obersten zur Kenntnis
bringen, daß sie verpflichtet sind, uns Dienste zu leisten! Vielleicht ist es ganz richtig,
daß das Volk leidet, daß es verspottet wird. Mögen sie (ruhig) kommen und sich hinein-
begeben in ihre Häuser in Tlatelolco! Es ist durchaus ihr Land. Mögen sich die
Tlatelolca (doch) auf ihm niederlassen! Und sagt auch zu den Herren der Tlatelolca,
daß sich keiner in Tenochtitlan niederlassen soll, denn dies ist die besondere Eroberung
der Herren (d. i. der Spanier) und ihre Wohnstätte. Gehet!“
381. Als die Abgesandten der Herren der ‘Tlatelolca fortgegangen waren, machen sie sich
an die Herrscher von Tenochtitlan und forschen sie aus. Dann brannten sie dem
Ouauhtemoctzin die Füße (mit glühenden Eisen).
382. Als es Tag wurde, führten sie ihn her und banden ihn an einen Balken, sie gehen hin
und hängen ihn auf an einem Balken des Hauses des Auitzotzin, an der Spitze des
Rohres. Dort nahm ein Ende der Degen, das Feuerrohr, das Erbgut unserer Herrscher.
383. Und sie gingen hin, um das Gold in Cuitlauactonco, im Hause desItzpotonqui zu suchen.
384. Als unsere Herren hingingen, um es zu suchen, bringen sie sie noch einmal nach Co-
youacan. Sie fesseln sie. Dort starb der Priester, der das (Idol des) Uitzilopochtli ver-
wahrte. Und sie erforschten, wo die Habe des Dämons sich befinde und die des Priesters
des Totec, des Räucherpriesters.
385. Damals gestanden sie es ihnen, als man die Leute nach Xaltocan führte. In Quachilco
war seine Habe aufbewahrt; dorthin hatten sie sie gebracht. Als sie zum Vorschein
kam, hängten sie alle beide auf in Ma^atlan mitten auf dem Wege.
386. Es war nach diesen Ereignissen, daß das Volk begann wieder zurückzukehren, um sich
in Tlatelolco niederzulassen; im Jahre 4 Kaninchen. Darauf kommt Temillotzin und
läßt sich in Capoltitlan nieder.
387. Und der Don Juan Ueuetzin geht hin und läßt sich in Aticpac nieder. Und es starben
Coyoueuetzin und T opantemo ctzin in Quauhtitlan. Als wir gingen, um uns hier in
Tlatelolco niederzulassen, waren wir (noch) ganz allein. Unsere Herren, die Christen,
waren noch nicht gekommen, um sich niederzulassen. Sie beruhigten uns allein da-
durch, daß sie ganz in Coyouacan verblieben.
388. Dort hingen sie Macuilxochtzin, den Herrscher von Uitzilopochco auf. Dann Pitzotzin,
den Herrscher von Colhuacan. Sie hängten sie dort beide. Und den Tlacatecatl, sowie
den Tlillancalqui von Quauhtitlan ließen sie von Hunden zerreißen.
fimeu zu lesen.
1 Ó2
ERNST MENGIN
Gm
39°
389. niman ye xochmilca no quinperroqualtique yoà tetzcoca ecamextlagi qui-
pelloqualtiqz(sic !) ga mocauaco ayac quiualhuicac gan ymamatlacuilollo
quiuatquiqz.
390. nauiti cecholoqz ga y ey in acico Coyoaqz.1
391. Auh ye yc onoqz Coyoaca ye vnca xexeliuh y nouian altepetl niman ye yc
momacevalmaca yn ixquich nouian altepetl ye yquac tenemactic ye yquac
nemaceualmacoc.
392. Nima ye y(c) quiualtoma tenochtitlan tlatoqz yn oquiualtonqz1 ye ui yn
azcapotzalco ye vnpa mononotzato ynic yaocallaquizquia meztitla vnpa
valmocuepato tolla.
393. Nima ye yc yaotlatoan Capitan vaxyacac. yehuàti via Acolhuaca.
Nima ye meztitla niman ye Michuaca Nima2 [vey Molla yhuà quauhte-
malla yhuà tequatepec.
394. Ca zan oncan tlami ynic omopouh ynin amati yn iuhqui omochiuh.J3
1 Der Schreiber des Originalmanuskriptes Nr. 22 hat die
Gewohnheit, die Pluralendungen der Substantiva „que“,
wie auch die Verbalendungen des Plural „que11 in der
Weise abzukürzen, daß er dafür „173“ schreibt, also „q“
mit einem „z“-ähnlichen Buchstaben. Das „z“ nach „q“
in den Pluralendungen der Substantiva und der Verba
hat also im vorliegenden aztekischen Text nur die
Qualität eines Abkürzungszeichens und „qzu = „que“
zu lesen.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
163
389. Dann ließen sie Xochmilca von Hunden zerreißen und Tetzcoca Ecamextlatzin{ ?)
ließen sie (ebenso) von Hunden zerreißen. Sie waren nur hergekommen, um sich hier
niederzulassen, niemand hatte sie herbegleitet. Nur ihre gemalten Bücher brachten
sie mit.
390. Vier Coyouaque flohen zusammen, aber nur drei kamen an.
391. Als sie (sc. die Spanier) sich in Coyouacan niedergelassen hatten, lösten sich dort allent-
halben die Siedlungen auf. Man verteilte sich dort allenthalben auf (andere) Siedlungen
Dann entsteht das Untertanenverhältnis. Ein ganzes bilden allenthalben die Siedlungen,
(d, h. es gab keine alten Bezirksgrenzen mehr). Damals lieferte man Abgaben (sc. an
die Spanier) und dadurch wurde man Untertan (sc. der neuen Herren, der Spanier).
392. Darauf entlassen sie die Herren von Tenochtitlan aus der Haft. Als sie sie freigelassen
hatten, gingen sie nach Azcapotzalco. Dort ging man hin und beriet, auf welche Weise
man in kriegerischer Absicht in Metzitlan einfallen solle. Von dort wendeten sie nach
Tollan zurück,
393. Dann erklärt der Kapitän den Krieg an Oaxaca. Sie (sc. die Spanier) gingen nach
Acolhuacan. Dann nach Meztitlan. Darauf nach Michuacan.2 Dann nach Ueymollan
und Quauhtemallan und Tequantepec.
394. Damit endet dieses Buch, von dem erzählt ist, wie es angefertigt worden ist.3
Hier endet die letzte Seite des Originaltextes. Der
in [] Klammern stehende Text ist aus der Kopie
Ms. Mex. 22Ws ergänzt. Seite 39 und 40 sind 2 un-
beschriebene Agaveblätter. Seite 41 ist gelbliches
Papier zum Schutze auf das Agaveblatt aufgeklebt,
so daß nur die verso-Seite dieses Blattes als Agave-
seite erscheint. Es sind somit 42 Seiten oder 21 Blatt
aus Agave im ganzen,
vgl. § 103.
21 Baessler-Archiv.
Index der Orts-, Personen- und Völkernamen.
Die beigefügten Zahlen geben die Paragraphen an.
A
Aatlatl i
Aca9itli 89, 202, 239
Acachinanco 313
Acalecan 64
Acallan 19—23, 25, 28, 35
Acaloco 301
Acamapich 51, 245, 249
Acapolco 64
Acatepec 64
Acatitlan 163, 164
Acatonal 97
Acatzintlan 187
Acatzintli 1
Achioteca 284
Achitometl 148
Achtlachinollan 67
Acix 108
Acocolco 147, 150, 235
Acolhua(catl) 69, 106, 241, 261, 262,
29A 33°, 376
Acolhuacan 5, 146, 262, 328, 329,
337? 373? 393
Acolhuan 5
Acolman 54, 79
Acolmiztli 87, 88, 91, 92, 242
Acolmiztli Uitziliuitl 75, 77, 80, 81
Acolnauac 123
Acolnauacatzin 72, 74—76, 79, 99,
203, 206, 209, 21 x—214, 238, 321
Acopilco 133
Acuafaca 321
Acueco 303
Acuecuexatl 63, 282
Acuezcomac 162, 198
Acxocueytl 75, 77, 242, 243
Acxoquauhtli 131, 148
Acxoyatl 23
Alvarado Don Pedro Tonatiuh 291,
368
Amantlan 316
Amantlantlaca 285
Amaxac 11, 317, 366, 367
Amaxteca 281
Amaxtla 64, 67
Anauacatl 321
Anayacacolco 11
Apanecan 281
Apantecuhtli 110, 117, 118
Apazco 118
Atenantitech 292
Atepoxotzin 90
Aticpac 387
Atizcapa 324
Atezcauacan 62
Atinantitech 9, 15
Atlaquauitl 1
Atlitlallac 118
Ato 213
Atonal 271
Atotoniltonco 118
Atotoztli 78, 84, 253
Atzonpan 6, 56
Auayoca 286
Auelitoc 45
Auexotl 149, 202
Auilizapan 272
Auilizpaneca 257
Auitzotzin 63, 64, 280, 281, 283,
382
Axayaca 308
Axayacatzin 9, 12, 61, 275, 277
Axocotzinco 357
Axolotl 151
Axoloua 233
Ayaucalco 336
Ayoqua 1
Ayotochcuitlatlan 64
Azcapotzalcatl 106, 306, 323
Azcapotzalco 3, 6, 48, 49, 56, 69,
99, 100, 147, 203, 206—208, 227,
229, 238, 251, 258, 260, 331, 392
Azcapotzaltonco 71
Azcatl xochitl 100
Azcueitl 71, 98, 100, 207, 208
Aztlan 103
c
Cacatlan 345
Cacauitl Tezcacouacatl Tlacochcal-
catl 203
Calaomitl 242
Calimaya 61
Calmeca 11
Caltepec 67
Camaxtli 286
Capitan 288, 289, 291, 299, 336, 337
347? 356, 361, 374 376> 378, 380,
393
Castaneda 333
Castilien 17, 19, 25, 26, 35, 38, 41, 47
Castilteca 66, 103
Cauateca 246
Cauatla 69, 76
Cemacachiquitl 1
Centzontepec 67
Ceollintecuhtli 89, 266
Cimatecatl 145
Cipac 110
Cipactzin 308
Citlal 119, 121
Citlalcouatl 106
Citlaltepec 67, 69, 101, 119, 303, 306
Ciuacouatl 308, 321, 379
(Auacpopocatzin 92
Ciuateocalco 357
Ciuatlan 64, 67
Coanacotzin 323
Coatonaltzin 81, 89
Cofolteca 284
Colhuacan 2, 104, 131, 145, 147, 149,
157, 160, 161, 164, 165, 167, 170,
173, 174 l8°, 184, 185, 191, 196,
215, 224, 231, 236, 237, 259, 262,
337? 388
Colhuacatl 106, 155, 182, 187, 192,
195,202,215,216,234
Collan 67, 285
Coltepec 303
Coluatzin 92
Conihui 11
Contitlan 180
Copil 126—128, 130, 133—-135
Couacalco 56
Couaiuitl 321
Couaixtlauaque 268
Coualpopocatzin 293
Couanacacochtzin 22, 28, 34
Couatepec 115
Couatla 324
Couatl icamac 115, 247
Couatl ychan 69, 75, 77, 80, 98, 242
Couatzontli 146
Couixcatl 106, 267
Coxcoxtli 148, 168, 177, 178, 186
Coyoacatl 306, 323
Coyocac 64
Coyollo apan 64
Coyolapaneca 280
Coyoua 195, 196, 261, 390
Coyouacan oder Coyoacan 61, 79,
251, 260, 331, 340, 375, 384, 387,
391
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
Coyoueuetzin 328, 342, 357, 362, Chimalpopoca 6, 54 M
364, 368, 371, 387 Chimalpopocatzin 257, 258, 267 Maçaltecuhtli 280
Cozcaquauhco 342 Chiquimolan 139 Maçamoyaual 106
Cozcaquauhtenanca 280 Chiuhnauapan 94 Anm. Maçatl 106
Cozcaquauhtenanco 64 Chiuhnauhtecatl 306 Maçatlan 64, 67, 164, 385
Cozohuipillican 64 Chiuhnauhtla 15 Maçatzintamalco 302, 312, 314
Cozooltic 32, 35 Chololtecatl 269, 270, 281 Maçauacan 147, 201
Cuapan 316 Cholouayan 56 Macuextecatzin 93
Cueçalcuitlapilco 64 Cholula 143, 337 Macuilxochitl 244, 388
Cueçaloztoc 61 Christen 387 Malinalcatl 106
Cuepopan 342 Malinaltepec 67
Cuetlaxoçi (Cuetlaxxotzin) 74, 98, Malintzin 29, 33—38, 40, 41, 43, 336,
99, 211, 222 E 337, 361, 368, 378> 379
Cuetlaxteca 269, 270, 288, 289 Ecatepec 62 Maniatzin 230
Cuetlaxtlan 269, 272 (telateca) Ecatzin 35—38, 40, 47, 344 Marques 17, 29, 33—37, 42
Cuetzpaltzin 266 Ecatzitzimitl n Martin Don Ecatzin 47 s. Ecatzin
Cuexacaltzin 354, 375 Emperador 47 Matlacaltzin 83, 253
Cuextecatepec 61 Epcouatl no, 211 Matlaccouatl 70, 72, 100, 106,
Cuextla 61 Epcouatzin 74, 78, 218, 225, 253 207-—209
Cuezcoma 67 Epcouatzin Quaquauhpitzauac 76, Matlacteçacahuaque 107—109
Cuezcoma ixtlauaque 285 77 Matlactzinco 121
Cuezcomatl yacac 61 España 68 Matlalacatzin 328
Cuezpaltzin 83 Españoles 68, 95, 287, 288, 298, 333, Matlalcueye iepae 97
Cuitlachcouacatl lio, 373 343 Matlaltzin 78, 86, 255
Cuitlachtepec 69, 98, 99, 207 Eztlofelompa 2, 148 Matlatlan 61
Cuitlaçiuatl lio Matlatzincatl 106, 263, 276
Cuitlatlan 64 Matlatzinco 62, 145
Cuitlauac 4, 264, 323, 337 I* Matlauacallan 115
Cuitlauacatl 52, 106, 248 Icpactepeca 285 Maxtlaton 6, 7, 56, 58, 76, 79, 214, 260
Cuitlauactonco 383 Icpatepec 67 Maxtlatzin 260
Icxochitlan 62 Memella 1
Icxolotlan 64 Metztitlan 246
Ch Itzcouatzin 259, 261, 262, 264, 265 Mexica 51, 53, 57, 59, 60, 65, 74, 95,
Chachatzin 220, 226, 230 Itzmiquilpan 278 112, 113, 117, 120, 121, 124, 145,
Chalca 5, 8, 55, 251, 252, 272 Itzpancalqui 354 148, 151, 156, 157, 160, 161, 163,
Chalcatl 106 Itzpotonqui 383 l65, 166, 171, 173—175, 177, 178,
Chalco 5, 121, 143, 146, 244, 337 Itzquauhtzin 16, 285, 292, 298, 302 180, 182, 183, 185, 186, 191, 195,
Chalcopochtlan 89 Itzyocan 323 196, 199, 201, 203—207, 212, 213,
Chalchiuhnenetzin 74, 211 luitl no 217—222, 225—227, 230, 233,
Chalchiuhtlatonac 148 Ixco^auhcatzin 69, 76 234—237> 24°> 242, 25U 252> 2б2>
Chalchiuhtonac I Ixco9auhqui(catzin) 98, 99, 214 267, 272, 287, 292, 294, 318, 319,
Chalchiuhtoxochitzin 80 Ixcuecuenetl 215 329> 337, 367
Chapoltepec 125, 136, 145, 162, 213, Ixcuecuetzin 75 Mexicatl 18, 29, 32, 33, 35, 107, xo8,
224, 231, 234, 285 Ixtlauacan 67 1 S6, 234, 237, 267
Chapoltitlan 386 Ixtlilxochitzin 259 Mexicatzinco 82, 188, 253
Chapoltzin 354 Izatochca 64 Mexicatzincopa 187
Chiapaneca 280 Iz^euitepec 67 Mexico 47, 68, 95, ni, 259, 282
Chichimeca 69, 71, 72, 98, 99, 101, Izcouatzin 57, 58, 254 Meztitlan 392
141, 207, 208, 246, 247, 329, 330 Izcuitepec 67 Micacalcatl 90, 94 Anm.
Chichimecatecuhtli 106, 269 Izhuatlan 64 Michhuaque 108
Chichitzin 16 Iztacalcatl 313 Michiniztac i, 2
Chichiueltatacalan 67 Iztacalco 190, 313 Michuacan 393
Chichtli 273 Iztacaltzincopan 194 Mictlan 67
Chicomoyollotzin 81 Iztac chiauhtototl 2, 149 Mixcouatl no, 242, 261, 321
Chicomoztoc 104, 105 Iztacoyotl 86, 255, 270 Mixcouatzin 57
Chiconquauhtzin 72, 73, 100 Iztac tlalocan 64, 285 Mixtlan 61
Chiconquiauitl 208, 209 Iztac xochitl 76, 98, 99, 214 Mizquic 337
Chicpantlaca 278 Iztitlan 67 Mizquicatl 4, 52, 106, 248
Chicuhnauhteca 323 Mizquixaualtzin 87
Chicuicnauhtla 9 Moçelciuatzin 81, 89
Chimalaxotzin 145 J Molanco 64, 67
Chimalcoc lió Juan Don 45 Mometzcopinatzin 92
Chimalhuaca 231, 240, 248 Moquiuix(tzin) 8, 9, 12, 61, 76, 79
Chimalhuacan Ateneo 4, 230 * Siehe auch unter ,,Y“. 90, 94, 214, 269, 270, 274, 276
21
IÓ6
ERNST MENGIN
Motecugoma 65, 68, 289, 292, 298,
302, 308
Motelchiuh 321
Moteuhfomatzin 283
Moxotzin tlafofonizcatl 74, 75
N
Nacazquauhtla 64
Nacuezcomac 129
Nanocpuatzin 194
Nauhtlan 293
Ne^aualcoyotzin 259, 262
Nefaualquentzin 292
Nexpan 64
Nexticpac 2, 189
Nextlatilco 122, 222
Ni^autlan 246
Nocheztlan 67
Nonoualcatl 136, 141, 314
Nonoualco 312, 324, 336
Nopallan 67
O
Oaxaca 393
Oc9etepec 62
Oc9etepetl 61
09elopan 1, 202, 237
09elotl 1, 272
09elotl tecuhtli 87
Oco9acapan 115
Ocuilteca 276
Onepantlatzin 93
Otomi(tl) 32, 325, 328, 373, 376
Otompan od. Utompan 5, 54
Oyximachoc 321
Oztocuiuayan 225
Oztopolco Coyoacan 74
Oztoticpac 61, 89, 266, 272
Oztoticpactlaca 278
Oztoyoque 98
P
Pantitlan 125
Pantlanala 64
Pechitl 106
Piaztlan 67
PillÌ9Ìuatzin 88
Pitzotzin 388
Po9on9Ìn 375
Poiauitl 1, 242
Popocatepetl icpac 97
Popocatzin 35, 36, 38, 344
Popouiltitla 324
Poscauhtlan 61
Q
Quachic 325, 328
Quachilco 385
Quachpane 107, 109
Quapanohuaya 61
Quaquauhpitzauac 3, 4, 48, 214,
241
Quaquauhtzin 76, 79, 214, 218, 225,
228, 230, 240, 242, 243, 245, 248,
253, 255
Quauaca 69, 87, 248
Quauhcouatl no
Quauhiztlan 64
Quauhnauac 79, 88, 89, 137, 146,
267, 307, 337
Quauhnauacatl 4, 52, 106, 244, 264
Quanhnochtli 316
Quauhpilloyan 64
Quauhquecholteca 244
Quauhquiauac 317
Quauhquilaztli 106
Quauhtemallan 393
Quauhtemoc(tzin) 17—20, 27, 28,
34, 35? 37, 46, 264, 3i8, 337, 340,
352, 356, 362, 363, 368, 379,
381
Quauhtepec 83, 266
Quauhtepextla 106
Quauhtinchan 90, 94, Anm.
Quauhtinchantlaca 248, 251
Quauhtitlan 5, 54, 82, 121, 253, 371,
387, 388
Quauhtitlancalcatl 306, 323, 331
Quauhtlaton 87
Quauhtlatouatzin 7, 58, 92—94, 259,
261, 262, 264, 274
Quauhtlayetepec 264
Quauhtliquetzqui HO, 113, 117, 126,
127, 129, 132, 133, 135, 136
Quauhtochtzin 94 Anm.
Quauhtomidcuilcatl 90
Quauhtzin 90
Quauhxayacatihuayan 64
Quauhximalpan 61, 129
Quechollac 83, 253
Quetzaltepec 105
Quetzalxillotzin 81, 89
Queuacatzin 275
Quifemitohuatzin 16
Quichtepec 67
Quiltepec 67
Quioyecatzin 328
S
Salpan 67
Sandoval 336
T
Te9acatetl Chiauhtototl 202
Tecalco 61
Tecaman 56, 317
Tecocoltzin 328, 329
Te909omoctzin 76, 78, 79, 82, 86, 99,
211, 214, 215, 217, 219, 220, 222,
223, 226, 229, 238, 241, 253, 254,
258
Tecolixtli 213
Tecompan od. Tecopan 55, 58
Teconpatlan 67
Tefonquauhtlan 67
Tefotlalnamacoya 15
Tecouatl Mexicatl n
Tecpa 106
Tecpanecatl 258
Tecpanecatzintli 375
Tecpantlacalque 5
Tecpantlayacac 288
Tecpantzinco il
Tecpatlan yacac 67
Tecpayocan 69, ioi, 123, 247
Tecpoyotl 150
Tecuhillama no, 122
Tecuhtepeca 285
Tecuhtlacofauhcatzin 251
Tecuictepec 67
Tecuictollan Yztacalco 2
Tecniyantzin 242
Teiztlacouatl 89
Temalacatl 62
Temazcalpan 303
Temazcaltitlan 2
Temilotzin 35—37, 40, 42—45, 328,
357, 368, 371, 386
Tenantitlan 354
Tenantzinco 6l
Tenatzin 149
Tenayocan 69, 74, 98, 99, 211, 212,
2H, 246, 247, 331
Tenayocatl 306, 323
Tencopan io
Tencuecuenotzin 308
Tenoch. 1, 2, 127, 128, 134, 149, 202,
244 •
Tenoch 1, 2, 127, 128, 134, 149, 202,
244
Tenochca 14, 17, 18, 49, 221, 222,
229, 244, 245, 269, 276, 286, 290,
293, 295, 3o8, 309, 315, 317
323—327, 33°, 331, 338—342, 353,
^ 357, 362, 363
Tenochcan 29
Tenochtitlan 6, 12, 18, 35, 48, 59, 85,
135, !98, 202, 2I2, 249, 25°, 254,
256, 259, 267, 275, 278, 279, 290,
298, 3I8, 353, 38o, 381, 392
Tentili 321
Teoatl 108
Teoatl ypantzinco 67
Teocolhuacan 103
Teocuitlatlan 64
Teoithualco 343
Teopantla 246
Teotenanco 61
Teouyacac 61
Tepan 147, 163, 166,
Tepaneca 7, 58, 74, 195, 225, 226, 234
239, 260, 264
Tepanotiuayancalqui 4
Tepanouaya 53
Tepanquizqui (Uitziliuiti) 211
Tepantonco 215, 236
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
167
Tepantzin 146
Tepaquiçatzin 89
Tepeacac 305
Tepeacalca 281
Tepechpan 79
Tepepan 67
Tepetzinco 124
Tepexic 92
Tepexotzin 251
Tepeyacac 61, 314, 324
Tepeyacalque 273
Tepoco 11
Tepoçotlan 303
Tepochpan 323
Tequanehuatl 271
Tequanitzin 69, 74, 98, 99, 211
Tequantepec 64, 281, 393
Tequauhcozcac 62
Tequixquiac 119
Teticpac 126
Tetlapanquetzatzin 22, 28, 34
Tetlyaco 321
Tetzapotitlan 61
Tetzcoca Ecamextlatzin 389
Tetzcoco 305, 307, 308, 323
Teuhcalcatl 321
Teuhcalhuiacan 303, 340
Teuhcoxotzin 100
Teuhtlehuacatzin 5, 258
Teuhtleuatzin 49, 56
Teuhtollan 190
Texcoco 35
Texopan 343
Texotlan 67
Teyolcocouatzin xó, 76, 79, 214
Tezca 213
Tezcacouacatl 145
Tezcapoctzin 72, 73, 209, 210
Tezcatlamiyaualtzin 146, 163, 166
Tezcoco s. Texcoco 22, 28, 34, 36
Tezontlalli 9
Tianquiznenetzin od. Tianquizcatzin
.74» 211
Tianquiztenco 89
Tiçaapan 156, 167, 233, 237, 264
Tiçauatzin 86, 89, 254
Tiçoçicatzin 62, 278, 279
Tiçocyauacatl 328
Ticomecatl Chichiquauitl 201
Tilmatlan 62
Timal 136, 138, 140, 141, 143, 144
Tlacalteotzin od. Tlacalteutzin 5, 6,
56, 87
Tlacatecco 264, 316
Tlacateotl 137, 253, 267
Tlacatecatl 16
Tlacateotl 56, 118
Tlacateutzin 78, 80—82, 91, 93, 255,
258, 259
Tlachcalcatl 16
Tlachinollan 67
Tlackquiyauhco 67
Tlaco 321
Tlacochcalcatl 16
Tlacochcuetzin 89
Tlacopan 22, 28, 34, 79, 264, 306
Tlacopanecatl 306, 323
Tlacoten 48
Tlacotepec 64
Tlacotepeque 61
Tlacotzin 123
Tlacoxi Tzontecomatl 69
Tlacoxolotlan 67
Tlaillotlac 321
Tlalliztacapan 307
Tlallolin tecuhtli 69
Tlalocan 316
Tlalotepec 67
Tlaltecatzin 88
Tlaniztlan 67
Tlapaltecatl 354
Tlapechuacan 305
Tlaquetz I
Tlatelolca 13, 221, 222, 228, 229,
270, 286, 290, 293, 295, 307, 314,
3U, 3i8, 319. 324> 326—329, 332,
337. 338, 344—346. 355, 363, 367,
376, 38°. 381
Tlatelolco xaliyacac 3, 4, 7, 8, 9, 11,
12, 15—20, 22, 46—48, 56—58,
60, 61, 80, 93, 103, 212, 229, 244,
248, 253, 259, 267, 269, 273, 274,
276, 285, 286, 292, 298, 302, 317,
318, 322, 328, 330, 353, 363, 371,
380. 386, 387
Tlatenpan 134, 142
Tlatlauhquitepec 67
Tlatlauhqui ycxic 62, 63
Tlatzallan no, 112
Tlatzinco 134
Tlatzotzonizcatl-Moxotzin siehe Mo-
xotzin 211
Tlauelloctzin 276
Tlaueluetzin 280
Tlauililpan 61
Tlauizcalpotonqui 69, 101, 120
Tlaxcallan 257, 304, 337
Tlaxcalteca 246, 269, 270, 286, 314
334. 336
Tlaxoxiuhco 354
Tlecuilina 106
Tlemaco 117
Tlilhuacan 343
Tliliuhquitepec 246
Tlillac 119
Tliltepec 67
Tlotepetl 108, 109—113
Tlotli tecuhtli 69, 101, 123, 247
Tochintecuhtli 84, 98—100, 253
Tochpan 61
Tollan 118, 392
Tollantzinco u. Tollantzinca 5, 24,
256
Tolocan 61
Tolpetlac Nepopoualco 122
Tolteca 301, 378
Toltecatzin 282
Toltitlan 5, 54, 86, 254
Toltitlancalque 258, 323
Topantemoctzin 328, 356, 357, 362,
368, 371.387
Totee 384
Totoçacatzin 16, 286
Totomiuacan 84, 86, 253, 255
Totomiuaque 264
Totonaca 284
Totonacapan 284
Totoquiuatzin 264
Tototepec 67
Tototlan 61
Toxcatl 311
Toxico 62
Tozac 285
Tozcuecues od. Toxcuecuex 1,
124—126, 136
Tozpaxoch 145
Tozteca 278
Toztepec 67
Tzapotitlan 64
Tzaqualtitlan 244
Tzillan 62
Tzinacatepec 61
Tziuac tlatonac 69, 71, 98, 99, 207
Tziuacpopocatzin 280, 285, 308
Tziuactlan 67
Tziuhcouac 47, 64
Tziuhcouacan 280
Tzompan 269
Tzompanco od. Tzonpanco 120, 130
Tzompantecuhtli 274
Tzonpachtli 69
Tzontecomatl 69, 97
Tzotzollan od. Çotzolan 64, 67
U
Uacaltzintli 78, 85, 89, 254
Uacaltzintli Tlacochcuetzin 81
Uanitl 321
Uauhquil 69, 101, 123
Uauhquil ichan 101, 247
Uaxquauhtla 114
Uaxtepec 89, 307
Uetzin 96
Ueuemotecuçomatzin 59, 60, 265,
269, 275
Ueuentzin Don Juan 387
Ueuetlan 64
Uexolotlan 67
Uexotlan 99, 100
Uexotzincatl 106, 269, 270, 282, 285,
286, 314
Uexotzinco 90, 94, Anm. 121, 286,
337
Ueymollan 34, 393
Uipillan 64
Uitzallan 315
Uitziliuitl 136, 145, 152, 153, 155,
234. 250
Uitziliuitl Tepanquizqui 74
Uitzilmoyaual 112
Uitzilopochco 388
ERNST MENGIN
168
Uitzilopochtli 59, in, 158, 278, 294,
317, 365, 384
Uitziltecatl 146
Uitziliuitzin od. Uitziliuitl 2, 52, 53,
2II> 256, 375
Uitznauac 316, 355, 356, 360, 363,
366, 375
Uitznauatl 321, 379
Uitztlan 64, 67
Uizquiloque 246
Uizquitlan 64
Upanteculitli 100
Upantzin od. Umpantzin 69, 72, 209
X
Xacaltzinco 28
Xalatlauhco 61
Xalpanecatl 106
Xaltepec 64
Xaltiaquizco 67
Xaltocameca(tl) 257, 306
Xaltocan 69, 72, 100, 146, 163, 166,
201, 209, 385
Xanquitzin 80
Xicochimalco 64
Xicomoyaual 72, 100, 132, 209
Xicotepec 67
Xilotepec 261
Xipanoc 321
Xiquipilco 61
Xiuhcac 202
Xiuhcanaualtzin 93
Xiucoyolmaquiztli 78, 83, 253
Xiuhquechollpotoncatzin 92
Xiuhtecuhtli Acamilca(tl) 110, 213
Xiuhyaotecuhtli 89
Xiuistlahuacan 64
Xochicalco 230
Xochimilcan 170
Xochimilcatl 106, 170—173, 177, 179,
182, 248, 389
Xochimilco od. Xochmilco 145, 307,
337
Xochitl 321, 353, 356, 358, 361, 363
Xochitlantlaca 281
Xochmilcatl 4, 52
Xochtla 64
Xocotl ipac 96
Xocotzin 81, 89
Xocoyol 1
Xocoyotl 17
Xocoyotl Tepofomoctli Yacateteltetl
nipeuhqui 74
Xolma 1
Xolochiuhcan 64
Xoloco 315
Xolotlan 64
Xomimitl 1, 2, 200, 202
Xoxopeualoc 308
Xoxouiltitlan 314
Y*
Yacacolco 318, 324, 343, 345
Yaofol 147
Yaocuixtli 78, 82, 253
Yauhtenco 334
Yauhtepec 64
Yayauhqui xiuitl 106
Yolloquanitzin 285
Yolloxonecuillan 67
Youalpitlal 98, 99
* Siehe im übrigen die Worte, welche
mit I anfangen.
Besprechungen.
S. Passarge, Geographische Völkerkunde Band 5: Asien.
Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main 1938. 140 S.
Eine anthropogeographische Betrachtung des asiati-
schen Kontinents, die S. Passarge im fünften Bande seiner
geographischen Völkerkunde unternimmt, kann, wie der
Verf. selbst in der Einleitung zu seinem Werke sagt, nur
ein Entwurf in ganz großen Zügen sein. Der gegenwärtige
Stand der völkerkundlichen Erforschung Asiens läßt einen
solchen Versuch zweifellos als ein kühnes Wagnis er-
scheinen. Gerade deshalb muß er um so mehr begrüßt
werden, da er fraglos eine bisher überhaupt fehlende
Diskussionsbasis bietet und Fragestellungen aufwirft, die
den Anreiz zu neuen Untersuchungen bilden können.
Ausgehend von der Auffassung, daß von den vier
Faktoren Raum, Mensch, Kultur und Geschichte alle
Kulturerscheinungen abhängen, skizziert Verf. die Kul-
turformen der verschiedenen asiatischen Lebensräume
und deren gegenseitigen Bedingtheiten, um vom anthropo-
geographischen Moment aus die geschichtlichen Ent-
wicklungsvorgänge verständlich zu machen. Er gliedert
dabei den Kontinent in vier große, durch landwirtschaft-
liche Bedingungen unterschiedene Lebensräume: Orient-
asien, mit dem semitischen Orient (Semitien), und dem
turko-indogermanischen Orient (Turko-Indogermanien),
Nomadenasien, Reisbauasien und Kälteasien. Die Ein-
teilung aller Kapitel ist dabei die gleiche, so daß das Buch
sehr übersichtlich ist. Einer Beschreibung des Raumes
folgt eine Aufzählung der in ihm wohnenden Völker, dieser
wieder eine Schilderung der Kulturverhältnisse, die dann
durch einen Überblick über den Geschichtsverlauf und
eine Darstellung der Raumeinflüsse abgeschlossen wird.
Man kann darüber geteilter Meinung sein, ob diese vom
anthropogeographischen Gesichtspunkt gewählte Gliede-
rung des Kontinents glücklich ist und kulturgeschichtlich
ihre Berechtigung hat, übersichtlich ist sie aber zweifellos
und daher geeignet, einen raschen Überblick über die man-
nigfaltigen Kulturformen Asiens zu verschaffen. Sie hat
indessen den Nachteil aller Generalisationen, indem sie
zu viele ungleichwertige Faktoren mit einander vereinigt
und ein Eindringen in die Tiefe verhindert. Wollte man
z.B. den Kontinent nach demselben Prinzip vom religions-
geschichtlichen Standpunkt aus gliedern, so würde man
sämtliche Religionsformen der asiatischen Naturvölker
gegenüber den großen Stifterreligionen Asiens als Einheit
zusammenfassen müssen, eine für den Ethnologen jeden-
falls sehr wenig befriedigende Lösung. Der Wert einer
solchen in großen Zügen gehaltenen Zusammenfassung
scheint mir im wesentlichen mehr auf seinem lehrhaften
als wissenschaftlich-forschenden Charakter zu beruhen.
Theo Körner.
Mühlmann, Wilhelm E,, Staatsbildung und Amphiktyo-
nien in Polynesien. Eine Studie zur Ethnologie und
politischen Soziologie. Stuttgart: Strecker und
Schröder 1938. 119 S., 2 K.
Die vorliegende Arbeit, die als ethnologischer Beitrag
zur Bildung einer neuen Staatstheorie gedacht ist, unter-
sucht die Frühformen der staatlichen Entwicklung in
Zentralpolynesien und im besonderen auf den Gesell-
schaftsinseln. Als Staat wird dabei eine höhere politische
Organisationsform bezeichnet, die im wesentlichen durch
folgende Momente zustandekommt: „1. die Erweiterung
des Friedensgebietes über das Territorium des Blutrache-
verbandes hinaus, 2. die Bildung überparteilicher Rechts-
instanzen und 3. die Gewinnung von Gefolgschaft“. Die
historische Voraussetzung einer derartigen Staatsbildung
ist die Überschichtung verschiedener ethnischer Gruppen.
In 1 ahiti sind solche Schichtungen zweimal —— durch
die ältere und jüngere Arii-Ausbreitung — hervorgerufen
bzw. verstärkt worden. Nach der ersten Eroberung
Tahitis von Raiatea aus, wurde die altpolynesische Be-
völkerung zu einer den Arii dienstbaren Hörigenschicht,
den Manahune, herabgedrückt. Ihre Kriegshäuptlinge
wurden dabei zu Funktionären der Arii, die die kleinen
Klandistrikte der Altpolynesier zu größeren Hoheits- und
Friedensgebieten (Hau) vereinten und sich selbst als
oberste Rechtsinstanz konstituierten, eine Frühform des
Staates, die nach Mühlmann nicht durch den Krieg, son-
dern durch die friedliche Gefolgschaftsgewinnung der
Arii begründet worden ist.
Die zweite Arii-Expansion, die mit dem Kult des Got-
tes Oro zusammenhängt, wird politisch als eine Stärkung
der Arii-Macht, kulturell aber als ein Durchschlagen alt-
polynesischer Anschauungen aufgefaßt. Mit dem Orokult
hängen auch die Amphiktyonien von Opoa auf Raiatea
zusammen, die einige Jahrhunderte lang Tahiti, die
Hervey- und Australinseln, Neuseeland und Rotuma in
einem großen Bund vereint haben. Diese Amphiktyonien,
die die zerstreuten polynesischen Gruppen zu einer kul-
tischen und bis zu einem gewissen Grade auch politischen
Einheit zusammenfaßten, werden psychologisch als eine
Schutzmaßnahme gegen die völkische Auflösung ge-
deutet, sie sollten verhindern, „daß die Polynesier sich in
unzählige national fremde Stämme zersplitterten, wie
wir sie in Melanesien antreffen“. Im Laufe der Zeit
begann sich dann aber das Altpolynesiertum rassisch
und kulturell stärker durchzusetzen. Die Folge war eine
politische Rückbildung, der Verfall der Amphiktyonien
und eine Abschließung der einzelnen Inselgruppen, die
durch die Übervölkerung und die damit verbundene Ver-
knappung des Lebensraumes noch verstärkt wurde.
BESPRECHUNGEN
I 70
Die von Mühlmann aufgeworfenen Probleme verdienen
volle Beachtung, auch wenn man ihm nicht in allem
folgt. So scheint es fraglich, ob man die Polynesier wirk-
lich in eine Feldbauer- und Rinderhirtenschicht trennen
darf, wie es Mühlmann zum Teil in Anlehnung an Handy
tut. Trotz aller unbestreitbaren Unterschiede, die übri-
gens zu einem guten Teil auf lokale Entwicklungen zu-
rückgehen mögen, darf doch auch die starke Einheitlich-
keit der gesamtpolynesischen Kultur nicht übersehen
werden. Ferner erscheint es dem Ref. fraglich, ob der
Staat allein durch „die Gewinnung von Gefolgschaft, die
Entstehung eines Lehensverhältnisses“ (S. 59) oder nicht
auch durch die Eroberung und die zwangsweise Organi-
sierung der Unterworfenen durch die neuen Herren kon-
stituiert worden ist. Sollte die im Mythus erwähnte Um-
siedlung der Manahune und Raatira nicht für die letztere
Auffassung sprechen ?
Schließlich wird man auch den Quellenwert der vor-
liegenden Mythen nicht überschätzen dürfen, weisen doch
der „Götterflug“ und die Tafa’i-Überlieferung manche
Unklarheiten auf (man denke nur daran, daß die Götter
zuerst von den Tahitiern selbst gerufen werden!). Selbst-
verständlich soll damit nicht die Bedeutung einer sozio-
logischen Auswertung des Mythenmaterials geleugnet
werden; für die Möglichkeiten, die hier bestehen, ist die
Arbeit des Verfassers der beste Beleg.
Georg Eckert.
Cline Walter, Mining and Metallurgy in Negro Africa.
General Series in Anthropology, Nr. 5. Hrsg, von
Leslie Spier. Paris, Paul Geuthner 1937. 155 S.
Textzeichnungen und Verbreitungskarten.
Der Verf., der sich im Jahre 1936 mit einer ausgezeich-
neten Arbeit über die Oase Siwah einen guten Platz in der
Afrikanistik erworben hat, setzt seine Linie mit diesem
neuen Werk erfolgreich fort. Für die deutsche Ethno-
logie mag es eine Genugtuung sein, die im Vorwort vom
Verf. aufgestellte Forderung an die angelsächsische
Ethnologie festzustellen, die für die all zu einseitige
Orientierung nach der psychologischen und soziologischen
Seite hin durch eine intensivere Beschäftigung mit der
Ergologie (vom Verf. als archaeology bezeichnet) den
notwendigen Ausgleich erstrebt — ein Ziel, das sich zur
Gänze mit dem unserigen deckt.
Unter rationaler Verwendung der außerordentlichen
Literaturfülle (310 Eit.-Nachweise), kommt der Verf. mit
Hilfe einer klaren Gliederung nach Material, Technik und
Raum zu überraschenden Ergebnissen, die der Ref. aus
eigener Arbeit (Goldgewichte von Oberguinea, 1937)
weise zu bestätigen in der Lage ist. Es mag symbolisch
sein, daß Cline gerade die Materialien Gold und Silber am
Angang behandelt —denn beide Metalle spielen die mar-
kanteste Rolle in der Beziehung Afrikas zu seiner Nach-
barwelt. Aus dem Nigergebiet ist der Tausch von Gold
gegen Salz und Kupfer aus dem Norden während mittel-
alterlicher Zeit bekannt, ihm zur Seite stellt sich
zur Entdeckerzeit der Goldhandel des rhodesischen
Reiches des Monomotapa, weniger bedeutend die Gold-
gewinnung Katangas (durch Araber) und Angolas.
Hier ist ganz allgemein anzumerken die große Bedeu-
tung, die das Nigerbogengebiet und Rhodesien in ihrer
Rolle als afrikanische Kulturzentren besonders von dieser
Seite her bestätigt.
Das Kernstück der Arbeit bildet zweifellos die Abhand-
lung über das Eisen. Mit Hilfe seiner großen Distanz und
kritischen Literaturauswertung gelangt der Verf. zu dem
sicher für viele überraschenden Ergebnis, daß die Eisen-
gewinnung in Afrika keineswegs ursprünglich, ja nicht
einmal sehr alt ist. An der Ostküste breitete sich die
Kenntnis der Eisengewinnung und Verhüttung nach
Cline erst zwischen dem 6. und 12. Jh. n. Chr. unter indi-
schem, arabischem und äthiopischem Einfluß aus,
während er für das dem eurasischen Kulturraum näher-
liegende Nigergebiet (über die Berber als Mittler) das
4. Jh. n. Chr. als möglichen Zeitpunkt der Eisen-
verhüttungskenntnis nennt.
Die logische Darstellung läßt kaum einen anderen
Schluß zu. Gründliche Laboratoriumsanalysen und die
fachliche Beratung durch Metallexperten vermochten
diese Ergebnisse nur zu bestätigen. Eine berühmte Frage
läßt der Verf. noch offen — die angebliche negrische Her-
kunft des Eisens Altägyptens. Dieses Problem erscheint
dem Verf. mehr ein solches der Ägyptologie als der
Afrikanistik zu sein. Jedenfalls sind die hierüber be-
kannten Quellen so unbestimmt und mager, daß sie
gegenüber den Cline’schen Begründungen und Ergeb-
nissen einen sehr geringen Wahrscheinlichkeitsgrad
haben. Die Verbreitung ergibt sich dann von selbst aus
der räumlichen und historischen Lage der ersten beiden
Eisenzentren.
Die Darstellung der übrigen Metalle, Kupfer, Zinn und
der sehr variablen Legierungen vermag in der Haupt-
sache nur die aus der Behandlung des Eisens geschöpfte
Erkenntnis bestätigen — nämlich den passiven, rezep-
tiven Charakter Afrikas und die außerordentliche Be-
wegtheit der letzten zweitausend Jahre der Geschichte
dieses Erdteils. Im allgemeinen wird das Alter der Kupfer-
und Zinnminen Transvaals nicht älter als drei- bis vier-
hundert Jahre angegeben. Jedoch läßt der Verf. das
Alter der großen Minen dieses Gebiets noch ungeklärt,
insbesondere ist das Wohin der geförderten großen Men-
gen Erz unbestimmt. Interessant ist jedenfalls die An-
sicht des Verf., wonach die farbigen Mineralien von Zinn
und Kupfer dem Schmuck- bzw. Färbbedürfnis der Ein-
geborenen gedient habe. Die einzige bekannte Zinnmine
im Nigergebiet (Bautschi) scheint mit dem starken mittel-
meerischen Einfluß zusammen zu hängen. Die Selbst-
gewinnung der Bronze oder besser der Gelbgußlegierung
scheint dem Ref., trotz teilweiser Belege, immer noch
stark in der Luft zu hängen, sowohl im nordwestlichen
Afrika wie im Südosten. Das Vorkommen von Zinn- und
Kupfergruben ist keineswegs ein sicherer Beweis dafür,
es ist ja bekannt, daß Zinn für sich allein ein hochbedeu-
tendes Schmuck- und Ziermetall war. Der Gelbguß bleibt
für Afrika nach wie vor der eindeutigste Hinweis auf
relativ rezente Kontaktvorgänge — eine Ansicht, die sich
mit der des Verf. im Grunde völlig deckt.
Es ist unmöglich, auf alle Gesichtspunkte dieser inhalts-
reichen Arbeit einzugehen. Genannt seien noch Draht-
ziehen, die Gußtechniken, die Geräte und die religiöse
und soziale Stellung des Schmiedes.
Im ganzen eine Arbeit voller Anregungen und Fragen,
aber auch eine Bestätigung für das, was Afrikanisten
immer klarer wird, daß Afrika der koloniale Erdteil ist —
par excellence.
Jul. Glück.
BESPRECHUNGEN
Ernest Mackay; Die Induskultur. Ausgrabungen in
Mohenjo-daro und Harappa. (Aus dem Englischen
von Dr. Max Müller, Iserlohn). Leipzig, Brockhaus,
1938. 152 S., 78 Abb., 1 Karte. Preis RM. 3,15,
geb. RM. 3,80.
Unsere Kenntnis des vorgeschichtlichen Indiens aus der
Zeit vor Einwanderung der Arier stützte sich bis vor
kurzem nur zum kleinsten Teil auf Bodenfunde, im wesent-
lichen war sie durch die Angaben der Veden über die
einheimischen Feinde bestimmt, die dunkelhäutigen,
gottlosen, deren Burgen zu erobern die Hilfe der Götter
angerufen wurde. Daß über tausend Jahre vor der
arischen Eroberung im Industal bereits eine hochent-
wickelte Kultur geblüht hat mit großangelegten Städten,
mit einer mannigfach ausgebildeten Töpferkunst, mit
Kupfer- und Bronzegeräten, Steinskulpturen von er-
staunlicher Kunstfertigkeit, mit eigener Schrift usw., das
haben erst die Grabungen des Archaeological Survey of
India in Mohenjo-daro in Sind und in Harappa im süd-
lichen Panjab seit 1922 ans Tageslicht gebracht, denen
sich neue Funde an andern Stellen des unteren Industals
anschließen.
Über diese ,,Induskultur“ hat E. Mackay, der selber
lange an den Ausgrabungen teilgenommen hat, 1935 eine
für weitere Kreise bestimmte kurze Darstellung in eng-
lischer Sprache veröffentlicht (The Indus Civilization.
London, Lovat Dickson and Thompson), von der der vor-
liegende Band eine etwas erweiterte Übersetzung bietet,
welche neuere Ergebnisse mit berücksichtigt. Als Ein-
führung ist das kleine Buch ausgezeichnet. Es schildert
anschaulich die Bauten, Kleidung und Nahrung, Geräte
und Werkzeuge der Bewohner jener Städte und was sich
für ihr tägliches Leben und ihre Religion aus den Funden
entnehmen läßt. Hier hat man besonders aus Idolen
und aus bildlichen Darstellungen auf Speckstein-Siegeln
einzelne Vorstellungen erschlossen, die sich in der hin-
duistischen Religion, im Schiva-Kult, Jahrtausende spä-
ter wieder nachweisen lassen. Auch in der materiellen
171
Kultur, z. B. in der Töpferei, ergeben sich aufschlußreiche
Parallelen zu modernen nordindischen Verhältnissen.
Von besonderem Interesse sind die Beziehungen zu der
gleichzeitigen mesopotamischen Kultur, mit der eine un-
verkennbare Verwandtschaft besteht. Ob diese auf einer
ethnischen Verwandtschaft der Träger beruht, läßt sich
vor der Hand nicht entscheiden, denn leider sind wir über
die anthropologischen Verhältnisse im Indusland schlecht
unterrichtet. Die wenig zahlreichen Skelette, die bisher
in Mohenjo-daro und Harappa gefunden sind, gehören
vier verschiedenen Rassetypen an. Sicher bestand Han-
delsverkehr zwischen dem Industal und dem Zweistrom-
land, denn in beiden Gebieten sind Funde gemacht, die
aus dem andern importiert sein müssen, so Keramik
und Schmuck in Mohenjo-daro, sowie einige der für
die Induskultur charakteristischen Siegel in Ur und
Teil Asmar. Mit Hilfe der letztgenannten ist die Datie-
rung der Induskultur in die erste Hälfte des dritten Jahr-
tausends v. Chr. ermöglicht, nachdem die ersten Aus-
gräber die Blütezeit um mehrere Jahrhunderte später
angesetzt hatten. Auch die eigenartige Schrift, die sich
auf den meisten Indus-Siegeln findet, weist vielleicht auf
frühe Beziehungen zu Mesopotamien. Sie hat bereits
eine ganze Literatur hervorgerufen. Mackay äußert sich
sehr zurückhaltend über dies Problem, und mit Recht,
denn in der Fat steckt die Entzifferung noch in den Kin-
derschuhen, und alle weitreichenden Vergleiche, die ge-
legentlich angestellt sind, haben keinen Wert, solange die
Bedeutung der Zeichen unbekannt ist.
Die Ausstattung des Buches ist dieselbe wie in einer
Reihe bekannter ähnlicher Veröffentlichungen des Ver-
lages. Die Abbildungen sind zahlreicher und vielfach
besser als die der englischen Ausgabe. So gibt das Buch
bei seinem niedrigen Preis weiten Kreisen eine sehr dan-
kenswerte Möglichkeit, die für die Frühgeschichte der
asiatischen Hochkulturen epochemachenden Entdeckun-
gen kennen zu lernen.
Gelpke.
22 Baessler-Archiv
Büchereingänge.
Bornemann, Fritz: Die Urkultur in der kulturhistorischen
Ethnologie. Eine grundsätzliche Studie. Mödling b.
Wien 1938. Miss. Dr. St. Gabriel. 148 S. (Sankt
Gabrielen Studien, Bd. 6).
Cline, Walter: Notes on the people of Siwah and El Garah
in the Libyan desert. Menasha, Wise. George Banta
Pub. Comp. 1936. 64 S. 40 (Gen. S. Anthr., nr. 4).
Cline, Walter: Mining and metallurgy in Negro Africa.
Paris: Geuthner 1937. 155 S. 40 (Gen. S. Anthr., nr. 5).
Lindblom, K. G.; Wire-drawing, especially in Africa. Stock-
holm 1939. Thule 38 S. (Stat. Etnogr. Mus., Smärre
Meddelanden, Nr. 13).
Montell, Gösta: Durch die Steppen der Mongolei. Mit
einem Vorw. v. Sven Hedin u. zahlr. Abb. n. Aufn. d.
Verf. Stuttgart: Union Deutsche Verl. Anst. (1938).
175 S. Aus dem Schwedischen übertr. v. Theo Körner.
Originaltitel; Vara vänner pä stäppen.
Mühlmann, Wilhelm, E.: Staatsbildung und Amphiktionien
in Polynesien. Eine Studie zur Ethnologie und poli-
tischen Soziologie. Stuttgart: Strecker & Schröder 1938.
119 s.
Mühlmann, Wilhelm, E.: Methodik der Völkerkunde. Stutt-
gart: Enke 1938. VIII, 275 S.
Schebesta, Paul: Die Pygmäenvölker der Erde. Wiss. Er-
gehn. d. Forsch. Reisen P. Schebesta’s z. d. Pygmäen
Afrikas u. Asiens. R. I. Die Bambuti-Pygmäen vom
Ituri. Ergehn, zweier Forsch. Reisen z. d. zentfalafrik.
Pygmäen. In 3 Bd. Bruxelles 1938: Hayez. 40 1. 1938.
Gesch., Geogr., Umwelt, Demogr. u. Anthr. d. Ituri-
Bambuti. (Belgisch-Kongo). XVIII, 438 S., 1 K.,
32 Bildtaf. u. 16 Erl. Skizzen.
Schultze-Naumburg, Bernhard: Die Vererbung des Charak-
ters. Mit 2 Abb., 3 Taf. u. 50 Stammbäumen. Stutt-
gart: Enke 1938. 50 S.
Werder, Peter, von: Staatsgefüge in Westafrika. Eine
ethnosoziologische Untersuchung üb. Flochformen d.
soz. u. staatl. Organ, im Westsudan. Stuttg.: Enke
1938. 194 S. (Zeitschr. f. vgl. Rechtswiss., Bd. 52,
Beilageh.).
Wist, Elans; Die Yao in Südchina. Aus: Baessler-Arch.,
Bd. 21., H. 3. 1938. S. 73—138, 10 Taf. 40.
▼ w
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
IM ARCHÄOLOGISCHEN MUSEUM ZU MADRID.
VON ANNA RUSTOW.
Die Malaspina-Expedition, die auf den Schiffen Descubierta und Atrevida eine Fahrt
um Amerika und in die Südsee unternahm, hat im Jahre 1791 die Nordwestküste Amerikas
zur endgültigen Klarstellung der Frage der Durchfahrt geprüft. Die Umkehr erfolgte bei
der Insel Montague. Obschon mehrfach Eingeborene unterwegs getroffen wurden, haben
doch wahrscheinlich nur in Mulgrave (Yakutatbucht) und Nutka Handelsbeziehungen mit
den Nordweststämmen bestanden, die zur Beobachtung der Menschen und zum Erwerb von
Objekten führten1. Letztere befinden sich heute im Museo Arqueológico zu Madrid und sind
bisher von der Wissenschaft fast unbeachtet geblieben1 2.
Die mitgebrachten Objekte konnten ebenso wie die umfangreichen Akten der Expedition
in Vergessenheit geraten, weil Malaspina sofort nach der Rückkehr beim Hof in Madrid
in Ungnade fiel und nach jahrelanger Kerkerhaft schließlich in seine Heimat Italien zurück-
kehren mußte, wo er bald darauf starb. Um die Expeditionsakten bemühte sich Martin
Fernández de Navarrete; es gelang, sie im neugegründeten Depósito Hidrográfico unterzu-
bringen, dessen Bestände sich heute im Museo Naval (Marineministerium zu Madrid) befin-
den3, Navarrete war es auch, der die ersten kurzen Bemerkungen über die Malaspina-
Expedition in seine Introducción zur Relación .... Sutil y Mexicana aufnahm4. Noch
kürzer, aber mit warmen Worten, gedachte bald darauf Alexander von Humboldt der Expe-
dition und ihres Leiters5, ausgehend von „einem Tagebuch, das an Bord der Atrevida ge-
halten worden war“6. Wie Humboldt feststellen konnte, ließ sich der größte Teil der See-
karten, die seit 1799 in Madrid erschienen waren, auf Malaspinas Resultate zurückführen;
allerdings war statt Malaspinas Namen nur der seiner Schiffe genannt7. *
Ein etwras längerer Aktenauszug — gegen den Gesamtbestand der Expeditionsakten
immer noch verschwindend kurz -—- stammt von einem der Offiziere Malaspinas8 und wurde
von Eustaquio Fernández de Navarrete im „Examen Historico-Critico. . . , “ der Reisen
Maldonados, Fucas und Fontes als Dokument Nr. 6 wiedergegeben9. Die „Disertación. . . .“
Malaspinas selbst über Maldonado erschien hierin als Dokument Nr. 210.
1 Vgl. hauptsächlich Novo y Colson p. 155—168 und
p. 340—349 für Mulgrave, p. 182—194 und p. 352—368
für Nutka; ibid. p. 174: Umkehr.
2 Lavachéry (PI. 1—5) bringt fünf Stücke der Slg.
Malaspina, mit je einer kurzen kunstwissenschaftlichen
Bemerkung versehen. — Herr Professor Krickeberg, der
1914 auf die Bedeutung der Malaspinaschen Panzer hin-
wies (Neuerwerbungen p. 680ff.), hat jetzt auch diese
Arbeit angeregt und gefördert.
:i Col. doc. inéd. hist. Esp. t. XV p. 95!; ibid. p. 95—98:
Schicksal Malaspinas und seines Werks. — Über Museo
Naval und Depósito Hidrográfico vgl. Publicaciones
p. II.
4 Relación p. CXHI—CXXIII. Für die Verfasserschaft
der Introd. vgl. Col. doc. ined. hist. Esp. t. XV p. 7 und
p. 22; die Relacion selbst ist von Galiano: ibid. p. 131
und p. 321h Die Nachrichten über die Nutka in der
Relacion stammen von Mosino nach der Angabe
Relacion p. 123 h
5 Humboldt p. 261—264.
6 Ibid. p. 262 a2.
7 Ibid. p. 262. Vgl. das Inhaltsverzeichnis des Atlas ....
Sutil y Mexicana. Malaspinas nordwestlicher Reiseweg
ibid. Karte Nr. 3.
8 Col. doc. ined. hist. Esp. t. XV p. 98 a 1.
9 Ibid. p. 268—320. Im gleichen Jahr (1849) erschien das
Diario von Viana, das völkerkundlich unergiebig ist.
]° Ibid. p. 228—250.
2 2 Baessler-Archiv.
174
ANNA RÜSTOW
Im Jahre 1885, fast ein Jahrhundert nach der Expedition, erschien endlich ein Folio-
band, der nach der Versicherung des Herausgebers Novo y Colson etwa den siebenten Teil
der Expeditionsakten umfaßt; er enthält auch Zeichnungen der Expedition7.
— Im Museo Arqueológico besteht außer der Angabe, daß die unten aufgeführten
Objekte von der Malaspina-Expedition stammen, nur die Bezeichnung: ,,Objetos recogidos
en California y regiones al Norte de esta Peninsula“. So muß im folgenden nach stilistischen
Merkmalen eine Aufteilung zwischen Mulgrave und Nutka versucht werden, aber auch ein
Erfassen der einzelnen Stücke und Ornamente nach ihrer Bedeutung innerhalb der Nord-
westkultur.
Die Gegenstände sind:
Abb. Nr. im Museum Gegenstand Maße2 Material Farbe
2 1310 Stirnplatte Länge in der Mitte Holz, Kupfer, helle Naturfarbe
20 cm Eisen, des Holzes;
Abstand der unteren Muschel- Rumpf blau-
Enden 21 cm material grün
4 *49° Rassel Länge 33 cm Holz Reste roter Farbe
5 a3 1185 Flöte Länge 39 cm Holz, Haliotis- Naturfarbe
5b 1185 plättchen
6 1460 Vogel Länge 7 cm Knochen elfenbeinfarben
1458 2 Vögel Holz blaugrün, rot,
i459 weiß, dunkel-
braun
7 a3 192 Hut ob. Durchm. 9 cm Wurzelfaser seegrün, schwarz,
7b 192 unt. Durchm. 32 cm rot
7c 192
8a3 190 Hut ob. Durchm. 9 cm Wurzelfaser grün, rot,
8b 190 unt. Durchm. 45 cm schwarz
9a3 t9i Hut ob. Durchm. 10 cm Wurzelfaser schwarz, rot,
9b t9i unt. Durchm. 34 cm blau, grün
na3 i94 Hut mit unt. Durchm. 29 cm Wurzelfaser rot, schwarz,
nb i94 4 Zyh Zyl.-Durchm. 7 cm hellgrün
Zyl.-Höhe je 6 cm
12 188 5 Hüte unt. Durchm. 32 cm Wurzelfaser hellbraune und
Höhe 34 cm dunkelbraune
Faser
H 1157 Kanumodell Länge 60 cm Holz schwarz auf
naturfarbig
hellem Grund
1 Einige völkerkundlich wichtige Zeichnungen wurden
auch in dem 1932 erschienenen Handschriftenkatalog
des Museo Naval (Publicaciones....) wiedergegeben;
eine Originalzeichnung, die in diesem Museum hängt,
wird nachstehend erstmalig veröffentlicht; s. u. Abb. 25
und S. 199. Möglich, daß die 3 ersten Bilder des Atlas. . .
Sutil y Mexicana ebenfalls von der Expedition Malaspina
stammen, vgl. Publicaciones p. 112 und p. in. Zu
den Hüten der beiden dort abgebildeten Häuptlinge
s. u. S. 187, zu den Zeichnungen der Expedition ferner
u. S. 199 f.
2 Die Unvollständigkeit der Angaben und Abbildungen
ist durch den Ausbruch des Bürgerkrieges verursacht.
3 a = vorn, b = hinten, c — vorn und seitlich (abgerollt).
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
175
Abb. Nr. im Museum Gegenstand Maße Material Farbe
1156 Kanumodell Länge 86 cm Holz helle Naturfarbe, unbemalt
863 Löffel Holz
1247 Schöpflöffel Holz
iS I3°9/22 Maske Länge 22 cm Breite 18 cm Holz, Leder, Muschel- material hellgrün; Lippen aus rotem Leder
16 1311 Maske Länge 15J4 cm Breite 15 cm Holz hellgrün, schwarz; helle Naturfarbe des Holzes
17 1290 Helm Länge 36^4 cm Holz weiß, rot, schwarz
18 1292 Helm Länge 33 cm Holz seegrün, weiß, rot, schwarz,braun
i293 Visier Holz, Muschel- material dunkelbraun
T9 1229 Axt Höhe 48 cm Nephrit ? Holz, Muschelmat., Menschenhaar grün, braun schwarz
20a1 20b 1291 1291 Helm Höhe 31 cm Dicke 3—3% cm Holz Kupfer Muschelmaterial mittelbr., natur- farben, grün u. dunkelbraun
21 1294 Visier Höhe in d. Mitte 13 Mi cm Holz rot, grün, schwarz
22 1287 Stäbchen- panzer vord. Höhe 51 cm vord. Breite 49 cm Br. d. Stäbchens 1 cm Holz, Sehnen- zwirn, Leder
r3 1289 Brettchen- panzerteil Höhe 59 cm Breite 56 cm dasselbe rot auf dunkel- braunem Holz
23 1286 Brettchen- panzer vord. Höhe 55 y2 cm vord. Breite 52 cm obere Breite des Brettchens 2 cm untere Breite 2 y2 cm dasselbe schwarz, rot, grün auf mit- telbraunem Holz
24 1309/26 Brettchen- panzer vord. Höhe 57 cm vord. Breite 51 y2 cm dasselbe schwarz, rot, grün auf hell- braunem Holz
Die weiteren Abbildungen sind folgende:
Abb. 25 Fotografie einer Originalzeichnung der Malaspina-Expedition im Museo Naval zu
Madrid;
Abb. 26 Fotografie der Reproduktion einer ebensolchen Zeichnung aus Novo y Colson;
Abb. 3 Fotografie der Maske M. V. Bln. Nr. IV A 942> Slg. Jacobsen;
Abb. 10 Fotografie der Maske M. V. Bln. Nr. IV A 1250, Slg. Jacobsen, abgeb. Boas Soc.
Org. fig. 105 (p. 470).
1 a = vorn, b = hinten.
ANNA RÜSTOW
I 7 6
I.
I. Das am schwersten zu deutende Stück der Sammlung ist vielleicht die Stirnplatte
(Abb. 2), die auf hellem Holzgrunde ein Gesicht zeigt, das menschliche Formen hat bis auf
Nase und Oberlippe. Diese sind zu einem Schnabel zusammengezogen, der
sich in den Mund zurückbiegt. Es handelt sich also um eine Darstellung
des Falken, dem in der Nordwestkultur die Rolle des Donnervogels zu-
kommt1. Dem Rumpf, der ein blaugrün bemaltes Federkleid in Flach-
relief trägt, ist ein breites Maul mit gerieften Lippen und zwei Zahnreihen aus
Muschelmaterial aufgesetzt. Hierbei sind die Lippen und das Mundinnere
aus dem gleichen Stück Holz herausgeschnitzt wie die Stirnplatte selbst.
Ohren und Pfoten sind mit Kupfer beschlagen; das Innere der Augen bilden die Kuppen
eiserner Nägel. Der obere Rand der Stirnplatte zeigt eine Reihe kleiner Löcher, die ebenso
wie die Augenbrauen Spuren von Harzkitt tragen.
Was bedeutet nun der riesige Mund ?
Lavachery vermutet, daß er einen Wal darstellt1 2, der ja in der Sage die Nahrung des
Donnervogels bildet3. Aber der breite Mund allein ist keineswegs, wie Lavachery meint, das
wichtigste Merkmal des Wales, da er ihn in der Darstellung der Nordwestkunst mit Bär und
Wolf gemeinsam hat. Noch näher liegt, an den „Blitzfisch“ zu denken, den der Donnervogel
nach der Vorstellung der Makah mit sich trägt (“around his waist he ties the Ha-hek-to-ak,
or lightning fish....”)4. Es gibt sogar eine Darstellung des Donnervogels -— auf dem
mantelartigen Umhang eines Haida-Schamanen — bei der der Rumpf des Donnervogels in
das Maul des Blitzfischkopfes endet5. Lür die Stirnplatte würde sich allerdings auch beim
Blitzfisch wieder die Frage erheben, warum nicht das ganze Tier oder seine wichtigsten
Merkmale, sondern nur ein Mund wiedergegeben wäre.
Ein Leib, der mit Mäulern bedeckt ist, kommt bei den Kwakiutl dem Kannibalengeist
Bachbakualanuchsiwae zu6. Nach einer Angabe, die Boas von den Bella Coola erhielt, hat
es den Anschein, daß dieser Kannibalengeist mit dem Donnervogel identisch ist7. Seler
weist zur Erhärtung dieser Auffassung darauf hin, daß die Mitglieder des von diesem Geist
inspirierten HämatsJa-Bundes unter Nachahmung des Gebahrens des Donnervogels auf-
treten: sie erscheinen auf dem Dach, rütteln an den Planken des Hauses und pfeifen wie
der Sturm8. Aber das nicht allein; die dann folgenden kannibalischen Riten werden ebenso
wie das anschließende Verborgensein des Novizen im geheimen Raum Bachbakualanuchsi-
waes den Sinn haben, das Verschlingen der Sonne durch das vom Donnervogel heraufge-
führte Dunkel darzustellen9. Daß das Verschwinden des HämatsJa ein Verweilen in der
Unterwelt bedeutet, wird für die Koskimo ausdrücklich angegeben10 *. Nach einer Sage der
Awfk-!enox11 wird der Novize unter der Erde zum Hämats’a gemacht11.
Abb. 2.
1 Boas Prim. Art p. 235.
2 Lavachery p. 18.
3 Boas-Hunt p. 189.
4 Swan Indians p. 8.
5 Swan Haidah PI. 2.
6 Boas Soc. Org. p. 397; “His body was covered all over
with mouths”; Boas Kwak. Tales p. 397: “the body of
Cannibal-at-North-End-of-World was all mouths”.
7 Originalmittheil. Königl. Mus. f. Völkerk. I, 180, zit.
Seler Lichtbr. p. 17.
8 Seler ibid.; Boas Soc. Org. p. 515, p. 525, p. 528, p. 605,
p. 616 u. a. — Für die Donnervogelzeremonien der
Nutka vgl. Swan Indians p. 66 ff.
9 Locher p. 41 faßt das ganze Winterzeremoniell ent-
sprechend auf: “The whole winter ritual, indeed, is
nothing but an extensive rebirth rite, in which the
powers of death and darkness come to the front, but
ultimately are unable to hold their own against life and
light.” Vgl. auch für den Mond Verzehren und Bringen
durch Biber und Krähe bei Swan Haidah p. 4, ferner
Seler Lichtbr. p. i6f.
10 Boas Soc. Org. p. 568. Wahrscheinlich ist auch die Stelle
ibid. p. 461: “You went right up to the shutting mouth”
als Aufenthalt im Totenreich zu deuten, umgekehrt als
Rückkehr ibid. p. 459; “you great one who safely
returned from the spirits”. Für kosmische Ausweitung
der Vorgänge spricht jedenfalls die Stelle des gleichen
Hämats’a-Liedes der Koskimo ibid.: “....his house
is our world. You were led to his cannibal pole, which
is the milky way of our world.”
11 Boas-Hunt p. 409, p. 411; vgl. auch p. 416!,
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
177
Auch der dramatische Ausbruch des Novizen aus dem geheimen Raum spricht für diese
Auffassung. Er erfolgt durch den Mund eines Kolossalbildes, das entweder den Kannibalen-
geist selbst oder den Raben darstellt1. Der Mund eines Wappentieres als Tür ist häufig in der
Nordwestkultur. In der Sage kommt auch die Tür als schnappender Mund vor, der bestimmt
ist, den Besucher zu töten1 2. Auch der Eingang zum Totenreich ist bei den Kwakiutl ein
Mund3. Bei dem Ausbruch durch den Mund Bachbakualanuchsiwaes wird es sich umgekehrt
um das Hervortreten des Novizen aus dem Totenreich und zugleich der Sonne aus der Dun-
kelheit handeln. Wenn das Herausspringen durch den Mund des Raben erfolgt, so erscheint
das wie ein mimischer Beleg der Selerschen Auffassung, daß der Rabe in seinem Schnabel
die Sonne bringt, die das Dunkel verschlungen hatte4. Es folgt der Tanz mit der Raben-
maske, zusammen mit dem Preislied auf die schreckende Gewalt des Kannibalengeistes5,
und hierauf der Tanz mit der Donnervogelmaske, die Bachbakualanuchsiwae selbst dar-
stellt6. Aus dem überlieferten Ritual geht also die Identität von Kannibalengeist und Don-
nervogel noch mit ausreichender Klarheit hervor.
Eine Maske der Koskimo, von der der Sammler Jacobsen zwar eine nähere rituelle Ver-
wendung nicht angibt („wird bei großen
Festessen getragen“7), dürfte ebenfalls bei
den vom Kannibalengeist inspirierten Zere-
monien gebraucht worden sein, worauf
sehender von Jacobsen angegebene Name
,,der Gefräßige“ hinweist8. Diese Maske
stellt einen riesigen Mund dar, der um den
Leib getragen wird: „wenn der Träger sich
bückt, schließt sich der Mund; wenn er
grade steht, öffnet sich derselbe“9. Augen
und Nase sind fast zu einem Ornament
der Oberlippe zusammengeschrumpft, je-
denfalls gegenüber dem geöffneten Mund
bedeutend verkleinert. In einer Sage der
AwEkdenox11 wird die Mundmaske vom
Kannibalen an der Stirn getragen10 *; auf den Pfosten im Hintergrund des Hauses sind
Donnervögel gebildet, die auf dem Kopf von Menschen sitzen11.
Abb. 3.
1 Boas Soc. Org. p. 446, dazu PL 29.
? Boas Soc. Org. p. 386 f.; Boas Indian. Sagen p. 228,
p. 274; Zusammenstellung Boas Tsimsh. Mythcl. p. 798.
3 Boas Sixth Report p. 579: ‘Tn the north of the world is
the mouth of the earth. There the dead descend to the
country of the ghosts.” Vgl. hierzu Locher p. 17, ferner
Boas Kwak. Tales p. 319: “This is the way you can go
back when you come to the Ghosts-showing-Mouths-
on-Ground when a person is dead in the upper world. .”
4 Seler Lichtbr. p. izff. und passim.
5 Boas Soc. Org. p. 447.
6 Boas ibid.: “He wears the mask of BaxbakuälanuXsP-
wae himself . ...” Hierzu verweist Boas auf drei
Masken, darunter eine (PI. 30 fig. 2), die den Donner-
vogel darstellt und bezeichnet ist als “representing
BaxbakuälanuXsPwae”. Vgl. auch Boas-Hunt p. 481!.
Nr. 26, ferner Boas Soc. Org. p. 416: “He came down
to the beach early in the morning in the shape of the
thunder bird .... he showed his magical treasures; the
thunderbird mask, the two-face mask, and the morning
mask.” Außerdem Boas Kwak. Tales p. 399: “the
Crooked-Beak Cannibal-head-mask”, ferner Boas
Ethnology p. 1245. Zur “two-face mask” vgl. Seler
Lichtbr. p. 17 und p. 24, sowie unten S. 179.
7 Originalmittig. M. V. Bln. Es handelt sich um die
Maske Slg. Jacobsen M. V. Bln. Nr. IV A 942 (Abb. 3).
Breite 39 cm. Rot und schwarz bemalt.
8 Originalmittig. M. V. Bin. Vgl. hierzu aus einer Sage
der Xö’yalas (Boas-Hunt p. 401): “In winter, while he
was a cannibal, he was called Eating-all-over-the-
World”.
9 Originalmittig. M. V. Bln.
10 Boas-Hunt p. 414; “. . . . the cannibal .... went into
the sacred room. At once he uttered the cannibal cry . .
.. When he came out again, he had on his forehead the
mouth-mask (of Cannibal-at-North-End-of-World). .”;
vgl. auch ibid. p. 416L, ferner aus einer Sage der
Xö’yalas (ibid. p. 401): “He had a cannibal forehead
mask because he was a cannibal.” Außerdem ibid,
p. 385 f.
11 Boas-Hunt p. 415.
i78
ANNA RÜSTOW
Das riesige Maul wird also der Malaspinaschen Stirnplatte vermutlich aufgesetzt sein,
weil es dem Kannibalengeist zukommt, mit dem der Donnervogel ja schon vor der Übernahme
des kannibalistischen Rituals gleichgesetzt worden sein könnte1 — falls nicht überhaupt die
Stirnplatte von den He’iltsuq stammt. Der Donnervogel wird auch auf der Stirnplatte das
Dunkel darstellen, das die Sonne verschlungen hat und in sich birgt, vielleicht auch die
„Finsternis, die sich das Licht gebar“2. Jedenfalls ist er durch Form und Farbe als Sonnen-
bildnis gekennzeichnet. Die Form des Gesichts erinnert an die kreisrunde Einfassung, wie
sie in der Nordwestkunst bei Darstellungen von Sonne oder Mond häufig ist3. Und die blau-
grüne Färbung ahmt die strahlende Haliotismuschel nach, die als Nasenschmuck erst der
Sonne die Leuchtkraft verleiht oder als Einfassung ihren Strahlenkranz wiedergibt4. Auch
der Kupferbeschlag wird hier ein Sonnensymbol sein; wenn man im Mythus das Kupfer auf-
deckt, wird es Tag. So trägt der Rabe das Sonnenlicht als ein Stück Kupfer im Schnabel oder
als kupfernen Bogen und Pfeil5.
Als ein verwandtes Sonnenbildnis, das offenbar auch die Dunkelheit zugleich darstellt,
ist der Falke auf jener runden Rassel gebildet, die zwar von vier kurzen breiten Strahlen ein-
gefaßt ist, die aber von den HeTig'a neben ausgesprochenen Schädelrasseln gebraucht wird6,
vielleicht selbst auf eine solche zurückgeht7 und wohl ursprünglich mit diesen nicht ge-
braucht wurde, um den Novizen zu „beruhigen“8, sondern um das Element von Todesgrauen
und Düsterkeit hervorzurufen oder zu verstärken, das offenbar auch von der Donnervogel-
maske Bachbakualanuchsiwaes ausgeht9.
Dieser Auffassung des Donnervogels entspricht auch die Initiierungsszene des „Donner-
tänzers“10. Der Donnervogelgeist, der dem Ahnen das Wasser des Lebens zugleich mit dem
Todbringer verleiht11, erklärt den Kopfschmuck in kannibalischem Sinne: “The heads on
1 Vgl. Boas Soc. Org. p. 664: “The customs which we
observe nowadays are evidently a modern development
of more ancient forms. The ceremonial of cannibalism,
which nowadays is the most important part of the whole
ceremonial, is known to have been introduced among the
various tribes recently, although its foundation, the
idea of the existence of a spirit who is killing people, is
present among all the tribes....” Ähnlich Boas
Summary p. 678. Beide Male setzt Boas die Übernahme
des zeremoniellen Kannibalismus der HeÜltsuq durch
die Kwakiutl um 1840 an, durch die Tsimshian früher,
in Summary p. 678 sogar schon um 1760.
2 Vgl. auch das Verschlingen durch Bachbakualanuchsi-
wae und unversehrte Wiedererscheinen: BoasKwak. Ta-
les p. 429!!., ferner Boas Soc. Org. p. 508: “I do not destroy
life, I am the life maker.” Außerdem Locher p. 41 ff.
Vgl. die Darstellungen Seler Lichtbr. p. 23 und p. 27;
ferner Krickeberg Malereien p. 1461!.
4 Seler Lichtbr. p. 24!. und p. 29; Krickeberg Malereien
p. 148 a 2 hat die Beispiele gemalter Haliotisplättchen,
die Seler anführt, durch den Hinweis auf wirkliche er-
gänzt. — Der Name der Sonnenaufgangsmaske ist
“abalone shell from one end of the world to the other”
(Boas Soc. Org. p. 411, ähnlich Boas-Hunt p. 397).
5 Seler Lichtbr. p. 25 f., p. 34; die Rabenmaske mit kupfer-
nem Bogen und Pfeil abgeb. bei Niblack PI. 16 fig. 59.
Vgl. auch Swanton 'Hing. Myths p. 161, Boas Indian.
Sagen p. 140 u. a.
6 Seler Lichtbr. Abb. 24= Boas Soc. Org. Abb.60; hierzu
Seler p. 28 f., Boas p. 439.
' Boas ibid. Für Schädelrasseln und „lebendige“ Rasseln
vgl. auch Boas Tsimsh. Mythol. p. 475, BoasKwak. Tales
p. 347, Seler Lichtbr. p. 42. “Self-beating drums”:
Boas-Hunt p. 182.
8 Aus Boas Soc. Org. p. 438!. ist folgender Hergang er-
sichtlich: die He’lig-a laufen auf den Novizen zu, die
oben beschriebenen Rasseln schwingend, “the sound of
which is supposed to pacify the ha’mats’a .... either
four or six of them must accompany the hä’mats’a
whenever he is in an ecstasy. They surround him in a
close circle in order to prevent him from attacking the
people and utter the pacifying cries ‘höi’p, höhp’....
In olden times, when the ha’mats’a was in a state of
ecstasy, slaves were killed for him, whom he devoured.”
Vgl. auch Boas-Hunt p. 216f., p. 232.
9 Boas Soc. Org. p. 447: “His hooked-beak mask causes
the fluttering of the heart.”
10 Boas ibid. p. 414f.
11 Die Stelle lautet (p. 415): “These shall be your magic'
treasures: the water of life, the death bringer, and the
fire bringer which will destroy your enemies, and the
property bringer. Now you are a chief. You will be a
thunder dancer, and your name shall be KukunXpali-
sila, the one who thunders from the one end of the
world to the other, and human heads will be on your
cedar bark rings and on your neck ring, and your chief’s
name shall be Ya’qaLEnhs (property on body).” Viel-
leicht sind fire bringer und property bringer eine sekun-
däre Ausweitung des „Feuers des Todes“ und der
Macht überhaupt. Für die Identität von Tod- und
Feuerbringer spricht, daß der Wald zu brennen beginnt,
wenn der Todbringer auf ihn zu bewegt wird (Boas Soc.
Org. p. 571, ähnlich Boas Kwak. Tales p. 187), sowie die
Aufforderung Boas Soc. Org. ibid.: “use your death
bringer, but do not kill them outright; burn them”.
Vgl. auch Boas Kwak. Cult. p. no; “The fire-bringer is
essentially the same as the death-bringer .... although
sometimes differentiated from it”.
DIE OBJEKTE DER MALÄSPINA-EXPEDITION
179
it were given to me by my father that I should eat them.” Durch die Verleihung der magischen
Gaben erweist er sich als Herrn über Leben und Tod auch im Sinne des Lebendigmachens.
2. Tod und Leben, Lichtverschlingen und Lichtbringen kann auch durch getrennte
Gestalten verkörpert werden. Seler bildet zwei Doppelmasken ab, die diesen Gegensatz
symbolisieren. Bei den LaoÜacha-Zeremonien wird eine Maske mit einer darauf angepaßten
Deckmaske gebraucht; die Maske selbst stellt ein Adlergesicht in einem Kranz von Sonnen-
strahlen dar, die deckende Schale ist als Gesicht mit geschlossenen oder erloschenen Augen
gebildet, also offenbar als verdunkelte Sonne1. Nach dem eindrucksvollen Bericht des Samm-
lers Jacobsen erscheint der Träger dieser Doppelmaske mit aufgesetztem Deckgesicht in der
Versammlung; „langsam schreitet er auf den obersten Häuptling zu und nimmt dort den
Deckel ab“1 2. Die andere Doppelmaske ist ein januskopfartiger Aufsatz, der den Kannibalen-
geist und den Raben, nach entgegengesetzten Seiten gerichtet, zusammen-
faßt3.
Der gleiche kosmische Gegensatz ist offenbar auf einer länglichen
Rassel verkörpert, die als Rabe gebildet ist, dessen Brust das Bildnis
eines Falken einnimmt. Sie wird bei den Hämats’a- und LaoTacha-
Zeremonien gebraucht und geht vermutlich auf nördliche Stämme zurück4.
Seler hat hier den Raben als den Bringer des Lichtes, ja des Lebens
überhaupt, erkannt, der die Sonne als ein Stückchen Kupfer oder rot be-
maltes Holz im Schnabel trägt5. Auch der Rabe der Malaspinaschen
Rassel (Abb. 4) scheint die neue Sonne als eine kleine Kugel im
Schnabel zu tragen. Das Falkenbildnis auf seiner Brust zeigt keine
Strahleneinfassung. So wird der Falke die Dunkelheit bedeuten, und
dem räumlichen Gegensatz der beiden Gestalten entspräche, wie bei der
januskopfartigen Doppelmaske, auch hier eine begriffliche Gegenüber-
stellung. Offenbar verkörpert der Falke Sonnenuntergang, Finsternis und Abb. 4.
Tod, wie der Rabe Sonnenaufgang, Tageslicht und Leben darstellt6.
Die liegende Gestalt auf dem Rücken des Raben wird der Mensch sein, den das Tier
in der Nordwestkultur unter dem Feder- oder Fellkleid immer auch birgt7, hier im beson-
deren vielleicht das Kind, als das sich der Rabe in der Sage gebären läßt, um unvermerkt die
Sonne zu stehlen8, oder auch die Sonne selbst in menschlicher Gestalt vor dem Anlegen der
leuchtenden Maske, entsprechend einer Sage der Tsimshian9. Für die Auffassung der mensch-
lichen Gestalt als Schamane bietet die Rassel keinen Anhalt, obschon nach Analogie anderer
Rabenrasseln diese Deutung nicht ganz von der Hand zu weisen ist10. Und die Rabenrassel
wird ja auch vom Schamanen gebraucht11.
Interessant ist, daß Rabe und Falke noch einfacher, nämlich ohne die menschliche
Figur, auf einem hölzernen Helm derTlingit dargestellt sind12. Vom Raben sind hier außer
dem Kopf auch die Flügel, der Schwanz und die Pfoten plastisch gegeben; das Falkenbildnis
ist medaillonartig der Brust aufgesetzt.
1 Seler Liditbr. Abb. 5 a und b (p. 23), dazu p. 24; Boas
Soc. Org. fig. 197 (p. 630).
2 Seler Lichtbr. p. 24.
:t Seler ibid. Abb. 2 (p. 16), dazu p. 17; Boas Soc. Org.
fig. 126 (p. 480), vgl. auch fig. 127 (p. 481) und p. 473,
sowie Locher p. 35.
4 Boas Soc. Org. p. 462 zu fig. 96 und fig. 97, p. 629 h zu
fig. 190 und fig. 191.
5 Seler Lichtbr. p. 31 ff.
B Seler ibid. p. 32ff. behandelt diese Form der Raben-
rassel nicht.
' Vgl. K rickeberg Kunstgew. p. 208. Die Darstellung ist
der Haida-1 atauierung ähnlich, wo eine menschliche
Gestalt zwischen zwei Profilzeichnungen des Raben
liegt: Swanton Llaida. PI. XX fig. 14.
8 Vgl. die Zusammenstellung dieses Motivs bei Boas
Tsimsh. Mythol. p. 641 ff.
9 Boas Tsimsh. Mythol. p. 113.
10 Seler Lichtbr. p. 33 und p. 37ff.
11 Swanton Haida, fig. 2 (p. 41) zeigt den Haida-Scha-
manen mit der Rabenrassel. Krause berichtet (p. 297)
von einer Kranichsrassel des Schamanen. Vgl. ferner
Swanton Soc. Cond. p. 464.
12 Shotridge War Helmets PI. I.
ANNA RÜSTOW
i 8o
Durch diese einfache Form der Rassel und den Helm wird die Boassche
Auffassung bestätigt, der auch Seler sich anschließt, daß der „Schopf“ eines
Vogels, der auf dem Rücken des Raben sich findet, der leicht erhöhte Schwanz
ist1, der dann zu Umbildungen Anlaß gab, zusammen mit dem Totenkopf, den
Boas als eins der üblichen Hämats’a-Zeichen auffaßt, das sich ja auch auf dem
Bastbehang von Masken findetII. 1 2.
3. Flöten sind in der Nordwestkultur, besonders in den Geheimbünden, so
häufig, daß sich beim Fehlen näherer Angaben und auffälliger formaler An-
haltspunkte über die Verwendung der Malaspina- Flöt e (Abb. 5a und 5b) nichts
ausmachen läßt. Formale Ähnlichkeit hat die Flöte mit einem Tacktstock der
Kwakiutl3, auf dem ein Seelöwe dargestellt ist.
Abb. 5 a.
Abb. 5 b.
Unter den Augen der Malaspina-Flöte befindet sich ein Füllgesicht, dessen Augen mit
Haliotisplättchen ausgelegt sind, ebenso wie das Kreismuster auf dem Schwanz-
gelenk.
4. Auch von den Vögeln läßt sich eine eindeutige Zweckbestimmung nicht
angeben. Der knöcherneVogel (Abb. 6) wird eine Ente sein, bei den kleinen
hölzernen Vögeln kann es sich um Möwen handeln. Alle tragen auf der
Brust kleine Durchbohrungen zum Durchziehen einer Schnur.
II.
1. Von den Hüten können zwei aus Mulgrave sowohl als aus Nutka stammen (Hut 190
und Hut 191), die übrigen drei aber sind nach formalen Kriterien eindeutig dem Süden
zuzuweisen. In der Sauberkeit der Flechttechnik läßt sich kein Unterschied zwischen diesen
beiden Typen wahrnehmen. Alle haben innen, wo der Hut dem Kopf anliegt, einen etwa
3 cm breiten Streifen aus gleichem Material angeflochten, der bewirkt, daß der Hut dem
Kopf ganz fest aufsitzt, so daß er auch ohne Benutzung von Riemen jede Tanzbewegung
oder sonstiges heftiges Schreiten erträgt ohne abzurutschen.
a) Hut 192 (Abb. 7a, 7b u. 7c) zeigt ein Doppelprofilgesicht mit spitzen Augen, hochge-
richteter Nase und einem riesigen zahnbesetzten Maul, also ein Wolfsgesicht4. Nase und
Maul sind unzerschnitten geblieben. Auf der Rückseite findet sich in der Mitte ein Enface-
gesicht, das die Zähne als 1 | 1 | 1 | 1 | ! 1 1 1 Muster gebildet hat und somit auf die
südlichen Stämme weist5. Uber und neben diesem Gesicht liegen Flossen und wahrscheinlich
Schuppenmuster. Das Ganze wird also ein wolfsähnliches Seeungeheuer darstellen.
Der Mund des Hauptgesichts ist auf eine eigentümliche Weise streng stilisiert. Es ist
zwischen dunkeln, gegen einander versetzten Halbkreisen ein gezacktes Wellenband aus-
gespart, bei dem jedesmal ein wagerechter Strich und ein Halbkreis sich gegenüberstehen.
Zunächst gewinnt man den Eindruck, daß es nur die Zähne und Zahnlücken sind, die so
ornamental gebildet erscheinen. Es kann sich aber um etwas ganz anderes handeln, ob
1 Boas Soc. Org. p. 629; Seler Lichtbr. p. 34—36.
2 Boas Soc. Org. p. 462, p. 44yf. zu fig. 76 und 77 u. a.;
Seler Lichtbr. p. 35 f. Die Totenköpfe bei der Maske der
Boasschen fig. 77 (p. 448) machen z. T. den Eindruck
von Skalpen bzw. Nachbildungen solcher.
:i Boas Soc. Org. fig. 45 (p. 432).
4 Boas Prim Art p. 205—207.
5 Krickeberg Kunstgew. p. 218.
DIE OBJEKTE DER MALA SPINA-EXPEDITION
181
nämlich das Ungeheuer zwischen den Zähnen etwas trägt, und dieser Eindruck verstärkt
sich, wenn man die roten, länglich-spitzen Gebilde dazu betrachtet, auf die das Wellenband
Abb. 7 a. Abb. 8 a. Abb. 9 b.
Abb. 7 b. Abb. 8 b. Abb. 9 a.
Abb. 7 c.
endet1. Diese wirken, da sie durch einen feinen
schwarzen Längsstrich unterteilt sind, wie ein
stilisierter Mund, haben als Ganzes und durch die
rote Farbe aber auch Ähnlichkeit mit spitzen Zun-
gen. Da der Sisiutl, die doppelköpfige Schlange,
in Sage und Kunst an jedem Ende einen Kopf
mit herausstehender Zunge trägt2, aber offenbar
auch statt dessen einen Mund an jedem Ende3,
so wird das Seeungeheuer den Sisiutl im Maul
tragen und das gezackte Wellenband die Rückenzeichnung der doppelköpfigen Schlange sein.
Der genaue Vorgang, den der Malaspinahut darstellt, wird allerdings vielleicht nicht
mehr mit Sicherheit rekonstruierbar sein. Das Ungeheuer kann den Sisiutl im Maul tragen,
um ihn zu bringen, es kann aber auch ihn verschlingen und vielleicht sogar daran sterben,
etwa durch eine List, wie sie ähnlich eine Sage der Nak-o5mgyilisala schildert4. Hier ist
einem Kind das Sisiutlfell als Gürtel umgebunden worden, damit die doppelköpfige Schlange
im Innern des Ungeheuers lebendig werde und es töte.
Der Sisiutl wirkt als magischer „Todbringer“ oft und in den verschiedensten Formen:
durch den bloßen Anblick5, auch nur seines Felles6, als magisches Kanu7, als Balken des
1 Diese sind auf der Fotografie kaum sichtbar, aber auf dem 3 Boas Tsimsh. Mythol. p. 465; Locher p. 16.
Hut selbst sehr deutlich. Abb. 7 c geht auf eine Skizze 4 Boas Indian. Sagen p. 196, Parallelen s. Boas Kwak.
zurück, die ich nach dem Original anfertigen konnte. Cult. p. 147.
2 Boas Kwak. Tales p. 53 > Slg. Jacobsen M. V. Bin. 0 Boas Indian. Sagen p. 150.
Nr. IV A 874 und 1130, abgeb. Boas Soc. Org. fig. 168 6 Boas Kwak. Cult. p. 147, ähnlich ibid. p. 155.
(p. 515), PI. 40 und PI. 41. 7 Boas Tsimsh. Mythol. p. 465; Boas-Hunt p. 202.
23 Baeßler-Archiv
ANNA RÜSTOW
I 82
Hauses1, offenbar auch als Bogen1 2. Wegen der den Ahnen geleisteten Hilfe ist der Sisiutl
bei den Kwakiutl zum “crest” geworden; er ist nach Boas vielleicht das wichtigste der hilf-
reichen Ungeheuer3. Der Haä’naLino-Clan besitzt einen Tanz mit dem Sisiutl als Gürtel
und beweglichem Bogen; Zungen und Hörner springen durch Ziehen an der Sehne heraus4.
Auch der Malaspinahut könnte ein “crest” sein.
Der Sisiutl spielt aber eine bedeutende Rolle auch in den Geheimbünden. Es ist
interessant, daß gerade im Vorstellungskreis des in den Hintergrund gedrängten Häm-
shamtse-Bundes sich Analogien zu dem in Rede stehenden Malaspinahut finden, der — den
verblaßten und abgesprungenen Farben
nach -—- eines der ältesten Stücke der
Sammlung sein dürfte. Bei einer der phan-
tastischen Klappmasken dieses Bundes
ist unmittelbar unter dem Schnabel eines
mächtigen Rabenkopfes das mittlere Ge-
sicht des Sisiutl gebildet; die beiden Hälf-
ten des Schlangenleibes, zugleich die Innen-
seiten der Flügel des Raben, sind als
Klappen geformt. Der Träger kann diese
Klappen öffnen und schließen, und zwar
durch Schnüre, die ins Innere der Maske
geleitet sind. Bei geschlossener Maske ist
der Sisiutl von den Flügeln zugedeckt;
springen diese auseinander, so breitet sich
der Sisiutl in ganzer Länge aus. Seine
Profilköpfe an den Enden zeigen lang her-
ausstehende Zungen5,
Abb. 10. Denkt man sich bei dieser Klappmaske
das mittlere Gesicht des Sisiutl an den Hin-
terkopf des Raben versetzt, so hätte man eine sehr weitgehende Analogie zum Malaspinahut,
nur daß bei diesem Kopf und Zunge, wie besprochen, an den Enden zu einem einzigen,
sowohl mund- als zungenartigen Ornament umgebildet sind.
Verstärkt wird die formale Ähnlichkeit durch ein merkwürdiges Zahnornament, das
sich auf den Flügeln des Raben findet. Es ist teils ausgeschnitten, teils aufgemalt. Die
gemalten Zähne liegen auf den Außenseiten der Klappen6 und sind besonders regelmäßig
gebildet. Die ausgeschnittenen Zähne fassen den unteren Rand der Flügel ein. Sie sind
auch auf der Innenseite unterhalb des Sisiutl als Gebiß erkennbar. So erscheint auch auf
der Klappmaske der Sisiutl in einer Umgebung von Zähnen, die allerdings etwas anders
gelagert sind als beim Malaspinahut7.
1 Boas Indian. Sagen p. 166.
2 Boas-Hunt p. 144.
3 Boas Soc. Org. p. 371.
4 Ibid. p. 358 und PL 15.
5 Slg. Jacobsen M. V. Bin. Nr. IV A 1250, s. Abb. 10.
Boas Soc. Org. fig. 105 (p. 470) gibt dieselbe Maske
sowohl seitlich als auch weit geöffnet wieder.
6 Vgl. die Boassche Abb.
7 Daß die Zähne der Maske grade auf den Klappen ange-
deutet sind, ist vielleicht nicht zufällig. Überaus ein-
drucksvoll ist eine Klappmaske der Alaska-Eskimo
(Slg. Jacobsen M. V. Bin. Nr. IV A 5143, abgeb. Preuß
Taf. VIII), wo ein zahnbesetzter Rachen ganz für sich
allein die äußere „Maske“ bildet. Der Oberkiefer ist
zugleich die Stirn der inneren Maske; der Unterkiefer
ist beiden Masken gemeinsam. Er ist durch eine ver-
deckt angebrachte Schnur zum Auf- und Zuklappen zu
bringen. Vielleicht spielt bei derartigen Masken das
Motiv der Klappfelsen und verwandte Vorstellungen
mit. Sehr interessant ist jedenfalls die Besetzung der
Kanten des zusammenschlagenden Baumspalts, der
auf einer Haida-Zeichnung als Falle dient, mit je einer
Zahnreihe (Boas Prim. Art fig. 135, p. 139).
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
Dies eigenartige Zahnornament wird genau so über das Wesen beider Tiere etwas aus-
sagen, wie der Kupferbeschlag, den das mittlere Gesicht des Sisiutl und die Augen des Raben
tragen, und wie die Kupferleiste, die noch als Bruchstück im Innern des Schnabels zu er-
kennen ist. Kupfer drückt bekanntlich in der Nordwestkunst eine Beziehung zur Sonne
aus1; durch die Zähne an so auffälliger Stelle wird etwas Verzehrendes, Tödliches an beiden
Tieren gekennzeichnet werden sollen1 2.
In der Sage der Kwakiutl kann die doppelköpfige Schlange ganz offenbar ebensowohl
die Sonne selbst als auch ihren Gegensatz, die nächtliche Finsternis, verkörpern. Denn
als Symbol der neu erstehenden Sonne ist der Sisiutl aufzufassen, wenn die Wölfe, das
Symbol der nächtlichen Dunkelheit3, mit dem Sisiutlfell überwunden werden4. Oder
wenn das lebendige Sisiutlboot, das aus Kupfer besteht, von sich sagt: ,,.... ich bin die
Kraft Kuekuaqä’oe’s, meines Vaters“, da Kuekuaqä^oe (== der Haupterfinder) ein Name
des Raben ist, der die Sonne bringt5. Andrerseits verkörpert die Sisiutl-Maske die nächt-
liche Finsternis, denn es wird Tag, wenn man der Sonne diese Maske abnimmt6. Kupfer-
streifen und Zahnreihen werden also als Ornament am Sisiutl der Klappmaske dies gegen-
sätzliche Wesen der doppelköpfigen Schlange zum Ausdruck bringen und zusammen den
Sisiutl als Sonne in nächtlicher Verfinsterung, als die von der Dunkelheit verzehrte Sonne,
kenntlich machen. So wird auch das Zahnornament auf den Flügeln des Raben verständ-
lich, das auch hier nur die Bedeutung des Verzehrenden haben kann.
Die ganze Anlage der Klappmaske besagt offenbar: der Rabe als Bringer des Sonnen-
lichts — als solcher durch den Kupferbeschlag seiner Augen und die Kupferleiste im
Schnabel ausdrücklich gekennzeichnet — deckt die nächtlich verdunkelte Sonne mit zahn-
bewehrten Flügeln zu und überwindet sie; der Sisiutl verschlingt den Tag, der Rabe die
Nacht. Die Sisiutl-Maske und die Sonnenaufgangsmaske, von denen die zuletzt erwähnte
Sage der Kwakiutl spricht7, erscheinen hier zu einer Doppelmaske vereinigt.
Der Malaspinahut bietet ähnliche Möglichkeiten für eine Deutung, aber keinen An-
haltspunkt zur Entscheidung. Da für die Stämme der Westküsten die untergehende Sonne
im Meere versank, so darf mit Seler angenommen werden, daß das Meer sich ihnen mit dem
Begriff des nächtlichen Dunkels verband8, also auch ein Seeungeheuer den Sisiutl, die
Sonne, verschlingen konnte. Umgekehrt könnte es sich bei dem dualistischen Charakter
des Sisiutl auch um ein Verschlingen der nächtlichen Finsternis handeln, allerdings wäre
unter dieser Voraussetzung der Hut wohl der Ostküste der Vancouver-Insel zuzusprechen
oder einer Gegend, wo ein Fjord sich nach Osten erstreckt.
Aber Seler macht noch auf etwas anderes aufmerksam. Der Mond erscheint als neue
Sichel am westlichen Abendhimmel und rückt zusehends in östlicher Richtung vor. Er
scheint irgendwie den Weg der Sonne nächtlich fortzusetzen9. So ist es vielleicht erklärlich,
daß die Catlöltq — worauf Locher hinweist10 — den Mond als Nachtsonne bezeichnen. Und
1 Für das Kupfer im Schnabel des Raben s. o. S. 178.
Auch auf den Augen wird dem Kupfer eine bestimmte
Bedeutung zukommen. Vgl. die Sage der La’lasiqwala,
wo „Goldauge“ durch Feuerbohren den Wind besiegt,
der das schlechte Wetter verursacht (Boas-Hunt p. 352).
Oder auch die Sage der Bella Coola, wo die Sonnen-
strahlen die Augenwimpern der Sonne bilden (Boas
Mythol. Bella Coola p. 102). NachMacfie (p. 456!.) haben
die meisten Stämme der Britischen Nordwestküste die
Auffassung, daß der Blitz aus dem riesigen Auge des
Donnervogels kommt und der Donner das Schlagen seiner
Flügel ist.
2 Vgl. das Zahnornament auf dem Federkleid des Donner-
vogels (oben S. 176ff.), ferner Seler Lichtbr. p. 39h,
Locher p. 33.
3 Seler Lichtbr. p. 13!.
4 Boas Kwak. Cult. p. 155.
5 Boas Indian. Sagen p. 167 h und p. 208; vgl. auch Boas
Kwak. Cult. p. 151, ferner Locher p. 61 f.
6 Boas Soc. Org. p. 410E, Boas-Hunt p. 396f. Vgl. auch
Locher p. 36f.
7 Boas Soc. Org. p. 411; “sisiutl mask” und “sunrise
mask”, Boas-Hunt p. 396!.; “double-headed serpent
mask” und “daybreak mask”.
8 Seler Lichtbr. p. 13.
9 Seler ibid. p. 12.
40 Locher p. 37f. (nach Boas Mythologie p. 12).
184
ANNA RÜSTOW
in einer Sage der Nutka bewahrt der Mond die Sonne in einem Kasten auf, von dem er nur
eine Ecke öffnet1. Da in der Sage der Kwakiutl die Sisiutl-Maske die nächtliche Verfinste-
rung der Sonne bewirkt1 2, also diesem ,,Kasten“ entspricht, so ist der Sisiutl möglicherweise
auch das Symbol des Mondes, zumal die Kwakiutl den Mond anscheinend auch sonst unter
dem gleichen Symbol darstellten wie die nächtlich verdunkelte Sonne: als ein Gesicht mit
geschlossenen Augen3. Damit würde übereinstimmen, daß auf dem Mond das Land der
Toten liegt4, und daß der Mond sich als Bemalung des geheimen Raums bei kannibalischen
Riten findet5, einmal sogar mit der Schlange zusammen6, einmal aber auch den Raben in
sich bergend7 — vielleicht als Symbol des neuen Tages inmitten der Nacht.
Falls auf dem Malaspinahut der Sisiutl den Mond darstellen sollte, so entspräche das
der Deutung für eine Mondfinsternis, die Jewitt gegeben wurde; “they pointed to the
moon, and said, that a great cod-fish was endeavouring to swallow her. . . .”8
Mit dem Aufweisen derartiger Beziehungen wird man sich bei einer Gestalt wie der
doppelköpfigen Schlange, die auch in andern Geheimbünden eine so wichtige Rolle spielt,
zunächst begnügen müssen und sich immer bewußt bleiben, daß eine Entscheidung, welche
Bedeutung vorliegt, vielleicht heute nicht mehr getroffen werden kann.
Auch ein Seeungeheuer kommt als Klappmaske der Hämshamtse vor; das innere
Gesicht zeigt hier den Schwertwal9.
Zu dem Wellenband, das der Sisiutl auf dem Malaspinahut als Rückenzeichnung trägt,
trifft man ausgesprochene Parallelen sowohl auf Nazca-Keramiken10 * als auch in mexika-
nischen Kulturen11, und zwar als Rückenzeichnung einer Schlange. Das 1 1 1 1 1 1 1 1 1 | 1 |
Muster, das die Rückseite des Malaspinahutes als Mundornament zeigt, findet sich in
gleicher Verwendung ebenfalls auf Nazca-Gefäßen12.
b) Als Wappentier wird der Schwertwal auf Hut 190 (Abb. 8 a und 8 b) anzusehen sein.
Offenbar handelt es sich seiner Größe wegen um einen Häuptlingshut. So trägt auf einer
Zeichnung der Malaspina-Expedition13 der Häuptling von Mulgrave einen großen, der
„Indio“ einen kleineren Hut. Auch in einer Sage der Kwakiutl ist der Häuptlingshut groß14.
Durch die runden Augen und das Maul ist das Tier als Schwertwal kenntlich15. Die Ein-
sattlung in der Mitte der Stirn zeigt ein Doppelprofilgesicht an16. Das breite Maul bleibt in
seinem oberen Teil unzerschnitten, wenn auch verkürzt, die Unterkiefer am unteren Rande
dagegen sind stark in die Länge gezogen. Dies wirkt wie ein Ersatz für die dritte Dimension.
— Auf der Rückseite werden die kleinen Augenmuster nebst der Verlängerung am unteren
Rande die geteilte Rückenflosse darstellen, die großen Augenmuster den geteilten Schwanz.
Dieser würde somit den Rumpf fast gänzlich verdecken, nämlich bis auf das keilförmige
Gebilde in der Mitte zwischen den großen Augenmustern, das sich am besten als das Ende
des Rumpfes zwischen Rückenflosse und Schwanz erklärt, das unzerschnitten geblieben
wäre. Ähnlich ist auf einem ledernen Tanzschurz der Haida17 der Rückenschnitt offenbar nur
1 Boas Tsimsh. Mythol. p. 888; Locher p. 37.
2 Boas Soc. Org. p. 411, Boas-Hunt p. 396.
3 Seiet Lichtbr. p. 29, zu Abb. 31. Vgl. auch Locher p. 37!.
4 Boas Indian. Sagen p. 237; Boas Bella Bella Tales
p. 118; Locher p. 37.
5 Boas Ethnology p. 1006, p. 1246; Locher p. 30!., vgl.
auch p. 26.
6 Boas-Hunt p. 182; Locher ibid.
7 Boas Bella Bella Tales p. 75.
8 Jewitt p. 189.
9 Boas Soc. Org. fig. 102 (p. 467), vgl. auch fig. 100
(p. 465).
10 Doering Taf. VIII B, vgl. auch p. 39; Seler Buntbem.
Gefäße Abb. 316b (p. 312); vgl. auch — weniger ähn-
lich — Abb. 29 (p. 187) und Abb. 239 (p. 279).
Seler Wandmalereien Taf. I, 2; ferner Codex Nuttall 58
und — nicht ganz so ähnlich — Codex Borgia 20, sowie
Codex Tro 5 c und 25 b.
12 Seler Buntbem. Gefäße Abb. 270, Abb. 274.
13 s. u. S. 199 und Abb. 25.
14 Boas Kwak. Tales p. 311. Ähnlich Jewitt p. 75 für die
Nutka.
15 Boas Prim. Art p. 194 und p. 202.
16 ibid. p. 228.
17 Slg. Jacobsen M. V. Bln. IV A 605a, untere Malerei.
Der Tanzschurz ist abgebildet bei Krickeberg Malereien
fig. 4, dazu ibid. p. 144.
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
185
zwischen Kopf und Rückenflosse des Schwertwals durchgeführt; so wird dort der Eindruck
erweckt, als ob das stark verkürzte Rumpfende mit dem herabhängenden Schwanz aus der
Fläche herausragt. Beim Malaspinahut wird ein ähnlicher Eindruck in umgekehrter Rich-
tung hervorgerufen, kompliziert durch Teilung und Drehung von Schwanz und Rückenflosse,
So wäre der Leib des Tieres bis zum Verschwinden vernachlässigt, breit aber die wich-
tigsten Merkmale dargestellt: Augen und Maul, Rückenflosse und Schwanz. Für das Aus-
lassen des Rumpfes sowie für Teilung und Drehung von Rückenflosse und Schwanz in der
Nordwestkunst bringt Boas eine Fülle von Beispielen1.
c) Auch bei Hut 191 (Abb. 13) wird es sich um das Doppelprofilgesicht eines Schwert-
wals handeln, da die eckige Mittelpartie steil und hoch ansteigt1 2. Augen und Augenhöhlen
können beim Schwertwal ja gelegentlich länglich-rund sein3. Auch bei diesem Gesicht
bleibt der obere Teil des Maules und wohl auch die Nase unzerschnitten. Die Zahnreihe ist
nur für den Oberkiefer angedeutet; durch ihr Abknicken nach der Mitte zu scheint das Maul
vorzuspringen und aus der Fläche herauszuragen. Die Unterlippen verlaufen längs des
Randes. An die Mundwinkel schließt sich ein kleines Flossenmuster an.
Schwer zu deuten ist das Gesicht der Rückseite: vielleicht ein Füllgesicht, das als
schnurrbartartiges Ornament den Schwanz des Tieres trägt4. Die breiten Streifen, die die
Gesichter längs des oberen Randes verbinden, können den geteilten Rumpf darstellen.
Darunter wird die Verbindung der beiden Gesichter offenbar durch zwei Rückenflossen oder
die Hälften einer solchen gehalten, die nach den Augen hin leicht abgeschrägt sind. Beide
tragen eine Vielzahl von ausgesparten gleichgroßen Kreisen in regelmäßigen Abständen.
Ein ähnliches Band von Kreisen findet sich gelegentlich auf Chilkatdecken5, wo es sich viel-
leicht nur um dekorative Aneinanderfügung von Füllmustern handelt6. Hier aber scheinen
diese kleinen Kreise auf der länglich-schmalen Flosse Ähnlichkeit mit den Saugnäpfen auf
Tintenfischarmen hervorrufen zu sollen, vielleicht um den Schwertwal als Sonnensymbol
zu stilisieren7.
Als Relief bietet das unterste Wappentier bei einem Totempfahl der Haida8 eine Ver-
anschaulichung der offenbar ähnlich liegenden Teile. Hier ist das Gelenk des hochgeklappten
Schwanzes als Gesicht gebildet. Die geteilte (oder doppelte) Rückenflosse ist auf dieses zu
gerichtet, sie trägt allerdings nur einen kleinen Kreis statt mehrerer.
d) Die bisher besprochenen Hüte waren in dem für die Nordwestkunst typischen
Dekorationsstil bemalt, der ein Tier oder seine wichtigsten Merkmale flächenfüllend auf dem
zur Verfügung stehenden Raum ausbreitet. Bei Hut 194 (Abb. 11 a und 11 b) dagegen ist die
Bemalung im knappen Ritzmusterstil der Alaska-Eskimo gehalten, von dem auch das Y-
und das Fischgrätenmuster Verwendung finden9. Da dieser Stil im äußersten Süden des
Nordwestgebiets vorkommt10, so ist der Hut vermutlich in Nutka erworben worden.
Zu beiden Seiten des Gesichts sind auf diesem Hut ähnliche Gebilde dargestellt, wie
sie bei dem letztbesprochenen Hut als Rückenflossen des Schwertwals oder Hälften einer
solchen wahrscheinlich gemacht wurden. Die Stilisierung als Tintenfischarme11 unterstreicht
1 Boas Prim. Art p. 220 zu fig. 217, p. 220h zu fig. 218,
p. 234!. zu fig. 240, p. 239f. zu fig. 247, p. 240 zu fig. 248,
p. 242f. zu fig. 252, p. 246 zu fig. 258, p. 250h zu fig. 263.
2 Boas Prim. Art p. 194ff.
3 Vgl. Boas ibid. fig. 176c (p. 195).
4 Entsprechend deutet Boas Soc. Org. p. 464 ein solches
Ornament auf dem Innern Gesicht einer Klappmaske
(fig. 99) als Beine.
5 Boas bei Emmons fig. 560a (p. 367), fig- 573 (p. 383),
% 578 (_P- 38S), 585 b (P- 392)-
(> Boas bei Emmons p. 366 Nr. 16, 17, 20; vgl. ibid,
p. 384 und Boas Prim. Art p. 253 h Dagegen vermutet
Boas in Prim. Art fig. 231 (p. 229) ebenfalls eine Rücken-
flosse.
7 Vgl. Krickeberg Malereien fig. 9, dazu p. 146 ff., ferner
Seler Lichtbr. p. 22, p. 28, p. iof.
8 Swanton Elaida PI. I fig. 2, dazu p. 123.
9 Krickeberg Kunstgew. p. i6if.
10 Krickeberg ibid. p. 218.
11 Eine Haida-Tatauierung (Boas Facial Paintings PI. Ill
fig. 13) stellt zwei ganz ähnliche Tintenfischarme dar
von derselben länglich-schmalen Form, die allerdings je
zwei Reihen kleiner Kreise tragen.
186
ANNA RÜSTOW
hier offensichtlich die Darstellung des Tieres als Sonnenbildnis, die durch die kreisrunde
Einfassung des in der Nordwestkunst seltenen Enfacegesichts gegeben ist.1. Dazu sind die
mittleren Gesichtspartien — offenbar weil zur Sonnendarstellung unnötig — auf das aller-
äußerste Minimum der Ausdehnung herabgesetzt: ein Y-Muster faßt Augenbrauen und Nase
zusammen, drei denkbar kurze Striche darunter geben Augen und Mund an.
Abb. 11 a.
Abb. ii b.
Die Mitte der Rückseite wird von den Spitzen der tintenfischarmartigen Flossengebilde
eingenommen. Diese sind durch eingeknickte Linien zusammengehalten, wie sie gelegent-
lich in der Nordwestkunst die Enden von Rumpfhälften verbinden1 2. Dadurch wird auch der
Rumpf angedeutet oder gleichsam vorausgesetzt.
Am unteren Rande findet sich ein langgestrecktes Fischgrätenmuster, das wohl die
Wirbelsäule mit den Rippen wiedergibt3. In der Mitte schließt dieses Muster ein kleines
Rhombenornament ein, vielleicht eine Darstellung des Schwanzes.
Die Knochen sind zwar in der Sage der Nordweststämme sehr häufig der Sitz des Lebens
— so wird aus den in den Bach geworfenen Gräten sofort ein richtiger Lachs4 — aber sie
sind kein eigentlich unterscheidendes Merkmal. Immerhin wird grade der Schwertwal auch
sonst oft mit vollem Skelett oder einzelnen Rippen gebildet. Und daß es sich um einen
Schwertwal handelt, ist der vermutlichen Rückenflosse oder Rückenflossenhälften wegen
(s. o.) das Wahrscheinlichste. Auch der Schwertwalhut der Tlingit, den Swanton abbildet5,
hat nicht mehr Merkmale, selbst wenn man die Gesichtsbemalung hinzunimmt.
Die vier kleinen Zylinder, die in der Mitte des Hutes wie eine Säule aufgeflochten sind,
stellen bekanntlich Rangabzeichen dar, “each ring symbolizing a Step in the social ladder6”.
Entsprechend stellt Shotridge zu einem Hut der Tlingit fest: “. , . . the ‘top-stock’ ....
represents the number of ceremonies in which the old hat was brought forth before the
public. . . .”7, und zu einem Helm mit nur zwei Zylindern: “The helmet was carried through
only two ceremonies, and before it was brought up to the Standard of recognition, it feil
into the hands of the rival clan during one of the conflicts.”8 Swanton bemerkt für die
Haida: “In general, the more segments to a hat, the greater the honor to its wearer.”9
1 Krickeberg Malereien p. 14611.; Seler Lichtbr. p. 27 k,
p. 22, p. iol.
2 Vgl. Boas Prim. Art lig. 227 (p. 226).
! Der Fischer bei Niblack PI. L II lig. 281 zeigt dieses
Muster sehr schön aul dem Rücken. In großem Ausmaß
und in Verbindung mit der Wirbelsäule hat es der Wal
aul einer Hauslront der Kwakiutl: Boas Soc. Org.
lig. 18 (p. 378). Vgl. auch ibid. lig. 173 (p. 517) u. a.
4 Boas Indian. Sagen p. 266, ähnlich ibid. p. 83 u. a.
5 Swanton Soc. Cond. PI. 48 c.
6 Boas Prim. Art p. 222; vgl. auch Emmons Basketry
p. 256!., Krause p. 198.
7 Shotridge Emblems p. 366.
8 Shotridge War Helmets p. 46 zu PI. I.
9 Swanton Haida p. 123 zu PL I lig. 4.
tt-äHwÜL
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
Die einzelnen Zylinder lassen sich ziehharmonikaartig auseinander rücken. Dies ge-
schieht von selbst, wenn ein Fell oben befestigt ist, wie es sehr schön ein Hut der Chilkat
zeigt, den Emmons abbildet1, oder auch ein Haidahut der Sammlung Jacobsen1 2. Die Zylinder
sind mit äußerster Sauberkeit aneinandergeflochten, und zwar in einer Kreislinie nahe dem
Rande der Grundflächen. Mit nicht auseinander gezogenen Zylindern ist der Hut bei den
Thngit zum Flechtmuster geworden3.
Interessant sind beim Malaspinahut die vier dünnen roten Striche längs des Mantels der
Zylinder, die mit einer feinen weißen Haarreihe besetzt sind. Offenbar befinden sich in den
Zylindern Steinchen, da der Hut bei der kleinsten Bewegung ein leises Rasselgeräusch von
sich gibt. Dies wird, wie zumeist in der Nordwestkultur, die Stimme der übernatürlichen
Macht wiedergeben4 und entspricht der magischen Bedeutung, die Zylindern ebenso wie
Hüten selbst in der Sage zukommt. In einer Sintflutsage der Haida werden die Fluten
durch das Drehen der Ringe erzeugt, die einem „Zauberhut“ aufgeflochten sind5; umgekehrt
schwellen die Ringe mit der Flut an, „bis schließlich der oberste Ring fast den Himmel
erreichte“6. Darum tragen Häuptlinge, die von den beiden Helden dieser Sage abstammen,
„Hüte mit drei bis zehn Ringen, die vom Deckel in die Höhe stehen und denen Zauberkraft
zugeschrieben wird“7. Auch der Hut selbst hat magische Kraft: ein Hut läßt die Flut
steigen8, ein Hut trägt nach dem Aufsetzen sofort in die Höhe9, ein glühender Stein, als Hut
aufgesetzt, tötet ein Ungeheuer10. Der Mond in einer Schöpfungssage der La’lasiqwala ver-
arbeitet die Unterkiefer von Adlern zu einem Tanzhut, ihre Schnäbel zu einer Rassel. „Da
wurde er stark und mutig“11. Vielleicht hängt es mit einer solchen magischen Bedeutung des
Hutes zusammen, daß bei den Thngit Krieger die Hüte von Schamanen aufsetzen12. Beim
Fischen wird in einer Sage derTsimshian ein „wertvoller“ Hut getragen: “The hat was very
expensive, and was called Cormorant Hat. It was covered with costly abalone shells; and
nobody was allowed to wear the hat except this prince, as a crest of his family.” Jedesmal,
wenn der Hut herunterfällt, entschwindet der Fisch13.
e) Das alles legt den Gedanken nahe, daß die Jagdszene auf
Hut 188 (Abb. 12) der Sammlung Malaspina nicht nur einen ge-
wesenen Vorgang darstellt —- wie es etwa der Auffassung des euro-
päischen Betrachters entspräche — sondern einen erstrebten Erfolg
in der Zukunft. Vielleicht soll dieser Hut dem Träger einen ebenso
glücklichen Jagdausgang sichern wie auf der Darstellung.
Der Hut findet sich in der Sammlung Malaspina in fünf gleichen
Exemplaren, sehr ähnlich auch im Britischen Museum14 und auf zwei
Zeichnungen im Atlas . . . Sutil yMexicana von einem Nutkahäupt-
ling und von einem Häuptling des Eingangs in die Juan-de-Fuca-
Straße15.
1 Emmons Basketry PI. XVII.
2 M. V. Bln. Nr. VI A 800, abgeb. Adam Taf. 41, Kricke-
berg Kunstgew. p. 227, X.
3 Emmons Basketry p. 275 zu fig. 351.
4 Seler Lichtbr. p. 42; Boas Soc. Org. passim; Swanton
Tling. Myths p. 173.
5 Jacobsen Sintflutsage p. 171 und p. 185. Ähnlich bei
Swanton Tling. Myths p. 120.
6 Jacobsen Sintflutsage p. 185; vgl. auch Boas Indian.
Sagen p. 308.
7 Jacobsen Sintflutsage p. 185.
8 Boas Indian. Sagen p. 306f. (Haida).
9 Ibid. p. 211 (AwPk-!enoxu).
10 Ibid. p. 64 (qatlö’ltq).
i88
ANNA RÜSTOW
Auch bei diesem Hut ist die ornamentale Darstellung im Ritzmusterstil gehalten, aber
nicht aufgemalt, sondern mit äußerster Sauberkeit aus dunkleren Fasern eingeflochten, so
daß weder rechts noch links ein Ende zu sehen ist. Infolge des Ritzmusterstils ist der Hut
dem Süden zuzusprechen1; hier ist er für die Nutka auch literarisch bezeugt, und zwar ein
Jahr nach dem dortigen Aufenthalt der Malaspinaexpedition. Francisco Mosiño, der im
Jahre 1792 Bodega y Quadra als Naturforscher begleitete1 2, berichtet, daß bei den Nutka
die Vornehmen nur Hüte mit Walfangzeichnung trugen (“donde sobresalgan los dibuxos y
adornos. Estos son siempre alusivos al aparato de la pesca de ballena; y los de la gente de la
plebe se distinguen en su inferior calidad, pero mas principalmente en que carecen de diseños
y sobrepuestos”)3. Daß die Wirklichkeit diesem Schmuck entsprach, geht aus dem Bericht
von Meares über die Nutka hervor: ,,Die Sklaven und die gemeinen Leute müssen für das
tägliche Bedürfniß Fische fangen; hingegen dürfen nur die Oberhäupter und Krieger das
edlere Geschäft den Walfisch zu erlegen, oder Seeottern zu jagen, verrichten.“4
Nach den Beobachtungen, die von Mosiño sowie auf der Reise Marchands und der
zweiten Reise von Meares gemacht wurden, ist der in der Darstellung festgehaltene Augen-
blick genau zu bestimmen. “Arrojan con ímpetu sobre la ballena un agudo harpon, unido
á un asta larga y bastante pesada, para que se clave aquel profundamente. Una cuerda
atada por uno de sus extremos al harpon, y por el otro á una vexiga que flota sobre las aguas
y sirve de boya, muestra el camino por donde huye el animal herido el poco tiempo que
conserva la vida.”5 Meares beschreibt den Vorgang ähnlich, dazu ausführlich die Harpune:
,,Der Schaft hat achtzehn bis acht und zwanzig Fuß Länge. Am Ende ist ein großer einge-
kerbter Knochen daran festgebunden, an welchen das Harpun vermittelst lederner Riemen
befestigt wird. Das Harpun ist von eirunder Figur, und an den Seitenrändern, so wie an der
Spitze, äußerst zugeschärft. Es wird aus einer Miesmuschel gemacht, die man in ein drei
Zoll langes Stück Knochen (nicht das vorige) einpaßt, und woran man eine Schnur befestigt
.... dergestalt, daß, sobald man das Thier gestochen hat, der Schaft vermittelst daran
sitzender großer aufgeblasener Robbenfelle oder Fischblasen auf der Oberfläche des Wassers
schwimmt.“6 Nach Fleurieu wird der erste Stoß auf den Walfisch mit einer starken Lanze
ausgeführt, „und selten mißlingt es einem Amerikaner, ihn auf den ersten Wurf zu verwun-
den; in dem Augenblicke werden die leichtern Lanzen gebraucht, um die Harpunen abzu-
werfen. . . .“ An jeder Harpune ist ein Seil mit einer luftgefüllten Blase befestigt; „die durch
dieses Zeichen geleiteten Fischer verfolgen ihn, und feiern unter fröhlichen Gesängen, ihren
Sieg und ihre Eroberung“7.
Dem Häuptling kommt bei Meares die Rolle des ersten Harpuniers zu8. Er bereitet
sich „mit ungewöhnlicher Feierlichkeit“ zur Waljagd vor. „Er legt eine Kleidung von See-
otterfellen an, salbt sich über und über mitÖl, schmiert sich den Leib mit rothem Oker, und
wählt zu seinen Gefährten die kühnsten, stärksten und rüstigsten seiner Leute.“9 Nach
Mosiño ist der Häuptling bei der Verteilung des Wals gegenwärtig, “y hecha esta, da un
espléndido banquete a los concurrentes de todas las rancherias, y los trata con singular
agasajo”10.
1 s. 0. S. 185 а 2.
2 Relacion p. 123 t.; Humboldt p. 256 а l.
3 Relacion p. 127. — Nach Jewitt p. 75 kommt bei den
Nutka der Hut mit Walfangszene dem obersten Häupt-
ling zu. Walfangszenen finden sich auch als Bemalung
auf dem ledernen Zeremonialgewand von Häuptlingen;
ibid. p. 74.
4 Förster I p. 275; ähnlich ibid. p. 163.
5 Relacion p. 134.
6 Förster I p. 276. Vgl. auch Cook p. 54, Jewitt p. 92.
7 Fleurieu II p. 94.
8 Forster I p. 276. Ähnlich Jewitt p. 93: “The whale is
considered as the king’s fish, and no other person, when
he is present, is permitted to touch him, until the royal
harpoon has first drawn his blood, however near he may
approach....”
9 Forster I p. 276. Nach Jewitt (p. 154!.) ist die Vor-
bereitung mit Abstinenz, Baden und Reiben des Körpers
mit scharfen Gegenständen verbunden, entspricht also
der Kriegsvorbereitung ibid. p. 169h
70 Relacion p. 135.
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
189
2. Einen Schwertwal in zwei vollen Seitenansichten gibt das kleinere der beiden Kanu-
modelle wieder (Abb. 14). Der Schwanz liegt am Bug und ist als Rabenschnabel gebildet,
wie es auch sonst in der Nordwestkunst bei Gliedmaßen vorkommt1. Die breite Rücken-
Abb. 13.
Abb. 14.
flösse ist dem Kopf seitlich angesetzt, da das Kanu eine Ausbuchtung in der Rückenlinie
nicht vertragen würde; ähnlich liegen Schwanz und Rückenflosse dem Stiel einer Tlingit-
keule an, um die Form nicht zu sprengen2. Die Einknickung kurz vor der Spitze der Rücken-
flosse wirkt verlängernd und weist in eine andere Dimension. Die Brustflosse scheint über
der Rückenflosse zu liegen. Mit ornamentaler Regelmäßigkeit füllen die Rippen die Mitte
des Kanus aus. Die Zähne sind symmetrisch auf dem hellen Elolzgrunde ausgespart. Auch
die schwarzen Zahnlücken sind von ornamentaler Regelmäßigkeit: sie bilden geradezu eine
Kette kleiner Rhomben. Interessanterweise wird dies Rhombenmuster am Schwanzgelenk
wiederholt. Und zwar ist es hier ausgespart zwischen der schwarzen Bemalung; Hell und
Dunkel ist also gegenüber dem Zahnornament des Mundes umgekehrt verteilt.
Ob das Kanumodell den Nutka oder den Tlingit zuzuschreiben ist, erscheint nicht sicher.
Cook beschreibt für die Nutka ein Kanu mit erhöhtem Bug und eingeschnittener Spitze,
das hinten senkrecht abgestumpft ist3; andererseits würde das Kanumodell nach den Typen,
die Niblack anführt, dem Norden zuzusprechen sein4.
Die Zeichnung kann wie so oft ein “crest” darstellen und nichts weiter. In einer Sage
der He’iltsuq aber hat sie ausgesprochen magische Bedeutung („Die Frau klappte mit ihren
Händen auf die Außenseite des Bootes. Da fing die Malerei an zu rudern“)5. Und gerade
der Schwertwal hat — neben dem Sisiutl -—■ zum Kanu eine so enge Beziehung, daß er hier
vielleicht nicht ein „verblaßtes“ Wappentier ist, sondern eins, das im Kanu lebendig ist
und ihm die eigene Sicherheit und Schnelligkeit verleihen soll. Nach Boas vertritt der
Schwertwal bei den Haida als “crest” die Seeungeheuer, die Gefahren zur See verkörpern6.
Wenn in der Sage der Nordweststämme das Kanu zum Schwertwal wird und der Mensch,
der im Kanu saß, sich plötzlich im Bauche des Schwertwals befindet7, so wird das umge-
1 Vgl. Adam p. 36 zu Taf. I.
2 Boas Prim. Art p. 219 zu fig. 211.
3 Cook p. 53, vgl. auch p. 9.
4 Niblack PI. XXXIV und p. 295.
5 Boas Indian. Sagen p. 238.
24 Baessler-Archiv.
6 Boas Tsimsh. Mythol. p. 528!.
7 Swan in Westshore, August 1884, zitiert nach Niblack
p. 322!. Zur Identität von Boot und Wal vgl. auch Boas
Indian. Sagen p. 83, Swanton Haida p. 17 u. a.
ANNA RÜSTOW
I go
kehrt den Sinn haben, daß das Kanu den Ozean so sicher durchqueren soll wie der Schwert-
wal: charakteristischerweise tritt die Verwandlung beim Passieren der Brandung ein.
Auch Kanus von übernatürlicher Schnelligkeit verwandeln sich in der Sage der Kwakiutl
in Schwertwale1. Von einem solchen Kanu wird ein Toter abgeholt1 2. Jäger verwandeln
sich anscheinend nach dem Tode mit ihrem Kanu in Schwertwale3.
Das magische Kanu kann in einer Erzählung der Kwakiutl zusammengedrückt werden;
aufs Wasser gesetzt, nimmt es seine ursprüngliche Gestalt wieder an und fährt von selbst:
einem Häuptlingssohn, der in den Wald geht, “looking for a magic treasure”, wird es nach
verschiedenen Begegnungen mit Tieren zugleich mit dem Wasser des Lebens und dem Tod-
bringer verliehen4.
Aus dem wirklichen Leben der Nordweststämme ist für das Kanu in verkleinertem
Maßstabe die Verwendung als Schüssel bekannt, und zwar in reiner und mehr oder weniger
stark abgeflachter Form; es wird damit, wie aus Ansprachen an die Gäste hervorgeht, eine
Kanuladung von Nahrung angeboten5. Vielleicht sind auch die sehr langen engen Schüsseln,
die Tate für die Tsimshian bezeugt6, kleine Kanus.
Boas hält es für möglich, daß Zeichnungen auf Schüsseln, die als Kanu gebildet sind,
nachträglich totemistisch interpretiert wurden7. Dann könnte also die Zeichnung auf dem
Malaspinaschen Kanu sowohl ein “crest” darstellen als auch ein magisches Ornament,
das Nahrungsfülle verbürgt wie die Seeotter8 oder die — nach einer Sage der Nak-o’mgyili-
sala — sich selbst füllende Tintenfischschüssel9. Grade der Wal, dessen Fang die Nahrungs-
knappheit des Winters plötzlich in Fülle verwandelt10, wäre als Symbol auf Schüsseln ebenso
verständlich wie die Seeotter, die für gewöhnlich die beliebteste Nahrung bildet, und deren
Fang ebenso wie der des Wals bei den Nutka den V ornehmen Vorbehalten ist11.
3. Ob die beiden Masken der Sammlung Malaspina (1309 und 1311, Abb. 15 und 16)
ein Wappentier oder einen Geist durch ihre äußerst geringe Verzierung andeuten, wird kaum
festzustellen sein; auch um Verwendung bei Bünden könnte es sich handeln12. Beide Masken
stammen offenbar aus dem Norden: die eine wegen ihrer flachen Wölbung, die an die
Masken der Alaska-Eskimo erinnert13, die andre wegen des Lippentellers, der bei den Nutka
nach der ausdrücklichen Angabe Mosinos nicht vorkommt14.
Interessant sind bei der Maske 1309 die aufgesetzten Lippen aus Leder, die an Schnüren
von innen beweglich sind. Die Augen sind in der Mitte kreisrund ausgeschnitten.
Die Maske 1311 stellt des Lippentellers wTegen ein weibliches Gesicht dar. Der Lippen-
teller und die allmähliche Erweiterung des Lippeneinschnitts ist von den Reisenden des
1 Boas-Hunt p. 341.
2 Boas Kwak. Tales p. 341.
3 Boas Sixth Report p. 579; “The souls of hunters are
transformed into killer whales .... Hunters have the
bow seat of their canoes ornamented, and a hole cut
in the centre of the seat. It becomes their dorsal fin
when they become killer whales after their death. It is
believed that, after the death of a hunter, the killer
whale into which he has been transformed will come to
the village and show itself”. Vgl. hierzu Macfie p. 457.
4 Boas Soc. Org. p. 449ff.; ähnlich ibid. p. 402: “. . . . the
canoe builder built toy canoes .... What should she
see but .... large canoes.” Vgl. auch Boas Kwak. Cult.
r P- I07-
5 Boas Prim. Art p. 236; Boas Soc. Org. p. 392 h; auf
Geschenke erweitert ibid. p. 422 h u. a.
6 Boas Tsimsh. Mythol. p. 539.
7 Boas Soc. Org. p. 392 h Reine “crest”-Bedeutung liegt
offenbar ibid. p. 552h vor; vgl. auch Boas Prim. Art
p. 194 a 2 zu fig. 179 e, ferner Boas Kwak. Cult. p. 38.
Zum “crest” in magischer Bedeutung vgl. Boas Tsimsh.
Mythol. p. 260; Boas Indian. Sagen p. 310 h
8 Boas Soc. Org. p. 392. Vgl. auch Boas Summary p. 679!.
9 Boas Indian. Sagen p. 203.
10 Förster I p. 157h, p. 221, p. 283; Boas Kwak. Cult. p. 39;
La Pérousep. 325 ; Swanton'Hing. Myths p. 25; Swanton
Soc. Cond. p. 457. Nach Swanton ibid. wird der Schwert-
wal bei denTlingit nicht gejagt; welche Art Wal während
Marchands Aufenthalt von den Tlingit gejagt wurde,
geht aus der sonst sehr anschaulichen Darstellung bei
Fleurieu I p. 292 nicht hervor. Vgl. auch Krause p. 99
und p. i8of.
11 Förster I p. 163 und p. 275.
12 Für die drei Arten von Masken vgl. Krickeberg Masken
p. 57f. Uber die Ausbreitung der Geheimbünde bis zu
den Tlingit vgl. Boas Soc. Org. p. 651 ff., Swanton Soc.
Cond. p. 436.
13 Krickeberg Kunstgew. p. 158.
14 Relacion p. 126; vgl. auch Boas Soc. Org. p. 319.
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
191
18. Jahrhunderts und auch später anschaulich beschrieben worden1. Von den älteren
Reisenden wird der Lippeneinschnitt mehrfach als „doppelter Mund“ oder „zweiter Mund“
bezeichnet2. Wenn bei den Tsimshian ein Mädchen erwachsen war, war der Lippen-
einschnitt größer als der Mund3.
Abb. 15.
Bei Maurelies zweiter Reise (1776—1779) gaben die Eingeborenen im Bucareli-Hafen
für den Lippenteller die Erklärung, er diene den Müttern zum Vorkauen der Nahrung für
die kleinen Kinder4. Ob diese Erklärung dem offenbar irrationalen Charakter einer solchen
Sitte gerecht wird, ist fraglich.
Portlock beschreibt theatralische Vorführungen eines Anführers der Tlingit, bei denen
dieser auch als Frau auftrat; ,,.... um die Täuschung vollständiger zu machen, trug er
eine Larve, die ein Weibergesicht mit den gewöhnlichen Zierrathen vorstellte“5.
Sklavinnen tragen nach Holmberg keinen Lippenteller6. Entsprechend wurde bei den
Tsimshian ein Mädchen ohne Lippenteller Sklavin genannt'. “The highest chieftainess had
the largest lip-hole and largest labret as a sign of her high rank.-”8 III.
III.
Die Sammlung Malaspina enthält eine Reihe von Stücken der kriegerischen Ausrüstung:
Tierkopfhelme, Visiere und Panzer.
Die älteren Reiseberichte erwähnen sowohl bei den Nutka wie bei den Tlingit Tier-
kopfhelme für Krieg und Jagd sowie Jagdtänze, außerdem aber auch das Tragen wirk-
licher getrockneter Tierköpfe. Für den Prince-William-Sund beschreibt Billings hölzerne
Tierkopfhelme zu Krieg und Jagd9. Tierkopfmaskierung, vielleicht Helm und Visier oder
Maske10 beschreibt zum Krieg Vancouver nahe der Insel Revilla Gigedo11, Lütke ebenfalls
1 Vgl. die Zusammenstellung bei Krause p. 139—144,
außerdem Förster I p. 38, Relacion p.CXVIl und Col.
doc. ined. hist. Esp. t. XV p. 287 (für die Malaspina-
Exped.), ibid. p. 352, p. 356 (für die Fahrt der Aränzazu).
Die Haida haben nach Fleurieu II p. 50 einen noch
größeren Lippenteller als die Tlingit. Für die Tsim-
shian vgl. Boas Tsimsh. Mythol. p. 299!. und p. 431 a 1,
für den Prince-William-Sund Förster I p. 34 (hier als
Schmuck der Männer), Förster II p. 371 (wohl für beide
Geschlechter), für den Cook-Inlet und Prince-William-
Sund Förster II p. 160 (Männer), für die Kodiak-Insel
Pallas VI p. 198 (alle), vgl. auch Förster I p. 314.
2 Pallas VI p. 198; Förster Lp- 38, H p. 160; Relacion
p. 126 a 1.
3 Boas Tsimsh. Mythol. p. 300.
24*
4 Novo y Colson p. 426.
5 Förster II p. 399.
6 Holmberg p. 320.
7 Boas Tsimsh. Mythol. p. 431 a I.
8 Boas ibid.
9 Sauer p. 238.
30 Einen äußerst interessanten Übergang zwischen Tier-
kopfhelm und Maske stellt der hölzerne Helm der
Tlingit aus der Slg. Schulze M. V. Bin. Nr. IV A 350 dar
(abgeb. Krickeberg Neuerwerbungen p. 683 Abb. 3).
Hier ist das Gesicht als Maske gebildet, aber mit dem
Helm aus einem Stück gearbeitet. In den Reisebeschrei-
bungen wird mit dem Ausdruck „Maske“ oder „Larve“
oft das Visier gemeint sein.
33 Vancouver p. 56.
Abb. 16.
Abb. 17.
Abb. 18.
ANNA RÜSTOW
für die Tlingit zu Jagd und Krieg1, Meares gleicherweise für die Nutka2. Jagdtänze mit
Tiermaskierung, auch mit wirklichen Tierköpfen, beschreiben für die Nutka Cook3 und
Mosino4. La Perouse erwähnt für die Tlingit ,,einen ganzen Bärenkopf .... in dem sie ein
hölzernes Käppchen befestigt haben“5. — Der grizzly-bear hat, den Swanton beschreibt,
scheint ein Holzhelm mit Fellüberzug zu sein6. Nach Shotridge ist dem hölzernen Wolfs-
helm des Kaguan-ton Clans die Kopfhaut eines Wolfs übergezogen, an der die Ohren erhalten
blieben. Die eingesetzten Zähne sind die des Tieres selbst7.
1. Zwei Helme der Sammlung Malaspina sind als Wolf skopf gestaltet (1290 und 1292,
Abb. 17 und 18), wie ein Vergleich mit den von Boas zusammengestellten Wolfskopfaufsätzen
der Kwakiutl zeigt, unter denen sich auch das von Cook im Nutka-
Sund erworbene Exemplar befindet8.
Helm 1290 ist ohne Ornament gehalten.
Nur der Hals zeigt in regelmäßigen Abständen
drei Reihen ovaler Einlagen aus Muschel-
material, ebenso wie das Visier 1293, das
diese über die ganze Fläche verteilt trägt und
gar nicht bemalt ist. Jede dieser Einlagen
ist in eine Vertiefung eingebettet ; wo die Ein-
lage herausgefallen ist, sind Reste von Harz-
kitt sichtbar.
Helm 1290 trägt auf dem oberen Rande Reste von Haarbüscheln, Helm 1292 zeigt statt
dessen auf dem oberen Rande 25Löcher, die zumeist mit kleinen Holzpflöcken oder deren Resten
ausgefüllt sind. Bei diesem Helm ist das Innere z. T. mit Leder beklebt (vorne und oben).
Interessant ist die Ähnlichkeit der Malaspinaschen Wolfshelme mit Kopfaufsätzen
beim Wolfstanz der Kwakiutl9. Die Schwere des Materials und die genaue Anpassung an
die Kopfform spricht allerdings bei den Malaspinaschen Helmen eindeutig für ihre Verwen-
dung als Kriegshelm. In Verbindung mit Visier und Panzer wirkte ein solcher Helm offen-
bar als ausreichender Schutz vor Pfeilen, so daß diese Rüstung ihr Ende erst nach Angriffen
mit Feuerwaffen fand10.
Vielleicht erklärt sich die Verwandtschaft zwischen Kriegsheini und Tanzhelm durch
den tieferen Zusammenhang von Krieg, Geheimbund und Wappentier, den die Boasschen
Untersuchungen gelegentlich erkennen lassen. Boas ist geneigt, den Ursprung des Winter-
zeremoniells aus dem Krieg abzuleiten. Die wichtigste Begründung ist für Boas, daß “the
deity WlnaTagdlîs is considered the bringet of the cérémonial, This name means The one
who makes war upon the whole world’”11. Deshalb tritt die Bundesordnung während des
Krieges auch im Sommer in Kraft12. Daß dies auch für die um den Kannibalengeist Bach-
bakualanuchsiwae gruppierten Bünde gilt, deutet vielleicht auf Kriegskannibalismus, für
den auch Berichte des 18. Jahrhunderts sprechen13.
1 Lutké p. 197 f.
2 Förster I p. 271, zur Jagd ibid. p. 278.
3 Cook p. 54 und p. 41.
4 Relacion'p. 152, vgl. auch p. 18 und p. 126.
5 La Pérouse p. 330.
6 Swanton Soc. Cond. p. 419 zu fig. 105.
7 Shotridge Emblems p. 372, dazu Abb. p. 373.
8 Boas Prim. Art p. 207—209.
,J Boas Soc. Org. PI. 38 und fig. 140, dazu p. 477f. Vgl.
auch Niblack p. 268.
10 Krickeberg Neuerwerbungen p. 684.
11 Boas Soc. Org. p. 664.
12 Ibid. p. 664 und p. 429h
13 Boas Summary p. 678: “A slave was obtained in war
by the relative of a cannibal, and by killing him the
owner celebrated the victory before the assembled
tribe.” Neben der Tatsache, daß Sklaven Kriegs-
gefangene waren, weisen folgende Umstände darauf hin;
das unvermittelte Anstimmen des Kriegsliedes (Förster
I p. 273), das Ergreifen der Köpfe gefallener Feinde
mit den Zähnen (Boas Soc. Org. p. 664), das Ausstößen
des Hämats’a-Rufes bei Kriegsbeschluß (ibid. p. 428)
und der Bericht über die Bi’lxula (ibid.). Auch der von
Mosino berichtete Kannibalismus der Nutka ausschließ-
lich als Kriegsvorbereitung der tapfersten Krieger wäre
heranzuziehen (Relacion p. 130). — Locher hat p. 28ff.
die Züge des Rituals zusammengestellt, die auf die
Einheit der beiden inspirierenden Geister Bachbakuala-
nuchsiwae und Wina’lag-ilis hindeuten. Vgl. außerdem
Boas-Hunt p. 414, p. 416h
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
1 93
Die im Kunstgewerbe des Alltags und auch im Winterzeremoniell eigentümlich blassen
Wappentiere werden im. Krieger lebendig. Es tritt eine tiefgehende Identifikation des
Menschen mit dem J ier ein. In dem von Boas nach Hunt berichteten Kriegsrat wird dies
wörtlich ausgesprochen: “Now we are no longer men, we are killer whales”1; oder: “Now
Kwakiutl, we will. . . . catch in our talons the Bidxula. We will be the great thunderbird.”1 2
In der Erregung, in die die Mitglieder der Bünde nach Erbeutung der ersten Kopftrophäe ver-
fallen, scheint der eigentliche Übergang aus der profanen in die Periode der „Geheimnisse“
zu bestehen: “. . . . our season will change from bä’xus to tsTTs’aeqa as soon as we cut off
the head of a man. 1 hen our ha’mats’a, bears and nüLmaL, the hawPnalaL, and all the
other winter dancers, will become excited”3.
Zu der Boasschen Feststellung: “. . . . the cannibal, the bear dancer, and the fool
dancer, are considered as chief warriors”4, findet sich eine anschauliche Parallele bei den
Chilkat. Hier besitzt die Bärenfamilie einen Bärenkopfhelm, “in war and ceremonies”, von
dem berichtet wird: “In war one of the bravest of the leading men was selected as standard
bearer, to whom fell the duty of wearing the helmet. In battle he kept constantly near the
chief, and continually imitated the actions of the bear to encourage his fellow warriors”5.
Das Wappentier fühlt sich beim Angriff „per-
sönlich“ aufgestachelt und tritt für seinen Stamm
ein. So heißt es in einem Kriegsgesang der
La’lasiqwala; “You had your desire when you
attacked my tribe, you who is called a chief
of supernatural power. But my power surpasses
yours; I am the double headed snake protecting
my tribe”6. Daß die Führung im Kriege vom
Wappentier kommt, bestätigt auch der Ausspruch
des Häuptlings der Ma’maleleqala im Kriegsrat: “And I will
be your guide, for my ancestor was the killer whale. Therefore
I am not afraid of anything .... ”7. Auch das Essen bestimmter
Tiere bei den Tsimshian als magische Erziehung zur Tapferkeit
wäre hier heranzuziehen8.
2. Ebenfalls als Wolfskopf gestaltet ist das Knie einer Axt
(Abb. 19), die, nach einer Bemerkung Cooks über die Waffen
der Nutka zu schließen9, im Kriege gebraucht worden sein
dürfte. Die Axt ist vom künstlerischen Standpunkt aus viel-
leicht das schönste Stück der Sammlung. Der Kopf ist äußerst
zierlich geschnitzt; der warme braune Holzton kontrastiert
wirkungsvoll gegen den grünen Stein. Uber den Augenbrauen
Abb. 19. erhebt sich eine dichte Mähne aus schwarzem Menschenhaar10.
Dieses ist in einzelnen Büscheln eingesetzt, die mit feinem Faden, vermutlich Sehnen-
1 Boas Soc. Org. p. 429. Vgl. auch Locher p. 82f.
2 Boas Soc. Org. p. 427. Vgl. hierzu das Lied zum Thun-
der Bird Dance ibid. p. 476: “You are swooping down
from heaven, burning villages, killing everything
before you, and the remains of the tribes are like a rest
of your food, great thunder bird; great thunderer of our
world .... You seize with your talons the chiefs of the
tribes.”
3 Ibid. p. 429.
4 Ibid. p. 664, vgl. auch p. 602.
5 Harrington p. 12; vgl. Abb. Titelbl.
6 Boas Songs p. 9.
7 Boas Soc. Org. p. 429.
8 Boas Tsimsh. Mythol. p. 537.
9 Cook p. 51- Vgl. auch Boas Kwak. Cult. p. 60 und für
zeremonielle Verwendung ibid. p. 91 und p. 112.
10 Vielleicht spielt hier und bei den Wolfshelmen der
Glaube an die Zauberkraft des Haares mit; vgl. Frie-
derici p. 25, p. i2Öff., sowie Swanton Soc. Cond. p. 448.
Shotridge bemerkt zum Haarschmuck eines Adler-
stabes (Emblems p. 376 zu Abb. p. 377): “The human
hair ornamentation. . . . consists of locks taken from
heads of slaves who were slain during the ceremonies in
which the object was brought forth before the public.”
194
ANNA RÜSTOW
zwirn, umwickelt und mit Kitt und Holzpflöckchen in einer Rille befestigt sind. Der Stein
ist in das Holz, das mit Wolfskopf und Stiel aus einem einzigen Stück besteht, fest einge-
kittet, Das umschließende Holz ist mit einem schmalen Lederriemen dicht umwickelt, der
um das obere Ende des Stiels geführt ist und dort dessen Umflechtung mitbefestigt.
Diese Umflechtung ist mit äußerster Sauberkeit gearbeitet und daher so haltbar, daß
sich bis heute noch kein Bastende losgelöst hat, wenn auch die Faser an einer Stelle ge-
brochen ist. Die Längsstreifen bestehen aus weißlichem Bast und sind in der Mitte neu
angesetzt. An dieser Stelle ist die dunkle, kräftigere Querfaser fünfmal dicht herumgeführt.
Dasselbe wiederholt sich in einer Breite von
6 cm am Stielende. Das Ende des Querstreifens
liegt unter den letzten Reihen der Umwicklung.
3. Außer den beiden Wolfskopfhelmen ent-
hält die Sammlung Malaspina einen fast halb-
kugelförmigen Helm (1291, Abb, 20a und
20b), der ein Gesicht mit breitem zahnbesetz-
tem Rachen trägt, dessen Nase in scharfem
Knick gegen die Stirn absetzt. Es handelt sich
also um das Gesicht eines Bären1. Entsprechend
sind dem Hinterkopf Pfoten aufgemalt. Der
mächtige Schwanz zwischen diesen sowie die um den Hals und über den Kopf gelegten
Flossen oder Flossenhälften erweisen das Tier als Seebären1 2. Auch von den Mundwinkeln
zu den Ohren zieht sich eine Flosse, die ein kleines Kreismuster trägt.
Der Seebär (Gonaqadet) spielt bei den Tlingit eine große Rolle; er bringt Reichtum,
wem er begegnet3. Offenbar darum ist der Seebär auf Wertmessern (Kupferplatten und
Decken) sowie auf Truhen mit Vorliebe abgebildet. Der Kupferbügel über dem Malaspina-
schen Helm wird ein Symbol des Reichtums sein4.
Es gibt eine Sage der Tlingit, die den vom Gonaqadet gebrachten Reichtum als Nah-
rungsreichtum erklärt, der durch glückliches Jagen im Fell des Seeungeheuers erworben
wurde, an dem Kopf und Klauen erhalten blieben5. Bezeichnenderweise sehen die Klauen
wie Kupfer aus; außerdem hat das Ungeheuer „sehr scharfe kräftige Zähne“6. Das Fell hat
in dieser Sage offenbar die Eigenschaften bewahrt, die einem Raubtier — und entsprechend
dem Jäger, der hineingeschlüpft ist — den Jagderfolg sichern. Der Jäger sagt ausdrücklich;
“. . . . the skin I have, which has been bringing us good luck”7. Sein selbständiges Weiter-
leben nach dem Tode des Ungeheuers, trotz Entfernung von dessen Rumpf, ist jedenfalls
klar erwiesen durch die Tatsache, daß es mit dem Jäger sofort davonschwimmt in die unter-
seeische Wohnung des Ungeheuers8. Jedesmal, wenn der Held der Sage in diesem Fell jagt,
hat er Erfolg, der sich steigert bis zum Fang zweier Wale in einer Nacht9.
So braucht beim Krieger, der den Gonaqadet-Helm trägt, nicht nur die verblaßte
“crest”-Bedeutung angenommen zu werden, sondern der Krieger kann sich mit dem See-
bären identifizieren oder unter seinem Schutze fühlen. Entsprechend sagt ein' Kriegs-
gesang der Kwakiutl: . . . I am the seamonster of my tribe .... When I am maddened,
the voice of the seabear resounds through the world”10.
Abb. 20 a.
1 Boas Prim. ,Art p. 197 und p. 202.
2 Ibid. p. 198 und p. 202.
3 Krickeberg Malereien p. 145.
4 Seler Lichtbr. p. 26.
5 Swanton Tling. Myths p. 165 ff.
6 Ibid. p. 166.
7 Ibid. p. 168; am Schluß der Sage (p. 169) dagegen die
blasse Zusammenfassung: “This monster is the
GonaqAde’t that brings good luck to those that see
him.”
8 Ibid. p. 166.
9 Ibid. p. 166 ff.
10 Boas Songs p. 9; vgl. hierzu oben S. 193. —Auch Boas
Summary p. 680 schwankt bei der Deutung der Rüstungs-
dekoration; “I am not quite certain if the decoration of
armour and weapons is totemistic or symbolic.”
m
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION [95
4. Auch bei der Darstellung auf \ isier 1294 (Abb. 21) handelt es sich wohl um das
Gesicht eines Bären1; die seitlichen Flossen deuten ebenfalls auf einen Seebären1 2. Über der
Nase ist vielleicht ein Hut abgebildet3.
Das Visier zeigt zwischen den Augen des Tieres ein kleines Loch,
wahrscheinlich um dem Träger das Atmen zu erleichtern. Zu beiden
Seiten dieses Loches ist auf der Innenseite ein etwa 6 cm langes Bast-
geflecht mit Holzpflöckchen befestigt, das offenbar mit den Zähnen ge-
halten wurde.
Das Visier besteht aus einem hufeisenförmigen Bügel aus starkem
Holz, der in der Breite eingekerbt ist, um die Biegung zu ermöglichen4.
Am Hinterkopf wird dieser Bügel durch Lederriemen zusammenge-
halten, und zwar so, daß die Enden um fast 11 cm auseinanderklaffen.
Visiert wurde offenbar durch leichte Vertiefungen am oberen Rande, die den Spalt zwischen
Visier und Helm vergrößern5.
5. Die kriegerische Ausrüstung der Tlingit wurde durch Stäbchen- oder Brettchen-
panzer vervollständigt. Ihre Konstruktion, Herkunft und Verwandtschaft ist eingehend
untersucht6. Die Sammlung Malaspina enthält einen Stäbchenpanzer, zwei Brettchenpanzer
und die Hälfte eines solchen.
a) Der Stäbchenpanzer (1287, Abb. 22) ist besonders interessant, weil ein gleiches
Exemplar bisher nicht bekannt geworden ist. Der Bericht über die Fahrt der Aränzazu7
Abb. 22.
beschreibt einen Stäbchenpanzer, der die Schultern bedeckt und also wohl ein breites Brust-
und Nackenstück sowie tiefe Achselausschnitte hatte, so daß der Hupa-Panzer8 oder auch
der prähistorische aleutische Panzer9 dieser Beschreibung näherkommen. Bekannt sind
außerdem für die Tlingit Stäbchenwände, die unter den Achseln getragen wurden10. Der
Panzerte!] 1289 gehört zwar zu einem Brettchenpanzer, entspricht aber sonst dem Bericht
1 Boas Prim. Art p. 197 und p. 202.
2 Ibid. p. 198 und p. 202.
3 Vgl. Boas Prim. Art p. 223 zu fig. 221.
4 Zur Innenseite vgl. Niblack PI. 14 fig. 50.
5 So auch die Darstellung von Lisiansky p. 150.
6 Niblack p. 268 ff.; Krickeberg Neuerwerbungen p. 679 ff.:
hier sind auch die bekannt gewordenen Panzer aufge-
führt und die Literatur verarbeitet. Auch das Verhält-
nis zu den ledernen Panzern ist behandelt (p. 690!.).
7 Col. doc. ined. hist. Esp. t. XV p. 353.
8 Hough PL 15,1.
9 Ibid. PI. n und PI. 12.
10 Ibid. PI. 13; Krause Taf. IV, 1 und p. 209!.; Krickeberg
Neuerwerbungen p. 689; Niblack PL 13 fig. 43 und
El. 15 fig. 53-
ANNA RÜ STOW
I 96
vollkommen: hier ist ein Hals- oder Nackenschutz nicht abgesetzt wie bei den übrigen Malas-
pina-Panzern; durch den tiefen Ausschnitt können die Schultern bedeckt sein.
Panzer 1286 ist ebenfalls ein reiner Brettchenpanzer, Panzer 1309 dagegen bildet eine
Mischung von Brettchen- und Stäbchenpanzer. Hier endet jeder Panzerteil unter der
Achsel mit sechs Stäbchen. Beim Rückenteil sind diese Stäbchen unten abgeschrägt und
flügelartig verbreitert, so daß sie eine feste und doch elastische Kante sichern. Ähnlich ist
es beim Stäbchenpanzer (1287).
Die Brettchenpanzer zeigen jeder einen verschiedenen Typ der Umschnürung und ent-
sprechend der Darstellung des Wappentiers.
b) Der Panzert eil 1289 (Abb. 13), der den z. T. stark verschlissenen Fäden nach das
älteste Stück unter den Panzern und zusammen mit Hut 192 vielleicht der Sammlung über-
haupt sein dürfte, läßt in der Mitte fast ein Drittel der durch die Brettchen gebildeten Fläche
von Umschnürung frei. Dieser Raum ist durch ein Wappentier eingenommen, das in voller
Seitenansicht ausgebreitet ist, ohne Auslassung einzelner Teile. Vielleicht handelt es sich
um den Raben oder Adler; für den Raben spricht der Vergleich mit der Bemalung eines
Ruders und Kanus der Haida1. Einzelne Gelenke sind durch Kreismuster betont. Daß das
Augenmuster fehlt, könnte der Boasschen Vermutung entsprechen, daß dieses sich aus dem
Kreismuster entwickelt habe1 2,
c) Schwieriger zu deuten ist die Bemalung von Panzer 1286 (Abb. 23). Hier steht fast
die ganze Brettchenfläche zur Verfügung, da die Umwicklung nur oben, unten und in der
Mitte je einen schmalen Streifen einnimmt. Die beiden Tiere sind über die gesamte Fläche
Abb. 23.
verteilt, aber trotz des in Anspruch genommenen Raumes nicht als Ganzes, sondern nur in
wichtigen Merkmalen gegeben. Nur ein Teil der frei bleibenden Flächen ist durch Zusatz-
ornamente ausgefüllt, vielleicht weil Material und Technik nicht wie bei der Weberei dazu
aufforderten. Trotzdem entspricht, wie zu zeigen sein wird, die Bemalung dem Schema der
Chilkatdecken, das Boas aufgewiesen hat3, wenn auch in charakteristischen Abwandlungen,
die durch die Einbeziehung von Hals- und Nackenstück bedingt sind.
Sieht man zur Erklärung der vorderen Panzerbemalung zunächst von den beiden Füll-
gesichtern ab (auf dem Halsstück zwischen den Augen, auf dem Brustteil zwischen den
Pfoten), so werden offenbar die Augen über dem Mund zum Gesicht des Tieres gehören, die
1 Vgl. Swanton Haida fig. 17b und 18 b (p. 135!.). 3 Boas bei Emmons fig. 549 und fig. 550 (p. 355).
2 Boas Prim. Art p. 254.
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
197
Augen seitlich unter den Mundwinkeln aber die Schultergelenke darstellen. Das Tier beginnt
also auf dem Halsschutz, und der Brustteil setzt mit Nase und Mund die Darstellung einfach
fort. Das Füllgesicht darunter wird den Leib des Tieres darstellen; zu beiden Seiten davon
liegt eine wohl vordere Pfote. Schwieriger ist das Muster unter der untersten Umwicklung
zu erklären, zwischen den beiden Ausschnitten zur freien Bewegung der Beine. Es wird als
ein Mundmuster mit ornamentaler Zähnung der Lippen aufzufassen sein. Ein Mundmuster,
sogar mit voll ausgebildeten Zahnreihen, füllt in der Nordwestkunst gelegentlich das Schwanz-
gelenk aus1, allerdings in Verbindung mit einem Augen- oder Kreismuster. Auf dem Malaspi-
naschen Panzer steht es an Stelle der Beine, hat aber vielleicht lediglich ornamentale Be-
deutung1 2.
Die Zähne des Haupt- wie des Füllgesichtes sind mit ornamentaler Regelmäßigkeit
gebildet, ebenso die Lücken zwischen ihnen. Auf der Unterlippe sind auf rotem Grunde
sechs kleine Kreise ausgespart. Und zwar soll offenbar — wie das Original klar erkennen
läßt — jeder Kreis unter eins der sich gegenüber liegenden Zahnpaare fallen. Diese Kreise
entsprechen den Durchbohrungen der Unterlippe, die zur Aufnahme von z. T. kragenknopf-
artigen Schmuckstücken bestimmt sind und für Alaska häufig beschrieben und abgebildet
werden3.
Wegen der runden Nase, des breiten Mundes und der Pfoten wird das Tier als Bär auf-
zufassen sein4.
Das Gleiche gilt für die Darstellung auf dem Rücken- und Nackenteil des Panzers.
Hier nimmt das Gesicht offenbar den ganzen Rückenteil ein. Die Vorderpfoten liegen zu
beiden Seiten von Nase und Mund. Zwischen den Augen liegt ein Füllgesicht. Die Hüft-
gelenke, als Augenmuster gebildet, sind mit den Hinterpfoten auf das Nackenstück ver-
wiesen, ähnlich wie bei Schüsseln auf die Seitenwand5.
Vielleicht stellen auch die vier trapezähnlichen Gebilde auf der Unterlippe stilisierte
Durchbohrungen zur Aufnahme von Schmuckstücken dar. Das schnurrbartartige Ornament
der Oberlippe wird auf dem Nackenstück ornamental wiederholt6.
Die Einbeziehung eines kleineren Rechtecks in den Typ 1 des Boasschen Schemas der
Chilkatdecken ist also bei diesem Panzer auf zwei verschiedene Arten gelöst. Auf dem Hals-
teil müssen die Augen verhältnismäßig eng zusammenrücken; für die sonst übliche schema-
tisierende Vergrößerung ist kein Raum gegeben. Die Augen haben dadurch etwas „Leben-
diges“, einen drohenden Ausdruck, behalten, wie ihn übrigens die kolossale Einzelplastik
des Bären vom Grab der Häuptlingsfamilie nahe Mulgrave auch zeigt7. Hingegen können
sich die Schultergelenke breit entfalten und bilden große Augenmuster wie häufig in der
1 Z. B. Boas Prim. Art. fig. 234 (p. 230), fig. 274b (p. 263).
2 Entsprechend der Boasschen Feststellung: “as a fiber
for long narrow spaces” (Prim. Art p. 257). Allerdings
kommt der Bär auch als cannibal spirit vor, vgl. Boas
Kwak. Cult. p. 143, Boas-Hunt p. 4ioff. Da hier auch
WinaÜag-ilis mit dem kannibalistischen Ritual verbun-
den ist (“He was followed by the mask of Warrior-of-
the-World. He was his k-BnqalalEla. . . .”, ibid,
p. 414), so ist vielleicht auch beim Mundornament auf
einem Panzer eine mehr als formale Bedeutung anzu-
nehmen. Es gibt außerdem eine Klappmaske der
Hämshamtse (M. V. Bln. Nr. IV A 1242), die als äußeres
Gesicht den Grizzlybären, als inneres Gesicht Bachba-
kualanuchsiwae zeigt (abgeb. Boas Soc. Org. fig. 99,
dazu p. 464 und Krickeberg Masken Taf. 15 Abb. 3 und
Taf. 16 Abb. 1, dazu p. 58). — Zur ornamentalen
Zähnung der Lippen vgl. ein ähnliches Ornament um
die Mundpartie bei einer Haida-Maske (Swanton
Haida PI. XXV, 1), das auf einen rituellen Biß deuten
soll (ibid. p. 144).
3 Cook p. 85, p. 155, p. 158, p. 179, die Abb. bei p. 82
und bei p. 84 (in beiden Fällen Durchstich auf und unter
der Unterlippe), bei p. 178 und bei p. 179; Nelson
p. 44ff. (ebenfalls mit Abbildungen). Vgl. ferner
Pallas I p. 247, p. 257!., p. 281 a f, p. 295, p. 309; Pallas
II p. 311, p. 321; Pallas III p. 284; Pallas V p. 202;
Förster I p. 34; Förster II p. 49, p. 284, p. 371h;
Langsdorff p. 37f., p. 57.
4 Boas Prim. Art p. 197 und p. 202.
5 Vgl. Boas bei Emmons fig. 556c—e, dazu p. 361; Boas
Prim. Art fig. 282 a—c, dazu p. 271. Boas stellt ibid.
p. 252 fest, daß Hüftgelenke häufig als Augenmuster
gebildet sind.
6 Über diese Art von sekundärer Bildung eines Gesichts
vgl. Boas ibid. p. 271.
7 s. u. Abb. 26 und S. 199 h
25 Hacßler-Archiv.
ANNA RÜSTOW
I 98
Nordwestkunst1. Hier ist der Vergleich mit einem z. T. sehr ähnlichen ledernen Zeremonial-
gewand der Tlingit1 2 interessant, wo die Schultergelenke des Bären nach unten zu einem
zweiten Gesicht zusammengefaßt sind und trotz der Größe dieser Augenmuster die eigent-
lichen Augen sich noch breiter ausdehnen.
Rücken- und Nackenteil des Panzers stellen einen interessanten Übergang zwischen den
beiden Typen des Boasschen Schemas dar. Und zwar überwiegt der Typ 1, da der Kopf
keineswegs, wie beim tauchenden Tier, ganz nach unten gerückt ist. Der Leib des Tieres
bis zu den unteren Extremitäten wäre wie bei diesem hinter der Zeichnung zu denken.
Bei Panzer 1309 (Abb. 24) ist auf Brust- und Rückenteil in der Mitte eine plaketten-
artige Fläche aus der Umschnürung ausgespart, auf die das Gesicht eines Wappentiers ge-
malt ist. Eine zwingende Deutung für die beiden Gesichter scheint es nicht zu geben. Es
liegt zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit Falkengesichtern vor3, aber immerhin ist nicht der
Mund selbst schnabelartig geteilt, sondern es findet sich eine solche Teilung nur über der
Oberlippe.
Abb. 24.
Wegen der starken Schematisierung ist sowohl mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die
beiden Gesichter zu gleichartigen Tieren (oder — als Gesicht und Schwanz4—zu einem einzigen
Tier) gehören, wie auch, daß sie verschiedene Tiere bezeichnen. Auf dem Berliner Panzer
stellt offenbar das eine Gesicht den Falken dar, das andere vielleicht einen Wal oder den
Raben5. Das Bruststück des Kopenhagener Panzers zeigt zwei Tiere vereint: den Falken
und darunter den Raben6. Vielleicht handelt es sich hierbei nur um die auch sonst übliche
Häufung von “crests”, vielleicht aber auch um die feste Beziehung beider Tiere zum Licht7.
Die Zeichnung eines Petersburger Panzers stellt offenbar zweimal ein Falkengesicht dar8.
1 Boas Prim. Art p. 252.
2 Niblack PI. 21. Für das Boassche Schema auf Leder-
bemalungen vgl. Krickeberg Malereien p. 144.ff.
3 Boas bei Emmons fig. 556c, dazu p. 361; Boas Prim.
Art fig. 280 (p. 268), wo allerdings die Deutung für
Boas nicht sicher ist (p. 269: “The head may represent
a hawk”).
4 Vgl. Boas Prim Art. p. 271.
5 M. V. Bln. Slg. Wilcomb, abgeb. Krickeberg Neu-
erwerbungen Abb. 1 und 2 (p. 68of.).
6 Bahnson fig. 145 (p. 349).
7 S. o. S. 179; vgl. auch das zweite der “War knives of the
Tlingit” bei Harrington fig. 4 (p. 10).
8 Abgeb. Boas Prim. Art fig. 285 (p. 274).
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
199
IV.
Von den Zeichnungen der Malaspina-Expedition hängt eine bisher unveröffentlichte
im Museo Naval zu Madrid1. Sie stellt laut Unterschrift einen I ndianer und den Häupt-
ling von Mulgrave dar. Der Hut des Häuptlings trägt als Bemalung das Doppelprofil-
gesicht eines Schwertwals1 2; die Zähne des Tieres sind offenbar als Augenmuster gebildet.
Abb. 25.
Eine Zeichnung und eine Skizze zeigen eine Frau mit Lippenteller, die ein
Kind in der Kindertrage hält3. Das Kind auf der Zeichnung trägt einen Nasenstift.
Die interessanteste Zeichnung ist die der Grabstätte der Häuptlingsfamilie4.
Nach Tagebuchangaben der Malaspina-Expedition, die die Einzelheiten bestätigen, befindet
sie sich nahe Mulgrave5. Das Gelände dient zur Leichenverbrennung, die übrigbleibenden
Knochen und die Asche werden in Grabkisten aufbewahrt. Eine solche Kiste wird von
einem Wappentier, offenbar einem Bären, der als Kolossalrundplastik auf einer Säule hockt,
in den Vorderpfoten gehalten. Einer der beiden dahinter stehenden Grabschreine enthält
die Überreste des Vaters des Häuptlings nach Aussage des letzteren6. Die Grabkiste und
einer der Grabschreine zeigen stark schematisierte Wappentierdarstellungen, die Kolossal-
gestalt in der Mitte der Anlage ist dagegen nur leicht schematisiert. Das riesige verzerrte
Maul gibt zusammen mit den schief gestellten Schlitzaugen den Eindruck erstarrter drohen-
der Wut. Die Handrücken tragen ein Füllgesicht.
1 S. Abb. 25. — Bei Novo y Colson findet sich (p. 157) für
Mulgrave die Angabe, daß der Häuptling gezeichnet
wird.
2 Vgl. Boas Prim. Art p. 194ff.
:i Abgeb. Publicaciones Taf. XII und Taf. XIII. — Vgl.
hierzu die Angabe bei Novo y Colson p. 158: “nos
habíamos familiarizado con las palabras más necesarias
del idioma, visitábamos francamente sus chozas; D.
Tomás Suria pudo retratar algunas mujeres. ...”
4 S. Abb. 26, nach dem Stich bei Novo y Colson. Ähnlich,
nicht gleich, ist die Wiedergabe Publicaciones Taf. VI.
Nach Publicaciones, p. 110 gibt es zwei verschiedene
Originale: das eine ist als “borrador del siguiente” be-
zeichnet, das folgende, auf Taf. VI wiedergegebene, als
“Acuarela de Cardero”.
5 Relación p. CXVIII, Col. doc. inéd. hist. Esp. t. XV
p. 289; Novo y Colson p. 161, vgl. auch p. 343ff.
6 Relación ibid.; Col. doc. inéd. hist. Esp. ibid.
25:
2 00
ANNA ,RÜ STOW
Dieses mittlere Monument ist den Umstehenden nach auf eine Gesamthöhe von minde-
stens 6—7 m zu schätzen. Von den bekannten Totempfählen unterscheidet es sich außer
durch die Grabkiste durch seine Ausgestaltung als Rund- und Eintierplastik. Es ist anzu-
nehmen, daß es sich um das Wappentier der Familie handelt, ohne individuelle persönliche
Beziehungen, wie sie etwa die Tiere bei der Kenotaphserie der Eskimo von Kap Vancouver
oder auch die an einem Pfosten des Walhauses der Chilkat verkörpern1.
Abb. 26.
Der Malaspinasche Wappenpfahl trägt nicht nur eine Grabkiste, er bildet auch den
architektonischen Beziehungspunkt zweier Grabschreine. Insofern steht er „losgelöst“ und
weist bereits auf die bekannten „eigentlichen“ Totempfähle, deren Alter, wie Barbeau
wahrscheinlich gemacht hat, nicht höher als um das Jahr 1830 anzusetzen ist1 2.
Daß diese Totempfähle nicht nur auf Hauspfähle, sondern auch auf Grabpfähle zurück-
gehen, lassen vor allem Bezeichnungen vermuten, die Barbeau und Swanton anführen;
bei den Gitksan “they are sometimes termed The grave of whoever they commemorate
and whose remains were buried in the neighbourhood”3, und die Haida nennen sowohl
Grabpfahl wie Erinnerungspfahl “grave-father”4.
In der Form, in der die Totempfähle im 19. Jahrhundert bekannt geworden sind —
losgelöst vor den Häusern stehend in Höhen bis zu 80 Fuß5 — sind sie nach Barbeau ebenso
sehr zur Vermehrung des Ansehens der Häuptlinge, die sie errichteten, wie zum Gedenken
der Toten bestimmt. Barbeau führt den Ursprung der Sitte, diese Art von Pfählen zu er-
richten, daher auf den plötzlich vermehrten Reichtum, den der Pelzhandel mit Europäern
mit sich brachte, zurück, sowie die Möglichkeit der technischen Ausführung auf europäische
Werkzeuge6. Wenn die Geltungskämpfe der Häuptlinge, die sich in der Höhe der Totem-
pfähle ausdrückten, bis zum blutigen Austrag geführt haben7, so liegt das in derselben Linie
1 Nelson p. 318 zu fig. 104, vgl. auch ibid. p. 311!., p. 327
zu fig. 119; Emmons Whale House p. 2Öff. zu PI. 3b.
2 Barbeau Totem Poles; A Recent p. 563; Barbeau in
Proceedings p. 506.
3 Barbeau Totem Poles of the Gitksan p. 6.
4 Swanton Haida p. 129; vgl. auch die p. 130 beschrie-
bene Imitation von Grabpfählen und die zugehörigen
PI. VI und VH, ferner Fleurieu II p. 25.
5 Barbeau in Custom p. 89T
B Barbeau ibid. p. 12; Barbeau Totem Poles: A Recent
p. 563 u. p. 565; Barbeau in Proceedings p. 506; Bar-
beau in Custom p. 91. Vgl. auch Boas Soc. Org. p. 571,
p. 577, p. 602.
7 Barbeau Totem Poles of the Gitksan p. 8; Barbeau
Totem Poles: A Récent p. 564. Vgl. auch Swanton
Contrib. p. 108.
DIE OBJEKTE DER MALASPINA-EXPEDITION
201
wie das unsinnige Schenken und Zerstören von Gut und Sklaven bei Potlatch-Veranstaltun-
gen, mit dem die Häuptlinge ihr Ansehn zu erhalten und zu steigern suchten1. Die Mög-
lichkeit dazu war in der nordwestamerikanischen Plutokratie begründet, bei der auch der
Radius des Lippentellers Besitz und Geltung anzeigte durch das mit jeder Erweiterung des
Lippeneinschnitts verbundene Fest, so daß der Hinweis darauf eine Diskussion beenden
konnte1 2. Interessant ist der Bericht Swantons, daß beim Potlatch der Tlingit, im Gegensatz
zu dem der Haida, jede einzelne Schenkung bzw. Verbrennung der magischen Versorgung
verstorbener Angehöriger diente3. Hier läge also ein ähnlicher Gegensatz vor wie bei Grab-
und Totempfahl.
Barbeau neigt der Ansicht zu, daß bereits im 18. Jahrhundert die großen Pfähle mit
europäischen Werkzeugen hergestellt wurden4, führt allerdings die Aussage eines Tsimshian
aus dem Jahre 1927 an, wonach die Totempfähle “in the old days” mit Stein- und Knochen-
werkzeugen gefällt und geschnitzt wurden5. Sicher hat Barbeau Recht, den größten Nach-
druck auf die vielen zum Teil unkontrollierbaren Einflüsse zu legen, die von europäischer
und auch von japanischer Seite über Kontinent und Pazifik kamen6. Ob Berings Schiff die
Yakutatbucht aufgesucht hat, steht nicht mit Sicherheit fest, wenn auch die hinterlassenen
Metallgeräte bekannt sind7. Kurz vor Malaspinas Erscheinen waren jedenfalls russische
Erzeugnisse durch direkten Handel und vielleicht auch durch Weitergabe von Stamm zu
Stamm bis zur Yakutatbucht und darüber hinaus verbreitet8. — Das Vorfinden silberner
Löffel und eiserner Werkzeuge in Nutka durch Cook ist vielleicht mit vorherigem Handels-
austausch des Perezschen Schiffes oder dessen Plünderung nicht hinreichend erklärt9.
Nach Navarrete und Humboldt ist Gali 1582 bis 57 /^° n- Br- gekommen10, Maurelle 1779 mit
Arteaga und Bodega y Quadra bis zum Eingang des Cooksflusses11, Martinez undHaro 1788
bis Unalaska12.
Vielleicht tut man auf Grund verschiedener Beobachtungen gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts gut, das Vorhandensein europäischer Werkzeuge nicht ohne weiteres mit ihrer
Rezeption durch die Eingeborenen gleichzusetzen. Im Bericht der zweiten Reise von Meares
(1788) heißt es von den Nutka: ,,'Viele von ihren Kähnen können fünfzehn bis dreißig Men-
schen bequem enthalten. Die Ausführung ist zierlich und sehr vollendet, ob man sich gleich
dabei nur steinerner Werkzeuge bedient, welche ebenfalls die eigene Arbeit der Wilden
sind“13. Die Tlingit benutzten bei Marchands Aufenthalt (1791) die europäischen Beile zürn
Kanubau nicht, obschon sie diese „seit ziemlich langer Zeit“ besaßen; „um den Baum zu
fällen, welchen sie zum Bau eines Kahns bestimmen“, haben sie „ihr altes Verfahren bei-
behalten, den Fuß mit Hülfe des Feuers zu untergraben; durch Hülfe eben dieses Mittels ge-
1 Boas Soc. Org. p. 343 ff., p. 353 ff.; Boas Kwak. Cult,
p. 39; Boas Tsimsh. Mythol. p. 356, p. 540ff.; Mayne
p. 263ff.; Benedict p. 189ff.; Krause p. 162f.
2 Woldt p. 17; vgl. auch Mayne p. 282, sowie oben S. 191.
3 Swanton Soc. Cond. p. 434L; vgl. auch ibid. p. 431. —
Holmberg gibt an, daß bei den Tlingit die Sklaven zur
Bedienung der Verstorbenen getötet werden (p. 325),
ferner daß nur ein Reicher Feste zum Andenken ver-
storbener Verwandter veranstalten kann (p. 326), und
daß dabei „nicht selten .... derWirth nicht allein sein
ganzes Vermögen, sondern auch die Aussteuer seiner
Frau dazu anwendet, und darauf sein ganzes Leben in
dürftigen Umständen zubringen muß, einzig und allein
beibehaltend die Ehre und das Ansehen, das Andenken
dahingeschiedener Ahnen gefeiert zu haben“ (p. 327).
Vgl. auch Macfie p. 448.
4 Barbeau Totem Poles: A Recent p. 567; Barbeau in
Proceedings p. 508!.
5 Barbeau Totem Poles of the Gitksan p. 91, vgl. auch
Shotridge Kag. Shark Helmet p. 339.
6 Barbeau ibid. p. 19;'Barbeau in Proceedings p. 509;
Barbeau Totem Poles: A Recent p. 567; Barbeau in
Custom p. 93 f.
7 Krause p. 16, p. 19; Müller p. 203—-207; Pallas V p. 165.
8 Relación p. CIÍI f; Krause p. 39!!. Vgl. auch Pallas VI
p. 227U Handel der Russen in der Yakutatbucht, ibid.
p. 235!: Besitzergreifung der Yakutatbucht durch die
Russen 1788.
9 Auf eine solche Ursache hat die Introducción zur
Relación .... Sutil y Mex hingewiesen (p. XCHI a 2),
dann Humboldt p. 252. Vgl. auch Barbeau Totem Poles
of the Gitksan p. 194 a 1.
10 Relación p. XEVI—XLVHI; Humboldt p. 248!.
11 Relación p. C—CH; Humboldt p. 254; Mss im Museo
Naval zu Madrid nach Publicaciones p. 45 h
12 Relación p. CHI—CV, dazu Atlas .... Sutil y Mex Karte
Nr. 3; Humboldt p. 255; vgl. auch Publicaciones p. 47.
13 Förster I p. 279.
202
ANNA RÜSTOW
lingt es ihnen, ihn auszuhöhlen; mit eben diesem in ihren Händen gelehrigen Werkzeug,
dessen Wirkung sie zu lenken und zu leiten wissen, bearbeiten sie ferner diesen Baum von
außen so, daß sie ihm die geschickteste Gestalt geben, um vom Wasser getragen zu werden
....Ul Die Nutka zogen, wie Meares auf seiner zweiten Reise beobachten konnte, „ihre
eigenen Angelhaken von Fischknochen oder Muschelschalen den unsrigen vor, und wollten
sich dieser nie bedienen; hingegen hielten sie unsere Leinen für ungleich besser, als ihre
eigenen . . , . “2 Bei Dixons Aufenthalt in Mulgrave (1787) konnten die Eingeborenen besser
fischen als Leute der Besatzung; dies „war desto mehr zu verwundern, da ihr Fischerei-
geräthweit schlechter ist als das unsrige. Der Angelhaken, den sie gebrauchen, besteht bloß
aus einem großen Stücke Holz, dessen Stiel wenigstens einen halben Zoll im Durchmesser
hält; der aufwärts gerichtete, einen scharfen Winkel machende Theil, ist weit kleiner, und
läuft nach und nach ganz spitz zu . . . .“3 Von den Tlingit, die auf Marchands Reise beob-
achtet wurden, wird ausdrücklich festgestellt: „Nicht verändert haben sie das Werkzeug,
womit sie sich zum Wallfischfang bewaffnen; es ist eine beinerne, gezackte Harpune . . . . “4
Auch Eingeborene in der Nähe von Nutka waren wrährend Marchands Reise mit einheimi-
schen Lanzen und Harpunen für den Walfang ausgerüstet, obschon sie „einen europäischen
Angelhaken“ und europäische Wolldecken zeigten5.
Sehr interessant ist eine weitere Beobachtung während der zweiten Reise von Meares:
die Nutka „verfertigten sich auch Handwerks-Geräthe aus dem Eisen, welches sie von uns
erhielten, und wir konnten es selten dahin bringen, daß sie lieber unsere Werkzeuge, als ihre
eigenen, brauchten, die Säge ausgenommen, die sie ohne Bedenken annahmen, weil sie
ihnen so augenscheinlich die Arbeit abkürzte. Sie machten aus unserem Eisen unter andern
ein Geräth, womit sie einen Baum geschwinder aushöhlten, als mit irgend einem Werkzeuge,
welches wir ihnen geben konnten“6.
So wären also auch für den Malaspinaschen Grabpfahl einheimische Werkzeuge und
Methoden dem heutigen Stand der Quellen nach keineswegs auszuschließen.
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1 Fleurieu I p. 295.
2 Forster I p. 281.
3 Forster II p. 114!,
4 Fleurieu I p. 292.
5 Fleurieu II p. 92—94. Vgl. ferner f'orster II p. 168 und
p. 287; Jewitt p. 170.
6 Forster I p. 279!.
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Besprechungen.
Mühlmann, Wilhelm, Methodik der Völkerkunde. VIII und
275 S. F. Enke, Stuttgart, 1938. 14.— bzw. 15.80RM.
Inhaltsübersicht: I. Einleitung. II. Geschichtliche Be-
dingungen der Völkerkunde (S. 9—90; enthält eine Ge-
schichte der völkerkundlichen Wissenschaft unter be-
sonderer Berücksichtigung deutscher Autoren). III. Sy-
stematischer Teil: Die Probleme der Völkerkunde und
ihre Lösung (S. 91—240). A. Erkenntnistheorie der Völ-
kerkunde. B. Die intentionalen Daten. C. Die funktio-
nalen Daten. D. Das Problem der Völkerpsychologie.
E. Die Theorie vom Volke (Ethnos-Theorie). IV. Schluß:
Aufgaben der Völkerkunde (S. 241—252). Es folgen ein
Schrifttumsnachweis, ein Sach- und ein Namensver-
zeichnis.
Max Weber hat einmal gesagt: „Nur durch Aufzeigung
und Lösung sachlicher Probleme wurden Wissenschaften
begründet und wird ihre Methode fortentwickelt, noch
niemals dagegen sind daran rein erkenntnistheoretische
oder methodologische Erwägungen entscheidend beteiligt
gewesen.“ Offenbar ist ein Teil der Ethnologen völlig
anderer Meinung. In kurzen Abständen erscheinen metho-
dologische Arbeiten, von denen die eine immer „grund-
sätzlicher“ und „erkenntnistheoretischer“ ist als die an-
dere. Das neue Werk Mühlmanns dürfte in dieser Ent-
wicklung einen vorläufigen Gipfelpunkt bedeuten. Sein
Verfasser lehnt es strikt ab, Anleitungen zum praktischen
Arbeiten zu geben, und verweist die Erörterung aller
Fragen, die sich auf das konkrete Forschungsverfähren
der Völkerkunde beziehen, aus der „Methodik“ hinaus
und teilt sie der „Technik“ zu, die von der „Methodik“
scharf zu scheiden sei. Es gilt (S. 242) als „einer der
Irrtümer Graebners“, daß er diese Trennung nicht voll-
zogen hat.
Hierdurch wird der mögliche Beitrag des Buches zum
Fortschritt der völkerkundlichen Wissenschaft stark ein-
geschränkt. Eine weitere Einengung erfährt dieser Bei-
trag durch die sehr eigenwillige Gedankenführung des
Verfassers und seinen Verzicht auf eindeutig präzisierte
Begriffe. Nicht nur, wer in Mühlmanns „Methodik“ An-
weisungen zur praktischen Arbeit sucht, dürfte enttäuscht
werden, sondern auch, wer auf eine wohldurchdachte
Systematik und klare Begriffe besonderen Wert legt.
Die positive Seite des Buches ist ein großer Reichtum
an verschiedenartigen Gesichtspunkten, die auf der Grund-
lage einer ausgedehnten und vielseitigen Literaturkenntnis
zusammengetragen wurden. Hier zeigt sich Mühlmann
allen seinen Vorgängern entschieden überlegen.
Mühlmann definiert (S. 3) die Völkerkunde als „die
Wissenschaft von den Funktionen und Strukturen der
Auseinandersetzung des Menschen mit seiner historischen
Umwelt“. Sie soll sich weder auf die sog. Naturvölker
beschränken, noch lediglich die „Kulturen“ der Völker
erforschen. „Das letzte Ziel der Völkerkunde ist eine
Theorie vom ,Ethnos£.“ Durch diese soll sie für die spe-
zialisierten Kultur- und Sozialwissenschaften die Grund-
lagen bereitstellen. Die Völker werden gegliedert in „Na-
26 Baessler-Archiv.
turvölker“, „Westvölker“ und „Ostvölker“ (die Völker
des vorderen Orients, soweit sie nicht zu den Naturvöl-
kern zu rechnen sind, Vorder- und Hinterindier, Japaner
und Chinesen). „Naturvölker“ und „Westvölker“ sollen
dabei zwei entgegengesetzte Extreme in der „zivilisa-
torischen Ausrüstung“ verkörpern, die „Ostvölker“ stehen
in der Mitte. Ich halte diese Terminologie, die räum-
liche Gesichtspunkte zur Bezeichnung zivilisatorischer
Unterschiede benutzt, für unglücklich. Ihre Schwierig-
keiten treten deutlich zutage, wenn man sich die Frage
vorlegt, seit wann die europäischen Völker „Westvölker“
in dem hier gemeinten Sinn sind und ob sie vorher „Na-
turvölker“ oder „Ostvölker“ waren.
Auf Einzelheiten des wissenschaftsgeschichtlichen
Rückblicks kann hier aus Raumgründen nicht eingegan-
gen werden. Nur die Bemerkungen Mühlmanns über die
gegenwärtige Lage der Völkerkunde bedürfen einer Er-
wähnung. Zunächst werden (S. 88f.) die deutsche Kul-
turkreislehre und der englische Diffusionismus als „Rich-
tungen jüngster Vergangenheit“ abgehandelt. Mühl-
manns Beurteilung dieser beiden Richtungen wird erst
an späterer Stelle deutlich, so wenn es S. 208 über Elliot
Smith und Perry heißt: „Man kann manches einwenden
gegen die allgemeine Vorstellung über kulturelle Diffu-
sion, welche diese Schule vertritt, sowie gegen die aus-
schließliche Zurückführung naturvölkischer Institutionen
auf Ägypten. (Es kommen wohl der ganze alte Orient
nebst der Mediterraneis in Frage.) Aber man wird nicht
schon die Problemstellung als solche als verfehlt ablehnen
müssen, wie man dies gegenüber der Kulturkreislehre tun
muß.“ Darf man hieraus schließen, daß Mühlmann die
Rückführung aller naturvölkischen Einrichtungen auf
Hochkulturstrahlungen billigt und nur die Lokalisation
des Ausstrahlungszentrums in Ägypten als zu eng be-
trachtet ? Und worin- besteht die spezifische Verfehltheit
bei den Fragestellungen der Kulturkreislehre?
Von gegenwärtigen Richtungen der Völkerkunde wer-
den zwei genannt. Die erste ist der Funktionalismus, des-
sen Vertreter eingeteilt werden in „reine“ oder soziolo-
gische Funktionalisten (Radcliffe-Brown, Malinowski)
und „Funktionalisten mit besonderer Betonung histo-
rischer und psychologischer Fragestellungen“ (Thurn-
wald, Shirokogoroff. Hier darf man auch Mühlmann ein-
reihen.) Als zweite Hauptrichtung erscheint die „Kul-
turareallehre“, mit den Hauptvertretern Boas, Kroeber
und Wißler. Meines Erachtens kann jedoch von einer
„Kulturareallehre“ im Sinne einer einheitlichen Richtung
keine Rede sein. Was die nordamerikanischen Ethno-
logen für den Außenstehenden als eine ziemlich geschlos-
sene Gruppe erscheinen läßt, ist die Boas-Tradition, die
sich aber in vielen änderen Punkten deutlicher äußert,
als in der Benutzung des Hilfsbegriffes der „culture area“
(z. B. in der Leugnung der Bedeutsamkeit rassischer Un-
terschiede für die Erklärung kultureller Differenzen).
Zur Betrachtung des systematischen Teiles übergehend,
könnten wir den ersten Abschnitt als völkerkundlich un-
2 OÓ
BESPRECHUNGEN
ergiebig beiseitelassen und merken lediglich an, daß bei
der Besprechung der „Typenbildung“ die an Windelband
und Rickert sowie die an Max Webers Begriff des „Ideal-
typus“ anknüpfende Diskussion unberücksichtigt bleibt.
Damit hängt wahrscheinlich der Fehler zusammen, daß
zwischen rein formalen Klassifikationen (z. B. dem Be-
griffe „Schriftreligion“) und solchen Begriffen, die ein
„historisches Individuum“ bezeichnen sollen (z. B. dem
Begriffe „Buddhismus“), keinerlei Unterschied gemacht
wird.
Der Sinn der Unterscheidung von „intentionalen“ und
„funktionalen Daten“, die den beiden nächsten Abschnit-
ten zugrundeliegt, ist nicht klar. Soviel ich sehe, sind hier
drei Gegensatzpaare konfundiert worden, nämlich i. der
Unterschied zwischen „psychischen“ (durch Introspek-
tion erschlossenen) und „physischen“ (direkt beobacht-
baren) Tatsachen. Auf diese Unterscheidung weist die
Gegenüberstellung (S. Hl) der „Betätigungen selber“
und dessen, „was von ihnen gewußt, in ihnen vorgestellt,
über sie geurteilt, mit ihnen gemeint wurde;“ noch klarer
werden auf S. 108 die „intentionalen Daten“ mit den
„Tatsachen über das geschichtliche Bewußtsein“, die
„funktionalen Daten“ mit den „Tatsachen über die ge-
schichtliche Tätigkeit“ gleichgesetzt. Hingegen deuten die
Ausführungen auf S. 124!!. eine andere Unterscheidung
an, nämlich die 2. von „subjektiv gemeintem Sinn“ und
„tatsächlich erzieltem Erfolg“. Hierzu wäre zu sagen, daß
man zwar hinsichtlich einer einzelnen Handlung zwischen
intendiertem Sinn und faktischem Erfolg scheiden kann
und muß, daß man aber nicht die kulturellen Tatsachen
in „Sinngebungen“ und „Erfolge“ („Wirkungen“) zwei-
teilen kann. Denn die „Bedeutungsvorstellung“, die ich
mit einer bestimmten Handlung verbinde, ist selbst kau-
sal als „Wirkung“ zahlreicher vorangegangener eigener
und fremder Handlungen zu erklären. Schließlich legen
einzelne Sätze, besonders im Abschnitt über die „inten-
tionalen Daten“, eine dritte Antithese nahe, und zwar den
Gegensatz zwischen der offiziellen Theorie über eine kul-
turelle Einrichtung mit ihren „Logisierungen“ und „Ra-
tionalisierungen“ des Handelns und seiner Motive einer-
seits, dem tatsächlichen Hergang und den konkreten Mo-
tiven der Handelnden andererseits. (Dieser Gegensatz
fällt nicht mit dem unter 1. genannten zusammen, weil
die „konkreten Motive“ der Handelnden selbstverständ-
lich „psychische“ Daten sind.) Von dieser begrifflichen
Unklarheit abgesehen, enthält das Kapital über die „in-
tentionalen Daten“ eine Fülle wertvoller Anregungen; es
dürfte wohl das beste des ganzen Buches sein. Weniger
kann der Abschnitt über die „funktionalen Daten“ be-
friedigen. Dies hängt mit der molluskenhaften Vieldeu-
tigkeit des Begriffes „Funktion“ zusammen. Wie die
meisten Funktionalisten verwendet Mühlmann diesen
Ausdruck sowohl im Sinne eines „notwendigen Zusammen-
hanges“ zwischen den „Variablen einer Gesellschaft und
einer Kultur“ (S. 163) als im Sinne einer „Lebensleistung“,
einer „Bedeutung“ für „die Anpassung des Einzelnen und
des Volksganzen“ (S. 112); entsprechend vieldeutig ist
auch das Eigenschaftswort „funktional“, das häufig
nichts anders als „tatsächlich“ (gegenüber einer „Ideo-
logie“) bedeutet. Zu der Kritik Batesons an der Viel-
deutigkeit von „Funktion“ bemerkt Mühlmann (S. 106):
„Beide Anwendungsarten des Begriffes „Funktion“ be-
zeichnen. . . nur zwei Seiten des gleichen Sachverhaltes.
Was uns formal als Abhängigkeit einer Variablen von der
anderen erscheint, das stellt inhaltlich die adaptive Auf-
gabe und Leistung dieser Variablen für die anderen Variab-
len dar.“ „Inhaltlich“ besagt hier offenbar: auf einen W er t
(die „Anpassung“) bezogen. Gerade gegen dies Durchein-
anderwerfen „wertbezogener“ und „wertfreier“ Katego-
rien aber richtet sich die Kritik Batesons. Im übrigen ge-
lingt es Mühlmann, der „Funktion“ noch eine neue Seite
abzugewinnen, indem er sie mit „Geschichte“ gleichsetzt.
„Funktion bedeutet Veränderung, Veränderung aber ist
Geschichte“, heißt es S. 163. Die Unklarheit des „Funk-
tions“begriffes verschuldet es, daß auch die Dreiteilung
der „Funktionen“ (S. 167ff.) in primäre oder soziale, se-
kundäre oder kulturelle und tertiäre oder ethnische Funk-
tionen nicht recht deutlich wird. Wenn es übrigens
(S. 168) von den kulturellen Funktionen heißt: „Sie er-
geben sich aus der Vergesellung als ,Gewöhnungen‘,“ so
scheint hier „Funktion“ einfach gleich „Verhalten“ zu
setzen zu sein und „kulturelle Funktion“ gleich „kulturell
genormtem Verhalten“.
Aus Mühlmanns früheren Veröffentlichungen, beson-
ders aus seinem Beitrag zu dem „Lehrbuch der Völker-
kunde“ von K. Th. Preuß, kennt man die scharfe Kritik,
mit der er der Kulturkreislehre und ihren Methoden ge-
genübersteht. Man wird daher mit Interesse die methodi-
schen Richtlinien untersuchen, die er seinerseits für die
ethnologische Geschichtsforschung aufstellt, mit umso
höherem Interesse, als seine eigenen Bemühungen auf
dem Gebiete der historischen Rekonstruktion (Die Be-
griffe Ati und Mataeinaa. Anthropos 29 (1934); Eckstein
und Horn bei Polynesiern und Semiten. Ztschr. f. Ethnol.
64 (1932); Die Frage der arischen Herkunft der Polyne-
sier. Ztschr. f. Rassenkde. 1 (1935); Uber den Anschluß
der Polynesier an die südasiatischen Hochkulturen.
Baeßler-Archiv 19 (1936); Staatsbildung und Amphik-
tyonien in Polynesien. Stuttgart (1938)) sich mehr durch
originelle Einfälle, kühne etymologische und mytholo-
gische Deutungen und weitreichende Schlüsse auszeich-
nen, als durch methodische Strenge und kritische Vor-
sicht.
Mühlmann erörtert die Probleme der ethnologischen
Geschichtsforschung in der zweiten Hälfte seines Kapi-
tels über die „funktionalen Daten“. Zunächst stellt er
positiv drei Kriterien für das „vergleichende Verfahren“
auf, und zwar I. das „Kriterium der allgemeinen Wahr-
scheinlichkeit“: ein geschichtlicher Zusammenhang ist
umso wahrscheinlicher, je geringer der räumliche und
zeitliche Abstand der beiden verglichenen Erscheinungen
ist und je mehr sonstige Zusammenhänge zwischen den
zugehörigen Kultureinheiten bekannt sind, 2. das „Kri-
terium der Gleichartigkeit“: nur möglichst gleichartige
Erscheinungen sollen verglichen werden. Der Wortlaut
dieser Forderung scheint zu besagen, daß man z. B. Besen
nur mit Besen und nicht mit Fliegenwedeln vergleichen
solle. Jedoch wird in den erläuternden Ausführungen auf
das unterschiedliche Veränderungstempo der einzelnen
Kulturbereiche hingewiesen, das eine getrennte Behand-
lung von „Einheiten verschiedenen Charakters“ notwen-
dig mache. Hiernach handelt es sich also wohl darum, daß
beispielsweise eine Übereinstimmung in einem Genuß-
mittel, etwa Tabak oder Betel, anders bewertet wer-
den muß, als eine Übereinstimmung in den Grundlagen
der sozialen Organisation. Schließlich besagt 3. das „Kri-
terium der historischen Vergleichsrelevanz“: „Je ver-
breiteter und häufiger eine Kulturerscheinung überhaupt
BESPRECHUNGEN
207
ist, um so wahrscheinlicher wird ihr beiderseitiges Auf-
treten in zwei Vergleichsgebieten oder -Zeiten auf selb-
ständiger Entstehung beruhen“ (S. 177). In dieser Form
ist der Satz unrichtig. Richtig ist, daß die Beweiskraft einer
Übereinstimmung für eine spezifische (direkte) histo-
rische Beziehung zwischen zwei Völkern abnimmt, je
größer das Verbreitungsgebiet der übereinstimmenden
Erscheinung ist1. Bei der Frage dagegen, ob es sich um
eine einmalige oder um eine mehrmalige selbständige Ent-
stehung handele, hat der Umfang des Verbreitungs-
gebietes eine viel geringere Bedeutung als seine Gestalt.
Ein zusammenhängender Verbreitungsgürtel, selbst wenn
er von Skandinavien bis Neuengland reicht, spricht für
genetische Einheit, ein zerstreutes Vorkommen bei je
einigen wenigen Stämmen verschiedener Kontinente und
Kulturstufen legt eine mehrmalige selbständige Ent-
stehung nahe.
Weiterhin setzt sich Mühlmann kritisch mit den Graeb-
nerschen Kriterien der Form und der Quantität ausein-
ander. Das letztere wird schlechtweg abgelehnt. „Die
Quantität hat keinen historischen Deutungswert,“ heißt
es S. 179. Sollte es wirklich für die geschichtliche Rekon-
struktion gleichgültig sein, ob zwei Völker in fünf oder
ob sie in fünfundneunzig Prozent ihrer Kulturelemente
(Mühlmann sagt „Kulturzüge“) übereinstimmen ? Auch
der „Form“ wird nur ein geringer „historischer Deutungs-
wert“ zugeschrieben. „Stimmt sie überein, so ist ein hi-
storischer Zusammenhang trotzdem immer noch recht
fraglich; stimmt sie nicht überein, so ist er trotzdem mög-
lich,“ weil ja die anfängliche Übereinstimmung sekundär
geschwunden sein kann. „Der einzig gerechtfertigte
Schluß daraus scheint mir zu sein: Eine Wissenschaft,
deren Forschungsziel der Bruchteil der zu ermittelnden
kulturhistorischen Zusammenhänge ist, verurteilt sich
selbst zum Tode. Da sie auf die vorhandenen Formähnlich-
keiten angewiesen ist, erhebt sie die einseitige Auswahl
der Forschungstatsachen zum Prinzip. Ihr einziges Kri-
terium ist das der subjektiven Auffälligkeit formaler Ähn-
lichkeiten. Ein solches Verfahren kann nicht wissenschaft-
lich genannt werden“ (S. 180).
Von der verbreitungsmäßigen Korrelation kultureller
Erscheinungen, bekanntlich einem Hauptgesichtspunkte
der Kulturkreislehre und aller ihr methodisch verwandter
Richtungen, erklärt Mühlmann (S. 197): „Die Korrela-
tionen haben einen historischen Deutungswert nur dann,
wenn die additive Kulturauffassung gilt. Mit dieser fällt
er.“ Denn wenn zwischen den Kulturerscheinungen ein
funktionaler Zusammenhang bestehe (einen solchen leug-
net seiner Meinung nach die „additive Kulturauffassung“),
sei ein positiver Korrelationskoeffizient zwischen ihnen
eine Tautologie und könne folglich nicht als Indiz für
bestimmte historische Vorgänge angesehen werden. Die
Beurteilung dieser Behauptung hängt davon ab, was hier
1 In einer früheren Formulierung seines „Kriteriums der
historischen Vergleichsrelevanz“ sagte Mühlmann, daß
mit wachsendem Verbreitungsgebiet der übereinstim-
menden Erscheinung die Wahrscheinlichkeit steige,
daß die Übereinstimmung auf Zufall beruhe. Dies
kann richtig sein, wenn nämlich unter „Zufall“ auch
alle Formen eines indirekten historischen Zusammenhan-
ges einbegriffen sind. W. Mühlmann in: Lehrbuch der
Völkerkunde, herausgeg. v. K. Th. Preuß, Stuttgart
r937> S. 25.)
26*
unter einem „funktionalen Zusammenhang“ verstanden
werden soll. Handelt es sich um einen unzerreißbaren,
sog. gesetzmäßigen Zusammenhang, derart daß die eine
Erscheinung die andere mit Notwendigkeit voraussetzt
und diese sie mit Notwendigkeit hervorbringt, so ist gewiß
ein Korrelationskoeffizient von -(- 1.00 eine „Tautologie“,
vorausgesetzt, daß nicht beide Erscheinungen bei allen
Völkern des Untersuchungsbereiches vorhanden sind
oder bei allen fehlen. In diesen Fällen wird nämlich
der Koeffizient unbestimmt. Handelt es sich aber
lediglich darum, daß bei einem Volke oder bei einigen
Völkern des Untersuchungsgebietes zwischen den beiden
Erscheinungen gewisse Kopplungsbeziehungen und Wir-
kungsverflechtungen bestehen, so läßt sich daraus weder
das Vorzeichen noch die Größe des Korrelationskoeffi-
zienten ableiten. Mit Befremden bemerkt man, daß das
von Mühlmann angeführte Beispiel sich gerade auf einen
„Zusammenhang“ der letztgenannten Art bezieht1.
Nachdem Mühlmann solcherart die meistbenutzten
Werkzeuge der ethnologischen Geschichtsforschung ver-
worfen hat, definiert er S. 201 ff. fünf Methoden, die eine
Rekonstruktion der geschichtlichen Vergangenheit er-
möglichen sollen. Am wichtigsten erscheint ihm das Ver-
fahren des „Modellversuches“. Es „geht von den gegen-
wärtigen experimentellen Studien über den Kontakt exo-
tischer Völker und Kulturen mit der europäischen Zivi-
lisation aus. Diese Kontakterscheinugen werden als Mo-
dellexperimente für historischen Wandel schlechthin an-
gesehen.“ Es fragt sich jedoch, ob die durch solche Stu-
dien erschließbaren Regelmäßigkeiten jemals hinreichend
konkret und eindeutig und gleichzeitig allgemeingültig
sein können, um die Rekonstruktion geschichtlicher Her-
gänge ohne Heranziehung des von Mühlmann destruier-
ten „vergleichenden Verfahrens“ zu gestatten. Zwei wei-
tere von Mühlmann gebilligte Verfahren sind die Verwer-
tung schriftlicher Urkunden, die allerdings für die
Naturvölker nur in beschränktem Umfange zur Verfü-
gung stehen, und mündlicher Überlieferungen. Die
Verläßlichkeit solcher Traditionen wird m. E. von Mühl-
mann erheblich überschätzt. Schon direkte Aussagen der
Eingeborenen, wonach sie bestimmte Kulturelemente von
anderen Stämmen übernommen hätten (Mühlmann,
S. 207), dürfen nicht kritiklos hingenommen werden2. Bei
1 Mühlmann schreibt: „Wenn zum Einkauf in einen Ge-
heimbund Schweine erforderlich sind, wie im Gebiete der
Neuen Hebriden, so ist eine positive Korrelation
zwischen den „Kulturelementen“: „Geheimbundwesen“
und „Schweinezucht“ eine Tautologie.“ Hierzu ist zu
bemerken: 1. Wenn das Geheimbundswesen oder die
Schweinezucht bei allen Völkern des Untersuchungs-
bereiches verbreitet ist, so wird der Korr.-Koeff. unbe-
stimmt (s. o.). 2. Wenn keines der beiden Elemente
universal verbreitet ist, so kann der Korr.-Koeff. nega-
tiv bzw., wenn positiv, numerisch unbedeutend aus-
fallen, vorausgesetzt, daß die Eingliederung des Schwei-
nes in das Geheimbundsritual nur bei einem Teil der
Völker, die Geheimbünde besitzen, vollzogen ist und
daß die Verbreitung der Schweinezucht wesentlich über
das Gebiet hinausgeht, in dem zum Einkauf in einen
Geheimbund Schweine benötigt werden.
2 “Very little credence should be given to native accounts
of provenience of specific features, when these accounts
deal with events outside the memory of living men. The
208
BESPRECHUNGEN
der euhemeristischen Mythendeutung vollends, wie sie
Mühlmann in seinem neuesten Buche1) in ausgedehntem
Maße übt, sind die Fehlerquellen so zahlreich, daß sich
eine besondere Diskussion einzelner Aufstellungen kaum
lohnt. Allenfalls mag es erlaubt scheinen, eine Mythe auf
einen bestimmten sozialgeschichtlichen Vorgang zu be-
ziehen, wenn dieser bereits anderweitig mit Sicherheit
bekannt ist. Der Prähistorie und Archäologie schreibt
Mühlmann für die Fälle besondere Bedeutung zu, wo das
archäologische Material ,,in den zeitlichen Bereich do-
kumentierter Geschichte fällt, wie teilweise in Süd- und
Ostasien. In diesen Fällen kann es für Fragen des Verän-
derungstempos ebenso wichtig werden wie für die Fragen
der Hochkultureinwirkungen auf Naturvölker (z. B. der
altorientalischen Völker auf Indonesier und Ozeanier).“
Als eine letzte Methode der ethnologischen Geschichts-
forschung wird die Untersuchung der „Streuung“ ge
Zuni claim to have borrowed one of their Tcakwena
dances from Laguna. However, at Laguna it is claimed
that the Tcakwena dance is of Zuni provenience. The
same is true of other dances; Hilili, which the Hopi
claim was recently introduced from Zuni, and to which
the Zuni, on the other hand, attribute a Hopi origin.”
(R. Bunzel, Zuni Katchinas. 47. Ann. Rep. Bur. Am.
Ethn., Washington 1932. S. 83yff.; S. 900—1.)
1 Staatsbildung und Amphiktyonien in Polynesien. Stutt-
gart 1938.
nannt. Darunter versteht Mühlmann die „lokalen Varia-
tionen einer Erscheinung auf begrenztem Gebiet“. „Sie
kann gewisse Hinweise auf eine hypothetische Ausgangs-
form geben, die sich allerdings nur in Verbindung mit an-
deren Verfahren zu einer höheren Wahrscheinlichkeit ver-
dichten lassen.“ Hierzu wäre zu ergänzen, daß dies Ver-
fahren einen genetischen Zusammenhang zwischen den
verglichenen Erscheinungen voraussetzt und daß sich
der Nachweis dieses Zusammenhanges in der Regel nur
mittels der Kriterien der Form und der Quantität er-
bringen läßt.
In den beiden letzten Kapiteln des systematischen
Teiles wird eine Reihe von Gesichtspunkten, die für die
Fragen der Völkerpsychologie, der rassischen Begabung,
des völkischen Selbstbewußtseins, der Umvolkung und
verwandte Probleme wichtig sind, in anregender Weise
erörtert. Einen eigentlich methodologischen Charakter
haben diese Abschnitte nicht. Über den Fragenkreis von
völkischer Selbstbehauptung und Umvolkung sind üb-
rigens in den letzten Jahren zahlreiche und wichtige Ar-
beiten deutscher Forscher erschienen, so daß es nicht not-
wendig gewesen wäre, immerzu Steinmetz und Shiro-
kogoroff zu zitieren. Die Schlußbetrachtungen fassen die
Ansichten des Verfassers über Zielsetzung und For-
schungsaufgaben der Völkerkunde und ihr Verhältnis
zu den Nachbarwissenschaften, sowie über die daraus
erwachsenen Bildungs- und Lehraufgaben zusammen.
W. Milke.
Soeben ist erschienen:
SCHÖPFUNG und URZEIT im MYTHUS
der AFRIKANISCHEN VÖLKER
von Hermann Baumann, Dr. habü.
Kustos am Museum für Völkerkunde in Berlin
Herausgegeben mit Unterstützung der Staatlichen Museen in Berlin und des
Internationalen Instituts für afrikanische Sprachen und Kulturen
XII u. 433 Seiten in Klein-Quart mit 22 Karten / Preis geheftet RM 30.—, in Halblederhand RM36.—
Dieses Werk versucht auf Grund eines Materials von rund 2 500 genau analysierten Märchen und Mythen zum ersten
Mal die beliebtesten mythischen Ideen der Afrikaner in einer einzigen Übersicht darzustellen und ihre Bedeutung für die
afrikanische Kulturgeschichte herauszuarbeiten. Wohl gibt es zahlreiche Märchen- und Mythensammlungen aus Afrika,
aber die vergleichende Bearbeitung lag noch sehr im Argen. Hier soll dies Werk eingreifen. Es hält sich fern von
einseitigen, wenn auch bequemen Deutungen und sieht den Mythus stets im Zusammenhang mit dem Geist der Kulturen,
denen er angehört.
Ausgehend von der Idee der Schöpferkraft und der Gestalt des Schöpfers werden die Schöpfungsprozesse, soweit
sie den Menschen und seine nähere Umwelt zum Gegenstand haben, besprochen. Das Entstehen der Erde, der Gewässer
und des Meeres, der Berge, Tiere, vor allem aber der ersten Menschen, auch das Leben der Urpaare, wird aus der Fülle
der afrikanischen Traditionen heraus so geschildert, wie die Afrikaner — seien es Neger, Buschmänner oder Hamiten
— es sich erdachten. Wir werden über denkwürdige mythische Ereignisse im Geschehen der ersten Menschen, wie etwa
die Urkatastrophen, der Turmbau zum Mond, die wunderbare Teilung eines Flusses auf der Wanderung oder der Einbruch
des Todes in die Urgesellschaft, unterrichtet. In einem besonderen Kapitel wird erstmalig auch die Frage eingehend
erörtert, wie sich der Afrikaner die Anfänge menschlicher Kultur vorstellt.
Scharf hebt sich schon die starke Verankerung vieler dieser Mythen in bestimmten Kulturschichten heraus.
Als neuntes Beiheft zum BAESSLER-ARCHIV ist soeben erschienen:
Die mexikanische Bilderhandschrift
HISTORIA TOLTECA GHICHIMECA
Die Manuskripte 46—58 bis der Nationalbibliothek in Paris übersetzt und erläutert von
KONRAD THEODOR PREUSS und ERNST MENGIN
Teil I: Die Bilderhandschrift nebst Übersetzung
134 Seiten mit 148 Abbildungen im Text und auf 23 Tafeln. Format 24:33 cm, Preis geheftet RM 23.—
In seinem Vorwort führt Prof. Preuß aus, daß der Weg der mexikanischen Wissenschaft ein besonders mühevoller
sei; denn sie versuche einerseits unter den vielen Sprachen und Kulturen Mexikos ein Nebeneinander und eine Auf-
einanderfolge herzustellen, und sei sich andererseits bewußt, daß erst durch Herausgabe von mustergültigen Über-
setzungen der in den Archiven schlummernden Texte diese Arbeit möglich gemacht werde. Die Herstellung dieser
Arbeitsgrundlage müsse die Forschung zunächst als Hauptsache ansehen; denn wie nötig sie sei, zeige das Werk selbst
der sorgfältigsten Forscher, die beispielsweise auch die vorliegende Handschrift verschiedentlich falsch deuteten. Hier
kann nun eine der wichtigsten Handschriften, die Historia Tolteca Chichimeca, in einer Übersetzung veröffentlicht
werden, die, wie Prof. Preuß hofft, die Wissenschaft ebenso voll befriedigen werde, wie die Übersetzer.
VERLAG VON DIETRICH REIMER / ANDREWS STEINER / IN BERLIN SW 68
BAESSLER-ARCH IV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN
AUS DEN MITTELN DES BAESSLERTNSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN DIREK-
TORIALBEAMTEN DER ETHNOLOGISCHEN ABTEILUNGEN
DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE IN
BERLIN REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XXIII
MIT 125 ABBILDUNGEN UND 1 KARTE
BERLIN 1940
VERLAG VON DIETRICH REIMER
/ ANDREWS & STEINER /
~ ¡A*, ’Z/hp
INHALTSVERZEICHNIS
Sture Lagerkrantz: Über eine Sammlung Jagdfallen von der deutschen Bevölkerung in Bessarabien mit
14 Abbildungen ........................................................................... 1— 7
Josef Haeckel: Männerhäuser und Festplatzanlagen in Océanien und im östlichen Nordamerika ........ 8— 18
H. D. Disselhoff: Sogenannte ,,Chavin“-Gefäße im Berliner Museum für Völkerkunde mit 10 Abbildungen 19— 25
Georg Eckert: Prophetentum und Kulturwandel in Melanesien......................................... 26— 41
E. Donner: Kunst und Handwerk in NO-Liberia mit 101 Abbildungen................................... 45—110
Ernst Mengin: Unos annales historicos de la nacion mexicana Teil II. Der Kommentar mit 1 Karte.... 115—139
BÜCHERBESPRECHUNGEN
Feddersen, Martin: Chinesisches Kunstgewerbe. Bücherei des Kunstsammlers Bd. I. 247 Seiten, 207 Ab-
bildungen, 8 Tafeln. Klinkhardt & Biermann Verlag, Berlin 1939. Preis RM. 12.—. — A. Graf
Strachwitz ....................................................................................... 42
Avila, Francisco de: Dämonen und Zauber im Inkareich. — Aus dem Khetschua übersetzt und eingeleitet
von Hermann Trimborn. IX und 143 S. 2 Karten. 1 Abb. Quellen und Forschungen zur Geschichte
der Völkerkunde Bd. 4. K. F. Koehler Verlag, Leipzig 1939. — Disselhoff.........................
Lindblom, G. K.: Wire-Drawing especially in Africa. Statens Ethnografiska Museum. Smärre Meddelanden
Nr. 13. 38 Seiten, 4 Abb., I Verbreitungskarte. Stockholm 1939. — Jul. Glück....................
Werder, P. von: Staatsgefüge in Westafrika. Beiheft zur Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
Bd. 52. Stuttgart 1938. — H. H. Böhme ..........................................................
Niehaus, M.: Sardinien. Ein Reisebuch. Societäts-Verlag Frankfurt a. M. 1938. -— K. Dittmer............
Bornemann, Fritz, S.V.D.: Die Urkultur in der kulturhistorischen Ethnologie. Eine grundsätzliche Studie.
(Sankt Gabrieler Studien, VI.) 148 S. Mödling, Missionsdruckerei 1938. 3 RM. —W. Milke..........
Nawrath, Alfred: Indien und China. Meisterwerke der Baukunst und Plastik. Wien, Schroll (1938). 64 S.,
208 Abb. auf 164 Taf., 1 Karte. 40. Preis RM. 18. — Gelpke......................................
Schebesta, Paul: Die Bambuti-Pygmäen vom Ituri. Ergebnisse zweierForschungsreisen zu den zentralafrika-
nischen Pygmäen. In drei Bänden. 1. Band, Geschichte, Geographie, Umwelt, Demographie und
Anthropologie der Ituri-Bambuti (Belgisch-Kongo) mit 1 Karte, 32 Bildtafeln und 16 Erläuterungs-
skizzen. 440 S. 4°. Bruxelles, Librairie Falk fils, 1938. Preis 250 belg. Fr. — Hans Schwarz. . . .
Lohmann, Walter: Die Geschichte der Königreiche von Colhuacan und Mexico. Text mit Übersetzung von . .
(Quellenwerke zur alten Geschichte Amerikas, aufgezeichnet in den Sprachen der Eingeborenen.
Herausgegeben vom Ibero-Amerikanischen Institut, Berlin I.) Verlag von W. Kohlhammer, Stuttgart
und Berlin. 1938. VIII und 391 S. — F. 'fermer, Hamburg ........................................
Lück, Kurt: Der Mythos vom Deutschen in der polnischen Volksüberlieferung und Literatur. Forschungen
zur deutsch-polnischen Nachbarschaft im ostmitteleuropäischen Raum. Historische Gesellschaft
für Posen. Verlag von S. Hirzel in Leipzig, Posen 1938. — K. Dittmer...................................
42— 43
43
43— 44
44
44
in
in—-ii 2
140—141
141—142
BÜCHERPHNGÄNGE
113
Heft 2—3
BAESSLER-ARCH IV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN
AUS DEN MITTELN DES BAESSLER-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN DIREK-
TORIALBEAMTEN DER ETHNOLOGISCHEN ABTEILUNGEN
DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE IN
BERLIN REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XXIII/HEFT i
STURE LAGERCRANTZ: ÜBER EINE SAMMLUNG JAGDFALLEN VON
DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG IN BES-
SARABIEN
JOSEF HAECKEL: MÄNNERHÄUSER UND FESTPLATZANLA-
GEN IN OZEANIEN UND IM ÖSTLICHEN
NORDAMERIKA
H. D. D1SSELHOFF: SOGENANNTE „CHAVIN£C-GEF ASSE IM BFR
LINER MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
GEORG ECKERT: PROPHETENTUM UND KULTURWANDEL IN
MELANESIEN
BESPRECHUNGEN
BERLIN 1940
VERLAG VON DIETRICH REIMER
/ANDREWS <&■ STEINER /
erscheint in jährlich 4 Heften von ca. 24 Druckbogen zum Preise von 30.— RM. Einzeln
sind die Hefte zu einem je nach dem Umfang bemessenen etwas höheren Preise käuflich.
Das Baessler-Archiv ist bestimmt für Arbeiten aus allen Gebieten der Völkerkunde mit
Ausnahme der reinen Linguistik und physischen Anthropologie. Seine Hauptaufgabe ist
die wissenschaftliche Beschreibung und Verwertung des in den deutschen Museen aufge-
speicherten Materials nach seiner kulturgeschichtlichen und technologischen Bedeutung,
doch werden auch soziologische, mythologische, kunst- und religionsgeschichtliche Themata
berücksichtigt, soweit sie zur Erklärung von Museumssammlungen beizutragen geeignet sind.
Die Mitarbeiter erhalten 30 Sonderabzüge
und 3.— RM. für die Seite.
Redaktionelle Sendungen, Zuschriften und Anfragen sind zu richten an den Redakteur
Prof. Dr. Alfred Maaß, Berlin sw.n, Saarlandstr. no
Staatl. Museum für Völkerkunde.
BEIHEFTE
die besonderen Vereinbarungen unterliegen und Abonnenten zu einem
Vorzugspreise geliefert werden.
1. Beiheft: Sprichwörter und Lieder aus der Gegend von Turfan. Mit einer dort aufge-
nommenen Wörterliste von Albert von Le Coq. Mit I Tafel. [100 S.] 1911
2. Beiheft: Die Wagogo. Ethnographische Skizze eines ostalrikanischen Bantustammes von
Heinrich Claus, Stabsarzt im Infanterie-Regiment Nr. 48, früher in der Kaiser-
lichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Mit 103 Abb. [IV u. 72 S.] 1911.
3. Beiheft: Die Goldgewichte von Asante (Westafrika). Eine ethnologische Studie von
Rudolf Zeller. Mit 21 Tafeln. [IV u. 77 S.] 1912.
4. Beiheft: Mitteilungen über die Besiedelung des Kilimandscharo durch die Dschagga
und deren Geschichte. Von Joh. Schanz. [IV u. 56 S]. 1912.
5. Beiheft: Original Odzibwe-Texts. With English Translation, Notes and Vocabulary
collected and published byj. P. B. dejosselin de Jong, Conservator at the
State Museum of Ethnography. Leiden. [IV u. 54 S.] 1912.
6. Beiheft: Ein Beitrag zur Ethnologie von Bougainville und Buka mit spezieller Be-
rücksichtigung der Nasioi. Von Ernst Frizzi. [56 S.] 1912.
Ein Beitrag zur Kenntnis der Trutzwaffen der Indonesier, Südseevölker und
Indianer. Von Hauptmann a. D. Dr. G. Friederici. [78 S.] 1915*
Die Banjangi. Von F. Stasehe wski. Überarbeitet und herausgegeben von
Prof. B. Ankermann. [66 S.] 1917.
9, Beiheft: Die mexikanische Bilderhandschrift Historia Tolteca Chichimeca. Von
K. Th. Preuss u. E. Mengin. Teil 1: Die Bilderhandschrift nebst Über-
setzung, mit 148 Abb. i. Text u. auf 25 Taf. [104 S.] 1937.
Teil II: Der Kommentar. Baeßler-Archiv Bd. XXI, H. 1—2 [66 S.] 1938.
10. Beiheft: Musikinstrumente der Indianer des Guaporegebietes. Von E. Heinrich
Snethlage. Mit 103 Abb. [38 S.]. 1939.
Alle Rechte, einschließlich des Übersetzt! ngsrechts, Vorbehalten.
Druck von J.J. Augustin in Glückstadt* Hamburg-New York
ÜBER EINE SAMMLUNG JAGDFALLEN VON
DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG IN BESSARABIEN1.
VON STURE LAGERCRANTZ, STOCKHOLM.
In einer neuerdings veröffentlichten Abhandlung betont Gavazzi, daß eine Anzahl Typen
von Schwerkraftfallen und Schlingen zu den altertümlichsten Bestandteilen der kroatischen
Kultur gehören1 2. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dies der Fall ist, und bei einer
Durchsicht des Jagdfallenmaterials, das von Serben und Kroaten3 und aus den östlichen
Teilen der Balkanhalbinsel4 (besonders aus Bulgarien)5 veröffentlicht worden ist, findet man,
daß mehrere verschiedene Kulturschichten abgelesen werden können. Man kann kräftige
Einschläge von den eurasischen Jägerkulturen verspüren (Stock- und Deckelfallen, Schlm-
genschnüre, Schwippgalgenschlingen mit einem festen Fangstab und eventuell auch solche
mit einem losen Fangstab). Es können auch deutliche Verbindungen zwischen der Jagd in
Südeuropa und der altertümlichen kontinentaleuropäischen Jagdkultur beobachtet werden
(die „konische Grube“, die Rattenblockfalle und eventuell gewisse Tubenfallentypen).
Hierzu kommen aber auch Zusammenhänge mit dem Fernen Osten (der konzentrische Zaun
und der Fangbogen) und der mittelalterlichen kontinentaleuropäischen Herren]agd (die
Grube mit drehbarem Dach). Selbstredend sind auch manche ganz junge kontinentaleuro-
päische Einschläge vorhanden (vor allem Fangeisen).
Dank freundlichem Entgegenkommen Prof. Baumanns habe ich von einer im Staatlichen
Museum für Völkerkunde in Berlin verwahrten Sammlung Jagdfallen von der deutschen
Bevölkerung in Bessarabien Kenntnis nehmen können6. Die Sammlung ist, auf Grund der
oben angeführten Gesichtspunkte, von sehr großem Interesse, und mit Ausgangspunkt von
derselben dürfte es möglich sein in gewissem Grade einige der eben erwähnten Kultur-
zusammenhänge des weiteren zu exemplifizieren7.
1 Ich möchte mir erlauben hier meine große Dankbarkeit
zum Ausdruck zu bringen für die Hilfe, die mir zuteil
geworden ist von Prof. H. Baumann (Staatliches
Museum für Völkerkunde, Berlin) und Dr. G. Berg
(Nordisches Museum, Stockholm).
2 Gavazzi, M: Der Aufbau der kroatischen Volkskultur
Baessler Archiv 20. S. 159.
3 Petrovic, P.: Narodne lovacke sprave kod Srba i
Chrvata, Lud Slowianski 2. Für die Montenegriner, vgl.
Vlahoviö, M.: Lov u Kolasinu, Beograd 1933.
4 Obrqbski, J.: Przyczynki do lowiectwa wschodniej
czqsd pölwyspu Balkanskiego, Lud Slowianski 2.
5 Vakarelski, Ch.: Lovni sposobi i uredi, Lud Slowianski 2.
6 Brief vom 2. 12. 1937.
7 Vor kurzem hat Gunda in einer Reihe von Untersuchun-
gen einige Fragen behandelt, die in diesen Zusammen-
hang gehören; insbesondere hat er sich mit dem nord-
eurasischen Einschlag in der Jagdkultur des Balkans
und Ungarns beschäftigt. Das wertvollste Ergebnis
seiner Arbeiten scheint es mir zu sein, daß er nachweisen
konnte, wie man in Ungarn zu der Jagdmethode des
Durchhauens der Achillessehne gekommen ist. Zu
dieser eurafrikanischen Jagdmethode gibt es, wie Gunda
nachgewiesen hat, in der nordasiatischen Mythologie
Parallelen, und aus diesem Grunde hält Gunda sich für
berechtigt, festzustellen, daß diese Art zu jagen, auch
für das nördliche Asien als früher vorhanden gewesen
belegt sei, Gunda, B.: Das Abhauen der Achillessehne
der Tiere in der eurasischen Jagdkultur, Zeitschrift für
Ethnologie 70. S.454—456. Ebenso führt Gunda auch
die Handschlinge (A magyarorszägi haläzo hurkok
eredete, Neprajzi Urtesitö 30, S. 1—5. Vgl. auch Lager-
crantz, Acta Etnologica 1, S. 202) und den Sprenkel,
d. h. eine Schwippgalgenschlinge, die mit einem festen
und einem losen Fangstab aufgestellt ist, auf den eurasi-
schen Einschlag in der Balkanjagd zurück (Eine ethno-
2
STURE LAGERCRANTZ
Der größereTeil der Fallen machen den Eindruck verhältnismäßig junge Konstruktionen
zu sein, dies gilt in besonders hohem Grade von einer modernen Metalldrahtfalle ausKrasna
(Abb. i)1. Fallen von diesem und ähnlichen Typen werden freilich selten in der Literatur er-
wähnt, haben aber trotzdem eine sehr große Ausbreitung in Zentraleuropa2, und dürften
daselbst, ebenso wie in Schweden, als Handelsware geführt werden.
Abb. i. Metalldrahtfalle, Krasna (II B 1748). Abb. 2. Tubenfalle, Culm (II B 1752).
Größeres Interesse bietet eine Tubenfalle mit zwei Fallklappen in ["~-Form (Abb. 2) aus
Culm3. Dieser Fallentypus hat eine markierte kontinentaleuropäische Ausbreitung. Varian-
ten mit einer4 und zwei5 Fallklappen werden beispielsweise in Deutschland angetroffen,
scheinen aber hier innerhalb der Herrenjagd beheimatet zu sein. Möglicherweise hat die
Falle in der schwedischen Herrenjagd Aufnahme gefunden6, in der volkstümlichen Jagd ist
sie verhältnismäßig selten gewesen, doch haben wir Belege aus den südlichen und mittleren
Teilen von Schweden und Norwegen7, ln Lettland ist die Variante mit zwei Fallklappen
nach Bielenstein „eine weit verbreitete, bis heute übliche Rattenfalle“8, und das gleiche
graphische Parallele in der balkanischen und nordeurasi-
schen Jagdkultur, Vjesnika 4, S. uff.; Néprajzi vonat-
kozàsok règi francia vadaszkönyvekben, Néprajzi
Értesito 1939, S. ioff. Vgl. Lagercrantz, Acta Etno-
logica I, S. 203); dem ist beizustimmen. Dagegen muß
die Annahme, der Sprenkel sei ,,im arktischen Nord-
asien“ entstanden, als eine gelinde Übertreibung be-
zeichnet werden. Sich in diesem Zusammenhang auf
Lips zu stützen und auf die für Lips nicht gerade origi-
nale Zweiklassenkultur, die es überhaupt nicht gibt,
hat wenig Wert und macht die anschließende Dar-
stellung vollkommen schief, wenigstens soweit Gunda
auf afrikanische Verhältnisse abzielt. Auf seine eura-
sische Kultur scheint Gunda auch, wenigstens teilweise,
die Armbrustfalle zurückzuführen (Néprajzi vonatko-
zäsok, S. 8; Elözetes jegyzetek az ijjas csapdàk néprajzi
problémàjàhoz, Néprajzi Értesito 1937, S. 1—4), doch
fällt diese Annahme schon durch ihre Ungereimtheit
in sich zusammen. Die Armbrustfalle ist ebenso wie der
konzentrische Wolfszaun (von Gunda, Néprajzi vonat-
kozäsok, S. 5, als mittelalterliche westeuropäische
Neuerung gedeutet!) im fernen Osten entstanden und
von dort nach Europa gekommen. Dagegen stimme ich
mit Gunda darin überein, daß die Tubenfalle mitf“-Fall-
klappe eine mittelalterliche europäische Fallenform ist
(Néprajzi vonatkozàsok, S. 8), und es erscheint mir
wahrscheinlich, daß sie zu der kontinental-europäischen
Herrschaftsjagd gehört. Ebenso hat Gunda durchaus
recht, yvenn er die ungarische Maiskolbenschlinge von
Südslawien herleitet (Egy madärhurok dunäntüli
elterjedeseröl, Vasi Szemle 6. S. 90—92).
1 II B 1748. Zieselfalle.
2 Vgl. Lagercrantz, S.: Contributions to the Question of
the Origin of Torsion Traps, Acta Ethnologica I. S. 122.
3 II B 1752. Ratten- und Iltisfalle.
4 Vgl. z. B. Biermann, A. und Oderfeld; Neuestes illu-
striertes Jagdbuch, Leipzig 1861. S. 172; Döbel, H.:
Neu eröffnete Jäger-Praktika, Leipzig 1828. S. 116;
Fürst H.: Illustriertes Forst- und Jagd-Lexikon,
Berlin 1904. S. 201.
5 Biermann und Oderfeld, S. 171.
6 Hahr, Th.: Handbok för jägare och naturforskare,
Stockholm 1751. S. 190. „Doppelte Marderfalle“. Hahrs
Abbildung ist seinen deutschen Quellen entnommen!
7 Berg, G.: Djurfänge, Gruddbo pa Sollerön (Nordiska
Museets Handlingar 9), Stockholm 1938. S. 336. Key-
lands Modell im Nordischen Museum geht auf Hahr
zurück. Das Modell ist erwähnt in Keyland, N.:
Jagtafdelningen (Vägledningar utgivna av Nordiska
Museet), Stockholm 1911. S. 6 (Nr. 4).
8 Bielenstein, A.: Die Holzbauten und Holzgeräte der Let-
ten II, Petrograd, 1918. S. 598.
ut.
I v
JAGDFALLEN DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG IN BESSARABIEN
Modell wurde in Polen beobachtet1, wo dasselbe auch in einer bemerkenswerten Degene-
rationsform mit einer Fallklappe angetroffen wird1 2. Alle Gründe sprechen dafür, daß die
Tubenfalle mit Fallklappen in -Form einer jungen kontinentaleuropäischen Kulturschicht
angehört und ursprünglich innerhalb der Herrenjagd angewendet wurde, und das Vorkom-
men in Bessarabien muß mit größter Wahrscheinlichkeit der deutschen Bevölkerung da-
selbst zugeschrieben werden.
In die Sammlung sind ein paar Hülsenschwippgalgenschlingen einbegriffen. Die erste,
für die es übrigens eine nähere Lokalangabe fehlt3, frappiert durch ihre eigenartige Kon-
struktion (Abb. 3). Die Falle muß als eine Degenerations-
form angesehen werden, insofern als die für die Hülsen-
schwippgalgenschlinge charakteristische feste „Rückwand“
fehlt. Das Fehlen derselben ermöglicht aber, daß die Falle mit
zwei Metalldrahtschlingen versehen wird. Das Aufstellungs-
system an und für sich kann als eine Variante zur Abnage-
aufstellung angesehen werden. Gewisse Veränderungen wer-
den doch erforderlich, da man die Fangschnur durch einen
Metalldraht ersetzt hat. Dieser letztere kann natürlich nicht
abgenagt werden, und erhält darum die Form eines Hakens,
an welchem der Köder befestigt wird.
Die andere Hülsenschwippgalgenschlinge wiederum ist
von einem bekannteren Typus (Abb. 4). Die Falle wurde in
Teplitz gesammelt und ist mit zwei Metalldrahtschlingen
konstruiert4. Die Lockspeise wird tief in die Ausbohrungen
Abb. 3. Hülsenschwippgalgen- hineingelegt und von jedem der Metalldrahtschwippgalgen
schlinge, „Bessarabien“ (II B 1742). wird eine Schnur über die Ausbohrung (aber selbstredend
' vor dem Köder) geführt und an dem Holzklotz be-
festigt. Um den Köder zu erreichen muß die Schnur
abgenagt werden, wobei klie Falle in Funktion tritt
(Abnageauf Stellung).
Rattenfallen von diesem Typus haben eine recht
große Ausbreitung in Kontinentaleuropa, und es ver-
dient betont zu werden, daß sie wenigstens um die
Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris dominierten5.
Weitere Belege sind vorhanden aus Kopenhagen6,
Finnland7 und Estland, wo die Falle mit 28 bis 49
Metalldrahtschlingen versehen werden. Rattenschlin-
gen (von diesem Typ) sind außerdem bekannt aus Süd- und Mittelschweden und werden
vereinzelt mit bis zu 6 Metalldrahtschlingen versehen (Abb. 5)10, aber in gewöhnlichen Fällen
pflegt die Anzahl von 1 bis 4 zu variieren11.
Aus dem Grunde, weil die Falle in Kontinentaleuropa gewöhnlich mit Schlinge und
Schwippgalgen von Metalldraht versehen wird, kann man geneigt sein sie als ein ganz
modernes Produkt anzusehen. Dies dürfte doch nicht der Fall sein, und es verdient hervor-
Abb. 4. Hülsenschwippgalgenschlinge, Teplitz
(II B 1749).
1 Seweryn, T.: Lowiectwo ludowe w Polsce, Lud Slo-
wianski 2. S. 204.
2 Seweryn, S. 203.
3 II B 1742. Zieselfalle.
4 II B 1749. Mausefalle.
5 Manninen, L: Die Sachkultur Estlands I, Tartu 1931.
S. 65.
6 N. M. (= Nordisches Museum, Stockholm) 19. 719.
7 Manninen, S. 65.
8 Manninen, S. 65. „Besonders volkstümlich ist dieser
Fallentyp bei den Esten wohl nie gewesen“.
9 Manninen, S. 65 und Abb. 49.
10 N. M. 21. 172. Die Photographie ist mir von Dr. G. Berg
zur Verfügung gestellt worden.
11 Z. B. N. M. 109. 040; 138. 643.
1
4
STURE LAGERCRANTZ
gehoben zu werden, daß die Falle mit Schwippgalgen von Holz in Südschweden angetroffen
wird1. Von größerer Bedeutung sind jedoch die außereuropäischen Ausbreitungsgebiete des
Fallentyps. Solche finden sich in Afrika und Hinterindien wie auch in Indonesien, woneben
Die Hülsenschwippgalgen-
schlinge ist nicht heimisch in
Afrika, vielmehr findet das
Vorkommen derselben daselbst
seine Erklärung durch die kul-
turhistorischen Zusammenhän-
ge, die zwischen Afrika und
Hinterindien mit Indonesien zu
verspüren sind1 2. Das Vorkom-
men in Nordamerika wiederum
muß im Zusammenhang mit
Nordasien gesehen werden3, was
besagt, daß wir eine Parallele
zur Ausbreitung der uralo-sibi-
rischen Torsionsfalle finden würden4. Was Europa anbelangt, so braucht hier nur hervor-
gehoben zu werden, daß die Hülsenschwippgalgenschlinge, die sich für eine jüngere kon-
tinentaleuropäische Kultur charakteristisch erweist, die vielen Zusammenhänge exempli-
fiziert, die wir zwischen unserm Weltteil und Südostasien verspüren können5.
Eine unter manchen Gesichtspunkten interessante Zwischenstellung nehmen zwei
Schwippgalgenschlingen aus Brienne6 und Teplitz7 an. Eine direkte Entwicklung aus nur der
Hülsenschwippgalgenschlinge (z. B. die Falle Abb. 4) scheint nicht denkbar zu sein, denn
man kann für diese Schlinge fremde Elemente in der Brienner Falle verspüren (Abb. 6).
Hierher gehört nämlich der Fangstab der von den Armbrustfallen übernommen ist. Derselbe
fremde Einfluß wird auch in der Teplitzer Falle wiedergefunden (Abb. 7), obwohl der Fang-
stab hier aus einem Metalldraht anstatt von Holz gemacht ist. Weiter kann angeführt werden,
daß die eigentliche Schlinge durch eine dünne Eisenblechscheibe ersetzt ist, in die man ein
Loch geschnitten hat, das der Öffnung der „Hülsea entspricht, aber diese letztere Variation
entbehrt kulturgeschichtlicher Bedeutung.
Abb. 6. Schwippgalgenschlinge, Brienne Abb. 7. Schwippgalgenschlinge, Teplitz
(II B 1741). (II B 1745).
er ganz lokal in Nordamerika Eingang gefunden hat.
Abb. 5. Hülsenschwippgalgenschlinge, Skàne, Schweden
(Nordisches Museum 21. 172.)
1 N. M. 138.643. 4 Lagercrantz, Acta Etnologica. S. 126—129.
2 Lagercrantz, S.: Beiträge zur Kulturgeschichte der 5 Lagercrantz, 1938. S. 118.
afrikanischen Jagdfallen (The Ethnographical Museum 6 II B 1741. Zieselfalle.
of Sweden, New Series Nr. 5), Stockholm 1938. S. 118. 7 II B 1745. Zieselfalle.
3 Lagercrantz, 1938, S. 118.
JAGDFALLEN DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG IN BESSARABIEN
5
Hieran schließt sich des weiteren eine Falle mit Schwippgalgen aus Teplitz an1. In dieser
findet sich der Fangstab von den Armbrustfallen wieder und dazu fehlt die Schlinge. Anstatt
der letzteren findet man ein Sägeblatt,
das mit Hilfe des Schwippgalgens das
Wildbret festklemmt (Abb. 8). Rein
technisch gesehen dürfte diese Falle
vielleicht am besten als eine moderne
Variation von der Armbrustfalle charak-
terisiert werden können. Der Schwipp-
galgen hat den eigentlichen Bogen er-
setzt, der Fangstab bleibt und die Holz-
scheibe, die in der Armbrustfalle das
Wildbret festgeklemmt hat, hat einem
Sägeblatt das Feld räumen müssen.
Die oben erwähnten Fallen von Brienne und Teplitz (Abb. 6, 7) haben sich dadurch ent-
wickelt, daß das Sägeblatt seinerseits einer einfachen Schlinge hat weichen müssen, eine
Entwicklung, die aller Wahrscheinlichkeit
nach von dem Einfluß der modernen
Metalldrahtschwippgalgenschlingen her-
rührt. Die drei letzten Fallen (Abb. 6—8)
sind alle von moderner Konstruktion, und
müssen als zentraleuropäische Einschläge
in Bessarabien angesehen werden. In Zen-
traleuropa werden eine große Anzahl Rat-
tenfallenvarianten mit Schwippgalgen von
Metalldraht und damit verwandte Typen
angetroffen. Am bemerkenswertesten unter
diesen letzteren ist die Schlagfederfalle
(Abb.9)2, die schon so früh wie 1704 in Mittelschweden (Grangärde in Dalarna) bekannt ist3.
In die Sammlung sind auch drei Armbrustfallen einbegriffen, von welchen zwei aus
Teplitz4 und eine aus Brienne5 sind. An der ersteren ist der Bogen von Metall und man findet
andere Teplitzer Fallewiederum kann am ersten als ein Degenerationstypus angesehen werden,
insofern als der Bogen durch eine Sägenklinge ersetzt ist (Abb. 11). Eine gewisse Wahrschein-
lichkeit spricht dafür, daß diese Variation als von rein lokalem Charakter anzusehen sein muß.
1 II B 1746. Zieselfalle. S. 131.
2 N. M. Die Photographie wurde mir von Dr. G. Berg zur 4 II B 1743; II B 1744. Zieselfallen.
Verfügung gestellt. 5 II B 174°- Zieselfalle.
3 Berg, G.: Nordskandinaviskt-nordeuropeiskt, Rig 16.
Abb. 9. Schlagfederfalle, Grangärde, Schweden
(Nordisches Museum).
Abb. 8. Schwippgalgenfalle, Teplitz (II B 1746).
6
STURE LAGERCRANTZ
Die Armbrustfallen gehören ebenso wie die Metalldrahtfallen und die Tubenfallen mit
Falklappen in | -Form zu den zentraleuropäischen Einschlägen in dem Jagdfallenbestand
Bessarabiens. Am deutlichsten geht dies aus der dritten Armbrustfalle hervor (Abb. 12), die
sich typologisch gesehen eng an die Belege anschließt, die wir aus Krain1, Deutschland1 2 und
Finnland3 kennen. Konstruktiv betrachtet ist nur ein kleiner Unterschied vorhanden
zwischen dem Brienner Typus und der „aufrechtstehenden Armbrustfalle“4, die aus dem
Fernen Osten durch Nordeurasien vorgedrungen ist. Starke Gründe scheinen auch dafür zu
sprechen, daß die in Bessarabien angetroffenen Typen (Abb. 10, 12) Europa ursprünglich
Abb. 12. Armbrustfalle, Brienne (II B 1740).
Abb. 13. Deckelfalle, Culm (II B 1751)-
auf demselben Wege erreicht hat. Diese Theorie wird unter anderm durch Belege aus der
Kasymgegend bestätigt5. Das dortige Vorkommen muß wohl Samojeden6 oder Wogulen7
zugeschrieben werden, welche Armbrustfallen von hier bezwecktem Typus besitzen.
Schließlich erübrigt nur noch eine kleine Deckelfalle (Abb. 13) aus Culm8, die dank dem
Metallbogen den Eindruck macht verhältnismäßig jung zu sein. Der Fallentypus an und für
sich ist aber außerordentlich altertümlich und bildet eines der für Eurasien charakteristisch-
sten Kulturelemente. Die Falle wird stets mit der gleichfalls für Eurasien charakteristischen
Hängeaufstellung aufgestellt, und es kann nebenbei bemerkt werden, daß die nordisch-
baltische Torsionsfalle ihr Aufstellungssystem gerade von diesem Deckelfallentypus über-
nommen hat9.
Das Ausbreitungsgebiet derselben erstreckt sich über nahezu ganz Schweden, und
Belege sind vorhanden z. B. aus Östergötland (Vänga, Abb. 14)10, Västmanland (Munktorp)11,
Värmland (Mangskog)12, Härjedalen13, Jämtland (Laxsjö14, Berg)15 und Angermanland16.
1 Koätial, J.: Der Fang des Bilches in Krain, Lud
Slowianski 2. S. 212; Valvasor: Die Ehre des Herzog-
thums Krain III, S. 370.
2 Adelicher Zeitvertreiber oder Neu-erfundene Jagd-
ergötzungen, Augsburg 1740. Die Arbeit ist mir nicht
zugänglich, aber ich habe bei Gelegenheit die Stelle
—- leider ohne Seitenangabe — notiert.
Sirelius, U.: Suomen kansanomaista kulttuuria I,
Helsingfors 1919. S. 88.
4 Lagercrantz, 1938. S. 122.
5 Byhan, A.: Nord-, Mittel- und Westasien (ßuschan
II: 1), Stuttgart 1923. Abb. 200:4.
6 Lips, J.: Fallensysteme der Naturvölker, Leipzig
1926. S. 113.
7 Sirelius, op. cit., I. S. 88.
8 II B 1751. Mausefalle.
9 Lagercrantz, Acta Etnologica. S. in.
10 N. M. 131.516. Rattenfalle. Die Photographie wurde
mir von Dr. G. Berg zur Verfügung gestellt.
11 N. M. 26.624.
12 N. M. 88.595.
13 Widen, A.: Jakt och djurfängst i Jämtland och
Härjedalen under gängna tider I, Ostersund 1932.
S. 145. ,,... ein in Härjedalen gewöhnliches Fang-
gerät“.
14 N. M. 182.524.
15 Hülphers, A.: Samlingar til en Beskrifning öfwer
Norrland. Andra Sämlingen om Jämtland, Västeras
I775- S. 92-
16 N. M. 159.808.
Abb. 14. Deckelfalle, Vänga, Schweden
(Nordisches Museum 131. S1^)-
1 Jönasson, J.: islenzkir pjööhsettir, Reykjavik 1934.
S. 184.
2 Ekman, S.: Norrlands jakt och fiske, Upsala 1910.
S. 149. Die Abbildung nach einem Modell im Nor-
dischen Museum. Vgl. Keyland, op. cit., S. 9 (Nr. 13).
3 Manninen, op. cit., I. S. 55; Rytkönen, A.: Tuulas
tulilta ju karku-mailta, Helsingfors 1935. S. 50;
Schwindt, Th.: Suomalainen kansatieteellinen kuvasto
I. Metsänkäynti ja kalastus, Helsingfors 1905. S. 12
(Nr. 81); Sirelius, U.: Metsästys, Suomen Suku 3.
S. 46; Sirelius, 1919 I. S. 127.
4 Manninen, op. cit., I. S. 54. Nach Mitteilung von
Dir. Linnus gibt es nur eine Falle von diesem Typus
im Eesti Rahva Museum. Brief vom 7. 8. 1936.
5 Bielenstein, op. cit., II. S. 596.
6 Moszyhski, K.; Kultura ludowa slowian I, Krakow
1929. S. 51.
7 Manninen, op. cit., I. S. 55. Für „Rußland“ vgl. auch
Silantjev, A.: Obzor promyslow ochot v Rossij,
JAGDFALLEN DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG IN BESSARABIEN
Außerhalb Schwedens wird die Falle unter anderm angetroffen auf Island1, in Norwegen1 2,
Finnland3, Estland4, Lettland5, Polen6, bei der russischen Bevölkerung im Gouverne-
ment Wologda7, bei den Wotjaken, Syrjänen, Mordwinen, Tataren im Tomskgebiet8,
Abschasen9, Tschuktschen10 und
schließlich auf Celebes11 und in Nord-
amerika, wo sie nach Cooper in einen
Zusammenhang mit Nordasien ge-
bracht werden muß12.
Mit Berücksichtigung des hohen
Alters13, daß das hier skizzierte Aus-
breitungsgebiet nahelegt, scheint
weniger zweckmäßig, diebessarabische
Falle auf die deutsche Bevölkerung
zurückzuführen, sie repräsentiert viel-
mehr statt dessen ein Relikt von einer
der altertümlichen eurasischen Jäger-
kulturen.
Die größte Bedeutung der bessara-
bischen Jagdfallensammlung liegt dar-
in, daß die in dieselbe einbegriffenen Gegenstände Typen angehören, die seither in der südost-
europäischen ethnographischen Literatur nicht ausführlich erwähnt waren. Der bei weitem
überwiegende Teil der Fallen geht freilich in erster Linie auf die deutsche Bevölkerung zurück
(die Tubenfalle mit den Fallklappen in [“-Form, die Metalldrahtfalle, die Hülsenschwipp-
galgenschlingen, die Metalldrahtschlingen und die Armbrustfallen. In wenigstens einem Fall
repräsentieren sie auch Beispiele von lokalen Varianten (die Armbrustfalle mit Sägenklinge)
und es ist auch möglich daß die Schwippgalgenschlinge mit der sekundären Abnageaufstellung
(Abb. 3) auf diese zurückgeführt werden könnte. Dieser junge Zusammenhang mit Zentral-
europa gewinnt Interesse dadurch, daß er in mehreren Fällen zu tieferen ethnologischen Per-
spektiven führt und Andeutungen gewährt von den Zusammenhängen, die zwischen Europa,
Südostasien und dem Fernen Osten vorliegen. Hierzu kommt schließlich — als Relikter-
scheinung — die europäische Deckelfalle mit Hängeaufstellung, ein Aufstellungssystem, das,
nebenbei bemerkt, den Anstoß gibt zu der Pfahlaufstellung mit allen ihren Varianten und
auch zur doppelten Hängeaufstellung.
St. Petersburg 1898. S. 177.
8 Sirelius, 1919 V S- 127.
9 Miller, A.: Iz pojezdki po Abehazij o 1907 god, Ma-
terialy po etnografii Rosii I. S. 77.
10 Bogoras, W. • The Chukchee, The Jesup North Pacific
Expedition 7. S. 139.
11 Lips, op. cit., S. 140.
12 Cooper, J.: Snares, Deadfalls, and other traps of the
northern Algonquians and northern Athapaskans, The
Catolic Universiy of America (Anthropological series 5),
Washington 1938. S. 105 ff.
13 Vgl. Mannien, op. cit. I. S. 55. „Es ist von Wichtig-
keit zu beachten, daß diese Falle bei den Finnen, Wot-
jaken und Syrjänen eine Benennung aus derselben
Wurzel hat, was zeigen dürfte, daß nicht nur dieses
Wort, sondern auch die Falle des fraglichen Typs
bei den finnischen Völkern jedenfalls schon aus dem
permischen Zeitalter herstammt“.
MÄNNERHÄUSER UND FESTPLATZANLAGEN IN
OZEANIEN UND IM ÖSTLICHEN NORDAMERIKA.
(OZEANISCH-NORDAMERIKANISCHE KULTURBEZIEHUNGEN).
VON DR. JOSEF HAECKEL.
Die Frage nach etwaigen Kulturübertragungen von Ozeanien nach Amerika wurde
schon des öfteren diskutiert. Die Einwanderung des Menschen von Asien nach Amerika
erfolgte zwar der Hauptsache nach über die Beringstraße, doch müssen auf Grund einer
großen Anzahl eindeutiger und vielfach komplizierter Übereinstimmungen zwischen
amerikanischen (mexikanisch-mittelamerikanischen, andinen, nordwestamerikanischen)
und ozeanisch-ostasiatischen Kulturen auch Völker- und Kulturbewegungen über den
Stillen Ozean an die amerikanische Westküste angenommen werden1. (Siehe die verschiede-
nen vergleichenden Arbeiten von Friederici, Imbelloni, Hentze, Heine-Geldern, Röck u. a.).
Günstige Meeresströmungen, wie der von West nach Ost über den Stillen Ozean gehende
Äquatorial-Gegenstrom, und der teilweise ausgesprochene Seefahrercharakter verschiede-
ner austronesischer (polynesischer) Völker erleichterten auf alle Fälle Wanderungen über den
Pazifik.
Im folgenden sollen nun einige Einrichtungen ozeanischer und nordamerikanischer
Völker vergleichend betrachtet werden, die — soweit ich sehe — in diesem Zusammenhang
noch nicht behandelt wurden. Es handelt sich um Derivate eines Männerhauses2 und die
damit vielfach in besonderer Verbindung stehenden sakralen Versammlungs- und Festplätze
und sakralen Bauten ozeanischer und amerikanischer Völker. Die Untersuchung bezweckt
einerseits, die kulturhistorische und funktionell-strukturelle Bedeutung des Männerhauses
und seiner Sonderformen und der mit ihm verbundenen Institutionen zu beleuchten, ander-
seits die Frage nach den ozeanisch-amerikanischen Kulturbeziehungen an neuen Beispielen
aufzurollen. Es ist klar, daß zur Klärung dieser Dinge eine viel umfassendere Untersuchung
notwendig ist. In vorliegender Arbeit sollen nur einige Gesichtspunkte aufgezeigt und zur
Diskussion gestellt werden. Ich wählte daher nur drei Volksgruppen für die Erörterung der
in Frage stehenden Erscheinungen aus, welche diese in besonders charakteristischer Weise
zeigen. Es sind das die melanesisch sprechenden Roro-Stämme an der Südostküste von
Britisch-Neuguinea (Cape Possession bis zur Mündung des St. Joseph River), die Marquesas-
Insulaner in Polynesien und die Muskogi-Indianer im südöstlichen Nordamerika (Golf-
staaten). Die Muskogi-Stämme wohnen zwar an der dem Stillen Ozean abgewandten Seite
1Z. B. Kriegs-, Skalpier- und Kopfjagdgebräuche,
Blasrohr, Kalenderwesen, Keule vom mere-Typ, Mythen,
Kunststile (wie der ungemein charakteristische Stil der
nordamerikanischen Nordwestküste mit seinen Ent-
sprechungen auf den Bronzen der Schang-Zeit in China),
Wappen- und Totenerinnerungspfähle mit übereinander
gestellten Figuren (Nordwestküste, Maori, Neuhebriden,
Birmarck-Archipel, Dayak, Battak).
Vgl. auch Haeckel, J., „Zweiklassensystem, Männer-
haus und Totemismus in Südamerika“ Zeitschr. f.
Ethnol. 70 (1939), S. 444f. und „Das Männerhaus im
nördlichen Kalifornien“, Mitt. d. Anthropol. Ges. Wien,
1940.
MÄNNERHÄUSER UND FESTPLATZANLAGEN IN OZEANIEN
9
des nordamerikanischen Kontinentes, doch standen ihre Vorfahren (die Träger der prähisto-
rischen ,,Mound“-Kulturen) in Kontakt mit altmexikanisch-mittelamerikanischen Kul-
turen. Gerade Mittelamerika muß für Kultureinflüsse aus der Südsee an die amerikanische
Westküste als „Einfallspforte“ bezeichnet werden. Es sei nur darauf hingewiesen, daß der
für Meeresfahrten sehr günstige Äquatorial-Gegenstrom an der Westküste von Mittel-
amerika südlich von der Landenge von Tehuantepec endet und daß von den ersten spani-
schen Berichterstattern für ein kleines Gebiet an der pazifischen Küste bei Panama die für
Ozeanien so typische Kokospalme (die in Amerika sonst nirgends vorkommt) ausdrücklich
erwähnt wird1.
In den drei besagten Gebieten Neuguineas, Polynesiens und Nordamerikas (und auch
anderswo) weist das Männerhaus eine merkwürdige Differenzierung auf; es spaltet
sich nämlich in eine Anzahl gesonderter Häuser auf, die verschiedenen Zwecken
dienen und die auf Marquesas und bei den Muskogi(Creek)-Indianern in bestimmter Weise
mit der Festplatz-Anlage verbunden sind. Den Vorgang der Aufspaltung des Männerhauses
können wir nun in sehr instruktiver Weise (nach den genauen Beobachtungen von Seligman)
bei den Roro-Melanesiern beobachten, während auf Marquesas und bei den Muskogi nur die
Tatsache von dem Vorhandensein mehrerer besonderer Häuser vorliegt, denen wir aber
ohne weiteres ansehen, daß sie Derivate eines Männerhauses darstellen.
Bei denRoro-Melanesiern im südöstlichen Neuguinea hat nach Seligman jeder Clan
(itsubu) oder die Untergruppe eines Clans ursprünglich ein Männer- oder Clubhaus1 2
(marea; erinnert dieser Name nicht an die marae’s, die sakralen Versammlungsplätze der
Polynesier!). In diesem hat der Oberhäuptling des Clans (der ovia itsipana, d. i. „Häupt-
ling von Rechts“), der als Friedensfürst gilt, die rechte Seite inne, der Unterhäuptling
(ovia awarina „Häuptling von Links“) die linke Seite3. Letzterer ist der Stellvertreter
des Oberhäuptlings und manchmal auch Kriegshäuptling.
Es macht sich also hier eine deutliche Zweiteilung geltend, die mit den Zweiklassen-
systemen Neuguineas jedenfalls in Verbindung steht. Dieses Männer-Clubhaus, das von den
Männern des Clans erbaut wird, ist ein Pfahlbau, vorne mit ungedeckter Plattform, an
seinem hinteren Teil mit einem besonderen kleinen Abteil. Das Dach steigt schräg nach vorne.
Die Verstorbenen werden auf die Plattform gebracht und dort aufgebahrt. Zur Pubertäts-
zeit schlafen die Knaben im Clubhaus. Dies alles ist nach Seligman (nach Angaben der Ein-
geborenen) der ursprüngliche Zustand.
In späterer Zeit trat aber ein Wandel ein. Heute besitzt jeder Clansektor zwei Männer-
häuser oder marea’s: eines für den Oberhäuptling und eines für den Unterhäuptling. Wie
kam es nun zu dieser Weiterentwicklung ? Nach Aussage der Eingeborenen hätte sich nach
einem Streit zwischen Ober- und Unterhäuptling der letztere ein eigenes Clubhaus gebaut.
Jedenfalls zeigen heute die Subhäuptlinge mehr Ambition für die Errichtung eines marea’s
1 Friederici, G., Die Heimat der Kokospalme und die
vorkolumbische Entdeckung Amerikas durch die
Malayo-Polynesier. Erdball, I. Jahrg. Heft 2. 1926.
2 Seligman, C. G., The Melanesians of British New
Guinea, Cambridge, 1910, S. 216ff., 257ff. — Eine
ähnlich geartete Entwicklung des Männerhauses haben
auch die Mekeo, die Nachbarn der Roro.
3 Ergänzend seien noch Hauptmerkmale der Männer-
häuser der den Roro benachbarten Stämme im Süd-
osten von Neuguinea (nach Seligman) angegeben:
Sinaugolo und Verwandte; Jeder Clan mit dem
Dubu — offene Zeremonial-Plattform oder Spitzdach -
haus mit den Schädeltrophäen.
Mailu (Papua); Jeder Clan hat ein Schädel- oder Club-
haus der Männer, das die Frauen nicht betreten dürfen.
Koita (Papua) und Motu (Melanesier): Jede Cian-
sektion mit einer Zeremonialplattform (dubu), die als
Versammlungsplatz der Männer gilt und von den Frauen
gemieden wird. Die Zweiteilung der Clans und der
größeren Dorfeinheiten in „Rechts“ und „Links“
drückt sich auch im Dubu aus und zwar in den zwei
rechten bzw. zwei linken Eckpfosten. Der rechte vordere
Eckpfosten gehört dem Clanhäuptling und ist mit dem
höchsten Rang verbunden.
Elema (Papua); In jedem Totemclan ein Männer-
haus mit rechter Hälfte (höherer Rang, Häuptling)
und linker Hälfte. — Das alles erinnert auffallend an die
Verhältnisse bei den Roro-Melanesiern.
2 Baeßler-Archiv.
IO
JOSEF HAECKEL
als der Oberhäuptling. Mit dieser Aufspaltung ging auch eine Aufteilung der Funktionen
Hand in Hand. Im Clubhaus des Oberhäuptlings schlafen die Fremden, in dem des Unter-
häuptlings die Junggesellen!
Die Differenzierungen des Clubhauses gingen aber noch weiter. Wie schon oben erwähnt,
kann der Unterhäuptling auch als Kriegshäuptling (ovia ahuahua) fungieren und in
dieser seiner Eigenschaft hat er auch ein besonderes marea — das ,, Speerhaus“ —, das
aber vom Clubhaus, das er als Unterhäuptling besitzt, verschieden ist. Im Kriegs-marea
kommen vor und nach der Schlacht die Krieger zusammen, schlafen dort und unterziehen
sich einem Fasten und verschiedener Reinigungszeremonien; auch werden hier die Waffen
aufbewahrt.
Endlich errichtet man auch eigene marea’s für den Kriegszauberer (paiha) und für die
Knaben-Initiation. Letztere dienten (wenigstens in der Waima-Gruppe der Roro) sonst
keinem anderen Zweck; die Knaben wurden im rückwärtigen Verschlag des Clubhauses für
zwei Monate eingeschlossen. Diese Initiations-marea sind aber kein Schlafplatz für erwachsene
Männer.
Bei den Roro entwickelten sich also aus einem Männerhaus, das nach den beiden Clan-
häuptlingen in zwei Hälften geteilt war, in späterer Zeit folgende Arten von Clubhäusern:
I. marea des Oberhäuptlings, 2. marea des Unterhäuptlings, 3. marea des Unterhäuptlings
als Kriegsführer, 4. marea des Kriegszauberers, 5. marea für die Knaben-Initiation.
Die Erklärung, wrelche die Eingeborenen für diese Entwicklung (wenigstens für die Her-
ausbildung je eines marea für den Ober- und für den Unterhäuptling) angeben, ist wohl nicht
vollkommen stichhaltig. Es müssen jedenfalls noch andere Gründe dafür vorliegen, daß sich
ein Männerhaus in gesonderte Häuser aufspaltete, die dann mit bestimmten Funktionen,
die der Männerhaus-Institution im allgemeinen zukommen, im besonderen verbunden
wurden. Wir dürfen dieses Phänomen jedenfalls nicht aus den lokalen Verhältnissen der
Roro allein erklären wollen, denn Ähnliches findet sich ja auch auf Marquesas und bei den
Muskogi-Indianern, allerdings können wir die Entwicklung hier nicht so unmittelbar ver-
folgen wie bei den Roro-Melanesiern.
Die Soziologie der Marquesas-Inseln im südöstlichen Polynesien (wie die anderen
Teile der Kultur) ist in hervorragender Weise von Cr. Handy beschrieben worden1, der
nicht nur selbst auf Marquesas ethnographische Untersuchungen betrieb, sondern auch die
Literatur über diese Inselgruppe auswertete.
Auf Marquesas bilden alle männlichen und weiblichen Personen von der Reife bis zur
endgültigen Verheiratung eine besondere Gruppe, die Kaioi1 2. Kennzeichnend für sie ist die
Bemalung mit Saffrangelb. Bei Festen wirken sie als Sänger und Tänzer mit und die
männlichen Kaioi leisten verschiedene Hilfsdienste, z. B. beim Bau eines Tatauierhauses3.
Nach einem Bericht von der Marquesas-Insel Hiva Oa zu schließen bestand hier in früherer
Zeit anscheinend ein wirkliches Junggesellenhaus, in welchem die männlichen Kaioi
wohnten und für sich dort auch die Mahlzeiten bereiteten4. Handy konnte aber ein solches
nicht mehr finden. Die folgenden Angaben von Handy werden aber zeigen, daß an dem Vor-
handensein eines Männer- und Junggesellenhauses bei den Vorfahren der Marquesasaner
wohl nicht gezweifelt werden kann.
Für Marquesas sehr charakteristisch ist, daß sowohl der Familienverband als auch der
Stamm eine Anzahl besonderer Häuser besitzt, die im sozialen und religiösen Leben ganz
1 The Native Culture in the Marquesas. Bernice P. Bishop
Museum, Bulletin 9, Honolulu 1923.
2 Den Kaioi entsprechen auf Tahiti in gewisser Hinsicht
die Arioi, ein Club adeliger Jünglinge, der den Kult
des Kriegsgottes Oro huldigt und sich durch große
Expansion auszeichnet.
Vgl. dazu die ähnlich gearteten Aufgaben der Initianden
bei verschiedenen Volksstämmen.
Handy, a. a. O., S. 39ff.
MÄNNERHÄUSER UND FE STPLATZANLGEN IN OZEANIEN , l
bestimmte Funktionen haben. Wir werden gleich sehen, daß sich hier verschiedene Züge
der Männerhaus-Institution vorfinden und daß zu den Roro in Neuguinea eine Reihe von
Übereinstimmungen bestehen.
Eine besondere Stellung nimmt das Häuptlingshaus ein, das mit verschiedenen
anderen Bauten die komplexe Zeremonialplatzanlage des Stammes bildet und auf einer
Steinplattform steht. Wie bei den Roro, so ist auch bei den Marquesanern (und auch auf
anderen polynesischen Inseln) der Häuptling Friedensfürst, der nur sehr selten in den Krieg
zieht und als heilige Person gilt. Unter ihm stehen aber verschiedene Kriegsführer. Das Haus
des Häuptlings gilt als Asyl für Missetäter und als Aufenthaltsort für Fremde (wie bei den
Roro l)1.
Von den vier Häusern, die ein Familiengehöft ausmachen, ist eines das sogenannte
Tapu-Haus der Männer (Fata’a), ein Pfahlbau (jede Familie hat also ein solches Haus).
Hier wird die Nahrung für die Männer, wenn sie tabu sind, beereitet, alte Männer, die sich
nicht mehr mit den Frauen abgeben und daher ebenfalls tabu sind, wohnen und schlafen
hier. Frauen dürfen dieses Haus nicht betreten. Es dient ferner auch als Vorratshaus und die
Männer betreiben hier ihre Hausindustrie (Herstellen von Waffen, Schmuck, Schnitzereien
u. a.)1 2. Also alles Züge eines Männerhauses.
Ein besonderes Haus ist ferner das Tatauierungshaus der Jünglinge. Die Tatauierung
(wie die Beschneidung) hat heute auf Marquesas mit der Pubertät direkt nichts mehr zu tun.
Dieses Haus, das nur eine vorübergehende Sache ist, wird von der Jungmannschaft, den
Kaioi, errichtet und es wird darin die Tatauierung vorgenommen, der ja bekanntlich auf
Marquesas eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Alles in diesem Gebäude ist tabu,
besonders gegenüber Frauen3.
Im Bereiche des Häuptlingsgehöftes befindet sich das Kriegerhaus (auf Steinplatt-
form). Es dient als Versammlungshaus der Männer während der Friedenszeiten, seine Haupt-
funktion hat es aber im Kriege, während welcher Zeit die Männer vor den Frauen tabu sind,
und nun hier ihren Speise- und Schlafplatz haben. Keine Frau darf natürlich das Krieger-
haus betreten. Es wird hier auch derKriegsschmuck aufbewahrt und es scheint eine besondere
Domäne des Kriegsführers zu sein (vgl. das Haus des Kriegshäuptlings bei den Roro !)4.
Inwieweit endlich die Fischerhäuser (teilweise auf Pfählen) mit dem Männerhaus in
Verbindung stehen, bleibe dahingestellt. Es schlafen hier die Fischer während der Fisch-
fangperiode, es werden hier die Fischerei-Riten durchgeführt und der Eintritt ist für Frauen
verboten5.
Was nun die Muskogi-Stämme im südöstlichen Nordamerika betrifft, von denen
hier in erster Linie die Stämme der Creek-Konföderation in Frage kommen, so steht bei
vorliegenden Erörterungen der Zer emonialplatz im Vordergrund, den jede Creek-,,Stadt“
besitzt, und die vier Bauten, die diesen Platz einsäumen. Schon in einer früheren Arbeit habe
ich auf die Übereinstimmungen hingewiesen, die diese Festplatzanlage der Creek mit den
sogenannten „megalithischen“ Fest- und Versammlungsplätzen, den marae’s, der Poly-
nesier aufweist6. Die Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen den Festplatzanlagen
(mit ihren Gebäuden) der Creek-Muskogi und der Marquesaner wird wohl jetzt bestärkt
werden können.
Nach Aussagen der Creek lebten in alter Zeit die Männer und Frauen getrennt, es gab
eigene Männer -und Frauenhäuser7. In späterer Zeit war von solchen zwar nichts mehr
1 Handy, a. a. O., S. 46. 6 Haeckel, J., Totemismus und Zweiklassensystem bei
2 Handy,-a. a. O., S. 63 f. den Sioux, Anthropos xxxii, 1937, S. 837f.
3 Handy, a. a. O., S. 97f. 7 Swanton, J., Social Organization and Social Usages
4 Handy, a. a. O., S. 126E of the Indians of the Creek Confederacy, 42. Annual
6 Handy, a. a. O., S. 164. Rep., Bur. Americ. Ethnol., 1924—25, S. 384!.
JOSEF HAECKEL
I 2
zu sehen, doch weisen, wie ich an anderer Stelle von anderen Gesichtspunkten aus gezeigt
habe1, die Häuser, welche den Festplatz umgeben, das runde, erdbeworfene und versenkte
Versammlungshaus (Tcokofa) und der Festplatz selbst eindeutig Merkmale der Männerhaus-
Institution auf. Es handelt sich also hier wie bei den Roro-Melanesiern und bei den Mar-
quesanern wohl um Derivate eines früheren Männerhauses.
In den einzelnen Siedlungen der Creek-Muskogi-Konföderation machen sich in der
Anlage und in der Funktion der den Zeremonialplatz umgebenden Gebäude wohl man-
cherlei Variationen geltend, doch ist als durchgängiger Zug folgendes festzustellen: Der
rechteckige, nach den Weltgegenden geortete Platz weist an seinen vier Seiten je ein Haus
auf und zwar; Häuptlingshaus (gewöhnlich an der Westseite), Kriegerhaus, Haus der
Jungen und ein Haus für besondere Beamte oder für die gewöhnlichen Leute1 2.
Mit diesen vier Häusern steht die Totemclan-Organisation in besonderer Verbindung. Die
Vertreter der verschiedenen Clans haben dort ihre bestimmten Sitze, ebenso die verschiede-
nen Funktionäre (vielfach entsprechend ihrem Kriegsrang), die ja selbst teilweise aus be-
stimmten Clans genommen werden. Überdies tritt entsprechend der den Creek-Muskogi
charakteristischen Zweiklassenteilung in ,,Krieg“ (rot) und „Frieden“ (weiß) eine Unter-
scheidung von „roten“ oder Kriegsclans und „weißen“ oder Friedensclans hervor. Der
Häuptling (miko), der eng mit dem Frieden verbunden ist (siehe auch Roro und Marquesaner)
ist daher gewöhnlich aus „weißen“ Clans, die Kriegsführer, die unter dem Friedenshäuptling
stehen (wie bei den Roro und Marquesanern) sind demnach aus „roten“ Clans3.
Das Haus des Häuptlings am Festplatz, das wie die anderen Häuser des Platzes
stufenförmig angeordnete Sitzreihen aufweist, wird als „weißes Haus“ (also Friedenshaus)
bezeichnet; es hatte an seiner Rückseite einen abgeschlossenen Raum, in der die heiligen
Gegenstände aufbewahrt wurden und in welchen nur der Priester Zutritt hatte; es handelt
sich also um eine Art Heiligtum. Bei Versammlungen und beim großen Jahresfest im Juli
(Grünkornfest) nehmen der Friedenshäuptling, der A izehäuptling und andere Friedens-
beamte auf den Sitzen des (vorne offenen) Hauses Platz. In alter Zeit (wie von dem alten
Reisenden De Soto, 1540, berichtet wird) stand das Häuptlingshaus — gemeint ist aber hier
anscheinend sein Wohnhaus, — auf einem künstlichen Hügel in der Mitte der Siedlung4.
Im K riegerhaus des Festplatzes (vgl. das Kriegerhaus bei den Roro und auf Marquesas)
sitzen die verschiedenen Kriegsbeamten (tastanalgi). Nach Swanton wurde das Kriegerhaus
später auch Haus der Jungen genannt (das ist m. E. vielleicht eine Reminiszenz aus einer
Zeit, als sowohl Krieger als auch die Junggesellen im Männerhaus zusammenkamen)5.
Im H aus der Jungen (tcibanagalgi) saßen ursprünglich, wie von den Eingeborenen
betont wird, die Knaben, die in den Stamm aufgenommen wurden (echtes Männerhaus-Merk-
mal!). Später konnten aber auch Frauen und Kinder dort Platz nehmen6.
Endlich fungiert der kommunale Festplatz selbst in gewisser Hinsicht als eine Art
Männerhaus, bzw. als der Aktionsraum der organisierten Männergesellschaft. Jedenfalls wird
die Annahme, die erwähnten vier Häuser seien Weiterentwicklungen eines früheren Männer-
hauses, durch die besondere Artung des Festplatzes noch verstärkt. Der Platz, der von den
vier Bauten umschlossen ist, wird selbst als „Großes Haus“ bezeichnet. Zur Zeit des großen
Jahresfestes schlafen für vier Nächte alle Männer auf diesem Platz und unterziehen sich
einem Fasten, Den Frauen und Kindern ist es zu dieser Zeit streng verboten, den Platz zu
betreten. Den jungen Männern kommt bei dem erwähnten Feste auf dem Platz eine be-
1 Haeckel, J., Zweiklassensystem, Männerhaus und
Totemismus in Südamerika, Zeitschr. f. Ethnol. 70,1939.
2 Swanton, a. a. 0., S. 191. An Stelle der vorne offenen
Häuser mit Lehm bekleideten Wänden und Schindel-
dach traten später einfache offene Lauben aus vier-
eckigem Stangengerüst und Zweigdach.
3 Swanton, a. a. 0., S. 237ff.
4 Swanton, a. a. 0., S. 181 ff.
5 Swanton, a. a. 0., S. 237ff., 301.
6 Swanton, a. a. O., S. 191.
MÄNNERHÄUSER UND FESTPLATZANLAGEN IN OZEANIEN
stimmte Funktion zu (Hilfsdienste), ferner erhalten sie dort ihre zukünftigen Namen (Art
Initiation)1.
Der Festplatz steht ferner in besonders enger Verbindung mit dem Friedenshäuptling;
dieser hat die Aufsicht über den Platz, es schlafen dort auch die Fremden, die das Dorf
besuchen (wie im Häuptlingshaus bei den Roro und auf Marquesas!), ferner gilt der Platz
als Asyl für Missetäter (wie das Häuptlingshaus auf Marquesas!). In manchen Creek-Sied-
lungen gab es auch gedeckte Festplätze1 2.
Funktionen eines Männerhauses hat endlich auch das runde Versammlungshaus
(Tcokofa), das nach Swanton das älteste Element der Festplatzanlage der Creek-Muskogi
darstellt. Dieses Haus ist gewöhnlich auf einem künstlichen Hügel errichtet, gilt als Ver-
sammlungsort der Alten und Krieger und als Wohnort für alte Leute. Eintritt für Frauen
und Kinder ist verboten3. Von den den Creek verwandten Chickasaw wird berichtet4, daß
die Krieger nach dem Kriegszug in das Rundhaus des Kriegsführers gehen und sich dort
während drei Tagen Reinigungszeremonien unterziehen (ähnlich wie bei den Roro und auf
Marquesas!).
Für unsere Fragen entscheidend ist aber auch die vergleichende Betrachtung der Fest-
platzanlagen als solcher (mit ihren künstlichen Hügeln und Plattformen) bei den Creek-
Muskogi und auf Marquesas. Diese Versammlungs- und Festplätze (marae) bilden ja ein
Hauptmerkmal der polynesischen Kultur.
Auf Marquesas5 befindet sich vor dem Gehöft des Häuptlings und dem dazugehören-
den Kriegerhaus die große Festplatzanlage (taha ko’ina) des Stammes. Sie besteht im wesent-
lichen aus dem gepflasterten, viereckigen Tanzplatz (tohua) und dem sich an einer Seite
daran anschließenden, als „Tempel“ (me’ae) geltenden Festplatz (ahu fenua). Beide Plätze
bilden eine Einheit und sind Eigentum des Häuptlings.
Der Tanzplatz ist von Erd- und Steinplattformen (paepae) umgeben, auf welchen zu den
Festzeiten temporäre Gebäude, die nachher zerstört werden, errichtet werden und zwar eines
für den Hohenpriester (tau’a) und die anderen für verschiedene Zeremonialbeamte. Aber
auch die Plattformen selbst bzw. Teile von ihnen können als Sitze für die öffentlichen Funk-
tionäre und Persönlichkeiten — Häuptlinge, deren Söhne, Krieger, alte Männer — und für
das Volk dienen oder auf den Plattformen erheben sich Bambuslauben (sheds of bamboo;
vgl. die Lauben an den vier Seiten des Festplatzes bei den Creek-Muskogi!), die gegen den
Platz zu offen sind und worin die Häuptlinge und Krieger sitzen.
Auch der „Tempel“6 besteht aus mehreren Plattformen aus Erde, die mit Steinen
verkleidet sind, auf denen sich ebenfalls Häuser für verschiedene Zwecke (Haus für Zeremo-
nialbeamte, für den toten Häuptling oder Priester u. a.) erheben. Am wichtigsten ist aber im
Tempelbereich das Haus des Hohenpriesters (fa’e tukau), das ein hohes Spitzdach trägt, auf
welchem eine Vogelfigur nebst anderen Emblemen angebracht ist. Zur Tempelanlage gehört
auch ein Opferplatz (auch me’ae genannt) für die Menschenopfer, ebenso werden auf diesen
Plätzen Kriegsgefangene der Feuermarter (wobei sie auf vier Pfähle gebunden werden)
unterzogen. Die me’ae sind stets tabu, besonders aber zu Festzeiten und den Frauen gegen-
über.
Wenn wir nun diesen heiligen Plätzen der Marquesaner die Zeremonialplatzanlagen der
Creek-Muskogi gegenüberstellen, so sehen wir deutlich, daß es sich hier wie dort im
Prinzip um dieselbe Sache handelt. Daß lokale Unterschiede vorliegen, ist ja zu erwarten.
1 Swanton, a. a. 0., S. 187, 563, 573, 578, 583, 592!.
2 Swanton, a. a. 0., S. 182, 187, 545.
3 Swanton, a. a. O., S. 175 ff-, 182.
4 Swanton, Social and Religious Reliefs and Usages of
the Chickasaw Indians. 44. Annual Rep., Bur. Americ.
Ethnol., 1911, S. 235!.
5 Handy, C., The Native Culture in the Marquesas . ..
S. 43, 46, 64, 155ff-, 138, 139. 205!!., 215, 231.
6 Neben dem me’ae als „Tempel“ gibt es auch ein me’ae
als Grabdenkmal (ahu ikoa kenana), das sich aber an
entlegenen Plätzen befindet.
14
JOSEF HAECKEL
In der alten Zeit bestand die Festplatzanlage der Creek aus folgenden Elementen:1
I. Aus einem runden, künstlichen Erdhügel, auf dessen Plattform das schon vorher er-
wähnte runde Versammlungshaus (tcokofa) steht. 2. Aus einem viereckigen Hügel, auf
dessen Plattform sich der Festplatz im eigentlichen Sinne befindet, umgeben von den vier,
gegen den Platz zu offenen Häusern oder Lauben für den Häuptling, die Beamten, die jungen
Männer und die Krieger. Zu beachten ist die ganz spezifische Sitzordnung der Funktionäre
entsprechend ihrem Kriegsrang. 3. Zwischen diesen beiden künstlichen Erdplattformen
(„Mounds“) erstreckt sich ein großer rechteckiger Platz, der von Erdterrassen (tadjo)
umsäumt ist und auf dem sich eine Stange für das sog. Chunkey- Spiel (das dem Tika- oder
Sika-Spiel Ozeaniens entspricht — Schleudern eines Stabes über eine glatte Fläche) und zwei
Pfosten für das Opfern von Kriegsgefangenen befinden. Wie auf Marquesas so werden auch
hier Kriegsgefangene auf einem Pfahl (bzw. auf einem Gerüst von vier Pfählen) der Feuer-
marter unterworfen.
In späterer Zeit errichteten die Creek keine künstlichen Erdplattformen mehr, auch die
Anordnung in der Festplatzanlage wurde etwas geändert, doch blieben die drei Einheiten —
viereckiger Festplatz, Rundhaus und Chunkey-Spielplatz — bestehen.
Die Annahme, daß die ozeanisch-nordamerikanischen Festplatzanlagen und die damit
in besonderer Weise in Verbindung stehenden Häuser als Derivate eines früheren Männer-
hauses mit großer Wahrscheinlichkeit miteinander in einen Zusammenhang zu bringen sind,
zieht natürlich eine Reihe interessanter Fragen nach sich.
Was die merkwürdige Tendenz betrifft, ein Männerhaus in verschiedene Häuser mit
Sonderfunktionen aufzuspalten, so könnte man, wenn man dieses Phänomen in Süd-Neu-
guinea, auf Marquesas oder bei den Muskogi in Nordamerika für sich allein betrachten
würde, ohne die drei Fälle und andere Erscheinungen miteinander zu vergleichen, leicht
auf den Gedanken kommen, die erwähnte Aufspaltung des Männerhauses sei eine lokale Ent-
wicklung und lokale Differenzierung. Nach den bisherigen Darlegungen erscheint es aber
wohl viel wahrscheinlicher, anzunehmen, daß dies an den drei Stellen nicht vollkommen
unabhängig erfolgt ist, sondern hier wie dort auf dieselben, einheitlich wirkenden
Faktoren zurückgeht. Diese sind teilweise wohl in der Institution des Männerhauses selbst
gelegen, (Tendenz, unter bestimmten Umständen im Anschluß an das Männerhaus ähnlich
geartete Zweckbauten zu errichten) im besonderen aber auch in der Tendenz einer
Kultur, die Funktionen des sozialpolitischen Lebens zu differenzieren und
auszubauen. Dies zeigt sich in einem ausgebildeten Häuptlings- und Beamtentum, wie wir
es tatsächlich in allen drei Gebieten, vor allem aber auf Marquesas (wie im übrigen Poly-
nesien) und bei den Muskogi antreffen1 2. Es handelt sich jedenfalls um eine Kultur, die —
wenigstens in einigen ihrer Komponenten — zu den Frühformen der Hochkulturen
gehört oder von Hochkulturen beeinflußt wurde. Es spielt hier das sakrale Häuptlingstum
und ein Krieg-Frieden-Dualismus eine besondere Rolle. Daß in Polynesien (wie in anderen
1 Swanton, Social Organization .... of the Creek
Confederacy, S. 175 f., i88f., 417L—Ähnliche Anlagen
hatten auch die mit den Creek in mancher Beziehung-
verwandten Natchez am unteren Mississippi, die sich
durch ihr Sonnenkönigtum auszeichnen. Swanton,
Indian Tribes of the Lower Mississippi Valley. 43. Bull.,
Bur. Americ. Ethnol.
2 Roro-Melanesier: Ober- oder Zivilhäuptling, Unter-
häuptling, Kriegsführer, Kriegszauberer (Seligman,
a. a. O.).
Marquesas; Häuptling oder Friedensfürst (haka-
iki), Feuerhüter (tahu ahi), Kriegsführer (toa), Hoher-
priester (tau’a), Zeremonienmeister (tuhuna o’ona).
(Handy, a. a. 0.).
Creek-Muskogi: Zivil- und Friedenshäuptling
(miko), oberster Kriegsführer (tastanagi thalako oder
hobayi miko) mit seinem Stab von niederen Kriegs-
beamten und dem Kriegszauberer, Zivil- und Zere-
monialbeamte (heniha, isti atcagagi, „Geehrte, heilige
Männer“ u. a.). (Swanton, Social Organization of the
Creek.).
Natchez: König („Sonne“), Mutter des Königs,
oberster Feuerhüter, zwei Kriegshäuptlinge, Zere-
monialmeister usw. (Swanton, Indian Tribes of the
Lower Mississippi).
MÄNNERHÄUSER UND FESTPLATZANLAGEN IN OZEANIEN
•5
Teilen Ozeaniens) in sozialer und religiöser Hinsicht Hochkulturzüge aus Asien Eingang
gefunden haben oder daß die Vorfahren der Polynesier selbst als Träger solcher Züge an-
gesprochen werden können, ist eine heute klar gegebene Erkenntnis.
Von der oben erwähnten Steigerung und Differenzierung der sozialen und politischen
Funktionen wurde nun auch eine Männerhaus-Institution betroffen; es genügte nicht mehr
ein einzelnes Männer- und Versammlungshaus, sondern es wurden in Anlehnung an dieses
neue Lokale geschaffen, um den erhöhten politischen, sozialen und sakralen Aufgaben Genüge
zu tun. Der Konnex mit dem alten Männerhaus wurde aber, wie wir gesehen haben, nicht
ganz aufgegeben. Es taucht nun die Frage auf, ob die so tendierte Kultur bei ihrer Ent-
stehung und Ausgestaltung ein Männerhaus schon besaß und es dann in entsprechender Weise
aufspaltete, oder ob sie die Männerhaus-Institution von einer anderen Kultur übernahm
und dann umgestaltete. Es muß dazu bemerkt werden, daß nach den bisherigen Erkennt-
nissen wenigstens in Neuguinea und im östlichen Nordamerika schon vor dem Ankommen
der in Rede stehenden höheren Kulturwelle das Männerhaus in irgendeiner Form vorhanden
war. Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß Neuguinea eines der Gebiete
mit den typischesten Männerhäusern ist; die Nachbarn der Roro in Süd-Neuguinea haben
alle das echte Männerhaus. Was das östliche Nordamerika betrifft, so finden sich dort bei
verschiedenen Indianerstämmen, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe1, deutliche An-
zeichen für die organisierte Männerschaft und das Männerhaus, vielfach in Verbindung mit
der Kreissiedlung, (Yuchi, Sioux, aber auch bei den Muskogi), wobei aber diese Formen als
älter als die Festplatzanlagen mit ihren verschiedenen Häusern anzusehen sind^
Im östlichen Nordamerika wurde also anscheinend eine ältere Kulturschicht mit einem
Männerhaus von einer jüngeren, welche die Derivate mit den Festplatzanlagen führte, über-
lagert. Es spricht also vieles dafür, daß die in Frage stehende ozeanische Kulturwelle mit
Hochkulturzügen, die auch unzweifelhaft nach Amerika kam, das in mehrere Gebäude auf-
gespaltene Männerhaus schon besaß. Es ist aber im einzelnen schwer festzustellen, welche
Züge der älteren Männerhausform und welche der jüngeren zuzuschreiben sind, wenn wir
von den ausgesprochenen Hochkulturmerkmalen dabei absehen.
Für den Bereich der Südsee ist es sehr wahrscheinlich, daß die Kultur mit den Fest-
plätzen und den Männerhaus-Derivaten von den Vorfahren der heutigen Polynesier, also
von austronesischen Völkern getragen wurde. Nach Prof. Heine-Geldern sind nun die
Austronesier (wenigstens zum großen Teil), die sich von Südostasien aus nach Ozeanien
verbreiteten, als die Träger der sogenannten Megalith-Kulturen Hinterindiens und der
Südsee anzusprechen1 2. Die „megalithischen“ Versammlungsplätze Polynesiens, die z.B. mit
denen der hinterindischen Stämme (z. B. Angami-Naga) auffallend übereinstimmen, sind
nichts anderes als die eben besprochenen Festplatzanlagen. Es fragt sich nun, inwieweit an
der Ausbildung der „megalithischen“ Versammlungsplatzanlage Südostasiens (und anders-
wo) überhaupt eine Männerhaus-Institution mit beteiligt war. Die oben erwähnte Kulturwelle
mit Hochkulturzügen kann also mit den Megalith-Kulturen Heine-Gelderns oder wenigstens
mit einer von ihnen in Verbindung gebracht werden. Sie wirkte auf die melanesisch-
(austronesisch) sprechenden Roro in Süd-Neuguinea (wie auf andere Stämme des Südostens
von Neuguinea) in bestimmter Weise ein und verursachte (wenigstens teilweise) die Auf-
spaltung des Männerhauses bei den Roro.
Was das östliche Nordamerika betrifft, so sei noch einmal auf die prähistorischen
„Mound“-Kulturen hingewiesen. Die für große Teile des östlichen Nordamerika typi-
schen künstlichen Erdwerke (Plattformen, Grabbauten, Umwallungen etc,; vgl. dazu die
1 Zweiklassensystem, Männerhaus und Totemismus in derungen der Austronesier. Anthropos, 1932, S. 594;
Südamerika. ders., Die Megalithen Südostasiens, Anthropos, 1928.
2 Heine-Geldern, R., Urheimat und früheste Wan-
JOSEF HAECKEL
I 6
Grab-Mounds auf Marquesas) wurden von den Vorfahren der in diesem Gebiet angetroffenen
Indianerstämme, vor allem von den Vorfahren der Muskogi-Stämme größtenteils vor An-
kunft der Europäer erbaut, und diese (prähistorischen) Völker standen ihrerseits wieder mit
Mexiko in Verbindung. Nach den Übereinstimmungen mit der Südsee, vor allem mit Mar-
quesas zu schließen, sehe ich gegenwärtig kaum eine andere Möglichkeit als die, daß eine Welle
austronesischer Völker, die Träger einer bestimmten ,,Megalith“-Kultur, über den Stillen
Ozean nach Mexiko-Mittelamerika kam und weiterhin nach Nordamerika wirkte. Bei den
mit Mexiko in Verbindung stehenden Muskogi im Osten von Nordamerika, die ja auch teil-
weise als die Abkömmlinge der alten Mound-Builders anzusehen sind, hat sich also diese
Kultur in abgewandelter Form, jedenfalls aber in vielen ihren charakteristischen Merkmalen
erhalten. Diese Hypothese habe ich schon anderer Stelle ausgesprochen1, sie erfährt durch
die Betrachtung der Festplatzanlagen in diesem Rahmen wohl jedenfalls eine Bestärkung.
Zur weiteren Klärung müßten aber jetzt noch die Tempelplatzanlagen und die Junggesellen-
häuser der alten Mexikaner vergleichend betrachtet werden, was aber in dieser Arbeit nicht
möglich ist.
Um die aus der Südsee nach Amerika gelangendeKulturwelle besser zu charakterisieren,
sollen im folgenden noch einige weitere auffallende Übereinstimmungen zwischen
Marquesas und den Muskogi einander gegenübergestellt werden.
' Marquesas
T empel2
Die Festplätze werden zu Tempel (me’ae),
die auch teilweise wirkliche Häuser waren.
Stehen in enger Verbindung mit den ver-
storbenen Häuptlingen und Priestern, die
dort aufgebahrt und unter Erdplattformen
bestattet werden. Dort finden sich auch
Schädelschreine.
In den Tempeln Holz- und Steinfiguren
(tiki), repräsentieren vergötterte Stammes-
ahnherren.
Auf dem Dach des Hauses des Hohen-
priesters die Figur eines roten Vogels neben
anderen priesterlichen Emblemen. Bei Be-
stattung eines Priesters wird der dritte der
Himmelsgötter in einer Vogelfigur darge-
stellt; diese gilt als Verkörperung des Gottes,
der den Geist des toten Priesters in den
Himmel geleitet.
Südöstliches Nordamerika
(Muskogi und Verwandte)
Bei den Natchez steht der Tempel (aus
Holz, mit Rohrmatten bedeckt) auf einem
künstlichen Erdhügel (gegenüber dem Häupt-
lingshaus). Er enthält das heilige Feuer,
eine Steinfigur, die den Ahnherrn der Adels-
schichte (der „Sonnen“) darstellt, die
Knochen und Schädel des verstorbenen
„Königs“ (der „Sonne“) und daneben noch
weitere Steinfiguren.
Auf dem Dach des Tempels der Natchez
und verschiedener benachbarter Choktaw
(Muskogi)-Stämme rote Vogelfiguren. Be-
achte die enge Verbindung all dieser Ge-
bäude mit den verstorbenen Häuptlingen,
deren Knochen sich ja dort befinden.
Gehöftanlagen3
Jede Familie besitzt mehrere Häuser, die
zusammen eine Art Gehöft bilden: i. Das
große Wohn- und Schlafhaus auf einer
Steinplattform, 2. Das Kochhaus. 3. Das
1 Vgl. Haeckel, Totemismus und Zweiklassen System bei
den Sioux, Anthropos, XXXII, S. 837f.
2 Handy, a. a. O., S. 115, 119, 232!., 236. Swanton,
Indian Tribes of the lower Mississippi Valley, S. 138 ff.,
275, 282, 288, 365. — Es bestellt die Frage, ob viele
Bei den Creek-Muskogi hat jede Familie
vier Gebäude, die einen viereckigen Platz
umschließen: 1. Das Sommerwohnhaus
(viereckig). 2. Das Koch- oder Winterwohn-
Tempel nicht Weiterentwicklungen aus Männer-
häusern darstellen!
3 Handy, a. a. 0., S. 43, 61. — Swanton, Social Organiza-
tion ... of .. the Creek Confederacy, S. 172ff.
MÄNNERHÄUSER UND FESTPLATZANLAGEN IN OZEANIEN
17
heilige (Tabu-)Haus der Männer auf Pfählen,
Zusammenkunftsort der Männer, gleichzeitig
Vorratshaus. 4. In der Nähe ein besonderer
Platz für Familienfeste. — Das Gehöft des
Häuptlings ist diesem ähnlich, nur größer.
Drei als heilige Zahl1
Drei Arten von Göttern,
Drei Hauptgötter des Himmels,
Drei Zeremonialrufe des Priesters zur Ehre
dieser Götter bei Menschenopfern,
Drei Bündel von Hölzern werden bei Be-
gräbnis von Priestern auf dem me’ae er-
richtet.
Der dritte Himmelsgott gilt als Bote in
Vogelgestalt und wird als Vogelfigur darge-
stellt.
Drei tiki-Figuren in den Tempeln.
Knotenschnüre1 2
Als Gedächtnisstütze beim Rezitieren der
Genealogien.
haus (,,hot house“, rund). 3. Das Vorrats-
und Versammlungshaus, zweistöckig (also
wohl Pfahlbau). 4. Das Haus für Waren
(Felle etc.). Daneben Maisspeicher.
Bei den Natchez
Drei Adelsschichten („Sonnen“, „Noble“
und „Geehrte“).
Drei Rangsklassen der Krieger.
Drei Hölzer für das heilige Feuer.
Mit drei Ho-Rufen wird der König be-
grüßt.
Drei Tage Trauerzeit für den Verstor-
benen.
Drei Tänze bei den Bestattungsfeierlich-
keiten.
Drei Rufe als Begrüßung für den Tempel.
Drei Vogelfiguren auf dem Dach des
Tempels (!)
Drei Hölzer werden bei den Acolapissa
(Choktaw) am Ende der Trauerzeit pyra-
midenförmig in den Boden gesteckt.
Jedenfalls ist im Bereiche der Muskogi-
Stämme, besonders aber bei den Natchez
und den von ihnen beeinflußten Stämmen
die Drei-Zahl (und die davon abgeleiteten
Sechs-Zahl) sehr charakteristisch, was um
so auffallender ist, da in der Nachbarschaft
und bei den meisten ncrdamerikanischen
Stämmen sonst die Vier-Zahl, im beschränk-
ten Maße auch die Sieben-Zahl und Fünf-
Zahl typisch ist.
Die Creek-Muskogi verwenden Knoten-
schnüre zum Zählen von Tagen, Monaten
und Jahren und zum Festhalten von Er-
eignissen.
Endlich sei noch auf das Vorkommen eines Zweiklassensystems3 auf den Marquesas-
Inseln Hiva Oa und Nuku Hiva hingewiesen. Erstere zerfällt in die einander stark befehden-
den, intertribalen Gruppen Nuku (Westen, älterer Bruder) und Pepane (Osten, jüngerer
Bruder), letztere in die gleichgearteten Gruppen Tei’i (Westen, älterer Bruder) und Taipi
nui a’aku (Osten, jüngerer Bruder). Dazu wäre zu vergleichen die Zweiteilung des Männer-
1 Handy, a. a. O., S. 233, 238. — Swanton, Indian 2 Handy, a. a. 0., S. 342. — Swanton, Social Organization
Tribes of the Lower Mississippi-Valley, S. 105 ff., of the Creek Confederacy, S. 455•
269, usw. — Bushneil, The Choktaw of Bayou Lacomb. 3 Handy, a. a. O., S. 25.
48. Bull. Bur. Americ. Ethnol., S. 27 usw.
3 Baeßler-Archiv
18
JOSEF HAECKEL
hauses bei den Roro und benachbarten Stämmen im südöstlichen Neuguinea und die ein-
ander feindlichen intertribalen Zweiklassen — Westen und Osten — bei dem Papua-Stamm
der Koita in der Nachbarschaft der erwähnten Stämme1.
Bei den Creek-Muskogi2 zerfällt nicht nur die Siedlung und der Zeremonialplatz in
die beiden Klassen „Frieden“ (Weiß) und „Krieg“ (Rot), es werden auch, ähnlich wie bei
dem intertribalen, über den engen Stammesbereich erweiterten Zweiklassen auf Marquesas
und im südlichen Neuguinea, die größeren Volkseinheiten oder Siedlungsgruppen in die
Dualität „Weiße Städte“ und „Rote Städte“ geteilt. Zwischen ihnen wurden kaum Heira-
ten geschlossen, wie es auch mit den Zweiklassen auf Marquesas und bei den (den Roro
benachbarten) Koita der Fall ist (Endogamie!).
Diese verschiedenen Parallelen zwischen ozeanischen und nordamerikanischen Kulturen,
die noch vermehrt werden könnten, tun wohl zur Genüge dar, daß mit der Kulturwelle, die
die Festplatzanlagen, in denen die Männerhaus-Institution in bestimmter Weise eingebaut
wurde, aus der Südsee nach Mittelamerika brachte und die im Golfgebiet des östlichen Nord-
amerika sich in besonderer Weise erhalten hatte, auch noch andere bedeutsame Kultur-
elemente Hand in Hand gingen. Um es nochmals zu wiederholen, es müßten nun die Tempel-
pyramiden und Sakralbauten wie die Männerhaus-Institution der mexikanisch-mittel-
amerikanischen Hochkulturen der Naua, Tzapoteken, Tarasken, Totonaken, Maya u. a.
und die verschiedenen „Mounds“ im Osten der USA in Hinblick auf die behandelten Über-
einstimmungen zwischen Nordamerika und der Südsee eingehender untersucht und in
Vergleich mit den polynesischen Tempel- und Festplatzanlagen und den ozeanischen
Männerhäusern gestellt werden.
1 Seligman, The Melanesians of British New Guinea. 2 Swanton, a. a. O., S. 156h, 248ff.
SOGENANNTE „CHAVIN“-GEFÄSSE IM BERLINER
MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE.
VON H. D. DISSELHOFF.
Die kleine peruanische Ortschaft Chavin de Huantar, berühmt durch ihre Tempelruine
und die nach ihrem Finder Raimondi benannte Reliefplatte, liegt östlich der Weißen Cor-
dillere, in einer Schlucht, in der zwei kleine Nebenflüsse des Oberen Marañon Zusammen-
treffen, ungefähr 40 km östlich des durch die Berliner Keramik-Sammlung bekannt ge-
wordenen Fleckens Recuay (Ob. Santa-Tal). Bekanntlich wurde der Stil der erwähnten
Reliefplatte von Max Uhle und Th. A. Joyce in Beziehung gebracht zu dem Stil der Gefäß-
malerei des frühen Nazca, von anderen wie Means und Walther Lehmann als Weiterent-
wicklung des Stiles des Sonnentores von Tihuanaco gedeutet1.
1919 fand der peruanische Archäologe Julio Tello in der mehrstöckigen Tempelruine von
Chavin de Huantar und ihrer Umgebung eine Reihe von anderen Steinskulpturen, deren Stil
fraglos in beschränktem Maße mit dem des Raimondi-Monolithes verwandt ist. Doch hat
man mit Recht versucht, zwischen dem nazca-verwandten Stil der „Piedra Raimondi“, den
man „Chavin N“ nannte und einem vermutlich älteren Stil „Chavin M“ mit oberflächlichen
Mayastil-Ähnlichkeiten eine Unterscheidung zu machen1 2.
Ohne Rücksicht auf diese Teilung hat Tello den Namen Chavin auch auf den Stil einer
kleinen Gruppe gewisser Gefäße ausgedehnt, die von der nordperuanischen Küste stammen.
Der Stil ihrer Dekoration in Ritzzeichnung und Flachrelief steht Chavin M näher. Von Tello
wird diese Keramik, die nur vereinzelt an der nordperuanischen Küste auftritt, folgender-
maßen charakterisiert; „el color predominante es el negro azabache; la arcilla es fina, bien
cocida y pulida. La forma común es la globular o esférica con gollete tubular recto o arque-
ado, grueso, previsto de un labio saliente. La ornamentación es a base del felino o del cóndor
y como en las piedras de Chavin, los dibujos están grabados o incididos, o en plano y alto
relieve. El fondo de la ornamentación aparece estriado, punteado o reticulado.“3 — Leider
hat keines der von Tello publizierten Stücke eine genaue Herkunftsangabe. Alle befanden
sich unter—wie alle älteren Sammlungen peruanischer Altertümer, außer Max Uhles —aus
Raubgrabungen herrührenden Sammlungen von „Mochica“-Keramik4. Nach unseren
1 Uhle, M. : Los principios de la civilización en la Sierra
Peruana. Boletín de la Academia Nacional de Historia.
Bd. I. Quito 1920. — Means, Ph. A.; Aspectos estético-
cronológicos de las civilizaciones andinas, ibidem, Bd. 1.
Quito 1920. — Joyce, Th. A.: SouthAmerican Archaeo-
logy. London 1912. — Lehmann, W, und Doering, H.:
Kunstgeschichte des Alten Peru, Berlin 1924.
2 Kroeber,- A. L.: Archaeological explorations in Peru.
Part I. Ancient pottery from Trujillo. Chicago 1926.
S. 37. — Derselbe: Coast and Highland in Prehistoric
Peru. American Anthropologist. Bd. 29. Menasha 1927.
S. 641. Anm. 33. — Vgl. auch Uhles Dreiteilung in
1. c. S. 46.
3 Tello, J.: Antiguo Perú. Primera Epoca. Lima 1929.
S. 112f. — Derselbe: Introducción a la historia antigua
del Perú. Lima 1921. S. 27 u. Taf. 8—12.
4 Uhles „Proto-Chimu“; Kroebers ,,Early Chimu“;
Tellos „Muchik“. — Gelegentlich einer Besprechung im
Museum Chiclin bei Trujillo (Peru) Anfg. 1938 zwischen
Dr. W. C. Bennett, Dr. H. Ubbelohde-Doering, Don
Rafael Larco Hoyle u. d. Verf. wurde aus verschiedenen
Gründen die Anwendung des Namens „Mochica“ für
gut befunden, die ich hier versuchweise beibehalte.
20
H. D. DISSELHOFF
jetzigen Kenntnissen ist das Vorkommen dieser sogenannten ,,Chavin“-Gefäße ein sehr
beschränktes. Aus Chavin de Huantar selbst oder seiner Umgebung ist bis heute keine
typische Keramik bekannt geworden, die sich mit den einzigartigen Steinreliefs jenes Ortes
zusammenstellen ließe. Die ,,Chavinu-Keramik der Küste ist selten. Kroeber erklärt, kein
einziges vollständiges Stück aus den Sammlungen der Vereinigten Staaten zu kennen1.
Außer den von Tello veröffentlichten Exemplaren der Limaer Museen, habe ich in Peru
selbst ,,Chavinu-Gefäße nur in der sicherlich größten Sammlung von Mochica-Keramik, im
Privatmuseum der Familie Larco auf der Hacienda Chiclin im Chicama-Tal, zu Gesicht
bekommen. Diese stammen wohl alle aus dem Chicama-Tal. Aber überraschenderweise fand
ich auch in Cuenca (Ecuador), in der Sammlung des Padre Miguel Durän, ein besonders
schönes braunes ,,Chavin“-Gefäß mit typischem wuchtigen Bügel und typischer Dekoration
in Ritztechnik; nach der sicheren Angabe des liebenswürdigen Besitzers stammt es aus der
Provinz Azuay (Abb. i). Für eine nördlichere Verbreitung der ,,Chavinct-Keramik als die
Abb. i.
Abb. 2.
der Mochica-Ware spricht auch Tellos Nachricht von schwarzen „Chavin“-Gefäßen aus
einem 3 m tiefen Grab bei Chongoyape (Bezirk Lambayeque)2. Mit ihnen zusammen fanden
sich Goldschmiedearbeiten, die im gleichen Stil dekoriert waren. Die Fundumstände sämt-
licher anderer ,,Chavin“-Gefäße — außer derjenigen der Uhleschen Bruchstücke (vgl.
Anm. 10) — sind leider nicht bekannt.
Das Gleiche gilt leider auch für die kleine Anzahl von „Chavin“-Gefäßen, die sich im
Berliner Museum für Völkerkunde befinden. Sie gehören zu verschiedenen älteren Samm-
lungen aus Trujillo und Umgebung. Es handelt sich um folgende Stücke: Abb. 2, Kat.-Nr. V
A 17703, Slg. Baeßler, Herkunftsangabe Trujillo, mag als das typischste „Chavin“-Gefäß
dieser Reihe angesehen werden, wenn man Tellos Charakterisierung zur Grundlage nehmen
will. Von den von Tello (s. oben) geforderten Zügen weist es auf: 1. Farbe und Beschaffenheit
des Tones. 2. Der Bügelausguß ist auffällig wuchtig und mit der typischen Lippe versehen, die
hier allerdings stark abgestoßen ist. 3. DieDekoration in Relief stellt einen stark stilisierten
1 Kroeber 1. c. 1926. S. 36. vgl. Lothrop, S. K.: Zacualpa. A Study of ancient
2 Tello 1. c. 1929. S. 155. — Über gelegentliches nörd- Quiche artefacts. Washington 1936. S. 61 ff.
lieh eres Vorkommen von Goldarbeiten dieses Stiles
SOGENANNTE „CHAVIN“-GEFÄSSE IM BERLINER MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE 2 ,
geöffneten Raubtierrachen dar, der sich an der entgegengesetzten Seite noch einmal genau
wiederholt. 4. Der Untergrund der Dekoration ist mit ganz feinen Riefelungen und Ein-
stichen versehen1, — Der deutlich abgesetzte niedrige Ringfuß ist allerdings bei keinem der
von Tello veröffentlichten Stücke vorhanden.
Das zweite „Chavin“-Gefäß des Berliner Museums, V A 2322, Slg. Sokolowski, hat die
sehr allgemeine Herkunftsangabe „Peru“ (Abb. 3). Doch stammt es sicher auch aus dem
Umkreis des Chicama-Tales. Das „chavinhafteste“ Charakteristikum an diesem Stück —
wenn man diesen Superlativ gebrauchen darf — ist der Stil der auf das fertig gebrannte
Gefäß eingeritzten Dekoration, die ebenfalls einen Tierkopf darzustellen scheint. Der Aus-
guß-Bügel ist in seiner Schlankheit mehr denen der eigentlichen Mochica-Gefäße angenähert
als der des ersten Gefäßes. Doch bauscht sich dieÖffnung stark nach außen, eine Erscheinung,
die bei Mochica-Gefäßen nicht allzu häufig vorkommt. Der Ton ist bleifarben, an der Ober-
fläche gut poliert und gut gebrannt. Das Gefäß ist für seine Größe auffällig leicht2.
Abb. 3. Abb. 4.
Im Stil der Zeichnung ähnlich ist die Dekoration von VA 17653, Slg. Baeßler, Her-
kunfts-Bezeichnung Trujillo (Abb. 4). Das Stück wird von Baeßler in seiner „Altperuani-
schen Kunst“ (Bd. II, Tafel 70, Fig. 258) folgendermaßen beschrieben: „Brauner Krug von
glockenähnlicher Form. Ein breites, aus geschwungener, weißgemalter Verzierung bestehen-
des und von zwei eingeritzten Linien begrenztes Band teilt den Huaco in zwei gleiche Teile,
von denen jeder dieselbe Zeichnung trägt. Sie ist in breiten Linien eingraviert und wird durch
weiße, in diese eingefügte Farbe hervorgehoben. In der Mitte des Bildes befindet sich eine
gefleckte Schlange, außer der noch deutlich zwei Vogelköpfe, der eine mit großen, der andere
ohne Ohren, und die Federn der Vögel zu erkennen sind.“ — Mir ist nicht sicher, warum es
sich auch bei dem mit Ohren versehenen Tierkopf (rechts unten, auf dem Kopf stehend) um
einen Vogelkopf handeln soll. Außer diesem sehe ich noch links unten unterhalb des ohren-
losen Vogelkopfes ein rudimentäres menschliches Gesicht, auf der Seite liegend. Es ist mög-
lich, daß mit den Zacken links Vogelfedern gemeint sind. Die Vielfältigkeit und schwer
deutbare Verworrenheit der Zeichnung ist jedenfalls dem Mochica-Stil mit seiner klaren
1 Vgl. Teiles Abb. 1. c. 1929. S. 101 u. 103. Los Mochicas. Bd. I. Lima 1938.
2 Vgl. das Gefäß auf S. 31. Fig. 17 bei Larco Hoyle, R.:
22
H. D. DISSELHOFF
Realistik durchaus fremd, auch in der Technik, Der Bügel ist zierlicher als der vorher
beschriebene. Man kann ihn wohl als typischen Mochica-Bügel bezeichnen. —
Als viertes und fünftes möchte ich zwei Gefäße hier einfügen, die ebenfalls deutlich aus
der Masse der Mochica-Gefäße herausfallen, ohne daß sie im „Chavin“- Stil dekoriert sind. Bei
VA 4605, Slg. Macedo, Trujillo, (Abb. 5) drängt sich als erstes
der Eindruck des wuchtigen Aus-
gusses auf, dessen Öffnung vor-
schriftsmäßig mit einer klar abge-
setzten Lippe versehen ist. Der ge-
glättete, gut gebrannte Ton ist
tiefschwarz. Die obere Gefäßhälfte
ist mitsamt dem Bügel durch
eigenartige Riefelung mit niedri-
gen Vorsprüngen dekoriert1. Die
komplizierte Form des Gefäß-
rumpfes ist für keinen peruani-
schen Stil besonders typisch. Er
erinnert in seinem oberen Teil an
eine Kegeldachhütte, und viel-
leicht ist tatsächlich die Nachbil-
dung eines Rundbaues damit ge-
meint.
Abb. 5. Das folgende Stück (Abb. 6) Abb. 6.
VA 32544, Slg. Zembsch, Trujillo,
ist zierlicher und leichter. Der plastisch dekorierte Bügel, der mir von Peru sonst unbe-
kannte dornenähnliche Besatz der einen Gefäßhälfte und die eckige Reliefleiste des blei-
farbenen Gefäßes reiht es ohne weiteres in die Kategorie der Tello’schen „Chavin“-Gefäße ein.
Als letztes schließlich möchte ich noch ein figürlich gestaltetes Gefäß hier einfügen:
V A 32574, Slg. Zembsch, Chimbote (Abb. 7). Es scheint einen Jaguarkopf, oder jedenfalls
den Kopf eines mit den Kennzeichen eines großen Raubtieres ausgestatteten mythischen
Wesens darzustellen. Es gehört hierher wegen seiner mochica-
fremden bildhauerischen Behandlung, Das eckig stilisierte
Maul1 2 mit den riesigen Eckzähnen, die ebenfalls eckigen Augen,
die wuchtigen Deckel darüber. Die Spitze des Ausgusses ist
leider ausgebrochen, sodaß die Behandlung der Ausgußöffnung
hier keinen Anhaltspunkt bieten kann. In keinem Fall wird der
Ausguß so wuchtig gewesen sein wie die der unter 2 und 5
angeführten Stücke. Dieser Huaco ist in zwei Farben bemalt,
die der Mochica-Keramik vertraut sind; braun und gelb.
Gefäß 4 steht wohl den von Uhle in Gräbern von Moche
gefundenen „Chavin“-Bruchstücken am nächsten, die mit
reiner Mochica-Keramik vergesellschaftet waren3. Zum Ver-
gleich sei hier noch die Abbildung 8 eines Gefäßes aus dem
Nationalmuseum in Lima beigefügt, das auf der oberen Hälfte
mit Ritzungen im „Chavin“-Stil dekoriert ist, während sich * Abb. 7.
1 Vgl. Abb. 61 bei Tello 1. c. 1929.
2 Vgl. Abb. auf S. 30 bei Larco Hoyle 1. c.
3 Es handelt sich um 2 Bruchstücke, dekoriert in Ritz-
technik und zweifarbiger Bemalung, abgebildet bei
Kroeber 1. c. 1926, Fig. 3 u. 4, und Kroeber: The Uhle
Pottery Collection from Moche. Univ. of Cal. Publ. in
Am. Arch, and Ethn. Bd. 21. No. 5. Berkeley 1925.
PI. 27 j und 1.
SOGENANNTE „CHAVIN“-GEFÄSSE IM BERLINER MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
23
unten in feiner Bemalung eine Zone mit Darstellungen von Seetieren befindet. Uhles Fund in
Moche sowohl wie das gleichzeitige Vorkommen von „Chavin“-Dekoration und feiner Mochica-
Malerei auf ein und demselben Stück (im Limaer Nationalmuseum existieren mehrere dieser
Art) müssen als Beweis dafür gelten, daß der „Chavin“-
Stil an der nördlichen Küste zeitlich mit dem Mochica-
Stil in Berührung stand.
Können nun die beschriebenen schwarzen Gefäße,
von deren Fundbedingungen nicht das geringste be-
kannt ist, als gleichzeitig angesehen werden mit derfein-
bügeligen zweifarbigen Art des Gefäßes 4 und der Bruch-
stücke der Uhlesammlung aus Moche, die der Mochica-
Keramik stilistisch näherstehen ? Diese Frage kann heute
noch nicht beantwortet werden. Die Farbe allein kann
nicht als Kriterium dienen, eher die Tonbeschaffenheit.
Der Ton der ,,Chavincc-Gefäße unterscheidet sich durch
seine bessere Qualität von dem Großteil der schwarzen
Spätchimu-Keramik. Schwarze Ware ist nach meinen
eigenen Beobachtungen1 im Chicama-Tal im Spätchimu
prozentual lange nicht so stark vertreten, wie es nach
den Museumssammlungen den Anschein haben könnte,
aber immerhin doch beträchtlich häufiger als in der
Mochica-Zeit. Was die einfachen schwarzen „Chavin“-
Gefäße von der Art von Abb. 5 und 6 und einer Reihe
der von Tello abgebildeten Stücke1 2 auf einen beson-
deren Platz stellt, ist neben der Qualität des Tones die
Ausführung von Bügel und Ausguß. Wohl kommen im
Spätchimu, besonders nördlich vom Chicama-Tal, gelegentlich schwerere Bügel und Aus-
güsse von größerem Durchschnitt mit deutlich umgekipptem Rand vor3. Der meist eckige
Durchschnitt dieser Bügel, deren Dekoration mit einem unten angesetzten Äffchen
oder dergleichen, ist jedoch eine typische Chimu-Erscheinung, welche die zur Diskussion
stehenden „Chavin“-Gefäße nie teilen. Dagegen können ihre wuchtigen Bügel oft über und
über dekoriert sein. Der Stil ihrer Bügel verbindet sie also mit der typischen dekorierten
Art und weist ihnen abseits von der eigentlichen Mochica- und Chimu-Ware ihre besondere
Stellung zu.
Kroeber ist wohl derjenige, der am genauesten über die Erscheinung des „Küsten-
Chavin“ nachgedacht hat. Er kommt zu dem Schluß, daß die Frage der Beziehung zwischen
Mochica und Chavin nur durch neue Funde geklärt werden kann, die klare Aufschlüsse über
die Vergesellschaftung sogenannter „Chavin“-Gefäße bringen4. Leider sind die erwähnten
Bruchstücke der Uhle-Sammlung aus Moche bis jetzt die einzigen näher datierten geblieben.
Sie stehen wie gesagt dem Mochica besonders nahe. —
Nun wurde vor einiger Zeit in einem wüstenähnlichen Nebentale des Chicama-Tales,
das von Rafael Larco Hoyle „Cupiznique“ genannt wird, eine Anzahl „chavin“ähnlicher
Scherben gefunden. Diese Tatsache und die Existenz einiger roher Steinsetzungen im Cupiz-
Abb. 8.
1 Gelegentlich der von H. Ubbelohde-Doering geleiteten
Deutschen Archäologischen Südamerika-Expedition
1937/38-
2 Antiguo Peru, Fig. 60—62 u. 64.
3 Kroeber, 1. c. 1925, PI. 68, fig. 1, o, s. PI. 69. fig. f. —
Kroeber nennt wegen seiner vorläufig noch nicht
widerlegten Alleinherrschaft an der nordperuanischen
Küste, nördl. vom Jequetepeque-Tal, den Spätchimu-
auch „Nordchimu“-Stil, vgl. Kroeber, A. L. : Archaeo-
logical explorations in Peru. Part II, The Northern
Coast. Chicago 1930. S. 97 ff.
4 Kroeber 1. c. 1926. S. 36ff.
24
H. D. DISSELHOFF
nique-Tal, wie sie übrigens auch in anderen Nebentälern des Chicama Vorkommen, verleiten
Larco zum Aufbau der Theorie von einer alten „Cupiznique-Kultur“. Er streicht den Namen
Chavin, um den Namen Cupiznique dafür zu setzen, bestreitet damit die Möglichkeit einer
Beeinflussung oder eines Importes von der Sierra her und stellt sich damit in strikten Gegen-
satz zu Tello. Er postuliert die umgekehrte Wegrichtung1. Solange keine stärkeren Argu-
mente ins Feld geführt werden als die Scherben und Steinsetzungen von Cupiznique, deren
Bekanntschaft Dr, Ubbelohde-Doering und der Verfasser gelegentlich der letzten deutschen
Südamerika-Expedition, vollkommen unabhängig von Larco Hoyle, machen konnten1 2,
scheint diese Postulierung ungerechtfertigt.
Wenn Larco Hoyles Ansicht, daß die hier behandelte Keramik in Beziehung zu setzen
sei zu gewissen handgeformten konischen Lehmziegeln, sich bewährte, dann würden sich die
sichersten Aufschlüsse aus Grabungen auf Ruinenplätzen mit solchen konischen Adobes er-
hoffen lassen. Larco Hoyle (1. c. S. 34) führt zum Beweis seiner Ansicht an, daß in einem zer-
brochenen kegelförmigen Lehmziegel aus dem Chicama-Tal ein „Cupiznique“- (alias
Abb. 9.
„Chavin“-) Scherben gefunden wurde, ohne diesen Scherben vorläufig näher zu beschreiben
oder abzubilden. An sich ist das Vorkommen von handgeformten konischen Lehmziegeln,
von dem Max Uhle beim Aufstellen seiner Theorie von der Priorität von Proto-Nazca und
Proto-Lima vor Proto-Chimu (Mochica) noch nicht unterrichtet war, wichtig genug. In Ruinen
desNepeha-Tales(Huaca Bianca undHuaca dePuncuri), in denenTello konische Adobes unter
Schichten von rechteckigen fand, ist meines Wissens kein einziges „Chavin“-Gefäß gefunden
worden. Der Stil der in der Huaca de Punkuri als Wächter auf einer Treppe Vorgefundenen
Monumental-Figur eines Jaguars (Abb. 9) aus ungebranntem Lehm, bemalt mit himmel-
blau, hellgrün und rot, weist unzweideutig nach der Sierra, ebenso wie die 1937 von Tello
im Casma-Tal ausgegrabenen Monolithe3. Doch ist die Frage nach ihrem Alter mit dieser
1 Larco Hoyle 1. c. S. 23 ff.
2 Die „Chavin-“Scherben befinden sich hier, z. T. ver-
gesellschaftet mit Spät-Chimu-Scherben, an der Ober-
fläche. Dieses Wüstental war kaum fest besiedelt; es
muß sich um Wegstationen handeln.
3 Teiles Funde im Nepeha- und Casma-Tal sind trotz
ihrer unabschätzbaren Bedeutung für die peruanische
Archäologie bisher nur in Limaer Tageszeitungen
publiziert worden.
SOGENANNTE „CHAVIN“-GEFÄSSE IM BERLINER MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
25
Feststellung nicht beantwortet. Auch ist ihre Beziehung zu den konischen Adobes nicht
offensichtlich.
Im Chicama-Tal, woher die Mehrzahl der bekannten „Chavin“-Gefäße zu kommen
scheint, sind konische Adobes bisher nur von drei Ruinenplätzen bekannt. Larco Hoyle
erwähnt die ,,Huaca de Pucuche“ (1. c. S. 34). Der Verfasser dieser Zeilen fand konische
Adobes als Decke eines Grabes mit typischen Mochica-Beigaben am Abhang des steinigen
Hügels, auf dem die Huaca de S. Jose errichtet ist, und sah ferner Adobes der gleichen
Form unter rechteckigen in der „Huaca Cruz de Botija“, in der Nähe der Ortschaft Ascope
im Inneren des Chicama-Tales. „Chavin“-Gefäße sind bisher von keiner dieser Stellen be-
kannt geworden.
Dagegen befindet sich am Ausgang des Chicama-Tales ins Gebirge, in der Nähe der
Hacienda Pampas de Jaguey, wo reiche Mochica-Gräber ausgeplündert wurden, eine Fels-
inschrift (Abb. 10). Sie enthält Chavin-Elemente wie
die schräggestellte Doppelacht. Solche Felsbilder
sind selten an der nördlichen Küste.
Teiles unbestreitbares Verdienst ist es, durch
seine Uberbetonung alter Sierra-Einflüsse in der
Archäologie Perus eine größere Aufmerksamkeit auf
die frühen Kulturen der nördlichen Sierra gelenkt
zu haben. Das Bild der peruanischen Archäologie
wird durch Feldforschungen im nahezu unbekann-
ten Inneren, besonders in den oberen Teilen der
Küstentäler, vielleicht auch im Osten der Cordilleren,
manche Änderung erfahren. An der so reichen Küste
sind leider viele der schönsten Forschungsmöglich-
keiten durch das nie reparierbare Zerstörungswerk
von Schatzsuchern und Topfjägern bereits zunichte
gemacht worden. Gleichwohl können systematische
Grabungen gerade auch an der Küste, besonders in
dem gänzlich undurchforschten nördlichen Teil, vom
Jequetepeque-Tal nordwärts bis über Tumbez hin- Abb. 10.
aus, die unerhofftesten Aufschlüsse bringen. Noch
sind die beiden Hauptfragen offen, die Frage der Beziehungen zwischen „Nord-Chimu“
und Chavin, auf die das Vorkommen von „Chavin“ im Lambayeque-Bezirk und in der
ecuatorianischen Provinz Azuay unwillkürlich die Aufmerksamkeit lenkt, und die von
Kroeber durchdachte Frage der Beziehungen des Küsten-„Chavin“ zu Chavin deHuantar1.
1 Durch eine briefliche Mitteilung Don Rafael Larco
Hoyle’s habe ich nach Abfassung des vorliegenden Auf-
satzes erfahren, daß Larco inzwischen ungefähr
40 Gräber mit reiner „Chavin“-Keramik gefunden hat.
Das wäre ein einzigartiger und vielleicht höchst auf-
schlußreicher Fund, dessen Veröffentlichung Larco im
7. Bande seines im Erscheinen begriffenen achtbändi-
gen Werkes „Los Mochicas“ zu geben verspricht. —
Vgl. meine Besprechung der erschienenen beiden ersten
Bände im letzten Heft der Ztschr. f. Ethn. (Larco
Hoyle, Rafael: Los Mochicas. Bd. I u. II, Lima 1938
u. 1939.)
4 Baessler-Archiv.
PROPHETENTUM UND KULTUR WANDEL
IN MELANESIEN
VON GEORG ECKERT
I
Unter den Auswirkungen des Kulturkontaktes sind in Neuguinea drei Tendenzen be-
sonders deutlich: die völlige oder teilweise Zerstörung und Zersetzung der früheren Ver-
hältnisse, die Verdrängung der bodenständigen Kulturgüter durch fremde europäische
Geräte und Anschauungen und schließlich die gelegentliche Herausbildung neuer Kultur-
merkmale durch die Eingeborenen selbst. Verhältnismäßig stark ist diese letzte Reaktion
auf religiösem Gebiet, wo das Auftreten zahlreicher Propheten zur Schaffung neuer, wenn
auch meist nur kurzlebiger Kulte geführt hat.
Diese eigenschöpferische Tätigkeit verdient besonderes Interesse. Sie zeigt, daß auch
die stark konservative Haltung pflanzerisch-tiefkultureller Gemeinschaften bei dem Zu-
sammenstoß mit einer überlegenen Kultur einem spannungsreichen Gärungszustand weichen
kann. Eine solche Krisenzeit, die durch den Zwang zur inneren Auseinandersetzung und
Neuorientierung ausgelöst wird, führt zu einer starken geistigen Auflockerung, die, ebenso
wie in hochkulturellen Verhältnissen, eine wichtige Voraussetzung jeder Weiter- und unter
Umständen Höherentwicklung der Kultur bildet. Mit der Erschütterung des kulturellen
Gleichgewichtes von außen her schwindet die instinktive Abwehr der Gemeinschaft gegen
die Neuerungsbestrebungen einzelner Individuen; unter dem Zwang der veränderten, nicht
mehr verstandenen Lage wächst die Bereitschaft, neuen Führern und Parolen Gefolgschaft
zu leisten, ein Prozeß, der auch sonst in Zeiten des Kulturkontaktes eine Rolle spielt.
Haddon, der einige dieser neuen Kulte beschrieben hat, weist darauf hin, daß man
von ihnen auf die Verbreitung und, man darf hinzufügen, auch auf die Entstehung anderer
religiöser Bewegungen schließen kann1. So sind die zahlreichen religiös-politischen Sekten
Afrikas, die Geistertanzbewegung der Prärieindianer, möglicherweise aber auch schon
Kulte aus vorkolonialer Zeit durch Kontaktsituationen hervorgerufen worden.
Über einige der in Neuguinea entstandenen Bewegungen liegt bereits eingehenderes
Material vor, so über den „Propheten von Milne Bay“ (1893)1 2, den „German Wislin“ von
Saibai (1913/14)3, den Baigonakult (1911/12) in der Nord- und Nordost-Division4, die Kekesi-
Riten von Manau im Gebiet des Gira River (1914)5, den Vailala-Wahn in der Gulf Division
1 A. C. Haddon in: Chinnery und Haddon, Five new
religious cults in British New Guinea. The Hibbert
Journal 1917. S. 456.
2 Abel, Charles W., Savage life in New Guinea. London
(1902); Haddon a. a. O. S. 458ff.; Eckert, G., Pro-
phetentum in Melanesien. Z. f. E. 1937 (1938), S. 136.
3 A. C. Haddon, Reports of the Cambridge anthropolo-
gical expedition to Torres Straits. Bd. 1. Cambridge
1935, S. 46ff.; A. C.Haddon in: Chinnery und Haddon
a. a. O. S. 460ff.
4 A. C. Haddon in: Chinnery und Haddon a. a. 0.
S. 45Ôff. ; F. E. Williams, Orokaiva magic. London 1928.
5 Chinnery in; Chinnery und Haddon a. a. O., S. 452ff.;
F. E. Williams a. a. 0.
PROPHETENTUM UND KULTURWANDEL IN MELANESIEN
27
(1919/20)1, den Tarokult der Orokaiva1 2 und zwei ähnliche Bewegungen in Espiritu Santo
(1923)3 und Buka (1932/35)4.
In den letzten Jahren sind auch in Nordneuguinea und auf anderen melanesischen
Inseln ähnliche Erscheinungen beobachtet worden5. So entstand 1928 eine christliche Er-
weckungsbewegung am Sentanisee (Holländisch-Neuguinea)6, die ihrem ganzen Charakter
und Verlauf nach in diese Reihe gehört. Bis zu dem angegebenen Jahr war die dortige
evangelische Mission fast überall auf Ablehnung gestoßen; eine im Küstendorf Ormoe ge-
gründete Schule mußte 1925 sogar wieder geschlossen werden. 1928 wurde das plötzlich
anders. Eines Abends meldete sich ein Eingeborener namens Pamai auf der Missionsstation
und ,,benahm sich so eigenartig, daß wir glaubten, es mit einem Menschen, der nicht mehr
recht zurechnungsfähig ist, zu tun zu haben. Was er redete, war ein buntes Durcheinander
von Wahrheit und Unsinn, so daß wir ihn unmöglich ernst nehmen konnten“. Nach einer
Woche kam er wieder und war bedeutend ruhiger und verständiger. ,,Er erzählte unter
anderem, daß er krank gewesen und „gestorben“ sei. Da sei ihm der Herr Jesus erschienen
und habe ihm gesagt, daß er noch nicht in den Himmel kommen könne, er müsse erst das
Evangelium an andere Menschen bringen.“ Einige Wochen darauf erschien er mit den Ab-
gesandten verschiedener Sentanidörfer (aus einem Gebiet von 6—7000 Einwohnern), die
er inzwischen für seine Bewegung gewonnen hatte. Sie baten um Lehrer und bezeugten,
„daß sie mit Hilfe von Pamai ihre alten Satansdinge alle weggeworfen hätten“ und „daß
sie selbst von der Schlechtigkeit und Lüge ihrer alten Sitten überzeugt seien“. Tatsächlich
war Pamai inzwischen von Dorf zu Dorf gezogen, hatte die Bewohner versammelt, alle
Tanz- und Geheimbundmasken öffentlich gezeigt und sie dann mit anderen Zaubergeräten
zerschlagen lassen. Darauf pflegte er ein Gebet zu sprechen, „jeder bekam einen Schluck
Wasser zu trinken und . . . mußte sich im Wasser baden“. Im Juni desselben Jahres be-
reisten zwei Missionare die Sentanidörfer, in denen sie im Gegensatz zu früher überall fest-
lich empfangen wurden. In dem ersten Ort, Ajapo, umdrängten sie Scharen von Ein-
geborenen, „beinahe jeder wollte uns so gut als möglich zu verstehen geben, daß sie nun
andere Menschen werden wollten. Ja, wir sollten gleich beginnen mit dem Lehren“. In der
Nacht hörte man sie das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis in gleichmäßigem Rhyth-
mus aufsagen. Dasselbe erlebten die Missionare auch in Asei, Netar und Ifar. Überall kam
jung und alt morgens und abends zusammen, um gemeinsam das Vaterunser mitsamt dem
Glaubensbekenntnis zu lernen.
Im Laufe der Zeit geriet Pamai in Gegensatz zur Mission. Er begann ein teures „Heil-
wasser“ zu verkaufen und sich für seine Lehren bezahlen zu lassen. Schließlich verkündete
er die Wiederkunft Christi und erklärte seinen Anhängern, sie brauchten keine Steuern mehr
zu bezahlen und keine öffentlichen Arbeiten mehr zu leisten. Die Regierung ließ ihn darauf-
hin verhaften und, nachdem er bei einem Fluchtversuch verwundet worden war, zu drei
Jahren Zwangsarbeit verurteilen. Zweifellos war Pamai ein seelisch unausgeglichener
Mensch. „Hier und da scheint bei ihm eine gewisse Abnormalität für einige Tage einzutreten,
1 F. E. Williams, The Vailala madness and the destruc-
tion of native ceremonies in the Gulf Division, Anthro-
pology-Report Nr. 4, Territory of Papua, Port Moresby
1923 (war Verf. leider nicht zugänglich); F. E. Williams,
The Vailala madness in retrospect. Essays presented
to C. G. Seligman. London 1934. S. 369ff.
2 F. E. Williams, Orokaiva magic. London 1928. S. 1—99.
3 Rev. E. Raff, Appendix in F. E. Williams, Orokaiva
magic. S. roof.
4 Report... on the administration of the Territory of
New Guinea 1933/34, S. 22; 1935/36, S. 21 ff.; PIM
(The Pacific Islands Monthly) 20. 12. 1932, S. 46;
24. 10. 1935, S. 16, 32; 20. 11. 1935, S. 10; 24. 1. 1936,
S. 67; Eckert, G., a. a. O., S. 138/39.
5 Das zur Verfügung stehende Berichtsmaterial stammt
aus Missionszeitschriften, Regierungsberichten usw.
und ist nicht immer ganz gleichwertig. Trotzdem ist
eine kritische Sichtung, vor allem durch einen Ver-
gleich mit den wissenschaftlich einwandfrei beschriebe-
nen Kulten möglich.
6 Missionsblatt Barmen, Mai 1929, S. 535ff. Ein großer
Teil der Angaben entstammt einer brieflichen Mit-
teilung von Herrn Missionar Schneider.
28
GEORG ECKERT
die aber von seinen Dorfgenossen nicht ernst genommen wird. Er erzählte von Träumen
und Gesichten, die sein Denken sehr zu beeinflussen scheinen“.
Einen etwas anderen Charakter hatte die Bewegung in Geresi und Nimboran, dem süd-
lichen Hinterland von Sentani. ,,Diese Inländer scheinen viel empfänglicher für alles Über-
sinnliche zu sein. Es dauerte dort Jahre, bis auch der letzte Rest eines primitiven Spiritismus
beseitigt war. Beinahe in jedem Dorf waren mehrere Leute verschiedenen Alters und Ge-
schlechts, die Geister sahen und hörten, Briefe und Wertsachen von ihnen empfingen. Die
unter sich und oft auch mit mir in einer unverständlichen Sprache redeten, in Ekstase
stundenlang Tänze aufführten, die bekannten Zuckungen bekamen usw.“
Heute ist fast der ganze Sentanistamm zum Christentum übergetreten, trotz der Gegen-
arbeit der Küstenbewohner, die bei den Sentani einen großen Einfluß besaßen (so hatten
die Sentani von ihnen den Geisterkult übernommen). Auch eine schwere Epidemie, die von
den Nichtchristen als Rache der verstoßenen Geister ausgelegt wurde, konnte sie nicht vom
Christentum abbringen.
Der Einfluß Pamais und seiner Bewegung auf die Eingeborenenkultur scheint recht
beträchtlich zu sein. Allerdings wurde die alte Kultur schon 1925 durch das Eingreifen eines
Regierungsbeamten, der alle Geisterhäuser niederbrennen ließ, schwer erschüttert. Der
Kult war damit allerdings noch nicht ganz gebrochen, „man errichtete einfache kleine
Geisterhäuser im nahen Wald; aber den Leuten war doch mehr als nur das Äußere ge-
nommen. Die heidnische Kultur hatte doch einen sehr empfindlichen Stoß erhalten und
begann zu wanken. Sie stand ja schon durch den Einfluß des Christentums und der Ma-
layischen Kultur auf nur noch sehr schwachen Füßen. Die Kultfeiern hatten keine An-
ziehungskraft mehr und die Jüngeren begannen sich damals schon gegen die Macht der
Alten aufzulehnen. So war es übrigens in allen Dörfern hier in der Umgegend. Daß man dann
in der Erweckungszeit ganz reinen Tisch machte mit allem, was an die frühere Zeit erinnerte,
läßt sich denken“.
Ein anderer Prophet, Timo von Mula, der in Sio etwas von der Biblischen Geschichte
kennengelernt hatte, trat 1921 im Maladumgebiet (Finschhafenhalbinsel, Kaiser-Wilhelms-
land) auf. Er erklärte den Eingeborenen, daß die benachbarten, bis zu 1000 Meter hohen
Berge auf sie herabstürzen und ihr Dorf begraben würden. Um die ,,Platzgeister“ zu be-
ruhigen, gaben ihm die geängstigten Maladum zwei Schweine, einen Eberhauer, ein Muschel-
armband und lose Muscheln. Timo steckte darauf einen Rohrstab mit zwei Pfeilschäften
in den Dorfplatz und erklärte: ,,Das verleiht der Erde Festigkeit, nun könnt ihr getrost
hier wohnen!“ In anderen Dörfern setzte er sogar Dorfaufseher, Luluais und Tultuls, ein.
,,Was dieser Lügenprophet alles vermochte, und was er für Macht über die Leute hatce,
das ging daraus hervor, daß die Maladum fast bis nach Sio hinaus einen Weg gereinigt
hatten; sogar noch eine Strecke in die Küstengegend hinein fanden wir gereinigten Weg.1“
, In Pokwap (Markhamtal, Kaiser-Wilhelmsland)2 behauptete vor einigen Jahren ein
entlassener Arbeiter, sein verstorbener Vater sei ihm erschienen — auch Jesus war in dem
Bericht erwähnt — und hätte ihm mitgeteilt, daß die Geister alles Umstürzen würden.
Da sich die Geister auch durch ein schnell geopfertes Schwein nicht besänftigen ließen,
flohen die Eingeborenen, Christen und Nichtchristen, in allgemeiner Panik auf die Berge,
wo sie einige Tage in Grashütten zubrachten. Die Regierung griff darauf ein und verhaftete
den Seher. Vermutlich handelte es sich hier um denselben Propheten, der nach einem
früheren Bericht3 den Weltuntergang durch eine Wasserflut vorausgesagt hatte. Ein
anderer Fall ereignete sich in Kalangandoang, einem Dorf im Rawlinsongebirge, das wenige
1NMB (Neuendettelsauer Missionsblatt) 30. 5. 1924,
S. 24.
2 NMB 15. 4. 1934, S. 27.
3 NMB 15. 8. 1932, S. 63; 15. 7. 1933, S. 53.
PROPHETENTUM UND KULTURWANDEL IN MELANESIEN
29
Jahre vorher missioniert worden war1. „Ein getaufter Mann in mittleren Jahren wurde
schwer krank. Eines Tages, so berichtet er, war Sturm und Regen und ein Blitz schlug in
sein Haus . . Darauf „starb“ er. Seine Seele wanderte auf der Himmelsleiter hinauf. Halb-
wegs begegnete ihm ein Mann und sagte, seine Zeit sei noch nicht gekommen, und er habe
noch eine große Aufgabe auf der Erde zu erfüllen. Sein Böses, das er in sich habe, solle er
ausbrechen. Darauf erbrach er alles. Dann redete der Mann weiter, es sei höchste Zeit für
seine Leute, das Böse endlich aufzugeben, denn der jüngste Tag sei nicht mehr fern. Er solle
zurückgehen und die Botschaft weiter geben. Darauf habe der Mann auf der Himmelsleiter
ihm etwas Streichholzähnliches gegeben, das habe er entzündet und es sei wie ein Feuer
über die Erde hingegangen. Schließlich habe er den Mann gefragt, wer er sei und wie er
heiße. Darauf habe derselbe geantwortet, er sei ein Stück von dem großen Mutterstein, der
im Himmel liege. Mit einem Netzsack voll Sachen, die er dann bekommen habe, sei er auf
die Erde zurückgekehrt,.. Anderntags „starb“ der Kranke noch einmal gegen Mittag.
Wieder stieg er zum Himmel auf. Aber er kam nicht ganz so hoch wie das erste Mal, als
ihm wieder der Mann begegnete. Wieder sagte er ihm, er solle umkehren, seine Zeit sei noch
nicht abgelaufen. Und er solle die Leute seiner Gegend zur Abkehr vom Alten Wesen mahnen
und sie sollten sich zu Gott wenden. Schließlich durfte er noch einen Blick in den Himmel
tun. Dort sah er einen jüngst verstorbenen Jungen gesund wieder und einen großen Vorrats-
raum mit Sachen und Kleidern. Die Kleider seien etwa so gewesen, wie wir Weiße sie hier
hätten.“ Einige Tage darauf versammelte er „die Leute auf dem Dorfplatz und machte
ihnen vor, wie es am jüngsten Tage gehen werde. Er stellte sich ins Haus und ließ sie einzeln
zu sich herkommen. Die einen nahm er an und die andern wies er zurück, weil sie zuviel
Schuld und Sünde hätten. Die Leute ließen sich das ruhig gefallen und blieben zitternd auf
dem Dorfplatz sitzen, obwohl es kräftig zu regnen anfing. Mit denen, die er zu sich in das
Haus aufnahm, betete der Mann. . . Dann forderte der Seher die Leute auf zum Vernichten
der alten Wertsachen, oder sie sollten sie für Schweine und andere Sachen verhandeln. Die
Leute waren dazu nicht recht eifrig. Dann holte er eines lages seine eigenen Wertsachen
und zerschlug sie vor den Augen der Leute. Einige ließen sich dadurch anreizen, das Gleiche
zu tun, andere verbargen ihre Sachen. Ein andermal versammelte er die Leute und roch
wie ein Hund an ihnen herum, „roch ihr Böses“ und sagte es ihnen.“ Täglich trieb er die
Dorfbewohner in die Kirche zur Andacht. Eines „Tages fing der erste in der Andacht an
mit zuckenden Bewegungen und unverstandenen Geräuschen. Das nahm schnell überhand. .
Bald fingen sie auf der Frauenseite sehr geräuschvoll zu atmen an, dann schüttelten sie
einzelne Gliedmaßen kräftig und ruckweise. Aus dem geräuschvollen Atmen wurden . . ,
ausgestoßene Laute, aus dem Schütteln einzelner Gliedmaßen ein Schütteln des ganzen
Körpers“. Schließlich „gab es 3 Tage lang ein allgemeines und großes Erbrechen in dem
Dorf!“ Einige Zeit darauf gelang es Missionar Bergmann, die Leute wieder zu beruhigen.
Der Prophet allerdings brach zusammen und wollte sich erhängen. Zwei Wochen darauf
kam der Missionar noch einmal durch das Dorf und fand die Ordnung restlos wieder her-
gestellt. „Der betreffende Mann hatte sich nicht erhängt, sondern war jetzt Anführer bei
einem Streitfußballspiel.“
1933 (oder 1934) erklärte der Prophet Marafi in den Dörfern am Ega, Lehron und
Indania (Markhamtal, Kaiser-Wilhelmsland)2, der Teufel habe ihm übernatürliche Kräfte
gegeben. Sie seien zusammen im Erdinneren, im Reiche der Toten gewesen. Die Ver-
storbenen hätten ihm dort gesagt, daß sie noch einmal auf die Erde zurückkehren
möchten, Satan würde es aber nur zulassen, wenn ihn Marafis Landsleute als höchstes
Wesen verehren würden. Er solle daher das Volk auf die Rückkehr der Toten vor-
1 Bergmann, Gustav, Eine papuanische Schwärmerei.
NMB 15. 4. 1934, S. 28.
Report ... on the administration of the Territory of
New Guinea 1934/35, S. igff. ; NMB 20. 2. 1936, S. 13.
bereiten, Abgaben verlangen und all denen, die sich weigerten, Geschenke zu geben, den
Tod androhen. Marafi. verkündete daraufhin eine schwere Naturkatastrophe und forderte
die Dorfbewohner auf, ein großes Gemeinschaftshaus zu bauen, in dem sie bei dem ersten
Stoß des angekündigten Erdbebens Zuflucht suchen sollten. Alle anderen würden durch
ein großes Feuer getötet. Der Himmel werde sich verdunkeln, und flammende Blitze würden
sämtliche Wohnstätten, Gärten und Lebewesen außerhalb des großen Hauses vernichten.
Am Morgen, nach dem Unwetter, sollten die Gläubigen ihre verstorbenen Verwandten
Wiedersehen, die inzwischen mit Fleisch, Tabak, Lendentüchern, Reis, Lampen und be-
sonders wirkungsvollen Gewehren auf die Erde zurückgekehrt wären. Außerdem, offenbarte
Marafi, brauchten sie ihre Gärten von da ab nicht mehr zu bestellen.
Um die Eingeborenen noch mehr in seinen Bann zu ziehen, veranstaltete er nächtliche
Zusammenkünfte. Die Gläubigen trafen sich vor der großen Gemeinschaftshalle, wo ihnen
der Prophet eröffnete, er werde Satan besuchen. Sie sollten ihm dabei auf keinen Fall nach-
spionieren, sonst würde Satan sie mit seinem Finger, der so lang sei wie ein Schweinespeer,
in den Magen stechen. Marafi ging daraufhin in den Busch, lief zur Rückseite des Hauses,
kletterte auf das Dach und rief, er fliege jetzt in Gestalt eines Vogels über ihnen.
Ein anderesmal führte er einen Anhänger in sein Haus, wo er dessen verstorbenen
Vater erscheinen ließ. Der Mann war danach fest davon überzeugt, daß ihm der Tote die
Hand geschüttelt und mit ihm gesprochen habe, obwohl es so dunkel war, daß er ihn nicht
erkennen konnte. Da das Volk allgemein an die Prophezeiungen glaubte, konnte Marafi
zahlreiche Tribute, Geld, Lendentücher, Blusen, Messer und andere Artikel einziehen.
Außerdem gab man ihm zwei Frauen. Bei seinen Reisen durch die Dörfer setzte er Stell-
vertreter ein, zumeist skrupellose Leute, die den Eingeborenen in seinem Auftrag Tänze
und Lieder beibrachten, und die noch fernstehenden Gebiete missionieren sollten, wobei sie,
um sich beliebt zu machen, Frauen und Mädchen an die jungen Männer verteilten. Um den
Eingeborenen die Furcht vor der Regierung zu nehmen, erklärten sie, Satan würde alle
Beamten, die sie visitieren kämen, von der Erde verschlingen lassen. Da auch einige Luluais
und Tultuls mit der Bewegung sympatisierten, litt das Ansehen der Verwaltung ganz be-
trächtlich, Gärten und Wege wurden vernachlässigt und Deserteure ermutigt, in ihren Dörfern
zu bleiben. Erst durch das Eingreifen der Regierung konnte die Unruhe beseitigt werden. Die
Führer gestanden ihren Betrug und wurden dem Gericht übergeben. Die Eingeborenen,
denen man vielfach noch die ausgestandene Angst ansehen konnte, beruhigten sich darauf-
hin, zerstörten die Gemeinschaftshäuser und begannen ihre Gärten wieder in Ordnung zu
bringen.
1935 behauptete ein heimgekehrter Arbeiter im Elap-Solop-Gebiet (Finschhafen-
halbinsel, Kaiser-Wilhelmsland), er stehe mit den Verstorbenen in enger Verbindung.
Seinen Anhängern versprach er Reichtum und Wohlergehen, den anderen drohte er mit dem
Untergang. Wenn er nur wolle, werde die Erde bersten und sie alle verschlingen. Die er-
schreckten Eingeborenen gaben ihm darauf io Frauen, Schweine, Geld und alles was er
sonst wünschte. ,,Nachts ließ er die Leute „von Toten berühren“ und taufte sie dann, d. h. er
begoß sie einmal mit Wasser. Sie sollten alle Schweine schlachten und alle Felder leer machen.
Wenn alles verzehrt sei, würden sie Reis und Fleischdosen aus der Erde bekommen. Irgend-
was von Deutschen und Gewehren war auch dabei“1. Später, als die Voraussagen nicht
eintrafen, wurde der Prophet von seinen enttäuschten Anhängern verprügelt und in die
Flucht gejagt.
In derselben Zeit warteten verschiedene Eingeborene an der Raiküste (Finschhafen-
halbinsel, Kaiser-Wilhelmsland) auf die Wiederkunft Christi. Arbeiter dieser Gegend, die
auswärts beschäftigt waren, baten daraufhin, in ihre Heimat entlassen zu werden2.
1 NMB 15. 5. 1936, S. 35p 2 NMB 15. 11. 1936, S. 112,
PROPHETENTUM UND KULTURWANDEL IN MELANESIEN
3l
In Gitua bei Kalasa (Finschhafenhalbinsel, Kaiser-Wilhelmsland) hörte 1933 der Ein-
geborene Upikno geheimnisvolle Stimmen1. Sie waren „dem Wasser zu vergleichen, das
aus der Erde quillt. Die Stimmen unterscheiden sich deutlich von den eigenen Gedanken“.
Nach dem im folgenden zitierten Bericht eines farbigen Missionsgehilfen war der Inhalt
der Offenbarungen zuerst durchaus christlich: „Als Upikno Stimmen hörte, hat er im Wald
Plätze gesäubert und dort gebetet. Er ist auf Bäume, auf hohe und niedrige Felsen gestiegen.
Er ist in den Flüssen untergetaucht und als er wieder zum Vorschein kam, war weder
Haut, noch Haare, noch Tuch naß. Als er damit aufhörte, ging er in das Dorf und sagte:
Gott hat mir den neuen Namen Lazarus gegeben. So sollt ihr mich fortan nennen. Daraufhin
hat er den Gitualeuten alle ihre Sünden: Diebstahl, Hehlerei, Sünden gegen das sechste
Gebot, ihre neuen Zaubermittel, die sie von Salamaua und Rabaul her hatten, geoffenbart,
auch Sünden, bei denen, wenn man sie hören würde, man sich erbrechen müßte. Die Gitua
haben alles gestanden und abgetan.“
Auf Anraten einer Anhängerin vollbrachte Upikno allerlei Zeichen und Wunder, so
„tötete“ er einen jungen Hund, warf ihn auf die Erde und „belebte“ ihn nach einiger Zeit
durch die Berührung seines Fußes. Zusammen mit seinem treuesten Anhänger setzte er
fünf Aufseher ein, darunter einen Blinden, dem er das Augenlicht versprach. Von jetzt ab
wurde nur noch gebetet. „Sehr viele Lieder entstanden in jener Zeit. Die Lieder bezeichnete
Upikno als Segenslieder. Wer im Lernen und Singen keinen Eifer zeige, komme in die
Hölle, Um diese Zeit hieß es auch: Missionare und Gehilfen haben schlecht gearbeitet, sie
haben abzutreten vom Schauplatz ihrer Tätigkeit in Kirche, Unterricht und Schule. Gott
selbst wird die Arbeit tun, denn die Menschen geben nicht ihm allein die Ehre“, In der-
selben Zeit hörte auch ein loj^jähriger Junge Stimmen, in denen das christliche Element
etwas zurücktritt: „Wenn ihr fleißig seid im Gebet, dann werdet ihr als Belohnung erhalten,
daß eure Verstorbenen alle wiederkommen. Sie werden euch Nahrung und Reichtum und
Häuser verschaffen. Eure alten schlechten Häuser, eure alte schlechte Haut wird vergehen,
ihr werdet euch häuten und mit neuer Haut umgeben ein ewiges Leben haben. . . Immer
wurde dazugesetzt: Sagt dem Missionar nichts davon! Einst hat Gott den weißen Mann
reich gemacht, heute widerfährt dasselbe uns Braunen. Diese Rede haben alle fest geglaubt
und darum ihre Habseligkeiten vernichtet“. Nach diesen Weissagungen vereinte sich die
gesamte Bevölkerung im Gebet und in „phantastischen Leibesübungen“, möglicherweise
einer Art Gliederschütteln, wie sie von anderen Kulten berichtet wird. Die Eingeborenen
der von der „Offenbarung“ erfaßten Dörfer wurden derart beeindruckt, daß sie keiner
Belehrung mehr zugänglich waren. Dazu fühlten sie sich auch körperlich so ermattet, daß
sie keine Arbeit ausführen wollten. Die Bewegung, in der sich alteinheimische Ansichten
— wie der Glaube an die Rückkehr der Toten — mit christlichen Ideen verbunden hatte,
konnte erst nach einiger Zeit unterdrückt werden. Als die Gläubigen ruhiger geworden
waren, wunderten sie sich, „daß sie so verbohrt sein konnten“, ein für derartige Massen-
bewegungen charakteristischer Stimmungsbruch.
In Mikronesien entstand 1930 eine Schwarmgeisterei, die trotz ihres christlichen
Rahmens an die oben behandelten Bewegungen erinnert1 2. Auf Onotoa in den südlichen
Gilbertinseln beschlossen die Eingeborenen zweier Dörfer, der evangelischen Londoner
Missions-Gesellschaft eine größere Menge Kopra zu schenken. Der Regierungsvertreter
Koata, ein Katholik, riet davon ab, weil sie sonst nicht genug Kokosnüsse für die fälligen
Steuern übrigbehalten würden. Die Protestanten, die diese Warnung als einen Eingriff in
ihre religiösen Rechte und Freiheiten auffaßten, erklärten darauf, an ihrem Plan auch um
1 NMB 10. 11. 1934, S. 83 ff. sterben für ihren hl. Glauben. Hiltruper Monatshefte.
2 Gilbert and Ellice Islands Colony. Report for 1929/30. April 1933. S. 115ff.; Die katholischen Missionen,
London 1932. S. 31 ff.; P. Engelhardt, Gilbert-Insulaner August 1933, S. 218; PIM 19. 7. 1932, S. 19.
GEORG ECKERT
den Preis eines „Martyriums“ festzuhalten. Als sie vom Native Court noch einmal auf die
Steuern hingewiesen wurden, rief einer ihrer Geistlichen, Barane, eine Versammlung ein,
auf der er scharfe Anklagen und Drohungen gegen die Regierung und die katholische Kirche
richtete. Von diesem Tage an hielt er wiederholt Zusammenkünfte ab und deutete den Ein-
geborenen Visionen und Träume. Die Protestanten folgten ihm in Massen, so daß in der
Nähe seiner Kapelle bald an 1200 Menschen lagerten, um seinen Verkündigungen Tag und
Nacht lauschen zu können
Baranes Prophezeiungen wurden allmählich immer phantastischer: der Weltuntergang
stehe bevor, die Regierung und die katholische Kirche würden vollständig vernichtet
werden, und Gott werde die Insel persönlich besuchen. Barane bezeichnete sich nun als
Propheten, später als Vater Gottes. Sein Sohn, nach dem Regierungsbericht ein minder-
wertiger Charakter, führte den Titel „Gott der Allmächtige“. Zwei liederliche Frauen
behaupteten, „Christus der Leidende“ und „Christus der Vergebende“ zu sein, und wurden
von der Gemeinde als solche anerkannt. Eine Gruppe von Frauen, „Schafe“ oder „Zitterer“
genannt, begleitete den Propheten, um bei seinen Reden in heftiges Körperschütteln zu
verfallen. Das angebliche Erscheinen eines flammenden Schwertes auf der Mauer der
Kapelle führte zur Gründung eines Jugendbundes, der „Soldaten und Schwerter Gabriels“,
die, in knallrote Lendentücher gehüllt, alle Abseitsstehenden einzuschüchtern suchten.
Als Gott an dem angegebenen Tage nicht erschien, erklärte eine der Frauen die Schuld
liege bei den Katholiken, deren Anwesenheit eine Beleidigung des Allmächtigen sei. Darauf-
hin zogen 80 Gläubige unter Baranes Führung zur Regierungsstation, um „Gottes Zorn
auf Koata niederprasseln zu lassen“1.
Kreischend und tobend, mit verzerrten Gesichtern tanzten sie zu dem Amtsgebäude, wo
sie der Regierungsvertreter und 14 seiner Anhänger erwarteten. Koata, der in Todes-
ahnung seine Begräbnismatte zurechtgelegt hatte, trat den Fanatikern mutig entgegen,
wurde aber sofort niedergeschlagen. Danach machten die „Schwerter Gabriels“ Jagd auf
die Katholiken, von denen zwei mit Brechstangen und Glasflaschen erschlagen wurden.
„Die anderen Katholiken rannten zu ihren Kanus und flohen über See nach Tabiteuea.
Unterwegs starben noch eine Frau und ein Kind an den Folgen der ausgestandenen
Schrecken. Am gleichen Tage erließ Barane einen Befehl, daß alle Katholiken, die sich noch
auf Onotoa verborgen hielten, am folgenden Tage hingeschlachtet werden sollten, wenn sie
sich nicht zu seinem Glauben bekennen wollten“1 2. Glücklicherweise traf Tags darauf ein
weißer Beamter ein, so daß weiteres Blutvergießen verhindert werden konnte. Die Schul-
digen wurden verhaftet und schwer bestraft.
An den Propheten von Kalangandoang erinnert ein Seher in Buka3. Nach seinen An-
gaben war er vor zwanzig Jahren in einem Zustand von Schlafsucht in den Himmel ge-
kommen, wo ihm St. Petrus Instruktionen gegeben habe. Von den Eingeborenen verlangte
er regelmäßigen Kirchenbesuch und die Aufgabe ihres alten Geldes und der überlieferten
Tänze. Außerdem sollten sie aber von den Weißen Brücken- und Wegezölle einziehen und
höhere Löhne fordern.
Von zwei miteinander verwandten Propheten aus Lemanmanu und Malasän auf Buka,
(möglicherweise Pako und Muling4), berichtet P. Montauban5. Der Letztere fiel in „eksta-
tischen Schlaf“, in dem er Offenbarungen hatte. „Vom Schlaf erwacht und noch ganz
unter dem Einfluß des „Geistes“, fing er an zu predigen.. . Als Hörer trommelte er zuerst
seine Nachbarn zusammen; dann strömten bald von allen Seiten Scharen herzu. Seine
1 Engelhardt, a. a. 0. S. 116.
2 Engelhardt, a. a. 0. S. 116.
3 PIM 20. 12. 1932, S. 46,
4 Eckert, G., a. a. O. S. 138/39. Vermutlich ist der eine
mit dem oben erwähnten Propheten identisch.
P. Montauban, Schwarmgeister auf den Salomonen,
Kreuz und Karitas. Mai 1934. S. 137ff.; Die katho-
lischen Missionen, November 1934, S. 309!.
PROPHETENTUM UND KULTURWANDEL IN MELANESIEN
33
,,Lehre“ stimmte ziemlich überein mit der katholischen. Man müsse, sagte er, dem Pater
folgen, regelmäßig zur Kirche gehen und die heidnischen Gebräuche abschaffen, auch die
Vielweiberei, Ihm sei diese ausnahmsweise erlaubt“. Tatsächlich erreichte er, daß ver-
schiedene als Zauberer bekannte Eingeborene ihre Zauber- und Medizinbeutel verbrannten.
Man müsse außerdem „das einheimische Geld abschaffen, von den Weißen höhere Löhne
verlangen und . . , von der Regierung Lieferung der Werkzeuge für die von ihr geforderten
Arbeiten“. Um seine Glaubwürdigkeit zu beweisen, behauptete er, Kreuze und Medaillen
aus dem Himmel zu haben. Nach einiger Zeit prophezeite er eine Wandlung der gegen-
wärtigen Gesellschaftsordnung. „Für jede Familie würde bald ein Schiff mit reicher Ladung,
auch Geld, ankommen. Dann würden alle glücklich und in Freuden leben, nur nicht die
Weißen, die bald Diener der Schwarzen würden.“ Die Eingeborenen von Malasän bauten
darauf einen großen Schuppen, der die versprochenen Reichtümer aufnehmen sollte. Der
Prophet erklärte dann weiter, die Ankunft der Schiffe werde beschleunigt, wenn man die
Toten eifrig verehre. Die Gläubigen reinigten und schmückten darauf die zahlreichen kleinen
Friedhöfe. „Schöne breite Zugänge von der Straße zu jedem Friedhof wurden angelegt,
mit Sträuchern bepflanzt und mit Triumphbogen und Guirlanden geziert.“ In Pororan und
einigen Küstendörfern kamen die Gläubigen außerdem nachts auf den Beerdigungsplätzen
zusammen, um die Toten um Hilfe zu bitten. Damit die Schiffe ganz sicher kämen, erklärte
der Seher weiterhin, müsse man alle Schweine schlachten, eine Aufforderung, der aber nur
der Dorfvorsteher von Lemanmanu folgte. Als sich die Weissagung auch jetzt nicht erfüllte,
verkündeten die Propheten ein Erdbeben, verbunden mit einer Sturmflut, nach der die
Schiffe ankommen würden. Schon hätte man nachts auf See geheimnisvolle Lichter ge-
sehen, die nur von dem Schiff herstammen könnten. Die Eingeborenen flüchteten nun mit
Ausnahme eines Mutigen auf die Felsen, wo sie die Nacht mit ihrem ganzen Hab und Gut
zubrachten. Einige Zeit darauf griff die Verwaltung ein und deportierte die beiden Pro-
pheten und einen Katechisten der Maristen-Mission, der sich mit ihnen zu weit eingelassen
hatte. Einer der beiden Propheten starb in der Verbannung, der andere durfte nach einiger
Zeit wieder nach Buka zurückkehren, wo dann in den Jahren 1935 und 1936 eine neue
prophetische Bewegung unter der Führung Sanops von Gogohei entstand.
Auch in anderen Teilen Melanesiens traten in den letzten Jahren Propheten auf. So
sollen bei Rabaul drei geheimnisvolle Wesen den Anbruch einer neuen Zeit geweissagt
haben, in der die Weißen die Schwarzen bedienen müßten1. Auf den Admiralitätsinseln
behauptete man, die Teufel würden eine Woche lang Finsternis hereinbrechen lassen, da-
nach würden alle Weißen schwarz und die Schwarzen weiß werdenII 1 2. Von anderen aus
Neumecklenburg3 und dem Eitape-Distrikt4 gemeldeten Propheten ist bis jetzt nichts
näheres bekannt geworden.
II
Die Bewegungen weisen in Entstehung, Ablauf und Zielsetzung zahlreiche Gemein-
samkeiten auf.
In den meisten Fällen werden sie durch eine Vision ausgelöst, in der ein Geistwesen
dem Seher Aufträge und Befehle erteilt. So hörte Tokeriu, der Prophet von Milne Bay,
eines Nachts eine Geisterstimme, die ihm aus den Zweigen eines Baumes die Rückkehr der
Toten und eine Naturkatastrophe verkündete5. Dem Gründer des Tarokultes, Buninia,
erschien eines Tages der Tarogeist, der ihm befahl, das Volk vor einer weiteren Vernach-
1 P. Montauban, a. a. 0. £
Missionen, November 1934?
2 Die katholischen Missionen,
3 Die katholischen Missionen,
1. 137; Die katholischen
5. 309L
November 1934, S. 310.
November 1934, S. 310;
P. Montauban a. a. O., S.
4 PIM 20. 12, 1932, S. 46.
5 Abel, Charles W. a. a. O. !
Chinnery und Haddon a.
137; PIM 20. 12. 1932, S. 46.
1. 107, 121; A. C. Haddon in;
x. O. S. 458!!.
5 Baessler-Archiv.
34
GEORG ECKERT
lässigung des Taroanbaues zu warnen. Wenn sie nicht ein bestimmtes Ritual befolgten,
würde der ,,Nahrungsgeist“ ihre Gärten zerstören und sie zwingen, in Zukunft nur noch
von Sago zu leben1. Ein anderer Eingeborener, Bia, der Stifter der Kekesi-Riten, über-
nachtete einmal in der Gegend von Mitra Rock. Während der Nacht erschien ein Geist, der
ihm mitteilte, daß der außerordentlich mächtige Geist Kekesi, ein Freund von JesuKerisu
(Jesus Christus), das Volk um den Mitrafelsen sowie ihre Nahrungsvorräte kontrolliere.
Er werde ihnen einige Gesetze geben und, wenn sie diese befolgten, für sie sorgen1 2. Einen
recht ursprünglichen Eindruck macht die Entstehungsgeschichte des Baigonakultes. 1911
bestieg ein Eingeborener auf Tufi den Mount Victory. Dort traf er die Schlange Baigona,
nach allgemeiner Ansicht der wiedererstandene Geist eines Toten, die ihm verschiedene
Lebens- und Verhaltungsregeln gab und ihn auf forderte, die Tötung von Schlangen und
Eidechsen durch ein strenges Tabu zu verhindern3.
Da die Geister der verstorbenen Ahnen auch in den anderen Prophezeiungen (Milne
Bay, Saibai, Vailala, Buka, Lehronunterlauf, Gitua, Elap) eine große Rolle spielen, dürften
sie in vielen Fällen mit den Visionen in inneren Zusammenhang gebracht worden sein.
Bezeichnenderweise traten sie auch bei der Weiterentwicklung des Tarokultes immer mehr
an die Stelle der dem Volke fernerliegenden Tarogeister. Das ging schließlich soweit, daß
einige Eingeborene die Beobachtungen der orthodoxen Stifter als Irrtum bezeichneten:
„Buninia and Yaviripa really saw the spirits of the dead when they thought they saw the
spirits of the taro“4.
In einigen Fällen behaupteten die Propheten, ihren Auftrag im Himmel bzw. auf dem
Wege dorthin oder — in Marafis Fall — im Reiche des Teufels und der Toten bekommen zu
haben. An die Stelle der Ahnengeister treten hier unter christlichem Einfluß Heilige wie
Petrus oder der Erzengel Raphael. Einen für diese Entwicklung besonders charakteristischen
Fall berichtet Williams aus Manau (Papua). Einer der Unterführer der Kekesi-Riten zeigte
einem Missionar einen Brief, den er von Jesus Christus bekommen haben wollte. Es war in
Wahrheit ein verlorengegangenes Schreiben eines in der Nachbarschaft wohnenden Pflanzers.
Nach weiteren Einzelheiten befragt, erklärte der Eingeborene, er habe eines Tages eine
Ananas gegessen. Danach sei sein Geist in den Himmel gelangt, wo er Christus, einen weißen
Mann mit einem Bart, getroffen habe. Jesus habe ihm gesagt, er solle zur lutherischen
Mission am Waria gehen und der „Missionar Neuguineas“ werden. Außerdem sei etwas
für ihn „heruntergefallen“. Als er mit Hilfe einer Leiter zur Erde zurückgekehrt war, hätte
er tatsächlich den vorgezeigten Brief gefunden5.
Der Inhalt der Visionen und der von den Geistwesen erteilten Befehle weisen ver-
schiedene übereinstimmende Motive auf. Ganz aus der alten Kultursphäre stammt die
Forderung der Baigonaschlange, alle Eidechsen und anderen Reptilien durch ein Tabu zu
schützen. Dasselbe gilt auch noch von den folgenden Wünschen des Geistes Kekesi: “The
people are to hear and obey the Government. The people are to observe the moral code of
the tribe. Food is to be properly cultivated, and no wastage is desired by me. Songs in my
praise are to be offered frequently. All must take part in these songs, and enact them in the
manner I prescribe6”.
Sehr häufig wurde die Rückkehr der Ahnengeister prophezeit, so in den Bewegungen
auf Saibai, am Lehron, in Gitua, Elap, Vailala und der Milne Bay, einer Gruppe von Pro-
phetien, zwischen denen zum Teil auffallende Motivgleichheiten bestehen7.
1 Chinnery, E. W. P. in: Chinnery und Haddon a. a. O.
5. 449.
2 Chinnery, E. W. P. in: Chinnery und Haddon a. a. O.
S. 452.
3 A. C. Haddon in: Chinnery und Haddon a. a. O.
S. 456ff.; Williams, F. E., Orokaiva magic, S. yf.
Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 30.
Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 75 f.
Chinnery, E. W. P. in: Chinnery und Haddon a. a. 0.
S. 452.
Eckert, G., a. a. O. S. 139E
PROPHETENTUM UND KULTUR WANDEL IN MELANESIEN
35
Nicht selten ist auch ein europäerfeindlicher Zug zu erkennen. So forderte der
Prophet von Milne Bay seine Gläubigen auf, alle europäischen Geräte zu vernichten1. Den
Anhängern des ,, German Wislin“ wurde verkündet, daß die zurückkehrenden Ahnen die
Weißen in Thursday Island, der Regierungsstation, töten würden1 2. Dasselbe wurde in Buka
geweissagt; hier und am Lehron erklärte man, die Ahnen würden den Gläubigen Waffen
mitbringen. Der Prophet Sanop auf Buka ließ daher seine Anhänger Holzgewehre schnitzen,
um sie für den Tag der Erhebung auszubilden3. Fremdenfeindlich waren auch die Verkün-
digungen auf den Admiralitätsinseln und in Rabaul, ebenso wie die Bewegung des Propheten
Ronovuro von Santo, dessen Anhänger schließlich einen weißen Pflanzer ermordeten4. Der
Glaube, daß sich Christus und die Heiligen direkt an Farbige wenden, um mit ihrer Hilfe
Neuguinea zu missionieren, mußte zudem das Selbstgefühl der Eingeborenen außerordent-
lich steigern. So konnte es sogar dazu kommen, daß die Anhänger Upiknos der Mission das
Recht der religiösen Führung abstritten.
Neben den Propheten, die eine Abwendung von der europäischen Zivilisation und eine
Rückkehr zu den überlieferten Sitten fordern, gibt es Seher, die die Zerstörung der
alten Kultgegenstände und Wertsachen, die Beseitigung der Polygamie und der Tänze
sowie eine stärkere Hinwendung zum Christentum propagieren5. Naturgemäß handelt es
sich hier vor allem um bereits missionierte Gebiete wie Kalangandoang und Buka, zum Teil
aber auch um missionarisches Neuland wie die Dörfer am Sentanisee. Wie spontan die Ein-
geborenen mit der alten Kultur brechen, wenn sie von einer neuen Idee innerlich gepackt
werden, zeigt die christliche Erweckung am Sepik, wo die Eingeborenen die Kultgeräte aus
den Geisterhäusern verbrennen wollten, weil sie ,,nicht mehr zweckdienlich seien“. Nur durch
das Eingreifen von P. Kirschbaum wurden die Kunstwerke gerettet und von den Eingebore-
nen nach der Missionsstation Marienberg gebracht. Bald darauf fuhr P. Kirschbaum mit
dem Missionsdampfer sepikaufwärts, um auch die übrigen Masken und Schnitzereien ein-
zusammeln: „In Moagendo wurde zuerst haltgemacht. Die Alten führten den Missionar ins
Geisterhaus und verehrten ihm die schönsten Stücke. . . Es war herzbewegend, zu sehen,
wie jung und alt, auch Frauen, in langer Prozession diese Götzenbilder. . . auf die „Stella
maris“ schleppten. Eine stumme und doch beredte Predigt für die übrigen Eingeborenen,
die stillschweigend voll Staunen zuschauten. In Moim, Bin, Singali und Kopar wiederholte
sich das Bild. Die Kunde lief dem Schiff voraus,und da die gesamte Bevölkerung dem Bei-
spiel von Moagendo folgte, hatte sich der Dampfer bald selbst in ein richtiges „Geisterhaus“
verwandelt. . . In Tambari, einem Ort nicht weit von Moim, sollten einige Jünglinge in der
herkömmlichen Weise im „Tamboranhaus“ die religiöse Weihe empfangen. Durch die
Dazwischenkunft der Alten erfuhr die Feier eine jähe Unterbrechung; die heiligen Gegen-
stände wurden den Jungen auf die Schultern geladen, sie mußten auf die Sänge und Klänge
verzichten, die sonst solche Feste abschlossen, und ihre Last zum Landungsplatz tragen. . .“6
Die Propheten erlebten die Visionen oftmals in einer Art Trance. So behaupteten
Pamai und der Prophet von Kalangandoang, sie wären „gestorben“ und wieder zum Leben
erwacht, ähnlich wie einer der Propheten von Buka, dem seine Lehre in einem Anfall von
„Schlafsucht“ offenbart wurde. Ein ähnlicher Fall wird aus Neuguinea berichtet: Auf einer
1 Abel, Charles W., a. a. O. S. 108.
2 A. C. Haddon, in: Chinnery und Haddon a.a.O.S.461.
3 Report ... on the administration cf the territory of
New Guinea 1935/36, S. 22.
4 Raff, E., Appendix zu Williams, Orokaiva magic,
S. 101.
5 Die Beseitigung der alten Sitten und Zeremonien war
auch eine der Hauptforderungen des Vailalawahnes.
(Williams, F. E., The Vailala madness in retrospect
S*
a. a. 0., S. 370). “The bull-roarers and the masks worn
in the Hevehe and Kovave ceremonies were cast out
of the men’s houses and burnt while women and
uninitiated children looked on. Personal adornment
was banned; feathers were snatched from the heads of
vain unbelievers, and the forbidden lime-pot was
dashed from their hands.”
6 Steyler Missionsbote. Oktober 1932, S. nf.
GEORG ECKERT
36
Pflanzung herrschte 1931 die Grippe, von der auch Kuduj, ein Eingeborener aus Garankom,
ergriffen wurde. Eines Abends gegen 6 Uhr schlief er ein. Elf oder zwölf Kameraden, die sein
Bett umstanden, behaupteten, er sei um diese Stunde gestorben. Am Spätabend wurde er
steif, so daß man ihn nur mit Mühe zurechtlegen konnte. Um 4 Uhr morgens bemerkte
plötzlich die Totenwache, wie sich Kuduj erhob. Nachdem er sich gesetzt hatte, redete er
sie mit lauter Stimme an und ließ alle Pflanzungsarbeiter um sich versammeln. Er erzählte
ihnen, er sei gestorben, zum Himmel aufgestiegen, aber der Erzengel Raphael, der unsichtbar
neben ihm stehe, habe ihn die Himmelsleiter wieder hinuntergeführt. Er sei jetzt tot und
werde daher bald endgültig in den Himmel eingehen. Trotzdem er nicht getauft war, for-
derte er die Eingeborenen auf, den katholischen Patres in allem zu folgen1. Einen weiteren
Bericht verdanken wir Haddon, der die Trance der Baigonamänner schildert: „Very often
during the evening in the village the Baigona goes into a fit, passing into a trance. It begins
with violent shivering, after which the man falls to the ground and becomes insensible,
uttering spasmodic bursts of rapid talk. His people cover him with a mat, and sit around
listening and applauding“2.
Nach den Visionen befanden sich die Propheten zumeist in einem anomalen seeli-
schen Zustand. Tokerius Gesicht war ,,changed, and he looked like a man whose wits had
left him“3. Eine ähnliche Verwirrung war bei Pamai zu beobachten, und von dem Pro-
pheten von Kalangandoang heißt es, daß er sich nach seinem „Besuch im Himmel“ längere
Zeit sehr schwach gefühlt habe4.
Man wird auf Grund dieser Beobachtungen annehmen dürfen, daß ein Teil der Pro-
pheten seelisch unausgeglichen und von vornherein leicht erregbar ist. Das gilt etwa für
Evara, einen Führer des Vailala-Wahnes, der schon lange vor Ausbruch der Bewegung über-
nervös war. Bereits in seiner Jugend mied er das Männerhaus, bei der geringsten Dorf-
streitigkeit floh er in den Busch und wäre niemals bereit gewesen, bei einem Begräbnis den
Leichnam anzuschauen5. Zu dieser Gruppe dürften auch die Eingeborenen gehören, die
sich wie Upikno für einige Zeit als Einsiedler in die Wälder zurückziehen. Solche Einsiedler,
die vier bis fünf Wochen in der Wildnis verbringen, sollen bei den Orokaiva nicht selten sein.
Nach allgemeiner Ansicht sind sie während dieser Zeit von den Geistern der Toten besessen;
sie irren ziellos umher, ernähren sich von dem, was sie zufällig finden, bis sie schließlich nach
einiger Zeit zurückkehren oder von ihren Freunden geholt werden6. Neben diesen Ein-
geborenen, die aus einer inneren Spannung heraus handeln und sicherlich von der Realität
ihrer Visionen überzeugt sind, gibt es auch Propheten, denen die Erneuerungsbewegungen
nur zur Befriedigung ihres Macht- und Geltungstriebes oder auch zur persönlichen Be-
reicherung dienen. Natürlich können sich dabei im Einzelfall religiöse und selbstsüchtige
Beweggründe vereinen.
Die Eingeborenen reagieren auf die Prophezeiungen ziemlich einheitlich. In einzelnen
Fällen zeigt sich zwar zu Beginn eine gewisse Skepsis, doch handelt es sich dabei wohl nur
um Ausnahmen. So heißt es von der Verkündigung des Tarokultes: „Boninia’s message was
received without enthusiasm, and the ritual was declined“7. Erst als einige Zeit darauf
weitere Fälle von Besessenheit vorkamen, wurden die Eingeborenen aufmerksam und
beschlossen nun die sofortige Einführung der neuen Zeremonien. Ähnlich erging es dem
Propheten Sanop auf Buka: ursprünglich wurden seine Behauptungen kaum beachtet und
erst als er für den Eintritt der angekündigten Ereignisse einen bestimmten Zeitpunkt fest-
1 Steyler Missionsbote. März 1932, S. 127E Einen in a. a. O. S. 28.
manchen Zügen ähnlichen Vorfall schildert Williams,
The Vailala madness in retrospect a. a. O. S. 374!.
A. C. Haddon, in: Chinnery und Haddon a. a. O. S. 457.
1 Abel, Charles W. a. a. O. S. 107.
Bergmann, Gustav, Eine papuanische Schwärmerei
5 Williams, F. E., The Vailala madness in retrospect
a. a. O. S. 371 f.
6 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 81 f.
7 Chinnery, E. W. P. in: Chinnery und Haddon a. a. O.
S. 449.
PROPHETENTUM UND KULTURWANDEL IN MELANESIEN
37
legte, wurde die Aufmerksamkeit allgemein1. In den meisten Fällen scheint die Prophe-
zeiung aber von vornherein großen Eindruck gemacht zu haben; vielfach führte sie zu einer
wahren Panikstimmung, Nach den Verkündigungen des Propheten von Milne Bay
strömte das Volk aus sämtlichen umliegenden Dörfern zusammen. Im Dorfe Wagawaga
beispielsweise flüchteten alle Bewohner mit Schweinen und Dingos auf die Berge1 2, Eine
ähnliche Panik rief die Prophezeiung einer Naturkatastrophe in Pokwap und auf Buka
hervor. Als in einem anderen Fall ein Prophet eine große Finsternis verkündete, stürmten
die Eingeborenen meilenweit im Umkreis alle europäischen Geschäfte, um Sturmlaternen
und Petroleum einzukaufen; als erklärt wurde, ein Erdbeben werde die Pfahlbauten Um-
werfen, baute man die Häuser in einigen Dörfern sogleich zu ebener Erde3. Verschiedene
Propheten, die die Rückkehr der Ahnengeister ankündigten, bewogen ihre Anhänger, die
Feldarbeit einzustellen und die Schweine zu schlachten, ein Befehl, den man in den meisten
Fällen sofort ausführte. So sollen zum Beispiel von den Gläubigen des Propheten von
Milne Bay an 300 bis 400 Schweine geschlachtet und verzehrt worden sein4.
Wie leicht sich die Eingeborenen bei solchen Gelegenheiten zu Affekthandlungen und
Massenpsychosen hinreißen lassen, beweist auch der folgende Fall aus Buka: Ein katho-
lischer Missionar hatte einigen Eingeborenen von Naturkatastrophen in Japan und Amerika
erzählt. Als er ihre Frage, ob so etwas in Buka verkommen könne, nichtsahnend be-
jahte, verbreitete sich mit Windeseile die Nachricht, er habe eine große Sturmflut vorher-
gesagt. Noch am selben Abend flüchteten Männer und Frauen auf die Küstenfelsen, wo sie
die Nacht in Schutzhütten aus Bananenblättern verbrachten. Ein Häuptling soll sogar
davon gesprochen haben „seine sämtlichen Schweine zu töten, damit er vor dem Tode noch
etwas davon hätte“5. Die folgenden, von Williams berichteten Vorfälle zeigen eine ähnliche
psychische Empfänglichkeit, sie beweisen, wie kritiklos die Eingeborenen, zu einer Masse
vereint, den suggestiven Einwirkungen ihrer Führer nachgeben: Die Anhänger des Vailala-
Wahnes glaubten, daß ihre Ahnen mit einem großen Schiff zurückkehren würden. Eines
Tages versammelten sich nun die Eingeborenen am Strand, um das angeblich am Horizont
aufgetauchte Geisterschiff zu begrüßen. Nach einiger Zeit sahen sie zwar nicht das Schiff,
wohl aber das Kielwasser des Dampfers, vernahmen das Stampfen der Maschinen und das
Rasseln der Ankerketten. Dann hörten sie, wie ein Beiboot herabgelassen und an das Ufer
gerudert wurde. Wieder einige Zeit später kehrte das Boot zurück, die Anker wurden gelich-
tet, dieMaschinen begannen allen vernehmlich zu arbeiten, und der Dampfer schien auf hoher
See zu entschwinden. Dasselbe Geisterschiff wurde auch am Vailala, in Arihava und Orokolo
beobachtet. In Orikolo konnten es allerdings zuerst nicht alle deutlich erkennen. Als aber
die Anführer in einem fort riefen; „Da, seht ihr es denn nicht ?“, schwanden auch die letzten
Zweifel, und alle glaubten, das Schiff erblickt zu haben6. Ein psychologisch ähnlich deut-
barer Vorgang spielte sich in Kalangandoang ab, wo die Anhänger des Propheten eine Ver-
klärung zu beobachten glaubten. Einer der Jünger des Propheten, ein Missionsgehilfe,
wurde „eines Tages hingerissen, kniete im Hintergrund der Hütte nieder und betete. Nachher
sagten ihm die Leute, während des Gebetes sei ein heller Lichtschein um ihn her gewesen“7;
eine Täuschung, die möglicherweise durch die Kenntnis des biblischen Vorbildes hervor-
gerufen worden war.
Die massenpsychologische Wirksamkeit der Propheten wird noch durch die häufig
auftretenden ekstatischen Zustände erhöht. Außer den angeführten Beispielen, dem
1 Report ... on the administration of the Territory of
New Guinea 1933/34, S. 22.
2 Abel, Charles, W., a. a. 0. S. 105.
3 Report ... on the administration of the Territory of
New Guinea 1933/34, S. 23.
4 A. C. Haddon, in: Chinnery und Haddon a. a. O. S. 460.
5 P. Montauban, Schwarmgeister auf den Salomonen,
a. a. 0. S. 139L
6 Williams, F. E., The Vailala madness in retrospect
a. a. 0. S. 373L
7 Bergmann, Gustav, Eine papuanische Schwärmerei
a. a. 0. S. 28.
38
GEORG ECKERT
Körperschütteln, geräuschvollen Atmen und allgemeinen Erbrechen in Kalangandoang,
dem Zittern und den ekstatischen Tänzen in Onotoa, werden noch eine Reihe anderer Fälle
berichtet. Der Prophet von Milne Bay zeigte ,,all the symptoms of a man under the strain
of a great emotion. The muscles of his face twitched nervously, and all the movements of
his body showed he was trying to hold himself under control“1. Von den Anhängern des
Vailala-Wahnes heißt es: „they lost or abandoned control of their limbs and reeled about
the villages, one man involuntarily following the example of another until almost the whole
population of a village might be affected at the same moment“1 2. Eine nervöse Überreizung
war auch bei manchen neugewonnenen Christen der Finschhafenhalbinsel zu bemerken.
Deutlich wurde das auf einem Tauffest in Siwea, auf dem die evangelische Gemeinde ihre
Dorf- und Sippensünden abbüßen wollte. Missionar Wagner berichtet darüber folgendes:
„Diese Bußgesinnung bringen vor allem ihre Büßlieder zum Ausdruck, deren Melodien von
ihren früheren Totenklagen hergenommen sind. Aber ich war doch recht überrascht, als
sie am Tage nach meiner Ankunft in Siwea und nach der Abendandacht einen Klag- und
Bußgesang von mächtiger Länge anstimmten. Mit jedem Vers schwoll die Klage lauter an
und zusehends steigerten sich die Leute in eine Bußstimmung von ansteckender Wirkung
hinein, die auch von einem bloßen Zuhörer gute Nerven erforderte. . . Das Ende des Liedes
war eine derartige seelische Erregung, daß in der ganzen Versammlung nur mehr Weinen
und Schluchzen zu vernehmen war, das auch dann noch anhielt, als der Gesang längst ver-
stummt war3“.
Besonders eingehend unterrichtet sind wir über das Gliederschütteln (Jipari) der Taro-
männer, das nach Williams von Einzelnen oder ganzen Gruppen ausgeübt wurde. Als Bei-
spiel sei folgender Fall angeführt: „A man named Tatiko was sitting on a verandah during
a Taro feast. There was the usual amount of high spirits in the village but no sign of irrational
behaviour among the others present. Without warning Tatiko began to shake violently,
with a very rapid jerking of his limbs. His fists were clenched and his face contorted. The
movements continued for a few moments and then he sank back against the wall of the house,
with his head on his breast, and remained in this position for a while as if exhausted. He
reeled slightly when trying to walk after his fit was over. He was subsequently affected
several times in a similar manner, but standing, not sitting. The jerking and trembling would
end in a peculiar tenseness of the limbs and body. He stood in an oblique position which must
have involved some effort to prevent his falling4“. Nach Ansicht der Eingeborenen wird der
Anfall durch das Eindringen eines Geistes in den Körper hervorgerufen. Gewöhnlich emp-
finden die Schüttler zuerst einen Schauder oder ein Gefühl, als wenn ihnen Ameisen den
Rücken herunterkriechen. Während des Zitterns haben die Taromänner besondere Emp-
findungen in Magen, Kopf und Beinen, einige hören ein lautes Brummen in den Ohren, und
andere können nicht mehr richtig sehen5. Die leichte Übertragbarkeit der Ekstase — nach
Williams ein entscheidender Grund für die schnelle Verbreitung des Tarokultes — ist den
Eingeborenen wohl bekannt: „If many men get jipari, then those with them are likely to
get it also6“. Man darf danach annehmen, daß ein großer Teil der Eingeborenen die An-
fälle ohne eigenes Zutun bekommt. Williams, der die Frage der Freiwilligkeit des Jipari
näher untersucht hat, unterscheidet drei Gruppen: einen Teil der Führer, die psychisch
anomal veranlagt sind und wohl zumeist unfreiwillig in Ekstase geraten, sodann Simulanten,
die bei ihren Dorfgenossen Eindruck machen wollen und drittens eine große Gruppe, die
an sich nicht zum Jipari neigt, aber bei Massenzusammenkünften von der allgemeinen
1 Abel, Charles, W., a. a. O. S. 120. 4 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 49h
2 Williams, F. E., The Vailala madness in retrospect, 5 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 50!.
S. 369E 6 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 52.
3 NMB 10. 9. 1932, S. 68.
PROPHETENTUM UND KULTURWANDEL IN MELANESIEN
39
Psychose ergriffen wird und schließlich dem Reiz der Ekstase freiwillig nachgibt1. Glück-
licherweise hat das Gliederschütteln, das zweifellos eine gesundheitliche Gefahr bildet, bei
der weiteren Entwicklung des Tarokultes an Bedeutung verloren.
Das Zungenreden, eine andere Form der religiösen Ekstase, war für den Vailala-Wahn
charakteristisch, wo es ,, U aman (German)“ genannt wurde; „a language composed mostly
of nonsense syllables and pidgin English which was wholly unintelligible“1 2. Ebenso be-
richtet Williams von dem Kekesimann Dasiga: „he burst into a volume of unintelligible
gibberish“3.
Nach Williams Untersuchungen über den Tarokult breiten sich die Bewegungen durch
mündliche Propaganda und planmäßige Mission aus. So hatte der Tarokult nach zehn
Jahren fast das ganze Orokaivagebiet, vom Waria bis in die Gegend der Collingwoodbai
erfaßt4. Eine ebenso aktive Propaganda trieben auch die Anhänger der Kekesi-Riten,
deren Führer Dasiga die Küste der Nord-Division von der Mündung des Mambare bis zu
dem sechzig Meilen weiter südlich gelegenen Buna missionierte5. Die Kulte können sich
danach über weite Gebiete erstrecken und viele tausend Gläubige aus den verschiedensten
Dörfern erfassen, um so eher als die früheren Stammesfeindschaften durch die Befriedung
der Kolonien weitgehend unterdrückt worden sind. In einzelnen Fällen haben sich die
Prophetien sogar über Meeresstraßen hinweg verbreitet, so der „German Wislin“ von Saibai
auf andere Inseln der Torresstraße und die Bewegung Sanops von Buka nach Nordbougain-
ville.
Um die Werbekraft zu erhöhen, wird den Anhängern Lohn, den Gegnern Strafe in Aus-
sicht gestellt. So verkündeten verschiedene Propheten Naturkatastrophen, aus denen nur
ihre Anhänger gerettet werden sollten. Vielfach übte man auch einen starken seelischen und
moralischen Druck aus, soMarafi, der alle mit dem Tode bedrohte, die ihm Geschenke ver-
weigerten, und die Anhänger des „German Wislin“, die einem Perltaucher erklärten, wenn
er sich ihrer Bewegung nicht anschlösse, würde er von einem Hai gefressen6. Daß es in
einem extremen Fall sogar zu Blutvergießen kommen kann, zeigt die Ermordung der
Katholiken auf Onotoa.
Um ihren Einfluß zu verstärken und aktive Propagandisten zu gewinnen, scharten
die meisten Propheten einen Kreis von Jüngern um sich. So setzten Timo von Mula und
Marafi Dorfführer und Stellvertreter ein, Pako und Sanop sammelten eine Gruppe besonders
vertrauter Anhänger, ebenso wie Ronovuro, der Prophet von Santo, der seine Sendboten
durch die ganze Insel schickte7. Eine besonders große Rolle spielten diese Unterführer im
Baigona- und Tarokult, wo sie häufig Missionare, Medizinmänner und Leiter der Riten
zugleich waren8. Einige von ihnen hatten ebenfalls Visionen und ekstatische Zustände.
Die Jünger, die auch über die Durchführung der von manchen Propheten geforderten
zeremoniellen Tänze und Gesänge zu wachen und Geld- und Naturalabgaben einzuziehen
hatten, wurden damit die Träger einer — wenigstens in Ansätzen vorhandenen — Kult-
organisation. Die Propheten und ihr engerer Anhang konnten so eine besondere, auf
psychischer Beherrschung ihrer Landsleute beruhende Machtstellung erlangen, die de facto
auch zu einer gewissen Modifizierung des alten Sozialgefüges führen mußte. So heißt
es von den Baigonamännern: „One or two men in a village go through a period of tuition,
and, on their return, initiate the rest of the villagers, not into the positions which they
themselves hold, but into a belief in their new powers.. . The Baigona does not work in his
1 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 54 ff. 5 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 18.
2 Williams, F. E., The Vailala madness in retrospect 6 A. C. Haddon in: Chinnery und Haddon a. a. 0. S. 461.
a. a. O. S. 370. 7 Raff, E., Appendix zu Williams, Orokaiva magic,
3 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 75 f. S. 100.
4 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 22f. 8 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. iof., 18, 56ff.
40
GEORG ECKERT
garden. He will not drink plain water, but only coconut milk1. He pays more attention to
dressing his liair and decorating bis face with red paint than other people; he has not much
eise to occupy his time, as either from fear or in payment his village companions do his
garden work for him“1 2.
Zweifellos gab es auch schon vor der Europäisierung einzelne Propheten. So er-
wähnt Williams prophetische Priester in Fidschi3, Riley4 und Malinowski5 schreiben über
Prophetismus in Kiwai und auf den Trobriandinseln, und Abel berichtet von dem Propheten
Domu von Mita, der um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts
im Gebiet der Milne Bay aufgetreten ist6. Die Welle von Schwarmgeisterei, die jetzt über
Melanesien dahingeht, und der stark chiliastische Gehalt ihrer Lehren sind aber erst eine
Folge des Kulturkontaktes und der tiefgreifenden sozialen und geistigen Erschütte-
rungen, die durch das Eindringen europäischer Anschauungen, Gerätschaften und Wirt-
schaftsformen, durch Schule, Regierung und Mission hervorgerufen worden sind, und die
die beste Voraussetzung für das Aufkommen neuer religiöser und sozialer Heilslehren bilden.
Ein Teil der Bewegungen dürfte daher völlig unabhängig voneinander, allein auf
Grund einer ähnlichen seelischen Disposition und gleicher Fremdeinflüsse entstanden sein.
Außerdem, kann aber auch direkte Übertragung durch Plantagenarbeiter stattgefunden
haben. So berichtet P. Montauban aus Buka, ihm hätten aus Neupommern zurückgekehrte
Arbeiter von dem Erscheinen der oben erwähnten drei geheimnisvollen Wesen bei Rabaul
erzählt. Bei der großen Zahl der eingeborenen Arbeitskräfte — im australischen Mandats-
gebiet waren 1937 von 542 394 gezählten Eingeborenen 40 259 als Arbeiter tätig — dürften
solche Übertragungen nicht selten sein7. Wahrscheinlich erklären sich auch so die zum Teil
erstaunlichen Übereinstimmungen zwischen den einzelnen Weissagungen.
Durch die Prophetien sind kulturelle Wandlungen von allerdings recht unter-
schiedlicher Tragweite hervorgerufen worden. So bauten die Eingeborenen der Milne Bay
auf Befehl ihres Propheten ein Reihendorf („quite a new idea in this part of New Guinea“)8,
und die Gläubigen eines anderen Sehers verließen ihre Pfahlbauten, um aus Furcht vor
einem vorhergesagten Erdbeben ebenerdige Häuser zu errichten.
Viel wichtiger als diese Änderungen der materiellen Kultur sind aber die religiösen,
künstlerischen und sozialen Auswirkungen der Prophetien, so die Schaffung eines
religiösen Führertums und die Entstehung zahlreicher Lieder und Zeremonien. Dazu kommen
die neuen Kultorganisationen, die sich nicht selten über weite Gebiete erstrecken und damit
ein Element der politischen Einigung werden können. Daß die Bewegungen in einzelnen
Fällen sogar zur Entstehung von Legenden und Stammesüberlieferungen führen, beweisen
die Beobachtungen von Williams in der Gulf Division. Zwölf Jahre nach dem Beginn des
Vailala-Wahnes besuchte der australische Regierungsanthropologe das Gebiet von neuem.
Zu seinem Erstaunen mußte er dabei feststellen, daß ein großer Teil der Eingeborenen fest
davon überzeugt war, daß sich die damals angekündigten Wunder wirklich ereignet hätten.
Man erzählte ihm, die Toten seien Nacht für Nacht zurückgekehrt, man habe die Spuren
ihrer Fahrräder im Sand gefunden, und die Hunde der Verstorbenen wären wiederholt
1 Nach F. R. Lehmann, Prophetismus in der Südsee
(Christentum und Wissenschaft 1934, S. 60) durften
auch die Propheten auf den Marquesasinseln während
der Dauer der göttlichen Ergriffenheit nur Kokosnuß-
wasser trinken. „Seine Begleiter mußten aufpassen,
daß niemand ihm das Wasser der Kokosnuß mit einer
bestimmten Substanz vermischt gab, da sonst der
Gott ihn verlassen würde“.
2 A. C. Haddon in: Chinnery und Haddon a. a. O. S. 457.
3 Williams, Thomas, Fiji and the Fijians. Bd. 1. London
1858, S. 224 f.; Lehmann, F. R., Propheten tum in der
Südsee. Z. f. E. 1934 (1935) S. 262.
4 Baxter Riley, E., Among Papuan headhunters. London
1925, S. 294ff.
5 Malinowski, Bronislaw, Das Geschlechtsleben der
Wilden in Nordwest-Melanesien. Leipzig-Zürich (1929),
S. 276 ff.
6 Abel, Charles W., a. a. O. S. mf.
7 Eckert, G., Die Arbeiterwanderungen im australischen
Mandatsgebiet. Koloniale Rundschau 1938, S. 122ff.
8 Abel, Charles W., a. a. O. S. 116.
PROPHETENTUM UND KULTURWANDEL IN MELANESIEN
41
durch die Dörfer gerannt. Briefe seien vom Himmel herabgeflattert, Lichter wären auf-
geblitzt und geheimnisvolle Blumen hätten die Luft mit ihrem Duft erfüllt1. Williams
hält es nach diesen überraschenden Feststellungen für möglich, daß auch andere Sagen auf
die Visionen und Träume früherer Propheten zurückgehen: ,,The delusion or the pretence
of one man may thus easily become the belief of thousands and eventually appear in the
guise of legend. Indeed, it is not improbable that the miraculous exploits of many culture
heroes are no more than their delusions or pretences which have been accepted as facts“2.
Die freiwillige Zerstörung der Kultgeräte in Vailala und am Sentanisee, Eingriffe von
geradezu revolutionärem Charakter, beweisen schließlich, daß die Eingeborenenkulturen
bei weitem nicht so konstant sind, wie man das vielfach geglaubt hat (eine Tatsache, die
übrigens bei allen Rückschlüssen von rezentem ethnologischem Material auf frühere Kultur-
verhältnisse berücksichtigt werden sollte). Man wird daher mit Williams vermuten dürfen,
daß ähnliche kulturelle Umwälzungen auch schon vor dem Erscheinen der
Europäer vorgekommen sind: ,,When we consider the manner in which the Taro cult and
the others have come into being, the easy and obvious way in which the first step is taken,
and the rapidly increasing momentum and wave-like progress of the new movement, we
may well enough suspect that similar wide changes have swept over native civilizations
before our own coming. The almost absolute stability of native custom has been practically
a maxim of anthropology. New religious cults such as these of Papua may do something to
shake our faith in it3“. Die schnelle Verbreitung der Kulte dürfte dabei allerdings auf ihre
massenpsychologische Wirksamkeit und die in der kolonialen Kontaktsituation erhöhte
Empfänglichkeit der Eingeborenen zurückzuführen sein. Sicher haben aber auch schon
früher Wanderungen, Katastrophen oder der Zusammenstoß verschiedener Bevölkerungs-
gruppen zu einer Erschütterung und Auflockerung der Eingeborenenkulturen geführt. Vor
allem in den kulturellen Kontaktzonen, in denen die Auseinandersetzung zwischen alt-
einheimischen und neueinströmenden Ideen zu einer starken geistigen Aktivität führen kann,
waren günstige Voraussetzungen für Neubildungen gegeben. Je tiefer dabei die geistige
Kluft war, je schwieriger die kulturelle Lage für die rezipierende Volksgruppe, um so eher
wird sie zu einer religiösen Lösung gegriffen haben, für den Menschen der Voraufklärungs-
kulturen der gangbarste Ausweg aus einer geistig nicht zu bewältigenden Situation. Auch
die behandelten Kulte sind wohl in erster Linie ein solcher Versuch, die letztlich unver-
standene europäische Kultur mit den ins Wanken geratenen Traditionen und den alten
Glaubensgütern, vor allem dem Ahnenkult, in einer Synthese zu vereinen.
1 Williams, F. E., The Vailala madness in retrospect,
S. 372!.; S. 377: „It may be suggested ... that they
are already passing into the form of legends; that what
were in popular estimation the miracles of those
exciting days are now more or less absorbed into folk-
memory. We must waite, perhaps, a good deal longer
before this suggestion can be fully verified; but should
it prove to be sound, then we shall have concrete
evidence of how those legends had their beginning ‘.
2 Williams, F. E., The Vailala madness in retrospect
a. a. O. S. 378.
3 Williams, F. E., Orokaiva magic, S. 6.
6 Baeßler-Archiv.
Besprechungen.
Mariin Feddersen: Chinesisches Kunstgewerbe. Bücherei
des Kunstsammlers Bd. I. 247 Seiten, 207 Abbildun-
gen, 8 Tafeln. Klinkhardt und Biermann Verlag,
Berlin, 1939. Preis RM. 12.—.
Die Reihe der Handbücher für Kunstsammler, der auf
asiatischem Gebiet schon Kümmels: „Kunstgewerbe in
Japan“ und Kühneis: „Islamisches Kunstgewerbe“ einen
weiten Radius verlieh, wird in neuem Gewände und neuem
Verlag um das chinesische Kunstgewerbe bereichert. Man
wundert sich, daß dies Buch jetzt erst erscheint. Ist doch
das Interesse für die Erzeugnisse chinesischer Handfertig-
keit seit langem in Fach- und Sammlerkreisen ganz be-
deutend. Und doch gab es in Europa keine Publikation,
die in so gründlicher und geschlossener Form das ganze
Gebiet behandelt.
Der Verfasser füllt hier also eine empfindliche Lücke.
Er wendet sich dabei in erster Linie an den Samm-
ler. Er will keine Geschichte des chinesischen Kunst-
gewerbes schreiben. Dazu ist die Zeit wohl noch lange
nicht gekommen, denn jede „Geschichte“ setzt die Kennt-
nis aller Einzelheiten, setzt das zusammenhängende Wis-
sen um Entwicklung und Ablauf voraus. Chinas Boden
aber ist unerforscht und gerade die Grabungen der letzten
10 Jahre haben gezeigt, welches Neuland sich ständig
öffnet. Feddersen gibt deshalb zu Beginn nur einen kur-
zen historischen Überblick unter Berücksichtigung der
Einflüsse auf die Kunst. Dann führt er die einzelnen Grup-
pen des Kunstgewerbes, nach Material geordnet, vor;
er beschreibt ihre Technik und schildert ihre kunst-
historische Entwicklung nach dem gesicherten wissen-
schaftlichen Forschungsstand. So wird zunächst die
Keramik behandelt, dies Lieblingsgebiet der Sammler,
in dem Ostasien für Europa immer Vorbild bleibt. Es fol-
gen die Bronzen (eine große Karte mit den verschiedenen
Gefäßtypen in Umrißzeichnung bildet hierbei eine will-
kommene Bereicherung) die Spiegel, Jade, Elfenbein,
Glas, Lack und Textilien. Angeschlossen ist ein Kapitel
über Ikonographie und eines über Marken. Der Text
ist übersichtlich und klar gegliedert und will die ersten
Hinweise geben. Für eine weitgehende Spezialunter-
suchung ist auf die vorzügliche Bibliographie im An-
hang verwiesen. Hier hat der Verfasser in dankens-
werter Weise erstmalig zusammengestellt, was im Allge-
meinen und auf den einzelnen Materialgebieten publiziert
wurde (auch kürzere Abhandlungen in Zeitschriften sind
genannt) und so findet jeder die Möglichkeit sich ge-
nauestem zu orientieren.
Was die Abbildungen angeht, die den Text illustrieren,
so wurde bei ihrer Auswahl wohl von dem Gesichtspunkt
ausgegangen, möglichst nicht die schon oft reproduzierten
Standardwerke zu bringen, sondern Dinge die charakteri-
stisch und dem deutschen Sammler erreichbar sind. Frei-
lich ist dadurch die Qualität, die gezeigt wird, nicht immer
erstklassig.
Das Buch ist für den, der als Liebhaber oder Wissen-
schaftler mehr peripherisch mit dem chinesischen Kunst-
gewerbe in Berührung kommt ein sicherer Führer und
wird dem Fachmann als Nachschlagwerk bald unentbehr-
lich werden. A. Graf Strachwitz.
Avila, Francisco de: Dämonen und Zauber im Inkareich.
— Aus dem Khetschua übersetzt und eingeleitet von
Hermann Trimborn. IX + 143 S. 2 Karten. 1 Abb.
Quellen und Forschungen zur Geschichte der Völker-
kunde Bd. 4. K. F. Koehler Verlag, Leipzig 1939.
Mit der Veröffentlichung dieser zwischen den Jahren
1597 und 1608 entstandenen Niederschrift des spanischen
Geistlichen Francisco de Avila hat Hermann Trimborn
seinen Verdiensten um die Quellenforschung des Alten
Peru ein bedeutendes neues hinzugefügt. Hier handelt es
sich um die erste Veröffentlichung einer wertvollen Que-
chua-Handschrift der Madrider Nationalbibliothek, von
der bisher nur eine vom gleichen Verfasser in spanischer
Sprache geschriebene Teilparaphrase durch jüngere
spanische und eine englische Publikation bekannt gewor-
den war. Doch hat der englische Übersetzer Markham die
historische Quelle aus Rücksicht auf die englische
Wohlanständigkeit durch mehrfache Beschneidungen ver-
fälscht. Auch sind selbst in der spanisch gefaßten Origi-
nal-Paraphrase Avilas, die sich ebenfalls im Besitz der
Madrider Bibliothek befindet, von 31 Kapiteln des
Quechua-Textes nur 6 inhaltlich übernommen worden.
Wenn nun das Haupt-Manuskript, das wie das Werk
Sahaguns nach dem Diktat eingeborener Gewährsleute
in deren eigener Sprache niedergeschrieben wurde, sich
weder qualitativ noch quantitativ mit dem Monumental-
werk Sahaguns vergleichen läßt, so ist doch bei der Spär-
lichkeit der Quellen über das Alte Peru die Vermittelung
der Bekanntschaft mit diesem Quechua-Text für den
Völkerkundler und insbesondere für den Religionsforscher
außerordentlich wertvoll.
Über die Vorzüge der Benutzungsmöglichkeit eines
Textes in der Ursprache für jede Art von Forschung
braucht wohl kein Wort verloren zu werden. Die vorlie-
gende Ausgabe bringt den Urtext, der in dem vom klassi-
schen Cuzco-Quechua abweichenden Dialekt von Chin-
chasuyu geschrieben ist, originalgetreu. So ist durch diese
Textausgabe auch dem Linguisten ein fruchtbares Stu-
dienfeld erschlossen. Die im gleichen Bande enthaltene
deutsche Fassung ist bei aller Treue inhaltlicher Wieder-
gabe flüssig und zeigt Trimborn als den besten europäi-
schen Kenner des Quechua. Für den Mythenforscher
wäre eine kritische Analyse der Texte, die sich aus ver-
schiedenen Lokalsagen und Überlieferungen der im
Küstenbergland östlich von Lima gelegenen Provinz
Huarochiri zusammensetzen, eine lohnende Aufgabe.
Der Ethnologe wird mancherlei einzigartige Angaben aus
dem so gut wie unbekannten Gebiete sammeln und
BESPRECHUNGEN
43
ordnen können. Angaben über die Einreihung heidnischer
Feste in den Kreislauf kirchlicher Feiertage könnte viel-
leicht an manchen Stellen noch heute von Feldforschern
nachgespürt werden.
Ein Teil der Lokalsagen enthält explanatorische Züge
wie die Erklärung der Existenz von Seen, Wasserläufen,
seltsam geformten Felsen etc. Kulturgeschichtlich in-
teressant ist u. a. die Tatsache, daß die Quechua-Erzähler
jener Zeit das Vorhandensein einiger großerBewässerungs-
anlagen, Terrassenfelder etc. bereits historisch betrachten,
durch Sagen erklären und damit sozusagen als etwas
Fremdes ansehen. „In alter Zeit lebten überall Yunca“.
(Leute von der Küste). Wir hören von zahlreichen
„Huacas“, von Sternbildern, von Phalluskult, von kul-
tischen Wettläufen mit Llamas und Opfergaben, von der
Verehrung von Felsen und Bergen. An dieser Stelle kön-
nen nur knappe Andeutungen gebracht werden.
Der Titel, der dem Original fehlt, stammt vom Über-
setzer und Herausgeber. Die Einleitung bringt quellen-
kritische Aufschlüsse. Ein gründlicher Kommentar zu den
Sagen und Märchen wäre eine lohnende und wünschens-
werte Arbeit. Disselhof f.
Lindblom G. K.: Wire-Drawing especially in Africa.
Statens Ethnografiska Museum, Smärre Meddel-
anden Nr. 15. 38 Seiten, 4 Abb. 1 Verbreitungskarte.
Stockholm 1939.
Die schwedische Schule, deren besondere Stärke in den
Verbreitungsstudien über die verschiedensten Kultur-
merkmale liegt — liefert hier einen neuen Beitrag. Dem
bekannten Verf. kommt es vor allem darauf an, dem Vor-
kommen der echten Drahtherstellung (= Drahtziehen)
nachzugehen. Demgegenüber treten die einleitenden Be-
merkungen zur Technik und Gerätekunde in der Be-
deutung etwas zurück. Das gleiche gilt in erhöhtem Maße
für die beiden anderen Aufgaben, die sich der Verf.
stellte, nämlich dem Ursprung des Drahtziehens und der
Verbreitung dieser Technik außerhalb Afrikas nachzu-
gehen. In der Problemstellung und auch dem Materiale
nach ist der Verf. über den kürzlich hier an gleicher Stelle
besprochenen Walter Cline (Mining and Metallurgy in
Negro Africa, Paris 1937) nicht hinausgekommen.
Das echte Drahtziehen Afrikas ist im wesentlichen
identisch mit den gleichen Vorgängen in Asien und
Europa, das Hämmern bzw. Gießen spielt demgegenüber
nur eine kleine Rolle (prädynastisches Ägypten, Bafia,
Kavirondo usw.).
Durch die Häufigkeit des Vorkommens hebt sich Ost-
afrika eindeutig heraus. Das Zwischenseengebiet ist dieser-
halben ja bekannt und ebenso das Katangagebiet. Der
Verf. macht es wahrscheinlich, daß die vom Ostufer des
Tanganyika nach Katanga eingewanderten Bayeke die
Drahtziehtechnik hier eingeführt haben. Vom Zwischen-
seengebiet zur Küste bilden die Masai, Wadschagga,
Akikuyu, Akambaund Wanyika die verbindenden Glieder.
Bemerkenswert ist dann das zweite Zentrum am Sam-
besi, das auch durch die besondere Qualität des Draht-
schmuckes hervorragt. Um eine tierische oder vege-
tabilische Faser als Kern wird feinster Draht gewunden.
Ein Schmuck, der auch in Zimbabwe gefunden wird, für
die neuere Zeit sind die Balemba und Bavenda neben den
nördlicheren Wanyamwesi zu nennen. Im Süden sind die
Betschuanen, Barotse und Sulu teilweise mit diesem
Schmuck vertraut.
Die Tschokwe und Bakuba haben die heute bei ihnen
heimische Drahtzieh technik sicherlich vom Osten und
Südosten bezogen, wie der Verf. ausführt. Merkwürdiger-
weise versagt die Literatur über die Bakuba für die hier
behandelten Fragen völlig.
Auf der Westhälfte des Kontinents ist das Drahtziehen
als spärlich bekannt. Die berühmten silbernen Hut-
bänder der Gä und Akan auf der Goldküste, von denen
schon P. de Marees spricht, werden von dem Verf. auf
rezenten portugiesischen und holländischen Einfluß zu-
rückgeführt. Die Verwendung von Edelmetallen ist jeden-
falls für das ebengenannte Gebiet, wie auch das ganze
nordsaharische Afrika zu beachten. Nur noch im Tete-
Bezirk (Portug. Ostafrika) verarbeiten Neger Gold zu
Draht — wie Lindblom ausführt ist dies mit dem Wirken
portugiesischer Missionare in Zusammenhang zu bringen.
Im mittelmeerischen Afrika liegt die Drahtherstellung,
die überdies nicht, sehr bedeutend zu sein scheint, in Hän-
den der dortigen Juden. Bei den Amharen befindet sich
das Gewerbe ebenfalls in den Händen Fremdstämmiger,
eingebürgerter Armenier, Araber und Griechen. Hier ist
das völlig isoliert auftauchende weberschiffchenartige
Drahtziehinstrument aus Holz besonders hervorzuheben.
Das Drahtziehen liegt meist in den Händen der
Schwarzschmiede. Spezielle Handwerker sind aus Kis-
siba (Viktcriasee) und teilweise von den Tschokwe und
Amharen bekannt.
Der Draht dient ausschließlich dem Schmuck.
Der Verf. sieht sich nicht in der Lage, auch nur hypo-
thetisch, eine Datierung der Einführung der zweifellos in
Afrika nicht einheimischen Kenntnis des Drahtziehens
anzugeben. Als mögliches Ursprungsland werden Süd-
arabien und Indien genannt, soweit Ostafrika und dessen
Ableger in Betracht kommen. Die westsudanischen Vor-
kommen weisen nach dem mittelmeerischen Afrika. (Man
vergleiche damit die räumlich gleichen Hypothesen Wal-
ter Clines über die Einführung der Eisengewinnungs-
kenntnis in Afrika!).
Die gleiche Drahtherstellungstechnik findet der Verf.
außer in Europa auch noch belegt aus Indien, Indo-China,
China und Mongolei.
Auf zwei Schönheitsfehler sei aufmerksam gemacht:
auf Seite 12 muß es in dem deutschen Zitat heißen „Den
erhaltenen Draht. . .“ und auf Seite 13 Ende des 3. Ab-
schnittes muß anstatt „Rufiji“ „Rusisi“ stehen.
Das schmale Heft ist flüssig und klar geschrieben und
bietet jedem Interessierten einen abgerundeten Über-
blick. Jul Glück.
WerJer, P. von: Staatsgefüge in Westafrika. Beiheft zur
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
Bd. 52. Stuttgart 1938.
Der Verfasser wendet die von Vierkandt angeregten
Begriffe: Herrschaft und Gemeinschaft, die die herr-
schaftliche oder genossenschaftliche Gesamtstruktur der
sozialen und politischen Organisation eines Volkes um-
schreiben sollen, auf einige westafrikanische Völker an.
Auf Grund einer sorgfältigen Auswahl der wichtigsten
Literatur behandelt er neben den joruba, Nupe und
Aschanti die Mossi und Mandingo. Neben der Familien-
organisation wird König- und Beamtentum, Lehensrecht,
das Geheimbundwesen, die Stammesorganisation und das
Ständewesen untersucht.
Die gemeinschaftliche Organisation ist im wesentlichen
6*
44
BESPRECHUNGEN
gekennzeichnet durch Hervortreten der verwandtschaft-
lichen Bindungen,Beruhen des Führertumsauf persönlicher
Autorität, Bedeutung des Altenrates, Gehorchen auf Grund
von Weisung — nicht Befehl, da eine Zwangsgewalt fehlt.
Dagegen tritt auf Seiten der Herrschaftsorganisation
die große Bedeutung der territorialen Gruppenformen,
wie Provinz oder Lehen und das autoritäre Führertum
mit Befehls- und Zwangsgewalt. Der Verf. glaubt bei
Joruba, Mossi und Mandingo deutlich die Herrschafts-
familie, bei Ewe, Aschanti und Katab die Gemeinschafts-
familie als ursprünglich erkennen zu können, wenn natür-
lich auch nicht zu verkennen ist, daß sich im Allgemeinen
nur ein verwickeltes Ineinander beider FamiHentypen
findet. Er hält die Herrschaftsfamilie nicht für einProdukt
ethnischer Überlagerung, sondern für entstanden aus der
sozialpsychologischen Anlage einer Rasse. Allerdings
scheinen auch Völker, die eigentlich ihrer Veranlagung
nach eine genossenschaftliche Organisation besaßen,
später von außen her die Herrschaftsfamilie übernommen
zu haben, wenn sie dabei auch erheblich umgestaltet
wurde, wie es z. ß. bei den Aschanti der Fall ist.
Diese selben Verhältnisse wiederholen sich bei der
Organisation der politischen Herrschaft. Allerdings tritt
hier neben die eigentliche Herrschaft eine sekundäre Form,
die nämlich aus der Gemeinschaftsfamilie zu einem ge-
nossenschaftlich gerontokratischem Staatsgebilde er-
wächst. Die Entstehung des Staates beruht also nicht
nur auf Eroberung, vielmehr entwickeln sich, das ist die
interessante Grundthese der Arbeit, die Staatsgebilde aus
einer rassischen Veranlagung der betreffenden Völker
heraus in bestimmten Linien. Diejenigen Staaten, so
behauptet der Verf., die nicht durch eine Beteiligung von
Hirtenelementen, denen die herrschaftliche Organisation
zuzuschreiben wäre, entstanden sind, stellen gerontogene
Herrschaftsgebilde dar.
Besonderes Augenmerk richtet der Verf. nun auf die
Frage, wie das Problem der lebendigen Spannung zwischen
alter Gemeinschaftsstruktur und neuer Herrschaftsstruk-
tur in einer Kultur gelöst wird. Die Art dieser „sozial-
historischen Spannung“ bedingt seiner Meinung nach die
Kraft und Leistungsfähigkeit des betreffenden Staats-
gebildes. Natürlich ist diese „sozialhistorische Spannung“
am stärksten da, wo sie auch eine einstige ethnische
Schichtung ausdrückt, während sie in dem seltenen Falle
einer homogenen Entstehung der Herrschaft in einem
genossenschaftlich organisierten Volke, etwa bei den
Aschanti, bedeutend ausgeglichener ist.
Die Arbeit bringt neben einer reichen Fülle übersicht-
lich geordneten Materials interessante Gesichtspunkte und
ist daher außerordentlich anregend, selbst wenn man die
Schlußfolgerungen des Verf. nicht überall billigen wird,
weil die an sich großlinige Hypothese die Probleme oft
sehr vereinfacht. H. H. Böhme.
M. Niehaus, Sardinien: Ein Reisebuch. Societäts-Verlag
Frankfurt a. M. 1938.
Unterstützt von gut gewählten Photographien und
Zeichnungen schildert der Verf. in Form eines Reise-
berichtes sehr anschaulich Land und Leute von Sardinien,
ihr Wirtschaftsleben und Brauchtum, alte und neue
Kunst und Kunstgewerbe. Außerdem wird noch alles
wissenswerte über Geschichte und Vorgeschichte, Sprache
und Rasse mitgeteilt. Das Buch kann gern empfohlen
werden. K. Dittmer.
Bornemann, Fritz, S. V. D.; Die Urkultur in der kultur-
historischen Ethnologie. Eine grundsätzliche Studie.
(Sankt Gabrieler Studien, VI.) 148 S. Mödling,
Missionsdruckerei St. Gabriel, 1938. 3.— RM.
Der Verfasser, ein Schüler Pater W. Schmidts, unter-
sucht mit bemerkenswerter Objektivität und Gründlich-
keit die Anwendungen, die der Begriff der „Urkultur“
bei den Vertretern der „kulturhistorischen Ethnologie“
gefunden hat. Darunter versteht er nicht nur die sog.
Wiener Schule, sondern auch Ankermann, Graebner und
Foy. Es enthüllen sich eine außerordentliche Vieldeutig-
keit und eine schwierige Problematik des Begriffes „Ur-
kultur“, die es geraten scheinen lassen, diesen Terminus,
wenn überhaupt, nur mit äußerster Vorsicht zu be-
nutzen. (Inzwischen hat W. Hirschberg als partiellen
Ersatz „Restkultur“ und „Restvolk“ vorgeschlagen.)
Der Verfasser behandelt weiterhin die Methoden, mit
denen man den „urkulturlichen“ Charakter bestimmter
lebender Kulturen oder erschlossener Kulturschichten zu
erweisen gesucht hat. Die Argumente der geographischen
Lagerung (als solcher) und der allgemeinen, besonders
wirtschaftlichen, Primitivität werden als nicht stichhaltig
angesehen. Besonders wird darauf hingewiesen, daß der
letztgenannte Gesichtspunkt umso mehr an Gewicht ver-
liere, je mehr man, wie Schebesta und Gusinde, den Be-
griff der „optimalen Anpassung“ an ungünstige Lebens-
bedingungen in den Vordergrund rücke. Als einzig mög-
licher Weg erscheint der mit Hilfe von „Beziehungs-
kriterien“ zu erbringende Nachweis, daß „sich in den von
der Einfallspforte am weitesten entfernten Gebieten
mehrerer Kontinente und überhaupt in deren Rückzugs-
gebieten ein inhaltlich charakteristisch gleicher Kultur-
komplex findet, der auf einen einmaligen Ursprung zu-
rückgeführt werden muß.“ Dieser Kulturkomplex ist
dann der „entwicklungsgeschichtlich älteste Kultur-
komplex“, der sich fassen läßt. Es handelt sich hier um
das Verfahren, das W. Schmidt in seinem „Ursprung der
Gottesidee“ praktisch durchgeführt hat. Doch bemerkt
der Verfasser (S. 100): „Allerdings, bis zu diesem Ziel
ihm auf dem Wege der Beziehungskriterien, der formal-
logisch klar ist, zu folgen, scheinen seine treuesten An-
hänger zu zaudern .. . Sie zweifeln, ob die ethnographi-
schen Parallelen, die Ähnlichkeiten, die den Ausgangs-
punkt der konkreten Beweisführung bilden, wirklich so
charakteristisch sind, daß sie zur Annahme eines gemein-
samen einmaligen Ursprungs nötigen; und das bezweifeln
sie um so mehr, je mehr in der Beweisführung zu höheren
größeren Gruppen vorangeschritten wird.“
Ein eigener Abschnitt befaßt sich mit dem Problem der
Völkerwanderung. Ihr wird von den herangezogenen
Autoren ein sehr verschiedenes Gewicht beigemessen.
B. Ankermann war geneigt, fast alle Kulturverwandt-
schaften auf Völkerwanderungen zurückzuführen; da-
gegen legt ihr W. Schmidt, wenigstens in seinen letzten
Veröffentlichungen, nur geringe Bedeutung bei und hält
überhaupt die Unterscheidung, ob eine Übereinstimmung
durch Völkerwanderung oder Entlehnung verursacht sei,
für unwesentlich. — Es wäre ebenso einseitig, alle Kultur-
verwandtschaften durch „Völkerwanderung“, wie alle
durch „Entlehnung“ erklären zu wollen. Wir haben aber
die Pflicht, begrifflich zwischen diesen beiden Möglich-
keiten zu scheiden und nach methodischen Hilfsmitteln
zu suchen, die uns erkennen lassen, welche von ihnen im
einzelnen Falle vorliegt. W. Milke.
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA.
VON E. DONNER.
EINLEITUNG.
Die vorliegende Arbeit behandelt hauptsächlich zwei ethnographische Sammlungen,
die ich von meinen beiden Reisen nach Liberia (1934 und 1935, sowie 1936/37) mitbrachte.
Ostliberia, mein Hauptreisegebiet gehört zu den noch am wenigsten begangenen und des-
halb auch wenig beeinflußten Gebieten Westafrikas. Die gesammelten Gegenstände sind —
mit wenigen Ausnahmen, auf die ich speziell hinweise — ältestes Kulturgut dieser Stämme;
daher ist es mir möglich, an Hand der beiden Sammlungen (1. Reise über 200 Stücke,
2. Reise 340 Stücke) einen Überblick über die materielle und über die geistige Kultur der
ostliberianischen Stämme zu geben.
Der Nordostteil des Landes, der weit in französisches Gebiet hineinragt, wird in der
Hauptsache von zwei Stämmen bewohnt, die der Mande fu-Sprachengruppe angehören.
Im Westen leben die Mano (Ma-ni, Ma-no d. h. Ma-Leute), im Osten die Dan (Geh, Gio,
Yacouba). Die Grenze zwischen den beiden bildet eine Hügelkette, die, an den Nimba-Bergen
beginnend, sich weit südlich bis in das Gebiet der Bassa und Kran nach Mittelliberia hin-
zieht, Die beiden Sprachen zeigen einen größeren Grad der Verwandtschaft untereinander
als mit denen der benachbarten Mande fu-Stämme, wie z. B. der Kpelle oder der Loma.
Der Südosten aber wird von den Kran (Kacfa, Bush-Kru, Bush-Grebo, Guère oder
Ngere) bewohnt. Sie gehören in Sprache und sozialer Struktur der Kru-Gruppe an. Durch
Kulturkontakt mit den beiden anderen Stämmen und durch eine stärkere Vermischung
unterscheiden sie sich in Kunst und Kunsthandwerk ziemlich deutlich von den übrigen Kru-
Völkern.
Ostliberia — und natürlich das anschließende Gebiet der Elfenbeinküste — kann ge-
radezu als kleines Zentrum primitiver, westafrikanischer Kunst bezeichnet werden. Die
zahlreichen Holzschnitzereien, besonders die Masken, sind von starker Ausdruckskraft und
die Gelbgußstücke, die in dieser Gegend anzutreffen sind, stehen in ihrer Ausführung den
Goldgewichten von Aschanti keineswegs nach.
Die Kunst des Gelbgießens dürfte bei diesen Stämmen wohl durch Einfluß der
Anji-Baule entstanden sein. Sie ist nur in Ostliberia bekannt, während Schmiedearbeit,
Holzschnitzerei etc. auch bei einem großen Teil der übrigen liberianischen Stämme zu finden
sind. Besonders in Westliberia (Vai, Gola, Mande, Loma, Gbande, Gissi) ist die Holz-
schnitzerei gut entwickelt, während die Kru-Völker (Bassa, Kru, Grebo mit allen Unter-
7 Baessler-Archiv.
46
E. DONNER
Stämmen) mit Ausnahme der Kran wenig Holzschnitzerei treiben. Bei ihren Geheimorgani-
sationen spielt mehr die Gesichtsbemalung als das Tragen von Masken eine Rolle. Schmiede-
kunst und auch Töpferei, letztere von Frauen gehandhabt, wird oder wurde von allen Stäm-
men Liberias betrieben. Weberei, besonders die der Baumwolle, wurde erst durch Mande-tan-
Stämme (Vai, Kono, Mandingo) vom Norden her eingeführt und entwickelt. Kran, Bassa
und verschiedene kleine Unterstämme der Kru-Völkergruppe wie Gibi und Gbi treiben auch
heute Weberei von Baumwolle nur sehr vereinzelt: hier hat der Einfluß von der Küste her
früher gewirkt, als islamitischer Einfluß vom Inneren eingesetzt hat.
Die erste Sammlung, die sich völlig im Staatlichen Museum für Völkerkunde in
Berlin befindet, besteht zum kleinen Teil auch aus Gegenständen der Gola, Kpelle etc.,
also von westliberianischen Stämmen. Die zweite Sammlung, die zum Teil dem Wiener
Museum für Völkerkunde gehört, zum anderen Teil sich noch im Privatbesitz der Ver-
fasserin befindet, stellt bis auf einige Stücke von den Kpelle, den Kulturbesitz der Mano,
Dan und der Kran, also der Stämme Ostliberias, dar.
Herangezogen wurde ferner noch eine Liberia-Sammlung des Ethnographischen Mu-
seums in Budapest, die aus dem Besitze Dr. Fuszeks, Director of Public Health and Sani-
tation, Monrovia, stammt und die zu bearbeiten mir durch die besondere Liebenswürdigkeit
der Leitung des Budapester Museums, sowie Dr. Fuszeks, möglich war. In dieser Sammlung
findet sich manches Stück, das zur Ergänzung und Abrundung des Kulturbildes dieses Ge-
bietes von großem Wert ist.
Leider ist es nicht möglich, überall die Ausdrücke der Eingeborenen wiederzugeben, da
mir ein Notizbuch verloren ging, in dem gerade die handwerklichen Ausdrücke gesammelt
waren.
Aus materiellen Gründen mußte davon abgesehen werden sämtliche Stücke der
Sammlungen abzubilden.
Für die Bezeichnungen der einzelnen Sammlungen wurden verwendet:
Museum für Völkerkunde, Berlin Nr. III C
Museum für Völkerkunde, Wien Nr.
Museum für Völkerkunde, Budapest (Neprajzi Muzeum)
Sammlung Fuszek Nr.
Etta Donner, privat Nr.
M. f. V. B.
M. f. V. w.
M. f. V. Bu.
E. D.
Die Nummern der Sammlung in Wien sind vorderhand nur Ordnungsnummern, wie
auch der zweite Teil der Budapester Sammlung, der eben erst angekommen, bei Bearbeitung
noch nicht inventarisiert war.
Aussprache :
Sprich Vokal -f n im Auslaut nasaliert,
ä nasaliert
ä Hochton
ä Tiefton
a Mittelton
ü ist Mittelzungenvokal
d und 1 retroflex und miteinander wechselnd.
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
47
Inhaltsverzeichnis.
Gelbguß ....................................................................... 47
Gelbgußfiguren ............................................................. 48
Gelbgußschmuck................................................................. 52
Schmuck aus anderem Material ................................................... 58
Schmiedearbeit ............................................................... 60
Lederverarbeitung............................................................... 64
Flecht- und Knüpftechnik...................................................... 65
Weberei......................................................................... 67
Keramik......................................................................... 71
Kalebassen ..................................................................... 74
Musikinstrumente ............................................................... 74
Holzschnitzerei ................................................................ 79
Davon: Figuren............................................................. 79
Januskopf st eien ................................................ 85
Mankallaspiele ..................................................... 87
Zeremoniallöffel ................................................... 88
Holzgefäße ......................................................... 90
Verschiedenes ...................................................... 90
Masken ............................................................ 91
GELBGUSS.
Der Gelbgießer genießt großes Ansehen beim Stamme. Meist steht er unter dem
des Häuptlings (Mano: dömi, Dan: bomi — reicher Mann), der ihm Hütten zuteilt, j
mit Nahrungsmitteln versorgt. Der Gießer arbeitet
vornehmlich für ihn und die Großen des Stammes.
In Nordostliberia gibt es meines Wissens nur
mehr zwei Gelbgießer, die Figuren zu gießen ver-
stehen. Der eine ist ein Dan aus Ga-plei (s. Abb. 1),
der andere ein Kran aus Bellewalli, Der Kran ver-
wendet eine kupferreichere Legierung und bearbeitet
seine Figuren nach dem Gusse nicht mehr, der Dan
aber behämmert noch die ausgegossene Form. Beide
stellen die Legierungen nicht mehr selbst her, taten
dies der Überlieferung nach aber früher; heute
werden meist alte Stücke umgeschmolzen.
Der Guß erfolgt in der Technik der verlorenen
Form (ä la cire perdu) und obwohl hier beim Guß
das Modell aus Wachs schmilzt und so verloren ist,
wiederholen die Künstler doch immer wieder die-
selben Formen aus dem Gedächtnis, die altersher
überkommen sind.
Die Werkstätte des Dankünstlers habe ich be-
sucht und — soweit der mißtrauische Alte es zuließ
— ihn bei der Arbeit beobachtet. Er hatte seine
Schutze
a ihn oft
Abb. 1.
7
48
E. DONNER
Hütte am Dorfrande und seine Feuerstelle davor. Sein Handwerk war also nicht von Ge-
heimnissen umgeben, wie das des Schnitzers, Er hält lediglich einige Sondertabus, die er von
seinem Vater zusammen mit seiner Kunstfertigkeit ererbt hatte. Das Gießen findet allerdings
meist nachts statt.
Leider war der Alte in der Hand eines gerissenen Burschen, der ihm Aufträge gab und
ihn weidlich ausbeutete und der bald, aus Angst, meine Anwesenheit könnte sein Geschäft
verderben, den Gießer mißtrauisch machte und ihm einredete, ich wolle ihm seine Kunst
rauben und seinen Zauber verderben. Dennoch aber kann ich den ungefähren Lauf seiner
Arbeitsweise geben.
Das zur Herstellung des Modelles nötige Wachs (Mano: so bo) wird leicht angewärmt
und gut durchgeknetet; ein Ankleben an dem Brett, das als Unterlage dient, wird durch
Verwendung von ein wenig Wasser verhindert. Gewöhnlich verfertigt man die einzelnen
Figurenteile separat und setzt sie dann zusammen. Mit einem nassen glatten Stäbchen wird
die Oberfläche der Figur geglättet, Tätowierungen und einige andere Verzierungen werden
eingraviert, die zahlreicheren, erhabenen Ornamente aber (meist Spiral-, Flecht-, Strich-
und Kugelornamente) werden mit aus leicht erwärmtem Wachs gekneteten Röllchen in den
verschiedenen Mustern aufgelegt.
Der Ton, den man zur Umkleidung des Modells verwendet, wird vorher mit etwas Was-
ser gut durchgeknetet. Es kommen oft Tierhaare oder feinste Bastfasern hinein, um der
Masse besseren Halt zu geben. Der Ton wird in mehreren Schichten um den Wachskern ge-
legt, Die erste Schicht wird etwas übertrocknet, da sie, der besseren Anschmiegsamkeit
halber, sehr feucht aufgelegt wird. Dann folgt eine zweite Schicht und auf diese wird noch
weiterer Ton aufgelegt, wenn sich, wie es häufig geschieht, Risse in der Masse zeigen.
Am Boden der Figur werden, wie bei Nr. 57 M. f. V. W. gezeigt wird, wächserne Stiele
angesetzt; an der Mündung dieser Stelle wird aus Ton der Gußtrichter geformt. An dieser
Stelle wird die Gußspeise eingegossen, nachdem man die Figur, Gußöffnung nach oben,
in den Boden gesteckt hat. Das Wachs wird nur selten vorher ausgeschmolzen, höchstens
läßt der Künstler einen Teil des Wachses durch Uberhalten über das Feuer etwas anschmel-
zen, der größte Teil versickert jedoch in der Tonschicht.
Vor dem Guß wird das Metall (Mano: feli Gelbmetall) in kleinen Stücken in dem
Schmelztiegel, einem zylindrisch geformten Tongefäß, über das Feuer gesetzt. Mittels Holz-
kohle und Handblasebalg wird das Feuer auf die notwendigen Hitzegrade gebracht, dann
die Gußspeise vorsichtig durch den Gußtrichter auf den Wachskern geschüttet.
Die Herstellung von Schmuckstücken gilt als weniger schwierig, als das Gießen von Fi-
guren und es gibt in Ostliberia noch einige Leute, die einfache Stücke zu gießen verstehen.
Viele der traditionellen Formen sind innen hohl. Bei ihrem Guß wird erst ein Tonkern an-
gefertigt und dieser dann mit der Wachsschicht umgeben. Im übrigen behandelt man dann
die Stücke wie die Figuren. Die Gußlöcher sind, soweit man dies bei den alten Stücken noch
feststellen kann, an einem oder an beiden der äußeren Enden der meist offenen Schmuck-
ringe, Das Wachs wird hier niemals ausgeschmolzen, weil zum Beispiel bei geschlossenen
Ringen die Kern- und Außenwand verbindende Tonschicht leicht einbrechen könnte, wenn
durch das Verschwinden des Wachses ein Hohlraum entsteht.
GELBGUSSFIGUREN.
Von meiner ersten Reise brachte ich die Plastik einer Frau, die auf einem dreifüßigen
Schemel sitzt und ein Kind auf dem Schoß hält; hinter der Frau sitzt der Hund, der das Kind
reinzuhalten hat (Nr. III C 35856 M. f. V. B., 8 cm hoch, Abb. 2). Das Stück stammt
vom Dankünstler. Auf meiner zweiten Reise erwarb ich aus der Werkstätte des gleichen
Abb. 2
den Gußtrichter 2 cm entfallen. Vom Gußloch führen Kanäle aus Wachs in die einzelnen
Teile der Figur. Der Dan bringt die Gußlöcher meist am Boden der Stücke an, der Kran
aber zieht solche am Kopfende vor.
Nr. 53 M. f. V. W. ist die 24 cm hohe Figur einer reisstampfenden Frau im Rohguß,
d. h. Gußkanäle und Gußtrichter sind noch nicht abgeschlagen und die Figur ist noch nicht
behämmert. Vom Gußtrichter laufen drei Kanäle in je ein Bein der Frauenfigur sowie in den
Stoßmörser.
Das Modell eines Reiters zu Pferd befindet sich heute im Institut für Ägyptologie und
Afrikanistik, Wien, und stammt aus dem Besitz des Häuptlings Krai (Abb. 4). Es dürfte
älteren Datums sein, stammt aber aus der Kran- Schule.
Die Legierung enthält viel Kupfer, der Rücken des Pferdes j ;
ist teilweise nach dem Guß gehämmert. Die Figur ist 17 cm
hoch und 19,5 cm lang, davon entfallen auf den Reiter
13,5 cm, das Pferd aber ist 10,5 cm hoch. Die Figur besitzt
vier Gußlöcher an den Beinen des Pferdes. Die strangartige
Mähne des Tieres hängt nach einer Seite, ein Schellenband
am Halse ist erkennbar. Die Zügel sind gewunden und
ahmen geflochtene Lederstreifen nach. Die rechte Zügel-
seite ist abgebrochen und erscheint erst wieder in der linken
erhobenen Hand des Reiters. Der Mann trägt einen Hut
und am Rücken eine Amulettasche; in der rechten Hand
schwingt er eine erhobene Peitsche. Auf die Geschlechts-
merkmale des Mannes und des Pferdes — einer Stute —
wurde wie gewöhnlich großer Wert gelegt. Der Reiter ist ohne Sattel und ohne Steigbügel
dargestellt, desgleichen fehlt ein richtiges Zaumzeug. Dies kann geschehen sein, um den
Guß zu vereinfachen oder wahrscheinlicher, weil der Künstler mit Pferden nicht vertraut
ist. Diese Tiere sind ja in der Urwaldgegend eine Seltenheit.
Abb. 4
50
E. DONNER
Zwei nahezu gleiche Figuren sind die beiden Palmweintrinker. Einer davon, Nr. III C
35 859 M. f. V. B., 22,5 cm hoch, der andere im Institut für Ägyptologie und Afrikanistik,
Wien, 20,5 cm. Sie stammen vom Kran aus Bellewalli. Die Form der beiden ist bis auf eine
geringfügige Kleinigkeit an der Kopfbedeckung dieselbe. Derartige kleine Abweichungen
kommen vor. Beide Palmweintrinker haben zwei Amulettaschen mit kreuzweise gelegten
geflochtenen Schnüren um den Oberkörper und tragen einen gleichfalls geflochtenen Riemen
um die Hüften. Die Geschlechtsteile sind überdimensioniert. In der rechten Hand halten
beide Figuren ein Töpfchen und auf der rechten Schulter ist eine halbe Spirale zu sehen.
Die Gußlöcher sind am Kopf. Nr. III C 35 838 M. f. V. B. ist die 20,5 cm hohe Plastik eines
alten Mannes mit einem Stock. Er trägt eine Amulettasche anderer Art. An den Beinen hat
er Fußreifen. Er hat einen Kinnbart und trägt eine Kappe nach alter Art.
Nr. 55 M. f. V. W. ist die 16,5 cm hohe Figur eines Jägers; im Institut für Ägyptologie
und Afrikanistik steht ein 16 cm hohes, ganz ähnliches Stück. Beide tragen die Flinte an
der linken Seite, haben Amulettaschen mit gekreuzten Bändern und einen Gürtel von fünf
Schnüren um die Lenden. Die Augen sind durch Spiralornamente stilisiert dargestellt, die
Gußlöcher befinden sich am Kopf und an der Gewehrspitze. Die Stücke stammen vom Kran-
Künstler.
Eine kleine Ente, Nr. 56 E. D., ist 6,5 cm hoch und 14 cm lang. Das Tier ist stark stili-
siert; Flügel und Schwanz sind mit Halbkreis- und Schnurornamenten versehen. Zwei Guß-
löcher befinden sich am Schwanzende. Eine zweite Ente ist noch stärker stilisiert. Am flachen
Rücken sind Kreis- und Halbkreisornamente in Schnurform aufgetragen und sogar Augen
und Schnabel sind derartig stilisiert. Beide Stücke stammen von den Kran.
Ebenfalls aus Bellewalli stammen drei Krokodile. (Das Dorf liegt am Mittellauf des
Nuon-Flusses, in dem Krokodile gelegentlich verkommen.) Die Längen betragen 37 cm,
29 cm und 30,5 cm, die Höhen in derselben Reihenfolge 4 cm, 4,2 cm und 3,8 cm. Die Dar-
stellungen sind wieder stark stilisiert und haben verschiedene Zopf- und Strichornamente
am Rücken, die den Krokodilpanzer darstellen sollen. Die Gußlöcher sind am Schwanzende.
Alle diese Stücke wurden, mit Ausnahme von kleinen Ausbesserungen, nicht mehr be-
arbeitet. Anders ist es dagegen mit den Figuren des Dan-Künstlers aus Ga-plei. Da ist einmal
die 21,5 cm hohe Figur einer Wasserträgerin, Nr. III C 35 857 M. f, V.B.
(Abb. 5). Die Figur trägt einen mit Gravierungen versehenen Wasser-
topf auf dem Kopfe, den sie mit einer Hand festhält. Sieträgt Knieringe
und einen Gürtel um die Hüften. Eine andere Figur stellt einen Ge-
fangenen dar. Nr. 54 M. f. V. W. Der Mann ist 20,5 cm hoch und bis
auf einen Strick um die Hüften vollständig nackt. Der Strick ist
nicht geflochten dargestellt und soll wahrscheinlich ein Lianenseil
vorstellen. Die Hände des Gefangenen sind am Rücken mit einem
doppelten Strick zusammengebunden. Der Mann trägt einen Hut,
hat aber keinerlei Tätowierungen und keinen Schmuck. Beide ge-
nannten Figuren sind sorgfältig behämmert. Die rötliche Gußhaut,
die bei den Kran fast immer unangetastet bleibt, ist hier durch
das Behämmern verschwunden.
Ein Stück viel älteren Datums ist die Figur eines Stelzen-
tänzers, die sich im Privatbesitz Dr. Fuszeks (Monrovia) befindet
(Abb. 6). Das Stück ist 67 cm hoch; davon entfallen etwa 29 cm
auf den Mann. Die Stelzen sind mit Kerbverzierungen versehene
runde Säulen und sind unten — wahrscheinlich nachträglich — auf
einen Ring aufgesetzt und angeschmiedet. Deutlich sichtbar ist die
Art der Stelzenbefestigung: sie sind am Knöchel und am Knie
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA 5 i
angebunden. Der Tänzer trägt ein Baströckchen, daraus aber wieder die Geschlechtsteile
genau ausgearbeitet hervorsehen. Die Arme sind seitwärts ausgestreckt, die Unterarme recht-
winklig nach oben gebogen. In der Linken hält er ein Horn, in der
Rechten etwas wie einen gebogenen Stab; es könnte sich eventuell
um einen Kuhschwanz handeln, der von diesen Tänzern gerne ge-
tragen wird. Er trägt Halsringe und der Hals scheint etwas ver-
längert. Am Kopfe hat er eine spitzige, mit Ornamenten versehene
Mütze und einen spitzen, 2,8 cm langen Bart. Das Gesicht ist
unmaskiert. Gewöhnlich tragen diese Tänzer über dem Gesicht
ein Netz aus schwarzem Bast oder Tierhaaren und der künstliche
Bart ist aus dem selben Material. Soweit man feststellen kann,
hat das Stück Gußlöcher an der Bartspitze, an der Mützenspitze,
vorne an den beiden Schienbeinen, sodann zwei weitere Gußlöcher
in halber Höhe der Stelzen.
Ebenfalls aus der Sammlung Dr. Fuszeks stammt die 23 cm
hohe Figur eines urinierenden Mannes (Abb. j). Sie dürfte aus der
Schule des Dan-Künsllers stammen. Ein weiteres Stück dieser
Sammlung ist die 19,5 cm hohe Figur eines Mannes mit einer Schlitz-
trommel (Abb. 8). Die Trommel hält er in der linken Hand, den
Schläger dazu in der rechten. Er ist ohne Hut und mit einer sehr
kunstvollen Frisur dargestellt. Das Stück dürfte älter sein und auch
aus der Dan-Schule stammen.
Ferner befinden sich im Budapest er Museum für Völkerkunde
aus demselben Besitze einige Frauenfiguren. Die eine, 19,5 cm hoch,
trägt ein gezähntes Buschmesser in der Hand (Abb. 9). Sie hat eine
Helmfrisur, gravierte Halsringe, Bauch- und Rückentätowierungen
sowie einen Nabelbruch. Die Figur ist nach dem Guß nicht bearbeitet
und weist eine stark rötliche Farbe auf. Lediglich die Messerscheide
ist bearbeitet und bedeutend heller, da in diesem Fall nicht die Legierung, sondern die
Gußhaut von so besonders roter Farbe ist. Die Plastik stammt von den Kran. Die zweite
Frauenfigur (17,5 cm hoch) hat wieder eine sehr kunstvolle Frisur, Rückentätowierung,
Schellenfußring und Kniering am linken Bein. Die Plastik ist unbearbeitet, die Gußlöcher
befinden sich an den Füßen. Die dritte Frauenfigur hält sich eine Hand an den Mund.
Die Figur ist teilweise bearbeitet und mißt 15 cm (cfr. Abb. 9a).
Abb. 7
Abb. 9a
52
E. DONNER
GELB GUSS-SCHMUCK
Wenn die Gießerei von Figuren niemals allzu große Verbreitung hatte und der Besitz
von Gelbgußplastiken verhältnismäßig wenigen Vorbehalten blieb, so war das Gießen von
Schmuckstücken aus demselben Metall doch in Nordost- und Südost-Liberia sehr stark
verbreitet. Von den einfachsten Ringen und Reifen bis zu den kunstvoll verzierten Schellen-
fußringen gibt es mannigfaltige Formen, in denen oft starkes Kunstgefühl liegt. Wieder
waren es die Häuptlinge, die sich die großen Künstler zu verpflichten verstanden und in
ihrem Besitz befinden sich noch schöne, alte Stücke, Schmuck für Männer und Frauen,
sowie Insignien der Häuptlingsgewalt.
Es gibt auch heute noch mehrere Schmuckgießer. Da diese Schmuckstücke oft mehrere
Kilogramm schwer und an den Körper angeschmiedet waren, erst nach dem Tode des Trägers
wieder abgenommen wurden, hatte dies oft schwere Wunden und Eiterungen zur Folge, und
da außerdem noch die Bewegungsfreiheit der Frauen stark herabgemindert war, hat die libe-
rianische Regierung das Tragen des schweren Gelbgußschmuckes verboten. Daran hält man
sich nicht durchgehend. Schon seit längerer Zeit hat man begonnen, das schwere Gelb-
metall durch das leichte Aluminium, das von französischem Gebiet eingeführt wurde, zu
ersetzen. Meist werden aber einfachere Formen gegossen. Nur bei Häuptlingsinsignien (Nr.
58, M. f. V. W.) wird noch die alte Sorgfalt verwendet. Hier ist der Knochenteil eines Kuh-
schwanzes mit einem gegossenen, 19,5 cm langen Griff umgeben, der mit Flechtmustern be-
deckt ist. Nr. III C 35 767 M. f. V. B. ist ein ähnlicher Kuhschwanz aus dem südlichen Dan-
Gebiet und stellt die Insignie eines Clan-Häuptlings dar. Der 17 cm lange Griff ist hier mit
Rillenverzierung (längs und quer) gegossen.
Im nördlichen Dan-Gebiet, im Reich des alten Häuptlings Kan muß ein besonders
kunstvoller Gelbgießer gelebt haben. Nach Kans Tod übernahm dessen Ziehsohn Mongru
die Regierung, die er auch heute noch in Händen hat. An seinem Hofe in Kan-plei oder
Mongru finden sich noch manche alte Stücke aus Kan’s Familie. Darunter ist ein Häupt-
lingsstuhl aus Gelbguß besonders erwähnenswert. Er ist eine genaue Nachbildung der sonst
in dieser Gegend üblichen hölzernen Stühle. Eine besondere Rolle — wie etwa an der Gold-
küste—■ spielen Stühle bei diesen Stämmen nicht. Der Stuhl besteht aus 6 Stücken, die nach
dem Guß zusammengesetzt und mit Stiften befestigt werden. Die zwei rückwärtigen Beine
sind verlängert und oben durch eine leicht gebogene Stange als Querlehne miteinander ver-
bunden. Die Querlehne wurde mit zwei Löchern gearbeitet und auf die verlängerten Beine
aufgesetzt und festgeschlagen. Zuvor hatte man die flache, mit Ornamenten verzierte Sitz-
platte durchgezogen und die vorderen Beine daran befestigt. Die Höhe der Lehne beträgt
37 cm, die Höhe des Sitzes 11 cm, die Sitzfläche beträgt 34,5 x 23 cm. Das Stück, das noch
von Kan’s Vorfahren stammt, ist das einzige seiner Art in der ganzen Umgebung.
Aus derselben Familie stammt auch ein Buschmesser, das als Wahrzeichen des Häupt-
lings diente. Wenn er es an einen Untertanen sandte, wußte dieser, daß ihm der Häuptling
zu sich berief. Diese Zeichen sind in den einzelnen Häuptlingstümern verschieden, auch gibt
es gewöhnlich zweierlei Arten: ein „schwaches“ und ein ,,starkes“. Wird das schwache
Zeichen gesandt, so bedeutet dies, daß der Gerufene überhaupt zu erscheinen hat, erhält er
aber das „starke“ Zeichen zugestellt, so muß er augenblicklich aufbrechen und darf nicht
einmal unterwegs rasten. Wenn er nicht in der kürzesten Zeit erscheint, so muß er eine Buß-
zahlung leisten, die eine Höhe bis zum Werte einer Kuh erreichen kann.
Das Wahrzeichen Kan’s, das sich nunmehr im Besitze des ältesten Sohnes Mongru
befand, ist 32 cm lang, 19 cm davon entfallen auf den Griff und 13 cm auf die Klinge. Das
ist ungewöhnlich, da bei einem gewöhnlichen Buschmesser (Nr. 65 M. f. V. W., dessen Länge
43 cm beträgt) nur 16 cm auf den Griff entfallen. Hier handelt es sich aber nicht um einen
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
53
Gebrauchgegenstand, sondern es war der Griff, auf dem man mehr Verzierungen anbringen
konnte und dies schien bei einem Prunkstück wichtiger. Die Klinge ist wie bei einem Busch-
messer oben umgebogen und gleichfalls aus Gelbguß. Das Stück ist in einem gegossen. Die
Klinge ist doppelschneidig und wurde am Rande ausgeklopft, in der Mitte aber läuft eine
Bordüre von aufgesetzten Spiralverzierungen. Auch der Griff ist über und über mit Spiral-
verzierungen geschmückt.
Ebenfalls aus dem Besitze Kan’s (Nr. 27 E. D.) stammt ein Kriegsarmring von beson-
derer Schönheit (Durchmesser 6,5 cm, Ringstärke 4 cm). Das Stück ist innen hohl und mit
sechs Kugeln gefüllt. An der Außenseite läuft ein Schlitz, der durchschnittlich etwa 0,9 cm
Abb. 10 a
Abb. 10 b
weit ist. Dieser Armring wurde beim Angriff im Kriege getragen und die Kugeln innen
machen bei Bewegungen einen durchdringenden Lärm. Die Verzierungen sind besonders
reichhaltig und auf beiden Seiten verschieden (s. Abb. 10 a, b). Die Verzierungen sind stellen-
weise schon leicht abgewetzt, was abgesehen von der Überlieferung, nach der das Stück
von Kan’s Vorfahren stammt, auf ein hohes Alter hinweist. Genauer zu datieren ist es
jedoch nicht. Diesem Ring werden auch magische Kräfte im Kriege zugeschrieben.
Schmuckstücke ähnlicher Machart, von Männern oder Knaben getragen, sind Nr. 28
M. f. V. W. und Nr. III C 35892 M. f. V. B. Ersterer hat einen Innendurchmesser von
5,7 cm, der Gesamtdurchmesser ist 11,5 cm, der letztgenannte
Ring mißt 9,5 X 11,5 cm und hat eine Flechtbandverzierung an den
Rändern des Schlitzes und Halbkreisornamente, Nr. 28 ist außer
einer schmalen, doppelten Flechtbandverzierung glatt.
Nr. III C 35861 M. f. V. B. (Abb. 11) ist ein besonders schönes
Stück, das ebenfalls aus Kan-plei stammt. Es gehörte einer Frau
Kan’s, ist aber wieder älteren Datums. Es ist der Schmuck reicher
Frauen und findet sich sonst noch vereinzelt bei den Dan. Es handelt
sich um einen massiven Armpanzer von 16 cm Höhe, der am oberen
Ende ein wenig schmäler wird. Da diese starre Manschette selbst
für die feingliedrigen Hände der Eingeborenen zu schmal wäre, ist
ein Verschlußstück, mit Halbkreisornamenten verziert, eingepaßt.
Das Stück besteht aus 19 runden Querbändern, von denen das
unterste mit einem Kugelwulst besetzt ist.
Abb. 11
8 Baessler-Archi v.
54
E. DONNER
Die Entstehung der Form ist klar, wenn man den Schmuck der geringeren Leute be-
trachtet. Diese tragen mehrere schmale Ringe auf einem Arme, wobei der zuerst angezogene
der größte ist und die anderen in leichten Abstufungen etwas kleiner werden. Man trägt
so zwei bis zwanzig Ringe an einem Arm. Nr. 25 M. f. V. W. ist ein schmaler Armreif
(6,3 X 9,3 cm) mit Kugelverzierung, der das Anfangsstück zu einer solchen Ringreihe dar-
stellt. Die eine Seite des Ringes ist von dem ständigen Scheuern der übrigen etwas ab-
geplattet .Wenn man dieses Stück mit dem Grundring des Armpanzers III C 35 861 M. f. V. B.
sowie Nr. 29 und Nr. 30 M. f. V. W. vergleicht, so sieht man ihre vollständige Übereinstim-
mung. Nr. 29 stammt ebenfalls aus dem nördlichen Dan-Gebiet und ist 13 cm hoch; das
Stück besteht aus 19 glatten Reifen als Imitation und von 19 übereinandergelagerten Ringen.
Hier ist das Verschlußstück nicht mit Halbkreisverzierung versehen, sondern die Ring-
imitation ist auch auf dem Verschlußstück durchgeführt. Das Stück hat einen Durchmesser
von 8 cm am breiteren Ende und 6,8 cm am schmäleren. Der Guß ist nicht ganz regelmäßig,
die Reifenformen sind stellenweise nicht vollständig ausgefüllt. Nr. 30 ist als Gußstück
besser gelungen. Es ist 12 cm hoch, an der unteren Seite 5,8 cm weit, an der oberen 6,7 cm.
Das Verschlußstück fehlt. Diese Manschette besteht aus 10 übereinandergelagerten Ringen,
die plastisch sehr stark hervortreten, so daß hier die Entstehung aus den einzelnen überein-
andergetragenen Ringen noch stärker ins Auge fällt. Der unterste Ring hat wieder Kugel-
wulstverzierung, der oberste zeigt rhombische Facetten.
Oft sind diese übereinandergetragenen Ringe nicht glatt, sondern mit Gravierungen
versehen. Nr. III C 35882 M. f. V. B. zeigt drei zusammengehörige, der Größe nach ab-
gestufte Armreifen, die übereinander getragen werden (Durchmesser 9 cm und kleiner).
Die Reifen zeigen Drehmuster. Nr. III C 35880 und 81 M. f. V. B. sind 4 bzw. 3 solcher
Reifen, wieder der Größe nach abgestuft, mit enggefügtem und graviertem Rhombenmuster.
Nr. III C 35893 M. f. V. B. zeigt zwei zusammengehörige, abgestufte Reifen, die ein weiter
gefügtes Rhombenmuster aufweisen; und III C 37972 ist ein einzelner Armreif (Durch-
messer 9 cm) mit Linien und Rhombenmustern. Nr. III C 35 875 M. f. V. B. ist ein massiver,
gedrehter Armring.
Wohl ebenfalls als Nachbildung einer Reihe von einzelnen Ringen sind die Stücke
III C 35976 und III C 35973 M. f. V. B. zu werten. Beide ahmen hier übereinandergelegte
Reifen nach, wovon der obere und der untere glatt, die beiden mittleren aber mit Dreh-
ornamenten versehen sind. Bei III C 35976 (Höhe 2 cm, Durchmesser 7x8 cm) laufen die
Drehornamente der beiden mittleren Ringe parallel, bei III C 35973 aber gegensätzlich. Beide
Reifen sind an einer Seite offen.
Offene Ringe sind sehr häufig; sie können sowohl von Männern als auch von Frauen
getragen werden. Man sieht sie viel bei alten Leuten und es ist anzunehmen, daß das Tragen
dieser Stücke früher allgemeiner war. Die meisten Armringe sind mit Drehmustern ver-
sehen (III C 35876—79 mit Durchmessern von etwa 7,5 cm bis 10 cm und Nr. 22 und 24
E. D. mit einem Durchmesser von 4,8 X 8,5 cm).
Nr. III C 35889 M. f. V. B. ist ein Armring schwerer Art (Durchmesser 7,5 X 10 cm.)
Er zeigt Verzierungen von schrägen, kurzen Strichen, die in vier Reihen jeweils gegensätz-
lich gestellt sind. Nr. 19 E. D. (Durchmesser 6,5X11 cm) ist ein noch schwererer Ring
mit Dreieckfacetten. Nr. III C 35885—88 M. f. V. B. sind Armreifen ähnlicher schwerer
Art. Davon ist III C 35885 glatt und unverziert, die beiden anderen haben je eine Drei-
eckverzierung an den offenen Enden und eine Reihe von Kreisen an der Außenseite des
Ringes.
Nr. III C 35871 M. f. V. B. ist ein kreisrunder Armreif (Durchmesser 13,5 cm) mit einem
eingelegten Verschlußstück; es ist mit Rhomben und Drehornamenten verziert. Nr. III C
35884 und III C 35875 sind kreisrunde (10,5 und 9,5 cm Durchmesser), massive Armringe,
A V
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA 55
ersterer glatt, letzterer gedreht. Nr. 21 M. f. V. W, ist ein 11 cm im Durchmesser messender
Armring mit Kantenverzierung. An zwei gegenüberliegenden Seiten zeigt er nach außen
einige Dreieckfacetten.
Hals-, Knie- und Fußringe haben die Enden immer offen, da sie so schmal sind, daß es
sonst unmöglich wäre hineinzukommen; eine Ausnahme bilden nur die ovalen Fußringe,
die in ihrer Form sehr an indische Stücke erinnern. Solch ein Paar ist Nr. III C 35891a, b
M. f. V. B. Sie zeigen ein Rhombenornament auf den beiden schmälsten Stellen und sind
an beiden Enden leicht aufgebogen. Nr. III C 35890a, b M. f. V. B. stellen ähnliche Stücke
dar, haben aber Querrillenverzierung. Die Größen variieren leicht von 10X14 cm bis
10,5 X 15 cm. Die Durchmesser der Reifen betragen etwa 2 cm. Diese Form findet sich bei
Mano und Dan in gleicher Weise, bei den Dan sind sie heute seltener. Die meisten der er-
wähnten Schmuckstücke sind allgemeines Kulturgut der Mano, Dan und Kran. Die Mano,
die als erste mit der Zivilisation wenigstens in oberflächliche Berührung gerieten und auch
von Mandingos und Konos mehr beeinflußt werden, haben stärker ihre alten Schmuck-
formen abgelegt.
Halsringe werden auch bei den Dan nur mehr selten getragen, kommen aber bei den
Kran noch vor. Die Stücke III C 35872 M. f. V. B. (Durchmesser 16X18 cm) und Nr. 26
M. f. V. W. (14 X 17 cm) stammen von den Dan. Sie sind massiv, mit ziemlich weiterÖffnung;
ersteres zeigt außer Kantung die Enden mit Rhombenornament verziert, letzteres hat
Kantung mit Dreieckfacetten an den Enden. Meist wurden aber zwei und mehr Halsringe
übereinander getragen. Wenn man aus den gravierten Rillen am Halse der meisten Holz-
plastiken schließen darf, wurden in alten Zeiten eine noch viel größere Zahl getragen (s. III C
35836 Gola M. f. V. B.). Diese gravierten Rillen fehlen selten auf Figuren und es ist wahr-
scheinlich, daß sie ursprünglich stark schematisierte Ringe darstellten.
Wenn mehrere Halsringe getragen werden, so hat man sie, wie bei den Armreifen, der
Größe nach abgestuft. Nr. III C 35 873 a und b sind wieder gekantete, an den Enden mit
Rhombenornamenten verzierte Halsringe, von denen der größere einen Durchmesser von
18X20 cm hat, der kleinere also, der darauf getragene, einen solchen von 16X17,5 cm.
Ähnlich den Halsringen sind der Ausführung nach Reifen, die von den Frauen unter-
halb des Knies getragen werden. Man verwendet sie auch heute noch gerne und sie sind All-
gemeingut der Mano, Dan und Kran, sowie der angrenzenden Bezirke anderer Stämme
(Bassa, Kpelle etc.). In jüngster Zeit freilich fertigt man sie auch aus Aluminium an. Die
Formen der Knieringe sind meist ziemlich einfach, zuweilen glatt und rund, häufiger aber
gerippt, wie z. B. III C 35969 a und b, HI C 3597° un(I HI C 35877 a—c M. f. V. B. Sie
zeigen Durchmesser von 9,5X12,5 cm bis 10,5X15 cm und sind durchweg offen. III C
35971 (10,5X13,5 cm) ist 3 cm hoch und ahmt zwei übereinandergelagerte Ringe nach.
In Sammlung E. D. sind Nr. 17 und 19 ähnliche Stücke. Selten werden zwei dieser Ringe
übereinander getragen; da sie fest anliegen müssen, würden sie die Haut einklemmen. So
hat man einfach ein Stück gegossen, das wie zwei übereinander gelegte Ringe aussieht.
Im allgemeinen wird auf die Ausführung der Fußringe die meiste Aufmerksamkeit
verwendet. Sie sind fast ausschließlich Schmuck der Frauen, dürften aber früher auch von
Männern getragen worden sein. Die Ringe können viele Kilogramm schwer sein und die
Frauen sind beim Tragen dieser Stücke im Fortkommen sehr behindert. Die „schönsten
und kostbarsten“ Stücke nach Eingeborenenansicht können nur von Frauen getragen
werden, die nicht arbeiten müssen, also Hauptfrauen von Häuptlingen und anderen reichen
Männern. Die großen Stücke werden vom Gelbgießer selbst an dem Bein der Frau —- ge-
wöhnlich bei ihrer Verheiratung — als Mädchen wird sie solchen Schmuck niemals tragen —
befestigt. Er stemmt dabei die Öffnung auf, zwängt den Fuß hinein und preßt wieder zu.
Wenn die Trägerin es durchhalten kann, wird sie den Ring ihr ganzes Leben schleppen. Erst
8*
Vma
MÉgL f ;
56
E. DONNER
nach dem Tode stemmt man, mittels Eisenklammern, die in den Zwischenraum getrieben
werden, das Stück auf, wobei das Metall oft reißt. Um das ständige Scheuern beim Tragen
zu mildern, werden Baumwollappen untergelegt oder wenn mehrere Ringe übereinander ge-
tragen werden, führt eine Binde, ähnlich einem Sockenhalter, bis unter das Knie, wo sie
festgebunden wird. Dennoch entstehen durch das Scheuern häufig Wunden, die durch das
Metall infiziert werden und zu langwierigen Geschwüren Anlaß geben.
Von der Hauptfrau des bereits vorerwähnten Kan stammen Nr. 1 und Nr. 2 E. D.
Es handelt sich um ein Paar Fußringe, deren Durchmesser nicht weniger als 22,5X25 cm
beträgt, die Höhe ist 10 cm. Es ist der schwerste Ring, der mir je zu Gesicht gekommen ist.
Das Stück ist gerippt. Häufiger ist die Form wie bei Nr. 3 M. f. V. W., die gerippt und mit
einem Kugelwulst versehen ist. Auch dieses Stück ist sehr groß und hat einen Durchmesser
von 27X25 cm und ist 9 cm hoch.
Die eben geschilderten Formen sind traditionell und werden auch heute noch am häufig-
sten in Aluminium angefertigt. Kleinere Stücke dieser Art werden schon von Kindern ge-
tragen, eventuell auch von Männern. Nr. 14 M. f. V. W. ist ein Fußring der eben erwähnten
Art. Er mißt 14X16 cm im Durchmesser und ist 3 bis 6 cm hoch (vgl. III C 35894 a, b;
III C 35 895 a, b M. f. V. B.; Nr. 6, 7, 9, 10, 11, 12 und 13 E. D.). Auch diese Schmuckringe
werden meist nur von höher gestellten Frauen getragen.
Etwas leichterer Art sind die beiden Fußringe, die mit Schellen verziert sind. Besonders
schön und kunstvoll im Guß sind die seltenen, mehrreihigen Schellenfußringe, die wieder
nur von Häuptlingsfrauen getragen werden. Ein derartiges Stück, das aus 20 miteinander
verbundenen Schellen besteht, stammt wieder aus Kan-plei aus der Familie des alten Kan
(Abb. 12 a, b). In jeder Schelle steckt eine Gelbgußkugel und die oberste Reihe ist mit
Abb. 12 a
Abb. 12 b
Halbkreis- und Strichornamenten verziert. Die Zwischenglieder zwischen den einzelnen
Schellen sind mit einer erhabenen Strichverzierung umwunden. Nr. III C 35864 b und c
M. f. V. B. sind ähnliche Stücke aus dem mittleren und südlichen Dan-Gebiet. Ihr Durch-
messer beträgt etwa 10X13 cm, die Höhe schwankt zwischen 9 und 11 cm. Nr. 32 M. f. V. M.
ist ein ähnliches Stück vom Kran-Gebiet aus dem Dorfe Bellewalli; es hat einen Durchmesser
von 10X13 cm und eine Höhe von 7 cm. Das Stück ist besonders alt und die Ornamente
sind von größerer Feinheit als gewöhnlich, d. h. bei der Herstellung des Wachsmodells
muß ein besonders dünner Wachsfaden für die Auflage der Verzierungen verwendet
worden sein. Von den 5 Deckschellen trägt jede eine andere Verzierung in Linien-
ornamenten und Zopfmustern (an Kornähren erinnernd). Die offenen Enden des Fußringes
laufen in einer Spirale aus.
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
57
Nr, III C 35863 (Abb. 13) bis III C 35867 M. f. V. B. sind Fußringe, die je aus einem
massiven Mittelstück bestehen, das mit 5 bis 8 Schellen besetzt ist. Nr. III C 35863 stammt
von den Kran und hat einen Durchmesser von
1 i ,5 X 15 cm; das Stück hat 6 große Schellen, die
mit Spiralverzierung besetzt sind, während der
Mittelteil mit einem Flechtmuster bedeckt ist.
Einige Stücke sind mit je 10 Schellen dicht
besetzt. So z. B. Nr. 36 M. f. V. W. Hier ist das
Mittelstück mit Zopf- und Linienornamenten
versehen. Die Schellen zeigen Kreisverzierung
mit einem viergeteilten Knopf in der Mitte der
Oberseite; an manchen Schellen sieht man eine
eingepreßte Vierteilung auf dem Oberteil der
Schellen. Ähnlich sind Nr. 37 und 38 E. D.,
nur daß diese sichtlich älteren Stücke ziemlich
verbogen sind und öfters Schellenkugeln fehlen. Sie stammen von den Dan und sind mit
je 4 Schellen besetzt.
Nr. 33 und 34 E. D. sind ein Paar mit je vier Schellen besetzten Fußringen von den
Kran aus Bellewalli. Ihre Durchmesser sind 17X12 cm und 18X12 cm. Die Ornamente sind
besonders schön und sorgfältig ausgeführt. Je zwei Schellen weisen das gleiche Muster auf
(„Ährenmuster“, Spirale, Halbspirale) und die Ornamente auf den zwei Ringen sind gleich-
falls verschieden, die Ringe enden wieder in einer Spirale.
Nr. 41 bis 43 E. D. sind Schellenfußringe geringerer Leute; sie haben nur drei Schellen
an jeder Seite. Sie werden nur immer an einem Fuß getragen und sind bei der Arbeit nicht
sehr hinderlich. Ihre Durchmesser betragen 13X11,5 cm> I2,5^9 cm und 12X9,5 cm. Die
Stücke zeigen Spiral- und Halbspiralverzierung sowie Kreisverzierung mit Mittelknopf.
Nr. 44 E. D. ist ein vierschelliger Kinderfußring der Mano, ähnlicher aber zarterer Bauart.
Der Durchmesser beträgt 9,3X9^ cm. Die Schellen zeigen Spuren von nagelartigen Ver-
zierungen und Reste von Spiralornamenten. Nr. III C 35 868 a, b M. f. V. B. sind zwei Kinder-
fußringe der Dan mit je zwei Schellen; sie haben einen Durchmesser von 8X7 cm und zeigen
die normalen Spiral- und Kreisornamente.
Halsketten aus Schellen und Gelbgußperlen finden sich nur vereinzelt. Ich habe nur
zwei Stücke davon gefunden und diese sind wieder alte Stücke aus der Häuptlingsfamilie
Kans. Nr. 50 M. f. V. W. besteht aus einem 7,5 X 2 cm Durchmesser messenden hohlen
Mittelstück, das mit Linien und Flechtmuster verziert ist. 3 Schellen (2 cm Durchmesser)
mit Kreisverzierung schließen an etwa 1 cm lange, wie Perlen geformte Fortsätze. Außer
diesem Mittelstück besteht die Kette noch aus 44 Perlen, die teils länglich und leicht facet-
tiert, teils kurz und rundlich sind. Ein Teil der Perlen scheint aus Kupfer zu sein (letztere
zeigen Spuren, wo die Perlen zusammengehämmert wurden). In unregelmäßigen Abständen
(4 bis 6 cm) folgen 2 facettierte Gelbgußperlen mit einer nach außen angesetzten Schelle
mit Kreisverzierung. Außer dem Mittelstück sind 7 Schellenpaare vorhanden. Die Kette
ist auf einer vielfach genommenen Bastschnur aufgereiht.
Das Stück war einstmals im Besitze einer Frau Kans und wurde von einer alten Frau
derselben Familie behütet. Nr. 49 E. D. stammt gleichfalls von einer Häuptlingsfrau Kans,
war aber dann im Besitze der ehemaligen Hauptfrau Mongrus. Diese Kette besteht aus
45 Perlen, von denen jede zweite mit einer 2 cm im Durchmesser messenden Schelle besetzt
ist. Die Perlen, an die die Schellen angesetzt sind, weisen teils kleine Dreieckfacetten auf,
teils sind sie gerippt. Es ist wahrscheinlich, daß die beiden Ketten öfters umgefaßt und die
Bestandteile (Schellen und Perlen) nicht zur selben Zeit hergestellt wurden.
58
E. DONNER
Hierher gehören noch 8 einzelne Schellen, die an Hunde- oder Pferdehalsbänder ge-
hängt werden oder einem Kleinkind mit einer Schnur um Fuß oder Handgelenk gebunden
werden.
Nr. III C 35870 M. f. V. B. ist eine Gürtelspange aus Gelbguß. Sie mißt 9X 10 cm und
weist Linien und Flechtmuster auf. An zwei Ringen wird sie an den Lederriemen am Gürtel,
eventuell auch an eine Schnur um den Hals, angehängt. Sie dient nicht zum Verschluß.
Ähnliche Spangen werden mit oder ohne Glasperlen häufig von Kindern um den Hals ge-
tragen. Diese Stücke sind alt und werden heute nicht mehr hergestellt. Die Form ist eine
reine Schmuckform und für keinerlei Zweck eigentlich zu gebrauchen.
Die Laune eines Künstlers stellt Nr. 52 E. D. dar. Es ist ein Mörserchen, 5,5 cm hoch
mit einem oberen Durchmesser von 4 cm, das zum Stampfen von Tabak dient. Es ist eine
Nachbildung der Holzmörser.
SCHMUCK AUS ANDEREM MATERIAL.
„Moderne“ Schmuckstücke sind, wenn sie überhaupt noch aus Gelbguß bestehen,
einfache, dünne Reifen, häufig gedreht und meist offen. Hie und da findet sich noch eine
gravierte Strichverzierung (III C 35803 a, b M. f. V. B.). Nr. III C 35795 M. f. V. B.
ist ein gedrehter Messingreif mit zwei Endknöpfen. Er stammt von den Mano. Nr. III C
35794 ist ein ähnlicher offener Reifen aus Kupfer, aber ohne Endknöpfe.
Aluminium wird heute bevorzugt. Von den Gola stammt ein offenes Aluminiumarm-
band ohne Knöpfe, das ein durchkreuztes Rhombenmuster zeigt und III C 35800 a, b
M. f. V. B. sind gedrehte, mit Knöpfen versehene Armreifen aus demselben Material.
Gerne verwenden die Mano die Kontrastwirkung von zweierlei Metall. Nr. III C
35793 M. f. V. B. ist ein offener Reifen, der aus Aluminium- und Kupferbändern gedreht
und auf diese Weise gemustert wurde. Nr. III C 35 792 ist aus einem Gelbguß-, einem Kupfer-
und einem Aluminiumstreifen gedreht und dadurch dreifarbig.
Auch Kupferperlen fertigt man heute nur mehr selten an. Nr. III C 35783 M. f. V. B.
ist der Rest eines Kupferperlenhalsbandes. Auch hier wird heute Aluminium (Mano; feli pu)
vorgezogen und in der alten Art verarbeitet. Nr. III C 35784 M. f. V. B. ist ein Halsband
aus Aluminiumperlen, die auf eine Bastschnur aufgezogen wurden. Die Länge beträgt
37 cm. Die Vorliebe für Aluminium als Schmuckmaterial ist einerseits auf die leichte Be-
arbeitungsmöglichkeit und vor allem auf sein leichtes Gewicht zurückzuführen, dann aber
auch auf seine Ähnlichkeit mit Silber, das die Waldbauernbevölkerung bei den Mandingos
sieht, das ihnen aber meist selbst unerschwinglich ist.
Die Mandingo und der kleine Stamm der Kono in Nordostliberia, der aus einer Mischung
eines Mande tan-Stammes mit einem Kpelle- Stamm entstand, sind gute Silberarbeiter
und stellen schöne Arbeiten her. In Nordostliberia findet sich Silber
(Mano: wacp) fast gar nicht im Besitz der Mano und Dan, in Mittel-
und Nordwestliberia aber sind die Waldbauern vereinzelt im Besitz
von Silberschmuck. Nr. III C 35 798 M. f. V. B. ist ein aus vier Silber-
drähten gedrehtes Armband, das mittels Haken und Öse verschließ-
bar ist (Durchmesser 8x 11 cm). Nr. III C 35797 M. f. V. B. ist ein
offener, mit zwei kleinen Endknöpfen versehener Reifen aus dickeren
Silberdrähten. Häufig sind in Westliberia noch bandartige, ge-
schlossene Reifen mit etwa 5,5 cm Durchmesser, die mit gepunzten
Abb. 14 Mustern, u. a. mit Schlagkreisornamenten versehen sind (Abb. 14).
Gedrehter silberner Armreif. Hergestellt aber werden auch diese durchweg von Mandingos.
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
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Abb. 15
Abb. 16
Die Mandingo-Frauen im Nordosten tragen gerne gedrehte, glatte (III C 35788 M. f.V.
B.) oder gedrehte und gravierte Armreifen, die offen sind und meist zwei Endknöpfe haben
(Abb. 15). Die Durchmesser ...
betragen 5,3 X6,5 cm oder - --------J
auch nur 5 X 6,5 cm und noch
weniger. Es ist einer Euro-
päerin in den meisten Fällen
unmöglich, einen solchen
Reifen zu tragen. Die mit Dreh- und Ritzmustern versehenen Stücke sind oft sehr schön
und sorgfältig gearbeitet und von beträchtlichem Gewicht. Als Material wurden gewöhnlich
die alten französischen 5-Frank-Stücke verwendet.
In derselben Art werden auch Fingerringe getragen, nur fehlen hier selbstverständlich
die Endknöpfe und die Enden werden zusammengebogen und abgeflacht, so daß der schwere
Ring beim Tragen weniger schmerzt. Die Stücke sind gedreht und graviert und zeigen an
der Abflachung ein netzartiges Muster (Abb. 16). Sie werden an der linken
Hand getragen und es können auch mehrere Ringe übereinandergezogen
werden. Das geschieht aber nur bei festlichen Gelegenheiten, da man mit den
Ringen nicht arbeiten kann. Mandingo-Männer tragen ähnlich schwere, aber
meist glatte Ringe.
Die Waldstämme bevorzugen offene, glatte Reifen, hie und da auch gedreht mit kleinen
netzartigen Rhombengravierungen (Nr. 314 M, f. V. W., einen Daumenring aus Gelb-
guß). Aluminium oder Eisen wird bevorzugt (Nr. III C 35 791 und III C 35774 M. f. V. B.).
Nr. III C 35789 ist ein aus einem Silber- und einem Messingreifen gedrehter Fingerring mit
einem Durchmesser von 2,5 cm.
Von Mandingo- und Konofrauen wird ein eigenartiger Tanzschmuck getragen, der ge-
wöhnlich an einer Kette aus Silberdraht um den Hals hängt. Solche Stücke bekommen die
Mädchen zu ihren Jugendweihfeiern. Das Schmuckstück ist meist innen hohl, läßt sich
aber nicht öffnen. Amulette sind gewöhnlich nicht enthalten. Auf den ersten Blick
sehen diese Anhänger jenen sehr ähnlich, die von Männern an silbernen Ketten getragen
werden und Amulettkapseln darstellen (mit Koransuren auf Papierröllchen). Ein Tanz-
schmuck der ersterwähnten Art ist Nr. III C 35796 M. f. V. B.; er stammt von einer Gola-
Frau und sie erhielt ihn anläßlich ihres Beitrittes in den Sande-Bund und schrieb ihm Amu-
letteigenschaften zu. Sie trug ihn aber nur beim Tanz bei feierlichen Anlässen. Das Stück ist
zweifellos Mandingoarbeit und nur zufällig in den Besitz der Gola gekommen. Der Anhänger
eine Art von geschlossener Schachtel (4,5 X 5,5 cm), ist nicht zu öffnen. Er hat eine kleine
Öffnung, in der wohl eine Schnur oder Kette steckte. An der Oberseite
sind aufgelötete Silberdrahtornamente in geschwungenen Linien.
Ein anderer Tanzschmuck, der sich in meinem Privatbesitz befindet,
stammt von einer Konofrau, wurde aber gleichfalls von einem Mandingo
angefertigt. Es ist ein Anhänger in Form eines Wappens mit gestanzten
Ornamenten (Abb. 17). In der Mitte sitzt auf einem erhabenen Aufsatz
ein Tier, wahrscheinlich ein fliegender Fisch, vielleicht auch ein Vogel
(Aufsicht) mit ausgebreiteten Schwingen. In der Mitte des Tieres ist eine
Art Knopf. Das breite obere Ende des Anhängers bildet eine Art Röhre,
in der ein Stift mit beiderseits aufgebogenen Enden steckt. Daran ist
die Kette angegliedert. Jedes Kettenglied besteht hier aus einem dreifach
über einen Stift gerollten Silberdraht und die Glieder sind einfach ineinander gehängt.
Eine andere Kette, ebenfalls von einem Mandingo-Schmied (namens Fayenga) gemacht,
ist um vieles feiner. Hier sind die einzelnen Glieder in Form einer gewundenen Acht
Abb.
6o
E. DONNER
ineinandergehängt. An dieser Kette hängen 3 Leopardenzähne, von denen man einen, da
er gebrochen war, zur Hälfte mit gepunztem Silberblech überzogen hat. Leopardenzähne
gelten als sehr wertvoll und waren nur immer Schmuck der freien Frauen.
Da sich die Technik der Silberschmiede in keiner Weise von der im Sudan unterscheidet,
gehe ich nicht weiter darauf ein.
In diesen Abschnitt gehören nun noch die in ganz Liberia bekannten, aus Elefantenhuf
geschnitzten Armreifen, die mit Eisen- Aluminium- oder Silbernägeln in Abständen (auch
Ornamente bildend) beschlagen werden. Nr. III C 35801 a—e M. f. V. B. sind 5 solcher
Armbänder, die aufeinander getragen werden und der Größe nach leicht abgestuft sind.
Sie stammen von den Mano, sind aber Allgemeingut der meisten liberianischen Stämme.
Die Liberianer lassen diese Armbänder manchmal mit Goldnägeln beschlagen und sie werden
für glückbringend gehalten. Goldarbeiten finden sich sonst bei den Stämmen des Hinter-
landes nicht.
SCHMIEDEARBEIT.
o
Die Eisengewinnung (Mano; pe külü, Eisen) aus Erz ist heute bei den Waldvölkern
Ostliberias unbekannt. Es besteht aber noch die Erinnerung an Personen, die vor nicht all-
zulanger Zeit diese Kunst verstanden. Es dürfte diese Kenntnis aber niemals allgemein
gewesen sein. Außer Waffen und Messern finden sich auch vereinzelt noch andere eiserne
Gegenstände, die über das ganze Waldgebiet hin verstreut sind. Eisen gilt immer als eine
Art von magischem Metall, ein Metall, dem besondere Kraft innewohnt. Ein Gelbguß- oder
Kupferring wird nur als Schmuckstück gewertet, ein eiserner Ring aber hat Amulettwert.
Ebenso ist es mit den seltenen eisernen Armreifen — meist gedreht und in der Technik
gleich den anderen. Sie sind Familienerbstücke und beinahe immer unverkäuflich. Ein
Zauberabwehrbund der Dan, die Tödia, hat einen eisernen Armreifen als Bundesamulett.
Ein Zauberer der Mano rief den Geist eines sprechenden Baumes durch Pfeifen auf einem
Eisenpfeifchen. Schwer zu erlangen ist auch eine Art Glocke mit Handgriff Nr. 61 (Abb. 18)
und 62 M. f. V. W. und E. D. Die größere dieser Glocken ist 24 cm hoch, wobei
etwa 10 cm auf den Griff entfallen. Der Durchmesser der Glocke ist 9,2 X 10,6 cm.
Die zweite ist 21 cm hoch und im Durchmesser 7,4 X 8,3 cm. Die Glocken haben
an beiden Teilen deutlich sichtbare Kanten und sind aus zwei einzeln ge-
schmiedeten Teilen zusammengehämmert worden. Der Handgriff trägt eine
Art Schlinge und wurde erst nachträglich eingefügt. An dieser Schlinge ist
innen in der Glocke mittels eines Hakens der eiserne Klöppel eingehängt.
Der Ton dieses Instrumentes ist hell und durchdringend. In der äußeren Form
ähneln diese Stücke den Eisengongs von Kamerun und anderen
Teilen Westafrikas. Allerdings sind jene immer klöppellos und
werden mit einem Stäbchen geschlagen. Die Glocken werden in
Liberia niemals für profane Zwecke verwendet, sondern man
läßt sie bei Maskentänzen und Geheimbundzeremonien ertönen.
Nr. 63 (Abb. 19) und 64 M. f. V. W. sind 2 eiserne Schellen (10x5,3 cm
und 6,5 X9,7 cm, Höhe 4 und 5 cm). Der seitliche Schlitz läßt sich bis in den
Haltehaken hinein verfolgen, der obere breite Teil der Schelle hat aber keine
Mittelnaht. Eine eiserne Kugel rollt in der Schelle. Diese Schellen werden an
einem, noch mit Haaren bewachsenen Antilopenfellhalsband mittels Rotang-
schnüren befestigt und den Jagdhunden umgebunden. Sie finden nur zur
Jagd Verwendung. Hunde, die im Dorf zur Bewachung kleiner Kinder da
Abb. 18
Abb. 19
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
6 I
sind, tragen Gelbgußschellen. Auch hier wieder soll das Eisen Glück bringen. Die beiden
Stücke stammen von den Kran, doch verwenden die Dan ähnliche Schellen.
Gleichfalls von den Kran stammt ein geschwungenes Widderhorn, an das mittels
Rotangfasern eine eiserne Kette befestigt ist (Nr. 298 E. D. [Abb. 20]). Es diente als Be-
hälter für einen Jagdzauber und gehörte einem be-
rühmten Elefantenjäger. Die eiserne Kette, die auch
hier wieder die Wirkung des Zaubers erhöhen soll,
besteht aus 18 Eisengliedern, deren Länge von 4 bis
5 cm schwankt und besteht aus doppelten, leicht ge-
bogenen Eisenschlingen, die bereits bei der Herstellung
der Kette zusammengeschmiedet wurden.
Diese Eisenstücke sind von beträchtlichem Alter und können heute nicht mehr an-
gefertigt werden. In den Dorf schmieden, die nahezu in jedem größeren Dorf vorhanden
sind, werden nur noch verschiedene Messer, Beile, Schwerter, Pfeil- und Lanzenspitzen
sowie auch Hauen angefertigt. Die Griffe der Waffen sind wohl gelegentlich verziert, das
Eisen selbst aber bleibt bis auf eine seltene Rillenverzierung ungeschmückt.
Die Schmiede nehmen eine angesehene Stellung ein. Das Amt vererbt sich in der Familie;
ein Sohn oder Neffe des Meisters lernt und bleibt bis zum Tode des Schmiedes als Geselle
in der Werkstatt. Dann erst übernimmt er das Amt. Die Schmiedehütte dient nicht selten
als Versammlungshaus, von dem sich die Frauen fernzuhalten haben, und oft spielt der
Schmied eine wichtige Rolle in den Geheimbünden. In Westliberia spielt der Schmied auch
oft im Porobund eine Rolle. Dies ist allerdings meist öffentlich nicht bekannt. Auch im
Gbäsä-Bund der Mano (s. E. Donner „Hinterland Liberia“ London 1939, Kap. 2) soll der
Schmied eine besondere Rolle spielen.
Schmiedearbeit ist zweifellos eine alte Kunst der nordostliberianischen Stämme, ob-
wohl heute die Formen bereits stark von denen der Mandingo beeinflußt sind. Es ist aber
auch heute noch eine Unterscheidung der alten Typen gegenüber den von den Mandingo
eingeführten möglich. Abgesehen von den anderen Formen bearbeiteten Mano, Dan und
Kran die Messerscheiden und Griffe in anderer Art.
Der Schmiedeofen ist äußerst einfach und besteht bei den verschiedenen Stämmen
Liberias — es gibt da nur geringfügige Unterschiede — aus zwei parallel gestellten, etwa
halbmeter hohen Lehmmäuer-
chen, zwischen denen ein Holz-
kohlenfeuer brennt (Abb. 21).
Der Blasebalg befindet sich
an der Rückwand der einen
Mauer und von ihm laufen
zwei Röhren durch die Lehm-
wand hindurch zur Feuer-
stelle. Der Blasebalg besteht
aus einem runden, napfartigen
Unterteil aus Holz, über den
ein Ziegenfell gestülpt ist, an
dem zumeist noch die Haare
daran sind. Das Fell ist so
genäht, daß es eine Art Zipfel
bildet, der offen bleibt (Abb.
22). In diese Öffnung greift der Gehilfe des Schmiedes und setzt durch wechselseitiges
Hineindrücken und Herausziehen der beiden Felle den Blasebalg in Tätigkeit.
Abb. 21
9 Baessler Archiv.
6 2
E. DONNER
Anschließend an das zweite Mäuerchen kann noch eine niedere, halbkreisförmige Um-
mauerung bestehen; dort wird dann die Holzkohle (Mano; túrne) aufbewahrt. Als Amboß
dient ein Stein, eine einfache Zange ist da zum
Halten des Eisens, und als Hammer dient fast
immer nur ein walzenförmiges Stück Eisen, nur
selten ein eiserner Hammer, der an einem Holz-
griff befestigt ist (Abb. 23).
Die Holzteile für Waffen und Gebrauchs-
gegenstände werden gewöhnlich gleich von einem
Schnitzer, der in der gleichen Hütte hockt, her-
gestellt. Als Werkzeuge dienen ihm eine schmal-
klingige Axt (Mano: gei) und ein gebogenes Messer
(Mano; lá).
Nr. III C 35757 a, b M. f. V. B. ist ein Dan-
Schwert alter Art. Es ist zweischneidig und so ge-
schweift, daß es in der Mitte schmäler, dann wieder
breiter wird und in einer scharfen Spitze endigt.
Die Form ist einem römischen Kurzschwert nicht
unähnlich. Es hat eine mit ungefärbtem Leder
überzogene Holzscheide und einen geschnitzten,
einfach verzierten Holzgriff. Seine Länge beträgt
49 cm. Es ist die typische Waffe alter Art. Da-
gegen ist Nr. III C 35756 a, b M. f, V. B. ein
Schwert der Mano (lá gbéi), dessen Griff und
Abb. 22 Scheide jedoch von Mandingos hergestellt und
dessen Form ebenfalls von ihnen beeinflußt ist.
Es ist 68 cm lang, einschneidig, gegen die Schneidseite zu zugespitzt und gerade. Der Griff ist
mit gefärbtem Leder und Fellstreifen überzogen, die hölzerne Scheide mit buntem Leder über-
zogen und mit eingestanzten
Mustern verziert. Die Spitze
der Scheide ist mit einer
Aluminiumkapsel versehen.
Diese von den Mandingos
stark beeinflußten Formen
finden sich in ganz Liberia.
Nr. III C 35755 a, b M, f.
V. B. ist ein 49,5 cm langes
Schwert ähnlicher Form von
den Gola. Diese Schwerter
sind aber mehr zur Zierde
oder auch als Würdezeichen
im Gebrauch. Kommt es wo
zu einem Kampf, so wird
dieser doch meist mit einem
Haumesser ausgetragen (Ma-
no: gbüé). Dieses dient als Abb' 23
Waffe und ist zugleich unentbehrliches Gerät. Die Haumesser haben eine Klinge mit ge-
bogener Spitze und kommen ein- und zweischneidig vor. Nr. III C 35 752 M. f. V. B. ist 42 cm
lang und zweischneidig, Nr. 65 M. f. V. W. hat nur eine Seite geschärft und hat 3 Rillen als
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
63
Klingenverzierung. Das Stück ist 44 cm lang. Der schmucklose Griff ist aus Holz und in den
längeren Eisenstift, in den die Klinge ausläuft, hineingetrieben. Um dem Griff einen stärkeren
Halt zu geben, wird ein Stück Eisen um den etwas ausgeschnittenen Holzgriff gewickelt und
festgeschlagen. Das ersterwähnte Stück stammt von den Mano, das zweite von den Kpelle.
Ziermesser wie z. B. Nr. 60 M. f. V. W. (Abb. 24), 29 cm lang, sind nicht so massiv
gearbeitet. Dieses Stück hat zwar genau die Form eines Haumessers, ist aber zarter und hat
eine leichtgerippte Klinge, die überdies am unteren Ende mit eingestanzten
Ornamenten verziert ist. Der Griff ist aus hartem Holz, sorgfältig mit reihen-
weise wechselnden Bändern von Gitter- und Dreieckfacetten beschnitzt, ein
graviertes Eisenblatt läuft um den obersten Teil des Griffes. Ein glattes Eisen-
band ist auch um das äußerste schmale Ende des Griffes gelegt. Die Klingen der
Messer sind an der Spitze durchweg leicht hakenförmig gebogen und einschneidig.
Die gewöhnlichsten Größen betragen 26 bis 30 cm; gerne gebraucht werdenaber
dann auch kleine Messerchen ähnlicher Form, die
15 bis 17 cm lang sind. Auch hier ist die Eisen-
blattumwicklung, der Holzgriff wird nur im
mittleren Teile sichtbar. Die älteren Messer zeigen
oft eine Art von Fischgrätenmuster in Bordüren,
wie z. B. Nr. 69 E. D. (Abb. 25) und Nr. 70 E. D.
(Abb. 26). Hie und da wird das Band am Griff
nicht mit Eisen, sondern mit Messing umwickelt.
Nr. 68 E.D. ist ein Dolch aus dem Besitze eines
Mano-Dorfmeisters (Abb. 27). Die Waffe ist 28 cm
lang, wovon 16,5 cm auf die sehr schmale, gerade Klinge
entfallen. Der Griff ist mit Schlangenhaut überzogen und
mit einem Aluminiumband umwickelt. Zwei gepunzte
Messingplättchen stützen und verzieren die ersten 3 cm an
der Dolchklinge. Der Griff endet in einem größeren Holz-
und einem kleineren Gelbgußknopf. Das Stück weist
sudanischen Einfluß auf. Ein ausgesprochener Mandingodolch befindet sich in meinem
Privatbesitz. Er ist beiderseits geschliffen, hat eine bedeutend breitere Klinge als das vor-
her genannte Stück und ist im oberen Teil leicht abgebogen. Griff und Scheide sind mit
gestanztem, gefärbtem Leder überzogen.
In Nordostliberia gibt es nur mehr wenige Speere nach alter Art. Schilde, die einmal
vorhanden waren, sind bereits gänzlich verschwunden. Einheimisch ist ein kurzer Speer,
den man bei Wanderungen zugleich als Stock benützt. Er ist meist bis auf die Spitze ganz
aus Holz. Nr. 305 M. f. V. W. ist 97,5 cm lang und besteht aus einem Holzschaft, dessen
unteres Ende etwas dicker ist als das obere. Die Speerspitze ist mittels Tülle aufgesetzt.
Nr. III C 35751 M. f. V. B. ist 121,5 cm Ung und hat eine ähnliche Spitze. Der Holzschaft
ist hier mit Fellriemen umwickelt. Diese Speere finden sich heute nur mehr vereinzelt bei
den Kran, eventuell bei den Dan. Bei den Mano sind sie bereits verschwunden und haben den
zierlicher gearbeiteten Mandingospeeren Platz gemacht. Nr. III C 35750 a, b, M. f. V. B.,
ist ein Speer aus dem Besitz der Mano. Er ist 105 cm lang und hat einen Eisenschuh. Die
Spitze ist schmäler als die der alten Speere und hat eine stark hervortretende Mittelrippe.
Der Schaft ist mit Fell umwickelt. Stufenornamente aus Leder und eingeflochtene Stroh-
streifen sind typische Mandingoarbeit. Der Eisenschuh zeigt gravierte Ornamente und ein-
gelegte Kupferstückchen. Für die Spitze ist eine Lederscheide vorhanden.
Von den Pfeilen (Mano: kia) weisen nur die Großwildpfeile Eisenspitzen auf. Nr. 309
M. f. V. W. ist ein alter Großwildpfeil der Dan mit einer Länge von 73 cm; 29 cm davon ent-
9'
64
E. DONNER
fallen auf den viereckigen und gewundenen Eisenteil, der dann in die keilförmige Spitze aus-
mündet. Der Eisenteil ist in den Schaft hineingesteckt und eng mit Raphiafasern umwickelt.
Der Pfeil zeigt Viehhaarbefiederung und 12 Kerben als Besitzerzeichen am Schaftende.
Pfeile für Vögel und anderes Kleinwild bestehen nur aus gespaltenen Palmrippen mit zu-
gespitzten Enden und Blattbefiederung.
Ein eigenartiges Stück der Sammlung Dr. Fuszeks, M. f. V. Bu., ist ein zweispitziges
Dolchmesser mit Holzgriff. Der Griff ist am Ende mit einem Eisenzapfen versehen und hat
die gewöhnliche Umwicklung. Die Klinge ist 17 cm lang und teilt sich nach 8,15 cm in zwei
spitz zulaufende Enden. Eine erhabene Mittelrille, die im Spalt zwischen den zwei Spitzen
endet, und zwei Reihen von Rillen, die bis in die Spitzen des Dolches laufen, sind die einzige
Verzierung. Weder über Herkunft noch über Bedeutung des Stückes ist Näheres bekannt,
doch dürfte es sich allem Anschein nach um ein Würdezeichen handeln.
LEDERVERARBEITUNG.
Zu den meisten Messern und Dolchen, mit Ausnahme der Haumesser, werden Scheiden
angefertigt. Diese bestehen entweder aus zwei flachen Holzteilen in der Form der Klinge, die
dann mit Haut oder Leder überzogen werden (III C 35 757, a, b, M. f. V. B.) oder sind bei
kleineren Messern nur aus Leder. Heute bevorzugt man die gefärbten (schwarz, rot, dunkel-
blau) und gestanzten oder gepreßten Lederarbeiten der Mandingo. Diese verstehen Häute
(Mano: ki) viel weicher und geschmeidiger zu machen, während die Bearbeitung der Mano
und Dan äußerst primitiv ist.
Das Stück Fell, das der Mano oder Dan zu bearbeiten wünscht, wird am Rande durch-
löchert und mit Lianenfasern in einen Lianenrahmen gebunden und so gespannt und ge-
trocknet (III C 35 709 M. f. V, B.). Während des Trocknens wird mit Salz und Asche wieder-
holt die Innenseite des Felles eingerieben; es darf dabei nicht in der Sonne liegen. Dann wird
das Innere von aufgeknackten Palmnüssen gut zerkaut und auf die Innenseite des Felles
gespuckt und darauf liegen gelassen. Diese Prozedur wird so oft wiederholt, bis das Fell
sich biegen und schneiden läßt, wirklich weich wird es freilich niemals. Diese Felle werden
zu Gürteln, Riemen, Messerscheiden und Futteralen für verschiedene
kleinere Gebrauchsgegenstände verarbeitet, wie z. B. Nr. 72 E. D.
(Abb. 28) zu einem Rasiermesserfutteral. Dieses besteht aus zwei
Teilen, die ineinandergeschoben werden und mit einem Riemen an-
einander gebunden sind. Nr. 71 E. D. ist eine Scheide, Nr. 73 E. D.,
die sehr steife Scheide aus der Haut eines jungen Krokodiles. Heute
werden diese Stücke kaum mehr angefertigt, höchstens von sehr
alten Leuten, sonst wendet man sich an die wandernden Mandingo-
arbeiter. Die Dan sollen imstande gewesen sein, auch selbst Häute
rot zu färben und zwar mit den Stengeln eines Unkrautes, das auf
alten, verlassenen Dorfplätzen wächst (Danname: gbo). Man soll
dieses Leder als Aufputz für Kopfschmuck aus Fellen (Affen- oder
Schaffell) verwendet haben. Einen solchen Kopfschmuck trägt heute
oft der Leiter des Schlangenbundes gelegentlich einer Neuaufnahme
eines Mitgliedes und bei einer Zweiggruppe des Schlangenbundes tragen die kleinen
Tänzerinnen eine ähnliche Kopfbedeckung (s. „Hinterland Liberia“, Kap. VII) Nr. 184
stammt vom Schlangenbund der Mano aus Sanoquelleh.
Auch heute noch im Gebrauch stehen die fezartigen Kappen aus Wildkatzen- oder
Otternfell. Die Haut wird in der dargestellten Weise behandelt. Da Wildkatzenfell nicht
Abb. 28. Rasiermesser
und Futteral aus Leder.
Mano und Dan
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA 65
steif genug ist, wird die Innenseite der Kappe mit einem Korbgeflecht versteift (s. Nr. 282
M. f. V. W.).
Ebenfalls häufig gebraucht waren Leder- oder vielmehr Felltaschen, die bei Reisen
an einen Riemen über den Rücken gelegt wurden und zumeist Amulette enthielten. Nr. III
C 35698 M. f. V. B. ist solch eine Tasche aus rotgefärbtem Leder; sie stammt von den Dan,
ist aber wohl von einem Mandingo angefertigt. Die Form der Tasche ist zweifellos aus der
alten Felltasche entstanden. Das Urbild dazu ist einfach das nur am Bauche aufgeschlitzte
Fell eines kleinen Tieres, z. B. eines Marders, eines Bärenmakis etc. Solche Felle werden sehr
sorgfältig abgezogen und Fellseite nach innen getrocknet; dann werden die Öffnungen mit
Ausnahme des Bauchschlitzes zugenäht, eine Schnur angebunden und die Tasche ist fertig.
Fell und Leder wird sonst noch bei der Herstellung von Peitschen verwendet. Nr. III
C 35 764 M. f. V. B., Länge 95 cm, ist eine alte, einheimische Lederpeitsche. Sie besteht bis
zur halben Länge aus einem Holzkern mit Hautüberzug und setzt sich in geknoteten und
geflochtenen Streifen fort. Sie endet in fünf frei herunterhängenden Riemchen. Nr. III C
35765 M. f. V. B., Länge 88 cm, ist eine Mandingopeitsche, die eine der ganzen Länge nach
kräftig federnde Rotangeinlage hat. Das Stück ist mit rotem und schwarzem Leder über-
zogen und zeigt die typische Strohstreifeneinlage in Stufentechnik.
FLECHT- UND KNÜPFTECHNIK.
Das Flechten größerer Matten und Körbe sowie das Knüpfen der Hängematten ist
Männerarbeit; feine Matten, kleine Körbe sowie Fischnetze werden dagegen von Frauen
verfertigt.
Am häufigsten sind in Nordostliberia runde, niedere Körbe. In ihnen trägt man Lebens-
mittel zum Markt u. ä. Sie sind Frauenbesitz, werden aber von Männern aus feinzerschlisse-
nen Palmrippen geflochten. Von einem viereckigen Bodenstück wird dabei in Strahlentechnik
aufwärts gearbeitet. Die Körbe sind meist 15 bis 20 cm hoch und haben einen Durchmesser
von 25 bis 45 cm. Sie sind weich und biegsam und können fast ganz zusammengelegt werden.
An den oberen Rand werden einige Traghenkel angeflochten (Nr. 315—321 E. D. und M.
f. V. W.). Fischkörbe (Dan: so), wie Nr. 323 E. D., bestehen aus steiferem Material. Dieses
Stück ist 32 cm hoch und ebenfalls in Strahlentechnik gearbeitet. Der Korb ist mit einem
genau angepaßten Deckel zum Darüberstülpen versehen. Der Rand ist mit einem weicheren
Streifen eingefaßt. Diese Korbart ist bei Mano und Dan gebräuchlich. Nr. III C 35 727 a>
b M, f. V. B. ist ein anderer Deckelkorb in Strahlentechnik, der aber eine etwas kom-
pliziertere Form mit einem Standfuß aufweist. Er ist 22 cm hoch. Solch ein Korb dient zum
Aufbewahren von Erdnüssen, getrocknetem Pfeffer etc.
Die runden, flachen Reisworfeln sind meist aus gespaltenen Palmrippen geflochten.
Nr. 322 E. D. ist solch ein Stück mit einem Durchmesser von 53 cm, es gibt aber noch größere.
Diese Reisworfel ist Allgemeingut bei allen liberianischen Stämmen. Der im hölzernen
Mörser von dem Außenhäutchen befreite Reis wird auf die Worfel geschüttet und diese
nun so lange mit ruckartigen Bewegungen hin und her geschüttelt, bis die Spreu davon-
fliegt.
Nr. III C 35725 M. f. V. B. ist ein Strahlenkorb aus Palmblattstreifen, der von den
Mandingos (Danane, franz. Elfenbeinküste) angefertigt wurde. Er ist mit grünen Streifen
gemustert und hat einen Durchmesser von 33 cm und ist 13 cm hoch. Nr. III C 35726
M. f. V. B. ist ein Deckelkörbchen, das in Spiralwulsttechnik gearbeitet wurde. Der ein-
gepaßte Deckel hängt an geknüpften Bastfäden. Es stammt von Nordwestliberia vom
Stamme der Loma (andere Namen: Torna, Buzy). Derselbe Stamm sowie auch die Gola
66
E. DONNER
und Kpelle verfertigen Bastarmbänder, die sie durch Verwenden von dunklen Querstreifen
mustern. Nr. III C 35801 a—e M. f. V. B. sind 5 solcher Armbänder im Durchmesser von
5 bis 10 cm.
An Matten (Mano: sä; Dan: se) ist in Nordostliberia eigentlich nur eine Art heimisch.
Sie wird aus den gespaltenen Stengeln einer großblättrigen Waldpflanze hergestellt. Diese
soll nur in den Wäldern um den Ober- und Mittellauf des Nuon-Flusses verkommen. Die
südlicheren Mano, obwohl sie die Matten ebenfalls hersteilen können, beziehen sie mit Vor-
liebe aus dem Norden. Auch andere Stämme Liberias kaufen diese sehr biegsamen und hüb-
schen Matten. Sie werden in der Gegend fast ausschließlich verwendet, nur die südöstlich-
sten Kran fertigen auch die groben, dicken Palmrippenmatten an, die ursprünglich bei
den Kru und anderen Küstenstämmen heimisch sind und sogar als Hüttenwände verwendet
werden.
Die Dan-Matten sind rechteckig, immer naturfarben und werden schräg in Stufentech-
nik gearbeitet. Gelegentlich werden einfache Muster (streckenweise und oft unregelmäßige
Änderung der Flechtseite) hineingearbeitet, niemals aber regelrechte Ornamente. Durch die
diagonale Flechtweise sind die Enden an den Schmalseiten völlig glatt, an den Längsseiten
aber steht eine doppelte Reihe von Flechtbändern heraus. Diese werden zu einer doppelten,
übereinanderliegenden Borte verflochten (diese Borte spielt bei einer Prüfungsfrage im
Schlangenbund eine Rolle). Diese Matten werden von Männern und Frauen gearbeitet,
dürften aber wohl ursprünglich Frauenarbeit gewesen sein, wobei durch den ,,Export“
der Matten und eine sich daran knüpfende Industrialisierung sich auch die Männer an die
Arbeit machten, um eine genügende Anzahl davon herzustellen.
Aus Schnüren, die man aus Gräsern doppelt gedreht hat (gedreht werden sie mit Hilfe
der großen Zehe), netzen die Frauen ihre runden, sackartigen Fischnetze (Mano: d'ru po),
die an einem kreisförmigen Holzrahmen mittels einer Bastschnur befestigt, das Fanggerät
für Kleinfische und Krebse in kleineren Gewässern
abgeben. Nr. 310 M. f. V. W. ist solch ein Fang-
netz von 57 cm Durchmesser und etwa 60 cm
Sacktiefe. Bei dieser Art von Fischerei werden
kleine Gewässer durch eine Schleuse abgesperrt,
während die Frauen im Wasser watend, dieses
durchsuchen.
Ähnlich angefertigt werden ganz kleine Netze
(vgl. Nr. 312 E. D.) mit etwa 32 cm Durchmesser, in
denen die Frauen die frischen Palmnüsse für die
Suppe kochen, ohne daß ihnen dabei die Kerne in
die Suppe fallen (Abb. 29).
Nr. 340 E, D. ist schließlich noch ein weit-
maschiges Netz aus Baumwollfäden, das von Man-
dingofrauen auf ihren Wanderungen gebraucht
wird. Man zieht es über den Aufbau von Schüsseln,
den eine wandernde Frau auf ihrem Kopfe trägt.
Sehr gebräuchlich sind bei vielen Stämmen Liberias die Strickhängematten (Mano: di
pa). Sie werden nur von Männern hergestellt und sind nur Männerbesitz. Besonders geschickt
in ihrer Herstellung sind die Kpelle und Loma. Heute stellen auch Mano, Dan und Kran
vereinzelt diese Hängematten her. Der Hauptverbrauch wird aber durch Kauf und Tausch
von den erstgenannten Stämmen gedeckt.
Nr. III C 35749 M. f. V. B. ist eine 190 cm lange, geknotete Strickhängematte aus
gelben, weinroten und schwarzen Bastschnüren und zwar Längsschnüren mit Querschnüren
Abb. 29
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
67
in Doppelfadentechnik. Zwei Querhölzer an den beiden Enden halten die Hängematte aus-
einander. Nr. III C 35 748 M. f. V. B. ist ein ähnliches Stück, aber ohne Querhölzer, und mißt
von einer Aufhängeöse zur anderen 2 m. Sie ist schwarz und rot.
Von Mano, Dan, Kran und Kpelle werden in
gleicher Weise Bastbeutel gebraucht. In ihnen trägt
man Lebensmittel. Kpelle und Mano flechten ein
festeres Gewebe aus ganz feinen Bastfäden, das Ar-
beitsmaterial der Dan und Kran aber ist etwas gröber
(Abb. 30).
Diese Beutel werden in Stufentechnik geflochten.
Nr. III C 35731 M. f. V. B. zeigt einen Bastbeutel der
Kpelle in Naturfarbe mit schrägen, weinroten Streifen.
Am unteren Ende hängt ein zusammengeknotetes
Bündel von Bastfasern. Mit diesem unteren Ende be-
ginnt man bei der Herstellung des Beutels. Die Schnüre
werden an einem Balken aufgehängt und dann die
Bastfäden in Stufen von oben nach unten geflochten.
Die Fäden der Enden werden in 4 bis 5 Zipfel zu-
sammengeknotet oder in Zöpfchen geflochten, so daß
man den Beutel damit zusammenbinden kann. Die
Beutel sind gewöhnlich 30 bis 35 cm lang. Hie und da
ist das Schnürenbündel des Anfanges abgeschnitten
und eingenäht. Dies geschah bei Nr. III C 35 732 M. f. V. B. Die Basttaschen der Dan
zeigen oft einen kleinen Unterschied beim Beginn dieser Arbeit: sie beginnen mit einem
größeren Kreis und das Geflecht wird dann mit einer Naht zusammengenäht. Die Säcke
der Dan sind meist auch ein wenig größer.
Abb.
WEBEREI.
Die Kpelle und die mit ihnen verwandten Kono sind recht geschickt in der Weberei
(Mano und Dan: weben: d'ro). Das alte Webmaterial war zuerst einmal Bast (Mano: di).
Baumwollbearbeitung ist erst später in Nordostliberia eingeführt worden. Die Kran betreiben
sie auch heute nur ausnahmsweise und ziehen bunten, gekauften Kattun oft den eigenen
Textilien vor. Bei ihnen machte sich der europäische Einfluß von der Küste her schon vor
der Einführung der Weberei geltend. Auch bei den südlichen Dan ist die Baumwollweberei
noch selten (Mano: yüe, Baumwolle), bei den nördlichen Dan schon häufiger, die Mano aber
sind schon länger eifrige Weber. Eingeführt wurde die Baumwollbearbeitung zweifellos
durch die Mandingo und durch die Kono. Letztere haben darin eine besondere Fertigkeit
erlangt und ihre Waren werden von den noch geschäftstüchtigeren Mandingos in großen
Rollen, wie die Streifen aus dem Webstuhl kommen, aufgekauft und bei den Mano und Dan
auf den Markt gebracht. Der dazu verwendete Trittwebstuhl -—- in einem Rahmengestell ein-
gehängt — ist sicher erst später als \ erbesserung des einfacheren, nur auf 3 Stöcken auf-
gebauten, den ich oft in abgelegenen Gola- und Kpelledörfern zu sehen bekam, entstanden.
Noch primitiver aber geht die Bastweberei vor sich. Auch sie ist möglicherweise bei
Kran, Dan und Mano nicht ursprünglich heimisch gewesen; man scheint zuerst nur Bast-
flecke (für Schürzen etc.) in ähnlicher Art wie die Bastbeutel geflochten zu haben. Es ist
darüber aber nur mehr wenig in Erfahrung zu bringen. Die Kran und auch die Dan sind noch
vor nicht allzulanger Zeit nackt gegangen und erstere sollen nur Gürtel aus Fellriemen und
-
68 E. DONNER
eventuell einen Schurz aus Affenfell getragen haben. Hier war es nun der Einfluß der no-
madisierenden Mandingo, der diese Stämme langsam auf ein höheres Kulturniveau brachte.
Lendenschürzen aus Baumwollstreifen wurden zuerst eingeführt. Konoleute ließen sich
da und dort unter den Mano und Dan nieder und die artähnlichen Gäste nachahmend be-
gannen auch die Waldvölker Baumwolle zu pflanzen und zuzubereiten. Hie und da ent-
standen die ersten Webstühle. Die Mano, die mit Kpelle und Kono in engerem Kontakt
standen und deren Wohnsitze im nördlichsten Teil bereits in der offenen Savanne liegen
(die Dörfer Bellemu, Kitoma, Gba-pa usw.) waren gegen den Einfluß von Norden her weit
aufgeschlossener, während Nimba- und Drouple-Berge die Dan nach Norden hin mehr
abschlossen. So ist in den Manodörfern heute die Baumwollweberei schon ganz heimisch,
bei den sehr artverwandten Dan aber noch bei weitem nicht.
Kpelle und Kono haben auch die Bastweberei stark ausgebildet. In die schmalen Web-
streifen werden bunte Fäden als Muster eingewebt. Daraus näht man Hängematten, wie
z. B. die Nrn. III C 35746/47 M. f. V. B., 210 und 220 cm lang. Beide zeigen bunte Streifen
als Musterung. Die große Aufhängeöse und die Schnüre dazu sind aus geflochtenem Bast.
Beide Stücke stammen von den Kono. Die Kono bevorzugen auch besonders aus Bast ge-
webte und bunt gestreifte Kissen, die mit Bananenblättern gefüllt, entweder zugenäht oder
mit gefärbten Bastknöpfen zu schließen sind. Hie und da haben sie auch noch Bastfransen
als Verzierung (s. die Nummern III C 35736—38 M. f. V. B.). Auch Taschen mit Henkeln
in den verschiedensten Größen werden aus Bast angefertigt. Nr. III C 35728/29 M. f.
V. B. sind solche Taschen. Die eine ist 21 X22,5 cm und stammt Von den Loma; sie ist aus
naturfarbenem Bast mit roten Lederösen und
Lederknöpfen als Verschluß, außerdem zeigt
sie eine rot und schwarze Lederverzierung und
Einfassung. Bei diesem Stück ist derMandingo-
einfluß deutlich erkennbar.
Kono und Kpelle verwendeten ursprünglich
naturfarbenen, roten, gelben und schwarzen
Bast, um ihre Webereien zu mustern. Die
schwarze Farbe gewinnt man durch Einweichen
der Bastfaser in eine bestimmte schwarze
Sumpferde, rot färben verschiedene Pflanzen-
stengel, ebenso wie das Holz des Camwood-
Baumes, gelb färben das weiche Holz und die
Wurzel eines Waldbaumes. Heute werden frei-
lich bereits von den Mandingo fertige Farben
gekauft, die eigens für diese Zwecke eingeführt
werden.
Der Webstuhl für Bastweberei ist noch ein-
facher. Die Längsfäden sind an einem Querholz,
das an Pflöcke gebunden in der Erde steckt,
gebunden. Ein eigentlicher Kamm ist nicht
vorhanden. Eine Art Schlingenstab hält das zu
webende Stück und verursacht, daß die Fäden
gleich gespannt bleiben (Abb. 31). Durch Ver-
schieben eines Bolzens und Einschieben eines
Druckstabes wird die notwendige Kreuzstellung
erreicht. Ein einfacher, glatter Stab dient zum Zusammenschieben der Fäden. Die Stücke,
die auf diese Weise gewebt werden, sind immer von beschränktem Umfang. Gelegentlich
Abb. 31
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
69
wird auch der ganze ,,Webstuhl“ in einen Rahmen gespannt und während der Arbeit an
einen Dachrand angelehnt.
Für Baumwollweberei (für das Entkernen, Auflockern und Spinnen der Baumwolle
vgl. die Abb. 32, 33 u. 34.) ist in Nordostliberia der Trittwebstuhl am häufigsten. Dabei wird
einfach ein Doppelgeschirr an einem Quer-
holz waageartig aufgehängt; die Fäden
dieses Geschirrs bestehen entweder aus
Baumwolle oder Pflanzenfasern (36 X 11,5
cm groß) und sind in der Mitte abgeteilt.
Die aufgespannten Längsfäden laufen
Abb. 32
Abb. 34
durch eine Schicht im
oberen Abteil, die an-
deren im unteren. An
diesem Geschirr sind
unten Schnüre befestigt,
an denen ein Stock an-
gebunden ist, der am
Boden aufliegt. Dies ist
die ganze Trittvorrich-
tung, mittels der die
Fadenkreuzung herge-
stellt wird. Der Web-
kamm aus Palmrippen,
14X16 cm, schiebt das
Gewebe zusammen (Ab-
bildung 35).
Vor dem Weber wird
der bereits gewebte
Abb. 33
IO Baessler-Archiv-
E. DONNER
7°
Streifen in eine Rolle gelegt, auf einen Stab aufgebunden und auf der anderen Seite
reichen die gelegten Fäden bis auf den Boden, wo sie gewöhnlich durch Steine beschwert
werden. Durch Zusammennähen der ge-
streiften Webstreifen in bestimmten Reihen-
folgen erreicht man eine größere Variation
der Muster. Der Webart nach wird die
Musterung meist längsgestreift sein, d. h.
blaue, seltener gelbe Fäden sind in bestimm-
ten Abständen unter die weißen gelegt.
Gelegentlich werden aber auch unregel-
mäßige Querstreifen als Musterung einge-
webt. Dies geschieht nun meist nicht in
blauer Farbe, sondern entweder durch An-
wendung der naturbraunen Baumwolle, die
vereinzelt gepflanzt wird oder durch Baum-
wolle, die man durch Eintauchen in Kola-
wasser orangegelb gefärbt hat. Derartige
Streifen sind meist schmal und ganz un-
regelmäßig verteilt; es entfallen bei einer
genähten Tobe selten mehr als 3 solcher
Querstreifen auf den Webstreifen einer
Kleidlänge. Außerdem wird dieses Gewebe
meist aus feiner gesponnener Baumwolle
angefertigt und niemals für gestreifte, son-
dern nur für rein weiße Gewebe verwendet.
Getragen wird diese Art nur von den Kono,
eventuell auch Mandingo und sie werden
nur für den Eigenbedarf angefertigt. Even-
tuell werden noch Häuptlingsgewänder nach dieser Art hergestellt. Die gewöhnlichen Web-
streifen verkauft man nach Armspannenmaß am Markte (2,6 bis 3,6 englische Schilling
pro doppelter Armspanne). Diese Streifen werden dann erst zu Lendenschürzen, Kittel
und Toben zusammengenäht. Der einfache Mann läßt sich einen Kittel zusammennähen,
der eng am Körper anliegt und bis auf den halben Oberschenkel, höchstens aber bis ans
Knie reicht. Dafür braucht er wenig Webe. Beliebter aber ist die weite, offene Tobe,
ein rechteckiges Stück Tuch mit einem Loch in der Mitte und einem langen, ovalen
Halsausschnitt an der vorderen Seite. Vorne ist außerdem immer eine Art Tasche in
Dreieckform innen angenäht. Die Tobe ist meist breiter als lang und wird von den Armen
her auf die Schulter umgeschlagen und so gerafft. Die gewöhnliche Tobe der Mandingo
ist ähnlich geschnitten, aber viel länger; während die der Eingeborenen kaum viel über
die Knie geht, reichen die Mandingotoben meist bis zur halben Wade oder zum Fußgelenk
und außerdem sind meistens die unteren Ecken mit einigen Stichen zusammengenäht.
Die Seiten aber bleiben jedenfalls offen. Während der Eingeborene fast immer nur einen
Lendenschurz unter der Tobe trägt, der Häuptling wohl noch darüber einen Baumwoll-
kittel hat, trägt der Mandingo seine weiten Pluderhosen unter der Tobe (Nr. III C 35744
M. f. V. B. und Nr. 286 M. f. V. W.).
Frauen der Waldstämme tragen über den mit einer Perlenschnur gehaltenen Schurz
ein weites, einfarbig oder gestreiftes (so umgenommen, daß die Streifen quer um den Kör-
per laufen) Baumwolltuch, dessen Zipfel einfach übereinandergesteckt werden (Nr. 285
E. D.).
Abb. 35
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
71
Nr. III C 35 745 M, f. V. B. ist ein Häuptlingsgewand aus dem nördlichen Manogebiet
aus Kitoma. Es ist aus weiß- und blaugestreifter Baumwolle und zeigt die heute bereits sehr
seltene und alte Schnittart, Hier sind die Seitenteile unten zugenäht, ebenso wie die Ärmel,
die so weit sind, daß sie fast die ganze Länge des Gewandes einnehmen. Sie werden wie
bei der Tobe aufgeschlagen und an den Schultern gerafft. Die Innentasche ist hier ein
schräg aufgenähtes langes Rechteck.
Auch die Obergewänder der Maskentänzer sind meist aus Baumwolle (s. Nr. III C
35743 M. f. V. B.). Hier sind die Seitenteile zugenäht, ebenfalls die nicht ganz so weiten
Ärmel, bei denen aber auch das Ärmelende zugenäht ist, da das Heraussehen einer mensch-
lichen Hand den wahren Charakter des Tänzers verraten würde.
Als Bettunterlage und Oberdecke werden überall größere Baumwolltücher verwendet.
Sie sind entweder einfarbig weiß, dunkelblau oder wieder gestreift. Nr. III C 35742 M. f.
V. B. ist ein Baumwolltuch derLoma, weiß und mit zweierlei Schattierungen blau gestreift.
Nr. III C 35741 M. f. V. B. ist ein rein weißes Tuch von den Mano.
Die Mandingo verwenden als Schlafdecke meist Decken aus Ziegenhaargewebe, die
aus mehreren Längsbändern mit weißen, rostroten, gelben und schwarzen Querstreifen ver-
ziert sind. Diese Decken sind auch noch gestickt und haben gewöhnlich Troddeln an den
Längsseiten. Es gibt verschiedene Musterungen, die aber auch traditionell zu sein scheinen
und sich mit geringen A/rariationen wiederholen. Häufig sind bei den Mandingos auch noch
Decken aus weißer, sehr locker gesponnenen Baumwolle mit quer eingewebten blauen Strei-
fen. Hier wird geradezu ein Muster eingewebt dadurch, daß man beim Weben oft mehrere
Fäden überspringt. Diese Webstreifen, die für diese Decken meist etwas breiter sind, wer-
den dann so zusammengenäht, daß diese Streifen als, eine Art Bordüre über das ganze Tuch
laufen.
1
KERAMIK.
Nordostliberia ist so abgelegen, daß die Eisentöpfe, Email- und Zinkeimer, die den Weg
dahin finden, lange nicht ausreichen, um den Bedarf der Eingeborenen zu decken. Daher
steht die Töpferei noch allgemein in Ehren und man nimmt sich auch noch die Mühe, die
Stücke nach alter Art zu verzieren. Die Gola in Westliberia fertigen Töpfe nur mehr in den
abgelegeneren Gebieten an und dann sind die Formen denkbar einfach und ohne jeden
Schmuck. Im Osten ist es aber noch anders.
Töpferinnen sind allein die Frauen, wie auch sonst jede Arbeit mit Lehm (Mano: sede)
in ihr Bereich fällt. In dieser Gegend werden nur Gefäße (Manoigbö) aus Ton hergestellt,
andere Anwendung der Keramik, z. B. für Plastiken, habe ich niemals gefunden. In West-
liberia verwenden einzelne Männer Tonpfeifen, die sie sich auch selbst herstellen. Im Nord-
osten kommt dies kaum in Frage, weil Tabak fast niemals geraucht wird, sondern mit Salz
und Pfeffer vermischt, zu einem Pulver zerstampft im Munde gehalten wird.
Gelber oder grünlicher Lehm wird auf einem Brett mit einem Holzstößel unter Bei-
mengung von Wasser gut durchgestoßen und geknetet und alle Steinchen und Unebenheiten
herausgearbeitet. Diese Arbeit läßt die Töpferin gewöhnlich von ihren Schülerinnen, halb-
wüchsigen Mädchen, ausführen. Dann knetet sie aus dem weichen, schmiegsamen Ton eine
Reihe von etwa 15 bis 18 cm langen Rollen und legt diesen Vorrat auf eine Kalebassenscherbe
oder auf eine Palmrippenplattform. Nun beginnt die eigentliche Töpferei. Auf ein rund-
liches, leicht gewölbtes Stück Kalebasse oder einen Korb setzt sie die Lehmrolle innen auf,
glättet und verdünnt die Rolle und beginnt auf diese Art die Wand des Topfes. Rolle auf
Rolle setzt sie an und arbeitet spiralenförmig in bauchiger Form aufwärts (Spiralwulst-
technik) (Abb. 36). Gegen den Hals zu wird das Gefäß immer etwas enger und der Rand
I o
72
E. DONNER
wird extra angesetzt. Wenn der Topf in roher Form fertiggestellt ist, sitzt er immer noch
mit dem unteren Ende auf der Kalebasse auf und hat noch keinen Boden. Der Topf wird
nun mit Palmrippenspateln und Kalebassen-
scherben innen und außen sorgfältig geglättet und
im Schatten leicht übertrocknet. Dann werden
Ornamente und Verzierungen angebracht. Dies
geschieht fast immer mittels eines Eisenreifens,
auf dem verschiedenerlei Kerben (Drehmuster,
Rhomben, Wellenlinien) angebracht sind. Er
wird in Windungen, Spiralen usw. über die etwas
übertrocknete Außenseite des Topfes gerollt
(Abb. 37). Nun erst entfernt man das Kale-
bassenstück und die Öffnung, die dadurch ent-
steht, wird sorgfältig von innen und außen mit
Lehm verschmiert und geglättet. Der umge-
stülpte Topf trocknet nun im Schatten mehrere
Tage hindurch gut aus. Dann werden mit einem
runden Quarzstück nochmals sorgfältig alle glatten Stellen zwischen den Ornamenten
poliert. Erst nachdem der Topf gut luftgetrocknet ist, wird er gebrannt. Wäre er noch
feucht oder auch nur zu rasch getrocknet, würde er beim Brennen springen.
Zum Brennen schichtet man dünnes Astwerk und
Späne auf die Töpfe. Das Feuer wird von innen her
angezündet und so wie die Flammen durchzuschlagen
beginnen, wird neues Holz daraufgeschichtet. Zum
Schluß läßt man den Haufen zusammenbrennen und
schüttet auf die noch heißen Töpfe Reisspreu, die im
Nu auf den heißen Töpfen verkohlt. Im reduzierenden
Abb. 36
Abb. 38 b
Abb. 37
Feuer, d. h. unter Zutritt von wenig Luft wird die Tonware schwarz gebrannt. Der Haufen
wird mit Stöcken vorsichtig auseinandergeschoben, die Töpfe freigemacht und auskühlen
gelassen. Sie sind nun außen und innen schwarz. Die Mano reiben gelegentlich Kalk in die
Rillen der Ornamente (s. Nr. III C 35 763 M. f. V. B. und Nr. 337 M. f. V. W., Abb. 38 a, b).
Die Töpfe sind durchweg rund. Manche sehen aus wie eine im oberen Drittel abgeschnit-
tene Kugel und haben keine Randleiste; diese Art wird als Wasserbehälter benutzt. Häufiger
ist dieselbe Form mit einer auswärts geneigten Randleiste besetzt. Die obere Öffnung der
als Wasserbehälter dienenden Töpfe ist naturgemäß schmäler, während Töpfe, die zum
Kochen verwendet werden, eine weitere Öffnung haben (Nr. 333 und 335 M. f. V. W.,
Abb. 39 a, b). Bei diesen Töpfen ist in etwa ein Drittel der Topfhöhe die breiteste Stelle.
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
73
Bei vielen Töpfen, namentlich bei denen der Kran, ist diese breiteste Stelle durch einen
scharfen Knick markiert. Die Töpferin setzt bei der Arbeit an dieser Stelle ab, glättet den
Rand, wobei sie, das Innere des
Topfes zu sich gerichtet, nun nach
einwärts arbeitet. Von dieser Art
ist der Kran-Kochtopf Nr. III C
35761 M. f. V. B,, 15 cm hoch und
20 cm an der oberen Öffnung weit,
gearbeitet. Die Töpfe der Gola hin-
gegen haben meist die kugelige
Form mit der schmalen Randleiste
und sind gar nicht oder nur sehr
wenig verziert. So ist Nr. III C
35760 M. f. V. B. 8 cm hoch, mit
einem oberen Durchmesser von 8,5 cm ein von den Gola verfertigter Topf, der ganz glatt
ist. Nr. III C 35762 M. f. V. B. 14,5 cm hoch, mit einem Durchmesser von 16,5 cm, weist
schwache und recht unscheinbare Rillenverzierung am unteren Teil des Topfes auf. Bei
Mano und Dan hingegen — genau so wie bei den Kran — wird man kaum einen Topf
ohne Ornamente finden. Die Töpfe der Kpelle, besonders im nördlichen Gebiet, wo Töpferei
noch mehr betrieben wird, sind denen der Mano ähnlich, wenn auch die Ornamente im all-
gemeinen ein wenig einfacher sind. Sie bevorzugen Bandornamente (vgl. 333 M. f. V, W.,
ein Kochtopf von den Joquelleh-Kpelle).
Bei Mano und Dan werden häufig flachkegelförmige Gefäße mit einem kleinen Stand-
fuß gearbeitet, die sowohl als Topfdeckel, als auch als
Eßschüssel verwendet werden. Wenn die Speisen auf ein
Feld oder auch nur von der Hütte einer Frau in die des
Mannes getragen wird, setzt man solch einen Deckel auf
den Topf. Abgenommen ergibt er dann gleich die Eß-
schüssel. Nr. III C 35758 M. f. V. B., 16 cm hoch, mit
einem Durchmesser von 23 cm und Nr. 336 M. f. V. W.
(Abb. 40) sind derartige Stücke, beide von den Dan aus
den Dörfern Kan-plei und Kpeaplei.
Seltener werden Schmuckgefäße in komplizierteren
Formen angefertigt. Nr. III C 35759 M. f. V. B., Höhe
10,5 cm, Durchmesser 16 cm, ist eine kleine, schön ornamentierte Schüssel mit Standfuß,
die zur Aufbewahrung von Palmöl diente. Das Gefäß stammt aus Kan-plei im nördlichen
Dan-Gebiet. Nr. 337 M. f. V. W. ist ein ganz aus dem Rahmen fallendes Tongefäß der Mano
(s. Abb. 38 a, b). Es ist ein 21 cm hohes, bauchiges Gefäß mit einem runden Traghenkel am
oberen Rand. In der Höhe von 6 cm ist die größte Weite des Gefäßes erreicht. Diese Linie
ist durch Facetten scharf hervorgehoben. Das Gefäß diente als Wasserbehälter und wurde
an eine Stange an der Hüttendecke angehängt. Der Verwendungsart entsprechend ist das
Hauptgewicht der Ornamentierung auf den unteren Teil verlegt. Die Ornamente, hier
wieder mit Kalk eingerieben, beginnen knapp oberhalb einer kleinen Standfläche. Ein-
graviert ist hier, teils freihändig, eine Eidechse, die einzige Tierdarstellung, die ich in der
ganzen Umgebung finden konnte.
Eine seltene Form hat auch Nr. 338 M. f. V. W. (Abb. 41), ein amphorenähnliches, sehr
altes Gefäß von den Mano, mit einer Höhe von 23 cm und einem oberen Durchmesser von 8 cm.
Das Gefäß hat 4 kleine Löcher in den oberen Rand gebohrt und ist offensichtlich daran auf-
gehängt worden. Es diente gleichfalls als Wassergefäß und befand sich im Besitze eines
Abb. 40
74
E. DONNER
Mannes. Gewöhnlich sind aber Frauen die Besitzerinnen von Keramiken, und eine Säule
von aufeinandergetürmten, in der Größe aufeinander abgepaßten Töpfen, ist der Stolz
jeder Frau. Um die Töpfe sicher aufeinanderzuhalten, werden links
von der Topfsäule Latten angebracht. Sie sind zum Teil nur
Schmuck und zeigen den Wohlstand in einer Hütte an. Die untersten
Töpfe, oft von beträchtlicher Größe, sind bis zu 35 cm hoch und
haben einen ähnlichen Durchmesser. Nr. 333
M. f. V. Vv, (Abb. 39a) ist ein ziemlich großes
Stück, 26 cm hoch, mit einem Durchmesser
von 27 cm.
Lediglich ein Schmuckgefäß ist Nr. 339
M. f. V. W. (Abb. 42). Es ist ein kugeliges Ge-
fäß von etwa 10 cm Höhe und 10 cm Durch-
messer, das aber nur ein schwach 2 cm im
Durchmesser messendes, kreisrundes Loch als
Öffnung hat. Oben ist ein runder Aufhänge-
henkel angebracht (s. Abb.). Das Stück ist
Abb. 42
ausnahmsweise nicht geschwärzt und zeigt ein dunkles Beige. Es stammt von den Kran
aus dem Dorfe Bellewalli.
KALEBASSEN.
Als Eßschüsseln oder Trinkgefäße werden häufig halbe Kürbisschalen (Mano: kue)
verwendet. In den Waldgebieten des Ostens sind die Kalebassen ursprünglich nicht heimisch
gewesen; sie wurden von den Mandingo aus dem Norden gebracht und haben erst nach und
nach Eingang bei Mano, Dan und Kran gefunden. In den Küstengebieten hingegen findet
man bisweilen Kalebassenbäume, aber auch hier dürften sie erst spät von anderen Küsten-
gebieten gebracht worden sein. Dementsprechend sind Kalebassen in dieser Gegend meist
unverziert (z. B. Nr. III C 35771, Höhe 9,5 cm, Durchmesser 16,5X20 cm). Die schön-
geschnitzten Kalebassen, wie sie an der Goldküste, in Dahome oder Togo zu finden sind,
fehlen. In Nordostliberia aber werden die einfachen, unverzierten Kalebassen von den Man-
dingofrauen auf den Märkten zum Verkauf gebracht. Entzweigeschnittene, gestielte Kale-
bassen ergeben praktische Schöpflöffel (s. Nr. III C 35773 a, b M. f. V. B.). Gestielte
Kalebassen, bei denen man in den Boden und in den Stiel ein kleines rundes Loch geschnitten
hat, werden als Klistier verwendet. Man bläst dabei in das Loch im Boden der Kalebasse,
das man zuerst zugehalten hat.
Hie und da werden kleine, ovale Kalebassen als Tabakpulverbehälter verwendet.
Nr. 271 M. f. V. W. (9 cm hoch, 6 cm weit), ist ein derartiges Stück, das Spuren von Gra-
vierungen an sich trägt. Sie lassen sich allerdings nicht leicht erklären und können ebensogut
stilisierte Pflanzen, als Tier- oder Menschendarstellungen sein. Das Stück stammt von den
Kono. Mano und Dan ziehen im allgemeinen Behälter aus Holz, eventuell auch Hörner, vor.
MUSIKINSTRUMENTE.
Außer verschiedenen Trommelarten und Rasseln sowie den bereits besprochenen
Eisenglocken, die Tanz und Chorgesang begleiten, gibt es noch verschiedene andere In-
strumente, die meist einzeln gespielt werden. Entweder spielt sie einer allein im Monden-
schein und gibt damit seinen Gefühlen Ausdruck oder man begleitet mit diesen Instrumenten
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
75
Lieder und Sprechgesänge einzelner Barden, die bei den Mano und Dan, wo das Häupt-
lingswesen noch eine größere Rolle spielt, einige Bedeutung haben.
Am häufigsten ist eine dreieckige Harfe, die 6 bis 8 Saiten hat. Das Instrument besteht
aus einer ziemlich gleichmäßigen Astgabel, die durch ein keilartig eingesetztes Querstäbchen
zu einem Dreieck verbunden ist. Das untere Ende wird an eine halbe Kalebasse, die den
Resonanzboden bildet, befestigt. In das Dreieck werden nun die Saiten aus Piessava (von
Raphia vinifera) gespannt. Gewöhnlich sind in die eine Seite des
Astes Löcher gebohrt und die Saiten durchgesteckt, während sie auf
der gegenüberliegenden Astgabel unter Umwindungen festgebunden
wird. Diese Harfe findet sich in leicht variierender Form bei fast sämt-
lichen Stämmen Liberias und ist im allgemeinen als „Kruharfe“ be-
kannt (vgl. Nr. III C 35721 M. f. V. B., 35 cm hoch, Abb.43, ein
achtsaitiges Instrument der Gola und Nr. 79 M. f. V. W., 40 cm hoch,
ein Stück von denMano aus Sanoquelleh. Letzteres hat nur mehr vier
ganze Saiten und eine abgerissene, besaß aber ursprünglich mehrere).
Am oberen Rand kann noch ein Eisenplättchen befestigt sein, um
durch ein leises Klirren den Rhythmus zu betonen. Das Instrument
wird gespielt, während man sich die Kalebasse auf den Bauch stemmt. Abb’ U
Eine Art Gitarre ist bei Mano und Dan gelegentlich zu finden, doch ist sie höchstwahr-
scheinlich nicht einheimisch, sondern von Mandingo und Kono in dieser Gegend eingeführt
worden. Mehr noch als die Harfe ist sie das Instrument des Sängers, der am Hofe des Häupt-
lings seine Lieder singt und sie durch eine kurze, leicht variierende Tonreihe begleitet. Die
Gitarre ist sechssaitig und zwar sind die Saiten so angeordnet, daß je drei Saiten in Ab-
ständen übereinander auf einen hohen Steg gespannt sind. Der Resonanzboden besteht
aus einer großen Kalebasse, deren obere Öffnung mit einem Stück Fell (haarlos, aber in
der Regel schlecht präpariert) bespannt
ist. In die Kalebasse ist seitwärts noch
ein kleines Loch geschnitten. Ein Stab
läuft durch den unteren Teil der Kalebasse
und an sein oberes Ende sind die Saiten
gebunden, während sie unten am Steg in
der Mitte der Fellbespannung enden. Eine
Schnur läuft vom Steg noch zum unteren
kurzen Ende des Stabes und zwei andere sind am Kalebassenrand zur Befestigung gespannt.
So eine Gitarre ist bis zu einem Meter lang und wird im Sitzen gespielt (Abb. 44).
Bei Mano und Dan, bei denen der Zauberbund Sigba existiert, wird oft solch ein In-
strument zu Ehren des Sigba-Zaubers gespielt, um diesen zu größerer Wachsamkeit (gegen
Zauber, Feuer und Gift) anzuregen. Solch eine Gitarre wird oft
durch Einsetzen von einigen Kaurischnecken in den Stab (mittels
Wachs oder Harz) als zu dem Zauber gehörig kenntlich gemacht.
Auch an der Gitarre befestigt man oft Eisenblätter, in
deren durchlöcherten Rand Eisenringe eingehängt werden, um
beim Spielen des Instrumentes noch einen leisen, rasselnden Abb. 45
Unterton hervorzurufen (III C 35 7°1 P V. B.).
Ein sehr häufiges Instrument ist die Sansa. Sie bestehe meist aus einem leicht gewölbten
Brettchen, auf dem 5 bis 6 Eisen- oder Palmrippenstäbchen auf einer Brücke aufliegen.
Die Brücke besteht wieder aus zwei Bambusstäbchen (s. Nr. III C 35723 M. f. V. B. mit
einer Länge von 35 cm und einer Breite von 14,5 cm, Abb. 45). Oft wird dieses Brettchen
noch an einer halben Kalebasse als Resonanzboden befestigt.
7 6
E. DONNER
Ein einziges Mal fand ich eine Art Geige, Nr. III C 35722 M, f. V. B., 69 cm lang;
sie stammt aus Maima im Gobla-Gola-Gebiet und hat nur eine einzige Saite (aus Piessava).
Der Bogen dazu ist klein, etwa 10 cm lang und hat eine Bogensehne aus Palmrippen. Eine
halbe, mit Fell überzogene (gepflockte) Kalebasse bildet hier wieder den Resonanzboden.
Flöten kommen vereinzelt vor und obwohl es mir nicht gelang, ein Exemplar zu be-
kommen, möchte ich ihr Vorhandensein doch der Vollständigkeit halber erwähnen. Gut
ausgefertigte Flöten haben oft mit Geheimbünden und Zauberei zu tun und sind deshalb
nicht leicht zu erlangen. Gelegentlich finden sie sich auch als Kinderspielzeug und sind dann
meist aus Bambus.
Weniger Musikinstrument als Signalgerät sind verschiedene Hörner. Gola und Kpelle
verwenden das Horn der Wasserantilope zum Herbeirufen der Dorfgenossen oder geben sonst
Zeichen damit. Auch der Antilopenhornbund bei den Kpelle (s. Westermann, „Die Kpelle,
ein Negerstamm in Liberia“, Leipzig 1921) verwendet diese Hörner zum Herbeirufen der
Mitglieder, aber auch zum Abschrecken der Laien, Auch diese Hörner sind nicht leicht zu
bekommen. Nr. III C 35724 M. f, V. B. ist ein derartiges, 72 cm langes Horn von den Gola
aus der Umgebung von Boporu. Es hat an einer Seite der unteren Endung ein viereckig aus-
geschnittenes, kleines Loch und wird quer geblasen. Man soll, um den richtigen Ton damit
erzielen zu können, etwas Wasser hineingeben müssen.
Sonderbarerweise hat man sich das schöne Arbeitsmaterial, das Elfenbein, fast ganz
entgehen lassen. Von altersher war es Handelsgut, wurde aber nur selten in Verwendung ge-
nommen. Nur hie und da findet man rohe, unverzierte Armreifen (als niedere Manschette
mit Bast zusammengebunden) und während meines ganzen Aufenthaltes ist mir nur ein
einziges Elfenbeinhorn zu Gesicht gekommen. Dieses befand sich wieder im Besitz der
Häuptlingsfamilie Kans im nördlichen Dan-Gebiet. Es wurde bei Reisen geblasen, wo
durch einen Vortrupp von Fangaleuten die Ankunft des Häuptlings kundgetan wurde.
(Im selben Distrikt ist auch das Hoheitszeichen des höchstrangigen Maskentänzers, die alte
rauchgeschwärzte Spitze eines Elefantenzahnes, Nr. 300 M. f. V. W.). Das Blashorn Kans,
Nr. 76 E. D., ist 25 cm lang, mit einem Durchmesser von 3,6 X4,5 cm am oberen Ende.
Die Spitze ist abgeschnitten worden und hat eine 6 mm weite Öffnung. Nicht weit davon
ist an der Seite eine 2 cm lange, rechteckige Öffnung eingeschnitten worden.
Trommeln werden sowohl als Begleitung zu Tanz und Gesang als auch für Signale
verwendet. Es gibt in Nordostliberia im wesentlichen drei Typen von Trommeln. Am
häufigsten und allgemeinsten im Osten ist die Pflocktrommel mit Standfuß (Mano; go).
Sie findet sich auch noch bei anderen Stämmen Liberias. Neben Pflockbespannung kommen
auch Trommeln mit Ring- und Netzbespannung vor; letztere finden sich häufiger in West-
und Mittelliberia (vgl. Abb. 46, eine Standfußtrommel mit Netzbespannung, typisch für
ganz Liberia ist das Eisenblech mit den Ringen, M. f. V. B.). Nr. III C 35717 ist eine Pflock-
trommel der Kran aus dem Dorfe Tyanson, 40 m hoch mit einem Durchmesser von 22 cm.
Sie hat eine Lederschlinge zum Halten. Diese Art von Trommeln wird gewöhnlich mit einem
stärkeren Antilopenfell bespannt. Man hält sie beim Trommeln schräg zwischen den Beinen,
klemmt sie mit den Knien fest, und schlägt sie mit der flachen Hand in der Nähe der Kante
(tieferer Ton) und in die Mitte (höherer Ton). Größere Trommeln gleicher oder ähnlicher
Bauart werden nicht mehr mit der Hand, sondern mit einem hölzernen oder einem Palm-
rippenhämmerchen geschlagen. Große Pflocktrommeln bis zu 2 m Höhe (go gbele) werden zu
Signalzwecken verwendet. Worttelegraphie ist heute zumindest unbekannt; einzelne Rhyth-
men, mehr aber noch, der Ton der Trommel (der durch die Größe variabel wird) bedeuten
bestimmte Dinge. So rief man durch einen besonderen Rhythmus die umliegenden Dörfer
zum Ringkampf am kommenden Markttag auf. Leute werden dürch Trommelzeichen aus
dem Busch herbeigerufen oder es wird ihnen bedeutet, dort zu bleiben, wo sie sind. Ununter-
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
77
brochenes schnelles Schlagen einer großen Signaltrommel bedeutet Krieg. Dieses Signal wird
von jedem Dorf, das es vernimmt, weitergegeben. Der Tod eines Häuptlings wird durch
Schlagen der größten überhaupt vorhandenen
Trommel kundgegeben. Sie hat einen besonders
starken und tiefen Ton. Höchstwahrscheinlich
war die Trommelsprache früher stärker aus-
gebildet; die Liberianer aber hatten sie nach der
Unterwerfung der Mano und Dan verboten, da
sie immer wieder mit durch Trommel zusam-
mengerufenen Aufständen und Überfällen aus
dem Hinterhalt zu tun bekamen. So wird heute
die Trommel nur mehr selten zu Signalzwecken
verwendet. Eine zweite häufige Art ist die Sand-
uhrtrommel (Nr. III C 35718 a, b M. f. V. B.)
mit Schnurbespannung. Sie ist etwa 36,5 cm
hoch und hat einen Durchmesser von 17,5 cm.
Dazu gehört ein kleiner, gezapfter Hammer
aus Palmenmark, Palmrippen oder Bambus
(Länge 26 cm). Der Spieler hält diese Trommel
unter dem linken Arm und schlägt die Trom-
mel, die auf beiden Seiten mit Fell bespannt
ist, mit dem Hammer, den er in der rechten
Hand hält. Durch Zusammenpressen der
Schnüre mit dem Arm wird eine stärkere oder
schwächere Spannung des Felles bewirkt, da-
durch entstehen höhere oder tiefere Töne.
Diese Trommeln werden zusammen mit den Pflocktrommeln für das Tanzorchester
verwendet, hauptsächlich benützen sie aber die sog. Fangaleute, die Begleitmannschaft
des reisenden Häuptlings, um das Nahen ihres Herrn anzukündigen. Die Fangaleute haben
einen besonderen Kopfschmuck, eine Art Tiara aus Leoparden- oder Lammfell mit Kuh-
schwanzhaaren verziert, und über den Rücken hängt ihnen ein Streifen aus Fell oder Leder,
der schön verziert und oft mit Kauris besetzt ist. Diese Art von Trommel findet sich bei
Mano, Dan und Kran.
Eine dritte Trommelart ist die Schlitztrommel (Mano: küö kele). Ganz große Exem-
plare gibt es in Nordwestliberia1; sie werden dort hauptsächlich zur Zeit der Jugendweih-
feiern gebraucht. So große Stücke habe ich im Nordosten niemals gefunden. Kleinere
Exemplare aber wie z. B. Nr. III C 35716 M. f. V. B. mit einer Länge von 74 cm und einem
Durchmesser von 24 cm — und noch kleiner — sind aber sehr häufig bei Mano, Dan und
Kran. Die beiden ersteren Stämme gebrauchen die Schlitztrommel niemals für profanen
Tanz, bei den Kran indes kann die Schlitztrommel sogar dazu verwendet werden, Leute im
Dorf zusammenzurufen.
Mano und Dan verwenden Schlitztrommeln immer bei den Zusammenkünften des
Schlangenbundes und alle Tänze und Gesänge desselben werden von ihren hellen, durch-
dringenden Klängen begleitet. Auch bei dem Auftreten eines Maskentänzers werden Schlitz-
trommeln bei allen drei Stämmen selten fehlen.
Die Trommeln bestehen aus einem Stück behauenen Balken, der innen ausgehöhlt
wurde. Als einzige Öffnung ist ein breiterer und ein schmälerer Schlitz eingeschnitten. Die
Abb. 46
1 s. Germann, P., Die Völkerstämme im Norden von Liberia, Leipzig 1933.
I I Baessler-Archiv.
T~T<r’
78
E. DONNER
Trommeln werden auf abgelegenen Buschplätzen und niemals im Dorf angefertigt. Das
Aushöhlen geschieht teils durch Schnitzen, teils durch Brennen (Anlegen von glimmenden
Holzstücken). Manche Schlitztrommeln haben auch einen dritten, schmalen Schlitz und
diese sind dann so angeordnet, daß sich der breite Schlitz in der Mitte befindet. Zwei Hörner
oder ohrenartige Fortsätze sind an einer Seite angeschnitzt. Diese bilden den Oberteil, an
dem man die Trommel beim Schlagen aufrechthält. Mitunter weist die Trommel Schnitz-
ornamente auf. Ich habe auch das eine oder andere Stück gesehen, das anstatt der Griffe
geschnitzte Menschenköpfe aufwies. Diese Trommeln befanden sich seit langem in Familien-
besitz und es war mir niemals möglich, eine solche zu erstehen.
Frauen gebrauchen Trommeln niemals, ja, es ist ihnen sogar geradezu untersagt, diese zu
benutzen. Da die Frauen nicht holzschnitzen dürfen, sollen sie auch mit den hölzernen Trom-
meln nichts zu tun haben. Trommeln sind also typische Männerinstrumente. Daß Frauen
Holzgegenstände aber überhaupt nicht benützen dürfen, ist nicht allgemein.
Bei Tänzen der Frauen untereinander im Frauenbusch oder bei Treffen anderer Frauen-
bünde haben diese ihre eigenen Instrumente. Dies ist vor allem die Schildkrötenschalen-
trommel (Nr. 301 E. D. und 302 M. f. V. W.). Es handelt sich dabei einfach um die Schale einer
Schildkröte (20 ^m lang, 13 cm breit, 8 cm hoch), aus der man die Innenteile sorgfältig
entfernt hat. Am inneren Kopfende wird ein Stück Schale abgeschnitten. Diese Trommeln
schlägt man mit einem Stöckchen aus hartem Holz. Der Klang ist ähnlich dem der Schlitz-
trommel. Durch Aufschlagen am inneren Spalt des Schwanzendes und vorne am Brust-
wirbel entstehen zwei verschiedene Töne. Ebenfalls als Trommeln benutzten die Frauen
des Togba-Bundes in Be-plei Kuhhörner, deren Spitzen abgeschnitten wurden. Auch sie
werden mit einem Stöckchen geschlagen und ergeben am oberen und am unteren Ende
geschlagen zweierlei verschiedene Töne.
Allgemeingut bei den verschiedensten Stämmen Liberias ist aber die Rassel. Sie taucht
in den verschiedensten Formen auf. Obwohl sie auch gelegentlich von Männern benutzt
wird (besonders bei den Kran), ist sie doch eigentlich ein Instrument der Frau. Nr. III C
35719 a, b und Nr. III C 35772 a, b M. f. V. B. sind zwei Kalebassenrasseln der Kran.
Über die Kalebasse wird ein Netz aus Bast, in das Perlen oder Früchte eingenetzt sind,
gezogen. Netzkalebassen sind am allgemeinsten; die bei diesen beiden Exemplaren hinzu-
gefügten Bastbüschel aber habe ich nur bei den Kran gesehen. Die gestielten Kalebassen
sind gewöhnlich 20 bis 25 cm lang, Nr. III C 35772 a und b sind 21,5 cm
lang; die Netze dazu mitsamt den Bastbüscheln messen etwa 75 cm.
Bei Gola und Kpelle ist eine Art von Kastagnette gebräuchlich. Nr. 78
M. f. V. W. besteht aus zwei Kalebassen von etwa 3 cm Durchmesser, in die
man etwas Sand oder Reiskörner gefüllt hat. Eine 10 cm lange Baumwoll-
schnur wird nun mit dem Ende eingesteckt und die Öffnung mit einem
Palmrippenstöpsel verschlossen und so die Schnur eingeklemmt. Diese
Schnur wird nun zwischen Mittelfinger und Zeigefinger so durchgelegt, daß
eine Kugel innen und eine außerhalb der Handfläche hängt. Durch ruckartige,
drehende Bewegungen der Hand wird die außenhängende Kugel auf die
Handfläche geschleudert, wo sie auf die innen hängende auftrifft. Die innere
Kugel wird mit einem leichten Druck des Fingers am Platze gehalten.
Auch eine Korbrassel mit langer Handhabe ist bei den Mano und Dan
im Gebrauch. Nr. 75 und 76 E. D. ist ein Korbrasselpaar der Mano. Die
Rasseln sind samt Griff etwa 37 cm hoch und das Kalebassenstück, auf das
die Korbwand gestellt wurde, hat 9 cm Durchmesser. In das Kalebassenstück
sind Löcher gebohrt, die gespaltenen Palmrippen da durchgezogen und
mit einem Knoten befestigt. In den pyramidenförmigen Hohlraum des
Abb. 47
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
79
Korbes sind kleine Sternchen (Latent) eingeflochten worden. Die gespaltenen Palmrippen
werden oben gleich zum Griff verarbeitet (Abb. 47).
Die Korbrasseln werden paarweise gebraucht; man hält sie am oberen Handgriff und
schüttelt sie abwechselnd in bestimmten Rhythmen.
HOLZSCHNITZEREI.
Allgemeines.
Einfache Gebrauchsgegenstände schmucklos und zweckmäßig herzustellen, ist bei-
nahe jeder Eingeborene imstande. Zu solchen Dingen gehören vor allem Kämme, Stoß-
mörserchen für Tabak, Pulverbehälter, eventuell einfache Löffel usw. Wenn aber auch fast
jeder imstande ist, sich das Notwendigste selbst anzufertigen — wie nötigenfalls sich auch
jeder sein eigenes Körbchen flicht oder sich seinen Topf formt — so besteht doch bereits
die Neigung, daß gewisse Leute — Männerund Frauen — die in der einen oder in der anderen
Arbeit besonders tüchtig sind, mehr anfertigen als sie für den täglichen Bedarf selbst
brauchen. Sie bringen dann ihre Überproduktion auf die Märkte, um sie gegen Stücke,
die sie selbst weniger schön anzufertigen verstehen oder auch gegen Lebensmittel einzu-
tauschen. Hier liegt bereits der Anfang zu einem Handwerk. Freilich haben auch solche Leute
durch die Ausübung ihrer Kunst noch nicht ihre Feldbestellung vergessen, diese erscheint
ihnen immer noch wichtiger. Gegen Geld (d. h. vor Einführung des Geldes, Eisengeld
oder Vieh oder andere Gegenstände, deren Wert genau festgelegt war) zu verkaufen, ist
schon ein etwas späteres Stadium. Handwerker, die ihre Arbeit und nicht den Feldbau als
Hauptbeschäftigung ansehen, gibt es unter der Waldbauernbevölkerung nur wenige. Diese
bilden dann hie und da so etwas wie eigene Gilden. Solche Handwerke sind: Gelbgießer,
Schmiede und Holzschnitzer. Jedes andere Handwerk wird mehr oder weniger nebenbei
ausgeübt oder aber das Handwerk wurde überhaupt erst durch den Einfluß der Mandingo
bekannt.
Ein berufsmäßiger Holzschnitzer stand in alten Zeiten genau wie der Gelbgießer unter
dem Schutze eines Häuptlings, d. h. er arbeitete für ihn und andere Große des Stammes
(oder Unterstammes) auf Bestellung. Da der Holzschnitzer aber niemals das Holz, sein
Arbeitsmaterial, vom Häuptling bezog, wie dies beim Gelbgießer oder beim Schmied fast
immer geschah, so hat er sich ein größeres Maß von Unabhängigkeit zu wahren gewußt.
Nur zu oft werden Bestellungen beim Gelbgießer nur dann angenommen, wenn Arbeits-
metall dazu hergegeben wird, weil der Künstler überhaupt über kein eigenes Metall verfügt.
Der Holzschnitzer aber sucht sich selbst seine Holzpflöcke im Walde und errichtet sich an
einer abgelegenen Buschstelle seine Arbeitsstätte, die kein Unbefugter betreten darf. Er
ist auch nicht so ausschließlich für die Großen seines Stammes da wie der Gelbgießer, da
er nicht nur Prunkstücke für die Häuptlinge anfertigt, sondern im großen Maße auch Dinge,
die im religiösen Leben eine Rolle spielen und die daher von anderen Leuten angeordnet
werden. Tanzsmaskenaufträge z. B. können nur von den Männern gegeben werden, die
durch lange Tradition dazu bestimmt sind, Masken zu tragen. Ahnenmasken können von
jedermann bestellt werden, desgleichen Januskopfstelen und Figuren, die zu irgend einem
besonderen Zweck (meist zur Bewachung von Vorräten, Häusern und von Menschen),
gebraucht werden.
Da aber auch diesen Figuren eine magische Kraft innewohnt, ja jede Darstellung eines
menschlichen Gesichtes einen Kontakt mit Geistern und magischen Kräften bedeutet, so
11*
8o
E. DONNER
ist für den Holzschnitzer bei der Herstellung solcher Dinge die größte Vorsicht geboten.
Masken zum Beispiel dürfen vor ihrer Fertigstellung nur von dem Gehilfen des Schnitzers
gesehen werden. Die vollendete Maske wird dann in der Nacht in einen Bastsack gehüllt
und zu dem Besteller gebracht.
Da viele angefangene Stücke doch im Wohnhaus des Schnitzers aufbewahrt sind, ist
es öfters der Fall, daß ein Mitglied der Familie des Künstlers solche Dinge zu sehen bekommt.
Da muß nun der Schnitzer ein weißes Huhn oder eine weiße Ziege schlachten, ein wenig von
dem Blut auf das begonnene Schnitzwerk spritzen und es um Verzeihung bitten, damit der
Geist der zu diesem Stück gehört, nicht in seinem Zorn den Frauen oder den Kindern des
Künstlers Krankheiten schicke. Der Schnitzer wird gewöhnlich aus Vorsicht von Zeit zu Zeit
solch ein Opfer bringen, ganz gleich, ob ihm bekannt ist, daß seine Familienangehörigen
verbotene Blicke auf seine Arbeit geworfen haben oder nicht, um von vornherein Krank-
heiten und Unglücksfälle hintanzuhalten.
Hat jemand ein Stück beim Holzschnitzer bestellt, so muß er es auch bald bezahlen,
nicht nur des Schnitzers wegen, sondern auch wieder, um den Geist des Schnitzwerkes
nicht zu erzürnen.
Figuren, Januskopf st eien und ähnliche Dinge gelten als weit profaner als die Masken.
Aber auch, wenn eine Statue nur zur Erinnerung an irgend eine Person angefertigt wird,
ja sogar dann, wenn es sich um ein „Porträt“ eines noch Lebenden handelt, haftet der Dar-
stellung eines menschlichen Gesichtes etwas Beunruhigendes und Geheimnisvolles an und man
behandelt jedes Schnitzwerk, an dem sich die Darstellung eines Kopfes befindet, mit einer
gewissen Scheu.
Bevor ich nun auf die Einzelheiten in den Formen der Schnitzerei eingehe, möchte ich
noch allgemein etwas über die Figuren sagen. Diese stellen in Nordostliberia heute fast
niemals mehr Ahnen dar, d. h. sie werden heute nicht mehr im eigentlichen Ahnenkult ver-
wendet. Die meisten Figuren sind vielmehr reine Kunstwerke, um ihrer selbst willen an-
gefertigt. Frauendarstellungen überwiegen bei
weitem (im Gegensatz zu den Masken, wo die
männlich gedachten überwiegen).
Wenn der Künstler im Aufträge eines Häupt-
lings arbeitet, so wird er gewöhnlich eine von
aessen Frauen darstellen, die Figur trägt sogar
dann den Namen der Dargestellten. So sind Nr.
III C 35833 (Abb. 48) und Nr. 35837 M. f. V. B.
(Abb. 49) 55 und 56 cm hoch, Statuen von zwei
Frauen namens Zan und Zewi, Nebenfrauen des
Häuptlings Krai im Gebiet der Kran. Als ich die
Statuen erwarb, war eine der dargestellten Frauen
noch am Leben, die andere bereits gestorben. Nr.
III C 35837 M. f. V. B. aber ist die Statue einer
Frau des verstorbenen Häuptlings Kan, die sich im
Abb , Abb ^ Besitze einer alten Frau im Häuptlingshof Mongrus
(= kan-plei) des Nachfolgers von Kan, befand.
Auch die Statue einer noch lebenden Frau oder die beliebige Darstellung eines men-
schenähnlichen Gebildes muß, wenn das Stück etwas größer ist, mit einem Feste eingeweiht
werden. Die Holzschnitzer arbeiten aber nicht nur auf Bestellung, besonders in der heutigen
Zeit nicht, wo das Leben am Häuptlingshof auch im tiefsten Hinterland bereits manches
von seinem einstigen Glanz eingebüßt hat. Hat er ein Stück beendet — nehmen wir an, eine
Frauenstatue — so bringt er die Figur in verhülltem Zustand zu seinem Häuptling und
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
sagt ihm, daß er etwas Besonderes für ihn hätte, was er ihm denn als Preis dafür bieten
wolle. Oft muß der Preis genannt werden, bevor das Stück hergezeigt wird. Ein anderes Mal
wieder genügt ein kleines Geschenk, um den Künstler zu veranlassen, sein Werk zu zeigen.
Dies geschieht aber nicht in der Öffentlichkeit. Manchmal werden solche unbestellte Stücke
auch dem Häuptling mit dem Bemerken übergeben, daß es sich bei der Statue um eine Dar-
stellung seiner Hauptfrau handelt. In diesem Falle wird die Figur schließlich ihr übergeben.
Besonders kunstfertige Holzschnitzer sind die Kran. Sie verkaufen auch ihre Kunst-
werke bei den Mano, Dan und Bassa. Der erste Holzschnitzer aus dem Dorfe Belle-
walli — einer Gegend, in der viele Schnitzereien angefertigt werden — hießt der Über-
lieferung nach Külä. Gewöhnlich vererbte sich das Amt in der Familie; das ist aber natür-
lich nicht unbedingt der Fall, da der Beruf ja doch von der Begabung abhängt.
Ein Bruder eines Holzschnitzers, der aus Bellewalli stammte, berichtete mir, was nach
der Fertigstellung einer Figur geschieht: Die Statue, die auf einem abgelegenen Dorfplatz
angefertigt worden ist, wird vom Schnitzer in eine Matte gewickelt und ins Dorf gebracht.
Daraufhin bringt er dem Dorfältesten Kola (beachtenswert die Rolle des Dorfältesten, der
in der ursprünglichen Kran-Verfassung, wie auch bei den übrigen Krustämmen mit den
anderen Dorfalten den regierenden Rat bildete; Häuptlinge sind erst eine spätere Ein-
richtung; im Randgebiet der Dan spielen sie dabei schon länger eine Rolle als im übrigen
Teil) und sagt, daß er ihm am nächsten Tag etwas ganz Besonderes zeigen würde, er müßte
,,dem Ding aber etwas unterlegen“. Das „Unterlegte“ kann z. B. ein Leopardenfell sein,
aber auch eine Kuhhaut, wobei die Kuh, die zur Haut gehörte, bei dem großen Festschmaus,
der einer Figurenübergabe folgt, verzehrt wird.
Gewöhnlich aber übergibt der Holzschnitzer auch bei den Kran heute seine Figur einem
bestimmten Mann, einem Häuptling oder sonst einer einflußreichen Persönlichkeit. Die
Übergabe so eines Kunstwerkes gilt als große Angelegenheit; der Besitzer muß viel zahlen
(Dinge bis zum Werte einer Kuh), erhebt aber dafür, daß er das Kunstwerk anderen Leuten
zeigt, auch wieder einen kleinen Tribut.
Wenn eine kinderlose Frau stirbt, so läßt ein reicherer Mann eine Statue von ihr an-
fertigen, die ihn an sie erinnern soll, da ihr Wesen in keinem Kinde fortlebt. Hier liegt bereits
wieder der Übergang zum Toten- und Ahnenkult. Auch von sonst besonders hochgeschätz-
ten Frauen läßt man Statuen anfertigen. Die Ähnlichkeit dieser Kunstwerke liegt fast immer
nur in der Art der Tätowierung, der Frisur, der Form der
Brüste oder eventueller anderer körperlicher Absonder-
lichkeiten (z. B. Nabelbrüche). Auch Schmuckstücke wie
Arm- und Fußringe werden den Statuen umgegeben, eben-
falls Perlenketten. An einer Perlenschnur um die Hüften
ist meist ein kleiner Baumwollschurz durchgezogen.
Die Gesichter der Figuren zeigen fast niemals in-
dividuelle Züge, sondern sind stark stilisiert. Das Uber-
wiegen der weiblichen Figuren wurde mir damit erklärt, daß
die Statuen fast immer als Porträts von Frauen für Männer
gemacht werden. Es gibt aber auch männliche Figuren,
so Nr. 242 E. D. (Abb. 50), Nr. 241 M. f. V. W. und die
Plastik im M. f. V.Bu. (Abb. 51) und besonders auch Paare.
In alten Zeiten verlangten bei den Kran die Dorf-
ältesten in gewissen Abständen von den Besitzern solcher
Figuren, daß sie ein gemeinsames Fest veranstalteten.
Dies geschah immer zur Neumondzeit, aber nicht regel-
mäßig jeden Monat. Uber den Sinn dieser Feste war nichts
E. DONNER
mehr in Erfahrung zu bringen, doch geht daraus recht deutlich eine ursprüngliche, fast
vergessene religiöse Bedeutung dieser Figuren hervor. Ob es sich dabei geradezu um
Ahnenkult handelt, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen (vielleicht ist es ein
Zsammenhang zwischen Neumond-, Ahnen- und Wiedergeburtkult des Menschen.) Bei
diesem Feste bestrich man die Figur oder die Figuren mit Palmöl und bemalte eventuell
noch ihre Augen mit Kalk (vgl. Nr. 242 E. D.). Eine Kuh, Schafe oder Ziegen wurden
geschlachtet und die Figuren gleichfalls mit Schlachtblut bestrichen. Oft bestimmte der
Dorfälteste, daß jede Dorfabteilung — jedes Dorf ist in mehrere Teile geteilt, von denen
jeder einen Obmann hat, der für Ordnung und Reinlichkeit in seinem Teile zu sorgen hat
und außerdem die Anordnungen des Dorfmeisters entgegennimmt — ein Schaf oder eine
Ziege zu stellen habe, die alle bei dieser Gelegenheit geschlachtet wurden. Es gab ein großes
Festessen, bei dem viel getanzt, getrommelt und gesungen wurde. Man bat auch die Figuren,
daß sie den neuen Monat (Mond) im guten Sinne gestalten möchten.
Die Alten im Lande wußten ganz genau, wer in ihrem Gebiete eine solche Figur besaß.
Wurde einer im Besitze einer Statue gefunden, ohne daß er dies den Alten gemeldet hatte,
mußte er eine schwere Strafe gewärtigen, und es konnte zu einer Verhandlung kommen,
in der der Maskentänzer allerhöchsten Ranges berufen wurde, um in dieser Angelegenheit
zu entscheiden. Das für die Figuren Gesagte gilt auch für die großen Januskopf Stelen, wie
z. B. Nr. 245 E. D., einer 50 cm hohen Figur mit Doppelkopf. Diese Januskopfstele, wie
auch die Figuren Nr. 241 und 242 (männlich) und 239 und 240 (weiblich) stammen aus Belle-
walli (Kran) und diese Stücke waren zweifellos Zeugen so mancher Feste, da sie durchweg
älteren Datums sind.
Mit einer einzigen Ausnahme zeigen die Statuen die starre, an das Material des ver-
hältnismäßig schmalen Holzpflockes gebundene Haltung, die in der Schnitzkunst der Natur-
völker so stark überwiegt. Die Gesichter der Figuren sind sehr schematisch, nur wenige Stücke
der Sammlung zeigen individuelle Züge, in denen man vielleicht auch ein wenig Ähnlichkeit
mit dem Original vermuten darf. Individuelleren Ausdruck zeigen die Figuren der beiden
Nebenfrauen Krais, Zan und Zewi, Nr. HIC35833 (Abb. 48) und 35 834 M. f. V. B., die Frauen-
figur aus Kan-plei und eventuell noch die Statue der Gbele aus Westliberia, Nr. III C 35 832
M. f. V. B. Die Beine sind meist zu kurz im V erhältnis zum Körper, desgleichen die Arme, die
nahezu immer in starrer Haltung neben dem Körper hängen und kaum je über die Hüfte hin-
unterreichen. Nr. III C 35831 M. f. V. B. ist die 63 cm hohe, sehr alte, weibliche Holzfigur
der Dan aus der Gegend von Bo-plei, die etwas andere Proportionen zeigt. Hier sind die
Beine länger, die Arme an den Körper gelegt und abgebogen, wodurch sie noch kürzer
wirken. Das Gesicht ist sehr schematisch und kantig gearbeitet, die Augen sind mit Eisen-
leistchen eingefaßt, im Munde stecken noch zwei Eisenzähne, einige andere dürften aus-
gebrochen sein. Die Figur trägt weder Lendenschurz noch Perlen; das bedeutet aber nur,
daß man aus irgend welchen Gründen die Figur vernachlässigte und sich um ihr Wohlergehen
nicht mehr bekümmerte. Die Figur zeigt Spuren von Tätowierungen. Die Schultern sind
steil abfallend und dies steht im Gegensatz zu denen der meisten anderen Figuren, die breit
und gerade sind. Diese Schulterstellung hängt vielleicht mit der Stellung der angezogenen
Arme zusammen.
Sehr sorgfältig hergerichtet sind die bereits erwähnten Frauenfiguren Krais. Die eine
hat die in der Gegend einst allgemein gebräuchliche, heute seltene Stirntätowierung nicht
wie gewöhnlich mit einer geraden Kerbe hergestellt, sondern naturgetreuer durch kreuzweis
schräggestellte Striche. Außerdem sind ihre Augenbrauen streifenweise ausrasiert, wie
man es in dieser Gegend manchmal findet. Die im allgemeinen holzgeschnitzte Frisur ist
noch durch geflochtene Zöpfe ergänzt. Nr. III C 35833 stellt die bereits Verstorbene dar,
der Brustform nach dürfte sie auch die ältere gewesen sein. Nr. III C 35835 M. f. V. B. ist
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
83
eine 52 cm hohe weibliche Figur, die ich aus Setontuo im nördlichsten Dan-Gebiet aus der
Gegend des Mount Nimba brachte. Sie stammt aus dem Besitze des Häuptlings Düle und
soll etwa 20 Jahre alt sein (wobei Altersangaben der Eingeborenen niemals zuverlässig sind;
sie dürfte älter sein) und soll von einem Kran-Schnitzer angefertigt und nach dem Norden
gebracht worden sein. Die Figur stellt eine junge Frau dar (Lendenschurz, Brüste und
Zartheit des Körperbaues). Sie ist sehr sorgfältig behandelt worden, trägt Fußringe aus
Zinn, ein doppeltes Perlenhalsband, Perlengürtel, Armband und Ohrgehänge. Zwei schräg
angesetzte Zähne deuten die spitz zugefeilten Vorderzähne an, die in dieser Gegend üblich
sind,
Nr. III C 35 837 M. f. V. B., die 60,5 cm hohe Statue aus Kan-plei dagegen stellt wieder
eine etwas ältere Frau dar (Abb. 49). Ihr Gesicht zeigt deutlich einen etwas individuelleren
Gesichtsausdruck. Die Stirn ist stark vorgewölbt, die Augen schräggestellt und die Backen-
knochen sind stark vorstehend — es gibt tatsächlich in dieser Gegend Individuen, die ein
etwas mongoloides Aussehen haben. Stilisiert sind wieder die winzigen, etwas zu hoch an-
gesetzten Ohren, sie stören den sonst beinahe naturalistischen Gesichtsausdruck. Von den 4
eingesetzten Zähnen sind die inneren wieder stark gebogen. Der Körper ist wie gewöhnlich
schematisch; die Schultern sind gerade und breit und der Hals ist verlängert und geriefelt
(ursprünglich wohl Halsringnachahmung). Als Schmuck trägt sie Nägel in der hölzernen
Frisur, Perlenohrgehänge und eine Perlenhüftschnur, aber keinen Lendenschurz.
Stärker schematisch ist die 62 cm hohe Frauenfigur (Nr. III C 35832 M. f. V, B.) aus
dem Gebiet der Gbele aus Westliberia. Sie ist schön geschnitzt und recht alt, ein männ-
liches Gegenstück zu ihr war bereits zerfallen. Weitaus primitiver ist Nr. III C 35836
M. f. V. B., eine Figur der Gola. Sie ist neueren Datums und so stark stilisiert, daß von
einer auch nur annähernd naturalistischen Wirkung nicht mehr die Rede sein kann. Beach-
tenswert ist, daß der Hals noch mehr als gewöhnlich verlängert und stark geriefelt ist, so
daß hier der Gedanke an eine Darstellung von Halsringen noch stärker hervortritt. Das
Gesicht ist äußerst primitiv dargestellt, desgleichen Arme und Beine. Die Darstellung der
Brüste, die viel zu tief angesetzt sind, ist knopfartig und weicht von anderen Darstellungen
stark ab.
Die 4 Figuren aus Bellewalli im Kran-Gebiet, die früher schon erwähnt wurden, näm-
lich Nr. 239, 240, 242 E. D. und Nr. 241 M. f. V. W. zeigen eine schematische Darstellung. Zwei
davon stellen Frauen dar. Nr. 239 ist 54 cm hoch, mit hölzerner Frisur, ohne Lendenschurz
oder irgend einem Schmuckstück. Die Figur ist ziemlich roh und primitiv, die Gesichtszüge
entbehren der Feinheit, die Tätowierungen sind, wie gewöhnlich, genauestens ausgeführt.
Der Unterkörper ist wieder stark verkürzt, aber genau ausgearbeitet. Alle Figuren aus Belle-
walli sind nicht geschwärzt (mit Ruß und Palmöl), haben aber von den vielen, früher üblichen
Festen her, eine sehr dunkle Farbe. Nr. 240 ist eine zweite, 48 cm hohe weibliche Figur von
gleicher Farbe wie die erstgenannte. Sie zeigt einen stark abgeplatteten Schädel, an dem
nur die vorgewölbte Stirn auffällt. Um die Augen sind Spuren von einer alten Festbemalung
sichtbar, desgleichen sind 3 von 4 Zähnen vorhanden. Die Gestalt ist noch stärker stilisiert
als gewöhnlich, die schräg abfallenden Schultern enden in steif vom Körper abgehaltenen
Armen, die Beine sind kurz und fast ungegliedert. Ein sehr alter Lendenschurz ist vorhanden.
Nr. 242 E. D. ist endlich eine männliche Figur in der Höhe von 65 cm. Die stark
in die Höhe strebende Frisur des Mannes läßt den Kopf flacher erscheinen als er ist. Im
ganzen weist diese Statue mit den beiden vorher besprochenen große Ähnlichkeit auf und
es ist wahrscheinlich, daß sie von ein und derselben Hand stammen. Die männliche Figur
hat noch Reste einer sorgfältigen Weiß- und Rotbemalung um die Augen. Auch hier ist der
Hals stark verlängert und gerieft, wie überhaupt der Körperbau bis auf die Geschlechts-
teile durchaus gleich ist. Die Brust ist leicht erhaben, ohne Brustwarzen dargestellt und
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E. DONNER
durch eine Strichtätowierung leicht betont. Die Tätowierung ist auch sonst etwas anders-
artig. Die Geschlechtsteile sind wie bei den Gelbgußfiguren stark überbetont.
Nr. 241 M. f. V. W. ist die 57 cm hohe Figur eines Mannes mit einer weißen Kappe,
Die Tätowierungen sind wieder verschieden. Bemerkenswerterweise hat dieser Mann am
Rücken in rohen Umrissen eine Eidechse eingraviert, der allerdings der Schwanz fehlt. Es
könnte sich bei diesem Tier auch um ein Krokodil handeln. Der Verkäufer war dieser Ansicht
und erklärte, nach dem Sinn dieser Zeichnung befragt, daß die Figur einen Mann darstelle,
„der ein Krokodil hinter sich habe“ (ein Krokodil als Totem habe). Als vollständig sicher
möchte ich diese Erklärung jedoch nicht bezeichnen. Diese Figur hat auf der linken Körper-
seite einen Fehler im Holz, einen tiefen, ovalen Einschnitt, der wohl auf irgendeinen Wurm
zurückzuführen war und von dem Eingeborenenkünstler mit schwarzem Wachs ausgefüllt
und geglättet wurde.
Nr. 237 M. f. V. W. (Abb. 52 a-—c) ist eine besonders schöne Figur, die gleichfalls von
den Kran stammt. Sie ist 70 cm hoch und stellt eine schwangere Frau dar. Die Schnitzerei
ist sehr sauber und sorgfältig gearbeitet, wirkt aber trotzdem ein
klein wenig schematisch, wie z. B. in der Darstellung der Hände
und Füße. Gleichfalls hierher gehört eine Statue der Sammlung
Abb. 52 a
Abb. 52 b
Abb. 52 c
Abb. 53
Dr. Fuszek, M. f. V, Bu. (Abb. 53). Die 71 cm hohe Figur stellt eine Frau dar, die ein Kind
auf dem Rücken trägt. Das Kind mißt im Sitz 20 cm. Diese Kinderfigur hat wie die der Frau
kleine Brettchen unter den Fußsohlen. Der Kinderfuß ist überdies besonders breit. Das Kind
hat holzgeschnitzte Fußreifen und eine Rückentätowierung, die Frau aber hat eine blattartige
Tätowierung an den Schulterblättern. Das Kind hält sich an den Oberarmen bzw. Achsel-
höhlen der Mutter. Die Mutter hat eine helmartige Frisur und eine reiche Tätowierung auf
Brust und Bauch, auch ein Nabelbruch ist dargestellt. Die Figur zeigt besonders gut aus-
gearbeitete Hände. Das Gesicht ist verhältnismäßig naturalistisch, aber nicht irgendwie
bemerkenswert. Uber den Sinn der Figur ist weiter nichts bekannt. Aus derselben Sammlung
ist die 72,5 cm hohe männliche Figur, die aus dem Grenzgebiet der Kran und Dan stammen
soll. Sie trägt einen Lendenschurz und hat wieder sehr ausgeprägte Geschlechtsteile. Die
Frisur ist eine ähnliche Helmfrisur wie die gewöhnlich bei Frauen dargestellte und hat noch
darübergelegte Bastzöpfchen. Zwei pfeilartige Tätowierungen am Rücken und eine x-förmige
am Bauch sind der ganze Schmuck der Figur.
Ein ganz eigenartiges Stück aber ist Nr. 238 M. f. V. W, (Abb. 54 a, b). Es ist eine 65 cm
hohe Frauenstatue aus Kpea-plei im Dan-Gebiet. Sie durchbricht als einziges Stück die
steife Haltung, indem sie einen abgebogenen Arm nach vorwärts hält und sich mit der
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
85
anderen rückwärts am Gesäß kratzt. Die Gestalt der Figur ist auch sonst viel naturalistischer
als gewöhnlich und der Künstler hat entschieden in die Darstellung des Körpers eine per-
sönliche Note gebracht. Die Brüste sind nur in einem
winzigen Ansatz vorhanden. Dafür ist in leicht er-
habener Art ein Schlüsselbein angeschnitzt und sogar
die leichte Senkung der Schulter, die durch die Rück-
wärtsbewegung des Armes entsteht, ist richtig gesehen.
Ein starker Nabelbruch ist ebenfalls getreulich nach-
gebildet. Die Schrägstellung des Beckens ist auch nicht,
wie gewöhnlich, übertrieben, die Beine sind allerdings
wieder verkürzt, die Füße aber recht genau und gut
ausgeführl, noch besser aber die Hände. Die rechte vor-
gestreckte Hand ist zur halben Faust geballt, der Dau-
men ist erhoben und abstehend. Die kratzende Hand an
der linken Gesäßhälfte ist gleich aus dem Block heraus
geschnitzt und mit dem Gesäß noch verbunden. Die
Hand ist so abgebeugt geschnitzt, daß nur die ersten
Fingerglieder sichtbar sind,’dabei dürfte aber der vierte Finger abgebrochen sein. Wachs-
spuren zeigen noch, daß man ihn zu ersetzen suchte. Der Daumen ist wieder abstehend. Im
Gegensatz zu diesem Körper steht der bedeutend primitiver gearbeitete Kopf auf einem viel
zu langen Halse. Die stilisierten Ohren sind zu klein und falsch angesetzt, genau so wie bei
bestimmten Typen stark stilisierter weiblicher Masken. Die Augen sind mit Leichtmetall-
streifen eingefaßt, die Ohren haben Perlengehänge. Die Frisur ist wieder originell und mit viel
Sorgfalt gearbeitet. Auf einer Art Perückenunterlage aus Stoff sind vom Scheitel seitlich
abwärts laufend geflochtene Stoffzöpfchen reihenweise angeordnet und angeklebt, während
ein stärkerer Mittelzopf vom Nacken quer über den Scheitel läuft und oberhalb der Stirne
steif absteht. Rund um die Stirne laufen noch die für, diese Gegend typischen, winzigen,
am Kopf entlang geflochtenen Zöpfchen (aus ganz kurzen Schläfenhaaren), die hier aus ge-
drehten Schnüren bestehen. Die ganze Frisur ist mit schwarzem Wachs geklebt. Eine Hüft-
schnur aus Perlen und ebensolche Knieringe vervollständigen zusammen mit einem eisernen
Armband am linken Arm die Schmuckausstattung der Figur. Am Bauch sind auch einige
Tätowierungen schwach sichtbar.
Ich habe diese Figur ausführlicher behandelt, weil sie eines der wenigen Stücke ist,
das die normalen Kunstregeln der Naturvölker durchbricht und weil es außerdem im Stil
ziemlich stark von der Umgebung absticht. Die Figur ist älteren Datums, nicht geschwärzt,
aus schwerem Holz und durch langen Gebrauch schmutzig-dunkelbraun.
Von zwei kleineren Figuren, Nr. 243 M. f. V. W. und Nr. 244 E. D., stammt die erstere von
den Kran, die zweite von den Mano. Nr. 243 ist 32,5 cm hoch. Die Figur ist stark stilisiert,
besonders die als Ornament aufgefaßten Ohren, aber sehr sorgfältig ausgeführt. Das sehr
helle Holz ist nicht geschwärzt. Leider fehlen der Figur die Arme, sie wurden, da sie wurm-
stichig geworden waren, abgeschnitten. Das Stück stammt aus dem Dorfe Bodogli. Als
Schmuck trägt sie zwei Gelbgußringe. Die zweite Figur, die noch viel älter sein dürfte, hat
ebenfalls einen Arm abgebrochen und auch der zweite ist bereits etwas wurmstichig. Am
Kopf sind sonderbar abstehende Ohren, die mit eisernen Ohrringen verziert sind. Der Aus-
druck des Gesichtes ist besonders gut und um die Augen sind Spuren einer einstigen weißen
Bemalung. Die Beine sind höher als gewöhnlich und nicht so gedrungen; die Brüste sind an
der weiblichen Figur kaum angedeutet.
Wie bereits erwähnt, spielen die Januskopfstelen bei den Kran eine ähnliche Rolle
wie die Figuren. Bei den Kran sind sie größer als bei den Mano und Dan. Man stellt sie in
12 Baessler-Archiv.
86
E. DONNER
den Hütten auf und sie haben neben der rein künstlerischen Freude an ihnen noch eine Auf-
gabe zu erfüllen, nämlich über die Hüttenbewohner und deren Eigentum zu wachen. Das
Gesicht nach den zwei Seiten hin soll sie dazu besonders geeignet machen.
Auch diese Januskopf Stelen werden gelegentlich mit Palmöl gesalbt und
mit Tierblut bestrichen, um sie den Menschen geneigter zu machen.
Das größte Stück dieser Art ist das bereits erwähnte, aus Bellewalli,
nämlich Nr. 245 E. D. Die Figur ist 50 cm hoch und durch Holzwürmer
und Ratten etwas beschädigt. Sie ist sehr alt und stammt aus der Häupt-
lingsfamilie von Bellewalli, den Vorfahren Pes. Die Figur ist aus lichtem
Holz und nicht geschwärzt, die beiden Gesichter sind sehr ähnlich. Uber
der Stirn sind helmartige Aufsätze, die über der Kopfmitte in eine Spitze
Zusammentreffen. Der Aufsatz ist mit gravierten Ornamenten verziert.
Der Hals hat eine Rille. Dann folgen zwei gebauchte, halbrunde Abteilungen,
von denen die oberen ebenfalls mit gravierten Ornamenten verziert ist.
Den Rest aber bildet ein 17 cm hoher Standfuß mit Längsrillen. Auch in
der SammlungDr. Fuszeks M. f. V. Bu. findet sich in Nr. 135137 eine Janus-
kopfstele, deren Ursprung allerdings nicht ganz sicher steht (Abb. 55). Sie
soll von den Dan stammen, doch möchte ich annehmen, daß sie von den
Kran stammt. Die Figur ist geschwärzt mit einem dreimal gedrillten
Hals, der dann in ein achtseitiges Prisma mit zwei übereinander gravierten
blattartigen Ornamenten übergeht. Die Höhe der Figur beträgt 59 cm.
Nr. 247 M. f. V. W. ist eine kleine, 20,5 cm hohe Januskopfstele der Dan. Die eckigen,
stark stilisierten Gesichter der beiden sind gleich, ein richtiger Kopf fehlt, es sind eigentlich
nur zwei aneinandergefügte Gesichter. Die Haare sind durch baumrindenartige Rillen an-
gedeutet und enden seitwärts in einem Dreieckornament. Die Kinnpartien wurden gerade,
ja fast eckig abgeschnitten, die Augen sind nur durch Bögen angedeutet. Am Gesicht sind
Spuren von dunklen Spritzern, wahrscheinlich von Blut. Die Farbe der Stele ist sehr dunkel,
ohne daß sie aber direkt geschwärzt worden wäre; das Stück ist sichtlich alt. Der Kopf
läuft in eine Säule von 2,3 cm aus, die in der Mitte durch eine Bordüre von Dreieckfacetten
verziert ist. Außerdem ruht sie noch auf einem kleinen kurzen Standfuß.
Zwei andere Januskopf st eien stammen ebenfalls von den Dan aus dem Dorfe Kpea-plei.
Nr. 246 E. D. ist nur 19 cm hoch, doch entfallen davon auf die Höhe des Gesichts ganze
10 cm (Abb, 56). Hier sind die beiden Gesichter ziemlich verschieden.
Der ganze Schnitt des Gesichtes und der bogenartige Stirnaufsatz er-
wecken den Eindruck von Masken, die aneinander-
gesetzt wurden. Der Standfuß ist klein und nieder,
die dazwischenliegende Säule hat 3,5 cm Durch-
messer. Das Stück ist geschwärzt. Nr. 248 E. D. ist
nur 10 cm hoch und besteht aus zwei maskenartigen
Gesichtern (etwa 7 cm hoch) und einem Standfuß,
der mit einer Bordüre geschnitzter Ornamente ver-
ziert ist (Abb. 57). Die Figur ist nicht geschwärzt, sie
ist älteren Datums. Nr. 249 E. D. ist eine 13,5 cm
hohe Januskopfstele von den Mano. Die beiden Ge-
sichter sind etwas verschieden und variieren auch
in der Größe um % cm. Das Mittelstück ist verhält-
nismäßig dick und hat eine fischgrätenartig ge-
schmückte Bordüre. Der Standfuß ist nicht abgesetzt, sondern erweitert sich allmählich von
selbst. Das Stück ist alt, aber ursprünglich ungeschwärzt und stand nicht mehr im Gebrauch.
Abb. 57
Abb. 56
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
8?
Nr. 250 E. D. ist eine 20 cm hohe Einkopfstele der Mano aus Sanoquelleh; sie ist sicher
jüngeren Datums. Auch solche Einkopfstelen werden zum Bewachen benützt. Man hat
z. B. solch ein Stück zusammen mit den Zaubermitteln des Schlangenbundes aufbewahrt
und stellt es auf, wenn ein Novize eingeweiht wird oder sonst die Zauberartikel bei irgend
einer Gelegenheit ausgepackt werden. Der Gesichtsausdruck dieser Stele ist wieder der einer
Maske sehr ähnlich, der Kopf ist ziemlich flach und für die Länge des Gesichtes viel zu schmal.
Die Frisur hat man durch Schnitzerei angedeutet. Die Figur wurde geschwärzt.
Ein sonderbares Stück, Nr. 251, E. D., das einzige in seiner Art, das ich in der Gegend
zu Gesicht bekam, ist ein 33,5 cm hoher Pfahl oder Pflock, der unten spitz zuläuft, oben
aber in einem schönen, ausdrucksvollen Gesicht endet (Abb. 58). Es ist tat-
sächlich eine auf ein keulenförmiges Stück Holz aufgeschnitzte Maske, deren
Geschlecht nicht zu erkennen ist. Das Gesicht ist mit Band- und Viereck-
ornamenten umsäumt. Die Augen sind durch geschlossene Lider markiert,
die Stirntätowierung tritt als schmaler, scharfer Wulst hervor. Sonst ist das
Gesicht ziemlich naturalistisch und in seinen Proportionen gut gesehen. 4 cm
unterhalb des Gesichtes läuft ein 8 cm breiter, rötlichbrauner Fellstreifen
mit einem schwarzen Fleck um den Pflock herum. Das Stück stammt von
den Mano. In der Sammlung Dr. Fuszeks, M. f. V. Bu. fand ich ein Stück,
das wahrscheinlich zu ähnlichen Zwecken — nämlich wieder zu Wächter-
diensten — gebraucht wurde. Es handelt sich dabei um einen rückwärts ab-
geplatteten Pfahl, der oben an der rundlichen Vorderseite ein aufgeschnitztes
Gesicht ohne Hals- oder Körperansatz zeigt. Es ist ein weibliches Gesicht
und Holz und Pfahl sind ungeschwärzt, die Höhe beträgt 30 cm. Das Stück
stammt von den Bron, einem Unterstamm der Kran. Nähere Angaben fehlen jedoch.
Das überall in Afrika übliche Mankalla- Spiel ist auch bei fast sämtlichen Stämmen Liberias
vertreten. An der Küste sind die Formen oft grob und schmucklos, ein abgeflachtes Stück
Holz, in das die notwendigen 12 Vertiefungen eingefügt wurden. Doch fehlen auch hier
künstlerische Formen nicht. Beliebt ist bei denVai und zum Teil auch bei den Gola die Dar-
stellung des Spieles in Form eines Bootes. Von den Te-Gola stammt ein Stück, Nr. III C
35807 a, b M. f. V. B., das ein wenig aus dem Rahmen der übrigen Spieldarstellungen
herausfällt. Es besteht aus einem stärkeren Brettchen mit den 12 Vertiefungen, das mit
Dreiecks- und Linienornamenten versehen ist. Die Schalen zu beiden Seiten (manchmal ist
nur eine vorhanden) bestehen hier aus hörnerartigen Gebilden, die sich nach unten mit dem
Standfuß vereinigen. Das Spiel ist 56 cm lang und aus hellem, leichtem Holz gearbeitet.
Die 48 Spielsteine bestehen aus den Früchten eines Waldbaumes. Der Gola-Name für
dieses Spiel lautet: bo.
Eine besonders in Nordostliberia sehr gebräuchliche Form des Spieles ist Nr. III C
35806 a, b M. f. V. B. mit Linien- und Dreieckornamenten. Sehr typisch für die Orna-
mentik Liberias sind die beiden im Sudan so häufig vorkommenden zwei mit ihren Scheiteln
zusammenstoßenden Dreiecke. Das Spiel stammt von den Dan aus Be-plei und wird im
Mano-, Dan-, Kran- und Bassa-Gebiet mit ma bezeichnet; es ist 61,5 cm lang, aus schwerem,
dunklem Holz gefertigt. Die Spielsteine sind hier aus Eisen, in der Form den Baumfrüch-
ten nachgeahmt. Das weitaus schönste Stück ist aber ein 108 cm langes Spiel von den Kran
aus dem Dorfe Bellewalli (Nr. III C 35 805 a, b M. f. V. B). Das Stück befand sich im Be-
sitze einer Frau, die es geerbt hatte und ist sehr alt. Hier fehlen die beiden Schüsselchen zur
Aufnahme der gewonnenen Steine, statt dessen ist auf der einen Seite ein sorgfältig ge-
schnitzter Menschenkopf, auf der anderen aber ein Schafskopf angebracht. Spielsteine sind
hier Kugeln aus Gelbgußmasse, Drei verloren gegangene Stücke wurden durch Sternchen
ersetzt.
88
E. DONNER
In der Ausgangsstellung des Spieles sind vier Spielsteine in jedem der 12 Schüsseichen. Die
ersten Züge bezeichnet der Eingeborene als „eine Stadt bauen“ (im Mano: n plei do). Dabei
häuft jeder Partner auf seiner Seite mehrere Steine in den einzelnen Vertiefungen, während
andere geleert werden. Jeder bleibt aber mit seinen Steinen auf seiner Seite. Von diesen Aus-
gangsstellungen werden dann die Spielsteine aus einem beliebigen Schüsselchen der eigenen
Seite genommen und in der Reihe von links nach rechts herumgegeben, so daß in jede fol-
gende Vertiefung ein neuer Stein kommt. Dabei gewinnt nun der, der am Zuge ist, die Steine,
die in den letzten Vertiefungen liegen, die er mit seinen Steinen erreicht. Dies geschieht
aber nur dann, wenn in den betreffenden Schüsselchen nur ein oder zwei Spielsteine lagen.
Lag z. B. in der Reihe des Gegners in Vertiefung 4 ein Stein, in Vertiefung 3 zwei Steine, in
Vertiefung 2 aber fünf Steine, in Vertiefung 1 wieder ein Stein, so ist der Spieler nur berech-
tigt, die Steine aus Vertiefung 4 (ein Stein und den eigenen) und aus Vertiefung 3 (zwei
Steine und den eigenen) einzukassieren. Die gewonnenen Steine kommen in eine der Schüssel-
chen an der Seite des Spieles. Als gewonnen gelten also Steine von der letzten Vertiefung an,
die Bewegungen des Spielers rückwärts gerechnet, wenn nicht mehr wie zwei Steine bereits
in den Schüsselchen lagen. Eine Vertiefung, in der sich bereits mehr als zwei Steine befan-
den (wenn mit dem neu hinzukommenden also mehr als drei drinnen sind), unterbricht die
Gewinnstreihe. Jeder Spieler ist nur je einmal am Zug. Als seine Spielsteine gelten jeweils
nur die, die sich in den Vertiefungen auf seiner Seite befinden. Es verliert der, auf dessen
Seite sich zuerst keine Spielsteine befinden. Außerdem werden die gewonnenen Steine ge-
zählt. Welches Schüsselchen bei jedem Zuge an die Reihe kommt, steht dem Spieler frei,
vorausgesetzt, daß es sich auf seiner Seite befindet und er von links nach rechts spielt. Nur
die ersten drei bis vier Züge können auch von rechts nach links erfolgen, müssen dafür aber
auf der Seite des Spielers bleiben.
Gespielt wird das Spiel zumeist von Männern untereinander, hie und da spielen auch ■
Frauen zusammen.
In ganz Nordostliberia kommen große Löffel vor (Mano: minä), die aber niemals zum
Essen gehören und höchstens hie und da einmal bei großen Festen dazu verwendet werden,
Reis aus den großen Holzschüsseln zu verteilen. Sie scheinen bei den Kran zuerst heimisch
gewesen zu sein, kommen jedoch auch bei den Dan, den Mano und dem angrenzenden Teil
der Kpelle vor. Die Kran-Stücke sind aber von besonders schöner und sorgfältiger Aus-
führung. Diese Löffel, die man am ehesten mit Zeremoniallöffel bezeichnen könnte, sind
Frauenbesitz, ebenso wie die großen, geschnitzten Holzschüsseln der Kran; sie werden sehr
hoch geschätzt und vererben sich in der Familie in weiblicher Linie. Mit Ausnahme des schon
erwähnten Austeilens bei Festen tragen die Besitzerinnen diese Löffel beim Tanz in den
Händen. Bei Tänzen zum Empfang irgend einer Persönlichkeit, bei den an den Jugendweihen
anschließenden Tänzen und bei den Umzügen der Frauen nach Begräbnissen zur Vertrei-
bung der Totengeister, wird diejenige, die einen derartigen Löffel besitzt, ihn in Händen
tragen. Normalerweise hängt er an einem Nagel an der Hüttenwand.
Manche dieser Löffel sind am Griff nur mit Ornamenten verziert, z. B. Nr. III C
35817 M. f. V. B. Er ist 46 cm lang und hat Schaufelform. Das Stielende ist keulenförmig
verdickt und mit Dreieckornamenten verziert. Zuweilen gibt es auch Stücke, bei denen der
Griff einen Schafskopf darstellt (vgl. Nr. III C 35820 M. f. V. B., 43 cm lang, und Nr. III C
35818, 19 cm lang).
Am häufigsten sind jedoch Löffel mit menschlichen Köpfen am Griffende. Nr. III C
35821 M. f, V. B., 42 cm lang, ist mit einem ziemlich primitiven Kopf auf einem mit ein-
fachen Ornamenten geschmückten Griffe versehen; das Stück stammt von den Dan. Nr. III
C 35822 M. f. V. B. ist mit 63 cm viel größer und stammt aus dem südlichen Dan-Gebiet
aus Toway-plei und ist alten Datums. Die Rückseite der Kelle ist mit Reihen von Strich-
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
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Abb. 59 a
Abb. 59 b
mustern verziert. Schöner ausgeführt, mit kunstvoller Frisur aus Schnitzwerk, ist ein 53,5 cm
langer Löffel aus dem Kran-Gebiet und Figur III C 35 823 M. f. V. B. aus dem Dorfe Belle-
walli ist ein kleineres Meisterwerk. Der Kopf ist genau ausgeführt, sogar mit einer angekleb-
ten Frisur aus Zöpfen und Zähnen aus Blei. Selbst die weiße, maskenartige Bemalung um
die Augen wurde nicht außer acht gelassen.
Ein sehr altes und besonders schön ausgeführtes Stück dieser Art ist Nr. 252 E.D., ein
69 cm langer Löffel mit einem sehr sorgfältig ausgeführten Kopf am Griffende (Abb. 59 a, b).
Dieser Kopf ist 20 cm lang und sehr gut geschnitzt.
Das Gesicht ist verhältnismäßig naturalistisch;
über die Stirne läuft die übliche senkrechte Täto-
wierung und um die gerade geschlitzten und daher
ein wenig schläfrig blickenden Augen zieht sich
die so häufige Kalkbemalung. Von den sechs Me-
tallzähnen der oberen Reihe sind die mittleren
etwas schräg gestellt. Die Frisur ist mit besonderer
Sorgfalt hergestellt und mit Bastzöpfchen beklebt.
Um Nacken und Hals laufen Strichornamente,
der Hals aber mündet bereits in den Griff des
Löffels. Die Kelle selbst ist 38 cm lang und
schaufelartig geformt, die Rückseite wurde mit
Strich- und Dreieckornamenten verziert. Das
Stück stammt aus dem Krangebiet und ist geradezu typisch für die besten Plastiken des
Stammes. Ein ebenfalls sehr schönes, wenn auch bedeutend kleineres Stück, ist Nr. 254
M. f. V. W., ein ungeschwärzter Löffel aus rötlichem Holz, dessen Griff mit einem Janus-
kopf versehen ist. Auch dieses Stück stammt von den Kran und zwar aus Bellewalli.
Nr. 253 M. f. V. W. hingegen ist ein Stück von den Dan aus Kpea-plei. Der Löffel
sticht durch seine starke, fast humorvoll zu nennende Stilisierung von den übrigen Stücken
ab, er hat z. B. eine dreifache Nase, stellt aber wohl die Sonderlaune eines Künstlers dar.
Nr. 256 E. D. ist ein alter Löffel der Dan, dessen Griff in einer runden Schöpfkelle
endet, wie sie in früherer Zeit von den Leuten zum Wassertrinken unterwegs verwendet
wurde. Heute werden diese Schöpfer nicht mehr angefertigt, da ihr Platz durch die von den
Mandingo verbreiteten Kalebassen eingenommen wird. Das Stück ist 50,5 cm lang und bis
auf den achteckig geschnitzten Stiel des Löffels schmucklos, jedoch sind Löffel und Schöpf-
kelle sehr sorgfältig geschnitzt. Nr. 257 E. D. ist noch ein solcher alter
Schöpfer, der sich im Besitz eines alten Mannes befand und gar nicht leicht
zu erwerben war. Das Stück ist 27 cm lang, der runde Schöpfer, in Form
einer flachen Schüssel, hat einen Durchmesser von 12 cm. Das Griffende
bildet eine Art Schlinge aus Holz, die mit Kupfernägeln verziert ist. Das
Stück dürfte ursprünglich nicht geschwärzt gewesen, sondern nur durch
Rauch und Alter völlig dunkel geworden sein.
In einem gleichfalls sehr altertümlichen Stück ist die menschliche Figur
in einer anderen Art mit einem Löffel verknüpft (Abb. 60). Das sehr inter-
essante Stück stammt aus der Sammlung F., M. f. V. Bu. Hier wird der Stiel
des Löffels durch eine bis zum Bauch voll ausgearbeitete weibliche Figur
dargestellt. Selbst auf den Lendenschurz hat man dabei nicht verzichtet.
Dann folgt ein unten nur wenig abgerundeter, gleich darangeschnitzter Auf-
bau, der mit Ornamenten versehen ist. Daran schließen sich zwei Löffelstiele
mit drei Ringgravierungen (ähnlich wie am Hals der Figuren), die in zwei
seichten, länglichen Löffeln enden. Das Stück ist 61 cm hoch; davon ent-
Abb. 60
90
E. DONNER
fallen 23,3 cm auf den Körpergriff, der Aufsatz mißt 6,2 cm, die Löffelstiele etwa 7,5 cm,
die Löffel selbst aber sind 24 und 28,8 cm lang.
Ein Stück ähnlicher Art habe ich einmal bei den Neabo-Kran im Südosten von Liberia
aus Gelbguß gesehen. Es war freilich bedeutend kleiner und hing an einer eisernen Kette.
Als altes Erbstück befand es sich im Besitze einer Frau, die aber nicht zu überreden war,
das Stück zu verkaufen. Uber die Bedeutung gerade dieser Form war nichts in Erfahrung
zu bringen, doch dürfte bei den stilisierten Eßlöffeln dieser Menschen überhaupt der Ge-
danke an eine Hebung der Fruchtbarkeit zugrundeliegen. Es ist allerdings heute kaum mehr
möglich, dies noch klarzustellen. ■
Die bereits erwähnten Holzgefäße werden nicht allgemein verwendet. Bei Gola, Kpelle,
Mano und Dan finden sich sehr vereinzelt flache Holzschüsseln, die nahezu unmöglich zu
erwerben sind, da es sich um ererbte und von den Frauen gehütete Stücke dreht. Eine Aus-
nahme bildet hier lediglich der Stamm der Kran. Diese fertigen Holzschüsseln von runder
Form mit ziemlich hohen Wänden an (Abb.61). Die Form
wird einheitlich in verschiedenen Größen geschnitzt. Die
kleinsten sind etwa 13,5 cm hoch und haben einen Durch-
messer von 28 cm (Nr. III C 35812, Nr. III C 35811
M. f. V. B. und Nr. 269 E. D.). Die größten sind 21,5 cm
hoch und 52 cm im Durchmesser (Nr. 26 M. f. V. W.) und
noch darüber. Auch diese Stücke befinden sich im Besitz
der Frauen, obwohl sie nicht von ihnen angefertigt werden;
sie hängen zum Unterschied von den Tontöpfen reihenweise an Nägeln an der Wand. Ge-
braucht werden sie als Eßschüsseln. Die Schüsseln haben einen niederen Standfuß, der
obere Rand ist manchmal gekerbt (Nr. 268 E. D. 17 cm hoch, Durchmesser 37,5 cm und
Nr. III C 35810 M. f. V. B. 14 cm hoch, Durchmesser 31,5 cm). Die Außenseite ist regel-
mäßig mit gravierten Ornamenten verziert. Nr. 265 M. f. V, W. und Nr. 269 E. D. zeigen
die gebräuchliche Form der Ornamentierung. Nr. 267 und 268 E. D. und III C 35814, 35815,
35 809 und 35812 M. f. V. B. zeigen verschiedene andere Muster, die häufig Vorkommen.
Alle diese Ornamente werden nur auf diesen Schüsseln angewendet und tauchen weder in
graphischen Darstellungen noch als Ornamentik an anderen Holzschnitzereien auf. Am
ehesten kann man sie noch mit gewissen Ornamenten auf Tontöpfen vergleichen.
Ein ganz eigenartiges Stück, das sich nicht in die übrige Holzschnitzkunst einreihen
läßt, ist Nr. 135139 M. f. V. Bu. Es handelt sich dabei um
die reliefartige Darstellung eines Kopfes in einem Holz-
rahmen mit eingefügten Ornamenten. Das Stück ist
35,5 X3Q,3 cm groß. An den oberen Ecken des Rahmens
sind 8x9 cm große Vierecke mit glattem Rand, die innen
mit Gittermuster verziert sind. In der Mitte des Rahmens
befindet sich der stark stilisierte Kopf mit einer Strich-
tätowierung auf den Wangen. Die Augen sind als nach unten
gewölbte Kerben dargestellt, das Kinn ist vorspringend und
die Frisur ähnlich der der Mende (Abb. 62). Das Stück ist
ungeschwärzt und weist ein paar dunkle Flecken auf; es
stammt von den Gola und der Typus des Gesichtes ähnelt
stark den Mendeplastiken. Das Stück wurde Dr. Fuszek
von dem Liberianer Colonel Davies aus dem Dorfe Kposno
gebracht. Der Überbringer teilte mit, daß dem Künstler
ein Traum den Weg zu diesem Werk gewiesen hatte. Dem
Holzschnitzer träumte, daß er ein derartiges Werk schaffen
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
9t
solle, und sah genau, wie die Plastik auszusehen hatte. Es ist hier hinzuzufügen, daß Träume
bei diesen Stämmen eine große Rolle spielen und daß im Traum gesehene Dinge als An-
weisungen von Wesen aus der Geisterwelt (meist Ahnengeister) angesehen werden. Uber
das Alter des Stückes ist nichts Näheres bekannt. Es dürfte aber keineswegs altertümlich
sein und verdient nur als Einzelwerk Beobachtung und ich führe das Stück zum Teil deshalb
genauer auf, weil es zeigt, wie schwer es ist, afrikanische Plastiken genauer zu bestimmen.
Erwähnenswert sind noch einfache, aber mit viel Geschick hergestellte Behälter für
Schießpulver, die vor allem bei den Dan gebräuchlich sind. Nr. 278 E. D. ist ein 8 cm hoher,
fläschchenförmiger Behälter aus dünnwandigem Holz. Das Aushöhlen dieser meist sehr
schmalen Stücke geschieht von beiden Seiten her durch schmale Löcher, wobei man dann
das Loch am Boden mit Wachs und etwa eingelegten Holzstückchen verklebt. Oben wird
nach einer stufenförmigen Einbuchtung ein schmaler, dünner Hals angeschnitzt, auf den
eine genau eingepaßte Holzkaspel als Deckel aufgesetzt wird. Nr. 280 E. D. ist ein größerer,
15 cm hoher, unten etwas gebauchter Behälter, in dessen einfach verzierten Deckel oben
ein Gelbgußnagel als Schmuck eingeschlagen wurde. Nr. 281 E. D. ist mit 22,5 cm und 4,5 cm
Durchmesser das größte Stück, das sehr sorgfältig flaschenförmig geschnitzt und geglättet
wurde. Es stammt aus Be-plei.
Nr. 275 a, b E. D. ist ein kleines, hölzernes Stoßmörserchen für Tabakblätter, das
7 cm hoch ist; auch dieses Stück stammt von den Dan. Dazu gehört ein mit Gravierungen
verziertes Kupferlöffelchen zum Herausnehmen des gestoßenen Tabakpulvers. Nr. 274
a, b E. D. ist eine kleine Garnitur für denselben Zweck: Ein Stoßmörserchen (7,6 cm)
mit einem Stöpsel aus Baumwollfäden und an einer Lederschlinge darangebunden hängen
zwei genau eingepaßte, geglättete und unten schmäler werdende Stößel (19 cm) und ein
Löffelchen (12 cm) aus Eisen, das in der Form dem kupfernen Stücke ähnlich ist. Die Gar-
nitur stammt aus Kpea-plei im Dan-Gebiet, ist aber in der ganzen Umgebung gebräuchlich.
Typisch für dieMande-fu-StämmeNordostliberias sind die kleinen Ahnen- und Wächter-
masken. Sie sind bei Mano, Dan und Kpelle häufig, kommen aber bei den Kran nicht vor.
Diese Masken sind Darstellungen von Verfahren. Oft ist es den Leuten noch bewußt, um
wen es sich bei diesen Masken handelt, meist aber gilt die Maske nur mehr als das Sinnbild
der Ahnenreihe. Jede der kleinen Masken hat ihren persönlichen Namen, dieselben Namen,
wie sie auch Lebende zu führen pflegen. Von Frauen, sowie von nicht initiierten Knaben
sollen diese Masken nicht gesehen werden — tatsächlich aber sind sie den Frauen nicht
gar so unbekannt, denn die Männer lassen ihre Masken oft herumliegen. Öffentlich aufgehängt
oder aufgestellt wird indes eine Maske niemals.
Diese Masken spielten in alten Zeiten eine besonders große Rolle für ihre Besitzer; sie
wurden praktisch in allen Lebenslagen um Rat gefragt und auch auf Reisen in den Kleider-
taschen mitgenommen, um ihren Besitzer sowohl vor den äußeren Gefahren als auch vor
bösen Mächten, die in fremder Umgebung stärker wirksam werden können, zu schützen.
Von Zeit zu Zeit werden die Masken automatisch gefüttert, gleichviel ob man ein Anliegen
an sie hat oder nicht. Meistens besteht die Fütterung in einem Anspeien der Maske mit ge-
kauter Kolanuß, manchmal auch mit einer gekauten weißen Urwaldfrucht. Erkrankt je-
mand in der Familie, so stellt der Besitzer der Maske ein Schüsselchen Reis mit Palmöl
mit einer Zugabe von rohen Kassavablättern vor die Maske hin. Diese darf aber auch dann
nicht auf einem öffentlich zugänglichen Platze stehen. Auch die kleinen Masken werden
manchmal mit Tierblut bestrichen.
Die etwas größeren Masken, die nicht zuständig vom Besitzer mitgetragen werden,
sind gleichfalls Darstellungen von Ahnen. Sie werden versteckt im Hause aufbewahrt und
sollen auch wieder Haus und Bewohner vor Unheil bewahren. Man fühlt sich erst sicher,
wenn mehrere verschiedene Wächter (z. B. Januskopf st eie, Maske und andere Zaubermittel)
92
E. DONNER
im Hause anwesend sind, weil man der Ansicht ist, daß auch Zaubermittel schlafen können
und es dann besser ist, wenn mehrere vorhanden sind, damit wenigstens immer eines auf-
merksam ist. Außerdem ist nicht jedes Zauberabwehrmittel für dieselben Dinge gut: Masken
sollen nur böse Zaubermächte abwehren, die gegen eine Person der Familie gerichtet sind,
als Schutzmittel gegen Diebstahl oder gegen Mißernten benötigt man wieder ganz andere
Mittel.
Sowohl unter den kleinen Ahnenmasken (Abb. 63) als auch unter den etwas größeren
gibt es männliche und weibliche Masken. Die männlichen überwiegen allerdings bei den ganz
Abb. 63. Auswahl kleiner Ahnenmasken der Mano und Dan.
kleinen bedeutend; ich habe tatsächlich unter der ganzen Sammlung nur zwei der kleinen
Masken einwandfrei als weiblich festgestellt. Die eine, Nr. 85 M. f. V. W. ist 7,5 cm lang und
5,5 cm breit und aus geschwärztem leichten Holz. Die Nase ist klein und stumpf, die Augen
bilden zwei kleine, rundliche Löcher. Letzteres ist eine Seltenheit bei den kleinen Masken,
da diese ja nicht vor dem Gesicht getragen werden, und eine Durchsicht also unnötig ist.
Außerdem hat diese Maske noch den Rand mit Löchern durchbohrt, auf jeder Seite neun.
Die kleine Maske zeigt eine senkrechte, durch zwei Rillen hergestellte Stirntätowierung
und einige weitere Rillen runden den oberen Teil des Gesichtes im Oval. Die zweite weib-
liche Maske, Nr. 90, 7,5 X 5 cm, hat geschlitzte Augen und durch zwei Striche angedeutete
Augenbrauen und eine sehr kleine Stumpfnase. Die geschlitzten Augen und die tiefen Linien,
die von der Nase bis unter den Mund reichen, geben der kleinen Maske einen leidvollen Aus-
druck. Ohne eigentlich naturalistisch zu wirken, erweckt sie doch den Fdndruck eines ruhigen
Totengesichtes. Auch bei dieser Maske fehlt die senkrechte Stirntätowierung nicht und sie
ist durch je eine Querrille auf der Stirn ausgedrückt. Sie wirkt wie ein kleines, über die
Stirne gelegtes Zöpfchen.
Ziemlich sicher handelt es sich auch noch bei Nr. 152 E. D. um eine weibliche Ahnen-
maske. Sie mißt 10,3 X 6,2 cm und ist aus hellem, ungeschwärztem Holz. Stirntätowierung
und die lange, schlanke Nase laufen in einer fast ununterbrochenen Linie, der Mund ist klein
und aufgeworfen, die Augen sind samt den Augenbrauen durch einige Kerben nur angedeutet.
Durch die stilisierten Ohren, die knapp neben den Augen hervortreten, sind zwei Löcher
in den Rand gebohrt. Durch solche Löcher werden oft Schnüre gezogen, um die Maske daran
aufhängen zu können. An dieser Maske sind sowohl Kola- als auch Palmölspuren zu sehen.
Den Unterschied zwischen einer männlichen und einer weiblichen Maske zu beschreiben,
ist schwierig. Jede exakte Beschreibung der Typen wird da oder dort doch wieder versagen.
Manchmal sind sie auch so verwischt, daß es kaum klarzustellen ist, ob es sich um einen
Mann oder um eine Frau handeln soll. So sind z. B. bei Nr. 104 E. D. alle äußeren Merkmale
einer weiblichen Maske vorhanden, der Gesamtausdruck des Stückes ist aber doch so, daß
sein „Geschlecht“ etwas zweifelhaft bleibt. Im allgemeinen zeigen weibliche Masken ein
mehr eiförmiges Gesicht, das entweder gleich so geschnitten oder durch die ornamentale
Umrahmung des oberen Teiles gegeben wird. Oft beginnt die Nase in der Tätowierungs-
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
93
linie; die Nase ist immer schmal und springt erst im untersten Teil stärker hervor. Manch-
mal ist sie an der Wurzel ganz flach und endet erst unten in einer Art Stumpfnäschen. Im
allgemeinen wird eine weibliche Nase niemals so stark hervortreten wie eine männliche
Nase hervortreten kann, aber nicht hervortreten muß. Der Mund ist im allgemeinen kleiner
als bei Männermasken und kann niemals verzerrt sein oder in eine Art Schnauze oder
Schnabel ausarten. Man kann also wohl von einigen Masken definitiv behaupten, daß sie
nicht weiblich sein können, andere aber wieder zeigen so verschwommene Merkmale, daß
ihre Art nicht sicher festzustellen ist. Bei Tanzmasken ist die Unterscheidung im allge-
meinen leichter als bei kleineren.
Nr. 104 E. D. ist eine kleine Ahnenmaske mit starken Kolabreispuren in der unteren
Partie des Gesichtes, es könnte eine weibliche Maske sein, desgleichen Nr. 113 E. D., die
Spuren getrockneten Blutes zeigt. Beide kamen mir durch dritte Hand zu, so daß ihre Art
nicht genau festgestellt werden konnte. Auch Nr. 102 E. D., 6,8 X 3,8 cm, ist eine sehr kleine,
ovale Maske von beträchtlichem Alter und könnte weiblich sein, doch ist es ebenfalls nicht
ganz klarzustellen, da durch Alter und Abgegriffenheit die Züge bereits ein wenig verschwom-
men sind.
Die Nr. 87 und Nr. 94 E. D. in verschiedenen Größen, nämlich 9,6X5,7 cm und
7,2 X 3,8 cm, stellen einen Typus männlicher Ahnenmasken dar, soweit man bei diesen Masken
von Typen sprechen kann. Sie zeichnen sich vor allem durch eine besonders spitze Kinn-
partie aus, sowie durch eine steile, stark vorspringende Nase und durch eine steile, beson-
ders in der Mitte stark gewölbte Stirnpartie. Nr. 87 hat nur durch eine Senkung zwischen
Stirn und tiefer Wangenpartie die Augen angedeutet, die kleinen Höcker gleich neben den
Augen stellen stark stilisierte Ohren dar. Die Maske ist nicht geschwärzt, aber sehr dunkel
und zeigt Spuren von Kola und anderen Fütterungen. Nr. 94 dagegen hat tiefer gekerbte
Augen und Spuren gekauter Kola um den eckigen Mund. Nr. 89 E. D., 9,5X4,6 cm, hat
gleichfalls ein langes und schmales Gesicht. Hier sind die Augen durch hervorstehend ge-
schnitzte, geschlossene Lider dargestellt, die Nase ist breit und stumpf und der Mund auf-
geworfen. Es ist deutlich sichtbar, daß die Maske einst (vielleicht zu ihrer Einweihung) in
Blut getaucht worden war; die Kruste ist teilweise abgesprungen und zeigt darunter helleres
Holz. Nr. 101 E. D. (7,2X4,! cm), Nr. 114 E. D. sowie Nr. 109 E. D. (8X4,1 cm) repräsen-
tieren denselben Typus, sind aber keinesfalls zum Verkauf gemacht.
Einen ganz anderen Typus stellt z. B. Nr. 84 dar. Bei 7,3 X 6 cm verschieben sich die
Maßverhältnisse des Gesichtes, auch ist dieser Typus von Masken nicht so flach, sondern
hat in der Mitte der Nasenwurzel eine Tiefe von etwa 3 cm. Das Gesicht ist sehr brutal und
gnomenhaft, die Stirne niedrig und steil, die Backenknochen breit, der Mund wieder stark
aufgeworfen. Das Gesicht behält fast bis zum Kinn seine ganze Breite. Eine Tätowierung
von drei Kerben läuft halbkreisförmig über die Wangen. Die Augen sind so geschnitten, daß
sie geschlossene Lider darstellen. Nr. 106 E. D. gehört ebenfalls dieser Art an. Sie ist 8,3 X 6 cm
breit und zeigt durch die wieder geschlossen dargestellten, weit auseinandergestellten Augen
einen etwas ruhigeren Ausdruck. Ein zackig geschnitzter Kopfaufsatz mit den Resten einiger
in die Stirne geschlagene Leichtmetallnägel dienen als Aufputz. Nr. 93 E. D. (7,9 X 5,5 cm)
ist wieder zarter und flacher. Uber den geschlossenen Augen liegen, wahrscheinlich ein-
gebrannt, die Augenbrauen in großen flachen Kreisen und geben dem Gesicht einen ruhigen,
erstaunten Ausdruck. Drei Kerblinien rund um die Stirne erwecken den Eindruck eines Auf-
satzes. Die Maske hat weibliche Züge, dürfte aber doch männlich gedacht sein (Mund zu
groß, Stirne zu gewölbt und ohne Tätowierung).
Der zuletzt genannten Maske ist Nr. 88 E. D. im Typus sehr ähnlich (10x6,2 cm);
sie ist nur noch älter und ihre Züge sind durch eine Schicht von Blut, Schmutz und der-
gleichen etwas verschwommen.
13 Baessler-Archiv.
94
E. DONNER
Noch ärger sieht Nr. 92 E. D. aus (7,4X 5,8 cm). Dieses Stück dürfte einst mit irgend-
einem Stoff überzogen gewesen sein, der allerdings vollgesogen und verschmutzt, fast gänz-
lich abgefallen ist. Derartige Schutzhüllen kommen öfters vor. So hat eine Ahnenmaske der
Mano einen Lederüberzug (von Mandingos angefertigt) aus schwarzem Leder. Die ganze
Maske (9,2 X 5,7 cm) ist dieser Art eingehüllt.
Ähnlich wie Nr. 92 ist Nr. 98 E. D. in ihrer Art. Auch hier sind keine Backenknochen
angedeutet und wenn man das Stück vom Profil betrachtet, steht der Mund am meisten vor.
Sie hat eine geschnitzte Bordüre, die einen Kopfaufsatz darstellen soll. Außerdem weist sie
winzige, ganz stilisierte Ohren auf. Ihre Größe beträgt 8,2X5 cm.
Ein originelles, wenn auch nicht gerade schönes Stück ist Nr. 117 E. D. (9,5 N5,5 cm).
Hier fällt eine ganz schmale, kaum gewölbte Stirne fast senkrecht zu den Augen ab. Diese
sind durch gekerbte Bogen geschlossen dargestellt. Die Nasenwurzel liegt ebenfalls tief, die
Nase selbst tritt stark hervor und ist etwas unregelmäßig. Der Mund ist wie zum Pfeifen
gespitzt, die Lippen ziemlich breit. Am Kinn ist ein Stückchen Holz ausgebrochen.
Eine Reihe von anderen kleinen und größeren Ahnenmasken steht zwischen den ver-
schiedenen, bereits beschriebenen Typen (Abb. 64). Auch eine Anzahl der etwas größeren
Ahnenmasken, die nicht mit herumgetragen werden, sondern in den Hütten Wächterdienste
leisten, gehören der Art nach zu den bereits beschriebenen. Ihre
Größen variieren von etwa 11 X 7,7 cm bis 14,5 X 11 cm. Die Größen-
grenze bei ihrer Verwendung ist natürlich nicht genau gezogen;
manchmal wird eine größere Maske auch die Dienste einer kleineren
versehen und umgekehrt.
Einige dieser Wächtermasken fallen durch besondere Eigen-
arten auf. Ein sehr schönes Stück ist Nr. 148 E. D. (14X7,8 cm),
eine geschwärzte, weibliche Maske mit weißer Kalkbemalung um
die schmalen, durchbrochenen, geschlitzten Augen, Stirntätowierung
und Nasenrücken laufen in einer geraden Linie und enden in einer
ziemlich zierlichen Nase, auf der die Nasenflügel durch zwei Kerben
markiert sind. Der Mund ist klein und etwas zugespitzt. An zwei
Löchern über der Stirn ist ein Lederriemen geknüpft, an dem die
Maske aufgehängt werden kann. Eine wahrscheinlich gleichfalls
weibliche Maske ist Nr. 167 E. D. (14,3X10,5 cm), ein schönes, ein-
drucksvolles Gesicht aus altem, aber leichtem Holz. Eines der beiden
stilisierten Ohren ist bereits vor langer Zeit abgebrochen.
Nr. 145 E. D. (14,2 X 9,2 cm) ist flacher als diese Masken gewöhnlich sind, selbst Nase
und Kinn sind nur wenig erhaben. An der Stirne ist eine strahlenförmig gerillte Tätowierung.
Die Augen sind nur durch seichte Schlitze angedeutet. Sonderbar ist aber, daß die Maske
überhaupt keinen Mund hat, wenn man nicht einen kleinen Schlitz am Kinn dafür nehmen
will, wodurch die Partie unter der Nase etwas Schnauzenartiges erhält.
Ein Teil dieser Wächtermasken hat fratzenhaft verzerrte Gesichtszüge, sie sollen ja
auch abschreckend wirken und gelegentlich kommt dies auch äußerlich zum Ausdruck.
Nr. 144 E. D. (13,5 Xp,2 cm) ist geschwärzt, hat eine steil abfallende Stirne und die Augen-
lider treten als erhabene Wulste hervor. Sie hat eine scharfe Hakennase und einen großen,
aufgeworfenen Mund. Nr. 141 E. D. (13,7X7,5 cm) ist geschwärzt und mit Blut überkrustet,
hat wieder keinen Mund, dafür aber eine schnauzenartig vorgestoßene, halbrunde Kinn-
partie. Etwa 1 cm hohe runde Stielaugen und eine scharf vorspringende große Nase, geben
dieser Maske freilich eher einen komischen als schreckhaften Ausdruck. Nr. 138 M. f. V. W.
(17,5 X 6,8 cm) hingegen ist ein finster aus seinen brauenlosen Augen blickender böser Gnom
(Abb. 65). Obwohl das Stück ziemlich primitiv geschnitten und sehr stilisiert ist, daß man
Abb. 64. Kleine Ahnen-
maske der Dan. Diese Art
Maske wird besonders
hochgeschätzt und ist sehr
schwer zu erwerben.
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
95
von einer Naturähnlichkeit überhaupt nicht mehr sprechen kann, wirkt das Stück doch
eigenartig ausdrucksvoll.
Besonders besprechen möchte ich noch Nr. 162 E. D. (13,2X7,4 cm), die flache, un-
geschwärzte, dunkelbraune Maske eines Mannes, der auf seinem aufgeworfenen Mund einen
Affenhaarbart trägt. Es ist das einzige Stück dieser Art, das ich von den
Kpelle bekommen konnte.
Der schreckhafte Typus eines Teiles der Wächtermasken hat manch-
mal tierhaften Charakter. Dies erklärt sich aus der Annahme dieser
Stämme, daß die Geister ihrer Toten Aufenhalt in verschiedenen Tierkörpern
nehmen können (diese Tiere sind dann in der Gegend tabu). So wird nun
der Ahne, den man darstellen will und in den der Geist ja von Zeit zu Zeit
wieder einkehrt, halb als Mensch, halb als Tier dargestellt. Man findet daher,
daß ein normales menschliches Gesicht plötzlich mit einer Schnauze oder mit
Hörnern dargestellt wird. Nr. 115 E. D. (14,5 X9 cm) ist eine schön gearbeitete,
ungeschwärzte Maske mit Stirntätowierung, stilisierten, durchbohrten Ohren
und eingesetzten Tierzähnen. Der Mund ist pessimistisch herabgezogen.
Oberhalb der Stirne aber, halb als Kopfaufsatz gedacht, sind zwei gedrehte
Widderhörner angeschnitzt. Die Spitzen sind allerdings bereits abgebrochen.
Nr. 153 E. D. (15,5 X 7,7 cm)'von den Dan aus dem Dorfe Kpea-plei ist von besonders
schreckhafter Art. Eine große, halbgeöffnete Krokodilsschnauze mit geschnitzter Zunge
und Zähnen voll Kolabrei hat außerdem noch vier Stielaugen, auf die man Leichtmetall-
plättchen befestigt hat (Abb. 66).
Die nächste Maskenart ist bereits bedeutend größer. Uber ihre Ver-
wendung ist nicht sehr viel in Erfahrung zu bringen. Auch diese Masken
gelten als Wächter über das Wohl ihres Besitzers und beschützen sein
Eigentum. Auch sie müssen durch Blut zuerst einmal geweiht sein, sie
empfangen Opfergaben und stellen natürlich gleichfalls einen Ahnen dar;
daneben aber spielen sie noch eine Rolle bei den Initiationen der Knaben.
Es ist wahrscheinlich, daß den Initianten derartige Masken übergeben
werden. Genaueres konnte ich über diesen Punkt leider nicht in Erfahrung
bringen.
Einige dieser Masken sind wieder weiblich gedacht. Ein typisches
und sehr schönes Stück ist Nr. 166 E. D. (17,2 X 10 cm) von den Dan aus
Abb. 66 Kan-plei, dem Nr. 193 E. D. in Holzart und Ausdruck nicht unähnlich
ist. Nr. 166 E. D. ist ein besonders schmales Stück, Um den inneren Rand
sind Löcher gebohrt und ein größeres Loch am Kinn zeigt, daß hier einmal ein Haken
gesessen hat, wie er bei den Tanzmasken dieser Art üblich zu sein pflegt und dessen Zweck
ich später noch besprechen werde. Ein hellerer Streifen zeigt, daß hier einmal ein ge-
flochtener Kopfaufsatz angebracht war und die Stirne umrahmt hat. Uber ihm sind
grünspanumsäumte Nagelspuren (ein letzter Kupfernagel wurde während dem Transport
verloren) von fünf Nägeln. Die Maske ist ungeschwärzt und sehr hell. Die Augen bestehen
aus schmalen Schlitzen, die bis auf die Innenseite durchgebrochen sind. Löcherspuren an
der Oberlippe sprechen von verloren gegangenen Zähnen. Eine andere weibliche Maske
dieser Art ist Nr. 170 E. D., breiter und etwas unregelmäßig geschnitzt, ohne Stirntäto-
wierung, aber mit Resten weißer Bemalung um die Augen. Die Nase ist klein und zart,
ebenso der Mund, in dem noch ein Zahn aus undefinierbarem Material vorhanden ist. Die
Maske ist geschwärzt, außerdem aber sehr verschmutzt.
Künstlerisch besonders schön und ausdrucksvoll sind Nr, 164 E. D. und Nr. 163
M. f. V. w.
Abb. 65 ■
13
96
E. DONNER
Erstere ist 17 cm lang und 12 cm breit, hat ein wohlproportioniertes, kleines Gesicht
mit hoher, gewölbter Stirne (senkrechte Stirntätowierung). Die Augen unter zart angedeu-
teten Augenbrauen sind tiefe Schlitze, darunter aber liegen gebogene, kleine Kerben, die
Tränensäcke sein könnten und die dem ruhigen Gesichte einen Ausdruck von tiefem Leid
geben. Die Nase ist kurz, scharfrückig, gerade und hat eine weit aus-
ragende Nasenwurzel. Der Mund ist vorgewölbt, aber mit schmalen Lippen.
Die Ohren sind klein, doch nicht so stark stilisiert wie gewöhnlich. Der
Innenrand der Maske ist mit Löchern versehen. Die Maske könnte ge-
schwärzt gewesen sein, ist aber mit einer weißlich-braunen Schicht teil-
weise bedeckt. Um den Mund finden sich wieder Kolaspuren. Unbefangen
betrachtet, sieht dieses Stück aus wie die Totenmaske eines halbwüchsigen
Eingeborenenknaben. Nr. 163 M. f. V. W. (Abb. 67) steht der vorher be-
sprochenen Maske an Ausdruckskraft nicht nach (i8,7X 11,6 cm). Wieder
ist die Stirne, die mit Streifentätowierung versehen ist, hoch und gewölbt.
Die Darstellung der Augen jedoch ist anders. Sie sind durchgebrochen und bilden schräge
Schlitze, so als ob sie unter herabgezogenen Lidern hervorblinzeln wollten. Das Durch-
brochene stört allerdings, rein künstlerisch gesehen, den Eindruck des Blickes. Die Ohren
sind wieder ein wenig zu hoch angesetzt, um die Augen sind Spuren von Bemalung sicht-
bar. Die Nase ist breiter und stumpf und wirkt kindlich. Sonderbar ist der Mund, dessen
schmale Lippen durch viele kleine Querrillen, eine Art Tätowierung erhalten haben. Das
Kinn ist eckig und stilisiert.
Am meisten naturalistisch aber ist Nr. 165 E. D. (16 X 11,5 cm). Uber einer sehr hohen,
stark gewölbten Stirn mit Strichnarbentätowierung ist ein geflochtener Kopfaufsatz mit
Bastschnüren befestigt. Das Gesicht ist das ruhige, ein klein wenig schmerzbewegte, eines
toten Kindes. Es ist nichts an der Form des Stückes, das ethnographisch hervorzuheben
wäre. Es hat geschlitzte Augen, stilisierte Ohren wie die vorhergehenden, im ganzen aber
ist das Schnitzwerk wohl eines der vollendetsten in seiner Art. Mit den einfachsten Mitteln
ist ein Höchstmaß an Ausdruckskraft erreicht worden. Der Künstler ist unbekannt, die
Maske stammt von irgendwoher aus dem Dan-Gebiet, ob der Schnitzer Dan oder Kran war,
ist heute nicht mehr feststellbar. Das Stück ist jedenfalls sehr alt. In den Rand der Kinn-
partie hat man elf Löcher gebohrt, möglicherweise saß hier einmal ein Bart aus geflochtenen
Tierhaaren. Ein Stück derselben Art (15 x10 cm) aus meinem Privatbesitz betont wieder
stärker das gnomenhaft Abschreckende. Das Gesicht spitzt sich gegen das Kinn stark zu
und ist prognath. Die breite Nase ist gleich spitz und aufgeworfen, der große Mund pessi-
mistisch nach abwärts gezogen. Die Augen sind hier nicht durchgebrochen, sondern bestehen
aus halbmondförmigen, eingravierten Bögen; auch die Augenbrauen sind in ähnlicher Art
angebracht. Die senkrechte Stirntätowierung besteht aus zwei erhabenen Strichen, die
Stirn selbst ist nieder und gerade. Das Stück ist massiver mit dickeren Wandungen und weist
keinerlei Löcher am Rande auf. Es stammt gleichfalls von den Dan und ist älteren Datums.
Südlich des Mount Nimba (Grenzgebiet Mano-Dan) ist ein Gebiet, wo die Geister der
Verstorbenen sich gerne in Hornraben aufhalten sollen. Daher findet man dort häufig
Maskendarstellungen, die im oberen Teil ein menschliches Gesicht haben, im unteren
Teil aber einen großen Vogelschnabel aufweisen. Es gibt sowohl kleine Masken dieser Art
wie auch große Tanzsmasken.
Nr. 161 E. D. (18,4X6,4 cm) ist solch eine kleine, stark stilisierte Vogelmaske. Der
obere Teil des Gesichtes ist menschenähnlich. Oberhalb der Stirn ist ein geschnitzter, ver-
zierter Kopfaufsatz, die Augen sind durchgehende schmale Schlitze. Die Nase aber ist
ungewöhnlich lang, eine Hakennase mit scharf ausgeprägten Nasenflügeln. Anstatt von
Mund und Kinn aber findet sich ein 9,5 cm langer, etwas gebogener und in zwei Teile ge-
Abb. 67
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIEERIA
97
spaltener Schnabel. Über Stirn und Nasenrücken zieht sich eine kreuzartig eingeschnittene
Tätowierung und auch entlang der Wange läuft ein ähnliches Ornamentband. Auch der
Gesichtsrand ist bis zum Kopfaufsatz mit derartigen Ornamenten ein-
gefaßt. Nr. 159 E. D. ist kleiner (16x4,5 cm), wovon allein 9,8 cm auf
den Schnabel entfallen. Das Stück ist aus rötlichem Holz
und etwas unregelmäßig gearbeitet. Die Augen bestehen aus
ausgeschnittenen, ein wenig schief gestellten Schlitzen, die dem
Gesicht noch stärker einen vogelartigen Ausdruck geben. Uber
der verhältnismäßig hohen Stirn ist ein rohgeschnitzter Kopf-
aufsatz. Ein eigenartiges Stück ist Nr. 158 E. D. (12,5 X 5 cm).
Es ist eine kleine Vogelmaske, die stark ins Gnomenhafte
verzerrt ist (Abb. 68 a, b).
Eine Reihe von anderen Masken, die künstlerisch aller- Abb. 68 b
dings weit weniger hervorragend sind, spielen gleichfalls bei
der Initiation der Knaben eine Rolle. Auch sie werden im täglichen Leben als Wächter
verwendet. Nr. 222 E. D. (23 X 14 cm) wäre bereits groß genug, um als Tanzmaske ge-
tragen zu werden, wurde aber nicht als solche verwendet. Die Maske an und für sich ist
ein durchschnittlich gutes geschwärztes Schnitzwerk. Auf der Innenseite ist aber hier
deutlich ein frischer Blutanstrich zu sehen, der von einem Opfer an die Maske herstammt.
Nr. 177 E. D. ist ziemlich derb und kunstlos, mit runden offenen Stielaugen und stark
verlängertem Kinn. Sie wurde zuletzt in einer Feldhütte der Mano als Wächter benützt.
Auffallend ist hier nur das stark verlängerte Kinn (25,4X13,3 cm). Ein ziemlich neues,
aber doch nicht für den Verkauf bestimmte Stück ist Nr. 178 E. D., das von einem
Amateur zum eigenen Gebrauch hergestellt wurde (20X12,5 cm). Das Gesicht ist äußerst
primitiv, die Nase kaum erhaben und in einer Linie mit der Stirntätowierung. Der Mund
ist offen und durchgebrochen.
Neue, geschwärzte Masken sind Nr. 173 und 174 E. D. (20X 13,5 cm und 13,5 X n cm).
Es handelt sich dabei um gute Stücke, bei deren Anfertigung man nicht an den Verkauf
an Fremde dachte. Beide Masken sind einander ähnlich. Sie haben Stielaugen und einen
schön geschnitzten Kopfaufsatz und stammen von den Dan.
Diese Masken werden teils durch Brennen des Holzes, teils durch Schneiden mit ein-
fachen, gebogenen Messern hergestellt. Größere Vertiefungen werden durch Anlegen eines
glühenden Holzstückes angebrannt und das verkohlte Holz mit einfachen, geschweiften
Messern ausgeschnitten. Stücke, bei denen diese Technik noch deutlich sichtbar ist, sind die
halbvollendeten Masken Nr. 184 M. f. V. W. und Nr. 183 E. D.
Weitaus primitiver und derber sind zwei neue Mano-Masken (Nr, 175 und 176). Die
Nase ist hier breit und plump; die Augen wurden mit Messingblech beschlagen, die vier
Zähne sind aus Aluminium.
Aber erst in den Tanzmasken zeigt sich so richtig die Mannigfaltigkeit im Ausdruck
der Kunst in dieser Gegend. Wohl tauchen bestimmte Typen immer wieder auf. Dies ist
zum Teil auf den Konservativismus der Künstler zurückzuführen, die, wenn eine Maske
altersschwach geworden ist, sich bemühen, die neue nach alter Art anzufertigen und nur in
seltenen Fällen — im Rahmen des Charakters der Maske natürlich — nach einem neuen
Stil suchen. Zum weit größeren Teil liegt das Vorhandensein bestimmter Typen einfach
daran, daß es Maskengruppen verschiedener Art gibt: Mit dem ähnlichen Äußeren einher
geht ein ähnlicher Charakter der Tänze, die eine Maske ausführt.
Auch die übrige Kleidung eines Maskentänzers ist genau bestimmt. Ein besonderer
Kopfputz und ein bestimmtes Gewrand gehören zu einem bestimmten Maskentyp und wer-
den, wenn sie verderben, in derselben Art wieder angefertigt.
98
E. DONNER
Ich brachte das vollständige Gewand eines Maskentänzers mit und an ihm läßt sich
am besten die Kleidung einer Maske besprechen. Es ist das Kleid eines Maskentänzers aus
Be-plei im Dan-Gebiet. Dort findet sich eine der verstreuten Kono-Siedlungen, die natür-
lich auch ihren eigenen Maskentänzer hat (Abb. 69). Der Man-
dingoeinfluß (die Kono in Ostliberia haben einen starken Ein-
schlag von Mandingoblut) ist auch im Stil der Maske (III C 35 877
M. f. V. B.) deutlich sichtbar: Sie hat lange, gerade Hörner und
dies ist etwas, was man bei den Dan sonst nicht findet. Zwischen
den Hörnern ist der Rest eines Federbüschels zu sehen und darum
herum starke Spuren von Kolafütterungen. Im Oval zieht sich
um das Gesicht ein vielfaches Linienornament. Die Augen be-
stehen aus runden Löchern, dürften aber ursprünglich noch mit
einer geschlitzten Binde aus rotem Stoff bedeckt gewesen sein.
Die Maske ist 40 cm lang und 14 cm breit. Zu ihr gehört noch
Nr. III C 35699 M.f. V. B. als Kopfbedeckung. Diese besteht aus
einem rohzugeschnittenen, 60 cm langen Wildkatzenfell, das mit
Straußenfedern und kleinen Lederamuletten benäht ist. Am
oberen Ende sind zwei Baumwollstreifen angenäht, mit denen
das Fell um den Kopf festgebunden wird. Der freie Teil
hängt über den Rücken herunter. Diese Art von Kopf-
bedeckungen der Masken ist ziemlich häufig. Oft kommt
darüber noch eine Art Kappe, wie bei den sogenannten
Fischkorbtänzern (ke son glü), der seinen Namen von
der fischkorbähnlichen Kopfbedeckung hat (Abb. 70).
Der Oberteil der Maskenkleidung ist hemdartig mit
hochgeschlossenem Halsausschnitt mit einer Art Leiste.
Die Ärmel sind überlang und sehr weit und am unteren
Ende zugenäht. Nr. III C 35 743 M. f. V. B. ist der nach-
gemachte Oberteil des oben beschriebenen Masken-
kostüms, — da die eigentliche Bluse, die dasselbe Streifen-
muster aufwies, nicht zu erhalten war — und bildet zu-
sammen mit dem Palmfaserrock III C 35 700 M. f. V. B.
ein vollständiges Maskenkostüm. Die Bluse wird außer-
halb des Bastrockes lose getragen. Der Palmfaserrock
schleift am Boden -—• und so ist an der ganzen Figur
nirgends ein Fleckchen Haut sichtbar. Oftmals wird die
Bluse oben an einem eigenen Haken am Kinn der Maske
eingehakt, damit auch auf dem Hals kein Stückchen Haut freibleibt. Dies geschieht vor-
wiegend bei weiblichen Masken. Bei männlich gedachten Masken dagegen wird die Halspartie
häufig mit verschiedenen Bärten und Halskrausen aus Haaren, Bast, Fell oder zerschlissenen
Federn verdeckt.
Oft besteht das Obergewand nicht aus einer Bluse, sondern nur aus einem übergewor-
fenen weiten Tuch — gewöhnlich von dunkelblauer Farbe (Abb. 71). Seltener besteht, wie
in Westliberia bei den Stülpmaskenfiguren des Sandebundes, das ganze Gewand aus Bast-
behängen. Im Duo-Mano-Gebiet existiert eine Maskengestalt mit einem Federnoberkleid.
Sonderbarerweise haben aber die mö-glü, die Hornrabenmasken, eine baumwollene Bluse
und nur Federn an der Kopfbedeckung. Die Federn werden sehr rasch von Kakerlaken und
Ratten zerfressen, man verwendet sie deshalb nicht oft. Im allgemeinen hat fast jeder
Maskentänzer irgend eine Eigenheit (Abb. 72) in der Kleidung, der er oft genug auch
Abb. 70
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
99
seinen Namen verdankt.
Wird Maskenkleidung
oder Maske erneuert, so
wird die neue Ausrüstung
der alten gleichen.
Jede dieser Masken
hat bestimmte Gewohn-
heiten, man kann eigent-
lich sagen, sie habe ein
bestimmtes Amt.
Das Wort Masken-
tänzer, von den Liberia-
nern ganz irreführend
“devil” bzw. “bushdevil”
oder “countrydevil” ge-
nannt, heißt in Mano ge
(Totengeist aber ge-bo),
im Dan aber glü. Abge-
sehen von dieser allgemeinen Bezeichnung hat aber jede einzelne Maske noch einen be-
sonderen Namen, der entweder mit ihrem Aussehen oder mit ihren Gewohnheiten zu-
sammenhängt. Eigennamen, d. h. Personennamen von Ahnen, scheinen bei den Masken-
Ahb. 71. Der Chor tanzt und singt und der Buschteufel nimmt die Huldigung
mit ein paar grotesken Bewegungen entgegen.
tänzern niemals mehr erhalten zu sein.
Stelzentänzer, Mano; ge-gbi, Dan: glü-be, „langer Maskentänzer“, tragen niemals
hölzerne Masken, sondern, wie bereits früher erwähnt, Geflechte aus schwarzem Bast
oder Tierhaaren (Abb. 73)- Diese Tänzer sind
eigentlich von den Kono zu den Mano und Dan ge-
bracht worden und treten dementsprechend dort
auf, wo Kono-Niederlassungen sind. Diese Tänzer
haben heute keinerlei religiöse Bedeutung mehr.
Mano und Dan sollen
einst auch einen eigenen
Stelzentänzer besessen
haben, der aber nicht
tanzen konnte und sich
gleich nach seinem Er-
scheinen im Dorf auf
einem Hüttendach nie-
derließ.
Ein Maskentänzer der
Mano namens ge-yumö
ist von so hohem Range,
daß er von Frauen nicht
gesehen werden darf.
Heute erscheint er nur
mehr selten. Seine Auf-
gabe war, zur Nachtzeit,
wenn die Gefahr eines
kriegerischen Überfalles
drohte, zu erscheinen
Abb. 72. Maskentänzer der
Dan aus Bo-plei, schreckhafter
Typus, Stielaugen mit Alu-
miniumplättchen beklebt, Ge-
sicht über und über mit Kola
bespien. Bart aus zerschlisse-
nen Federn und Kopfputz aus
getrockneten Schilfblättern.
Abb. 73. Stelzentänzer im Hofe eines Mano-
Häuptlings in Sacripie.
IOO
E. DONNER
und während der ganzen Nacht, nur begleitet von seinen Trommlern, zu tanzen. Die Frauen
mußten sich für die Zeit seines Auftretens in ihre Hütten zurückziehen. Die praktische Idee,
die seinem Auftreten zugrundeliegt, ist, das Dorf wachzuhalten. Einerseits schreckt der
Tanzlärm die Angreifer, die sich nur immer schlafende Dörfer für ihre Kriegskünste aus-
suchen, ab, andererseits liegt selbst, wenn der Angriff doch stattfinden sollte, ein wichtiges
Moment des Erfolges in der Überraschung, die hier nun fortfallen würde. Wenn der Tänzer
heute noch auftritt, gilt sein Besuch Leoparden, die das Dorf zu überfallen drohen und die
auf diese Art abgeschreckt werden. Er trägt eine normale Holzmaske und ein Gewand, das
ganz aus Bast besteht.
Eine andere Maske der Mano ist to-gbu-si (Hühner-Nest-nimm). Der Tänzer ist sehr
klein und bewegt sich unter seinem Bastumhang kriechend fort. Eine seiner Beschäftigung
ist, Hühnereier aus den Nestern zu stehlen. Er ist von niedrigerem Range.
In einem größeren Dorfe gibt es fast immer mehrere Maskentänzer, die natürlich ver-
schiedene Ränge einnehmen und verschiedene Ämter zu versehen haben. So soll es in Belle-
walli, einem Krandorf von heute 60 Hütten, etwa 8 Maskentänzer gegeben haben. Die
Dörfer waren allgemein in mehrere Teile geteilt, denen je ein alter Mann ordnend Vor-
stand. Jede dieser Dorfgruppen verfügte über einen derartigen Maskentänzer, der, brach
in einem Dorfviertel Streit aus — was bei den Kran sehr häufig vorkommt — im Dorfe
erschien. Es war gewöhnlich der Maskentänzer eines anderen, an der Sache unbeteiligten
Viertels und ihm war es nun überlassen, Ordnung zu machen. War der Streit geschlichtet,
so wurde ein Festmahl veranstaltet, wobei der Maskentänzer von den streitenden Parteien,
hauptsächlich von dem Verlierenden, die dazu notwendigen Lebensmittel verlangte. Er
forderte dabei, daß man ihm das leere Reisstroh des für dieses Fest ausgedroschenen Reises
vorlege. Dann verlangte er, daß der Reis auch gekocht werden müsse; um sich davon zu
überzeugen, verlangte er das Waschwasser vom Reis zu sehen. Wenn der Reis kochte,
verlangte er, daß man ihm ein Huhn dazu schlachte — es müsse aber 20 Köpfe haben. Das
bedeutet, daß eigentlich 20 Hühner geschlachtet werden müssen. An dem folgenden Fest-
mahl beteiligt sich das ganze Dorf.
Auch unter den Masken dieser Art gab es noch verschiedene Ränge. Der allerhöchsten
Ranges schlichtete die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Dörfern und Unter-
stämmen — da wo der Poro herrscht, eventuell auch zwischen den Stämmen —- und gegen
sein Urteil gibt es keinerlei Berufung mehr. Er spielt bei allen Stämmen (d. i. Mano, Dan,
Kran, Kono) noch eine besondere Rolle bei der Jugendweihe der Knaben. Dieser sogenannte
“Palaver-devil”, im Dan glü-ngua genannt, durfte weder von unbeschnittenen Knaben
noch von Personen weiblichen Geschlechts gesehen werden (Abb. 74)-
Dauerte das Versöhnungsfest auch einen ganzen Tag, so durften sich während
dieser Zeit die Frauen nicht aus ihren Hütten wagen oder sie wurden auf die
Felder hinaus verbannt. Selbst die Türritzender Hütten mußten verhängt
werden und es gab schon Strafen, wenn der glü-ngua Feuer durch eine
Türritze blinken sah. Ebenso mußten Hunde eingesperrt sein (der Hund
hat durch das Hüten des kleinen Kindes eine nähere Verbindung zum
Menschen).
Die Urteilssprüche des glü-ngua werden immer in Form von Sprich-
wörtern und Parabeln von sich gegeben. Der Maskentänzer selbst gibt sie
mit hoher, verstellter, kaum verständlicher Stimme kund und sein Begleiter
wiederholt sie dann deutlich für die Menge.
Viele der auftretenden Maskentänzer sind durch die Unterwerfung der Stämme und
den daraus hervorgehenden Wandlungen profaniert worden, der “Palaver-devil” und einige
andere Masken hohen Ranges sind verschwunden. Nach einigen vergeblichen Versuchen,
Abb. 74. glü-ngua-
Maske aus d. Duo-
Manogebiet von
höchstem Rang
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
IOI
ihre Macht gegenüber der der Distriktskommissäre zu behaupten, die zu ihren Ungunsten aus-
gingen, haben heute fast überall die glü-ngua, die einst unumschränkte Macht besaßen und
selbst den Häuptlingen Aufträge erteilen konnten, ihr Erscheinen eingestellt.
Es scheint nach den Erzählungen der Eingeborenen, daß auch der glü-ngua manchmal
weiblichen Geschlechts sein konnte. Zumindest behaupten es die Kran; ob es für die anderen
beiden Stämme gleichfalls zutrifft, ist ziemlich zweifelhaft.
Ein anderer Maskentänzer der Kran, ebenfalls aus Bellewalli, hat geringeren Rang,
wird aber ziemlich gefürchtet. Seine Gesichtsmaske ist ganz der eines Affen ähnlich und
soll schreckhaft wirken (Abb. 75). Dementsprechend
ist sein Benehmen. Er rast bei seinem Auftreten mit
zwei Hakenstöcken bewaffnet durch das Dorf und
prügelt alle, die ihm in den Weg kommen. Liegen Un-
rat und Steine im Dorf umher, so bewirft er die Leute
damit. Selbst der Ausrufer, der immer bei dem Auf-
treten eines Maskentänzers anwesend sein muß, denn
die Maske wird immer mit verstellter, unverständlicher
Stimme sprechen und sich auch niemals an die Zu-
schauer direkt wenden — und die jeden Tänzer be-
gleitenden Trommler bewegen sich in einer Schlangen-
linie hinter dem Maskentänzer, um so am ehesten gegen
dessen Schläge gedeckt zu sein. Nicht selten dreht er
sich noch in rascher Wendung um und schlägt auf
seine eigene Gefolgschaft los. Heute soll er bereits
milder sein, in früheren Zeiten aber hat er nicht selten
durch seine Schläge Leute schwer verletzt. Er kann
aber dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden,
denn er stellt ja einen Geist dar und gilt nicht als
Mensch. Auch von den bereits initiierten Knaben war dieser Tänzer sehr gefürchtet.
Eine Maske in Tpanson bei den Neabo-Kran, die im übrigen ein eigenes kleines Hütt-
chen mit Bastvorhang hatte, in die der Geist der Maske zeitweilig einkehren soll, trägt den
üblichen Bastrock, hat aber über dem Baumwollobergewand noch Rüschen aus Bast, die
Oberarme und Hals bedecken. Wenn sie durch das Dorf tanzte, hielt sie jeden an, den sie
erwischen konnte und erteilte ihm einen Auftrag, den auszuführen unmöglich war. Mußte
der Betreffende dann unverrichteter Sache den Auftrag aufgeben, so wurde er vor einer
großen Zuschauermenge von dem Maskentänzer durchgeprügelt. Dies Benehmen hat neben
Mutwillen und Scherz auch oft noch erzieherische Gründe. So wird z. B. ein als Vielfraß be-
kannte Person eine riesige Holzschüssel voll ganz trocken gekochten Reises essen müssen.
Ein Aufschneider wieder muß einen ganzen Eimer Wasser auf einmal austrinken, ein Streit-
süchtiger wird verhalten eine Handvoll gestampften Guineapfeffer zu essen, ein Prahlhans
wieder muß drei hölzerne Reismörser in einem Zug vom Boden heben.
Derselbe Tänzer treibt sein Spiel im Dorf bis seine „Lebenszeit“ beendet ist. Allmäh-
lich werden seine Bewegungen langsamer und müder, bis er in sich zusammenfällt und im
Dorfe liegen bleibt. Seine Adjutanten schleppen ihn fort hinter einen Palmrippenzaun,
der bereits am Dorfrand errichtet wurde. Hier bekommt er aber einfach etwas zu essen und
erscheint nach einer Weile von neuem im Dorf. Dieses Spiel wird von den Kran heute in
keiner Weise mehr erklärt, es ist aber höchst wahrscheinlich, daß es das Sterben und Wieder-
erwachen der menschlichen Seele darstellen soll — ist doch ursprünglich die Erscheinung
eines Maskentänzers nichts anderes als die wiedergekehrte Seele eines Ahnen.
Eine andere Maske der Kran verschlingt selbst unglaubliche Mengen von Reis und trinkt
Abb. 75
14 Baessler-Archiv.
102 E. DONNER
umv. Bläi
BERLIN
Eimer voll Wasser. Auch dieser Tänzer fällt plötzlich wie tot um, um plötzlich wieder, ohne
Zutun von irgendjemanden wieder aufzuspringen und weiterzutanzen1.
Weibliche Masken, die ebenfalls von Männern dargestellt werden, haben im allgemeinen
weniger hohe Funktionen — mit Ausnahme eines angeblich weiblich gedachten Palaver-
tänzers der Kran. Die an und für sich zarter wirkende weibliche Maske tanzt auch in zier-
licherer Art und eine ihrer Hauptbeschäftigungen ist der Gesang in einer hohen und ver-
stellten Fistelstimme. Dazu hockt sie dann zusammengekauert am Boden. Sie singt alte
Gesänge, Preislieder für Häuptlinge und andere Große und bringt auch wie er Erzählungen
aus alten Zeiten, die auf irgendwelche neue Begebenheiten im eigenen Dorfe Bezug haben.
Ein Maskentänzer kann erscheinen wann er will, doch muß er dies vorher dem Häupt-
ling oder den Dorfältesten melden und bei dieser Gelegenheit ein paar Kola überbringen.
Will er sich in einem anderen Dorf zeigen, so muß er auch dort seine Ankunft gemeldet
haben. Trägt jemand zu Unrecht eine Maske, so wird der Träger schwer erkranken. Aber
selbst kleine Verfehlungen, wie das Nichtanmelden des Maskenträgers vor seinem Besuch
sollen schon Kopfschmerzen und Schwindelanfälle bewirken. Auch wenn der Maskentänzer
seine Absicht, ein anderes Dorf zu besuchen, nicht dort anmelden wollte, würde er durch
einen Ohnmachtsanfall unterwegs für diesen Tabubruch bestraft werden2.
Eine Gestalt, die der Kran ebenfalls unter Masken reiht, die aber kaum religiöse Be-
deutung hat, ist der sogenannte ,,Mattenteufel“. Ich habe ihn nur bei den Kran gefunden.
Er erscheint nur abends oder nachts. Dabei ist nun ein Mann in Hockerstellung in eine große
gerollte, aufgestellte Matte eingenäht und bewegt sich ganz langsam kriechend fort; der
Tänzer ist von einer Schar von Chorsängern umgeben. Er selbst „singt“ auf einem Vogel-
knochen (Flügel von Hornraben). Der Vogelknochen soll durchlocht und mit Lehm ver-
klebt sein. Da hinein spricht oder singt der Mattentänzer und es klingt ähnlich wie das
Blasen auf einem mit Seidenpapier umwickelten Kamme. Dabei dreht er sich mitsamt
seiner Matte im Kreis herum und knickt dazwischen wieder für Augenblicke zusammen,
so daß das Ganze wie ein in sich zusammengesunkener Sack aussieht.
Ein anderer „Mattenteufel“ bewegte sich überhaupt nicht von der Stelle und be-
schränkte sich nur auf den Gesang in der Matte, die man oben noch mit einem Tuch zu-
gedeckt hatte. Es soll auch noch einen ganz Hohen geben, den ich aber niemals gesehen
habe. Es scheint, daß auch hier wieder jede Erscheinung ihre eigene Art hatte. Ob auch
diese Gestalt ihren Ursprung im Ahnenkult hat, ist heute nicht mehr leicht festzustellen;
ich möchte aber annehmen, daß es so ist, auch wenn die Erscheinung des Mattengeistes
heute kaum mehr als ein Scherz ist.
Die Gesichtsmasken dieser Tänzer — mit Ausnahme der letztgenannten natürlich —
zeigen wieder die verschiedensten Typen. Getreu ihrem Charakter haben die derben Masken-
gestalten der Kran, die die Leute schlagen usw., einen schreckhaften Charakter. Die Kran-
maske mit den Hakenstöckchen erinnert deutlich an ein Affengesicht (Schimpansen sollen
Menschen, die sie in ihre Gewalt bekommen, mit Knüppeln schlagen). Nr. III C 35B42
sowie III C 35 841 und 35 840 und 35 839 M. f. V. B. gehören alle zu dieser Art von Tänzern.
Auch unter den Masken der Sammlung im M. f. V. Bu. finden sich einige besonders affen-
ähnliche Stücke, die zum Teil von den Kran, zum Teil von den nördlichen Kpelle stammen.
So hat Nr. 136101 eine deutliche Schimpansenähnlichkeit (24X15,5 cm, s. Abb. 76). Dazu
sind große Raubtierzähne mit der Wurzel nach unten im Munde der Maske festgekeilt worden.
1 Vergleiche Maskentänzer der Mende in Sierra Leone.
Vgl. Alldridge, T. J., „A transformed colony Sierra
Leone“ London 1910 u. „Tire Sherbro and it Hinter-
land“, London 1901; Midgeod, F. W. H., ,,A view of
Sierra Leone“, London 1926.
2 In Etta Donner: „Hinterland Liberia“ London 1939,
Kap. VI. ist eine Legende der Kran wiedergegeben,
nach der das Maskenwesen einst in alten Zeiten in
den Händen der Frauen lag, aber durch Tabubruch an
die Männer fiel.
'ÄJdL
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA io^
Ein noch naturalistischeres Affengesicht hat Nr. 135099 ebenderselben Sammlung
(s. Abb. 77). Die Maske mißt 24X13 cm. Nr. 135081 M. f. V. Bu. (Abb. 78) ist noch ein
Abb. 76
Abb. 77
Abb. 78 Abb. 79
Stück dieser Art von den Kran. Die Stirne ist nur in der Mitte aufgewölbt und mit der
üblichen Tätowierung versehen, wodurch das Gesicht doch etwas mehr menschlichen Aus-
druck erhält. Hier ist wieder ein Fellbesatz mit Stiften (im Gegensatz zu den übrigen ge-
klebten Bärten) befestigt. Die Maske ist zum Unterschied von den vorerwähntengeschwärzt,
hat aber unterhalb der Augen bis auf die Schnauze reichend zwei helle, unregelmäßige Flecken
ausgespart. Die oberen Fider sind durch einen eckigen Eisenbesatz betont. Noch eine andere
Maske derselben Sammlung gehört hierher, sie ist 22,5 X 16 cm und ziemlich grob geschnitten.
Steil senkt sich die Stirne mit der üblichen Tätowierung zu den Augen, die als runde Löcher
dargestellt sind und der Mund, der wieder ohne Nase, mit einer flachen Schnauze abschließt,
ist nichts als eine ungeschlachte Kerbe. Interessant aber sind die auf beiden Wangen mit
Wachs angeklebten Spiegelscherben. Wachsspuren um das Maul sind Reste von büschel-
weise eingesetzt gewesenen Haaren, die einen Bart gebildet haben (Abb. 79).
Häufiger aber haben die schreckhaften Masken kein so
naturalistisches Affengesicht, sondern stellen, mit großen Stiel-
augen und Schnauze dargestellt, ein schreckliches Wesen dar
(Abb. 80). Im M. f. V. Bu. sind auch einige derartige Stücke ver-
treten. Nr. 135078 (20x13,5 cm) ist eine stili-
sierte kubistische Maske der Kpelle. Sie zeigt
runde Stielaugen, der bewegliche Unterkiefer
ist verloren gegangen, im oberen stecken einige
holzgeschnittene Zähne. Auf der Schnauze sind
noch Spuren von menschlichen Haaren, die
einmal einen Bart gebildet haben. Nr. 135 123
(25 X 14,5 cm) ist ein ähnliches Stück mit weiß-
gefärbten, eingesetzten Holzzähnen. Nr. 135092
(25 X 16 cm) ist ein weiteres ähnliches Stück aus
sehr leichtem Holz mit kalkgefärbten Stielaugen
und gekalkten hauerartigen angeschnittenen
Holzzähnen. Nr. 135061 ist eine schreckhafte
Maske von den Kran, die nicht sonderlich alt
ist, aber doch im Gebrauch stand. Sie hat einen Affenhaarschnurrbart und ein Bartgehänge
aus Bast. Die Stielaugen zeigen Pechspuren und dürften mit etwas überklebt gewesen sein.
Die Maske hat sechs Leichtmetallzähne eingesetzt (Abb. 81).
In der Berliner Sammlung des Museums für Völkerkunde finden sich gleichfalls einige
Masken dieser Art. Nr. III C 35842 ist eine fast kubistisch aussehende Gesichtsmaske
Abb. 81
i4:
104
E. DONNER
mit abklappbarem Unterkiefer (27X16,5 cm). Das ganze Gesicht unter der steilen Stirn
ist mit einer rötlichen Masse (Lehm?) und Pflanzenmaterial bedeckt. Nr. IIIC 35841 hat
ebenfalls einen abklappbaren Unterkiefer, eine lange Nase und einen weit vorgeschobenen
Unterkiefer. Die Maske zeigt Gesichtstätowierung und geschwungene Schmucklinien. Ihre
Größe beträgt 34X14,5 cm. Nr. IIIC 35840 und IIIC 35839 sind ähnliche Stücke mit
angebundenem Unterkiefer, von denen das erstere im Maul eine hölzerne Zunge zeigt
(23 x12,5 cm). Die beiden genannten Stücke stammen von den Kran. Nr. IIIC 35838
aber ist aus dem südlichen Dan-Gebiet aus der Umgebung von Tappi-town. Die Stirn ist
hier nur ein kappenartiger Vorsprung und die Nase besteht aus einer Kante, die bis zu dem
breiten Maul läuft (27 X 16 cm).
Nr. 236 E. D., eine Maske aus dem Kran-Dorf Bodogli, gehört gleichfalls dem schreck-
haften Typus an und sein Träger soll bei seinem Erscheinen sehr derb mit den Zuschauern
umgehen. Sie hat gar vier Stielaugen, die man oben mit Plättchen von Schneckenschalen
beklebt hat. Neben den Stielaugen sind zwei runde Sehlöcher angebracht. Die Nase und die
Wangen sind voll von einem rötlichen Belag, der von den Fütterungen herstammt. Das
Gesicht endet mit einer kurzen, offenen Schnauze, in der ein paar Palmrippenzähne stecken.
Ein Affenfellschnurrbart verdeckt den oberen Teil des Gesichts, eine Art Kinnbart aus
braunen Bastzöpfchen bedeckt den Halsansatz. Ein ähnliches, nur viel größeres Stück
des Wiener Museums stammt aus derselben Gegend. Es zeigt aber nur zwei, allerdings
besonders hohe Stielaugen, die oben mit einer weißen Masse überzogen worden sind. Das
Gesicht ist auch sonst teilweise weiß bemalt.
Nr. 225 E. D. (Abb. 82) ist gleichfalls eine Maske schreckhafter Art und stammt aus
Sanoquelleh (Manogebiet). Dieses Stück ist sehr gut geschnitten und hat trotz seiner Häß-
lichkeit einen fast komischen Ausdruck. Hier sind die Stielaugen breiter,
niedriger und durchlöchert; die Nase ist scharf geschwungen und vom Munde
deutlich abgesetzt. Eine andere neuere, ungeschwärzte Maske der Dan hat
gleichfalls niedere, durchbrochene Stielaugen (Abb. 83). Sie zeigt eckige
Wangenknochen und einen aufgeworfenen Mund; auch
diese Maske hat wieder etwas Humorvolles in ihrem
Ausdruck. Nr. 223 E. D. (20 X 13 cm)
ist eine stark kubistisch anmutende
Maske der Dan, sie ist höheren Alters,
aber, was übrigens öfters vorkommt,
nicht getragen, sondern nur für den
Ahnenkult verwendet worden. Die
Augen sind durchbrochene, halbrunde
Schlitze. Stirn und Stirntätowierung
fallen schräg zur Nase ab, die scharf
und schmal vorstößt. Die Backen-
knochen sind hier zu dreieckigen Höckern ausgebildet. Ein eigentlicher Mund ist nicht
vorhanden, einem wie zu einer Schnauze vorgewölbten Oberkieferteil fehlt der Unterkiefer.
Die Maske zeigt Spuren von verschiedenen Fütterungen und ist sehr alt (Abb. 83 a). Nr.
231 E.D, (23 x17 cm) ist ein ähnliches altes Stück aus dem Duo-Mano-Gebiet, das gleich-
falls nicht zum Tragen bestimmt war. Hier sind die Augen sehr unregelmäßig durchgebrochen
und ein etwas zu groß geratenes, linkes Auge wurde mit Wachs ausgebessert. Die scharf-
rückige, schmale Nase stößt wieder stark vor, die Wangenknochen aber sind pyramiden-
förmig mit scharfen Kanten dargestellt. Der Schnauzenansatz ist wie bei dem vorigen
Stück vorhanden und wie dort fehlt der Unterkiefer. Ein Mund ist nicht vorhanden. Ober-
halb der Stirn zeigen Spuren von Wachs, daß dort einmal eine Verzierung angeklebt war.
Abb. 82
Abb. 83
Abb. 83 a
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
105
Nr. 230 E. D. ebenfalls aus dem Duo-Mano-Gebiet stammt aus dem Dorfe Götön
(27 X17 cm). Sie ist der zuvor geschilderten Maske sehr ähnlich. Die Augen sind durch rund-
liche, auf die Löcher aufgesetzte, kleine Stiele aus Wachs gebildet, auf die man eine Kauri-
schnecke geklebt hat. Ein Stück davon ist aber bereits verloren gegangen. Auch hier wieder
bilden die Backenknochen ausgesprochene, kantige Pyramiden, der Schnauzenansatz ist
ähnlich wie bei den vorigen Masken, nur war hier einmal ein beweglicher Unterkiefer dazu
vorhanden, der allerdings verlorenging. Diese Maske ist eine der sehr schwer erhaltbaren
glii-ngua, der sogenannten ,,Palavermasken“.
Eine andere Maske des „glii-ngua“ ist Nr, III C 35 846 M, f. V, B. aus Kan-plei im nörd-
lichen Dan (Abb. 84). Es ist ein altes und auch künstlerisch sehr bemerkenswertes Stück.
Die Maske zeigt einen geschnitzten, hörnerartigen Kopfaufsatz, eine
Binde aus Stoff um die Augenpartie. Das Gesicht ist ein ruhiges
Totengesicht. Sie hat einen Hängebart aus geflochtenen Tierschwanz-
haaren. An einem Zöpfchen hängt eine alte, gelbliche, mit blaulila
Punkten verzierte Perle von alter, nicht näher nachweisbarer Herkunft.
Als im Dorfe bekannt wurde, daß diese Maske verkauft worden
war-— der Eigentümer hatte dabei noch die Kühn- heit, sie uneingehüllt am hellen Tage zu bringen und , beging damit einen doppelten Verstoß —herrschte
unter den alten Leuten große Empörung und sie unternahmen beim Häuptling Schritte zu seiner
Bestrafung. Die Maske konnte ich behalten, sein g yÄ i
Besitzer aber hatte, wie ich später erfuhr, eine Buß- ■ mm m §m
zahlung zu leisten. Nr. 232 M.f. V. W. aus Kpea-plei
im Dan-Gebiet ist noch solch eine „glü-ngua“-
Maske. Hier ist wieder ein abklappbarer Unter-
kiefer, der aber, wie es bei den Palavermasken oft der Fall ist, mit eingesetzten Menschenzähnen ver- Abb. 85
Abb. 84
sehen wurde. Nr. 299 E. D. (29 X 16 cm) hingegen ist eine Palavermaske der Kpelle (Joquelleh-
Unterstamm, s. Abb. 85). Ihr Maul ist mit teilweise bereits ausgebrochenen Menschen-
zähnen besetzt, die man mit der Wurzel in Löcher steckte und mittels Wachs anklebte.
Einen gleichfalls schreckhaften Typ zeigt Nr. 227 E. D. (30 X 15 cm). Das im allgemeinen
menschliche Gesicht hat eine besonders große, weit vorstehende Nase mit sehr betonten
Nasenflügeln und unregelmäßig mit Harz ausgebesserte Augenlöcher; tierisch wirkt erst die
große, stark vorspringende, mit einem Affenhaarpelz besetzte Schnauze der Maske, die
aber von dem dichten Fell ziemlich verdeckt wird. Von der Schnauze laufen seitlich Linien-
ornamente bis zur Stirne.
Einen noch stärkeren tierischen Charakter hat Nr. 228 E. D. Der
obere Teil des Gesichtes besteht hier aus einem ruhigen, ausdrucksvollen
menschlichen Gesicht; erst unterhalb der Nase wölbt sich die Maske
zu einer halbrunden, krokodilartigen Schnauze vor (s. Abb. 86). Die
Maske stammt von den Dan und wurde mir mit dem Bemerken über-
geben, daß es sich um eine „Krokodilsmaske“ handle. Sie ist 24 X 13,5 cm
groß und ist das einzige Stück dieser Art, das ich je zu Gesicht bekam.
Eine andere Maske tierischen Charakters ist Nr. 226 M. f. V. W.,
ein Stück von den Dan. Diese Maske hat man mit etwas stilisierten
Schafshörnern dargestellt und sie wurde von den Kran auch als Schafs-
maske bezeichnet. Im übrigen gehört sie dem bereits beschriebenen
schreckhaften Typ an.
Abb. 86
E. DONNER
106
Nr. 204 bis 209 E. D. und M. f. V. W. aber sind Tanzmasken des bereits erwähnten mö-glü,
des Hornraben-Maskentänzers. Nr. 206 (49 X 16,3 cm) ist ein Stück aus schwerem, geschwärz-
tem Holz, das stark stilisiert ist. Das Gesicht wird von einem Kreis von zwei Doppellinien-
ornamenten eingeschlossen, das am Schnabel endet. Die Augenbrauen sind durch Kerben
angedeutet, die Stirntätowierung besteht aus einem Gittermusterstreifen, die Augen aber
sind schmale, geschweifte Schlitze. Eine steile Hakennase wölbt sich bis 6 cm vor (Horn am
Schnabel des Hornraben !), statt Mund und Kinn aber geht das Gesicht in einen 29 cm langen
Schnabel über. Der Schnabel selbst ist hier leicht geschweift und halb offen dargestellt, er
endet in einer scharfen Spitze. Die obere Schnabelkante ist im ersten Teil mit einer Reihe
von kleinen Löchern durchsetzt, in denen eine Art von Bart gesteckt haben dürfte. Die innere
Seite der Maske und namentlich der innere Teil des Schnabelansatzes sind voll Spuren ge-
kauter Kola. Nr. 205, etwa 46 cm lang und 17,5 cm breit zeigt ein etwas breiteres Gesicht
über einem schmäleren, geschnitzten Schnabel. Wieder ist ein Linienornament als Gesichts-
umrahmung vorhanden und auch ein sorgfältig geschnitzter Kopfaufsatz ist da. Die Stirn-
tätowierung ist stark verwischt; und oberhalb der Augenschlitze ist eine weiße Strichbe-
malung zu erkennen. Die Nase wölbt sich wieder steil und hakenförmig nach vorne. Je vier
Löcher am Schnabelansatz weisen auf einen früher vorhandenen Bart. Nr. 210 (43 X 16,6 cm)
mit zackigem Kopfaufsatz ist ohne Linienornament. Hier ist die Stirntätowierung als Wulst
dargestellt und vereinigt sich gleich nach einem leichten Knick an der Nasenwurzel mit der
schmalen, scharfrückigen Nase, die zum Schnabel hin senkrecht abfällt. Der Schnabel selbst
ist spitz und nicht stark geschlitzt. Nr. 207 (38X13 cm) ist aus leichterem Holz und ein
wenig kleiner. Bis auf den hochangesetzten zackigen Kopfaufsatz ist das Gesicht völlig glatt;
die Augen sind durchgebrochen und liegen besonders nahe aneinander, die Nase ist breit vor-
springend, mit stark betonten Nasenflügeln, am Nasenrücken wird ein Gitterornament noch
schwach sichtbar. Der Schnabel ist schmal und fast gerade, wieder sind innen Kolaspuren.
Nr. 204 (34X 14,5 cm) unterscheidet sich bedeutend von den übrigen; es ist ein sehr eigen-
artiges Stück und ist auch künstlerisch bedeutend (s. Abb. 87). Der obere
Teil des Gesichtes ist ein ruhiges, ebenmäßiges ziemlich naturalistisches
Gesicht. Von den ausnahmsweise weniger stilisierten Ohren abwärts aber
schiebt sich das Gesicht vor und wird zu einem breiten, nur wenig gewölbten
Schnabel. Dieser ist also nicht wie bei den anderen Hornrabenmasken deut-
lich vom Gesicht abgesetzt, sondern beginnt allmählich mit der ganzen
Breite des Gesichtes und ist auch weniger geschlitzt, als dies bei den anderen
Masken der Fall war. Erst der allerunterste Schnabelteil ist vogelartig ge-
bogen. Die Maske zeigt innen wieder Kolaspuren. Das Stück ist alt, aus
hartem, schwerem Holz gefertigt und dürfte ursprünglich vielleicht ge-
schwärzt gewesen sein, zeigt aber einen gräulichen Überzug. Die Maske
hat wieder einen zackigen Kopfaufsatz.
Ich möchte ein Wort über Kopfaufsätze im allgemeinen einfügen: Oft läuft bei den Tanz-
masken eine Bordüre von etwa 1 cm hohen und 2 cm langen Zacken um die Stirne. Die Art
dieser Zacken auf manchen Stücken läßt die Vermutung auftauchen, daß es sich dabei ur-
sprünglich um eine Reihe von winzigen, geschnitzten Antilopenhörnchen (die regelmäßig
als Behälter von Zaubersubstanzen gelten) handelt. Bei Nr. 204 sind die Erhöhungen des
teilweise bereits abgebrochenen Kopfaufsatzes deutlich an der vorderen Seite höher und
breiter und laufen nach rückwärts spitzig zu. Bei Nr. 205 wieder sind sie gleich breit,
aber vorne etwas höher, wo sie noch außerdem eine leichte Höhlung (wie ein nicht ganz an-
gefülltes Horn) zeigen. Bei Nr. 210 wieder sind nur mehr einfache, quergestellte, nach unten
zu schmäler werdende Zacken sichtbar.
Diese geschnitzten Kopfaufsätze sind nicht bei allen Masken vorhanden, finden sich aber
Abb. 87
KUNST UND HANDWERK IN NO-LIBERIA
loy
Abb. 88
Abb. 89
doch ziemlich häufig — manchmal wie schon erwähnt bei III C 35846 M. f. V. B. — als
stilisierte Widderhörner oder bei Nr. 226 M. f. V. W. als Schafshörner. Hinter diesem holz-
geschnitzten Aufsatz ist öfters noch ein Aufsatz aus Stoff oder Bast. Häufiger ist jedoch ein
Kopfaufsatz aus Stoff allein, wie es besonders bei weiblich gedachten Masken der Fall ist
(Nr. 196 M. f. V. W., Nr. III C 35 844 M. f. V. B. und Nr. 198 E. D., Nr. 197 M. f. V. W. und
Nr. 197 E. D. sind weibliche Masken, deren Kopfaufsatz aus geflochtenem, schwarzem Bast
in Form einer Haarfrisur angeordnet ist.
Die weiblichen Tanzmasken sind im Grunde genommen nach denselben Prinzipien ge-
macht, wie die kleinen Ahnenmasken. Die Gesichter sind flacher, weniger prognath, (Abb. 88)
die Nasen kleiner und zierlicher, der Mund ist schmäler und fast
immer wird die Stirntätowierung als gerade Rippe über der Nasen-
wurzel angebracht Nr. 197 E. D. (Abb. 89) wirkt trotz der ein
wenig unregelmäßigen, mondsichelförmig aus-
geschnittenen Augen recht naturalistisch. Im
etwas aufgeworfenen Munde stecken zwei nach
außen gebogene Zähne aus Leichtmetall. Nr. 187
ist kleiner und hat Kolaspuren auf der Innenseite
der Stirne. Hier sind die Augen auffallend schmal
und die Nase ist besonders kurz. Von ihr laufen
Faltenspuren zum Munde herab, der schmal,
fast ohne Lippen, aber ein wenig vorgewölbt
gearbeitet ist. Zwei lange Zähne, ob von Tier
oder Mensch ist nicht ohne weiteres erkennbar,
da sie zugefeilt sind, stecken im „Oberkiefer“. Nr. 196 M. f. V. W. hat einen Stoffkopf-
aufsatz und ist aus hellem Holz. Auch Nr. 207 E. D. (22 X 13 cm) ist ein Stück ähnlicher
Art. Der Ausdruck der weiblichen Masken — auch der der Wächtermasken — ist im all-
gemeinen viel ruhiger und schöner als der der männlichen. Ein besonders ausdrucksvolles
Stück ist auch Nr. III C 35852 M. f. V. B., das aber zu klein ist,
um vor dem Gesicht getragen zu werden. Es handelt sich bei diesem
Stück um eine Maske, die bei den Jugendweihen der Knaben eine
Rolle spielt und der bei Krankheiten geopfert wird (Abb. 90).
Nr. 193 E. D. (22,3 X 14cm) ist ein Exemplar ähnlicher Art, wurde
aber als Tanzmaske getragen. Sie ist aus hellem, ungeschwärztem
Holz und von besonderer Schönheit des Ausdrucks. Es ist das einzige
Stück, bei dem die Maserung des Holzes zu ornamentalen Zwecken
benutzt wurde: der Schnitzer hat die Lage des Holzes so gewählt, daß
ziemlich regelmäßig gezeichnete Augenbrauen in der Maserung zutage
treten. Auch auf der Nase tritt eine symmetrische Maserung zutage
und über die Wangen laufen gleichfalls auf beiden Seiten Maser-
streifen. Das Stück ist sehr alt und schon reichlich wurmstichig.
Nr. 191 (22,3 X 13 cm) ist wieder dunkel und hat neben den Augen
gleich die stark stilisierten kleinen Ohren angesetzt. Die Nase ist sehr scharfrückig, die
Nasenflügel sind stark betont, der Mund aber ist stärker aufgeworfen als dies bei weiblichen
Masken gewöhnlich ist. Nr. 202 M. f. V. W. ist eine weibliche Maske der Kran aus Bellewalli,
wohingegen die vorherbesprochenen von den Dan und von den Mano stammen. Die Maske
ist größer und ein wenig derber als die der Dan und zeigt die übliche Festbemalung um
die Augen. Von dieser Maskengestalt sagt man, daß sie besonders schön „singen“ konnte.
Gelegentlich treten zwei Masken zusammen als Paare auf. Ein solches Paar ist im M. f.
V. W.; es stammt aus dem nördlichen Dan-Gebiet aus Kan-plei. An dem Paar sieht man
Abb. 90
io8
E. DONNER
besonders deutlich die Unterschiede in dem dargestellten Geschlecht — getragen werden
natürlich auch die weiblichen Masken von Männern. Von diesem Paare „singt“ die Frau,
während der Mann tanzt. Ein zweites Paar ist Nr. 203 und Nr. 224E.D., gleichfalls von den
Dan, aber aus einem südlicheren Gebiet nahe der Kran-Grenze. Die „Frau“, Nr. 203, ist
wieder etwas derber (ähnlich Nr. 202) und mißt 26 X 15,5 cm, ihr Holz ist dunkel, aber nicht
geschwärzt. Die männliche Maske Nr. 224 (26X 15,3 cm) hat eine steil vorgewölbte Stirne
und dementsprechend sehr tiefliegende Augen. Der Mund ist etwas schnauzenartig vor-
geschoben, aber nicht durchbrochen, die Nase ist klein.
Ein „Paar“ anderer Art sind die beiden Zwillingsmasken der Dan, die sich im M. f. V. W.
befinden (Nr. 185 u. 186). Sie sind kleiner und wurden nicht vor dem Gesicht getragen.
Wie man mir mitteilte, fertigte man sie für verstorbene Zwillinge an, um ihre Totengeister
günstig zu stimmen. Zwillinge sind nicht beliebt, da man ihnen aber besondere Zauberkräfte
zutraut, sind sie gefürchtet. Diese Maskenanfertigung für Zwillinge dürfte vereinzelt da-
stehen und auf irgendwelche besondere Verhältnisse unter den Anverwandten zurückzu-
führen sein. Die beiden Masken sind nicht sonderlich alt, sehen einander ähnlich, sind aber
doch nicht vollständig gleich, da die Herstellung zweier ganz gleicher Schnitzwerke dem Ein-
geborenen kaum möglich sein dürfte.
In der Sammlung Dr. Fuszek, M. f. V. W., befinden sich neben den verschiedenen allge-
meinen Typen einige Stücke, bei deren Herstellung der Künstler eigene Wege ging.
Nr. 135048 ist eine besonders große (33,3X25,5 cm) weibliche Maske (Abb. 91). Sie stammt
von den südlichen Dan und ist recht alt; über den Charakter dieser Maske ist leider nichts in
Erfahrung zu bringen. Das Gesicht ist fast rund und wirkt dadurch besonders auffällig. Die
Innenseite der Maske ist stufenförmig geschnitten und um den Rand ist eine doppelte Reihe
von Durchziehlöchern. Das Innere dürfte zweifellos öfters mit Blut bestrichen worden sein.
Eine andere bemerkenswerte Maske ist Nr. 135038, eine 27x15 cm messende männliche Tanz-
maske (Abb. 92). Sie hat ein regelmäßiges Gesicht, aufgeworfene Lippen und pessimistisch
herabgezogene Mundwinkel. Kerben um die Augen lassen erkennen, daß hier auch die
typische Kalkbemalung um die Augen vorhanden war. Das Stück stammt von den Kran.
Nr. 135047 ist wieder eine Maske der südlichen Dan mit einer eingeschnittenen Schmuck-
tätowierung um die Augen, die aber offensichtlich früher nicht mit Kalk, sondern mit Lehm
ausgefüllt war (Abb. 93). Die Maske hat noch eine kreisförmig geschnittene Tätowierung
um die Mundwinkel und eine aus feinen Strichen bestehende Stirntätowierung. Im Munde
stecken sechs Eisenzähne. Eine andere männliche Tanzmaske hat einen geschnitzten Kopf-
aufsatz, schmale, geschlitzte und mit Blech beschlagene Augen; auch hier war eine Be-
malnng um die Augen vorhanden. Ein anderes Stück von der Grenze des Dan-Kran-Gebietes
ist von einem fünfrilligen Ornament umrahmt und hat mandelförmig geschlitzte Augen,
vorgewölbte Lippen und vier spitzige Tierzähne (Abb. 94).
Die erwähnten Masken lassen sich nicht einfach in Typen einreihen, jede hat vielmehr ihre
ausgeprägten Eigenarten; jedes dieser Stücke hat ein Künstler gearbeitet, der in der Dar-
Abb. 95
Abb. 96
Bk .
Abb. 97 Abb. 98
Stellung der Ahnentanzmasken auch seine Eigenart zur Geltung zu bringen gewußt hat
(Abb. 95, 96, 97).
So ist auch Nr. 188 E.D. (23 x16 cm) wieder ein recht eigenwilliges Stück. Sie ist — wie
auch die vorher besprochenen — ziemlich flach und man könnte fast versucht sein, sie als
ein weibliches Stück anzusprechen, wenn nicht strahlenförmig vom Munde ausgehende
Löcher, in denen einmal Haare eingesetzt waren, einen Bart andeuteten (s. Abb. 98). Die
Nase tritt eigentlich erst in ihrem untersten Teil stärker hervor, wo sie sich etwas biegt. Sehr
nachgedunkelte Spuren von Kalkbemalung laufen über den Nasenrücken und säumen den
unteren Rand der Augen bis zum Augenwinkel. In den Barthaarlöchern sollen Affenhaare
gesteckt haben.
Ein besonders schönes Stück ist Nr. 212 (26 X 16,5 cm), eine stark prognathe Maske der
Mano (Grenze Dan-Gebiet, s. Abb. 99). Wieder ist die Nase sehr flach, ja wird erst überhaupt
im letzten Drittel sichtbar. Am Kinn sitzt ein Haken, an dem das Ge-
wand befestigt war und um die Stirne sind noch Einschnitte und
Löcher sichtbar, in denen ein Bastaufsatz gesessen hat. Nr. 217 wieder
ist eine sehr stark von verschiedenen Fütterungen beschmutzte männ-
liche Gesichtsmaske mit stilisierten, durchlöcherten
Ohren und schmalen, weit auseinanderliegenden
Augen, die wie geschlossen wirken (s. Abb. 100). Auch
hier ist wieder ein eiserner Haken am Kinn vorhanden.
Die Maske stammt von den nördlichen Dan.
Nr. 215 E. D. ist wieder von anderer Art. Das
Gesicht ist flach, die Stirn nieder und die Backen-
knochen sind leicht betont; das Gesicht läuft spitz Abb. 100
zu. Die hoch angesetzten Ohren sind naturalistischer
als gewöhnlich und besser ausgearbeitet; sie verleihen dem Gesicht zusammen mit der
niederen Stirn einen gewissen affenähnlichen Ausdruck. Die Augenbrauen sind gewölbte,
flache Kerben, auf denen Spuren von Punktverzierungen schwach sichtbar sind. Die
Augen selbst sind nahe aneinanderliegende, breite, mondförmige Sicheln. Die Maske
scheint ursprünglich geschwärzt gewesen zu sein. Eine Maske, die möglicherweise weib-
lich ist, ist Nr. 200. Um die Stirn des stark mit weißlichen und grauen Krusten bedeckten
15 Baessler-Archiv.
Abb. 99
I IO
E. DONNER
Stückes laufen drei Rillen, die stellenweise von Löchern durchbrochen sind und sich
augenscheinlich bereits unter einem Kopfaufsatz befanden. Das Gesicht verläuft beinahe
in einer Ebene, die Augenbrauen liegen knapp oberhalb der Augen, die Augen selbst sind
durch leicht schräg gestellte, aber gerade geschnittene Schlitze dargestellt. Der Ausdruck
des Mundes ist aber rein maskulin. Ein sehr schönes und besonders naturalistisches Stück
ist Nr. 213 E. D., 25 X 17 cm; die Stirn ist hier besonders hoch und gewölbt, Augenbrauen
fehlen, die tiefliegenden Augen sind schmale, mit einem etwas höheren Rand dargestellte
Sicheln, die dem Gesicht einen schläfrigen Ausdruck geben. Das Gesicht ist ziemlich breit
und in seinen Eormen recht natürlich. Die kurze Nase mit den leicht angedeuteten Nasen-
flügeln und der große, aber nicht unproportionierte Mund vervollständigen diesen Eindruck
noch. Für unser Auge störend wirken nur wieder die viel zu hoch angesetzten, stilisierten
Ohren.
Nr. 219 E. D. ist ein ganz eigenartiges Stück, das man kaum typenmäßig einreihen kann
(Abb. 101). Unter einem zackigen Kopfaufsatz wölbt sich eine niedere Stirn, in die die Augen-
höhlen eingeschnitten wurden. Die Stirntätowierung läuft als schmaler
Wulst bis zur Nasenwurzel zwischen die Augen. Die Augen selbst sind
schräg in die Augenhöhlen eingebettet und schmale, mandelförmige
Schlitze bilden die Pupillen, die größer sind als gewöhnlich. Die Nase ist
spitz und schmal, die Wangenknochen sind betont, aber nicht verzerrt.
Der Mund, groß, rund und wie zu einem Schrei geöffnet und vorgewölbt,
ist aufgeworfen und die hölzerne Zunge ist sichtbar. Die Maske stammt
von den Dan, wurde aber im Mono-Gebiet erstanden und ist recht alt.
Sie ist ungeschwärzt und etwas verschmutzt; die Maße sind 25x14 cm.
Auffallend ist eine Einkerbung für die Nase des Trägers an der Innenseite
der Maske. Eine doppelte Reihe von Löchern um die Kinnpartie läßt einen
ehemaligen Hängebart vermuten.
Hiermit dürften nun die wichtigsten Typen und auch die wichtigsten Einzelstücke der
nordostliberianischen Maskenkunst dieser Sammlungen besprochen sein. Ich habe mich be-
müßigt gefühlt, die Masken mehr nach ihrem inneren Charakter zu ordnen, da es ja die Be-
deutung und der Charakter der einzelnen Masken ist, die dem Eingeborenen wesentlich er-
scheinen.
Im übrigen soll diese Arbeit als Materialsammlung betrachtet werden und Vergleiche
mit westafrikanischer Ornamentik und anderer afrikanischer Plastik sind einstweilen be-
wußt vermieden worden.
Besprechungen.
Nawrath, Alfred: Indien und China. Meisterwerke der
Baukunst und Plastik. Wien, Schroll, (1938). 64 S.,
208 Abb. auf 164 Taf., 1 Karte. 4°. Preis RM. 18.—.
Im August 1938 war im Museum für Völkerkunde zu
Berlin eine Sonderschau von etwa fünfzig vergrößerten
Photographien aus Indien und Ceylon ausgestellt, die
allgemein auffielen durch die hervorragende Kunst in
Aufnahme und Wiedergabe. Sie gehörten einer umfang-
reichen Sammlung von Bildern an, die Alfred Nawrath
in den Jahren 1933 bis 1937 auf drei Reisen in Süd- und
Ostasien aufgenommen hat. Eine erste Veröffentlichung
dieses Materials gab der Verf., abgesehen von einer Aus-
stellung in der R. Photographie Society in London, in
seinem 1935 leider in England erschienenen Werk ‘The
Glories of Hindustan’ (London, Methuen; mit 240 Taf. 8°),
eine zweite, größere und besser ausgestattete legt er jetzt
seinen Landsleuten vor. Wie der Untertitel des Werkes
erkennen läßt, bringt es in erster Linie Beispiele der
Baukunst und Plastik, doch ist das Buch keineswegs ein
Spezialwerk für den Kunsthistoriker. Es ist von einem
Laien für Laien geschrieben, aber von einem Laien, der
ein ungewöhnlich scharfes Auge für das Wesentliche und
Ausdrucksvolle seiner Gegenstände besitzt, und der in
seinen Aufnahmen die Denkmäler samt der Luft und der
Landschaft, die sie umgeben, zum Reden bringt. So sind
diese zweihundert Bilder von Wert für jeden, der sich
mit der Landeskunde Indiens, Ceylons, Birmas und
Chinas beschäftigt. Das Schwergewicht liegt auf Vorder-
indien und Ceylon mit etwa 140 Abbildungen, und dan-
kenswerter Weise bringt der Verf. vor allem weniger
bekannte Ansichten: Bauten und Bildwerke, die nicht an
den großen Straßen liegen, darunter manches volkskund-
lich Interessante wie die Dächer Hyderabads in Sind mit
ihren charakteristischen Windfängern, Schlangenidole
am Fuß eines Feigenbaumes, Sati-Steine, tönerne Stand-
bilder von Dorfgottheiten und den Rossen des Ayyanar
aus Südindien.
Ein doppelter Begleittext führt den Leser in die land-
schaftliche und zeitliche Atmosphäre der abgebildeten
Gegenstände ein. Außerdem sind ausgiebige technische
Angaben über Optik, Belichtung, Jahres- und Tageszeit
usw. für jede Aufnahme hinzugefügt. Der Hauptreiz des
Werkes aber liegt in den Bildern selber, die fast aus-
nahmslos photographische Meisterwerke darstellen und
vorzüglich reproduziert sind. Gelpke.
Schebesta, Paul: Die Bambuti-Pygmäen vom Ituri.
Ergebnisse zweier Forschungsreisen zu den zentral-
afrikanischen Pygmäen. In drei Bänden. I. Band,
Geschichte, Geographie, Umwelt, Demographie und
Anthropologie der Ituri-Bambuti (Belgisch-Kongo)
mit 1 Karte, 32 Bildtafeln und 16 Erläuterungs-
skizzen. 440 S. 40. Bruxelles, Librairie Falk fils,
1938. Preis 250,— belg. Fr.
In diesem ersten Band des P. W. Schmidt „Dem Rufer
zur Pygmäenforschung“ zum 70. Geburtstage gewidmeten
Gesamtwerkes „Die Pygmäenvölker der Erde“ bringt
Schebesta in sachlich und sprachlich meisterhafter Dar-
stellung im 1. Teile die Geschichte der Pygmäenforschung
in Afrika von den alten Ägyptern über die Wiederent-
deckung der Kleinwüchsigen durch Georg Schweinfurth
bis zu Czekanowski, ferner eine Schilderung der Umwelt
des von ihm unter allem Vorbehalt auf etwa 35000 Köpfe
geschätzten, über ein Urwaldgebiet von rd. 100000 qkm
zerstreuten Volkes der Ituri-Bambuti. Der II. Teil ent-
hält ihre Anthropologie, und im III. Teil werden, wenn
auch vorläufig nur in skizzenhaften Strichen, ihre Be-
ziehungen zu den übrigen Kleinwüchsigen Afrikas ein-
schließlich der Buschmänner aufgewiesen, während die
Stellung zu den Negritos von Hinterindien, und damit
die Behandlung des Pygmäenproblems in seiner Gesamt-
schau späteren Bänden Vorbehalten bleibt.
Zu diesem auf eingehender Feldforschung aufgebauten,
als erschöpfende Behandlung der Pygmäenfrage ge-
dachten Werk ist keiner mehr berufen als Paul Schebesta.
Nachdem er bereits in den Jahren 1924—1925 in den
Semang von Malaya die Negritos kennen gelernt hatte,
wandte er sich nunmehr mit Unterstützung der „Not-
gemeinschaft der deutschen Wissenschaft“, des „Institut
Colonial Beige“ und anderer wissenschaftlicher Institute
sowie persönlicher Freunde der Erforschung der Pyg-
mäen Mittelafrikas zu.
Eine in den Jahren 1929—1930 unternommene erste
Reise in das Gebiet der Bambuti des Urwaldes am Ituri
mit anschließendem Besuch der Bacwa in der Äquator-
provinz von Belgisch-Kongo bezweckte, zunächst einen
allgemeinen Überblick über die Gesamtheit der Pygmäen
Mittelafrikas zu gewinnen.
Zur Ausfüllung von Lücken, die sich bei der Bearbei-
tung der Ergebnisse dieser nach Lage der Sache notwen-
dig mehr oder weniger auf Flächenforschung beschränk-
ten Reise herausstellten, führte ihn in den Jahren
1934—1935 eine zweite, nunmehr von vornherein auf
Tiefenforschung angelegte Reise erneut in den Ituri-
Regenwald. Trotz weitgehendsten Entgegenkommens
seitens der Behörden von Belgisch-Kongo und der
Missionen war Schebesta doch letzten Endes auf sich
selbst angewiesen, da weder Verwaltung noch Mission
unmittelbare Verbindung mit den Pygmäen unterhielten.
Dank seiner in sechsjähriger Arbeit unter den Völkern
des portugiesischen Sambesi-Gebietes gesammelten Er-
fahrungen und mit Hilfe der mit den Pygmäen in
Symbiose lebenden Negerstämme gelang es Schebesta
bald, mit den Bambuti selbst unmittelbare Beziehungen
anzuknüpfen.
Da er es sich von vornherein zur Aufgabe gesetzt hatte,
möglichst reinrassige Pygmäen anthropologisch, ethno-
logisch und linguistisch zu erfassen, ergab sich für ihn
I I 2
BESPRECHUNGEN
die Notwendigkeit, den riesigen Regenwald am Ituri
nach allen Richtungen zu durchstreifen und zu Ver-
gleichszwecken auch Abstecher nach Ruanda und in die
Äquatorprovinz zu unternehmen.
Es ist ein gewaltiges Material, das Schebesta allein
schon als Ergebnis seiner anthropologischen Forschun-
gen in diesem i. Bande darbietet, hat er doch bereits ge-
legentlich der ersten Reise in den Jahren 1929 und 1930
nicht weniger als 583 Individuen, darunter 427 Ituri-
Bambuti anthropologisch aufgenommen. Neben einer
umfassenden, vornehmlich dem Museum in Wien über-
wiesenen Sammlung von Zeugnissen der materiellen Kul-
tur bilden tausende von Photographien, ferner ein Film,
der das Leben und Treiben in den Bambuti-Lagern zeigt,
Urkunden von unschätzbarem Werte, wie sich schon aus
den in diesem 1. Bande veröffentlichten 96 Wiedergaben
und dem Titelbild ergibt.
Nachdem er bereits im I. Teil folgende Gruppierung
der afrikanischen Pygmäen und Pygmoiden gegeben hat:
1. Die Ituri-Bambuti mit den Untergruppen der
Akä, Efe, Basüa.
2. Die westafrikanischen Bambuti:
a) Bekwi (Bagielli) in Gabun und Kamerun,
b) die Bambutoiden Babenga am Sanga, Dscha
und Ubangi;
c) die Bambutoiden Bacwa in der Äquator-
Provinz.
3. Die Zwischenseen-Bambutoiden:
a) Batwa vom Kivu, Ruanda, Uganda;
b) Batwa vom Tanganyika-See.
4. Die afrikanischen Bambutoiden Boni (am Tana
und Sabaki),
faßt er am Schlüsse das im wesentlichen auf die anthro-
pologischen Untersuchungen gestützte Ergebnis seiner
Forschungen in die Leitsätze zusammen:
1. Die Bambuti sind die rassenechten Pygmäen.
2. Die Bambuti sind eine in sich geschlossene, eng-
umgrenzte Rasse, die sich deutlich von allen
sonstigen Rassen abhebt.
3. Die Bambutirasse ist nicht homogen, sondern
weist mehrere Rassekomponenten auf.
4. Die Bambutoiden sind durch Bastardierung ent-
standene Mischrassen mit einem Grundstock von
Bambutiblut.
5. Die Buschmänner sind eine den Bambutoiden
ähnliche Bildung. Der fundamentalste Unterschied
zwischen Bambuti und Buschmännern besteht
aber in dem Umstand, daß Anpassungen an grund-
verschiedenen Umwelten erfolgt sind.
6. Die Waldneger sind ein Kontaktprodukt aus
Bambuti und Negern, also weder eine negride
Altform, noch der Stamm, aus dem die Bambuti
hervorgegangen sein sollten.
7. Die Degenerationstheorie ist für die Bambuti
unhaltbar.
8. Die Pygmäen stehen von allen Rassen den Negern
wegen einiger ähnlicher Merkmale am nächsten,
weswegen man sie zu den Negriden zählen kann.
Zweifelhaft mag es erscheinen, ob es gerechtfertigt oder
wegen der Gefahr des Entstehens von Unklarheiten auch
nur zweckmäßig war, daß Schebesta auf Grund der Auf-
fassung der Ituri-Bambuti als der reinrassigsten unter den
Pygmäen Afrikas die im Schrifttum bereits zu festen
Begriffen gewordenen Bezeichnungen „Pygmiden“ für
reinrassige und „Pygmoiden“ für nicht reinrassige
Pygmäen durch „Bambuti“ bzw. „Bambutoiden“ glaubte
ersetzen zu müssen, zum mindesten, soweit es sich um
die Kleinwüchsigen Afrikas handelt.
Anderseits ist als ganz besonderer Vorzug dieser Arbeit
gegenüber vielen anderen auch noch so verdienstlichen
ethnographischen Monographien hervorzuheben, daß
Schebesta auch eine wohlgelungene Schilderung der oro-
und hydrographischen Verhältnisse sowie von Klima,
Flora und Fauna der Hyläa des Ituri bietet, und uns so
das Volk der Bambuti in seinen Beziehungen zu den
natürlichen Grundlagen seiner Umwelt und damit in
seinen Lebensbedingungen kennen und verstehen lehrt.
Mit Spannung darf man die weiteren Bände dieses mit
unendlichem Fleiß und unter Einsatz der ganzen Persön-
lichkeit des Verfassers aufgebauten Werkes erwarten.
Hans Schwarz.
Büchereingänge.
Astnus, Gustav; Die Zulu. Welt und Weltbild eines bäuer-
lichen Negerstammes. Mit 21 Abb. a. 16 Kunstdr.
Taf. Essen; Essener Verl. Anst. 1939. 285 S.
Avila, de, Francisco: Dämonen und Zauber im Inkareich.
Aus dem Ketschua übers, und eingel. v. Hermann
Trimborn. Mit einem Vorw. v. Georg Friederici.
Mit 2 Kt. u. einer ganzseit. Abb. Leipzig: F. Koehler
1939. IX, 143 S. Quellen u. Forsch, z. Gesch. d.
Geogr. u. Volk., Bd. 4.
Baumann, Hermann, Richard Thurnwald und Diedrich
Westermann: Völkerkunde von Afrika. Mit beson-
derer Berücksichtigung der kolonialen Aufgabe.
Mit 461 Abb. a. Kunstdr. Taf. u. i. T. u. 23 Kt.
Essen: Essener Verl. Anst. 1940, XV, 665 S.
(Poln.) Falkowski, Jan; Pölnocno wschodnie pogranicze
huculszczyzny z 2 mapami, 28 rycinami i 5 tablicam
w teksie. Lwow: Nakl. Tow. Ludozn. 1938. 105 S.
Prace etnograficzne, Nr. 4.
Lagercrantz, S.: Beiträge zur Kulturgeschichte der
afrikanischen Jagdfallen. Stockholm: Thule 1938.
177 S., 16 Taf. 40.
Lehmann, Walter: Die Geschichte der Königreiche von
Colhuacan und Mexico. Text mit Übersetzung v.
Walter Lehmann. Stuttgart; Kohlhammer 1938.
VI, 391 S. 40 Quellenwerke z. alten Gesch. Amerikas,
Bd. 1.
Lehmann-Nitsche, Robert: Studien zur südamerikani-
schen Mythologie. Die ätiologischen Motive. Ham-
burg: Friederichsen, de Gruyter 1939- XII, 205 S. 40.
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avec 9 pl. Paris: Geuthner 1928. 144 S.
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Aus; Ethnological Studies, Bd. 8. 1939- S* 137 T4^-
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contr. by C. von Fürer-Haimendorf and G. L.
Tichelman. With 97 fig. on 42 pl. Leiden: Brill 1939.
XI, 228 S.
'ш шятлЁЖ£Щштщашш11тЁ*шяшш1кУ.
>-- ' ...
1№
._____________________________________________________________________________________________________________________
UNOS ANNALES HISTÖRICOS
DE LA NAGION MEXIGANA
DIE MANUSCR1TS MEXICAINS NR. 22 UND 22BIS DER BIBLIOTHEQUE
NATIONALE DE PARIS
ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT
VON
ERNST MENGIN
KOPENHAGEN
TEIL II
DER KOMMENTAR
(Teil I ist im Baeßler-Archiv, Band XXII, Heft 2—3 erschienen)
Inhaltsverzeichnis
Seite
Literaturverzeichnis ................................................ 1U—117
Einleitung .......................................................... IT8
I. Teil. Die mythologische Seite der Handschrift .................. —121
II. Teil. Die mexikanische Handschrift „Unos Annales Historicos de la Nacion Mexicana“ als Ge-
schichtsquelle des alten Mexico ............................................................................ 121—134
1. Abschnitt. Die Chronologie der Handschrift ............................................................. 121—I2(>
2. Abschnitt. Historisch-kritische Untersuchung der wichtigsten Ereignisse................................. I2^ U4
1. Der Aufbruch des Volkes vom mythischen Ursprungsort Chicomoztoc und die sich daran an-
schließenden Wanderjahre......................................................................... I27—L3°
2. Der 42jährige Aufenthalt in Chapoltepec und die vernichtende Niederlage der Mexikaner daselbst
durch die Colhuaca im Jahre 1298, samt Gefangennahme und Opferung Uitziliuitrs ....................... 130—133
3. Die Niederlassung und Ansiedlung des Volkes in Tlatelolco-Xalliyacac, „am Sandvorsprunge“. 133
4. Der Untergang des selbständigen Stadtkönigtums von Tlatelolco unter Moquiuix .. 134
5. Die völlige Vernichtung Tlatelolco's durch die Spanier im Jahre 1521 . 134
III. Teil. Die Genealogie der Herrscherhäuser .................................................................. US—U9
1. Die Genealogie von Azcapotzalco ........................................................................ US—U^
2. Die Königslisten von Chapoltepec-Tlatelolco ............................................................ U^—U7
3. Die Königslisten von Tenochtitlan ...................................................................... U7—U9
Zusammenfassendes Ergebnis ...................................................................................... 139
Berichtigungen .................................................................................................. 139
16 Baessler-Archiv.
ERNST MENGIN
í l6
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117
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nebst Übersetzung. Berlin 1937 in: Baeßler Archiv,
Beiheft IX. Teil II, Der Kommentar. Berlin 1938
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— Siehe Sahagun.
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Valentini, Ph. J. J.: The Olmecs and Toltecs. Wor-
cester 1882.
Codex Zumárraga: siehe Historia.
Einleitung.
Die aztekische Originalhandschrift, welche die Nationalbibliothek in Paris in ihrem
Kataloge mexikanischer Urkunden als Nummer 22 unter dem Namen ,,Manuscrit de 1528“
aufführt, ist zwar ihrer äußeren Form, nicht aber ihrem Inhalte nach eine Einzelurkunde.
Denn sie setzt sich in Wirklichkeit aus einer großen Haupt- und 4 kleinen Nebenurkunden
zusammen, stellt also eine kleine in sich geschlossene Handschriftengruppe dar. Es ist daher
viel richtiger mit Boturini1 von ,,Unos Anales Historicos de la Nacion Mexicana“, als von
einem Manuskript von 1528 zu sprechen.
Da der, mir in diesem Hefte zur Verfügung stehende Raum beschränkt ist, muß ich es
mir versagen, jede der im Ganzen 5 Urkunden gesondert für sich zu behandeln. Der vor-
liegende Kommentar bringt daher nur eine Erklärung der großen Haupturkunde, während
die 4 kleinen Nebenurkunden nur insoweit mit herangezogen werden, als sie eigenes nennens-
wertes Material enthalten, beziehungsweise von dem Inhalt der Haupturkunde abweichen.
Dieses Verfahren ist übrigens auch sachlich insofern berechtigt, als die ganze Urkunden-
gruppe inhaltlich ein Ganzes bildet, so daß nicht nur Wiederholungen vermieden werden,
sondern dadurch zugleich dem Leser der Gesamtüberblick über diese kleine aztekische
Urkundensammlung wesentlich erleichtert wird.
Wie ich schon in meinem Kommentar zur „Historia Tolteca-Chichimeca“2 ausgeführt
habe, baut sich die mexikanische Geschichtschreibung, wie sie in den sogenannten Annalen
auf uns gekommen ist, im wesentlichen aus den drei folgenden Grundelementen auf;
1. der Weltanschauungslehre oder Mythologie,
2. der Chronologie,
3. der Genealogie der Herrscherhäuser.
Dementsprechend gliedert sich auch die Aufgabe des Kommentators in eine kritische
Untersuchung und Erklärung dieser 3 Hauptbestandteile altmexikanischer Geschichts-
darstellung. Wir werden uns daher im Folgenden nacheinander mit der Mythologie, der
Chronologie und der Genealogie der Herrscherhäuser, so, wie sie in unserer Original-
handschrift enthalten sind, kritisch untersuchend und erklärend zu befassen haben.
I. TEIL.
DIE MYTHOLOGISCHE SEITE DER HANDSCHRIFT.
Wenden wir uns zunächst dem mythologischen Teile derHandschrift zu, so kommen
wir zu der Feststellung, daß unsere Urkunde gemessen an verwandten Geschichtsquellen
des alten Mexiko, wie der ,,Historia Tolteca-Chichimeca“, oder den ,,Anales de Quauhtitlan“
an mythologischen Bestandteilen auffallend arm ist. Immerhin bringt sie einen interessanten
Mythus der alten Mexikaner zur Sprache, nämlich den Copil-Mythus.
Die erschöpfendste Darstellung dieses Mythus, die mir bekannt geworden ist, liefert
uns wohl das ,,Manuscrit Ramirez“3, das Duran und Andern als Vorlage bei Abfassung
ihrer Schriften gedient hat. Eine weitere wichtige Quelle für diesen Mythus ist die ,,Historia
de los Mexicanos por sus pinturas.“4
1 Boturini a. a. 0. S. 17 des Catalogo del Museo indiano. 3 a. a. O. S. 7—28.
2 Bdeßler Archiv Bd. XXI, Heft 1—2, 1938, S. 53. 4 a, a, 0, S. 94ff.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I 19
Hören wir daher zunächst einmal zum besseren Verständnis der Copilsage, wie sie sich
in unserer Handschrift vorfindet, die Legende in der Fassung, wie sie uns das ,,Manuscrit
Ramirez“ überliefert:
Uitzilopochtli, der Kriegsgott der alten Mexikaner, so lesen wir da, der nur ein großes
Ziel kannte, nämlich sein Volk in das üppige und reiche Land zu führen, das er ihm verheißen
hatte, besaß eine Schwester mit Namen Malinalxoch, eine böse unheilbringende Zauberin,
die durch Anwendung von tausenderlei Zaubermitteln den Mexikanern Kränkungen und
Übel zufügte. Mit Rücksicht darauf, daß sie die Schwester ihres Stammesgottes ist, er-
dulden die Mexikaner ihre Ränke, aber der Zustand wird immer unhaltbarer. In der Nähe
von Tula, als sie auf der Wanderung nach dem verheißenen Lande begriffen sind, kommt
der Gegensatz zum offenen Ausbruch und die Priester beschweren sich bei Uitzilopochtli
über seine Schwester Malinalxoch. Erzürnt darüber, daß sie die, ihr von ihm verliehene
Macht über die schädlichen Tiere, die Schlangen, Skorpione und giftigen Spinnen dazu miß-
brauchte, um sich an ihren Feinden zu rächen und sie an den giftigen Stichen dieser furcht-
baren Tiere sterben zu lassen, beschloß Uitzilopochtli sein Volk, die Mexikaner, von dieser
schrecklichen Tyrannei zu befreien, und befahl ihnen, noch in derselbigen Nacht, während
seine Schwester im ersten Schlafe lag, heimlich fortzuziehen, ohne auch nur einen Menschen
zurückzulassen, der ihr die Richtung angeben könnte, die sie eingeschlagen haben. Er ver-
spricht ihnen zugleich, daß sie auf diese Weise die Größe seines Namens ausbreiten und zu
Herren des Goldes, des Silbers, der Edelsteine und der kostbaren Federn werden, die es in
dem verheißenen Lande gibt.
Die Priester teilen daraufhin diese Antwort des Gottes dem Volke mit, das die Befehle
seines Gottes dankbar und getreulich ausführt und unter Preisgabe der bösen Zauberin und
ihrer Familie unter Führung Uitzilopochtli'’s nach Tula weiter zieht.
Als die böse Zauberin am nächsten Morgen erwacht u nd entdeckt, daß man ihr einen
so bösen Streich gespielt hat, jammert sie und beklagt sich bei ihrem Bruder Uitzilopochtli
über das Vorgefallene. Da sie aber gar nicht weiß, wohin sich die Mexikaner gewandt haben,
läßt sie sich an der Stelle nieder, an der sie sich gerade befindet und gründet daselbst den
Ort Malinalco, dessen Bewohner in der Folgezeit als die größten Zauberer gelten, weil sie
von einer solchen Matter abstammen. Auf diese Weise vollzieht sich die zweite Teilung der
Mexikaner, nachdem die erste bereits in Michuacan stattgefunden hat.
Als die Mexikaner später auf das Geheiß Uitzilopochtli"s Tula aufgegeben haben, ziehen
sie weiter und lassen sich in Chapoltepec nieder, rings umgeben von einer ihnen feindlich
gesinnten Bevölkerung und voller Besorgnis über ihr weiteres Schicksal. Inzwischen hat
die böse Zauberin Malinalxoch ihrem Sohne, der nach und nach zum Manne herangewachsen
war, von der Schmach erzählt, die man ihr angetan hat. Copil, wütend über diese Beleidigung,
die man seiner Mutter angetan hatte, schwört auf der Stelle Rache dafür zu nehmen. Sobald
er davon Kenntnis erhält, daß sich die Mexikaner in Chapoltepec aufhalten, eilt er dorthin und
mischt sich heimlich unter die bewaffneten Truppen, die die Mexikaner auf dem Hügel von
Chapoltepec belagern und hetzt sie zu deren Vernichtung auf, indem er sie ihnen als gefähr-
liche Menschen, grausame Krieger, Wesen mit widernatürlichen Trieben schildert. Auf-
gereizt durch diese Hetzreden des Copil schwören die Belagerer ihrerseits dem Volke der
Mexikaner Tod und Vernichtung.
Als Copil sieht, daß seine Sache so ausgezeichnet steht, zieht er sich auf einen Hügel
in der Nähe der Lagune von Mexiko zurück, an eine Stelle, wo es noch heute warme Quellen
gibt, um daselbst den Erfolg seiner Anschläge abzuwarten. Aber Uitzilopochtli, ergrimmt
über die Handlungsweise Copil’s, beruft auf der Stelle die Priester zusammen und befiehlt
ihnen sich sofort an die Stelle zu begeben, wo Copil sich aufhält. Zugleich erteilt er ihnen
den Befehl, Copil zu töten und ihm das Herz aus der Brust herauszunehmen.
I 20
ERNST MENGIN
Diese gehorchen dem Befehle ihres Gottes, töten den Copil und überbringen sein Herz
Uitzilopochtli, der ihnen den Auftrag erteilt, sich in die Lagune zu begeben und dort das
Herz des Copil in das Röhricht zu werfen.
Sein Tod ändert jedoch leider nicht die traurige Lage der Mexikaner, die sich unter
schweren Kämpfen, bei denen ihr Anführer Uitziliuitl in die Hände der Feinde fällt, nach
Atlacuiayan durchschlagen und endlich bei den Colhuaca um Aufnahme bitten, die ihnen in
Ti^aapan bewilligt wird. Dort leben sie zwar im Überflüsse, aber das ihnen von Uitzilopochtli
verheißene Land ist damit noch nicht erreicht. Da dem Gotte der Friede nicht behagt und
um sie zur Weiterwanderung zu zwingen, zettelt er zwischen den Colhuaque und den Mexi-
kanern einen Streit an, indem er sie die Tochter des Königs von Colhuacan töten und ihren
Vater schmählich täuschen läßt. Die Mexikaner entweichen daraufhin nach Itztlapalapan
und Acatzintlan und gelangen so allmählich nach Tenochtitlan. Hier erinnert sie Uitzilopochtli
an die Tötung Copil’s und eröffnet ihnen, daß das Herz des Copil, das sie damals auf sein
Geheiß in das Röhricht der Lagune geworfen haben, auf einen Stein gefallen und daß daraus
ein Kaktus entsprossen sei, der inzwischen so groß geworden sei, daß ein Adler darauf seine
Rast zu halten pflege, indem er auf dem Blatte des Feigenkaktus sitze und sich von den
schönsten Vögeln ernähre, die es gebe. Hier breite er seine stolzen, gewaltigen Schwingen aus
und genieße die Hitze des Tages und die Morgenkühle. ,,Ihr werdet“, so spricht der Gott zu
ihnen, „den Adler finden auf dem Feigenkaktus sitzend und werdet rings um ihn herum
eine Menge blauer, roter, gelber und weißer Federn erblicken von den Vögeln, die er ver-
zehrt hat. Wohlan ! Dem Orte, wo ihr den Kaktus mit dem Adler findet, habe ich den Namen
Tenochtitlan gegeben; da soll endgültig euere Heimat sein!“
Es würde zu weit führen, wollten wir an dieser Stelle noch die Copil-Legende in der
Version bringen, die uns in der nächstwichtigsten Quelle, der „Historia de losMexicanos por
sus pinturas“ überliefert ist. Dies erübrigt sich schon deshalb, weil sie im Kerne dasselbe
berichtet, was wir eben gehört haben. Sie weicht nur insofern von dem Bericht des Codex
Ramirez ab, als sie das Ereignis der Trennung der Malinalxoch von den Mexikanern so
darstellt, als hätten die Chichimeca sie ihnen auf der Wanderschaft in Quauhtitlan weg-
genommen und sie nach Michuacan gebracht. Außerdem ist dieser Bericht viel zusammen-
hangloser und farbloser als derjenige des Codex Ramirez. Ebenso können wir den Bericht
übergehen, der sich in der Historia Mexicana des Don Alvarado Tezozomoc1 findet und der
ebenfalls kein neues Moment bringt, abgesehen davon, daß er von Malinalxoch berichtet,
sie sei in Michuacan zurückgeblieben, um die Zurückgebliebenen zu trösten. Diese günstige
Gelegenheit hätten die alten Notabein, die ihre Bewachung bildeten, benutzt, um sie, während
sie im Walde eingeschlafen war, zu verlassen, da sie sie wegen ihrer Bosheit verabscheuten.
Für uns bleibt entscheidend, daß auf dem Hintergründe der Copillegende, wie wir sie
vor allem im Codex Ramirez vor uns haben, die Gestalt des Copil, so wie sie in unserer
Handschrift geschildert wird, ihre zureichende Deutung erfährt, während gleichzeitig um-
gekehrt der Copilmythus unserer Urkunde eine wertvolle Ergänzung zu jener Version des
Ramirez darstellt.
Danach haben wir festzuhalten, daß Copil als Sohn der Malinalxoch, der bösen
Schwester des Uitzilopochtli, ebenfalls als ein Repräsentant des bösen Principes anzusehen
ist, der feindlichen Mächte also, die die guten Absichten, welche der Gott mit seinem Volke,
den Mexikanern vorhat, auf alle mögliche Weise stören und durchkreuzen möchte. Denn
dies wird ja gerade Copil in unserer Handschrift nachgesagt, daß er die Mexikaner durch
allerlei Täuschungsmanöver von ihrem rechten Wege abbringen will1 2.
1 Don Alvarado Tezozomoc: Histoire du Mexique; in; astrale Vorstellungen zugrunde liegen, muß in diesem
Ternaux-Compans. I. Paris 18531!., S. qff. Zusammenhang dahingestellt bleiben.
2 Inwieweit den Gestalten der Malinalxoch und des Copil
M MBBI
▼ «
UNOS ANNALES HISTÖRICOS DE LA NACION MEXICANA 1 2 j
Wenn Ed. Seler in seiner Erklärung zu dieser Stelle1 sagt, daß die Copil-Sage aus der
Vorstellung entsprungen sei, „daß jedes Haus, jeder Tempel, jede Figur, jedes Idol, ja die
Mumie der Toten lebendig sein, ein lebendiges Wesen, ein Herz oder den Ersatz eines Her-
zens (einen grünen Edelstein) im Fundamente bzw. in der Brust haben mußte“, und „um so
mehr der Tempel, der das Herz und das Palladium eines großen und kriegerischen Volkes,
wie es die Mexikaner waren, bildete“, so soll dieser Seler’schen Auffassung hier nicht wider-
sprochen werden. Im Gegenteil! Sie erfährt von hier aus erst ihre rechte Sinngebung und
Beleuchtung. Die Tatsache, daß es gerade Copil ist, dessen Herz in das Röhricht der Lagune
geworfen wird und über dem sich so die neue Stadt Mexico-Tenochtitlan erhebt, die zugleich
die neue Hauptstadt des vom Stammesgotte verheißenen Landes ist, mußte im Herzen
jedes Mexikaners das freudige und stolze Gefühl erwecken, daß Uitzilopochtli sein aus-
erwähltes Volk allen bösen Mächten und feindlichen Gewalten zum Trotz zum endlichen
Sieg geführt hat und die neue Stadt wird damit zugleich für ihn zum Symbol des schließ-
lichen Triumphes des Gottes über die bösen Mächte der Finsternis, ein Tatbestand, der in
der Tötung des Copil seinen sichtbaren Ausdruck findet.
II. TEIL.
DIE MEXIKANISCHE HANDSCHRIFT „UNOS ANNALES HISTÖRICOS DE LA
NACION MEXICANA“ ALS GESCHICHTSQUELLE DES ALTEN MEXIKO.
i. Abschnitt.
Die Chronologie der Handschrift.
Nach der Behandlung der mythologischen, haben wir nunmehr die geschichtliche Seite
unserer Urkunde zu erörtern. Und zwar lassen wir hier zunächst das chronologische Gerüst
der Handschrift folgen:
Chronologische Übersicht.
Zeitrechnung
aztekische j christliche
Unos Annales Históricos de la Nación Mexicana
Nachweis
im Text §
1. Die Vorgeschichte des Stadtkönigtums von Tlatelolco und seiner Bewohner der Mexikaner.
i.
Vom Aufbruch der Mexikaner von Chicomoztoc bis zu ihrer Ankunft in Chapoltepec. 1155 125b-
1 Rohr 1155 Aufbruch von Chicomotzoc. 104/105
1 Feuerstein 1168 Ankunft in Quetzaltepec und Ausbreitung der folgenden 14 Stämme: 1. AZCAPOTZALCA, 2. XOCHMILCA, 3. CHALCA, 4. ACOLHUAQUE, 5. UEXOTZINCA, 6. COLHUACA, 7. CUITLAUACA, 8. MIZQUICA, 9. QUAUHNAUACA, 10. COUIXCA, 11. MATLATZINCA, 12. MALI- NALCA, 13. MICHHUAQUE, 14. MATLACTE£ACAHUAQUE. Aufbruch der Mexikaner unter Tlotepetl. Über 1 latzallan, wo Tloteptl stirbt, gelangen sie nach Huaxquauhtla. An Stelle des verstorbenen Tlotepetl wird Ouauhtliquetzqui Anführer der Mexi- kaner. 106 108—ii3
1180 Aufbruch von Huaxquauhtla und Niederlassung in Couatl icamac. XI5
1183 Aufbruch von Couatl icamac und Niederlassung in Matlauacallan. 115
1186 Aufbruch von Matlauacallan und Niederlassung in Ocofocapan. n5
1191 Aufbruch von Ocofocapan und Niederlassung in Couatepec. Ir5
1 a. a. O. S. 1042.
1 22
ERNST MENGIN
Zeitrechnung aztekische christliche Unos Annales Históricos de la Nación Mexicana Nachweis im Text §
2 Rohr 1195 Die Mexikaner vollziehen ihre Jahresbindung in Couatepec. 116
1200 Aufbruch von Couatepec und Niederlassung in Chimalcoc. 116
1202 Quauhtliquetzqui legt sein Führeramt nieder. ”7
1205 Aufbruch von Chimalcoc und Niederlassung in Tlemaco. Apantecuhtli wird
Anführer. 117
1 Rohr1 1207 Aufbruch von Tlemaco und Ankunft in Tolían. 118
1216 Aufbruch von Tolían und Niederlassung in Atlitlallac. 118
1219 Aufbruch von Atlitlallac und Niederlassung in Atotoniltonco. 118
1220 Aufbruch von Atotoniltonco und Niederlassung in Apazco. 118
1221 Tod des Apantecuhtli. Citlal wird König. 1 r9
1224 Aufbruch von Apazco und Niederlassung in Tequixquiac. 119
1226 Aufbruch von Tequixquiac und Niederlassung in Tlillao. 119
1236 Aufbruch von Tlillac und Niederlassung in Qitlalaltepec. Tötung des Tlau-
izcalpotonqui in Tzompanco. Tod des Qital. Tecuhillama wird Herrscher. 122
Aufbruch von Qitlaltepec und Niederlassung in Nextlatilco. 122
1237 Aufbruch von Nextlatilco und Niederlassung in Tolpetlac Nepopoualco. 122
1240 Tod des Tecuhillama. Tlacotzin wird Herrscher. 123
1242 Aufbruch nach Tecpayocan und Ankunft in Huauquil Tlotli. 123
2 Rohr 1247 Die Mexikaner vollziehen ihre Jahresbindung in Huauquil Tlotli tecuhtli. 123
1251 Aufbruch von Huauquil Tlotli tecuhtli und Niederlassung in Acolnauac.
Tod des Tlacotzin. Tozcuecuex wird Herrscher. Sie gehen nach Tete-
petzinco und lassen sich da nieder. 123/124
8 Haus 1253 Hungersnot und Aussatz. Tozcuecuex opfert seine Tochter zur Sühne für
die Krankheit. I24
1256 Niederlassung in Chapoltepec. 125
2.
42j‘ähriger Aufenthalt in Chapoltepec und Besiegung der Mexikaner durch die Colhuaque.
[1 Rohr I259]
1280 Tod des Tozcuecuex und des Quauhtliquetzqui. Uitziliuitl wird Herrscher. 136
1287 Uitziliuitl stirbt und der Nonoualcatl Timal kommt in Chapoltepec an. 136
6 Kaninchen 1290 Timal stirbt. H4
1 Kaninchen 1298 Vernichtung der Mexikaner in Chapoltepec. Gefangennahme des Uitziliuitl und seiner Tochter Chimalaxotzin. HS
2 Rohr 12992
3-
Die Mexikaner als Hörige von Colhuacan, bis zur Abschüttelung der Fremdherrschaft durch Flucht und Wanderung
nach Tenochtitlan und Tlatelolco.
1298—1325.
[1 Rohr 13H]
8 Kaninchen 1318 Die Mexikaner verbergen sich. 181
12 Kaninchen 1322 Die Colhuaque senden die Mexikaner zum Kampf gegen die Xochmilca. 182
13 Rohr 1323 Flucht der Mexikaner vor den Colhuaque und Niederlassung in Nexticpac. Aufbruch und Niederlassung in Teuhtollan. Niederlassung in Iztacalco. 187/190
Verfertigung des Idols der Nanofiuatzin daselbst. 19Ü194
Besiegung der Coyouaca in Iztacalco. 195/197
2 Haus 1325 Fortsetzung der Wanderung der Mexikaner und Ankunft und Niederlassung in Tenochtitlan, dem Herrschaftsgebiete des Königs Acolnauacatzin von Azcapotzalco. 198/207
1 Da die Zeitrechnung in der vorliegenden Urkunde mit
dem Jahre 1 Rohr beginnt, wurde zur Hervorhebung
der Zyklen von je 52 Jahren überall in der Tabelle, wo
1 Rohr in der Urkunde nicht besonders genannt wird,
diese Jahreszahl ergänzt. Die betreffenden Ein-
schaltungen sind durch [] kenntlich gemacht.
2 Dieses Jahr ,,2 Rohr“ ist der besseren Übersichtlichkeit
halber hier eingeschaltet.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I 2S
Zeitrechnung
aztekische 1 christliche
Unos Annales Históricos de la Nación
Mexicana
Nachweis
im Text §
11. Die Gründung des Stadtkönigtums von Tlatelolco durch die Mexikaner.
i.
Die Mexikaner lassen sich in Tlatelolco Xalliyacac als Vasallen von Azcapotzalco nieder und erbitten von dem König
Tegogomoctzin seinen Sohn Epcouatzin Quaquauhtzin zum Herrscher.
I Haus 1337 :325—r35°- Die Tlatelolca trennen sich von den Tenochca und lassen sich in Tlatelolco
7 Rohr 1343 Xalliyacac, „am Sandvorsprunge“, nieder. Tod des Königs Acolnauacatzin nach öojähriger Regierung. 212 213
12 Rohr 1348 Tegogomoctzin wird König. Untergang der Colhuaque im 5. Regierungsjahr des Königs Tegogomoctzin; 2I4
I Kaninchen 135° 4 Jahre liegt Colhuacan verlassen da. Die Mexikaner bitten König Tegogomoctzin um Aufnahme in Mexiko und 2I5
erbitten von ihm seinen Sohn Epcouatzin Quaquauhtzin zu ihrem Herrscher. Residenz ist zunächst Azcapotzalco. 217/228
2.
Die Mexikaner sind siegreich unter ihrem neuen König Epcouatzin Quaquauhtzin.
1351—H73-
2 Rohr I35I Die Mexikaner sind zum ersten Male wieder siegreich in Chintalhuacan Atenco 23°
2 Rohr 1351 Die Mexikaner vollziehen ihre Jahresbindung. Epcouatzin Quaquauhtzin verlegt die Residenz nach Tlatelolco. Auch die Tenochca sind ihm tributpflichtig. 231 229/230
[1 Rohr U363J
3 Haus U365 Die Quauhnauaca greifen zu den Waffen, um Tzaquatitlan den Chalca weg- zunehmen. Die Quauhquecholteca werden geschlagen; Macuilxochitl wird König. 244
4 Kaninchen 1366 Tenoch stirbt und die Tenochca stellen die Tributzahlungen nach Tlatelolco ein. 244
5 Rohr 1367 Acamapich wird König. 245
9 Rohr 1371 Besiegung der Chichimeca in Metztitian; die in Tenayocan ansässigen Tlaxcalteca und Uizquiloque begeben sich nach Tliliuhquitepec; die Cauateca gehen nach Teopantla. 246
10 Feuerstein 1372 Die Chichimeca in Tenayocan brechen auf; Uauhquil und Tloth tecth begeben sich nach Couatl ycamac. Uauhquil wird König von Tecpoyocan nach dem Aufbruch der Chichimeca. 247
1 Feuerstein 1376 Untergang der Mizquica. 248
2 Haus U 77 Untergang der Chimalhuaque. 248
3 Kaninchen 1378 Untergang der Xochmilca und der Quauhtinchantlaca; mit ihnen wird dei von Quaquauhtzin errichtete Tempel in Tlatelolco eingeweiht. 248
5 Feuerstein 1380 Untergang der Cuitlahuaca. 248
6 Haus 1381 Untergang des Quauacatl. 248
7 Kaninchen 1382 Überschwemmung; Wasserschaden. 248
8 Rohr 00 Hungersnot; die Mexikaner essen Algen, Muscheln, Wasserschwämme. 248
10 Haus 00 Ln Das Hochwasser verläuft sich; die Umfriedungen liegen zerstreut umher. 248
12 Rohr Ukí 00 Tod des Königs Acamapichtli von Tenochtitlan nach zijähriger Regierung. 249
3 Rohr I39I U itzihuitzin wird König in Tenochtitlan. 230
10 Kaninchen 1398 Untergang der Quauhtinchantlaca und Gefangennahme des Königs Tecuht- lacogauhcatzin und seiner Tochter Tepexotziw, Opferung der Mexikaner in Coyoacan. 251
11 Rohr U399 Opferung von Mexikanern in Azcapotzalco. 251
12 Feuerstein 1400 Empörung der Chalca. 25I
1 Kaninchen 1402 ereignete sich nichts. 252
2 Rohr 1403 Die Mexikaner vollziehen ihre Jahresbindung. 252
7 Feuerstein 1408 Abtretung der Küste an die Chalca. 252
8 Haus 1409 l'od des Königs Quaquauhtzin von Tlatelolco nach öojähriger Regierung; sein ältester Sohn Tlacateotzin wird König von Tlatelolco. 253
17 Baeßler-Archiv.
ERNST MENGIN
I 24
Zeitrechr aztekische mng christliche Unos Annales Históricos de la Nación Mexicana Nachweis im Text §
11 Feuerstein 1412 Tod des Königs Uüzihuitzin von 7enochtitlan nach 22jähriger Regierung. 256
12 Haus Untergang der 7ollantzinca. 256
13 Kaninchen I4I4 7enochtitlan liegt 4 Jahre verlassen da; nach dem Untergang der 7ollan- tzinca gab es keinen König mehr. 256
1 Rohr 1415 Chimalpopocatzin wird König. 257
2 Feuerstein 1416 Weggang der Xaltocameque und ihre Niederlassung in 7laxe alian. 257
10 Feuerstein !424 Untergang der Auilizpaneca. 257
12 Kaninchen 1426 Tod des Te(0(omoctzin, Königs von Azcapotzalco; Untergang der 7oltitlan- calque. Tod des Chimalpopocatzin moquechmecani und seines Generals, des 7lacatecatl Teuhtleuacatzin. 258
13 Rohr r427 Tod des 7lacateotzin nach 2ojähriger Regierung und Tod des Ixtlixochitzin, des Herrschers von Colhuacan; Ankunft des Aegaualcoyotzin-, Quauhtlatoua- tzin wird König in 7latelolco und Itzcouatzin in 7enochtitlan. 259/60
1 Feuerstein 1428 Untergang der 7epaneca-, Tod des Königs Maxtlaton von Coyouacan. 260
2 Haus H29 Untergang der Coyouaque. Mixcouatl begründet das Königtum in Xilo tepec. 261
3 Kaninchen H3° Untergang der Acolhuaque. 261
4 Rohr I431 Negaualcoyotzin begründet das Königtum, in Acolhuacan mit Hilfe von Quauhtlatouatzin und Itzcouatzin. Sammlung der zerstreuten Acolhuaque. 262
5 Feuerstein H32 Ausschweifungen der Matlatzinca und deren Untergang. 263
6 Haus 1433 Untergang des Quauhnauacatl. 264
7 Kaninchen H34 Ankunft des 7ecpanecatT, Regierungsantritt des Königs 7otoquiuatzin in 7lacopan; Untergang der 7otomiuaque. 264
8 Rohr H35 Errichtung des Tlacatecco-Tempeis in 7tgaapan. 264
10 Haus H37 Tötung des Quauhtemoctzin, Königs von Cuitlauac. 264
12 Rohr *439 Tod des Itzcouatzin nach I3jähriger Regierung. 265
13 Feuerstein I44° Regierungsantritt des Königs Ueuemotecu^omatzin. 265
1 Haus I44I Vernichtung des Cuetzpaltzin, Herrschers von Quauhtepec. 266
2 Kaninchen r442 Tod des Ceollintecuhtli. 266
10 Kaninchen 1450 Hungersnot; großes Sterben der Wassertiere. 266
11 Rohr 1451 Frostwetter. 266
12 Feuerstein !452 Frost und Erfrieren des Maises. 266
13 Haus 1453 Frost und Erfrieren des Maises. 266
1 Kaninchen H54 Dürre und Hungersnot. 267
2 Rohr 1455 Die Mexikaner vollziehen ihre Jahresbindung. Regenwetter, Hungersnot. Den Couixca wird der Tribut erhöht. Sie waren eigentlich den Quauhnauaca tributpflichtig, diese aberließen die Tlatelolca und Tenochca am Tribut teilnehmen. 267 267 268
5 Kaninchen 1458 Untergang der Couayxtlauaque. 268
8 Haus 1461 Untergang der Quauhtochca. 268
10 Rohr H63 Die Tlatelolca sind siegreich unter Moquiuixtzin. Untergang der Cuetlax- teca. Es werden 410 Gefangene gemacht. Die Hilfsvölker der Cuetlaxteca, nämlich die Uexotzinca, Tlaxcalteca und Chololteca, werden gleichfalls ge- tötet oder gefangen. 269
11 Feuerstein H64 Die Chalca verlassen ihr verwüstetes Land. 273
13 Kaninchen 1466 Untergang der Tepeyacalque. Tod des Herrschers Chichtli. Mit ihnen wird der Tzompantli-Tempel und das Schlangenhaus in 7latelolco eingeweiht. 273
1 Rohr 1467 Tod des Quauhtlatouatzin von 7latelolco nach 21 jähriger Regierung; Regie- rungsantritt des Herrschers Tzompantecuhtli Moquiuix. 274
2 Feuerstein 1468 Tod des Ueue Motecu^omatzin nach 29jähriger Regierungszeit. 275
3 Haus 1469 Regierungsantritt des Axayacatzin. 275
6 Feuerstein !472 Tod des Queuacatzin, der König von 7enochtitlan werden sollte. 275
III. Tlatelelco verliert seine Selbständigkeit und wird Vasallenstaat von Mt\iko-T enochtitlan.
1473—iS1«-
7 Haus 1473 Streit zwischen den 7enochca und den Tlatelolca. Tod des Königs Mo- quiuixtzin von Tlatelolco nach ijähriger Regierung. Regierungsantritt des
Gouverneurs Tlauelloctzin.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
1 2 5
Zeitrechnung - - - ' " - 1 " 1 Nachweis
aztekische christliche Unos Annales Históricos de la Nación Mexicana im Text §
9 Rohr !475 Untergang der Matlatzinca. 276
10 Feuerstein H76 Untergang der Ocuilteca. 276
1 Feuerstein 1480 Ereignete sich nichts. 2 77
2 Haus 1481 Tod des Axayacatzm. 277
3 Kaninchen 1482 Tigogicatzin wird Herrscher in Tenochtitlan. 278
4 Rohr 1483 Beginn des Tempelbaues in Tenochtitlan. 278
3 Feuerstein 1484 Opferung von Uexotzincd’s durch die Oztoticpactlaca und Tazteca. 278
Untergang der Chicpantlaca. 278
6 Haus 1485 Tod des Tigogicatzin nach 4jähriger Regierung. Einstellung der Arbeiten am Tempel am Tage 7 Halsbandadler. 279
7 Kaninchen i486 Regierungsantritt des Königs Auitzotzin. 280
8 Rohr 1487 Einweihung des Tempels von Tenochtitlan mit Gefangenen von Tztuhco-
uacan. 280
9 Feuerstein 1488 Untergang der Coyolapaneca. Tod des tlacatecuhtzm Tlaue/uetzin nach I5jähriger Gouverneurzeit; Regierungsantritt des Gouverneurs tlacateca- tzintli Tziuac Popocatzin. 280
10 Haus 1489 Untergang der Cozcaquauhtenanca. 280
11 Kaninchen 1490 Untergang der Chiapaneca. 280
1 Haus 1493 Ereignete sich nichts. 281
2 Kaninchen H94 Streit zwischen den Chololteca und den Tepeacalque. 281
4 Feuerstein 1496 Sonnenfinsternis. 281
3 Haus H97 Untergang der Amaxteca und der Xochitlantlaca. 281
6 Kaninchen 1498 Auitzotzin erklärt Tequantepec den Krieg. 25600 fielen in Apanecan. Auf- stand der Uexotzinca. Toltecatzin wird Herrscher in Chiauhtzinco. 282
8 Feuerstein 1500 Errichtung eines steinernen Dammes im WAsser. 282
10 Kaninchen 1502 Tod des Königs Auitzotzin nach I7jähriger Regierungszeit. 283
12 Feuerstein 1504 Untergang der Achioteca. 284
13 Haus I5°5 Untergang der Qogolteca. Hungersnot. 284
1 Kaninchen 1306 Kanalbau in Chapoltepec. lod des Tlacatecatzintli Tziuacpopocatzin von Tlatelolco nach i9jähriger 285
Gouverneurzeit.
2 Rohr 1507 Die Mexikaner vollziehen ihre Jahresbindung. Untergang der Tecuhtepeca. 285
3 Kaninchen 1510 Untergang der Icpactepeca. 285
7 Feuerstein 1512 Aufstand in Tozac. 285
9 Kaninchen 1514 Untergang der Cuezcoma ixtlauaque. 283
10 Rohr LU5 Unterwerfung der Uexotzinca; Verwüstung des Landes in Iztac tlallocan. oc un
12 Haus 1517 Krieg zwischen den Auayoca und Tenochca. 1200 Gefallene. Totogacatztn wird in Uexotzmco dem Camaxtli geopfert. 286
13 Kaninchen 1518 Erstes Erscheinen der Spanier auf dem Meere. Mexikaner kommen um. 287
IV. Ankunft der Spanier und Zerstörung von Tlatelolco-Mexico durch die spanischen Eroberer.
i Rohr
2 Feuerstein
3 Haus
4 Kaninchen
1519
1520
1521
1522
1519—1522.
Die Spanier landen in Tecpan tlayacac. Die Cuextlateca gehen ihnen ent-
gegen.
Im Monat Quecholli, am Tag 8 Wind langt Cortes in Tenochtitlan an.
Der Stellvertreter des Cortes, Don Pedro Alvarado, läßt Motecugoma und den
Gouverneur Tlacochcatl Itzquauhtzin von Tlatelolco in Ketten legen.
Tod des Motecugomatzin. Tod des Gouverneurs von Tlatelolco, des Tlacoch-
calcatl Itzquauhtzin.
jtägiger Kampf gegen die Spanier in Tlacopan.
Bürgerkrieg der Tenochca.
Die Tenochca geben Tenochtitlan auf und suchen in Tlatelolco Unterschlupf.
Im Jahre 3 Haus, am Tage 1 Schlange, dem „kleinen Fotenfest“ der Mexi-
kaner erfolgt die völlige Vernichtung Tlatelolco’’s durch die Spanier.
Der König Quauhtemoctzin von Tenochtitlan-Tlatelolco wird mit glühenden
Eisen gefoltert und an einem Balken des Palastes des Auitzotzin aufgehängt.
Rückwanderung des vertriebenen Volkes nach Tlatelolco. Temillotzin läßt
sich in Capoltitlan nieder.
288
289
292
302
303
308/309
318
371
381/382
17
ERNST MENGIN
I 26
Überblicken wir diese Geschichtstabelle als ein Ganzes, so fällt uns sofort auf, daß
unsere Handschrift anstelle der farblosen und im Grunde nichtssagenden Bezeichnung als
,,Unos Annales Histöricos de la Nacion Mexicana“ eigentlich richtiger
„Geschichte von Tlatelolco“
heißen sollte. Denn das war das Anliegen und die Absicht des anonymen Verfassers unseres
Geschichtsbuches, die Geschichte des Stadtkönigtums von Tlatelolco zu erzählen, von den
ersten Anfängen bis zu seiner Zerstörung durch die spanischen Eroberer. In feiner drama-
tischer Komposition hat er den weitläufigen geschichtlichen Stoff bearbeitet und trägt ihn
mit erstaunlicher Ausdruckskraft seinen Lesern vor, so daß man unwillkürlich die Spannung
der geschichtlichen Ereignisse unmittelbar miterlebt, eine Spannung, die sich bis zu tiefer
Ergriffenheit für den unbefangenen Leser steigert, wo er die schmerzliche Tragödie der grau-
samen Vernichtung und Zerstörung seiner Heimat durch die Conquistadoren schildert. Einen
besonderen Reiz geben seiner Darstellung die eingestreuten Heldenepen. Das große Helden-
epos §§ 233—239 kann wohl ohne Übertreibung als eine Perle der Weltliteratur bezeichnet
werden.
Da eine detaillierte historisch-kritische Untersuchung der Eülle von geschichtlichen
Daten, die uns der Verfasser unserer Handschrift überliefert in dem dieser Arbeit zu Gebote
stehenden Rahmen leider nicht möglich ist, müssen wir uns damit begnügen einige Stich-
proben zu machen, um auf diese Weise die historische Zuverlässigkeit dieser altmexikani-
schen Annalen zu überprüfen. Sie reichen vom Jahre 1 Rohr (1155) bis zum Jahre 4 Kanin-
chen (1522), erstrecken sich also über einen Zeitraum von 367 Jahren.
2. Abschnitt.
Historisch-kritische Untersuchung der wichtigsten Ereignisse.
Aus der großen Flut der uns in unserer Handschrift mitgeteilten Geschehnisse ragen
vor allem vier Ereignisse hervor, die als Marksteine und Wendepunkte im Leben des Volkes
von Tlatelolco anzusehen sind und darum unser besonderes Interesse beanspruchen und zu
einer historisch-kritischen Untersuchung uns direkt herausfordern, nämlich:
1. der Aufbruch des Volkes von dem mythischen Ursprungsort Chicomoztoc und
die sich daran anschließenden Wanderjahre,
2. der 42jährige Aufenthalt in Chapoltepec und ihre vernichtende Niederlage daselbst
durch die Colhuaca im Jahre 1298, die die Gefangennahme ihres Königs Uitziliuitl
und seine Opferung im Gefolge hat,
3. die Niederlassung und Ansiedlung des Volkes in Tlatelolco-Xalliyacac, „am Sand-
vorsprunge“, dem Nordwestende der Insel,
4. der Untergang des selbständigen Stadtkönigtums von Tlatelolco unter Moquiuix,
wodurch Tlatelolco ein, von Mexico-T enochtitlan abhängiger Vasallenstaat wird,
verwaltet von Statthaltern der Könige von Mexico-T enochtitlan,
5. die völlige Vernichtung ’Tlatelolco'1 s durch die Spanier im Jahre 1521, gekennzeich-
net durch die Folterung und Tötung ihres letzten indianischen Königs Quauhte-
moctzin.
Wie steht es mit der Glaubwürdigkeit dieser Angaben und damit zugleich mit der Zuverlässig-
keit unserer Handschrift als Geschichtsquelle des alten Mexiko ? Da solche einschneidende
Ereignisse im Leben des aztekischen Volkes sich nicht unbemerkt abgespielt haben können,
müssen sie auch in anderen aztekischen Geschichtsquellen aufgezeichnet und der Nachwelt
überliefert worden sein und wir haben auf diese Weise die Möglichkeit zu ihrer Überprüfung.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
i 27
I.
Der Aufbruch des Volkes von dem mythischen Ursprungsort Chicomoztoc und
die sich daran anschließenden Wanderjahre.
Wenden wir uns daher einmal zuerst dem Bericht des Verfassers unserer Hand-
schrift über die Vorgeschichte seines Volkes -zu. Nach seiner Angabe sind es die folgenden
14 Stämme gewesen, die im Jahre 1 Rohr (A. D. 1155)1 von Chicomoztoc, dem Orte mit
den 7 Höhlen auf die Suche nach neuen Wohnplätzen ausgezogen:
Azcapotzalca
Xochmilca
Cholea
Acolhuaque
5. Uexotzinca
6. Colhuaque
7. Cuitlauaca
8. Mizquica
9. Quauhnauaca
10. Couixca
11. Matlatzinca
12. M aliñóle a
13. Michuaque
14. Matlacteçacauaque.
Demgegenüber nennt eine verwandte Quelle, der Codex Boturini, wie schon Ed. Seler
(a. a. 0. S. 1039) hervorgehoben hat nur die folgenden 8 Stämme:
1. Uexotzinca 2. Chalca 3. Xochmilca 4. Cuitlauaca 5. Malinalca
6. Chichimeca 7. Tepaneca 8. Matlatzinca.
Wir finden hier also eine Reihe von Stämmen, wie die Colhuaque und die Stämme der
1 ierra caliente, die Quauhnauaca und Couixca, sowie die fremdsprachlichen Michuaque,
samt den Matlacteqacauaque neu hinzugefügt.
Diese \ iclzahl von Stämmen ist auffallend, wenn wir dabei noch die Angaben des Codex
Ramirez, dci Histona I olteca-Chichimeca und der Historia de los Mexicanos por sus
pinturas zum Vergleich mit heranziehen:
Codex Ramirez:
1. Xuchmilcas
2. Chalcas
3. Aepanecas
4. Culhuas
5. Alalhuicas
6. Alaxcaltecas
7. Mexicanos
Historia Tolteca
Chichimeca;3
1. Malpantlaca
2. Texcalteca
3. Quauhtinchantlaca
4. Aotomiuaque
5. Acolchichimeca
6. Azauhcteca
7. Çacateca
Historia de los
Mexicanos :4
1. Colhuaque
2. Suchimulca
3. Atitlalabaca
4. Mizquique
5. Chalca
6. Aacuha
7. Azcapuzalca
8. Tenpaneca.
M , . "gnügt sich damit (a. a. O. S. 1039) zu bemerken, daß diese in unserem
anus npt gege ene Liste eine reichere und vollständigere wäre. Dies ist an sich richtig,
ennoc 1 mu man sich tragen, ob in dieser Erweiterung der Liste nicht zugleich ein Abgehen
von der alten festgefügten Tradition vorliegt. Denn der ursprünglichen Stammesüberliefe-
rung hegt der Gedanke zugrunde, daß es ein Ort mit 7 Höhlen war, von dem die Stämme
auszogen, daß es also auch nur 7 Stämme gewesen sind, die in den 7 Höhlen gehaust haben.
Daß diese Auffassung sich mit der Urtradition deckt, geht deutlich aus einem Bild der
Historia I olteca-Ghichnneca hervor, wo wir Chtcomoztoc, den Ort mit den 7 Höhlen abge-
1 et st rn un vertei t in jede Emzelhöhle 1 Stamm5. Ich möchte also in diesem Verlassen
der Siebenzahl der Stamme ein Verblassen des alten Mythus sehen und eine spätere Aus-
1 Seler’s Angabe (a. a. 0. S. 1039), daß die Stämme
1 Feuerstein (A. D. 1168) aufgebrochen seien, ist nach
§ 105 nicht zutreffend. Doch sei die Lektüre seines
Akademievortrages allen, die sich näher mit dieserHand-
schrift befassen wollen, dringend empfohlen, da sie
viele wertvolle Beobachtungen enthält, auf die in diesem
Kommentar nicht eingegangen werden konnte.
2 a. a. O. S. 7.
3 a. a. 0. S. 41 u. Tafel VII.
4 a. a. 0. S. 92.
5 K. Th. Preuß und Ernst Mengin; Die mexikanische
Bilderhandschrift Historia Tolteca-Chichimeca, Teil I,
Abbildung: Tafel VII.
128
ERNST MENGIN
Schmückung. Wie es überhaupt unserem Autor offenbar weniger darauf ankam, das Mythi-
sche in seiner Darstellung zu bringen, als vielmehr mit möglichst genauem historischen
Material aufzuwarten. Es liegt dies also ganz auf der Linie dessen, was wir schon als allge-
meine Beobachtung ausgesprochen haben, daß nämlich im Unterschied zur Historia Tolteca-
Chichimeca und den „Anales de Quauhtitlan“ unsere Handschrift arm ist an mythologischen
Überlieferungen.
Eine sehr erhebliche Rolle in den altaztekischen Geschichtsbüchern spielt der Wander-
bericht, das heißt die Aufzählung aller Orte, die die Stämme nach ihrem Aufbruch von
Chicomoztoc berührten, bis sie ihre festen Wohnsitze erlangten. Auch in diesem Punkte
variieren die einzelnen Quellen sehr stark, wie die folgende Übersicht erkennen läßt:
hende Übersicht über die Stationen, die die Mexikaner auf ih
Wanderschaft zu ih: ren festen Wohnsitzen berührten.
1. 2. 3-
Anales de Historia de los Unos Anuales
Quauhtitlan: § 22§ Mexicanos d Históricos:
Aztlan Aztlan | Aztlan f
Quahuitlicacan Quauhsticaca Chicomoztoc
cTepetl imonamiquiya Chi c omuxto que Quetzaltepec
Aepetl moxcaliuhca Cuatlic amat Alatzallan
Cohuatl yayauhca M atlauac ala U axquauhtla
Zacatepec 0 coqaca Couatl icamac
Aematlahua calco C 0 ateh e que M atlauac alian
C ohuatep e c Chimalco que 0 co f a cap an
Chimalcotitlan Ensi cox C ouatepe c
Alemaco (§ 251) T lemaco Chímale 0 c
A ollan A litlalaquia A lemaco
Atitlalaquiyan (§ 257) Aula A ollan (§ 118)
Quauhtitlan A totoniltengo A tlitlallac
Citlaltepe c Ae cuzquiac Atotoniltonco
A zompanco A pazco A pazco
E catepe c Zump ango A e quixquiac
A titlan A lilac A lillac
A olpetlac Quatitlan Citlaltepe c
Chiquiuhtepetitlan Ecatebeque A zompanco
7ecpay0can N epopoualco Nextlatilco
Aepeyacac Marin aleo A olpetlac
Pantitlan Cimalpal N epopoualco
Popotla A colnahuac Visachichititlan A e cp ay 0 c an
Chapoltepec (§ 275) Aeubulco Aenayucan Aepexaquilla Peñol Chapultepeque Huauhquil tlotli A colnauac A etepetzinco Ch apoltep e c (§ 125).
1 a. a. O. S. 93.
2 Zwar wird in der Überschrift, welche sich nicht im
Original, sondern nur in der Kopie 22bis vorfindet (vgl.
§ 103 und Anm. 3) angekündigt, daß wir darüber unter-
richtet würden, wie das Volk von Teocolhuacan und
Aztlan hergekommen sei. In Wirklichkeit aber beginnt
der Wanderbericht mit dem Auszug der Mexikaner von
Chicomoztoc.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
I 29
Wie schon Ed. Seler (a. a. 0. S. 1040) richtig hervorgehoben hat, ist der Weg, den die
wandernden Stämme nach ihrem Aufbruch nehmen in der Hauptsache in allen Quellen der
gleiche, vonderNaturvorgezeichnete „durch das Seengebiet von Tzompanco, Xalto c an, E catepe c
an das Nordufer des alten Salzwassersees, der die Mitte und den tiefsten Teil des abflußlosen
Beckens des Tales von Mexiko füllt und an seinem westlichen Teil herunter bis Chapoltepec
///Will in'.....
Qvuxuhximalp
n" y V^Mexicauxuicu
Séuvk'Tíí '''?
Uped regal Mß, ! /
' " 2 TKochimilco /
jV. fy s^Mi^Toâàhuagpjifi
WA ® ir
{Mhimalhuacari
,w
jqIz JfT-àÉS
Jztapcdocan
Jko
Das Hochtal von México in vorspanischer Zeit, und der Weg, den die Azteken nahmen, um von
Toll an nech Colhuacan, und von dort nach der Insel im See zu gelangen, wo die Stadt México
gegründet wurde. (Aus Ed. Seler: Gesammelte Abhandlungen Bd. II, Seite 41).
130
ERNST MENGIN
Ein Blick in die vorstehende Übersicht zeigt, daß der Verfasser unserer Handschrift
in der Wiedergabe der Stationen der Wanderschaft außerordentlich zuverlässig ist und seine
Angaben sich genau mit den Überlieferungen decken, die uns die alten mexikanischen Ge-
schichtsschreiber überliefern.
Interessant ist auch ein Vergleich der Orte, die unsere Handschrift nennt, mit den Orten,
die in einer anderen wertvollen alten Bilderschrift genannt werden, nämlich dem Codex
Boturini.
Diese alte Bilderschrift zeigt uns die Hieroglyphen folgender Orte, welche die Mexikaner
besuchten, bevor sie nach Tollan gelangten:
1. quauitl itzintla, „am Fuße des (geborstenen) Baumes“; Westen,
2. mimixcoua intlalpan, ,,das Land der Sterngötter“; Norden,
3. cuextecatl ichocayan, „der Ort, wo die Huaxteken weinen“; Osten,
4. couatl icamac, ,,im Rachen der Schlange“; Süden.
Man sieht, daß unsere Handschrift hier ein viel umfassenderes Material besitzt, denn
sie nennt uns statt vier sogar acht Wegstationen, welche die Mexikaner zurücklegen, bevor
sie nach Th ollan kommen:
1. Tlatzallan, „die Schlucht zwischen den Bergen“,
2. uaxquauhtla, „am Akaziengehölz“,
3. couatl icamac, „im Rachen der Schlange“,
4. matlauacallan, „im Lande der Jagdtasche“,
5. oco^acapan, „am Kieferngras“,
6. couatepec, „am Schlangenberg“,
7. chimalcoc, „am Schildort“,
8. tlemaco, „am Räucherbecken“.
Mit Rücksicht darauf, daß diese reichere Zahl von Orten in einer so wichtigen Quelle,
wie sie die „Historia de los Mexicanos por sus pinturas“ darstellt, belegt ist, werden wir zu
der Annahme gedrängt, daß der Autor unserer Handschrift über sehr altes, wichtiges Quellen-
material verfügt, wie es uns anderwärts nicht geboten wird. Denn diese „Historia de los
Mexicanos por sus pinturas“ war, wie schon Ed. Seler (a. a. 0. S. 1041) betont, nichts
anderes, als eine Erklärung zu einer alten Bilderschrift, die uns leider verloren gegangen ist,
die aber ebenfalls wie unser Geschichtsbuch in Tlatelolco entstanden sein dürfte. Der Ver-
fasser unserer Annalen macht uns also hier längst verschüttetes altes Material neu zugäng-
lich und sein Werk bildet eine wertvolle Ergänzung zu den übrigen uns bisher bekannten
Geschichtsquellen des alten Mexiko.
2.
Der 42jährige Aufenthalt in Chapoltepec und die vernichtende Niederlage der
M exikaner daselbst.
Die lange Wanderung der Stämme kommt nach dem Bericht unseres Autors zum
Stillstand in Chapoltepec, dem „Heuschreckenberg“ am Westufer des alten Sees, wo die
Mexikaner nach seinen Angaben ereignisreiche Jahrzehnte zubringen. Im Unterschiede
zu dem Codex Boturini, der diesen Aufenthalt sich auf 20 Jahre erstrecken läßt (A. D.
1332—1351)? beziffert der Verfasser unserer Annalen ihn auf 42 Jahre, nämlich von 1256 bis
1298 (§ 145). In diese Jahre fällt jenes Geschehnis, das sich an die Person des Copil knüpft.
Da wir uns damit schon im ersten Teil unseres Kommentars, der der mythologischen Seite
unserer Handschrift gewidmet war, näher befaßt haben, können wir uns hier mit dem Hin-
weis auf das dort Gesagte begnügen.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
!3I
Dagegen, verdient hier noch Erwähnung eine andere, offenbar mehr historische Begeben-
heit, das Auftreten eines fremden Eroberers namens Timal, der im Jahre 1290 in Cholollan
vernichtet wird, nachdem er vorher Quauhnauac erobert hat. Dieser Timal wird in § 136
unserer Urkunde als ein „Nonoualcatl“ bezeichnet. Dies ist insofern interessant, als die Per-
son des Timal auch in einer anderen alten aztekischen Bilderschrift erwähnt wird, nämlich
in der ,,Historia Tolteca Chichimeca“, wo in § 64 die Geburt eines Herrschers der Nonoualca
Timal bezeugt wird. Dort ist auch die Rede von einem Timaltzin, der in Quetzaltepec Herr-
scher ist (§§ 53/54). Es hat also jedenfalls Nonoualca — Fürsten dieses Namens gegeben.
Das zentrale Ereignis dieser erlebnisreichen Jahre des Aufenthaltes der Mexikaner in
Chapoltepec ist aber die vernichtende Niederlage, die sie im Jahre 1 Kaninchen (A. D, 1298)
durch die Colhuaca erleiden, wobei ihr König Uitziliuitl in Gefangenschaft gerät und den
Opfertod durch seine Besieger stirbt. Schon aus dem Bericht des Codex Ramirez, den wir im
ersten Teil dieses Kommentars im Zusammenhang mit dem Copilmythus brachten, wurde
deutlich, daß die Mexikaner in Chapoltepec von den umliegenden Stämmen belagert wurden1.
Da wurde auch schon ihre Besiegung kurz erwähnt, wie die Opferung des Uitziliuitl nach
seiner Gefangennahme. Doch finde ich noch zwei weitere Belege in alten Quellen für das in
Chapoltepec Vorgefallene. Die erste Quelle, die „Historia de los Mexicanos por sus pinturas“
(a, a. 0. S. 96) weiß darüber zu berichten, daß zu der Zeit, als die Mexikaner in Chapoltepec
waren, sich die dort wohnenden Chichimeca sammelten, sie überfielen und ihr Lager in Chapol-
tepec am Mittag einnahmen. Als es dunkel wurde, so lesen wir da, vernichteten sie die Mexi-
kaner, die mit Ausnahme von Wenigen, die sich ihnen durch die Flucht entziehen konnten,
getötet wurden. Diese Flüchtlinge hätten sich im Röhricht der Lagune verborgen und die
Chichimeca hätten ihre Tempel verbrannt. Die Tochter des Uitziliuitl und ihn selbst aber
hätten die Leute von Xaltocan gefangen genommen. Diese Gefangenen hätten die Leute
von Colhuacan getötet. Die aber, welche durch die Flucht entkommen wären, hätten sich
80 Tage im Röhricht verborgen und nur Kräuter und Schlangen gegessen und das Idol des
Uitzilopochtli mit sich geführt. Infolge ihres Hungers wären schließlich die Mexikaner aus
ihrem Verstecke hervorgekommen, um in Colhuacan Nahrung zu suchen. Sie hätten zu den
Colhuaque gesagt, daß sie ihnen dienstbar sein wollten und daß man sie daher nicht töten
solle. Diese Nachricht in der ,,Historia de los Mexicanos por sus pinturas“ bestätigt in jeder
Hinsicht die Darstellung unserer Handschrift. Die andere wichtige alte Quelle, die die hier
geschilderten Geschehnisse bezeugt, ist das Geschichtswerk der „Anales de Quauhtitlan“.
• Die Datierung ist eine völlig verschiedene von unserer Handschrift. Denn das Erscheinen der
Mexikaner in Chapoltepec wird in das Jahr 1 Kaninchen (A. D. 1194) verlegt, also 52 Jahre
vorher. In § 294 wird dann in lapidaren Sätzen gesagt: ,,In diesem Jahre (1240) überzog
man rings mit Krieg die Mexitin dort in Chapoltepec, als man schon sehr beunruhigt war.
§ 295 ; „Und es machten ihnen (den Mexitin) Krieg: die Leute von Colhuacan, Azcapotzalco,
die Leute von Xochimilco, die von CoyouacanX Uber die Gefangennahme des Uitziliuitl
weiß diese Quelle in § 300 zu melden: „Als der König Quinatzin ihnen die Mexitin mit Ge-
walt abnahm, war eine Jungfrau (der Mexitin) die Gefangene der Leute von Xaltocan, namens
Chimallaxochtzin, die Tochter dessen, der in Chapoltepec Herrscher gewesen war und die
Macht ausgeübt hatte, mit Namen HuitzilihuitzinX Neben diesen mehr sporadischen Mit-
teilungen über die Vorkommnisse in Chapoltepec bringt aber unsere genannte Quelle in den
§§ 371—38° noch einen mehr zusammenhängenden Bericht über jenen Aufenthalt der
Mexikaner in Chapoltepec. „Hier wird erzählt die Erzählung der alten, in Quauhtitlan an-
sässigen Männer“, so heißt es da, „nebst ihrer geschichtlichen Überlieferung von der Be-
siegung der Mexitin, als diese in Chapoltepec mit Krieg überzogen wurden. Es wird gesagt,
1 a. a. 0. S. 17 ff.
18 Baeßler-Archiv
132
ERNST MENGIN
es wird erzählt; Sie, die Mexitin hatten bereits so 47 Jahre in Chapoltepec sich aufgehalten.
Sie verbreiten (unter den Umwohnern) bereits sehr große und vielfache Unruhe (und) ver-
ursachen starke Bedrängnis, indem sie mit Fremden ihr Spiel treiben, indem sie eilends
wegnehmen, indem sie fortholen die Weiber andrer, die Mädchen andrer und vielfach sonst
mit den (fremden) Leuten ihr Spiel treiben. Da ergrimmten die Tepaneken in Tlacopan,
Azcapotzalco, Coyohuacan, Colhuacan. Da beratschlagten sie sich zusammen (und) trafen die
Übereinkunft, daß die Mexitin gerade in der Mitte (auf dem Platze) zugrunde gehen sollten.
Es sprachen die Tepaneca: „Laßt uns die Mexitin unterwerfen! Was haben die zu tun, die
sich zwischen uns niederzulassen gekommen sind! Laßt sie uns gefangen fortführen! Aber
damit dies geschehen kann, ist es nötig, zuerst daß wir ihnen die Männer entlocken, müssen
wir ihnen verkünden, es solle so geschehen, daß wir zum Schein Krieg führen mit Colhuacan,
(und) daß wir sie (die Mexitin) zuerst schicken wollen. Und wenn sie ausgezogen sind, dann
wollen wir ihnen die Weiber rauben.“ Einverstanden waren die Leute von Colhuacan. So
geschah es. Darauf forderten sie die Mexica zum Kriege auf, daß sie zuerst gehen sollten,
Colhuacan mit Krieg zu überziehen. Sie (die Tepaneca) sprachen zu ihnen (den Mexitin):
„Zuerst sollt ihr einen Ausfall machen, damit ihr auskundschaftet (die Gelegenheit für uns),
die wir Colhuacan mit Krieg überziehen werden!“ Und da zogen die Mexikaner fort, gingen
in den Krieg. Wohl vorbereitet traten ihnen entgegen die Leute von Colhuacan. Aber die
Tepa-neca fielen darauf her über die Weiber (der Mexitin) in Chapoltepec; Ganz und gar bis
auf die letzte raubten sie sie. Und nachdem sie sie verstreut hatten, da bedauerten sie sie
(hatten sie Mitleid darüber), daß dort die Mexitin zugrunde gehen, daß sie von den Be-
wohnern Colhuacans angegriffen werden. Im folgenden ist ein volles Stück eines Gesanges
zu hören:
„Durch den Schild, hierhin — dorthin gewendet
Da gingen wir zugrunde
Beim Felsen von Chapoltepec,
Wir Mexikaner, holla !
Elin nach vier Seiten
Entführt sind die Söhne (der Fürsten).
Es gehet und weinet
König Huitzilihuitl,
Eine Fahn’ in die Hand ihm (als Opferzeichen)
Legt’ man in Colhuacan.“1
Dieser Bericht in den „Anales de Quauhtitlan“ bestätigt in vollem Umfange die Ereignisse,
die uns auch der Autor unserer Handschrift überliefert, ja bringt sogar einige Verse des
Heldenepos, das offenbar allgemein bekannt war.
Die Zeit der Botmäßigkeit der Mexikaner unter den Colhuaque ist mit Berichten über
Helden- und Wundertaten reich ausgesponnen. So hätten die Mexikaner die Xochimilca
besiegt und ihnen die Ohren auf der einen Seite abgerissen und sie als Trophäen den darüber
bestürzten Colhuaque gebracht.
Daß es sich hier um alte Stammesüberlieferungen handeln muß, geht daraus hervor,
daß dieses Ereignis uns sowohl von den „Anales de Quauhtitlan“ (§§ 381—386), wie auch
von der „Historia de los Mexicanos por sus pinturas“ (Seite 97) bezeugt wird. Während die
erstgenannte Quelle die Zahl der abgerissenen Ohren mit 8000 angibt, so daß die Mexikaner
ganze Säcke voll gebracht hätten, begnügt sich die letztere Quelle mit 80.
Daß die Angaben über die Zeit des Aufenthaltes der Mexikaner in Chapoltepec schwan-
ken, haben wir bereits oben gesehen. Während der Codex Boturini ihn auf 20 Jahre (1332
1 .Ich habe hier die Übersetzung Lehmanns unverändert wiedergegeben.
bis 1351) angibt und unsere Handschrift ihn sich über 42 Jahre (1256—1298) erstrecken läßt,
redet der Verfasser der ,,Anales de Quauhtitlan“ gar von 47 Jahren (1194—-1240). (Vgl.
§ 372.) Bei diesen Angaben fällt besonders auf, daß die Periode des Aufenthaltes, seien es
nun 20 oder 42 Jahre, berechnet nach der Jahresangabe in unserer Handschrift teils um
Jahre vorverlegt, teils aber auch um Jahrzehnte zurückverlegt wird. Es ist bei dieser Ver-
schiedenheit der Angaben daher für uns besonders wertvoll, daß wir noch eine weitere
Quelle haben, die zu dieser Frage Stellung nimmt, nämlich die ,,Annales de Chimalpahinu,
die Seite 44 zwar auch den Aufenthalt der Mexikaner in Chapoltepec mit 20 Jahren angeben,
jedoch das Ereignis ihrer Unterwerfung unter die Colhuaca und die Opferung ihres Königs
Uitziliuitl in das Jahr 2 Rohr (1299) verlegen. Wir dürfen daher annehmen, daß die Angabe
unserer Handschrift doch die zuverlässigere ist.
Im Lichte der im Vorstehenden näher namhaft gemachten altmexikanischen Quellen
betrachtet, können wir jedenfalls dem Autor unserer Urkunde das Zeugnis ausstellen, daß
die Nachrichten, die er über den Aufenthalt der Mexikaner in Chapoltepec bringt, nicht nur
durch andere altmexikanische Geschichtsbücher vollauf bestätigt werden, sondern daß er
darüber hinaus offenbar ganz authentisches eigenes Material hat, *ein Material, das unserer
Handschrift einen ganz hervorragenden Platz innerhalb der auf uns gekommenen Ge-
schichtsquellen des alten Mexiko sichert.
3-
in Tlatelolco-Xalliyacac, „am
Die Niederlassung und Ansiedlung des Volkes
Sand vor Sprunge.“
Unter den Ereignissen, die außerdem einen entscheidenden Wendepunkt im Leben des
A olkes von Tlatelolco bedeuten und infolgedessen am besten für eine historisch-kritische
Betrachtung unseres Geschichtswerkes geeignet sind, haben wir an dritter Stelle genannt:
„die Niederlassung und Ansiedlung der Mexikaner in Tlatelolco-Xalliyacac, „am Sandvor-
sprunge“ und die Begründung des Königtums von Tlatelolco,“
Nach den Angaben unseres Autors hätten sich die Mexikaner im Jahre 1 Haus (A. D.
1337) von den Tenochca getrennt und in Tlatelolco-Xalliyacac niedergelassen. Und im Jahre
1 Kaninchen (A. D. 1350) hätten sie vom König Teco^omoctzin sich seinen SohnEpcouatzin
Quaquauhpitzauac zum König erbeten.
Finden diese Angaben unseres Verfassers eine Stütze in anderen altmexikanischen
Geschichtsquellen ?
In der Tat berichten die „Anuales de Chimalpahin“ (a. a. O. S. 60): „1 colli xihuitl
(1337)“, d. h. Jahr 1 Haus (A. D. 1337) trennten sich die Mexikaner, genannt Tenochca, und
ein Teil ließ sich in Xaltilulco nieder.“
Auch die zweite Angabe unserer Handschrift läßt sich aus altmexikanischen Geschichts-
werken belegen. Denn in den „Anales de Quauhtitlan“ (a. a. 0. § 576a) heißt es; „1 Kanin-
chen (1350 A. D.). Im(J.) 1 Kaninchen da nahmen sich die Tenochca einen König, damals als
Acamapichtli den Thron von Tenochtitlan bestieg.“ Hier wird freilich im Unterschied zu
unserer Urkunde, die Acamapichtli erst 1367 König der Tenochca werden läßt, dieses Ge-
schehnis vorverlegt um 17 Jahre, doch läßt diese Stelle in den „Anales de Quauhtitlan“
immerhin erkennen, daß 1350 der Beginn des Königtums war. Übrigens haben wir weitere
Anhaltspunkte in der schon genannten „Historia de los Mexicanos por sus pinturas“ (a. a.
O. S. 98/99), die auch den König Tegogomoctli von Azcapotzalco nennt und Quaquauhpitzauac,
den sie zu Quaquanpuanaque verballhornt. Uber ihn sagt sie „Quaquanpuanaque fue segundo
señor de los del tatilulco (sic !). „que les dió el señor de escapugalcoX
18*
134
ERNST MENGIN
4-
Der Untergang des selbständigen Stadtkönigtums von Tlatelolco unter
Moquiuix.
Ein weiterer Markstein in der Geschichte von Tlatelolco ist der Verlust seiner Selb-
ständigkeit unter seinem König Moquiuixtzin. Diese Begebenheit verlegt unser Autor in
das Jahr 7 Haus (A. D. 1473). Hier bewegen wir uns schon in historisch sicheren Regionen.
Dementsprechend sind die Belegstellen verhältnismäßig zahlreich. So berichten die „Anales
de Quauhtitlan“ (a. a.O.§ 1135: „7 Haus (1473 A. D.). In diesem Jahr gerieten aneinander die
Tenochca und Tlatelolca zur Zeit der Regierung des Königs Axayacatzin (von Mexiko).“
Ebenso meldet Chimalpahin (a. a. O. S. 133): „Jahr 7 Haus, 1473. Damals wurden die
Bewohner von Chiapan unterworfen, ebenso wie die 'Tlatelolca und man schloß Moquiuix,
den König von Tlatelolco im Tempel ein.“ Neben diesen Berichten haben wir Mitteilungen
über diesen Vorfall sowohl bei Tezozomoc1, wie auch bei /xtlixochitl2,. Im übrigen ist dieses
Ereignis so allgemein Bekannt, daß wir uns hier ein weiteres Eingehen auf die näheren
Begleitumstände, die zum Tod des Moquiuix führten, schenken können.
5-
Die völlige Vernichtung Tlatelolco’’s durch die Spanier-im Jahre 1521.
Das letzte große historische Ereignis, die Zerstörung Tlatelolco’’s durch die spanischen
Eroberer verlegt unsere Geschichtsurkunde in das Jahr 3 Haus (A. D. 1521). Sie wird uns
auch bezeugt in der schon mehrmals erwähnten Geschichtsquelle des Chimalpahin (a. a. 0.
S. 193). Was uns aber den Bericht in unserem Geschichtsbuche so wertvoll macht, ist die
Tatsache, daß hier der Autor nicht Gehörtes wiedererzählt, sondern uns in ergreifender
Weise das schildert, was er mit eigenen Augen gesehen, hat. Denn in einer spanischen Rand-
bemerkung wird in unserer Urkunde § 346 Anm. 8 die Anonymität unseres unbekannten
Geschichtsschreibers etwas gelüftet und gesagt ,,esto escribió el que la vio“, „der dies
schreibt, hat es gesehen.“
Fassen wir den Befund der historisch-kritischen Untersuchung der wichtigsten ge-
schichtlichen Ereignisse unseres Geschichtswerkes an Hand verwandter altmexikanischer
Geschichtsurkunden noch einmal rückschauend zusammen, so kommen wir zu dem Ergeb-
nis, daß unser Gewährsmann als ein zuverlässiger Kenner der Geschichte seines Landes und
seines Volkes angesehen werden kann und daß seine Darstellung sich aller Wahrscheinlich-
keit nach genau mit den Überlieferungen deckt, die in Tlatelolco aus alter Zeit gesammelt
und in alten Bilderschriften, die uns heute verloren gegangen sind, aufgezeichnet waren. \
Insbesondere wird seine Unabhängigkeit von anderen Geschichtsdarstellungen altmexika-
nischer Provenienz dadurch deutlich, daß er wertvollen Stoff bringt, der sich in anderen
Quellen nicht findet, wie z. B. das große Heldenepos, das die Niederlage der Tlatelolca in
Chapoltepec besingt, wie auch Erzählungen aus der Wanderzeit, die anderwärts bisher noch
nicht nachgewiesen sind.
1 D. Hernando Alvarado Tezozomoc: Histoire du S. 215—247.
Mexique; in: Ternaux-Compans. Paris 1853. BT I, 2 Ixtlixochitl (französische Ausgabe) Bd. II, S. 7.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
135
III. TEIL.
DIE GENEALOGIE DER HERRSCHERHÄUSER.
Nachdem wir in dem vorhergehenden zweiten Teil unseres Kommentars die Chronologie
unserer Handschrift einer kritisch-historischen Prüfung unterzogen haben, haben wir uns
nun abschließend mit dem dritten Hauptbestandteil altmexikanischer Annalenwerke zu
befassen, nämlich der Genealogie der Herrscherhäuser. So arm unser Geschichtsbuch an
mythologischem Stoff ist, so reich ist sein Stoff gerade nach dieser Seite hin. Denn unsere
Handschrift bietet uns nicht nur eine vollständige Genealogie des Herrscherhauses von
Azcapotzalco, sondern darüber hinaus auch die Königslisten von Alatelolco und Aenochtitlan,
mit genauer Angabe der Regierungszeiten der einzelnen Herrscher.
Der bequemeren Übersicht halber lasse ich nachstehend bzw. als Beilage in Tabellen-
form in Abständen
1. die Genealogie von Azcapotzalco
2. die Königsliste von Chapoltepec-Alatelolco
3. die Königsliste von Aenochtitlan
folgen.
1.
Die Genealogie der Dynastie von Azcapotzalco.
Nach den Paragraphen 198—207 unserer Handschrift sind die Mexikaner im Jahre 2
Haus (A. D. 1325) nach A enochtitlan gekommen zu der Zeit, als Acolnauacatzin König von
Azcapotzalco war. Bei ihrer Ankunft hätte das Königtum von Azcapotzalco bereits 170 Jahre
bestanden.
Setzt man als Beginn der Regierungszeit des ersten Herrschers von Azcapotzalco in
Übereinstimmung mit der Zählung unserer Urkunde das Jahr 1152 an, so kommt man auf
das Jahr 1322, ein Datum, das im großen und ganzen dem entspricht, was unsere Quelle
angibt.
Besonders hebt unsere Handschrift den König A egogomoctli hervor, den Sohn des
Königs Acolnauacatzin, und rühmt ihm in § 79 nach, daß er seine Söhne allenthalben als
Herrscher in die umliegenden Stadtkönigtümer ,,hingestreut“ habe.
Es verdient hierzu bemerkt zu werden, daß diese Behauptung unseres Autors auch
anderwärts bezeugt wird, nämlich in den ,,Anales de Quauhtitlan“, wo es in § 719 heißt:
,,Denn solange er (sc. Aego^omoctli) noch da war, er noch regierte, noch zu seinen Lebzeiten,
war er es noch, der als Könige einsetzte seine Söhne (Prinzen) in den Städten, wohin er sie
entsandte, so daß sie dort herrschten.“1 Und nun folgt die Aufzählung von 8 Söhnen nebst
Angabe der Städte, in denen sie Könige wurden.
Vgl. Beilage: „Die Genealogie der Dynastie von Azcapotzalco.“
Aus dem Gesagten dürfen wir mit einiger Bestimmtheit folgern, daß das Herrscher-
haus von Azcapotzalco eine überragende Stellung im Tal von Mexiko eingenommen haben
muß und daß es Ae<;o$omoctli vor allem war, der die Hausmacht seiner Dynastie durch eine
kluge Hauspolitik zu begründen verstand. Im übrigen scheint er sich nicht allzu großer
Beliebtheit bei seinen Untertanen erfreut zu haben, denn die schon in diesem Zusammen-
hang erwähnten „Anales de Quauhtitlanu melden in § 718 im Anschluß an seinen Tod; „Als
er starb, da war allgemeines Aufatmen, das hinter ihm geschah.“
1 W. Lehmann: „Die Geschichte . .“.
ERNST MENGIN
136
Indem er seinen Sohn EpcouatzinQuaquauhpitzauac den Bewohnern von Tlatelolco auf
ihr Bitten hin zum Herrscher gab, ein Ereignis, das unsere Handschrift sehr ausführlich in
den §§ 217-—228 berichtet, wird er zugleich zum Mitbegründer des Herrscherhauses von
'Tlatelolco.
Es ist daher kein Zufall, daß unsere Urkunde das Herrscherhaus von Azcapotzalco
besonders ausführlich behandelt und Details enthält, die wir bei anderen alten Quellen
nicht finden.
Die Schilderung der Verhandlungen mit dem Herrscherhause von Azcapotzalco, die der
Erhebung des Prinzen Epcouatzin Quaquauhpitzauac zum König von Tlatelolco vorausgingen,
sind von außerordentlichem Reiz in unserer Handschrift, weil sie uns nicht nur mit den
Methoden der indianischen Hofdiplomatie bekannt machen, sondern uns darüber hinaus
auch einen tiefen Blick tun lassen in das Leben an altindianischen Fürstenhöfen mit ihrem
Zeremoniell, das ein hohes kulturelles Niveau verrät.
2.
Die Königsreihe von Chapoltepec-Tlatelolco.
Die Königsreihe von Ch apoltepe c-T latelolco auf Grund der „Unos Annales Histöricos de la Nacion
Mexicana.“
(Die Handschrift enthält zwei voneinander abweichende Überlieferungen, die hier vergleichsweise einander gegen-
übergestellt werden).
Tradition A Regierungs- zeiten Nachweis im Text § Tradition B Regierungs- zeiten Nachweis im Text §
Herrschaft von Herrschaft von
Ch apoltepe c: Ch apoltepec:
T ozcuecues 1256—1275 1 T ozcuecues 1251—1280 I23/I24/I36
Uitziliuitl—1 Kaninchen 1275—1298 2 Uitziliuitl — 1 Kaninchen 1280—1298 136
Königtum von Königtum von
Tlatelolco: Tlatelolco:
Epcouatzin Quaquapitzauac I35°—i4°8 3/4 Epcouatzin Quaquauhtzin1 1350—1409 217/228/253
I Kaninchen — 7 Feuerstein 1 Kaninchen — 8 Haus
Tlacateotzin 1408—1424 5/6/80 Tlacateotzin 1409—1427 255/259
7 Feuerstein — 10 Feuerstein 8 Haus — 13 Rohr
Quauhtlatouatzin 1424—1452 7 Quauhtlatouatzin 1427—1467 259/274
10 Feuerstein — 12 Feuerstein 13 Rohr — 1 Rohr
Moquiuix 1452—1473 8/9/i2/6i/ Moquiuixtzin 1467—! 473 274/276
12 Feuerstein — 7 Haus 76/79/90/94 1 Rohr — 7 Haus
Chichitzin tlacatecatl 16
Quiçemitohuatzin tlacatecatl 16 Statthalterschaft von
Tlacatecatl 16 Tlatelolco :
Tlachcalcatl tlacatecatl 16 Tlauelloctzin !473—!488 276/280
Totoçacatzin tlacatecatl 16 7 Haus — 9 Feuerstein
Tlacatecatl 16 Tziuac Popocatzin 1488—1506 280/285
T tzquauhtzin 16 9 Feuerstein — 1 Kaninchen
Tlacochcatl 16 Tolloquanitzin und der
Teyolcocouatzin 16 Tlacochcalcatl
Tlacochcalcatl —1520 16 Itzquauhtzin2 1506—1520 285/292
Quauhtemoctzin Tlacatecuhtli I7/34/46 1 Kaninchen — 2 Feuerstein 298/302
Xocoyotl 1515—1521 (381/382)
10 Rohr — 3 Haus
Mexicatl Cozoololtic 18
1 In der Tradition B wird der Epcouatzin Quaquauhpit- Itzquauhtzin, erleidet in diesem Jahre den Tod zusammen
zauac häufig Quaquauhtzin benannt. mit seinem königlichen Herrn, Motecugomatzin, dem
2 Der königliche Regierungsbeamte, der Tlacochcalcatl Herrscher von Tenochtitlan.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA T ^7
1 o /
Wie aus der vorstehenden Übersicht hervorgeht, haben wir hinsichtlich der Königs-
reihen von Chapoltepec- Tlatelolco gleich zwei Überlieferungen. Dies erklärt sich aus der
schon erwähnten Tatsache, daß wir es bei unserer Handschrift nicht mit einer Einzelurkunde,
sondern mit einer Urkundengruppe zu tun haben.
Die Tradition A ist in dieser Aufstellung dem ersten Teil unseres Manuskriptes ent-
nommen, während die Tradition B nach dem zweiten Teil gegeben wird. Die Reihenfolge
der Herrscher ist in beiden Fällen dieselbe, doch bestehen hinsichtlich der Regierungszeiten
der Könige gewisse Verschiedenheiten. Besonders hinsichtlich der Regierungszeit des dritten
Königs von Tlatelolco, des Quauhtlatouatzin, ist der Unterschied auffallend. Doch dürfen
wir hier wohl der Tradition B den Vorzug geben, die auch anderwärts, wie z. B. durch
Sahagun gestützt wird.
Doch muß ich hier nochmals auf einen Widerspruch hinweisen, auf den ich schon in
meinem Kommentar zur Historia Tolteca-Chichimeca hingewiesen habe. Der Autor unserer
Urkunde verlegt nach § 251 die Eroberung von Quauhtinchan in das Jahr 10 Kaninchen
(A. D. 1398), und er sagt ausdrücklich, daß Quaquauhtzin bzw. Ouaquauhpitzauac mit den
gemachten Gefangenen den Tempel in Tlatelolco eingeweiht habe. Dieser seiner Angabe
widerspricht aber erstens eine andere wichtige Geschichtsquelle des alten Mexiko, die
Historia Tolteca-Chichimeca, die in § 355 diese Eroberung ausdrücklich dem Quauhtlatoua
zuschreibt und dementsprechend dieses Ereignis in das Jahr- 1350 verlegt, und zweitens die
„Anales de Quauhtitlan“, die in § 643 ausdrücklich gleichfalls betonen, daß in Tlatelolco zu
der Zeit Quauhtlatouatzin König gewesen sei, aber als Datum A. D. 1398 ansetzt, ein Jahr also,
in dem Quauhtlatoua gar nicht Herrscher gewesen ist. Hier stehen sich also die Aussagen
schroff gegenüber und es wird abzuwarten sein, ob nicht weitere Angaben in altmexikani-
schen Quellen ein neues Licht in dieses Dunkel werfen und uns eine endgültige Stellung-
nahme ermöglichen. Persönlich bin ich heute geneigt, dem Autor unserer Handschrift, der
ja vom Standpunkte Tlatelolco' s aus berichtet und wie wir deshalb annehmen dürfen über
die Geschichte seiner Heimat am ehesten Bescheid wissen muß, den Vorzug zu geben und
mit ihm diese Begebenheit unter der Regierung des Ouaquauhpitzauac stattfinden zu lassen.
Hinsichtlich der Statthalter von Tlatelolco weichen beide Traditionen stark voneinander
ab. Da aber die Tradition A keinerlei Datierungen aufzuweisen hat, während die Tradition
B gerade darin sehr genau ist, dürfen wir wohl auch hierin der letzteren den Vorzug geben.
3-
Die Königsliste von Tenochtitlan.
Auch in bezug auf die Königslisten von T enochtitlan, der Schwesterstadt von Tlatelolco,
gibt unsere Handschrift zwei voneinander abweichende Traditionen, die wir der besseren
Übersicht halber in der folgenden Tabelle einander gegenübergestellt sehen.
Betrachten wir diese beiden hier wiedergegebenen Listen der Könige von Tenochtitlan
im Lichte der Überlieferung des ersten Teiles des Codex Mendoza, so ergibt sich eine über-
raschende Übereinstimmung zwischen der Liste der Könige von Tenochtitlan, wie wir sie im
Codex Mendoza vor uns haben und der in unserer Übersicht als Tradition A mitgeteilten
Königsliste.
Zwar nennt der Codex Mendoza nicht die beiden Könige Tlacoten und T euhtleuatzin,
die unsere Handschrift an dieser Stelle als die beiden ersten Könige von Tenochtitlan
bezeichnet. Aber dies bedeutet wenig, da diese Angabe recht unsicher erscheint, wenn man
bedenkt, daß Söhne des Teqo^omoctzin dieses Namens in den oben schon erwähnten Beleg-
stellen nicht Vorkommen, während unsere Handschrift behauptet, sie wären Brüder des
Epcouatzin Ouaquauhpitzauac, und damit Söhne dieses Herrschers gewesen.
ERNST MENGIN
138
Die Königsreihe von Tenochtitlan auf Grund der „Unos Annales Históricos de la Nación
Mexicana“.
(Die Handschrift enthält zwei voneinander abweichende Überlieferungen, die hier vergleichsweise einander gegen-
übergestellt werden.)
Tradition A: Könige u. Re- gierungszeiten Nachweis im Text § Tradition B: Könige u. Re- gierungszeiten Nachweis im Text §
Tlacoten1 11 Haus Teuhtleuatzin1 11 Haus"— 12 Kaninchen 1373 1373—1374 48 48/49
Acamapichtli 1 Feuerstein — 8 Feuerstein F376—U96 48/52 Acamapichtli 5 Rohr — 12 Rohr 1367—1387 245/249
Uitziliuitl 8 Feuerstein — 3 Haus 1396—*4*7 53/54 U itziliuitl 3 Rohr — 11 Feuerstein 1391—H12 250/256
Chimalpopoca 3 Haus — 1 Feuerstein 1417—1428 54/57 Chimalpopocatzin i Rohr — 12 Kaninchen 1415—1426 258
Itzcouatzin 1 Feuerstein — 13 Feuerstein 1428—1440 57/59 Itzcouatzin 13 Rohr — 12 Rohr I41 27—H39 259/265
Ueuemotecugomatzin i3TFeuerstein — 2 Feuerstein 1440—1468 59 U euemotecuçomatzin 13 Feuerstein — 2 Feuerstein 1440—1468 265/275
Axayacatzin 2 Feuerstein — 2 Haus 1468—1481 61 A xayacatzin 3 Haus — 2 Haus 1469—1481 275/277
T içoçicatzin 2 Haus — 6 Haus 1481—1485 62 Tiçoçicatzin 3 Kaninchen — 6 Haus 1482—1485 278/279
Auitzotzin 10 Kaninchen —1502 63 A uitzotzin 7 Kaninchen—10 Kaninchen i486—1502 280/283
Motecuçoma II. 10 Kaninchen — 1 Rohr 1502—1519 65/68 Motecuçomatzin II. 10 Kaninchen—2 Feuerstein3 1502—1520 283/30.2
Quauhtemoctzin 10 Rohr — 3 Haus 1515—15214 * 17/34/46 (381/382) Quauhtemoctzin 3 Haus 1521 368/381/82
Doch darüber hinaus ist die Kongruenz eine sehr intime, ja sie erstreckt sich sogar auch
auf die Angaben der Eroberungen, die die einzelnen Herrscher von Tenochtitlan gemacht
haben sollen, ebenso wie auf ihre Regierungszeiten.
Auf eine weitere bedeutsame Tatsache hat schon Ed, Seler hingewiesen (a, a, 0.
S. 1034/1035), auf das Faktum nämlich, daß in § 4 unserer Handschrift uns von dem ersten
König von Tlatelolco mit Namen Quaquauhpitzauac berichtet wird, daß er den Mizquicatl,
Cuitlauac, Xochimilcatl und Quauhnauacatl besiegt habe, während gleichzeitig in § 51—52
diese Kriegstat dem ersten König von A enochtitlan namens Acamapichtli zugeschrieben
wird, übrigens in Übereinstimmung mit der Überlieferung im Codex Mendoza. Auffallend
ist auch, daß der Codex Mendoza die Eroberung von Azcapotzalco dem König Itzcouatzin
von Aenochtitlan nachrühmt, während nach § 260 unserer Handschrift an diesem Erfolge
offenbar auch Quauhtlatouatzin, der König von Alatelolco zum mindesten mitbeteiligt ist,
ja in § 7 sogar als alleiniger Sieger genannt wird.
Daß die Alatelolca als Eroberer in diesen Gegenden aufgetreten sein müssen, wird nicht
nur durch jene Stelle in der Historia Tolteca-Chichimeca, auf die sich Seler beruft (a. a. O.
1 Dieser Tlacoten soll angeblich der jüngere Bruder des
Epcouatzin Quaquapitzauac, des Sohnes des Tegogo-
moctzin aus der Dynastie von Azcapotzalco sein. Wie
die schematische Darstellung der Genealogie von Azca-
potzalco zeigt, gibt es aber keinen Bruder des Epcouatzin
Quaquauhpitzauac, der diesen Namen führte.
2 Eeuhtleuatzin wird in § 49 als jüngerer Bruder des
Tlacoten bezeichnet; wie aus der Genealogie der
Dynastie von Azcapotzalco ersichtlich ist, gibt es keinen
Bruder des Epcouatzin Quaquauhpitzauac dieses Namens.
Die Angaben der Tradition A scheinen demnach sehr
zweifelhaft zu sein.
3 In den „Annales de Chimalpahin“, a. a. O. S. 192 wird
gesagt, daß nach dem Tode des Motecuçoma II. sofort
sein älterer Bruder Cuetlahuatzin i. J. 1520 Herrscher
von Tenochtitlan wurde, aber schon nach 24 Tagen an
Blattern starb. Dieser König wird in unserer Hand-
schrift nicht erwähnt.
4 Hier widersprechen sich hinsichtlich des Quauhte-
moctzin § 17 und § 65.
UNOS ANNALES HISTÓRICOS DE LA NACION MEXICANA
139
S. 1035) wahrscheinlich gemacht, sondern auch durch die Stelle in § 643 in den ,,Anales de
Quauhtitlan“ näher belegt, die ich bereits in einem anderen Zusammenhänge erwähnt habe
und wo über die Quauhtinchantlaca mitgeteilt wird: ,,Es besiegten sie die Mexitin, zur Zeit
als in T enochtitlan König ist Acamapichtli und in Tlatelolco König ist Quauhtlatouatzin.“1
Die Aufdeckung aller dieser engen Zusammenhänge, die zwischen den Angaben dieses
Teiles unserer Handschrift und anderen wertvollen alten mexikanischen Geschichtsurkunden
bestehen, erweist aufs Neue in überzeugender Weise die Zuverlässigkeit der historischen
Überlieferungen unseres Geschichtsbuches und sichert ihr einen hervorragenden Platz in
der leider nicht übermäßig großen Zahl von indianischen Quellen, die auf uns gekommen
sind.
Zusammenfassendes Ergebnis.
Wir haben im Vorausgehenden nacheinander die mythologische und historische Seite
unserer altmexikanischen Handschrift einer historisch-kritischen Analyse unterzogen, um
ihre Angaben auf ihre Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit zu prüfen. Diese Untersuchung
hat uns gezeigt, daß wir in dieser Geschichtsurkunde ein altmexikanisches Quellenwerk
allerersten Ranges vor uns haben, das wohl als erklärenderText zu alten mexikanischen
Bilderschriften anzusehen ist, die in Tlatelolco verwahrt waren. Darauf deuten auch die
Überreste von Ideogrammen hin, die sich über die ganze Handschrift hin verstreut finden.
Wir haben uns ihre Abfassung vielleicht so zu denken, daß es in Tlatelolco um das Jahr
1528, als unsere Urkunde niedergeschrieben wurde, noch alte Stadtchroniken in Form von
Bilderschriften auf einheimischer Faser gab. Mit ihnen in der Hand und vor Augen mag
der anonyme indianische Verfasser einem der aztekischen Sprache mächtigen spanischen
Priester die Geschichte seines Volkes und seiner Stadt erzählt haben, während jener das
Gehörte eifrig mitschrieb. So ist die Handschrift wohl im Jahre 1528 entstanden, enthält
aber in Wirklichkeit das alte in Bilderschriften überlieferte Gedankengut. Auf diese Weise
werden wir mit den großen geschichtlichen Ereignissen im Leben der alten Mexikaner
bekannt gemacht, mit der im Dunkel der Vorzeit verschwimmenden Frühgeschichte der
nomadisierenden Stämme, mit ihren Wandersagen, ihrem Aufenthalt und ihrer Niederlage
in Chapoltepec im Jahre 1 Kaninchen (= A. D. 1298) bis zur endgültigen Niederlassung in
Mexiko-Tlatelolco im Jahre 1 Haus (= A. D. 1337). Wir erfahren von dem Tode ihres
letzten Königs Moquiuix 7 Haus (= A. D. 1473) und ihrem damit begründeten Abhängigkeits-
verhältnis von Tenochtitlan und erleben schließlich den tragischen Untergang ihres Gemein-
wesens durch die spanischen Eroberer mit im Jahre 3 Haus (= A. D. 1521).
Die eingestreuten Heldenlieder sind von hohem poetischen Reiz und erschließen uns
zugleich bisher unbekannte altindianische Dichtkunst.
Berichtigungen zum I. Teil:
§ 81 lies „eine mit Namen“ statt „mit dem Zunamen“,
§ 93 lies „da setzte sich hin sein Enkel, der Quauhtlatouatzin“, statt „der Enkel des
Quautlatouatzin“,
§ 94 lies „sein Onkel Moquiuixtzin“, statt „der Onkel des Moquiuixtzin“,
§ 233, Zeile 10 von oben lies „von Chapoltepec“, statt „nach Chapoltepec“.
1 Es erscheint mir unrichtig aus diesem sich scheinbar stellen macht es ziemlich sicher, daß die Tlatelolca und
widersprechenden Bericht einen Irrtum der Autoren Tenochca im Verein Sieger waren,
herauslesen zu wollen, denn eine Überprüfung der Beleg-
19 Baeßler-Archiv.
DIE GENEALOGIE DER DYNASTIE VON AZCAPOTZALCO
Auf Grund der „Unos Annales Historicos de la Nacion Mexicana“ §§ 69—102 und §§ 206ff., 242, 253—255,
zusammengestellt von
Dr. phil. E. MENGIN.
I.
II.
III.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
1152—1222.
MatlaccouatI (Regierungszeit 70 Jahre nach § 208).
00 mit Azcueitl, der Tochter des Chichimeken Tziuac Tlatonac von Azcapotzaltonco.
1222—1248
Chiconquiauhtzin (Regierungszeit 26 Jahre nach § 209).
00 mit Xicomoyaual, der Tochter des Chichimeken Upantzin von Xaltocan.
1248—1283
1. Tezcapoctzin,
kommt nach dem Tode seines Vaters zur Herrschaft.
(Regierungszeit 35 Jahre nach § 210; war unverheiratet).
IV. l) Uitziliuitl Tepanquizqui,
wird geopfert in Ozto-
, polco Coyoacan.
V.
2) Epcouatzin,
ebenda geopfert.
3) Prinzessin Tlatjofonizcatl Moxotzin
00 mit Acolmiztli Uitziliuitl, König von Couatlichan.
, ---------------- * ________________________s
l) Ixcuecuetzin 2) Acxocueitl
1283—1343
2. Acolnauacatzin, wird nach dem Tode seines älteren Bruders Tezcapoctzin König
(Regierungszeit 60 Jahre nach § 213).
00 mit Cuetlaxotzin, der Tochter des Chichimeken Tequanitzin von Tenayocan.
(Stirbt mit seinen beiden ältesten Söhnen den Opfertod in Oztopolco Coyoacan).
1343—:426-
6) Te^ogomoctli Yacateteltetl nipeuhqui
(§§ 213—215 und 258).
00 mit Iztac Xochitl, der Tochter
des Yxcogauhcatzin von £auatlanx.
4) Chalchiuhnenetzin
5) Tianquiznenetzin
1) Quaquauhpitzauac Epcouatzin
(nach § 242 auch Quaquauhtzin genannt)
00 mit Acxocueitl, der Tochter des
Acolmiztli Uitziliuitl, Königs v. Couatlichan.
Erster König von Tlatelolco. 1350—1409.
2) Acolnauacatzin,
König von Tlacopan
3) Teyolcocouatzin,
König von Acolman
4) Maxtlaton,
König von Coyoacan
5) Quaquauhtzin,
König von Tepechpan
6) Moquiuixtzin,
König von Quauhnauac
(?)
1) Atepexotzin 2) Quauhtzin 3) Quauhtomicicuilcatl
1) Tlacatcutzin, König von Tlatelolco
1409—1427;
in 2. Ehe 00 mit Chalchiuhtoxochitzin,
der Tochter des Chichimeken
Xanquintzin von Couatl ichan
2) Yaocuixtli tlacateatl,
König von Mexicotzinco
3) Te909omoctli
tlacochcalcatl,
König von Quauhtitlan.
4) Prinzessin
Xiuhcoyol maquiztli,
00 mit Matlacaltzin von
Quechollac.
5) Prinzessin Atotoztli
00 mit Tochintecuhtli
von Totomiuacan.
6) Epcouatzin
7) Prinzessin Uacaltzintli,
00 mit Itzcouatzin, König
von Tenochtitlan.
8) Matlaltzin
00 mit der Iztacoyotl von
Totomiuacan.
1) Ti^auatzin, König von Toltitlan 2) Tegofomoctzin tocuiltecatl (nach § 254 der Stammvater der Könige von Tenochtitlan.
1) Prinz Acolmiztli tlacatecatl
00 mit Mizquixaualtzin, der Tochter des
Ofelteuhtli von Quauacan.
2) Prinzessin
Chicomoyollotzin
00 mit Tlaltecatzin von
Quauhnauac.
3) Prinzessin 4) Prinzessin Uacaltzintli
Quetzalxillotzin 00 mit Tifauatzin von
00 mit Teiztlacouatl von Toltitlan.
Quauhnauac.
5) Prinzessin 6) Prinzessin
Tlacochcuetzin Coatonaltzin
00 mit Ce ollintecuhtli von 00 mit Xiuhyaotecuhtli von
Oztoticpac. J 1442 (§ 266). Tianquiztenco.
7) Prinzessin Mofelciuatzin
00 mit Tepaquifatzin von
Uaxtepec.
8) Prinzessin Xocotzin
00 mit Acacitli von
Chalcopochtlan.
1) Quauhtlatoua(tzin), König von Tlatelolco 1427-
00 mit der Tochter des Macuex tecatzin
(ihr Name wird nicht genannt).
-1467;
2) Xiuhquecholpotoncatzin Ciuacpopocatzin.
1) Onepantletzin
2) Xiuhcanaualtzin.
Nach dem Tode des Königs Quauhtlatouatzin wird sein Onkel
Moquiuixtzin, König von Tlatelolco. 1467—1473.
(Mit ihm erlischt das Königshaus).
1 Nach den „Anales de Quauhtitlan“2 S. 193/194/197/198 hatte Tec^ofomoctli folgende 9 Söhne:
1. Quetzalmaquiztli oder Quetzalma^atl, Herrscher von Cohuatlichan.
2. Quappiyo oder Quauhpitzotzin, „ ,, Hucxotla.
3. Teyollocohua(tzin), ,, „ Acolman.
4. Epcohuatl oder Epcouatzin, „ ,, Toltitlan.
5. Quetzalcuixin, „ ,, Mexicatzinco.
6. Quetzalayatzin, „ „ Azcapotzalco.
7. Maxtla(tzin) oder Maxtlaton, „ „ Colhuacan.
8. Tepanquizqui, „ ,, Xochimilco.
9. Chalchiuhtlatonatzin, ,, „ Tetzcoco.
2 Ausgabe W. Lehmann: Die Geschichte der Königreiche von Colhuacan und Mexico. 1938.
Besprechungen.
Lehmann, Walter: Die Geschichte der Königreiche von
Colhuacan und Mexico. Text mit Übersetzung
von . . . (Quellenwerke zur alten Ge-
schichte Amerikas, aufgezeichnet in den Sprachen
der Eingeborenen. Herausgegeben vom Ibero-
Amerikanischen Institut, Berlin. 1.) Verlag von
W. Kohlhammer, Stuttgart u. Berlin, 1938. VIII
u. 391 S.
In kurzer Aufeinanderfolge sind letzthin zwei der
wichtigsten mexikanischen Chroniken aus der Frühzeit
der spanischen Kolonialherrschaft durch deutsche Ameri-
kanisten in ihren Originaltexten mit deutschen Über-
setzungen und Kommentaren der weiteren Öffentlichkeit
zugänglich gemacht worden. 1937—38 erschien die von
Konrad Th. Preuß und Ernst Mengin herausgegebene
„Mexikanische Bilderhandschrift der Historia Tolteca-
Chichimeca“, 1938 die hier vorliegende Chronik, von
Walter Lehmann veröffentlicht, der damit die neue
Reihe des Ibero-Amerikanischen Institutes in Berlin zu-
gleich mit einer gewichtigen Arbeit eingeweiht hat. Es
mutet tragisch an, daß Lehmann eben nur noch vor
seinem plötzlichen 'lode das Erscheinen seines Werkes
erleben durfte, an das er seit 1903 unermüdlich gearbeitet
hat. Der Länge dieses Zeitraumes entsprechend hat er
zwecks gründlichster Bearbeitung eine außerordentliche
Fülle von Material zur alten Geschichte des mexikani-
schen Kulturgebietes zusammengetragen mit einem
Sammeleifer und Spürsinn, wie er ihm eigen war. Und
so ist denn ein Werk entstanden, daß, mag es in engeren
Fachkreisen auch an vielen Stellen Kritik hervorrufen,
dennoch zu einer der beachtlichsten Leistung amerikani-
stischer Forschung aus der Schule Eduard Selers in der
Gegenwart zu rechnen ist. Nur der weiß das Maß an
Arbeit, Ausdauer, Fleiß und Kombinationsgabe zu er-
messen, der sich selbst in das Dickicht eingeborener
Chroniken Altamerikas aus dem 16. Jh. begeben hat.
Die notwendigen Kenntnisse über das ganze mexikani-
sche und mittelamerikanische Völkergebiet und die
souveräne Beherrschung des Quellenmaterials haben
Lehmann besonders berufen erscheinen lassen, das
schwierige Werk der Herausgabe gerade dieser Hand-
schrift vorzunehmen, die als eine der wichtigsten zur
Geschichte des mexikanischen Hochlandes schon immer
von Seler bezeichnet worden ist.
Die vorliegende Ausgabe zerfällt in eine Einleitung,
den Hauptteil mit dem aztekischen von deutscher Über-
setzung begleiteten Text der Chronik, dessen Kommentar
in Fußnoten beigegeben ist, und einen Anhang.
In der Einleitung gibt Lehmann eine Zusammenstellung
des über die Entstehung, die Zeit (1545—1570), den Ver-
fasser und die Anlage der Handschrift Wissenswerten,
die er 1909 in der Nationalbibliothek von Mexico wieder
aufgefunden hatte. Wir erfahren Einzelheiten über die
verloren gegangenen ersten beiden Blätter, deren Inhalt
hypothetisch angedeutet wird. Ausführlicher wird auf
die Schreibart eingegangen und darauf verwiesen, daß
ursprünglich dem Texte altes Bilderschriftmaterial zu-
grunde gelegen hat. Lehmann macht dann mit der Art
seiner Übersetzung bekannt, bei der er sich möglichst
wortgetreu an den Originaltext gehalten hat. Liest sich
diese auch oft in ihrer umständlichen indianischen Aus-
drucksweise schwerfällig, so vermittelt sie doch vor-
trefflich die Spracheigentümlichkeiten und die Denk-
weise der alten Zeit und erlaubt ohne weiteres stets ein
Überprüfen der Übersetzung mit dem nebenstehenden
aztekischen Text. Wesentlich erleichtert wird die Lektüre
durch die schon von Seler befolgte Übung, den Text in
kleine Abschnitte, bei Lehmann in Paragraphen, zu zer-
legen. Der Kommentar bezieht sich nach L.s eigenen
Worten nur auf das Allernotwendigste und vermeidet es,
erschöpfend auf die Geschichte Altmexikos einzugehen.
Hierdurch bleibt zukünftiger Forschung noch ein er-
giebiges Arbeitsfeld offen, andererseits aber wird die
Benutzbarkeit der Chronik für den Geschichtsforscher
erschwert, der sich selbst nun erst in das Durcheinander
einen Weg bahnen muß.
Eingehend wird die Geschichte der Handschrift be-
handelt und ihre Stellung und Beziehung zu anderen
mexikanischen Chroniken erläutert. Schwierig gestaltet
sich die Frage nach dem. Verfasser, da sein Name nirgends
in Erscheinung tritt. Lehmann sieht in zahlreichen sprach-
lichen Eigentümlichkeiten die Wahrscheinlichkeit ge-
geben, daß Sahagun, der größte aller spanisch-mexika-
nischen Geschichtsschreiber, wenigstens einem Teil un-
serer Chronik nahe gestanden haben muß. Ob der II. Teil
ihm ebenfalls zugeschrieben werden darf, wird unent-
schieden gelassen. Andeutungsweise wird auf Olmos
hingewiesen. Es schließen sich Herrscherlisten der im
Texte aufgeführten Könige und Fürsten der kleinen
Hochlandreiche Mexicos, eine Jahresliste der mexikani-
schen Zeitzählung mit Bezugnahme auf den Text, eine
solche der Tageszeichen und Tonalamatl-Abschnitte
sowie eine Aufstellung der mexikanischen Jahresfeste an.
Danach folgt der Text mit seinen Beigaben. Inhaltlich
beschäftigt sich unsere Chronik mit der annalenhaften
Überlieferung der Geschichte der einzelnen Hochland-
reiche von Mexico, also von Acolman, Coatepec, Col-
huacan, Chalco, Cuitlahuac, Cholollan, Huexotzinco,
Mexico-Tenochtitlan, Quauhnahuac, Quauhtitlan, Tetz-
coco, Tlaxcallan, Toltitlan, um nur die wichtigsten zu
nennen, ferner mit Stämmen wie den Mixteca, und vor
allem den Tolteca. Jahr für Jahr werden besondere Er-
eignisse wie Herrscherwechsel, Kriege, Wanderungen,
Tributleistungen, Naturereignisse, soziale Umwälzun-
gen u. a. getreulich vermerkt. Religiöse und kultische
Bemerkungen treten zurück, sind aber, wo sie erwähnt
werden, wichtig, weil sie uns Einblicke in die Kultüber-
schichtung im Gefolge politischer Veränderungen vor
Augen treten lassen. Manche wertvolle ethnologische und
kulturhistorische Notiz ergänzt unser Wissen über das
alte Völkerleben in der vorspanischen Zeit, so u. a. die
Bemerkungen über Tempelbauten mit ihren in zeitlichen
BESPRECHUNGEN
141
Abständen erfolgten Erweiterungsbauten und über Kanal-
anlagen. Von großer Bedeutung sind die Angaben über
die Beziehungen der Hochlandstämme zu jenen der
mexikanischen Küstentiefländer, die für archäologische
Forschungen ergänzendes Material liefern. Vieles davon
ist schon von Seler für seine Forschungen herangezogen
worden.
Vergleicht man den Text mit der Übersetzung, so muß
diese als philologisch gründlich bezeichnet werden, wenn
auch manche dunklen Stellen im Ausdruck auch andere
Auslegungen zulassen. Doch nie ist einer Schwierigkeit
aus dem Wege gegangen, und an den fraglichen Stellen
die Stellungsnahme des Übersetzers der Prüfung zugäng-
lich gemacht. Nur eine wirkliche Beherrschung des
Aztekischen und seiner älteren Ausdrucksweise schuf
die Möglichkeit den schwierigen Text zu meistern.
Der Kommentar offenbart ein tiefes Wissen der mexi-
kanisch-mittelamerikanischen Altertumskunde. Aller-
dings ist die Grundeinstellung Lehmanns die gleiche ge-
blieben, die er immer trotz der neuen archäologischen
Ergebnisse beibehalten hat und die sich auf sein chrono-
logisches Schema mit seiner Identifizierung der christ-
lichen Zeitrechnung, auf seine Toltekenchronologie und
die Abhängigkeit der Mayakultur von der altmexikani-
schen bezieht. Er ist hierin niemals von seinem schon
durch Seler vorsichtig vertretenen Standpunkt abge-
wichen. Sie steht im Gegensatz zur Stellung der nord-
amerikanischen Forscher und wird daher diese wie die
ihnen folgenden Kollegen auf den Plan rufen. Abgesehen
davon bietet aber der Kommentar eine Fülle von An-
regungen, von Kombinationen und wertvollen Notizen,
die dem Fachmann Anregungen geben. Zu vermissen ist
jegliches Eingehen auf die nordamerikanischen For-
schungen der letzten Jahre im Mayagebiet, die uns so
überraschende neue Einblicke in die Kultur der Hoch-
land- und Tieflandmaya gebracht haben. Über sie ist
Lehmann hinweggegangen, was zu bedauern ist. So ist er
auch seinem chronologischen Schema mit der Einteilung
in Alt- und Jungtolteken treu geblieben, die schon vor
längerer Zeit auf Kritik gestoßen war. Eine grundlegende
Abhandlung über diese Frage hat L. leider nie verfaßt,
sondern sich stets nur andeutungsweise dazu geäußert.
Sie kann nur auf der Grundlage einer umfassenden und
vergleichenden Kalenderforschung der Altmexikaner und
Maya erfolgen.
Überhaupt liefert der Kommentar vielfach Behaup-
tungen, deren Begründung nur vage angedeutet ist. Das
erstaunliche Wissen Lehmanns hat für seine Veröffent-
lichungen oft den Nachteil mit sich gebracht, daß er
Gedankenblitze hinwarf, ohne sich in seinem tempe-
ramentvollen Schwung veranlaßt zu sehen, auch eine
abgewogene kritische Begründung dafür zu geben. So
ist denn manches in diesem Kommentar bei allem er-
kennbaren Spürsinn doch noch wissenschaftlich nicht
genügend ausgeprägt worden, anderes flüchtig hin-
geworfen, ohne daß der Leser sich ein zutreffendes Bild
von den Behauptungen machen kann. Als ein Beispiel
diene nur die auf S. 254 Anm. 2 mitgeteilte Bemerkung
über den Quetzalvogel, „dessen überraschendes ehemaliges
Vorkommen bei uns in Bernsteineinschlüssen wissen-
schaftlich, wie mir Adolf von Echt mitteilte, festgestellt
wurde.“ Jede weitere Angabe über diese Quelle, über
etwaige Literatur, die Herkunft des betr. Bernsteins
fehlt, so daß wissenschaftlich diese Mitteilung in der Luft
hängt und nicht nachprüfbar ist. Diese und viele andere
Notizen im Kommentar regen zwar an, müssen aber erst
noch gründlich überprüft werden.
Es ist hier nicht der Ort, um in eine ausführliche Er-
örterung des Grundproblems der Chronik und ihres
Kommentars, der zeitlichen kalendarischen Zuverlässig-
keit ihrer Jahresangaben einzutreten, ebensowenig wie
kleinliche Kritik an dieser oder jener flüchtigen Bemerkung
angebracht erscheint. Das Werk Lehmanns als Ganzes ist
eine hervorragende Leistung philologischer Forschung,
sprachlichen Einfühlungsvermögens in die Denkweise der
Altmexikaner und einer vollen Beherrschung des Stoffes
altamerikanischer Kulturgeschichte. Wer Lehmann per-
sönlich gekannt hat, wird über den Schwung seiner
Hypothesen und Kombinationen nicht überrascht sein,
die diesen rastlosen Arbeiter und Sammler immer von
neuem antrieben und zu kühnen Gedankengängen ver-
anlaßten.
Dankbar muß noch des Ibero-Amerikanischen Institu-
tes in Berlin gedacht werden, das sich bereit fand, die
schwierige Veröffentlichung der Chronik in der Praxis
durchzuführen, und eine uns in Deutschland bisher fehlende
Möglichkeit durch die neue Reihe seiner Veröffentlichun-
gen geschaffen hat, altamerikanische Originalquellen-
werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Denn
damit ist der amerikanistischen Forschung in Deutsch-
land eine neue Stütze geschenkt worden, die sie in der
Gegenwart mehr denn je braucht, um ihre Berechtigung
als Wissenschaft mit ihrer bis auf Al. v. Humboldt zurück-
gehenden Tradition in Deutschland zu erweisen. Ein
Mangel möge endlich hier noch kurz angedeutet werden,
der die Benutzbarkeit des Werkes beeinträchtigt; eine
Karte des mexikanischen Hochlandes mit Stammes- und
Ortsnamen, wie sie in der Chronik auftreten und ein
Orts- und Personenverzeichnis.
F. Termer, Hamburg.
Kurt Lück: Der Mythos vom Deutschen in der polnischen
Volksüberlieferung und Literatur. Forschungen zur
deutsch-polnischen Nachbarschaft im ostmittel-
europäischen Raum. Historische Gesellschaft für
Posen Verlag von S. Hirzel in Leipzig, Posen 1938.
Die grauenhaften Abschlachtungen der Volksdeutschen
in Polen vor und während des polnischen Feldzuges haben
einen solch abgrundtiefen Haß der Polen gegen alles
Deutsche enthüllt, wie er in Deutschland fast unbekannt
und völlig unverständlich war. Wie es zur Entstehung
dieses Hasses kam, hat der Verf. in seinem Werke klar-
gelegt. Es gibt kein besseres Zeugnis für den Charakter
des deutschen Wissenschaftlers, als daß dieses Buch in
der Zeit verschärfter politischer Spannung von einem
in vorderster Front des Volkstumskampfes in Polen
stehenden Deutschen in so vornehmer, sachlicher und um
Verständnis der polnischen Psyche so bemühter Weise
geschrieben werden konnte.
Im ersten Teil seiner Arbeit verzeichnet der Verf.
gewissenhaft jeden Niederschlag, den das Zusammen-
leben mit den Volksdeutschen im Denken und Handeln
des polnischen Volkes gefunden hat. Im zweiten 'Feil
wird die Stellungnahme der polnischen schöngeistigen
Literatur zum deutschen Wesen mit größter literar-
historischer und historischer Kenntnis behandelt. Die
Greuelpropaganda wird trotz ihrer großen Bedeutung im
polnischen Schrifttum und ihrer verhängnisvollen Rolle
BESPRECHUNGEN
142
verachtungsvoll bei Seite gelassen. Die wissenschaftliche
Literatur wird nur insoweit herangezogen, als ihre
gröbsten Geschichtsklitterungen enthüllt werden.
Nach dem Lückschen Buch ergeben sich als Ursachen
des polnischen Deutschenhasses: Einmal die verwirrende
Verzahnung der beiderseitigen Siedlungsgebiete, die eine
Unzahl von Reibungsstellen bedingt. Diese an allen
Volkstumsgrenzen zu beobachtenden Reibereien brauchen
an sich noch nicht zum Haß zu führen: in anderen Ge-
bieten Europas leben Deutsche friedlich mit ihren anders-
völkischen Nachbarn zusammen. Erst die Eigenheit des
polnischen Volkscharakters macht ein friedliches Zusam-
menleben anderer Völker mit ihnen unmöglich (z. B. auch
der Ukrainer und Weißrussen). Da der Deutsche in Polen
nicht nur als Träger einer höheren Kultur auftritt, sondern
auch seinen indolenten polnischen Nachbarn an Fleiß,
Tatkraft, Intelligenz, Sparsamkeit, Sauberkeit usf. über-
trifft, so wird in diesem ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl
erweckt; da der deutsche Kolonist wegen seiner guten
Eigenschaften von den polnischen Landherren durch
Gewährung von Sonderrechten nach Polen gelockt wurde,
vertiefte sich nur der Neid der polnischen Bauern. Anstatt
dem Deutschen in edlem Wettstreit nachzueifern, war es
dem stolzen Polen bequemer, sein Minderwertigkeits-
gefühl durch Verächtlichmachung des Deutschen und
seiner Leistungen zu übertönen. Wenn der deutsche
Kolonist auf einem Boden wohlhabend wird, den der Pole
ob seiner Dürftigkeit verschmäht hat, so hat er dies nicht
seinem Fleiß, sondern seinem Bündnis mit dem Teufel
zu verdanken; seine Ländereien hat er nicht durch saures
Urbarmachen der Wildnis erworben, nein, dem gut-
mütigen polnischen Bauern ist sein Land mit brutaler
Gewalt oder teuflischer List entwendet worden; der
deutsche Fabrikant ist nicht durch seine Initiative und
Tüchtigkeit reich geworden, sondern durch grausame
Ausbeutung des polnischen Arbeiters usw. Die polnische
Eitelkeit und Kunst des Selbstbetruges wird so weit
gesteigert, daß von Kulturerrungenschaften, die nach an-
fänglicher hohnvoller Ablehnung schließlich doch von den
Deutschen entlehnt worden waren, deren deutscher Ur-
sprung niemals anerkannt, ja diese oft genug als polnische
Erfindungen ausgegeben wurden.
All dieser im Volkstumskampf sich angesammelte Haß
würde aber wohl kaum zu solch schrecklichem Ausbruch
geführt haben, wenn nicht die polnische Intelligenz
eine unauslöschliche Blutschuld auf sich geladen hätte
durch ihre maßlose Verhetzung der polnischen Massen,
durch ihre Haßpredigten und -Schriften. Der Verf. trägt
ein überwältigendes Material dafür bei, wie die polnischen
Literaten mit ihren unerhörten Geschichtsfälschungen
und verlogenen Schilderungen dem polnischen Leser,
ja jedem Schulkinde, neben eitler Selbstüberschätzung
einen wütenden Haß gegen alles Deutsche eingeimpft
haben.
Der Verf. hegte die Hoffnung, mit seiner Arbeit einen
Beitrag zum besseren Verständnis zwischen Deutschen
und Polen zu liefern und die vernünftige Minderheit der
polnischen Intelligenz zu bestimmen, energischer als bis-
her gegen die Verhetzung des polnischen Volkes anzu-
kämpfen, auf daß die Deutschen in Polen eine Brücke
zwischen beiden Völkern bilden könnten. Die jüngsten
Ereignisse haben gezeigt, daß es dazu bereits zu spät war
und daß erst die Schaffung klarer völkischer Grenzen in
Osteuropa das beiderseitige Verhältnis wieder entgiften
kann.
Auch das ausführlichste Referat kann dem vorliegen-
den, über 500 Seiten umfassenden, mit allem wissen-
schaftlichen Rüstzeug geschriebenen Werke nicht gerecht
werden, seine Lektüre sei jedem Deutschen ans Herz
gelegt. K. Dittmer.
Soeben ist erschienen:
SCHÖPFUNG und URZEIT im MYTHUS
der AFRIKANISCHEN VÖLKER
von Hermann Baumann, Dr. habü.
Kustos am Museum für Völkerkunde in Berlin
Herausgegeben mit Unterstützung der Staatlichen Museen in Berlin und des
Internationalen Instituts für afrikanische Sprachen und Kulturen
XII u. 435 Seiten in Klein-Quart mit 22 Karten / Preis geheftet RM 30—, in Halblederband RM 36 —
Dieses Werk versucht auf Grund eines Materials von rund 2500 genau analysierten Märchen und Mythen zum ersten
Mal die beliebtesten mythischen Ideen der Afrikaner in einer einzigen Übersicht darzustellen und ihre Bedeutung für die
afrikanische Kulturgeschichte herauszuarbeiten. Wohl gibt es zahlreiche Märchen- und Mythensammlungen aus Afrika,
aber die vergleichende Bearbeitung lag noch sehr im Argen. Hier soll dies Werk eingreifen. Es hält sich fern von
einseitigen, wenn auch bequemen Deutungen und sieht den Mythus stets im Zusammenhang mit dem Geist der Kulturen,
denen er angehört.
Ausgehend von der Idee der Schöpferkraft und der Gestalt des Schöpfers werden die Schöpfungsprozesse, soweit
sie den Menschen und seine nähere Umwelt zum Gegenstand haben, besprochen. Das Entstehen der Erde, der Gewässer
und des Meeres, der Berge, Tiere, vor allem aber der ersten Menschen, auch das Leben der Urpaare, wird aus der Fülle
der afrikanischen Traditionen heraus so geschildert, wie die Afrikaner — seien es Neger, Buschmänner oder Hamiten
— es sich erdachten. Wir werden über denkwürdige mythische Ereignisse im Geschehen der ersten Menschen, wie etwa
die Urkatastrophen, der Turmbau zum Mond,die wunderbare Teilung eines Flusses auf derWanderung oder der Einbruch
des Todes in die Urgesellschaft, unterrichtet. In einem besonderen Kapitel wird erstmalig auch die Frage eingehend
erörtert, wie sich der Afrikaner die Anfänge menschlicher Kultur vorstellt.
Scharf hebt sich schon die starke Verankerung vieler dieser Mythen in bestimmten Kulturschichten heraus.
Als neuntes Beiheft zum BAESSLER-ARCHIV ist soeben erschienen:
Die mexikanische Bilderhandschrift
HISTORIA TOLTECA CHICHIMECA
Die Manuskripte 46—5 8 bis der Nationalbibliothek in Paris übersetzt und erläutert von
KONRAD THEODOR PREUSS und ERNST MENGIN
Teil I: Die Bilderhandschrift nebst Übersetzung
154 Seiten mit 148 Abbildungen im Text und auf 25 Tafeln, Format 24:33 cm, Preis geheftet RM 25.—
In seinem Vorwort führt Prof. Preuß aus, daß der Weg der mexikanischen Wissenschaft ein besonders mühevoller
sei; denn sie versuche einerseits unter den vielen Sprachen und Kulturen Mexikos ein Nebeneinander und eine Auf-
einanderfolge herzustellen, und sei sich andererseits bewußt, daß erst durch Herausgabe von mustergültigen Über-
setzungen der in den Archiven schlummernden Texte diese Arbeit möglich gemacht werde. Die Herstellung dieser
Arbeitsgrundlage müsse die Forschung zunächst als Hauptsache ansehen; denn wie nötig sie sei, zeige das Werk selbst
der sorgfältigsten Forscher, die beispielsweise auch die vorliegende Handschrift verschiedentlich falsch deuteten. Hier
kann nun eine der wichtigsten Handschriften, die Historia Tolteca Chichimeca, in einer Übersetzung veröffentlicht
werden, die, wie Prof. Preuß hofft, die Wissenschaft ebenso voll befriedigen werde, wie die Übersetzer.
VERLAG VON DIETRICH REIMER / ANDREWS & STEINER / IN BERLIN SW 68
BAESSLER-ARCHIV
BEITRÄGE ZUR VÖLKERKUNDE
HERAUSGEGEBEN
AUS DEN MITTELN DES BAESSLER-INSTITUTS
UNTER MITWIRKUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN DIREK-
TORIALBEAMTEN DER ETHNOLOGISCHEN ABTEILUNGEN
DES STAATLICHEN MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE IN
BERLIN REDIGIERT VON
ALFRED MAASS
BAND XXII
MIT 156 ABBILDUNGEN
BERLIN 1939
VERLAG VON DIETRICH REIMER
/ANDREWS » STEINER /