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Buchbesprechungen
Institution in all ihren Ausdrucksformen er
kennen. Die wichtigste Funktion des Erd
herren, dieses typischen Vertreter der alt-
nigritischen Schicht, besteht in seiner Sorge
um alles, was mit der Erde zusammenhängt.
(Daher auch sein Name tega-tu = Erd-Herr.)
Vor allem ist es seiner Verantwortung über
lassen, daß zwischen der Erde, die auch mit
einer mütterlichen Segensmacht glcichzusetzen
ist und den Menschen ein harmonisches Ver
hältnis herrscht. Dabei ist es augenfällig, in
einem wie scharfen Kontrast die ewig dul
dende, schenkende und erhaltende Erde zu
den sie stets aufs Neue verletzenden und
ausnutzenden Menschen steht. DIttmer deu
tet das sehr schön aus der Anschauung der
Gurunsi: „ . . . das Umbrechen der Felder wie
das Ausschachten eines Grabes und auch der
Flausbau (da für die Gewinnung des Lehms
für Mauern und Dach neben der Baustelle
eine Grube ausgehoben wird) bedeuten eine
Verletzung der Erdoberfläche, das heißt der
Flaut der Erdgöttin, also ihre Beleidigung.
Deshalb muß sie folglich ebenso um Geneh
migung wie um Verzeihung gebeten werden
— beim Feld wenigstens beim ersten Um
brechen — und die betreffende Kulthandlung
Ist neben dem Segenerflehen im Kern ein
Sühneopfer“ (S. 36 — vgl. auch die von
Frobenius überlieferten Gedanken in „Das
sterbende Afrika“, Frankfurt 1928, S. 414).
Daher gehören zu den vornehmsten Pflichten
des Erdherrn das Opfer bei der Saat und der
anschließend ausgesprochene Bann, bis zur
Ernte nicht zu lärmen oder zu musizieren —
eine für so viele altafrikanische Pflanzer
typische Vorschrift. Das keimende Leben
darf nicht gestört werden! In vielen Gegen
den hat man den Erdherrn um Erlaubnis zu
bitten, wenn man im Busch Wildfrüchte sam
melt, eine neue Rodung anlegt, als Neusied
ler das erste Feld urbar macht, ein neues
Gehöft errichtet und einen Toten beerdigt;
man hat ihm alle herrenlosen Gegenstände
abzuliefern. Der Erdherr muß darüber wa
chen, daß die heiligen Familienfelder nicht
geteilt oder verkauft werden, er hat die
Übertretung bestimmter religiöser Gebote zu
sühnen wie zum Beispiel das Heimschaffen
nicht selbst erlegter Löwen und Leoparden,
Abhauen und Beschädigen heiliger Bäume,
Verwunden oder Töten eines Wesens am Erd
heiligtum, Begraben einer Leiche mit Eisen
Im Körper. Vor allem muß er bei Verunrei
nigung der Erde sühnend und strafend ein
greifen, wie beim Vergießen menschlichen
Blutes auf die Erde (Tötungen im Kriege
sind anscheinend davon ausgeschlossen?) und
bei Beischlaf auf der nackten Erde, das heißt
Pollution der Erde. Außerdem hat er den
Kult des Himmels zu vollziehen und neben
einer Reihe von allgemeinen Verpflichtungen
für die Wohlfahrt seines Volkes auch poli
tische Funktionen zu übernehmen, so daß er
das höchste Führertum innerhalb dieser de
mokratischen Gemeinschaften Innehat. Diese
nicht nur auf den Kult zielende Oberhoheit
des Erdherrn über alles Sein in seinem Be
reich leiten die Gurunsi davon ab, daß sich
der Vorfahr des Erdherrn einstmals als erster
dort im herrenlosen Land niederließ, damit
„Eigentümer“ der Erde wurde und als erster
in ein enges Verhältnis zu ihr trat. (Können
wir das so verstehen, daß er als „Ehemann“
als erster den Jungfräulichen Schoß der Erde
aufriß?)
Aus den sehr zahlreichen Erscheinungsfor
men des Erdherrenamtes hebt Dittmer die
des „Busch-Herren“ heraus, der häufig als
Herr des Ödlandes neben den Erdherrn (des
bebauten Geländes) tritt. Die Buschherren
üben Im Busch ähnliche Funktionen aus, wie
die Erdherren in ihren Gebieten und treten
besonders bei der Jagd als Obereigentümer
der Wildtiere in Erscheinung. Dittmer spricht
die Vermutung aus, daß neben der mehr
bäuerlichen Einstellung zum Busch, die in ihm
nur ein Reservoir künftiger Felder erblickt,
noch eine andere, der Jägerischen Mentalität
entstammende, festzustellen ist. „Im Gegen
satz zum zivilisierten Siedlungs- und Acker
land ist der Busch die Wildnis schlechthin, das
Reich der wilden Tiere und Buschgeister . . .,
in dessen Inneres sich nur der tapfere Jä
ger . . . hineinwagt“ (S. 44). „Die Beziehun
gen des Busches zur Jagd . . . sind so eindeu
tig, daß die kultische Verehrung des Busches
durch die Gurunsi schon in der Wirtschafts
stufe des Jägertums verwurzelt gewesen sein
muß“ (S. 47). Die von Dittmer hier und im
folgenden geäußerten Ansichten gehen über
die Darstellung der Erd- und Buschherren
hinaus und bringen eine interessante Theorie
zur Entstehung der Gurunsi (und damit auch
der altnigritischcn Kultur — vgl. dazu auch
Dittmer, Paideuma VI, S. 455 f.). Als Aus
gangspunkt sieht Dittmer eine frühbäuerliche
ncolithische Schicht aus dem Umkreis des
Mittelmeers (einschließlich der damals noch
grünen Sahara). Ebenso wie bei der Ausbrei-