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TRIBUS • Veröffentlichungen des Linden-Museums
Herausgeber:
Linden-Museum
Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde Stuttgart e. V.
(gegründet 1882 als Württ. Verein für Handelsgeographie)
In der Mitgliederversammlung des Württ. Vereins für Handelsgeographie
vom 12. 10. 1962 wurde beschlossen, den Namen des Vereins wie folgt zu ändern
Linden-Museum
Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde Stuttgart e. V.
Copyright 1962 by Linden-Museum Stuttgart
Satz und Druck:
Druckerei und Verlag Karl Hofmann, Schorndorf bei Stuttgart
Das Papier für dieses Heft wurde teilweise von der Papierfabrik
Scheufeien GmbH., Oberlenningen, kostenlos zur Verfügung gestellt.
Inhaltsübersicht
Rhotert, H., u. a.: Bericht über das Linden-Museum....................... 7
Hummel, S.: Die lamaistischen Kultplastiken im Linden-Museum ... 15
L Die lamaistischen Bronzen..............................................15
II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz . . 41
Heissig, W.: Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutz-
amuletten ...............................................................69
Kuntze, H.: Eine Votiv-Stele aus dem Jahre 538 ........................ 85
Kauffmann, H. E.: Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalithen-
tums Südostasiens........................................................89
Schmitz, C. A.: Eine steinerne Spitzkeule aus Nordost-Neuguinea . . . 109
Barthel, Eh. S.: Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur................111
Zerries, O.: Eine seltene Keule der Woyawai (Guayana) im Museo Pigorini
zu Rom . 139
Zwernemann, ].: Eine Maske aus Mittel-Ghana..................................143
Zwernemann, ].: Zur figürlichen Plastik der Bwa..............................149
Buchbesprechungen............................................................153
Anschriften der Mitarbeiter dieses Bandes....................................212
Bericht über das Linden-Museum
Seit dem Erscheinen des letzten Tribus-Heftes hat sich der Besuch des Linden-
Museums, durch Einzelpersonen sowohl wie durch Gruppen und Schulklassen, die
meist ausführliche Führungen erhielten, weiter günstig entwickelt, obwohl an den
Ausstellungen nur verhältnismäßig wenig geändert worden ist.
Die kleine Schau unserer Neu-Erwerbungen aus Asien wurde abgebaut und An-
fang 1962 durch eine Ausstellung neuerworbenen Afrika-Materials ersetzt. Außerdem
konnte im früheren Sitzungssaal, der seit 1959 mit den übrigen Schausälen vermittels
eines Durchbruches verbunden wurde und zunächst als Vortragsraum gedacht war,
eine kleine Auswahl erlesener Stücke unter dem Titel: „Kostbarkeiten aus Fernost“
aufgebaut werden. Hier sind weiterhin die vor einiger Zeit mit Hilfe von Stadt und
Land erworbene ming-zeitliche Buddha-Plastik sowie das japanische Wandschirm-
paar, eine Stiftung der Städtischen Girokasse, Stuttgart, zu sehen. Hinzu kamen aus
unserem Altbesitz zwei interessante, gußeiserne Lohan-Figuren aus dem 15. Jahrhun-
dert, die während des Krieges im Feuer gestanden hatten und jetzt von unserem
Präparator unter freundlicher Mitwirkung des hiesigen Landesmuseums wieder her-
gerichtet wurden; ferner kostbare, zum Teil neuerworbene Keramik, zwei chinesische
Tonplastiken der Tang-Zeit, ein großer Kesselgong aus dem 1. nachchristlichen Jahr-
hundert und anderes mehr. Da in unserer Hauptausstellung; „Jäger, Pflanzer, Wan-
derhirten“ die Schwerpunkte unserer Sammlungen aus dem Bereich der Naturvölker
gezeigt werden, sind wir bestrebt, in kleineren, häufiger wechselnden Sonderschauen
auch die Bestände der außereuropäischen Hochkulturen wechselweise vorzuführen.
Nach wie vor macht sich dabei der große Raummangel peinlich und störend be-
merkbar. Es ist deshalb für die Museumsleitung besonders betrüblich, daß eine ver-
traglich für den 1. April 1963 vorgesehene Rückgabe von Räumen durch die Pädago-
gische Hochschule, die in zwei Etagen unseres Hauses mietweise untergebracht ist,
nach letzten Nachrichten um ein weiteres Jahr verschoben werden muß, weil mit dem
geplanten Neubau für diese Institution noch nicht begonnen werden konnte.
So mußte, als uns eine vorübergehende Ausstellung moderner japanischer Puppen
angeboren wurde, die die Japan Air Lines in verschiedenen europäischen Städten ge-
zeigt haben, unser großer Lichthofsaal mit Südseekunst abgebaut werden, weil
sonstiger Raum im Hause nicht zur Verfügung stand und sich auch in Stuttgart an
anderer Stelle keine geeignete Ausstellungsmöglichkeit bot. Seit dem Abbau dieser
Puppenschau Mitte Juni 1962 wird der Lichthof für eine große Nordost-Neuguinea-
Ausstellung hergerichtet, was erhebliche Umbauten erfordert und allerlei ausstellungs-
technische Probleme mit sich bringt; handelt es sich doch darum, bedeutende Neu-
erwerbungen, die um die Jahreswende 1961/62 gemacht werden konnten, In würdiger
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/■/¿ms Rhotert
und eindringlicher Form vorzuführen, zumal sich verschiedene Großobjekte darunter
befinden, die bis heute in kaum einem völkerkundlichen Museum vorhanden sind.
Über diese Sammlung von Herrn Günter Markert, München, berichtet der Leiter
unserer Asien- und Südseeabteilung im Anschluß an meinen Bericht. Hier ist es meine
Aufgabe, der Stadt Stuttgart und dem Lande Baden-Württemberg, die in einer ge-
meinsamen Aktion den Erwerb, der eine einmalige und wohl nie wiederkehrende
Gelegenheit darstellte, ermöglicht haben, insbesondere auch Herrn Bürgermeister Hirn
und Herrn Stadtdirektor Dr. Schumann sowie Herrn Ministerialrat Dr. Donndorf,
die sich mit großem Verständnis für den Kauf eingesetzt haben, herzlich zu danken.
Ebenso aber muß ich Herrn Günter Markert, einem alten Freund des Museums, Dank
und Anerkennung dafür aussprechen, daß er auf einer verhältnismäßig kurzen Reise,
die eigentlich anderen, nämlich kulturfilmischen Zwecken diente, mit ungewöhnlichem
persönlichem Einsatz und großem Geschick diese einmalige Sammlung zusammen-
getragen und dem Linden-Museum an erster Stelle zum Kauf angeboten hat. Dank
gebührt auch der Eßlinger Maschinenfabrik, die die schwierige Aufgabe übernahm,
die beiden Teile des reich besdhnitzten riesigen Mittelpfostens eines Kulthauses vom
Sepik-Fluß auszubohren, um sie vor weiterem Aufplatzen zu bewahren. Alle Stücke
der großen Sammlung befinden sich zur Zeit in der Präparation, und wir hoffen, noch
in diesem Jahre die neue Ausstellung eröffnen zu können.
Wieder sind in der Berichtszeit verschiedene Geschenke von Sammlungsgegen-
ständen gemacht worden, wofür wir Herrn Bretschneider, München, Frau Else Herwig,
Asperg, Herrn Dr. Dr. Himmelheber, Heidelberg, Herrn A. Krauter, Stuttgart, Frau
A. Nell, Stuttgart, Herrn A. Rühle, Eltingen, Herrn A. A. Surkow, Tabriz, und Herrn
W. Weidlich, Stuttgart, herzlichen Dank aussprechen.
Wie fast jedes Jahr, so hat auch in dieser Berichtszeit das Linden-Museum wert-
volles Material in fremde Städte gehen lassen: Im Herbst 1961 zeigte die Städt. Gale-
rie in München eine Ausstellung: „Nigeria, 2000 Jahre Plastik“, an der wir mit nam-
haften Leihgaben beteiligt waren. Diese Ausstellung ging anschließend nach Basel
und wurde dort in der Kunsthalle von Januar bis Februar 1962 gezeigt. Das Museum
voor Land- en Volkenkunde in Rotterdam übernahm große Bestände unserer Peru-
Sammlung zur Ausleihe für eine Sonder-Ausstellung über Kunst und Kultur des
Alten Peru. Das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln baute im Overstolzen-Haus
eine große Kolumbienausstellung auf und erbat sich hierfür eine Reihe von Leihgaben
aus unseren Sammlungen. Diese Ausstellung ging im August nach Baden-Baden und
wurde dort in der Kunsthalle gezeigt. Das Museum für Völkerkunde in Basel eröff-
nete im Juli 1962 in der dortigen Kunsthalle eine repräsentative Neuguinea-Ausstel-
lung, zu der wir größere Bestände ausgeliehen haben. Im August/September 1962
wurde von der Rhodes National Gallery in Salisbury (Süd-Rhodesien) im Rahmen
des „Festival of African and Neo-African Art and Music“ eine Ausstellung eröffnet,
an der wir mit einigen Leihgaben beteiligt waren.
Bei dieser Aufzählung kann ein Bedauern darüber nicht unterdrückt werden, daß
es bisher nicht möglich gewesen ist, ähnliche große, bedeutende Ausstellungen mit
weiter Wirkung, die zum Thema außereuropäischer Kunst, meist vergangener Kultur-
perioden, Material aus aller Welt Zusammentragen, wie sie die Städte Köln, Essen,
Bericht über das Linden-Museum
9
München, Basel, Zürich, Rotterdam, ja Neuchâtel, Darmstadt und Baden-Baden in
ihre Mauern zu ziehen verstanden haben, oft sogar in verhältnismäßig kurzer Folge,
auch nach Stuttgart zu bringen. Alle solche Versuche sind bisher an der Raumfrage
und auch an der mangelnden Bereitschaft, das erforderliche Risiko zu tragen, ge-
scheitert. Es bleibt die Hoffnung, daß mit der Eröffnung des neuen Kunstgebäudes
im Laufe der Jahre auch hier die Kunst der Welt gelegentlich ihren Einzug halten
wird.
Besondere Freundschaft verbindet das Linden-Museum mit der benachbarten
Universität Tübingen, dem Inhaber des dortigen Lehrstuhls für Völkerkunde, Prof.
Barthel, und seinem Assistenten, Dr. Fischer, die dem Museum mit manchem Rat
geholfen haben und ja auch in Tribus des öfteren mit Beiträgen vertreten sind. Um-
gekehrt hat das Linden-Museum dem Völkerkundlichen Institut der Universität Tü-
bingen eine größere Sammlung von Dauerleihgaben bereitgestellt, die für die Studie-
renden als Lehr- und Anschauungsmaterial von hohem Wert sein werden. Auf diese
Weise können Bestände, die für lange Zeit zum Schlaf in den Magazinen verurteilt
wären, fruchtbringend für die Ausbildung der akademischen Jugend nutzbar gemacht
werden. Es ist unser Bestreben, das Museum und die in ihm geleistete Arbeit in eine
möglichst enge Wechselwirkung zu den akademischen Ausbildungsstätten zu bringen,
wie dies schon früher ähnlich in München, Mainz und an anderen Universitäten ge-
schehen ist. ln diesem Zusammenhänge ist auch der geschlossene Besuch des Göttinger
völkerkundlichen Institutes unter Führung seines Direktors, Prof. Spannaus, Ende Juni
1962 mit besonderer Freude begrüßt worden.
Das Vortragswesen, wie es der Württ. Verein für Handelsgeographie seit langem
pflegt, darf wiederum als sehr erfolgreich angesprochen werden. Zu 7 Sonntags-
matineen und 12 Freitagabendvorträgen kamen 6450 Hörer. Die Mitgliederzahl ist
ganz geringfügig auf 615 angestiegen.
Die internen Arbeiten haben in allen Abteilungen ihren nach außen nur wenig
sichtbaren Fortgang genommen. Es sei an dieser Stelle allen daran beteiligten Mit-
arbeitern herzlich gedankt und mit besonderer Genugtuung vermerkt, daß sich der
gesamte Stab zu einer immer engeren Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen hat,
sich gegenseitig ergänzend und befruchtend.
Der Leiter unserer Afrika-Abteilung, Herr Dr. Zwernemann, nahm im April
dieses Jahres auf Einladung der Universität Dakar und des West African Language
Survey an einem sprachwissenschaftlichen Kolloquium in Dakar teil und referierte
dort über Ergebnisse seiner 1954/55 durchgeführten Forschungen bei den Kasena und
Nuna, zwei Stämmen im Süden von Haute-Volta. Erfreulicherweise konnte er dabei
eine Reihe neuer Kontakte aufnehmen.
Auf der letzten Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde im Oktober
1961 in Freiburg im Breisgau wurden der Leiter des Linden-Museums unter einer
hierfür notwendig werdenden Satzungsänderung nochmals zum Vorsitzenden und
Kustos Dr. Kussmaul wiederum zum Schriftführer der Gesellschaft gewählt. Wir
dürfen diese Wiederwahl als eine Vertrauenskundgebung für die gesamte Arbeit des
Linden-Museums, das sich sehr um eine wissenschaftliche Intensivierung der Tagungen
bemüht hat, bewerten und begrüßen sie, weil dadurch dieses Museum in eine beson-
Hans Rhotert
ders enge Verbindung zur deutschsprachigen völkerkundlichen Forschung, ihren Zielen
und Aufgaben gerückt ist.
Das gleiche ist aber noch auf eine andere Weise geschehen: am 17. Juli 1962 brach
der Kustos der Asien- und Südseeabteilung, Herr Dr. Kussmaul, zu einer auf 15 Mo-
nate angesetzten Forschungsexpedition nach Nordost-Afghanistan auf, zusammen mit
dem Ethnologen Dr. Snoy vom völkerkundlichen Universitätsinstitut Mainz, der
schon vor Jahren an einer Reise nach Pakistan unter Leitung des unterwegs gestor-
benen Prof. Friedrich, Mainz, teilnahm, und dem jungen Kamera- und Filmmann
Hermann Schlenker aus Schwenningen, der auf selbständigen Reisen nach Island und
Grönland seine Eignung und Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat. Ziel des Unter-
nehmens ist die Provinz Badakhschan zwischen Hindukusch und Pamir, in der alter-
tümliche Restvölker, teils Bergbauern, teils nomadisierende Hirtenstämme, studiert
werden sollen. Von Kabul aus, das mit Flugzeug erreicht wurde, soll die Fahrt erst in
gemietetem Wagen, dann mit Tragtieren und Trägern in das eigentliche Arbeitsgebiet
gelangen, wo eine Überwinterung vorgesehen ist. Die Reise wurde von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft finanziert, die gesamte Ausrüstung dagegen vom Linden-
Museum beschafft, wobei diesem die heimische und speziell schwäbische Industrie
durch Sach- und Geldstiftungen oder Gewährung erheblicher Rabatte geholfen hat,
wofür hiermit herzlich gedankt sei.
Das Linden-Museum erhofft sich von diesem seinem ersten Expeditionsunter-
nehmen eine wesentliche Bereicherung seiner Sammlungen, die gerade im asiatischen
Bereich relativ dünn gesät sind. Besonders aber liegt ihm die praktische Weiterbildung
seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter am Herzen, denn sicherlich sollte jeder Völker-
kundler wenigstens einmal in seinem Leben mit den Objekten seiner Forschung,
den Menschen fremder Völker, in unmittelbare Berührung kommen können. In Tribus
wird später über die erzielten Ergebnisse berichtet werden.
Die Tatsache, daß der Vorsitzende des Württ. Vereins für Handelsgeographie,
Herr Präs. Goetz, und der gesamte Vorstand und Ausschuß des Vereins dieser Not-
wendigkeit aufgeschlossen gegenüberstehen und das Unternehmen im Rahmen des
Möglichen gefördert und mit wohlwollender Anteilnahme bedacht haben, sei dank-
bar erwähnt. Die draußen Arbeitenden aber werden von denen mit heißen und
guten Wünschen begleitet, die zu Hause die tägliche Arbeit verrichten und jeden
Bericht „aus dem Felde“ mit Spannung und Anteilnahme erwarten.
H. Rhotert
Neuzugänge für die Sammlungen
a) Amerika
Die Amerika-Abteilung hat auch diesmal nur wenige Zugänge zu verzeichnen.
Aus privatem Besitz konnten drei Objekte von der amerikanischen Nordwestküste
erworben werden, ein Angelhaken, eine Hornrassel und ein Bootsmodell, außerdem
ein Krallenkopfschmuck von Zentralbrasilien. Angekauft wurden ferner ein altes
Modell eines Eskimo-XJmvzk sowie ein altperuanisches Ras^elgefäß aus Terrakotta,
das in Form eines menschlichen Kopfes modelliert ist und in die Kulturepoche von
Moche gehört.
F. Jäger
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Bericht über das Linden-Museum
11
h) Afrika
Seit Herbst 1961 konnten für die Afrika-Abteilung erfreulicherweise eine Reihe
sehr schöner Stücke erworben werden. Die wichtigste Neuerwerbung ist zweifellos
eine Sammlung von 149 Stücken, die eine wertvolle Ergänzung des nordwestafrikani-
schen Materials darstellt. Besonders zahlreich sind Kleidungsstücke in der erworbenen
Sammlung vertreten, aber auch Schmuck, verschiedenes Gerät (darunter zahlreiche
Keramiken und ein kupfernes Kuskus-Gefäß) sowie eine hübsche Keramiktrommel.
Angefangene Feze und Strohhüte ermöglichen es, die Herstellung dieser Objekte in
mehreren Phasen zu zeigen. Diese Sammlung stammt aus dem Nachlaß von Ernst
Rackow, einem hervorragenden Kenner Nordwestafrikas, der durch seine ausgezeich-
neten Studien über die materielle Kultur dieses Gebietes bekannt geworden ist. —
Ein Prunkstück der Nordwestafrika-Sammlung wurde aus dem Kunsthandel erwor-
ben: ein mit Messing- und Eisenblech und -nägeln verzierter Mörser mit Stößel.
Aus Westafrika wurden vor allem eine Reihe von Kunstwerken erworben, mit
denen einige bisher vorhandene Lücken geschlossen wurden. Aus dem westatlantischen
Gebiet wurden zwei Masken von den Gere und eine von den Guro erworben. Durch
eine Stiftung kamen aus dem gleichen Raum eine Reisschale von den Kran und ein
Reislöffel sowie ein Tabakmörser von den Dan in unser Haus.
Besonders schön ist die Erwerbung einer Anzahl Stücke aus dem Westsudan.
Es handelt sich um eine Maske und einen Zermonialstab von den Bamhara, zwei
Masken von den Mosi, eine Maske von den Bobo und eine weibliche Plastik von den
Senufo.
Weitere Ergänzungen unserer Westafrika-Sammlungen sind 2 Plastiken von den
Baute, eine Maske von den Ibo, ein Zeremonialstab (vermutlich eine Darstellung des
Gottes Eshu) und ein Verandapfosten mit männlicher und weiblicher Figur von den
Yoruba.
Aus dem Kongo-Gebiet konnten zwei Plastiken der Songe und ein Zeremonialbeil
der Luba, vor allem ein Tongefäß mit Hals und Ausgußöffnung in Form eines
Frauenkopfes von den Mangbetu erworben werden. Auch bei diesen Stücken handelt
es sich um Typen, die bisher nicht im Linden-Museum vertreten waren.
Ferner kamen wenige Gegenstände verschiedener Art in die Afrika-Sammlungen
des Museums: ein Fächer aus Leder und mit Straußenfedern (Kamerun) wurde aus
Privathand angekauft, einige Waffen der Ambo, einige Schurze aus Straußeneischalen
sowie zwei Elfenbeinanhänger aus Äthiopien wurden gestiftet.
]. Zwernemann
c) Asien und Ozeanien
Die Asien-Abteilung hat im Berichtsjahr relativ wenig Neuzugänge zu verzeich-
nen, doch sind darunter erfreulicherweise eine Anzahl ausgezeichneter Stücke. Aus
dem Orient erwarben wir einen Bronzedolch, einige Pfeilspitzen u. ä. von prähistori-
schen Kulturen Persiens sowie eine frühislamische Bronzeplatte aus demselben Gebiet.
Aus dem indischen Raum kamen zwei beschnitzte Elfenbeinzähne, zwei Prunkwaffen,
einige Textilien und ein Satz alter Spielkarten ins Museum. Vor allem ist aber hier zu
erwähnen eine feine Elfenbeinplastik nepalesischer Herkunft, um 1700 gearbeitet,
OH
Hans Rhotert
eine Darstellung des Avalokiteshvara. Aus Südostasien wurden vor allen Dingen gute
Textilien erworben, Stoffstücke aus verschiedenen Gebieten, durchweg von guter
Qualität. Außerdem bekamen wir eine Öllampe hindujavanischen Stiles. Besonders
zu nennen ist aber ein Tongefäß aus Sumatra, offensichtlich ein chinesisches Import-
stück aus der Sung-Zeit. Unsere an alten Stücken recht arme Sammlung ostasiatischer
Keramiken konnte ferner ausgebaut werden durch ein weiteres sung-zeitliches Gefäß,
eine herrliche hanzeitliche Urne und eine größere Urne aus dem Bereich der Kansu-
Kultur im typischen Panschan-Stil. Ein reizendes, tierförmiges Kännchen in der
Technik des Emaille sur bisquit (kanghsi) rundet diese schöne Reihe von Neu-
erwerbungen glücklich ab, die erfreulicherweise auch noch durch zwei frühe koreanische
Schalen ergänzt werden. Einen hübschen Kontrast geben zwei bestickte Wandbehänge
aus China, der eine aus dem frühen 18. Jahrhundert, der andere aus dem Jahre 1921.
Aus Nordasien schließlich erwarben wir zwei Objekte von den Tschuktschen, nämlich
ein graviertes Knochenstück und einen mit Sehnen verstärkten Bogen.
So erfreulich diese Neuerwerbungen aus Asien sind, werden sie doch dieses Mal
bei weitem in den Schatten gestellt durch eine große und reiche Sammlung ozeanischer
Neuzugänge. Neben einem Heitiki {Maori), einem schönen alten Angelhaken von
Tonga und einer intarsierten Zermonialkeule von den westlichen Salomonen ist hier
vor allem die Scpiksammlung aus dem Nordosten Neuguineas zu nennen, über deren
erhoffte Erwerbung bereits im letzten Bericht gesprochen wurde. Inzwischen ist es uns
durch das Entgegenkommen von Stadt und Staat gelungen, diese Sammlung zu er-
werben, die aus 155 Stücken besteht; darunter ist eine Reihe großartiger Objekte,
wie sie heute kaum noch angeboten werden. Unsere vordem schon gute Sepik-Samm-
lung ist durch diese Erwerbung, vor allem in Hinblick auf die Kulturen am mittleren
Sepik, noch wesentlich bereichert worden, und wir sind nunmehr in der glücklichen
Lage, die Kulturen von der Küste bis zum Hunsteingebirge herauf in schöner Ge-
schlossenheit zu zeigen.
Es kann nicht erwartet werden, daß eine 1960/61 zusammengetragene Sammlung
vom Sepik noch vollständig aus Stücken besteht, die mit steinzeitlichen Werkzeugen
hergestellt sind. Doch ist in der nun erworbenen Sammlung eine erfreulich große
Anzahl von Arbeiten dieser Art enthalten und zeigt, daß auch in diesem feuchttropi-
schen Gebiet aus Holz geschnitzte Objekte eine ganze Reihe von Jahrzehnten über-
dauern können. Die Mehrzahl sind freilich relativ moderne Arbeiten, die allerdings
noch ganz in der alten Tradition gearbeitet worden sind. Bewußt wurden einige
moderne Stücke dazugenommen, die das Verflachen der alten Stile zeigen, und einige
Missionsstücke, die das Eindringen neuer Stilelemente beweisen, freilich auch einen
erschreckenden Qualitätsabfall dokumentieren.
An Einzelstücken in dieser Sammlung seien die folgenden hervorgehoben: ein
über 8,5 m hoher, rundum in der ganzen Länge beschnitzter, mächtiger Hauspfahl,
der Mittelpfeiler vom Giebel eines Männerhauses. Das Stück zeigt zwei überlebens-
große männliche Figuren, darüber auf der einen Seite eine Maske von über 3 m Höhe.
Ein zweiter, wesentlich kürzerer Pfahl, gleichfalls vom mittleren Sepik, ist in der
Qualität fast noch ausdrucksstärker als der eben genannte größere Pfahl, dessen
Monumentalität nicht nur beim ersten Anblick fasziniert. Eine Anzahl rund-
plastischer und flacher, größerer Figuren, alle vom Mittellauf des Sepik, zeigen in
Bericht über das Linden-Museum
13
ihrer Herkunft verschiedene Stile und innerhalb dieser Stile verschiedene Stadien der
Akkulturation dieser Menschen. Besonders erwähnenswert scheint hier eine gut lebens-
große, männliche Figur zu sein, rundplastisch, ausgehöhlt, die nach den Angaben des
Vorbesitzers zum Zeitpunkt der Erwerbung (1926) mit Kinderknochen vollgestopft
war — wahrscheinlich im Zusammenhang mit Sekundärbestattungen. Ein großer
Kultstuhl, ein fast zwei Meter hoher hölzerner Dachaufsatz, einige Malereien auf
Palmblattscheiden, einige Trommelköpfe und Kanusteven treten hinzu. Besonders
zu erwähnen sind aber noch ausgezeichnete, alte Schmuckstücke, Geräte und Klein-
plastiken, so zum Beispiel eine ßrauthaube, einige knöcherne Spatel, einige Rührlöffel
und Tapaklopfer. Eines der größten und gewichtigsten Objekte ist eine Schlitztrom-
mel, die als Kopfstück eine Verschlingungsszene trägt.
Die Sammlung enthielt außer dem Material vom mittleren Sepik auch eine fast
1,5 m hohe Ahnenfigur vom unteren Sepik, ein altes Stück von hoher Qualität. Sie
enthielt außerdem eine Anzahl von Stücken aus dem Gebiet von Maprik. Besonders
zu nennen ist hier die vollständige Verkleidung vom Giebel eines Männerhauses,
eines jener imposanten Gebäude, die bei fast dreieckigem Grundriß einen hohen, weit
vorkragenden, spitzen Giebel aufweisen, der mit einzelnen Stücken aus Palmblatt-
scheiden von oben bis unten verkleidet ist, wobei diese Stücke so bemalt sind, daß
riesige, maskenartige Gebilde entstehen, die in Zonen neben- und übereinander bei
wechselnden Größen angeordnet sind. Aus demselben Gebiet erwarben wir in dieser
Sammlung auch eine Reihe von Schnitzwerken verschiedenen Types, darunter einige
gute alte Stücke, leider ohne farbige Fassung. Ergänzend zu diesen Kunstwerken von
Maprik treten eine Anzahl von Gefäßen aus demselben Raum und einige geflochtene
Masken. Die Erwerbungen des Maprik-Materials ist insofern besonders schön, als es
sich um einen Kulturraum handelt, der in unseren Sammlungen bisher nicht vertreten
war.
F. Kussmaul
Siegbert Hummel
Die lamaistischen Kultplastiken im Linden-Museum
I. Die lamaistischen Bronzen
Der Lamaismus ist eine Form des Mahäyäna-Buddhismus. Darum setzen Ver-
ständnis und Würdigung der lamaistischen Plastik eine Kenntnis der indisch-
buddhistischen Stilentwicklung voraus. Noch mehr als die Malerei hat es die Plastik
mit der Darstellung des Gautama Buddha, seiner Vorgänger, Nachfolger und Tra-
banten, der Bodhisatvas und der niederen Bewohner des Pantheons zu tun, die als
Nothelfer oder Verkörperung verschiedener Mächte im Mittelpunkt der gläubigen
Versenkung oder auch des Kultes stehen.
Die Frage nach der Entstehung des Buddhabildes und dem Werden seiner auch
im Lamaismus kanonischen Formen kann heute nicht mehr allein von Gandhära her,
das heißt aus jenem indisch-hellenistisch-römischen Stil um die Zeitenwende sowie
in den ersten drei Jahrhunderten danach, beantwortet werden. Zumindest ebenso
bedeutsam wie die Plastik von Gandhära war für die Gestaltung des Buddhabildes
die Kunst im nordindischen Mathurä mit gewissen parthischen Einschlägen. In der als
Gupta-Ära bekannten Periode der indischen Kunst fand das nationalindische Buddha-
bild dann seine vollendete Form, denn diese Epoche der indischen Kunst (ca. 320
bis 600 bzw. 720 n. Chr.) entwickelte den eigentlich klassischen Buddhatyp, der das
Vorbild auch für die lamaistischen Plastiken des Religionsstifters geworden ist.
Gandhära-Motive dürften dabei in der Faltung des Gewandes, vor allem bei den
völlig bekleideten, stehenden Gestalten nachklingen, die sich bis in den Lamaismus
hinein erhalten haben (vgl. Bronze Nr. 72069 mit indischen Plastiken der Gupta-
Periode)1). Aber auch in gewissen ornamentalen Motiven, besonders wo Ranken ver-
wendet werden, haben sich über die Gupta-Zeit und über den späteren indischen
Päla-Stil (730—1197 n. Chr.) Gandhära-Einflüsse in der lamaistischen Plastik er-
halten.
Gandhära-Reminiszenzen in der Ikonographie sind das fischähnliche Fabelwesen
Makara mit dem Elefantenrüssel, das über den Delphin der Aphrodite bis in vor-
indogermanische Ursprünge hinein verfolgt werden kann. Das Medusenhaupt findet
sich als sogenanntes Ci-mi-’dra (vgl. Bronze Nr. 72390) auf dem Brustpanzer lama-
istischer Gestalten und der Silen lebt im Dickbauchbuddha (tib.: Hva-shang; chin.:
*) A. K. Coomaraswamy, Flistory of Indian and Indonesian Art, London 1927,
Abb. 158 u. 160. — B. Rowland, The Art and Architecture of India, 3. Aufl.
Harmondsworth 1954, Abb. 80 u. 85.
16
Sieghert Hummel
Pu-Tai-Ho-Shang) noch fort)2), verbirgt sich aber auch im Reichtumsgott Kubera,
besonders in dessen nackter Form als Dzam-bha-la oder im bewaffneten Vaishravana
(tib.: rNam-thos-sras), stets mit einer Neigung zur Korpulenz (vgl. Bronze Nr. 71494).
Die Wege der indischen Kunst ins tibetische Hochland führen vor allem über
Käshmir nach Westtibet und über Nepal ins südliche Zentraltibet. Frühe figürliche
Darstellungen, insbesondere des Maitreya (tib.: Byams-pa) im 10. und 11. Jahrhun-
dert bei dNgul-’bye (Mulbek), dPa’-gtum, iCe und Kha-la-rtse lassen sich an die
frühbuddhistische Kunst von Ändhra bzw. an die der folgenden Gupta-Zeit an-
knüpfen. Die Kunst der bereits genannten Päla-Zeit des unteren Ganges-Tales zeich-
net sich inhaltlich schon durch tantristisch-shivaitische Züge der späteren Yoga-Schule,
daneben aber auch durch vishnuitische Einflüsse aus. Die Figuren lassen bereits ihre
Bestimmung als magisches Instrument der Yoga-Praktiken erkennen. Sie sind weniger
vital und hintergründig als die Gupta-Bilder, dafür aber reich an Schmuck und
raffiniertem Beiwerk, betont anmutig und tragen ganz den Charakter behelfsmäßiger
Größen für meditative Praktiken.
Die Einwanderung indischer Künstler mit buddhistischen Mönchen aus Käshmir
und Indien nach Westtibet fällt in die Zeit zwischen 700 und 1000 n. Chr. und ist
aus der brahmanischen Gegenreformation in Indien zu erklären. Etwa um das Jahr
1000 erreicht die buddhistische Kunst in Südwesttibet, besonders im Gebiet von
sPi-ti und Gu[dGu]-ge mit Ausstrahlung nach Bu-rang[s] einen beachtlichen Höhe-
punkt. Jetzt schon machen sich typisch tibetische Elemente bemerkbar, vor allem das
Ausladende im Habitus und das Expressive im Gestus. Das berechtigt uns, von einer
indo-tibetischen Manier zu sprechen. Zweihundert Jahre später als die noch zu er-
wähnende südtibetische Kunst des 14.—15. Jahrhunderts in der Umgebung von
rGyal-rtse (Gyantse) hat dann die Schule von Guge in den Klöstern Kyi-bar, Brang
[DrangJ-mkhar, Na-go, sNu, Rab-rgya-gling, Zhang-rtse, mTho-gling und rTswa-
ba-rang ihren Höhepunkt erreicht3). Diese westtibetische Schule entwickelte die tibe-
tischen Elemente immer weiter zu einem eigenen, reinen tibetischen Stil mit indischen
Reminiszenzen, in dem die in Südtibet sichtbaren chinesischen Elemente ganz zurück-
treten. Gerade diese westtibetische Kunst zeigt, daß die chinesischen Elemente, was
den wesentlichen Charakter der tibetischen Kunst angeht, nicht von ausschlaggeben-
der Bedeutung sind.
Der indisch-nepalesische Einfluß auf die buddhistische Kunst Tibets wird bereits
im 11. und 12. Jahrhundert erkennbar. Aber schon im 7. Jahrhundert kamen durch
2) Über diese Gestalt vgl. S. Hummel, Der Weiße Alte (in: Sinologica, VI, 3, Basel
1960) u. die dort angegebene Literatur. — Über den Dickbauchbuddha vgl. L.
Schermahn, Dickbauch-Typen in der indisch-ostasiatischen Götterwelt (in: Jahr-
buch der Asiatischen Kunst, I, Leipzig 1924). — F. D. Lessing, Yung-Ho-Kung,
Stockholm 1942. S. 21 ff.
3) Vgl. G. Tucci, Indo-Tibetica, I—IV, Rom 1932—1941. — Id., Tibetan Book-
Covers (in: Art and Thought, 1948). — G. Tucci u. E. Ghersi, Shrines of a Thou-
sand Buddhas, New York 1936. — Id., Cronaca della Missione scient. Tucci
nel Tibet occidentale (1933), Rom 1934.
Abb. 1. 72 069. Shâkyamum. SIg. Umlaujf
Abb. 2. 71 462. Avalokiteshvara. Slg. Umlauff.
Abb. 3. 71 764. Avalokiteshvara. Slg. Umlaujj.
Abb. 4. 120 792. Narteshvara. Slg. Markert.
TAFEL II
1. Die lamaistischen Bronzen
17
die Eheschließung des tibetischen Königs Srong-btsan-sgam-po (ca. 620—649) mit
einer nepalesischen Prinzessin, die als Inkarnation der Grünen-Tärä (skr.: Tara
shyämavarnä; tib.: sGrol-ljang; vgl. Bronze Nr. 121 579) gilt, nepalesische Bildwerke
ins Land4). Täranätha spricht von einer nepalesisch-buddhistischen Plastik, die er auf
die sogenannte östliche Schule der indischen Kunst zurückführt, deren bedeutendste
Meister Dhimanä [Dhimän] und Bitpäla [Bitpälo] als Vertreter der Päla-Kunst des
9. Jahrhunderts gewesen sind5). Ihre Bildwerke wurden von den Tibetern als Shar-
gyi-lha (östliche Götter) bezeichnet. Nicht ganz ohne Bedeutung für den Lamaismus
mag auch die vorübergehende Abhängigkeit des unteren Ganges-Gebietes von Tibet,
vom tibetischen König Khri-srong-lde-btsan (755—797) an bis in 9. Jahrhundert
hinein, gewesen sein6). Im 13. Jahrhundert spielt dann der nepalesische Künstler
A-ni-go, der auch am Hofe des Mongolenkaisers gearbeitet hat, bei der Entwicklung
der tibetisch-buddhistischen Plastik eine gewisse Rolle. Auch von Nepal gilt für die
Einwanderung indischer Künstler als Ursache die brahmanische Gegenreformation
und später, im 12. Jahrhundert, der Einbruch des Islams ins buddhistische Bihär.
Für unsere Kenntnis der südtibetischen Kunst des 11.—14. Jahrhunderts sind vor
allem die durch G. Tucci (1. c.) beschriebenen Klöster Iwang, Samada (tib.: rKyang-
phu) und Salu (tib.: rGya-gnas) maßgebend. In Salu und besonders in Gyantse sind
dann, ähnlich der Schule von Guge, im 14. und 15. Jahrhundert die indischen Ele-
mente (tib.: rGya-lugs) mit den tibetischen zu einem einheitlichen tibetischen Stil ver-
schmolzen. Das geistige und künstlerische Zentrum für alle diese Klöster dürfte
Sa-skya gewesen sein, das nepalesische Künstler beherbergte und im 13.—15. Jahr-
hundert auch Beziehungen zur chinesischen Kunst erkennen läßt7), die dann besonders
in den Werken von Gyantse auffallen. Aber überall stehen jetzt für die künstlerische
Gestaltung die liturgisch-kultischen Aufgaben im Vordergrund, was sich in einer
bevorzugten Aufordnung der Plastiken als einer vom Gefühlsausdruck abstrahierten
religiösen Symbolik nach dem Mandalaprinzip zeigt. Die Kunstwerke rücken somit
immer mehr unter den Aspekt der reinen Ikonographie.
4) Figuren des Akshobhya, der Tara und des Maitreya. Das Akshobhya-Bild wurde
im Tempel Ra-mo-che aufgestellt, das des Maitreya und der Tara im Jo-bo-khang;
vgl. hierzu ausführlicher S. Hummel, Das kristallene Meer in der Kathedrale von
Lhasa (in: Oriens Extremus, IX, 1, mit Literaturhinweisen).
5) Geschichte des Buddhismus in Indien (übersetzt u. herausgeg. von A. Schiefner),
St. Petersburg 1869. Die künstlerische Feinheit der bengalischen Tradition wird
besonders gerühmt.
6) Vgl. die Übersichtskarte in H. Hoffmann, Tibets Eintritt in die Universalge-
schichte (in: Saeculum, I, 2).
7) Vgl. die Anmerkungen zu Sa-skya-mahä-pandlta Kun-dga’-rgyal-mtshan in: S.
Hummel, Geschichte der tibetischen Kunst, Leipzig 1953, S. 18. Eine der dort
besprochenen Ikone ähnliche, zweifellos aus der gleichen Werkstatt stammende
findet sich bei Jisl-Sis-Vanis, Tibetische Kunst, Prag 1958, Tafel 108/109.
18 Siegbert Hummel
Wir erwähnten die gegenseitige Durchdringung des persisch-indischen und hel-
lenistisch-römisch-buddhistischen Mischstiles. Dieser Stil, später noch mit chinesischen
und durch die Eroberung Turkestans durch die Tibeter (7.—9. Jahrhundert) mit
tibetischen Elementen verquickt, fand eine besondere Prägung in Tun-Huang und in
dem südwestlichen Becken von Khotan (tib.: Li-yul bzw. Kha-sha). Gewisse Arbeiten
des 14. Jahrhunderts in Tun-Huang, das im Jahre 787 von den Tibetern erobert
worden war, sind solchen in Gyantse eng verwandt. Die Funde von Tun-Huang
werden unter Heranziehung japanischer Parallelen des 1. Jahrtausends, hinter denen
sich meist chinesische Künstler verbergen, auch für unsere Kenntnisse der buddhisti-
schen Kunst der chinesischen T’ang-Epoche gewichtig, die ihrerseits nicht ohne Be-
deutung für die Entwicklung der tibetischen Kunst gewesen ist.
Schon der tibetische König Mes-’ag-tshoms berief im 8. Jahrhundert khotanesische
Künstler nach Tibet. Im 10. Jahrhundert fand dann während der Verfolgung des
Buddhismus in Turkestan ein großer Zustrom von dortigen Malern und Bildhauern
nach Tibet statt, und wir begegnen der sogenannten zentralasiatischen Manier (tib.:
Li-lugs) in der buddhistischen Plastik der bereits genannten südtibetischen Klöster.
Nach Turkestan kam der Buddhismus aus Gebieten, die für die Ausbildung der
lamaistischen Abart des Mahäyäna von besonderer Bedeutung waren. Unter ihnen
nimmt die Heimat des Padmasambhava, der unter Khri-srong-lde-btsan in Tibet
wirkte, also die Gegend des Swat-Tales (Uddiyäna; tib.: U-rgyan), eine bevorzugte
Stellung ein. Hier ist einer der Mutterböden des Lamaismus zu suchen. Hierhin ver-
weisen vor allem die zauberkräftigen, feenartigen Däkinis (tib.: mKha’-’gro-ma), die
noch heute als Racis den Darden bekannt sind und das Pantheon des Lamaismus in
zahlreichen Arten bevölkern (vgl. Nr. 1472/21 [5]). Die entsprechenden Vorstellun-
gen waren auch wesentlich an der komplexen und vielschichtigen Gestalt der lama-
istischen dPal-ldan-lha-mo (skr.: Shridevi; vgl. Nr. 119 388) und ihrer Manifesta-
tion als Ekajatä (tib.: Ral-gcig-ma), ferner an einigen Gruppen weiblicher Berggott-
heiten, zum Beispiel den Tshe-ring-mched-lnga und den bs-Tan[brTan]-[gYa]-bcu-
gnyis, beteiligt8).
Über Indien, Turkestan und die Tibet westlich benachbarten Gebiete kamen auch
iranische Elemente in die lamaistische Kunst. Diese haben besonders die Symbolik
des Mahayäna-Buddhismus bereichert. Sicher ist der Donnerkeil (skr.: Vajra; tib.:
rDo-rje) in der Hand vieler lamaistischer Gottheiten (vgl. Bronze Nr. 71 456 u.
120 793) über den Iran auf vorindogermanische Vorstellungen zurückzuführen. Das
gilt auch vom Ritualdolch Phur-bu, dem Hakenkreuz (tib.: gYung-drung; skr.:
Svastika) und dem Garuda-Vogel (tib.: Khyung), der in der Plastik mitunter als
selbständige Größe vorkommt und dessen Entstehung ich an anderer Stelle ausführ-
Hi
8) Zur Bedeutung Dardistans für den Lamaismus vgl. S. Hummel, Die Herrin der
Berge (in: Ethnos, In Memoriam F. D. Lessing, Stockholm 1962). — Zu den
Däkinis in Swat vgl. G. Tucci, Travels of Tibetan Pilgrims in the Swat Valley,
Calcutta 1940. — Id., Preliminary report on an archaeological survey in Swat
(East and West, IX, 4).
/. Die lamaistischen Bronzen
lieh nachgegangen bin9). Neben Garuda findet sich als Motiv des Sonnenvogels der
Pfau, meist als Sitzgelegenheit (skr.: Vähana) von Gottheiten, zum Beispiel des
Acala (tib.: Mi-gyo-ba) schon auf indisch-buddhistischen Magadha-Plastiken des 7.
bis 9. Jahrhunderts. Auch Amitäbha, besonders aber der sogenannte Pfauenbuddha,
hat noch heute den Pfauenthron. Hier mag auch noch das Pferd im Haar des Haya-
griva (tib.: rTa-mgrin; vgl. Nr. 121 613) als iranische Reminiszenz genannt werden.
Amitäbha (tib.: ’Od-dpag-med; vgl. Nr. 19 839), der rote Dhyänibuddha des
unendlichen Lichtes, läßt sich nur von iranischen Vorstellungen her ganz verstehen.
Ähnliches gilt von den 35 Buddhas der Mühe um Sündenvergebung, die den Zugang
zum Paradies des Amitäbha öffnen helfen10 *). Die Lokalisierung des Amitäbha in
einer Region des Lichtes und der Freude im Westen sowie die Ausgestaltung dieser
Gefilde der Seligkeit weisen eindeutig auf den Iran.
Die fünf Dhyänibuddhas (tib.: rGyal-ba-rig-lnga) haben bei ihrer transzenden-
ten Existenz zu Emanationen eine Art spiritueller Söhne, die sogenannten Bodhisat-
vas (tib.: Byang-chub-sems-can [dpa’]), die zum Wohle der Lebewesen gern in irdi-
schen, inkarnierten Nothelfern erscheinen. Diese Lehre erinnert in mancher Hinsicht
an die Fravaschis der iranischen Lichtreligion, die eine Art himmlischer Doppel-
gänger der auf Erden weilenden Menschen darstellen, sowie an die himmlische Prä-
existenz der Seelen im Schamanismus. Die Fünfzahl der Dhyänibuddhas, es sind
Vairocana (Nr. 71 476), Akshobhya (Nr. 71 321), Ratnasambhava, Amitäbha (bzw.
Amitäyus; Nr. 71 343) und Amoghasiddhi, hat ihre Parallele in der fünfgliedrigen
Natur des Lichtkönigs bzw. in den fünf Wohnungen des Lichtes als fünf Erweise des
Lichtkönigwesens bei Mani. So wie dieser Lichtkönig einen Sohn von Lichtnatur aus
sich erzeugt, so entfaltet sich zum Beispiel Amitäbha durch einen Lichtstrahl in den
Bodhisatva Avalokiteshvara (tib.: sPyan-ras-gzigs, vgl. Nr. 71 764). Aber selbst die
Dhyänibuddhas sind wieder Entfaltungen oder Manifestationen, und zwar eines so-
genannten Urbuddha (skr.: Ädibuddha). Hier darf im Zusammenhang auch die im
Lamaismus bekannte Lehre von den Phantomen der Brust (tib.: Thugs-kyi-sprul-pa)
Erwähnung finden. Danach entsteht jedes Glied des Pantheons durch einen Licht-
strahl, der aus der Brust des jeweiligen Emanationsherdes hervorgeht. B. Bhattacha-
ryya, The Indian Buddhist Iconography, 2. Aufl. Calcutta 1958, S. 11, bringt die
Dhyänibuddhas mit den fünf Skandhas (Grundbedingungen der psycho-somatischen
Existenz) zusammen.
Die Lehre von den Bodhisatvas ist schon im 2. Jahrhundert v. Chr. (Bhärhut)
erkennbar und im 2./3. Jahrhundert n. Chr. ausgebildet; die von den Dhyänibuddhas
vielleicht hundert Jahre früher. In diesen Jahrhunderten scheinen die iranischen
Einflüsse auf den Mahäyäna-Buddhismus besonders stark gewesen zu sein. Die Vor-
9) S. Hummel, Der lamaistische Donnerkeil (Rdo-rje) und die Doppelaxt der Mit-
telmeerkultur (in; Anthropos, 48). — Id., Der lamaistische Ritualdolch (Phur-bu)
und die alt-vorderorientalischen Nagelmenschen (in: Asiatische Studien, VI, 4). —
Id., Eurasiatische Traditionen in der tibetischen Bon-Religion (in: Opusc. Ethn.
Mem. Lud. Biro Sacra, Budapest 1959).
S. Hummel, Lamaistische Studien, Leipzig 1950, Kap. VIII.
20
Sieghert Hummel
aussetzungen zu diesen Vorstellungen dürften in einer vorindogermanischen-gnosti-
schen und einer archaisch-schamanistischen Schicht zu suchen sein.
Auch sMan-bla, der Medizin-Buddha, regiert ein Lichtparadies (Nr. 1472/221),
das bei der Ordnung des Pantheons nach dem Mandalaprinzip in den Osten verlegt
wird. Wiederum deutet alles auf den Iran, denn die sechs (manchmal acht) Begleiter
des sMan-bla erinnern an die sechs Amescha-Spehtäs des persischen Mazda. Die Ver-
ehrung des sMan-bla wurde wahrscheinlich im 8. Jahrhundert durch Shäntirakshita
in Tibet eingeführt, während Padmasambhava zur gleichen Zeit den Kult des Haya-
griva verbreitet zu haben scheint.
Zur Frage der Gloriolen, die ebenfalls hier angeschnitten werden müßte, verweise
ich auf meine Besprechung der lamaistischen Miniaturen des Linden-Museums in
Tribus, Bd. 8U).
Abschließend zu unserer historischen Einführung sei noch ein Wort zur Bedeutung
der chinesischen Kunst vor allem in der Entwicklung der Plastik des Lamaismus
gesagt. Chinesisch beeinflußte Werke werden als Nag-lugs (tib.) bezeichnet, worunter
wir also eine sino-tibetische Manier verstehen.
Die erste Begegnung mit chinesischen Kunstwerken fällt wiederum in die Zeit
des Königs Srong-btsan-sgam-po, der neben seiner nepalesischen Gattin eine Nichte
des chinesischen Kaisers zur Frau hatte, die dann als Inkarnation der Weißen-Tara
(skr.: Sitatärä; tib.; sGrol-ma-dkar-mo; Nr. 71 253) galt12). Das berühmte, mit
edlen Steinen geschmückte Sandelholzbild im Jo-bo-khang, der Kathedrale von
IHa-sa, soll diese Prinzessin mitgebracht haben; es soll einem der ältesten indischen
Buddhabilder nachgeschaffen sein. Die heute im Jo-bo-khang gezeigte Figur ist aber
wohl eine Nachbildung des verlorengegangenen Originals aus dem 18. Jahrhundert.
Eine intensivere Begegnung chinesischer und tibetischer Kunst dürfte in der 2. Hälfte
des 1. Jahrtausends n. Chr. in Turkestan, besonders aber während der khotanesischen
Auswanderung buddhistischer Mönche nach Tibet stattgefunden haben.
Unter den buddhistischen Schöpfungen der T’ang-Zeit (618—907) ist es besonders
ein vom indischen Bodhisatva beeinflußter Typ dieses Nothelfers, der auch in die
lamaistische Kunst aufgenommen worden ist. Die Ausstattung dieses Bodhisatva, die
von Indien her angeregt war13), entsprach ganz dem gesteigerten Schmuckbedürfnis
der T’ang-Zeit. Aber die kultisch gebundene, ikonographische Plastik läßt den für
die Kunst des damaligen China so charakteristischen Hang zu einer daseinsfreudigen
Körperlichkeit oft mit naturalistischen und malerischen Tendenzen erkennen, der mit
einer viel mehr hintergründigen Vitalität der Gupta-Plastiken nicht zu verwechseln
ist. Einige der reich geschmückten Bodhisatva-Typen des Lamaismus erinnern noch
heute an die chinesischen Bodhisatva-Darstellungen der T’ang-Zeit (vgl. Nr. 71 478)
u) Vgl. auch ergänzend S. Hummel, Die Gottheiten der Schulter in Tibet (Phrag-
1ha); in: Rivista degli Studi Orientali, XXXIV, Rom 1959.
,2) Auch der tibetische König Mes-ag-tshoms (705—755) hatte eine T’ang-Prinzessin
zur Frau.
13) Vgl. B. Läufer, Notes on Turquoise in the East, Chicago 1913.
TSTmJ
I. Die larnaistischen Bronzen
und leiten zögernd von der sino-tibetischen Manier zu einem tibetischen Stil mit
chinesischen Elementen über.
Eine weitere Einwanderung chinesischer Motive in die lamaistische Kunst im
Dienstbereich des Klosters Sa-skya, das bis ins 17. Jahrhundert hinein für die geistige
Entwicklung Tibets von großem Einfluß war, nannten wir in Verbindung mit der
indo-tibetischen Manier im südlichen Zentraltibet. Der um 1182 geborene Sa-skya-
mahä-pandita, der selbst ein schaffender Künstler war, knüpfte auf eigenen Reisen
enge Verbindungen mit der Mongolei und mit China an. Im 13. und 14. Jahrhun-
dert wurden wiederholt chinesische und mongolische Künstler nach Sa-skya ein-
geladen.
Während der Ming-Zeit (1368 —1644) verflachen und erstarren auch die naturali-
stischen Elemente, die sich in der T’ang-Zeit anbahnten und in der Yüan-Zeit mit
dramatischen Akzenten verquickten, im Äußerlichen, Dekorativen. Die flatternden
Gewänder werden bevorzugt und in dem betont reichen Beiwerk der Plastiken wird
die Oberfläche durch sorgfältige Ziselierung und durch die damit entstehenden Schlag-
schatten belebt. Das alles breitet sich wie ein Mantel um einen Kern, dessen Ursprünge
im indisch-mahayänistischen Kultbild zu suchen sind (vgl. Nr. 71 456, 71 763, 72 070).
Diese Art der plastischen Gestaltung hat sich als vornehmstes Kriterium lamaistischer
Bronzen im tibetischen Stil mit chinesischen Einflüssen bis in die Gegenwart hinein
erhalten.
Eine Entwicklung der naturalistischen Darstellung zum Porträt und bis zur Grenze
der Karikatur findet in der chinesischen Kunst der Yüan-Zeit (1277—1368) ihre
Steigerung. Mit dem ganz anders gearteten, mehr auf innere Dynamik gerichteten
tibetischen Naturell fand sich für die tibetische Kunst ein Gegengewicht gegen ein
depotenziertes Absinken einerseits in das bloß Naturalistische, andererseits in die
Karikatur. Das zeigt sich beispielsweise am Dickbauchbuddha, einer in China beson-
ders beliebten Ikone des buddhistischen Pantheons. Gerade hier ist die tibetische
Kunst der Groteske dieser oft mißverstandenen, wohllebigen Gestalt mit nahezu
dämonischen Akzenten entgegengetreten. Bei der Darstellung bedeutender Kirchen-
fürsten hat die lamaistische Kunst die chinesische Tradition des Porträts übernom-
men. Der Körper der betreffenden Persönlichkeiten bleibt dabei jedoch in die kano-
nisch-ikonographischen Formen gebunden (Nr. 120 791).
Was den Typenschatz der larnaistischen Ikonographie angeht, so bedeutet die
Berührung mit der chinesischen Kunst keine sonderliche Bereicherung. So fehlt zum
Beispiel die Gestalt des Wei-T’o, des gepanzerten himmlischen Generals. Im Grenz-
gebiet tibetisch-chinesischer Siedlung und in einigen Lamatempeln Zentraltibets, die
auf die chinesische Okkupation unter den Mandschu zurückgehen, findet sich bis-
weilen der mit dem tibetischen Nationalhelden Ge-sar oftmals gleichgesetzte chine-
sische Kriegsgott und Hüter des Reichtums Kuan-Ti. Sicher liegt dabei eine Konzes-
sion der Lamas an die Mandschu-Dynastie (1644—1911) vor, deren Schutzgott
Kuan-Ti war14). Die in der tibetischen Kunst häufigen Drachen sind ebenfalls chine-
sischer Herkunft. Hier war es wohl die Beliebtheit der verwandten Nägas in der
,4) S. Hummel, Anmerkungen zur Ge-sar-Sage (in: Anthropos, 54).
Siegbert Hummel
Mythologie der vorbuddhistischen Bon-po Tibets und des Lamaismus, die eine Auf-
nahme dieser Fabelwesen förderte.
Wie bereits betont wurde, dürfen die chinesischen Elemente, die besonders im 17.
und 18. Jahrhundert auf Grund der geschichtlichen Verhältnisse in die tibetische
Kunst einströmen15), vor allem in der Plastik nicht überschätzt werden. Sie treten
mehr im Beiwerk und in den äußeren Mitteln der Darstellung in Erscheinung. Selbst
wo in der Malerei durch eine Erweiterung der Farbskala eine Bereicherung der Aus-
drucksmittel gegeben war, ist alles tibetisch durchglüht. Flier verweise ich auf die
entsprechenden Darlegungen in meiner „Geschichte der tibetischen Kunst“* * 18). Immer-
hin läßt sich die sino-tibetische Manier und die tibetische Kunst mit chinesischen Ele-
menten von der indo-tibetischen Kunst bzw. der tibetischen mit indischen Elementen
leicht unterscheiden, während die Verschiedenheiten zwischen tibetischen und nepa-
lesischen Arbeiten schwer zu erkennen sind, zumal viele lamaistische Kultfiguren aus
Nepal importiert wurden und viele Nepalesen in Tibet, besonders in IHa-sa, arbei-
teten. Obwohl auch die guten lamaistischen Plastiken mit indischen Stilkriterien, ins-
besondere solche der Päla-Tradition, ähnlich den Bildwerken mit chinesischen Ele-
menten sorgfältig und üppig modelliert sowie im allgemeinen weniger transzendent
sind als etwa die Werke mit Traditionen des Gupta-Stiles, so betonen doch die chine-
sisch beeinflußten bzw. von chinesischen Künstlern in Tibet oder in den Werkstätten
von Peking, Wu-T’ai-Shan und Dolon-noor in der Inneren-Mongolei hergestellten
Stücke, wie schon angedeutet, mehr die malerischen Akzente als die indischen und
verlieren darin viel vom Eindruck ihrer Bestimmung als Instrument meditativer oder
auch magischer Praktiken. Sie wirken fast eher wie Schaustücke und stehen darum
noch unter dem religiösen Niveau der nach indischer Tradition geschaffenen Werke.
Die durchaus nicht immer fromme Absicht, aus der heraus sie geschaffen wurden,
können sie nicht ganz verbergen.
Das malerische Element drängt sich, wie gesagt, seit der Sung- und Yüan-Zeit in
den Vordergrund, um dann in der überfeinerten Ziselierung des Beiwerkes und in
den äußeren Bewegungselementen der Ming- und Mandschu-Zeit zu verflachen. Die
indisch beeinflußten Ikonen sind kultisch zwingender und rufen in ihrer ikonographi-
schen Strenge eher zur Andacht als die Stücke mit betont chinesischen Elementen,
Abschließend darf man wohl sagen, daß die tibetische Plastik, abgesehen von den
genannten Nuancen, eine lebendige Beziehung zu den urtümlichen Mächten der
Wirklichkeit ahnen läßt, indem sie suggestiv mächtig im Meditierenden magisch die
schöpferischen Kräfte aufruft und entfalten läßt. Rein äußerlich ist gute tibetische
Plastik durch eine edle Linienführung und durch fein abgestimmte, wohl ausgewogene
Proportionen ausgezeichnet. Sie ist aber nicht nur sinnenfreudig ästhetisch, sondern
auch dämonisch erweitert, indem das zerstörerische Element seinen wohlgeordneten
Platz in der Ganzheit des Kräftespieles erhält. Von daher müssen dann die Grauen
15) Hierzu vor allem L. Petech, China and Tibet in the early 18th Century, Leiden
1950. — G. Schulemann, Geschichte der Dalai-Lamas, 2. Aufl. Leipzig 1958.
18) Besonders S. Hummel, Die lamaistische Kunst in der Umwelt von Tibet, Leipzig
1955, S. 50 ff. — Zur chinesischen Ornamentik id., Tibetisches Kunsthandwerk
in Metall, Leipzig 1954.
v • ■».
I. Die lamaistischen Bronzen
23
erregenden Wesen des lamaistischen Pantheons gedeutet werden. Sie sind ein Masken-
spiel des Schöpferisch-Zerstörerischen, des Ureinen schlechthin, auf der Ebene des
künstlerischen Gestaltens und nicht das Spiel einer banalen Laune oder einer ver-
irrten Phantasie.
Alle diese Merkmale der tibetischen Plastik gelten auf Grund des tibetischen Pri-
mats bei der inneren und äußeren Gestaltung der lamaistischen Ikonographie auch
von der Plastik der gesamten lamaistischen Welt.
Wie schon gesagt, sind die Kultplastiken, die der Tibeter, im Unterschied zu den
Gottheiten als bloße Gedankeninhalte, unter dem Begriff sKu (Körper) zusammen-
faßt, Konzentrationshilfen des Meditierenden. Sie dienen der Beschwörung im Sinne
der Aktivierung und Mobilisierung gewisser Kräfte, die im Beschwörenden selbst schlum-
mern und im Bildwerk wie in einer Reflektion (tib.: gZugs-brnyan) symbolisch ge-
staltet wurden. Die Bildwerke sind somit einem Geländer vergleichbar, an dem der
Betrachter in rechter Kontemplation zu sich selbst hinfindet und überdies, da er sich
mit dem All eins weiß, zum Gesamtwirklichen des Kosmos. Darum werden thematisch
zusammenhängende Plastiken auch als Mandalas (tib.: dKyil-’khor) aufgestellt wie
zum Beispiel im großen Tschorten (tib.: mChod-rten) sKu-’bum in Gyantse. Die
meisten der in unseren Museen und Privatsammlungen befindlichen Ikonen sind
bedauerlicherweise aus ihrem organischen Zusammenhang herausgerissen, besonders
die Plastiken. Bei ihrer Aufstellung in Museumsräumen sollten die thematischen
Beziehungen, in denen sie zueinander stehen, sorgfältig beachtet, wenn möglich re-
konstruiert und dem Besucher entsprechend erläutert werden.
Der besondere Vorzug der Plastik gegenüber der Malerei besteht darin, daß sie
vielen Beiwerks enthoben ungestörtere und straffere Exerzitien ermöglicht. Das ist
eine der Ursachen, warum die Plastik und nicht die Malerei die Altäre beherrscht.
Die Verehrung der Bildwerke gründet sich aber auch darauf, daß nach Meinung
vieler Gläubiger die im Beschauer durch das Bildnis aktivierte besondere Kraft durch
eine fromme Einwirkung während der andächtigen Besinnung in den Bildwerken wie
in Akkumulatoren gespeichert wird. Dem dient auch die sogenannte Belebung (tib.:
Rab-tu-gnas) durch Bannungsgut, das in Form von Gebetsstreifen (Ma-ni) in Ver-
bindung mit edlem Gestein, Samenkörnern oder immergrünen Pflanzenzweigen usw.
in die Plastik eingeschlossen wird. Manchmal werden diese Gegenstände im Innern
der Figur an einem kleinen Gerüst aufgehängt und dann als belebende Eingeweide
verstanden. Noch eher mag das alles einer Antenne für die im Beschauer entzündeten
Kräfte vergleichbar sein. Darum sind Plastiken, die geöffnet und ihres Inhaltes be-
raubt sind, kultisch und auch religionsgeschichtlich entwertet.
Der Verschluß am Boden chinesisch-buddhistischer Kultfiguren unterscheidet sich
manchmal etwas von dem der tibetischen. Die Papp-, Holz- oder Blechplatten sind
bei ihnen eingekittet, während die tibetischen Figuren, auch die der sino-tibetischen
Manier, meist eine metallene Verschlußplatte haben, die in eine der Plastik ein-
gegossene Schiene gelegt und dann mit einem Meißel festgekerbt wird. Auf die Ver-
schlußplatte ist fast stets der doppelte Donnerkeil (tib.: sNa-tshogs-rdo-rje, auch
rDo-rje-rgya-gram; vgl. Nr. 71 520), weniger häufig dagegen der Vajra (tib.: rDo-
24
Siegbert Hummel
rje) und ganz selten ein Donnerkeil mit drei Enden eingraviert17). Im Innern des
Donnerkeils findet sich bei tibetischen Arbeiten unter chinesischem Einfluß stets das
Yin-Yang-Symbol18). Rein tibetische Arbeiten sind manchmal ohne dieses Zeichen
im Donnerkeil. Niemals deutet jedoch das Symbol mit Sicherheit auf unbedingt chine-
sische Provenienz. Bei Tonfiguren wird das Bannungsgut eingebrannt oder in einen
Hohlraum gelegt, der verklebt wird.
Das Material (tib. : rGyu) der Plastiken ist in den meisten Fällen Bronze (tib. :
Li, mKhar oder Khro)19), wobei eine helle, messingfarbene Masse häufiger ist als
dunkle. Sehr fein sind meist die Kupfergüsse (tib.: Zangs bzw. ICags-dmar) und die
aus Kupferblech getriebenen Arbeiten (Nr. 71 253). Daneben kommen Eisen, Silber,
Gold, Papiermasse und, besonders bei kleinen Figürchen, Ton als Material vor, selte-
ner Elfenbein, Koralle, Holz (besonders ältere Stücke), Bergkristall (tib.: Shel), Perl-
mutter oder Stein. Gute Holzplastiken wurden manchmal mit Silber tauschiert.
Lehmfiguren heißen rDza-sku20). Stucktechniken kamen schon in den frühen Arbeiten
der genannten südtibetischen Klöster zur Anwendung. Über einem Holzgerüst, das
mit Fries oder Stroh überbildet ist, liegt die Stuckschicht als Träger der Bemalung.
Oft besteht die Stuckmasse aus einer Mischung von Tonerde, Stroh und Papier. Auch
die Metallgüsse werden mitunter tauschiert. Bronzen mit silbernen Augen kennen wir
bereits aus dem 11. Jahrhundert in Guge. Mit Gold tauschierte Eisenplastiken gehö-
ren wie viele der unvergoldeten dunklen Bronzen zu den Kostbarkeiten unserer
Sammlungen. Manchmal ist der Schmuck aus Silber angeheftet. Auch farbige Steine,
vor allem der beliebte Türkis (tib.: gYu), und farbige Glasflüsse oder Emaille werden
bei den verschiedensten Arten von Bronze eingelegt (tib.: Khra-khung; vgl. Nr.
120 793). Einige wenige Kleinplastiken sind bekannt geworden, bei denen edles
Gestein ganze Teile der Plastik ausmacht.
Die meist bevorzugte, wohl aus China eingeführte Feuervergoldung liegt glatt
auf dem Guß. Die Plastik wird mit Salpetersäure oder Fruchtsäften gereinigt, darauf
erhitzt und mit Quecksilber eingerieben. Das dann aufgelegte Blattgold bildet nach
erneutem Erhitzen ein Amalgam. Der seltener nach chinesischer Art aufgetragene
Goldlack verdeckt die Feinheiten der Konturen, zumal er einen roten oder braunen
Lackanstrich als Unterlage hat (Nr. 71 489)21). Mitunter werden auch nur Kopf,
17) Vgl. die Buchvignette zu „Geschichte der tibetischen Kunst“.
18) Verschiedene Typen des Symbols tibetischer und nepalesischer Verschlußplatten
finden sich abgebildet bei Cl. Pascalis, La Collection Tibétaine (Musée Louis
Finot), Paris 1935, Tafel XXX.
19) Weitere Abarten der Bronze bei G. Tucci, A Tibetan Classification of Buddhist
Images according to their Style (in: Artibus Asiae, XXII, 1—2, S. 182). — Cl.
Pascalis, 1. c., S. 30 f.
20) Eine Statue des bTsong-kha-pa in bKra-shis-lhun-po (Taschilunpo) ist nach Sven
Hedin (Transhimalaja, 2. Aufl. Leipzig 1910, Bd. 1, S. 331) aus einer Masse pul-
verisierter edler Gewürze hergestellt.
21) P. H. Pott, Introduction to the Tibetan Collection of the National Museum of
Ethnology Leiden, Leiden 1951, S. 38 ff.
/. Die lamaistischen Bronzen
25
Füße und Hände mit einem Goldanstrich versehen, besonders bei dunklen Bronzen
oder Kupferarbeiten. Oft tragen auch Teile des Körpers, meist das Haar, farbige
Bemalung. Bei milden Gottheiten ist das Haar blau (vgl. Nr. 120 792), bei den furcht-
baren dagegen rot. Nach Aufstellung im Kultraum werden den Gottheiten gern
seidene Gewänder, Kopfbedeckungen und Kataks (tib.: Kha-btags) angelegt. Diese
Kataks sind als Ehrengabe bekannte und im gesellschaftlichen Umgang unentbehr-
liche weiße oder farbige Schleier.
Die Bronzeplastiken sind entweder Vollplastiken oder Hohlgüsse, die in Gieß-
formen oder mit sogenannter verlorener Form hergestellt werden. Komplizierte
Arbeiten, besonders die Kolossalfiguren, sind wie die aus Blech getriebenen Plastiken
aus Teilen, die gesondert gearbeitet wurden, zusammengesetzt (Nr. 119 381). Die
Figuren haften mit Zapfen im Lotussockel (Nr. 1472/215).
Aus verschiedenen Klöstern Tibets sind uns Plastiken von mehreren Metern Höhe
bekanntgeworden, die sich oft durch einige Stockwerke in den Kultraum hinaufrecken.
Meist handelt es sich dabei um Maitreya-Figuren. Bedeutende Riesenstatuen sind zum
Beispiel der 4,20 m hohe Maitreya aus Holz in Bab-sgo22), der 7 m hohe Maitreya in
Khor-chags, der 8 m hohe Maitreya in sLe (Leh) aus dem 14. Jahrhundert, der 9 m
hohe Maitreya in Yung-Ning, der 12 m hohe Maitreya aus dem 17. Jahrhundert in
Cho-Ni, der 14 m hohe Maitreya in Li-thang, der 8 m, nach anderen 15 m hohe
Maitreya in Shel-dkar-chos-sde und der 27 m hohe Maitreya im Yung-Ho-Kung zu
Peking. Die größte Plastik Tibets soll ein 30 m hohes Maitreya-Bildnis in bKra-shis-
Ihun-po bei Schigatse (gZhis-ka-rtse) sein. mKhyen-brtse23) gibt aber für ein Bild des
Maitreya in Khro-phu südwestlich von Schigatse eine Höhe der Plastik von 36 m an.
Die folgende, sehr vereinfachte Gliederung des lamaistischen Pantheons mit eini-
gen seiner wichtigsten bzw. typischen Vertreter genügt für die Ordnung der Stücke
aus der Sammlung des Linden-Museums24).
22) Nach dem rGyal-rabs von La-dvags (ed. K. Marx, JASB, LX, S. 131 f.) aus ver-
goldetem Kupfer; um 1600 hergestellt.
23) Ygj a Ferrari, Mk’yen Brtse’s Guide to the holy Places of Central Tibet, Rom
1958, S. 26 bzw. 67 f. — Über die den Figuren umgelegten Ka-btags vgl. die aus-
führlichen Notizen in ’’Catalogue of the Tibetan Collection (Newark Museum)“,
IV, Newark 1962, S. 4 ff.
■4) Ausführliche Orientierungen über das Pantheon findet man in den bekannten
Ikonographien, z. B. bei A. Grünwedel, Mythologie des Buddhismus, Leipzig
1900. — A. K. Gordon, The Iconography of Tibetan Lamaism, 2. Aufl. Rutland,
Vermont & Tokyo 1959 (Rezension S. Hummel, in: Trlbus 10, S. 195 ff.). —
Vgl. auch das Diagramm des Pantheons in S. Hummel, Lamaistische Studien,
Leipzig 1950, am Schlüsse des Buches. — Ferner verweise ich, insbesondere wegen
der farbigen Gestaltung von Gottheiten, auf meinen Aufsatz „Die lamaistischen
Miniaturen im Linden-Museum“ (in; Tribus 8).
26
Sieghert Hummel
I) Der Urhuddha (skr.: Ädibuddha; tib.: mChog-gi-dang-poi-sangs-rgyas) als Ema-
nationsquelle aller Wesenheiten:
zum Beispiel als Vajradhara (tib.: rDo-rje-’chang) oder
als Vajrasatva (tib.: rDo-rje-sems-dpa’)
II) a) Die Dhydnibuddhas
(tib.: rGyal-ba-rig-lnga):
1) Vairocana (tib.: rNam-par-
snang-mdzad)
2) Akshobhya (tib.: Mi-
bskyod-pa)
3) Ratnasambhava (tib.: Rin-
po-che-’byung [Idan]
4) Ami.täbha (tib.: ’Od-dpag-med)
Als besondere Form des
Amitäbha gilt Amitäyus
(tib.; Tshe-dpag-med)
5) Amoghasiddhi (tib.; Don-grub)
b) Ihre irdischen Entsprechungen
(sogen. Mdnushihuddhas):
Vor allem die 5 Buddhas des gegen-
wärtigen Weltalters (Bhadrakalpa);
unter ihnen besonders Gautama-
Buddha
Unter den Vorgängern des Gautama-
Buddha von Bedeutung besonders
Dipankara (tib.: Mar-me-mdzad)
c) Der Medizinbuddha (skr.: Bhaishajyaguru bzw. Vaidüryaphrabhäräja; tib.:
sMan-gyi-bla Be-du-ryai-’od-kyi-rgyal-po) mit seinen 6 bzw. 8 Begleitern;
III) Die Bodhisatvas (tib.: Byang-chub-sems-dpa’ [can]):
a) Die Emanationen der Dhyänibuddhas:
Samantabhadra (tib.: Kun-tu-bzang-po)
Vajrapäni (tib.: Phyag-na-rdo-rje)
Ratnapäni (tib.: Phyag-na-rin-chen)
Avalokiteshvara (tib.: sPyan-ras-gzigs) bzw. Padmapäni (tib.: Phyag-na-
pad-ma)
Vishvapäni (tib.: Phyag-na-sna-tshogs-rdo-rje)
b) Weitere Bodhisatvas, von besonderer Bedeutung;
Maitreya (tib.: Byams-pa)
Mahjushri (tib.: ’Jam-dpal) bzw. Mahjughosha (tib.: ’Jam-dbyangs)
IV) Die Beschützer der (buddhistischen) Religion (skr.: Dharmapdla; tib.: Chos-
skyong) [— a] und die persönlichen Schutzgottheiten (tib.: Yi-dam) [ = b]
In Wirklichkeit ist ein Yi-dam das der persönlichen Disposition eines Menschen
angepaßte, zum Heile führende Prinzip. Der schreckliche Aspekt zeigt dessen
Abwehrkraft, zum andern aber seine Gefahren (vgl. H. V. Guenther in der
Einleitung zu: A New Tibeto-Mongol Pantheon, ed. R. Vira u. L. Chandra,
New Delhi 1961, Vol. 1).
V
t
*
I. Die lamaistischen Bronzen
27
a) Die acht Schrecklichen
(tib.: Drag-gshed-brgyad);
1) Yamäntaka (tib.; dPal-rdo-
rje-’jigs-byed bzw. gShin-rje-
gshed, eine Form von
Manjushri)
Yama (tib.: gShin-rje)
Hayagriva (tib.: rTa-mgrin)
Mahakäla (tib.: mGon-po)
Kubera bzw. Vaishravana (tib.:
rNam-thos-sras); als Yi-dam:
Jambhala (tib.: Dzam-bha-la)
2) Beg-tse bzw. iCam-sring
(Begleiter: Srog-bdag, Rigs-bu-
mo und die Acht Gri-bdag)
Shridevi (tib.: dPal-ldan-
Iha-mo)
Brahma (tib.: Tshangs-pa-dkar-
po); als Yi-dam: Mahämaya
c) Weitere Dharmapdlas
Vajrapäni (tib.: Phyag-na-rdo-
rje) in zorniger Form
Acala (tib.: Mi-gyo-ba)
b) Die persönlichen Schutzgottheiten
(skr.: Ishta devatä; tib.: Yi-dam):
besonders Yamantaka,
Hayagriva
und Jambhala
Die Herukabuddhas
Vajrasatva und die Dhyänibuddhas
(I und Ha) mit Gattinnen (Shaktis)
Flevajra (tib.: Kye-rdo-rje)
Guhya samäja yuganaddha (tib.:
gSang-’dus)
Kälacakra (tib.: dPal-dus-kyi-
’khor-lo)
Samvara (tib.: bDe-mchog)
Manjuvajra (tib.: ’Jam-rdor)
Mahäcakra-V. (tib.: Phyag-rdor-
’khor-chen)
Acala
V) Die weiblichen Gottheiten
a) Im Bodhisatva-Rang:
Auf dPal-ldan-lha-mo, die einzige weibliche Gottheit unter den Chos-
skyong war schon hingewiesen worden (IVa, 2). Eine ihrer Manifestationen
ist die blaue, manchmal auch braune Ekajatä (tib.: Ral-gcig-ma). Diese wird
oft als Nebenfigur oder als Manifestation der Tara verstanden. Formen
der Tara (tib.: sGrol-ma) bzw. Manifestationen oder eng verwandte Göt-
tinnen sind:
Die weiße Tara (skr.: Sitatärä; tib.: sGrol-ma-dkar-mo)
Die grüne Tara (skr.: Shyämavarnä; tib.: sGrol-ma-ljang)
Die gelbe Khadiravana (tib.: Seng-ldeng-nags-sgrol-ma)
Die rote Kurukullä (tib.: Rig-byed-ma)
Die blaue, manchmal auch gelbe Bhrikuti (tib.: Khro-gnyer-can-ma)
Pratisarä (tib.: So-sor-’brang-ma)
28
Siegbert Hummel
b) Weitere zum Teil eng verwandte Göttinnen sind im Bodhisatva-Rang u. a.:
Marici (tib.: ’Od-zer-can-ma)
Mahämäyüri (tib.: rMa-bya-chen-mo)
Sitatapaträ [aparäjita] (tib.: gDugs-dkar-can-ma)
Vasundharä (tib.: Nor-’dzin-ma)
Ushnishavijayä (tib.; gTsug-tor-rnam-rgyal-ma)
Parnashavari (tib.: Lo-ma-gyon-ma)
Sarasvati (tib.: dByangs-can-ma); vgl. H. Lommel, Anahita-Sarasvati (in:
Asiatica, Leipzig 1954, S. 405 ff.)
Prajnäpäramitä (tib.: Shes-rab-kyi-pa-rol-tu-phyin-pa).
Die Pancarakshäs: Mahäsähasrapramardani
Mahämantränusärim
Mahäpratisarä
Mahäshitavati
Mahämäyüri (vgl. auch IVb oben)
c) Die Däkinis (tib.: mKha’-’gro-ma) hatten wir bereits in der historischen Ein-
leitung erwähnt. Sie sind auch oft die Shaktis männlicher Gottheiten.
Die bekanntesten:
Vajravarähi (tib.: rDo-rje-phag-mo)
Na-ro-mkha’-spyod-ma (skr.; Sarvabuddhadäkini)
Unter der Begleitung (skr.: Parivära; tib.: ’Khor) der dPal-ldan-lha-mo:
Simhavakträ (tib.: Seng-ge-gdong-ma)
Makaravakträ (tib.: Chu-srin-gdong-ma)
VI) Niedere Gottheiten
a) Die vier Lokapälas (tib.: ’Jig-rten-skyong-bzhi; Weltenhüter):
1) Süden; Virüdhaka (tib.: ’Phyags-skyes-po)
2) Norden: Vaishravana (tib.; rNam-thos-sras; vgl. auch IVa, 1)
3) Westen: Virüpäksha (tib.: Mig-mi-bzang)
4) Osten: Dhritaräshtra (tib.: Yul-’khor-srung)
b) Eine Gruppe von 10 Lokapälas:
Indra, Yama, Varuna, Kubera, Agni bzw. Hutäshana, Isha bzw. Mahesh-
vara bzw. Candra, Nririti bzw. Sürya, Väyu bzw. Märut, Brahman, Bhüpati.
c) Die fünf Körper (tib.: sKu-lnga), auch Dam-can genannt. Vorsitzender ist
dPe-dkar-rgyal-po
d) Weitere niedere Gottheiten (meist nicht indischen Ursprungs):
[Dam-can-] rdo-rje-legs-pa25)
mGar-ba-nag-po25)
sGam [rGan] -po-dkar-po (auch Mi-tshe-ring genannt)20)
25) S. Hummel, Der göttliche Schmied in Tibet (ln: Folklore Studies, XIX, Tokyo
1960).
2fi) Ausführlich in S. Hummel, Der Weiße Alte, 1. c.
I. Die lamaistischen Bronzen
29
VII) Ins Pantheon aufgenommene Persönlichkeiten des Lamaismus:
außer Gautama Buddha von besonderer Bedeutung:
Padmasambhava (vgl. unsere Einführung)
bTsong-kha-pa bzw. rje-rin-po-che (skr.: Sumatikirti), der Reformator des
Lamaismus (1357—1419) mit seinen Schülern
Die Dalai-Lamas, insbesondere der 5. (Ngag-dbang-blo-bzang-rgya-mtsho,
1617—1682)
Die Pan-chen-rin-po-che (Großlamas von bKra-shis-lhun-po)
Auch ethnographisch gibt das lamaistische Pantheon für das vielschichtige Tibet
einige interessante Aufschlüsse. Auf die komplexen Vorstellungen, die den indisch-
buddhistischen Gottheiten zugrundeliegen, wobei dem Iran eine besondere Bedeutung
zukommt (Stierkulte, Yama, Yamäntaka usw.) kann hier nicht eingegangen werden.
Es ist aber ein Irrtum, das lamaistische Pantheon allein aus dem indisch-mahäyanisti-
schen abzuleiten, wie noch vor wenigen Jahren ein bekannter Buddhologe in der
Kritik einer meiner Arbeiten versuchte263).
Bereits in der religionsgeschichtlichen Einführung konnten gewisse Einflüsse aus
den Tibet westlich vorgelagerten Gebieten erwähnt werden. Vorstellungen der Darden
von weiblichen Berggottheiten, die mit schamanistisch-jägerischen Zusammenhängen,
lassen Beziehungen zu Gebirgsvölkern Westasiens und des Kaukasus vermuten, sind
aber auch von megalithischen Anschauungen überlagert. Dardische Kolonien hatten
sich einst bis ins tibetische Gebiet südlich von sLe (Leh) in La-dvags (Ladak) vor-
geschoben. Hier haben neuerdings die zahlreichen Arbeiten von K. Jettmar unsere
diesbezüglichen Kenntnisse wesentlich bereichert* 27). Männliche und weibliche Berg-
gottheiten waren in Tibet bereits in vorbuddhistischer Zeit bekannt und sind zum
Teil mit der tibetischen Besiedlung des Schneelandes aus nordöstlichen Gebieten
(Küke-noor) verbreitet worden. Sie lassen noch alte Zusammenhänge mit den Hoch-
burgen des Schamanismus erkennen. Unter Hinweis auf Padmasambhava (Nr. 71 303
und 119 381) konnte an dPal-ldan-lha-mo (Nr. 119 388) und den Dakinis (Nr.
1472/21 und 1472/21 [5?]) die Durchdringung mit Vorstellungen aus dardischen
Gebieten nachgewiesen werden.
Ebenfalls in das archaische Eurasien verweist die vorbuddhistische Gestalt des
Weißen Alten (tib.: sGam [rGan]-po-dkar-po bzw. Mi-tshe-ring, Nr. 24 390), die
sowohl in das lamaistische Pantheon Tibets und der Mongolei als auch in den chine-
26a) Unterbleiben muß auch eine Untersuchung des Bezugs vieler buddhistischer Gott-
heiten aus der brahmanischen Umwelt vor allem in den Kreisen um Asanga
(4. Jahrh.). B. Bhattacharyya, I. c., S. 34 ff., hält eine Beziehung Asangas zur
Einführung des Guhyasamäja-Tantra für möglich. Etwa um die Mitte des 7. Jahr-
hunderts n. Chr. hat sich dann bereits ein ansehnliches buddhistisches Pantheon
herausgebildet mit der Fülle der Mudräs (Gesten) und Äsanas (Sitzweisen) der
Gottheiten, die in den ersten Jahrhunderten n. Chr. noch wenig vielfältig und oft
vieldeutig waren.
27) Literaturnachweise in S. Hummel, Die Herrin der Berge, 1. c.
30
Sieghert Hummel
sisch-taoistischen Götterhimmel aufgenommen worden ist, ostwärts nach Korea und
Japan verfolgt werden kann und wie dPal-ldan-lha-mo und das Heer ihrer Traban-
ten auf Beziehungen zu den Bergen als den Orten des Sippenursprunges und der
Sippenrückkehr hinweist28). Diese einst auch im Westen Eurasiens bekannte Gottheit
gilt als Spender und Hüter der Fruchtbarkeit. Wahrscheinlich begegnen wir in dem
„Uralten“ als dem schöpferischen Urprinzip im sogenannten Zervanismus den tiefsten
Wurzeln dieser bis in die Gegenwart in den lamaistischen Kulttänzen (tib.; ’Cham)
so beliebten Figur.
Wie tief die archaische Schicht Eurasiens in die tibetische Kultur hineinragt, läßt
sich auch am göttlichen Schmied, dem mit [Dam-can-] rdo-rje-legs-pa in Beziehung
stehenden mGar-ba-nag-po zeigen. Die Sammlung des Finden-Museums besitzt ledig-
lich eine Miniatur (Nr. 71 425) dieser oft auch als Plastik vorkommenden, meist auf
einer Ziege reitenden Gestalt, mit der wir die ikonographische Formulierung einer
Gewitter-Schmiedegottheit vor uns haben, in der sich etwa folgende Reihen abheben
lassen:
1) Schmied — Feuer und Hitze — Gewitter und Fruchtbarkeit — kosmische Wende-
punkte (lahme oder halbblinde Gestalten) — heilsgeschichtliche Aufgaben.
2) Schmied — magische Fähigkeiten — Schamanismus — Initiationsriten — heils-
geschichtliche Aufgaben.
Beide Reihen verbindet der Vorstellungskomplex
Geheimbünde — Wilde Jagd — Mummenschanz — Fruchtbarkeitsmagie — heils-
geschichtliche Aufgaben.
Der Zusammenhang mit dem Mummenschanz erinnert uns an die Neujahrsbräuche
in iHa-sa mit ihren starken Bindungen an entsprechende Bräuche in Eurasien29).
Die lamaistische Ikonographie hat in dem seltenen, bisher nur auf Malereien bekannt-
gewordenen Motiv des Tigerbändigers alteinheimische, vorbuddhistische Schutzgott-
heiten mit dem Tiger der abwehrmagischen Tigertänze Altdiinas oder der tibetisch
beeinflußten Pa-Kultur, wahrscheinlich im 1. Jahrtausend n. Chr., verbunden. In
Wirklichkeit scheinen jedoch auch hier die Anregungen zu dieser Konzeption in den
über Eurasien verbreiteten Neujahrsbräuchen zu suchen zu sein30).
Weitere Motive der lamaistischen Ikonographie, die auch in der Kultplastik auf-
tauchen und in die eben eingeschlagene Richtung weisen, sind die Schultergottheiten
und der Hund als Begleiter einer der wichtigsten unter ihnen, die als dGra-lha oder
mit dem mongolischen Namen Daitschin-Tengri bekanntgeworden ist31). Da sich unter
28) S. Hummel, Heilige Berge in Tibet (in: Anthropos 52). — Id., Die Bedeutung
der Na-khi (in: Monumenta Serica, XIX, Nagoya 1960, S. 325). — Id., Der gött-
liche Schmied in Tibet (in: Folklore Studies, XIX, Tokyo 1960).
29) S. Hummel, Boy Dances at the New Years Festival in Fhasa (in; East and West,
XII, 1, Rom 1961; Teil II, ebenda, XIII, 1, Rom 1962).
30) S. Hummel, Der Tigerbändiger (in: Folklore Studies, Vol. XX, Tokyo 1962).
31) S. Hummel, Die Gottheiten der Schulter in Tibet (Phrag-lha) (in: Rivista degli
Studi Orlentali, XXXIV, Rom 1959). — Id., Der Hund in der religiösen Vor-
stellungswelt des Tibeters (in; Paideuma, VI, 8 und VII, 7).
/. Die lamaistischen Bronzen
31
den Kultbronzen des Linden-Museums diesbezügliche Ikonen nicht finden, mögen
diese wenigen Hinweise genügen, das Augenmerk der Tibetologen erneut auf diese
bisher leider allzu sehr vernachlässigten Probleme der tibetischen Kulturgeschichte
zu lenken.
*
Die Bronzen
(Die in Klammern beigegebenen Nummern verweisen auf den Ort im Schema des
Pantheons, wo auch die tibetischen Äquivalente der Sanskritnamen zu finden sind.
Die Mudräs und Äsanas werden lediglich zur Instruktion beim ersten Vorkommen
genannt und dienen dem Umgang mit den Objekten.)
A) Die Sammlung v. Waldthauscn
L 1472/21 [5?] Däkini Simhavakträ (tib.: Seng-ge-gdong-ma) (Vc). Höhe: 10 cm.
Vgl. die Miniaturen im Linden-Museum Nr. 71 382 und 71 397,
L 1472/21 Däkini Makaravakträ (tib.: Chu-srin-gdong-ma) (Vc). 11 cm.
Beide Figuren dieser Däkinis wahrscheinlich restliche Stücke einer
dPal-ldan-lha-mo-Gruppe mit Begleitung (skr.: Parivära; tib.:’Khor),
L 1472/221 Bhaishajyaguru (IIc). 15 cm. Die Rechte hält Medizinpflanze.
Zum Medizinbuddha ausführlich S. Hummel, Der Medizin-Buddha
und seine Begleiter (in: Sinologica II, 2). — Id., Lamaistische Stu-
dien, Leipzig 1950, Kap. V. — Nach dem La-dvags-rgyal-rabs (ed.
A. H. Francke, in: Journal & Proc. of the As. Soc. of Bengal, VI, 1)
hat der westtibetische König ’Od-srung im 9. Jahrhundert den Medi-
zin-Buddha besonders verehrt; vgl. auch unsere Einführung.
Bh. wird schon im Manjushnmülakalpa erwähnt (3. Jh. n. Chr.).
B) Die Sammlung Werther
19 838 Amitäyus (Ha, 4). 22 cm. Das Ambrosiagefäß fehlt. Chines. Inschrift am
Sockel: Ta-Ch’ing-Kien-Lung-Keng-Yin-Nien-Ching-Tsao = „Im Jahre 7-
Tiger des (Kaisers) Kiän-Lung der großen Ch’ing (-Dynastie) ehrfurchtsvoll
angefertigt“ (= 1770). Zu Yin vgl. W. Rüdenberg, Chines.-Deutsches Wör-
terbuch, 2. Aufl. Hamburg 1936, Zeichen 433. Das Stück wurde in Peking
erworben. Amitäyus sitzt mit Dhyänamudrä in Padmäsana, nicht zu verwech-
seln mit Viräsana (Nr. 71 301); vgl. zu den Äsanas E. Dale Saunders, Mudrä,
New York 1960, S. 121 ff.
19 839 Amitäbha mit Pätra (Ila, 4). 17 cm. Auf einem Lotusblatt einer Blüte, in der
eine Buddhafigur gesessen hat. 1 mm starkes Bronzeblech. Kopf feuerver-
goldet (vgl. Nr. 71 498). Aus Peking32).
32) Eine derartige vollständige Lotusblüte, geöffnet, zeigt P. H. Pott, The Tibetan
and Nepalese Collections of the Baroda Museum, o. J., Abb. 5. Eine solche Lotus-
blüte riesigen Ausmaßes auf dem Wu-Täi-Shan zeigt Rupprecht, Kronprinz v.
Bayern, Reiseerinnerungen aus Ostasien, München 1923, Abb. neben S. 252.
32
Siegbert Hummel
C) Die Sammlung H. Leder
(Zu diesen Reisenden vgl. S. Hummel, Die lamaistischen Miniaturen im Linden-
Museum, Tribus 8, S. 21 f.)
23 954 Amitäyus (Ha, 4). 17 cm.
23 955 Vajrasatva (I). 10,5 cm.
23 957 Tara shyamavarnä (Va). 4 cm.
In Lalitasana, die Rechte in Varadamudrä, die Linke in Vitarkamudrä. Die
T. wird schon im Manjushnmülakalpa erwähnt.
24 390 Shou-Lao bzw. Lao-Tzu als Genius des langen Lebens mit Knotenstock und
Kalebasse auf dem Hirsch reitend, im Lamaismus als der Weiße Alte (tib.:
sGam [rGan] -po-dkar-po bzw. Mi-tshe-ring) verstanden. Zur Ikonographie
des Shou-Lao bzw. Lao-Tzu vgl. die Ausführungen in K. With, Chinesische
Kleinbildnerei in Steatit, Oldenburg 1926, S. 79 ff. — Zum Weißen Alten
und die Verquickung sowie innere Verwandtschaft mit Shou-Lao bzw. Lao-
Tzu vgl. S. Hummel, Der Weiße Alte (in: Sinologica, VI, 3).
Sämtliche Stücke der Sammlung H. Leder stammen aus Urga.
D) Die Sammlung ]. F. G. Umlauff
(Vgl. S. Hummel, Die lamaistischen Miniaturen im Linden-Museum, 1. c.)
71 253 Sitatârâ (Va). 24 cm. Getriebenes Kupferblech (Angaben über das Material
der einzelnen Stücke werden nur gemacht, wenn es sich nicht um gewöhn-
lichen Bronzeguß handelt). Beide Hände in Vitarkamudrä.
71 258 Dipankara (Hb). 15 cm. Aus Urga stammend. Dharmacakramudrä.
71 260 Ushnîshavijayâ (Vb). Einige Attribute fehlen. 18,5 cm. Aus Urga.
71 296 Sitatârâ (Va). 17 cm.
71 300 Mahjushrî (Ilb). 10,5 cm. Attribute abgebrochen. Die Rechte schwingt das
Schwert, die Linke hält Lotus mit Buch. Zu Manjushrî, einen der ältesten,
schon vor 300 n. Chr. erwähnten Bodhisatva vgl. S. Hummel, Târanâtha
und der Schwarze Manjushrî (in; Zeitschr. f. Miss. u. Reh, Münster 1952, 1).
— M. Lalou, Iconographie des Étoffes Peintes (Pata) dans le Manjushnmü-
lakalpa, Paris 1930.
71 301 Akshobhya (Ha, 2) bzw. Gautama. Rechte Hand in Bhûmisparshamudrâ.
10,5 cm. Aus Urga.
71 303 Padmasambhava (VII). 5 cm.
71 307 Einer der acht sogenannten Gri-bdag (Messerhalter) aus der Umgebung des
Kriegsgottes Beg-tse (IVa, 2). Das Messer fehlt. (Hierher gehört 71 316.)
71 308 Sitatârâ (Va). 15 cm.
71 310 Amitäyus (lia, 4). Das Ambrosiagefäß fehlt. 11 cm.
71 316 wie 71 307. 5,5 cm. Das Messer fehlt.
71 321 Akshobhya (Ha, 2). 7,5 cm (wie 71 301).
71 323 Vajrasatva (I). 12 cm. Feuervergoldet.
Vajrasatva vielleicht etwas älter als Vajradhara (10. Jh.).
71 325 Yama als Chos-rgyal-phyi-sgrub, mongol, als Erlik-Xagan (Xän) bekannt
(IVa, 1). 7 cm. Die Attribute fehlen.
Abb. 5. 71 456. Mahâcakravajrapàni. Slg. Umlauf/
4%, *&*7fM'***. ■ *•
Abb. 6. 71 343. Amitâyus. Slg. Umlauff.
TAFEL IV
I. Die lamaistischen Bronzen
33
71 328 Hayagriva Guhyasädhana (tib.: rTa-mgrin-gsang-sgrub) (IVa, 1). 20 cm.
Mit sechs Armen und 3 Köpfen. Aus Urga.
71 329 Candavajrapäni (tib.: Phyag-rdor-gtum-chung) (IVc). 8 cm. In d. Rechten
rDo-rje, in d. Linken Ghantä (tib.: Dril-bu). Nach dem Pantheon in Biblio-
theca Buddhica, Vol. V, 170, ist unsere Gestalt Phyag-rdor-gos-sngon-can =
Nilämbaradhara genannt). V. wird schon im Mahjushrimülakalpa erwähnt.
71 335 Avalokiteshvara (Sadaksari) (lila). 18 cm. Der Rosenkranz fehlt zum Teil.
Mittleres Händepaar in Namaskäramudrä, linke erhobene Hand in Abhaya-
mudrä.
71 338 Äcäryavajrapäni (IVc). 20 cm. In d. Rechten Vajra, in d. Linken Fang-
schlinge. Aus Urga. Nach Bibi. Buddh., V, 169, wird Ä. (tib.: Phyag-rdor-
a-tsa-rya) wie 71 329 benannt.
71 343 Amitäyus (Ha, 4). 37,5 cm. Sockel aus getriebenem Kupferblech, Beinpartien
aus getriebenem Bronzeblech, Oberkörper und Kopf gegossen (Bronze),
Schmuck und Attribute angeheftet.
71 456 Mahacakravajrapani (tib.: Phyag-rdor-’khor-chen) (IVc). 69 cm. Die hin-
duistischen Gottheiten unter den Füßen sind später verdreht worden. Die
Köpfe gehören nach außen. Feines Beispiel für die malerische Auflösung einer
Plastik unter chinesischem Einfluß.
71 459 Maitreya, stehend mit zwei Lotusblüten ohne weitere Attribute (Illb). 39 cm.
Veröffentlicht in G. Markert, Buddhas, Götter und Dämonen, München-Han-
nover 1956, Abb. 7. Feuervergoldet, Haare blau bemalt, Türkise und Koral-
len eingesetzt. Maitreya ist eine der ältesten, schon in Gandhära auftauchenden
Gestalten des buddhistischen Pantheons.
71 461 Sitatapaträ (Vb). 17 cm. Feuervergoldet. Schirm in der Linken fehlt, Rechte
in Abhayamudrä. Aus Urga.
71 462 Avalokiteshvara (Räjaliläsana) (lila). 12 cm. Feuervergoldet, Haare blau
bemalt; nepalesische Arbeit33).
71 471 Akshobhya (wie 71 321). 24 cm, Aus Urga.
71 473 Dharmadhätuvagishvara (Manjushri) (IIIb).-28 cm. Die losen Attribute feh-
len bis auf Vajra und Schwertgriff. Letzterer ist später falsch eingesetzt. Das
Schwert gehört in die rechte Hand. Abgebildet bei G. Markert, 1. c., Abb. 10
irrtümlich als Amoghapäsha.
71 475 Der berühmte 5. Dalai-Lama Ngag-dbang-blo-bzang-rgya-mtsho (1617 bis
1682) in Dharmacakramudrä und der für ihn üblichen porträthaften Dar-
stellung. 31 cm. In anderer Ikonographie bei G. Schulemann, Geschichte der
Dalai-Lamas, 2. Aufl., Abb. 24 (wie bTsong-kha-pa), ferner bei H. Hoff-
mann, Die Religionen Tibets, Freiburg und München 1956, Abb. 15 (Schwert
und Buch in einer Lotusblüte, Rechte in Vitarkamudrä, Linke unkenntlich;
ähnlich, aber ohne die Lotusblüte in: Petite Guide illustre au Musee Guimet,
Paris o. J., S. 145, Linke unkenntlich). Weitere abweichende Darstellungen
bei A. v. Stael-Holstein, On two Tibetan pictures, in: Bulletin of the Nat.
Libr. of Peiping, 1932 (ähnlich der Darstellung bei H. Hoffmann, 1. c., in
der Linken Buch oder Gefäß). Dieser Dalai-Lama soll aber auch mit der
Rechten in Bhümisparshamudrä und einem Buch in der Linken Vorkommen.
3
34
Sieghert Hummel
Nach A. Grünwedel, Mythologie, S. 78 f., hält die Rechte eine Lotusblüte,
die Linke ein Buch; nach Bibi. Buddhica, Vol. V, hält die Rechte eine Lotus-
blüte, die Linke liegt im Schoße; nach ”A loan Exhibition of Tibetan
Paintixtg“ (Wildenstein), New York 1954, hält die Rechte eine Lotusblüte,
die Linke das Rad des Gesetzes. Zu diesem berühmten Dalai-Lama vgl. vor
allem G. Schulemann, 1. c., Kapitel 7.
71 476 Dhyänibuddha Vairocana (Ha, 1). 72 cm. Der älteste der Dhyänibuddhas
(vgl. zu Vairocana D. Snellgrove, Himalayan Pilgrimage, Oxford 1961,
S. 58 u. 107; ebenda S. 107 auch zu Manjushri u. S. 88 zu Vajradhara).
71 478 Maitreya, stehend; auf Lotusblüten das Rad der Lehre, das er im gegenwär-
tigen Zeitalter (skr.: Kalpa) in Bewegung setzen wird, und die Flasche mit
dem reinen Wasser brahmanischer Asketen. Zur Ikonographie des Maitreya
vgl. M. Wegner, Ikonographie des chines. Maitreya (in: Ostas. Zeitschrift,
Neue Folge, V, 4—6). Die Figur zeigt deutlich Stilelemente der Dang-Zeit;
vgl. C. Glaser, Ostasiatische Plastik, Berlin 1935, Abb. 125. Rechte in
Vitarkamudrä, Linke in der Geste der Unterdrückung der Berge bzw. der
Dämonen der Erde (chin.: An-Shan-Yin).
71 480 Amitäyus (Ha, 4). 20 cm. Ambrosiagefäß fehlt.
71 482 Tara shyämavarnä (Va). 15,5 cm.
71 489 Amitäyus (Ila, 4). 15 cm. Lackvergoldet.
71 490 Gautama Buddha in Vitarkamudrä (Hb). 15 cm.
33) Georg Koväcs, Budapest, gibt zur Inschrift auf der Rückseite des Sockels dieser
Bronze folgende Erläuterung:
Aufschrift: SUBHA // SAMVAT 903 I CAITRA KRSNA 8 VRHASPATIVÄRA
THVAKUNU / / OM VÄHÄ LA / / THA II .... II SÄKYABHIKSU
// DEVÄCANDRA / oder DEVÄCANDU / DVAMGATA JUYÄ O /? /
/ / TH VA SR! ... . NANDRA / oder CANDRA/ / / LOKESVARA PRATIMÄ
/ / DAYAKÄ JULO SUBHA: //
Übersetzung: Heil! Samwat 903, am 8. Tage der dunklen Hälfte des Monats
Caitra, am Tage des Brhaspati . . . Des in den Himmel eingegangenen Säkyabhiksu
Deväcandra / oder Deväcandu/ .... — nandra / oder nandu/ Lokesvara Abbil-
dung. Der Spender / oder: Die Spender/ . . . Heil!
Bemerkungen: Oriental Art, Vol. II./1949—1950/, Nr. 4., p. 141; H. J. Stooke:
”A 12th Century Pancaraksä Mandala“, in der linken Kolonne, Mitte: ”. . . . From
palaeographical evidence of the peculiar hooked top Nepalese letters the manu-
script is dated 12th Century . . .“
Ein anderer Schrifttypus wird ”early Kutila“ genannt, dieser weicht jedoch von
den Schriftzeichen auf den Postamenten der Bronzefiguren ab, obwohl die Zeichen
sehr ähnlich den Schriftzeichen des Manuskriptes „Pancaraksä“ im Franz
Hopp Ostasiatischen Museum, welche ausgesprochen Länca-Schriftzeichen sind.
Ich kenne die wissenschaftliche Benennung der Schriftzeichen auf den Bronzen
nicht; einige darunter sind tatsächlich durch ’’hooket top“ charakterisiert, die mei-
sten sind aber nicht so.
1. Die lamaistischen Bronzen
35
71 492 Maitreya in Bhadräsana (sogenannte europäische Sitzweise) (Illb). 24 cm.
Feuervergoldet.
71 493 Srog-bdag auf dem Wolfe (IVa, 2). 10 cm. Begleitfigur des Beg-tse. Hierher
gehört auch 71 519. Die zugehörige Beg-tse-Figur fehlt. Vgl. die Gruppe in
S. Hummel, Ikonographische Notizen zum Lamaismus (in: Jahrbuch des
Museums f. Völkerkunde zu Leipzig, XII, Abb. 8). Tarjanimudrä.
71 494 Pita-Jambhala (tib.: Dzam-bha-ia-ser-po) (Yi-dam-Form des Kubera). La-
litäsana mit Juwelenratte (IVa, 1). Rechte in Karanamudrä. 11 cm.
71 496 Vaishravana als Weltenhüter (Via). 10 cm. Fahne in der Rechten fehlt.
71 498 wie 19 839, offenbar vom gleichen Objekt stammend, aber Sadaksari dar-
stellend. 16 cm. 1 mm starkes Bronzeblech. Wahrscheinlich aus dem Wan-
Fo-Szu in Peking (18. Jahrhundert).
71 499 Amitäyus (Ha, 4). 13,5 cm.
71 502 Yamäntaka yuganaddha (tib.: dPal-rdo-rje-’jigs-byed) (IVa, 1). 20 cm. Vgl.
die Beschreibung in A. Grünwedel, Mythologie des Buddhismus, S. 101 ff.
Aus Urga. Y. wird schon im Manjushnmülakalpa erwähnt.
71 503 Beg-tse (IVa, 2), 22 cm. Speer, Bogen und Pfeile fehlen. Feuervergoldet,
Haar und Herz in der linken Hand rot bemalt.
71 511 Amitäyus (Ha, 4). 7 cm. Ambrosiagefäß fehlt. Feuervergoldet.
71 512 Brahma auf der Gans (VIb). 10 cm. Zu einer Gruppe von zehn Lokapälas
gehörend. Vgl. hierzu S. Hummel, Sechs Pekinger Bronzen auf einem Bilde
von E. Schlieper (in: Sinologica, V, 1).
71 516 Tara shyämavarnä (Va). 14 cm. Feuervergoldet, Haar blau bemalt.
71 517 Samvara (IVb). Vierarmig im schrecklichen Ausdruck, sitzend. Ein Hände-
paar auf dem Rücken der Shakti in Vajra-hüm-kära-Geste. Im Haar Sonne
und Mond. Weitere Attribute fehlen. 17 cm. Feuervergoldet.
71 519 Rigs-bu-mo auf dem Löwen (gehört zu 71 493). 10 cm. Vergleiche zu diesen
Begleitfiguren des Beg-tse auch R. Bleichsteiner, Srog. bdag, der Herr des
Lebens (in: Archiv f. Völkerkunde, V).
71 520 wie 71 516. 8,5 cm.
71 522 Amitäyus (Ha, 4). 14,5 cm. Ambrosiagefäß fehlt. Schmuck feuervergoldet.
(Vielleicht von einem nepälesischen Handwerker.)
71 525 wie 71 503. 27 cm. Attribute fehlen. Feuervergoldet.
71 528 wie 71 328. 30 cm. Bronzeguß, Sockel aus Kupferblech getrieben. Figur teil-
weise bemalt und einst mit Steinen besetzt.
71 566 Oberer Teil eines Phur-bu (Ritual-Dolch), der meist den Hayagriva darstellt
(IVa, 1). 7 cm. Über den Phur-bu vgl. S. Hummel, Der lamaistische Ritual-
dolch (Phur-bu) und die alt-vorderorientalischen Nagelmenschen (in: Asiati-
sche Studien, VI, 4, mit Abbildungen verschiedener Arten des Phur-bu).
71 763 Shadbhuja-Mahäkäla (tib.: mGon-po-phyag-drug-pa) (IVa, 1). 83 cm. Die
Attribute fehlen; in einer der linken Hände noch Reste der Fangschlinge.
Zu Mahäkäla vgl. R. de Nebesky-Wojkowitz, Ein Beitrag zur tibet. Ikono-
graphie (in: Archiv f. Völkerkunde, V, S. 138 ff.).
71 764 Avalokiteshvara ohne Attribute, sitzend mit Gazellenfell (lila). 65 cm.
36
Siegbert Hummel
72 028 Yama wie 71 325 (IVa, 1). 27,5 cm. Es fehlt die Keule.
72 029 Mahäpita-Vaishravana (tib.: rNam-sras-ser-chen) auf dem Löwen (Simhä-
sana) (IVa, 1). 18 cm. Aus Urga.
72 056a wie 71 763. 18 cm. Einige Attribute fehlen. Aus Urga.
72 068 Hayagriva wie 71 528 (IVa, 1). 12 cm. Feuervergoldet. Einige Attribute
fehlen.
72 069 Gautama Buddha, stehend, mit Gupta-Traditionen. 51 cm. Sino-tibetisch
(vgl. die chinesische Figur bei C. Glaser, Ostasiatische Plastik, Berlin 1925,
Abb. 126).
72 070 Guhyasamäja yuganaddha (IVb). 70 cm. Über die Entwicklung dieser Gestalt
von Vajrapäni über Vajradhara vgl. F. D. Lessing, Yung-Ho-Kung, Stock-
holm 1942, S. 80 ff.
Den Abschluß der Sammlung Umlauff bildet eine Lamapagode (tib.; mChod-rten)
Nr. 72 390. Für Altäre bestimmt. An der Seite der Bum-pa (vulgär Bre-Kornmaß
genannt) ist das eingangs erwähnte Fabelwesen Ci-mi-’dra angebracht.
E) Die Sammlung A. Tafel
Die Sammlung dieses bedeutenden Tibetforschers, die sich zum größten Teil im
Linden-Museum befindet, ist merkwürdigerweise nur mit einer Bronze vertreten:
Nr. 72 399 Lamaistischer Heiliger. 9 cm. Die Rechte in Bhümisparshamudrä, die linke
in Dhyänamudrä.
F) Verschiedene Sammler
Leihinger
109 256 wie 71 566. 45 cm. Mit Türkisen besetzt.
G. Markert (hierher gehören auch Nr. 120 791 und 120 792)
119 364 Avalokiteshvara mit elf Köpfen und acht Armen (lila). Einige Attribute
fehlen zur näheren Bestimmung. 19 cm.
119 381 Padmasambhava (VII). 45 cm. In der Rechten hält P. den Vajra, in der
Linken die Schädelschale (skr.: Kapäla). Links und rechts von ihm die bei-
den Hauptgemahlinnen Mandarava und Ye-shes-’tsho-rgyal. Sockel aus
Kupferblech getrieben, Padmasambhava aus getriebenen Blechen zusammen-
gesetzt, Kopf des Heiligen und die beiden Frauen Bronzeguß. Die Gruppe
ist abgebildet bei G. Markert, 1. c., Abb. 4.
119 383 Gautama Buddha. 16 cm. Rechte: Bhümisparshamudrä, Linke: Pätra.
Bronze mit Lackmalerei: Körper golden, Gewand rot mit goldenen Orna-
menten, Gürtel grün, Pätra blau, Lotusblütenblätter gelb mit rot, abwech-
selnd blau und rot gerändert, Zwischenräume weiß.
119 384 Gautama Buddha in Vajräsana bzw. Akshobhya. 20 cm. Seit der Pälazeit
(s. Einleitung) gehen beide Gestalten oft ineinander über.
1. Die lamaistischen Bronzen
119 385
119 388
Amitäyus (Ha, 4). 17,5 cm. Feuervergoldet mit Türkisen und Korallen
besetzt, Haar blau.
dPal-ldan-lha-mo auf dem Maultier über den Blutsee reitend (IVa, 2). Es
fehlt die Keule in der rechten Hand. 26,5 cm.
Wächter
119 671
Ushnishavijayä (Vb). 17 cm. Feuervergoldet, Haar blau. Der Pfeil in einer
der rechten Hände fehlt. Die erhobene Rechte in Buddhashramanamudrä.
G. Markert
Gj Unbekannte Sammler
120 791
120 792
Der 5. Dalai-Lama in der für ihn typischen porträthaften Darstellung (VII).
16 cm. Feuervergoldet. Die beiden Lotusblüten in Schulterhöhe sind ohne
Attribute, die Hände in Dharmacakramudrä. Abgebildet in G. Markert,
1. c., Abb. 3. Nach P. H. Pott, Introduction to the Tibetan Collection of the
National Museum of Ethnology Leiden, Leiden 1951, Tafel XI b (1840/1)
kommt diese ungewöhnliche Darstellung auch bei bTsong-kha-pa vor. Für
den 5. Dalai-Lama spricht aber die für ihn typische Gesichtsbildung; vgl.
auch unsere Nr. 71 475 sowie T. Schmid, Saviours of Mankind, Stock-
holm 1961, Tafel XL
[Avalokiteshvara (lila)]. Narteshvara (tib.: Gar-gyi-dbang-phyug). 19 cm.
Feuervergoldet, Haar blau. Diese seltene Darstellung zeigt den in diesem
Bodhlsatva anwesenden Shiva (tib.: Zhi-ba). Zu den shivaitischen Elemen-
ten in Avalokiteshvara vgl. A. Grünwedel, 1. c., S. 132: Halbmond im
Haar bei (Avalokiteshvara-) Simhanäda, Tigerfell und Dreizack bei (Ava-
lokiteshvara-) Amoghapäsha. Die Bronze trägt auf der Rückseite die Be-
zeichnung ’Jig-rten-dbang-phyug.
120 793 Vajradhara (I). 15 cm. Feuervergoldet mit Türkisen, blauer Stein als Urnä,
rote Steine in den Ohren,
121 579 Tara shyämavarnä (Va). 17 cm. Feuervergoldet.
121 580 bTsong-kha-pa (VII). 11 cm.
121 613 Krodhahayagnva (tib.: rTa-mgrin-khro-bo) (IVa, 1). 18 cm. Mit Shakti,
der Dakini Vajravarähi. (Die geflügelten Yi-dam (IVb) gehören meist den
nicht durch bTsong-kha-pa reformierten Schulen des Lamaismus an.)
Der Sammlung Kultbronzen ist noch ein Räuchergefäß in Form der Maske eines
Dharmapäla beigegeben: 122 105 (Bretschneider). 25 cm. Bronze. Ferner ein Medail-
lon als Wandschmuck, Nr. 121 584, Durchmesser: 34 cm. Bronze (getrieben). Sino-
tibetischer Stil. Aus einem chinesischen Lamatempel. Vielleicht Ekajatä (tib.: Ral-
gcig-ma) mit Garuda und Nägas (Va). Die zwergenwüchsig korpulente Gottheit mit
dem Tigerschurz ist ganz von Wolken umgeben. Sie führt ein Menschenherz zum
Mund und tritt auf Leichen. Von ihren Attributen erkennt man Glocke, Schlange,
Hackmesser, den abgeschlagenen Brahmäkopf und die Schädelschale; bei den Mani-
38
Siegbert Hummel
festationen Schwert, Schädelschale, Brahmäkopf und Schlange; Juwelen; Bogen,
Pfeile und Lasso. Der Rand des Medaillons (Wolken über Bergen) trägt oben in der
Mitte zwischen Sonne und Mond die chinesischen Worte Hsi-Tsang (= Tibet). Auf
der Rückseite des Medaillons findet sich der doppelte Donnerkeil (tib.: sNa-tshogs-
rdo-rje). Über Ekajatä vgl. ausführlich mit Literaturhinweisen S. Hummel, Die Her-
rin der Berge, 1. c.
Die Sammlung lamaistischer Kultbronzen im Linden-Museum überrascht durch
ihren Umfang, der größer ist als die beachtliche entsprechende Sammlung im Museum
f. Völkerkunde zu Leipzig. Nur ganz wenige Stücke sind minderwertig. Die meisten
Bronzen stammen aus dem 17.—18. bzw. erste Hälfte des 19. Jahrhunderts und sind
zum sino-tibetischen Stil zu rechnen bzw. von diesem beeinflußt. Stilreminiszenzen
aus der Gupta-Zeit fanden sich bei Nr. 72 069 (Abb. 1), solche der T ang-Zeit bei
Nr. 71 478 (vgl. auch die Abbildungen 19 und 20 im „Führer durch Hegers China-
Ausstellung“, Leipzig 1903). Älter, vielleicht aus dem 16.—17. Jahrhundert, sind die
Ikonen 1472/221, 71 323, 71 459, 71 478, 71 489, 71 492, 119 364, 119 383, 120 793
und 121 579. Die Lackvergoldung (71 489) und Lackbemalung (119 383) verdienen
besondere Beachtung.
Eine gewisse künstlerische Eigenwilligkeit und Qualität verraten 24 390 (Abb. 7),
71 459, 71 764 (Abb. 3), 72 069 (Abb. 1), 120 791, 120 793 und 121 579. Dabei fallen
71 764 (Abb. 3) durch eine ergreifende Innerlichkeit, 24 390 (Abb. 7) und 120 791
durch interessante porträthafte Züge auf. Ein Beispiel hervorragender Technik der
malerischen Auflösung plastischer Formen ist, wie schon angedeutet, Nr. 71 456
(Abb, 5). Benachbart sind 71 763 und 72 070. Hierher gehört auch 71 343 (Abb. 6),
selbst wenn die angewendete Technik eine ganz andere ist. Die technische Vollendung
sollte aber nicht mit künstlerischer Qualität verwechselt werden.
Beispiele für gute Arbeiten im indisch-tibetisch beeinflußten Stil sind 71 323,
71 499, 71 522, 119 381 (Abb. 8), 120 793 und 121 579.
Ikonographisch enthält die Sammlung einige beachtliche Seltenheiten: 24 390
(Abb. 7), 71 473, 71 517, 71 764 (Abb. 3), 119 381 (Abb. 8) und 120 792 (Abb. 4);
bedingt auch 71 462 (Abb. 2), 72 069 (Abb. 1) und 72 070.
Bei 71 473 und 71 517 fehlen leider die meisten Attribute. Bei einer Aufstellung
dieser Ikonen sollte man die fehlenden Attribute unter Hinweis auf die vorgenom-
mene Korrektur ergänzen oder neben die Figur eine vollständige Zeichnung auslegen,
denn diese Ikonen haben zuerst religionsgeschichtlichen und nicht kunsthistorischen
Wert. Falsch angebrachte Attribute sind nach Angaben in der Übersicht über die
Kultbronzen zu berichtigen.
Ein Vergleich der vorhandenen Ikonen mit dem Schema des Pantheons ergibt eine
erfreuliche Reichhaltigkeit. Man müßte jedoch versuchen, vor allem einige der fehlen-
den Bodhisatvas und Taräs, Beispiele für Marici, Mahämayün, Parnashavari,
Sarasvati, Vajravarähi und der Na-ro-mkha’-spyod-ma zu erwerben, ferner Dar-
stellungen des Kälacakra und des Hevajra, des dPe-dkar und des rDo-rje-legs-pa.
Durch eine diesbezügliche systematische Ergänzung würde die Sammlung lamaisti-
scher Kultbronzen des Linden-Museums zu einer der besten unserer deutschen Museen.
7. Die lamaistischen Bronzen
39
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II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz
In der tibetisch-mongolischen Sammlung des Linden-Museums finden sich einige
lamaistische Kleinplastiken aus Ton, wie sie in der Literatur auch als Potted Lamas
bekannt sind (vgl. u. a. Nr. 72 340—72 344). Der Ursprung dieser vollplastischen
Miniaturen ist im Lamaismus kaum ausschließlich im figürlichen Kultbild zu suchen,
wie es von Indien her angeregt wurde, also auch nicht in den Buddhabildern aus Ton,
deren größte vielleicht der 9 m hohe Maitreya im Lamakloster von Yung-Ning ist.
Eine Wurzel in der Entstehung dieser Tonplastiken scheint meines Erachtens bei den
sogenannten Tsha-Tsha zu liegen, die darum mit den Vollplastiken aus Ton zu-
sammen besprochen werden sollen.
Die Tsha-Tsha sind Tonplaketten mit Reliefs lamaistischer Gottheiten oder Hei-
liger (vgl. Nr. 71 271, 72 083) oder der Lamapagode (Nr. 24 621). Sie haben meist
einen Durchmesser von 3—8 cm, mitunter etwas darüber. Manchmal sind es auch voll-
plastische Miniaturpagoden. Alle diese Arbeiten sind in Hohlformen gegossen oder
gepreßt oder auch, was die Tsha-Tsha-Reliefs angeht, mit Hilfe eines Stempels herge-
stellt worden1). Die Abgüsse werden gebrannt, manchmal auch nur an der Luft ge-
trocknet. Ihre Herstellung gilt als verdienstvolles Werk. Eine höchst merkwürdige
Sonderentwicklung dieser frommen Tätigkeit ist das bloße Eintauchen der Formen in
fließendes Wasser, womit die Ansicht verbunden wird, daß auf diese Weise unge-
zählte Bildwerke geprägt werden2). Die Nichtigkeit aller Erscheinungsformen, auch
der Tonplaketten, steht nach buddhistischer Auffassung der Vergänglichkeit der
„Wasserbilder“ im wesentlichen nicht nach.
‘) Über Tsha-Tsha vgl. vor allem G. Tucci, Mc’od Rten e Ts’a Ts’a (Indo-Tibetiva, Vol.
I), Rom 1932. Dort S. 54 auch die Erklärung des Begriffes Tsha-Tsha in Verbin-
dung mit skr.: sat-chaya in der Bedeutung von Reproduktion; S. 57 auch über die
Zeremonien bei der Zubereitung der Tonplaketten. — L. Jisl, Sbirka tibetskeho
umeni Slezskeho musea v Opave (in: Gasopis Slezskeho musea, III, Opava 1953)
mit Abbildungen aus der dortigen Sammlung H. Leder. — Eine umfangreiche
Auswahl von Tsha-Tsha aus dem Besitze von H. Leder befindet sich im Museum
für Völkerkunde zu Leipzig. — W. Filchner, Das Kloster Kumbum in Tibet, Ber-
lin 1906, zeigt auf Tafel 38 eine Form für den elfköpfigen Avalokiteshvara. —
Id., Wissensch. Ergebnisse der Expedition Filchner nach Tibet und China 1903 bis
1905, Bd. VIII, Berlin 1910, Tafel 99. — A. K. Gordon, Tibetan Religious Art,
New York 1952, Tafel 77: Gießformen aus Bronze. — Ein Bettlerehepaar bei der
Anfertigung von Tonpasten zeigt J. F. Rock, The Glories of the Minya Konka
(in: The Nat. Geogr. Mag., LVIII, 4, Washington 1930, S. 394).
2) J. F. Rock, Seeking the Mountains of Mystery (in: The Nat. Geogr. Mag., LVII,
2, Washington 1930, Abb. S. 155). — Id., The Amnye Ma-Chhen Range and ad-
jacent Regions, Rom 1956, Tafel LXXXIX.
42
Siegbert Hummel
Wir kennen Tsha-Tsha aus dem 11.—12. Jahrhundert von westtibetischen Ver-
brennungsplätzen mit einer ikonographischen Gestaltung von Gottheiten indo-tibe-
tischer Manier, die ein feines künstlerisches Stilgefühl und noch nicht die stereotype
und grobhandwerkliche Erstarrung zeigen wie die modernen Stücke aus Tibet und
der Mongolei. Gerade diese ältesten Tsha-Tsha können manche Aufschlüsse über die
geschichtliche Entwicklung der lamaistischen Ikonographie bzw. für die Baugeschichte
und Typologie der Lamapagode, des sogenannten Tschorten (tib.: mChod-rten) ge-
ben3). Auch das Linden-Museum besitzt zwei Tsha-Tsha aus Kha-la-rtse (50 146).
Der Ursprung der Tsha-Tsha dürfte in einer Art Reiseandenken zu suchen sein,
die für Pilger zur Erinnerung an einen Wallfahrtsort und ein dort besonderes be-
deutungsvolles Kultbild oder einen berühmten Tschorten bestimmt waren4). Man
vergleiche nur einige der Tsha-Tsha etwa mit Abb. 223, 227 oder 228 bei Coomaras-
wamy bzw. mit 94 A und 105 B bei Rowland5).
Wenn dem Lehm für die Tonplastiken die Asche verstorbener Heiliger beige-
mischt ist, so erhöht sich der Wert der Tsha-Tsha natürlich beträchtlich. Die Sitte des
Leichenbrandes, eine der ältesten tibetischen Bestattungsarten, wird in Westtibet und
im nordosttibetischen A-mdo, falls genug Holz vorhanden ist, noch heute geübt,
andernfalls bleibt sie höchstens den Lamas Vorbehalten6). Aber auch die Asche ver-
storbener Laien wird dort, wo der Leichenbrand allgemeiner Brauch ist, mit Lehm
vermischt. Diese Tsha-Tsha, als ikonographische Reliefs oder als Miniaturtschorten,
werden in Felsennischen, auf den La-rtse (mong.; Obö)7), in Gebetsräumen der Woh-
nungen, in besonderen Tsha-Tsha-Häuschen (tib.: Tsha-khang oder auch Bum-khang
genannt)8) oder in Tschorten und auf deren Rändern beigesetzt9). Alles das steigert
die Verdienste der Verstorbenen wie die der Lebenden, sei es daß diese die Plastiken
geschaffen, sei es daß sie den Auftrag dazu gegeben haben und die Aufstellung
3) Das Museum für Völkerkunde in Leipzig besitzt einige dieser frühen, ungebrann-
ten Tsha-Tsha, die A. H. Francke bei Kha-la-rtse gesammelt hat. — Zur Geschichte
der Votivtäfelchen vgl. auch A. Salmony, Die Plastik in Siam, Hellerau 1926,
Tafel 1, 4, 24, 25.
4) G. Tucci, 1. c.
5) A. K, Coomaraswamy, History of Indian and Indonesian Art, London 1927. —
B. Rowland, The Art and Architecture of India, Harmondsworth, 3. Auf!., 1954.
— Vor allem A. Grünwedel, Buddhist. Kunst in Indien, 2. Aufl., Berlin 1919,
Abb. 87: Buddhagayä.
6) S. Hummel, Die Leichenbestattung in Tibet (in: Monumenta Serica, XX, Nagoya
1962).
T) Vgl. S. Hummel, Der magische Stein in Tibet (in: Intern. Archiv f. Ethnographie,
XLTX, 2, Leiden 1960).
s) Thubten Dschigrne Norbu, Tibet verlorene Heimat (herausgeg. v. H. Harrer),
Wien-Berlin-Frankfurt a. M. I960, S. 46. — W. Filchner, Kumbum Dschamba
Ling, Leipzig 1933, S. 166.
9) M. Hermanns, Die Familie der A Mdo-Tibeter, Freiburg und München 1959. S.
2SC (Rez. S. Hummel, in: Zeitschr. f. Ethnologie, 85, 2).
11. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz
bzw. Beisetzung vornehmen. Der Asche des Leichnams können auch die Reste der in
Verbindung mit dem Totenkult verbrannten Papierbilder des Toten (tib.: mTshan-
spyang bzw. sPyang-pu) beigemischt werden10).
Mehrere der flachen, reliefartigen Tsha-Tsha bilden, wenn sie in eine Holztafel
eingelassen werden, einen Miniaturschrein, der besonders bei der ärmeren Bevölke-
rung beliebt ist11). Später ging man besonders in der Mongolei dazu über, die ganze
Tafel des Schreins mit mehreren Ikonen in einem Stück zu gießen und nur mit einem
Holzrahmen zu fassen.
Die feinen Tsha-Tsha, besonders solche aus dem 18. Jahrhundert, die in Peking
für die kaiserlichen Lamatempel angefertigt wurden, tragen auf der Rückseite den
Namen der Gottheit und die Datierung12). Später hat man dann auch Tsha-Tsha
aus Metall (Kupfer oder Bronze) hergestellt.
Aber nicht nur zu Tonplaketten oder zu kegel- bzw. pyramidenförmigen Minia-
turstüpas13), sondern auch zu vollplastischen Figuren wird der mit den Ascheresten
vermischte Lehm gegossen oder geknetet. Als vollplastische Ikonen finden sich diese
Figuren dann nicht nur auf Hausaltären, sondern auch in den Amulettkästen (tib.;
Ga’u) an Stelle kleiner Metallfiguren. Diese Ga’u trägt der Tibeter am Gürtel oder
an einem quer über die Brust geschlungenen Band14). Diese Ikonen, die wie die Tsha-
Tsha mit Bemalung, Vergoldung oder beidem versehen sein können, sind nicht wie
manche Tsha-Tsha Votivgaben, sondern ein direkter Ersatz für Kultplastiken. Das
Bannungsgut wird in einen kleinen Hohlraum, mit Vorliebe an der unteren Seite,
eingelassen und mit Ton oder einem Stück Stoff verschlossen, das meist den Vajra in
D. L. Snellgrove, Buddhist Himalaya, Oxford 1957, S. 273 f. — S. Hummel, Die
lamaistische Psychologie und ihre Stellung zum Spiritismus (in: Zeitschr. f. Psycho-
somatische Medizin, V, 3, Göttingen 1959). — W. Y. Evans-Wentz, The Tibetan
Book of the Dead, 3. Auf!., London 1957, S. 20 ff. mit Abbildung.
P. H. Pott, Introduction to the Tibetan Collection of the National Museum of
Ethnology Leiden, Leiden 1951, S. 122. — Vgl. die Abbildung bei R. Bleich-
steiner, Die gelbe Kirche, Wien 1937, Abb. 54. — Die Miniaturschreine mit Mi-
niaturmalereien wurden bereits bei der Besprechung der Lamaistischen Miniaturen
im Linden-Museum (Tribus, 8) erwähnt. Einige dieser Schreine in kostbarer Aus-
führung bei der Tshogs-mchod-Prczession in Lhasa zeigt S. Hummel, Boy Dances
at the New Years Festival in Lhasa, II (in: East and West, Rom 1962): Photo
H. Harrer. Das Linden-Museum besitzt einen Miniaturschrein mit eingeklebten,
gemalten Ikonen aus der Mongolei (Nr. 24 375: 30 cm breit, 16,5 cm hoch) so-
wie zwei Miniaturschreine mit eingelegten Tsha-Tsha (Nr. 24 002: 32,5 cm breit
und 21 cm hoch; Nr. 72 361; 23,5 cm breit und 10,5 cm hoch). Beide Schreine
stammen aus der Mongolei.
Vgl. d. Abbildung bei A. K. Gordon, 1. c., S. 77.
R. Bleichsteiner, 1. c., Abb. 48. — L. Jisl, 1. c., Abb. 18—20: Kegel und Pyra-
miden.
S. Hummel, Geschichte der tibetischen Kunst, Leipzig 1953, S. 107.
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44
Siegbert Hummel
einer der verschiedenen, von den lamaistischen Bronzen her bekannten Arten trägt.
Von hier aus ist uns dann die Entwicklung zu den Kleinplastiken in Ton verständ-
lich, die von vornherein als Ersatz für Kultbronzen hergestellt wurden.
Mit den Tonplastiken sind die Figuren aus Papiermache verwandt (vgl. Nr.
23 761). Diese aus China eingeführte und besonders in der Mongolei beliebte Tech-
nik hat im mongolischen Lamaismus weithin die Tonfiguren verdrängt. Diese engen
Beziehungen sowie die Eigenart des Materials und seiner Behandlung mögen es gestat-
ten, die betreffenden Arbeiten an dieser Stelle mit den aus Ton gegossenen oder ge-
kneteten zusammen zu behandeln15).
Bisher haben die lamaistischen Tonplastiken mit Ausnahme der Tsha-Tsha (G.
Tucci, 1. c.) nur wenig Beachtung gefunden. Die Stücke aus Papiermache hielt man
offensichtlich einer Behandlung nicht für wert. A. Salmony (1. c.) hat in Verbindung
mit den siamesischen Votivtäfelchen aus Ton mit Recht darauf hingewiesen, daß sich
„dieses Material [Ton bzw. Lehm] hemmungslos dem Volkstypus hingibt. Die porträt-
hafte Bildung kann sich in Ton schnell durchsetzen“, während die Kultbronze im
wesentlichen Festlegung bedeutet. "Wir können dieses Urteil auch für die mongolisch-
lamaistischen Arbeiten in der Technik mit Papiermache erweitern. Das gilt alles in
ganz besonderem Maße für die Darstellungen lamaistischer Heiliger, die ehedem in
der Geschichte des Lamaismus eine Rolle gespielt haben. In Wirklichkeit sind das
alles Mönchstypen aus der lebendigen Umgebung der Schöpfer dieser Plastiken (vgl.
Nr. 23 761: Papiermache, 72 340: Ton).
So können diese anspruchslosen und bescheidenen Plebejer unserer Sammlungen
mit ihren Derbheiten und manchmal auch Geschmacklosigkeiten ihres äußeren Ge-
wandes für den, der sich mit ihnen längere Zeit hindurch vorurteilslos beschäftigt hat,
einen besonderen und bleibenden Reiz gewinnen. An ihnen spüren wir noch die Nähe
des Volkes in Zelt und Jurte mit seiner kindlich schlichten Gläubigkeit16).
Einige der Plastiken sind jedoch in ihrer Modellierung und Bemalung von aus-
gezeichneter künstlerischer Qualität17), wie auch an Stücken der Sammlung des Lin-
den-Museums zu erkennen ist. Bei den Tsha-Tsha muß eine feine Prägung nicht im-
mer auf Metallformen schließen lassen. S. H. Ribbach (1. c., S. 232 und 261, Anm. 61)
erwähnt für Westtibet sorgfältig geschnitzte hölzerne Formen, denen besonders bei
älteren Arbeiten ein feiner, oft mit Metall- und Halbedelsteinstaub vermischter Ton
gut anliegen kann. Vom 19. Jahrhundert zeigt sich bei den Tsha-Tsha und bei den
vollplastischen Figuren ein gewisser Verfall vor allem durch die plumpe Bemalung
mit dick aufgetragenen und hart zusammengestellten Farben, während die früheren.
15) Vgl. auch die Figur des Padmasambhava in Jisl, Mongolei, Kunst und Tradition,
Prag 1960, Abb. 83.
,6) Über die Weihe der Tonplastiken für den kultischen oder abwehrmagischen
(Amulett) Gebrauch durch Lamas ähnlich der Weihe von Kultbronzen vgl. S. H.
Ribbach, Drogpa Namgyal, München-Planegg 1940, S. 261 (Anm. 62).
17) L. Jisl, Neznämy Tibet, Prag 1956, Nr. 142 (26, 2 cm) mit Farbtafel.
II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz 45
Stucke Zwischentöne und einen dünnen, bei den Tsha-Tsha erdigen Anstich bevor-
zugen.
Die Frage nach dem Alter der mongolischen Arbeiten in Ton und Papiermache
in den Sammlungen unserer Museen ist nicht immer leicht zu beantworten wenn
Formen benutzt wurden, da Gieß- oder Preßformen durch lange Zeiten hindurch in
Gebrauch sind und, was die Tsha-Tsha angeht, die Abgüsse auch Mitbringsel aus tibe-
tischen Klöstern sein können, die auf eine ältere Tradition zurückblicken als die der
Äußeren Mongolei. Das erste (reformiert-lamaistische) Kloster, Erdeni-dsu, entstand
dort im Jahre 1586. Wie eng dann die Verbindungen Tibets auch mit der Äußeren
Mongolei geknüpft wurden, zeigt die Geschichte des 3. bis 5. Dalai-Lama173). Als um
1602 der 4. Dalai-Lama aus der Mongolei nach Tibet geholt wurde, setzte man für
diese Inkarnation des 3. Dalai-Lama einen Stellvertreter ein, der als Verkörperung
des Maitreya gilt. Oft werden die Bogdo-Gegen von Urga mit der Bezeichnung rje-
btsun-dam-pa Täranätha als seine Inkarnationen bezeichnet, was von manchen in
Frage gestellt wird. Sollte die Tradition jedoch zutreffen, so wäre es die zweite
Inkarnation, die ihren ständigen Aufenthalt im späteren Urga nahm, dem heutigen
Ülanbator, das erstmalig um 1649 erwähnt wird. Sie gründete dort ein Kloster mit
dem tibetischen Namen Ri-bo-dge-rgyas-gling. Während dieses anfänglich in Filz-
zelten untergebracht war und den Standort öfter wechselte, wurde um 1779 die erste
dauerhafte Klosterniederlassung errichtet. Die Bauleute für das Heiligtum und für
die Lamapagode wurden aus Peking bestellt18).
Für die Tsha-Tsha aus der Mongolei wird also eine Datierung vom 16./17. Jahr-
hundert an aufwärts zutreffen, sofern wir es tatsächlich mit mongolischen Stücken
zu tun haben19). Das gilt dann auch für die vollplastischen Figuren in Ton und in
der chinesischen Technik der Papiermasse. Die Kunst, Plastiken in Papiermache her-
zustellen, machten chinesische Meister schon im 8. Jahrhundert den Japanern be-
kannt, wie Kunstwerke in Nara ausweisen.
Daß in Tibet sehr früh eine Weiterentwicklung im Gebrauch der Tsha-Tsha ein-
setzte, in deren Verlauf diese Tongebilde nicht mehr stets Mitbringsel der Pilger bzw.
Andenken an verdienstvolle Pilgerfahrten waren, sondern die Prägung von Tschor-
ten und heiligen Götterbildern, also gleichsam deren Errichtung durch minderbemit-
telte Gläubige, an sich schon ein verdienstvolles Werk sein sollte, ist auch bei den
Tonpasten aus der Mongolei zu beachten. Nur ganz wenige dürften möglicherweise
17a) Besonders unter dem 3. Dalai-Lama bSod-nams-rgya-mtsho (1543—1588) er-
lebte in Tibet die Tsha-Tsha-Industrie für Pilger, vor allem aus der Mongolei,
einen Aufschwung.
18) S. Hummel, Die lamaistische Kunst in der Umwelt von Tibet, Leipzig 1955, S.
72. — E. Haenisch, Die Mongolei (in; Der Orient in Deutscher Forschung, Leipzig
1944). — Abbildungen des Klosters Erdeni-dsu bei L. Jisl, Mongolei, Abb. 17, 18,
20—27.
19) Zu dieser Frage auch L. Jisl, in: Sbirka tibetskeho, 1. c., S. 58. — Wie schwierig
die Datierung der Tsha-Tsha ist, zeigt ein Stück bei E. Olson, Tibetan Life and
Culture, Newark 1960, Tafel XIII (16. Jahrhundert?).
46
Sieghert Hummel
Mitbringsel bzw. Erinnerungen an Pilgerreisen nach Tibet sein. In Hinsicht auf die
Herstellung ist die bei den frühen Tsha-Tsha sehr beliebte Stempeltechnik20) immer
mehr der Preß- oder Gießformung gewichen, die auch bei den Vollplastiken zuneh-
mend zur Anwendung kam.
Die Bon-po, deren Religion reich an vorlamaistischen Traditionen ist, haben
ebenfalls Tsha-Tsha. A. Tafel hat solche in Osttibet gesehen. Der Ton dieser Plastiken
wird manchmal auch mit der Asche heiliger Tiere vermischt. Diese Tsha-Tsha werden
in den Häusern der Gläubigen oder wie im Lamaismus in besonderen Tsha-khang
aufbewahrt. Da sie mit Gewissheit von den buddhistischen bzw. lamaistischen Ton-
pasten herzuleiten sind, kommt ihnen ein höheres Alter nicht zu21).
1. Die Tsha-Tsha im Linden-Museum
(Die in Klammern beigegebenen Nummern verweisen auf den Ort der Gottheit
im Schema des lamaistischen Pantheons für die Kultbronzen. Da mir in Ermangelung
eines Reisepasses nach Stuttgart nur die Photos der Sammlung zur Verfügung standen,
konnte ich die Bemalung nur ungenügend zur Altersbestimmung heranziehen. Wo
Farbangaben fehlen, sind die Tsha-Tsha unbemalt. Bei vollständiger ikonographischer
Bemalung wollen die Handbücher zur lamaistischen Ikonographie eingesehen werden.
Die Farbangaben entsprechen den Auskünften der Museums.)
A) Die Sammlung H. Leder
23 784 Brahma (IVa, 2). 7,2 cm. In vollständiger ikonograph. Bemalung; Gold-
grund.
23 654 Äcäryavajrapäni (IVc). 5 cm. Ikonographisch übermalt, ursprünglich golden.
23 849 Mahäkäla (als mGon-dkar) (IVa, 1). 10,2 cm. In vollständ. ikonogr. Be-
malung.
23 998 Shn-Cakrasamvara (tib.: dPal-’khor-lo-stom-pa) (IVb). 11 cm. In vollstän-
diger ikonographischer Bemalung.
23 999 Yamäntaka (IVa, 1). 14 cm. In vollständiger ikonographischer Bemalung
(Y. auch als Vajrabhairava bekannt).
24 022 Die 35-Buddhas der Mühe um Sündenvergebung (vgl. S. Hummel, Lamaisti-
sche Studien, Leipzig 1950, Kap. VIII). Darüber bTsong-kha-pa mit seinen
Schülern rGyal-tshab und mKhas-grub. Darunter von links nach rechts
20) Einen solchen Stempel zeigt P. H. Pott, Introduction, Tafel XXII, 2.
21) A. Tafel, Meine Tibetreise, Stuttgart 1914, Bd. II, S. 198, 265, 331 (Abb. 16:
kegelförmiger Tschorten, durchaus ähnlich einem westtibetisch-lamaistischen bei
G. Tucci, 1. c., Tafel, XLI). — Über den späteren, lamaistisch geprägten Bon-
Glauben, das sogenannte gewandelte Bon, vgl. H. Hoffmann, Quellen zur Ge-
schichte der tibetischen Bon-Religion, Mainz 1950. — Zur Frage der Bon-Ikono-
graphie des gewandelten Bon vor allem D. Snellgrove, Himalayan PÜgrimage,
Oxford 1961, S. 41—54 und 119—126.
II. Die lamaistischen Plastiken aus Jon, Papiermache und Holz 47
Shyämavarnä, Manjushri, Padmapäni, Vajrapäni u. Sitatärä. 19 cm. Reste
von Vergoldung. Vgl. auch E. Schlagintweit, Le Bouddhisme, Paris 1881,
S. 60 ff. Zur Farbgebung vgl. S. Hummel, Ikonographische Notizen zum
Lamaismus, in: Jahrbuch ds. Mus. f. Völkerk. zu Leipzig, Bd. XII, S. 66 f.
24 394 Krodhahayagriva (tib.; rTa-mgrin-khro-bo), geflügelt (IVa, 1). 18,5 cm.
In vollständiger ikonographischer Bemalung. Aus dem Kloster sKu-’bum
(Kumbum) in Osttibet.
24 493 Maitreya (Illb). 5 cm. Stehend, Rechte in Vitarkamudrä, Linke hält Kanne,
im Haar Stupa.
24 502 Öndör-Gegen mit Donnerkeil in der Rechten vor der Brust und Glocke in
der Linken im Schoße (vgl. Papiermache-Figur 23 843). Die über dem Hei-
ligen schwebende Gestalt ist nicht genau erkennbar. 5,1 cm. Rötlich getönt,
Vorderseite golden.
24 505 Kälacakra (IVb). 4,5 cm.
24 508 Khadiravana (Va). 6,7 cm.
24 510 Shridevi (IVa, 2). 4,4 cm. In vollständiger ikonographischer Bemalung.
24 515 Akshobhya (Ha, 2). 4 cm.
24 519 Yama als Chos-rgyal-phyi-sgrub (IVa, 1). 4,8 cm.
24 528 Shyämavarnä (Va). 2,8 cm. In vollständiger ikonogr. Bemalung.
24 540 Fünf Gottheiten. Attribute unkenntlich. Oben Mitte wahrscheinlich bTsong-
kha-pa. 5,6 cm. Die Figuren golden mit roten Kleidern auf blauem Grund.
Haare blau. Gloriolen grün. Blütenblätter blau-grün.
24 546 Samvara (IVb). 3,8 cm. Rötlich getönt, Figur golden.
24 549 Sitätapaträ (Vb). 2,5 cm. Farbgebung wie 24 546.
24 551 Vajrasatva (I). 3,5 cm. Farbgebung wie 24 546.
24 553 Amitäbha (Ha, 4). 3,9 cm. Farbgebung wde 24 546.
Wie D. Snellgrove, 1. c., S. 185, gezeigt hat, ist die Verehrung des Amitäbha
als Haupt der sogenannten Lotusfamilie, zu der auch Padmasambhava ge-
hört (vgl. Nr. 23 667), aus Tibet westlich vorgelagerten Gebieten ins Hoch-
land, nach Zentralasien und Ostasien verbreitet worden. Zur Lotusfamilie
gehört folgerichtig Avalokiteshvara, während Vajrapäni zur Vajrafamilie
(Akshobhya) und Manjushri zur Tathägatafamilie gehören, deren Oberhaupt
Vairocana, die Verkörperung des Buddhawesens schlechthin, ist; auch für die
Tathägatafamilie weisen die Ursprünge auf Gebiete westlich von Tibet. Die
übrigen Familien, vertreten durch Ratnasambhava und Amoghasiddhi, wur-
den später hinzugefügt, um die Gruppen mandalafähig zu machen.
24 559 Manjushri (Illb). 3,7 cm. Farbgebung wie 24 546.
24 560 Vaishravana auf dem Löwen (IVa,l). 3,2 cm. Farbgebung wie 24 546.
24 566 Der 6. Pan-chen dPal-ldan-ye-shes (1737—1780) mit Buch auf dem Schoße;
daneben Rasselstab und Kanne. Auf dem Kopfe trägt er den dBen-dgon
[gs]-zhwa genannten Hut. 3,6 cm. Farbgebung wie 24 546.
24 575 Jambhala (IVa, 1). 6,1 cm. Farbgebung wie 24 546.
24 580 Shyämavarnä (Va). 4,5 cm. Vorderseite golden.
24 581 Simhanäda (Avalokiteshvara) (lila). 5,7 cm. Rötlich getönt, Figur golden.
(Tib.: Seng-ge-sgra.)
48
Siegbert Hummel
24 586 Vaishravana (IVa, 1). 5,4 cm. Auf der Rückseite die Silben „Om A Hüm“.
24 590 Yamäntaka inmitten der Drag-gshed-brgyad (IVa). 6,2 cm. Figur golden.
24 594 Sadaksari (lila). 6 cm. Rötlich getönt, Figur golden.
24 595 bTsong-kha-pa (VII). 4,2 cm. Rötlich getönt, Figur golden.
24 597 Beg-tse (IVa, 2). 5,5 cm.
24 603 Äcäryavajrapäni (IVc). 5,1 cm. Reste von Inschrift. Unten wahrscheinlich
die Formel des Vajrapäni „Om Badzra-pä-ni Hüm Phat“. Figur golden.
24 607 Oben Amitäyus, unten links Sitatärä, rechts Ushnishavijayä (Vb). 5,1 cm.
Reste von Vergoldung.
24 608 Ushnishavijayä (Vb), darüber Stupa. 4,3 cm. Vorderseite golden.
24 612 Mahäpratisarä (Va). 4,6 cm.
24 621 Stupa. 2,1 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
24 627 Eine unkenntliche Gruppe von 9 Gottheiten. 7,7 cm. Vorderseite golden.
24 628 Die Pancarakshäs (Vb). 7,8 cm. Rötlich getönt. Vorderseite golden.
Die P. schützen vor Seuchen und allerlei Gefahren, geben langes Leben und
bewahren die Wohnorte.
24 630 wie 24 590. 5,3 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
24 631 ICang-skya-rol-pai-rdo-rje (1714—1804) zwischen (oben links) Gautama,
(oben rechts) Sadaksari, (unten links) Shyämavarnä, (unten rechts) Yama.
6 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden. Darstellung wie in G. Schule-
mann, Geschichte der Dalai-Lamas, 2. Aufl., Abb. 37; abweichende Ikono-
graphie (Buch und Schwert auf einer Lotusblüte) in S. Hummel, Die lamaisti-
schen Tempelfahnen und ihre Beziehung zum Yoga (in: Tribus, 1952/1953,
Abb. 14: Original im Mus. f. Völkerk. zu Leipzig).
24 632 Avalokiteshvara als ’Phags-pa-don-yod-zhags-pa (lila). 5 cm. (vgl. Jisl,
Mongolei, Tafel 78, ungedeutet).
24 634 Vajraratna (tib.: rDo-rje-rin-chen (Illb), 7,6 cm.
V. gehört zur Gruppe der 16 Vajra-Bodhisatvas, die gerne im Mandala des
[Sarvavid-jVairocana auftreten; vgl. auch W. E. Clark, Two Lamaistic
Pantheons, Cambridge (M) 1937, Vol. I, S. XV ff. Die wichtigsten der V.
sind Vajradhara, Vajraratna, Vajradharma und Vajrakarma, die den
Dhyänibuddhas Akshobhya, Ratnasambhava, Amitäbha und Amoghasiddhi
entsprechen und je drei weitere Vajra-Bodhisatvas anführen.
24 636 Marici auf dem Eber sitzend (Vb). 4,6 cm.
24 637 Die Medizinbuddhas unter Anführung von Gautama Buddha. Unten Mitte
Sitatärä (vgl. ausführlich S. Hummel, Lamaistische Studien, Kap. V). 7,1 cm.
24 641 Mahäkäla als mGon-po-gur (IVa, 1). 6,6 cm.
24 643 Akshobhya wie 24 515. 6,2 cm.
24 666 Shyämavarnä (Va). 3,1 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
B) Die Sammlung Meehold
50 144 Dharmacakramanjushn (Illb). 4,7 cm. Aus Kha-la-rtse (W-Tibet).
50 146 Shäkyamuni in Dharmacakramudrä, von Stupas umgeben. 15,2 cm. Stem-
peltechnik. Ungebrannter Ton. Aus Kha-la-rtse ähnlich den von A. H.
Francke dort gesammelten (vgl. Einleitung zu den Kultbronzen).
TAFEL V
Abb. 9. 50 146. Tsha-Tsha:
Shakyamuni in Dharmacakra-
mudra. Slg. Meebold.
Abb. 10. 50 144. Tsha-Tsha:
Dharmacakramanjushri. Slg. Meebold.
Abb. 11. 71 281. Tsha-Tsha: Manjushrl.
Slg. Umlauff.
Abb. 12. 23 671. Tonplastik. 7. Bogdo-Gegen —
8. Maidari Chutuktu von Urga. Slg. Leder.
Abb. 13. 72 340. Tonplastik, rje-drung-blo-bzang-
dpal-ldan. Slg. Umlauff.
II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz
49
C) Die Sammlung Umlauf/
71 230 bTsong-kha-pa (VII). 2,2 cm.
71 268 wie 24 632 (lila). 5,1 cm.
71 270 Yamäntaka (wie 24 590). 5,7 cm.
71 271 Äryävalokiteshvara (11-köpfig) (lila). 5,7 cm. Rötlich getönt, Vorderseite
golden.
71 272 Maitreya in Bhadräsana (Illb). 6,4 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
Neben den Schultern in Lotosblüten Rad und Kanne.
71 273 Beg-tse (IVa, 2). 4 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
71 274 Oben Mitte wahrscheinlich Gühya-samäja, links unten Yamäntaka, rechts
unten wahrscheinlich Samvara (IVb; IVa, 1; IVb). 6,3 cm. Rötlich getönt,
Vorderseite golden,
71 277 Gühya-samäja yuganaddha (tib.: gSang-’dus-zung-’jug). 3,3 cm. Rötlich ge-
tönt, Vorderseite golden.
71 281 Mahjushri. Daneben Stupa (tib.: mChod-rten). 5,3 cm. Gottheit und Stupa
golden.
71 285 [Wahrscheinlich] der 7. Pan-chen-bstan-pai-nyi-ma (1781 —1852).
Wie Amitäyus mit Tshe-bum in Dhyänamudrä. 6,6 cm. Reste einer Inschrift.
71 313 Sitajambhala (tib.: Dzam-bha-la-dkar-po) auf dem Drachen, der makara-
ähnlich gestaltet ist (Makaräsana), mit Tnshüla. 6,3 cm.
71 332 Yamäntaka (IVa, 1). 7 cm. Vergoldet.
71 967 152-Stüpas in 8 Reihen. 7,5 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
71 974 Däkini Na-ro-mkha’-spyod-ma (Vc). 11 cm.
72 074 wie 71 967 (mit der gleichen Form hergestellt).
72 075 Gautama Buddha (Hb). 12,2 cm.
72 076 Vajrasatva (I). 9,2 cm. Figur vergoldet, Haare blau, Krone teilweise rot mit
blauen Rändern.
72 083 bTsong-kha-pa (VII). 15,5 cm. Goldene Gestalt auf rotem Grund.
72 084 Hayagriva (lVa,l). 13,7 cm. In vollständiger ikonographischer Bemalung.
Auf Rückseite Stoff mit den magischen Silben Om A Hüm.
72 086 Manjushri (Illb). 7,4 cm. Vorderseite golden.
72 087 wie 24 637 (mit der gleichen Form hergestellt).
72 089 Shyämavarnä mit zwei Begleitern (Attribute nicht erkennbar). 14,5 cm. Fi-
gur golden, blaue Körper- und grüne Kopfgloriole.
72 090 Hayagriva (IVa, 1). 5,7 cm. Vergoldet, Haare und Gesichter rot.
72 096 Sadaksari (lila), darüber Amitäbha (Ha, 4). 7,4 cm. Vorderseite golden.
72 097 wie 24 628 (mit der gleichen Form hergestellt),
72 099 Äryävalokiteshvara (tib.: ’Phags-pa-spyan-ras-gzigs). Elfköpfig mit tausend
Armen (lila) zwischen zwei Tschorten. 8,2 cm. Rötlich getönt, Vorderseite
golden.
72 100 Der 8. Dalai-Lama Blo-bzang-'jam-dpal-rgya-mtsho (1759—1804). Rechte
Hand in Vitarkamudrä hält Lotuszweig, linke hält ein Buch. Die Inschrift
„Blo-bzang-’jam-dpal-rgya-mtsho“ ist noch schwach zu erkennen. 5,7 cm.
Im roten Rahmen, goldene Figur auf blau-grünem Thron.
72 103 Die Vision des dGe-’dun-grub (Schüler von bTsong-kha-pa). Er sieht seinen
72 112
72 114
72 116
72 117
72 119
72 122
72 124
72 127
72 130
72 131
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72 135
72 136
72 139
72 143
72 144
72 145
72 151
72 152
72 153
72 154
72 158
72 331
Sieghert Hummel
Meister mit den Schülern rGyal-tshab u. mKhas-grub inmitten Manjushri
u. Gautama schweben. Darüber Maitreya im Tushita-Himmel. Gegenüber
von dGe-’dun-grub erscheint Yama (Diese Vision hat F. D. Lessing beschrie-
ben in „Lam. Painting representing an Epiphany of Tsong-kha-pa“, in;
Ethnos 1942, 2—3).
Manjushri, links Padmapäni, rechts Vajrapäni (lila u. b). Bemerkenswert
sitzt Manjushri in Bhadräsana und hält die Blüten mit Buch und Schwert.
7,5 cm. Auf blauem, rot gerändertem Feld die goldenen Figuren mit rotem
Strahlenkranz.
Hayagriva (IVa, 1). 6,7 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
oben bTsong-kha-pa, unten links Sitätapaträ, unten rechts Shyämavarnä
(VII, Vb, Va). 4,7 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
Shyämavarnä (Va). 4,7 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
Akshobhya (Ha, 2). 5,3 cm. Vorderseite golden.
oben bTsong-kha-pa, unten links u. rechts je ein Schüler (wahrscheinl. rGyal-
tshab u. mKhas-grub). 5 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden,
wie 24 493 (mit der gleichen Form hergestellt).
Gautama Buddha. 5,7 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden,
stehender Padmapäni (lila). 5,9 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
Rechte in Varadamudrä, Linke hält Lotus.
wie 72 114. 4 cm. In vollständiger ikonographischer Bemalung.
Akshobhya (Ila, 2). 5,1 cm. (Mit Resten von magischen Bannformeln.)
wie 72 119. 5,5 cm. Figur golden mit roter Körper- und blaugrüner Kopf-
gloriole. Tsha-Tsha blau und rot gerändert.
oben Sitätapaträ (Vb), unten links Prajnäpäramitä (Vb), unten rechts wahr-
scheinlich Simhavakträ (Vc). 5 cm.
Mahäkäla (IVa, 1), als Sita-Cintämani-Mahäkäla (tib.: mGon-dkar-yid-
bzhin-nor-bu). 5 cm.
Shyämavarnä (Va). 4 cm. Am Rande ihre Formel „Om Tä-re-tu-ta-re-tu-re
Svähä“ (vgl. hierzu „Lamaistische Studien“, S. 89).
Shyämavarnä (Va). 4 cm. In vollständiger ikonographischer Bemalung.
(wie 72 119). 5,7 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
bTsong-kha-pa. 2 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden,
wie 72 134. 3,4 cm.
Amitäyus (Ila, 4). 2,3 cm. Vorderseite golden.
Sadaksari (lila). 3,5 cm.
Vajrasatva (I). 3,6 cm.
Gautama Buddha. 3,2 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden,
wie 72 144. 3,5 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
Sitatärä (Va). 3,3 cm.
Shyämavarnä (Va). 2,7 cm.
Simhavakträ (Vc). 4,5 cm.
Gautama Buddha. 2,3 cm. Rötlich getönt, Vorderseite golden.
bTsong-kha-pa (VII). 3,1 cm.
wie 72 103. 15,8 cm.
II. Die lamaistischen Plastiken aus Jon, Papiermache und Holz
51
D) Die Sammlung A. Tafel
72 473 u. 72 474 nicht eigentlich zu den Tsha-Tsha gehörend, je ein Gipsabguß von
einer Divinationstafel in Bronze mit einem magischen Diagramm der 9
sMe-ba inmitten der Pa-Kua, wie sie dem chinesischen Orakelbuch I-Ching
zugrunde liegen (vgl. hierzu S. Hummel, Lamaistische Studien, Kap. VI. —
J. Schubert, Tibetische Äquivalente der I-ching-Hexagramme, in: Mitt. ds.
Inst. f. Orientforschung, IV, Berlin 1956). Darum die 12 Tiere des tibeti-
schen Tierkreises. Über dem Diagramm der Kopf, am unteren Rande der
Schwanz der Schildkröte sichtbar, auf deren Panzer die Divinationstafel
eingezeichnet ist. 5,5 cm. Das Original ist aus sKye-rgu-mdo [Rje-kun-’gro]
in Osttibet und abgebildet in A. Tafel, Meine Tibetreise, Stuttgart 1914,
Bd. II, S. 211.
72 477 Hayagriva (IVa, 1). 9 cm (ungebrannter Ton). Aus der Gegend von Cho-Ni
in Osttibet.
E) Die Sammlung Dincklage
108 025 dPal-ldan-lha-mo (IVa, 2) mit Gefolge (skr.: Parivära, tib.: ’Khor). Sie
wird geführt von Makaravakträ (Vc) und gefolgt von Simhavakträ (Vc).
Sie ist ferner begleitet von den Göttinnen der Jahreszeiten: oben links
dPyid-kyi-rgyal-mo (Frühling), oben rechts dByar-gyi-rgyal-mo (Sommer),
unten rechts sTon-gyi-rgyal-mo (Herbst), unten links dGun-gyi-rgyal-mo
(Winter). Über dem Ganzen schwebt bTsong-kha-pa zwischen Sonne und
Mond. 8,5 cm. Die Figuren sind golden, die obere Hälfte des Hintergrundes
ist blau, die untere grün.
F) Die Sammlung Markert
120 723 Die Däkini Na-ro-mkha’-spyod-ma (Vc). 10,9 cm. In vollständiger ikono-
graphischer Bemalung.
Zusammenfassend ergibt sieb eine ikonographlsch erfreuliche Reichhaltigkeit der
Tsha-Tsha-Sammlung des Linden-Museums. Bemerkenswert bzw. nicht gerade häufig
sind dabei aus der Sammlung H. Leder:
24 632 (= Umlauff 71 268) mit ’Phags-pa-don-yod-zhags-pa,
24 634 mit Vajraratna,
24 636 mit Marici auf dem Eber sitzend.
Desgl. in der Sammlung Umlauff:
72 100 mit Dalai-Lama-Szene,
72 103 (= 72 331) mit Vision des dGe-’dun-grub,
72 104 mit Manjushri in Bhadräsana (Buch u. Schwert auf Lotusblüten).
In der Sammlung Dincklage:
108 025 mit Parivära der dPal-ldan-lha-mo.
Es bezieht sich jedoch die Seltenheit von 72 103 (= 72 331) u. 108 025 nur auf der-
artige Darstellungen auf Tonpasten.
Sieghert Hummel
Die Sammlung Umlauff ist die weitaus größte. Ältere Stücke in ihr sind 72 130
und 71 281 (= Abb. 11), beide wahrscheinlich aus dem 16./17. Jahrhundert. Dabei
fällt 71 281 durch hohe künstlerische Qualität auf.
Die Sammlung H. Leder enthält u. a. die jüngsten Stücke. Es sind die Objekte mit
Lackfarben (fast alle Stücke der Sammlung dürften aus dem Reisegebiet Leders, aus
der Äußeren Mongolei, stammen):
24 394, 24 510, 24 528, 24 603 u. 24 628, wobei wieder zu bedenken ist, daß die
Preß-Formen älter sein können, wie zum Beispiel bei 24 603, während die Form
24 394 vielleicht ins 19. Jahrhundert gehört. Daneben finden sich in der Sammlung
Leder auch einige recht alte Stücke: 24 508 aus dem 15./16. Jahrhundert und die be-
reits genannte, mit Lackfarben bemalte 24 603 aus dem 16./17. Jahrhundert.
Künstlerisch wertvolle Stücke der Sammlung Leder sind: 24 508, daneben aber
auch 24 553, 24 559, 24 580 und 24 636.
Die bedeutendsten Stücke der Tsha-Tsha-Sammlung des Linden-Museums sind
jedoch 50 144 aus dem 15./16. Jahrhundert und 50 146 aus dem 11./12. Jahrhundert
(vgl. Abb.. 9 u. 10).
2. Vollplastiken in Ton
A) Die Sammlung Werther
19 862 Amitäyus (Ha, 4). 15 cm. Lackvergoldung, Haare blau. Aus einem Lama-
23 667
23 669
tempel in Peking.
B) Die Sammlung H. Leder (sämtliche Stücke stammen aus Urga)
23 656 bTsong-kha-pa (VII). Rechter Lotus mit Buch abgebrochen. Dunkelbraune
Farbe mit firnisartigem Überzug. 4,3 cm.
Padmasambhava, bedeutendster Begründer des Lamaismus (8. Jahrhundert).
13,5 cm. Mit vollständiger ikonographischer Bemalung. Gesicht und Hände
fleischfarben. Unten mit einem orange-roten Baumwolltuch verschlossen
(über ikonogr. Bemalung der Stücke vgl. die Handbücher).
Von Leders Gewährsleuten als 7. Bogdo-Gegen = 8. Maidari-Chutuktu von
Urga bezeichnet, 1839 in Tibet geboren, 1844 erwählt, 1869 in der Mon-
golei verstorben (vgl. G. Schulemann, Gesch. d. Dalai-Lamas, S. 361). In
vollständiger ikonographischer Bemalung. Gesicht und Hände fleischfarben.
Rechte in Vitarkamudrä, Linke hält Buch. 8 cm.
Nach Leders Gewährsleuten wie 23 669. Vgl. unsere Abbildung 12. In voll-
ständiger ikonographischer Bemalung. Gesicht, Hände und Attribut golden.
Rechte in Vitarkamudrä, Linke hält Gefäß. 6,5 cm.
Der berühmte tibetische Dichterasket Mi-la-ras-pa (1040—1123) in der für
ihn bezeichnenden lauschenden Haltung. In ikonographischer Bemalung,
Körper golden. 11 cm.
Shyämavarnä (Va). 6,7 cm. Von den mongol. Gewährsleuten so bezeichnet.
In ikonographischer Bemalung, aber Körper golden, nicht wie üblich grün.
23 671
23 840
23 850
II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz 53
24 053 Atisha (tib.: Jo-bo-rje). Indischer Buddhist, predigte in Tibet, inspirierte
die bKa’-gdams-pa-Schule, starb in sNye-thang 1054. In ikonographiscber
Bemalung. 3,5 cm.
24 054 bTsong-kha-pa, der tibetische Reformator und Begründer der dGe-lugs-pa-
Scbule (1357—1419). Tongrundig mit Resten weißer Inkrustation. 5,5 cm.
24 057 wie 24 054. Die Lotusblüten mit den Attributen Buch und Schwert sind
abgebrochen. Mit Lackfarben ikonographisch bemalt. Körper golden. 4,5 cm.
24 412 Shyämavarnä. Körperfarbe grün, auch sonst ikonographisch bemalt. Das
Stück ist in ein grünes Tuch eingeschlagen. 6,5 cm.
C) Die Sammlung Umlauff (die Bezeichnung „Tibet“ ist nicht immer gesichert)
71 331 Rote Tara aus einer Gruppe der 21-Täräs, ohne besondere Kennzeichen
(vgl. zu dieser Gruppe S. Hummel, Lamaistische Studien, Leipzig 1950).
Ikonographisch bemalt. Körperfarbe rot. 7 cm.
72 338 wie 71 331. Von der gleichen Form abgegossen. 5 der 21-Taräs werden in
roter Farbe dargestellt. Ikonographisch bemalt. Körperfarbe rot. 7 cm.
72 340 rje-drung-blo-bzang-dpal-ldan, Chutuktu vom Lamatempel Yung-Ho-Kung
in Peking. Zeitgenosse des Rol-pai-rdo-rje (vgl. Tsha-Tsha Nr. 24 631) und
später vom chinesischen Kaiser zum Berater des 8. Dalai-Lama bestimmt.
Die Berufung von Großlamas nach Peking durch den chinesischen Kaiser
diente der Schaffung einer von Tibet abgelösten mongolischen Lamakirche
und deren enger Bindung an Peking mit dem Ziele der Verhinderung eines
lamaistischen Großreiches oder einer mongolischen Macht, somit als Mittel
der Kontrolle über die mongolischen Stämme und als Gegengewicht gegen
IHa-sa. [Vgl. hierzu R. J. Miller, Monasteries and Culture Change in Inner
Mongolia, Wiesbaden 1959, bes. Kap. 8 u. 9; Rez. S. Hummel, in: Tribus,
Bd. 10; ferner und besonders über die damit zusammenhängende Berufung
des Vorgängers von Rol-pai-rdo-rje, Ngag-dbang-blo-bzang-chos-ldan (1642
bis 1714), Kl. Sagaster, Ngag dbang blo bzang c’os Idan (1642—1714). Le-
ben und historische Bedeutung des 1. (Pekinger) iCang skya khutukhtu, Bonn
1960. Dort (S. 120) auch über den Ehrennamen ICang-skya der damit be-
zeichneten Inkarnationsreihe.] — Die linke Hand unserer Figur hält ein
Buch, die rechte ist in Bhümisparshamudrä. 5 cm. Körper golden, Gewand
rot. Vgl. unsere Abbildung 13. Die Figur stammt wahrscheinlich aus einem
Pekinger Lamatempel.
72 341 Der 6. Pan-chen dPal-ldan-ye shes (1737—1780). Vgl. Nr. 24 566. Dieser
berühmte Pan-chen von bKra-shis-lhun-po (Taschilunpo) wurde durch die
englische Gesandtschaft unter Führung von Bogle und durch seine Reise nach
China sowie durch den Tod in Peking bekannt (über die Lamapagode, die der
chinesische Kaiser über einige Reliquien des Pan-chen im Jahre 1782 erbauen
ließ, vgl. S. Hummel, Die lamaistische Kunst in der Umwelt von Tibet,
Leipzig 1955, S. 31 f.). Vgl. die Abbildung des Pan-chen in Schuyler Cam-
mann, Trade through the Himalayas, Princeton 1951, neben S. 68. Die Linke
hält ein Buch, die Rechte in Vitarkamudrä; neben dem Heiligen Rasselstab
54
Sieghert Hummel
und Kanne. Auf Tafel XXVI in G. Roerich, Sur les Pistes de l’Asie Cen-
trale, Paris 1933, ist der Heilige abweichend dargestellt. Neben dem Rassel-
stab hat er Buch und Schwert auf Lotusblüten in Schulterhöhe, dazu in der
Linken ein Rad des Gesetzes; die Rechte in Vitarkamudrä. Über das Em-
blem des Gesetzesrades in Verbindung mit dem genannten Pan-chen, vgl.
E. Olson, A Tibetan Emblem of Sovereignty (in: Oriental Art, Vol. III, 3).
Eine Abbildung des Heiligen mit Almosenschale in der Linken, die Rechte
in Vitarkamudrä zeigt A. Grünwedel, Der Weg nach Sambhala, München
1915, S. 3. Dieser Pan-chen war ein Zeitgenosse des bereits erwähnten 8.
Dalai-Lama, der sich schwerwiegende Eingriffe durch den chinesischen Kai-
ser in die Politik Tibets gefallen lassen mußte. Die Gelehrsamkeit des 6. Pan-
chen ist weithin bekannt. Er ist der Verfasser des erwähnten Weges nach
Sham-bha-la. Durch W. A. Unkrig wurde auch ein Andachtsbuch des Heili-
gen bekannt (W. A. Unkrig, Der Regen, der den Lotusblütenmund der From-
men voll erschließt, in; Ethnos, 1950, 3—4). — Mit der Linken in Dhyäna-
mudrä und der Rechten in Vitarkamudrä einen Lotuszweig haltend zeigt ihn
Sv. Hedin, Jehol, Leipzig 1942, S. 89.
Die linke Hand unserer Figur hält ein Buch, die rechte ist in Vitarkamudrä.
3,5 cm.
72 342 Pan-chen von bKra-shis-lhun-po (?); vielleicht dPal-ldan-chos-kyi-grags-pa
(1853—1882). 4 cm.
72 343 Shyämavarnä (Va). 6 cm. Geschwärzt.
72 344 Gautama Buddha in Bhümisparshamudrä. 14 cm. Lackvergoldung, Haare
blau.
72 346 wie 72 344. 22 cm. Körper golden, Haare blau, Gewand rot mit goldenen
Punkten.
72 348 wie 23 850. Die Figur ist in ein seidenes Gewand gekleidet. In ikonographi-
scher Bemalung. Körper golden. Die Figur ist unten mit Papier verschlossen.
11 cm.
72 349 wie 72 343. 11 cm. Lackfarben: Körper golden, Haare und Obergewand
blau, Untergrund rot, Lotusblütenblätter rot-blau und golden gerändert.
D) Die Sammlung A. Tafel
72 418 Einer der 18 Sthaviras. Die Attribute sind nicht mehr vollständig. Wahr-
scheinlich Angaja (tib.; Yan-lag-’byung). In ikonographischer Bemalung.
Gesicht und Körper fleischfarben. Wahrscheinlich aus Nordosttibet. 21 cm.
3. Vollplastiken in Papiermache
(Von Formen für die Papiermasse gleich solchen für die Figuren in Ton berichtet
E. Schlagintweit, Le Bouddhisme au Tibet, Paris 1881, S. 132. — Die Papiermasse
der mongolischen Stücke in der Lederschen Sammlung ist stark tonhaltig; die Plasti-
ken sind sehr dünnwandig, 3—4 mm. — Die Figuren von Heiligen ohne Kopfbe-
deckung erhalten sehr oft eine solche aus Seide; meist wird ihnen dann auch noch ein
seidenes Gewand (tib.: Na-bza’) umgelegt, zum Beispiel Nr. 72 080 a und 72 085 a.)
11. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz
55
A) Die Sammlung Leder (sämtliche Stücke stammen aus Urga)
23 761 Der 8. Dalai-Lama Blo-bzang-’jam-dpal-rgya-mtsho (1759—1804) in Na-
maskäramudrä (vgl. die Abb. 34 in G. Schulemann, Geschichte der Dalai-
Lamas, 2. Aufl. Leipzig 1958). 14 cm. Goldlack. Vgl. Nr. 72 100 mit anderer
Ikonographie. Abbildung 14.
23 796 Padmasambhava wie 23 667 mit Vajra und Ambrosiagefäß, im linken Arm
zusätzlich den Khatvänga-Stab. 23 667 hat Vajra und Schädelschale. In
ikonographischer Bemalung. Gesicht und Hände golden. 15 cm.
23 813 Gautama Buddha. Inschrift auf der Rückseite „Om-mu-ne-mu-ne-ma-hä-
mu-ne-ye-swä-hä“ (die Formel des Gautama Shäkyamuni). In ikonographi-
scher Bemalung. Körper golden. 23 cm.
23 814 Maudgalyäyana. Lieblingsschüler des Gautama Buddha. Der Rasselstab (skr.;
Khakkhara, tib.: mKhar-gsil) ist verlorengegangen. In ikonographischer
Bemalung. Körper golden. 15 cm.
23 815 Shariputra, der andere Lieblingsschüler des Gautama Buddha. Es fehlt eben-
falls der Rasselstab. In ikonographischer Bemalung. Körper golden. Durch
den angebrochenen Sockel ist die Schriftrolle zu erkennen, die in gelbes Ge-
webe gewickelt ist und der Figur als belebendes Bannungsgut beigegeben
wurde (vgl. hierzu die Ausführungen zu den Kultbronzen). 15,5 cm.
Die folgenden Nummern 23 816—23 834 enthalten eine vollständige Gruppe der
berühmten 18 Ältesten (skr.: Sthavira, tib.: gNas-brtan) aus der Reihe der 500 Arhat
(Heiligen) des Buddhismus. Die Gruppe der 18 Sthaviras (manchmal werden ohne
Dharmätala und Hva-shang auch nur 16 angezeigt) muß, wie G. Tucci in „Minor
Buddhist Texts“, Vol. II, S. 114, dargelegt hat, sehr alt sein und wahrscheinlich aus
Zentralasien stammen. Wie auf den Bildrollen (tib.: Thang-ka) mit den Sthaviras üb-
lich ist, sind auch die Figuren der Stuttgarter Sammlung von den vier Weltenhütern
(skr.: Lokapälas, tib.: ’Jig-rten_skyong) umgeben. Ferner gehören 23 813—23 815
zur Gruppe als Zentrum.
23 816 Angaja (tib.; Yan-lag-’byung). Körperfarbe grau, Haare weiß, Gefäß golden,
Wedel weiß. Gewänder bunt. 13,7 cm.
23 817 Ajita (tib.: Mi-pham-pa). Körper grau, Haare weiß. Gewänder bunt. 19 cm.
23 819 Vanavasa (tib.: Nags-na-gnas). Körper fleischfarben, Haare blau, Wedel
golden mit weißen Haaren. Gewänder bunt. 12,5 cm.
23 820 Kälika (tib.: Dus-ldan). Körper weiß, Haare schwarz, Attribut golden. Ge-
wänder bunt. 13 cm.
23 821 Vajriputra (tib.; rDo-rje-moi-bu). Körperfarbe weißlich, Haare schwarz,
Gewänder bunt. Roter Wedel mit weißen Haaren. 12,7 cm.
23 822 Bhadra (tib.: bZang-po). Farbgebung wie 23 821. 12,5 cm.
23 823 Kanakavatsa (tib.: gSer-be’u). Körperfarbe schwärzlich, Haare weiß, gol-
dene Schnur, Gewänder bunt. 13 cm. — Eine außergewöhnlich feine Bronze
dieses Heiligen findet sich in der Sammlung Robert Gedon, München, und
wurde in diesem Jahre auf der Ausstellung „Indische Plastik“ (Mus. f. Völ-
kerk. in München) gezeigt. Die Inschrift der 51 cm hohen Figur lautet:
56
Siegbert Hummel
„gNas-mchog-dam-pa-kha-che-na / ’phags-pai-gnas-brtan-gser-be’u / dgra-
bcom-chen-po-lnga-brgyas-bskor / rin-chen-zhags-pa-’dzin-phyag-’tshal /
bstan-pa-rgyas-par-byin-gyis-rlabs /“ („Verehrung dem erhabenen Schülers
des Buddha [Sthavira], dem gSer-be’u im heiligen Käshmir, der inmitten
der fünfhundert großen Arhat die kostbare Schnur hält; zum Segen für die
Ausbreitung der Lehre“).
23 824 Kanakabharadväja (tib.: Bhara-dhva-dza-gser-can). Körper fleischfarben,
Haare weiß, Gewänder bunt. 12,5 cm.
23 825 Vakula (tib.: Ba-ku-la). Körper weißlich, Haare blau, Gewänder bunt.
13 cm.
23 826 Rähula (tib.: sGra-gcan-’dzin). Hellhäutig, Haare blau, Gewänder bunt,
Attribut golden. 13 cm.
23 827 Cüdapanthaka (tib.: Lam-phran-bstan). Hautfarbe dunkelgrau, Haare weiß,
Gewänder bunt. 12,3 cm.
23 828 Pindolabharadväja (tib.: Bha-ra-dhva-dza-bsod-snyoms-len). Körper weiß,
Haare schwarz, Gewänder bunt, Buch gelb mit roten Deckeln, Gefäß golden.
12 cm.
23 829 Panthaka (tib.: Lam-bstan). Körper weiß, Haare schwarz. Buch weiß mit
roten Deckeln, Gewänder bunt. 12,5 cm.
23 830 Nägasena (tib.; Klui-sde). Körper weiß, Haare schwarz, Attribute golden,
Gewänder bunt. 12,5 cm.
23 831 Gopa (tib.: sBed-byed). Haare schwarz, Buch gelb, Gewänder bunt. 12 cm.
23 832 Mi-phyed. Körper weiß, Haare schwarz, Gewänder bunt. 12,8 cm.
23 833 Hva-shang. Körper golden, Haare schwarz. Vgl. zu dieser Figur die Litera-
tur-Angaben zu Kultbronzc Nr. 24 390. Hva-shang kann also noch vor sei-
ner Ächtung auf dem sogenannten Konzil von iHa-sa ca. 792 n. Chr. in die
Gruppe der 18 Sthaviras aufgenommen worden sein. 12,5 cm.
23 834 Dharmaträta (tib.: Chos-skyob). Körper weiß, Haare blau, Gewänder bunt,
Wedel golden mit weißen Haaren. Für Dharmaträta findet sich auch Dhar-
mätala. — Sämtliche Sthavira-Figuren sind mit gelbem Baumwollstreifen
verschlossen, auf den ein Papier mit dem Donnerkeil geklebt ist. 13 cm.
Die zugehörigen Weltenhüter (die Figuren sind wie die Sthaviras verschlossen).
23 837 VIrüdhaka (tib.: ’Phyags-skyes-po). In ikonographischer Bemalung. (Via).
Der Körper ist blau, die Haare sind rot. Regiert Süden. 16 cm.
Dhritaräshtra (tib.: Yul-’khor-srung). Regiert Osten. Diese Figur fehlt leider.
23 838 Virüpäksha (tib.: Mig-mi-bzang). In ikonographischer Bemalung. Hautfarbe
rot, Haare blau. Regiert Westen. 14,5 cm.
23 839 Vaishravana (tib.; rNam-thos-sras). Ikonographisch bemalt. Regiert Norden.
15 cm.
Die von den im Lamaismus üblichen kosmischen Farben abweichende Farbgebung
der Weltenhüter entspricht den Farben der Himmelsrichtungen im „Weißen Näga-
Hunderttausend“ (ed. Schiefner, St. Petersburg 1880). Zu den verschiedenen kosmi-
schen Farben vgl. S. Hummel, Lamaistische Studien, Leipzig 1950, S. 83 ff. Die im
Lamaismus sonst übliche Farbgebung der Himmelsrichtungen ist: Norden = grün,
Westen = rot, Süden = gelb, Osten = blau, Zentrum = weiß.
II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz
57
23 842 Shyämavarnä. Wie 23 850, Ikonographische Bemalung. Körper golden, Haa-
re blau. Verschluß der Figur wie die Sthaviras, 26 cm.
23 843 Öndör-Gegen (1635—1724), zweiter Maidari-Chutuktu von Urga, Gründer
des dortigen Klosters Ri-bo-dge-rgyas-gling und einer der bedeutendsten
lamaistischen Bildhauer der Mongolei (vgl. die Abb. 71—73 und 85 in L.
Jisl, Mongolei, Prag 1960, mit Werken des Öndör-Gegen; Abb. 71 und 85
Selbstporträt des Heiligen). — Die Figur im Llnden-Museum in ikonogra-
phischer Bemalung, Körper golden, Haare schwarz, Untergewand rot, Ober-
gewand golden. Verschluß wie die Sthaviras. 15 cm. In der Rechten vor der
Brust Vajra, in der Linken gegen den Leib Glocke (skr.: Ghantä, tib.: Dril-
bu). Von Leders Gewährsleuten als Öndör-Gegen bezeichnet.
23 936 Mahäkäla als mGon-po-phyag-drug-pa. Die Attribute sind abgebrochen. In
ikonographischer Bemalung, Körperfarbe schwarz. 31 cm.
23 937 wie 23 671. Ikonographisch bemalt. Körper golden. Unten mit einem Holz-
deckel verschlossen. Abbildung 15.
B) Die Sammlung Umlauff (diese Papiermache-Figuren stammen entweder aus Nord-
ost-Tibet oder ebenfalls aus der Mongolei. Die Bezeichnung „Tibet“ ist nicht immer
verbindlich).
72 080a Wahrscheinlich bTsong-kha-pa. Die Attribute auf den beiden Lotusblüten
sind nicht genau zu erkennen. Ikonographisch bemalt. Gesicht golden. Auf
dem Kopfe eine Mütze aus gelber Seide, blau gefüttert; um die Schultern ein
Gewand aus Seidenbrokat gelegt. 35,5 cm.
72 085 bTsong-kha-pa. Attribute beschädigt. Ikonographische Bemalung. Gesicht,
Hände und Füße golden. Um die Schultern liegt ein Umhang von gelbem
Seidenbrokat. Verschluß wie bei den Sthaviras. 24 cm.
72 347 wie 23 669. Ikonographisch bemalt. Körper golden. Unten mit einem roten
Baumwolltuch verschlossen. Sicher mongolischer Herkunft.
4. Die Arbeiten in Holz und anderem Material
A) Die Sammlung H. Leder enthält unter Nr. 24 036 ein Knochenrelief mit
Gautama Buddha in Bhümisparshamudrä, das stark patiniert ist und aus Urga stammt.
Es wird von einem Knochenschurz stammen und gehört somit zu den sogen. Rus-pai-
rgyan (Knochenschmucksachen), die bei tantrischen Kulten getragen werden. 7,5 cm.
B) Den Sammlungen H. Leder und Umlauff sind noch einige Holzschnitzereien
beigegeben. Die Herstellung von Plastiken aus Holz war dem Lamaismus frühzeitig
bekannt. In Westtibet erreichte diese Kunst unter Anregungen des indischen Buddhis-
mus im 11. Jahrhundert eine beachtliche Höhe. Aber auch China hat den Lamaismus,
wahrscheinlich schon in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends
mit dieser Technik bekannt gemacht. Mit den indischen Holzschnitzmeistern sind vor
allem Fachleute aus Käshmir nach Tibet gekommen, wie aus Motiven hervorgeht,
die an Türverkleidungen westtibetischer Tempel auffallen. Bei den folgenden Ob-
jekten handelt es sich jedoch um Stücke aus dem mongolischen Lamaismus, so daß Be-
ziehungen zur chinesischen Kunst naheliegen.
58
Siegbert Hummel
a) Die Sammlung H. Leder
23 649 Altaraufsatz. In durchbrochener, bunt bemalter Reliefarbeit die acht segens-
reichen Embleme (tib.: bKra-shis-rtags-brgyad). Darunter ein Motiv aus dem
Jätakam. Davor das Rad der Lehre von zwei Gazellen flankiert, die der
Legende nach die ersten Zuhörer des Gautama Buddha gewesen sein sollen.
Diese Gazellen mit dem Rad finden sich mit Vorliebe auf den Dächern lama-
istischer Tempel vorn über dem Haupteingang. 20 cm hoch.
23 649 Die beiden Löwen, die besonders die Eingänge chinesisch-buddhistischer
a u. b Tempel bewachen und als sogenannte Fo-Hunde bekannt sind. Diese Löwen
finden sich auch bei lamaistischen Tempeln der Mongolei, wo der chinesische
Einfluß stärker ist als allgemein in Tibet. Von den Buddhisten werden die
Löwen gern als Hinweis auf den Löwenthron des Buddha verstanden, ob-
wohl der buddhistische Ursprung dieser Löwen nicht gesichert ist. Zur Frage
dieses Motivs vgl. W. Filchner, Kumbum Dschamba Ling, Leipzig 1933, S.
48. — F. D. Lessing, Yung-Ho-Kung, Stockholm 1942, Tafel III. — S. Hum-
mel, Der Tigerbändiger (in: Folklore Studies, Tokyo 1961).
23 649 Wie 23 649 a und b. Bei beiden Löwenpaaren handelt es sich in unserem
c u. d Falle um Altaraufsätze, die farbig bemalt sind. 10 bzw. 12 cm hoch.
23 848 Altaraufsatz. In durchbrochenem Schnitzwerk zwei der sogenannten kost-
baren Juwelen, die in verschiedenen Kombinationen, u. a. auch als Gruppe
der Sieben königlichen Zeichen (tib.: rGyal-mtshan-sna-bdun) verkommen.
Diese Symbole gelten als glückbringend und zugleich als frommes Opfer des
Wohlstandes. Unser Teilstück enthält die Ohrringe des Königs und der Köni-
gin. Golden gelackt. 25,3 cm.
b) Die Sammlung Umlauff
71 255 Der Reformator bTsong-kha-pa. Gelackt, teilweise golden. 4,5 cm.
71 574 Stupa im Typ von Vaishäli als Altaraufsatz. Holzarbeit, die aus verschie-
denen Teilen zusammengesetzt ist. Bum-pa leer. 36,5 cm.
71 575 Wie 71 574. 40 cm hoch.
72 365 Pferd. Schwarzgrün gelackt mit goldenen Strichen in der Mähne und auf dem
Rücken. 12 cm hoch, 19 cm lang.
72 366 Gesatteltes Pferd. Braun mit schwarzer Mähne und schwarzem Schweif.
Halfter und Steigbügel golden, Sattel rot. 10,7 cm hoch und 13,5 cm lang.
72 367 Pferd. Geschwärzt. 10 cm hoch, 7 cm lang.
Wahrscheinlich sind diese Pferde das mythische Reittier (rTa-rkyang-rgod)
des tibetischen Nationalhelden Ge-sar, der auch in der Mongolei verehrt
wird. Im Lamatempel Yung-Ho-Kung ist diesem Fabelroß eine besondere
Kapelle gewidmet. Vgl. hierzu S. Hummel, Anmerkungen zur Ge-sar-Sage
(in: Anthropos, 54, S. 519). — Id., Zur Diskussion des Ge-sar-Epos (in:
Archiv Orientälni, Prag 1962). Über die Vermengung von Ge-sar und dem
chinesischen Nationalhelden Kuan-Ti (f 219 n. Chr.) durch die Mandschu-
kaiser im Bestreben, die lamaistischen Völker zu gewinnen, sowie über die
Verehrung dieser Mischgestalt in den Lamatempeln Yung-Ho-Kung zu
II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz
59
Peking und Ge-sar-lha-khang zu iHa-sa (mit Holzfiguren des Ge-sar-Pfer-
des) vgl. auch S. Hummel, Geheimnisse tibetischer Malereien, Leipzig 1949,
S. 20 und Abb. 20 sowie Id., in; Anthropos, 1. c., S. 519.
Beide Sammlungen enthalten meist jüngere Stücke. Das betrifft besonders die
Papiermache-Arbeiten, die zum größten Teil ins spätere 19. Jahrhundert gehören
wie zum Beispiel die Gruppe der Sthaviras mit den Weltenhütern um Gautama
Buddha mit seinen Lieblingsjüngern.
In der Ausführung gute Arbeiten sind 23 761 (vgl. Abb. 14) und 23 936 mit
Mahäkäla.
Ikonographisch interessant sind 23 669, 23 671 und 23 937 mit dem 7. Bogdo-
Gegen = 8. Maidari-Chutuktu, ferner 23 843 mit Öndör-Gegen (bei Jisl, l.c., Abb. 71
fehlt zur Glocke der Vajra in der rechten Hand, die dort in Vitarkamudrä gezeigt
wird).
Die Gruppe der Sthaviras enthält auf den Rückseiten der Heiligen sowie der zu-
gehörigen Weltenhüter den tibetischen Namen mit der Verehrungsformel (la-na-mo),
ferner das Wort gYas (— rechts) oder gYon (= links) zusätzlich zu einer tibetischen
Zahl. Diese Bezeichnungen ordnen die Figuren für die Aufstellung im Mandala (tib.:
dKyil-’khor).
In die Mitte gehört Gautama Buddha mit Shäriputra rechts und Maudgalyäyana
links. Auf die linke Seite von Buddha zu ordnen sind 23 825, 23 827, 23 829, 23 831,
23 834 und die sonst oft auf der anderen Seite stehenden 23 828, 23 830 und 23 832
(vgl. A. Grünwedel, Mythologie des Buddhismus, Leipzig 1900, Abb. 3). Auf die
rechte Seite zu ordnen sind 23 820, 23 822, 23 824, 23 826 und die sonst oft auf der
anderen Seite stehenden 23 816, 23 819, 23 821 und 23 823. Die Nummern 23 817
und 23 833 sind ohne Ortsangabe. Da 23 817 meist links vom Buddha zu sitzen
kommt, ist 23 833 dann rechts zu ordnen, ganz in die Nähe des Buddha. Die linken
Flanken des Mandala werden von 23 839 (links hinten) und 23 838 (links vorn), die
rechten von 23 837 (rechts hinten) und dem fehlenden Dhritaräshtra (rechts vorn)
bewacht. Es sei aber darauf hingewiesen, daß die Bezeichnungen „rechts“ und „links“
nicht vom Beschauer aus gelten, daß der Tibeter seine Bezeichnungen vielmehr auf die
wirkliche rechte und linke Seite des Buddha bezieht. Eine etwas andere Anordnung
findet sich in der Kathedrale von IHa-sa (vgl. W. Montgomery McGovern, Als
Kuli nach Lhasa, Berlin o. J., Abb. auf S. 247).
Die Gruppe der Ton- und Papiermache-Arbeiten enthält in allen unseren Museen
weit mehr Heilige aus der Geschichte des Lamaismus als die Bronzen. Die Bestimmung
der Figuren ist nicht immer leicht, da die Attribute und Mudräs bei verschiedenen
Darstellungen ein und desselben Heiligen variieren können und außerdem verschie-
dene Persönlichkeiten die gleiche Ikonographie zeigen. Besonders die Kombination
„Rechte in Vitarkamudrä — Linke im Schoße mit Buch“ ist häufig, so daß dort, wo
eine Beschriftung der Ikone fehlt, niemals mit Sicherheit bestimmt werden kann.
Mit der Lebenszeit der Heiligen ist auch zugleich die unterste Grenze für das
Alter der betreffenden Objekte gegeben. Wir werden aber in unserer Sammlung der
Vollplastiken kaum ältere Stücke als solche aus dem 18. Jahrhundert aufweisen
können.
60 Sieghert Hummel
Unter den Tsha-Tsha und den vollplastischen Figuren aus Ton und Papiermasse
im Linden-Museum finden sich:
Padmasambhava, der bedeutendste unter den Begründern des Lamaismus (8. Jahr-
hundert).
Atisha, der Inspirator der bKa’-gdams-pa-Schule (f 1054).
Der Dichterasket Mi-la-ras-pa (1040—1123).
Der Reformator bTsong-kha-pa (skr.: Sumatikirti), 1357—1419, mit seinen Schülern
dGc-’dun-grub (1391—1475), rGyal-tsab (1364—1432) und mKhas-grub.
Der 1. Dalai-Lama, dGe-’dun-grub, ist abgebildet mit abweichender Ikonographie
in A. Grünwedel, Übersicht über eine Sammlung von Gegenständen aus dem lama-
istischen Kult (russisch), Teil 2 (Bibliotheca Buddhica, VI), St. Petersburg 1905, S. 25
(vgl. auch A. Grünwedel, Mythologie, S. 78 in anderer Ikonographie = G. Schule-
mann, 1. c., S. 179), bei T. Schmid, Saviours of Mankind, Stockholm 1961, Tafel VII,
und bei A. v. Stael-Holstein, On two pictures (in: Bull, of the Nat. Libr. of Peiping
1932, S. 4).
— Über das Verhältnis zwischen Dalai-Lama und Pan-chen unterrichtet vor allem
B. D. Miller, The Web of Tibetan Monasticism (in: The Journal of Asian Studies,
XX, 2). — H. E. Richardson, Tibet and its History, London 1962, S. 53 f.
Den 5. Dalai-Lama, Ngag-dbang-blo-bzang-rgya-mtsho (1617—1682), zeigten die
Bronzen 71 475 und 120 791.
Der 8. Dalai-Lama, Blo-bzang-’jam-dpal-rgya-mtsho (1759—1804).
Der 1. Pan-chen, mKhas-grub-rje (mKhas-grub-dge-legs-dpal-bzang), 1385—1438,
wird von manchen auch als 2. Pan-chen (Hierarch von bKra-shis-lhun-po) betrachtet,
während dann der Schüler und 1. Abt von dGal-ldan, rGyal-tshab, als 1. Pan-chen
gilt. Taschilunpo wurde 1447 gegründet.
Der 6. Pan-chen, dPal-ldan-ye-shes (1737—1780).
Der 7. Pan-chen, bsTan-pai-nyi-ma (1781—1852).
Der Großlama, iCang-skya Chutuktu Rol-pai-rdo-rje, von Peking (1714—1804), der
durch seine Übersetzungen ins Mongolische und durch das nach ihm benannte, von
E. Pander und A. Grünwedel herausgegebene lamaistische Pantheon berühmt gewor-
den ist.
Dessen Zeitgenosse, rje-drung-blo-bzang-dpal-ldan, Chutuktu vom Yung-Ho-Kung
in Peking und Berater des 8. Dalai-Lama.
Der 2. Maidari-Chutuktu von Urga und Gründer des dortigen Klosters Ri-bo-dge-
rgyas-gling, Öndör-Gegen (1635—1724), der 1. Bogdo-Gegen.
Der 7. Bogdo-Gegen von Urga (1839—1869), 8. Maidari-Chutuktu.
Einleitend wurde schon angedeutet, daß die Hersteller der Formen für Heiligen-
bilder aus Ton und Papiermasse ihre Vorbilder in der lebendigen klösterlichen Um-
gebung gesehen haben müssen, auch wenn die Figuren historische Persönlichkeiten aus
der Geschichte des Lamaismus darstellen sollten. Die Statuetten im Linden-Museum
stammen aus der Äußeren Mongolei und allenfalls noch aus den nordosttibetischen,
chinesisch-mongolischen Randgebieten, einige vielleicht aus Lamaklöstern von Peking,
die meist von Mongolen bevölkert waren.
Der Bereich zwischen dem Altai und dem nördlichen Chingan, dem Küke-noor
und dem Bergland von Jehol, vor allem an den Rändern des Steppengürtels, in dem
11. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz
61
auch die Prototibeter vor ihrem Einschwenken in das heutige A-mdo-Land zu suchen
sind, ist mit seiner höchst bewegten Vergangenheit eine der interessantesten Kontakt-
zonen in der Geschichte der Völker Asiens22). Was den nordosttibetisch-chinesischen
Abschnitt angeht, so verdienen neben den Mongoliden als Tungide mit besonders
stark ausgeprägten mongolischen Merkmalen und als schlankwüchsigere Nordsinide
die von M. Hermanns erneut in die Diskussion geführten sogenannten Pseudoeuro-
piden unsere besondere Aufmerksamkeit23). Wahrscheinlich sind hier noch Altrassen-
reste im tibetischen Volkskörper lebendig, auf die auch das Immer wieder von Reisen-
den hervorgehobene indianoide Aussehen vieler Osttibeter zurückzuführen sein wird.
Echte Europide werden dagegen in ihrem Ursprung vornehmlich aus dem turanischen
Raum zu erklären sein. Es mag in diesem Zusammenhang nur die letzte große dies-
bezügliche Völkerbewegung, die sogenannte Politische Wanderung des 9./8. Jahr-
hunderts genannt werden24), von der offenbar ein Zweig über das Küke-noor-Gebiet
nach Tibet eingeschwenkt ist25), wie aus vielen Merkwürdigkeiten im tibetischen Kul-
turgut abgelesen werden kann. Im 1. Jahrtausend n. Chr., als die Tibeter kriegerisch
mit vorübergehendem Erfolg in die Geschichte des südlichen Zentralasien eingriffen,
hatte wohl der größte Teil des zentralasiatischen Raumes bereits unter der Herrschaft
von Iraniden und Turaniden gestanden.
Was die sogenannten Mongolen angeht, so waren diese, als sie aus dem Waldgebiet
der nördlichen Äußeren Mongolei in die Steppe hinausgeführt wurden, wohl weniger
eine blutsmäßige Einheit als vielmehr ein Zweckverband, in dem auch andere Stämme
auf gingen26). Aber noch vor ihnen hatten sich in der nördlichen Mongolei aus dem
Altai kommend Turkvölker niedergelassen, während im Osten aus dem Chingan und
dem Bergland von Jehol Verwandte mandschurischer Völker vorgedrungen waren27).
Der Süden Zentralasiens, die sogenannte Innere Mongolei, wurde dagegen bis in un-
sere Zeit zunehmend Interessengebiet der Chinesen.
Die so entstandene rassische Typenvielfalt in den genannten, lamaisierten, heute
vornehmlich mongolischen und mongolisch-chinesischen Siedlungsgebieten, ist neben
Tibetern in den lamaistischen Klöstern der Inneren und Äußeren Mongolei noch heute
erkennbar geblieben (vgl. Abb. 12—15). Aus ihr müssen die so verschiedenen, porträt-
haften Züge unserer Heiligenfiguren verstanden werden, während die lamaistischen
22) Vgl. H. Netolitzky, Rassenfragen des zentralasiatischen Raumes (in; Asienbe-
richte, 21, 1944).
23) M. Hermanns, The Indo-Tibetans, Bombay 1954. — S. Hummel, Die Bedeutung
der Na-khi (in: Monumenta Serica, XIX, 1960, S. 314).
24) R. Heine-Geldern, Das Tocharerproblem und die Pontische Wanderung (in: Sae-
culum, II, 2, 1951).
25) S. Hummel, Eurasiatische Traditionen in der tibetischen Bon-Religion (in: Opusc.
Ethnol. Mem. Lud. Biro Sacra, Budapest 1959).
26) Friedrich Kussmaul, Einige Bemerkungen zur Geheimen Geschichte der Mongolen
(in: Göttinger Völkerkundliche Studien, II, 1958, S. 129 ff.).
27) Friedrich Kussmaul, Rezension Fr. Altheim, Geschichte der Hunnen (in: Tribus,
Bd. 10).
Sieghert Hummel
Bronzen bis in die Gegenwart den kanonisch festgelegten indisch-buddhistischen Ideal-
typ verkörpern, der in der sino-tibetischen Kunst, wie die mongolischen Augenlider
und bei weiblichen Gottheiten die kreisrunden, durch größere Zwischenräume vonein-
ander getrennten Brüste erkennen lassen, leicht sinisiert worden ist28).
5. Vollplastische Miniaturtschorten (Tsha-Tsha-Tschorten)
Der Stupa bzw. die Pagode, tib.: mChod-rten (sprich Tschorten), mong.: Subur-
ghan, ist das die gesamte lamaistische Welt bestimmende Bauwerk29). Die Lamapagode
scheint ihr spezifisches Gepräge auf Grund indischer Vorbilder schon im 10. Jahrhun-
dert in übet erhalten zu haben. Als Bauwerk wie als Miniatur hat sie die Aufgabe
eines Reliquiariums oder dient der Erinnerung an besonders heilige Stätten des Bud-
dhismus30). Miniaturtschorten werden nicht nur in Holz oder Metall, sondern auch wie
die Tsha-Tsha-Tontäfelchen in Gieß- und Preßformen hergestellt; letzteres gilt be-
sonders für die Mitbringsel von Pilgerstätten. Entweder erscheinen diese Tschorten
aus Ton als Relief (vgl. Tsha-Tsha Nr. 24 621, 71 967 und 72 074) oder sie sind voll-
plastisch. Wenn den Tschorten wie den Tsha-Tsha-Tontäfelchen die Asche verbrannter
Lamas oder Laien beigemischt wird, gehen die verschiedenen Aufgaben des Tschorten
oft ineinander über31).
Vollplastische Miniaturtschorten, die in der Mongolei mitunter auch aus Papier-
mache sind, finden sich zahlreich in unseren Sammlungen. Neben dem Linden-Muse-
um haben die Museen für Völkerkunde in Leipzig und Troppau eine Fülle dieser
Miniaturen aus dem Besitze von H. Leder, womit deren mongolisch-lamaistische Her-
kunft gegeben ist. Daneben sind auch andere Sammler vertreten.
Wie schon gesagt, waren viele der Miniaturtschorten wie die ikonographischen
Tsha-Tsha ursprünglich Andenken an Pilgerfahrten, d. h. an besonders heilige Pa-
goden der besuchten Plätze. Sehr früh wurde von den Gläubigen ihre Her- und Auf-
stellung als verdienstvolles Werk im Sinne der Errichtung einer Pagode durch Min-
derbemittelte betrieben, und das dann oft ohne Zusammenhang mit Pilgerreisen.
Dieser schon im 9./10. Jahrhundert für Indien nachweisbare Brauch wurde besonders
im Lamaismus beliebt (vgl. Anm. 1: J. F. Rock). Die ältesten der lamaistischen Minia-
turtschorten stammen aus Westtibet.
28) Vgl. die diesbez. Literaturangaben in meiner Rezension A. K. Gordon, The Icono-
graphy of Tibetan Lamaism (in: Tribus, 10, S. 197a) und ergänzend E. Schlag-
intweit, Le Bouddhisme au Tibet, S. 139 ff.
29) Vgl. S. Hummel, Ars Tibetana (in: Antaios, Stuttgart 1962). — Id., Geschichte
der tibet. Kunst, S. 82 ff. — Id., Die lamaistische Kunst in der Umwelt von Tibet,
S. 22 ff., 73 ff., 112, 132 f.
30) Vgh auch die Einführung zu den Tsha-Tsha: Tschorten zur Aufbewahrung von
Tsha-Tsha, heil. Schriften usw. (mChod-rten = Opferbehälter). Miniaturtschorten
aus Metall oder Holz auch als Behälter heil. Aschenreste.
S. H. Ribbach, Drogpa Namgyal, München-Planegg 1940, S. 232 m. Anm. 61:
Miniaturtschorten aus Ton mit der Asche von Laien vermischt.
II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz 63
In grober Ordnung unterscheiden wir im Lamaismus runde, viereckige bzw. pyra-
midenförmige und mehr-, besonders achteckige, Miniaturstüpas. Das Innere ist mit
belebendem Bannungsgut gefüllt, wie uns das von den Bronzen und den Tontäfelchen
bekannt ist (vgl. die Einleitung zu den Kultbronzen). Die Tschorten sind dann unten
mit Papier- oder Stoffstreifen verschlossen, die einen doppelten Donnerkeil tragen.
Besonders die vier- und achteckigen Tschorten sind in ihrer Anlage eine Art Man-
dala (tib.: dKyil-’khor), d. h. nach dem Prinzip magischer Diagramme aufgebaut
(über Mandala vgl. unsere Einführung in die Kultbronzen). Wenn an den Seiten der
Tschorten in kosmischer Ordnung die vier Dhyänibuddhas — Akshobhya (O), Ratna-
sambhava (S), Amitäbha (W) und Amoghasiddhi (N) — erscheinen, so ist Vairocana
als Emanationszentrum bzw. als 5. Dhyänib. in der Mitte des Tschorten unsichtbar
verborgen vorzustellen, ähnlich der Anlage des Borobudur (über die Dhyänibuddhas
vgl. das Schema des Pantheons zu den Kultbronzen). Statt der Dhyänibuddhas kön-
nen an den Seiten des Tschorten auch deren Träger bzw. Throne (skr.: Vähana) ab-
gebildet sein. Es sind den Dhyänibuddhas entsprechend Elefant, Pferd, Pfau, geflü-
gelter Zwerg oder Garuda und für Vairocana der Löwe, der bei achtseitigen Tschor-
ten viermal wiederkehrt32).
Bei den achteckigen Tschorten finden sich außerdem auf den acht Seitenflächen
gelegentlich acht Tschorten (tib.: mChod-rten-brgyad; mong.: Naiman suburghan),
die an Gautama Buddhas acht bedeutendste Lebensstationen erinnern sollen, daneben
vielleicht auch an die Überreste des verstorbenen Buddha, die als Reliquien an acht
Fürsten verteilt und unter Stupas bestattet worden sind33). Für die Gruppe der acht
Tschorten in Tibet dürften aber die Acht großen Stätten Indiens (tib.: rGya-gar-gnas-
chen-brgyad) bestimmend gewesen sein34). Über die Namen dieser bedeutenden Ört-
lichkeiten gibt es voneinander etwas abweichende Traditionen (vgl. G. Tucci, Indo-
Tibetica, Vol. I, S. 22 ff.). Sie beziehen sich auf die Geburt des Gautama Buddha (in
Kapilavastu), die Erleuchtung (Magadha bzw. Nairanjanä), die erste Predigt (Benares
bzw. Väränasi), die wunderbaren Taten von Shrävasti, Kanyäkubjä bzw. Shän-
käshya und Räjagriha, auf das Gespräch Buddhas mit Mära über seine Lebenszeit auf
Erden (Vaishäli) und auf den Tod in Kushinagara35). Alle acht Tschorten, die an diese
Stätten erinnern sollen, haben traditionsgemäß in der Bauart untereinander gewisse
Abweichungen, die acht Typen ergeben. Diese sind in Form von Tsha-Tsha als Ton-
täfelchen und Miniaturstüpas sowie in Bauwerken, bes. Westtibets, aber auch in neue-
ren Arbeiten noch erkennbar (zu Westtibet vgl. G. Tucci, 1. c., bes. Tafel Vlla, XIa,
XIIc, XIIIc und LXI).
Am häufigsten erscheint als Tsha-Tsha und Bauwerk der Tschorten der Erleuch-
tung mit vierfachem, quadratischen Stufenwerk unter dem Rundteil (tib.: Bum-pa
= Vase; vulgär: Bre = Kornmaß) mit oder ohne viereckigem Unterbau (sogenann-
32) Vgl. L. Jisl, Sbirka tibetskeho (1. c.), Abb. 20.
33) W. Filchner, Kumbum Dschamba Ling, Leipzig 1933, S. 5.
34) S. Hummel, Lamaistische Studien, Leipzig 1950, S. 66 und Abb. 12.
35) Zu den Legenden, die mit den heiligen Stätten verbunden sind, bes. Monier-Wil-
liams, Buddhism, 2. Aufl., London 1890, Kap. XIV.
64
Siegbert Hummel
tem Thron, tib.: gDan-khri bzw. Khri-’phang und Bang-rim; Tucci, 1. c., Tafel III
und XIIc). Das ist der klassische und mit seinen vier Stufen der lamaistischen Kosmo-
logie entsprechend kanonische Typ des Tschorten36). Ebenfalls nicht nur als Tsha-Tsha,
sondern auch als Bauwerk finden sich, besonders in Westtibet, der Stupa des Wun-
ders von Shänkäshya mit Treppenaufgang über vier oder auch acht quadratische Stu-
fen hinweg zur Erinnerung an das wunderbare Auf- und Herniedersteigen Buddhas
zum Besuch der himmlischen Region (Tucci, IVb und Vlla) und der sGo-mang
( = viele Türen) genannte Stupa der ersten Predigt von Benares mit eckigem Stufen-
werk und darin angebrachten 16 bis 108 Nischen zum Aufstellen von Bildwerken
(Tucci, IV und XIa, ferner der 50 m hohe Tschorten von ’Jam-pa-gling in Südtibet
in S. Hummel, Gesch. d. tib. Kunst, Abb. 71). Häufig auf alten Tsha-Tsha erscheint
ein Tschorten, der die Bum-pa über vier, sechs oder acht runden, mit Lotusblüten ge-
schmückten Stufen zeigt. Es ist dies der Stupa zur Erinnerung an die Geburt in Kapi-
lavastu (Tucci, XHIb und die Majolika-Pagoden am P’u-Lo-Szu in Jehol in S. Hum-
mel, Die lamaistische Kunst, Abb. 16 und 17; vgl. ferner A. Foucher, Étude sur l’icono-
graphie bouddhique de l’Inde, Paris 1900, I, Tafel I, 4). Nach den von G. Tucci, 1. c.,
S. 113 ff., veröffentlichten Quellen ist der Stupa für Shravasti mit vier quadratischen
Stufen unter der Bum-pa an jeder Seite mit vier Reliefs geschmückt (vgl. die Pagode
im Hsi-Huang-Szu in Peking in S. Hummel, Die lamaistische Kunst, Abb. 7), der für
Räjagriha hat vier achteckige Stufen (vgl. die tibet. Miniaturpagode aus Holz in
S. Hummel, Geschichte der tib. Kunst, Abb. 70), der für Vaishäli hat drei runde
Stufen (vgl. die chines. Cloisonné-Pagode in S. Hummel, Die lamaistische Kunst,
Titelbild, und den Tschorten an der Ma-ni-Mauer von sLe (Leh) in S. Hummel,
Gesch. d. tib. Kunst, Abb. 72) und der für Kushinagara ist ohne Stufen; die Bum-pa
ruht direkt auf dem Thron.
Von dieser Gruppe von acht Tschorten sind die berühmten acht Tschorten des
Klosters sKu-’bum (Kumbum) in Nordosttibet zu unterscheiden, die zur Erinnerung
an die Ermordung von acht Lamas dieses Klosters errichtet worden sind (vgl. W.
Filchner, Kumbum Dschamba Ling, S. 162).
Die mit den Tschorten verbundenen tieferen Sinngehalte dürften jedoch der brei-
teren Masse unter den Anhängern des Lamaismus kaum bekannt sein. Das gilt auch
von der Symbolik der einzelnen Bestandteile eines Tschorten37). Für die meisten
Gläubigen scheint das verdienstvolle Werk der Herstellung und Aufstellung mög-
lichst vieler Miniaturtschorten mit oder ohne Asche von Verstorbenen der einzige
Sinn zu sein, den sie mit diesen Objekten zu verbinden wissen, denn als Tsha-Tsha
sind diese ja entweder Votivtschorten oder, wenn sie Asche enthalten, gleichsam ein
Grabmal.
Das Linden-Museum besitzt neun Tsha-Tsha-Tschorten, die H. Leder in der
Mongolei gesammelt hat, einen aus dem Besitz von Meebold und sechs aus der
36) S. Hummel, Lamaistische Studien, S. 38.
37) S. Hummel, Ars Tibetana, 1. c. — Id., Gesch. d. tib. Kunst, 1. c. — Anagarika B.
Govinda, Some Aspects of Stupa Symbolism (Bulletin of the intern. Buddhist
University Association, 2, Sarnath and Calcutta 1935).
Ahh. 14. 23 761. Papiermacheplastik. 8. Dalai Lama.
Slg. Leder.
II. Die lamaistischen Plastiken aus Ton, Papiermache und Holz
65
Sammlung Umlauff. Die Lederschen Tschorten, vielleicht auch alle der von Umlauff
gesammelten, stammen aus der Äußeren Mongolei, wo die Herstellung auf die Lamas
beschränkt gewesen sein soll38), während sie in Tibet auch von Laien geübt wurde
(vgl. Anm. 1: J. F. Rock). Das Meeboldsche Stück dürfte aus Westtibet sein.
Die an der Lamapagode sonst so deutlichen einzelnen Bauglieder, mit oder ohne
Thron, sind bei den Tsha-Tsha-Tschorten fast stets durch ein schmückendes Beiwerk
verdeckt, z. B. durch die beliebte Verkleidung des Stufenwerkes mit den acht be-
rühmten Pagoden. Die Spira über der Bum-pa ist nur rudimentär angebracht,
manchmal auch später abgebrochen. Durch die Wucherung einiger Bauteile treten die
verschiedenen Typen nicht immer klar hervor. So ist der Thron oft nach oben zu
verjüngt und darf daher nicht mit dem Scufenwerk des Stupa verwechselt werden
(vgl. Abb. 16). Auch die mit der Pagode verbundene Weltbergidee läßt sich schwer
herauslesen. Danach bedeutet der megalithische Tumulus, die heutige Bum-pa, mit der
Axis-mundi, der Spira samt ihren Ehrenschirmen, die Region der Götterwohnungen
über den vier unteren Stockwerken des Götterberges in der Mitte des buddhistischen
Weltbildes. Dieses Stufenwerk der Pagode wäre selbst wieder aus dem kosmischen
Stufenberg abzuleiten. Auf die Symbolik im Zusammenhang mit den Elementen
(viereckiger Thron = Erde, runde Bum-pa = Wasser, spitze Spira = Feuer usw.)
kann hier nicht weiter eingegangen werden (vgl. zur gesamten Pagodensymbolik
Anm. 37).
Eine weitere Eigenheit der Tsha-Tsha-Tschorten ist die im Verhältnis zum Thron
recht kleine Bum-pa und der Schmuck des Thrones oder Sockels mit Inschriften-
bändern und einem Lotusblütenkranz, der andeuten soll, daß die Pagode aus einem
Lotus erblüht (vgl. die schöne Miniatur des Linden-Museums, Nr. 71 408 in meiner
Miniaturenarbeit in Tribus, Bd. 8).
A) Die Sammlung H. Leder
23 795 4,5 cm; 0 4 cm. Der achteckige Stupa von Rajagriha. An jeder Seite einer
der acht Tschorten. Darunter Spruchband. Der Thron des Stupa von
Kapilavastu ist mit dem unendlichen Knoten, einem der Acht-glückhaften-
Zeichen (tib.: bKra-shis-rtags-brgyad) geschmückt. Sockel naturfarben, Ober-
teil rot mit vergoldeten Stupas.
23 797 3,5 cm; 0 3 cm. Wie 23 795. Sockel rot, Oberteil golden.
23 951 7,5 cm; 0 10,5 cm. Stupa von Shänkäshya. Der quadratische Sockel als
Mandala. Sockel rot, Oberteil golden gelackt.
24 001 10 cm; 0 9 cm. Stupa von Rajagriha. Die acht Seiten sind mit den acht
Stupas geschmückt. Der Sockel als Mandala der Vähanas für die Dhyäni-
buddhas (vgl. Einleitung). Goldene Stupas auf blauem Grund, Bum-pa rot.
Der Thron braun, oben rot, unten gelb gerändert. Die Vähanas im Sockel
bzw. Thron sind weiß und grün. Das Tsha-Tsha ist unten mit einem Tuch-
streifen verschlossen.
38) Vgl. L. Jisl, Small Monuments. Lamaist. Clay Offerings from Mongolia (in: New
Orient, Prag 1961, 3).
24 039 10 cm; 0 14 cm. Stupa von Räjagriha mit den acht Tschorten an den Seiten.
Der Sockel als Mandala der Dhyänibuddhas. Rot getönt, Buddhafiguren
ausgespart und daher im grauen Ton gehalten.
24 042 7,5 cm; 0 6,5 cm. Stupa von Räjagriha mit den acht Tschorten. Bum-pa
glockenförmig im Stile der nepalesischen Stupas. Rötlicher Ton.
24 061 4,5 cm; 0 3,5 cm. Stupa von Räjagriha. Am Sockel zwei Spruchbänder.
Schwarzbraun, Inschriften rot.
24 102 10 cm; 0 14 cm. Wie 24 039. Sockel und Buddhas rot mit grünen Gloriolen,
Bum-pa grau gelackt. Unten mit Stoffstreifen verschlossen.
24 426 8 cm; 0 7 cm. Stupa von Kapilavastu. Grün bemalt (Abb. 17).
B) Sammlung Meebold
50 145 6 cm; 0 4,5 cm. Stupa von Räjagriha mit den acht Tschorten. Grauer Ton.
C) Sammlung Umlauff
71 264 5,5 cm; 0 5 cm. Stupa von Räjagriha mit den acht Tschorten an den Seiten.
Darunter Spruchband. Sockel rot, Oberteil goldgelackt.
71 276 4,5 cm; 0 4 cm. Wie 71 264. Goldgelackt. Bum-pa im nepälesischen Stil.
71 279 6 cm; 0 5 cm. Wie 71 264. Am Sockel Inschrift. Bum-pa im nepälesischen
Stil. Sockel rot, Oberteil golden gelackt.
72 078 7 cm; 0 6,5 cm. Wie 71 264. Sockel rot, Oberteil golden.
72 081 11 cm; 0 15,5 cm. Wie 24 102. Sockel rot, sonst golden (Abb. 16).
72 082 9 cm; 0 9 cm. Wie 24 001. Wahrscheinlich von der gleichen Form wie 24 001.
Auch bei den Tsha-Tsha mit Reliefs waren einige Stücke der Sammlung
Umlauff von den gleichen Formen wie entsprechende Tsha-Tsha der Samm-
lung H. Leder. Solche Stücke sind in den gleichen Klöstern erworben worden.
Golden. Unten mit Papier verschlossen, auf das der gekreuzte Donnerkeil
gedruckt ist.
Unter den vollplastischen Tsha-Tsha-Tschorten des Linden-Museums finden sich
also die Stupas von Kapilavastu, Räjagriha und Shänkäshya. Außerdem ist mit dem
Relief-Tsha-Tsha Nr. 24 621 und den hölzernen Tschorten Nr. 71 574 und 71 575
der Stupa von Vaishäli mit drei runden Stufen gegeben und auf dem Tsha-Tsha
Nr. 24 608 über der Göttin Ushnishavijayä der von Magadha (Nairanjanä) mit vier,
im Grundriß quadratischen Stufen. Auf dem Tsha-Tsha 72 099 steht der Tausend-
armige-Avalokiteshvara zwischen dem Tschorten von Kapilavastu (Geburt) und dem
stufenlosen von Kushinagara (Tod). Nehmen wir hierzu den Miniaturtschorten aus
Bronze Nr. 72 390, der zusammen mit den Kultbronzen erwähnt wurde und den
Stupa von Shrävasti darstellt, so sind in der lamaistischen Sammlung des Linden-
Museums 7 von 8 der berühmten Stupas vertreten.
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Walther Heissig
Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutzamuletten
In jüngster Zeit hat C. R. Bawden in mehreren aufschlußreichen Aufsätzen1) den
Schutzcharakter der divinatorischcn Literatur der Mongolen darzustellen versucht.
Zu den von ihm auf Grund der in europäischen Bibliotheken zugänglichen mongoli-
schen Texten erschlossenen Praktiken, die Zukunft zu deuten, um Übel aus dem Weg
zu gehen, ist noch eine weitere protektive Maßnahme zu zählen: die Herstellung von
Amuletten.
Neben den metallgetriebenen, mit Halbedelsteinen verzierten Reliquienkästchen,
die mit ihrem Inhalt — einem Buddhabild und verschiedenen geschriebenen Gebeten
und magischen Formeln — um den Hals getragen wurden2) und Amulettcharakter
besaßen, wurden bei den Mongolen noch andere geschriebene Amulette zum Schutz
gegen Bedrohungen diesseitiger und überirdischer Art in Behältern aus Leder, Fell,
Stoff, Baumwolle und Holz am Leib getragen (boo < hoyu-). Daneben fanden sich
mit Fäden umwickelte, mit Dhäranl-Formeln oder Gebeten beschriebene Papierstücke
in der gleichen Funktion, wie Beispiele aus dem Kalmückengebiet zeigen3).
Eine unvollständige mongolische Handschrift, ihrem Schriftduktus nach aus dem
17. Jahrhundert stammend, im Linden-Museum4), die entweder aus der westlichen
Inneren Mongolei oder dem tibetisch-mongolischen Grenzgebiet stammt5), enthält
4) Astrologie und Divination bei den Mongolen — die schriftlichen Quellen, ZDMG
108: 1958, 317—337; On the practice of Scapulimancy among the Mongols,
CAJ IV: 1958, 1—31; Galling the Soul: a Mongolian Litany, BSOAS XXV:
1962, 82—103; The Supernatural Element in Sickness and Death according to
Mongol Tradition, AM (New Series) VIII: 1961, 215—257.
2) Cf. u. a. M. Boyer, Mongol Jewellery, Kopenhagen 1952, 128—131; für tibet.
Parallelen A. K. Gordon, The Iconography of Tibetan Lamaism, New York 1939,
9; P. H. Pott, Introduction to the Tibetan Collection of the National Museum
of Ethnology, Leiden 1951, 121 sq.
3) Ms. or. fol. 549-1; Ms. or. fol. 594-4; Ms. or. fol. 594-B; Ms. or. fol. 1379-f, Univ,
Bibi. Tübingen, Depot der ehern. Preuß. Staatsbibliothek. Cf. W. Heissig, Mongo-
lische Handschriften, Blockdrucke, Landkarten (Verzeichnis der orientalischen
Handschriften in Deutschland, ßd. I), Wiesbaden 1961, Nr. 131 —134.
4) Slg. Umlauff, Nr. 71 374; cf. Mongolisches Schrifttum im Linden-Museum,
Tribus VIII: 1959, 52—54; Abbildung, S. 53; ferner Beschreibung und Inhalts-
angabe: Heissig, Handschriften, Nr. 130.
5) Die Handschriften der Sammlung Umlauff stammen von Sven Hedin, Tafel und
Filchner: die Reiserouten dieser drei Reisenden ergeben diese Provenienz; cf. auch
Tribus VIII: 1959, 40; Handschriften, XV.
70
Walther Heissig
60 kreisförmig um eine in Lantsa oder ihr ähnlicher Schrift geschriebene magische
Silbe angeordnete tibetische Bannformeln, cagara < Skt. cakra „Kreis“ genannt6),
und in mongolischer Sprache die Angaben über die für die Amulett-Herstellung not-
wendigen Schreib-, Beschreibstoffe und Zugaben, welche erst alle zusammen die Wir-
kung des Amuletts sicherstellen. Die Herkunft dieses Amulett-Typs ist tibetisch:
darauf deuten auch die tibetischen Beschriftungen. Es gibt dafür tibetische Hand-
bücher mit ähnlichen magischen Silben7).
Die Herstellung solcher Schutzamulette fiel in den Wirkungsbereich der Wander-
lama (hadarci), die Gebete lesend, Zukunft deutend und Zauberrituale vollziehend
von Zelt zu Zelt zogen8). Die Herstellungsanweisungen der Stuttgarter Handschrift
Umlauff 71 374 sind aufschlußreich sowohl für die Art der Bedrohungen, gegen die
der Mongole die Amulette in Anwendung brachte, wie auch für die magischen Vor-
stellungen, die mit den zur Herstellung verwendeten Stoffen verbunden sind. Da
Vergleichsmaterialien in der Form anderer Handschriften ähnlichen Inhaltes fehlen,
wird man nichts aussagen können, wieweit es sich um oktroyierte oder um eigen-
ständige Vorstellungen dabei handelt, wieviel davon den Begriffen eines gemeinsamen
zentralasiatischen Stratums angehört, das älter als Lamaismus und tibetische Einflüsse
auf die Mongolen ist9). Es kann nur deskriptiv etwas Material zur Frage der Amulette
bei den Mongolen des 18. und 19. Jahrhunderts vorgelegt werden10).
Blut, Schweiß, Samen, Urin als Träger der Lebenskraft sind neben Pflanzen-
extrakten, Heilmitteln, Tusche, Indigo, roter und gelber Farbe die Schreibstoffe, die
gemeinsam mit der Formel Abwehrwirkung oder Schutzwirkung besitzen. Meist
6) Für das Schreiben solcher „Wurzel-Buchstaben“, bijäksara, cf. R. H. van Gulik,
Siddham, An Essay on the History of Sanskrit Studies in China and Japan,
Nagpur (Indien), 1956.
7) R. de Nebesky-Wojkowitz, Oracles and Demons of Tibet, ’S-Gravenhage 1956,
504; 602; ferner 512 und Tafel XX.
8) Die Westdeutsche Bibliothek, Marburg (Lahn), besitzt eine über 100 tibetische
Werke umfassende Handbibliothek eines solchen hadarci-lama, die F. A. Bischoff
aus Ulaanbaatar mitbringen konnte. In der Kgl. Bibliothek Kopenhagen befinden
sich zwei kleinere mongolische Handbibliotheken solcher Wanderlama, die Kaare
Gronbech in Tsakhar sammeln konnte, und zwar eine bestehend aus Ms. Mong.
452, 453, 310, 454, 455, 456, 457, 458, 503, 459, 460, 461, 462, 465, 464, 463,
und die zweite Handbibliothek bestehend aus Ms. Mong. 451, 156, 450 und
medizinisch-astrologischen Werken. (Eine Beschreibung dieser Werke wird sich
finden in: W. Heissig, Catalogue of Mongol Books, Manuscripts and Xylographs,
Kopenhagen 1963.) Eine weitere Handbibliothek fand sich in Löwen’s Universi-
tätsbibliothek (cf. W. Heissig, The Mongol Manuscrips and Xylographs of the
Belgian Scheut Mission, CAJ III: 1958, 161—189; C. R. Bawden, Galling the
Soul, BSOAS XXV: 1962, 90—91).
9) Cf. auch Bawden, AM VIII: 1961, 235.
10) Diese Einschränkung scheint uns notwendig, wenn wir z. B. an das reiche Schrift-
tum über die Amulette im Islam denken.
Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutzamuletten 71
handelt es sich um Gegen- oder Analogiezauber: Blut eines an einer bestimmten Sache
Verstorbenen schützt vor dessen Todesursache, Blut eines jung Verstorbenen vor
frühem Tod, Feilspäne einer Mordwaffe schützen vor dem Erstochenwerden. An Blut
werden genannt Menschenblut, Uterusblut, Froschblut, Wolfsblut, Hunde-, Hühner-
und Vogelblut.
Besondere Wirkung kommt den Haaren von Irren, Frauen, Ziegen, Hasen, Affen
und Tarbaghanen (Steppenmurmeltieren) zu.
Als Beschreibstoffe finden sich Papier, Rindenpapier, Baumwollpapier, Rinde,
Menschenhaut, Wacholderholz, Khadira- und Akazienholz verwendet.
Als Einwickelstoffe und Etuis finden Fell von Affen, Mäusen, Mardern, Häute
von Menschen, Füchsen und Mäusen, Fischottern und Tigern, Filz, roter Baumwoll-
stoff, gelbes Seidengewebe, fünffarbige Seidengaze (kiih), Brettchen aus Wacholder,
Ingwerholz, Weidenholz Verwendung.
Zusammengebunden werden die Amulette mit Haaren, schwarzen, blauen, roten
und fünffarbigen Fäden; die Fäden sollen von einer frommen und reinen Jungfrau
gezwirnt sein.
Gelegentlich werden die Beschreibstoffe gesalbt mit Schlangen- und Froschsaft,
Moschus (]iyar) und Heiltränken. Viele der Schreibstoffe gehören der tib.-mong.
Materia medica an:
Singgün gügül — Amyris agallocha
Brvangduy. Vielleicht von tib. sbrah t‘ug „Honigsuppe, Honigwasser“.
Jiyar — Moschus; Pedicularis megalantha
Arura — Myrobalane; Pasania cuspidata;
Terminalia chebula
Bisig modun — Tib. Ba sa ka, Justicia ganderussa?, eine Staude der
Acanthus-Famllie.
Müsi — Schwefel
Kükül — Kardomom
Neben den diesseitigen Bedrohungen, denen die Schutz- und Abwehrwirkung des
Amulettes gilt, findet sich die animistische Vorstellung von Bedrohungen, die durch
böse Gewalten, die personifiziert gedacht werden, hervorgerufen werden11). Hier
gehören sie den Kategorien cidkür12 13), adavi), fedkeru), tüidker14) und simnusx3) an,
und zwar finden sich:
u) Cf. W. Heissig, A Mongolian Source to the Lamaist Suppression of Shamanism,
Anthropos 48: 1953, 510 sq; C. R. Bawden, Supernatural Element, AM VIII,
239 sq.
12) Im Fünf-Sprachen-Wörterspiegel, Pekinger Nachdruck, der in seinem Abschnitt
„cidkür simnus-yin jüil“ insgesamt 15 verschiedene dämonisch-teuflische Kräfte
nennt, 2659 hat cidkür die Aequivalente tib.: ’dre und Mandju: hutu; Hauer,
Handwörterbuch der Mandjusprache, Tokio-Wiesbaden 1952—1955, 464, hutu —
„Yin — Geist, Dämon, Teufel“.
13) Tib.: ghon, Mandju: ari „böser Geist, Dämon“ (Hauer, 58; Fünf Spr.W.Sp.,
2659).
72
Walther Heissig
Cidkür als Gegensatz zu Tngri „Himmlische“ (25)
Tabun cidker (54) „die fünf Teufel“ ~ auch
Tabun jedker (47) genannt14 15 16);
Ada „Dämonen“ ohne nähere Bezeichnung neben dem
Damasryin ada (14);
Simnus „Kobolde“, Eme simnus „Weib-Kobold“ (18),
Ayalayci simnus „Stinkkobold“ (18) und
Uytuluyci simnus „Schneidender Kobold“ (49).
Wo diese einzelnen Typen in das reichhaltige dämonologische Pantheon der
Mongolen und Tibeter einzuordnen sind, läßt sich aus den Amulettangaben nicht
erschließen.
Die einzelnen Anleitungen der Handschrift lauten17);
2 r (von links nach rechts gelesen):
1. Ürgülji kere[gül] bolqui-du- uy[una] imayan-u üsün-iyer tomu]u quluyan-a —
yin arisun-iyar gerlejü jegübcsü ebdercl keregül-i sakiyu —
„Wenn man ständig Streit hat und [dieses] auf den Haaren einer Ziege oder
eines Ziegenbockes aufgereiht und mit Mäusefell bedeckt bei sich trägt, so schützt
es vor Zerstörung und Streit.“
2. Taulai-yin eike. anggisu-yin kele yaqaii8)-yin qamar olan kümün-ü yasun.
önggörügsen kümün-ü qubcasun-iyar uriya'ju yutul dotara [jegüjbesü aman
aldaysan ada qarun ayuli sakiyu —
„Wenn man [dieses] mit einem Hasenohr, der Zunge eines Schafes, der Nase
eines Schweines, den Knochen vieler Menschen mit den Kleidern eines Verstor-
benen umwickelt innerhalb der Stiefel trägt, schützt es vor der Gefahr, das Leben
zu verlieren und den Dämonen ... zu verfallen.“
3. Berke ebecin-i sakiqu-yin cagara-yi noqai menekei kilince-tü qoruqai ene 3
silüsün-iyer 9 nüke-tü begter-luya(l) kümün-ü alaysan temür-tei qamtu jegübesü
doysin berke ebecin-i arilyaju boluyu —
14) Hier wohl eine Gleichsetzung mit cidkür; cf. Anthropos 48: 1953, 510.
15) Fünf Spr.W.Sp., 2661: tib.: bdug; Mandju: ibagan „Kobold“ (Hauer, op. cit.,
481).
16) Der Fünf-Sprachen-Wörterspiegel nennt in seiner Abteilung Qubilyan-u jüil
„Gottheiten“, 4655, die Tabun cidkür, tib.: ’dre 1ha, Mandju: sunja hutu, was
Hauer, op. cit., 831 erklärt als „ ,die fünf Dämonen', die der Gelehrsamkeit, der
Wissenschaft, der Bildung, dem Leben und dem Verkehr schädlichen . . . Gottheiten“.
Diese Erklärung trifft wohl, da aus dem chin. Vorstellungskreis kommend, nicht
auf die Tabun cidkür der mong.-tib. Vorstellungen zu.
17) Nur die mongolischen Herstellungs- und Aufbewahrungsanweisungen werden
hier wiedergegeben.
18) Die Handschrift weist die Eigenheit auf, statt noqai ~ noyai, yaqai ~ qayai,
qoruyai statt qoruqai etc. zu schreiben.
Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutzamuletten 73
„Wenn man diesen vor schwerer Krankheit schützenden Kreis mit der Saliva
von Hund, Frosch und Skorpion, mit jenen drei, gesalbt gemeinsam . . .19) und
einem Eisen, mit welchem ein Mensch getötet wurde20), bei sich trägt, so ver-
treibt er schwere und hitzige Krankheit.“
2 v:
4. Takiyan-u cisün-iyar bicijü taulai-yin saqal-iyar boyuju becin-ü yodan)-iyar
gerlejü jegübesü qoura-yin ayuli sakiyu —
„Wenn man es mit dem Blute einer Henne geschrieben und mit dem Bart eines
Hasen umwickelt in einem Etui aus Affenschwanz trägt, schützt es vor der
Gefahr von Gift.“
5. Jalayu-'2) kümün ükügsen-ü cisün-iyer bicijü jegübesü. jalayu--)-dur üküküi-yin
ayul-i sakiyu —
„Wenn es ein junger Mensch mit dem Blute eines Gestorbenen geschrieben bei
sich trägt, schützt es vor der Gefahr, in der Jugend zu sterben.“
6. Cidker-i üjegci kümün-ü üsün-iyer bicijü öberün ubadis-luya qamtudqaju obere
omoytu 9 kümüfn] geregülün bariyulci jegübesü mayu jegüdün-i qariyulqu
boluyu —
„Wenn man es mit den Haaren eines Menschen, der Dämonen sieht, geschrieben,
zusammen mit einer eigenen Belehrung von neun Menschen aus der eigenen
Familie in ein Etui getan, bei sich trägt, vertreibt es die bösen Träume“229).
4 r:
7. Imaqui tedüi singdang modun-dur grasa kernen bicijü jegübesü amitu eme
jcdker-ün ayul-i sakiqu boluyu —
„Wenn man auf Khadira-Holz24) von einem Zoll23) „grasa“ schreibt und es bei
sich trägt, schützt es lebende Frauen vor der Gefahr der Teufel.“
19) 9 nüketü begter „ein neunlöcheriges (neunmaschiges) Kettenhemd“ gibt keinen
Sinn. Wir schlagen daher vor, wie in Nr. 44 9 nüketü beder „ein neunlöcheriges
Schmuckplättchen“ zu lesen, wobei wir an die durchlöcherten Jadeplättchen den-
ken. beder ~ bider „Streifen, Ornament, Muster in Metall, Stein oder Holz
graviert“', cf. F. D. Lessing, Mongolian-English Dictionary, Berkeley 1960, 103.
20) Für die schützende und zauberische Bedeutung eines Eisens, mit dem jemand
getötet wurde, cf. m. Mongolisches Schrifttum im Linden-Museum, Tribus VIII:
1959, 45; Heissig, Handschriften, Nr. 78.
2)) Schreibt qoda; wir schlagen vor yoda ~ yodai zu lesen; cf. F. D. Lessing, Mongo-
lian-English Dictionary, 357: yodai ’’short and stldklng out“.
22) Schreibt jalaqu statt jalayu.
22 a) Die Abwehr böser Träume ist auch das Thema eines nichtkanonischen Werkes,
Jegüdün qariyulqu nom ene bui, das Jaehrig, der hessische Dolmetscher im
Dienst Peter des Großen, 1794 in der Gegend von Kiachta erworben hat; cf.
Heissig, Handschriften, Nr. 111.
23) Lit. mong.: imayu, chin. vj* ts‘un.
24) Sing dang modun, tib. seh Idah, cf. Jaeschke, Tibetan-English Dictionary, 576;
laut Schiefner Acacia Catechu, nach den chin. Aequivalenten eher Khadira.
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Walther Heissig
8. Qoyar irtü ildü qoura cisün-iyerbieijü ulayan(-iyer) hös[-iyer] uriyaju jegiihesü.
amitu ere jedker-ün ayuli sakiyu —
„Wenn man es mit giftigem Blute geschrieben [mit] zwei scharfen Schwertern
[zusammen] mit rotem Baumwollstoff umwickelt bei sich trägt, schützt es lebende
Männer vor der Gefahr der Teufel.“
9. Mese-dür ükiigsen jalayu kümün-ü cisün-iyer heke-luya(!) qoliju biciged kümün
alaysan temürün ürüdüsü-luya(!) qamtu kümün-i yasun uriyaysan bös uriyabasu
me send ü üküküi ayul-i sakiyu —
„Wenn man es, nachdem es mit dem Blute eines durch das Messer gestorbenen
jungen Menschen, das mit Tinte vermischt wurde, geschrieben worden ist, und
Feilspäne eines Eisens, mit dem ein Mensch getötet wurde25), zusammen mit
einem Baumwolltuch umwickelt, in das Menschenknochen eingeschlagen waren,
bei sich trägt, schützt es vor der Gefahr, durch ein Messer zu sterben.“
4 v:
10. Ene cagara-yi mesen-dür ükügsen eme kümün-ü yasun tülegsen ulayan cilayun-
luya qamtu jegübesü eme kümün-dü üküküi-yin ayuli sakiyu —
„Wenn man diesen Kreis gemeinsam mit den Gebeinen eines durch ein Messer
gestorbenen Weibes gemeinsam mit einem gebrannten roten Stein trägt, so schützt
es ein Weib vor der Gefahr des Sterbens.“
11. Ene cagara-yi amitu toolai-yin üsün-luya(l) qamtu jegübesü kkir-ügei ayul
jedker-i sakiyu —
„Wenn man diesen Kreis mit den Haaren eines lebenden Hasen gemeinsam trägt,
schützt dies vor dem Schmutzgefahr-Teufel“26).
12. Ene cagara-yi ulin qucaqu noqai-yin cisün ba. ese bügesü sigesün-iyer bieijü
jegübesü eldeb ebedein-i sakiyu —
„Dieser Kreis schützt vor verschiedenen Krankheiten, wenn man ihn mit dem
Blute eines bellenden Hundes oder, falls es solches nicht gibt, mit Urin geschrie-
ben bei sich trägt.“
6 r;
13. Area modun-u qabtasun jabsar kijü jegübesü ekener-ün qaldaburi ebecin ayuli
sakiqu —
„Wenn man [die Formel] zwischen Brettchen von Juniperus-Holz tut und so bei
sich trägt, schützt sie vor den ansteckenden Krankheiten der Weiber“27).
25) Cf. Anm. 20.
26) Im Schmutz wird eine bestimmte zürnende Gottheit (tib.: grib gnon; cf. G. Tucci,
Indo-Tibetica, IV, 260), der Burtay dabqurliysan kilingtü qayan lebend gedacht,
den ein eigenes Purifikations-Ritual, Burtay dabqurliysan kilingtü qayan-u ada-yi
tüleküyin jang üile (Ms. Mong. 459, Kgl. Bibliothek Kopenhagen) vertreibt.
Gegen die Buzir butangyui tüdker „Schmutzteufel“ wendet sich auch ein kalmücki-
sches Gebet, in der Univ.Bibl. Tübingen aufbewahrt. Cf. Heissig, Handschriften,
Nr. 437.
27) Cf. Tribus VIII; 1959, 52.
Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutzamuletten
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76
Walther Heissig
14. Tarni güicegsen kümün-ü tarnici-bar qara utasun-iyar uriyaju jegübesü
damasriyin kemekü adas-aca sakiyu —
„Trägt inan es, von einem die Dhäranl beherrschenden [Tantriker] mit einem
schwarzen Faden umwunden, bei sich, so schützt es vor den sogenannten
Damasriyin-Dämonen.“
15. Üre ügei ere eme qoyar-un cisün-iyer bicijü qoura-yin sigüsün-iyer sürciged.
jegübesü darumdatu tüidker adas-i sakiyu —
„Wenn man es mit eines kinderlosen Mannes und einer kinderlosen Frau,
dieser beider, Blut geschrieben und mit giftigem Saft gesalbt bei sich trägt, schützt
es vor belastenden Teufeln und Dämonen.“
6 v:
16. Singdang sara mo[dun] cuyan? ene 3 alin oldaysan-bar imayui tedüi modun-iyar
qamtu-Iuya yisün uriyaysan bös-iyer uriyaju jegübesü qariyali sakiyu —
„Wenn man es mit einem Zoll Flolz von Khadira, Lebensbaum28 29) oder . . ., was
von diesen 3 man eben gefunden hat, mit einem neunmal gewickelten Stück
Baumwolle umwickelt bei sich trägt, schützt es vor Verwünschungen.“
17. Oyisun-dur bicijü tabun öngge kib-iyer uriyaju jegübesü simnus-un jedker-un
ayul-i sakiyu —
„Wenn man es auf Rinde geschrieben und mit fünffarbigem dünnem Seiden-
gewebe umwickelt bei sich trägt, schützt es vor der Teufelsgefahr.“
18. Qara önggetü ekener-ün üsün-iyer uriyaju jegübesü eme simnus-un ayuli-aca
toni[lqui] boluyu [*ayalay]ci simnus-i sakiyu —
„Wenn man es mit den Haaren schwarzfarbiger (schwarzhaariger) Frauen um-
wickelt bei sich trägt, wird es Befreiung vor der Gefahr durch Kobolde bringen
und vor den *Stink-Kobolden schützen.“
10 r:
19. Sara sibayun-u cisün-iyer bi[cijü] becin-ü üsün-iyer uriyaju üneg[en] arisun-iyar
gerlejü jegübesü mayu iru-a bilge sai sakiqu boluyu —
„Wenn man es geschrieben mit dem Blute einer Eule, den Haaren eines Affen
umwickelt und mit der Haut eines Fuchses als Etui bei sich trägt, wird es un-
mittelbar vor schlechten Schicksalszeichen schützen.“
20. Ünegen-ü arisun-iyar uriyaju tarnici kümün-ü silüsün mondarun üsün bir beke-
tei jiyuraju biciged cinadusun kümün mayu sedkiküi-yi arilyaqu —
„Umwickelt mit Fuchsfell, nachdem man es geschrieben mit Speichel eines
Tantrikers und einem Pinsel aus. , . Haar, zusammen gemischt mit Tusche ge-
schrieben hat, schützt es vor bösen Gedanken der Leute auf der anderen Seite.“
21. Nom-un em kiged qoliju biciged jüil büri-yin kib-iyer uriyaju oroi-degere
cabarmada-yin ayul-i ene niyu uyuqai sakiyu —
. . .*»)
28) Sara modun ~ tib.: skyer bas „Lebensbaum“, in der tibetisch-mongolischen Medi-
zin oft gegen Vergiftungen verwendet.
29) Ich muß diese Anweisung, über deren Bedeutung ich mir nicht im klaren bin,
unübersetzt lassen.
Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutzamuletten
77
10 v:
22. Sayin önürtü em-iyer bieijü amilaysan suhuryan-u sirui-luya qamtu uriyaju
kümün-ü qariyal kigsen aldaraqu holuyu —
„Geschrieben mit wohlriechender Arznei und mit Erde von einem Stupa zusam-
mengewickelt, der konsekriert ist, wird es von den Schimpfreden (Verwünschun-
gen) der Menschen freimachen.“
23. Kümün-ü arisun ha hösün cayasun alin-dur cu bieijü zandan-u qabtasun-luya
qamtu jegübesü qamuy qariyal sakiqu —
„Wenn man es auf Menschenhaut oder auf Baumwollpapier, auf welches eben,
geschrieben mit zwei Sandelholzbrettchen trägt, wird es vor allen Verwünschun-
gen und Schimpf schützen.“
24. Altan-iyar bieijü sara kib-iyer gerlejü jegün sösün?-dür jegübesü cinadus-un
kümün-gi kümün büsü-yin qamuy ayul-i sakiyu —
„Mit Gold geschrieben und in eine Hülle aus gelber Seidengaze eingehüllt links
vor der Galle? getragen, schützt es vor den gegnerischen Menschen und . . . vor
allen Gefahren.“
11 r:
25. Kümün-ü arisun-iyar gerlejü jegübesü galab-un yal metü üjigdejü qamuy tngri
cudker qoorlan ülü cidayu —
„Wenn man es in eine Hülle aus Menschenhaut eingehüllt bei sich trägt, ver-
mögen alle Tngri und Teufel, anzusehen wie die Periode, in der das Universum
vom Feuer verzehrt wird, kein Übel zu tun.“
26. Yeke qulayayici kümün-ü cisün-iyer bieijü quluyana-yin arisun-iyar gerlejü
bayana-dur uyabasu beyendür jegübesü cinadus-un qulayai abuysan bügesü
irekü bui —
„Wenn man es mit dem Blute eines großen Räubers geschrieben, in eine Hülle
aus Mäusefell eingehüllt und auf ein Stäbchen gebunden auf dem Leibe trägt,
so kommt wieder30)* wenn etwas von den gegnerischen Räubern weggenommen
worden ist.“
27. Jalayu ere kümün-ü dusul-iyar bieijü sira modun-u qabtasun eregei-yin tedüi
modun-dur bieijü quluyuna-yin cisün-iyer bieijü jegübesü enggüre-yin ayul-i
sakiyu31).
11 v:
28. Ulin qucaqu noqai-yin söni yabubasu sibayun görügesün nigen-ü cisün-iyer
bieijü yadayadu qayalyayin oro dumda yadaysi qangdayulju nayabasu güikü
jedker-ün ayul-i sakiqu —
„Wenn man es — wenn nachts ein Hund heult — mit dem Blute eines Vogels
oder Vierbeiners geschrieben an einem mittleren Platze des Außentores nach
außen gedreht aufklebt, schützt es vor der Gefahr der ,laufenden‘(?) Teufel.“
30) Das Wiedererlangen gestohlener und verlorener Gegenstände ist auch das An-
liegen mancher Divinationstexte.
31) Ich habe davon eine Übersetzung schon in Tribus VIII: 1959, 52 gegeben.
78
Walther Heissig
29. Oyisun cayasun-dur kökece saraja eden-iyer bicijü yadaya qayalyan-u bosuyan-dur
yadaysi qangduyulju jegübesü mal-dur qoor ülü boluyu —
„Wenn man es auf Rindenpapier mit Indigo und Saffrangelb, mit diesen ge-
schrieben an der Schwelle des Außentores nach außen zu gedreht aufhängt, wird
dem Vieh kein Übel werden.“
30. Menekei-yin cisün-iyer bicijü usun qara m[odun]-iyar 4 qoruyu[d] qabtasun-
luya qamtn qaliyun-u arasun-iyar gerlejü jegübesü yal-un ayuli sakiyu —
„Wenn man es mit Froschblut geschrieben zusammen mit Schwarzwasser-FIolz32)
von vier Fingern Dicke in eine FFülle aus Otterfell eingehüllt aufhängt, schützt
es vor Feuersgefahr.“
12 r:
31. Amitu toolai-yin üsün-iyer uriyaju balyusun33)-u nom ariyun ökin tomuysan
utasun-iyar uriyaju modun-dur uyaju dumda qadqubasu möndür kirayun-u
ayuli sakiyu —
„Wenn man es mit Haaren eines lebendigen Hasen umwickelt und mit einem
Faden umwunden, der von einem frommen und reinen Mädchen aus der Stadt
gezwirnt wurde, zwischen Holz bindet und [irgendwo dazwischen] steckt,
schützt es vor der Gefahr des Hagels und Reifs.“
32. Sölongquyin34 35 36) arisun-iyar gerlejü jegübesü nilqa kegügedZh)-ün uyilaqu-yin
ayuli sakiyu —
„Wenn man es in einem Etui aus Marderfell bei sich trägt, schützt es vor dem
Übel des Kleinkinder-Weinens.“
33. Singgün kükül müsi eden-iyer bicijü noqai üsün-iyer uriyaju jegübesü. sidün-ü
ebecin-i tasulan ese ebedügsenz°) jüg-tür jegükü —
„Mit Khadira, Amyris agallocha37) und Schwefel38) geschrieben und mit Hunde-
haaren umwickelt getragen, macht es Zahnkrankheiten ein Ende; es ist auf der
nichterkrankten Seite zu tragen.“
12 v:
34. Eme kümün-ü umai cisün-iyer bicijü belbesün eme-yin üsün-iyer uriyaju jegübesü
ayungya ülü bayuqu boluyu —
„Wenn man es mit Uterus-Blut eines weiblichen Wesens geschrieben und mit
Haaren einer Witwe umwickelt bei sich trägt, wird kein Blitz herniederfahren“39).
32) Die genaue botanische Bedeutung fehlt mir.
33) Lit. balyasun.
34) Eit. solongyu — Mustela sibirica.
35) Lit. keüked.
36) Schreibt: ebeduysan (!)
37) Cf. P. Aalto, Prolegomena to an Edition of the Pancaraksä, Studia Orientalia
(Fenn), XIX: 12, Helsinki 1954.
38) Tib.: mu ji.
39) Cf. auch Tribus VIII: 1959, 52.
Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutzamuletten 79
35. Brvangduy kiged jiyar qoliju biciged. yaqai-yin arisun-iyar gerlejü jegübesü
qoora-yin ayuli sakiyu —
„Wenn man es geschrieben mit Moschus40) mit Honigwasser gemischt in einer
Hülle von Schweinehaut bei sich trägt, schützt es vor der Gefahr des Giftes.“
36. Kümün alaysan temür-luya(!) arura-yin sigüsün-iyer bicijü jiyar sürciged
jegübesü ariyatan-u ayul-i sakiyu —
„Geschrieben mit einem Eisen, womit ein Mensch getötet41), und mit dem Saft
von Myrobalane42) und dann mit Moschus eingerieben bei sich getragen, schützt
es vor Raubtiergefahr.“
13 r:
37. Bisig modun-u sigüsün-iyer bicijü göbdürügün-dür ükür kümün-i yasun-i
sigüsün-iyer bicijü jegübesü göbdürügün-i ayuli sakiyu —
„Wenn man es mit dem Safte der Acanthus-Staude geschrieben und mit dem
Knochenmark eines an Pusteln verstorbenen Menschen geschrieben43) bei sich
trägt, schützt es vor Pustelgefahr.“
38. Irbisün cisün-iyer bicijü irbisün arisun-iyar gerlejü jegübesü noqai ülü jayumui
qamuy noqai-yi coy-iyar daruyu —
„Mit dem Blute eines Panthers geschrieben in einer Hülle aus Pantherfell bei sich
getragen, wird kein Hund beißen, und man unterdrückt alle Hunde mit Ge-
walt“44 45).
39. Cinoi5)-yin cisün-iyer bicijü jegübesü quluyai-dur ülü aldayu qulayai-aca
sakiyu —
„Mit Wolfsblut geschrieben und bei sich getragen, verliert man nichts an Räuber,
und es schützt vor Räubern.“
13 v:
40. Qara noqai cisün-iyer bicijü jegübesü dayisun degerme-yin ayul-i sakiyu —
„Wenn man es mit dem Blute eines schwarzen Hundes geschrieben bei sich trägt,
schützt es vor der Gefahr durch Feinde und Briganten.“
41. Belbesün eme-yin üsün-iyer uriyaju jegübesü oyun qurca boluyu —
„Mit den Haaren einer Witwe umwickelt getragen, macht es den Verstand
scharf“46).
40) Moschus, mong. jiyar, wird auch in Handbüchern und Heilmittellisten der tib.-
mong. Medizin als Heilmittel gegen Magen-, Milzkrankheiten angeführt.
41) Cf. Anm. 20.
42) Terminalia chebula.
43) Vermutl. Schreibfehler für süreijü „einreiben“.
44) Cf. Tribus VIII: 1959, 54.
45) Lit. cinu-a < dial. cino.
4e) Cf. auch Tribus VIII: 1959, 52.
80 Walther Heissig
42. Ober öber-e omoytu yisün kümün-ü üsün-iyer uriyaju esegei-dür ger[le]ü] morin
ba. mal-dur jegübesü qulayai ba. ariyatan-a bügüde-yin ayuli sakiyu —
„Wenn es, mit den Haaren von neun Menschen umwickelt, die jeder einer ande-
ren Familie angehören, in einer Hülle aus Filz eingehüllt, an einem Pferd oder
Stück Vieh getragen wird, schützt es [dieses] vor aller Gefahr durch Räuber
und Raubtiere.“
14 r:
43. Ragida ern-iye[r] bicijü balyasun-[u] ariyun ökin-ü tonuysan köke ulayan
utasun-iyar uriyaju jegübesü bodi sedkil-i ülü orkiqu boluyu dusul sakiquyin
cagara —
„Wenn man es mit Ragida(?)-Heilmittel geschrieben und mit blauen und roten
Fäden umwickelt, die ein reines Mädchen aus der Stadt gezwirnt hat, bei sich
trägt, so wird man nicht den Verstand verlieren, und es ist ein Kreis, der vor
dem Samenfluß schützt.“
44. Mayu gray odun-dur ükügsen-i yasun tüligsen ünisün kiged beke sayin ünürtü
em-tei qoliju 9 nüketü beder-luya(l) qamtu jegübesü mayu gray odun-i sakiyu —
„Wenn man [es geschrieben mit] Asche, die aus den Knochen eines unter einem
schlechten Planeten Verstorbenen gebrannt ist, gemischt mit Tinte und wohlrie-
chender Medizin gemeinsam mit einem neunlöcherigen Plättchen bei sich trägt,
schützt es vor schlechten Planeten“47 48).
45. Aliba sara-yin 15-dur arca modu[n]-dur bicijü eldeb em-ün usun-iyar sürcijü
jegübesü qamuy mayu ayul-i sakiyu —
„Wenn man es, am 15. irgendeines Monats auf Juniperus-Holz geschrieben und
mit irgendeinem Heilwasser eingerieben, bei sich trägt, schützt es vor allen
bösen Gefahren.“
14 v:
46. Ere arca modun eme buryasun modun qoyar-un jabsar kijü jegübesü qamuy
mayu jüg-üd-i sakiyu. ebeciten-i jegülek[üi]iH) sociqui-dur anu jegükü —
„Wenn man es zwischen einem männlichen Wacholderholz und einem weib-
lichen Weidenholz, diesen beiden, trägt, schützt es vor allen schlechten Dingen.
Es ist Kranken umzuhängen, wenn diese im Schlafe reden und sich ängstigen.“'
47. Keün beye-dür cikin qoyar-i arca kükül-iyer utuyad jegübesü jegüleküi sociqui-
yin ayul kiged. tabun jedker sakiyu —
„Wenn man es, nachdem man dem Kinde beide Ohren mit Juniper und Amyris
47) Für den Einfluß der Planeten auf den Lebensablauf in der mong. Volksvorstel-
lung cf. C. R. Bawden, The Supernatural Element in Sickness and Death according
to Mongol Tradition, AM (New Series) VIII: 1961. Zahlreiche mong. Divinations-
handschriften behandeln dieses Thema, cf. u. a. Heissig, Handschriften, Nr. 124.
48) Ergänzt nach Nr. 47: jegüleküi. , .
Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutzamuletten 81
agallocha geräuchert hat, dieses umhängt, schützt es vor dem Hochschrecken und
Reden im Schlafe und vor den 5 Teufeln“49).
48. Aliba kürnün-ü beyen-dür jegübesü. tegün-dür göbdürügün qabudar qadigi
terigüten ülü amurqan genede . . . aysad sakiqu boluyu —
„Welcher Mensch auch immer es an den Leib hängt, es wird schützen, daß diesen
Beulen, Geschwülste und Verhärtungen nicht zur Ruhe kommen lassen und daß
solche plötzlich aufbrechen“50).
15 r:
49. Singqun ba erdenis qoliju sürciged tabun öngge-yin kib-iyer gerlejü jegübesü
uytuluyci simnus-un ayuli sakiyu —
„Wenn man es, nachdem man rote Farbe mit Edelstein gemischt und es damit
eingerieben hat, in eine Hülle aus fünffarbiger Seidengaze einhüllt und bei sich
trägt, schützt es vor der Gefahr der »schneidenden Kobolde'.“
50. Altan-iyar bicijü ese oldabasu beke ba alin-iya[r] bicijü. altan-u ürüdüs küisün-
dür talbiju jegübesü tabun cidker-ün ayuli sakiyu —
„Wenn man es mit Gold geschrieben — oder so man dieses nicht findet, mit
Tinte oder irgend so etwas geschrieben — und als Zentrum zwischen Goldfeil-
späne gesteckt bei sich trägt, schützt es vor der Gefahr der fünf Teufel.“
51. Amilaysan saca-luya qamtu aqu sayuqu cay-tu sira sirui-bar öndür oron bosyaju
tegün-ü dotura sayulyasu tere jüg-ün qa[jar]-aca qaldaqui ayul[i] sakiyu —
„Wenn man zur Zeit, da man mit einem belebten c‘a c'a ist51), einen Hügel aus
gelber Erde errichtet52) und es in diesen hineinstellt, so schützt es vor Ansteckungs-
gefahr von der Seite dieser Richtung her.“
49) Siehe oben, Seite 71 f. und Anmerkung 16.
30) aysa-; aysumna- „aufbrechen, hervorquellen, hochschießen“.
51) Für diese Miniaturnachbildungen von Stupas oder Götterstatuen cf. G. Tucci,
Indo-Tibetica, I, Rom 1932, 53. Eine Anleitung zu ihrer Herstellung findet sich
in dem tib.-mong. Blockdruck Sacca deledkü-yi todadqayci buyan jibqulang-tai-a
bütügsen orosiba, 10 fol. (The Toyo Bunko, Tokyo 100 008/85), der in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts für den 17. Sohn des Mandjukaisers K’anghsi, den
Keh ze ein wang (für diesen Heissig, Die Pekinger lamaistischen Blockdrucke in
mongolischer Sprache, Wiesbaden 1954, 69) angefertigt wurde.
52) Cf. die Schilderung der Errichtung von (sirui oboya) Erdhügelchen bei Anbetun-
gen in dem Schwank Burqan-tai dangsan boluysan des wandernden Schelms Saydar
(Saydar soliyatu, Mukden 1959, 90; Übersetzung: W. Heissig, Helden-, Höllen-
fahrts- und Schelmengeschichten der Mongolen, Zürich, Manesse-Bibliothek, 1962,
278). Für Saydar und seine Schwänke siehe m. Die Schwänke des „verrückten“
Saydar, Studia Sino-Altaica (Festschrift für E. Haenisch), Wiesbaden 1961,
92—101.
82
Walther Heissig
15 v:
52. Amin nasun egüskegci ene cagara nasun doroyidaysan kü[mün]hZ) jegübesü
amin nasun urtu boluyad nasun-dur qoor ülü boluyu —
„Wenn diesen das Leben hervorrufenden Kreis ein Mensch bei sich trägt, dessen
Leben geschwächt worden ist, so wird [sein] Leben lang werden, und es wird
ihm im Leben kein Übel widerfahren.“
53. Beye-yin kücün delgereküi-yin cagara-yi beye-yin kücün doroyidaysan kümün
jegübesü beyen-ü kücün-dür ayul ülü boluyu —
„Wenn ein Mensch, dessen Leibeskraft abgenommen hat, diesen die Leibeskraft
entwickelnden Kreis bei sich trägt, so wird keine Gefahr für die Leibeskraft sein.“
54. Cayan cuday candan eden-ü üsün-iyer bicijü jegübesü tabun cidker-ün ayul-i
sakiyu —
„Wenn man es mit Nadeln des weißen Acorus calamus53 54) und Sandei geschrieben
bei sich trägt, schützt es vor der Gefahr der 5 Teufel“55).
16 r:
55. Qoyar bayilduya[n] daruqui ene cagara-yi cereg-ün noyan-u oron-dur jegübesü
dayisun daruqu boluyu —
„Wenn man zwei dieser (in) der Schlacht siegenden Kreise am Platz des Feld-
herrn aufhängt, wird der Feind besiegt.“
56. Kei morin egüskegci ene cagara-yi qamuy erdeni yaryayci ene cagara-yi ken
kümün jegübesü kei rnori delgerekü boluyu —
„Welcher Mensch auch immer [diesen] das Windpferd aufrichtenden Kreis56),
jenen Kreis, der alle Kostbarkeiten hervorbringt, bei sich aufhängt, wird [damit]
die Windpferd[fahne] zur Wirkung bringen.“
57. Küsegsen-i bütügegci ene cagara-yi ali bügesü jüg üd-tür odqu kürnün-e jegübesü
jorig üile sa[naya] ügei bütükü boluyu —
„Dieser Kreis, der das Gewünschte herbeiführt, bringt, wenn von einem Men-
53) Ergänzt nach dem Wortlaut der nächstfolgenden Anweisung; ., . doroyidaysan
kümün .. .
54) Tib. su dag.
55) Cf. auch Anleitung 50.
56) Für die Errichtung der Masten vor den Zelten und Häusern, an denen die mit
einem Pferd und glückbringenden Segenswünschen bedruckten Fahnen (kei mori —
Windpferd) hängen, gibt es eigene Rituale und Rauchopfergebete wie Kei morin
egüskeküi jang üile im Museum für Völkerkunde, Berlin-Dahlem, Kei morin-u
sang, Westdeutsche Bibliothek Marburg (cf. Heissig, Handschriften, Nr. 86 und
Nr. 87) oder Kei moriyin ubsang kemekü sudur im Institut Vostokovedenija in
Leningrad. Für den Brauch selbst cf. A. Mostaert, Matériaux ethnographiques
relatifs aux Mongols Ordos, CAJ II: 1956, 289—290; J. Kler, Die Windpferd-
fahne oder das Kimori bei den Ordos-Mongolen, Oriens X: 1957, 94.
Ein mongolisches Handbuch für die Herstellung von Schutzamuletten 83
sehen bei sich getragen, der in was immer auch für Richtung geht, die gewünschte
Sache ganz unerwartet herbei.“
16 v:
58. Beye ba küjüna7)-dür jegübesü qudaltu nengdekü boluyu. qudaltu nengdekü
bolqu cagara-yi ene buyu —
„Wenn man es am Leib und am Hals trägt, wird das Gelogene schlecht. Dies ist
der Kreis, der das Gelogene zum Schlechten wendet.“
59. Bayilduyan daruqui ene cagara-yi cereg-ün noyan-dur jegübesü dayisun daruqu
boluyu —
„Wenn man diesen in der Schlacht siegenden Kreis an den Heerführer hängt,
wird der Feind besiegt.“
60. Ed-ün sang-un ene cagara. beye-dür jegübesü ed arbiciyad ügegüreküi-yin ayuli
sakiyu —
„Wenn man diesen Kreis der Schatzkammer am Leibe trägt, wird die Habe sich
mehren, und er schützt vor der Gefahr des Verarmens.“
57) Schreibt kücün statt kujün < lit.: kujügün.
I
Hertha Kuntze
Eine Votiv-Stele aus dem Jahre 538
Das Linden-Museum in Stuttgart besitzt in seiner Sammlung eine chinesische
Weih-Stele (Nr. 120 780) aus grauem Kalkstein. Ihre ganze Höhe beträgt 179 cm
und die größte Breite 69,5 cm. Dargestellt ist eine Buddha-Trias in strenger Frontali-
tät, fast vollplastisch gearbeitet. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Darstellung
des zukünftigen Buddha Maitreya (Mi-lo) mit zwei begleitenden Bodhisattva, von
denen der rechte wohl Kuan-yin (Avalokiteshvara) ist, mit Lotosknospe in der lin-
ken und einer Flasche (beschädigt) in der rechten Hand. Auch der zweite begleitende
Bodhisattva hält eine Lotosknospe in seiner Linken und ein Gefäß in seiner Rechten.
Beide tragen Kronen und stehen im Gegensatz zur Hauptfigur auf Lotossockeln. Der
in drei Zonen geteilte, spitzzulaufende Nimbus bildet den Hintergrund der ganzen
Gruppe. Das Zentrum des Nimbus, eine kreisförmige Lotosblüte, liegt hinter dem
Kopf der Mittelfigur, ihn umschwingt, spitzzulaufend ein Rankennimbus, um-
schlossen von einer großgeschwungenen Flammengloriole, zart gemeißelt, wie der
ganze Nimbus.
Die Mittelfigur trägt ein halsfernes, gegürtetes Untergewand, mit einem Über-
wurf, der die Figur gleichsam einschließt und in ornamental gefältelten Wellen von
den erhobenen Armen herunterfällt. Die Hände, teilweise beschädigt, zeigen abhaya
und varada mudrä. Die beiden Bodhisattva tragen hochgeschlossene Untergewänder;
der Überwurf, mit vorne geknoteten Schals, läßt jeweils die Unterarme unbedeckt.
Die Säume sind symmetrisch gezipfelt und lassen die Füße frei. In Augenhöhe der
Mittelfigur ist der Nimbus gebrochen und der Kopf des Buddha ergänzt. Die an-
mutig hoheitsvollen Gesichter der beiden begleitenden Bodhisattva rechts und links
lassen uns diesen Verlust noch schmerzlicher empfinden.
Auf der Vorderseite des Sockels sind die beiden Hauptstifter der Stele mit ihrem
Gefolge dargestellt, getrennt durch eine Inschrifttafel, die besagt, daß diese Buddha-
statue in Ch’eng-tu (in der Provinz Szechuan) vom Oberhaupt der Familie Lü
(Herrn Lü Yu?) und dem Gemeindevorsteher (Yi-chu)') Yang Yang-jen (wohl ein
Toba-Name) errichtet wurde.
Die beiden Stifter knien links und rechts der Inschriftentafel mit einem Räucher-
gefäß (?) in den Händen. Hinter ihnen befindet sich ihr Gefolge mit Baldachin,
Schirm und Hellebarden. Zum rechten Gefolge gehört noch ein Pferdeführer, der
ein aufgezäumtes Pferd mit lang herabhängender Schabracke am Zügel hält, darüber
ein herabschwebender Genius mit Laute in den Händen. Die beiden Stifter tragen
l) Vgl. Balazs, Die Inschriften der Sammlung Baron von der Heydt; OZ XX, 1934,
S. 83, Anm, 6.
Hertha Kuntze
langärmelige chinesische Gewänder, während das Gefolge mit Hosen und dreiviertel-
bzw. halblangen Jacken bekleidet ist.
Auf der Rückseite der Stele sind neun Querfriese, die jeweils durch einen kleinen
unverzierten Streifen getrennt sind. In der Spitze des Nimbus sitzt unter einem Bodhi-
Baum in felsiger Landschaft eine Bodhisattva-Figur. Er sitzt mit dem linken Fuß
auf dem rechten Knie und auf der Linken aufgestütztem Kinn, auf dem Kopf eine
Krone, umgeben von spitzzulaufendem Nimbus. Wahrscheinlich handelt es sich um
Prinz Siddharta in Meditationshaltung, vor der Erleuchtung2). Die Inschriftentafeln,
die die Buddhafigur rechts und links umrahmen, besagen, daß es sich bei den aufrecht
stehenden Figuren links und der am Boden hockenden Gestalt rechts um buddhisti-
sche Nonnen handelt.
In der Mitte der nächsten Zeile sitzt in einem offenen Pavillon ein Buddha auf
einem Sockelthron in europäischer Sitzweise. Hinter ihm ist ein ovaler Nimbus, des-
sen Spitze von dem Dach des Pavillons verdeckt wird. Rechts befinden sich zwischen
Lotospflanzen drei kniende Nonnen, deren Namen in je einem Täfelchen angegeben
sind. Links liegt in tiefer Verbeugung unter Lotospflanzen eine Gestalt, mit der
wahrscheinlich der „Stifter und Vorsitzender des Festessens“ (chai-chu)3), das zur
Einweihung der Stele gegeben wurde, gemeint ist, ein Herr Lü Fang-yü aus Tung-
yen4). Hinter ihm steht sein Gefolge mit Baldachin, Schirm und Standarten.
In der Zeile darunter sitzt wieder in der Mitte in offenem Pavillon eine Buddha-
figur, ähnlich der darüber abgebildeten. Wer jedoch die rituelle Handlung der „Öff-
nung des Augenlichtes“ (kuang-ming-chu)5) vornahm, ist nicht angegeben, das Na-
mensfeld wurde nicht ausgefüllt.
In der vierten Zeile sind zu beiden Seiten eines sitzenden Buddha sechs Kar-
madäna (wei-na)6) aus der Familie Lü aufgeführt, jeweils mit Gefolge. Die beiden,
die der Zentralfigur am nächsten knien, tragen „Weihrauchgefäße“ in den Händen
und haben je zwei Begleiter mit Baldachin und Schirm.
In den folgenden fünf Zeilen mit Stifterfiguren erscheinen jetzt auch Personen
mit anderen Familiennamen, die jedoch wegen der Beschädigung der Stele und der
altertümlichen Schreibweise, in der wohl auch lokale Abweichungen enthalten sind,
nicht alle gelesen werden konnten. Auch auf den Schmalseiten der Stele gehen die
Zeilen weiter, in denen die Stifterfiguren mit Namen aufgeführt sind, hier jedoch
gar nicht mehr lesbar. Unter diesen Stifterfriesen befindet sich noch eine längere
2) Vgl. A. Lippe, A Gilt-Bronze Altarpiece of the Wei-Dynasty, Archives, XV, 1961,
S. 31.
3) Vgl. Balazs, a. a. O., S. 83, Anm. 7.
4) Tung-yen, Kreisstadt in Honan, heute Yen-chin.
5) Vgl. Balazs, a. a. O., S. 83, Anm. 8. „Die Öffnung des Augenlichts bestand in
der Berührung der Augen der Statue mit dem Pinsel. Dadurch wird erst aus dem
weltlichen Kunstwerk ein heiliges Kultstück.“
°) Karmadana, der nächste unter dem Abt in einem buddhistischen Kloster. Vgl.
Balazs, a. a. O., S. 83, Anm. 5.
TAFEL XI
TAFEL X
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Ahh. 2. Rückseite.
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TAFEL XI
Eine Votiv-Stele aus dem Jahre 538
87
Weihinschrift, die aber leider an entscheidenden Stellen stark beschädigt ist. Jedoch
läßt sich dieser Inschrift das genaue Datum der Entstehung entnehmen. Die Stele
wurde im ersten Jahr der Regierung des Kaisers Yüang-hsiang der großen Wei-
Dynastie (Ost-Wei) am 10. Tag des 5. Monats angefertigt; das entspricht dem 22. Juni
des Jahres 538 unserer Zeitrechnung. Auftraggeber war ein „Jünger Buddhas“ aus
der Familie Lü zusammen mit 80 anderen Personen. Die Statue wurde errichtet zum
Heil seiner Majestät des Kaisers, sodann für das Heil der Väter und Mütter von
der siebenten Generation an, bis zu den Eltern, die sie geboren haben.
Im Gegensatz zu den fast vollplastischen und in sich ruhenden Buddha- und
Bodhisattvafiguren der Vorderseite sind die Stifterfiguren auf Sockel und Rückseite
bei aller Schematisierung bewegt, wenn auch nur in dünnen Linien gezeichnet. Die
strenge Frontalität kommt jedoch nur den Buddhas und Bodhisattvas zu, während
alle anderen Personen im Profil wiedergegeben sind. Die trotz der Beschädigung
durchaus erkennbare künstlerische Durchformung und Geschlossenheit gibt dieser
Stele der Familie Lü aus dem Jahre 538 einen hervorragenden Platz unter den bisher
bekannten Bildwerken jener Zeit.
Eine Votiv-Stele aus dem Jahre 538
87
Weihinschrift, die aber leider an entscheidenden Stellen stark beschädigt ist. Jedoch
läßt sich dieser Inschrift das genaue Datum der Entstehung entnehmen. Die Stele
wurde im ersten Jahr der Regierung des Kaisers Yüang-hsiang der großen Wei-
Dynastie (Ost-Wei) am 10. Tag des 5. Monats angefertigt; das entspricht dem 22. Juni
des Jahres 538 unserer Zeitrechnung. Auftraggeber war ein „Jünger Buddhas“ aus
der Familie Lü zusammen mit 80 anderen Personen. Die Statue wurde errichtet zum
Heil seiner Majestät des Kaisers, sodann für das Heil der Väter und Mütter von
der siebenten Generation an, bis zu den Eltern, die sie geboren haben.
Im Gegensatz zu den fast vollplastischen und in sich ruhenden Buddha- und
Bodhisattvafiguren der Vorderseite sind die Stifterfiguren auf Sockel und Rückseite
bei aller Schematisierung bewegt, wenn auch nur in dünnen Linien gezeichnet. Die
strenge Frontalität kommt jedoch nur den Buddhas und Bodhisattvas zu, während
alle anderen Personen im Profil wiedergegeben sind. Die trotz der Beschädigung
durchaus erkennbare künstlerische Durchformung und Geschlossenheit gibt dieser
Stele der Familie Lü aus dem Jahre 538 einen hervorragenden Platz unter den bisher
bekannten Bildwerken jener Zeit.
V
к
Hans E. Kaufjmann
Formen und Motive
in der Kunst des älteren Megalithentums Südostasiens
Man unterscheidet heute nach Heine-Geldern in Südostasien im wesentlichen zwei
megalithische Komplexe, einen älteren neolithischen, der zwischen 2500 und 1500
v. Chr. erscheint und sich über Hinterindien und Indonesien nach Ozeanien verbrei-
tet hat, und einen jüngeren aus dem 1. Jahrtausend v. Chr., der eine Verbindung zur
Bronzekultur von Dong-son wie auch zur chinesischen Chou-Kultur aufweist und nur
in einem verhältnismäßig beschränkten Gebiet auftritt. Diese beiden Megalithkom-
plexe weichen in wesentlichen Merkmalen voneinander ab, u. a. auch in ihren künst-
lerischen Äußerungen. Gegenüber den bronzezeitlichen Spiral-, Flecht- und Mäander-
formen, ist der Stil des älteren Megalithentums viel urtümlicher, er ist monumental
und symbolisch (Heine-Geldern 1933 und 1937).
Nur mit dieser zuletzt genannten Kunst befasse ich mich hier, bestrebt diejenigen
Formen und Motive herauszufinden, die durch gehäuftes Vorkommen bei ganz ver-
schiedenen Völkern als ihr zugehörig gedeutet werden dürfen.
Der Megalithismus ist eine sehr vielgestaltige Erscheinung: außer der Großstein-
setzung, die ihm zuerst den Namen gab, enthält er noch zahlreiche andere Elemente
(Heine-Geldern 1928 und 1959). Die Zusammenstellungen dieser Elemente, zu denen
vor allem hölzerne Denkmäler, Verdienstfeste, Ahnenkult und Fruchtbarkeitsriten
gehören, sind bei den einzelnen Völkern keineswegs gleich, und auch die Elemente
selbst zeigen eigene Ausprägungen. Anders darf man es bei den oft riesigen Ent-
fernungen und der eigenständigen kulturellen Entwicklung jedes Volkes gar nicht er-
warten. Um so erstaunlicher ist es aber, daß immer wieder Gleichartiges oder zumin-
dest sehr Ähnliches dort auftritt, wo man einen Megalithkomplex feststellt, so beson-
ders auch bei den Formen und Motiven in der Kunst.
Unter Formen verstehe ich zwei Pfostenarten:
1. den Gabelpfosten und
2. den Wulstpfosten.
Über den zum Ruhme des Festgebers als Denkmal aufgestellten Gabelpfosten,
dessen Gabeln die Hörner der an Verdienst- oder Totenfesten geopferten Rinder
symbolisieren, brauche ich mich nicht des längeren auszulassen. Er wurde schon vor
langem von Heine-Geldern als wichtiges Element des Megalithkomplexes erkannt,
und er hat auch seine Verbreitung in West- und Ostafrika, Madagaskar, Indien und
weiter über Südostasien bis tief in den pazifischen Bereich nachgewiesen.
f»l> tr
Hans E. Kauffmann
Der von mir so genannte Wulstpfosten (Abb. 1—3), bis jetzt noch unbeachtet, ist
wohl ebenso weit verbreitet wie der Gabelpfosten. Ich fand ihn oder ihm ähnliche
Formen bis jetzt bei den Bobo und Mossi im Voltagebiet, Moro und Bongo im Sudan,
auf Madagaskar, bei den Bhil, Gond in Bastar, Saora und Kuttia Kond in Zentral-
Abb. 1. Wulstpjahl des „morung“ (Jung-
männerhaus) im Dorf Chi, Konyak-Naga,
Assam. (J. H. Hutton, 1929, Plate 9, 2.)
Abb. 2. „tuora“ oder Siegessäule, 3—5 m
hoch, jeder Ring bedeutet einen genomme-
nen Kopf. Tolambdtu, Toradja, Celebes.
(A. Grubauer, 36 und Fig. 57.)
Abb. 3. Wulstpfähle auf bootsförmigen
Särgen, die wahrscheinlich den Toten dar-
stellen, Moro, Philippinen. Nach einem Foto
des Museums für Völkerkunde, Leipzig,
vermutlich Sammlung Koch, im großen
Brockhaus, Bd. 11 [1957], S. 553, No. 6.)
indien, bei den Naga, Garo und Kachari von Dimapur in Assam, bei den Lawä in
Nordwest-Thailand, den Rhade, Djarai und Mnong in Vietnam, bei den Moro auf
den Philippinen, auf Borneo, Celebes, Nias, Flores, Timor, Ceram und Buru in In-
donesien und darüber hinaus im Pazifik. Sein häufiges Vorkommen zusammen mit dem
Gabelpfosten scheint zu beweisen, daß auch er dem Megalithkomplex zugehört. Vor
allem deutet darauf seine Kombination mit dem Gabelpfosten, wie sie u. a. bei den
Kuttia Kond in Orissa (Niggemeyer, Abb. 2), den Nage auf Flores und den Moro und
Bongo im Sudan auftritt (Heine-Geldern 1959, Tafel I, 1 und III, 7, 8, und Kronen-
berg, PL 43 b und 44 a, b).
Der Wulstpfosten, der freistehen aber auch zur Stütze eines Daches dienen kann,
besteht in der Regel aus länglichen Wülsten, die durch 1—3 niedere Ringwülste ge-
trennt sind, doch gibt es daneben Wülste von Becher-, Topf- und Flaschenform, u. a.
bei den Ao-Naga (Mills, Fotos bei S.260, 1. Fototafel rechts und 2. Fototafel unten),
Moi (Jouin, Fig. 17—19, 21—23, 35, 36), auf Buru (Martin, Taf. 31, jq u. TM. 32, ga),
bei den Moro auf den Philippinen (Abb. 3) und bei den Bongo im Sudan (Kronen-
berg, PL 40 a, 41, 42 c, 43 a, b, 44 a, b).
Die verschiedenen an Wulstpfosten zu beobachtenden Formen müßten noch einer
genaueren Stilanalyse unterworfen werden, die aber in diesem Zusammenhang nicht
angestellt werden kann. Sie haben oft, wie aus der Literatur ersichtlich, eine bestimm-
te Bedeutung, so sind sie bei den Rhade und Djarai Macht- und Reichtumssymbole
(Jouin, 81—82, 147—149), bei den Toradja (Abb. 2) zeigen sie die Zahl der genom-
menen Köpfe und bei den Bongo die des erlegten Wildes, der getöteten Feinde und
die Ranghöhe an (Kronenberg, 275).
Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalithentums Südostasiens 91
Als eine dritte Form wäre vielleicht der Kerbpfosten aufzuführen, d. h. ein Pfahl,
der seiner Länge nach auf zwei Seiten mit Einschnitten versehen ist. Da er aber nur bei
einem Naga-Stamm — es mögen die Tangkhul sein, die ich aus unerfindlichen Grün-
den der britischen Verwaltung 1936/37 von allen Stämmen nicht besuchen durfte —
vorzukommen scheint, und da überdies das ihn zeigende, einzige vorhandene Foto
(Heine-Geldern, 1959, Tafel II, 5), das aus einem offenbar verlorengegangenen
Wiener Urania-Film stammt, keine eindeutige Identifikation von Stamm und Ort
erlaubt, lasse ich ihn vorläufig ganz aus dem Spiel. Immerhin ist es interessant, daß
sägezahnartige Einkerbungen da und dort an den Außenseiten von Gabelpfosten er-
scheinen, so bei den Khond in Indien, den Nage auf Flores und den Moro und Bongo
im Sudan (Heine-Geldern 1959, Tafel III, 6—8 und Kronenberg, Pl. 43 b, 44 a).
Ebenfalls verbunden mit dem Megalithkomplex findet man immer die gleichen
Kunstmotive. Sie sind geschnitzt an Häusern, Dorftoren (Angami-Naga), Hauspfo-
sten, Sitzplattformen und Gabelpfosten (Sema-Naga) oder gabelpfostenähnlichen
Opferpfosten (Kachin), in Stein gemeißelt (Sumba), auf Häuserfronten gemalt (Mao-
und Maram-Naga) und erscheinen, wenn auch selten, als Tatau (Konyak-Naga). Fast
alle bisher festgestellten Motive treten bei den westlichen Naga, insbesondere bei den
Sema und Angami auf. Ich habe deshalb ihre Motive als Prototyp genommen, von
ihnen ging ich bei meiner Untersuchung aus. Ich gelangte bisher zu einer Zahl von
19 Motiven, deren allerdings einige eng miteinander verwandt, ja vielleicht identisch
sind:
A. Hörner 3 Motive
B. Kreise 4 Motive
C. Vierecke 4 Motive
D. Linien 5 Motive
E. Tiere 3 Motive
19 Motive
Andererseits mag es noch das eine oder andere bisher unerkannte Motiv geben.
Möglicherweise gehört dazu das bei den Naga sehr häufige Motiv des Kriegerkopfes
mit oder ohne Federschmuck (Abb. 4 und Kauffmann, 1955, Abb. 1—6), das ich aber
hier ausließ, weil ich es sonst nirgends in gleicher Art fand. Es stammt eher aus der
Gedankenwelt des Kopfjägers als des Megalithsetzers.
Über die Bedeutung mancher Motive hält es schwer, etwas Bestimmtes auszusagen.
Ihre jeweiligen Verfertiger haben immer wieder andere Erklärungen. Es ist somit nie
gewiß, ob sie einer Tradition entstammen oder einfach ad hoc im Analogieschluß zu
irgendeinem von ferne ähnlichen Gegenstand erfunden wurden. Man bewegt sich
dann also auf unsicherem Boden.
Weitaus am wichtigsten ist der Rinderkopf mit seinen ausladenden Hörnern,
sei er nun als Kopf eines Büffels oder eines Gayals gedeutet (Abb. 8, Al). Er ge-
mahnt an das Hauptopfertier bei den großen Verdienst- und Totenfesten. Auf den
Dorftoren der Angami-Naga zeigt schon die Größe der Hörner gegenüber anderen
Motiven, die sie zum Teil umschließen, den Stolz an, solche sehr kostspieligen Feste
92
Hans E. Kauffmann
Ahh.4. Verzierte Hausfront eines Verdienstfestgehers, Maram-Naga, Dorf Tomojon
Kulyen.
gefeiert zu haben (Kauffmann, 1955, Abb. 1—6). Das Motiv des Rinderkopfes ist denn
auch wie ein Wappen des großen Spenders und ein Symbol für seinen Reichtum, den er
nicht nur materiell seinen Dorfgenossen mitteilt, sondern auch im ideellen, ja eigent-
lich mystischen Sinne. Bei Jotsoma ist sogar die Planke einer Brücke ihrer ganzen
Länge nach mit Rinderköpfen beschnitzt (Abb. 5).
Die doppelten Hörner auf einem Hausgiebel der Angami von Nerhema
(Abb. 8, A 2) könnten mit den als Halbmond oder Regenbogen bezeichneten kon-
zentrischen Halbkreisen, die mit den konvexen Seiten gegeneinander
zeigen (Abb. 8, A 3), verwandt sein. Diese sind bei den Sema-Naga häufig (Abb. 6
und 7) und auch auf die geschnitzte Spitze lup-krawng-bawng eines Grabmals bei den
Kachin gemalt (Abb. 9).
Kreise (Abb. 8, B 1), je nachdem als Sonne oder Mond ausgelegt, gehören zu
den einfachsten und ältesten Zeichen, die aber, da sie zusammen mit den anderen Me-
galithmotiven immer wieder Vorkommen, hier eben auch als solche genommen werden
müssen. Die konzentrischen Kreise (Abb. 8, B 2), in der europäischen
Prähistorie als magische Sonnensymbole gedeutet (Schwantes, 85), mögen gelegentlich
Abstraktionen von Gongdarstellungen sein, wie sie in Stein gehauen auf Sumba (Büh-
ler, 57 und 59, jeweils unten) und genau gleich auf den Querverschalungen ngau kum
der Häuser und auf den Opferpfosten der Kachin erscheinen (Abb. 10).
Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalithentums Südostasiens 93
Ahb. 5. Brücke hei Jötsoma, deren Planke mit Rinderköpfen und Vierecken mit
konkaven Längsseiten beschnitzt ist. Angami-Naga.
Rosetten (Abb. 8, B 3) treten in der megalithischen Kunst als Kreise auf, in
die ganz schlicht vier oder auch mehr Blütenblätter eingezeichnet sind. Von diesen
einfachen Gebilden bis zu den künstlerisch immer höher entwickelten und oft recht
komplizierten Rosetten der Hochkulturen ist es ein weiter Weg. Schon seit langem
wurde erkannt, daß sie in megalithischem Zusammenhang enorm häufig sind, so u. a.
bei den Naga, Kachari, Khasi, Lawä, Batak, Toradja, auf Nias und Sumba (Stein-
mann und Rangsit, 168, mit Abb. 2, 4 a, 5 a, c von den Lawä); bei den Mnong Gar
im südvietnamischen Bergland wird ein sechsstrahliger Stern in einem Kreis „Tiger-
backe“ genannt (Condominas, 307).
Hier schließt sich auch das Motiv der Frauen brüste (Abb. 8, B 4) an, das
mit den Hörnern als wichtigstes zu nennen ist. Es ist ein Symbol der Fruchtbarkeit,
und auf dasselbe kommt es heraus, wenn es gelegentlich bei den Naga als Deckel der
großen Reiskörbe bezeichnet wird. Auf vielen Dorftoren der Angami-Naga sind Brüste
teils in langen Reihen, teils auch einzeln geschnitzt (Kauffmann, 1955, Abb. 2 und 4),
ebenso auf Gabelpfosten und Sitzplattformen derSema-Naga (Abb. 6 und 11); beiden
Ost-Angami von Zülhami jedoch heißen sie khrie = Mond. Sie kommen weiter vor in
Paaren auf Opferpfosten (Abb. 10, oben von jungen, unten von alten Frauen, wie mir
augenzwinkernd gesagt wurde) und Hausquerverschalungen bei den Kachin (Gilho-
des, 631), an Schädelpfosten der Wa (Pitchford, 232), als Sargfüße bei den Mnong
Gar (Condominas, 306), am Eingang eines Häuptlingshauses in Südnias (Schnitger,
94
Hans E. Kaujjmann
ashi = Fleischstücke, am Verdienstfest
an Dorfleute verteilt
m\l(e)sü = Regenbogen
akhi = Mond
khetsunhye oder tsükinyhe = Sonne
ameshik(e)tsü = Rinderkopf
asüki = Dao-Halter
akichi = Brüste
ashi = Fleischstücke (s. oben)
Ahh. 6. Einer der Gabelpfosten in Shédumi, Sema-Naga, Assam. — Am Rande des
Dorfes, gegen die Gärten hin, waren mehrere dieser Gabelpfosten nebeneinander als
Erinnerungsmale an Rinderopfer auf gestellt.
Mond
Regenbogen
Strohbündel
Abb. 7. Haushörner am Häuptlingshaus in Phigwema, Sema-Naga. — Sie haben glei-
che Form wie die der Angami-Häuser. Im Gegensatz zu diesen wurde hier ein Stroh-
bündel darum gebunden, um „das Ganze fester zu machen<c. Die Durchbohrung der
Hörnerenden wurde als Mond bezeichnet.
Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalithentums Südostasiens 95
PL 33), zu zweien oder vieren auf Häusern und Reisstampftrögen der Batak (Schnit-
ger, PL 14 oben und unten). Dies sind nur einige markante Beispiele von zahllosen,
deren Vollständigkeit in diesem knappen Rahmen nicht angestrebt werden kann.
Ganz besonders bedeutungsvoll aber will mir erscheinen, daß Brüste in Megalith-
steine gemeißelt in Sardinien, Sizilien, Ligurien, Mittelfrankreich, in der Bretagne
und in Irland gefunden wurden (vgl. die Beispiele bei Röder, 1949). Denn in diesem
Motiv könnte sich, wie bei den konzentrischen Kreisen und Rosetten, eine Verbindung
zwischen dem Megalithentum des Westens und dem des Ostens abzeichnen.
Doch nicht genug damit. Noch ein weiteres charakteristisches Motiv, das also
nicht wie Kreise und Dreiecke schon ein Element früher, primitiver Kunst ist, deutet
auf diesen weltweiten Zusammenhang unter den megalithischen Erscheinungen. Es
sind die Speerspitzen oder Dolche (Abb. 8, D 5), die sich in Serien in Altibe-
rien bei Caspe, bei Tiya, Landschaft Soddu in Äthiopien und bei den Naga finden
(Heine-Geldern 1959, Tafel IV, 9—11). „Auf keltiberischen Grabsteinen sind gele-
gentlich ganze Reihen von Lanzenspitzen dargestellt“ (Röder, 1949, 36, Anm. 3, nach
G. Schulten, Numantia I, 1914, 8, 215). Auf einem Dorftor der Angami-Naga in Ner-
hema sind rechts und links von Kriegerfiguren zwei typische Angami-Speerspitzen
eingeschnitzt (Kauffmann, 1955, Abb. 3).
Auch die wie drei nach unten gerichtete Speerspitzen aussehende Schnitzerei auf
einem Hauspfosten der Sema in Phigwema (Abb. 12) dürfte hierhergehören. Sie wur-
de allerdings von dem Hausbesitzer selbst als „Kriegerhaarschweif“ plus „Dao-Hal-
ter“ (= geschlitzter Holzblock für das Haumesser) erklärt, was aber — ich sagte
weiter oben schon das Nötige über die Angaben der Eingeborenen — wohl reine
Phantasie ist. Denn erstens sind die bekannten Schweife aus Menschenhaar immer
an sogenannten Panjikörbchen (Panji = im Feuer gehärtete Bambusfußangeln) und
niemals an Dao-Haltern befestigt, und zweitens sind diese Dao-Halter weiter oben
am gleichen Pfosten durch Gebilde mit rautenförmigem Umriß dargestellt, oder man
könnte auch sagen, durch je zwei gleichschenklige, mit der Basis aneinander stoßende
Dreiecke und nicht nur durch ein mit der Spitze nach unten gerichtetes Dreieck. Es
wäre allerdings auch denkbar, daß sich der Erklärer momentan geirrt hat, oder daß
ganz einfach ein Übersetzungsfehler vorliegt, und ein tatsächlich im Querschnitt drei-
eckiges Panjikörbchen mit daran befestigtem Haarschweif gemeint ist. Wie dem auch
sei, rationalistische Interpretationsversuche führen zu nichts, wenn man die solchem
Bemühen ganz entgegengesetzte Mentalität der Schnitzer bedenkt, die sich zwar an die
Überlieferung der Motive halten, aber in ihrer Auslegung recht vage sind.
An viereckigen Motiven gibt es Serien kleiner Quadrate (Abb. 8, C 1),
die bei den Sema an Gabelpfosten (Abb. 6 ganz oben) und Hauspfosten (Abb. 12
oben und unten) eingekerbt sind. Sie stellen die an Verdienstfesten in Mengen ver-
teilten Fleischstücke dar und sind damit ebenfalls ein Reichtumssymbol. Gleiche Be-
deutung haben Reihen abgestumpfter Pyramiden (Abb. 6 unten); sie entsprechen den
Formen unten an einem Tor der Angami von Jotsoma, die von dessen Bewohnern
allerdings als „Brüste“ bezeichnet wurden (Kauffmann, 1955, 88 und Abb. 3). Mit
Ringen aus kleinen Quadraten sind die Ahnenpfosten näm der Lawä beschnitzt.
3. Rosetten.
4. Brüste
(bezeichnet
auch als Reis-
korbdeckel).
1. Serien kleiner Quadrate (bezeichnet als Fleischstücke,
die am Verdienstfest an die Dorfbewohner verteilt
wurden).
2. Vierecke mit 2 (oder 4) eingezogenen Seiten, waag-
recht oder senkrecht angeordnet (bezeichnet als Dao-
Halter oder Brustschmuck).
3. Längliche Vierecke, mit oder ohne Kreise.
4. Raute (auch mit oben und unten abgestumpften Spit-
zen = Schwcineschädel).
Abb. 8.
□ □□□□
E
ii
Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalithentums Südostasiens 97
D. Linien
1. Schrägkreuz.
2. Fischgräten
3. Zickzack (bezeichnet als Blitz oder
Schlange).
4. Dreiecksreihen
5. Spitze von Speeren (oder Pfeilen, oder
Dolchen).
E. Stilisierte Tiere.
1. Nashornvogel (Beispiel vom Haus des
Ongli-Ngaku, eines Chang-Naga in
Mokokchung).
2. Eidechse (Beispiel eines Tatau, Konyak-
Naga des Dorfes Yangching).
98
Hans E. Kauffmann
Ahh. 9.
Bemalen des lup-krawng-
bawng, das einem Grabmal als
Spitze aufgesetzt wird.
Kachin, Dorf Ndmjim.
Mitunter werden diese quadratischen Schnitzereien auch „Feindeszähne“ genannt.
Diese Bezeichnung gilt eher für die Vierecke mit eingezogenen Seiten
(Abb. 8, C 2). In Shedumi jedoch, wo sie auf dem Gabelpfosten lotrecht gestellt sind
(Abb. 6), heißen sie Dao-Halter, in Phigwema (Abb. 12) Sitz, wobei an die auf Platt-
formen vor den Fiäusern geschnitzten Sitze gleicher Form gedacht ist (Abb. 11).
Die sogenannten Feindeszähne sind viereckige Brust- oder Rückenplatten mit kon-
kaven Längsseiten, reich mit Kauri, den „Zähnen“, verziert, von denen rotgefärbtes
Ziegenhaar herunterhängt (Flutton, 1921,16, Abb. 6 bei S. 12; Mills, 52, Abb. bei S. 52).
Dieser Schmuck gehört zu der Ausrüstung eines großen Kriegers und durfte früher
nur von Männern getragen werden, die schon Blut vergossen hatten.
Meist sind die Vierecke mit eingezogenen Seiten nicht über 20 cm lang, es gibt
aber auch sehr große, die sich über die ganze Breite eines Dorftores bei den Angami
hinziehen (Kauffmann, 1955, Abb. 2). Die gleiche Form findet sich am schon weiter oben
erwähnten Eingang eines Häuptlingshauses in Südnias (Schnitger, Pl. 33), an den die
heiligen Schwerter auf dem Manao-Platz der Kachin darstellenden Brettern (Abb. 13)
und an anderen Orten. Bei den Kachin bedeuten sie wohl die Handgriffe besagter
Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalith ent ums Südostasiens 99
Abb. 10.
Gabelpfostenartige
Opferpfosten auf dem
Manao-Platz,
beschnitzt mit
Rinderköpfen (?),
Brüsten und Gongs.
Kachin, Myitkyina.
Schwerter, etwas Bestimmtes war allerdings nicht zu erfahren. An einer Hausfront
der Maram-Naga in Tomojon-Kulyen sind ganz ähnliche Formen paarweise so aus
dem Holz herausgeschnitzt, daß hinter ihnen ein Hohlraum entstand (Abb. 4).
Die seltenen Vierecke mit allseitig konkaven Seiten (Abb. 8, C 2 rechts), wie sie
sich auf einem Angami-Dorftor in Nerhema finden (Kauffmann, 1955, Abb. 3), ähneln
in ihrer Form so stark den spiegelbildlichen Hörnern an einem Giebel desselben Dorfes
(Abb. 8, A 2), daß man einen Zusammenhang annehmen möchte. Allein, Angaben
von seiten der Schnitzer, die eine solche Vermutung bestätigen, liegen nicht vor. Auch
andere Spekulationen wären möglich, in Tat und Wahrheit aber ist die Frage, woher
die Vierecke mit zwei oder vier eingezogenen Seiten ursprünglich stammen und was
sie zu Anfang bedeutet haben mögen, noch weit von einer Lösung entfernt.
Außer länglichen Vierecken (Abb. 8, C 3), über die mangels Ver-
gleichsmaterials und Angaben der Angami nichts zu sagen ist, gibt es Rauten
(Abb. 8, C 4), zu denen man auch die bereits genannten, aus zwei Dreiecken zusam-
mengesetzten Dao-Halter (Abb. 12) rechnen kann. Rautenartige Motive mit abge-
schnittenen Spitzen stellen bei den Ost-Angami von Zülhami Schweineköpfe, thovo-
100
Hans E. Kauffmann
Abb. 11a. Große Sitzplattform akhatsé vor dem
Häuptlingshaus in Phigwema, Sema-Naga, mit der
Anordnung der Sitze alakú (von oben gesehen).
Seitenlange etwa 4 m, vorn und hinten je ein aus
dem Vollen geschnitzter Balken, dessen Motive als
Sitz dienen. An den Ecken vier etwa 1,50 m hohe
Stangen, die hinten und an beiden Seiten durch
Querlatten zum Kleidertrocknen verbunden sind.
Abb. 11b. Der vordere
Balken mit von links:
ameshik(e)tsü = Rinder-
kopf; akichi — Brüste;
o c=3 h pp
§ c=3 o ST
= Schüssel, Teller; asüki
1 = Dao-Halter. (Der hin-
tere Balken weist drei akhú
und zwei asüki auf.)
pi dar. Nur ein Mann, der das große z/joio-Verdienstfest gegeben hat, darf sie an-
bringen. Diese treffende Stilisierung der zweitwichtigsten Art von Opfertieren ge-
hört zur gleichen Verdienst- und Reichtumssymbolik wie die Rinderhörner. Bei den
Maram-Naga von Tomojon Kulyen (Abb. 4, unter den Köpfen) bedeutet die gleiche
Form eine auf dem Nacken als Schmuck getragene, halbierte, große, weiße Meer-
schnecke, genannt tü-poung-rou. Sie haben noch ein ganz ähnliches Motiv, bei dem der
untere Teil schmäler und länger ausgezogen ist: süräng-mui = Nashornvogel-Kopf
(Abb. 4, ganz oben rechts und links). Auf das Motiv des Nashornvogels kommen
wir später zu sprechen. Hier liegt ein gutes Beispiel vor, wie leicht ein Motiv in das
andere übergeht.
Das andreaskreuzartige Motiv, das ich als S c h r ä g k r e u z bezeichne (Abb.
8, D 1), ist, obwohl häufig genug, bisher ganz übersehen worden.
In Shedumi tritt es anstelle des oberen Regenbogenpaares auf dem rechten Gabel-
pfostenende (Abb. 6); es gibt dort aber auch Pfosten, auf denen beide Gabeln mit
drei übereinander stehenden Schrägkreuzen bedeckt sind. Die Gewährsmänner des
Ortes deuteten das Motiv als das im Buch der Distriktsverwaltung eingetragene Zei-
chen für bezahlte Haustaxe (!).
In Phigwema hingegen wurde es mit dem bei allen Eingeborenen ebenso beliebten
wie nichtssagenden Ausdruck „Blume“ belegt. Anstatt des Schrägkreuzes hatte es
dort gelegentlich an den Gabelenden drei schräg nach rechts oben laufende Parallel-
striche, die man „Fleisch“ nannte, in ihrer Bedeutung also den Serien kleiner Qua-
drate entsprechend.
Außer von den Naga gibt es das Schrägkreuz noch vielenorts, Beispiele seien nur
genannt von den Lakher (Parry, 416), den Toradja in Zentralcelebes (Grubauer,
Taf. 29 an einer Brücke, Taf. 47 oben an Frauenkleidung) und von Sumba (Bühler,
Abb. S. 60, 62, 63, 65).
Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalith ent ums Südostasiens 101
Bei der Betrachtung dieses Motivs erhebt sich eine wichtige Frage: Handelt es
sich wirklich um ein einfaches Schrägkreuz, oder entsteht es nicht vielmehr aus vier
Dreiecken? Dies hat besonders dann den Anschein, wenn es in ein Viereck gestellt ist
und die Kreuzlinien nicht durchgehen, sondern in der Mitte etwas abgesetzt sind,
oder auch dann, wenn bei doppelten Kreuzlinien jeweils ein Winkel ein Dreieck ab-
teilt. Bei einer in diesem Zusammenhang zu beachtenden Figur der Lakher (Parry,
Abb. S. 416) stoßen vier aus einem Fischgrätenmuster bestehende Dreiecke zusammen.
Die Zweifel über das Wesen des Schrägkreuzes werden noch erhöht durch ein
eigenartiges Motiv (Abb. 8, D 1 rechts), das sich fast gleich bei den Kachin auf den
Manao-Brettern, dem lup-krawng-bawng usw., bei den Rhade als kneä auf Särgen,
Pfeifen und Reisbier-Saugrohren (Jouin, 28 und 27, Fig. 6, \) und bei den Toradja
auf Frauentüchern findet (Kaudern Pl. 19,2 4, und 55,2 ). Das Schrägkreuz ist hier mit
einem aufrechtstehenden Kreuz kombiniert, so daß acht rechtwinklige Dreiecke ent-
stehen, die bei den Kachin mit vier, gegenständig jeweils gleichen Farben (rot, gelb,
grün, weiß) bemalt sind.
Ahb. 12. Schnitzereien am vordersten und am zweiten Hauptpfosten des
Häuptlingshauses in Phigwema, Sema-Naga.
102
Hans E. Kauffmann
Abb. 13. Bemalte Manao-Bretter auf dem Festplatz. Die beiden mittleren bedeuten
die heiligen Schwerter, die übrigen Speere, unten quer ein Nashornvogel, dessen Kopf
nach jener Richtung zeigen muß, aus der die Clan-Vorfahren kamen. Kachln, Myit-
kyina.
Schließlich besteht noch die Möglichkeit, daß übereinandergestellte und an ihren
Enden sich berührende Schrägkreuze Quadrate oder Rauten darstellen sollen, wie
zum Beispiel beim Brusttatau der Ao-Naga-Frauen (Kauffmann 1940, Taf. 16,
Abb. 2). Dies ähnelt dann stark den Rauten auf einem Gabelpfosten der Kuttia Kond
des Ganjam Distrikts in Orissa (Elwin, Fig. 202); in diesem Falle kann jedoch von
einer Rautenbildung durch ein Schrägkreuz keine Rede mehr sein, die Vierecke sind
als solche angelegt, und daß dieses Motiv bei ihnen autonom ist, zeigt ein anderer
ganz mit kleinen Rauten bedeckter Gabelpfosten (Elwin, Fig. 203).
Wie das Viereck mit eingezogenen Seiten ist also auch das Schrägkreuz ein recht
problematisches Motiv. Beide sind zwar eindeutig im Kontext der Megalithkunst
festgestellt, erfordern aber noch eingehende Untersuchungen und kritische Vergleiche.
Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalith ent ums Südostasiens 103
Bei den Naga treten die Motive der Fischgräten (Abb. 8, D 2) und Drei-
ecke, oder besser Dreiecksreihen (Abb. 8, D 4), denn es handelt sich in der
Regel um zwei Reihen ineinander greifender Dreiecke, verhältnismäßig wenig in
Erscheinung. Dao-Blocks der Sema sind mit parallelen Winkeln verziert, die akhagü
= Fischgräten heißen. Auf der schon mehrfach erwähnten Hausfront der Maram-
Naga in Tomojon Kulyen ist eine Dreiecksreihe zu sehen (Abb. 4).
Viel häufiger sind die beiden Motive bei anderen Völkern. So versehen die
Lakher ihre thangri, hölzerne, stets neben einem flachen Stein longphei stehende
Gedenkpfosten für Tote (Parry, 414), außer mit Schrägkreuzen, Winkeln, Rauten
und Kreisen auch mit Fischgräten (Parry, 416) und auf Sumba sind damit Büffel-
horndarstellungen geriffelt (Bühler, Abb. S. 63). Bei den Toradja in Zentralcelebes
finden sie sich zum Beispiel am Haus des Paringin Ledong in Meneng (Grubauer,
Taf. 31 unten) und im Tempel von Benahu (Kaudern, Fig. 19 B, C). Dreiecksreihen
kommen ebenfalls bei den Toradja vor, etwa um den Sitz eines Lobo-Schemels von
Lampa und auf Tabakbehältern aus Bambus (Grubauer, Taf. 58 oben und Taf. 64
Mitte), die übrigens auch das Motiv der doppelten Hörner (Abb. 8, A 2) zeigen. Ein
Dreiecks- oder Zackenmotiv überzieht Schädelhüttchen derWa im Grenzgebiet des bir-
manischen Shan-Staates Kengtung und Yünnans (Prestre, Abb. bei S. 160 unten), und
auf die Seiten des als Büffel stilisierten Sarges bei den Mnong Gar in Südvietnam
sind mit Indigo rechtwinklige Dreiecke gemalt, „die zwei Reihen übereinander ste-
hender Sägezähne ähneln“ (Condominas, 306/07 und Abb. 32, 35).
Die Dreiecksreihen im unteren Teil des Lobo-Schemels der Toradja könnte man
ebensogut als Z i c k z a c k bezeichnen, wie er auf der Lehne des nämlichen Sitzes gleich
in doppeltem Duktus erscheint. Die Zickzacklinie tritt auch sonst sehr oft auf, so et-
wa bei den Lakher (Parry, Abb. S. 416), auf Sumba (Bühler, Abb. S. 60, 62, 64, 65)
und bei den Hoaulu in Nordwest-Mittelceram; dort gibt es auf einer Art von Wulst-
pfählen sowohl kleine, horizontale oder schräge, als auch lang gestreckte Zickzacke,
die in doppelter Reihe von oben nach unten laufen und Schlangen darstellen mögen
(Röder 1948, Abb. S. 23). Die gleiche Deutung wurde für einen Zickzack gegeben, der
im Dorf Tamlu der Konyak-Naga auf einem Menhir vor dem Jungmännerhaus an-
gebracht war (Abb. 14). Anstatt Schlange heißt der Zickzack mancherorts auch Blitz.
Damit sind wir bei den Motiven von Tieren angelangt, die in der Megalithkunst
eine Rolle spielen. Abgesehen von den bereits besprochenen Rinder- und Schweine-
köpfen, die sich auf die Verdienstfeste beziehen, sind es in der Hauptsache Schlange,
Nashornvogel und Eidechse (Abb. 8, D 3 und E 1 und 2).
Schlangen mögen mitunter abstrahiert als Zickzack dargestellt werden, oder
aber es wird einem Zickzack die Bedeutung Schlange nachträglich unterlegt. Meist
jedoch sind sie mehr oder weniger naturalistisch geformt, wie etwa bei den Ao (Mills,
Zeichnung bei S. 96), am Manao-Festhaus und an Manao-Brettern der Kachin und bei
den Batak in Nordsumatra, die die Schlangen als Orakeltiere ansehen (Volz, Abb. 90;
Krämer, 34 und Taf. 9, Abb. 8—10).
Schlangen sind öfters vergesellschaftet mit der Eidechse, einem wahrhaft
universellen megalithischen Symbol. Wir finden es u. a. bei den Ao-Naga (Mills,
Zeichnung bei S. 96), bei nördlichen und östlichen Naga als Brusttatau, bei den Lawä
104
Hans E. Kaujfmann
(Steinmann und Rangsit, Abb. 4a), Rhade (Jouin, Fig. 17), auf Nias und Mentawei
(Krämer, Taf. 15, Abb. 16/17 und Taf. 16, Abb. 6), in der Manggarai auf Flores (van
Bekkum, PL 13, Abb. 37, 38), bei den Belu in Osttimor (Fiedler, 60) und ganz be-
sonders häufig bei den Batak.
Für sie ist die Eidechse Beschützerin der Reisspeicher (Schnitger, 227 und PL 14),
sie schnitzen sie meist zusammen mit Brüsten auf Hauswände und Reismörser, bei den
Pakpak-Batak bilden sie sogar oft die Türgriffe (Volz, Abb. 48, 91 und S. 301;
Krämer Taf. 9, Abb. 8—10, 18, Taf. 10, Abb. 4, 8). Wie die Schlangen werden die
Eidechsen von den Batak als Orakeltiere angesehen. „Besonders die Eidechsen findet
man oft an Häusern, aus Schnüren hergestellt, und an Zauberstäben neben Schlangen“
(Krämer, 34). Schlange und Eidechse sind den Batak Symbole für die alten Natur-
götter Naga Padoha und Boraspati ni tano, welch letzterer die Erde und ihre Frucht-
barkeit verkörpert (Volz, 343/44).
Manche Völker bezeichnen eidechsenförmige Figuren als Krokodil, so zum Beispiel
auf Sumba (Bühler, Abb. S. 64). Ganz abgesehen davon, daß die Bezeichnung eines
Motivs durch seine Hersteller, wie wir mehrfach festgestellt haben, oft recht will-
kürlich ist, fiele ein Krokodil auch dort, wo es wirklich als solches gemeint und dar-
gestellt sein sollte, unter die gleiche Kategorie. Stilisierte Echsenformen sind sich
ebenso ähnlich, wie ihrerseits die konventionell dargestellten Hörner der verschie-
denen Rinderarten, bei denen man auch nie sicher ist, ob es sich um einen Gayal,
Büffel oder was sonst handelt. Übrigens wurde schon früher die ungewisse Natur in
der Darstellung von Eidechsen und Krokodilen bei den Toradja in Zentralcelebes
bemerkt (Kaudern, 387).
Wer jemals einen Buceros mit schwerfälligem, knarrendem Flügelschlag langsam
über die Dschungelwildnis ziehen sah, wird verstehen, weshalb dieser ebenso seltene
wie eindrucksvolle Vogel in der Kunst der Naga so beliebt ist. Sie sehen in ihm ein
Glücks- und Reichtumssymbol. Dazu kommt noch, daß seine prächtigen Stoßfedern,
weiß mit breitem schwarzem Querband, begehrte Auszeichnung des erfolgreichen
Kopfjägers sind. In ihm mischen sich Züge aus Megalithen- und Kopfjägertum,
Das Motiv des Nashornvogels, streng stilisiert, kommt in mannigfachen
Variationen bei wohl allen Naga-Stämmen vor. Alleinstehend oder in Zweier- und
Dreiergruppen zusammengefaßt, erscheint es auf Hauswänden, Pfosten, Querbalken
(Abb. 4 und 14) und bei Ao und Nord-Sangtam auch auf den beiden Enden der
Gabelpfosten.
Interessant ist, daß die Kachin, bei denen ich eine Häufung von Megalithmotiven
fand, ebenfalls die Darstellung des Nashornvogels kennen. Bei ihnen besteht sie aus
einem Brett, dessen rechtes Ende als Kopf, und dessen linkes Ende als Schwanzfedern
ausgeführt ist. Diese Bretter sind an den bereits genannten Hausverschalungen ngau
kum (S. 92) und ganz unten an den Manao-Brettern quer angebracht (Abb. 13).
Bei anderen Völkern, zum Beispiel den Moi (Jouin, Fig. 21, 22, 41) oder den To-
radja (Grubauer, Taf. 30 unten) gibt es in der Kunst Vögel oder Vogelköpfe, die
bestimmt nichts mit Nashornvögeln zu tun haben. Dennoch möchte ich nicht aus-
schließen, daß sie in diese Kategorie gehören könnten. Zu bedenken ist ja die tier-
geographische Situation. Wenn es also an einem Ort keine Nashornvögel gibt, be-
Formen und Motive in der Kunst des älteren Megalithentums Südostasiens 105
Ahh. 14. Menhir mit
Schlangenzeichnung vor
dem Jungmänner haus.
Auf dem linken Pfosten
zwei Nashornvögel und
ein Mann, auf dem
rechten Pfosten ein
Rinderkopf, auf dem
Querbalken Sonne und
Halbmonde, zu beiden
Seiten Fischgrätenmuster.
Konyak-Naga,
Dorf Tamlu.
stünde die Möglichkeit, daß sie bei ihrer Übernahme als Kunstmotiv umgestaltet
wurden. So einfach sind solche Fragen allerdings nicht zu lösen. Gerade was die Tiere
anbetrifft, müßten die Legenden und Tierfabeln der einzelnen Völker erst einem ein-
gehenden Studium unterworfen werden.
Zu den einstweilen festgestellten 19 Motiven kommen möglicherweise als weite-
re hinzu: Gongs (S. 92), achtgeteilte Vierecke (S. 101), schräge Parallelstriche (S. 100)
und noch weitere Tiere, von denen zum Beispiel lokal bei den Naga Tiger (Leopard),
Elefant und Affe des öfteren als konventionelle Schnitzereien auftreten.
Schließlich gibt es noch Spiralen, vor allem die V-Spirale (vgl. Schuster, mit vielen
Beispielen aus Südostasien) und eine aus vier Spiralen bestehende Figur, die man,
selten genug, sowohl bei den Naga (Abb. 4), als auch bei den Toradja (Kaudern,
Fig. 22 B, 23 A) findet. Die Kachin verwenden ausgiebig lange Reihen aneinander
hängender Spiralen (Abb. 13). Da es ungewiß erscheint, ob Spiralen, die die Kunst
des jüngeren Megalithentums beherrschen, bereits im älteren mit einigen wenigen
Formen beheimatet sind, lasse ich sie vorläufig aus.
106
Hans E. Kauffmann
Wir wollen uns nicht in weitere hypothetische Möglichkeiten verlieren, sondern
mit den gegebenen Hinweisen auf offene Fragen und zukünftig vorzunehmende
Untersuchungen begnügen. Hier sollten nur die Grundlinien aufgezeigt und eine vor-
läufige Aufstellung der in der älteren Megalithkunst Südostasiens zu findenden For-
men und Motive gegeben werden. Zu diesem Zweck genügte eine Auswahl aus der
Literatur, die zahllose Beispiele mehr bereit hält. Von wenigen Hinweisen abgesehen,
wurden Afrika mit Madagaskar, Indien, Ostasien und der Pazifik nicht herangezogen,
und doch gibt es auch dort erstaunliche Übereinstimmungen in Mengen.
An Formen und Motiven wurden jene aus einem größeren Bestand ausgesucht,
die gehäuft, wenn auch in verschiedener Dichte und Zusammensetzung, bei Kulturen
verkommen, die an sich schon durch andere typische Merkmale als ausgesprochen
megalithisch gekennzeichnet sind. Wenn somit Formen und Motive als dem Mega-
lithentum zugehörig erkannt sind, so werden sie wertvolle Hinweise dort geben kön-
nen, wo nur sie vorhanden sind, Megalithen, Verdienstfeste und andere megalithische
Kennzeichen jedoch fehlen. Ein einziges Motiv schon, wie etwa Rosetten in Garhwal
— eine nähere Untersuchung wurde nie unternommen, obwohl wir von megalithi-
schen Zügen im Himalaya und besonders in Tibet wissen —, muß den Verdacht auf
megalithischen Einfluß erwecken, und seine Wahrscheinlichkeit wird um so größer, je
mehr sich die als megalithisch erkannten Formen und Motive häufen.
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i
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Volz, Wilhelm, 1909. Nordsumatra, Bd. I. Berlin.
Carl A. Schmitz
Eine steinerne Spitzkeule aus Nordost-Neuguinea
Das Linden-Museum besitzt unter der Nummer 119 655 (Slg. Heinrich) eine
loch-geschäftete steinerne Spitzkeule (Abb. 1), deren Typus in der Literatur noch
kaum Aufmerksamkeit gefunden hat. Nach den Angaben des Sammlers soll die-
se Keule aus dem Markham-Tal stammen. Der
Keulenkopf hat eine Länge von 21 cm, walzen-
förmigen Querschnitt, 6 cm Durchmesser, stump-
fen Nacken und spitzes Schlagende. Im Ganzen
ist der Keulenkopf leicht konvex gewölbt. Im
hinteren Drittel befindet sich die Durchbohrung.
Ein leicht zugespitzter Holzstab von 77,5 cm
Länge ist durch diese Bohrung geführt und mit
Baumharz befestigt worden. In die überstehende
Harzmasse sind oberhalb und unterhalb der Boh-
rung Nassa-Schnecken im Kranz als Ornamen-
tierung eingedrückt worden.
Neuhaus erwähnt eine solche Keule aus der
Umgebung des Sattelberges (Neuhaus, 1911,
I, 303. Abb. 201 b) und verweist gleichzeitig auf
eine bei Hagen erwähnte Keule. Dieser spricht
von einem „Steinhammer“, den er von Missionar
Hoffman in Bogadjlm erhalten habe. Dieser
aber hatte die Keule von Missionaren aus der
Finschhafen-Gegend geschenkt bekommen (Ha-
gen, 1899, 180. Tafel 27). Es konnte noch nicht
abgeklärt werden, ob es sich bei einem dieser bei-
den letzterwähnten Stücke um das gleiche Ob-
jekt wie im Linden-Museum handelt. Die Mög-
lichkeit besteht.
Das Museum der Evang. Luth. Missions-An-
stalt in Neuendettelsau besitzt drei weitere Exem-
plare. No. 57 aus dem Dorf Banggalung im
Gebiet des Mittleren Watut (Länge 11 cm,
Durchmesser 6 cm). Das Stück wurde von Missio-
nar G. Vicedom gesammelt, der dazu bemerkt,
daß diese Keule dort nicht einheimisch sei, son-
dern wahrscheinlich von Piololo eingehandelt
Abb 1. Steinkeule, NO-Neuguinca. Nr. 119 655.
110
Carl A. Schmitz
wurde (weiter östlich auf die Küste zu). No. 313 ist eine vollständig geschäftete Keule
dieser Art aus der Gegend von Mo rohe (Schaftlänge 116 cm, Länge der Keule
27 cm, Durchmesser 8 cm). Die Herkunftsangabe ist jedoch unsicher. Schließlich No.
810 ohne Herkunftsangabe. (Länge 10 cm, Durchmesser 5,5 cm).
Solche Spitzkeulen werden weder von Speiser in seiner Untersuchung über die
Keulenformen in Melanesien (1932), noch von Buhler (1946/49), noch von Hinder-
ling in seiner Untersuchung über die steinzeitlichen Beile der Südsee (1949) erwähnt.
Solche durchbohrten, spitz-ovalen steinernen Keulenköpfe sind offensichtlich sehr
selten. Bis jetzt ist meines Wissens nach nur das Vorkommen am Nordost-Rand von
Neuguinea bekannt. Möglicherweise darf auch der von Schmitz publizierte steinerne
Vogelkopf (1956) aus der Gegend von S i a 1 u m (Kap König Wilhelm) in den glei-
chen Zusammenhang gezählt werden.
Die einzige Erwähnung „knieförmiger Keulen“ aus diesem Gebiet findet sich in
einer Beschreibung des B a 1 u m - Kultes von Lehner. ”As we entered the b a 1 u m
house, they [i. e. die zwei Kultpriester] encircled us with their knee-shaped clubs
and made a low growling noise. We were afraid, and even excessively alarmed, for
all the time we thought that they were going to belabour us with the clubs.“ (Lehner,
1934/35, 341). Ob es sich aber dabei um Keulen mit steinernen Köpfen handelte,
läßt sich dem Bericht nicht entnehmen.
Für den Augenblick bleibt nichts anderes übrig, als die Aufmerksamkeit auf die-
sen Keulen-Typus zu lenken, zumal der steinerne Keulenkopf mit seiner Durchboh-
rung ein sehr charakteristisches Leitfossil darstellt.
Literatur
Buhler, A., 1946/49. Steingeräte, Steinskulpturen und Felszeichnungen aus Melane-
sien und Polynesien. Anthropos 41/44; 225—274, 577—606.
Hagen, B., 1899. Unter den Papua’s. Wiesbaden.
Hinderling, P., 1946. Über steinzeitliche Beile der Südsee. Aarau.
Lehner, S., 1934/35. The Balum Cult of the Bukaua. Oceania 5; 338—345.
Neuhaus, R., 1911. Deutsch-Neuguinea; Band I. Berlin.
Schmitz, C. A., 1956. Two ’’Prehistoric“ Stone Objekts from the Huon-Peninsula.
Mankind 5, 3; 128.
Speiser, F., 1932. Über Keulenformen in Melanesien. Zeitschrift für Ethnologie 64;
74—105.
Thomas S. Barthel
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
Die Frage nach den Wurzeln der Osterinselkultur umschließt das Problem, mit
welchen Wasserfahrzeugen einwandernde Gruppen diesen extrem isolierten Punkt
im südlichen Pazifik zu erreichen vermochten. Beobachtungen früher Reisender in
der proto-historischen Zeit zwischen europäischer Entdeckung und Missionierung
geben keine befriedigende Erklärung, da die nachweislich kleinen und fragilen Boote
mit einfachen Auslegern nur einer begrenzten Küstenfischerei genügten1). Ethno-
graphische Relikte selbst aus der Spätzeit sind entweder unzulänglich beschrieben2)
oder unerreichbar3); rezente Schiffsmodelle in Stein oder Holz müssen ihrem Quellen-
wert nach zunächst als dubios gelten4). Was die einheimischen Überlieferungen an-
geht, so tradieren sie zweifellos manche reale Daten, doch sind leider die subjektiven
Beigaben und Ausschmückungen nicht ohne weiteres zu erkennen und zu eliminieren.
Wenn ich recht sehe, vermag nur die kombinierte Auswertung von archaeologischen
und inschriftlichen Quellen festere Grundlagen für die weitere Diskussion zu schaffen.
Damit rücken Schiffsmotive in Petroglyphen und Felsmalereien einerseits, in den
Rongorongotexten andererseits in das Blickfeld kulturhistorischer Deutung. Auf so
verbreiteterer Basis mag dann auch manche ethnographisch belegte oder mündlich
überkommene Angabe in einem neuen Lichte gesehen und interpretiert werden.
Die norwegische archaeologische Expedition (1955—56), deren wissenschaftliche
Ergebnisse soeben im Druck vorliegen, hat Schiffsmotiven mit Recht ihre besondere
Aufmerksamkeit geschenkt und wertvolle neue Daten beigebracht. Freilich bleibt die
Interpretation dort oft auf das Verfechten jener These abgestellt, die sich mit dem
Stichwort „Andine Expansion nach Ostpolynesien“ genügend charakterisieren läßt.
4) Zusammenfassung der früheren Berichte bei Métraux 1940, S. 204.
2) Thomson 1891, S. 474, sah zwei als Särge benutzte Boote in einer Höhle.
3) Im August 1957 zeigten mir Osterinsulaner den Eingang zu einer Höhle am west-
lichen Oberrand des steil abfallenden Nebenkraters von Hanga Oteo. Hier sollen
Teile des Tuapoi-Bootes (vgl. Métraux 1940, S. 382, und Brown 1924, S. 69)
verborgen sein. Versuche, gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter Führung des
Alten Nuku Zutritt zu gewinnen, schlugen fehl. Der Zugang ist seit längerem
durch einen Bergsturz weitgehend verschüttet; hier wäre eine Exploration nur bei
ingenieurmäßigem Einsatz möglich, selbst dann aber wohl lebensgefährlich.
4) Heyerdahl 1957, 2. Tafel nach S. 224 sowie S. 248, 353 und 356. R. Vargas brachte
1958 ein größeres Holzmodell aus Hangaroa nach Santiago de Chile (gegenwärtig
im Centro de Estudios Antropológicos), das ein Binsenboot mit zwei Masten und
Rechtecksegeln darstellt.
112
Thomas S. Barthel
Der Wahrheitsfindung dürfte aber besser gedient sein mit einer voraussetzungslosen
Position, die weder das Material selektiv behandelt noch begründete Antithesen tot-
schweigt. Unser folgender Diskussionsbeltrag enthält bisher unbekannte Schiffs-
petroglyphen, die im Jahre 1957 von der deutsch-chilenischen Expedition entdeckt
wurden, sowie gewisse Entzifferungsresultate aus jüngster Zeit, die in den gleichen
Fragenkreis gehören.
1. Der Fund von Ana Hanga Тин Hata
An der Südküste im Raum von Hotu Iti befindet sich unweit des großen Ahu One
Makihi, den einst mehrere Moai krönten, eine Höhle, die bei den Eingeborenen unter
dem Namen Ana Hanga Tuu Hata bekannt ist. Hier entdeckte mein chilenischer
Begleiter R. Vargas, neben anderen Darstellungen, zwei bisher unbekannte Schiffs-
petroglyphen. Die Zeichnungen waren in millimeterdünnen Linien vertikal in die
Oberfläche eines Steinblockes auf der rechten Seite der Höhle eingeritzt; dabei blieb
das untere Bild ursprünglich bis zu einer Höhe von etwa 15 cm im Erdreich versteckt.
Für das untere Schiff wurde eine Länge von 31 cm und eine Maximalhöhe von 26 cm
notiert. Unsere Wiedergabe bringt die Originaldimensionen und markiert die Grenze
des Erdreiches sowie abgebrochener Felspartien (Abb. 1).
Beide Schiffstypen weichen auf den ersten Blick beträchtlich voneinander ab. Bei
der oberen Darstellung handelt es sich um einen Einmaster mit zwei Querhölzern.
Der Rumpf ist leider unvollständig, da links und rechts Teile von der Oberfläche des
Gesteins abgebrochen sind. Immerhin ist ein sichelförmig gekurvter Bootskörper un-
verkennbar, welcher zumindest auf der rechten Seite in eine Art hochgezogenen Bug-
spriets auszulaufen scheint. Auf der linken Hälfte des Rumpfes sind, offenbar nach-
träglich, einige Zeichen angebracht worden, deren Form gewissen komari-Symbolen
entspricht, wie sie sich etwa in Ana Hanga Tee finden. Eine zweite Linie zeigt die
jenseitige Boots wand an und verleiht damit der Petroglyphe eine sonst keineswegs
gebräuchliche Dreidimensionalität. Unvollständige Konturen einer stehenden Person
sind rechts von dem sieh gabelnden Mastfuß zu erkennen. Falls diese menschliche
Gestalt gleichaltrig mit der Schiffszeichnung sein sollte, und maßstabsgetreue Dimen-
sionen vorausgesetzt, erhalten wir hier einen möglichen Anhaltspunkt, um die effek-
tive Größe des dargestellten Wasserfahrzeuges abzuschätzen. Unter solchen Voraus-
setzungen könnte die Masthöhe zwischen 6 und 8 m, die Bootslänge zwischen 8 und
10 m betragen haben; doch sollte auf diese hypothetische Erwägung nicht zu viel
gegeben werden. Eigentümliche Details erscheinen durch die Takelage, da die
Wiedergabe von Tauwerk meines Wissens ein Novum in den Petroglyphen der
Osterinsel darstellt. Vom obersten Abschnitt des Mastes laufen je drei Linien zu
beiden Seiten der Marsrahe. Hier wie anderswo müssen wir wählen, ob wir die
Linien als Begrenzung von Segeln oder als Bild des stehenden und laufenden Gutes
auffassen wollen. Ich neige zu der zweiten Deutung, zumal die untere Rahe — durch
zwei leichtgekurvte Linien „zigarrenförmig“ definiert — ein gerefftes Segel andeuten
dürfte. So scheint es sich oben eher um sogenannte Toppnanten als um kleine drei-
eckige Toppsegel zu handeln. Der trapezartige Abschnitt zwischen den beiden Rahen
(positionell wäre hier das Mars-Segel zu erwarten) und deren Enden selbst bilden
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
Abb. 1.
Schiffspetroglyphen von
Ana Hanga Tuu Hata
(Originalpause nach R. Vargas).
114 Thomas S. Barthel
die Ausgangsstellung für je fünf Leinen, die symmetrisch zum Schiffsrumpf hin ver-
laufen; ein einzelnes Tau führt von der unteren Rahe schräg nach unten. Merkwürdi-
gerweise enden die Linien einmal am diesseitigen, das andere Mal am jenseitigen Bord
des Fahrzeuges, also so, wie es bei den Wanten beiderseits eines Mastes der Fall ist.
Man sollte daher die Möglichkeit im Auge behalten, daß der Osterinsulaner, dem wir
diese eingeritzte Schiffszeichnung verdanken, die Probleme einer perspektivischen
Wiedergabe dadurch zu lösen versuchte, daß Mast und Takelage in Vorderansicht,
der Schiffskörper in Seitenansicht erschienen. Die Frontalansicht für Mast und
Ahh. 2. Schiffspetroglyphe auf Moai
Nr. 263, Rano Raraku Exterior (nach
Skjölsvold).
Takelage wäre jedenfalls in sich durchaus stimmig. Generell stehen wir bei solchen
Wiedergaben vor der Frage, wieweit wir ihnen realistischen Modellcharakter zu-
sprechen sollen oder wieweit „Montagecharakter“ (nicht nur durch einen etwaigen
Perspektivenwechsel, sondern auch im Einsetzen inselbekannter Teilstücke, wie etwa
der Form des gesamten Schiffskörpers, von dem sonst bei fremden Wasserfahrzeugen
ja nur der Abschnitt oberhalb des Meeresniveaus beobachtbar ist), ganz abgesehen
von individueller oder gruppengebundener Stilvariabilität. Betonung und Überzeich-
nung für auffällig und bedeutsam erachtete Einzelteile sind an verschiedenen der
weiter unten beschriebenen Schiffsdarstellungen unverkennbar.
Der untere Dreimaster unterscheidet sich zunächst durch seinen Rumpf, der
erheblich massiger und nur zweidimensional ausgeführt ist. Nach links setzen sich die
Konturen in zwei kurze dünne Linien fort, die vielleicht das Vorschiff charakterisie-
Schijfsdarstellungen in der Osterinselkultur
ren. Fock- und Kreuzmast sind gleich hoch und werden in ihrer Länge vom Groß-
mast um etwa ein Fünftel überragt. Alle drei Masten führen Rahen mit Rechteck-
segeln. Am Großmast fällt auf, daß die untere Rahe ebenso „zigarrenförmig“ gezeich-
net ist wie bei dem einmastigen Fahrzeug darüber; hier kann kaum ein Zweifel be-
stehen, daß damit das gereffte Groß-Segel wiedergegeben werden soll. Der weit nach
achtern versetzte Kreuzmast (wenn unsere Zuordnung des Vorschiffes stimmt) berührt
mit seiner Spitze den Kiel des oberen Schiffskörpers und trägt links, im Anschluß an
seine Rechtecksegel, ein großes vertikales Feld, das waagerecht geteilt und in seinem
oberen Abschnitt vertikal gedrittelt ist. Will man von den übertriebenen Proportionen
absehen, so fühlt man sich fast an die Darstellung einer Flagge erinnert.
Der Fund von Ana Hanga Hata läßt sich besser einschätzen, wenn wir vergleichs-
weise prüfen, welche sonstigen Abbildungen von Wasserfahrzeugen mit Masten und
Segeln auf der Osterinsel bekannt sind. Geht man von unserem Fundort etwa 1000 m
landeinwärts nach NNW, so trifft man am äußeren Rand des Rano Raraku erneut
auf das Dreimastermotiv: Dort handelt es sich um die inzwischen schon berühmt ge-
wordene Darstellung auf der Brust des Moai Nr. 263 (Abb. 2). Skjölsvold nennt in
seinem Grabungsbericht5) als Merkmale; Stumpfes Fleck, zugespitzter Bug, drei
Masten mit sieben Rechtecksegeln (hier der lesenswerte Zusatz „a few vague lines
seem to indicate that there were originally three sails on each mast“), 28 Einfurchun-
gen in Fiöhe der Reeling, die möglicherweise als „Besatzung“ verstanden werden
können6), und eine Linie in Art einer „Ankerkette“, die rechts unten in die stilisierte
Gestalt einer Schildkröte mündet. Der norwegische Archaeologe kommt nicht zu einer
eindeutigen Interpretation: Die Takelage spräche eher für ein europäisches Fahrzeug;
der halbmondförmige Schiffskörper unterscheide sich aber von andernorts nachweis-
baren Typen, die einwandfrei europäische Segelschiffe wiedergäben. Er verweist auf
die Belege und Diskussionen von Ferdon, Mulloy und Smith; wir kommen weiter
unten darauf zurück. Skjölsvolds Fund stimmt in einigen Merkmalen mit dem
unsrigen überein: Auch bei ihm sind Fockmast und Kreuzmast gleich hoch, und auch
bei ihm ist die europäische Rahenbesegelung unverkennbar. Der Rumpf seines Schiffes
allerdings weicht deutlich ab und steht der gekurvten Form unseres Einmasters näher.
Während in Ana Hanga Tuu Hata keine Ansätze für eine Datierung zu ermitteln
waren, erhält man für die Einkerbung auf Moai Nr. 263 naturgemäß einen Terminus
post quem mit dem Aufrichtungszeitpunkt dieser Skulptur. Da nach Skjölsvold die
Statue nicht auf dem gewachsenen Boden, sondern auf einem Schutthügel errichtet
wurde, kann sie nicht in die Anfangszeit der Bildhauertätigkeit in den Werkstätten
des Rano Raraku gehören. Überdies sprechen auch Stil und Schmuckmerkmale von
5) Skjölsvold, AEI S. 351—352.
6) Hein 1956, S. 184, führt aus, „daß früher keine geschlossene Reling üblich war.
Man hatte auf dem Bordrand nur Pfosten, armdick etwa und so eng gesetzt, daß
weder Menschen noch etwas größere Gegenstände über Bord rutschen konnten.
Zum Festhalten für Menschen spannte man über die Enden der Pfosten ein etwa
daumendickes Tau namens Reling. Bei größerem Abstand waren nur noch die
Pfosten sichtbar.“
116
Thomas S. Barthel
Moai Nr. 263 für eine recht späte Zeitstellung. Die Schichtenprofile bei Skjölsvold7)
lassen erkennen, daß die eigentliche Schiffsdarstellung — also ohne die mysteriöse
„Schildkröte an der Leine“ — jedenfalls oberhalb des Stratum X, das heißt des
Bodenniveaus zur Zeit der Statuenerrichtung lag. Sie selbst muß also gar nicht not-
wendigerweise gleichaltrig sein mit der ersten Aufstellungsphase, als die Statue mit
ihrem Sockel in eine Steinpackung gesetzt wurde und ihre gesamte Frontalfläche bis
hinunter zu den Händen frei sichtbar war. Der sandige Boden mit Gesteinsschutt,
unter dem sich der verdeckte Teil der eigentlichen Schiffsdarstellung wohl erhalten
hat, wirkt verhältnismäßig jung und kann sehr wohl von einem der Erdrutsche stam-
men, wie sie nach Erlöschen der Figurenanfertigung mehrfach am Fuße des Rano
Raraku stattgefunden zu haben scheinen. Moai Nr. 263 gehört unserer Auffassung
nach eindeutig in die zweite Hälfte der „klassischen Periode“; wir verstehen darunter
den Zeitraum zwischen Ankunft der Hotu-Matu’a-Siedler um 1400 und Vernichtung
der Hanau Eepe um 1680 (dem entspricht in wesentlichen Teilen die „Middle Period“
anderer Forscher). Danach kann das Schiffsmotiv keinesfalls älter als das 16. Jahr-
hundert sein, läßt sich aber mühelos hinaufdatieren und in das 18. Jahrhundert stel-
len. Bekanntlich weisen eine Reihe von Figuren und Werkstätten am Rano Raraku
nachträgliche (offenkundig „intrusive“) Petroglyphen-Einritzungen auf, die wohl
fast alle aus nachklassischer Zeit stammen müssen. Alle vorgenannten Überlegungen
sprechen dafür, daß wir das Dreimastermotiv vom Rano Raraku verhältnismäßig
spät ansetzen müssen. Die erörterte Sachlage macht ein zeitliches Zusammenfallen
mit der Ankunft europäischer Segelschiffe nicht nur möglich, sondern durchaus wahr-
scheinlich.
Weitere Darstellungen von dreimastigen Segelschiffen sind nicht als echte Petro-
glyphen, sondern in der Art farbiger Felsbilder bekannt. Heyerdahl fand an der
Südküste, in einer Höhle ostwärts von Vaihu, neben einfachen Bootsmotiven die in
rot und schwarz ausgeführte Wiedergabe einer Bark (Abb. 3 a). Der Kreuzmast
führt ein Besansegel; Großmast und Fockmast, die beide in knopfartige Verdickungen
enden, tragen je drei rechteckige Rahsegel, und am weit ausgezogenen Klüverbaum
sind Vorstenge und Klüver gesetzt. Die Motive stammen zweifellos aus spät-proto-
historischer Zeit8 9).
Lavachery hat einen Dreimaster veröffentlicht8), der sich — in weißer Farbe aus-
geführt — in einer nach Nordwesten orientierten Höhle auf dem Inselchen Motu Nui
befindet (Abb. 3 b). Zwei Masten tragen je ein mächtiges Rechtecksegel, während der
linke Mast mit einem dreieckigen Segel besetzt ist; vermutlich handelt es sich um den
Fockmast mit Stagfock oder Klüver. Der Rumpf verläuft sichelförmig mit stark
hochgezogenem Vorschiff und ist durch eine Reihe von Stegen in einzelne Felder
aufgeteilt. Lavachery hält es für möglich, daß die Annexe am Achterschiff eine
Ankerkette bezeichnen sollten. Seine Deutung als „wahrscheinlich europäisches Fahr-
zeug“ wird freilich durch die Bemerkung ergänzt, daß der Bug dem einheimischer
7) Skjölsvold, AEI Fig. 92.
8) Heyerdahl, AEI Fig. 127 und S. 478.
9) Lavachery 1939, Fig. 407 und Bd. I, S. 87 und 111.
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
117
Boote ähnele. Die ihn begleitenden Osterinsulaner bezeichneten im Jahre 1934 diese
Malerei als pahi, also mit jenem tahitischen Wort, welches im modernen Rapanui
jedes größere, außerinsulare Schiff meint. An anderer Stelle faßt Lavachery sein Urteil
dahingehend zusammen „semble bien . . . nous donner une représentation enfantine
d’un voilier européen“. Der Vergleichswert des Dreimasters von Motu Nui scheint
uns darin zu liegen, daß in ihm die Form des Schiffskörpers und vielleicht auch das
Ankermotiv der Darstellung vom Rano Raraku wiederkehren. Der historische Kon-
text mit anderen Felsbildern der gleichen Höhle [ao — Tanzpaddel, rei miro —
Brustschmuck und makemake (?) — Gesichter] entspricht völlig jenem von Orongo
und führt uns damit zu der gegenüber von Motu Nui liegenden Kultstätte auf dem
Südrande des Rano Kau.
Die bootsförmigen Häuser von Orongo, von Ferdon als Komplex B bezeichnet,
enthielten eine große Anzahl bemalter Steinplatten, die zuerst von Palmer erwähnt,
dann von Geiseier über Routledge bis zu Ferdon in Beispielen abgebildet worden sind;
in diesem Zusammenhang sollen uns aber nur die Schiffsdarstellungen interessieren.
Geiseier bringt zwei Zeichnungen10): Beide Schiffe haben den gleichen Rumpf mit
hohem Achterkastell (Abb. 3 c, 3 d). In einem Falle ist der Dreimaster vollgetakelt,
im anderen zeigt er nur zwei Marssegel und kleine menschliche Figuren auf den
Rahen. Der europäische Charakter ist ganz unverkennbar, falls es sich nicht überhaupt
um das gleiche Fahrzeug während verschiedener Segelmanöver handelt. Wir pflichten
Höver11) bei, der auf Grund der Stückpforten beziehungsweise wegen des gemalten
„Pfortenbandes“ an die Wiedergabe eines frühen Kauffahrteiseglers oder alten Wal-
fängers denkt. Die Vergesellung solcher europäischer Wasserfahrzeuge mit Tanz-
paddeln und Vogelmannfiguren in den jeweiligen Steinhäusern macht eine recht späte
Zeitstellung innerhalb der protohistorischen Periode wahrscheinlich. Es ist wohl be-
zeichnend, daß das unleugbare europäische Schiff auf Geiselers Tafel 8 (unsere
Abb. 3 c) die gleiche Beseglung führt wie Skjölsvolds Dreimaster auf Moai Nr. 263;
in beiden Fällen sind am Großmast Groß-Segel, Mars-Segel und Bram-Segel klar
voneinander unterschieden. Was andererseits das „Pfortenband“ angeht, so läßt sich
hier unschwer an einen Zusammenhang mit der Kammerung in Felder auf dem
Rumpf des Motu Nui-Dreimasters denken, zumal das historische Ensemble nach-
weislich in beiden Fällen gleich ist. Die von Routledge12) genannten Schiffe mit Recht-
ecksegeln konnten übrigens, nur wenig über 40 Jahre später, von Ferdon bereits nicht
mehr ausgemacht werden; auch das ist eine Erfahrung, die gegen ein allzu hohes Alter
der erhaltenen Felsmalereien spricht.
Wir erwähnen hier noch die Felsmalerei eines Dreimasters aus Ana Kai Tangata13).
Formenkundlich bringt sie nichts ein, abgesehen von der stilisierten „Besatzung“ oder
„Reling“ ähnlich des Rano Raraku Dreimasters. Die Abbildung verdient aber ein
10) Geiseier 1883, Tafeln 8 und 14.
n) Höver 1961, S. 157. — Vgl. ferner Métraux 1940, S. 206, über papa hakatara
(d. h. Bootsrumpf schachbrettartig schwarz-weiß bemalt).
12) Routledge 1920 passim für die Häuser 3 A, 5, 7, 19 A, 23 und 26.
13) Routledge 1919, Fig. 102.
gewisses Interesse, weil sie von Seeschwalben (manu tara) übermalt wurde, also jeden-
falls vor das Ende der protohistorischen Periode einzuordnen Ist.
Ferdon legt nun zwei Neufunde von gemalten Dreimastern aus Orongo vor14).
Eine Steintafel aus dem Gebäude R-4 zeigt in roter Farbe ein Schiff, dessen Masten
je zwei Rechtecksegel tragen (Abb. 3 e). Der Schiffskörper ist langgestreckt und an
einem Ende spitz hochgezogen. Ferdon zweifelt nicht, daß es sich um ein europäisches
Fahrzeug handelt, und uns erinnert der Typ an die Darstellung in Hanga Tuu Hata.
— Der zweite Beleg — dessen genaue Lokalisierung in einem der Häuser von Orongo
leider fehlt — verfügt über zwei Rahen an Fock- und Kreuzmast, während der Groß-
mast an Stelle der Großrahe eine große runde Scheibe trägt (Abb. 3 f); ein Motiv,
das uns noch beschäftigen wird. Der sichelförmige Schiffskörper läuft nach links spitz
zu, während das rechte Ende wie abgeschnitten wirkt, falls die Zeichnung hier nicht
unvollständig sein sollte. Der Rumpf ist in seiner ganzen Länge durch verfließende
weiße Farbstreifen in bogenförmige Felder gekammert. Ferdon hält es für gut denk-
bar, daß die Masten nach dem Vorbild eines europäischen Schiffes kopiert wurden,
faßt dagegen den sichelförmigen Rumpf — der ja auch anderswo belegt sei — als
nichteuropäisch auf. Im Blick auf gewisse Schiffsmodelle aus sogenannten „geheimen
Höhlen“ neigt er dazu, gekurvte und asymmetrische Schiffskörper mit einem spitzen
und einem stumpfen Ende als „mögliche, wenn nicht wahrscheinliche“ Binsenboote
anzusprechen.
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
Abb. 3. a) Felsmalerei von Vaihu (nach Heyerdahl), b) Felsmalerei von Motu Nui
(nach Lavachery), c) und d) Felsmalereien Orongo 1 und 2 (nach Geiseier), e) und f)
Felsmalereien von Orongo 3 und 4, g) und h) Einmaster von Orongo, i) „Scheiben-
motivc< von Orongo (e bis i nach Ferdon), j) „Scheibenmotiv“ von Abu Fe Pito Fe
Kura (nach Smith).
14) Ferdon, AEI S. 237—240.
ITTI weiss
englisch-not
Thomas S. Barthel
Stellen wir die Belege für Dreimaster systematisch zusammen (siehe Tabelle), so
erhellt auf einen Blick, daß die Elemente nicht scharf zu trennen sind, sondern sich
in fließenden Übergängen gruppieren: Die eindeutig europäische Beseglung bei ge-
strecktem Schiffskörper (Orongo 1) wiederholt sich auf dem sichelförmigen Schiffs-
rumpf (Rano Raraku), die das „Pfortenband“ darstellende Rumpfkammerung tritt
bei beiden Arten des Schiffskörpers auf (Orongo 1 und Motu Nui), und gleiches gilt
für Dreiecksegel vor der Fock (Motu Nui und Vaihu).
Tabelle der Dreimaster dar Stellungen in der Osterinselkunst
Ort Schiffskörper Rumpf sichel- ge- ge- förmig streckt kammert Anker- motiv Besegelung Fock-, Groß-, Kreuz-, masten Sonstiges
Tuu Hata X 2 1( + 1) 2 Flagge?
Rano Raraku X X 2 3 2 Besatzung?
Vaihu X 3 3 1 Besan und Klüver
Motu Nui X X X 1 1 1 Klüver
Orongo 1 X X 2 3 2 Achterkastell
Orongo 2 X 1 1 Figuren auf Rahen
Orongo 3 X 2 2 2
Orongo 4 X X (2) (1) (2) Scheibenmotiv
Wir vertreten dezidiert die Auffassung, daß die Takelage ein stärkeres Aussage-
gewicht besitzt als die Konturen eines Schiffskörpers, für den einerseits nur eine par-
tielle Beobachtbarkeit gegeben ist, andererseits ein montagehafter Ersatz durch die
wohlbekannte Gesamtform einheimischer Boote (seien es solche vom Typ des vaka,
seien es solche vom Typ des pora) sich anbietet. Von hier aus betrachtet, sind die Dar-
stellungen von Dreimastern mit Rahenbeseglung nichts anderes als „Vollschiffe“
europäischer Provenienz, wie sie von den Entdeckungsreisenden im Stillen Ozean
effektiv benutzt wurden. Prüfen wir weiter, wie sich denn die Dreimasterdarstellun-
gen im Raum der Osterinsel verteilen (siehe Karte), so fällt auf, daß sie stets dort
zu finden sind, wo der Blick auf das Meer von einer Höhe oder unmittelbar von der
Küstenlinie aus eine typische Reede oder zwangsläufige Schiffspassage trifft. Außer-
dem ist interessant, daß sie in einer relativ zusammenhängenden Zone vom Südosten
zum Südwesten der Insel reichen. Ohne hier schon auf hochwichtige Fragen einzu-
gehen, wieweit Schiffsdarstellungen aus der Hand künstlerischer Spezialisten etwa in
einem kultischen Zusammenhänge „verzeichniswürdig“ waren, und was es überhaupt
mit dem Motiv „Boot“ in der Osterinselkultur auf sich har, dürfen wir festhalten:
Die Orte der Dreimaster-Darstellungen sind eo ipso Beobachtungspunkte für charak-
teristische Ankerplätze oder Durchfahrtswege für europäische Schiffe! Die Belege
von Tuu Hata und Rano Raraku passen zur Reede von Hotu Iti, das Beispiel von
Vaihu zur gleichnamigen Bucht (einem beliebten Landeplatz im 19. Jahrhundert), die
Darstellungen in Orongo zur Südwestpassage zwischen Hauptinsel und vorgelagerten
Riffen, und die Funde von Motu Nui und Ana Kai Tangata zur Reede vor der West-
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
küste bei Hanga Roa. Untersuchen wir nun folgerichtig, welche europäischen Reisen-
den zuerst in gerade diesen Gewässern der Osterinsel erschienen, so müssen wir zu-
nächst die Holländer und Spanier ausklammern: Sowohl 1722 wie 1770 gingen deren
Vollschiffe nur vor der Nordküste vor Anker. Die Südküste wird durch Dreimast-
segler erstmalig auf der zweiten Reise von James Cook berührt. Aus den Logbüchern,
die kürzlich in beispielhafter Form durch Beaglehole ediert worden sind15), geht her-
vor, daß am 13. März 1774 zunächst die Reede von Hotu Iti erreicht, am folgenden
Tag dann Südküste und Südwestkap umfahren und schließlich ein mehrtägiger
Ankerplatz in der „Cooks Bay“ (— Reede vor der Westküste bei Hangaroa) bezogen
wurde. Mit anderen Worten; Die Dreimaster „Resolution“ und „Adventure“ erschie-
nen effektiv gut beobachtbar im Blickfeld jener Küstenabschnitte, die — geritzt oder
gemalt — europäische Vollschiffe dauerhaft notierten. Takelage und Silhouette beider
Schiffe passen nicht schlecht zu den Osterinseldarstellungen. Ich halte es für nicht aus-
geschlossen, daß die „Flagge“ des Dreimasters von Ana Hanga Tuu Hata nach dem
Vorbild der britischen Fahne entstand. Das langgezogene und spitzzulaufende Vor-
schiff etwa von den Rano Raraku und Motu Nui-Belegen kann zwanglos als Bug-
spriet mit Klüverbaum interpretiert werden, wie dies Cooks Schiffe in den Aquarel-
len von Hodges deutlich zeigen16). Wir schlagen vor, zumindest die petroglyphischen
Dreimastermotive in der Osterinselkunst auf das Jahr 1774 zu datieren, während ein
Teil der Felsmalereien auch spätere Schiffsbesuche (wie Walfänger im 19. Jahrhun-
dert?) wiedergeben dürfte. Als Curiosum sei vermerkt, was La Perouse berichtet17),
der 1786 mit zwei Fregatten kurzfristig die Cooks Bay anlief: Tauchende Oster-
insulaner schnitten den Anker vom Beiboot der „Astrolabe“ ab und stahlen ihn;
vielleicht fällt von hier ein Licht auf die Motivation zu Ankermotiven bei den
Schiffsdarstellungen von Motu Nui und vom Rano Raraku . . .
Wie steht es nun mit sonstigen Darstellungen von Booten mit Mast und Segel?
Für unseren „Einmaster“ von Tuu Hata sind zwei Vergleiche heranzuziehen: Mul-
loy18) bildet eine Petroglyphe vom Ahu Vinapu 2 ab, leider ohne Umzeichnung.
Der Schiffskörper ist ungewöhnlich kurz und erinnert — nach der nicht sehr deut-
lichen photographischen Aufnahme — fast an eine liegende Acht. Der hohe Mast ist
mit drei rechteckigen Rahsegeln besetzt. Die Takelage steht in einem krassen Miß-
verhältnis zum Rumpf des Bootes; sie wird aber organisch verständlich, wenn wir
die Petroglyphe als Frontalansicht eines (europäischen) Schiffes interpretieren. Die
Bucht von Vinapu stellt eine bevorzugte Reede bei nordwestlichen Winden dar und
wird als geschützter Ankerplatz bis in die Gegenwart von Segelschiffen angelaufen.
Schwierigkeiten bestehen vorläufig für die Datierung der Petroglyphe. Mulloy be-
richtet: ’’The northernmost (petroglyph) is apparently a boat with three super-
imposed square sails, and is pecked. Its bottom lies 5 cm above the pavement and
>) Beaglehole 1961, S. 338 ff.
‘) Beaglehole 1961, z. B. Fig. 15 und 16.
') Forster & Sprengel 1799, S. 209.
!) Mulloy, AEI PI. 12 a sowie Text S. 117.
122
Thomas S. Barthel
55 cms below the talus surface. These petroglyphs could have been made either in
Early or Middle Period times, but probably not later, as the surfaces would have
been covered by talus.“ Für die Deckschichten läßt sich vielleicht Klärung schaffen,
wenn der Rest von Ahu Vinapu 2 später einmal ausgegraben wird. — Ferdon fand
die Abbildung eines Bootes mit durchbrochenem rotem Rumpf, während Mast und
Rechtecksegel mit weißer Farbe auf den Fels aufgetragen waren (Abb. 3 g). Ursprüng-
lich gehörte nur das untere Rechtecksegel mit seinen beiden roten Haltetauen zum
Schiffskörper; später wurde der Mast ungenau nach oben verlängert und mit einem
weiteren Rechtccksegel, schmalem Adnex an dessen linker Seite sowie zusätzlichem
Tauwerk versehen. Ferdon meint, das ursprüngliche, also einzelne Rechtecksegel sei
nicht notwendigerweise europäisch. Das mag zutreffen, doch wollen wir die Frage
offenlassen, zumal ungeklärt bleibt, weshalb der Maler zusätzliche Takelage auf-
stockte. — Ein weiterer Einmaster (Abb. 3 h) erinnert an hochkantige Sprietsegel
im Stil des alten Tahiti oder Hawaii, doch ist die fragmentarische Darstellung leider
nicht beweiskräftig19).
Höchst bemerkenswert erscheint schließlich ein Boot, das an seinem Mast unter-
halb der Mitte eine rote Scheibe trägt (Abb 3 i). Das gleiche Motiv begegnete uns
schon bei dem unbesegelten Dreimaster von Orongo, und es kehrt anscheinend wieder
in Gestalt einer Petroglyphe auf dem Leib des Moai Nr. 104, die von Smith in Ahu
Te Pito Te Kura entdeckt wurde20). Es handelt sich um die größte je auf einem Ahu
errichtete Figur (bei fast 10 m Länge wird ihr Gewicht auf über 80 t geschätzt), die
als letzte Ahufigur überhaupt erst gegen 1840 umgestürzt worden sein soll. Smith
nimmt aus typologischen Gründen an, daß dieser Moai aus der Schlußphase der
Statuenherstellung stammt, und ich pflichte ihm darin bei. Demnach kann die Petro-
glyphe frühestens wohl aus dem 17. Jahrhundert, ebensogut aber auch aus dem
19. Jahrhundert stammen; da unter dem Körper der umgestürzten Figur ein proviso-
rischer Unterschlupf ausgebaut wurde, muß bis in historische Zeit mit Möglichkeiten
der Einzeichnung gerechnet werden. Der Rumpf des Fahrzeuges ist an einem Ende
stumpf, am anderen läuft er spitz aus und wird mittschiffs durch einen vertikalen
Strich geteilt (Abb. 3 j). Der größere Mast erreicht den scheibenförmig reliefierten
Bauchnabel der Steinfigur und setzt sich darüber hinaus noch ein kleines Stück fort;
der kleinere Mast tangiert mit seiner Spitze die Nabelscheibe an ihrem rechten Rand.
Beide Masten ragen kurz über die untere Begrenzung des Bootskörpers hinaus, was
technisch unverständlich bleibt. Ausgangspunkt zur Einritzung der Petroglyphe bil-
10) Europäische Boote gelangten um 1850, tahitische Boote um 1880 auf der Oster-
insel in Gebrauch. Die ersten einmastigen Wasserfahrzeuge, mit denen die Oster-
insulaner in protohistorlscher Zeit in Berührung kamen, dürften die besegelten
„lanchas“ des spanischen Geschwaders gewesen sein, die 1770 die Osterinsel um-
fuhren und ihre Küstenlinie und -gewässer vermaßen (vgl. Hervé bei Gonzalez
1908, S. 121, 122 und 124). — Es fällt auf, daß bisher keine Darstellungen von
Booten mit Kuttertakelung gefunden worden sind.
20) Smith, AEI Fig. 57 und S. 203.
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
123
dete offensichtlich die vorgesehene Scheibe, die „umfunktioniert“ mit dem Großmast
eines Bootes in irgendeinen Sinnzusammenhang gebracht wurde.
Das eigentümliche „Scheibenmotiv“ ist also bisher von drei Schiffsdarstellungen
bekannt und findet sich sowohl bei ein- wie bei zwei- und dreimastigen Fahrzeugen.
In den Malereien von Orongo ersetzt die Scheibe die untere Rahe des Großmastes
oder erscheint beim Einzelmast unterhalb der Mitte; in Te Pito Te Kura sitzt sie eben-
falls am Großmast, jedoch wesentlich höher, und wird von dem auffällig engständigen
zweiten Mast seitlich erreicht. Generell läßt sich sagen: Wo die Rundscheibe auftritt,
fehlen andere Segel an dem betreffenden Fahrzeug. Ferdon bezweifelt, ob solche
„centralized disks“ nach Form und Größe überhaupt Segel darstellen können und
hält einen symbolischen Wert für möglich. Wir wollen im folgenden unbefangen eini-
gen Deutungsansätzen nachgehen.
1. Ist das Scheibenmotiv des Moai Nr. 104 nur zufällig mit dem Nabel identisch
oder verbirgt sich hinter der Formenverwandtschaft ein tieferer Sinnzusammenhang?
Bei den Osterinsulanern genoß der Nabel (pito) bekanntlich ein erhebliches Interesse:
Mit dem Nabelabbinden war die erste wichtige Zeremonie im Leben des Neugebore-
nen verknüpft, ein wohlgestalteter Nabel gilt noch heute als Merkmal guter Rasse,
und eine sorgfältige, nahezu liebevolle Ausgestaltung des Nabels zu runden Scheiben
läßt sich auf vielen großen Steinfiguren beobachten; auch Rongorongotexte lassen
den Nabel nicht unerwähnt. Eine Gedankenrichtung freilich, die von pito auf „Boot“,
„Mast“ oder „Segel“ zielt, habe ich weder in der Osterinselkultur noch bei Stichpro-
ben für andere ostpolynesische Inseln finden können.
2. Handelt es sich bei der Scheibe um einen realen (runden oder kreisförmigen)
Gegenstand, der am Mast angebracht wurde? Einfache Bootspetroglyphen weisen mit-
unter an ihren Steven bogen- oder halbmondförmige Objekte auf, die von den Ein-
geborenen als Netze mit Rahmen gedeutet werden; eine größere Ähnlichkeit besteht
jedoch nicht-1).
3. Beim gegenwärtigen Stand der Untersuchung neige ich vorläufig zu einer ganz
anderen Interpretation: Wir wollen die kreisförmige Scheibe als Bild eines Himmels-
körpers, nämlich der Sonne, verstehen. Wir denken dabei allerdings nun nicht an
sakrale „Sonnenschiffe“, die etwa von Skandinavien oder Ägypten über Indonesien
den Weg in die Südsee gefunden hätten22), sondern an die linguistische Tatsache, daß
in Polynesien die Bezeichnungen für „Sonnee< und „Segele< lautgleich sind. Von Tonga
bis Mangareva, von Neuseeland bis Hawaii heißen „Sonne“ und „Segel“ gleichermaßen
la (bzw. ra, ra'a). Der Terminus für „Segel“ läßt sich bis in das Uraustronesische als
21) Wohl nicht in diesen Zusammenhang gehören Objekte am Mast von „Seelen-
schiffen“ auf südsumatranischen Geweben [vgl. unsere Abb. 7 d von einem Kroe-
Schiffstuch nach Steinmann 1941, Tafel 75; Steinmann schreibt S. 175: „Die vier-
eckige Ausbuchtung in der Mitte des Pfahls repräsentiert zweifelsohne den Platz,
in welchem sich die Urne oder der hl. Topf (belangga) befindet, der die Knochen
und den Schädel des Toten enthält“].
124
Thomas S. Barthel
* lajaR zurückverfolgen22 23), reicht also in eine Zeit vor die Besiedlung Polynesiens.
Wir halten es dem Sprachgeist und Denkstil der Osterinsulaner durchaus für adä-
quat, wenn sie mit dem graphischen Abbild der Sonnenscheibe im Rebusverfahren die
gleichlautende archaische Bezeichnung für „Segel“ ausgedrückt haben sollten. Man
wird einwenden, daß in Rapanui-Vokabularen ra’a nur in der Bedeutung „Sonne,
Tag“ belegt sei. Das trifft zwar für die historischen Wörterbücher zu, nicht aber für
Rongorongotexte, in denen Sprachgut der Hotu Matu’a-Einwanderer und die Geistes-
welt der „klassischen Periode“ gleichsam konserviert auf uns gekommen sind. So
spricht beispielsweise die Tafel Aruku Kurenga von einem „Segelmast des Bootes,
der gebrochen ist“24), und die Große Santiagotafel vom „Segel des Bootes, das abge-
schnitten ist“25) (Abb. 6 a und 6 b). Auf einen anderen Text kommen wir weiter
unten zurück.
Wir wollen abschließend noch erörtern, was der sprachliche Befund im Rapanui
für „Segel“ hergibt. Brown schrieb 1924 nach seinem fünfmonatigen Besuch auf der
Osterinsel: ”. . . it is well known that no canoe large enough to carry sail was ever
made or used on the island; there is no native word for sail in the language, though
the vocabularies give compounds that are supposed to express „jib“ or even „royal“;
they are of post-European Tahitian manufacture“26). Diese Aussage kann nicht un-
widersprochen hingenommen werden. Das Wörterbuch von Pater Roussel (auf das
allein Brown anspielen kann) wurde zwischen 1866 und 1870 abgefaßt, während
eine Gruppe von Tahitianer erst nach 1877 auf Betreiben von Salmon und Brander
zur Osterinsel kam. Gerade das tahit. Wort für „Segel“ aber (’ie, = kie auf Manga-
reva und in den Cookinseln) fehlt absolut im Vokabular der Osterinsulaner, die sonst
zahlreiche Tahitismen absorbiert haben. Frühe wie späte Missionare notieren für
„Segel“ einheitlich das Wort kahu27), dessen Grundbedeutung im Rapanui „Gewand,
mantelartiger Umhang“, dann auch jeder größere gewebte Stoff ist. Für die letzten
22) Dem Tübinger Ägyptologen H. Brunner bin ich für Informationen über altägyp-
tische Sonnenschiffe dankbar. Unsere Abb. 7 c (Ausschnitt aus einem Totenbuch-
text) nach Almgren 1934, Abb. 29 a. Unsere Abb. 7 a und 7 b (Felsbilder von
Tose bei Bohuslän) nach dem gleichen Verfasser. Zur Diskussion der Felsbilder
in Skandinavien und Nordafrika vgl. auch Schultz 1931.
23) * lajaR (nach Pukui-Elbert 1957, S. 173; bei Dempfwolff 1938, S. 89, in alter
Umschrift).
24) Bv 8: 1-8-22-16 = toko -ra’a-vaka-hati. —Vgl. Maori tokotu (’’mast of a canoe“,
wörtlich „aufgerichteter Stab“) mit Rapanui tuu.
25) Hv 6: 8-22.52 = ra’a-vaka motu.
26) Brown 1924, S. 69.
-') Roussel (bei Churchill 1912, S. 212) und Englert 1948, S. 456; kahu orunga
(“royal sail“, wörtlich „oberes Tuch“); kahu nui (”fore sail“, wörtlich „großes
Tuch“) und kahu vaka (’’vela de una embarcación, velamen“, wörtlich „Boots-
tuch“),
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
125
100 Jahre, in denen die Osterinsulaner tatsächlich nur mit gewebten Stoffsegeln zu
tun hatten, ist der Terminus sinnvoll, weil materialgerecht. Für ein älteres Stadium
erscheint mir der sekundäre Gebrauch des Wortes moenga wichtig: Dessen Grund-
bedeutung „Matte“ bezog sich in der Regel auf die „Schlafmatte“, daneben aber
anscheinend auch auf rechteckige einfache Segel aus Binsenmatten. Bekanntlich sind ja
in Polynesien die Segel aus Matten (vorzugsweise Pandanus) verfertigt worden; auf
der Osterinsel stand als Rohstoff Scirpus totora zur Verfügung28 29). Bemerkenswerter-
weise nannten die Marquesaner gewisse Segel (aus Matten von Kokosblättern) eben-
falls moena-9). Wir vermuten, daß die Terminologie für „Segel“ im Rapanui folgende
Geschichte hat: Die Hotu Matu’a-Einwanderer brachten den gemeinpolynesischen
Ausdruck ra’a zur Osterinsel, der für uns nur noch als Zeichen auf Schrifttafeln und
eventuell als gleichartige Rebuslesung bei gewissen Schiffsdarstellungen greifbar ist.
Schiffspetroglyphen auf der Osterinsel: Darstellungen von ein-, zwei- und dreimasti-
gen Segelfahrzeugen nebst bevorzugten Ankerplätzen europäischer Segelschiffe im
18, und 19. Jahrhundert.
28) Heyerdahl 1957, S. 215, für Rechtecksegel aus Binsenmatten. — Über die gelegent-
liche Verwendung von Schlafmatten als provisorische Rechtecksegel in Aitutaki
und den Tuamotu vgl. Hiroa 1944, S. 201.
29) Handy 1923, S. 159.
Thomas S. Barthel
Die Nutzung lokaler Hilfsquellen für einfache Mattensegel fand in der Begriffsaus-
weitung von moenga ihren Niederschlag. Die historische Zeit kannte nur noch Segel
aus gewebtem Stoff und verwendete dafür das angemessene Wort kahu.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Darstellungen von Dreimastern und
Rechtecksegeln an mehreren Rahen auf europäische Vorbilder der protohistorischen
Zeit zurückzuführen sind. Vorsichtige Hinweise auf autochthone Bauelemente sind
möglicherweise durch die asymmetrische und sichelförmige Gestalt einiger Boots-
körper sowie vielleicht in der Besegelung von Einmastern in Orongo-Malereien ge-
geben. Stichhaltige Beweise für eigene hochseetüchtige Wasserfahrzeuge können aus
dem hier besprochenen Material nicht erbracht werden.
2. Der Fund von Pu Hakanim Mako’i
Unweit der Westküste, eine Wegstunde nördlich des Dorfes Hangaroa, befindet
sich unmittelbar neben der westlichen Einfassungsmauer der Aussätzigenstation eine
Gruppe von Petroglyphen, die bisher noch nicht beschrieben worden ist und von
mir im Oktober 1957 aufgenommen wurde. Die Zeichen sind eingekerbt in eine große
horizontale Schichtplatte erstarrter Lava, die an mehreren Seiten abgebrochen ist,
deren Oberfläche verschiedene Grade der Verwitterung oder Abnutzung aufweist und
im Zentrum ein unregelmäßiges, wohl erst in historischer Zeit geschaffenes Loch be-
sitzt. Benachbart zum Ort der Petroglyphen finden sich drei runde Vertiefungen im
Gestein, mit je 4 cm Durchmesser bzw. Tiefe, wobei der Abstand von der mittleren
Aushöhlung bis zu den Nachbarlöchern 21 cm bzw. 24 cm beträgt. Die drei Ver-
tiefungen liegen in einer Ebene und bilden eine Fluchtlinie, die überdies durch einen
flachen Verbindungsstrich markiert wird. Das ganze Dreiersystem ist nun fast genau
in Nord-Süd-Richtung orientiert. Ein Nachprüfen der Visierlinie mit Stäben erbrachte
für den nördlichen Horizont keinen auffälligen Geländepunkt; hier bliebe noch zu
erkundigen, ob nicht allenfalls der Mittagsstand der Sonne ein interessantes Datum
liefert. Nach Süden peilt man am Westhang des Rano Kau genau die Küstenlinie an
bei Ihu Mataveri-o-tai A Taura Akavenga Nuahine. Das ist ein Kap, dessen Name
wörtlich sagt: „Die wie eine Nase vorspringende Landspitze an der Küste von
Mataveri, welche der alten Frau gehört, die mit einem Strick ihre Last auf dem
Rücken trägt“30). Der ganze Ort führt den Namen Pu Hakanini Mako’i, und man
ist zunächst geneigt, an eine rein ätiologische Benennung für die runden Vertie-
fungen als „Löcher zum Kreiselspielen“ zu denken31).
Die Petroglyphenkomposition zerfällt in drei Bestandteile: Ein Bootsmotiv, eine
Gruppe von Vögeln und eine unvollständige Fischdarstellung (siehe Abb. 4). Das
doppelt gekurvte Boot erreicht eine Gesamtlänge von 300 cm, während der Boots-
30) Zum Verständnis dieses Toponymion vielleicht wichtig: Kleine Skulptur einer
Frau, die einen Fisch mit einem Tragband auf ihrem Rücken trägt (Heyerdahl
1957, 3. Tafel nach S. 224 sowie Text S. 353), und der ”path for carrying fish“
längs der Küste (Routledge 1919, S. 198).
31) Barthel 1961, S. 31.
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
12 7
Abh. 4. Bootspetroglyphe von Pu Hakanini Mako'i (umgezeichnet nach vier Photo-
graphien durch H. Fischer).
körper in der Mitte bis zu 30 cm stark ist. Die Konturen der kleinfingerbreiten
Linien sind nicht überall gleich deutlich auszumachen. Der Rumpf des Fahrzeuges ist
gleichsam zweiteilig übereinander montiert; Das untere Linienpaar endet rechts in
einer hakenartigen Krümmung und zerfasert links in einem breiteren Saum; das
obere Linienpaar ist in seiner rechten Begrenzung zwar nicht ganz vollständig, dürfte
aber einen ähnlichen Abschluß besessen haben. Nach links erhebt sich ein mächtig
gewölbter Steven, den mein einheimischer Begleiter als oho o te vaka, also als „Bug“,
verstand. Ihn krönt, in den Worten dieses Informanten, „ein Vogelkopf mit großem
Auge“. Eine solche Bestimmung könnte zutreffen, auch wenn die ornithologische Ein-
ordnung Schwierigkeiten macht, zumal die Scheitelpartie nicht mehr vollständig zu
erkennen ist. Vom Steven auf das Bootsinnere zu erstreckt sich eine unbestimmte
Volute. — Die Vogelgruppe läßt sich nach Kehllappen, Gestalt und Schwanzfedern
eindeutig als Hähne bestimmen. Zwei Hähne befinden sich noch halbwegs in dem
gekurvten Bootskörper; drei andere blicken ihnen entgegen. Möglicherweise befand
sich auf der Oberfläche der Lavaplatte ein sechster Hahn, doch sind die Spuren zu
verwischt (verwittert oder eingeebnet?), um eine gültige Aussage machen zu können.
Die Tiere sind zwischen 55 und 70 cm groß, und eine gewisse Sonderung ist unver-
kennbar. Die beiden Hähne rechts außen ähneln einander stark durch ihren betont
emporgewölbten Kamm(?), während die anderen drei Hähne mit vergleichsweise
unscheinbarerer Kopfform zusammenzugehören scheinen. Allen aber ist gemeinsam,
128
Thomas S. Barthel
daß sie eine Art Federkrone tragen. — Die ostwärtige Begrenzung der Szene bildet
ein großer Fisch, dessen vordere Hälfte leider abgebrochen ist. Sein sichelförmiger
Schwanz ist 75 cm breit, die Länge des erhaltenen Körpers beträgt 100 cm. Die sehr
charakteristische Schwanzform hilft uns vielleicht weiter bei der Rekonstruktion: Der
Vergleich mit anderen Fischpetroglyphen läßt an einen Hai32) oder an einen Wal33)
denken. Jedenfalls handelt es sich um einen mächtigen Meeresbewohner und nicht um
den üblichen Thunfisch (kahl), der in den Felszeichnungen der Osterinsel relativ
häufig dargestellt wird.
Wie ist die einzigartige Vergesellung zwischen einem Boot und einer Gruppe von
(mindestens) fünf Hähnen zu verstehen? So hoch die einstige Rolle des Haushuhnes
in der Osterinselkultur als Wirtschaftsfaktor und bedeutsames Geschenk- und Opfer-
ticr auch einzuschätzen ist, so überaus selten sind doch künstlerische Wiedergaben
dieses Tieres. Die Hahnenpetroglyphen stehen jedenfalls meines Wissens einzigartig
da, und der Verdacht drängt sich auf, daß es mit ihnen eine besondere Bewandtnis
gehabt haben muß. Die Kenntnis des Repanui hilft hier weiter; denn dieses Idiom ist
voller Wendungen, die ihre Bildhaftigkeit aus der Hühnerwelt nehmen und auf das
menschliche Leben übertragen. „Einem geraubten Huhne gleicht der Mensch“ (moa
toke he tangata) drückt die Weisheit von der Unsicherheit menschlicher Existenz aus;
das Verhältnis zwischen dem Inselkönig und seinem Volke wird verglichen mit einer
Glucke, die ihre Küken ruft (he hakakuu ki te ariki), und die Formel für die Über-
gabe der Braut (nanangi reke) besagt nichts anderes als das „Markieren von Eigen-
tumszeichen an den Zehen eines Huhnes“. Ein „Küken“ (maanga) ist ein Adoptivkind,
eine „Henne“ (uha) entspricht der heiratsfähigen Tochter ebenso wie der geliebten
Ehefrau, und ein „Hahn“ (moato’a, oft einfach nur moa) bezeichnet den erwachsenen
Sohn oder einen kämpferischen Jüngling34). Solche Art der Benennung findet sich
auch auf anderen Inseln Ostpolynesiens: So gelten in Hawaii die Ausdrücke „Hahn
mit scharfen Sporen“ (moa käkala) und „Streithahn“ (moa mahi) einem erfolgreichen
Krieger, und Tahiti belegt die gleiche Ideenverbindung zwischen kampftüchtigen
Hähnen und kühnen Kriegern mit so bezeichnenden Namen wie moa pateatoto oder
moa taratua35). Für das Verständnis der Petroglyphen von Pu Hakanini Mako’i er-
halten wir in der Identifizierung der „Hähne“ als junge Männer einen überraschenden
Schlüssel: Ein Boot, dessen Besatzung aus einer Gruppe von Jünglingen bestand, ist
nämlich in den mündlichen Überlieferungen der Osterinsulaner unverwechselbar mit
einem besonders wichtigen Ereignis der Einwanderung verknüpft! Wir stoßen hier
32) Vgl. Lavachery 1939, besonders Petroglyphe Nr. 5 (am Rande eines Manavai,
500 m landeinwärts vom Ahu Tepeu, westlich des Ahu Ative am Saumpfad nach
Hangaroa), von Juan Tepano als niuhi bzw. mamama niuhi erklärt, sowie Nr. 162
(Haifisch landeinwärts von Hanga-o-Hoonu).
33) Vgl. Heyerdahl, AEI PL 89 a und S. 459 (Fundort beim Ahu Naunau inAnakena).
Nach Heyerdahl 1957, S. 193, allerdings ebenfalls mamama niuhi benannt!
34) Beispiele aus Englert 1948 passim.
35) Pukui-Elbert 1957, S. 229; Jaussen 1949, S. 152 (’’intrepide guerrier; guerrier“).
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
also, völlig unerwartet, auf eine petroglyphische Dokumentation des „Kundschafter-
motives“.
Die ausführliche Analyse und Exegese der Überlieferungsvarianten bleibt einer
größeren Veröffentlichung30) Vorbehalten; hier seien vorgreifend einige relevante
Punkte notiert: Ehe Hotu Matu’a seine polynesische Heimat verläßt, schickt er ein
Boot voraus, das die neue Insel erkunden soll. Die Besatzung des Kundschafterbootes
umfaßt junge Männer aus zwei angesehenen Familien: Ira, der meisterliche Anführer,
und sein jüngerer Bruder Raparenga sind Söhne des Hau Maka; Kuukuu, zwei oder
drei weniger profilierte Brüder und Mako’i als Letztgeborener stammen von Huatava
ab. Nach mehrwöchiger Fahrt in Richtung der aufgehenden Sonne landet das Boot
in Hanga Te Pau an der Südwestküste der Osterinsel. Von hier aus wird nach Osten
die Insel zu Lande umwandert. Kuukuu, Huatavas Erstgeborener, kommt bei einer
undurchsichtigen Episode am Strand von Anakena, der späteren Residenz des Insel-
königs, ums Leben. Die übrigen Kundschafter begegnen nördlich vom Rano Kau
einer Vorbevölkerung37) und erwarten dann Hotu Matu’a, der einige Monate später
mit einem großen Doppelboot und seinen Siedlern landet. Für uns sind einige weitere
Details interessant: Die Kundschafter kehren nämlich, nachdem Hotu Matu’a sich auf
der Osterinsel etabliert hat, mit ihrem Boot wieder in ihre alte Heimat zurück. Nur
einer der jungen Männer bleibt im Lande; nach einer Quelle38) handelt es sich um
Ringiringi, nach einem gewichtigeren Dokument39) um Mako’i — jedenfalls stets um
einen der Huatava-Brüder. Dieser Mako’i nun steht, den Überlieferungen zufolge, in
einem merkwürdigen Spannungsverhältnis zum Kundschafterführer Ira, entsprechend
jenen Antagonismen zwischen Erstgeborenem und Letztgeborenem, wie sie noch im
heutigen Hangaroa zu beobachten sind. Er rebelliert gegen die Landansprüche der
Hau Maka-Familie auf die neuentdeckte Insel und scheint Kenntnisse des Schreibens
auf Bananenblättern, der Rezitation zu Fadenspielen und der Funktion gewisser
Steinfiguren besessen zu haben40).
Vereinzelte Aussagen über das Boot der Kundschafter sind reichlich kryptisch.
Routledge formuliert ”each (men went) on a piece of wood“41); Brown hat ”a canoe
named Oraorangaru“, was er mit ’’Saved from the billows“ übersetzt42), und Metraux
gibt den Namen Te Oraora-Miro43). Diese Bezeichnung wurde von den Osterinsula-
Barthel, „Untersuchungen zur Kultur der Osterinsel“, Ms.
Barthel 1960.
Englert 1939, S. 36—37.
Ms. E fol. 86.
Ist ein Zufall, wenn gerade sein Name Makd’i in dem Toponymion Pu Hakanini
Mako’i enthalten ist? Überdies geht der Blick von den Petroglyphen der Kund-
schafter mit ihrem Boot gerade nach West bzw. Westnordwest auf das Meer, also
in jene Richtung, wohin die übrigen Kundschafter zurückfuhren, während Mako’i
auf der Osterinsel verblieb.
Routledge 1919, S. 278.
Brown 1924, S. 40.
Metraux 1940, S. 57—58.
130
Thomas S. Barthel
nern des Jahres 1934 bereits nicht mehr verstanden, und die von Metraux angeführte
moderne Bedeutung von oraora als ’’garbage, excrement, dirty things“ erlaubt auch
kein rechtes Verständnis. In allen drei Fällen scheint übrigens die Information über
den Bootsnamen auf Juan Tepano zurückzugehen; andere Quellen sprechen nur all-
gemein von einem „Boot“ (vaka) und geben keine weiteren Details. Die Schwierig-
keiten, den Namen des Kundschafterbootes richtig zu verstehen, liegen in dem Be-
standteil oraora, einer Reduplikation von ora, das in den polynesischen Dialekten
sehr verschiedenartige Bedeutungen umschließt. Wir fassen oraora verbal auf und
bewerten das Kompositum als parallel zu Wortbildungen wie pare-ngaru (Maori:
„Was die Wellen abwehrt“, das heißt der erhöhte Plankenbord eines Bootes), tere-’ aru
(Tahiti: „Was durch die Wogen fährt“, das heißt ein Boot im schweren Seegang) oder
he’e-nalu (Hawaii: „Was auf den Wellen gleitet“, das heißt Wellenreiten auf einer
Planke). Oraora-ngaru dürfte demzufolge mit „Was wie ein Keil die Wogen teilt“
zu übersetzen sein. Te Oraora-miro hat man vielleicht als ,,Die keilförmig zugespitz-
ten (oder: fest zusammengebundenen) Hölzer“ zu verstehen44). Namen dieser Art
würden zu den Konturen unserer Bootspetroglyphe passen. Wir interpretieren die
„zweistöckige“ Zeichnung so, als säße über dem eigentlichen Bootskörper ein weiterer
Aufsatz, etwa in der Art eines Plankenbordes auf einem großen Einbaum. Der
ornithomorphe Steven andererseits ruft ein Detail in den Aufzeichnungen des Pater
Roussel ins Gedächtnis, wenn er vom Doppelboot des Hotu Matu’a sagt, ”the bows
raised high like the neck of a swan“45 *). Selbstverständlich kannten die Osterinsulaner
keine Schwäne; sie mußten aber in der Lage gewesen sein, dem Missionar eine ver-
gleichbare Beschreibung zu geben. Eine petroglyphische Darstellung wie die unsere,
aus alter Zeit überkommen, hätte sich ihrem Gedächtnis als vorzügliches Muster zur
Illustration angeboten.
Aber wir brauchen in unseren Schlußfolgerungen nicht stehen zu bleiben bei der
bloßen Verknüpfung eines graphischen Motivs mit mündlich überlieferter Insel-
historie. Mit dem Rang einer schriftlichen Quelle treten in diesem Zusammenhang
zwei Passagen in Rongorongotexten, die vom Kundschafterboot als dem „Boot der
Hähne (das heißt der jungen Männer)“ (vaka moa) handeln. In Zeile 2 der Tafel
Aruku-Kurenga steht40):
(Ko te) koro (o te) vaka Das ist das Fest vom Boot
(o te) moa hau kura der „Hähne“ mit den kostbaren Federkronen
(he) koti (te) vaka (o te) moa Zerschnitten ist das Boot der „Hähne“
44) Churchill 1912, S. 98, mit Vergleichsmaterial zum Rapanui. [Wichtig: ora (Maori,
Mangareva) ”a wedge; to wedge up“; olaola-ati (Samoa) ’’the wedge of a hatchet
helve“. Andererseits in Tahiti ora auch ”to twist, to lash together the parts of a
canoe“.]
45) Zitiert nach Metraux 1940, S. 61.
40) Br 2: 300.22-430-59 f-600-17-22-430. Hier wie Im folgenden Text sind die gram-
matischen Partikeln, welche in der Schrift bekanntlich fehlen, in Parenthese er-
gänzt; die Stichwörter entsprechen den Einzelzeichen.
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
131
Jetzt wird verständlich, weshalb die „Hähne“ von Pu Hakanini Mako’i ganz
„unnatürlich“ eine Federkrone auf dem Kopf tragen: Es sind eben keine beliebigen
Tiere, sondern Jünglinge mit kostbarem Federschmuck!47) Die Klage von dem „zer-
schnittenen“ Boot dürfte überdies weniger einer effektiven Zerlegung des Fahrzeuges
als der (überlieferten) Zwietracht von Ira und Mako’i, also zwischen den Söhnen
zweier Familien innerhalb einer Bootsbesatzung, gegolten haben48).
Auf der Großen Santiagotafel heißt es in einer besonders ausführlichen Fassung
der sogenannten „Großen Tradition“49);
(He) ea (te) kapa Es erhebt sich der Lobgesang
(mo te) vaka (mai te) henua (o te) rnoa für das Boot aus dem Land der „Hähne“
(mo te) vaka kapakapa (o te) moa für das vortreffliche Boot50) der „Hähne“
(mo te) vaka (o te) tangata vae für das Boot der ausgewählten Männer
Ohne die Petroglyphen von Pu Hakanini Mako’i und ohne ausführliche orale Tra-
ditionen wären die telegrammstilhaften Stichwörter des Rongorongotextes für uns
praktisch unverständlich geblieben.
Der Hinweis auf ein Fest für das Kundschafterboot läßt nun Berichte über die
sogenannten „Erd-Schiffe“ (miro-oone) in einem neuen Lichte erscheinen. Dabei han-
delt es sich um längliche und schmale Erdaufschüttungen in verschiedenen Teilen der
Insel, die Schauplatz von Aufführungen und Gesängen waren, in denen man das
Verhalten einer Schiffsbesatzung nachahmte. Ferner sollen in großen Festhäusern
47) Über Federkopfputz vgl. Barthel 1962.
48) Sollte die erkennbare graphische Unterscheidung der „Hähne mit dem Federkopf-
putz“ in zwei Arten der Zweiteilung in Söhne des Hau Maka und Söhne des
Huatava entsprechen? Wir hätten dann in dem besonders schönen „Hahnenpaar“
rechts wohl die beiden vornehmen Brüder Ira und Raparenga zu sehen. Für
Mako’i als den Jüngsten könnte man an den kleinsten Hahn in der Mitte denken;
links davon befänden sich dann zwei seiner Brüder. Falls die Fünfzahl der
„Hähne“ ursprünglich ist, scheint Kuukuu fortgelassen zu sein — verständlicher-
weise, weil er der Überlieferung nach bereits an der Nordküste umkam, also ehe
die Kundschafter auf ihrem Landwege die Westküste erreichten.
49) Hv 9: 93-608-22-50-430-22-608-430-22-200.60. Weitere Belege für den Gang die-
ser Entzifferung bei Barthel „Forschungen und Fortschritte bei der weiteren Ent-
zifferung der Osterinselschrift“, Ms.
50) Die Rongorongo-Yersion vom „vortrefflichen Boot“ erscheint auf der Osterinsel
auch petroglyphisch: Lavachery 1939 bildet unter Nr. 220 den Fregattvogel mit
schlagenden Flügeln (= Schriftzeichen 608 mit dem Lautwert kapa resp. kapakapa)
ab, von dessen Schwinge eine Punktlinie zu einem Osterinselboot mit hohem Vor-
dersteven führt (siehe unsere Abb. 6 e). Die Felszeichnung befindet sich in der
Nordwand der Werkstätte am Außenhang des Rano Raraku, in welcher die extrem
große Statue Te Tokanga (= Routledge Nr. 41 bzw. Englert Nr. 230) liegt. Da
solche Megalomanie in die Schlußphase der Bildhaueraktivität gehört, dürfte die
intrusive Petroglyphe (Miru-Provenienz?) kaum älter als das 17. Jahrhundert sein.
132
Thomas S. Barthel
mehrere Boote mit Masten nachgebaut worden sein. Während Métraux das ”feast of
the ship“ für ’’possibly very recent“ hält, sprechen sich Routledge und Englert für
eine Tradition aus, die durch das Erscheinen europäischer Schiffe entstanden sei51).
Auch wir sind der Auffassung, daß die großen Segelschiffe des 18. Jahrhunderts, mit
denen eine längere Zeit der Isolierung dramatisch beendet wurde, auf die Oster-
insulaner wie ein Schock gewirkt haben dürften. Es entspricht durchaus dem theatra-
lischen Naturell und den sonst erwiesenen pantomimischen und musikalischen Bräu-
chen der Eingeborenen, daß jedes besondere Ereignis kommemoriert wurde52). Von
hier aus sind wohl auch die besprochenen Schiffspetroglyphen und -malereien als
Zeugnisse eines Kulturschocks einzuordnen. Wir werden aber zu der Annahme ge-
drängt, daß auch Bootsankünfte in voreuropäischer Zeit gebührend gewürdigt wur-
den; denn wenn die Rongorongoinschrift nun gerade von einem „Fest für das Kund-
schafterboot“ berichtet, so wird dadurch doch impliziert, daß Vorgänge der Einwan-
derung durch institutioneile Gedenkhandlungen gefeiert und überliefert worden sind.
Der Rückblick auf die Einwandererfahrzeuge mutet, verglichen etwa mit der Bewer-
tung und Tradierung von Bootsankünften im Neuseeland des 14. Jahrhunderts,
geradezu als „polynesische Selbstverständlichkeit“ an. Die europäischen Vollschiffe
des 18. Jahrhunderts, angesichts ihrer technischen Überlegenheit und mit der Fremd-
artigkeit ihrer Besatzungen, dürften dann einen zweiten Impuls gegeben haben. Als
Schiffsbesuche in historischer Zeit immer häufiger wurden, verblaßten auch die
Schiffsfeste bis zum „Nur-Unterhaltsamen“. Wir können für diese Frage noch auf eine
Inschrift verweisen, wo von einem koro vaka ra'a die Rede ist53): Ein „Fest des
Bootes mit Segeln“ läßt sich sowohl mit Routledges Informationen wie mit dem oben
diskutierten Scheibenmotiv verknüpfen. Ja, es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß die
Zeichenkombination von „Boot“ (vaka) und „Erde“ (henua) auf zwei Schrifttafeln54)
inhaltlich die sprachlich jüngere Form des „Schiffes aus (aufgehäuftem) Erdreich“
(miro oone) vorwegnimmt.
Das Kundschafterboot, wie es sich petroglyphisch mit seinem hohen Steven dar-
stellt, gehört eindeutig in die Reihe polynesischer Wasserfahrzeuge. Auf der Oster-
insel gibt es außerdem zahlreiche Petroglyphen einfacherer Boote, die im Typus den
ethnographisch beschriebenen Formen55) ähneln; wir geben eine repräsentative Aus-
51) Métraux 1940, S. 351; Routledge 1919, S. 239—240; Englert 1948, S. 301.
52) Zum Theaterwesen der Osterinsulaner vgl. Barthel (im Druck).
53) Bei den Moriori der Chatham-Inseln galt ein zvaka ra als Kultfahrzeug (Skinner,
nach Schori 1959, S. 96).
54) Auf den schon mehrfach zitierten Tafeln das Zeichenpaar 22-50 (Bv2 und FIvlO).
Victoria Rapahango hielt eine Interpretation von vaka henua als „Grabkammern“
für denkbar.
55) Vgl. Métraux 1940, S. 204—208, und Englert 1948, S. 255—257. Bei letzterem
die Sonderung in vaka poepoe und vaka ama. Der größere Typus vaka poepoe
soll für Fahrten nach Motu Matiro Hiva (= Sala y Gomez) und vielleicht als
Vorbild für die bootsförmigen Ahu poepoe gedient haben. Métraux denkt bei dem
vaka poepoe an ein Walboot; meine Informanten verstanden darunter ein „sehr
großes Buendelfloßboot“ (pora nuinui).
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
HmiMxiK
Ahb. 5. Diverse Bootspetroglyphen (nach Lavachery): a) Einzelausleger, b) Steven
mit ao-Gesicht, c) Boot mit Netzrahmen, d) Boot mit Angelhaken, e) Boot mit Fre-
gattvogel, f) gestreckter Bootstyp, g) Buendelfloßboot (?).
134
Thomas S. Barthel
wähl des von Lavachery publizierten Materials und weisen auf den Einzelausleger
(Abb. 5 a) und den gesichtsartigen Schmuck am Steven (Abb. 5 b) hin. Netzrahmen
(Abb. 5 c) und Angelhaken (Abb. 5 d) lassen keinen Zweifel über die Funktion als
Fischerboote aufkommen.
Alle Traditionen über die Einwanderung von Hotu Matu’a sind sich einig darüber,
daß die Seereise durch zwei große Boote bewerkstelligt wurde56 57). Nach Thomson
war jedes Boot 90 Fuß lang und 6 Fuß tief; solche Dimensionen entsprechen den
polynesischen Hochseefahrzeugen37). Nach Roussel waren beide Steven hochgezogen
und achtern gegabelt. Angeblich besaßen die beiden Boote keine Masten, doch können
wir uns eine Seereise über 2000—3000 km Wegstrecke nicht gut ohne Hilfe von
Segeln vorstellen. Auf hoher See waren die Boote zusammengebunden (piri), wurden
aber vor der Küste der Osterinsel voneinander gelöst (onga). Die gleiche Quelle58)
erwähnt ferner, daß man die Boote in der Bucht von Anakena an Land zog, aus-
einandernahm und ihre Hölzer zum Bau von Häusern und Dachgerüsten benutzte.
Nach Routledge hießen die beiden Boote „Oteka“ und „Oua“. Das erste Boot wurde,
nach allgemeiner Auffassung, von Hotu Matu’a selbst befehligt, während die Über-
lieferungen für den Anführer des zweiten Bootes divergieren.
Wenn auch die Erforschung der Petroglyphen und Felsmalereien meines Wissens
für die Frage des Doppelhootes bisher keine zwingenden Belege erbracht hat, so
müssen wir doch Kenntnis davon nehmen, daß Doppelboote — miteinander ver-
bunden oder als selbständiges Bootspaar gezeichnet — in den Rongorongotexten
durchaus vertreten sind (vgl. Abb. 6 e)59). In einem Falle (Ca 5) wird ein Bootspaar
mit zwei Haifischen verglichen; an anderen Stellen tritt das Doppelboot bei einer
Frau (I 8) oder einem Krieger (Hr 5) auf, ohne daß wir die zugrunde liegenden
Traditionen bisher fassen könnten. Ein Doppelboot mit Federguirlande (Bv 3) ent-
spricht durchaus polynesischen Schmuckgepflogenheiten. Schließlich scheinen auf der
Tafel Keiti sogar die Namen von Hotu Matu’as Booten verzeichnet zu sein60).
5C) Eine „Motiv-Vermischung“ liegt vor, wenn Thomson ”a large double canoe“ auf
die Kundschafter unter Machaa (sic!) bezieht.
57) In der Bucht von Anakena werden bestimmte Geländemarken für absolut „fabel-
hafte“ Längen der Einwandererboote (über 1000 m) gezeigt. Immerhin erinnert
ein solches Prinzip an Nachrichten von den Maori, wonach Steinsetzungen die
Länge berühmter Boote festhielten (vgl. Hiroa 1950, S. 46, für das Boot Tainui:
Nachweisliche Länge in Steinsetzung 70 Fuß, Länge in der mündlichen Überliefe-
rung 90 Fuß).
58) Ms. E fol. 74, 84.
59) Barthel 1958, S. 292—293, über Boote in den Texten (nach dem damaligen Ent-
zifferungsstand). Belege für Doppelboot bzw. Bootspaar: Qr5,I 8,Bv3,Sa4 bzw.
Ca5, Pr5, Er7 und Ev8.
60) Der Text Er7 (53-22-22-76-22-22) stellt dem Bootspaar einmal das Zeichen ua,
einmal das Zeichen ure voran. Nun lassen sich die tradierten Bootsnamen „Oua“
und „Oteka“ auf die Wurzeln ua und teka zurückführen, da wir o- als präfigierte
Partikel bestimmen können. Im ersten Falle wären Zeichen 53 (ua) und der Boots-
Schiffsdarstellungen in der Osterinselkultur
135
Wir konnten an Hand von Petroglyphen, Inschriften und Traditionen zeigen,
daß die Boote der Hotu Matu’a-Einwanderer definitiv für eine polynesische Herkunft
jener Kultur zeugen, welche die „klassische Periode“ der Osterinselkultur vom 15.
bis zum 17. Jahrhundert prägte und zur Blüte führte. Über die Wasserfahrzeuge einer
Vorbevölkerung freilich — für deren Existenz es einige Anhaltspunkte gibt, deren
Ahh. 6. Das Boot in der Rongorongoschrift: a) „Segelmast des Bootes ist gebrochen“
(Bv 8), b) „Segel des Bootes ist abgeschnitten“ (Hv 6), c) „Das ist das Fest vom Boot
der Hähne mit den kostbaren Federkronen. Zerschnitten ist das Boot der Hähne“
(Br 2), d) „Es erhebt sich der Lobgesang für das Boot aus dem Land der Hähne, für
das vortreffliche Boot der Hähne, für das Boot der ausgewählten Männer“ (Hv 9),
e) „Fest des Segelbootes“ (Br 8—9), f) Doppelboote und Bootspaare.
ethnische Zuordnung aber umstritten ist — sagen die diskutierten Quellen unseren
Erachtens nichts Stichhaltiges aus. Wer für die „Prä-Hotu Matu’a-Siedler“ eine
Meereswanderung auf Flößen postulieren will, hat sowohl die Forschungsergebnisse
hinsichtlich der Rolle von Flößen in Gesamtozeanien61) zu widerlegen als auch ge-
wichtige Divergenzen (beispielsweise in der Frage von Mast und Segel) gegenüber
südamerikanischen Formen zu erklären. Wer seinen Blick allzu ausschließlich an der
Westküste der Neuen Welt haften läßt, wird leicht blind für die großen Impulse, die
wiederholt von Asien tief in den pazifischen Raum hinein ausstrahlten.
name lautgleich. Die Verbindung zwischen Zeichen 76 (dem Phallussymbol) und
teka läßt sich ideographisch zeigen, da im Hawaii ke’a (Dialektform unseres teka)
u. a. bedeutet ’’male animal reserved for breeding; virile male“. Daß eine graphi-
sche Form in der Rongorongoschrift mehrere sinnverwandte Wörter auszudrücken
vermochte, ist wohlbekannt.
61) Schori 1959. Wir fügen dem noch hinzu: Sowohl der Rohstoff (Scirpus totora)
wie das daraus hergestellte Bündelfloßboot führen mit ngaatu bzw. pora die
gleichen Namen auf der Osterinsel wie bei den Maori in Neuseeland! Die rand-
polynesische Identität von Wort und Sache widerlegt Fokalerfindung oder punk-
tuellen Fremdkontakt; das Problem muß in entsprechender Zeittiefe im Raum
der Marquesas oder Gesellschaftsinseln weiterverfolgt werden.
136
Thomas S. Barthel
Abb. 7. Formenkundliches Vergleichsmaterial: Bootsmotive aus Schweden,
Altägypten und Sumatra.
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Otto Zerries
Eine seltene Keule der Woyawai (Guayana)
im Museo Pigorini zu Rom
Bei einem Studienaufenthalt in Rom Mitte Juni 1962 sah ich im Museo Prei-
storico Etnografico Luigi Pigorini im Schrank „Guayana-Venezuela“ der Schau-
sammlung Naturvölker Südamerikas eine Flachkeule, die sowohl dem allgemeinen
Typus nach als auch in einer charakteristischen Einzelheit auffallende Ähnlich-
keit mit der in Tribus Bd. 10 (1961) S.145 ff. von mir veröffentlichten Guayana-
Keule des Linden-Museums und darüber hinaus mit dem
Zepter der Bibliothèque Sainte Geneviève in Paris Ver-
wandtschaft aufweist. Da hier außerdem im Gegensatz zu den
beiden anderen Exemplaren die genaue Eîerkunft überliefert
ist, erscheint die mit freundlicher Erlaubnis von Herrn Prof.
Dr. V. Grottanelli1) vorgenommene Publikation der Keule des
Pigorini-Museums gleichsam als Nachtrag zu meinem früheren
Aufsatz (Zerries 1961) geeignet, weiteres Licht auf die Her-
kunft dieses speziellen Keulentypus und vor allem des mit ihm
verbundenen Janus-Kopf-Motivs zu werfen. Laut Vermerk auf
dem anhängenden Etikett wurde das Stück vom Museum Pigo-
rini am 16. 4. 1902 in Florenz von Panciatichi Ximenez er-
worben und der Sammlung E. H. Giglioli unter der Nr. 15 137
einverleibt. Auf S. 219 des 2. Bandes des Führers durch die
Sammlung Giglioli ist unter dieser Nummer vermerkt: „Sapa-
kana? clava di jacarandä a forma di pagaia, con due faccie
doppie stilizzate all’impugnatura e un principio di ornato in-
ciso sulla lama. Rarissima! — Dei Woyowai, alto Essequibo,
Guiana inglese.“ Eine Abbildung des Gegenstandes ist dem Ka-
talog nicht beigegeben.
Die nebenstehende Zeichnung, von einem leider nicht re-
produzierbaren Photo abgenommen, zeigt im Maßstab ca. 1 : 7
die Umrisse und wesentlichen Merkmale der insges. 98 cm lan-
gen, im Katalog als rudergestaltig bezeichneten Flachkeule. Der
Schlagteil von ca. 20 cm Breite hat jedoch nach der Definition
Roths (1924) eine breite Dolchform und nähert sich mit seinen
abgerundeten Ecken mehr dem Blatt des Zepters von Sainte
’) Ihm und Herrn Prof. E. Biocca, Rom, gilt mein besonderer
Dank für die liebenswürdige Hilfe bei meinen Studien.
Abh. 1. Keule der Woyawai (Museo Pigorini)
140
Otto Zerries
Genevieve als der rhombischen Klinge der Stuttgarter Keule (vergl. Zerries 1961,
Abb. 1 und 3, S. 146/8). Das im Katalog erwähnte, auf der Zeichnung nicht berück-
sichtigte, eingeschnittene Ornament besteht aus zwei nur schwach sichtbaren konzen-
trischen Kreisen, deren Perfektion die Zuhilfenahme eines europäischen Instrumentes
(Zirkel?) wahrscheinlich macht. Das auslaufende Blatt ist durch eine Querleiste von
dem 45 cm langen Griffteil abgesetzt. Die beiden, wiederum doppelseitigen, iden-
tischen Köpfe sind 6,3 cm hoch und erheben sich auf einer geraden Basis von 12 cm
Breite. Abgesehen von der Gleichheit des Janus-Motivs ist auch der Stil der Köpfe
unverkennbar derselbe wie bei den zwei anderen von mir (Zerries 1961) besproche-
nen Keulen. Vor allem mit dem Stuttgarter Exemplar ist sehr große Ähnlichkeit vor-
handen; hier wie dort die gleiche, vereinfachte Formgebung, die vom Gesicht nur den
breiten Haarkranz (?) und die diesmal vom Scheitel ausgehende rechteckige Nase
wiedergibt. Im übrigen erscheint die Keule des Museum Pigorini wegen ihrer Größe
und dem Mangel an weiteren Verzierungen für den praktischen Kriegsgebrauch durch-
aus geeignet. Als Eigenbenennung dieser Waffe wird in der Katalogbeschreibung „Sa-
pakana“ mit Fragezeichen angegeben, was ich nirgends bestätigt finden konnte; sie
erinnert an die im spanischen Südamerika weitverbreiteten Bezeichnung „Macana“
für die lange, schwertartige Flachkeule. Unter „jacarandä“ versteht man jedoch ein-
deutig das Palisanderholz (Machaerium Allemani Benth. etc.), aus dem die Keule
gefertigt ist. Am interessantesten ist jedoch die Herkunftsbezeichnung „Woyawai“,
eines der Synonyme für den Karaibenstamm der Waiwai, wie es u. a. von Robert
H. Schomburgk (1841) verwendet wird. — Man erinnere sich, daß ich (Zerries 1961,
S. 148) selbst auch einen Karaibenstamm Guayanas für die Anfertigung der Stuttgar-
ter Zeremonialkeule glaubte verantwortlich machen zu können. — Was die weitere
geographische Bestimmung „alto Essequibo“ anlangt, so macht Yde (1960, S. 90) da-
rauf aufmerksam, daß die Waiwai erst in jüngerer Zeit im Gebiet des oberen Rio
Essequibo selbst nachgewiesen sind; Robert H. Schomburgk (1841, S. 313) fand 1837
nur ein Waiwai-Dorf nördlich des Akarai-Gebirges zwischen Britisch-Guayana und
Brasilien an einem der rechten Nebenflüsse des oberen Essequibo — heute sind es
dort drei (Yde 1960, S. 83). Der Rest des Stammes lebt noch südlich des Grenzge-
birges in vier Dörfern am Rio Mapuera und einem seiner Nebenflüsse, wo Coudreau
(1887/11, 375 ff.) Ende 1884 überhaupt erst auf die Waiwai stieß. Yde (a. a. O.) so-
wohl wie sein Begleiter auf der ersten Guayana-Expedition des Dänischen National-
Museums 1954/5, Niels Fock (1960, S. 54/5), betonen, daß die Waiwai vordem wenig
Kontakt mit ihren Nachbarn im Norden hatten und sie kulturell eher zu dem bra-
silianischen Areal Para als zu Guayana gehören. Damit entfällt jedoch weitgehend
meine Vermutung (Zerries 1961, S. 149/50) über mögliche Beziehung des Janus-Motivs
zur Kultur der Buschneger weiter im Norden bzw. Nordosten. Die Herkunft der Wai-
wai aus dem Süden bzw. Südosten verweist auf die karaibischen Kashuiena des Trom-
betas-Beckens, von denen Polykrates (1960, S. 115 ff.) neuerdings einige bedeutende
Holzschnitzereien überliefert hat. Mit diesen Schnitzereien könnte die Keule des Mu-
seum Pigorini, wie auch die beiden anderen hier noch in Rede stehenden Exemplare
in Zusammenhang gebracht werden, wenn auch von den Kashuiena bisher keine
Keule mit Janusköpfen am Griff bekannt geworden ist.
Eine seltene Keule der Woyawai (Guayana) im Museo Pigorini zu Rom 141
Die Tanzkeulen der Waiwai nach der Jahrhundertwende, wie sie von W. C. Fara-
bee (1924, Plate 38) und W. E. Roth (1929, S. 11, Plate 2) und Guppy (1958, Tafel
geg. S. 275) abgebildet werden, haben jedenfalls eine von unserem Stück völlig ab-
weichende, dreieckige oder viereckige Form und einen geometrischen Dekor ohne
figürliche Schnitzerei.
Literatur
Coudreau, Henri A., La France équinoxiale. Voyage à travers les Guayanes et l’Ama-
zonie, Vol. II, Paris 1887.
Farahee, William G., The Central Caribs, Univ. Pennsylvania, The Univ. Museum,
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di Gastello 1912.
Guppy, Nicholas, Waiwai, Through the Forest north of the Amazon, London 1958.
Polykrates, Gottfried, Einige Holzschnitzereien der Kashuiena-Indianer, Folk, Dansk
Etnografisk Tidskrift, Vol. 2, Kopenhagen 1960.
Roth, Walter E., An Introductory Study of the Arts, Crafts, and Customs of the
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Bur. Amer. Ethnol., Bull. 91, Smithsonian Inst., Washington 1929.
Schomhurgk, Robert Hermann, Reisen in Guiana und am Orinoco während der Jahre
1835 bis 1839, herausgeg. von O. A. Schomburgk, Leipzig 1841.
Y de, Jens, Agriculture and Division of Work among the Waiwai, Folk, Vol. 2, Ko-
penhagen 1960.
Yerries, Otto, Eine seltene Keule im Besitz des Linden-Museums, Tribus Bd. 10, Stutt-
gart 1961.
Jürgen Zwernemann
Eine Maske aus Mittel-Ghana
In der Afrika-Sammlung des Linden-Museums befindet sich eine bemalte Auf-
satzmaske (Nr. 65 831) aus Holz, die aus dem westlichen Mittel-Ghana stammen
dürfte. Die Maske kam am 17. 1. 1911 als einziges „Fremdstück“ mit einer kleinen
Kamerun-Sammlung des Missionars Hofmeister aus Rinlingshausen bei Marbach in
das Museum. Da keine Korrespondenz mit dem Vorbesitzer auffindbar ist, kann
angenommen werden, daß die Übernahme der Sammlung persönlich vereinbart und
abgewickelt worden ist. Bedauerlicherweise sind keinerlei Hinweise vorhanden, wie
das Stück in den Besitz des Missionars Hofmeister gekommen ist. In der Liste der
Sammlung (L. 1004) und im Katalogbuch sind die Herkunftsangabe „Muschi“ und
der Zusatz „Gold-, Elfenbeinküste“ vermerkt. Muschi steht selbstverständlich für
„Moshi“, die in Ghana häufige Bezeichnung der Mosi. Dem Typ nach handelt es
sich jedoch keinesfalls um ein Mosi-Stück. Die Frage der Herkunft wird weiter
unten eingehend besprochen werden.
Die Maske 65 831 hat eine Gesamthöhe von 58 cm. Die Mitte nimmt ein großes
menschliches Gesicht ein, das unten in einem trapezförmigen Kinn endet. Eine waage-
rechte und zwei bogenförmige Kerben deuten den Mund an. Die Nase ist flach-
erhaben und hat große Nasenflügel. Die Augen sind spitzoval und ebenfalls leicht
erhaben gearbeitet, die Pupillen sind eingekerbt. In Form und Größe sind sie der
Gesamtgestaltung der Augen angepaßt. Auf der Stirn befinden sich zwei Kerben,
die — an der Nasenwurzel beginnend — schräg zu den Seiten hin aufsteigen. Über
der Stirn ist ein leicht erhabener Kreis, in dem sich ein auf der Spitze stehendes
Viereck mit eingekrümmten Seitenlinien befindet. Dieses Viereck teilt den äußeren
Kreis in vier Spitzovale. Über dem Kreis stehen in der Mitte ein öhrartiger, gestreck-
ter Bogen (möglicherweise eine Hörnerdarstellung), und seitlich davon zwei kräftige
Hörner, die einen Bogen bilden.
Beiderseits des Gesichts befindet sich je eine kleine Maske von links 26 cm und
rechts 27 cm Höhe, die vom Mittelteil der Maske durch Kerben getrennt sind. Die
kleinen Masken zeigen keine Munddarstellungen. Die Nasen sind flache, durch seit-
liche Kerben begrenzte Pyramiden. Die Nasenflügel sind durch bogenförmige Ker-
ben angedeutet. Die Augen sind spitzoval und erhaben. Oben und unten sind sie
durch mondsichelförmige Kerben eingefaßt. Aus den Stirnen treten öhrartig gearbei-
tete Hörnerpaare hervor. Jedes Florn ist gegen die Stirn durch eine Kerbe abgegrenzt.
Die Maske ist rotbraun und schwarz bemalt. An wenigen Stellen sind weiße
Farbreste zu sehen.
In einem 5—8 cm hohen Sockel, der sich hinter der Maske befindet, ist eine flache
Mulde von 20,5—22,5 cm Durchmesser für den Kopf des Maskenträgers. Im Rande
der Mulde sind links und rechts je zwei Durchbohrungen und vorne (das heißt bei
senkrechter Stellung der Maske unten) eine Durchbohrung angebracht.
Jürgen Zwernemann
Aus der Literatur sind nur wenige Stücke bekannt, die zum Vergleich heran-
gezogen werden können. Die meisten davon sind mit den recht vagen Herkunfts-
angaben Ghana, Nord-Ghana oder ähnlich versehen. L. Underwood (1952, Abb. 19
bis 21) bildet drei Masken ab, als deren Herkunft er übereinstimmend „Grunshi or
Jaman (?), Gold Coast, Northern Territories“ angibt. Abb. 19 zeigt eine janusköpfige
Tiermaske, die Underwood (1952, 45) als Antilope mit Krokodilszähnen interpretiert.
Nach Angaben bei Tauxier und Delafosse (s. unten) neige ich eher zu der Ansicht,
daß es sich um eine Krokodilmaske handelt. Auf den Oberkiefern der Maske befin-
den sich links die Darstellung eines Skorpions, rechts die eines Leoparden. Die Maske
ist ultramarin und ocker bemalt. Abb. 21 zeigt eine Antilopenmaske, die in den glei-
chen Farben bemalt ist. Die Maske von Abb. 20 wird als Darstellung des Gottes
Sakrobundi bezeichnet, die im ’’ritual of War in Ashanti“ eine Rolle gespielt haben
soll. Der Kult sei nach dem Sieg der Briten über die Ashanti verschwunden. Die
Grundgestalt der Maske soll ebenfalls eine Antilopendarstellung sein. Diese Maske
ist rot, schwarz und ocker bemalt (Underwood, 1952, 45). Sie ist unten trapezförmig
und hat einen kleinen „bartartigen“ Fortsatz. Oben ist sie gerundet. Darüber befin-
det sich ein diagonal unterteiltes Rechteck, aus dem zwei Hörner hervorgehen. Zwi-
schen den Hörnern befindet sich ein schlanker, großer Bogen, der viel weiter geöffnet
ist als der „öhrartige“ Mittelbogen unserer Maske. In der Mitte der Maske befindet
sich ein menschliches Gesicht in rundem Feld, das unten einen trapezförmigen Fort-
satz hat und oben von drei ovalen Bögen gekrönt ist. Augen und Mund sind durch
rechteckige Öffnungen dargestellt. Die Nase ist flach und geht in weitumlaufende
Augenbögen über. Die Ohren sind als bogenförmige Erhebungen dargestellt. Um
das Gesicht ist die Maske in dreieckige Felder eingeteilt.
Eine stark stilisierte Maske aus Ghana ist abgebildet in ’’Traditional Art“ (Ab-
bildung 47). Den unteren Teil der schwarz, weiß und terrakotta bemalten Maske
nimmt ein stark stilisiertes Gesicht ein, das in mehrere verschiedenfarbige Dreiecke
eingeteilt ist. Über dem Gesicht tragen zwei Streben eine annähernd runde, an den
Rändern ausgezackte Scheibe, die nach ihrer Ausgestaltung ebenfalls als stilisiertes
Gesicht erklärt werden kann. Die Maske ist von einem Hörnerpaar gekrönt.
Freeman (1898, 148) berichtet aus Odomasi (= Odumase; südöstlich von Bondou-
kou in der Nähe des Tano) von einem Maskentanz, der zu seinen Ehren stattfand.
Die Masken gehörten zum Kult des Sakrobundi oder Sakrobudi, dessen Einfluß-
bereich ’’Jaman, Gruinsi and several of the countries lying to the north“ umfaßte.
Im Gegensatz zu der Angabe bei Unterwood sagt Freeman: ”1 never met with any
traces of the worship of this fetish in Ashanti. . .“ Sofern man jedoch Jaman, oder
besser Gyaman als Teil von Ashanti betrachtet, ist Underwoods Bemerkung nicht
falsch. Freeman konnte über den Kult des Sakrobundi keine genaueren Informatio-
nen erhalten; er unterstreicht aber die Herkunft des Kultes aus dem Norden ”pos-
sibly from Gruinsi, Moshi, or Dagomba .. .“ Gruinsi steht für Gurunsi, Moshi für
Mosi. Die Herkunftsangabe Mosi stimmt mit der Katalogangabe unserer Maske
überein. Diese Angaben kommen jedoch, wie wir unten sehen werden, für die Lokali-
sierung der Masken und des Kultes nicht in Betracht.
Eine Maske aus Mittel-Ghana
145
Freeman (1898, 148 ff.) berichtet, daß im Sakrobundi-Kult Holzmasken in Ge-
stalt eines Antilopenkopfes mit gebogenen Hörnern oder elftes Menschengesichts mit
Hörnern gebräuchlich sind. Der Maskenträger ist mit einem Gewand aus weichen
Fasern völlig eingehüllt. Freeman bildet vier Sakrobundi-Masken ab, von denen
zwei aus Diadasu (wohl = Dadiasi; südlich von Bondoukou) stammen: eine bemalte
Antilopenmaske, die einen Vogel auf der Stirn trägt (Freeman, 1898, 149 f.) und
eine bemalte Maske mit Menschengesicht, über dem auf rechteckigem Aufsatz zwei
S-förmig gebogene Hörner stehen, deren oberer Teil sich kreuzt. Zwischen den Hör-
nern steht eine kleine menschliche Figur mit seitlich ausgestreckten Armen (Freeman,
1898, 151). Ohne Herkunftsangabe ist die Abbildung eines Maskenträgers (a. a. O.,
115), der eine mächtige Antilopenmaske — mit einem menschlichen Gesicht auf der
Stirn — trägt.
Ganz anders ist die vierte Maske, die Freeman (1898, 152) abbildet. Sie stammt
aus Jimini und erinnert an die Kpelige-Masken der Senufo, wenn sie auch nach der
Abbildung sehr flach erscheint und die „Beine“ offenbar fehlen. Auf dem Kopf trägt
die Maske einen stilisierten Vogel. Für unsere Betrachtung scheidet sie aus, aber es
Abh. 1.
Aufsatzmaske,
westliches
Mittel-Ghana,
Nr. 65 831.
Slg. Hofmeister.
io
146
Jürgen Zwerncmann
sei darauf verwiesen, daß v. Sydow (1954, Abb. 112 A und Legende S. 168) eine
ähnliche Maske aus dem Museum für Völkerkunde, Berlin (Nr. III C 9946) abbildet,
deren Herkunft mit „Süd-Senufo, Gimini“ angegeben ist. Sydow bezeichnet das
Stück als „Sakrobundu“-Maske. Das Problem der Sakrobundi- oder Sakrobundu-
Masken und des damit zusammenhängenden Kultes hat v. Sydow (1954, 57, 60 f.)
gestreift, wobei er sich im wesentlichen auf eine knappe Zusammenfassung des Quel-
lenmaterials beschränkt.
Die wichtigsten Aufschlüsse verdanken wir Tauxier und Delafosse. Die große
Bedeutung von Sakaraburi im Kulango-Gebiet ist von beiden Autoren hervorgeho-
ben worden. Sakaraburi gilt bei den Kulango als der gefürchtetste Gott. Er soll von
den Brong zu den Kulango gekommen sein. Tauxier (1921, 176) sieht in Sakaraburi
die Personifikation eines Teils der Erde. Der Gott wird durch einen Baum und rote
Steinblöcke repräsentiert. Die Priester von Sakaraburi, aber auch anderer Götter,
tragen ein Blättergewand und eine Holzmaske, die ein Krokodil darstellt. Die Kro-
kodilsmaske hat Tauxier 1921, 184, 187, Anm. 1) an verschiedenen Orten gesehen.
Mounier1) und Delafosse2) stellen heraus, daß Sakarabru mit Krankheit und Tod
straft, dagegen verweist Tauxier mehr auf die sozialen Aufgaben des Gottes und
seiner Priester: Auf finden und Bestrafen von Zauberern, Mördern, Dieben und
Ehebrechern sowie Heilung von Kranken. Sakarabru straft Verbrechen, die die Men-
schen erst nach der Bestrafung durch den Gott gewahr werden. Die Opfer des Gottes
werden in den Busch geworfen (Tauxier, 1921, 184 f., 189, 192), Die Verfolgung
von Zauberern durch Sakarabunu belegt Tauxier (1921, 355) gleichermaßen für die
Brong.
Derselbe Autor beschreibt den Kultbezirk des Sakaraburi im Kulango-Dorf Sapia;
„Dans un petit bosquet composé de quelques grands arbres est une palisade assez
haute et forte entourant, avec d’autres arbres encore, une petite case basse. De
l’entrée, toujours fermée en temps ordinaire, on aperçoit à l’intérieur de cette case
deux statues assises en argile, de forme humaine et à peu près de grandeur naturelle,
entourées d’objets divers . . .“ (Tauxier, 1921, 187, Anm. 1). Ähnlich berichtet Dela-
fosse3) aus dem Brong-Dorf Ouroukié (Ourigué oder Soumbala), in dem auch einige
Nafana wohnten, von einer etwa 1 m hohen Lehmplastik eines sitzenden Mannes
im Kulthaus des Sakarabunu. Ferner befanden sich dort die Reste einer weiblichen
Plastik, die Trümmer einer dritten Lehmplastik und Fragmente von Flachreliefs einer
Hyäne und eines Krokodils. In der Hütte waren an der Wand polychrome Reliefs
einer aufgerollten Schlange, einer Keule (casse-tête) und ein Bild von Sakarabunu,
der auf zwei Hörnern eine Scheibe mit Strahlen (Sonnensymbol) trug. Weiter unten
heißt es, daß die Attribute des Sakarabunu eine aufgerollte Schlange und ein Rinder-
haupt seien. Tauxier selbst hat weder bei Kulango noch bei Brong solare Attribute
des Sakarabunu gefunden (Tauxier, 1921,187 f.). Der Kult kann von anderen Dör-
>) M. Mounier, France Noir, 1894 (zit. nach Tauxier, 1921, 189).
2) Zit. nach Tauxier, 1921, 188.
3) M. Delafosse, Frontières de la Côte d’ivoire, de la Côte d’Or et du Soudan,
S. 108, 119—121 (zit. nach Tauxier, 1921, 187 f.).
Underwood hat den Zusammenhang seiner Belegstücke mit den von Freeman
abgebildeten Masken aus Gyaman richtig erkannt. Er hat sich beim Zusatz „Grunshi“
jedoch zu sehr auf Freeman verlassen. Von den Gurunsi sind mir nur Masken von
den Nuna und den Lyela bekannt. Beide Stämme haben ganz andere Maskentypen.
Die Nuna-Masken sind typologisch von den Bobo-Masken abzuleiten, die Lyela-
Masken dürften von Bobo- und Mosi-Masken beeinflußt sein. Ein Zusammenhang
unserer Maske 65 831 und der von Underwood, Freeman usw. abgebildeten Stücke
mit Mosi-Masken scheidet aus stilistischen Gründen ebenfalls aus.
4) Vgl. Meyerowitz, 1958, 100 und 140. — Zwernemann, 1960, 356.
fern „gekauft“ werden. Selbstverständlich sind bei einer Übertragung des Kultes an
einen anderen Ort bestimmte Zeremonien erforderlich, die allerdings nicht beschrie-
ben werden (Tauxier, 1921, 194).
Delafosse (a. a. O.) gibt, wie Tauxier, die Brong als Ausgangspunkt des Kultes
von Sakarabunu oder Sakarabru an. Der Kult sei von dort zu den Ashanti, Anyi,
Kulango und sogar bis zu den Senufo und an die Küste gedrungen. Tauxier (1932,
69) hat Sakarabunu, Sakaraburu oder Sakarabru ebenfalls bei den Anyi von Indenye
gefunden. Auch dort tragen die Priester offenbar Krokodilsmasken, und die auf-
gerollte Schlange ist das Symbol des Gottes.
Obwohl die wenigen bisher veröffentlichten Belege von Masken aus Ghana, die
zudem nur bei Freeman exakt lokalisiert sind, keine genauen Entsprechungen zu
unserer Maske darstellen, glaube ich, sie auf Grund verschiedener Kriterien in einen
Zusammenhang mit den anderen Masken aus Ghana stellen zu können. Besonders
bedeutsam erscheinen mir Polychromie, Form des Mittelteils der Maske (verglichen
besonders mit Underwood, Abb. 20, und Traditional Art, Abb. 47), Scheibe auf der
Stirn (vgl. Zackenscheibe auf Abb. 47 in Traditional Art und die Angabe von Dela-
fosse) und öhrartige Bogen zwischen den Hörnern unserer Maske (verglichen mit
Underwood, Abb. 20). Für die Flerkunft unserer Maske aus dem westlichen Mittel-
Ghana spricht ferner, daß die einzigen Belege für das Vorkommen von Masken in
Ghana eben aus diesem Gebiet vorliegen.
Eine Maske aus Mittel-Ghana
Ob Sakrobundi, Sakrobudi, Sakarabuna, Sakaraburu, Sakarabru oder Sakaraburi
mit der Schöpfergöttin Buruku oder Burukung der Bono (= Brong) identisch ist4),
kann ich vorerst nicht entscheiden. Eine gewisse Ähnlichkeit von -buru, -bru usw.
mit andernorts vorkommenden Varianten des Namens Buruku (vgl. Zwernemann,
1960, 355) erscheint mir nicht ausreichend, um eine sichere Beziehung herzustellen.
Zur Klärung dieser Frage sind genauere Berichte über den Kult bei Brong und
Kulango erforderlich.
Im Sakrobundi- oder Sakarabunu-Kult, oder wie er auch immer genannt wird,
haben drei Masken besondere Bedeutung: Krokodilsmasken, Antilopenmasken und
Masken mit menschlichen Gesichtern und Hörnern, Alle Maskenarten erscheinen —
nach den bisher vorliegenden Belegen — polychrom. Antilopenmasken und Masken
mit menschlichen Gesichtern können miteinander verschmelzen.
147
148
Jürgen Zwernemann
Die Angaben von Tauxier und Dclafosse lassen auf den ersten Blick die Kroko-
dilsmaske als charakteristische Sakarabunu-Maske der Kulango erscheinen. Lediglich
der Hinweis von Delafosse auf den Rinderkopf im Kulthaus deutet in eine andere
Richtung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß letztlich dasselbe Tier dargestellt ist, wie
bei den von Freeman abgebildeten Masken. Ohne eine Abbildung der sogenannten
Rinderdarstellung zum Vergleich heranziehen zu können, ist die Erörterung dieser
Frage allerdings hypothetisch. Die Abbildung einer Antilopenmaske aus Dadiasi,
einem Dorf der Elfenbeinküste, bei Freeman zeigt jedoch, daß die Verbreitung von
Antilopenmasken nicht auf Ghana beschränkt ist. Die Lokalisierung unserer Maske
ist vorerst nur annähernd möglich; in Frage stehen Gyaman (oder allgemein Brong)
und Kulango.
Literatur
Freeman, R. A., 1898. Travels and Life in Ashanti and Jaman, Westminster.
Meyerowitz, E. L. R., 1938. The Akan of Ghana: Their Ancient Beliefs, London.
Sydow,E.v., 1954. Afrikanische Plastik (herausgegeben von G. Kutscher), Berlin.
Tauxier, L., 1921. Le Noir de Bondoukou, Paris.
Tauxier, L., 1932. Religion, Moeurs et Coutumes des Agnis de la Gote dTvoire, Paris.
Traditional Art of the African Nations, 1961. The Museum of Primitive Art, New
York.
Underwood, L., 1952. Masks of West Africa, London.
Zwernemann, /., 1960. Nana Buruku. Ein Beitrag zum Kult eines Gottes in Ober-
guinea, in: Acta Tropica, Vol. 17, 343-364, Basel.
Jürgen Zwernemann
Zur figürlichen Plastik der Bwa
Die Fachliteratur über afrikanische Kunst enthält kaum Hinweise auf figürliche
Plastik der Bwa (Bobo-Ule)1), deren Masken hingegen Berühmtheit erlangt haben.
In den Werken von E. Elisofon und W. Fagg (1958, 28), E. Leuzinger (1959, 74) und
D. Paulme (1956, 40) wird figürliche Plastik der Bwa nicht erwähnt. H. Himmel-
heber (1960, 81) kennt selbst keine „freifigürlichen Menschendarstellungen“ der Bwa,
gibt aber an, daß sie einmal von Frobenius erwähnt werden2). C. Kjersmeier (1935,
25) spricht von grob geschnitzten Plastiken der Bobo, die jedoch „ohne künstleri-
schen Wert“ seien. Nur in wenigen Fällen seien Werke von Qualität geschaffen
worden. Als Abb. 32 seines Werkes gibt Kjersmeier eine solche Arbeit wieder, die
einen „fetiche de la cloche“ darstellt3). Die Herkunft dieses Stückes ist im Verzeichnis
der Illustrationen mit „Bobo Dioulasso“ angegeben. Überhaupt betont Kjersmeier
(a. a. O.): „La plupart des oeuvres proviennent des Bobo-Fing, de la region avoisi-
nant Bobo Dioulasso.“ Diese Angabe macht auch Paulme (1956, 40) fast wörtlich.
Damit würde dieser Hinweis ausscheiden, weil es sich eben nicht um Arbeiten der
Bwa handelt. Man muß jedoch berücksichtigen, daß die von beiden Autoren abge-
bildeten, typischen Brettmasken sich auch im Bwa-Gebiet finden. Wenn man auch
voraussetzen möchte, daß diese Autoren exakte Angaben über die Lokalisierung
der von ihnen abgebildeten Stücke zur Auswertung vorliegen hatten, so ist ihre
Feststellung — zumindest was die Masken betrifft — zu eng gefaßt. Belegstücke
genau lokalisierter Masken der Bwa (und vergleichbarer Masken der Nuna4) befin-
den sich zum Beispiel im I. F. A. N. in Ouagadougou und im Hamburgischen Museum
für Völkerkunde und Vorgeschichte. K. Dittmer, der die Hamburger Masken gesam-
melt hat, und der Verfasser hatten am 20. März 1955 Gelegenheit, in Boni (Sub-
division Hounde, Cercle Bobo Dioulasso, Haute-Volta), also bei südlichen Bwa, an
einem Maskenfest teilzunehmen.
Bei diesem Frühlingsfest spielte eine weibliche Plastik, die Figur einer Fruchtbar-
keitsbringerin, eine bedeutende Rolle. Die Frauenplastik stand am Vormittag des
Festtages vor dem im Dorf befindlichen Maskenhaus. Vor der Figur lag ein Häuf-
lein Kauri, neben ihr stand eine Frau und sang (Abb. 1). Angeblich rief diese Frau
zum Tanz. Möglicherweise war es jedoch eine Bitte um Kindersegen (vgl. unten).
Zwei Balafone und eine Trommel wurden von Musikanten gespielt. Nachdem die
4) Zur Terminologie vgl. Le Moal, Bull. I. F. A. N. 19, 1957, 418 ff.
2) Leider ist die Stelle, an der sich dieser Hinweis findet, nicht angegeben.
3) Sydow (1954, 59) zitiert Kjersmeier.
4) Über Nuna-Masken vgl. Dittmer, 1961 (a) und (b).
STS:i
w’Yi
y
I
7.
Eine Era« smg£ t/ie Fruchtbarkeits-
bringerin an. Bwa, Dorf Boni.
inzwischen angekleideten Maskentänzer und die Dorfbewohner sich auf dem Tanz-
platz versammelt hatten, wurde auch die Plastik dort hingetragen. Nach ausgie-
bigem Tanzen der Maskenträger und der übrigen Festteilnehmer begann ein Umzug
durch alle Quartiere des Dorfes. An wichtigen Stellen wurde bei einem kurzen
Aufenthalt getanzt. Die Frauenfigur wurde überallhin mitgetragen. Nach der Rück-
kehr zum Tanzplatz wurde die Statue dort erneut aufgestellt. Schließlich legte ein
Mann ein Hühnchen mit dem Rücken auf den Kopf der Frauenplastik und hielt es
in dieser Stellung an den Füßen fest. Der Kopf des Hühnchens hing nach unten.
Man umtanzte die Plastik der Fruchtbarkeitsbringerin. Ein Trommler übertönte mit
heftigen Crescendi ein Balafon. Nach etwa fünf Minuten verendete das Huhn, ohne
daß der die Opferhandlung vollziehende Mann mehr getan hätte, als das Hühnchen
in der angegebenen Stellung festzuhalten. Während des Todeskampfes des Tieres
schwoll die Musik an, und die Tänze wurden wilder. Das verendete Hühnchen
wurde etwa 3 m weit vor die Figur geworfen. Ein Alter trat mit einer Kalebasse
Hirsebier vor die Plastik und goß eine Libation. Nach dem Opfer des Hühnchens
tanzten die Alten und die höchste Maske, die Affenmaske, vor der Statue5). Aber
auch alle übrigen Festteilnehmer tanzten weiter. Schließlich zog die Menge gemein-
Zur figürlichen Plastik der Bwa 151
sam zum Maskenhaus, neben das die Statue erneut gestellt wurde. Von einem Ter-
rassendach des Maskenhauses aus versuchte ein Mann, ein rotes Pulver über die Leute
zu streuen, mußte dann jedoch das Pulver wegen ungünstigen Windes den Unten-
stehenden direkt reichen0).
Im Oktober 1955 konnte K. Dittmer in Boni und im benachbarten Dorf Dossi
einige zusätzliche Angaben über die müiha genannte Frauenplastik aufnehmen. Die
müiha ist Symbol der Fruchtbarkeit. Sie spendet gute Ernten und sorgt für Gesund-
heit und Kindersegen. Sterile Frauen bitten sie um Kinder. Für die Erfüllung der
5) Nach einer Notiz von Dittmer „war dies ein Zeichen der Dankbarkeit, daß sie
das Fest wohl gelingen ließ und daß sie mit Tötung des auf den Kopf gelegten
Huhnes die Bitten angenommen hatte, auch im nächsten Jahr gute Ernten, Gesund-
heit und Fruchtbarkeit zu schenken“.
°) Eine genaue Schilderung des Maskenwesens und aller Einzelheiten des Masken-
festes überschreitet den Rahmen dieser Notiz über die figürliche Plastik.
Ahb.2. Fruchtbarkeitsbringerin {müiha).
Bwa, Dorf Boni.
Abb. 3. Weibliche Fruchtbarkeits-
statue (müiha). Bwa, Dorf Dossi.
Hamburg. Museum für Völker-
kunde, Nr. 57.8:1717.
152
Jürgen Zwernemann
Bitte versprechen sie ein Huhn. Wird dann ein Kind geboren, führen es die Eltern
der müiha vor und bringen das versprochene Hühneropfer. Das Kind erhält einen
Namen, der von „muiha“ abgeleitet ist. Die muiha wird als „Mutter des Dorfes“
angesehen, in Boni auch als Mutter der Affenmaske7), des „Uralten“, der wichtiger
sein soll als die muiha, deren Anwesenheit beim Frühlingsfest jedoch unbedingt
erforderlich ist. Nach einer guten Ernte bringt jeder Älteste des Quartiers der Bonde
der muiha ein Huhn als Dankopfer8). Das Opfer vor dem Maskenhaus wird vom
„Uralten“ geleitet9).
Die in Boni in Funktion gesehene und fotografierte Plastik der Fruchtbarkeits-
bringerin mag etwa 80 cm hoch sein. Das Holz ist rötlich, die Figur ist mit schwar-
zen und weißen Ornamenten verziert. Die Ornamente sind besonders reichlich am
Kopf, auf dem Oberkörper (vor allem den langgestreckten Brüsten) und auf den
Oberarmen angebracht. Die Figur ist mit einem Faserröckchen bekleidet und trägt
Faserschmucke an den Unterschenkeln (vgl. Abb. 2).
Aus Dossi hat K. Dittmer eine muiha für das Hamburgische Museum für Völker-
kunde mitgebracht. Die Figur (Nr. 57.8:1717) ist 77 cm hoch. Der Körper der Figur
ist ziegelrot, Frisur und Füße sind schwarz, Hände und Gesicht weiß; die Ornamente
sind schwarz bzw. weiß. Alle Farben sind durch Firnis glänzend gemacht. Um die
Hüften der Figur ist ein hell braunrotes Faserröckchen geschlungen (vgl. Abb. 3).
Literatur
Dittmer, K., 1961 (a). Nuna — Westafrika (Obervolta): Schnitzen und Bemalen von
Tanzmasken. Encyclopaedia Cinematographica, E 176/1959. Göttingen.
Dittmer, K., 1961 (b). Nuna — Westafrika (Obervolta): Maskentänze. Encyclopae-
dia Cinematographica, E 223/1959. Göttingen.
Elisojon, E., and Fagg,W., 1958. The Sculpture of Africa. London.
Himmelheber, H., 1960. Negerkunst und Negerkünstler. Braunschweig.
Kjersmeier, C., 1935. Centres de style de la sculpture nègre africaine, Bd. I, A. O. F.
Paris et Copenhague.
Le Moal, G., 1957. Note sur les populations „Bobo“. Bull. I. F. A. N., Sér. B, 19,
418—430. Dakar.
Lcuzinger, E., 1959. Afrika, Kunst der Negervölker. Baden-Baden.
Paulme, D., 1956. Les sculptures de l’Afrique Noire. Paris.
Sydozv, E. v., 1954. Afrikanische Plastik (herausgegeben von G. Kutscher). Berlin.
7) Der Affe gilt ebenfalls als Fruchtbarkeitsbringer.
8) In Boni haben nur die Bonde Holzmasken, alle anderen Quartiere haben Blätter-
masken.
ö) Für diese Angaben und für die Überlassung von Fotos und Angaben der Ham-
burger muiha danke ich Herrn Dr. K. Dittmer herzlich. — Über die muiha vgl.
auch Dittmer, 1961 (b), 6.
Buchbesprechungen
WERNER MÜLLER:
Die heilige Stadt. Roma quadrata, himm-
lisches Jerusalem und die Mythe vom Welt-
nabel. Stuttgart: W. Koklhammer Verlag,
1961. 304 S. mit 54 Strichzeichnungen im
'Text und 20 Seiten Kunstdrucktafeln. Preis:
DM 38.—.
Werner Müller ist dem, der sich mit reli-
gionswissenschaftlichen Problemen beschäf-
tigt, kein Unbekannter. Seine Bücher über
die geistige Welt nordamerikanischer Völker,
vor allem über die „Religion der Waldland-
indianer“ gehören zum Besten, was bisher
darüber geschrieben wurde. Wenn er jetzt ein
von ihm schon vor langer Zeit begonnenes
und vor kurzem in einer knappen Skizze an-
gedeutetes Thema („Stufenpyramiden in
Mexiko und Kambodscha“ Paideuma VI,
1958) in aller Ausführlichkeit darlcgt, so
wird man voller Erwartung zu dem Buche
greifen. „Die heilige Stadt“ hat nichts weni-
ger zum Inhalt als die Untersuchung des „ge-
kreuzten Kreises“ und seiner Materialisie-
rung, das heißt die Vorstellung von der
Quadrierung der Welt und der Versuch der
Menschen, diese kosmologische Ordnung auf
die irdische Wirklichkeit zu übertragen, indem
Stadt, Land und Staat und auch die Bau-
werke diesen Prinzipien unterworfen wurden.
Auffälligstes Beispiel ist die viertorige, in
vier Viertel gegliederte Stadt, die im Mittel-
punkt des ebenfalls viergeteiltcn Landes liegt.
In ihrer Mitte, auf dem Schnittpunkt der die
Weltachsen symbolisierenden Hauptstraßen
— auf dem „Nabel der Welt“ — erhebt sich
in Form einer Stufen-Pyramide das Haupt-
heiligtum, das den Weltberg, die Schichten
des Kosmos, verkörpert. Das Vorkommen
dieses Komplexes, seine geschichtliche Ver-
breitung und seine Herkunft aufzuzeigen, ist
das eine Anliegen des Buches, das andere ist
es, das Quadrierungsprinzip als einen unver-
änderlichen Archetyp darzustellen. Die un-
geheure Stoffmasse (das Literaturverzeidmis
zählt über 700 Titel auf!) wurde in souverä-
ner Weise gemeistert und das heterogene Ma-
terial der W. Müller eigenen fließenden Dik-
tion untergeordnet. Jeder, der sich mit dem
Buch beschäftigt, wird eine Fülle von An-
regungen und Kenntnissen empfangen. Den-
noch muß der Rezensent bedauernd feststel-
len, daß er das Buch verwundert und ent-
täuscht aus der Hand gelegt hat. Weder
leuchten ihm die kulturgeschichtlichen Ergeb-
nisse ein, noch kann er die zur Anwendung
gebrachte Methode anerkennen.
Vor einer Kritik indes eine kurze Wieder-
gabe des Inhalts, obwohl diese dem sorgfältig
durchgeführten Zusammenhang nicht gerecht
wird. Das Buch gliedert sich — ist es Zufall?
— in vier Abschnitte. Der erste, der den Un-
tertitel „Altitalisch: Roma Quadrata“ trägt,
beginnt mit der den Römern eigentümlichen
Methode der Landvermessung (limitatio),
deren Spuren noch heute in vielen Flurgren-
zen Italiens, Jugoslawiens und Frankreichs
erkennbar sind und die die Form der Militär-
lager und der sich aus ihnen entwickelnden
Provinzstädte bestimmte. Die Messung ging
von einer Stelle aus, die als Kreuzung von
zwei nach den Himmelsrichtungen orientier-
ten Hauptachsen angenommen wurde. Auf
diesen Nullpunkt bezogen sich alle übrigen
Einteilungen innerhalb des Quadrierungs-
systems. Der Autor sieht in dieser Vermes-
sungstechnik — mit der zur historischen Zeit
keine religiösen Vorstellungen mehr verbun-
den wurden, „das irdische Abbild eines himm-
lischen Urbildes“ . . . „die Vierteilung des Ge-
ländes spiegelt eine kosmologische Großform:
die viergeteilte terra des römischen Welt-
bildes“ (S. 21). Das gleiche Prinzip drückt
sich auch in der servianischen Anlage der
Stadt Rom aus: das viergeteilte Stadtbild hat
seinen symbolischen Mittelpunkt in der Opfer-
grube (mundus), die ebenso ein Symbol des
Weltkreises ist, wie die Stadt selbst, deren
Name („urbs“) schon die Verwandtschaft mit
der Welt („orbs“) nahelegt. Am deutlichsten
erhielt sich der religiöse Hintergrund dieses
die Welt ordnenden Prinzips in den Augurial-
riten, die beweisen, daß zu Zeiten, da der
sakrale Bezug der Feldmessung und Stadt-
einteilung vergessen war, die Vorstellung vom
viergeteilten Kosmos noch ein fester Bestand-
154
Buchbesprechungen
teil römischer Weltanschauung war. Die Her-
kunft des Vierungsprinzips im römischen Be-
reich leitet der Autor aus der Zugehörigkeit
der Italiker zur indogermanischen Familie
ab. „Die Belege aus dem keltisch-germani-
schen Bereich verraten, daß die quadrierte
terra und ihr Abbild im Stadtplan tatsächlich
als indogermanisches Erbgut nach Altitalien
kam, keineswegs aber via Etrurien aus Baby-
lonien“ (S. 51).
Der zweite Abschnitt („Germanisch: Das
himmlische Jerusalem“) behandelt daher
Nord-Europa, wo als auffälligste Beispiele
des Vierungsprinzips die Städtegründungen
„aus wilder Wurzel" im Deutschland des
12. Jahrhundert zu nennen sind. Fast noch
stärker als bei den zitierten römischen Bei-
spielen tritt hier das Bestreben hervor, sich
bei Anlage und Gestalt der damals entstehen-
den neuen Orte mehr vom Idealschema der
zwei sich kreuzenden Achsen und der sich
daraus ergebenden vier Stadtviertel leiten zu
lassen, als von natürlichen Gegebenheiten
und daß häufig die Idealvorstellung die Rea-
lität aus dem Bewußtsein verdrängte. Bei der
Frage nach der Herkunft des mittelalterli-
chen germanischen Vierungsprinzips wird an
verschiedenen Beispielen gezeigt, daß es nicht
auf das Fortleben der römischen Tradition
zurückzuführen ist: die römischen Städte am
Rhein waren als lebendige Organismen längst
vergangen, als die germanischen Städte-
gründungen begannen. Die Straßenzüge
und Quarticrbildungen der mittelalterlichen
Städte innerhalb der erhaltenen römischen
Mauern nehmen keine Rücksicht auf das noch
erhaltene oder verschwundene Achsenkreuz.
„Das Bild der viergeteilten Stadt stammt aus
tieferen Schichten als sie den Theorien ,von
Cäsar bis auf Karl den Großen' zur Verfü-
gung stehen“ (S. 91). Es erklärt sich vielmehr
aus der „tiefeingewurzclten Neigung der kel-
tischen und germanischen Völker, ihre Ver-
hältnisse im Viererrhythmus zu ordnen“
(S. 93). Dazu werden als Beispiele angeführt:
die Tendenz keltischer Stämme zu Vierer-
organisationen, die Landesviertel von Irland,
Island und Bornholm, Vierteilungen in ost-
elbischen Gauen, in Dithmarschen, in Däne-
mark und Norwegen, die als „Quaternionen“
bekannte, eigentümliche — geographischen
wie politischen Gegebenheiten nicht entspre-
chende— Quadrierungstendenz im mittelalter-
lichen deutschen Reich und endlich die Wi-
kinger-Burg Trclleborg und das schwedisch-
dänische Achterdorf (vor allem S. 102 f.). Es
sind gut gewählte Beispiele, die Zweckmäßig-
keitsgründe von vorneherein ausschließen.
Der dritte Abschnitt („Indogermanisch:
Uranopolis“) schildert die vom Quadrie-
rungsprinzip bestimmten Stadt- und Tempel-
anlagen des Iran, Indiens und Hinterindlens
und das Stadt- und Weltbild des zentralen
Sudan. Überraschend ist die Ähnlichkeit der
Indischen Stadtanlagen mit dem Schema des
römischen Lagers. Den bisher angeführten
Ordnungsprinzipien gesellt sich ein weiteres
bei, das die völlige Angleichung von Stadt-
bild und Weltbild zur Folge hat: es ist der
den Weltberg verkörpernde Tempel im
Schnittpunkt des Achsenkreuzes. Entsprechend
dem Schema der Götterwelt, die sich im
quadratischen Paramasayika-Raster dem Ran-
ge nach von innen nach außen ordnet, woh-
nen in der ebenfalls gerastert angelegten in-
dischen Stadt die Kasten dem Range nach:
die vornehmen Stände in der Mitte, die nie-
deren am Rande, Kastenlose ganz außerhalb.
„Auch die Architektur sucht die Stufung zu
betonen ... : den Brahmanen stehen bis zu
9 Geschosse zu, den unteren Klassen nur
eines. Da für jede Straße die gleiche Höhe
vorgeschrieben ist, so müßte sich der Schat-
tenriß der indischen Stadt theoretisch als ge-
stufter Berg abzeichnen, der in dem Turm
und Dächergewirre des Brahmatempels gip-
felt“ (S. 123). „Die indische Siedlung über-
setzt Weltbild und Pantheon in die Archi-
tektur und damit rücken Stadt und Bürger
In die Sphäre des Überirdischen“ (S. 126).
Einem ähnlichen klassischen Gliederungsprin-
zip unterlagen die politische Gliederung von
Ceylon, was schon im Namen seines Ober-
königs, des Radkaisers, zum Ausdruck kommt,
und die Bauwerke Hinterindiens, deren groß-
artigste — der Angkor-Komplex — einer
eingehenden Beschreibung gewürdigt werden.
Wurde bisher das Postulat einer urindoger-
manischen Kulturverwandtschaft als Grund
des Vorkommens der verschiedenen Gestal-
tungen des Vierersystems angegeben, so wird
angesichts seiner Verbreitung in China die
Formel vom „Indogermanentum“ ausge-
schlossen, da der Chou-Staat „mit seinen
Schachbrettgarnisionen, seinen geschachtelten
und gekreuzten Hauptstädten“ längst exi-
stierte, als die ersten Indogermanen um 1200
v. Chr. in Nordindien eindrangen. Die bunt-
keramische, megalithische „Vierkantbeilkul-
tur“ wird nun zum Träger der „Viererrhyth-
Buchbesprechungen
155
men“ erklärt und auf ihr Eindringen in
Asien in einem nördlichen und einem süd-
lichen Strom die Verbreitung des Weltbildes
mit Achsenkreuz und Stufenberg und des
Königtums mit seinem quaternionischen Hof-
und Beamtenapparat zurückgeführt. Woher
kam diese Kulturwelle? Das plötzliche Auf-
treten von Großsteingräbern (Ganggräbern)
in Iberien erscheint dem Autor Beweis genug,
dieses Gebiet als Ausgangszentrum der nun
auch als „megalithisch“ angesprochenen Kul-
tur anzusehen und die archaischen Hochkul-
turen des vorderen Orients — wie es schon
häufig im Buche geschah — auszuschließen.
Auch die Buntkeramik des Mittelmeeres wird
— obwohl iberische Beispiele nicht vorliegen
— mit in diesen Zusammenhang gestellt.
Aber auch Spanien bleibt als Entstehungs-
gebiet ausgeschlossen. „Es bleibt. . . der Ein-
druck, daß hier [in Westeuropa] eine von
der See kommende Völkerwoge den ozeani-
schen Kontinentalrand Europas getroffen
hat. Da die Megalithiker nicht gut aus den
Tiefen des Atlantik emporgestiegen sein kön-
nen, so läßt sich die Frage nach ihrer Her-
kunft vorläufig nicht beantworten . . . Fest-
zuhalten wäre nur, daß eben diese mediter-
rane Zone Europas allein die geographische
Position und zugleich das geschichtliche Ge-
wicht besitzt, um sowohl die sudanischen
Quadrierungen wie auch die verwandte Ty-
pologie Eurasiens vor sich herschieben zu
können“ (S. 171 f.).
Im letzten Abschnitt („Megalithisch; Stein
und Stufe“) sucht der Autor den engen Zu-
sammenhang zwischen dem Megalithikum
Palästinas und Westeuropas und dem Vie-
rungsgedanken aufzuzeigen. So beziehen sich
Weltnabel- und Wcltberg-Vorstellungen in
Palästina auf Steinsetzungen des Megalithi-
kum, Golgatha erscheint als Grabstätte
Adams und Zentrum einer quadrierten Welt
merkwürdig. Die schönsten Beispiele des Ur-
bildes des gekreuzten Kreises mit dem Wclt-
berg, das nach Jahrhunderten scheinbaren
Verschwindens wieder auftaucht, sind die
„perrons“, jene von Säulen gekrönten Stu-
fenpyramiden, die sich im Mittelpunkt der
viergctcilten mittelalterlichen Städte auf dem
Achsenkreuz der Hauptstraßen erheben. Ihre
Existenz ist für den Autor nicht nur Beweis
für das Fortleben des Vierer-Urbildes, er
macht darüber hinaus auf ihre Verbindung,
ja ihre häufige Identität mit Steinwerken des
westeuropäischen Megalithikum aufmerksam
— nicht umsonst deckt sich ihre Verbreitung
mit dem Vorkommen des atlantisdien Mega-
lithikum. Nur aus dem Geist dieser Kultur,
die „zum großen Stein ein besonderes Ver-
hältnis“ hatte, sind alle späteren Bauwerke
und Anlagen zu verstehen. Soweit die In-
haltsangabe.
Man könnte hier wie bei allen weit ge-
spannten Untersuchungen eine Fülle von Ver-
allgemeinerungen nachweisen, die jedoch die
große Linie des Werkes nicht berühren. So ist
es beispielsweise eine dem einheitlichen
Schema zuliebe vorgenommene Verzeichnung,
wenn der Autor um jeden Preis die geogra-
phische Überlappung des Vorkommens der
mittelalterlichen perrons mit der Verbreitung
des „küstennahen atlantischen Megalithikum“
nachweisen will. Das Fehlen der perrons so-
wie aller auch nur entfernt damit vergleich-
baren Werke in klassischen Megalithgebieten
wie Südfrankreich, Spanien, Italien (wo über-
all in bäuerlichen Bauwerken die megalithi-
sche Bauweise bis heute fortlebt!), Mittel-
und Nord-Deutschland, Skandinavien usf.
wird mit der einfachen Feststellung abgetan,
diese Regionen seien „Streuexemplare .. . An-
hängsel . . . Annexe“ der eigentlichen Mega-
lithkultur gewesen.
Der Rezensent möchte nur zwei grundle-
gende Einwände gegen den vom Autor ein-
geschlagenen Weg äußern. Der eine richtet
sich gegen die bewußte Auslassung kultur-
historischer Gegebenheiten, der andere gegen
die dem Buch zugrunde liegende Methode.
Dem Leser dieser Besprechung wird es auf-
gefallen sein, daß bei der Darstellung von
Achsenkreuz und Stufenberg ein Gebiet nidit
berücksichtigt wurde, obwohl es im Mittel-
punkt des vom Autor aufgezeichneten Vor-
kommens liegt, nämlich das Zweistromland.
Der Rezensent muß bekennen, daß er es nicht
verstehen kann, weshalb die Stufenberge und
quadratischen Stadtanlagen von Sumer und
Babylon, die nach seinem Wissen älter als
alle anderen derartigen im Buche geschilder-
ten Anlagen sind, nicht nur keiner Beschrei-
bung gewürdigt werden, sondern — wie die
gesamte Kultur Mesopotamiens — mit ver-
ächtlichen Bemerkungen abgetan werden.
Überall dort, wo die Möglichkeit eines sume-
risch-babylonischen Einflusses naheliegt, wird
sie mit heftigen und schmähenden Worten
ausgesdilossen, die unangenehm gegen den
sonst so vorzüglichen Stil abstechen; „Baby-
156
Buchbesprechungen
Ionische Kulturschwemme”, „tote Geleise des
babylonischen Verschiebebahnhofs“ usf. Es
tut dem Buche Abbruch, wenn ganz offen-
kundige Zusammenhänge zwischen Babylon
und Israel, auf die kein geringerer als
Albright hinweist, hinwegdisputiert werden
und man erfährt, daß Weltbergvorstellungen
und Stufenarchitektur in Israel — die dort
schwach genug ausgebildet sind — ihre Vor-
bilder nicht im Zweistromland, sondern in
den treppenförmigen Basen palästinensischer
Dolmen hätten! (so S. 186, im gleichen Sinne
S. 47, 133, 170, 175, 221). Obwohl die vor-
geschichtliche Durchforschung Vorderasiens
noch nicht abgeschlossen ist und künftige
Ausgrabungen Revisionen des bisherigen Bil-
des der Vorgeschichte bringen können, so
dürfte doch feststehen, daß man den Beginn
aller höheren Kulturentwicklung im frucht-
baren Halbmond und seinen Randgebieten
zu suchen hat. Hier ebenso wie in anderen,
späteren archaischen Hochkulturen — in In-
dien, Hinterindien und China, auch in Me-
xiko — fügen sich die auf die Wirklichkeit
übertragenen kosmischen Ordnungsprinzipien
zu einem lückenlosen Strukturfeld zusammen.
Paul Kirchhoff hat nachgewiesen, daß das
Bestreben, nicht nur die Sterne, die Zahlen,
den Kalender und das Pantheon, sondern
auch Farben, Eigenschaften, Stände und Ka-
sten und geographische Gegebenheiten in die-
se großartige, nichts aussparende Ordnung
einzuspannen, ein ganz charakteristischer Zug
der archaischen Hochkulturen ist. Hier auch
hat man die Vorstellungen von Weltberg
und Quadrierung zu suchen, nicht aber bei
einem hypothetischen, aus dem Unbekannten
an Spaniens Küsten landenden Volk, das noch
dazu als Träger des Megalithikum apostro-
phiert wird. Wenn auch die Diskussion um
das Megalithproblem noch anhält, so haben
doch alle seit Heine-Gelderns bahnbrechen-
der Arbeit (Anthropos 23, 1928) erschienenen
Untersuchungen gezeigt, daß das Megalithi-
kum nicht mit den archaischen Hochkulturen
in einen Zusammenhang gebracht werden
kann. Überall, wo es sich bei renzenten Völ-
kern manifestiert — von Afrika über den
Hindukusch und Assam bis in die Südsec —,
treten eine ganze Reihe übereinstimmender
Elemente in seinem Gefolge auf, wie Stelen-
setzungen, besondere Formen des Feldbaus,
Manismus und Verdienstfeste — Weltberg-
und Quadrierungsvorstellungen wird man bei
ihnen vergeblich suchen.
Vordringliche Aufgabe der kulturgeschicht-
lichen Forschung muß es heute sein, die un-
tersuchten Elemente in ihrem historischen Zu-
sammenhang zu erkennen und einzuordnen.
Wozu aber dann die Versuche, westmediter-
rane Kulturen an den Anfang der Verbrei-
tung des Viererprinzips zu setzen, wozu die
scharfen Worte und das Leugnen einer etrus-
kischen oder babylonischen Herkunft der
Quadrierung, wozu das Beharren auf dem
„indogermanischen Erbe“ und dem „ge-
schichtlichen Gewicht“ der atlantischen Me-
galith-Kultur, wenn der Leser andererseits
davon unterrichtet wird, daß die hier behan-
delten kosmologischen Prinzipien Urbilder
seien, die epochenlang verschwinden und in
seelisch bewegten Zeiten wieder auftauchen
könnten? Werden dann gar die bis ins Detail
gehenden Übereinstimmungen der hinterindi-
schen und mexikanischen Stufenpyramiden
mit dem Satz erklärt, daß man hier eine
Urverwandtschaft annehmen müsse, die „vor
jeder Historie überhaupt“ liege, dann muß
der Rezensent mit Bedauern feststellen, daß
der Autor einen Weg eingeschlagen hat, auf
dem er ihm nicht mehr folgen kann.
E. Haberland
FERDINAND HERRMANN:
Symbolik in den Religionen der Natur-
völker. (Heft 9 der „Symbolik der Religio-
nen“, Herausgegeben von Ferdinand Herr-
mann.) Stuttgart: Verlag Anton Hierse-
mann. 1961. 268 S. Einzelpreis: DM 55.—.
Der vorliegende stattliche Band des be-
kannten Heidelberger Ethnologen enthält et-
was ganz anderes, als man es dem Titel nach
zunächst vermutet. Wer in erster Linie eine
Übersicht über die gegenständlichen Symbole
erwartet hat, wird enttäuscht sein: Von ihnen
handelt allenfalls das letzte Drittel des Bu-
ches. Aber der Verfasser hat absichtlich den
Begriff des Symbols sehr weit gespannt und
das Werk entsprechend breit angelegt. Herr-
manns Anliegen Ist, die Einbettung des Sym-
bols in Glaubenswelt, Mythos und Kult der
Naturvölker aufzuzeigen. Daraus wurde
schließlich eine Art naturvölkische Religions-
geschichte, deren Reichtum an Substanz in
eindrucksvoller Weise die Vertrautheit des
Autors mit der Materie demonstriert, der
eine Besprechung im üblichen Rahmen kaum
gerecht werden kann. Einen Begriff hiervon
gibt das Inhaltsverzeichnis. Das erste Kapitel
Buchbesprechungen
157
über die Glaubenswelt umfaßt allein hundert
Seiten. In ihm liegt zweifellos einer der
Schwerpunkte des ganzen Buches. Nachein-
ander werden die Seelenvorstellungen, die
Toten und das Totenreich, Geister und Dä-
monen, Mana und Tabu, der Totemismus in
seinen verschiedenen Ausprägungen, das höch-
ste Wesen in allen Schattierungen, die mythi-
schen Urzeitwesen und Heilbringer, Ahnen-
verehrung und Götterglaube abgchandclt. Die
Beispiele sind hier wie in den übrigen Ka-
piteln allen geographischen Gebieten, mit
Vorrang jedoch dem afrikanischen Bereich
entnommen.
Der Blickwinkel des Verfassers ist im all-
gemeinen der des Kulturhistorikers, doch wird
dem Leser oft die Auswahl unter den zitier-
ten Lehrmeinungen überlassen. Bei der Fülle
des Materials, in der auch der Rezensent
noch manch interessanten Hinweis fand, kann
es nicht ausbleiben, daß hie und da auch
Fehlurteile auftreten, wie z. B. (S. 109) dies,
daß Ahnenverehrung das religiöse Leben bei
den Indianern vom Amazonas bestimme (vgl.
hierzu den Beitrag des Rezensenten in „Die
Religionen des Alten Amerika“, Stuttgart
1961, S. 348 und 351); oder daß das Verbot,
den Namen eines Verstorbenen zu nennen,
wie z. B. bei den Yamana des Feuerland-
archipels, als Zeichen einer bedeutenden Stel-
lung der Ahnen zu werten sei. Die Yamana
kennen keinen Totenkult und das Verbot
der Namensnennung (bei Verstorbenen) hat
trotz der Berufung auf Köppers sicherlich hier
wie in vielen anderen Fällen keine reveren-
tiellen Gründe.
Das zweite Kapitel ist dem Mythus ge-
widmet und behandelt auf etwas über dreißig
Seiten als wichtigste Phänomene: Die Schöp-
fergestalten und den Schöpfungsvorgang, Ur-
zeit und Sintflut, den Ursprung des Todes,
die Veränderungen am Ende der Urzeit, den
Ursprung der einzelnen Wirtschaftsformen,
der Sitten, Riten und Institutionen, die Her-
kunft des Feuers und den Ursprung des Ge-
schlechtslebens.
Wurde bisher der geistige Hintergrund
der naturvölkischen Symbolik dargelegt, so
kommt diese selbst im dritten Kapitel (S. 161
bis 225) über den Kult stärker zu Wort. Hier
werden zunächst Ort, Objekte, Mittel und
Personen des Kultes besprochen. Weiterhin
erfahren die Initiation und die Bedeutung
der Bünde im Kult sowie der Totenkult be-
sondere Beachtung.
Ein letzter Abschnitt behandelt den „Kult
im Kulturwandel“, eine kulturhistorische Stu-
die, die jedoch nicht etwa zivilisatorische
Einflüsse aufzeigt — dies geschieht vielmehr
u. a. in der Schlußbetrachtung „Ausblick“ —,
sondern nacheinander die Kultformen der
Sammler und Jäger, der Knollenpflanzer, der
Getreidepflanzer, des Bauerntums und der
Viehzüchter recht anschaulich skizziert. Der
Meinung des Autors (S. 168, 202/203), daß
bei den Wildbeutern die Maskenspiele und
Maskentänze meist eines religiösen oder magi-
schen Hintergrundes entbehren, vermag sich
der Rezensent allerdings nicht ganz anzu-
schließen, ihm sind vielmehr eine Reihe von
Beispielen geläufig, die das Gegenteil be-
sagen.
Im vierten Kapitel (S. 235—243) „Symbol
und Ornament“, das vor allem den Symbol-
gehalt der biomorphen und geometrischen
Ornamente untersucht, sowie in einem fünf-
ten Kapitel (S. 246/247), zur „Zahlensym-
bolik“ benannt, wendet sich der Autor kon-
kreten Erscheinungen zu. Hierbei muß ganz
besonders bedauert werden, daß dem Buch
trotz des hohen Verkaufspreises zur Veran-
schaulichung und Erläuterung des Textes
kein einziges Bild beigegeben wurde. So
bleibt der Gesamteindruck des Werkes etwas
zwiespältig: Bei aller souveränen Beherr-
schung des enormen Stoffes, für die wir dem
Autor Dank und Anerkennung schulden,
wäre eine Straffung des Inhalts und eine
stärkere Hervorhebung des jeweiligen Sym-
bolcharakters der im einzelnen besprochenen
Phänomene für die Erfüllung des themati-
schen Auftrages von Vorteil gewesen.
O. Zerries
JEAN-LOUIS BÉDOUIN:
Les Masques. Paris: Presses Universitaires
de France 1961. 128 S., 19 Zeichnungen.
(Collection „Que sais-je?“, No. 905.)
NORBERT MYLIUS:
Antlitz und Geheimnis der überseeischen
Maske. Eine Einführung in das Masken-
wesen der Übersee. Wien: Verlag Notring
der wissenschaftlichen Verbände Öster-
reichs. 1961. 53 S., 32 Abb. Preis: ö. S.
45.—.
Die Schriften der Reihe „Que sais-je?“ wol-
len einen großen Leserkreis in die mannig-
faltigsten Probleme und Wissensgebiete ein-
führen. So soll das Büchlein von Bédouin
158
Buchbesprechungen
dem Leser Sinngehalt und Gebrauch der
Maske in den verschiedensten Gebieten der
Erde nahebringen. Als Einführung in die
Problemstellung wird im ersten Teil des Bu-
ches versucht, einige charakteristische Züge
des Maskenwesens und der Masken selbst zu
erläutern. Der Autor ist bestrebt, Gemein-
samkeiten der Masken der einzelnen Erd-
gebiete zusammenzustellen. Im zweiten Teil
beschreibt er Herstellung und Bedeutung von
Masken sowie das Bundwesen mit Hilfe eini-
ger Beispiele aus Afrika (Dogon, Kono),
Amerika (Eskimo, Irokesen, NW-Küste,
Pueblo und Amazonas-Gebiet) und Melane-
sien. Bédouin hat als Beispiele Stämme bzw.
Gebiete ausgewählt, über die ein reiches Ma-
terial vorliegt. Im dritten Teil zeigt er auf,
welche Funktionen Masken haben können.
Er unterscheidet im wesentlichen Masken, die
Schutz vor natürlichen und übernatürlichen
Mächten gewähren sollen, Masken als Mani-
festationen von übernatürlichen Wesen, als
Abzeichen der sozialen Stellung und als Herr-
schaftsmittel. Auch Sonderformen der Maske,
wie Totenmaske, Handmaske, Giebelmaske
usw. werden erläutert. Zum Schluß werden
noch einige Beispiele der Verwendung von
Masken in bestimmten Kulten besprochen.
Bédouins Betrachtung ist im wesentlichen
psychologisch aufgebaut. Er ist bestrebt, trotz
aller Unterschiede, die im Maskenwesen ver-
schiedener Erdgebiete festzustellen sind, Ge-
meinsamkeiten zu finden, ohne jedoch die
dabei gebotene Vorsicht außer acht zu lassen.
Das Büchlein von Mylius ist aus demselben
Bestreben entstanden, dem Leser Maske und
Maskenwesen näherzubringen, wobei jedoch
vom Konkreten ausgegangen wird, nämlich
vom Äußeren der Maske. Mylius unterstreicht
in stärkerem Maße als Bédouin die Bedeu-
tung des Kostümes als Bestandteil der Mas-
ke. Nach den Materialtypen unterscheidet der
Autor Holzmasken, Schädelmasken, Metall-
masken, Steinmasken, Schminkmasken und
„andere Werkstoffmasken“. Nach der Ver-
wendung teilt er in Gesichtsmasken (= Vor-
legmasken), Aufsatzmasken und Stülpmasken
ein. Hier hätten Handmasken, Totenmasken,
Giebelmasken usw. als Sonderformen er-
wähnt werden sollen, auf die erst später ein-
gegangen wird. Von der Funktion der Maske
her unterscheidet Mylius religiöse und pro-
fane Masken. Bei den religiösen Masken wird
zwischen dynamischen und statischen Masken
unterschieden. Zu letzteren werden Amulett-
und Wächtermasken (z. B. die liberianischen
Handmasken) gerechnet. Profane Masken
sind Tierverkleidungen der Jäger, Theater-
masken, Scherzmasken und sinnentleerte Mas-
ken. Ob Scherzmasken tatsächlich profane
Masken sind, sei dahingestellt. Im Einzelfall
wäre eine Nachprüfung erforderlich, ob der
„Spaßmacher“ nicht letzten Endes doch ein
übernatürliches Wesen ist, etwa ein altes
Trixterwesen.
Auch Mylius widmet dem religiösen Sinn
und der kultischen Bedeutung der Masken
eine eingehende Betrachtung unter Heran-
ziehung von Material aus den verschieden-
sten Erdteilen. Abschließend wird das Mas-
kenwesen als solches aus christlicher Sicht
betrachtet. Für den „Maskenmystizismus“
und die christliche Messe stellt der Verfasser
„im wesentlichen die gleiche ernste religiöse
Sehnsucht nach der Vereinigung mit dem
Transzendenten“ heraus. Leider läßt er sich
dann zu einem Werturteil hinreißen, indem
er erklärt, diese religiöse Sehnsucht sei im
Maskenmystizismus „auf irrtümlich als maß-
geblich und mächtig gedachte transzendente
Kräfte: Ahnen, Schutzgeister und Götter“
bezogen (S. 42). Beim Versuch, Phänomene
fremder Religionen zu erklären, muß der
Wissenschaftler den eigenen Glauben zurück-
treten lassen und vor allem andere Glau-
bensvorstellungen als gleichwertig akzeptie-
ren. Andernfalls kann sein Urteil nicht als
objektiv angesehen werden.
J. Zwernemann
GEORGE KUBIER, S. KOOIJMAN,
HALLAM L. MOV1US jr.:
Three Regions of Primitive Art. New
York: The Museum of Primitive Art. Lec-
ture Series Nr. 2. (Distrihuted hy Univer-
sity Puhlishers, Inc.) 1961. 77 S., 42 Ta-
feln. Preis: $ 3.50.
Die Vorlesungen, die dieses Buch vereinigt,
versehen mit einem Vorwort von Robert
Goldwater, sind Studien, die verbunden sind
nur durch ihren Ausgangspunkt, die Kunst
der Naturvölker und der Vorzeit, das, was
im angelsächsischen Sprachgebrauch mit „pri-
mitive art“ bezeichnet wird. Sie sind klug
und elegant abgefaßt, zum Teil unter Ver-
zicht auf Literaturangaben, die man nament-
lich bei der Darstellung von Kooijman ver-
mißt.
Hallam L. Movius behandelt im Anschluß
an die Ausgrabungen von La Colombiere bei
Buchbesprechungen
159
Poncin und im Hinblick auf die Venus von
Abri Pataud (Dordogne) ’’Aspects of Upper
Palaeolithic Art“. Movius, der bei seiner In-
terpretation mit großer Umsicht und Behut-
samkeit vorgeht, versucht aus der Gesamt-
geistigkeit des Palaeolithikums die Kunst die-
ser Zeit zu deuten mit dem durchaus rich-
tigen Gefühl: ”It is difficult enough for us
to understand the mental Outlook of a few
historic generations ago: it is virtually im-
possible for us to turn our minds back into
the limits of the intellectual experience and
impulses of Perigordian and Aurignacian
man.“
Im zweiten Vortrag befaßt sich S. Kooij-
man mit den Stilprovinzen des westlichen
Neuguinea, die er im einzelnen charakteri-
siert. Er unterscheidet 1. die Inseln und das
Küstengebiet der Gelvinck Bay einschließlich
der Radja Ampat Inseln (’’Northwestern Lit-
toral“), 2. den Streifen der Nordküste von
Holländisch Neuguinea zwischen der Mün-
dung des Mamberamo im Westen und der
politischen Grenze im Osten (’’Northeastern
Littoral“), 3. den Mimika-Distrikt, den west-
lichen Teil der Ebene im Süden des Zentral-
gebirges, 4. das Asmat-Gebiet, das sich im
Südosten anschließt, und 5. den Bereich der
Marind-anim. Kooijman gibt in prägnanter
Kürze einen Überblick über die künstlerischen
Erzeugnisse dieser Provinzen, die Eigenart
ihres Stiles und die Zusammenhänge mit der
Gesamtkultur der einzelnen Gebiete und den
geographischen Faktoren.
George Kubier erörtert im Rahmen seines
Vortrages ’’Rival Approaches to American
Antiquity“, der die Kulturen des alten Meso-
Amerika zum Gegenstand hat, eine Reihe
grundsätzlicher Fragen. Er bespricht die noch
immer offene Frage, ob ein selbständiger
Ursprung der Indianerkultur oder eine Her-
kunft aus Asien anzunehmen ist. Für Kubier
beruht die Ähnlichkeit, die zwischen Amerika
und Asien besteht, auf Konvergenz. Sie
reicht nach ihm nicht zur Feststellung eines
genetischen Zusammenhangs. Kubier betont,
daß bei der Kunst aller Völker die ästheti-
sche Funktion zu berücksichtigen ist und bei
ihrem Studium dem „Stil“ entscheidende Be-
deutung zukommt: ’’’Style' rather than
’level' is our key to the differences between
artistic groupings. Cultural configurations
can be charted and measured by the pheno-
menon of style“ (p. 74).
F. Herrmann
Schallplattenreihe : Unesco-Collection:
A Musical Anthology of the Orient (Musik
des Orients). Herausgegeben vom Interna-
tionalen Musikrat unter der Leitung von
Alain Daniélou. Kassel: Bärenreiter-Mu-
sicaphon.
Die Schallplatte gehört heute zu den un-
entbehrlichen Hilfsmitteln jeder musiketh-
nologischen Arbeit. Die von den einzelnen
Firmen angebotenen Aufnahmen aus den ver-
schiedenen Regionen der Erde vermitteln eine
Fülle ausgezeichneten Materials, das aller-
dings auch noch manche Wünsche offenläßt.
Ohne Zweifel kann aber die pädagogische
Aufgabe der Schallplatten mit Musik nicht-
europäischer Völker gar nicht hoch genug ver-
anschlagt werden: ermöglichen diese Aufnah-
men doch jedem einzelnen einen Einblick in
fremde Kulturbereiche.
Um einer solchen Aufgabenstellung gerecht
werden zu können, sind Sammlungen mit
charakteristischen, sorgfältig ausgewählten
Beispielen aus größeren Gebieten von außer-
ordentlichem Wert. So verdient der Gedanke,
die Musik des Orients in repräsentativen
Querschnitten auf Schallplatten einem größe-
ren Kreise zugänglich zu machen, uneinge-
schränkte Anerkennung. Die unter Leitung
von Daniélou herausgegebene Unesco-Collec-
tion „Musik des Orients“ vermittelt auf den
bisher erschienenen fünf Langspielplatten
zwar noch keinen Querschnitt durch die Mu-
sik des Gesamtgebiets (ja noch nicht einmal
durch die aller wesentlichen Länder), stellt
aber doch einen bedeutungsvollen Schritt auf
dem Wege zu diesem Ziele dar. Ein Hinweis
in dieser Zeitschrift auf diese Sammlung ist
deshalb wohl gerechtfertigt.
Die fünf Schallplatten bringen Musikbei-
spiele aus 4 Ländern Asiens:
1. Laos
2. Cambodia
3. Afghanistan
4. Iran I
5. Iran II
BM 30 L 2001
BM 30 L 2002
BM 30 L 2003
BM 30 L 2004
BM 30 L 2005.
Zu jeder Platte gehört ein umfangreiches,
mit sehr guten Abbildungen der Instrumente
ausgestattetes Beiheft, dessen Kommentar vom
Herausgeber verfaßt wurde (in französischer,
englischer und deutscher Sprache).
Die zur Besprechung vorliegende Platte
„Laos“ enthält schöne Beispiele zur Orches-
ter- und Ramayna-Musik neben ausgezeich-
neten Sätzen für die Mundorgel. Leider ist
160
Buchbesprechungen
aber die Volksmusik zu kurz gekommen, was
besonders bedauerlich ist, da gerade sie die
Kennzeichen eines Volkes musikalisch am bes-
ten zum Ausdruck bringt. Die drei Gesangs-
stücke können jedenfalls kaum als echte
Volksmusik angesprochen werden, wenn auch
das eine als Volkslied aus dem Norden be-
zeichnet ist.
Im Kommentar werden die Laosbeispiele
häufig mit Typen anderer Länder — vor
allem Indiens — verglichen. Sollen solche
Vergleiche nicht völlig nutzlos bleiben, müß-
ten nun auf einer weiteren Platte diese Ver-
gleichsbeispiele erklingen. Noch sinnvoller
wäre es freilich gewesen, wenn man sie
gleich nach den jeweiligen Aufnahmen aus
Laos in einem kurzen Ausschnitt zu Gehör
gebracht hätte. Bedauerlich ist auch das Feh-
len der Originaltexte der Gesangsstücke und
ihre Übersetzung in eine der westlichen Spra-
chen.
Diese Bemerkungen sollen aber in keiner
Weise den Wert der Platte mindern. Sie sollen
nur zeigen, daß noch manche Wünsche uner-
füllt geblieben sind. Ihrer Erfüllung sollten
aber bei der hoffentlich zu erwartenden Fort-
setzung der Schallplattenreihe keine unüber-
windlichen Hindernisse entgegenstehen. Auf
jeden Fall ist der ganzen Sammlung eine
ihrer Bedeutung entsprechende Verbreitung
zu wünschen.
W.-D. Meyer
KARL J. NARR:
Urgeschichte der Kultur. Kröners Taschen-
ausgabe Bd. 213. Stuttgart: Alfred Kröner
Verlag, 1961. 362 Seiten mit 16 Bildtafeln
und 2 Zeittafeln.
Die Stärke der führenden Köpfe in der —
innerhalb der mitteleuropäischen Ethnologie
so außerordentlich wichtigen — „Wiener
Schule“ lag nicht auf dem Gebiet der Philo-
sophie. Sie waren sich über den geistigen Ort
ihrer Schöpfungen fast grundsätzlich im Un-
klaren. So wurde niemals erkannt, was die
von Wilhelm Schmidt aufgestellten Kultur-
kreise eigentlich darstellten, nämlich Ideal-
typen im Sinne Max Webers. Ganz deutlich
ist dies zum Beispiel hinsichtlich des „Hirten-
kulturkreiscs“. Das von W. Schmidt vorge-
stellte Modell kann zum Beispiel zum Ver-
ständnis der Turkvölker wie auch der Prärie-
Indianer mit Nutzen gebraucht werden. Es
paßt also auf Komplexe, die genetisch in kei-
nem Zusammenhang stehen.
Diese Unklarheit hat dann das weitere
Schicksal der „Wiener Schule“ bestimmt. Statt
die Kulturkreise von der historischen in die
typologische Ebene zu transponieren, ließ
man plötzlich das ganze System fallen, wobei
man andererseits der sogenannten kultur-
historischen Methode eine viel zu große Be-
deutung zubilligte und ihre Verfeinerung for-
derte. Wilhelm Schmidt hatte sie hingegen
meist souverän zur Abschirmung seiner In-
tuitionen gebraucht.
Begreiflicherweise hatte das entstandene
Vakuum jene Vertreter der Nachbarwissen-
schaften in große Schwierigkeiten gebracht,
die ihren Kollegen gegenüber, oft auch vor
einem breiten Leserkreis, mit den angeblich
gesicherten Resultaten der kulturhistorischen
Ethnologie Wiener Prägung operiert hatten.
Gelegentlich wurden sie auch noch für ihre
Gutgläubigkeit von den Reformern der Wie-
ner Schule angegriffen, — wie dies zum Bei-
spiel Rüstow widerfuhr. Diese Autoren muß-
ten jetzt schweigen oder die Ordnung des
ethnologischen Materials, seine Einstufung
selbst übernehmen.
Karl J. Narr lag es nicht, das Schweigen zu
wählen, das jedenfalls einfacher gewesen
wäre. Sein Buch „Urgeschichte der Kultur“
enthält daher immer wieder ethnologische
Aussagen, für die er selbst die Verantwortung
übernimmt. Es ist klar, daß ich als Ethnologe
zunächst einmal dazu Stellung nehmen muß.
Hat Narr die offenkundigen Schwächen des
Wiener Hypothesenbaues vermieden? Hat er
sinnvoll weitergebaut?
Betrachten wir uns die ersten Kapitel. Narr
spricht nur mehr im Titel von „Urkultur“.
Er verwendet den Begriff gewissermaßen un-
ter Anführungszeichen. Aber er spricht statt
dessen von „Ältester Kultur“ und schreibt die-
ser alles Entscheidende zu, was Schmidt von
der Urkultur postulierte. Das ist kein Weiter-
bauen, sondern ein taktisches Manöver, was
auch darin zum Ausdruck kommt, daß Schmidt
im Literaturverzeichnis nur einmal, und zwar
nicht mit seinem Hauptwerk erscheint. Köp-
pers ist überhaupt der Säuberung zum Opfer
gefallen, dabei basiert Narr auch auf dessen
Gedankenwelt. Ihm fehlt nämlich die Kennt-
nis der Probleme, um die die Ethnologie in
den letzten Jahren ringt. Die leidenschaft-
liche und geistvolle Diskussion um den Ur-
sprung der Exogamie ist spurlos an ihm vor-
übergegangen.
Buchbesprechungen
161
Auch die „höhere Jägerkultur“, die die
nächste Phase bildet und mit dem Jungpaläo-
lithikum gleichgesetzt wird, ist ein „Survi-
val“ der Wiener Kulturkreislehre. Nur der
Clan-Totemismus ist, dem auch in Wien in-
zwischen erreichten Stand entsprechend, aus-
geschieden worden. In Wirklichkeit wird man
sich fragen müssen, ob nicht durch die Ein-
führung dieses Begriffes die Illusion einer
relativen Einheitlichkeit heraufbeschworen
wird. Es müßte uns mitgeteilt werden, daß
viele Gelehrte der Ansicht sind, Südostasien
sei, mindestens auf dem Gebiet der Geräte-
technik, damals schon seinen eigenen Weg ge-
gangen. Vielleicht entspricht dem auch eine
andere geistige Haltung, die sich bis in die
Religion hinein auswirkt? Gerade hier hätte
man den wertvollsten Grundgedanken aus-
spielen können, den die Wiener Forschungs-
richtung vertrat, nämlich den der multiline-
aren Entwicklung. Narr hat ihn selbst einmal
aufgegriffen, allerdings in recht schematischer
Form.
In den späteren Kapiteln ist der Einfluß
der Wiener Tradition sehr viel geringer. Er
wirkt sich nur insofern aus, als im Zweifels-
fall der Diffusion — oft im Rahmen einer
Migrationshypothese — der Vorzug gegeben
wird. Das gilt zum Beispiel für den Acker-
bau. Narr rechnet mit der Möglichkeit, eine
aus dem südostasiatischen Raum herübergrei-
fende Pflanzerkultur habe sich im Vorderen
Orient mit höheren Jägern verbunden. In
diesem Rahmen sei dann der Getreidebau
entstanden. Auch hinsichtlich der Ausbreitung
der Megalithen wird vor allem mit der Aus-
breitung einer bestimmten Geistigkeit ge-
rechnet. Nach dem funktionalen Einbau die-
ses Elements wird nicht gefragt. Sehr vor-
sichtig ist Narr in einem anderen Teilgebiet
geworden, nämlich hinsichtlich der Viehzucht.
Er nähert sich hier den allgemein angenom-
menen Resultaten.
Wir können die Besprechung nicht ohne die
Feststellung abschlicßcn, daß Narr in man-
chen Punkten ein posthumes Opfer der Wie-
ner Schule geworden ist. Das ist schade, denn
er gehört zu den wenigen, die befähigt sind,
mit kühnem Griff und geschickter Darstel-
lungsgabe jene Bilder zu entwerfen, die das
breite Publikum braucht, die aber auch dem
Fachmann ein nützlicher Anstoß zur Selbst-
besinnung sind.
Vielleicht hätte Narr dieses Ergebnis ver-
meiden können, wenn er entweder mehr mo-
derne Ethnologen gelesen, oder aber sich
intensiver mit scholastischem Denken befaßt
hätte. Warum wird zum Beispiel das Auf-
treten des „wahren“ Menschen, das in der
Darstellung Narrs einen etwas abrupten Cha-
rakter erhält, nicht im Licht der aristoteli-
schen Philosophie betrachtet, die mit ihrem
Entelechie-Begriff auch heute noch den An-
satzpunkt zu sinnvoller Deutung birgt?
K. Jettmar
FRIEDRICH CORNELIUS:
Geistesgeschichte der Frühzeit, I. Von der
Eiszeit bis zur Erfindung der Keilschrift.
Leiden: E. ]. Brill. 1960. 238 S., 8 Tafeln.
Der Verfasser stellt in der Vorrede fest,
das Aussehen der Völkerkunde habe sich to-
tal verändert. Davon habe aber kaum ein
Althistoriker Notiz genommen, „vielmehr
behelfen sich die Elistoriker mit dem ethno-
graphischen Rüstzeug, das seit fast einem
halben Jahrhundert veraltet ist“. Hier soll
nun Wandel geschaffen werden. Cornelius
will die Lücke schließen, die zwischen Völker-
kunde und Alter Geschichte entstanden ist.
Cornelius betrachtet hierbei das Vorgehen
Mcnghins als mustergültig. Er sucht aber in
doppelter Hinsicht über seinen Vorgänger
hinauszukommen. Er will auch über jene vor-
geschichtlichen Stufen Aussagen wagen, „für
die eine Entsprechung nicht mehr aufzufinden
ist“. Weiter soll „an die Stelle des statistischen
Nebeneinanders, das der Völkerkunde ge-
nügt, ein kausal geordnetes Gefüge“ gesetzt
werden.
Man könnte nun einwenden, daß damit
ausnahmsweise der modernen Völkerkunde
bitter Unrecht geschieht („statistisches Neben-
einander!“). Ich will mich aber begnügen,
sein weiteres Vorgehen an einigen Beispielen
zu belegen;
Den Ursprung des Schamanentums sucht
Cornelius (61 f.) in der Behandlung rheuma-
tischer Leiden, die in der einseitigen Fleisch-
nahrung der arktischen Kultur um 9000 v. Chr.
ihren Ursprung hatten. Die Medizinmänner
brachten sich und ihre Zuhörer durch „wir-
belnde Tänze in innere Hitze“, bis sie in
Schweiß ausbrechend erschöpft zusammen-
sanken, — und so auf sich und ihre Zuhörer
eine günstige therapeutische Wirkung aus-
übten. (S. 62) „Und nicht nur die Krank-
heiten, sondern alle Art von ängstenden bö-
sen Wesen meinten die Geisterbanner durch
ihre lärmenden Tänze zu verjagen, wie die
162
Buchbesprechungen
Kinder in der Dunkelheit laut reden, um ihre
Angst zu meistern. Ein Nachhall jener Feste
der Geisterabwehr klingt in unseren lärmen-
den Silvesterfeiern, mit denen je toller je
besser das neue Jahr eingeführt wird. In viel
edlerer Weise hat die Kirche das Glocken-
geläute zur Abwehr der bösen Geister über-
nommen und ausgestaltet.“
Wenige Seiten vorher schenkt uns der Ver-
fasser eine neue Theorie des Reibfeuerzeugs
(S. 44). „Im Drang zu mimischer Darstellung
ihrer Gedanken ahmten eiszeitliche Menschen
die Liebesvereinigung der Geschlechter mit
zwei Holzstücken nach. Sic bewegten ein
hartes Holz, das als männlich bezeichnet
wird, in dem Spalt eines weicheren, als weib-
lich angesprochenen Holzes hin und her. Und
als sie dies mit leidenschaftlicher Inbrunst
taten, sei es um stumm zu werben oder um
betend um Erhörung ihrer Liebessehnsucht
zu flehen, oder um Naturmächte zur Frucht-
barkeit magisch anzureizen, — da sprühten
die Funken und setzten dürres Gras, ja das
Holz in ihren Händen in Flammen.“
Auch über den Totemismus wird eine neue
Hypothese aufgestellt (S. 36). „Der einzelne
Mensch, der sich so als Hirsch oder Bär zu
verkleiden pflegte, fühlte sich auch, wenn er
ohne die Hülle war, den Tieren gleicher Art
verwandt. Schon darum enthielt er sich künf-
tig des Fleisches dieser Art. Nur bei der
ersten feierlichen Einführung in die Tiermaske
gab es Ausnahmen. Da konnte er sich wohl
durch das Trinken von Blut des Tieres be-
rauschen und zum Tanz in der Maske be-
geistern lassen. Denn im Blut spürte er die
Seele des Tieres in sich eingehen.
Natürlich brachte es ein Mann nur im
Nachahmen einer einzigen Tierart zur Mei-
sterschaft täuschender Verwandlung. So teilte
sich die Horde in Familien, von denen
die eine etwa dem Hirsch, die andere dem
Rentier oder dem Fuchs nachahmte. Mit den
Fellen vererbte sich die Zugehörigkeit zu den
Gruppen. Es ist dies die älteste Erbfolge, die
wir kennen (der sogenannte Totemismus).“
Wenige Seiten vorher (S. 24) läßt Cornelius
die älteste Kultur der Australier noch in die
„Zeit des Neandertalers, noch vor der Ent-
wicklung der Sprache“ zurückreichen.
Zwischen der „urmelanesischen Gesittung“
und dem Zug des Dionysos wird ein erschrck-
kend kurzer Verbindungsstrich gezogen (S.
108): „So abstoßend und grauenhaft uns die
Lebensformen der Kopfjäger erscheinen, so
sieghaft und freudestrahlend ging ihr Zug
damals über die Erde. Brachten sie doch den
Rauschtrank und die Begeisterung mit. Wie
hallte das Echo vom Jodeln ihrer Festgesänge.
Vom Siegeszug des Rauschgottes von Indien
über Kleinasien in die Balkanländer weiß
noch die griechische Sage.“
Gleich in der Einleitung stößt man auf die
lapidare Feststellung, „Zeichen für Ansätze
zu eigenem schöpferischem Leben sind jetzt“
(das heißt seit dem 19. Jahrhundert) „so-
wohl aus Rußland als auch aus Innerafrika“
vorhanden.
Meine volle Zustimmung hat hingegen die
auf Seite 4 niedergelegte Weisheit, „daß die
Urdummheit beim Büchergelehrten und nicht
beim naturverbundenen Menschen liegt“.
K. Jettmar
DIETRICH HANS TEUFELN:
Die östliche Welt. Asien zwischen Steinzeit
und Gegenwart. 820 S., über 200 Abb., 33
Karten. Baden-Baden: Hermann Pfahl
Verlag. 1962. Preis: DM 32.50.
In den letzten Jahren sind zahlreiche
Übersichtswerke erschienen, die auch die asia-
tische Geschichte einbeziehen. Es mangelt aber
ganz offensichtlich an lesbaren Darstellungen
für ein breiteres Publikum. Das, großartige
Werk Groussets über den Steppenraum ist
zum Beispiel niemals ins Deutsche übersetzt
worden.
Teuffen hat einen viel weiter gespannten
Rahmen gewählt. Er behandelt die gesamte
asiatische Geschichte, buchstäblich vom Sinan-
thropus pekinensis bis Mao Tse-tung. Dieses
Vorhaben kann durchaus als gelungen be-
zeichnet werden. Der Autor verfügt über eine
erfreuliche Darstellungsgabe, überall ist ein
leidenschaftlicher Ernst, ein wirkliches Rin-
gen um den Sinn der Erscheinungen festzu-
stcllen. Ein schwieriges Problem bildete na-
turgemäß die Gliederung eines so ungeheuren
Stoffes. Teuffen führt zunächst einmal die
Entwicklung bis zur Entstehung der Hoch-
kultur, verweilt anschließend in Südwest-
asien, erweitert dann den Raum der Betrach-
tung nach Südosten und Osten. Erst dann
folgt die Darstellung des Islam und der
innerasiatischen Steppenvölker, an die sich
sinngemäß die europäische Expansion, der
westliche Rückschlag, schließt. Dagegen könn-
te natürlich einiges eingewendet werden.
Nicht ganz auf der Höhe des übrigen Werks
ist die Schilderung der frühesten Perioden.
Hier hat sich der Autor auf die Prähistorie
und — ach! — auch auf die Ethnologie stüt-
Buchbesprechungen
163
zen müssen. Wie jeder, der diesen heiligen
Hain betritt, stand er vor einem wahren Dik-
kicht widerstreitender Hypothesen. Er hat
noch nicht die entscheidende Feststellung
gemacht, daß es nicht immer die lautesten
Rufer sind, die auf den richtigen Weg führen.
Der „sibirische Sack“ zum Beispiel, in dem in
stolzer Isolierung die weiße Rasse entstanden
sein soll, existierte nur in der Phantasie eines
Gelehrten, der Vereisungen überall dort ein-
zeichnete, wo er sie als Riegel brauchte. Die
Kapitel, die sich mit der Urkultur beschäf-
tigen, konservieren einen Standpunkt, der
von jenen Gelehrten, die heute die Tradition
der Wiener Schule verwesen, bereits aufgege-
ben wurde. Ein anderes Requisit aus der
Rumpelkammer der Ethnologie ist der „zir-
kumpolare Eisjagdkulturkreis“. Man freut
sich, nach dieser allzu traditionsbeladenen
Einleitung den sicheren Boden der Schrift-
geschichte zu erreichen, deren oft originell
pointierte Darstellung den Reiz des Buches
bildet.
K. Jettmar
FREDRIK BARTH:
Nomads of South Persia. Bulletin No. 8
Universitets Ethnografiske Museum, Uni-
versity of Oslo. Oslo: University Press.
1961. 159 S., 8 Abb., 10 Tafeln.
Über die Nomadenstämme der Provinz
Fars ist soeben ein Werk des sowjetischen Ge-
lehrten M. S. Ivanov erschienen. Es enthält
neben vielen wertvollen Angaben auch die
traditionelle Verzeichnung der Sozialstruktur.
Das Verhältnis zwischen den Stammesmitglie-
dern und ihrer politischen Führungsschicht
wird fast nur unter dem Gesichtspunkt der
Ausbeutung gesehen.
Es ist schon deshalb von größtem Wert,
daß F. Barth die Sozialordnung eines dieser
Stämme objektiv und nach den Spielregeln
der modernen Soziologie dargestellt hat. Der
Autor stützt sich dabei allerdings nur auf die
Ergebnisse eines dreimonatigen Aufenthalts.
Er kann aber sein Material mit den Erfahrun-
gen konfrontieren, die er im Laufe anderer
Expeditionen gemacht hat. Wir verdanken
ihm ja bereits eine Reihe von Monographien,
die zu dem besten gehören, was über den
vorderasiatischen Raum von soziologischer
Seite geschrieben worden ist. Mit seltener
Konsequenz baut er auf dem weiter, was ihm
bekannt ist.
Aber gerade an diesem Punkt stößt man
auf die Achillesferse des Buches. Infolge ei-
ner Ausbildung, die ihm offenbar keine
Kenntnis zentralasiatischen Materials ver-
mittelt hat, verkennt Barth die Problemlage.
Er sieht nicht, daß es sich bei den Basseri um
die Anwendung und Variation eines geistigen
Modells handelt, das in einem anderen Raum
entwickelt worden ist, dort, im Mongolen-
reich, seine großartigste Realisierung erfahren
hat und vermutlich mit den großen Noma-
deneinbrüchen für Iran vorbildlich wurde.
Ohne den Ausblick zumindest auf Westtur-
kestan spielt alles wie vor einem künstlichen
Rundhorizont. Ich will dies an einigen Bei-
spielen zeigen:
Auf Seite 73 stellt Barth fest, daß die Dy-
nastie bei den Basseri aus der Kolumbei-Sek-
tion stammt, dies aber keinen Einfluß auf die
Legitimität ausübt. Das Verhältnis äußert
sich lediglich In einem gewissen Stolz der Ko-
lumbei, nicht in Rechtsansprüchen. Hier fehlt
ganz einfach der Hinweis, daß das zugrunde
liegende System stets die gesamte Dynastie
(also den Herrscher und seine „lincage“) als
Träger eines besonderen Charismas dem ge-
samten Volk gegenüberstellt. So gehören et-
wa auch die „Sultane“ der Kazachen zu kei-
ner Sektion des Volkes. Auch die Unsicherheit
nach dem Tod des Herrschers, das Fehlen
einer Erbfolge erklärt sich aus dem mongo-
lischen Modell. Der Großkhan kann ja seine
Herrschaft nicht weitervererben, sie gehört
der ganzen Sippe, er kann nur den nächsten
Verwalter bestimmen oder auch nicht.
Das gleiche System erklärt ferner den
scheinbaren Widerspruch, daß ein Stammes-
mitglied unbedingtes Anrecht auf die Mitbe-
nutzung des Weideterritoriums seiner Sektion
hat, dieses Territorium aber selbst nicht fest-
licgt und leicht im Rahmen des Stammes re-
guliert werden kann. Solche ausgleichenden
Regulationen waren nämlich die wichtigste
Aufgabe der mongolischen Großkhane und
ihr entscheidendes Machtmittel.
Wenn Barth auf Seite 67 erklärt, daß hier
nicht nur ein logisches Prinzip vorlicgt, wie
zum Beispiel im „Lineagesystem“, dann fehlt
neuerlich der Hinweis, daß eine solche Mehr-
geleisigkcit der logischen Prinzipien für eine
bestimmte Phase Zcntralasiens typisch war
— man denke etwa an die „dekadische Glie-
derung“ der Mongolen, die ein Verwand-
senaftsprinzip überdedete.
Ich möchte betonen, daß ich mich hier nicht
als Vertreter einer historischen Richtung füh-
le, der an einem Sozialanthropologen billige
Kritik üben will. Audi nach den Regeln der
164
Buchbesprechungen
Strukturforschung darf man nicht so Vor-
gehen. Man muß alle greifbaren Varianten des
Modells berücksichtigen.
Zuletzt noch eine Bemerkung. Die geringe
Ritualisierung des Daseins erklärt Barth
durch den Hinweis, das freie Leben der No-
maden sei an und für sich bereits von genü-
gender Symbolkraft. Es bedürfe „exotischer
Paraphernalia“ nicht, das Bild des reichen
Tales mit Tausenden von Zelten genüge, um
die Gemeinschaft und ihre Spannungen aus-
zudrücken.
Man wird aber hier fragen müssen, wa-
rum dann die skythischen Nomaden, denen
sich ja auch das Bild endloser Weiden mit
Tausenden von Zelten bot, zu so großartigen
Symbolen gelangt sind, wie dies ihre Hügel-
gräber mit ihren komplizierten Errichtungs-
zeremonien darstellen? So einfach darf man
nicht über den ungeheuren Verlust an Sicht-
barkeit hinwegreden, den Innerasien erlebt
hat. Aber es ist wohl Erbschaft des anglo-
amerikanischcn Funktions- und Wertdenkens,
die Unterschiede der Ausdrucksfähigkeit, von
Gestaltungskraft und Gestaltungswilien zu
vernachlässigen.
Abschließend sei noch einmal betont, daß
es sich hier um ein ausgezeichnetes Werk
handelt. Es wäre nur noch besser geworden,
wenn der Verfasser mehr Literatur herange-
zogen hätte — darunter das grundlegende
Werk von Vladimircov, das auch in franzö-
sischer Sprache erschienen ist.
K. Jettmar
TOR ANDRAE:
Les Origines de iTslam et le Christianisme.
Traduit de l’Allemand par Jules Roche.
Paris: Librairie d’Amérique et d’Oricnt
Adrien-Maisonneuve. 1955. 211 S. (Initia-
tion à ITslam. VIII).
Im Jahrgang 23 (1923), S. 149—206, Jahr-
gang 24 (1924), S. 213—292 und Jahrgang 25
(1925), S. 45—112 der „Kyrkhistorisk ars-
skrift“, Uppsala, erschien ein in deutscher
Sprache geschriebener Aufsatz von D. Tor
Andrae unter dem Titel: Der Ursprung des
Islam und das Christentum. Obwohl seit dem
Erscheinen des Schlußteils dieser bei Reli-
gions- und Islamwissenschaftlcrn gleicher-
maßen bekannten Studie über 35 Jahre ver-
flossen sind, haben die darin enthaltenen
Ausführungen des schwedischen Wissenschaft-
lers auch heute ihr Bedeutung wie damals.
Die Untersuchung befaßt sich mit den christ-
lichen Elementen im Koran, die sich allein aus
den Einwirkungen einer der bekannten Rich-
tungen nicht erklären ließen. Andrae, ein
guter Kenner der syrischen und der altchrist-
lichen Kirdie überhaupt und ihrer Literatur
sowie ein ausgezeichneter Forscher auf dem
Gebiet der syrischen Geistesgeschichte, stellt
sich die Frage, ob sich nicht „die verschieden-
artigen Bestandteile als Entlehnungen aus
verschiedenen christlichen Richtungen and
Sekten deuten lassen. Er will daher versuchen
festzustellen, welche christlichen Entlehnun-
gen sich auf bestimmte Richtungen zurück-
führen lassen, ob Muhammad mit den so er-
mittelten Richtungen in Beziehung getreten
sein und auf welchem Wege die Übermittlung
stattgefunden haben könne“. (J. Horovitz in
OLZ 1926, Spalte 842.) Es soll hier nicht
noch einmal der Inhalt eines Werkes, dessen
Erscheinen so weit zurückliegt, im einzelnen
besprochen werden. Eine kritische Stellung-
nahme zu Einzelheiten von J. Horovitz ist
in der OLZ 1926, Spalte 841—845 zu finden.
Es sei nur noch hingewiesen auf den Aufsatz
von S. D. Goitein: Who were Muhammad’s
Chief teachers? (in „Gotthold E. Weil Jubilee
Volume on the occasion of his seventieth
birthday, Jerusalem 1952“) mit anderen Re-
sultaten als bei Andrae. Die Übersetzung des
Aufsatzes ins Französische durch Jules Roche,
Lektor für die französische Sprache an der
theologischen Fakultät in Ankara, wendet
sich naturgemäß in erster Linie an den fran-
zösisch-sprachigen Leser. Da die schwedische
Zeitschrift jedoch nicht allzu häufig in unse-
ren wissenschaftlichen und privaten Biblio-
theken vorhanden und auch der Sonderab-
druck in der Zwischenzeit ein Rarum gewor-
den sein dürfte, wird durch die in Buchform
erschienene Übersetzung auch den deutsch-
sprachigen Lesern ein Dienst erwiesen. Leider
ist die Übersetzung nicht frei von „Flüchtig-
keiten, Irrtümern und Mißverständnissen“
auf die Jörg Krämer, Erlangen, in der ZDMG
108, Neue Folge 33, 1958, S. 210 f. hingewie-
sen hat. Immerhin hat der Übersetzer durch
Angabe der entsprechenden Seitenzahlen der
„Kyrkhistorisk arsskrift“ am Rande der
Übersetzung es dem Leser erleichtert, auf den
deutschen Originaltext, soweit vorhanden, zu-
rückzugreifen. Da die Studie nicht nur für
den Fachwissenschaftler von Bedeutung ist,
soll zum Schluß der Inhalt derselben durch
Angabe der Kapitelüberschriften der deut-
schen Fassung kurz umrissen werden:
Buchbesprechungen
165
I. Das Christentum in Arabien zur Zeit
Muhammed. _— 1. Negrän. — 2. Hfra.
— 3. Band Gassän.
II. Dichter und Hanifen.
III. Die Eschatologische Frömmigkeit Mu-
hammeds. — 1. Die Vorstellungen vom
Gericht und vom Jenseits im Koran. —
2. Die religiöse Bedeutung des Gerichts-
glaubens. — 3. Das Judentum. — 4.
Das Christentum. — 5. Die ägyptische
Mönchsreligion. — 6. Die syrischen Kir-
chen. — 7. Afretn. — 8. Der Seelenschlaf.
— 9. Die Beweise für die Auferstehung
und die Zeiten Gottes. — 10. Die sitt-
lichen und religiösen Pflichten.
E. Kümmerer
FRANZ ALTHEIM:
Geschichte der Hunnen. HI. Band: Kampf
der Religionen. In Zusammenarbeit mit
Ruth Stiehl. Mit Beiträgen von Konstantin
G. Cereteli, Norbert Reiter, Erika Traut-
mann-Nehring und Walter Wüst. Berlin:
Walter de Gruyter & Co. 1961. VIII +
322 S., 4 Tafeln. Preis: DM 62.—.
IV. Band: Die europäischen Hunnen. Mit
Beiträgen von Eugen Lozovan, Ruth Stiehl,
und Erika Trautmann-Nehring. Berlin:
Walter de Gruyter & Co. 1962. VIII + 388
S. Preis: DM 82.—.
„Kampf der Religionen" ist der Unter-
titel des 3. Bandes von Altheims „Geschichte
der Hunnen". Die Religionen: das sind Bud-
dhismus, Zarathustrismus, Manichäismus, Ne-
storianertum, Monophysitentum — und spä-
ter — Islam. Der Schauplatz ist der iranische
Raum mit seinen Nachbargebieten, vor allem
in sasanidischer Zeit. Altheim ist bemüht, die
Rollen der einzelnen Religionen und Be-
kenntnisse im politischen Spiel jener Zeit
herauszuarbeiten und geht den geschichtlichen
Zusammenhängen dieser Bekenntnisse als sol-
chen und untereinander nach. Zahlreiche Vor-
arbeiten und frühere Studien über diesen
Problemkreis kommen ihm dabei zustatten,
nicht zuletzt aber auch seine subtile und sou-
veräne Kenntnis des Sasanidenreiches.
Der Autor zeigt, wie christliche Missionen,
von Byzanz ausgehend, Persien im Norden
und Süden umgehen (20, 34, 40, 56 f.), wie es
die Oströmer verstehen, den Persern ihre
fremdvölkischen Söldner wegzumissionieren.
Er zeigt den Gegenzug der Sasaniden: die
Hereinnahmc der Nestorianer in ihr Reich,
die Förderung dieser Sekte, das Anwachsen
ihres Einflusses und ihre Missionserfolge,
vor allem im Osten und Nordosten, in Cho-
rassan und bei den Hephtaliten (99) ebenso,
wie bei den Arabern im Süden, wo zeitweise
auch Medina zum Herrschaftsbereich der Sa-
saniden gehört haben muß (48).
Besonders eingehend behandelt er die Ver-
hältnisse und Enwicklungen in Ostiran und
Turan. Hier wird indes die Rolle des Bud-
dhismus im Gebiet nördlich des Oxus nicht
völlig klar (vergleiche S. 27 und 29), doch
wird deutlich, daß der Zarathustrismus im
soghdischen Raum in der Zeit vor der Isla-
mierung wieder gewaltig an Boden gewann,
daß demgegenüber der Buddhismus südlich
davon weiterhin dominierend blieb. Eine
iranisch-zarathustrische Renaissance ging dem
Islam im Norden voraus, auch in Chwarizm.
Das Nestorianertum gewann daneben aber
eine erhebliche Bedeutung, besonders in und
um Merw, wo die Nestorianer — vom Neu-
platonismus beeinflußt — Jahrhunderte hin-
durch antike, vor allem griechische Schriften
ins Syrische übersetzten (110 f.). Diese alte
Alexander-Gründung war dazu prädestiniert,
denn noch im 3. oder sogar 4. Jahrhundert
gab es hier eine selbstbewußte griechische
Kolonie (129 ff.). Wenn man die Bedeutung
Chorassans für die Geschichte der frühen
Abbasiden kennt, versteht man, daß die Ne-
storianer unter der Herrschaft dieser Dynastie
die bestgelittene, vielleicht einzig einflußreiche
christliche Gemeinschaft in jenem Reiche dar-
stellten (106 ff.).
Aber nicht nur hier, sondern audi in Bagh-
dad, Hira und Basra wirkten nestorianische
Kräfte als Übersetzer, und gerade die arabi-
schen und mesopotamischen Nestorianer soll-
ten eine besondere Bedeutung erlangen. Ihre
Beschäftigung mit antiken Schriften, ihre
Übersetzung dieser Texte wurde die Grund-
lage der späteren arabischen Kenntnis der an-
tiken Philosophie, Medizin und Dichtung.
So verdankt das Abendland diesen vor- und
frühislamischen Nestorianern weithin die
Rettung zahlreicher antiker Schriften und
letztlich auch den Anstoß zur Renaissance.
Eine andere Linie verfolgt Altheim mit
ähnlicher Intensität: die Bedeutung der Neu-
platonikcr für die Rcligionsgeschichte des
Orients. Er zeigt, daß das Monophysitentum
genetisch engstens mit ihnen zusammenhängt,
daß die Neuplatoniker an der Entstehung
des jüngeren Zarathustrismus und des Maz-
166
Buchbesprechungen
dakismus entscheidenden Anteil hatten (64 f.)
und daß auch der Islam teilweise aus dieser
Wurzel herausgewachsen ist (62 f.).
Mit dem Gesamtthema der Arbeit ist die-
ser Band nur locker verknüpft, wenn man
von der Einleitung absieht (darüber später).
Der Autor versäumt zwar nicht, das Hunnen-
thema, sprich; Elephtalitenthema anzuschla-
gen, wo immer es möglich ist, aber das
ändert nichts daran, daß dieser ganze Band
wenig Hunnengeschichte enthält, selbst wenn
man mit dem Autor einig gehen will, daß
die Hephtaliten tatsächlich Hunnen sind. Für
ihre Geschichte scheinen besonders zwei Be-
merkungen wichtig: Einmal die, daß die
Hephtaliten lange und eifrig am Buddhis-
mus festgehalten zu haben scheinen, in einer
zwar zarathustrischen Umwelt, vielleicht in
einer gewissen Antithese zu ihren unterwor-
fenen soghdischen Landsleuten, deren irani-
sches Bewußtsein neu erwachte (III, 30 f., 35;
IV, 168), und zum anderen die Feststellung,
daß das Nestorianertum bei ihnen und von
ihnen aus große Verbreitung fand.
In der Art der Darstellung schließt dieser
3. Band an die beiden vorausgegangenen an,
an den zweiten in Hinblick auf die Thema-
tik, an den ersten dagegen in der ganzen
Darbietungsart (vgl. dazu die Rezension in
Tribus 10, 186 ff.). Auch hier werden Quel-
lentexte geboten und interpretiert, wird keine
fortlaufende Darstellung angestrebt, sondern
sind Einzelthemen aus dem Gesamtkreis mehr
oder weniger locker ancinandergefügt. Das
ist übrigens auch im 4. Band der Fall. Dem
3. Band sind noch einige Anlagen beigefügt.
W. Wüst trägt die These von den angeblichen
Goten in Indien zu Grabe, Altheim selbst
legt einen Reisebericht aus dem 13. Jahrhun-
dert vor, Cereteli gibt einen Abriß der ver-
gleichenden Phonetik der modernen assyri-
schen Dialekte, und Althelm selbst schließt
den Band in einem sehr harten, unschönen
Strauß mit einigen seiner wissenschaftlichen
Widersacher ab.
Der IV. Band trägt den Untertitel „Die
europäischen Hunnen“ und schließt mehr
oder weniger an den ersten an, auch im
Aufbau und in der Art der Darstellung
(„systematisch“ nennt Altheim im Vorwort
diese Art gegenüber der gewohnten, „erzäh-
lend-pragmatischen“). Auch hier erschließt er
wieder wenig bekannte oder berücksichtigte
Quellen.
Da die Geschichte der europäischen Hun-
nen mehrfach dargestellt ist, begnügt sich
Altheim mit einer kurzen, referierenden Zu-
sammenfassung in einzelnen Stücken, vor
allem im Buch 3 und 5. Sein Hauptanliegen
dagegen ist es, den geschichtlichen Ort der
Hunnen innerhalb der spätantiken Welt auf-
zuzeigen, wie er schon im Vorwort sagt. Eine
seiner hauptsächlichen Aufgaben sieht er
darin, die Zusammenhänge zwischen arsaki-
disch-frühsasanidischer Kultur in Iran und
dem Hunnentum darzustellen und in diesem
Zusammenhang die Unterschiede herauszu-
arbeiten zwischen der arsakisch-frühsasani-
schen Kultur ihrerseits und der spätsasanidi-
schen in Iran selbst andererseits. Gilt es doch
zu zeigen, daß die Hunnen — vor ihrer Ab-
wanderung aus dem nördlichen Kaukasusvor-
land 200 Jahre lang unter iranischem Ein-
fluß (30) — von der frühen Phase der nach-
hellenistisch-iranischcn Kultur beeinflußt wur-
den, während die spätere, nämlich spätsasa-
nidische Kultur sie nicht mehr erreichen konn-
te, weil die Hunnen damals bereits nach
Europa vorbrachen. Anders ist es bei den im
Kaukasus und im turanischen Raum verblie-
benen Hunnen, bei denen gerade spätsasani-
dische Züge erscheinen.
Altheim verfolgt die Entwicklung Inner-
halb Irans an einigen besonders wichtigen
und aufschlußreichen Phänomenen: an der
FInanzvcrwaltung, der Heeresgeschichte, Ele-
menten der Herrschaftssymbolik, der Schrift
und der Dichtung.
Die herausgearbeiteten Unterschiede sind
auf den einzelnen Gebieten beträchtlich. Hatte
innerhalb Irans bis In frühsasanidische Zeit
das achämenidische Stcuerrecht gegolten, viel-
leicht sogar unter den Diadochen, so wurde
jetzt das spätrömischc cingeführt, mit dessen
Hilfe vor allem die Bedürfnisse des Heeres
befriedigt werden konnten (36 f.). Die euro-
päischen Hunnen dagegen kannten kein aus-
geklügeltes Steuersystem; Im Gegensatz etwa
zu den Awaren, die spätsasanidische Prak-
tiken anwandten, waren sic nicht imstande,
die Steuerkraft der Unterworfenen anders
als in Form von willkürlicher Bedrückung
und Auspressung zu nutzen (50 ff.).
In spätsasanidischer Zeit konnte man dank
der vorausgegangenen Reform der Steuer-
gesetze ein stehendes Heer halten, technisch
hervorragend ausgerüstet und mit zahlreichen
Sondcrformationen versehen. Altheim geht
Buchbesprechungen
167
der Frage der Bewaffnung und der Taktik
im Laufe der Jahrhunderte nach (42 ff.) und
stellt fest, daß die Parther nebeneinander be-
rittene, ungepanzerte Bogenschützen und ge-
panzerte Lanzenreiter kannten, wobei die
Funktion der letzteren die geschlossene At-
tacke war. Daran änderte sich unter den
frühen Sasaniden nidit viel, wenn man davon
absieht, daß diese die Panzerreiter aufspal-
tcten in leichte und schwere Kavallerie, letz-
tere als Elitetruppen mit Lamellenpanzern.
Auch jetzt gab es noch kein größeres, stehen-
des Heer. In der späteren Sasanidcn-Zeit da-
gegen bestand das Heer aus Hilfstruppen
unterworfener Völker, ausgebildeten, im
Ernstfall einsatzbereiten Reserven und vor
allem dem stehenden Heer, das aus Söldnern
und Ritterregimentern zusammengesetzt war,
das Regiment zu 1000 Mann. Teile dieser
Rittereinheiten bildeten Garden, die beson-
ders schwer gepanzert waren, und zwar Roß
wie Mann. Diese Ritter trugen übereinander
Kettenhemd und Harnisch, sie hatten Helm
und Schild, Schwert, Keule, Lasso und — die
Bogentaschc mit zwei Bogen samt Pfeilen
dazu, später auch noch die aus China über-
nommene Armbrust. Diese Truppen waren
also für den Fernkampf wie für den Nah-
kampf zu verwenden. Ihre mangelnde Be-
weglichkeit wurde indes in dem Moment zum
Verhängnis, als die beweglichen Einheiten
der arabischen Truppen gegen sie antraten,
die sich nicht an die den iranischen Rittern
vertrauten Regeln des Kampfes hielten.
Von der spätsasanidischen Kampfesweise
und Bewaffnung ist bei den europäischen
Hunnen nichts zu finden. Sie verwenden Bo-
genschützen zu Pferd und wahrscheinlich
auch Lanzenreiter, wie einst die Parther und
die Alanen, also wohl nur leicht gepanzert.
Als weitere Waffen kennen sie das Gerad-
schwert, das aus Ostasien stammt. Von dort-
her kommen auch die Bronzekessel, die man
im Heer verwendet, während die Herkunft
der Holzsättcl noch nicht geklärt ist. Althcim
glaubt, daß die Chinesen diese aus Ferghana
zusammen mit den schweren Kavalleriepfer-
den während der Han-Zeit übernommen
haben. Diese Frage muß aber offen bleiben,
ebenso wie die nach der Herkunft der Kom-
posit-Rcflcxbogen, für die es ältere Beispiele
gibt als die von Althcim (56 f.) genannten.
Im Zusammenhang mit Hcrrschaftssymbo-
len geht Altheim den sogenannten Diademen
nach, die J. Werner zur Frauentracht zählt,
von denen aber mindestens eine Form, die
Kappe mit gekreuzten Bändern, sicher als
Herrschaftszeichen gelten soll, und als solches
von den Persern über die Alanen und Hun-
nen bis zu der gotischen Königstracht wan-
derte. In diesen Kreis gehört auch der Bogen
als Herrschaftszeichen und die Proskynesis.
Alle diese Symbole und Praktiken stammen
aus Persien, gehören dort schon der früheren
Phase der sasanidischen Kultur an und ka-
men von dort zu den Hunnen (60 ff.). In
diesem Zusammenhang sei auf die einschlä-
gige Arbeit von H. Jänichen verwiesen, der
diesen ganzen Problemkreis gleichfalls ange-
gangen hat (Bildzeichen der königlichen Ho-
heit bei den iranischen Völkern. Antiquitas,
Reihe 1, Band 3, Bonn 1956).
Anschließend behandelt der Autor das
Problem der sasanidischen Ideogramme und
stellt fest, daß sie in den Bereich der ost-
aramäischen Sprache und Schrift gehören.
Auch sie kommen bei den Hunnen nicht vor,
weil sie später entstanden sind. Dagegen
sieht Altheim Verbindungen zu den türki-
schen Runen, die von den Westhunnen aus
einem armazischen Alphabet entwickelt wur-
den und von diesen aus zu den Türken ge-
wandert sind. Probleme der germanisdien
Runen, als späten germanischen Tierstils, ger-
manischer Feldzeichen und Symbole schließt
er an und vergleicht sie mit den östlidien
Phänomenen, mit denen er sie auch teilweise
in genetischen Zusammenhang bringt.
Einen breiten Raum nimmt die Untersu-
chung über die Entstehung des Heldenliedes
ein (210 ff.), besonders des germanischen.
Althelm kommt zum Ergebnis, daß letzteres
auf alanisch-hunnisdie Vorbilder zurückgeht,
die ihrerseits vom Iran her schon in früher
Zeit (Arsakiden) befruchtet seien. Das Hel-
denlied wurzele im Totenlied. Sänger (beson-
ders zwei Sänger nebeneinander), Grabumritt
und gereimtes Lied seien von den Nomaden
an die Goten weitergegeben worden, die die
ersten Träger dieser Kunst im germanischen
Raum sind. Altheim glaubt, daß der Grab-
umritt und das Totenlied als Heldenlied
überhaupt In der nomadischen Sphäre Zen-
tralasiens wurzeln. Das scheint mir indes
nicht vertretbar. Beim Tod Adiills wird schon
beides geschildert! Und wenn man schon eine
einlinige Entwicklung dieses innerhalb Eu-
rasiens so wenig spezifischen Kulturgutes an-
nehmen will, dann stellt sich doch die Frage,
ob die seleukidischen und baktrischen Grie-
dien, die doch sicher ihren Homer kannten,
nicht eher für diese Entwicklung verantwort-
lich sind, als die von Altheim genannten
Gruppen. Wissen wir doch mit Sicherheit, daß
in Hellas das Totenlied und das Heldenepos
nebeneinander schon früh existierten, schon
ein Jahrtausend vor Altheims frühesten Zeu-
gen!
Dem Heldenlied stellt Altheim den Ritter-
roman gegenüber (228 ff.), nach seiner Mei-
nung eine Literaturform, die im spätsasani-
dischen Persien entwickelt wurde. Daß der
Roman nicht auf diesen Raum begrenzt war,
sagt Altheim selbst, aber verdienstvoll ist
diese Untersuchung vor allem deshalb, weil
Althelm einige spezifische Züge des frühen
Ritterromans herausarbeiten konnte, deren
Heimat wohl Iran sein dürfte.
Bei diesen ganzen Untersuchungen ist der
Autor immer wieder bemüht, zu zeigen, daß
spezifisch hunnische Züge auch bei den Heph-
taliten auftraten, und macht dafür immer
wieder jene gemeinsame zentralasiatische
Wurzel verantwortlich, die seiner Gesamt-
konzeption zugrunde liegt. Diese These ver-
liert indes an Wert, weil viele der hier her-
ausgestellten Kulturgüter ebenso, ja, gerade
nach Althcims Arbeit leichter als gemeinsames
Lchngut aus Iran, denn als gemeinsamer Be-
standteil einer althunnischen Kultur verstan-
den werden können.
In diese Untersuchungen zur Stellung der
Hunnen im Rahmen der spätantiken Kultur
sind noch eine ganze Reihe anderer Essays
eingearbeitet, die wenigstens genannt seien:
Untersuchungen zur Geschichte der Burgun-
den, zum burgundisch-fränkischen Helden-
lied, zur Entstehungsgeschichte des Nibelun-
genliedes, zur Textgeschichte des Avesta, zum
Problem der Entstehungszeit des Videvdat,
zur Spätgeschichte des Zarathustrismus, zur
Gesdiichte der frühen Hunnen-Historio-
graphie u. a. m. Es sind großartige Partien
darunter, deren Ergebnisse zum Teil auch für
den Ethnologen von großer Bedeutung sind.
Hier soll noch ein Gedankengang heraus-
gestellt werden, der vor allem den 4. Band
wie ein roter Faden durchzieht. Immer wie-
der versucht der Autor zu zeigen, wie sich in
diesen Jahrhunderten die Kultur der Spät-
antike wandelt, wie in ihrem Rahmen For-
men des frühen Mittelalters vorgeprägt wer-
den, wie beispielsweise Heldenlied und Minne-
sang in dieser Zeit wurzeln, wie es zur klei-
nen umwallten Stadt, zum Adelssitz, zum
Leibeigenenwesen, zum Rittertum, zum
Tauschhandel und zur Naturalsteuer kam.
Immer wieder zeigt sich, wie sehr die Hunnen
am Zustandekommen dieser neuen Kultur-
züge beteiligt waren, sei es als Vermittler,
sei es als reine Katalysatoren. Die einzelnen
Germanenvölker wurden nämlich durch die-
ses Volk und seine Herren (besonders Attila),
durch die fremden Feinde oder Unterdrücker
vielfach erst ihrer selbst bewußte Größen,
weil sie sich mit dieser übermächtigen Er-
scheinung auscinandersetzen mußten, weil sie
Stellung beziehen mußten für oder wider die
Hunnen bzw. die spätantike Kultur und da-
mit eine für diese Völker selbst und die
weitere Geschichte Europas höchst bedeu-
tungsvolle Entscheidung zu treffen hatten.
Schließlich sammelten sich einige von ihnen
um Aetius, um mit ihm die spätantike Kul-
tur (und sich selbst und ihre Freiheit) zu
verteidigen gegen Attila und seine Hilfsvöl-
ker. Erstmals war so eine germanisch-roma-
nische Allianz entstanden im Kampf gegen
die Hunnen. Sie setzte sidi durch und be-
stimmte mehr als ein Jahrtausend abendlän-
discher Kultur und Gesdiichte (IV, 330).
Etwas mager Ist demgegenüber die Aus-
beute, wenn man das Problem der Kultur der
Hunnen in Europa selbst angeht. Althelm
zeigt, wie sidi die hunnische Gesellschafts-
ordnung unter Attila geändert hat (IV,
281 ff). Angesichts dieser Darstellung wird
man lebhaft erinnert an die „Geheime Ge-
schichte der Mongolen“, an den dort von
Chingis Khan neugesdiaffenen Adel, an die
Fcudalverfassung, die Heeresverfassung, die
Einrichtung einer Staatskanzlei, die Schaffung
eines Alphabets und einer eigenen Literatur.
Ein Vergleich beider „Staaten“ könnte außer-
ordentlich nützlich sein. Attila und Chingis-
Khan standen in einer ähnlichen Situation vor
ähnlichen Problemen und haben diese ähnlich
gelöst, ähnlich, aber nicht gleich.
Aus dem Vorausgegangenen ist unschwer
zu erkennen, daß Altheim seine schon im
ersten Band vorgetragene These von Ur-
sprung und Frühgeschichte der Hunnen weiter
zu vertiefen und auszubauen bestrebt war.
Obwohl er in der Einleitung zum 3. Band (6)
sagt, seine These sei zunächst nicht mehr als
ein Vorschlag, mehren sich die Stellen, an
denen er sie als Tatsache voraussetzt. III, 7,
und IV, Vorwort spricht er von den Hephta-
liten als hunnischem Muttervolk, das alle
Buchbesprechungen
169
späteren Hunnenwanderungen gespeist habe.
Damit meint er die Züge der Awaren, Cha-
zaren und Proto-Bulgaren, anscheinend aber
auch andere (III, 20: Massageten = Osthun-
nen). Sie alle seien ursprünglich nichts anderes
als Stämme des hephtalitischen Verbandes.
Hier, bei den Hephtaliten, sei hunnisches
Wesen erstmals ausgeprägt und zeige sich auch
später deutlich. So komme diesen Weißen
(= „westlichen“) Hunnen eine Schlüsselstel-
lung für den gesamten Fragenbereich zu. Wie-
der parallelisiert Altheim, wie schon im ersten
Band, die zu gewisser Zeit häufiger beob-
achteten Nomadenwanderungen mit Klima-
schwankungen. Dazu und zu anderen Teilen
der hier betrachteten Probleme habe ich be-
reits früher Stellung genommen (Tribus 10,
186 ff.) und sehe vorläufig keinen Grund, die
dort ausgesprochene Meinung zu revidieren.
Vielmehr erscheint es mir auch dann, wenn
man von Altheims Bild ausgeht, gewagt,
eigentliche Hunnen und Hephtaliten durch
Jahrhunderte als eine enge und auch politisch
wirksame Einheit, „die hunnische Macht“,
anzusprechen, wie Altheim dies tut. Beide
Gruppen hatten, einmal getrennt (sofern sie
früher überhaupt zusammengehört haben),
gewiß nicht mehr viele politische Gemeinsam-
keiten und Möglichkeiten. Ihre Wege und
Schicksale verliefen auch nach Altheims Dar-
stellung so verschieden wie nur möglich: die
einen wurden iranisierte Städter, Buddhisten
oder Nestorianer, die andern sollten als No-
madenkrieger die letzte Blütezeit des Heiden-
tums im mittleren und nördlichen Europa
heraufführen.
Althcim spricht immer wieder von Völker-
wanderungen und speziell von der großen
Hunnenwanderung, die im 4. Jahrhundert
von der Ostgobi bis ins Herz Europas führte.
Wenn die Hephtaliten alle von ihm genann-
ten Völker schon auf dieser Wanderung um-
faßten, müßten sie ein für zentralasiatische
Verhältnisse geradezu riesiges Volk gewesen
sein, für das gewiß keine Veranlassung be-
standen hätte, sich vor Hsicnpi, Wuhuan oder
ähnlichen Rivalen aus der Ostgobi nach We-
sten zurückzuziehen. Daß Nomadenwande-
rungen gewöhnlich anders aussehen, andere
Größenordnungen aufweisen, habe ich schon
früher gesagt (a. a. O.).
Das ganze Problem der frühen Hunnen-
wanderungen scheint mir noch nicht endgültig
spruchreif zu sein, auch oder gerade nachdem
Altheims Arbeit zum größten Teil vorliegt.
Schuld daran ist wohl vor allem, daß Altheim
bisher noch nicht klar genug herausgearbeitet
hat, was er eigentlich unter hunnischer Kul-
tur und Wesensart versteht. Oft hat man bei
der Lektüre seiner Arbeit den Eindruck, für
ihn sei hunnisch identisch mit nomadisch (na-
türlich in dessen spezifisch zentralasiatischer
Ausprägung). Aber Träger dieses zentral-
asiatischen Nomadentums waren neben- und
nacheinander Völker der Mandschurei und
des Chingan, Mongolen, Türken und Iranier,
und trotz allem nivellierenden Einfluß dieser
Lebensform haben charakteristische Unter-
schiede in den Kulturen dieser einzelnen
Gruppen immer bestanden. Und selbst dar-
über, was man in diesem Bereich als spezifisch
nomadisch anzusprechen habe, müßte man sich
zuerst einmal einigen.
Andererseits ist Altheim bemüht, seine
Hunnen in das Gesamtbild der kulturellen
Entwicklung Eurasiens in jener Zeit einzu-
bauen und liefert gerade hier ein unglaub-
lich schönes und reiches Material. Dabei bleibt
aber bei den Hephtaliten kaum etwas spezi-
fisch Hunnisches im vorher genannten Sinne
übrig, vielmehr entpuppen sie sich als ein
Konglomerat höheren Grades, in dem das —
nach Altheim — Ursprüngliche sich schließlich
auf einige türkisch interpretierte Namen und
Titel beschränkt.
Bei den europäischen Hunnen ist die kul-
turelle Situation nicht klarer geworden.
Einerseits ist ihr alter, 200jähriger Kontakt
mit Iran in den Sitzen nördlich des Kaukasus
durch viele Indizien unterstrichen, sind ost-
asiatische Affinitäten archäologisch bezeugt,
die Ihre Entsprechungen im China der Han-
Zeit haben und dort sogar zeitlich enger
fixiert werden können (1. Jahrhundert nach
Christus; IV, 67 ff.). Andererseits sagt er,
diese früh im Westen sitzende Gruppe habe
eine politische Bedeutung erst bekommen
durch Zuzug anderer Gruppen aus der Ost-
gobi, Gruppen, die übrigens auch sprachlich
von den ersteren abzusetzen sein müßten,
weil es Türken waren, wogegen die ersteren
wahrscheinlich Hsiungnu gewesen sein dürf-
ten. Bezeichnenderweise wird für das frühe
wie für das spätere Volk im Westen derselbe
Name verwendet, eben der Hunnenname.
Spezifisch hunnische Kulturzügc sind hier
nicht mehr vorgclegt worden, weil ja das Be-
streben dahin ging, Gemeinsamkeiten mit dem
170
Buchbesprechungen
Iran hcrauszuarbeiten, so daß das eigentlich
Hunnische in der Kultur der Hunnen über
das hinaus, was bereits im ersten Band mit-
geteilt war, nicht klarer herausgetreten ist.
Bei allem Reichtum, der hier im einzelnen
geboten ist, scheinen mir deshalb die hier
vorliegenden Bände des Gesamtwerkes das
zentrale Anliegen des Autors, die Zusammen-
gehörigkeit seiner Hunnen, ihrer Geschichte
und Kultur weiter zu untermauern, nicht sehr
zu fördern. Schuld daran könnte das Türken-
problem sein, das neu durchzudenken und
durchzuarbeiten wäre, weil nach Altheims
Darstellung ein Gürtel türkischer Völker zu
postulieren wäre, der in den ersten Jahrhun-
derten nach Christi Geburt bereits von der
Wolga bis zur Ostgobi reichen müßte, und
zwar im Wald wie in der Steppe. Um seine
Existenz zu beweisen, wird man mehr brau-
chen als eine Anzahl türkisch interpretier-
barer Namen und Begriffe, wobei man sich
ja auch einmal versehen kann, wie das bei
dem angeblich hunnischen Wort für Arak
(IV, 59, Zitat nach Karlgren) der Fall zu sein
scheint. U. Johansen hat kürzlich gezeigt, daß
die Kenntnis des Milchbranntweins, um den
es sich ja im Zusammenhang mit Hunnen
handeln müßte, für jene Zeit noch nicht an-
genommen werden darf (Ural-Altaische Jahr-
büdicr, 33, 226 ff.). Wo die Sache fehlt, pflegt
auch das Wort dafür noch nicht zu existieren.
Über die Arbeitsweise des Autors, seine
Grundlagen und die Art der Darbietung ist
dasselbe zu sagen wie für Band 1 (1. c.). Wie
für seine ersten Bände, müssen wir dem Autor
auch für die jetzt vorliegenden mit ihren vie-
len neuen Erkenntnissen aufrichtig danken.
F. Kussmaul
U. SCHURMANN:
Kaukasische Teppiche. Eine umfassende
Darstellung der Teppichknüpf kunst des
18. und 19. Jahrhunderts in den einzelnen
Distrikten des Kaukasus. Braunschweig:
Klinkhardt und Biermann. 1961. Mit 56
Farbtafeln und 39 Abbildungen. Preis:
DM 60.—.
Die unter Völkerkundlern weit verbreitete
Gepflogenheit, alles zu übersehen, was mit
Hochkulturen, will sagen: schriftführenden
Kulturen zusammenhängt, brachte es mit sich,
daß der Orient lange außerhalb der For-
schung unserer Disziplin blieb, sofern nicht
einzelne unorthodoxe Gelehrte kultur-
geschichtlich besonders interessante Restvölker
ins Auge faßten. Diese Situation hat sich in
den letzten 25 Jahren einigermaßen geändert,
und auf manchen Teilgebieten der Forschung
stehen wir schon heute nicht mehr am An-
fang, weil andere dort bereits treffliche Ar-
beit geleistet haben.
Das gilt z. B. von der Teppichkunde. Was
wir hier wissen, verdanken wir im wesent-
lichen Orientalisten und Teppichhändlern
oder -Sammlern, die seit mehr als 60 Jahren
auf diesem Spezialgebiet gearbeitet haben.
Waren es am Anfang meist zusammenfassende
Darstellungen, oft Publikationen besonders
schöner und wertvoller Stücke aus dem Ge-
samtbercich der orientalischen Teppichknüp-
ferei, so treten nun immer mehr auch Spezial-
publikationen über einzelne Gebiete dazu.
Ein besonders schönes, instruktives Beispiel
dieser Art ist die hier vorgelegte Arbeit über
kaukasische Teppiche, dargestellt von einem
hervorragenden Kenner dieser Materie, her-
ausgebracht von einem Verlag, dessen „Biblio-
thek für Kunst- und Antiquitätenfreunde“
seit langem einen guten Namen hat. Auch die
„kaukasischen Teppiche“ sind in hervorragen-
der Ausstattung herausgekommen, die Farb-
tafeln und Schwarzweiß-Abbildungen ver-
mitteln ein ausgezeichnetes Bild der behan-
delten, wundervollen Materie.
Den Hauptteil des Bandes macht der Kata-
log aus, der sehr geschickt gegliedert ist.
Vorangestcllt sind einige „klassische“ Tep-
piche und Stickereien, Arbeiten, die vor dem
18. Jahrhundert entstanden sind. Darauf fol-
gen die einzelnen Knüpfgebiete des Kaukasus
in Arbeiten aus dem 18. und 19. Jahrhundert,
der Blütezeit dieser Kunst in den behandelten
Gebieten, vor dem Eindringen von Anilin-
farben. Schürmann stellt zuerst die Arbeiten
der Südgruppe vor (Kassak, Karabagh,
Gendje, Talisch undMoghan), dann dieNord-
gruppc (Kuba, Daghestan, Lesghi, Derbend,
Schirwan und Baku). Jede einzelne Provinz
wird in ihrer Eigenart knapp und klar her-
ausgestellt; dieser Einführung folgen jeweils
einige Abbildungen typischer Stücke mit meist
sehr knappen Texten.
Dieser Katalog läßt unschwer erkennen,
wie weit Schürmann über die bisherigen
Kenntnisse auf diesem Gebiet hinausgekom-
men ist, wenn man ihn mit früheren Darstel-
Buchbesprechungen
lungen dieser Materie vergleicht: Schürmann
ordnet die einzelnen Teppiche (fast 120 an
der Zahl) nicht nur in diese einzelnen Knüpf-
gebiete ein, sondern kann darüber hinaus
meist noch ihre Herkunft innerhalb des Ge-
bietes angeben, also kleinere Provinzen, oft
nur ein einzelnes Dorf, herausarbeiten. Er
gibt seiner Arbeit ein vergleichendes Ver-
zeichnis der Merkmale aller von ihm heraus-
gearbeiteten Teppichgruppen bei, das den
heutigen Kenntnisstand klar und übersichtlich
zeigt.
Diese klassifikatorische Arbeit war das
eigentliche Anliegen Schürmanns. Er hat hier
ein schwieriges Neuland erschlossen. Geholfen
hat ihm dabei eine subtile Kenntnis der ver-
schiedenen Techniken, die nach seiner Erfah-
rung mehr und bessere Kriterien abgeben als
Farben und Muster. In einem allgemeinen
Teil, dem Katalog vorangestellt, gibt er die
Grundlagen seiner Klassifikation und stellt
dabei fest, daß die Struktur der Teppiche das
wichtigste Kennzeichen sei. Unter Struktur
faßt er zusammen: die spezifischen Eigen-
heiten der Kette und des Schusses, der Be-
festigung der Kettenenden und der Seiten-
kanten und die der Knoten. „Erst wenn an
Hand einer genauen Prüfung des Stückes
diese 5 Punkte festgelegt sind, können, wenn
noch nötig, die Zeichnung und die verwen-
deten Farben zur ergänzenden Bestimmung
hinzugezogen werden.“ Schürmann selbst aber
schaltet zwischen die Betrachtung von Struk-
tur und Farbe die des „Griffes“ ein, der ja
aus der Struktur resultiert. Dann behandelt
er die Farben und ihre Herstellung, die
Zeichnung und die Datierung, um schließlich
noch einen Blick auf gewirkte Teppiche zu
werfen.
Wenn den Nichtfachmann schon die über-
ragende Bedeutung der Strukturmerkmalc
überrascht („eine Teppichecke von 5 X 5 cm
Größe müßte dem idealen Kenner zur Be-
stimmung des Stückes genügen“), so erst recht
das, was er von der Zeichnung sagt. Ihre
Motive dürften ursprünglich Symbole ge-
wesen sein oder Dinge des täglichen Umgangs
und Gebrauchs. Im Laufe der Zeit wurden sie
immer stärker geometrisch stilisiert, oft bis
zur völligen Unkenntlichkeit. Die Motive sind
teilweise weit hergeholt: Chinesische Drachen
und Wolkenbänder begegnen einem ebenso
wie Arabesken und persische Tierkampfszenen
oder florale Muster. Stammeseigene Motive
und religionsgebundene Symbole und Stücke
(Gebetsteppiche) wurden zum Teil in den ein-
zelnen Gruppen beibehalten, wanderten an-
dererseits aber auch zu „feindlichen“ Grup-
pen, sei es durch Kriege, Verschleppung, Ab-
wanderung, Heirat in fremde Gruppen hinein
oder aus anderen Gründen. Manche Muster
kamen um 1900 im Süden wie im Norden
vor, andere haben sich als Kennzeichen eines
einzelnen Dorfes erhalten. Christliche und
islamische Motive sind hin- und hergewandert,
aber in manchen Dörfern arbeiteten noch da-
mals Christen und Mosleme nebeneinander
verschiedene Muster. So ist eine Zuweisung
an Hand von Mustern und Farben schwierig,
und es muß auffallen, daß der Autor bei
seinen „klassischen“ Stücken die Herkunfts-
frage meist offenlassen muß.
Hier sind wir mitten im Problemkreis von
Siebung und Akkulturation, wie einen bei der
Lektüre überhaupt immer wieder ethnologi-
sche Fragestellungen anspringen (neben kunst-
geschichtlichen, wie etwa der Geschichte der
Motive und ihrer Stilisierung, auf die der
Autor nur ganz am Rande eingeht): Tech-
niken, Funktionen, Motivauswahl, Soziologi-
sches — um nur ein paar Aspekte zu nennen.
Es ist auf diesem Gebiet noch sehr viel zu
tun. Schürmann aber verdient auch unseren
Dank dafür, daß er das Material bereit-
gestellt, erschlossen und in so schöner und
würdiger Form vorgelegt hat.
Ein kleiner Wunsch am Rande: Könnten
einer hoffentlich notwendig werdenden Neu-
auflage nicht zwei Anlagen beigegeben wer-
den, einmal eine Farbkarte mit den auftre-
tenden Farbvarianten, zum anderen ein mög-
lichst reich bebildertes Verzeichnis der einzel-
nen Motive? Beides würde den Band noch
leichter benützbar und noch übersichtlicher
machen.
F. Kussmaul
ILSE LAUDE-CIRT AUT AS:
Der Gebrauch der Farbbezeichnungen in
den Türkdialekten. (Ural-altaische Biblio-
thek, X.) Wiesbaden: Verlag Otto Har-
rassowitz. 1961. 137 S. Preis: DM 20.—.
Mit der Begrenzung des Themas auf die
„Türkdialekte“ hat die Verfasserin den Kreis
ihrer Untersuchungen in recht merkwürdiger
Weise beschnitten. Man kann den Gebrauch
172
Buchbesprechungen
der Farbbczeichnungen in einer bestimmten
Turksprache oder in einer Gruppe von sol-
chen Sprachen (oghusischc, kiptschakische
Gruppe) behandeln, aber man durfte m. E.
nicht von den Türksprachen Insgesamt nur
das Jakutische und das Tschuwaschische aus-
schließen und den verbleibenden Torso allein
beschreiben.
Auf die Notwendigkeit der Untersuchung
des Gebrauchs der Farbbczeichnungen in den
Turksprachen ist von verschiedenen Seiten
schon immer hingewiesen worden. Zum rich-
tigen Verständnis vieler Stellen der Volks-
literatur, aber auch der Kunstliteratur der
Turkotataren sind volkskundliche Kenntnisse
in möglichst großem Umfang erforderlich.
Die Farbbczeichnungen machen dies besonders
deutlich, denn je nachdem, ob sie in konven-
tioneller oder von der Konvention abwei-
chender Weise angewendet werden, vermögen
sie dem Text Nuancen zu geben, die wir oft
kaum erfassen und nur schwer wiedergeben
können. Andererseits versuchen viele moderne
Sdiriftsteller der Türkei in Wiederaufnahme
der Praktiken der osmanischen Literatur ver-
gangener Jahrhunderte, durch ausgesudite
seltene, veraltete, mundartliche Wörter die
alten Gedanken mit neuen, das heißt in sol-
chem Zusammenhang noch nicht verwendeten
und abgenutzten Wörtern auszudrücken, und
da dieses Verfahren übermäßig beliebt ist und
auch bei Farbbczeidmungen angewendet wird,
ergeben sich bei der Auswertung der moder-
nen türkischen Literatur je nach dem Autor
Verschiebungen verschiedenen Grades in der
Anwendung der normalen Farbskala. Dieser
letzte Punkt ist von der Verfasserin zu wenig
berücksichtigt worden, und ihre Angaben aus
modernen türkischen Romanen scheinen mir
oft den Grundton der betreffenden Farbe
erheblich zu verfälschen.
Obwohl das Thema der Arbeit der Ge-
brauch der Farbbczeichnungen ist, nehmen
sprachliche Erklärungen einen großen Umfang
ein. Dabei ist ein wichtiger Punkt, der mit
dem Gebrauch eng zusammenhängt, un-
beachtet geblieben: der Unterschied zwischen
attributiver und prädikativer Verwendung
der Wörter. Es liegt auf der Hand, daß bei
prädikativer Verwendung die Farbe objektiv
beschrieben wird, während bei attributivem
Gebrauch die Farbbezcidmung sehr oft „nicht
ernst gemeint“ ist und als konventionelles
Epitheton ornans mit einem besonderen Ge-
fühlswert versehen ist, den es herauszuarbei-
ten gilt. Aber bleiben wir zunächst noch bei
der sprachlichen Seite. Viele von der Verf.
gegebene Etymologien sind zweifelhaft,
manche unhaltbar. Da die türkmenischen Aus-
drücke selten herangezogen sind und auf die
durch das Türkmenische und Jakutische fest-
stellbare ursprüngliche Vokallänge nicht ge-
achtet worden ist, sind z. B. *qir ,grau“ und
'■qir ,freies Feld1 fälschlich gleichgesetzt wor-
den (S. 41, Anm. 6, S. 94—95). In kül
,Asche“ sieht die Verf. (S. 99, Anm. 3) ein
„altes Farbadjektiv“ und erläutert dies mit
den Beispielen kasak. und kirgis. kül ,bunt,
grau“, die aber ,geblümt“ bedeuten (<C pers.
gul ,Blume“) und mit ,Asche“ nichts zu tun
haben. Bei dem Worte hoz ,hellgrau“ hat sich
die Verf. durch die Großzügigkeit, mit der
einige Altaisten z und r vertauschen, ver-
leiten lassen, nicht nur die aus dem entspre-
chenden mongolischen Wort boro ,dunkelgrau“
in einige Türksprachen eingedrungene For-
men, sondern auch osmanisch (u. a.) mor
,schwarzbraun, dunkelviolett“ zu behandeln
(S. 90: „boz in der Entwicklung zu mor
,violett“ “), dieses hängt aber offensichtlich
mit gr. juoQOV ,Maulbeere“ zusammen und
bezeichnet die Farbe der Maulbeere und der
Brombeere (vgl. lat. morulus). Mit boz wird
auch ein osm. bor ,unbebaubares Land“ ver-
bunden, das ein Lehnwort aus ar. bür ,Brach-
land“ ist, ferner ein kirgisisches bor, angeb-
lich ,el degmemif toprak, d. h. unbebautes
I.and“, in Wirklichkeit aber = russ. mel, also
,Kreide“ (= türkm. bör ds.); auch ein krim-
türkisches (krimtatarisches?, krimkaraimi-
sches?) Wort boru (WB IV 1663: eine Pferde-
farbe; das krimtat. hat borlu ,gelbbraun b.
Pferd“) wird herangezogen. Wenn man sich
vor Augen hält, daß es auch ein persisches
Wort bür ,braun“ (= tadschikisch bör ds.,
ossetisch bur ,gelb, braun“) gibt, das sich im
russ. büryj ,braun“ wiederfindet, sieht man,
wie schwierig es sein muß, diese Wörter zu
beurteilen, die sicher nicht alle etymologisch
zusammengehören, die aber z. T. aufeinander
eingewirkt oder auch — soweit sie verwandt
sind — schon seit langem verschiedene Ent-
wicklungen durchgemacht haben. Jedenfalls
halte ich es methodisch für verfehlt, sie auf
dem Hauptnenner boz —■ bor — mor ^weiß-
lich ~) grau ~ braun ~ dunkelblau“ ge-
meinsam zu behandeln.
Buchbesprechungen
173
Es ließen sich zu den linguistischen An-
gaben des Werks noch manche Bemerkungen
machen1); ich habe hier nur solche Beispiele
angeführt, deren richtige Beurteilung mir auch
für den Wortgebrauch wichtig erschien. Die-
ses eigentliche Thema der Arbeit beschränkt
sich außerhalb des Osmanisch-Türkischen
weitgehend auf eine nach den Wörterbüchern
(besonders Radloffs „Versuch eines Wörter-
buchs der Türk-Dialecte) zusammengestellte
Aufzählung. Es scheint mir dabei nicht ge-
nügend herausgearbeitet zu sein, daß die sub-
jektive Farbempfindung bei den Türken und
bei uns in gewissen Fällen verschieden war.
So verwenden z. B. die Türken seit sehr alter
Zeit zwei verschiedene Begriffe für eine
Farbe, bei der wir nur Nuancen unterschei-
den (*qizil ,dunkelrot', *äl [< iran.] ,hell-
rot'), während für das türk. *kök ,blau +
grün' das Umgekehrte gilt. Ich glaube, daß
innerhalb des damit gegebenen Rahmens die
Farbempfindung und damit der Gebrauch
der Farbbezcichnung stabiler sind, als es nach
den Angaben der Verf. den Anschein hat.
So sagt sie z. B.: „Für kök in der Bedeutung
,hcll‘ sind die folgenden Beispiele anzufüh-
ren: kün kög + ör+ Üp ciqqanda kirg.
[. . .] ,als die Sonne hell werdend hervor-
kam'; kök yaruq [. . .] ,blauer', richtiger:
,heller, glänzender Lichtstrahl“ (S. 80); die
Ausdrücke bedeuten jedoch „als der Tag
blauend hervorkam“ und „die Himmels-
-Helle“. Für Thomsens Übersetzung des
orchontürkischen Ausdrucks kök tiyiij ,blaues
Eidrhörnchen', die von der Verfasserin kriti-
siert und unter Hinweis auf die Farbe des
sibirischen Eichhörnchens in „graues Eichhörn-
chen“ verbessert wird, ist zunächst darauf
hinzuweisen, daß dieser Gebrauch von *kök
,blau‘ im Zusammenhang mit (u. a.) germani-
schen Termini der Kürschnerei (dtsch. Blau-
Ein instruktiver Lapsus Ist die Angabe
(S. 41), aserb. ag£a maya sei „wrtk: weiß-
liche Hefe, d. i. eine Bezeichnung für eine
Frau mit zarter, weicher und weißer
Haut“, und türk, maya gibi bir kadin sei
„wrtk: eine Frau wie Hefe, d. h. gesunde,
rundliche Frau. So mitgeteilt von Herrn
Dr. ELGIN, Ankara“. — Hier ist aber
nicht die ,Hefe', sondern maya (< pers.
maya) ,Kamelstute oder Eselstute, die
schon gefohlt hat' gemeint!
fuchs = dän. Blaaraev) untersucht werden
muß und damit in eine andere Kategorie ge-
hört, als etwa das im selben Abschnitt be-
handelte seherische Wort kök capsiq ,Pferde-
bremse'. Dazu kommt aber noch eine wich-
tige Besonderheit beim Gebrauch der Farb-
bezeichnungen, über die der Leser überhaupt
nicht unterrichtet wird. In Turkestan werden
die Farbbezeichnungen, auch solche, die nach
der Verf. „in allen Dialekten einen zusam-
menfassenden Farbbegriff darstellen und auf
jeden beliebigen Gegenstand anwendbar sind“
(S. 126), keineswegs frei verwendet, und es
ist auffällig, daß eine und dieselbe Farbe
(wenigstens nach unserer subjektiven Farb-
empfindung) bei Tieren verschiedener Art mit
ganz anderen Wörtern bezeichnet wird. So ist
im Usbekischen eine ,gelbe Kuh' säriq sigir,
dagegen ein ,gelbes Pferd' sämän ät (sämän
evtl, zu sdmdn ,Stroh, strohfarben'), während
eine Kombination säriq ,gelb‘ + dt ,Pferd'
als unmöglich gilt. Im Usbekischen (und Ka-
sakischen) kann man zwar von Kühen, Scha-
fen und Kamelen die Farbbezcichnung dq
,weiß‘ verwenden, dagegen nicht vom Pferd,
bei dem man stets boz dt (kasak. auch aq boz
at) gebraucht. Bei den Kasaken ist ein Rind
oder Kamel qizil ,rot', ein Pferd von der-
selben Farbe ist küreij ,Fuchs als Pferde-
farbe'; ein ,dunkelbraunes Pferd' ist qara
tori at, dagegen eine Kuh von derselben
Farbe qara siyir, d. h. ein ,schwarzes Rind'.
Das Wort kök ,blauc kann dagegen sowohl
für eine Kuh (kök siyir ,graues Rind') als
auch für ein Pferd benützt werden (kök at
,graues Pferd, lösad’ sivoj mästi‘). Es müßte
also untersucht werden, welche Farbbezeich-
nungen mit welchen Tieren (und evtl. Dingen)
verbunden werden können, und wo eine Dif-
ferenzierung wie die eben angedeutete in
zahlreidien oder auch nur in wenigen Fällen
vorkommt. Diese Informationen zu erlangen,
ist nicht leicht, aber das Thema hätte es m. E.
erfordert, gerade auf diesen Punkt besonders
einzugehen. Die Arbeit ist eine mit großem
Fleiß, aber mit unzulänglicher Kenntnis der
Probleme zusammengetragene Stoffsamm-
lung, die bei entsprechender Berücksichtigung
ihrer Mängel für Linguisten und Volkskund-
ler nützlich sein und zu weiterer Beschäfti-
gung mit den Wörtern und Sadren anregen
kann.
J. Benzing
174
Buchbesprechungen
HEINZ LUGAS:
Larnais tische Masken. Der Tanz der
Schreckensgötter. Kassel: Erich Röth Verlag.
1962. 166 S., mit 3 mehrfarbigen und 54
einfarbigen Bildtafeln. 1 Gebietskarte.
Preis: DM 32.—.
Der Gebrauch der Masken (tib.: ’Bag oder
’Dra-’bag) war im Ursprungsland des La-
maismus, in Tibet, sicher schon lange vor Ein-
führung des Buddhismus bekannt. Man wird,
wie in China, vor allem auf die winterlichen
Neujahrsbräuchc mit ihrem fruchtbarkeits-
und abwehrmagischen Charakter zurück-
gehen müssen (vgl. M. Granet, Danses et
Legendes de la Chine Ancienne, 2. Aufl.
Paris 1959; Rez. S. Hummel, in: Kairos 2,
Salzburg 1961. — R. A. Stein, Recherches
sur l’fipopee et 1c Barde au Tibet, Paris 1959,
bes, Kap. VIII, 2: Neujahrsmummenschanz.
— S. Hummel, Der göttliche Schmied in
Tibet, in: Folklore Studies, XIX. — Id., Boy
Danses at the New Years Festival in Lhasa,
I, in: East and West, XII, 1). Schrecken-
erregende Masken wirken wie die Spiegel ab-
wehrmagisch, indem sie die wahre Natur der
umherschweifenden Dämonen enthüllen, fixie-
ren, bzw. einfangen und darin vernichten
helfen (vgl. R. A. Stein, Danses et masques,
in; Annuaire 1956/57, Ecole Prat. des Hautes
Etudcs, Paris 1956, S. 23 ff.). Mit dieser Vor-
stellungswclt vereinigten sich dann tantristi-
sche Traditionen ähnlich den als Sädhanas
(tib.: sGrub-thabs) bekannten Vorgängen bei
der Beschwörung von Gottheiten des lama-
istischcn Pantheons. Hier dienen die Masken
als Medium der Fixierung gewisser Bewußt-
seinszustände, als Medium (support, tib.: sKu)
für das als Gottheit personifizierte Beschwo-
rene selbst (zu sKu vgl. sGam-po-pa, Jewel
Ornament of Liberation, ed. V. Guenther,
London 1959; Rez. S. Hummel, in: Kairos,
3-4).
Für die Einteilung der verschiedenen Arten
von Masken in der lamaistischen Welt emp-
fiehlt sich folgendes Schema:
1 a) Masken für Mummenschanz zum Neu-
jahr.
1 b) Masken von Laientänzern und Laien-
spielern (wandernde oder nur örtlich zu be-
stimmten Festzeiten, oft in Verbindung mit
Lamas auftretende Gruppen). Die Darstel-
lungen sind nicht unbedingt und ursprüng-
lich lamaistisch (vgl. M. H. Duncan, The
Tibetan Drama, in: The China Journal,
XVII, 3. — Id., Harvest Festival Dramas
of Tibet, Hongkong 1955).
2) Die Masken im ’Cham, dem lamaisti-
schen Kulttanz, dessen ganz verschiedene Auf-
gaben unter Berücksichtigung der bisherigen
Literatur M. Hermanns (Mythen u. Myste-
rien der Tibeter, Köln 1956) zu erarbeiten
versuchte. Diese Tänze bezwecken das Aus-
treiben des alten Jahres, Fruchtbarkeitsmagie,
Erlösung und Darstellung der Erlebnisse des
Verstorbenen im Zustand zwischen zwei Ge-
burten (tib.: Bar-do); z. T. sind die ver-
schiedenen Aufgaben miteinander verquickt.
3) Früher sollen auch Masken lamaistischer
Gottheiten ähnlich oder gleich solchen im
’Cham den sogenannten Srung-ma-Medien
bei der Einleitung ihrer Trancezustände ge-
dient haben. Solche Masken wurden und wer-
den noch In Tempeln aufbewahrt (vgl. R. A.
Stein, in: Le Masque, Musee Guimet, Paris
1959/60, S. 42 ff.). Hier sind noch Überlie-
ferungen aus der schamanistischen Schicht
lebendig (vgl. J. F. Rock, Contributions to
the Shamanism, in: Anthropos 54. — D.
Schröder, Zur Struktur des Schamanismus,
ebenda 50. Beide Arbeiten unter Hinweis
auf Srung-ma-Beschwörungen).
4) Die auf Holzgerüsten als sogenannte
Sob oder sKu-sob getragenen Masken lama-
istischer Gottheiten, die in gewissen Prozes-
sionen zu sehen sind, z. B. während des
Tshogs-mchod In iHa-sa mit Traditionen des
Neujahrsmummenschanzes (Abb. in S. Hum-
mel, Boy Danses, 1. c.).
5) Auf Altären aufgestellte Gefäße für
Räucherwerk oder Weihwasser in Gestalt
von Masken lamaistischer Gottheiten wie Im
’Cham.
6) Die während der 49 Tage des genann-
ten Bar-do-Zustandes im Trauerhause auf-
gestellte Puppe des Verstorbenen auf Grund
vorlamaistischer Anschauungen sei hier nur
bedingt genannt, da das Gesicht der Puppe,
d. h. des Toten, ein bloßer Papierdruck ist.
In allen diesen Arten von Masken sind
vorlamaistische Vorstellungen mit lamaisti-
schen verbunden, ferner sind Beziehungen zu
Tänzen Altchinas und der Pa-Kultur zu er-
kennen (vgl. W. Eberhard, Lokalkulturen im
alten China, Leiden 1942, S. 287).
Was das Material der Masken angeht, so
ist die Verwendung körperlicher Substanzen,
Buchbesprechungen
175
z. B. von Haar, aus der Bedeutung des Stoff-
lichen in den magischen Praktiken zur Ver-
gegenwärtigung des Dargestellten zu ver-
stehen (vgl. S. Hummel, Nichtanimistisches
und Animistisches im Lamaismus, in: Jahr-
buch des Mus. f. Völkerk. zu Leipzig, Bd.
XII). Die Gefahr des Kitsches ist durch die
ganzheitliche Geschlossenheit und durch die
Kraft suggestiver Wirkung überwunden. Die
künstlerische Mitteilung ist in Tibet nicht auf
die sinnlich-ästhetischen Gesetze beschränkt.
Ohne diese Überlegung bleibt der Zugang
zum Verständnis der tibetischen Kunst ver-
wehrt. Bei den Masken unserer Gruppe 2 u. 5
erhebt eine erstaunliche Typisierung und
Stilisierung die Objekte sehr oft über das
Kunsthandwerkliche in den Bereich der ikono-
graphisch bestimmten Kunst. Die Masken
sollen im Zuschauer annähernd erwecken,
was durch Meditation an Kultbildern erreicht
wird. Die Masken wollen wie die ikonogra-
phischen Plastiken und Malereien realistisch
verstanden sein (vgl. R. A. Stein, in: Le
Masque, 1. c.). Dabei ist die Typisierung der
Maske (support) eine Verdichtung der ein-
gefangenen (fixierten) und in der Maske indi-
viduelle, personifizierte, reale Gestalt ge-
wordenen Mächte und Kräfte des Wirk-
lichen. Anders bleibt uns die tiefere Bedeu-
tung der Maske im Lamaismus verschlossen.
Der Verfasser behandelt in seinem Werk,
wie schon der Untertitel zeigt, vornehmlich
die Gruppe 2 unserer Übersicht, daneben aber
ganz kurz auch die Gruppe 1 b. Das ist in-
sofern zu rechtfertigen, als nur unsere Grup-
pen 1 b, 2 und 3 als eigentliche Masken (Ge-
sichtsnachbildung zur Verhüllung des eigenen
Gesichts) anzusehen sind und in den tibeti-
schen Tempeln aufbewahrte Masken oft
schwer nach den Gesichtspunkten 2 und 3
unterschieden werden können. Die Gruppe 1 b
ist mitunter lamaistisch durchdrungen, so daß
einige Beispiele hätten gezeigt werden kön-
nen. Im Buche werden nacheinander die tibe-
tischen ’Cham-Spiele der sogenannten Gelb-
mützen (reformierter Lamaismus), der Rot-
mützen (nichtreformierter Lamaismus) und
der Bon-po nach Zeitpunkt der Aufführung,
Inhalt und Zweck sowie das zugehörige Or-
chester und die verwendeten Kostüme kurz
skizziert. Der Darstellung eines ’Cham des
reformierten Lamaismus und anschließend
eines solchen der Rotmützen folgen jeweils in
feinen Abbildungen die verwendeten Masken
mit Beschreibung ihrer Bedeutung, ihres Aus-
sehens und der Art des Tanzes ihrer Träger
(S. 9—100). Hier mögen bei der Spärlichkeit
des uns zugänglichen Materials die im Mu-
seum der Brüdergemeinde in Herrnhut auf-
bewahrten Masken aus Westtibet ergänzend
erwähnt werden. Schöne Farbaufnahmen vom
’Cham im Yung-Ho-Kung zu Peking brachte
„China reconstructs“, VII, 2, Peking 1958.
Überall sind die Fachausdrücke tibetisch,
sanskrit und mongolisch in korrekter Schrei-
bung beigegeben und in einer Übersicht so
geordnet, daß dem Buche nicht nur instruie-
render Wert, sondern auch der Charakter
eines brauchbaren und zuverlässigen Nach-
schlagewerkes gegeben wird. Leider fehlt eine
kunsthandwerklich bzw. kunsthistorisch aus-
gerichtete Würdigung der Masken und ihre
diesbezügliche Einordnung.
Nach Behandlung des eigentlichen tibeti-
schen ’Cham leiten Spiele um Mi-la-ras-pa
(S. 101—102) zu zwei der von Laien auf-
geführten Theaterstücke der Gruppe 1 b
unserer Aufstellung über (S. 103—108: Spiel
von sNang-gsal und Spiel von Nor-bzang).
Hier könnte die Übersicht unter Hinweis auf
die Veröffentlichungen von M. H. Duncan
(sNang-sa-’od-de-’bum für sNang-gsal) noch
erweitert werden.
Die sich anschließende Darstellung der
’Cham-Spiele im mongolischen Lamaismus
(S. 109—126) und in den Himälayastaaten
(S. 127—142) unterstreicht einige Besonder-
heiten, die vom tibetischen ’Cham abweichen;
so in der Mongolei die Bedeutung des Wei-
ßen Alten, dessen ursprünglicher, vom Ver-
fasser auf S. 120 skizzierter Sinngehalt durch-
aus nicht lächerlich war. Es darf hinzugefügt
werden, daß die Gestalt in ihrer kosmischen
Bedeutung vom 13. Dalai-Lama in den
’Cham des Potala übernommen wurde. In
den lamaistischcn Himälayaländern sind ein
stärkerer Anteil der Laien an den ’Cham-
Tänzern und Einflüsse aus den örtlichen
Bergkulten (Sikhim) und aus dem benachbar-
ten Shivaismus (Nepal) auffallend.
Der überall im Buche und besonders in
einer Schlußbetrachtung (S. 143—148: Über
den Urgrund der Mysterienspiele) angestreb-
ten Rückführung des ’Cham auf archaische
Traditionen wird man gerne beipflichten,
wenn auch der Raum für die gewissenhaften
Ausführungen des Verfassers dem Umfang
des Buches entsprechend begrenzt bleiben
176
Buchbesprechungen
mußte (S. 145—147). Die Schlußfolgerung
unter Hinweis auf Parallelen in Ceylon und
Amerika, daß im ’Cham noch uralte Rituale
der Fruchtbarkeitsmagie und der Dämonen-
bannung vorliegen, wird den Leser besonders
interessieren. Bel diesen Riten kam der Maske
aber nicht nur die Aufgabe eines Instrumentes
zur Abwehr zu, sondern, wie wir in unseren
einführenden Bemerkungen andeuteten, auch
die zur Vergegenwärtigung segensreicher
Kräfte.
Die Übersicht über die Klöster als Hüter
der Masken (S. 149—152) wird sich z. T.
auch auf Masken unserer Gruppe 3 beziehen.
Auf der Gebietskarte sind bKra-shis-dgon-pa
und Khrus-dgu-dgon-pa, für das auch Khrus-
sgo vorkommt, vertauscht. Karzok (phone-
tisch) ist dKar-rdzogs [Kha-rdzong].
Das Buch ist eine erfreuliche Leistung, die
in den Bibliotheken der Fachgelehrten und
der Interessierten Laien nicht fehlen sollte.
S. Hummel
WALDEMAR STÖHR:
Das Totenritual der Dajak. „Ethnologica“,
neue Folge, Band 1. Köln: Kommissions-
verlag E. J. Brill. 1959. XI + 245 S., 3 Ta-
feln, 13 Textabbildungen, 1 Karte. Preis:
DM 20.—.
In der vorliegenden Studie hat sich der
Verfasser die Aufgabe gestellt, die verschie-
denartigen und oft recht komplizierten Er-
scheinungsformen des Totenrituals bei der
einheimischen Bevölkerung von Borneo an
Fland der mannigfaltigen, den wichtigsten
und zentralen Teil dieses Rituals bildenden
Bestattungsarten in ihrem kulturhistorischen
Zusammenhang zu erfassen und zu deuten.
Seinen Untersuchungen läßt Stöhr im I. Ka-
pitel eine kritische Betrachtung der in bezug
auf Totenritual und Bestattungsform üblichen
Begriffe und methodologischen Einteilungs-
prinzipien vorausgehen. Dabei tritt er unter
anderem der Auffassung Kroebers (1927)
entgegen, nach welcher die Bestattungsformen
aus verschiedenen Gründen (z. B. zufolge
ihres wechselvollen, affektbedingten Charak-
ters) sich kaum für vergleichende kultur-
geschichtliche Untersuchungen eignen sollen.
Um es vorweg zu nehmen: in seiner tief-
schürfenden und ausgezeichnet dokumentier-
ten Arbeit hat der Verfasser jedoch zeigen
können, daß diese Ansicht auf einer einseiti-
gen, mehr auf Zufälligkeiten gegründeten
und vor allem die ausschlaggebenden Wesens-
merkmale zu wenig berücksichtigenden Frage-
stellung beruht, und daß wenigstens für das
untersuchte Gebiet von Borneo durchaus gül-
tige kulturhistorische Schlüsse aus den Be-
stattungsformen gezogen werden können,
vorausgesetzt, daß diese nach ihren von Stöhr
herausgearbeiteten Wesensmerkmalen be-
urteilt und bestimmt werden. Als solche be-
zeichnet er die Einfachheit bzw. Mehrstufig-
keit. Die Unterscheidung bzw. Gegenüberstel-
lung dieser beiden prinzipiell verschiedenen
und einander ausschließenden Bestattungs-
formen bildet die Grundlage für das von ihm
vorgeschlagene und für seine Ausführungen
wegleitende, auf Seite 9 skizzierte Einteilungs-
schema.
Eine im II. Kapitel enthaltene kritische
Übersicht über einige wichtige Arbeiten, die
entweder vom kulturgeschichtlichen Stand-
punkt oder von einer anderweitigen, bei-
spielsweise von der funktionalistischen oder
religiösen Betrachtungsweise ausgehen, leitet
über zum III. Kapitel, das ganz kurz der
islamischen Küstenbevölkerung von Borneo,
dem Dajakvolk und dessen ethnischer Grup-
pierung gewidmet ist.
Im großen ganzen folgt Stöhr der von
Mallinckrodt seinerzeit (1928) aufgestellten
Gliederung der Bevölkerung In die 6 soge-
nannten „Stammesrassen“ oder -„Gruppen“
der Kcnja-Kajan-Bahau, Ot-Danom, Iban,
Murut, Klemantan (Land-Dajak) und Punan,
jedoch mit einigen Änderungen. So über-
nimmt und behält er die Gruppen der Kenja-
Kajan-Bahau, der Iban und der Punan un-
verändert bei, während die bisherige Ot-
Danom-Gruppe von Südostborneo angesichts
zahlreicher offensichtlicher Verschiedenheiten
in die beiden Gruppen der Ot-Danom-Ngad-
ju und der Maanjan-Lawangan aufgeteilt,
die Klemantan-(Land-Dajak) Gruppe in ihre
beiden Bestandteile geschieden und die Murut-
Gruppe auf Grund ihres weitgehend einheit-
lichen Totenrituals zur größeren Dusun-
Murut-Kelabit-Gruppe erweitert wurde.
In den folgenden Abschnitten IV bis XI
unterzieht der Verfasser die einschlägige Li-
teratur über diese 8 verschiedenen Völker-
gruppen einer vergleichenden und quellen-
kritischen Analyse. Sie umfaßt das Wohnge-
biet und die ethnische Gliederung, das reli-
giöse System und die sozialen Verhältnisse,
das Priesterwesen mitsamt der Seelen- und
Jenseitsvorstellungen sowie die wichtigsten
Buchbesprechungen
177
Elemente des Totenrituals, wie u. a. Behand-
lung der Leiche, Einsargung, Trauerzeit und
Trauerkleidung, die vorläufige bzw. endgül-
tige Beisetzung, das Totenfest mit besonderer
Berücksichtigung von Bau und Arten der
Beinhäuser, abweichende Besonderheiten und
soziale oder regionale Unterschiede bei der
Beisetzung und schließlich eine Zusammen-
fassung. Bezüglich Einzelheiten muß der Re-
zensent aus Platzgründen auf die Original-
arbeit verweisen und sich auf die Betrachtung
der darin befolgten Untersuchungsmethode
und der damit erzielten Ergebnisse beschrän-
ken.
Ausgehend vom bereits eingangs erwähn-
ten Prinzip der Einfachheit bzw. Mehrstufig-
keit unterscheidet Stöhr (Kap. XII) in Borneo
zwei Gruppen von zusammen 11 verschie-
denen Bestattungsformen, von denen 6 einfach
und 5 mehrstufig sind. Ihre Lage und Aus-
dehnung ist aus der am Schluß des Buches zu-
sammengestellten Verbreitungskarte ersicht-
lich, in welcher jedoch die beiden einfachen
Bcstattungsarten der Punan, weil sie keine
deutlich erkennbare ethnische Gruppe darstel-
len und sich von den anderen Bevölkerungs-
gruppen nur durch ihre wildbeuterische Wirt-
schaftsform unterscheiden, nicht eingezeichnet
worden sind.
Zum besseren Verständnis lasse ich hier
eine kurze Zusammenfassung der in zwei
Gruppen klar geschiedenen Bestattungsformen
der Dajak vorangehen. Die Gruppe der ein-
fachen Bestattungsformen umfaßt: 1) das bei
den Punan übliche Aussetzen und Liegenlas-
sen der Leiche; 2) die dort ebenfalls, aber nur
sporadisch anzutreffende Bestattung im le-
benden Baum; 3) die in zwei weit vonein-
ander entfernten Gebieten (bei einigen Bahau,
sowie prähistorisch längs der Nordküste)
festgestellte Höhlen- bzw. Felsbestattung in
Särgen; 4) die nur bei der Kenja-Kajan-
Bahau-Gruppe auftretende Bestattung im
Leichenhaus vom „liang“-Typus (einem viel-
gestaltigen, im wesentlichen auf zwei Grund-
formen zurückgehenden, entweder von einem
einzigen oder mehreren Holzpfosten getrage-
nen, zur Aufnahme der Särge dienenden
Bestattungshaus); 5) die von einem Teil der
Land-Dajak geübte einfache Brandbestattung,
welche die endgültige Vernichtung der Leiche
bezweckt; 6) die nur bei den Iban ursprüng-
lich anzutreffende, bei den Milanau der Kle-
mantan-Gruppe jedoch von der islamischen
Küstenbevölkerung übernommene einfache
Erdbestattung.
Von der Gruppe der mehrstufigen Bestat-
tungsarten, bei denen die Leiche bis zur end-
gültigen, mit einem Totenfest abschließenden
„End“-Bcstattung entweder im Hause auf-
bewahrt oder vorläufig in oder über der Erde
beigesetzt wird, sind zwei Bestattungsformen
durch die Verwendung eines zur Aufnahme
der in Urnen oder in Särgen aufbewahrten
Leichenteilen dienenden, über der Erde sich
erhebenden „Beinhauses“ als ihrem wichtig-
sten Merkmal gekennzeichnet. Das eine, bei
den Ot-Danom, Ngadu und Klemantan vor-
kommende Beinhaus vom sogenannten „san-
dong“-Typus besteht aus einem mächtigen
Holzpfosten, der oben eine große irdene
Topfurne, seltener einen Holzbehälter trägt,
wogegen der andere, bei den Maanjan-Siung,
den Ngadju und einigen Murutstämmen an-
zutreffende Beinhaus vom sogenannten „tam-
bak“-Typus in Gestalt einer meist auf Pfäh-
len ruhenden, die Urnen oder Särge mit den
Leichenresten beherbergenden überdeckten
Plattform erscheint, zu welchem typologisch
noch eine ähnliche Beinhausform des La-
wanganstammes der Tundjung gehört. Spe-
ziell bei den Maanjan-Siung werden inner-
halb der mehrstufigen Bestattung die Leichen-
reste vor ihrer Endbestattung im „tambak“-
Beinhaus im Zuge eines „idjambe“ genannten
Totenfestes zwecks Läuterung des Verstor-
benen verbrannt, ebenso gelegentlich bei den
Ngadju und Ot-Danom vor der Endbestat-
tung im „sandong“-Beinhaus. Die dritte mehr-
stufige Bestattungsform ist gekennzeichnet
durch die Sonderbcstattung des Schädels, der
bis zur Endbestattung entweder einzeln im
Hause oder familienweise in einem Schädel-
schrein, dem „keriring“ oder in einer Höhle
aufbewahrt wird, während die übrigen Ge-
beine entweder beerdigt oder in einem Bein-
haus bzw. in einer Urne aufbewahrt werden.
Die vorläufige Beisetzung der Leiche in der
Erde mit nachfolgender Schädelsonderbestat-
tung findet man bei den Lawangan und
Barito-Dusun. Die Sonderbestattung des
Schädels ist jedoch sporadisch bei den Maan-
jan-Siung und darüber hinaus auch bei man-
chen Bahau-Stämmen und den Ngadju nach-
weisbar. Bei der vierten, nur auf einen Teil
der Dusun-Murut-Kelabit-Gruppc beschränk-
ten mehrstufigen Bestattungsart erfährt die
vorläufig beerdigte oder im Hause aufbe-
wahrte Leiche eine Endbestattung In Stein-
12
178
Buchbesprechungen
oder Tonurnen im Erdloch, dem sogenannten
„nabang“. Als fünfte und letzte ist die bei
einigen Maanjan-Stämmen anzutreffendc
mehrstufige Erdbestattung zu erwähnen, bei
der die zunächst beerdigte Leiche im Verlauf
eines Totenfestes wieder ausgegraben und
(nach Reinigung der Knochenreste) an der
gleichen Stelle wieder bestattet wird, wobei
im Gegensatz zur einfachen Erdbestattung
die Leichenteile rituell verwendet werden.
Um auf den Kern des ursprünglichen Toten-
rituals vorzudringen, geht der Verfasser me-
thodisch nach dem Eliminierungsverfahren
vor, indem er (in Kap. XIII) zunächst alle
jene Bestattungsformen ausschaltet, die ent-
weder fremden Ursprung verraten oder sich
als lokale Bildungen entpuppen. Von diesem
Ausscheidungsprinzip ausgehend, lassen sich
drei Bestattungsformen auf Hochkulturein-
fluß zurückführen, nämlich 1) die auf islami-
scher Einwirkung beruhende einfache Erdbe-
stattung, 2) die auf den Einfluß der hindu-
javanischen Hochkultur zurückgehende ein-
fadte Brandbestattung sowie 3) die nur ver-
einzelt bei einigen Maanjan-Stämmen an-
zutreffende mehrstufige Erdbestattung mit
nachträglichem Ausgraben und Wiederbegra-
ben der rituell Verwendung findenden Lei-
chenteile. Der islamische Einfluß ist beson-
ders bei den aus Sumatra eingewanderten
Iban sowie der in der Kontaktzone zwischen
Inland- und islamischer Küstenbevölkerung
lebenden Milanau und den Landdajak, wo
er die ursprüngliche Brandbestattung ver-
drängt hat, nachweisbar. In jenen Gegenden,
wo sich ein Nachlassen der traditionellen
Sozialordnung abzeichnet, bei den Iban, die
vermutlich früher die mehrstufige Bestattung
hatten, glaubt der Verfasser im allgemeinen
wirtschaftliche Gründe für die Übernahme
der billigeren Erdbestattung verantwortlich
machen zu dürfen. Zweifellos geht die bei
den Maanjan-Siung allgemein verbreitete, bei
den Ngadju und Ot-Danom sporadisch anzu-
treffende einfache Brandbestattung auf den
in ganz Südostborneo nadiweisbaren Einfluß
der hindujavanischen Hochkultur zurück. Die
Verbrennung bezweckt hier aber nicht etwa
die Vernichtung der Leiche, sondern im Ge-
genteil, wie dies beispielsweise auf Bali noch
heute der Fall ist, eine letzte Läuterung, eine
Lustration des Verstorbenen. Die auch in
Westborneo bei den Landdajak früher weit-
verbreitete, später allerdings durch die ein-
fache Erdbestattung verdrängte einfache Lei-
chenverbrennung zeigt im Gegensatz zu der-
jenigen in Südostborneo zwar eine deutliche
Tendenz zur Vernichtung der Leiche, dürfte
aber ebenfalls auf Hochkulturbeeinflussung
zurückgehen. Der Verfasser bringt sie mit
einer besonderen Form des Totenrituals bud-
dhistischer Völker (wie etwa in Tibet) in
Zusammenhang und schreibt sie der Einwir-
kung der hindujavanischen Hochkultur jener
vorwiegend buddhistischen Staaten zu, zu
denen das ehemals mächtige Reich Brunei an
der Westküste von Borneo gehörte, was durch
buddhistische Felsinschriften im Gebiet der
Landdajak bestätigt wird.
Im letzten, dem ursprünglichen Totenritual
der Dajak gewidmeten XIV. Kapitel setzt
sich der Verfasser einleitend mit den von
Vroklage nach kulturhistorischen Gesichts-
punkten und unter Einbeziehung des Toten-
rituals aufgestellten Kulturschichten und mit
dessen einseitigen Deutungen der von ihm als
vaterrechtlich bezeichneten Megalithkultur
auseinander. Die von Stöhr anschließend vor-
genommene Prüfung der Beziehung des daja-
kischen Totenrituals zur Megalithkultur führ-
ten zur Feststellung, daß als einziges, mit
Sicherheit dem megalithischen Einfluß zuzu-
weisendes Element die bei den im äußersten
Nordwesten von Serawak beheimateten Kela-
bit, aber auch bei den Dusun und einigen
Murutstämmen übliche mehrstufige Bestat-
tung mit endgültiger Beisetzung im „nabang“-
Erdloch in Betracht kommen kann. Der
megalithische Charakter dieser Bcstattungs-
form steht, da Menhire und Menhirpaare als
Erinnerungsmale an die Toten hier meist zu-
sammen mit den die Töpfe mit den Leichen-
resten bei der Endbestattung beherbergenden
Erdlöchern auftreten und die alten Stein-
urnen als Behälter für die Leichenreste ge-
dient haben dürften, wohl außer Frage! Da
bei der Dusun-Murut-Kelabit-Gruppe kei-
nerlei Elinweise auf die Vorstellung einer
Bootsreise ins Jenseits bestehen, weist der
Verfasser Vroklages Ansicht, wonach Seelen-
schiff und andere bootförmige Erscheinungen
megalithischen Ursprungs seien, mit Recht
zurück. Über die Beziehungen zwischen den
zur Kclabitgruppc gehörenden Stämmen des
Karajan-Hochlandes und denen der Murut-
gruppe, über ihre gegenseitige Abgrenzung
auf Grund ihrer Bestattungsarten und der
damit verbundenen Feste hat übrigens der
schweizerische Forscher Dr. W. Schneeberger,
der sich längere Zeit in Zentral- und Nord-
Buchbesprechungen
179
borneo aufgehalten hat, in einer bis jetzt lei-
der noch unveröffentlichten Arbeit über
„Zentral-Nordostborneo und seine Bewoh-
ner“, deren völkerkundlicher Teil mir 1950
von der Philosophischen Fakultät der Uni-
versität Bern zur Begutachtung vorgelegt
worden war, einige interessante Beobachtun-
gen gemacht und speziell auf die pfadförrai-
gen, vom Bestattungsort auf Berggipfeln aus
durch den Urwald führenden, als „Seelen-
wege“ gedeuteten Einschnitte und Schneisen
in Verbindung mit Menhiren hingewiesen.
Nach Ausschaltung der drei bereits er-
wähnten, auf Hochkultureinfluß zurück-
gehenden Bestattungsformen mit Einschluß
der bei den Maanjan-Siung, den Ngadju und
Ot-Danom zur Lustration des Verstorbenen
dienenden Sitte der Verbrennung der Leichen-
reste (da es sich dabei nicht um eine eigent-
liche Bestattungsform handelt, ist sie in der
Verbreitungskartc nicht berücksichtigt wor-
den) und nach Ausklammerung der mit der
Megalithkultur zusammenhängenden mehr-
stufigen Bestattung mit Endbestattung im
„nabang“-Erdloch, untersucht der Verfasser
die noch verbleibenden Bestattungsarten vom
Gesichtspunkt der Einfachheit bzw. Mehr-
stufigkeit aus.
Von den 6 einfachen Bestattungsformen
sind es nur die einfache Erdbestattung der
Iban, diejenige der Punan und die einfadie
Bergungsbestattung im „liang“-Leichenhaus
der Kenja-Kajan-Bahau-Gruppc, die nicht
auf Hochkulturcinwirkung zurückgeführt
werden können. Von diesen scheidet wiederum
die erstgenannte aus, da die Iban die einfache
Erdbestattung bereits vor ihrer vermutlich
von Sumatra aus erfolgten Einwanderung,
also außerhalb von Borneo, übernommen und
cingeführt haben dürften. Auch die bei eini-
gen Bahau-Stämmen neben der Bestattung im
„liang“-Leichenhaus vorkommende, nur für
die untere Volksschicht geltende Höhlen-
bestattung, die ursprünglich mehrstufig war
und die Sonderbestattung des Schädels kannte,
kommt als eigenständige Bestattungsform
nicht in Betradit. Übrig bleiben folglich nur
die einfachen Bestattungsformen der durch
ihre wildbcutcrische Wirtschaftsform von
allen anderen Bevölkerungsgruppen sich ab-
hebenden Punangruppe und diejenige der
Kenja-Kajan-Bahau-Gruppe.
Von den 5 mehrstufigen Bestattungsformen
konnte der Verfasser diejenige mit Endbestat-
tung im „nabang“-Erdloch mit der Megalith-
kultur, die andere (Erdbestattung mit nach-
träglichem Ausgraben, Reinigen und Wieder-
eingraben der Leichenreste) dem islamischen
Einfluß zuschreiben, die somit ausscheiden.
Von den drei übrigen (nämlich derjenigen
mit Endbestattung im Beinhaus vom „san-
dong“-Typus, derjenigen mit Schädelsonder-
bestattung und derjenigen mit Endbestattung
im Beinhaus vom ,,tambak“-Typus) erwiesen
sich die zwei letztgenannten Bestattungsfor-
men, die beide im Verbreitungsgebiet der
Maanjan-Lawangangruppe Vorkommen, als
zusammengehörig. Mit triftigen Argumenten
hat Stöhr gezeigt, daß die mehrstufige Be-
stattung mit Endbestattung im Beinhaus vom
„tambak“-Typus als Derivat der Bestattung
mit Schädelsonderbestattung betrachtet wer-
den muß, als eine lokale Sonderform, die bei
den Maanjan-Siung vorherrscht, bei den
Ngadju dagegen, wo ihr Auftreten sich auf
die untere Volksschicht beschränkt, überlagert
worden ist, so daß sich die Zahl der eigen-
ständigen mehrstufigen Bestattungsformen
auf zwei reduziert. Abgesehen von der wild-
beuterischen Punangruppe bleiben somit von
den verschiedenen, sei es einfachen oder mehr-
stufigen Bestattungsformen nur noch deren
drei übrig, die sich weder auf Hochkultur-
einwirkung zurüdeführen lassen noch als
„Derivate“ und lokale Erscheinungen er-
weisen und deshalb Anspruch auf Eigenstän-
digkeit und Ursprünglichkeit erheben kön-
nen. Zwei davon sind mehrstufig, die dritte
ist einfach. Dazu gehören:
1) die mehrstufige Bestattung mit End-
bestattung im Beinhaus vom „sandong“-
Typus,
2) die mehrstufige Bestattung mit Sonder-
bestattung des Schädels mit Einbeziehung
der als lokaler Sonderform aus ihr her-
vorgegangenen mehrstufigen Bestattung
mit Endbestattung im Beinhaus vom
„tambak“-Typus,
3) die einfache Bergungsbestattung in einem
„liang“-Leichenhaus.
Bei seinem Versuch einer kulturgeschicht-
lichen Analyse des dajakschen Totenrituals
geht der Verfasser vom Verhältnis dieser
drei, das ursprüngliche Totcnritual bestim-
menden Bestattungsformen zueinander und
unter Berücksichtigung des Kontinuitätskrite-
180
Buchbesprechungen
riums auch von ihrer heutigen Verbreitung
aus. Dabei ergibt sich etwa folgendes Bild:
Die mehrstufige Beisetzung mit Endbestat-
tung im vielgestaltigen Beinhaus vom „san-
dong“-Typus (das bei den Klemantan in
Form einer Aushöhlung am Oberende eines
Bestattungspfostens, bei den Ot-Danom fast
durchwegs als mächtiger, einen überdachten
Tontopf oder Holzbehälter tragender Einzel-
pfosten, und bei den Ngadju als ein auf meh-
reren geschnitzten Pfosten befindliches Häus-
chen mit zahlreichen über- und nebeneinan-
derliegenden Särgen erscheint), läßt eine deut-
liche Ausbreitungsrichtung vom Nordwesten
(Klemantan) nach Süden (Ot-Danom,
Ngadju) erkennen. Schwieriger zu erklären
und zu deuten ist die Verbreitung der mehr-
stufigen Bestattung mit Schädelsonderbestat-
tung einschließlich ihrer Unterform (mit End-
bestattung im ,,tambak“-Beinhaus), denn sie
ist uneinheitlich. Am deutlichsten erscheint
sie bei den Lawangan und Barito-Dusun, wo
sic sich im Schutz der südöstlichen Bergkette
am besten erhalten konnte. Nördlich davon
ist sie, wahrscheinlich unter dem Hochkultur-
einfluß des Fürstentums Kutei, verschwunden,
doch dürfte sie, da das Volkstum von Kutei
teilweise aus Lawanganstämmen entstanden
ist, dort bereits vor der Staatsbildung vor-
handen gewesen sein. An dessen Stelle wäre
ihre obengenannte Unterform getreten, die
in Nordborneo bei den Matarang im früheren
holländischen Grenzgebiet sowie im Osten
bei einigen Murutstämmen vorkommt. In
Südborneo ist sie bei den Maanjan-Siung all-
gemein vorherrschend, bei den Ngadju aber
nur bei der unteren Volksschicht anzutreffen.
Bel beiden letztgenannten Völkern scheint
dem Schädel eine Sonderbehandlung zuteil
geworden zu sein. Stöhr erwägt die Möglich-
keit, daß die mehrstufige Bestattung mit
Schädelsonderbestattung einst sogar auch in
Westborneo (Landdajak-Gruppe) vorgekom-
men sein könnte, was einem weiträumigen,
von Norden über Südosten bis nach West-
borneo reichenden Verbreitungsfeld entspre-
chen würde.
Die dritte, im Gegensatz zu den beiden
vorgenannten mehrstufigen Bestattungsfor-
men einfache Bergungsbestattung im Leichen-
haus vom „liang“-Typus kommt nur bei der
ursprünglich im Bergland von Zentralborneo
ansässigen Kenja-Kajan-Bahau-Gruppe vor.
Da irgendwelche Anhaltspunkte für eine Ein-
wanderung dieser Gruppe fehlen, dürfte sie
in Borneo eigenständig und aus der wild-
beuterischen Punangruppe entstanden sein.
Stöhr vertritt die Auffassung, daß auch ihre
einfache Bestattungsform (Im „liang“-Leichen-
haus) irgendwie „auf der Grundlage einer
Bestattungsform der Punan-Gruppe entstan-
den sei“, wobei verschiedene Elemente aus
den Bestattungsformen benachbarter Völker
übernommen und zu einer eigenständigen Be-
stattungsform umgemodelt worden wären —
eine Hypothese, für die der Verfasser trotz
augenfälliger Verschiedenheiten in Wirt-
schaftsform und Bestattungsart bei beiden
Gruppen doch manche bemerkenswerte Über-
einstimmungen ins Treffen führen kann, un-
ter anderem das beiden Bestattungsformen
gemeinsame Prinzip der Einfachheit, ihre
geographische Verbreitung Im fast gleichen
Gebiet, vor allem auch gewisse auf die Ab-
stammung der Kenja-Kajan-Bahau-Gruppe
von den Punan bezügliche Überlieferungen
und die überwiegende Brachyzephalie der
Bevölkerung beider Gruppen, wodurch sie
sich von den sie umgebenden dolichozephalen
Nachbarvölkern unterscheiden.
Somit wären Vorhandensein und Kultur
der eigenständigen Kenja-Kajan-Bahau-
Gruppe „aus einem Substrat der wildbeutc-
rischcn Punangruppe heraus entstanden", wo-
bei der heute noch gelegentlich festzustellen-
den Übernahme des Reisanbaus durch die
Punan beim Übergang vom Wildbeutertum
zur pflanzerischen Kultur eine ausschlag-
gebende Rolle zukam. Weitere Untersuchun-
gen werden die Richtigkeit dieser an sich
durchaus plausiblen Hypothese überprüfen
und beweisen müssen.
Zu diesen drei, das ursprüngliche Toten-
ritual der Dajak bestimmenden Bestattungs-
formen kommt noch die durch megalithischc
Kultureinwirkung bedingte mehrstufige Be-
stattung mit Endbestattung im „nabang“-
Erdloch hinzu. Die Vermutung, daß sich der
bei den Kelabit in Nordborneo heute noch
lebendig gebliebene und auch bei den Dusun
und Murut nachweisbare megalithischc Ein-
fluß außer im Norden auch in Zentralborneo
ausgewirkt haben dürfte, erhält durch das
Vorkommen steinerner Opferplätze, pfahl-
förmiger Kultmale und der aus früher Zeit
stammenden Steinkistengräber einen starken
Rückhalt.
Mit der vorliegenden Arbeit, die erstmals
eine zusammenfassende, in bezug auf die an-
Buchbesprechungen
181
zuwendende Methode logisch durchdachte und
aufgebautc Untersuchung über das dajaksche
Totenritual bietet, hat der Verfasser einen
wichtigen Beitrag zur begrifflichen Bestim-
mung und Unterscheidung von Bestattungs-
formen im allgemeinen und für das Gebiet
von Borneo im speziellen geleistet, für die
ihm Dank gebührt. Manches ist, wie der Ver-
fasser selber zugibt, noch hypothetisch; unter
anderem betrifft dies die Überlegungen, die
er über mögliche weitere Auswirkungen me-
galithischer Einflüsse auf das eigenständige
Totenritual in Borneo anstcllt; als Anregun-
gen für spätere Untersuchungen sind sie aber
wertvoll und verdienen volle Beachtung
ebenso wie seine Forderung, die Forschungen
über einen größeren, ganz Südost-Asien um-
fassenden Raum auszudehnen.
Zwei auf Mitteilungen eines Missionars
über die religiösen Vorstellungen der Ngadju
usw. bezügliche Beilagen, ein ausführliches
Literaturverzeichnis sowie eine Verbreitungs-
karte der Bestattungsformen beschließen das
mit einigen bisher unveröffentlichten Holz-
figuren der Milanau und Ngadju-Dajak aus
den Beständen des Kölner Rautenstrauch-
Joest-Museum ausgestattete Buch.
A. Steinmann
CARL A. SCHMITZ:
Beiträge zur Ethnographie des Wantoat
Tales, Nordost-Neuguinea. Kölner Eth-
nologische Mitteilungen, herausgegeben von
Helmut Petri, Band 1. Köln: Universitäts-
Verlag. 1960. 226 S., 61 Ahb., 47 Fig.,
Karte. Preis: DM 39.—.
Die vorliegende Veröffentlichung Ist Band 1
einer neuen Publikationsreihe, die von Hel-
mut Petri herausgegeben wird. Dieser erste
Band läßt auf Grund seines Inhalts und sei-
ner Aufmachung und Ausstattung hoffen, daß
damit eine sehr wichtige neue Reihe von
Monographien ihren Anfang nimmt, wie
auch die Ankündigungen für die folgenden
Bände erkennen lassen.
Der Verfasser legt hier die Ergebnisse sei-
ner Feldforschungen von Dezember 1955 bis
Juli 1956 im Gebiet des Wantoat (Nordost-
Neuguinea) vor. Es soll dabei nicht der
augenblickliche Zustand der Kultur dar-
gestellt werden, sondern das Bild unmittelbar
vor dem Kontakt mit Europäern. Probleme
des Kulturwandels nach diesem Zeitpunkt
sind bereits früher behandelt worden (Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsycholo-
gie, 9, 1957). Da die untersuchten Gruppen
bereits in einem starken Wandel ihrer Kultur
begriffen sind, können selbstverständlich
nicht mehr alle Aspekte aufgenommen und
dargestellt werden, was auch wegen der rela-
tiv kurzen Zeit der Untersuchung gar nicht
möglich ist. Um so bemerkenswerter ist es,
wie viele Dinge, die nicht mehr zu beob-
achten waren, noch durch Befragung fest-
gestellt werden konnten. Der Autor ist sich
dabei selbst darüber im klaren, daß Beschrei-
bungen von Eingeborenen über frühere Zu-
stände, Kultvorgänge etc., mit größter Vor-
sicht aufgenommen werden müssen. Es wäre
im Interesse völkerkundlicher Quellenkritik
längst einmal an der Zeit, an Hand eines
„re-study“ in einem früher sehr gut unter-
suchten Gebiet die damals beobachteten Vor-
gänge den späteren Beschreibungen darüber
gegenüberzustellen.
Die gesamte Darstellung wird durch eine
große Anzahl von Fotos und Zeichnungen
glänzend illustriert, an mehreren Stellen
(Hausbau, Krankenheilung) wird auf Filme
hingewiesen (Encyclopaedia Cinematogra-
phica).
Nach der Darstellung von materieller Kul-
tur und Wirtschaft nehmen dann die Ab-
schnitte Gesellschaft und vor allem Religion
den größten Raum ein. Die linguistischen No-
tizen umfassen außer einem Vokabular lei-
der etwas zu kurze grammatische Bemerkun-
gen, doch sind die Schwierigkeiten bei der
Aufnahme einer papuanischen Sprache, be-
sonders für Nicht-Linguisten, bekannt.
Häufiger wird in der Arbeit auf die frü-
here Publikation des Autors hingewiesen
(Historische Probleme in Nordost-Neuguinea,
1960), in der die Kulturen der Huon-Halb-
insel kulturhistorisch aufgegliedert und auf
drei Grundkulturcn zurückgeführt wurden.
An die Kulturerscheinungen im Wantoat-Tal
wird dieser Maßstab immer wieder angelegt.
Trotz des kurzen Aufenthaltes im Unter-
suchungsgebiet und der damit verbundenen,
notwendigen Unvollständigkeit in der Dar-
stellung der Gesamtkultur, legt der Verfasser
hier eine Veröffentlichung vor, die sicherlich
bald zu den Standard-Monographien über
Stämme Neuguineas zählen wird.
H. Fischer
Buchbesprechungen
B. A. L. CRANSTONE:
Mclancsia. A Short Ethnography. London:
Publishcd by the Trustees of the British
Museum. 1961. 115 S., Übersichtskarte,
26 Tafeln, 43 Abbildungen.
Diese Einführung in die Ethnographie von
Melanesien ist die erste einer Serie von ’’Short
Ethnographies“, die das alte ’’Handbook to
the Ethnographical Collcctions“ des British
Museum ersetzen sollen. Das Ziel dieser Ein-
führungen soll sein, wie Adrian Digby im
Vorwort sagt, alle Aspekte der Kultur eines
Gebietes zu behandeln. Als eine wesentliche
Aufgabe der Ethnographischen Abteilung
wird angesehen, der Öffentlichkeit einen Ein-
druck von Geschichte, Hintergrund und Le-
bensweise der Völker zu geben, von denen
Sammlungen vorhanden sind, dies besonders
auch im Hinblick auf die modernen Ereig-
nisse um die sogenannten Naturvölker.
Der vorliegende Band ist also ein Museums-
führer, der sich nicht an Fachleute, sondern
an Laien und im besonderen an Besucher die-
ses Museums wendet. Insofern handelt es sich
um eine besondere Art von Publikation, die
ganz andere Aufgaben zu erfüllen hat, als
eine allgemeine völkerkundliche Veröffent-
lichung. Soweit cs sich bei einem solchen Füh-
rer nicht um einen kleinen Wegweiser durch
eine spezielle Ausstellung handelt, müssen
an ihn einige Forderungen gestellt werden,
die von denen für wissenschaftliche Veröffent-
lichungen abweichcn. Ein Museumsführer
sollte den folgenden Anforderungen entspre-
chen:
1. Er sollte lesbar für Laien sein, möglichst
ohne termini tcchnici, oder mit Erklärun-
gen für diese.
2. Er sollte in der Abfolge der behandelten
Themen pädagogisch aufgebaut sein.
3. Die sachliche Richtigkeit ist dabei selbst-
verständlich, eine gewisse Verallgemeine-
rung wird jedoch immer notwendig sein.
4. Der Museumsführer sollte durch möglichst
viele und gute Abbildungen, wie auch in
Papier, Farbe, Satz etc., für den Laien
anziehend aufgemacht sein.
5. Der Text soll nicht zu umfangreich sein,
nicht zuletzt auch, damit der Führer preis-
lich erschwinglich ist.
6. Abbildungen sollten so ausgewählt sein,
daß besonders typische Stücke (nicht „be-
sonders schöne“, wenn die zwei Punkte
nicht zu korrelieren sind) vertreten sind,
und die gesamte Kultur möglichst aus-
gewogen dargestellt wird.
7. Einige Abbildungen von Dingen, die nicht
im Museum vertreten sind und ausgestellt
werden können, sollten den Eindruck ver-
vollständigen (Landschaft, Typen, Dörfer
etc.).
8. Ein Museumsführer sollte auf die spe-
ziellen Sammlungen insofern bezogen sein,
daß ausgestellte Stücke abgebildet sind
bzw. der Besucher abgebildete Objekte in
den Sammlungen wiederfindet.
9. Es sollten Hinweise auf weitere Literatur
enthalten sein.
10. Übersichtskarten, evtl. Tabellen müssen
das Bild abrunden.
Diese Forderungen erfüllt die vorliegende
Publikation zum überwiegenden Teil. Sie ist
ansprechend in Papier und Druck aufge-
macht, der Text ist leicht verständlich, wenn
auch manchmal zu sehr eine bloße Folge von
Aufzählungen. Die Fotos sind, wenn auch
nicht sämtlich, recht gut, die Zeichnungen
sehr klar und sauber.
Außer der materiellen Kultur werden auch
Anthropologie und Sprache, die sozialen und
ökonomischen Verhältnisse, Religion und
Kunst auf ca. 30 Seiten behandelt.
Ein Mangel liegt zweifellos im Fehlen
irgendwelcher Landschafts-Aufnahmen, Ab-
bildungen der wesentlichsten Pflanzen und
Tiere und vielleicht einiger Fotos von Tätig-
keiten (Feldbau, Töpferei etc.). Diese hätte
man auf vielleicht vier Tafeln, etwa durch
Weglassen einiger der vielen Keulen-, Pfeil-
oder Speerformen (Fig. 17—28) noch ein-
fügen können. Auch eine ganze Reihe von
Verallgemeinerungen wären zu umgehen ge-
wesen (Töpferei ist Frauenarbeit, Melanesier
sind kleiner als Papuas etc.).
Bezugnahmen auf die Ausstellung selbst
fehlen völlig. Es handelt sich also nicht um
einen direkten Führer durch die Sammlun-
gen. Zu vergleichen wäre die Publikation am
ehesten mit dem Führer durch die Südsce-
Abteilung des Hamburgischen Museums für
Völkerkunde (Herbert Tischncr: Kulturen der
Südsee, Hamburg 1958), der jedoch den Ideal-
forderungen noch wesentlich näher kommt
(Auswahl der Abbildungen, Aufmachung,
Lesbarkeit des Textes). Hinweise auf weitere
Literatur mit Erläuterungen dazu und ein
Buchbesprechungen
183
Index, der gerade für einen Museumsführer
glücklich scheint (Wiederfinden der Beschrif-
tungen in der Ausstellung) ergänzen zusam-
men mit einer Übersichtskarte diese Veröffent-
lichung zu einer ansprechenden Einführung
in die Ethnographie Melanesiens, die ihrem
Zweck als Ergänzung zu einer Ausstellung
entspricht und außer für I.aien auch etwa für
Studenten als empfehlenswert erscheint.
H. Fischer
ROBERT F. MÄHER:
New Men of Papua. A Study in Culture
Change. Madison: The University of Wis-
consin Press 1961. XII—148 pp. in -8°.
With 8 pi, 7 fig., 4 maps, and 17 tables.
Preis: $ 5.00.
Robert Mäher hat sich fast ein Jahr (1954/
1955) bei den Papua des Purari-Deltas auf-
gehalten, um den dort in besonderer Stärke
auftretenden Kulturzerfall und den daraus
resultierenden Akkulturationsprozeß zu un-
tersuchen. Den Mittelpunkt des Buches bil-
det die Anwendung der Theorie von Rivers
(Essay on the Depopulation of Melanesia)
nach der der Verfall oder der Ausfall be-
stimmter Institutionen eine starke Bevölke-
rungsabnahme als Folge haben kann . . . ”sup-
pression [von Krieg und Kannibalismus
durch die Kolonialverwaltung] first deva-
lued life activities and through that led to
a devaluation of life itself and a consequent
decline in the population“ (S. 105).
Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel:
I. The Problem, II. Purari Culture beforc
the European, III. Contact and Change,
IV. The Consequences, V. Conclusion. Ein
Appendix verschiedener statistischer Erhe-
bungen ist beigegeben. Überhaupt bildet die
sehr sorgfältige statistische Aufnahme einer
ganzen Reihe soziologischer Gegebenheiten
der Purari-Bevölkerung eine der stärksten
Seiten des Buches. Das erste Kapitel kann
übergangen werden: die umständliche Dar-
stellung des Forschungsproblems sowie die
allgemeinen ethnologischen und soziologi-
schen Begriffsdefinitionen sind — wie audi
aus dem Kontext des Schutzumschlages her-
vorgeht — für den Studenten bestimmt. Lei-
der finden sich darin bedauerliche Passagen,
wie auf S. 4, wo die starke Isolierung (?) der
verschiedenen ethnischen Gruppen Neugui-
neas nicht nur auf ’’rugged mountains,
swamps, and rain forests“, sondern auch
auf ’’raiding, headhunting, and cannibalism“
zurückgeführt wird.
Das zweite Kapitel gibt eine kurze Dar-
stellung der Kultur des Purari-Deltas vor
dem Kommen der Europäer, bei der sich der
Autor außer auf seine eigenen Forschungs-
ergebnisse auch auf die Arbeiten von F. E.
Williams (1923, 1924) und J. H. Holmes
(1902, 1924) stützen kann, denen er so gro-
ßen Wert zumißt, daß er seiner Untersu-
chung der heutigen Verhältnisse den Cha-
rakter eines ’’restudy“ verleiht. Da die alte
Kultursituation die Basis der Untersuchung
bildet, muß die recht kursorische Art ver-
wundern, mit der die früheren Institutionen
behandelt werden. Während Fischfang und
Sagonutzung die Grundlage des wirtschaft-
lichen Lebens bildeten, so waren der per-
manente Krieg der einzelnen Dörfer gegen-
einander und der damit verbundene Kanni-
balismus nach Mäher der Mittelpunkt aller
soziologischen Aktivität. Der Autor entwer-
tet diese Feststellung durch die lapidare Be-
merkung, daß es nicht mehr möglich sei, den
Grund der Menschenfresserei festzustellen:
’’The roots are far bade in prehistory“. Die
Arbeiten über die benachbarten Kiwai, Gab-
gab, Marind-Anim usw. bieten genug Ver-
gleichsmaterial, um zu einer befriedigenderen
Antwort zu kommen. Die einzige für Mäher
erkennbare Wurzel des Kannibalismus liegt
in der Vorstellung vom ’’imunu“, das man
etwa als Lebenskraft übersetzen kann: ’’Here
was the conceptual base of Purari canni-
balism. By eating the flesh of another man,
something of his imunu could be taken in,
and the power of the cannibal was in-
creased“ (S. 26). In ähnlich mechanistisch-
positivistischer Weise werden auch andere In-
stitutionen abgehandelt, wie zum Beispiel das
System der bei allen möglichen Gelegenheiten
notwendigen Opfer und Geschenke, die hier
wie am Sepik (naven) eine so große Rolle
spielen.
Das Kommen der Europäer und die Aus-
einandersetzung der Purari-Bevölkerung mit
den Geboten der Kolonialverwaltung brachte
auch hier den Anstoß des Kulturwandels.
Durch das Verbot von Kannibalismus und
Fehden wurde die Purari-Kultur ihrer wich-
tigsten Elemente beraubt. Versuche, ausgefal-
lene Institutionen durch neue zu ersetzen —
so das kannibalistische Opfer durch das
Sdiwein — schlugen fehl. Die großen Dörfer
lösten sich auf, da sie seit dem Aufhören der
Kriege ihre Hauptfunktion — Schutz ihrer
184
Buchbesprechungen
Bewohner — verloren hatten. Hand in Hand
damit vollzog sich der Niedergang des reli-
giösen Lebens. In den neuen kleinen Nieder-
lassungen verzichtete man häufig auf die Er-
richtung von Kulthäusern. Den entschei-
denden Stoß empfing die alte Kultur durch
den zweiten Weltkrieg, da nun fast jeder
zweite männliche Eingeborene mit den Euro-
päern in einen engen Kontakt geriet und ihr
Leben und ihren Lebensstandard aus eigener
Anschauung kennenlernte. ”By 1946 the desi-
re for change had spread through a broad
base of the Purari population“ (S. 55). Die
Beschreibung dieses Wandels und seiner füh-
renden Persönlichkeiten, ”the new men“, bil-
det den lesenswertesten Teil des Buches, Man
hört von Tommy Kabu, einem Purarl-Mann,
der während des Krieges mehrere Jahre in
der australischen Marine diente und sogar
für die neuen Verhältnisse erstaunliche
Kenntnisse des europäischen Lebens erlangte.
Eine geborene Führerpersönlichkeit mit ho-
hen moralischen wie organisatorischen Fähig-
keiten, versuchte er, das bis dahin in den
alten Verhältnissen stagnierende wirtschaft-
liche Leben und darüber hinaus die gesamte
Stammeskultur zu reformieren und europäi-
sieren. Produktionsgenossenschaften (Sago,
Kokos, Holz) wurden gegründet, Anteil-
scheine an ihre Mitglieder ausgegeben, ein
Absatzbüro in Port Moresby eröffnet und
ein Motorboot gekauft. Wie in anderen Ge-
bieten Neuguineas (Erdnuß-Projekt!) erwie-
sen sich diese Unternehmungen als Fehl-
schläge. Zwar fehlte es den Eingeborenen
nicht an intellektuellen Anlagen oder organi-
satorischem Geschick, wohl aber an der nöti-
gen Erfahrung, die Handelsgeschäfte größe-
ren Stils voraussetzen. Eine Kultur, deren
Wertmaßsläbe zwar nicht von irrationalen,
wohl aber von nichtmerkantilen Gesichts-
punkten bestimmt wurden, und bei der so-
gar der Handel (kula!) durch überwiegend
ethisch-religiöse Normen geregelt wurde, kann
nicht in einem Menschenalter die Schwelle
überspringen, die mythisches und säkulares
Denken voneinander trennt. Es ist rührend
und entsetzlich zugleich zu lesen, wie sich die
Mitglieder der neugegründeten „kompani“
der mythischen Heilserwartung hingaben,
durch eine formelle Übereinstimmung mit
den europäischen Gebräuchen auch den er-
hofften Erfolg zu erzielen. Ebenso wie man
im Cargo-Kult den Kontakt mit den Ahnen
durch „Funk-Stationen“ aus Bambus und
Lianen herstellen will, so stattete Tommy
Kabu sein ’’office“ mit Tischen und Stühlen
und „Geschäftspapieren“ aus, die alles andere
enthielten als die nie geführten Konten. Alle
wohlmeinenden Versuche der Verwaltung, die
ökonomische Aktivität der Eingeborenen zu
unterstützen und zu leiten, mußte mangels
eines festen Konzeptes, vor allem mangels
Personal scheitern. Das Fernbleiben eines
großen Teiles der jüngeren Männer, die bei
Europäern arbeiteten oder sich auf dem
walkahout für die kompani und ihre Nach-
folgeorganisationen befinden, und die psy-
chologischen Auswirkungen einer allgemeinen
Unsicherheit und Unzufriedenheit sind nach
Maher die Ursachen für die sinkende Bevöl-
kerungsziffer und den Geburtenrückgang.
Bei der Besprechung des zweiten Kapitels
wurde auf die entscheidende Schwäche des
Buches hingedeutet. Es stellt zweifellos eine
ganz vorzügliche Arbeit über die heutigen
soziologischen Verhältnisse und ihre Entwick-
lung vor allem seit 1945 dar. Sorgfältige sta-
tistische Erhebungen — dem Autor stand
auch der Regierungszensus zur Verfügung —
machen das Buch zu einer Quelle ersten Ran-
ges. Dagegen erscheinen die Erklärungsver-
suche, warum es zu der im dritten Kapitel
geschilderten Entwicklung kam, warum Tom-
my Kabu diesen Erfolg hatte, warum kom-
pani und bisnes (Genossenschaft und Ge-
schäft) zum Inbegriff soziologischer Aktivität
geworden sind, als nicht geglückt. Wie schon
ein anderer Rezensent bemerkte, unterliegen
die Betrachtungen von Akkulturationspro-
zessen viel zu stark der Zwangsvorstellung,
daß sich aus dem Zusammenstoß von Einge-
borenen-Kultur und europäischer Zivilisation
stets etwas Neues entwickeln müsse, und daß
sich der Prozeß des Kulturwandels in me-
chanistischer Weise vollzöge, nämlich durch
den Ersatz ausgefallener Institutionen durch
neue. Man wird solche Entwicklungen nie-
mals wirklich verstehen, wenn man keine
besseren Kenntnisse der Grundlagen der Ein-
geborenen-Kulturen hat und weiter in positi-
vistischen Vorurteilen verharrt. Wohl bilden
bei diesem Tommy-Kabu-Movement ebenso
wie bei vielen Erscheinungsformen des Cargo-
Kultes materialistische Tendenzen der Einge-
borenen — nämlich einen ähnlich hohen Le-
bensstandard zu erreichen wie den der Wei-
ßen — einen wichtigen Faktor. Ich zweifele
aber nicht daran, daß sie auch hier nur einen
Faktor darstcllcn, daß daneben noch andere
Faktoren von ebenso großer Bedeutung mit-
spielcn. Man wird sie nicht erkennen und
Buchbesprechungen
185
damit an den wirklichen Gesetzen jeder Ak-
kulturation Vorbeigehen, wenn man den Ein-
geborenen-Kulturen die gleichen rationalisti-
schen Triebkräfte zuschreibt wie unserer Zi-
vilisation. Sie haben ihre eigenen, von den
unsrigen abweichenden Gesetze. Sie zu ver-
stehen und zu beschreiben muß die wichtig-
ste Aufgabe jedes an der Akkulturation
interessierten Ethnologen sein, ohne sie fehlt
allen noch so umfangreichen Statistiken der
Ausgangspunkt.
E. Haberland
DOUGLAS NEWTON:
Art Styles of the Papuan Gulf. New York:
The Museum of Primitive Art. (Distributed
by University Puhlishers Ine.) 1961. 100 S.,
265 Abb., Karte. Preis: $ 6.00.
Mit einer großen Zahl von Abbildungen
bietet diese Untersuchung über die Kunststile
des Papua-Golfes in Süd-Neuguinea einen
guten Überblick über ein Gebiet, das als eines
der großartigsten im Bereich naturvölkischer
Kunst gelten kann. Eine ganze Anzahl von
Fotos und Zeichnungen sind nach älteren
Reiseberichten reproduziert, so nach Chalmers,
Jukes, Williams und Wirz, bzw. es sind
ältere, nicht veröffentlichte Fotografien.
Diese zum größeren Teil naturgemäß tech-
nisch nicht sehr guten Aufnahmen bringen je-
doch den Vorteil mit sich, daß nicht nur reine
Museumsobjekte in ganz neutraler (und ver-
fälschender) Umgebung der Illustration die-
nen, sondern die Kunstwerke als Teil der Ge-
samtkultur erscheinen. Die einzelnen ab-
gebildeten Objekte stammen aus vielen ver-
schiedenen Sammlungen und Museen, so aus
Chicago, Amsterdam, Basel, Dublin oder
Cambridge, um nur einige aufzuführen. Lei-
der ist die Wiedergabe auch der einzelnen
Sammlungsstücke durchschnittlich nicht sehr
gut.
Douglas Newton ist Curator am Museum
of Primitive Art, wo eine Ausstellung über
die Kunst des Papua-Golfes ihm die Mög-
lichkeit gab, dieses Gebiet eingehend zu stu-
dieren.
Eine kurze Einleitung über das dargestellte
Gebiet bringt knappe historische Notizen und
eine Gliederung der hier lebenden Gruppen.
Es wird darauf hingewiesen, daß diese Kul-
turen heute faktisch nicht mehr existieren.
Sämtliche Stämme sprechen papuanische Spra-
chen. Kurz wird auf die Religion eingegan-
gen, insbesondere auf den Begriff des imunu;
die wirtschaftlichen Grundlagen des Gebietes
werden erwähnt. Die frühen völkerkund-
lichen Quellen (Austen, Beaver, Chalmers,
Haddon, Landtman, Seligman, Williams,
Wirz etc.) werden dabei ausgiebig verwertet.
Dann werden nacheinander in einzelnen
Abschnitten die verschiedenen Kulturen und
die Kunst im Zusammenhang mit der Ge-
samtkultur dargestellt: Kiwai, Kerewa,
Wapo, Urama und Era River, Purari Delta
(Namau) und Elema.
Ein besonderer Abschnitt Ist den Materia-
lien, den Künstlern und den verwendeten
Formen gewidmet. Die verwendeten Mate-
rialien sind Holz, Bambus und Rinde, die
Schnitzgeräte Steinbeile für die grobe und
Muschelwerkzeuge für die Feinbearbeitung.
Knochennadeln dienten zum Zusammennähen
der Rinde. Farbe wurde mit aufgesplissenen
Pandanusblättern aufgetragen. Die benutz-
ten Farben sind Weiß, Rot und Schwarz, bei
den Elema kommt noch eingehandeltes Rosa,
Gelb und Grau hinzu. Sehr wenig ist be-
kannt über die Herstellung von Ritualobjek-
ten und ihre Hersteller selbst.
Eine Reihe von primären Formen werden
untersucht und dargestellt. Vorkommen oder
Nicht-Vorkommen bestimmter Formen in
einzelnen Gebieten wird weniger auf Beein-
flussung von außen, als auf Zunahme oder
Abnahme des Interesses daran, auf „Moden“
zurückgeführt. Die Anzahl von Grundformen
ist im Untersuchungsgebiet außerordentlich
klein. Sie sind einfach, geometrisch und kom-
biniert zu nicht sehr komplexen Großformen.
Die Grundformen sind: Langes, flaches Oval
(Gopc-Bretter, Masken, Schwirrholz), Zick-
zacklinien, fließende, kalligraphische Linien,
die dunkle Flächen umschließen. Eine drei-
dimensionale Form ist der Konus (Masken,
horizontal auch die Kaiamunu-Tiere, auch
die Männerhäuser der Namau und Elema).
In der Konstruktion gleichen sich im Prinzip
etwa die Kaiamunu-Tiere, Masken und Häu-
ser. Auf die enge Verbindung zwischen den
bevorzugten Formen und den mythologischen
Ideen wird hingewiesen: Das Kaiamunu-Tier
etwa, das dem ravi ähnelt, erinnert daran,
daß der Kaiamunu nach der Mythologie die
erste Wohnung des Menschen war.
Von besonderem Interesse ist der Abschnitt
über ’’Emotion and Significance“. Hier wird
186
Buchbesprechungen
vor allem die Frage gestellt, ob die vom euro-
päischen Betrachter empfundene „Wildheit“
dieser Kunst wirklich Ausdruck dieser Kultur
ist. Der Verfasser weist darauf hin, daß auf
den Eingeborenen seine eigene Kunst ganz
anders wirken muß, als auf den europäischen
Beobachter, und daß die emotionalen Bin-
dungen an die Objekte in der fremden Kul-
tur ihm entgehen müssen. Es sei auch für
Europäer kaum vorstellbar, wie gering nor-
malerweise der von Menschen ausgehende
Stimulus auf den Gesichtssinn bei diesen
Gruppen ist. Um so größer müsse dann der
emotionale Effekt gewesen sein, wenn diese
Mensdicn zum ersten Male mit dem Innern
der Zcremonialhäuscrn oder den Masken in
Kontakt kamen.
Den Absdmitten, die der Funktion der
Kunst in der Gesamtkultur, der Technik und
Stellung des Künstlers wie der Frage des Aus-
drucks gewidmet sind, folgt dann die Einzel-
besprcchung der verschiedenen Stile: Gogo-
dara, Kiwai, Lower Fly River, Bamu River,
Turama River, Kcrewa Area, Wapo Creek,
Era River, Urania, Coastal Namau, Inland
Namau und Elcma.
Um so mehr, als bisher nodi keine zusam-
menfassende Darstellung über die Kunst des
Papua-Golfes vorlag, ist die Arbeit als ein
Beitrag über eines der großen Gebiete natur-
völkischer Kunst zu begrüßen.
Fi. Fischer
TIBOR BODROGI:
Art in North-East New Guinea. Budapest:
Publishing House of the Hungarian Aca-
demy of Sciences. 1961. 227 S., 240 Abb.,
2 Karten.
Tibor Bodrogi, Direktor des Ethnographi-
schen Museums in Budapest, legt mit diesem
vorbildlich ausgestatteten Band die erste zu-
sammenfassende und authentische Darstel-
lung des sogenannten Tami-Stils auf der Insel
Neuguinea vor. Die Grundlage zu diesem
Buch ist die bisher noch nie veröffentlichte
Sammlung von Ludwig Bir6 aus dem Gebiet
des Huon-Golfcs, die dieser von Juli 1898 bis
September 1899 dort für das Ungarische Na-
tional-Museum angelegt hatte. Es standen zu-
sätzlich zu den Objekten nodi die Notizen
von L. Biro zur Verfügung, und zur Ergän-
zung konsultierte der Verfasser außerdem
zahlreiche Museen.
Zunächst wird eine allgemeine Einführung
in die Kultur der Dörfer gegeben, aus denen
die Mehrzahl der Objekte stammen (pp. 23
bis 48). Sodann wendet sich der Verfasser
einer Beschreibung derjenigen Gegenstände
zu, an denen die künstlerisdien Leistungen
zutage treten. Er unterscheidet grundsätzlich
die Techniken des Schnitzens und Ritzens
von der Malerei. Innerhalb dieser Einteilung
wird des weiteren nach dem Material unter-
schieden: FIolz, Bambus, Kokosnuß-Schale,
Kürbis, Schildpatt, Muschelmaterial, Knochen,
Stein, Ton und sdilicßlich Baumbast. Das
nächste Kapitel wendet sich den Motiven zu,
wobei anthropomorphe, zoomorphe, geo-
metrische und einige problematische Formen
unterschieden werden. Die anthropomorphen
Formen umfassen die menschliche Gestalt als
Ganzes, Kopf und Gesicht, Auge, Ohr und
Ohrring; die zoomorphen Motive zeigen
Schlange, Eidechse, Vogel, Fisch, Krokodil,
Schwein, Frosch und Schildkröte. Bei den geo-
metrischen Motiven stützt sich Bodrogi auf
die Bezeichnungen in der Jabim-Sprache, die
Birö notiert hatte. Der Aufbau des Buches
gibt also auf der Grundlage eines hervor-
ragenden und umfangreichen Materials einen
sorgfältig gegliederten Einblick in die Kunst
dieses Gebietes. Die Gegenüberstellung von
Gegenständen und Material einerseits und
Repertoire der Motive andererseits ist metho-
dologisch vorbildlich. Man kann sich eigent-
lich nichts Besseres wünschen, und es muß dem
Verfasser attestiert werden, daß er ein Buch
geschrieben hat, auf welches Fachleute und
Laien lange gewartet haben. Dieses Warten
aber hat sich — endlich einmal — wirklich
gelohnt.
Jetzt wird es möglich sein, die nächsten
Schritte bei der Analyse dieser Kunstprovinz
zu tun, wie sie sich auch an vielen Stellen
von Bodrogi’s Text bereits abzeichnen. Bis-
lang besaß die Wissenschaft neben zahlreichen
„impressionistischen“ Studien nur ein einziges
„objektives“ Werk, welches sich mit einem
Teilaspekt dieser Stilprovinz befaßte. Gladys
Reichard hatte sich mit ihrer Studie (1933)
ausschließlich den geometrischen Motiven in
Ritztechnik in Nordost-Neuguinea und Nord-
west-Melanesien zugewandt. Dabei hatte sie
mit außerordentlicher Konsequenz ein for-
males Gliederungsprinzip eingehalten, was
gleichermaßen Lob wie Kritik hervorrufen
mußte. Nun aber besitzen wir eine Zusam-
menstellung, die den ganzen Reichtum dieser
Buchbesprechungen
187
Stilprovinz erkennen läßt. Man kann ohne
große Schwierigkeiten die Abwandlungen
der grundsätzlichen Motive und Formen auf
den verschiedenen Gegenständen, Materia-
lien und in den verschiedenen Techniken
nebeneinander beobachten. Es ist nunmehr
möglich, die „akzessorischen“ Merkmale ab-
zuheben und den wirklichen Formenschatz
dieser Stilprovinz herauszuschälen. Denn erst
dieser darf einer vergleichenden Forschung
als Unterlage dienen. Alles andere ist „An-
wendung“ oder „Konfiguration“ einer histo-
rischen Gegebenheit von größerer Verbrei-
tung an Ort und Stelle.
Wer sich aber nicht mit vergleichenden
Untersuchungen befassen will, dem bietet die-
ses Buch mit der gleichen Objektivität das
deskriptive Material des Sachverhalts. Die
Ausdeutung der einzelnen Motive wird stets
und ständig Schwierigkeiten bereiten. Ob man
sich in jedem Fall auf die Notizen von Biro
verlassen darf, mag strittig sein. Damit wird
keine Kritik an Birö oder am Verfasser ge-
äußert. Beide haben uns zunächst das ver-
mittelt, was auf Grund der unmittelbaren An-
gaben der Eingeborenen zur Verfügung stand.
Die ethnographische Kunstforschung — oder
noch allgemeiner die Fcldforschung — steht
hier vor Problemen, die nur durch Vermeh-
rung der Angaben kontrolliert werden könn-
ten. Denn die Angabe eines Jabim-Mannes
aus dem Jahr 1899 über die Bedeutung eines
Motivs beinhaltet zwei mögliche Fehlerquel-
len: einmal kann man an einen Informanten
geraten, der seine eigene Kultur nicht genü-
gend kennt, und zum anderen muß die Be-
deutung eines Motivs bei den Jabim im Jahre
1899 durchaus nicht der wirklichen, historisch
bedingten Bedeutung dieses Motivs entspre-
chen. Dies sind keine neuen Probleme. Aber
diese Diskussion wird die weitere Forschung
bewegen.
Was auch immer in der Zukunft erforscht
werden wird, Bodrogi hat für diese Stil-Pro-
vinz auf Neuguinea eine Grundlage geschaf-
fen, die ihren Wert nur noch dann verlieren
könnte, wenn bis jetzt unbekannte Objekte
(ich denke hier an prähistorische Grabungen)
vollkommen neues Tatsachen-Material zutage
fördern würden. Doch selbst dann wird man
an diesem monumentalen Band nicht mehr
Vorbeigehen können, mehr noch: man wird
nicht an ihm Vorbeigehen dürfen.
C. A. Schmitz
GERD KOCH:
Die materielle Kultur der Ellice-Inseln.
Berlin: Veröffentlichungen des Museums
für Völkerkunde. NF 3. Abteilung Südsee
1. 1961. 199 S., 20 Tafeln, 118 Strichzeich-
nungen, Index. Preis DM 10.—.
Der Verfasser legt mit dieser Veröffentli-
chung einen Teil der Ergebnisse eines neun-
monatigen Forschungsaufenthaltes auf den
Ellice-Inseln (1960/61) vor. Er hat sich bei
seiner Beschreibung, wie der Titel schon sagt,
völlig auf den materiellen Sektor der Ellice-
Kultur beschränkt, von einigen wenigen Be-
merkungen zu magischen Praktiken abge-
sehen. Diese Beschränkung wurde mit großer
Konsequenz und Klarheit durchgeführt, so
daß er es wagen konnte, innerhalb dieser
Grenzen Vollständigkeit anzustreben.
Die Darstellung baut folgerichtig auf den
natürlichen Resourcen auf, beschreibt die
Nahrungsbeschaffung und -Zubereitung, Klei-
dung, Schmuck, Häuser, Hausrat, Boote, Spie-
le, Schallinstrumente, Waffen, Krankenbe-
handlung und Bestattung. Koch kann seine
Ausführungen anhand der Objekte demon-
strieren, die er für das Berliner Museum ge-
sammelt hat. Die Klarheit und Genauigkeit
der Photographien und Zeichnungen ver-
dient ausdrückliche Erwähnung.
Jeder einzelne Gegenstand ist mit dem
entsprechenden Wort der Ellice-Sprache an-
gegeben, wobei auf dialektische Unterschiede
zwischen den Inseln Niutao, Nanumanga und
Nukufetan Rücksicht genommen wird. Eben-
so wurde fast Immer der botanische oder
zoologische Name der Spezies angegeben, aus
deren Material die Objekte hergestellt wor-
den sind. Alles in allem also eine vorbildliche
Publikation, die in der Serie entsprechender
Beschreibungen anderer polynesischer Inseln
(vor allem aus der Feder von P. H. Buck)
eine lange bedauerte Lücke ausfüllt.
In einem Schlußkapitel macht Koch einige
Bemerkungen über die mutmaßliche Geschichte
der Ellice-Inseln. Unter der Voraussetzung,
daß wir in West-Polynesien eine frühe ge-
mein-polyncsische Basis-Kultur erkennen kön-
nen (Eiben, Suggs), lassen sich die Ellice-
Inseln nicht ohne weiteres in den west-poly-
nesischen Zusammenhang einordnen. Sie sind,
soweit man bisher weiß, spät besiedelt wor-
den. „Hier sind wesentliche Züge des samoa-
nischcn Lokaltypus mit solchen der zentral-
polynesischen Ausprägung innerhalb einer
188
Buchbesprechungen
durch ihre Armut hemmenden und formenden
Umwelt zu einer Kultur vereint worden, die
dann noch einzelne Anreicherungen von dem
benachbarten Mikronesien, von den Gilbert-
Inseln erfuhr.“ Damit zeichnet sich ein neuer
Baustein ab für die langsam wachsende Er-
kenntnis, daß jene in West-Polynesien früh
anzunehmende gemcin-polynesische Basis-
Situation an Melanesien anzuschließen ist
und nicht über die Ellice-Gruppe einen An-
schluß an Mikronesien findet. Diese letzte
Schlußfolgerung steht zwar nicht in diesem
Buch, doch wurde sie von Koch selbst gele-
gentlich eines Vortrages geäußert. Und ich
kann midi dieser Bemerkung nur anschließen.
Dabei sind wir uns alle darüber klar, daß
Schlußfolgerungen, welche einzig aus der Ver-
breitung materieller Objekte gezogen werden,
für die historische Rekonstruktion erst indi-
kativ aber noch nicht konklusiv sind.
Der Titel „Materielle Kultur“ könnte dem
Verfasser den Vorwurf einbringen, daß es
überhaupt keine materielle Kultur geben
könne. Dies jedenfalls ist die Argumentation
einer auch in Deutschland vertretenen For-
schungsrichrung. Koch hat sich nicht mit dem
Thema befaßt, in welcher Weise die materi-
ellen Objekte zu den Menschen in Beziehung
stehen. Er hat die Kulturleistungen derElllce-
Insulaner in ihrer materiellen Erscheinung
und in ihrem extra-somatischen Zusammen-
hang (White) beschrieben. Von diesem Ge-
sichtspunkt aus gibt es eine „materielle Kul-
tur“. Es ist also zu hoffen, daß Koch und
seinen Lesern dieser Vorwurf erspart bleiben
wird. Schließlich kann es nichts Unwissen-
schaftlicheres geben als den Versuch, die eine
Forschungsrichtung mit den Begriffsmitteln
einer anderen messen zu wollen. Gemessen
an der Bedeutung und Qualität der vorlie-
genden Veröffentlichung darf man sich wohl
mit Recht auf die noch ausstehende Veröffent-
lichung der Tänze und Gesänge der Ellice-
Insulaner freuen. Es sei zum Abschluß noch
auf die Filme hingewiesen, die der Autor in
der Encyclopaedia Cinematographica (E 408
bis 420) zum gleichen Thema veröffentlicht
hat.
C. A. Schmitz
MANFRED URBAN:
Die Haustiere der Polynesier. Völkerkund-
lichc Beiträge zur Ozeanistik Band 2. Göt-
tingen: Kommissions-Verlag Dr. Ludwig
Häntzschel. 1961. 367 S., 23 Abb5 Karten.
Preis; DM 38.—.
Erhard Schlesiers neue Reihe „Völkerkund-
liche Beiträge zur Ozeanistik“ findet ihre
Fortsetzung in einer weiteren Göttinger Dis-
sertation, die noch von dem Emeritus Elans
Plischke angeregt worden ist. Das reizvolle
Thema erfordert eine vielseitige Betrachtungs-
weise, und der Verfasser wird solchen Not-
wendigkeiten mit Fleiß und Umsicht gerecht.
Unter sorgsamer Auswertung der jeweils
frühesten Quellen stellt er dar, welche Haus-
ticre auf den verschiedenen polynesischen In-
seln bei der Entdeckung durch die Europäer
angetroffen wurden. Allerdings hätte man hier
gern gesehen, wenn von Urban größere Kon-
sequenz in der Reihenfolge der behandelten
Archipele beachtet worden wäre, entsprechend
der Gruppierung in West-, Zentral- und
Randpolynesien (die polynesischen Exklaven
werden nur kursorisch abgetan). Die Litera-
turauswertung schließt mit dem Jahre 1959
und mußte so auf die Auswertung und Ein-
beziehung jüngster archäologischer Ergebnisse
verzichten, läßt jedoch kaum Wünsche offen
für ältere Werke.
Schwein, EEund und Huhn treten weder
konstant zusammen, noch überhaupt auf
sämtlichen Inseln Polynesiens auf, wobei die
Verhältnisse auf den Atollen naturgemäß
besonders dürftig und ungünstig auch für die
Haustierhaltung waren. Für jedes dieser poly-
nesischen Haustiere gibt der Verfasser eine
vergleichende Zusammenfassung unter den
Gesichtspunkten der Wartung, Verwendung
als Nahrung und Rohstofflieferant, Bedeu-
tung innerhalb der sozialen Welt sowie der
religiösen, kultischen und mythischen Ein-
schätzung. Quantitativ steht, wie nicht anders
zu erwarten, das Material über das Schwein
an der Spitze, während Hund und Huhn
etwa in gleichem Umfange abgehandelt wer-
den. In der Ernährung spielte das Schweine-
fleisch anläßlich von Festen vorzugsweise
für Häuptlinge und Priesterschaft eine be-
deutende Rolle, während die Frauen im all-
gemeinen durch Speisetabus ausgeschlossen
wurden. Urban hebt mit Recht hervor, wie
sehr das Schwein in Polynesien ein Symbol
der Macht und des Prestiges (ablesbar an den
Distributions- und Verbrauchsvorgängen) war
und später zeitweilig für die Verproviantie-
rung europäischer Segelschiffe äußerst be-
deutsam wurde. Schweineopfer nahmen einen
Buchbesprechungen
189
größeren Umfang auf den Kultplätzen Ost-
polynesiens ein, nicht zuletzt ersatzweise für
Menschenopfer. Hier wie im Kreis der my-
thischen Vorstellungen ergeben sich manche
Anknüpfungspunkte für einen Vergleich mit
der Rolle des Schweines in Melanesien. Es
wäre wünschenswert, wenn auch in unserem
Kreise solchen Fragen eingehender nachge-
gangen würde. (Vgl. Vayda — Leeds —
Smith ’’The Place of Pigs in Melanesian Sub-
sistence“, Paper presented at the VIth Inter-
national Congress of Anthropological and
Ethnological Sciences, Paris, August 1960.)
Was den polynesischen Hund betrifft, so
galt sein Fleisch früher zwar auf einigen In-
seln als Delikatesse, doch waren im ganzen
Hunde weniger wertvoll als Schweine, wenn
man absieht von Neu-Seeland, wo andere
Haustiere fehlten. Dort spielte auch die Ver-
arbeitung von Hundefellen zu Umhängen
und anderen Kleidungsstücken eine wesent-
liche Rolle. Mythologisch ist die Herkunft
des ersten Hundes eng mit dem Maui-Zyklus
verknüpft; bezeichnend, daß der Hunde-
stammvater einst seine Tiergestalt als Strafe
erhielt. Welche variable Einschätzung der
Hund im Geistesleben der Polynesier genoß,
hat übrigens inzwischen Luomala in einem
mustergültigen Aufsatz weit detaillierter dar-
gclegt, als es im Rahmen dieser Dissertation
möglich gewesen wäre. (Katharine Luomala
’’The Native Dog in the Polynesian System
of Values“, in: Culture in History [Radin-
Festschrift] S. 190—240. New York 1960.)
Den Abschnitt über das Huhn habe ich mit
besonderem Interesse gelesen, handelt es sich
doch hier um jenes Haustier, auf das sich
Wirtschafts- und Denkweise der alten Oster-
inselkultur in besonderem Maße richteten.
Man könnte für die Osterinseln pointiert von
einer einzigartigen ’’economy of fowl“ spre-
chen. Urban bringt hier als Nichtspezialist
verständlicherweise nur einen Teil der ver-
fügbaren Daten (es ist nicht ersichtlich, wes-
halb die wertvollen Veröffentlichungen von
P. Englert unausgewertet blieben). Eine wirk-
lich tiefschürfende Ergänzung würde aber
den Rahmen einer Besprechung sprengen und
muß so einer künftigen Publikation des Re-
zensenten Vorbehalten bleiben. Als Kuriosum
sei nachgetragen, daß eine Überlieferung da-
von spricht, wie auf der Osterinsel einst Ver-
suche zu einer Domestizierung der polync-
sischen Ratte unternommen wurden.
Schaut man über das Verbreitungsbild in
Polynesien hinaus auf die Nachbargebiete im
pazifischen Raum, so ist zumindest für
Schwein und Huhn eine Herkunft aus (Süd-
ost-) Asien unleugbar. Innerpolynesische Ein-
wanderungsüberlieferungen demonstrieren ein
östliches (Gesellschaftsinseln) und ein west-
liches (Fidji) Ausbreitungszentrum. So vor-
sichtig man oft die Beweiskraft polynesischer
Traditionen bewerten muß, so kann doch
heute schon für die Erstsiedler auf den Mar-
quesas- und Hawaii-Inseln archäologisch
nachgewiesen werden, daß diese sämtliche
Haustiere bereits vor rund 2000 Jahren in
ihre neue Heimat mitbrachten (Suggs; Emory).
Urban stellt nützliche Listen von Haustier-
bezeichnungen zusammen, ohne diese linguisti-
schen Daten erschöpfend auszuwerten. Die
Einheitlichkeit der Namen für „Schwein“
(puaka) und „Huhn“ (moa) geht mindestens
auf eine urpolynesische Stufe zurück. Im
Rapanui sind gewisse Bedeutungsverschie-
bungen merkwürdig: Das gemeinpolynesische
Wort für „Schwein“ wird auf das „Rind“
(puaka!), das in Polynesien besonders häufige
Wort für „Flund“ wird auf die Katze (kuri!)
übertragen; andererseits kommen hier singu-
läre Ausdrücke für „Schwein“ (oru) und
„Hund“ (paihenga) vor. Das in Traditionen
genannte, viel umstrittene Wort kekepu oder
kepukepu, von anderen Autoren bald als
„Schwein“, bald als „große Schildkröte“ oder
gar „straußenartiger Vogel“ gedeutet, wurde
von meinen Informanten als Bezeichnung
für „ein besonders rundliches Tier“ verwen-
det. Ich wäre übrigens keineswegs überrascht,
wenn Heyerdahl eines Tages das kepu als
aus dem Andengebiet Importiertes Meer-
schweinchen (Quechua: QOWI) auffassen
würde.
Recht nachdenklich stimmen die verschie-
denen polynesischen Sonderbezeichnungen für
„Hund“. Während vielleicht noch an einen
Zusammenhang zwischen dem hawaiischen
ilio und dem samoanischen maile zu denken
wäre, läßt sich die terminologische Fülle im
Maori nur teilweise reduzieren. Selbst wenn
man Urbans Liste (S. 360) mit Hilfe von
Williams Wörterbuch überprüft und einige
ältere Belege eliminiert (hiore = ”tail of a
quadruped“; moi = ’’call for a dog“; poipoi
= ’’cereraonial food“), so bleiben neben dem
gemcinpolynesischcn kuri noch die Ausdrücke
kararake, kararehe, kirehe (diese drei hängen
190
Buchbesprechungen
zweifellos eng zusammen), nahe (vgl. mar-
quesanisch nuhe, falls dieses nicht von dem
polynesischen Wort anuhe für „Raupe“ ge-
bildet worden ist) und pero (eine Ableitung
von dem spanischen Wort perro ist wenig
wahrscheinlich) bestehen sowie Namen für
besondere Hundearten als ruarangi bzw.
mohorangi. Eine weitere Suche nach Paral-
lelen in Melanesien könnte wichtige Hinweise
liefern. Für den Ausdruck pape habe ich keine
weitere Bestätigung finden können, was des-
halb bedauerlich ist, weil (nach Friederici) in
Melanesien ein nicht seltener Namenstypus pap
auftritt. Bemerkenswert ist Urbans Hinweis
auf den Hundenamen pai in den Zentral-
Salomonen (nach Ray 1926, S. 520), da das
Rapanuiwort paihenga vielleicht tatsächlich in
eine Wurzel pai und einen qualifizierenden
Zusatz henga zerlegt werden kann.
Abschließend setzt sich Urban auf Grund
seiner Befunde mit den verschiedenen Sied-
lungshypothesen auseinander. Er warnt vor
einer Unterschätzung der Lebensmöglichkei-
ten von Haustieren in Mikronesien (d. h. Kri-
tik an der These vom „mikronesischen Filter“)
und bleibt andererseits erfrischend reserviert
gegenüber einer Ableitung der polynesischen
Hunderassen aus der Neuen Welt. Eine Zu-
ordnung der einzelnen Haustiere zu bestimm-
ten Kulturschichten wäre beim gegenwärtigen
Forschungsstand wohl verfrüht. Nach Urban
war der Hund das erste Haustier in Polyne-
sien, welches zu verschiedenen Zeiten (erst-
mals wahrscheinlich schon von Austro-
Melaniden) eingeführt wurde. In der so ein-
heitlichen Terminologie für Schwein und
Huhn sieht er einen gewichtigen Anhalts-
punkt dafür, daß hier weitgehend mit einer
relativ späten innerpolynesischen Ausbreitung
(nach 1000 A. D.) zu rechnen ist. Urbans
Arbeit enthält fruchtbare Anregungen und
wird für längere Zeit in der Hand der
Ozeanistcn nützlich bleiben. Es ist zu hoffen,
daß der Verfasser bald seine ergänzenden Re-
sultate (über die Einführung neuer Haustiere
in Polynesien durch die Europäer) im Druck
vorlegen kann.
T. S. Barthel
OTTO HÖVER:
Ah-Asiaten unter Segel. Kulturgeschicht-
liche Forschungen Band 9. Braunschweig:
Albert Limbach Verlag. 1961. 248 S., 80
Zeichnungen, 8 Tafeln. Preis: DM 28.—.
Der neueste Band aus der Reihe der „Kul-
turgeschichtlichen Forschungen“ ist ein merk-
würdiges Buch. Auch nach zweimaliger Lek-
türe blieb Rez. in seinem Urteil überaus zwie-
spältig. Hier hat der Verfasser, den frühere
Veröffentlichungen als Fachmann für See-
fahrtsgeschichte ausweisen, ein persönliches
Credo (abgestimmt auf ein maritimes Fern-
weh ä la Joseph Conrad) seltsam vermischt
mit langen segeltechnischen Erörterungen
(vom Stil „Das lose Unterliek wehte vorlich
aus, weil Schot und Hals nicht genügend
dichtzuholen waren“, S. 67). Exkurse, die sich
immer wieder vom selbst gesteckten und von
der Forschungsgemeinschaft unterstützten
Thema entfernen, wirken ebenso irritierend
wie die vielfältigen Ungenauigkeiten und
Mißverständnisse auf ethnohistorischem Ge-
biet und die mangelnde Quellenkritik; eine
detaillierte Berichtigung würde den Raum
einer Besprechung sprengen.
Ursprünglich als ein „Anti-Kontiki“ kon-
zipiert, muß es verwundern, daß wesentliche
Aufsätze Heyerdahls der letzten Dekade un-
berücksichtigt bleiben, in denen ein Bemühen
zu größerer Versachlichung unverkennbar ist.
Rez. stimmt mit Höver in der Beurteilung
gewisser Schiffsdarstellungen von der Oster-
insel überein und wird dem später weitere
Belege anzufügen haben.
Kämpft man sich durch den in stark angel-
sächsischem Fachjargon dargebotenen Stoff,
so gewinnt man zweifellos eine Fülle wert-
voller Einblicke in Wesen und Problematik
asiatisch-ozeanischer Segel- und Konstruk-
tionstechniken. Eine gestrafftere Form der
Darstellung, die das sachkundig beherrschte
Feld nicht überschritten haben dürfte, hätte
Höver Dank und Anerkennung des Ethnolo-
gen gesichert. So allerdings zieht Rez. es vor,
sich weiter an Standardwerke, wieHaddon —
Hornell’s ’’Canoes of Oceania“, zu halten.
T. S. Barthel
HANS BECHER:
Die Surdra und Pakiddi. Zwei Ydnondmi-
Stämme in Nordwestbrasilien. Mitteilungen
aus dem Museum für Völkerkunde in Ham-
burg, XXVI. Hamburg: Cram, De Gruyter
u. Co. I960. 4°. 138 S.
Ersterforschungen bisher unbekannter
Stämme sind eine Seltenheit geworden. Hans
Becher hatte das Glück, in den Jahren 1955
bis 1956 eine Terra incognita an linken Ne-
^ r
ii» ummmm i (in ihm i
—M
Buchbesprechungen
benflüssen des mittleren Rio Negro bereisen
zu dürfen. Als Frucht seines neunmonatigen
Aufenthaltes liegt nun die Monographie über
die kleinen Stämme der Surära und Pakidäi
vor, erschienen in den Mitteilungen des Ham-
burgischen Yölkerkundemuseums. Anschau-
liche Photographien und exakte Objektzeich-
nungen bereichern das nicht allzu umfang-
reiche Werk.
Im brasilianisch-venezolanischen Grenz-
gebiet schweifen und siedeln kleinwüchsige
und hellhäutige Indianer, die erst vor relativ
kurzer Zeit das Wildbeuterstadium verlassen
haben. Kulturell und sprachlich einigermaßen
einheitlich, bildet die Gesamtheit der soge-
nannten Yanonämi (bzw. Yanoäma) eine
altertümliche Neugruppierung innerhalb der
südamerikanischen Naturvölker. Hierzu ge-
hören, neben den durch Koch-Grünberg er-
kundeten Schiriana und den von Zerries ein-
gehend studierten Waika, die Surära und
Pakidäi. Während der Trockenzeit wohnen
beide Stämme gemeinsam in einer großen
Maloka, trennen sich dann aber während der
Regenzeit, um bestimmte Flußabschnittc auf-
zusuchen. Die demographische Situation ist
ungünstig (Surära zählen nur noch 64, Paki-
däi immerhin noch 89 Stammesangehörige),
und Krankheiten, Kriege, hohe Kindersterb-
lichkeit und Geburtenregelung bewirken einen
ständigen Bevölkerungsrückgang. Die Orien-
tierung auf die eigenen ethnischen Werte ist
aber noch ganz ungebrochen und nicht durch
gelegentliche Kontakte mit Caboclos zersetzt
worden.
Vorbildung und Neigung des Verfassers
entsprechend, nimmt die Beschreibung von
Technologie und „materieller Kultur“ einen
erheblichen Umfang ein. Interessant ist die
Entdeckung einer bisher in Südamerika nicht
belegten Maloka-Konstruktion, deren offene,
kreisförmige Anlage im religiösen Weltbild
dem Mond zu entsprechen scheint. Die tech-
nische Ausstattung der Surära und Pakidäi
ist recht ärmlich; zur Jagd dienen die üblichen,
übergroßen Bogen, und Pfcilgifte spielen eine
beträchtliche Rolle. Der Gebrauch einfacher
Hüftschnüre dient nur symbolisch einer „Be-
kleidung“; vielmehr ist das Hochbinden des
Penis (eine altertümliche Sitte, die sich auch
bei anderen südamerikanischen Naturvölkern
findet) fraglos das dort gültige „Gebot der
Schicklichkeit“.
Bei der Haartracht fällt das Scheren von
Tonsuren auf, wodurch jener Teil des Kopfes
markiert wird, der bei Stockduellen oder
Eifersuchtsschlägereien getroffen werden darf.
Tatauicrung und Bemalung treten neben man-
nigfaltigem deformierendem Gesichtsschmuck
zurück.
Der Abschnitt „Soziale Organisation“ be-
friedigt nicht in allen Teilen. So anschaulich
und detailliert der Lebenszyklus dargestellt
und so deutlich das institutioneile Häupt-
lingstum skizziert werden, so dürftig sind
Bechers Ausführungen über die eigentliche
Sozialstruktur. Von einer modernen Mono-
graphie darf man erwarten, daß die beste-
hende Verwandtschaftsterminologie, nebst
Residenz- und Deszendenzregeln, umfassend
aufgenommen und adäquat veröffentlicht
wird. Möglicherweise findet sich ein Teil der
vermißten Daten in Bechers nur auszugsweise
veröffentlichter Wörterliste. Es wäre zu wün-
schen, daß der Verfasser, falls ihm nicht Ge-
legenheit zu weiterer vertiefender Feldarbeit
gegeben werden sollte, diese empfindliche
Lücke in einem ergänzenden Aufsatz zu
schließen vermag.
Wesentlich erscheinen mir u. a. Bechers Be-
obachtungen der Bestattungsbräuche (ver-
schiedenartig für jüngere und ältere Personen;
kombinierte Baum- und Brandbestattung als
südamerikanisches Unikum), seine Erfahrung
mit narkotischem Schnupfpulver („ich fühlte
mich als Riese unter Riesen“, damit zusam-
menhängend Vorstellungen von gigantischen
Tieren oder Pflanzen als Geistwesen) und
ausführliche Beschreibungen vom alljährlichen
Totenerinnerungsfest (mit Endokannibalis-
mus). Bei der Darstellung der Religion ist zu
berücksichtigen, daß dem Verfasser als Dol-
metscher nur ein kleiner Junge zur Verfügung
stand, während das Fehlen eines Tonband-
gerätes die Aufnahme wichtiger Texte und
Gesänge unmöglich machte. Daraus mögen
gewisse Unstimmigkeiten oder Unvollständig-
keiten resultieren (vgl. Diskussion Zerries/
Haekel); ferner ist das eingebrachte Mythen-
material beklagenswert knapp. Was Becher
jedoch über die Rolle des Mondes (verknüpft
mit dem Herrn des Mondes als Schöpfer, zu-
gleich ein Paradies der Totenseelen), die See-
lenvorstellungen und die sogenannten hekurd
(thero- und phytomorphe Naturgeister, oft
in nagualistischer Funktion) bringt, gehört zu
den echten Überraschungen seiner Expedition.
Ungeachtet einiger Einschränkungen muß
man dem Verfasser für seine unter schwieri-
gen Bedingungen gewonnenen Resultate
192
Buchbesprechungen
dankbar sein; von dem Preis solcher Unter-
nehmungen in Form bösartiger Tropenkrank-
heiten wird in Rezensionen, die am sicheren
Schreibtisch entstehen, meistens nicht gespro-
chen. Sympathisch berührt, was Becher über
„Charakter und Denkweise“ der von ihm be-
suchten Indianer zu sagen weiß; hier ist jene
Zuneigung zum Gegenstand seiner Forschung
zu erkennen, die dem wirklichen Ethnogra-
phen eignet.
T. S. Barthel
KARIN HISSINK und ALBERT HAHN:
Die Tacana. Ergebnisse der Erohenius-Ex-
pedition nach Bolivien 1952—1954. Band I
Erzählungsgut. Stuttgart: W. Kohlhammer
Verlag. 1961. XVI + 692 S. Preis:
DM 74.—.
Für die deutsche Völkerkunde dürfte die
Dekade 1950/60 ein Maximum an Feldunter-
nehmungen bedeutet haben; die eingebrachte
Ernte läßt sich aber erst allmählich über-
sehen, von den theoretischen Schlußfolgerun-
gen ganz zu schweigen. Tief beeindruckt hat
mich das übcrquellcnde und hochinteressante
Erzählungsgut, das Karin Fflssink zwischen
1952 und 1954 bei den Tacana aufnehmen
konnte und nun als ersten Band ihrer Ex-
peditionsergebnisse veröffentlicht. Die Tacana,
zwischen Madre de Dios und Rio Beni in der
bolivianischen Tieflandprovinz Iturralde sie-
delnd, haben, ungeachtet der Missionierung,
des Gummi-Booms und einer teilweisen
Mestizisierung, ihren mündlichen Überliefe-
rungsschatz erstaunlich gut bewahrt. Das
außerordentlich umfangreiche Material, mit
reichlichen Erzählvarianten auf rund 500 Sei-
ten dargeboten, wurde von den Informanten
selbst oder mittels Dolmetscher auf Spanisch
aufgenommen. Ob dadurch nennenswerte
Substanzverschiebungen eintraten, wird sich
erst bei einem Vergleich mit interlinear über-
setzten Tacana-Texten ermitteln lassen. Da
sich die Tacana einer direkten Befragungs-
rechnik gegenüber mißtrauisch reserviert ver-
hielten, hingen Fluß und Ausmaß ihrer Mit-
teilungen ganz von Willen und Spontaneität
der erzählenden Indianer ab. Einige Tradi-
tionen stellten Sonderwissen der Medizin-
männer (yanacona) dar; im allgemeinen wa-
ren auch die Frauen gut informierte Erzäh-
lerinnen. Die relative Einheitlichkeit vieler
Überlieferungsvarianten dürfte mit dem Zeit-
punkt der Tradierung zu einer Lebenskrisis
(während der Initiation von Jugendlichen
durch alte Leute) Zusammenhängen.
Die Verfasserin bietet ihr Material ge-
schickt gruppiert dar und leitet jeden Ab-
schnitt mit einer konzisen Zusammenfassung
ein, die arbeitsökonomisch von Nutzen ist.
Wir müssen uns darauf beschränken, einige
Motive stichwortartig anzudeuten. Welt-
anfang (Erdschöpfung aus der Flut) und
Weitende (Sintbrand) bilden den Rahmen
der mythischen Zeit; am Werden der gegen-
wärtigen Welt sind Tiere besonders stark be-
teiligt. Soweit Wesen nicht als gegeben vor-
ausgesetzt werden, spielen Selbstverwandlung
oder Fremdverwandlung, beispielsweise vom
Menschen in Wildtier oder Wildpflanze, eine
wichtige Rolle; ebenso kommt aber auch die
Entstehung aus dem Leib oder Körperteilen
einer gewaltsam getöteten Person vor. Auf-
fällig ist die hohe Bewertung der Chima-
Palme: Dieser wildwachsende Baum, der in
seinen Früchten und Rohstoffen erntemäßig
intensiv genutzt wird, gilt als Abbild der
gleichen im Jenseits existierenden Palme und
als aus dem Kopf eines erschlagenen Jägers
erwachsen. Wildpflanzen und angebaute
Pflanzen werden mythologisch scharf ge-
trennt. Der Aufbau der Welt ist relativ ein-
fach: Die Erde bildet eine Scheibe oder ein
Viereck, mit abstürzendem Rand; in der
Höhe befindet sich ein einschichtiger Himmel,
über den die Sonne getragen wird: Von Auf-
gang bis Mittag durch das Faultier, von Mit-
tag bis Untergang durch den Kapuzineraffen
(ein Dualismus, der übrigens auch in der Zu-
ordnung dieser beiden Tiere zu Trockenzeit
und Regenzeit gegeben ist). Die Mondfrau
existiert bereits vor der Sonne, die erst auf
Wunsch der Menschen geschaffen wird, und
gilt als ältere Schwester des Morgensternes,
der wiederum den obersten Herrn aller Kul-
turpflanzen repräsentiert. Eine doppel- oder
vielköpfige Zackenschlange erstreckt sich als
Regenbogen, und Eklipsen wandeln die natür-
liche Ordnung in der Welt, indem tote Gegen-
stände und Geräte zu leben beginnen. Soweit
die Unterwelt nicht einfach als Entsprechung
oder betonter Kontrast zum Diesseits be-
schrieben wird, ist eine Gruppe sogenannter
„Sonnen-Menschcn“ von Belang, die als „Erd-
Träger“ fungieren und dem Riescngürteltier,
als Herrn der Unterwelt, unterstehen. Eigen-
artig ist eine alternative Vorstellung, daß ein
schwebender Kondor oder ein fliegender Ja-
guar auf den Flügeln zwei Männer als „Erd-
Buchbesprechungen
193
träger“ hält; der Kontrast zwischen Kondor
und Jaguar läßt an eine Tag-Nacht-DIchoto-
mie denken.
Der Pantheon der Tacana wird von der
obersten Schöpfungsgottheit Caquiahuaca be-
herrscht, einem alten bärtigen Manne, der
auch als Kulturheros erscheint. Seine Symbole
sind ein Bergmassiv, ein bestimmtes Web-
ornament oder eine Wachsfigur; die „Drei-
faltigkeit“ kehrt auch bei den untergeord-
neten Gottheiten, den Edutzi, wieder, nur
daß hier neben Webornament und (hölzerner)
Kultfigur als ihre Manifestationen besonders
gefärbte und geformte Natursteine gelten,
die von den Medizinmännern zusammen mit
Kokablättern in besonderen Taschen aufbe-
wahrt werden. In den Edutzi verkörpern sich
Naturphänomene ebenso wie die gesellschaft-
lichen Aktivitäten von Krieg und Jagd. Für
die Welt der Menschen können sie als Helfer
und Beschützer auftreten, aber auch Schaden
und Strafe bringen. Sehr instruktiv sind die
Beobachtungen zur Gestalt der Erdmutter:
Sie lebt als alte Frau unter der Erde, hütet
das Feuer, lehrt die Menschen, Chicha zu be-
reiten und Tongefäße herzustellen. Alle in
der Erde lebenden Tiere sind ihr unterstellt.
Ihre kannibalistischen Züge flößen Ehrfurcht
und Grauen ein, und so wird ein großer weib-
licher Frosch, der sie vertritt, in einem mit
Holzdeckel verschlossenen Erdloch unter dem
Hauptaltar des Kulthauses aufbewahrt und
sorgsam gefüttert. Geistwesen aller Art in
Urwald, Bäumen oder Wasser; Herren und
Mütter von Tieren oder Pflanzen sowie das
in südamerikanischem Erzählungsgut häufig
vertretene Heroenpaar nehmen einen breiten
Umfang in den Traditionen der Tacana ein.
Hissink gibt eine vortreffliche Motivauf-
schlüsselung für das wechselseitige Verhältnis
zwischen Mensch und Tier und macht evident,
wie stark Jägerisches, in verschiedenen Alters-
schichten greifbar, trotz Wechsel in der Wirt-
schaftsweise in Denken und Glauben persi-
stiert. In eine der überflüssigen „Tabu-Zonen“
unserer Wissenschaft leuchtet die Verfasserin
mit der Diskussion von Sexualität und Jäger-
tum; hier wird man ihre künftige Publika-
tion über die Stellung der Frau zum Jäger
mit Spannung erwarten dürfen.
Inwieweit das in den Überlieferungen ent-
haltene Weltbild das gegenwärtige Verhalten
steuert, wieweit es sanktioniert und wieweit
es etwa doch obsolet ist, das wird sidi erst in
dem zweiten Band der Expeditionsveröffent-
lichungen zeigen, der das reale Leben und
seine Ausstattung schildern soll. Schon jetzt
läßt sich aber erkennen, daß die Erzählungen
der Tacana eine kostbare Fundgrube für ver-
gleichende Studien darstellen, und zwar nicht
nur für das ethnographisch-inventarisierte,
naturvölkische Südamerika, sondern auch für
ein besseres Verständnis altperuanischer
Ikonographie. Ein heuristischer Wert für die
Interpretation gewisser Motive in Chavin,
den klassischen Küstenkulturen oder in
Tiahuanaco scheint mir in mehreren Punkten
unbezweifelbar zu sein. Hissinks Buch läßt
ferner ahnen, was im andinen Gebiet bzw. in
der Montaña durch Sammeln von Erzählun-
gen noch zu gewinnen sein dürfte, und steckt
damit möglicherweise künftige Forschungs-
gebiete ab.
Diese schöne Studie gehört nicht nur in die
Hand des Fachamerikanisten. Abbildungen
von Symbolen aus dem Bestand an Weberei-
motiven undPortraits vonTacana-Indianern,
in dem unverkennbaren graphisdren Duktus
von Albert Hahn Umrissen, geben dem Buch
zusätzlichen Wert.
T. S. Barthel
WOLFGANG El ABERLAND:
Gold in Alt-Amerika. Eine Einführung in
die „Goldkammer“ des Hamhurgischen
Museums für Völkerkunde und Vorge-
schichte. — Hamburg: Hamhurgisches Mus.
f. Völkerkunde u. Vorgesch. 1960. 31S. 8°.
(Wegweiser zur Völkerkunde, H. 4).
Die Zahl deutschsprachiger Vcröffentlidiun-
gen zur Metallurgie Alt-Amerikas ist nicht
groß. Das gilt für Spezialuntersuchungen, et-
wa technologischer Fragen, ebenso wie für
allgemeine oder den kulturhistorischen Aspek-
ten zugewandte Arbeiten. Die vorliegende
kleine Schrift, in erster Linie als Einführung
für den Museumsbesudier gedadit, ist dem in
der Neuen Welt höchstwahrscheinlich ältesten,
das heißt zuerst bearbeiteten Metall, dem
Gold, gewidmet.
Die Gründe für die frühen Anfänge der
Goldbearbeitung sieht Haberland in dem re-
lativ reinen und vor allem metallischen Vor-
kommen des Rohmaterials sowie in seiner
geringen Brüchigkeit bei kaltem Aushämmern.
Diese Eigenschaft des Goldes muß in der Tat
wichtig für die Anfänge gewesen sein, als tie-
fere metallurgisdie Einsichten und damit die
194
Buchbesprechungen
Kenntnis des Schmelzern noch fehlten. Mit
Recht lehnt H. eine Abhängigkeit der frühen
metalltechnischen Entwiddung auf amerika-
nisdtem Boden von derjenigen in der Alten
Welt ab (typische altweltliche Geräte wie
Blasebalg und Schmelzofen waren in Amerika
unbekannt). Schwieriger ist die Frage, wo die
Metallbearbeitung in der Neuen Welt ent-
stand und wie sie sich hier ausbreitete. Ein
Entstehungsherd dürfte im zentralandinen
Raum, vielleicht im nördlichen Perú (Chavin-
Kultur) zu suchen sein. Daß sich die Gold-
bearbeitungstechnik von hier aus südwärts
verbreitete, ist ziemlich sicher, ob auch nord-
wärts über Ecuador hinaus nach Kolumbien
und Zentralamerika, ungeklärt. Vieles spricht
dagegen. Kolumbien war als Goldland sehr
eigenständig im Technischen und Formalen.
Das läßt an eine unabhängige Entwicklung,
ein selbständiges Entstehungszentrum in die-
sem Raum denken. Hier sind noch intensive
Forschungen nötig. Enge Zusammenhänge mit
Kolumbien zeigt das südliche Zentralamerika.
Im Mayagebiet und in Mexico tauchen Gold-
arbeiten bekanntlich erst spät auf, nicht vor
dem 10. Jahrhundert nach Chr. Vieles —
namentlich in den Mayaländern — ist direk-
ter Import aus dem Süden. Hochentwickelt
jedoch und ein wichtiger Zweig des einheimi-
schen Kunsthandwerks war die Goldverarbei-
tung in Mexico. Der reiche Formenschatz —
Schmuck und Gerät — und die Fülle der
Techniken verblüffen. Vorstufen sind bis
jetzt nicht nachweisbar. So läßt sich eine Ent-
wicklung nicht erkennen. Ist wiederum der
Süden gebend gewesen und die Metallkunst
aus Perú oder Zentralamerika nach Mexico
gekommen? Auch hier steht die Forschung
noch vor vielen Fragen.
Nachdem der Verfasser einleitend mit die-
sen kulturhistorischen Problemen bekannt ge-
macht hat, behandelt er in kurzen Abschnit-
ten Gewinnung und Aufbereitung des Goldes,
seine Legierungen und die verschiedenen
Techniken der Bearbeitung. Das Gold wurde
gewöhnlich aus Flüssen gewaschen oder aus
Sandablagerungen gesiebt, selten bergmän-
nisch abgebaut (Kupfer und Silber dagegen,
die wichtigsten Metalle zum Legieren, wur-
den in Perú häufig im Bergbau gewonnen).
Bei dem Aufbereiten des Rohmetalls bzw.
Erzes für den nachfolgenden Verarbeitungs-
prozeß war man in Alt-Amerika über pri-
mitive Anfänge nicht hinausgekommen.
Schmelzofen und Blasebalg fehlten. Man er-
zielte jedoch in einfachen Tongefäßen, die
man mit Holzkohle und dem Metall be-
schickte und durch deren Wandlöcher man
Luft blies oder auf Berggipfeln den Wind
blasen ließ, genügend hohe Temperaturen, um
Metalle und besondere Legierungen zu schmel-
zen. Der Vorteil der Legierung lag nicht so
sehr darin, daß man das Gold strecken
konnte, sondern daß die Mischung einen
niedrigeren Schmelzpunkt hatte. Die alt-
amerikanischen Metallhandwerker scheinen
bewußt die „eutektische“ Mischung gewählt
zu haben, diejenige Legierung zweier Metalle,
die den niedrigsten Schmelzpunkt hat (S. 7).
Am häufigsten war die Legierung von Gold
mit Kupfer (Tumbaga). In der Zusammen-
setzung von 82% Gold und 18% Kupfer er-
reicht diese Mischung durch kaltes Hämmern
einen hohen Härtegrad. Die kolumbianischen
Goldschmiede wußten eine Legierung (52%
Gold, 26% Kupfer, 22% Silber) herzustellen,
deren Härte der einer zinnarmen Bronze
gleichkam (S. 7). Im Gegensatz dazu wurde
mit Silber legiertes Gold (Elektron) durch
kaltes Hämmern spröde und brüchig, war
also wenig braudtbar und wohl nur seiner
Farbe wegen geschätzt. Technisch interessant
ist das Verfahren, nach dem man eine Gold-
Platin-Legierung herstellte. Haberland be-
schreibt diesen Prozeß sehr prägnant und
anschaulich (S. 8).
Der Leser lernt dann die verschiedenen
Techniken der Goldbearbeitung kennen, das
Hämmern und Ausschlagen des Rohmaterials
zu dünnen Folien und deren Ornamentierung
durch Punzen, Treiben und Gravieren, das
Gießen, Löten und Schweißen, die Technik
der Granulation und des Filigrans, das Draht-
ziehen und die Methoden der Vergoldung.
Das Gießen erfolgte entweder nach dem
Herdgußverfahren oder als Guß in verlore-
ner Form. Das letzte Verfahren war, obschon
komplizierter, seltsamerweise früher und wei-
ter verbreitet als der Herdguß. Die — nach
dem heutigen Forschungsstand — ältesten
Funde gegossener Goldobjekte stammen aus
der Kultur von Moche. Aber nicht hier an
der nordperuanischen Küste und überhaupt
nicht in Peru, sondern im kolumbianischen
Raum und in Panama entfaltete sich die
Kunst des Goldgusses zu höchster Blüte. Peru
war demgegenüber das Land des gehämmer-
ten Goldes und des Goldblechs. So war hier
auch die einfache Blattvergoldung mit dün-
ner Goldfolie die häufigste Methode des Ver-
Buchbesprechungen
195
goldens. Im nördlichen Andenraum, in Zen-
tralamerika und México war ein anderes, in
Peru gänzlich unbekanntes Vergoldungsver-
fahren üblich, das als „mise en couleur“ be-
zeichnet wird: Das zu vergoldende Tumbaga-
Objekt wurde mit Pflanzensäften behandelt,
die das Kupfer aus der Oberfläche lösten und
eine dünne Goldstaubschicht zurückließen, ln
Ecuador vergoldete man Kupfergegenstände
nach einem besonderen Verfahren („Wasch-
vergoldung“) und in Mexico sowie in Perú
hatte man eine Methode entwickelt, mit der
man stark silberhaltiges und deshalb weiß-
liches Gold dunkel färben, das heißt „ver-
golden“ konnte. Es gab also zahlreiche Ver-
fahren des Vergoldens, doch wurden, wie der
Verfasser hervorhebt, Amalgamlegierungen
zu Vergoldungszwecken ebensowenig benutzt
wie zum Löten.
Über diese und viele andere technisch-
metallurgische Einzelheiten der Goldbearbei-
tung im alten Amerika kann man sich in der
Haberlandschen Schrift gut und verläßlich
unterrichten. Dem technologischen Teil folgt
ein Überblick über die einzelnen Goldländer
zwischen Mexico und Perú. Er zeigt die
Eigentümlichkeiten und Besonderheiten, die
sich in jedem dieser Räume im Technischen
wie in den Formen von Gerät und Schmuck
hcrausgebildet hatten, macht aber auch die
Zusammenhänge und kulturhistorischen Be-
ziehungen, die Probleme und Forschungs-
lücken sichtbar. Ein Verzeichnis der wichtig-
sten Literatur beschließt die Arbeit, der man
nur noch Abbildungen gewünscht hätte.
Im ganzen eine ausgezeichnete Einführung in
ein interessantes Kapitel der altamerikani-
schen Kulturgeschichte, nicht nur dem Laien
zu empfehlen, den der sachkundige Verfasser
sicher auf den schwierigen Pfaden des Metal-
lurgischen geleitet, sondern auch dem Fach-
mann, der sich hier rasch über alles Wesent-
liche orientieren kann. Die „Wegweiser“ des
Hamburgischen Museums legitimieren sich
auch mit diesem neuen Heft als eine vortreff-
liche Reihe.
F. Jäger
Meyers Handbuch über Afrika. Mannheim:
Bibliographisches Institut. 1962. 779 S.,
174 Abb., 5 Zeichnungen, 12 Diagramme,
105 Karten, 2 farbige Faltkarten. Preis:
DM 19.80.
Mit der Fierausgabe eines Afrika-Hand-
buchs hat das Bibliographische Institut sich
auf Neuland gewagt. Ein umfassendes Hand-
buch dieser Art existierte bisher nicht in
deutscher Sprache. Somit wurde eine Lücke
geschlossen, die während der raschen Entwick-
lung des großen Kontinentes in der letzten
Dekade von vielen Leuten gespürt worden ist.
Die erste Auflage dieses Handbuchs kann,
das sei vorweggenommen, als gelungener Ver-
such bezeichnet werden. Zweifellos wird das
Nachschlagewerk bei Handel und Industrie,
in Redaktionen, Instituten und hoffentlich
auch bei Behörden, die sich ex officio mit
Afrika befassen müssen, zu einem wertvollen
Helfer werden, den man gerne um Auskunft
fragt. Der Titel zeigt schon, daß es sich nicht
um ein Lexikon handelt, sondern um ein
Werk, das mit kurzen Abhandlungen über
alles Wesentliche informieren will. In gewis-
sem Sinne spiegeln die Abhandlungen gleich-
zeitig den Forschungsstand der verschiedenen
Disziplinen wider, wenn auch — platzbedingt
— nur sehr summarisch.
Die geographischen Gegebenheiten erläutert
W. Rutz. Die Abschnitte über Klima, Pflan-
zen und Landschaften stammen von D. Schrei-
ber. Die Tierwelt wird von L. Heck beschrie-
ben. Den ethnographischen Teil hat W. Hirsch-
berg bearbeitet, das Kapitel über die fremd-
stämmige Bevölkerung D. Taudien. Die
Gesdiichte handeln G. Smolla (Frühzeit), П.-
W. Wittenberg (Staatenbildung der Eingebo-
renen; Kolonialzeitalter) und W. fopp (Ent-
deckungs- und Erforschungsgeschichte) ab.
Den Abschnitt über die Wirtschaft schrieb
K.-H. Kiefen, über den Verkehr W. fopp
und über Erziehung, Bildung und Wissen-
schaft D. Taudien. Das letzte Drittel des
Werkes nimmt ein spezieller Teil aus der
Feder von W. fopp ein und umfaßt ein Län-
derlexikon und eine Art ”Who is who“ der
führenden Männer Afrikas. Das Länder-
lexikon gibt in Stichworten Auskunft über
1. Größe und Bevölkerung, 2. Landesnatur,
3. Wirtschaft, 4. Verkehr, 5. Staat und Ver-
waltung, 6. Bildung und Religion, 7. Ge-
schichte. Am Schluß des Buches sind knappe
Litcraturhinweise zu den einzelnen Abschnit-
ten und ein ausführliches Register angefügt.
Besonders hervorzuheben ist die reiche Aus-
stattung mit Karten und Abbildungen.
Sehr erfreulich ist, daß den Abschnitten
über die Menschen und ihre Geschichte ein
großer Platz eingeräumt worden ist. Nach
kurzer Behandlung der anthropologischen
und linguistischen Gegebenheiten werden die
13 а
196
Buchbesprechungen
Stämme aufgezählt, und zwar gegliedert in:
1. Steppenjäger, 2. Urwaldjäger, 3. Hirten-
nomaden, 4. Savannenbauern, 5. Waldland-
bauern, 6. Nordafrika, 7. Madagaskar. Die
einzelnen Gruppen sind untergliedert. Die
wichtigsten Angaben über die Kultur der je-
weiligen Gruppe bzw. Untergruppe werden
vorangestcllt. Dieser Abschnitt ist besonders
reich mit Kärtchen ausgestattet. In besonde-
ren Abschnitten werden Wirtschaftsformen,
Nahrung, Kleidung, Siedlung und Wohnen,
Gesellschaftsformen, Religionen und Kunst
abgehandelt. Dabei wird in jedem Abschnitt
die oben angegebene Gliederung beibehalten.
Es ist selbstverständlich, daß ein solches
Werk, so gut es auch vorbereitet sein mag,
hier und da eine kleine Schwäche aufweist,
daß sich die eine oder andere Ungenauigkeit
cinschleicht. Unsere Beanstandungen mögen
als Hinweise für die Vorbereitung einer hof-
fentlich bald erforderlichen Neuauflage auf-
gefaßt werden.
Der Versuch, fremde Stammesnamen und
geographische Begriffe zu verdeutschen, ist
eine zweischneidige Angelegenheit. Diese
Tendenz besteht bekanntlich recht häufig in
populären Werken. Zweifellos ist das auf
den Wunsch zurückzuführen, dem Leser eine
Aussprachehilfe zu geben. Abgesehen davon,
daß der Rezensent ein Gegner solcher Ver-
deutschungen ist, die nicht unbedingt erfor-
derlich sind (man verdeutscht ja auch keine
Eigennamen von Menschen!), zeigt das „Hand-
buch über Afrika“, welche Probleme sich aus
der Verdeutschung ergeben. Z. B. heißt es
S. 164 Dschula und S. 480 Abidschan statt
Dyula bzw. Abidjan. In beiden Worten han-
delt es sich um ganz verschiedene Phoneme.
Entsetzlich ist es, nach einigem Rätseln ent-
decken zu müssen, daß sich hinter „Ties“ der
Stadtname Thics verbirgt (S. 642). Das
Transkriptionssystem ist übrigens nicht konse-
quent durchgeführt. So wird z. B. St. Louis
(S. 430) und Accra (S. 470) geschrieben.
Zum Verzeichnis der Stämme. Kap-Hotten-
totten und Ost-Hottentotten werden (S. 178)
als ausgestorbenc Stämme gekennzeichnet,
sind aber in der zugehörigen Karte (S. 179)
in der gleichen Weise eingezeichnet wie die
noch existenten Hottentotten. Die Karte
könnte durch Unterscheidung in der Schrift
der Stammesnamen an Aussagekraft gewin-
nen, weil die heutigen Verhältnisse auf den
ersten Blick zu erkennen wären. — Als
Stamm sind auf S. 215 unter Nr. 93 die
„Grunshi“ vermerkt mit dem Hinweis „süd-
lich von Leo, Elfenbeinküste“. Es müßte
natürlich Ghana heißen. Vor allem ist
Grunshi, Gurunsi, Grusi etc. kein Stammes-
name, sondern bezeichnet eine Gruppe von
Stämmen (vgl. Zwerncmann, Africa 28, 1958,
S. 123 ff.). Die Builsa (S. 215, Nr. 95) sind
identisch mit den Kandjaga (S. 169). Die
Kasena, immerhin einer der wichtigsten Grusi-
Stämme, werden gar nicht erwähnt und sind
auch in die Karte (S. 217) nicht eingetragen.
— Die Songhai („Sonrhai“) werden (S. 218 f.)
mit den Tem, Bargu, Kabrc, Somba und vie-
len anderen in eine Gruppe gestellt. Sie ge-
hören aber kulturell eher zu den Bozo, Bam-
bara usw. — Die Busa (S. 218, Nr. 114)
Nigerias und die Busanse (S. 219, Nr. 121),
die In Haute-Volta südlich Tenkodogo leben
(und nicht in Togo!), sind eine ethnische Ein-
heit, wenngleich beide durch ihre jetzigen
Nachbarn beeinflußt sind. — Auf S. 264 liegt
offensichtlich ein Fehler der Redaktion vor.
Unter Nr. 1 sind die Kru als solche bei den
Völkern der westlichen Elfenbeinküste auf-
geführt. „Kru“ sollte wohl zunächst als Ober-
begriff gebracht werden, denn Nr. 2—5 sind
einzelne Krustämme der Elfenbeinküste und
auf S. 265 sind unter Nr. 1—6 die Kru-
stämme Liberias aufgezählt, denen die Kru
(Krao) zuzufügen wären. Entsprechend müß-
ten die Karten geändert werden. Auf der
Karte von S. 265 ist „Kru“ dort einzutragen,
wo „Kran“ steht. „Sikon“ ist südöstlicher
einzuzeichnen, „Kran“ direkt nördlich von
„Sikon“ und „Sapo“.
Etwas schwach ist der Abschnitt über die
Sprachen. Die Zusammenfassung der Sudan-
sprachen zu einer großen Gruppe gehört in
der Linguistik der Vergangenheit an. Was
man früher als Sudansprachen zusammen-
faßte, sind acht Sprachgruppen im Westen
und sogar 37 im Osten (vgl. Handbook of
African Languages II, 1952, und III, 1956).
Die Unterschiede sind — nach heutigem For-
schungsstand — zu groß, als daß man stärker
zusammenfassen könnte. Es sei denn, man
folgt Greenberg, wobei aber auch eine andere
als die auf S. 165 gegebene Gliederung hcr-
auskäme. — Das Rundi ist kein Dialekt des
Ruanda (S. 165), sondern beides sind Spra-
chen der Zwischenseengruppe. — Die Glie-
derung der Mande-Sprachen in Mande-Tan
und Mande-Fu ist eine zu starke Verein-
fachung (vgl. Hoais in Orbis V, Louvain
1956, S. 174 ff.). — Als westsudanischc Klas-
Buchbesprechungen
197
sensprachen werden (S. 169) wcstatlantische
Sprachen, Gursprachen und Klassensprachen
Nigerias und des Graslands von Kamerun
zusammengefaßt. Große Unterschiede in der
gesamten Struktur der Sprachen stehen die-
ser Zusammenfassung entgegen. —Lobi, Gan,
Dyan, Doghosie, Bobo und Dogon gehören
nicht in die Grusi-Gruppe (S. 169).
Zum historischen Teil. Die Gründung
Ghanas wird — nach den vorliegenden Zu-
sammenfassungen über afrikanische Ge-
schichte — um 300 n. Chr. angenommen und
soll durch Berber erfolgt sein (S. 390). Diese
Annahme, die sich seit langem durch die
Literatur schleppt, ist nicht bewiesen. Der
Ursprung Ghanas liegt im Dunkel. Alle An-
gaben, die die Zeit vor Ankunft der Araber
(im 8. Jahrhundert) betreffen, sind legendär
und müssen nach R. Mauny als Spekulation
gelten. Erst seit Ankunft der Araber liegen
zuverlässige Quellenangaben vor. — Der
Mali-König Mansa Musa ist wohl richtiger
1307—1322 anzusetzen (S. 391). — Der Zeit-
punkt der Einführung des Bronzegusses in
Benin wird mit 1250—1300 angegeben
(S. 398). Die exakte Regierungsperiode des
Oba Oguola, in der die Gußtechnik aus
Yoruba eingeführt wurde, liegt nicht fest.
Sicher ist nur, daß Oguola vor Ankunft der
Portugiesen regierte. Als frühester Zeitpunkt
für die Einführung des Bronzegusses nach
Benin wird 1280 angenommen, als spätester
die Mitte des 15. Jahrhunderts. — Man ver-
mißt eine eingehende Würdigung von El Hadj
Omar und Samory, deren Eroberungen für
den Westsudan im vorigen Jahrhundert große
Bedeutung hatten.
Völlig unverständlich ist es, warum in der
bis zum Ende der dreißiger Jahre aufgeführ-
ten Entdeckungs- und Forschungsgeschichte
(S. 405 ff.) die Frobenius-Expeditionen aus-
gelassen wurden. Frobenius hat sich um die
völkerkundliche Erforschung Afrikas unbe-
streitbar große Verdienste erworben. — Wenn
die zweifellos verdienstvollen Reisen von
Germann nach Nordwest-Liberia und von
Bernatzik und Struck nach Portugiesisch-
Guinea aufgeführt werden, hätten z. B. Weu-
les Aufenthalt in Ostafrika und manche
andere Forschungsreise ebenso erwähnt wer-
den müssen. — M. Griaules Aufenthalt am
oberen Bcnuö (S. 421) ist wohl kaum so
bedeutsam wie seine jahrzehntelangen For-
schungen bei den Dogon. Bis zum Jahre 1937
hatte er übrigens bereits folgende Reisen
hinter sich: nach Abessinien (1928—29), die
Mission Dakar — Djibouti (1931—1933), die
Mission Sahara — Soudan (1935) und die
Mission Sahara — Cameroun (1936—1937).
J. Zwernemann
ENDRE SIK:
Histoire de l'Afrique Noire (Bd. 1). Buda-
pest: Maison d’édition de l'Académie des
Sciences de Hongrie. 1961. 406 S., 32 Abb.,
5 Karten.
Dem Klappentext zufolge ist es dem „emi-
nenten Afrikanisten“ Endre Sik mit seiner
„Fiistoire de l’Afrique Noire, Tome I“ ge-
lungen, sowohl ein einzigartiges wissen-
schaftliches Werk als auch ein politisches Do-
kument zu schaffen. Und das, weil er die
Sache anders als die bislang allemal befange-
nen Literaten oder Forscher angefaßt hat, die
doch durchweg nur Agenten imperialistischer
Reaktionäre gewesen sind. Jetzt werden die
geschichtlichen Tatsachen aus der Sicht der
afrikanischen Völker gewertet, wodurch die
historische Wahrheit, lange genug verfälscht
und vernebelt, klar zutage tritt. Zu diesem
Ergebnis kam Professor Sik, indem er „1.
l’histoire de chaque pays et de chaque peuple
africain séparément, 2. l’histoire de chaque
unité coloniale séparément, 3. l’histoire de la
politique et de l’activité coloniale de chaque
puissance européenne en Afrique, 4. l’histoire
de la lutte entre les puissances" untersuchte.
„L’éminent africaniste, le professeur Endre
Sik est le premier qui, dans cet ouvrage,
élargit considérablement les cadres de ce sujet
et abandonne résolument l’optique surannée".
Wie sich „wissenschaftliches Werk“ und
„politisches Dokument“ im Lichte historischer
Wahrheit vertragen, wird klar, wenn man er-
fährt, daß die Kenntnis der Geschichte Afri-
kas „die Erfahrung der afrikanischen Völker
dort bereichert, wo sie ihre gegenwärtigen
und künftigen Kämpfe für ihre nationale Frei-
heit und Unabhängigkeit gegen den Impe-
rialismus betrifft“ [übersetzt]. E. Sik hat alle
erreichbaren und seinen Zielen dienenden
Veröffentlichungen zusammengetragen. Er
hat aus ihnen auch die Illustrationen ent-
nommen, die das seit vierhundert Jahren an
den Afrikanern begangene Unrecht schlagend
erhellen. Text und Bilder sind somit eine
einzige Anklage, und ,,1’étudc de l’histoire de
l’Afrique Noire a une importance particu-
lière car elle confirme brillament, et souvent
198
Buchbesprechungen
illustre d’une manière éclatante, plusieures
thèses de Marx, de Lenine et de Staline dans
le domaine des sciences historiques“ (S. 19).
E. Sik’s Arbeit, die mit dem 2. und 3. Band
für den Zeitraum zwischen 1900 und der
Gegenwart vollständig sein soll, wird uns
auch in deutscher Übersetzung versprochen,
„weil sich bereits ein großes Interesse dafür
im Ausland manifestierte“. Man wird sehen,
was dann im ganzen über diese dialektische
Geschichte Schwarzafrikas zu sagen ist. Schon
jetzt steht indessen fest, daß das Opus mit
Völkerkunde oder Ethnologie oder Afrikani-
stik in der Termini anerkannter Bedeutung
nichts zu tun haben wird. Aufgabe der Afrika-
nisten bleibt darum weiterhin, sich menschlich
anteilnehmend mit den geschichtlichen Schick-
salen afrikanischer Völker und Kulturen zum
wirklichen Nutzen der Afrikaner zu befas-
sen.
W. Konrad
PETER FUCHS:
Die Völker der Südost-Sahara — Tibesti,
Borku, Ennedi —. (Veröffentlichungen zum
Archiv für Völkerkunde, Band 6.) Wien:
Wilhelm Braumüller Verlag. 1961. 254 S.,
20 Textabbildungen und 29 Abbildungen
auf Kunstdrucktafeln. Preis: DM 30.—.
Mit dem Satz, „der Stand unseres Wissens
über diese Völker entsprach im wesentlichen
noch immer jenem von Barth, Nachtigal und
Carbou“ hat P. Fuchs eine wohl unpräzise
Feststellung getroffen, war doch die For-
schung seit den Tagen der großen Sahara-
reisenden immer wieder bemüht, diese „Lücke
in der Völkerkunde Afrikas“ zu schließen.
Auf das unsere Kenntnis wesentlich berei-
chernde Werk von Le Coeur (Dictionnaire
ethnographique Tèda, Paris 1950) weist
Fuchs ausdrücklich hin; die zahlreichen ande-
ren Arbeiten, darunter die seines Landsman-
nes A. Kronenberg, vermerkt er in der Bib-
liographie. Und sollte unser Wissen über Bor-
ku und Ennedi nicht in dem gleidien Maße
wie über Tibesti gewachsen sein, außer Frage
steht doch, daß die Ethnographie während
der letzten vier Jahrzehnte im Gebiet der
Südost-Sahara (vergleichsweise) respektable
Fortschritte gemacht hat. Wenn diese — im
Gegensatz zum 19. Jahrhundert — nur zum
geringsten Teil auf das Konto der deutschen
Völkerkunde kommen, dann hat das ein-
leuchtende Gründe, einerseits politisch-wirt-
schaftlichc, andererseits irrationale, wurzelnd
in der seltsamen Abneigung deutscher Ethno-
graphen gegenüber allem, was Sahara heißt.
Wer sich nun wie P. Fuchs der gewiß nicht
leichten Arbeit auf dem unsererseits so lange
gemiedenen Felde leidenschaftlich verschreibt,
der darf vielleicht sogar der Meinung sein,
ein von den Klassikern offengelassenes Pro-
blem als erster wieder der Lösung näher zu
bringen.
Im Rahmen der internationalen Sahara-
forschung teilt Fuchs das Schicksal aller Eth-
nographen, nur noch Bausteine zum großen
Gebäude der Völkerkunde beitragen zu dür-
fen. Das ist ihm vermutlich nichts Neues, und
er wird sich zum Beispiel gerne neben den
französischen Kollegen J. Chapelle stellen,
dessen 1957 erschienenes Buch „Nomades noirs
du Sahara“ (Paris, bei Pion; Bd. 10 der „Rc-
cherches en Sciences humaines“) ein exzellen-
tes Dokument kenntnismehrender Forschun-
gen bei den Völkern der Südost-Sahara ist.
Warum P. Fuchs diese Arbeit, die in Teilen
den Untersuchungen der Le Coeur (Ch. und
M.) genauso verpflichtet ist wie die seine,
nicht erwähnt, vermag ich nicht zu sagen. Daß
ihm und uns aus der Diskussion mit Chapelle
erwachsende Chancen entgangen sind, kann
man leider behaupten. Vielleicht macht sich
jemand einmal die Mühe, Chapelle und Fuchs
zu vergleichen — eine lohnende Aufgabe für
denjenigen, dem die Geschichte des östlichen
Sudan am Herzen liegt.
P. Fuchs’ Ergebnisse seiner Reisen in den
Jahren 1955 und 1956 sind übersichtlich und
durch Illustrationen gut belegt in einem an-
sprechend gemachten Buch niedergelegt. Der
einleitenden Schilderung des Lebensraumes
folgt das Kapitel „Materielle Kultur“, in
welchem der Autor die Ergologie der Völker
der Südost-Sahara, ihrer vielen Übereinstim-
mungen und Ähnlichkeiten wegen, zusammen-
fassend abhandelt. Die Art der Mitteilung
ist die einer knappen Inventarbeschrcibung,
wie sie sich in den Tagebüchern eines Reisen-
den niederschlägt. Zwar liegt es in der Na-
tur solcher Berichte, daß sie schmückender
Beiworte entraten können, doch muß ich sa-
gen, daß mir die mehr vom Funktionieren
der Dinge herkommende Interpretation J.
Chapelle’s besser zusagt.
Den Kern der Berichte bilden die Abhand-
lungen über die Bäle (Bideyat), die Tubu
(Teda) und die Dazaga (Goran). Fuchs folgt
Buchbesprechungen
199
in der Schilderung dieser Völker einem Sche-
ma, das die Wirtschaftsformen, die soziale
Gliederung, die Beziehungen der Geschlechter,
die Lebensabschnitte, das Gewohnheitsrecht,
die Religion und Magie umfaßt.
Einen besonderen Abschnitt widmet er der
Schmiedekaste der drei Völker. Zur Geschich-
te der Südost-Sahara liefert das letzte Kapi-
tel einen knappen Beitrag. Im Anhang be-
richtet der Autor über Krankheiten und Heil-
methoden, gibt Fabeln, Erzählungen, Legen-
den und fügt schließlich noch einen Katalog
von Eigentumsmarken (Kamelmarken) an.
Eine bis ins letzte kritische Würdigung
des Fuchs’schen Beitrags zur besseren Kennt-
nis der kulturgeschichtlichen Verhältnisse im
Südost-Sahararaum würde einen Punkt-für-
Punkt-Verglcich mit Chapelle’s Arbeit vor-
aussetzen. Schon nach einer nicht so tiefgehen-
den Untersuchung kann gesagt werden, daß
zum Beispiel Fuchs’ Mitteilungen über die
Tubu in der profunderen Tubu-Monographie
des französischen Kollegen aufgehen, wohin-
gegen Chapelle ganz sicher aus dem Fuchs’-
schen Bericht über die Bäle großen Nutzen
ziehen könnte. Was die Dazaga betrifft, für
die Chapelle die Bezeichnung Goran ablehnt,
so meine ich, daß beider Autoren Erkennt-
nisse eine Grundlage für intensivere Forschun-
gen schaffen.
Die noch so korrekt gemeinte Feststellung,
Fuchs’ Arbeit über die „Völker der Südost-
Sahara“ enthalte „viel Neues“ genügt nicht,
ihr gerecht zu werden. Ihr großer Nutzen für
die (deutschsprachige) Völkerkunde liegt ne-
ben der effektiven Kenntnismehrung in der
Tatsache begründet, eine rühmliche Tradition
wiederaufgenommen zu haben, zu den Quel-
len vorgestoßen zu sein, damit wir nicht
weiterhin nur aus den Mitteilungen anderer
Reisender schöpfen müssen. Wer das For-
schungsgebiet kennt, weiß, wieviel persön-
licher Einsatz, wieviel Takt die Vorausset-
zung des Erfolgs ist. P. Fuchs ist herzlich zu
danken.
W. Konrad
AD. E. JENSEN (cd.):
Altvölker Süd-Äthiopiens. Stuttgart: W.
Kohlhammer Verlag, 1939. 433 S., 333
Ahb., 227 Photos, 17 Karten.
Nordost-Afrika enthält mit seiner Fülle
an verschiedenartigsten Landschaften und
Rückzugsgebieten für Altvölker auf engstem
Raum ein buntes Mosaik der verschiedensten
Ethnien von primitiv- bis hochkulturlicher
Prägung, Gemäß seiner Lage im Schnittpunkt
von Nord-Süd- und Ost-West-Wanderbah-
nen finden sich hier aber auch Zeugnisse von
der Ausbreitung und Überschneidung vieler
Rassen und Kulturen, einschließlich der Ein-
flüsse aus dem mediterranen und westasia-
tischen Raum seit prähistorischen Zeiten.
Demgemäß bildet seine Erforschung den
Schlüssel nicht nur zum Verständnis seiner
Geschichte und Gegenwart, sondern auch der
Kulturgeschichte weitester Gebiete Afrikas
überhaupt. Aber gerade das ethnologisch be-
sonders interessante Süd-Äthiopien blieb bis
heute wegen seiner Unzugänglichkeit, sprach-
lichen Zersplitterung und nicht zuletzt wegen
der hundertjährigen kriegerischen W'irren ein
nahezu unbekanntes Gebiet, aus dem nur sehr
unzureichende und nicht selten irrige Nach-
richten zu uns gelangten. Ad. E. Jensen und
seine Mitarbeiter haben sich daher das große
und bleibende Verdienst erworben, mit nun-
mehr bereits drei großen Expeditionen des
Frobenius-Institutes die systematische Erfor-
schung dieser terra incognita in Angriff ge-
nommen und zum großen Teil schon durch-
geführt zu haben.
Von den Ergebnissen der 2. und 3. Expe-
dition (1950—52, 1954—56) behandelt der
vorliegende 1. Band die des westlichsten For-
schungsgebietes, das sich von den Nordufern
des Rudolf- und Stefanie-Sees in nördlicher
Richtung bis zum West-Ost-Lauf des Omo
erstreckt und zwischen den Omo- und Woito-
Ebenen Hoch- und Bergländer einschließt.
Besondere Hervorhebung verdienen die sehr
sorgfältige Redaktion des Werkes, das durch
ein ausgezeichnetes Register von über 16 Sei-
ten besonders handlich ist und durch ein eng-
lisches Summary von Haberland-Dybwad
abgeschlossen wird, sowie die gute Ausstat-
tung mit Karten, Photos und Zeichnungen.
Mit letzteren stellt E. Pauli sowohl ihre Zei-
chenkunst wie die Überlegenheit von Zeich-
nungen über Photos auf vielen Gebieten be-
züglich Klarheit und Erfassung des Wesent-
lichen unter Beweis. Nachahmenswert sind die
instruktiven Zeichnungen von Siedlungen aus
der Vogelschau, die Grund- und Aufriß von
Gehöften und Vegetation in einem Bild aufs
deutlichste erkennen lassen.
Erstaunlidi ist die Fülle an Material aus
allen wichtigen Kulturbereichen. Es wurde
zwar von vier — meist selbständig operieren-
200
Buchbesprechungen
den — Forschern, aber doch unter schwierig-
sten Bedingungen des Reisens, der Beschaf-
fung von geeigneten Gewährsleuten und Dol-
metschern, und dazu in relativ kurzen Fri-
sten von ein bis I8V2 Wochen Aufenthalt bei
den erfaßten Ethnien, zusammengebracht.
Daß trotzdem allein in diesem Band über 10
„Stämme“ Monographien und über weitere
16 Nachrichten bzw. kurze Abrisse ihrer Kul-
tur vorgelegt werden können, stellt dem be-
sonderen Geschick der Forscher in puncto Or-
ganisation, Feldarbeit und Umgang mit Ge-
währsleuten das beste Zeugnis aus. (Dabei
sind die zusätzlichen, speziellen linguistischen
Forschungsergebnisse aller Mitarbeiter und
die anthropologischen Untersuchungen von
Schulz-Weidner gesonderten Publikationen
Vorbehalten!) Besonders sympathisch berührt
es, daß die Autoren selbst auf lückenhafte
Beobachtungen wie ungenügende oder zwei-
felhafte Informationen hinweisen und ihre
eigenen Ausdeutungen von den erhaltenen
Auskünften klar unterscheiden.
Eine Rezension kann dem Umfang der vor-
gelegten Forschungsergebnisse nicht annä-
hernd gerecht werden, so begnüge ich mich
mit Angabe der wichtigsten Daten: Die Mo-
nographien sind gegliedert in; A. Land und
Volk, B. Soziales Leben, C. Religiöses und
geistiges Leben, D. Lebenslauf, ggf. noch E.
Erzählungsgut (oder Recht). Die materielle
Kultur wird jeweils von E. Pauli behandelt
— die auch den Expeditionsbericht liefert —,
mit Ausnahme der Basketto, Dime und Bodi,
für die der Feldforscher E. Haberland selbst
diese Angaben in seine Monographien ein-
schließt. Von diesem Autor stammt ferner
noch die Beschreibung der Ubamer und ein
Abriß über die politische Entwicklung Süd-
Äthiopiens. W. Schulz-Weidner hat die
Schangama bearbeitet. Der Expeditionsleiter
Ad. E. Jensen liefert den Löwenanteil mit
Monographien über die Baka, Male, Banna,
Hammar, Tsamako — wozu, wie bei den
anderen Autoren, jeweils noch in Anhängen
die oben erwähnten, kürzeren Berichte über
Nachbarstämme gebracht werden — und
außerdem einen kurzen kulturhistorischen
Überblick über die behandelten Kulturen.
Auf den unbewaldeten Hochflächen eines
steilen Gebirgszuges (3000 m) hat die Ari-
Gruppe (Bako, Ubamer, Schangama und 7
weitere kleine Stämme) mit einer wohl niloti-
schen Sprache eine sehr altertümliche Pflan-
zerkultur bewahrt (Anbau von Ensete, Yams,
Taro; Schafe, wenig Rinder in Ebenen; Streu-
siedlung; vorwiegend Vegetabilien für Haus-
bau, Kleidung, Gerät). Die Clans teilen sich
in zwei Heiratsklassen auf. Einige — wohl
die autochthonen — sind totemistisch und
meist als verachtet von Heiraten mit anderen
ausgeschlossen, zudem in der Mehrzahl von
Rinder- und Bodenbesitz ausgeschlossen und
auf unreine Handwerke — wie Töpfern, Ger-
ben, Schmieden — beschränkt worden, wie
dies für die meisten südäthiopischen Völker
gilt. Trotzdem spielen sie eine wichtige Rolle
in vielen Ritualen. Der älteste direkte Nach-
komme des Clangründers ist sakraler Clan-
führer, der allein an seinem heiligen Opfer-
platz Tiere schlachten darf. Einige haben auch
die Funktion von Oberpriestern, die für
Fruchtbarkeit und Sühne von Sünden verant-
wortlich sind. Der bei den Ari stärkstens ver-
tretene primitiv-negride Rassentypus unter-
streicht den negriden Charakter der zlri-Kul-
tur. In der Religion haben sich Himmelsgott
und Erdgöttin als Schöpfer sowie ein aus-
geprägter Ahnenkult gut erhalten. Von den
Ometo ist das typisch kuschitische sakrale
Königtum cingedrungen, das jeweils in einem
bestimmten Clan erblich ist.
Es hat sich noch stärker bei der nördlich
anschließenden Basketto-Gruppe (insgesamt
6 Stämme) durchgesetzt und ihr auch die
westkuschitischc Sprache und äthiopide Rasse
der Häuptlings-Clane übermittelt. Der Ometo-
Überlagerung dürften auch Mistdüngung,
stärkerer Anbau von Yams, Gemüsen und
Gewürzen, Hirsen und Mais sowie die Rin-
derzucht zuzuschreiben sein.
Die westlich auf einem Bergzug benachbar-
ten Dime sind sprachlich mit den Ari ver-
wandt, jedoch nicht kulturell; rassisch ent-
sprechen sie den Ometo. Ihre Siedlungen sind
gekennzeichnet durch umfangreiche zyklopi-
sche Terrassenanlagen und Steinhäuser. Haupt-
nahrung ist Teff neben Ensete, Bohnen, Yams
und Taro. Ziegen werden im Gebirge, Rinder
im Tiefland gehalten, und zwar von der
Jungmannschaft mit Ausbildung des früher
den Hamiten zugeschriebenen Großviehzüch-
tcrkomplexes. Berühmt ist Dime als Export-
land von Schmiedewaren. Handwerker bil-
den verachtete endogamc Kasten. Die Älte-
sten der nicht auf Heiratsklassen aufgeteilten
totemistischen Clane sind die Opferpriester.
Das sakrale Königtum mit Unterhäuptlingen
hat heute unter amharischcm Einfluß seine
früher beherrschende Rolle eingebüßt; am-
Buchbesprechungen
harische Baumwollkleidung hat die alte
Leder-, Rindenstoff- und Blättertracht fast
ganz verdrängt.
Mit den noch weiter westlich im Omo-
Tiefland lebenden Bodi und Mursi wurden
die östlichsten Vorposten der Mekan-Surma-
Gruppe der neo-nilotischen Didinga unter-
sucht. Sie weisen die für letztere typische
Verflechtung von intensivem Hirseanbau mit
emotional und ritual betonter Rinderzucht
auf. Die wenig mächtigen Stammeshäuptlinge
sind Kriegsführer und Priester zugleich. Inter-
essant ist die Auffindung des kleinen Jäger-
völkchcns der Yidenitsch (Batscha) durch
Haberland — der auch das kürzliche Ver-
schwinden eines solchen bei den Dime be-
richtet —, während Jensen angibt, daß keine
Jägervölker mehr angetroffen worden seien.
östlich der Basketto siedeln in steppen-
artigem Hügel- und Tiefland die Male, wie
erstere wohl eine Än-Grundschicht und eine
westkuschitische Oberschicht und Sprache auf-
weisend. Dazu käme noch ein starker niloti-
scher Einfluß als dritte Komponente. Viele
Terrassen im Lande deuten auf früher dich-
tere Besiedlung. Hauptanbaupflanze ist
Sorghum; Ensete wird auch angepflanzt. Hal-
tung von Zebu und Fettschwanzschafen —
durch Jünglinge im Tiefland — spielt eine
große Rolle. Ein ausgeprägter Antagonismus
der dualen Heiratsklassen, Clanälteste als
Opferpricster mit Kraaltor als heiligem Platz,
vor allem aber das sakrale Stammeshäupt-
lingtum mit Distrikts-Unterhäuptlingen be-
stimmen die Sozialordnung. Alte Züge des
kuschitischen Gottkönigtums haben sich hier
noch besser als in anderen Gebieten Äthio-
piens erhalten. In der Religion treten der
Schöpfer-Himmelsgott, Ahnenkult und Ein-
geweideorakel (letztere auch sonst häufig)
hervor.
Die Trockensteppen-Tiefländer (mit eini-
gen Bergen bis 2000 m) im Süden der Ari
werden von der Banna-Hammar-Gruppe
(und 2 weiteren Stämmen) bewohnt. Sprach-
lich mit den Ari verwandt, fehlt ihnen jedoch
deren primitiv-negrides Rassenelemcnt fast
ganz; physisch und kulturell sind sic vielmehr
ausgesprochen „idiotisch“ geprägt. Im (Brand-
rodungs-) Feldbau dominieren Hirsen; es
werden viel Fettschwanzschafe, Ziegen und
Zebus gehalten — letztere nur von Jüng-
lingen gehütet (mit typisch „hamitischem“
Viehzuchtkomplex). Der sakrale Häuptling
ist ohne politische Macht; die Sozialordnung
wird bestimmt durch Clanorganisation, Alters-
klassen, Hochschätzung der Töter, die Reli-
gion durch otiosen Gott, Ahnenkult mit hei-
ligen Opferstätten am Kraaltor, Priester für
Agrarkulte und Regenbitte.
östlich der Banna sind die Tsamako erst
vor kurzem vom Ostabhang der Banna-Berge
in die Woito-Ebene hinabgestiegen, in der
früher nur die Jungmannschaft die Rinder
hütete. Die Terrassenfelder werden demzu-
folge kaum noch genutzt. Hirse wird auch im
Tiefland angebaut. Wie ihre ostkuschitische
Sprache weisen auch die ausgeprägten Alters-
klassen, Töterehrungen, Megalithen, sakraler
Stammeshäuptling, duale Heiratsklassen u. a.
m. auf Beziehungen zu den Konso und Galla.
Rassisch fallen vorherrschender, graziler Mit-
telwuchs auf, jedoch konnte die seit D. Smith
durch die Literatur geisternde Nachricht von
den „zwerghaften“Dume (= Tsamako-Dorf)
als eine Fabel erwiesen werden. Im ganzen
Reisegebiet wurden nirgends auch nur Pyg-
moide angetroffen.
In seiner kulturhistorischen Übersicht gibt
Jensen sehr viele Belege dafür, daß auch in
Nordost-Afrika die Bananen-Knollenfrucht-
Pflanzer (wahrscheinlich mit ursprünglicher
Schweinehaltung) die ältesten Bodenbauer
darstellen. Da ihre primitiv-negride Rasse
auch unter den Paria-Handwerkerkasten
stark vertreten ist, vermutet der Verfasser,
daß in diese auch andere autochthone Grup-
pen (einschließlich Wildbeuter) aufgegangen
sind und erst später auf die Ausübung von
Handwerken beschränkt wurden. Die Schmiede
allerdings können m. E. kaum schon zu dieser
Altschicht gehört haben, muß deren Entste-
hung doch — auch nach Jensen — weit in die
Steinzeit zurückreichen. Für ihre Pariastellung
möchte ich eine andere Erklärung zur Dis-
kussion stellen: Die für die Verbreitung der
Eisenverarbeitung in Afrika maßgeblichen
Schmiede, die gleichzeitig Eisen erschmelzen,
benötigen zur gleichzeitigen Erz- und Holz-
kohlegewinnung eine große Zahl von Arbeits-
kräften und haben keine Zeit für bäuerliche
Tätigkeit, bilden folglich Berufshandwerker-
gruppen aus Verwandten. Bei Bevölkerungs-
zuwachs suchen auswanderndc Schmiede stets
Erzlager in der Nähe dichter Agrarbevölke-
rung als lohnendes Absatzgebiet. Hier bilden
sie — im Westsudan z. B. noch heute — frei-
willig endogame, fremdspradrige und -kultur-
liche Kasten unter Bauern. In Äthiopien müs-
sen sie angesichts der Nähe des nubischen
202
Buchbesprechungen
Eisenverhüttungszentrums schon früh auf-
getaucht sein. Gemäß den vorgelegten For-
schungsberichten konnten sie aber in spärlich
besiedelten Ländern — in denen noch heute
hölzerne Grabstöcke und Hacken verwendet
werden — nur in Dime seßhaft bleiben, sonst
aber zum ständigen Umherwandern gezwun-
gen sein. Diese Unstetheit wie ihre endogame
Kastenabschließung mögen leicht dazu geführt
haben, daß die nilotischen wie kuschitischen
Eroberer sie unter die anderen Pariakasten
einreihten.
Jensen betont sodann sehr mit Recht, daß
das von den Niloten verkörperte Frühbauern-
tum mit Körneranbau und Großviehzucht
keineswegs auf eine Überlagerung von Hack-
bauern durch Hirtennomaden zurückgehen
kann, daß vielmehr auch Äthiopien Belege
dafür liefert, wie bis heute ein Hirten-
nomadismus überall dort entstehen kann, wo
in Bergländern große Rinderherden nur no-
madisierend im Tiefland — dann mit jungen
Leuten als Hirten — geweidet werden kön-
nen. Diese sind dann vorwiegend auf Milch-,
Blut- und Fleischnahrung angewiesen und ge-
neigt, zur Vergrößerung ihrer — als Existenz-
grundlage und Reichtum — auch emotional
hochbewerteten Herden als selbständig wer-
dende Einheiten weiter in die Ebenen aus-
zuwandern.
Auch die angeführte genetische Beziehung
der rezenten Niloten zu den neolithischen
nilotischen Dorfkulturcn (Badari) erscheint
mir wahrscheinlich. Ich kann jedoch dem Ver-
fasser nicht folgen, wenn er den Niloten allein
die Verbreitung dieser Frühbauernkultur über
den Erdteil zuschreibt. Audi wenn mit ,Nilo-
ten' nicht die rezenten gemeint sind, die ja
nur eine relativ späte lokale Sonderform (mit
sprachlicher Sonderstellung!) der altnigriti-
schen Kultur darstellen, sondern die prähisto-
rischen. Wenn auch weit nach Süden und We-
sten reichende Kultureinflüsse von (Proto-)
Niloten festzustellen sind, so doch zumindest
im West- und Zentralsudan auch solche aus
dem nordafrikanisch-libyschcn Raum. Dabei
ist zu beachten, daß im Westen das buckellose
Kurzhornrind das ursprünglidt einzige Rind
und Sorghum die spätere Hirsesorte ist. Die
vom Verf. wie Rezensenten vermuteten kul-
turellen Anregungen aus dem prähistorischen
Westasien gingen aber in starkem Maße auch
über die unterägyptische Landbrücke, wo wir
in Merimde-Beni-Salame ja ebenfalls neolithi-
sche Dorfkulturen von Frühbauern kennen.
Anschließend bot die damals noch grüne
Sahara gemäß Ausweis der Felsbilder und
unzähligen Mahlsteinen Flirsebauern mit
Großviehzucht genügend Lebensmöglichkei-
ten, um Frühbauernkulturcn auch auf einem
nördlicheren Wege nach Inner-Afrika vermit-
teln zu können.
Die Kuschitcn schließlich zeigen kulturell
ein so verschiedenfarbiges Bild, daß Jensen
eine kulturhistorische Aufgliederung noch für
verfrüht hält. Da sie (vor den Semiten) die
spätesten Einwandererschübe bilden, mögen
sie bereits verschiedene Wirtschafts- und So-
zialstrukturen mitgebracht haben, und dann
durch Aufsaugung verschiedener autochthoner
Bevölkerungen weitere lokale Besonderheiten
ausgebildet haben. Dazu gehören z. B. der
Megalithkomplex und das Gada-System.
Letzteres erklärt der Verfasser mit guten
Gründen als eine lokale, hochschematisierte
Weiterbildung des nilotischen Altersklassen-
systems. Den Versicherungen der Einheimi-
schen, der Megalithkomplex sei der ältere,
möchte man Glauben schenken. Denn nicht
nur das Gada-System, sondern auch die eben-
falls schon recht spezialisierten nilotisch-
hamitischen Altersklassensysteme zeigen eine
geringere Ausbreitung als die Züge von Me-
galithkulturen. Wenn diese schließlich mit den
südostasiatischen in Beziehung stehen sollten
— wie der Verfasser (andernorts) mit guten
Gründen vermutet —, so müssen sie in Äthio-
pien schon zu einer Zeit vorhanden gewesen
sein, als die orientalischen Hochkulturen die
Verbindung noch nicht unterbrochen hatten.
Den dritten, markanten kuschitischen Kul-
turkomplex, das sakrale Königtum, wage ich
als den jüngsten anzusehen: Einmal zeigen
sich in Äthiopien immer wieder Überlagerun-
gen der anderen Kulturen durch ihn, zum
anderen weisen seine Züge so enge Beziehun-
gen zu den anderen sakralen Königtümern
Afrikas auf, daß sie alle nur auf Altnubien
als gemeinsames Ursprungsgebiet zurückgehen
können. Von dort aber ist eine weite Aus-
strahlung hauptsächlich erst durch und nach
Zerschlagung des Reiches Meroe durch Ezana
von Aksum (um 350 n. Chr.), aber dann auch
durch die spätere langsame Niederringung
der nubischen Nachfolgestaaten durch die
Araber zu erwarten. Die hoffentlich bald er-
scheinenden weiteren Publikationen der Süd-
Äthiopien-Expeditionen, auf die wir uns
schon freuen, lassen weiteres Diskussions-
material erhoffen.
Buchbesprechungen
203
Diese Andeutungen mögen genügen, um zu
zeigen, daß das Studium des vorliegenden
Werkes nicht nur für den Afrikanisten un-
erläßlich ist, sondern daß es auch für die all-
gemeine Völkerkunde, Soziologie, Religions-
geschichte, Anthropologie, Geographie, Wirt-
schaftsforschung usw. als Fundgrube an neue-
stem Material zu den verschiedensten Themen
wärmstens empfohlen werden kann.
K. Dittmer
MONICA HUNTER:
Rcaction to Conquest — Effects of Con-
tact with Europeans on the Rondo of South
Africa. With an Introduction by General
the Right Honourable J. C. Smuts. 2. Auf-
lage, hrsg. v. International African Insti-
tute. London, New York, Toronto: Oxford
University Press. 1961. XXIII + 582 S.,
4 Abb., Karten. Preis: 50/- sh.
Es ist zu begrüßen, daß dieses wichtige
Werk über den Kulturwandel bei einem süd-
afrikanischen Volke neu aufgelegt worden ist.
Seine Autorin, Monica Wilson, geb. Hunter,
Professor für Social Anthropology an der
Universität Kapstadt, erlangte mit dieser
1936 erschienenen Untersuchung wie mit ihren
zahlreichen weiteren wissenschaftlichen Ar-
beiten über süd- und ostafrikanische Völker-
schaften einen führenden Platz unter den
Malinowski-Schülern, die sich den aktuellen
Problemen des sozialen und kulturellen Um-
bruchs in Afrika widmen.
Bei ihrer Analyse beschränkt sich die Auto-
rin nicht darauf, die gegenwärtigen Verhält-
nisse bei dem von ihr untersuchten Stamme
der Pondo im Südosten der Südafrikanischen
Union sozusagen an der Oberfläche zu schil-
dern, sondern sie bemüht sich ebenso, den
ethnographisch-historischen Hintergrund zu
erhellen, auf dem die modernen Wandlungs-
prozesse erst verständlich werden. Dank der
Gründlichkeit, mit der die Autorin dabei zu
Werke geht, stellt dieses Buch eine wahre
Fundgrube der Ethnographie eines Südost-
bantustammes dar.
Aber nicht nur die reichhaltige Fülle von
Detailbeobachtungen macht dieses Werk be-
deutsam, sondern vor allem auch der von
Hunter entwickelte methodische Ansatz der
„differentiellen Akkulturationsforschung“,
der sich in der Gliederung des Buches zu er-
kennen gibt. Der erste und weitaus größte
Teil kontrastiert die früheren Verhältnisse
bei den Pondo mit den zur Zeit der Unter-
suchung beobachteten Veränderungen in den
Reservaten. Alle Lebensgebiete werden in
diesem Sinne eingehend betrachtet, vor allem
das Familienleben, die Wirtschaftsstruktur
einschließlich der Eigentumsordnung, der Le-
benszyklus der Individuen, die Heiratssitten
und der Ahnenkult, Zauberei und Magie, der
Einfluß des Christentums, die Wandlungen
in der politischen Organisation des Stammes
und der einzelnen Dörfer sowie zahlreiche
andere Bereiche.
Im zweiten Teil untersucht die Autorin die
wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Ver-
hältnisse bei den am meisten „akkulturier-
ten“ Bantu in einigen modernen südafrikani-
schen Städten, während sie im dritten Teil
dieselben Aspekte bei Arbeitern auf weißen
Farmen erforscht. Im Schlußteil wird ver-
sucht, die wesentlichen Unterschiede und
Gradabstufungen in den Akkulturationsvor-
gängen bei diesen drei Gruppen, die allge-
meinen Tendenzen des Kulturwandels sowie
vor allem die innere Einstellung und die
geistigen und politischen Reaktionen der
Bantu auf die sie zutiefst berührenden Um-
brüche ihrer Lebensweise darzustellen. Auf-
schlußreich ist ein Vergleich dieser vor nun-
mehr 25 Jahren geschilderten Tendenzen mit
den in der Einleitung zur Neuauflage hervor-
gehobenen Veränderungen und den Verschär-
fungen der Situation, wie sie inzwischen durch
eine verstärkte Apartheidspolitik hervorge-
rufen wurden.
Es wäre ungerecht, wenn die Kritik diesem
Buche vorwerfen würde, daß weniger mehr
hätte sein können, denn auf lange Sicht dürfte
eine genaue Kenntnis der Einzelheiten gerade
für die theoretische Analyse des Kulturwan-
dcls wichtiger sein als bald überholte und
unzureichend dokumentierte Hypothesen.
Allerdings wird das Zusammenwirken der
verschiedenen Kontakteinflüsse bei der nach
einzelnen Lebensbereichcn analysierenden Art
der Darstellung nicht so deutlich, wie es bei
einer stärker pointierten Problemstellung
hätte werden können.
Die Autorin selbst meint kritisch in ihrer
Einleitung zur Neuauflage: "Because social
anthropology has advanced so fast, studies
made in an earlier generation appear some-
what simple-minded; nevertheless there is
still a demand for the detailed evidence on
traditional Pondo custom and on the changes
observed in progress twentyfive years ago,
204
Buchbesprechungen
and it has been thought worth while to
republish this book. One advantage of the
more old-fashioned type of anthropology was
that it provided, within the covers of one
book, a general conspectus of society and,
though the book is long, that feature has
been retained“ (S. X). In dieser Gesamtschau
liegt unzweifelhaft der bleibende Wert dieser
Untersuchung, die als eindrucksvolle Pionier-
leistung auf dem Gebiet der Akkulturations-
forschung immer einen hervorragenden Platz
einnehmen wird.
R. Schott
Traditional Art of the African Nations.
With an introduction by Robert Goldwater
and photographs by Charles Uht. New
York: The Museum of Primitive Art.
(Distributed by University Publishers Inc.)
1961. 77 Abb., davon 3 farbig, 1 Karte.
Preis: $ 6.00.
Das Museum of Primitive Art stellt eine
Reihe von Kunstwerken aus Afrika vor, die
größtenteils wohl erst in den letzten Jahren
erworben wurden. Alle Stücke sind abgebil-
det und mit den wichtigsten Daten (Herkunft,
Material, Größe, Inventarnummer) sehr kurz
kommentiert. Die Einleitung (1 Seite lang)
von R. Goldwater ist für ein breites Publikum
gedacht, dem Ethnologen bietet sie nichts
Neues. Eine Karte zeigt die Lage der Heimat-
staaten der Stämme, von denen Kunstwerke
abgebildet sind. Eine genauere Lokalisierung
der betreffenden Stämme selbst erfolgt auf
der Karte nicht.
Das abgebildete Material stammt aus West-
und Zentralafrika. Die Qualität der Stücke
ist — soweit sich das von der Fotografie her
beurteilen läßt — durchweg gut. Es fällt da-
her schwer, das eine oder andere Stück be-
sonders hervorzuheben. Trotzdem soll auf
wenige Stücke verwiesen werden. Abb. 2 zeigt
ein hölzernes Speisegefäß von den Dogon,
das sich durch seinen reichen Figurenschmuck
und seine ausgewogene Komposition auszeich-
net. Ebenfalls von den Dogon stammt eine
Maske (im kubistischen Stil), auf der eine
stilisierte Frauenfigur steht (Abb. 6). Von
alter Qualität ist offenbar die Nimba-Maske
(Abb. 19; Baga). Sehr schön ist der Flöten-
spieler aus Lehm (Abb. 45) von den Krinjabo,
der möglicherweise mit den Asongu-Figuren
der Nzema in engem Zusammenhang steht,
wie sie z. B. von V. L. Grottanelli in Africa,
Vol. XXXI, 1961, Tafeln I und II abgebil-
det sind. Von den vier Beninstücken ist die
Elfenbeinmaske (Abb. 54) besonders hervor-
zuheben.
Einige ergänzende Bemerkungen seien hier
angeschlossen. Abb. 13 zeigt eine Maske von
den Bobo. Es handelt sich um eine Darstel-
lung des Schmetterlings. Diese Maske und das
unter Nr. 12 abgebildete Stück könnten aus
dem Süden des Bobo-Gebietes stammen. Die
Herkunftsangabe des auf Abb. 17 gezeigten
Antilopen-Aufsatzes „Mossi, Kurumba
Society“ ist nicht exakt. Die Kurumba sind
kein Bund, sondern ein eigener Stamm nörd-
lich der Mosi. Die Frage, ob die Kurumba
und die als Nioniose (Nyonyose) bekannte
Unterschicht der Mosi ursprünglich so eng
zusammengehörten, daß man sie als identisch
ansehen und mit einem gemeinsamen Termi-
nus belegen kann, ist noch ungeklärt.
Man kann sich darüber streiten, ob der
Stuhl von den Bobo (Abb. 15) als Kunst-
objekt zu werten ist. Mit einiger Phantasie
kann man im oberen Teil der Lehne einen
stilisierten Kopf erkennen. Genauso gut kann
es sich jedoch einfach um einen ornamentalen
Abschluß der Lehne handeln.
Die technische Seite, auf die bei einer prak-
tisch ausschließlich aus Bildern bestehenden
Veröffentlichung besondere Sorgfalt verwen-
det werden muß, ist bedauerlicherweise sehr
zu bemängeln. Bei einer Anzahl von Aufnah-
men verschwinden Einzelheiten, auf die man
als Betrachter Wert legt, hoffnungslos Im
Schatten (z. B. Abb. 2, 8, 9, 18, 19, 30 usw.),
andere Stücke wirken farblos und flach
(Abb. 4, 26, 34). Die Qualität des dargebote-
nen Materials gleicht diesen äußeren Eindruck
weitgehend aus.
J. Zwernemann
ROY SIEBER:
Sculpture of Northern Nigeria. NewYork:
The Museum of Primitive Art. (Distributed
by University Publishers Inc.) 1961. 32 S.,
48 Abb., 1 Karte. Preis: S 2.00.
Die Kunst Nord-, genauer gesagt Mittel-
Nigerias ist erst in den letzten Jahren etwas
bekannter geworden. Einzelne Abbildungen
solcher Kunstwerke findet man z. B. bei
Elisofon und Fagg, Leuzinger, v. Sydow und
Underwood. Sie vermögen jedoch höchstens
das Interesse zu wecken, ohne auch nur einen
groben Überblick zu geben. Erfreulicherweise
waren in der vorjährigen Nigeria-Ausstel-
V?'
Buchbesprechungen
205
lung in München, die Anfang dieses Jahres
auch in Basel gezeigt wurde, eine Reihe von
Stücken aus dem südlichen Nord-Nigeria zu
sehen, die einen Eindruck von dem vermit-
teln konnten, was in diesem Gebiet an Kunst-
werken zu finden ist. Leider sind nur wenige
Stücke aus Nord-Nigeria im Münchner Aus-
stellungskatalog abgebildet.
Der reich illustrierten Arbeit von Roy Sie-
ber kommt daher grundsätzliche Bedeutung
zu, auch wenn, wie der Autor im Vorwort
schreibt, ”this report cannot hope to be more
than provisional“. Hoffen wir, daß Sieber
über kurz oder lang durch weitere Veröffent-
lichungen mehr zur Kenntnis der nordnige-
rianischen Kunst beiträgt.
Das vorliegende Büchlein geht auf Kunst-
werke der Igala, Idoma, Goemai (= Ankwe),
Montol und Jaba (= Ham) ein. In seinen
knappen Erläuterungen versucht der Autor
die Funktion der abgebildeten Masken und
Plastiken zu erläutern und stilistische Unter-
schiede kurz aufzuzeigen. Auf die wenigen,
bereits publizierten, vergleichbaren Stücke
wird verwiesen. Zu einer Anzahl von Kunst-
werken kann Sieber den Schnitzer nennen
und oft auch einige Angaben über diesen
machen.
Bezüglich der stilistischen Einordnung des
hier veröffentlichten Materials sieht der Ver-
fasser stärkere Verbindungen zur westsudani-
schen als zur südnigerianischen Kunst. Man
kann sich dieser Meinung wohl im wesent-
lichen anschließen, wenn auch die Verbindung
zum Westsudan m. E. zunächst nur als sehr
lose betrachtet werden kann. Zur endgültigen
Klärung dieser Frage müßte ein entschieden
reicheres Material aus Nord-Nigeria zur Ver-
fügung stehen.
J. Zwernemann
GEOFFREY PARRINDFR:
West African Religion. A Study of the Be-
lief s and Practices of Akan, Ewe, Yoruba,
Ibo and Kindred Peoples. Second Edition.
London: The Epworth Press 1961. XVI +
203 S., 1 Karte. Preis: 25 sh.
Seit der ersten Auflage im Jahre 1949 hat
sich Parrinders Arbeit einen festen Platz in
der Westafrika-Literatur erobert. Der Autor
hatte in der ersten Fassung seines Buches
Material anderer Quellen und eigene Auf-
zeichnungen aus verschiedenen Gegenden
Oberguineas verarbeitet. Das Buch sollte eine
Synthese des bis dahin bekannten Materials
darstellen und war außerdem als verglei-
chende Einführung in die wichtigsten Reli-
gionen Oberguineas gedacht. Dasselbe Anlie-
gen hat der Verfasser auch bei der zweiten
Auflage gehabt, für die er das Werk voll-
kommen überarbeitet hat.
Die erste Fassung behandelte vor allem die
Religionen der Ewe und Yoruba. Ein langer
Aufenthalt in Nigeria ließ den Verfasser
neue Erkenntnisse über die Religion der
Yoruba und der Ibo gewinnen. Das Yoruba-
Material konnte dadurch erweitert werden,
und die religiösen Vorstellungen der Ibo wur-
den als neuer Bestandteil In das Werk auf-
genommen. Vergleichsmaterial benachbarter
nigerianischer Stämme (Bini, Ibibio und
Nupe) bildet eine wertvolle Ergänzung.
Selbstverständlich wurden audi die in den
letzten Jahren aus anderer Feder zum Thema
erschienenen Arbeiten berücksichtigt und ver-
arbeitet.
Die Wahl der Akan, Ewe, Yoruba und Ibo
als charakteristische Beispiele für die Reli-
gionen Oberguineas bietet sich durch das sehr
reichhaltige Quellenmaterial über diese
Stämme förmlich an. Außer den drei oben
erwähnten südnigerianischen Stämmen wer-
den die Goi ausgiebig zum Vergleich heran-
gezogen. In geringerem Maße werden Belege
verschiedener anderer Stämme ausgewertet;
vielleicht nicht immer in sinnvoller Weise.
So hätten die wenigen Vergleiche mit Stäm-
men Nord-Ghanas — vorwiegend nach
Rattray zitiert — außer acht gelassen werden
können, ohne daß die Arbeit darunter gelitten
hätte. Andererseits hätte man sich z. B. eine
intensivere Betrachtung des Akan-Materials
gewünscht, das Meyerowitz im Laufe der
letzten zehn Jahre vorgelegt hat. Lediglich
das erste Buch dieser Autorin wird in der
Bibliographie zitiert. Ihre anderen Arbeiten
tut der Verfasser in einer Fußnote ab (S. 16):
’’Her later books on parallels with Egypt
have been heavily criticized by Egypto-
logists.“ Eine kritische Betrachtung der Arbei-
ten von Meyerowitz wäre erforderlich gewe-
sen, zumal Parrinder sich mit seinem Buch
— wie er im Vorwort erklärt — auch an die
Bewohner Westafrikas wenden möchte. Eine
Fußnote genügt nicht, um kritisierbare und
heftig kritisierte Hypothesen abzutun, die
von den Betroffenen — gefährlicherweise —
u. U. als wissenschaftlich bewiesene Tatsachen
angesehen und als hochwillkommene Berei-
206
Buchbesprechungen
cherung eines in der Entwicklung befindlichen
Geschichtsbildes begrüßt werden.
An wenigen Stellen zitiert Parrindcr Vor-
stellungen von kleinen Küstenstämmen der
Elfenbeinküste, vor allem von den Adyukru.
Bereits die erste Auflage des Buches hat solche
Elinweise enthalten. Es wäre sehr zu wün-
schen, daß Parrinder, der eigene Notizen ver-
wendet hat, an geeigneter Stelle mehr über
dieses praktisch noch unbekannte Gebiet
schriebe.
Die Anordnung der Kapitel des Parrinder-
schen Buches entspricht der ersten Auflage.
In jedem Kapitel wird das in der Überschrift
gestellte Thema mit Hilfe des Materials aller
Gebiete vergleichend behandelt (z. B. be-
stimmte Götter, Tempel und Kult, Priester
und Kultanhänger, Ahnenkult usw.); dabei
wird die Reihenfolge Akan, Ewe, Yoruba,
Ibo eingehalten. Das einzelne Kapitel bildet
dadurch eine kleine, in sich geschlossene Stu-
die. Einige Abschnitte über Wanderungen und
den Ursprung bestimmter Kulte sind gegen-
über der ersten Auflage entfallen, ebenso
einige Angaben, die ausschließlich Dahomey
betreffen. Totem- und Tabuvorstellungen
wurden zu einem Kapitel zusammengefaßt
und in Einzelheiten gekürzt. Parrindcr stellt
mit Recht heraus, daß die moderne Entwick-
lung des religiösen Lebens nicht übergangen
werden darf, weil sonst ein unzutreffendes
Bild entsteht. Er hat ein entsprechendes Ka-
pitel an den Schluß seines Buches gestellt.
Das nach dem neuesten Forschungsstand
umgearbeitete Buch bietet die Möglichkeit zur
raschen Information über die wichtigsten Er-
scheinungen der Religionen Oberguineas. Als
Quelle und zusammenfassende Darstellung
ist es für die wissenschaftliche Arbeit eine
wertvolle Hilfe und zugleich als Einführung
für Studenten ausgezeichnet geeignet. Die
leichte Verständlichkeit wird dem Buch jedoch
einen interessierten Leserkreis sichern, der
über die Fachwelt hinausgeht.
J. Zwernemann
La traduction en Afriquc, numero special,
Babel, Revue internationale de la traduc-
tion, Vol. VII, no. 4, Berlin-Schöneberg:
Langcnscheidt KG. 1961.
Das Heft soll eine Einführung in Probleme
afrikanischer Sprachen sein, durch die das
Interesse von Dolmetschern und Übersetzern
für diese Sprachen geweckt werden soll. Ein
sehr lobenswertes Bestreben. Aber wer sich
je mit afrikanischen Sprachen befaßt hat,
weiß, welch kühne Anregung das ist. Mit
Sprachkenntnissen allein ist es ja nicht getan.
Das tiefe Verständnis von Mentalität und Kul-
tur ist eine conditio sine qua non. Der Artikel
des als Dichter, Literatur- und Sprachwissen-
schaftler bekannten Präsidenten der Republik
Senegal, Leopold-Sedar Senghor (Langage et
Poesie negro-africalne) demonstriert das sehr
schön. Solches Verstehen von afrikanischen
Menschen und ihrer Kultur erfordert be-
kanntlich eine jahrelange, intensive Beschäf-
tigung mit der Materie, abgesehen vielleicht (?)
von literarischen Erzeugnissen stark euro-
päisch beeinflußter Intellektueller.
Es soll hier nicht gegen solche Bestrebungen
gesprochen werden, die im Gegenteil sehr be-
grüßenswert sind, aber man darf sich eine
solche Aufgabe nicht zu leicht vorstellen.
Schon allein die große Anzahl von Sprachen
läßt die Frage auftauchen: wo anfangen? Wer
mißt sich das Urteil zu, ob eine Sprache, ab-
gesehen vielleicht von den paar hochwichtigen
Verkehrssprachen (Swahili, Hausa, Man-
clingo), bedeutsamer ist als die andere?! Die
Anzahl der Sprecher ist kein absolutes Krite-
rium. Die Untersuchung von Ernst Dammann
(Die sprachlichen Verhältnisse in Ghana)
zeigt das Problem der Diversltät der Spra-
chen eines relativ kleinen Gebietes. Johannes
Lukas (Die Sprachgruppen Afrikas) gibt einen
Überblick des derzeitigen Standes der Glie-
derung afrikanischer Sprachen. Beide Arbei-
ten zeigen die Problematik, die durch die
Vielzahl von afrikanischen Sprachen für den
praktischen Gebrauch gegeben ist. Ohne die
Hilfe der Afrikaner selbst ist auf Jahre oder
gar Jahrzehnte hinaus nicht daran zu denken,
auch nur das wichtigste literarische Gut afri-
kanischer Menschen dem Europäer zugänglich
zu machen. Europäische Dolmetscher und
Übersetzer könnten und sollten zwar an die
wichtigen Aufgaben, die sich bieten, heran-
gehen, aber vorerst dürfte das zwangsläufig
noch in verhältnismäßig bescheidenem Rah-
men bleiben.
Im Aufsatz von Dammann ist die Zusam-
menstellung des religiösen Schrifttums in
ghanaische Sprachen sowie der in Ghana ent-
standenen modernen Literatur und von Über-
setzungen klassischer und modern-euro-
päischer Werke durch Ghanesen in ihre Spra-
chen, besonders interessant.
Buchbesprechungen
207
Ein Abschnitt aus M. J. Herskovits’ ’’The
Myth of the Negro Fast“ und ein Aufsatz
über das schiefe Bild afrikanischer Menschen,
das europäische Literatur in der Vergangen-
heit den Lesern geboten hat, von D. Ham-
mond und A. Jablow (The African in We-
stern Literature) sind die weiteren Beiträge
dieses Sonderheftes.
J. Zwernemann
KUNZ DITTMER:
Die sakralen Häuptlinge der Gurunsi im
Obervolta-Gebiet. (Mitteilungen aus dem
Museum für Völkerkunde in Hamburg
XXVII.) Hamburg: Kommissionsverlag
Gram, de Gruyter & Co. 1961. VIII +
176 S. und 34 S. Kunstdrucktafeln, Karte.
Das Volk der Gurunsi (oder Grusi), das in
die beiden Gruppen der Nuna und Kasena
zerfällt, lebt in der Parksteppe des südlichen
Obervolta und den angrenzenden Gebieten
Nord-Ghanas. Die Gurunsi sind klassische
Vertreter der durch Frobenius und Baumann
bekannten „altnigritisdten“ Kultur. Kunz
Dittmer, der sich 1954—1956 unter den Gu-
runsi aufhielt, legt in diesem Buch seine Un-
tersuchungen über die institutioneile Führung
vor. Auch diese Arbeit stellt wie die bereits
erschienenen Veröffentlichungen von Dittmer
(Ackerbau und Viehzucht bei Altnigritieren
und Fulbe, Paideuma VI, 1958; Die Metho-
den des Wahrsagens, Baessler-Archiv VI,
1958; Die sakralen Häuptlinge der Gurunsi,
Tribus 9, 1960) einen bemerkenswerten Bei-
trag sowohl zur Ethnographie wie zur Kul-
turgeschichte West-Afrikas dar. Eine große
Zahl vorzüglich ausgewählter Fotos verstärkt
die reiche Dokumentation. Zu bedauern Ist
die Kürze des Literaturverzeichnisses, das le-
diglidi die zitierten Arbeiten aufführt —
eine ausgewählte Bibliographie dieser Region
hätte den Wert des Buches noch erhöht. Die
nur am Rande erwähnten Beispiele der übri-
gen Kulturaspekte der Gurunsi erregen den
Wunsch, daß auch das übrige Material der
Expeditionsergebnisse bald zugänglich ge-
macht wird.
Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte.
Im ersten Abschnitt wird eine kurze Über-
sicht über Sprache, Wirtschaft, Religion, Ge-
sellschaft und die älteren Quellen über das
Häuptlingstum gegeben. Der zweite Ab-
schnitt ist dem „Erdherrn“ gewidmet, der
dritte dem sakralen Häuptlingstum und der
vierte dem Häuptlingsfetisch, dem kwara,
und seiner Herkunft. Im fünften Abschnitt
wird eine kurze Typologie der behandelten
Häuptlingstümer vorgenommen. Aus dem
ersten Abschnitt seien die leider sehr kurz-
gefaßten Angaben über die Religion hervor-
gehoben, vor allem die große Bedeutung der
Erde als Verkörperung des weiblichen, gebä-
renden und ernährenden Prinzips, an die sich
die Menschen mit ihren Wünschen und Ge-
beten wenden, die aber nur im Verein mit
dem sie befruchtenden Himmel, dem männ-
lichen, zeugenden Element, als schöpfende
Macht wirksam werden kann. Ungeachtet
der Gleichheit dieses kosmischen Paares und
der großen Wichtigkeit des Himmels — von
seinem Regen hängt der Ausfall der Ernte
ab — ist doch die Erde für diese Bauern-
kultur das emotional bedeutsamere Prinzip,
allein schon deshalb, weil die Menschen sie
„begreifen“ und ihr direkt Opfer bringen
können. Wichtig ist die hier von Dittmer vor-
genommene Abgrenzung des Bereiches der
Ahnen von dem der Erde. Zwar haben die
Vorfahren von Ihrem unterirdischen Toten-
reich aus Zugang zur Erdgöttin, aber als im-
materielle Wesen sind sie gleichzeitig auch
der himmlischen Sphäre zugeordnet. Der Ah-
nenkult ist nicht mit dem Erdkult verbunden
und der Erdherr hat — von Ausnahmen ab-
gesehen — nichts mit dem Klanältesten, dem
Vertreter des mythischen Klangründers, zu
tun. Die Gurunsi gliedern sich in totemisti-
sche Klane, die noch heute verhältnismäßig
geschlossene Territorien bewohnen. Die Kla-
ne zerfallen in Klansektionen, die Im Osten
des Gurunsi-Gebietes in offenen Weilern, im
Westen in eng zusammengebauten Dörfern
leben. Die untersten soziologischen Einheiten
bilden die Großfamilien (extended families).
Patrilinearität, Virilokalität, Seniorat und
Gerontokratie sind die bestimmenden Prin-
zipien der Gesellschaftsordnung der Gurunsi.
Der Abschnitt über den Erdherrn bildet
zweifellos das Kernstück des Buches. Hier
wie bei der Darstellung des sakralen Häupt-
lingtums legt der Autor eine Fülle glänzend
belegter Beispiele vor, deren Gewicht um so
größer ist, als sie sich nicht auf einen Gau
der Gurunsi beschränken, sondern fast alle
Gruppen des Volkes erfassen. Die in subtiler
Weise vorgenommene Trennung des Erdher-
ren-Amtes von dem des Häuptlings ( = Klein-
könig) und der Katalog der mit dem Erd-
herrn verbundenen Aktivitäten lassen diese
208
Buchbesprechungen
Institution in all ihren Ausdrucksformen er-
kennen. Die wichtigste Funktion des Erd-
herren, dieses typischen Vertreter der alt-
nigritischen Schicht, besteht in seiner Sorge
um alles, was mit der Erde zusammenhängt.
(Daher auch sein Name tega-tu = Erd-Herr.)
Vor allem ist es seiner Verantwortung über-
lassen, daß zwischen der Erde, die auch mit
einer mütterlichen Segensmacht glcichzusetzen
ist und den Menschen ein harmonisches Ver-
hältnis herrscht. Dabei ist es augenfällig, in
einem wie scharfen Kontrast die ewig dul-
dende, schenkende und erhaltende Erde zu
den sie stets aufs Neue verletzenden und
ausnutzenden Menschen steht. DIttmer deu-
tet das sehr schön aus der Anschauung der
Gurunsi: „ . . . das Umbrechen der Felder wie
das Ausschachten eines Grabes und auch der
Flausbau (da für die Gewinnung des Lehms
für Mauern und Dach neben der Baustelle
eine Grube ausgehoben wird) bedeuten eine
Verletzung der Erdoberfläche, das heißt der
Flaut der Erdgöttin, also ihre Beleidigung.
Deshalb muß sie folglich ebenso um Geneh-
migung wie um Verzeihung gebeten werden
— beim Feld wenigstens beim ersten Um-
brechen — und die betreffende Kulthandlung
Ist neben dem Segenerflehen im Kern ein
Sühneopfer“ (S. 36 — vgl. auch die von
Frobenius überlieferten Gedanken in „Das
sterbende Afrika“, Frankfurt 1928, S. 414).
Daher gehören zu den vornehmsten Pflichten
des Erdherrn das Opfer bei der Saat und der
anschließend ausgesprochene Bann, bis zur
Ernte nicht zu lärmen oder zu musizieren —
eine für so viele altafrikanische Pflanzer
typische Vorschrift. Das keimende Leben
darf nicht gestört werden! In vielen Gegen-
den hat man den Erdherrn um Erlaubnis zu
bitten, wenn man im Busch Wildfrüchte sam-
melt, eine neue Rodung anlegt, als Neusied-
ler das erste Feld urbar macht, ein neues
Gehöft errichtet und einen Toten beerdigt;
man hat ihm alle herrenlosen Gegenstände
abzuliefern. Der Erdherr muß darüber wa-
chen, daß die heiligen Familienfelder nicht
geteilt oder verkauft werden, er hat die
Übertretung bestimmter religiöser Gebote zu
sühnen wie zum Beispiel das Heimschaffen
nicht selbst erlegter Löwen und Leoparden,
Abhauen und Beschädigen heiliger Bäume,
Verwunden oder Töten eines Wesens am Erd-
heiligtum, Begraben einer Leiche mit Eisen
Im Körper. Vor allem muß er bei Verunrei-
nigung der Erde sühnend und strafend ein-
greifen, wie beim Vergießen menschlichen
Blutes auf die Erde (Tötungen im Kriege
sind anscheinend davon ausgeschlossen?) und
bei Beischlaf auf der nackten Erde, das heißt
Pollution der Erde. Außerdem hat er den
Kult des Himmels zu vollziehen und neben
einer Reihe von allgemeinen Verpflichtungen
für die Wohlfahrt seines Volkes auch poli-
tische Funktionen zu übernehmen, so daß er
das höchste Führertum innerhalb dieser de-
mokratischen Gemeinschaften Innehat. Diese
nicht nur auf den Kult zielende Oberhoheit
des Erdherrn über alles Sein in seinem Be-
reich leiten die Gurunsi davon ab, daß sich
der Vorfahr des Erdherrn einstmals als erster
dort im herrenlosen Land niederließ, damit
„Eigentümer“ der Erde wurde und als erster
in ein enges Verhältnis zu ihr trat. (Können
wir das so verstehen, daß er als „Ehemann“
als erster den Jungfräulichen Schoß der Erde
aufriß?)
Aus den sehr zahlreichen Erscheinungsfor-
men des Erdherrenamtes hebt Dittmer die
des „Busch-Herren“ heraus, der häufig als
Herr des Ödlandes neben den Erdherrn (des
bebauten Geländes) tritt. Die Buschherren
üben Im Busch ähnliche Funktionen aus, wie
die Erdherren in ihren Gebieten und treten
besonders bei der Jagd als Obereigentümer
der Wildtiere in Erscheinung. Dittmer spricht
die Vermutung aus, daß neben der mehr
bäuerlichen Einstellung zum Busch, die in ihm
nur ein Reservoir künftiger Felder erblickt,
noch eine andere, der Jägerischen Mentalität
entstammende, festzustellen ist. „Im Gegen-
satz zum zivilisierten Siedlungs- und Acker-
land ist der Busch die Wildnis schlechthin, das
Reich der wilden Tiere und Buschgeister . . .,
in dessen Inneres sich nur der tapfere Jä-
ger . . . hineinwagt“ (S. 44). „Die Beziehun-
gen des Busches zur Jagd . . . sind so eindeu-
tig, daß die kultische Verehrung des Busches
durch die Gurunsi schon in der Wirtschafts-
stufe des Jägertums verwurzelt gewesen sein
muß“ (S. 47). Die von Dittmer hier und im
folgenden geäußerten Ansichten gehen über
die Darstellung der Erd- und Buschherren
hinaus und bringen eine interessante Theorie
zur Entstehung der Gurunsi (und damit auch
der altnigritischcn Kultur — vgl. dazu auch
Dittmer, Paideuma VI, S. 455 f.). Als Aus-
gangspunkt sieht Dittmer eine frühbäuerliche
ncolithische Schicht aus dem Umkreis des
Mittelmeers (einschließlich der damals noch
grünen Sahara). Ebenso wie bei der Ausbrei-
Buchbesprechungen
209
tung neolithischer Bauernkulturen in Europa
kam es auch im Sudan zu Kontakt- und Ak-
kulturationserscheinungen mit den dort le-
benden Jägern, die teilweise den Feldbau
übernahmen und eine große Zahl ihrer Kul-
turelemente den Neueinwanderern mitteilten.
Mit der Übernahme des Feldbaus durch die
ehemaligen Wildbeuter vollzog sich eine Um-
wandlung des bis dahin vorherrschenden
Buschkultes (das heißt der jägerischen Reli-
gion mit ihren Busch- und Wildgeistern) in
einen Erd-, das heißt in einen Feldbau-Kult,
in dem gleichen Maße, wie der Wildbestand
und der Busch abnahmen und Dauerfelder
und Kultursteppe Zunahmen (S. 51 f.). Als
Zeugen des Weiterlebens ursprünglich jägeri-
scher Glaubensformen führt Dittmer die
tangwane genannten, noch heute fast aus-
schließlich im Busch gelegenen Hauptheilig-
tümern der Gurunsi in Form großer Bäume
oder mächtiger Felsen an, denen gegenüber
die Erd-Altäre in den Dörfern in der Min-
derzahl sind. Die innige Verbindung des
agrikultureilen Brauchtums mit dem Busch
wird durch das Maskenwesen der Nuna un-
terstrichen. Die Masken, die als Wesen des
Busches angesprochen werden (S. 49), eröff-
nen das Ackerbaujahr und gelten überhaupt
als Bringer von Fruchtbarkeit. Obwohl der
Autor seine Ansicht über die Umwandlung
des Jägertums durch eine Fülle vorzüglicher
Argumente unterstützt, möchte der Rezen-
sent doch seine Bedenken gegen eine allzu
mechanische Umwandlung jägerischer Vor-
stellungen in pflanzerische anmelden. Töten
von Wild und Saat und Ernte von Pflanzen
setzen zwei zu verschiedene Weltanschauun-
gen voraus, als daß ein reibungsloser Über-
gang vorstellbar wäre. Warum denkt der
Autor nicht an eine geschlossene Übertragung
des Feldbaus, ganz gleich von woher und das
davon unabhängige Weiterleben jägerischer
Vorstellungen? Gerade im alten Mittelmeer-
raum war die Heiligung der Erde ein so be-
deutender Zug des religiösen Febens, daß man
sich eher eine Übertragung dieses Komplexes
nach Afrika denn eine Umwandlung des jä-
gerischen Buschkultcs vorstellen möchte. (Es
fehlen indes alle Spuren des „Mutterrechtes"
bei den Altnigritiern). Auffällig ist allerdings
das Weiterleben jägerischer Züge in der alt-
nigritischcn Kultur, in allen Regionen ihrer
Verbreitung.
Die Ansicht von Dittmer, die Genesis der
altnigritischen Kultur in das zentrale West-
afrika zu legen, deckt sich mit den Ergebnis-
sen der Forschungen anderer. Murdock (Af-
rica, 1959, S. 64 f.) verlegt — ohne jedoch
prähistorische Belege anzugeben — die Ent-
stehung des afrikanischen Getreidebauerntum
in den Westen zu den ’’Nuclear Mande“. Er
denkt allerdings an eine originäre Erfindung
der Pflanzennutzung in Afrika. (Vgl. indes
die Kritik von Baker, ’’Comments“ etc.,
Journ. of Afric. History III, 1962, der an
einen von Osten kommenden Feldbau denkt.)
Auch der anthropologische Befund — Ent-
stehung der Negerrasse im Westen — unter-
stützt die von Dittmer vorgetragene kultur-
geschichtliche Entwicklung (Kurth, „War Af-
rika immer ein überwiegend schwarzer Erd-
teil“, Umschau 23/60). Auf jeden Fall muß
sich diese Kultur von einem Entstehungs-
zentrum quer durch den gesamten Sudan aus-
gebreitet haben — anders wären die kultu-
rellen Übereinstimmungen aller Mitglieder
der altnigritischen Schicht in Ost und West
nicht erklärbar. Daß dieser Prozeß aber
schon vor sehr langer Zeit eingesetzt haben
muß, dafür spricht die verhältnismäßig star-
ke sprachliche Aufsplitterung der Altnigritier
gegenüber den wenigen großen Sprachfami-
lien Afrikas. Greenberg zählt immerhin 6
(ursprünglich waren es in seiner Einteilung
noch mehr) isolierte Sprachen auf, die alle im
nigritischen Gürtel beheimatet sind (Green-
berg, Studies in Afric. Linguist. Class VIII,
Southw. Journ. of Anthr. 10, 1954, S. 408 f.).
Gegenüber dem noch ganz im altertümli-
chen Pflanzertum verhafteten Erdherrn er-
scheinen die Häuptlinge (peo) der Gurunsi
als Fremdkörper und typische Vertreter des
sakralen Königtums, wenn auch der geringe
äußere Umfang ihrer Machtbereiche und die
autonome Stellung von Familie und Klan der
Autochthonen ihre Funktionen, ihre Insig-
nien und ihr Ritual in bescheidenem Rahmen
hielt. Ist der Erdherr ungeachtet seiner zahl-
reichen politischen Funktionen im Grunde
doch ein Opferpriester, dessen Amt, nicht
Person von Wichtigkeit ist, so begegnet uns
Im peo der irdische Repräsentant der kosmi-
schen Mächte, dessen persönliche Qualitäten
Glück oder Unglück seiner Untertanen be-
deuten. „. . . Dürre, Mißernten, Seuchen, Un-
fruchtbarkeit von Frauen und Vieh, unglück-
licher Verlauf von Kriegen, Schäden durch
wilde Tiere werden ihm [dem Häuptling]
zur Last gelegt“ (S. 53). Ebenso ist es wich-
tig, daß seine Ehe kinderreich ist. Auch sonst
210
Buchbesprechungen
fehlen die für das Königtum typischen Ele-
mente nicht: die enge Verbindung des Häupt-
lings mit den Königstieren (Fehden und Ele-
fanten), sein Vorrecht, rotfarbige Gewänder
und Schuhe zu tragen, seine Existenz als
segenbringender faineant, die Wahl des peo
durch ein Wahlkollegium auf Grund von
Wunderzeichen, die oft seine charismatischen
Qualitäten offenbaren müssen, das geheime
Begräbnis und die Geheimhaltung des Häupt-
lingstodes, das Interregnum (rituelle Anar-
chie) nach seinem Tode, die Nachfolge der
Häuptlingsfrauen und des Gefolges ins Grab,
hier allerdings nicht als Menschenopfer, son-
dern in der abgeschwächten Form des magi-
schen Nachsterbens.
Häuptlingstum und Herrscherkraft sind
untrennbar mit dem kwara genannten Gegen-
stand verbunden, der als heiligstes Symbol
gilt. Hier offenbart sich die große Altertüm-
lichkeit des Häuptlingstums der Gurunsi und
seine Durchdringung mit älteren Vorstellun-
gen (die Dittmer sogar als jägerisch bezeich-
net). Das kwara besteht meist aus einem Tier-
horn, das außer mit anderen magischen Sub-
stanzen mit der Erde des heiligen Platzes
gefüllt ist, von dem sich die Häuptlings-
dynastie ableitet. Ähnlich dem Armring an-
derer afrikanischer Könige gilt auch das
kwara als mit Herrscherkraft „geladen“.
Ohne kwara kann niemand regieren, und
wenn früher im Kriege das kwara erobert
wurde, so hörte aller Widerstand auf. Diese
Identifizierung von Herrschertum und kwara
ging so weit, daß die Häuptlingskandidaten
förmlich um das kwara anhielten und es
nach der Nominierung des neuen Häuptlings
hieß, daß „das kwara den N. N. heiraten
wolle“. Dittmer weist nach, daß dieses Macht-
symbol ebenso wie das sakrale Häuptlings-
tum nicht — wie gelegentlich angenommen —
erst mit den Mossi zu den Gurunsi gekom-
men ist, sondern einer älteren Welle zuzu-
schreiben ist.
Das kulturhistorische Alter dieser Königs-
typen behandelt das fünfte und letzte Kapi-
tel, das in gekürzter Form die gleichen Ge-
danken wiedergibt, wie ein vorhergehender
Aufsatz (Tribus 9): Der sakrale Häuptling
„stellt zwar einen Fremdkörper in der alt-
nigritischen Kultur dar, doch ist sein Amt
bereits so von der Mentalität der Altnigritier
durchdrungen und so stark in ihre Sozial-
ordnung und Kult eingeschmolzen, daß dieses
sakrale Häuptlingtum auf ein hohes Alter
bei den Gurunsi zurückblicken muß“ (S. 143).
Der Autor glaubt nicht an ein einheitliches
afrikanisches Königtum, sondern spricht die
Vermutung aus, daß mediterrane und vorder-
asiatische Kulturelemente sowohl vom Mittel-
meer als auch auf der sudanischen Wander-
straße von Ost nach West und umgekehrt
eingeschleppt wurden, was ihre Analyse außer-
ordentlich erschwere. Im Gegensatz dazu
schreibt der Autor das von ihm als B-Typus
bezcichnete jüngere („jungsudanische“) Kö-
nigtum (im Reich der Mossi z. B.) einer
Einwanderungswelle zu, nämlich einer Gruppe
durch die Mohammedaner aus Ägypten ver-
triebener sassanidischer Perser. Als Beweise
dieser Ansicht werden bestimmte Elemente
der materiellen Kultur angeführt wie der
Hörner-Helm, der rote Staatsmantcl, der
Sonnenschirm, der Kettenpanzer und aus
dem geistigen Bereich die bekannte „Kisra“-
Legende. Dagegen möchte der Rezensent ein-
wenden, daß gerade das Hin und Her
außerafrikanischer Einflüsse bei der jünge-
ren Schicht des Königtums viel deutlicher zu
greifen ist, als bei der älteren Phase (vgl.
dazu z. B. Monneret de Villard, Storia dclla
Nubia Cristiana, 1938, vor allem über die
Zaghawa-Expansion — mögliche südarabische
Einflüsse! — S. 195 f. und über die von ihm
einer anderen Schicht zugeschriebenen Herr-
schaftsinsignien — S. 183 f.). Wäre wirklich
ein gradliniger Stoß durch den Sudan bis ins
Mossi-Rcich gedrungen, so sollte man mehr
persische Elemente als die zitierten erwarten,
die noch dazu ganz allgemein orientalisch
sind. Man unterschätze auch nicht den durch
die Jahrhunderte immer stärker werdenden,
mit dem Handel eindringenden arabisch-
islamischen Einfluß im Sudan. Die Ketten-
panzer wurden z. Z. von Barth in Bornu
und in den Fulbe-Staaten aus Kairo impor-
tiert. Auch bei der Kisra-Legende ist cs nicht
sicher, daß Kisra = Khosroe Ist! Sölken
(Innerafrikanischc Wege nach Benin, Anthro-
pos 49, 1954, S. 901, Anm. 366, vgl. auch
S. 913) hat mit einer großen Zahl von Be-
legen einen ganz anderen Zusammenhang des
Wortes Kisra, nämlich mit der Garamanten-
Region, aufgezeigt. Daß auch das Königtum
der Mossi ältere Wurzeln hat, als die sassani-
dische Invasion — die als zusätzliche Beein-
flussungsmöglichkeit gar nicht ausgeschlossen
werden soll —, darauf deutet ein von Dittmer
als historisches Ereignis wiedergegebener Bc-
Buchbesprechungen
rieht, der als Beispiel für die Grausamkeit
der Mossi-Königsschicht angeführt wird:
„Eines Tages stritten sich einige am Wege
sitzende Mossi-Männer darüber, ob eine des
Weges kommende Nuna-Frau mit einem
Knaben oder Mädchen niederkommen würde.
Zur Entscheidung der Streitfrage ergriffen
sie die Hochschwangere und schnitten ihr den
Leib auf!“ (S. 163). Man könnte diesen Be-
richt für eine historische Anekdote halten,
wäre dieses Element nicht häufiger — und
zwar stets im Zusammenhang mit einer Kö-
nigsschicht — in Afrika vertreten. Rohlfs
(Reise durch Nord-Afrika, 2. Hälfte, Erg.-
Heft 34 zu Peterm. Mirt. S. 28, 1872) be-
richtet damit ganz übereinstimmend aus Wa-
dai: „Als zwei seiner [des Königs] Brüder
eines Tages auf der Straße in Uara eine
hochschwangere Frau erblickten, erhob sich
ein Streit zwischen ihnen, ob sie einen Emling
oder Zwilling unter dem Herzen trüge ...
um den Streit sicher und auf der Stelle zu
entscheiden, schlitzten sie ihr den Bauch auf.“
Das gleiche wird in einer mir im Augenblick
nicht geläufigen Quelle von den Ovambo be-
richtet. Also eine institutionalisierte Roheit,
die der Königsfamilie zugestanden wurde?
Die Frage löst sich durch die Angaben von
Baumann, der die Kindertötung als rituelle
Sitte bei Stämmen in Süd-Angola und auch
bei den Jaga nachweist und darauf aufmerk-
sam macht, daß In Kalukembe für den König
aus Föten (abortierte Kinder einer Jungfrau
oder Priesterin) eine Salbe bereitet wurde
(Die Frage der Steinbauten und Steingräber
in Angola, Paideuma VI, 1956, S. 121, 144).
Er zitiert in diesem Zusammenhang Magyar
(Reisen in Südafrika, 1859, S. 316), der den
gleichen Brauch aus Bihe überliefert. Wir
haben also auch bei den Mossi mit dem Fort-
leben uralter Institutionen des Königtums zu
rechnen — wenn uns auch ihre Bedeutung
unverständlich bleibt — die nicht auf jung-
sudanisch-orientalische Impulse zurückzufüh-
ren sind. Aber das sind lediglich am Rande
des Buches verzeichnete Ergänzungen, und
sicher wird die von Kunz Dittmer angekün-
digte Untersuchung über das westsudanische
Königtum mehr über dieses Thema bringen.
Die Bedeutung dieses Buches liegt in der mit
subtilem Einfühlungsvermögen vorgenomme-
nen Unterscheidung von Erdherrn und sakra-
lem Häuptling mit allen ihren Elementen als
den Führungs-Institutionen von zwei ver-
schiedenen Kulturen. Es macht nicht nur ein
besseres Verständnis der Soziologie der alt-
nigritischen Schicht möglich, es stellt auch
eine wichtige Grundlage für alle weiteren
Untersuchungen zur westafrikanischen Kultur-
geschichte und Geschichte dar. Der Rezensent
wiederholt zum Schluß seinen Wunsch, daß
diesem schönen Bande bald weitere Ver-
öffentlichungen folgen möchten, die das übrige
bei den Gurunsi gesammelte Material zu-
gänglich machen.
E. Haberland
Anschriften der Mitarbeiter dieses Bandes
Prof. Dr. T. S. Barthel, Völkerkundliches Institut der Universität, Tübingen, Schloß.
Konsul Prof. Dr. J. Benzing, Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland, P. K.
No. 355, Istanbul-Beyoglu, Türkei.
Dr. K. Dittmer, Hamburgisches Museum für Völkerkunde und Vorgeschichte, Ham-
burg 13, Binderstr. 14.
Dr. H. Fischer, Völkerkundliches Institut der Universität, Tübingen, Schloß.
Dr. E. Haberland, Frankfurt/Main, Frobenius-Institut, Liebigstr. 41.
Prof. Dr. W. Heissig, Orientalisches Seminar der Universität, Bonn, Liebfrauenweg 7.
Prof. Dr. Dr. h. c. S. Hummel, Plohn über Auerbach i. Vogtl. (Sachsen).
Kustos F. Jäger, Linden-Museum, Stuttgart N, Hegelplatz 1.
Prof. Dr. K. Jettmar, Institut für Völkerkunde der Johannes-Gutenberg-Universität,
Mainz, Saarstraße 21.
Prof. Dr. H. E. Kauffmann, München 23, Leopoldstr. 52.
Dr. W. Konrad, Himmelsthür b. Hildesheim, Mühlenweg 6.
Dr. E. Kümmerer, Universitäts-Bibliothek, Tübingen.
Dr. Hertha Kuntze, Staatl. Museum für Völkerkunde, München 22, Maximilianstr. 42.
Dr. F. Kussmaul, Linden-Museum, Stuttgart N, Hegelplatz 1.
Studienrat W. D. Meyer, Stuttgart-Degerloch, Erwin-Bälz-Straße 47 A.
Direktor Dr. H. Rhotert, Linden-Museum, Stuttgart N, Hegelplatz 1.
Dozent Dr. C. A. Schmitz, Museum für Völkerkunde, Basel/Schweiz, Augustinergasse 2.
Dr. R. Schott, Freiburg/Brsg., Horbenerstr. 12.
Prof. Dr. A. Steinmann, Sammlung für Völkerkunde der Universität, Zürich, Stein-
wiesstr. 21.
Dozent Dr. O. Zerries, Staatl. Museum für Völkerkunde, München 22, Maximilian-
straße 42.
Dr. J. Zwernemann, Linden-Museum, Stuttgart N, Hegelplatz 1.
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