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den entsprechenden Übersetzungen — waren jeweils nur für eine Übergangszeit be
stimmt und konnten den „Gegenstand“ nur unvollkommen begrifflich erfassen. Dar
über liegt eine weite Literatur vor 37 ). Der Begriff des Entwicklungslandes ist relativ
neu, wiewohl es den „Gegenstand“ längst gibt 38 ).
Als Entwicklungsland würden wir — in allgemeinsten Skizzen — ein Land be
zeichnen, in dem die Masse der Bevölkerung, oder auch nur ein (wesentlicher) abgrenz-
barer Teil derselben, einen Nachholbedarf an Errungenschaften hat, die in anderen
Ländern zur Selbstverständlichkeit geworden sind 39 ). Der Begriff ist danach nicht,
wie bisher meist angenommen wurde, ausschließlich ein nationalökonomischer, er ist
viel mehr 40 ); er ist ein allgemein soziologischer und bedarf zu seiner Klärung des Ein
blickes in die jeweiligen Sozialstrukturen in ihrem historischen Gewordensein 41 ).
Demgemäß ist der Begriff der Entwicklung nicht ein einheitlicher; er variiert vor
nehmlich im Grade seiner Komplexität und der Art und Weise seiner Zusammen-
37 ) Vgl. vor allem: Wiggins und Schoeck, 1958: V f; Willems, 1958: 296; Hirschherg,
1958: 13; König, 1955: 11 f.; Roepke, 1953: passim; Herskovits, 1952: V f.
38 ) Vgl. König, 1955; 14 f. —
„Entwicklungsländer“ gab es zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte; sie nehmen
heute, bei der besonderen weltpolitischen und zivilisatorischen Situation lediglich
eine komplexere und auf die Gesamtmenschheit bezogene Stellung ein.
3,) ) Röpke, 1953: 65: „Der Kreis der Länder, um die es sich dabei handelt, kann zwar
nicht ganz scharf gezogen werden und wird, mit Vorbehalten, auch Länder wie
Spanien, Süditalien und jenes ,andere Europa' umfassen müssen, von dem schon
Erancis Delaisis vor einem Vierteljahrhundert in seiner Theorie von den ,Deux
Europes' gesprochen hatte. Aber im wesentlichen ist doch, wenn heute von den
,unentwickelten Ländern' gesprochen wird, die Ländermasse Asiens und Afrikas
und der überwiegende Teil Latein-Amerikas gemeint.“ — Im Ergebnis so auch
Willems, 1958: 298. — Myrdal, 1959: 220. — Behrendt, 1959; 9, sieht folgende
Tatbestände für ein Entwicklungsland als typisch an: ,,a) das Volkseinkommen pro
Kopf ist gering; b) das Volkseinkommen wächst, aber es wächst gegenwärtig
langsamer als die Bevölkerung, infolge der durch die Verbesserungen des Gesund
heitswesens verminderten Sterblichkeit; daher wird das Wachstum des Sozial
produkts großenteils annulliert durch das Anwachsen der Münder, die damit ge
füttert werden müssen; c) das Volkseinkommen ist sehr ungleichmäßig verteilt:
einer großen Masse von materiell armseliger Bevölkerung steht eine dünne Schicht
luxuriös lebender, parasitärer Elemente gegenüber, während der unabhängige
Mittelstand äußerst schwach ist.“
40 ) So im Ergebnis auch Sahn, 1959: 423; ,mit kapitalistischen Rechnungen alten Stils
sei das Problem nicht lösbar.' — Willems, 1958: 303: „In einigen Fällen kann es
keinem Zweifel unterliegen, daß wirtschaftliche Entwicklung in funktionalem
Zusammenhang mit gesellschaftlichem Strukturwandel steht.“
41 ) Die eminente Bedeutung der historisch orientierten Ethnologie braucht hier nicht
besonders hervorgehoben zu werden. — Einen solchen Einblick vermittelt — mei
sterlich in seiner Art — beispielsweise Nawaz, 1956 für die Länder des mittleren
Orients.