TRIBUS
VERÖFFENTLICHUNGEN DES L I N D E N - M U S E U M S
Nr. 18, August 1969
LINDEN - MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
Stuttgart 1969
Herausgeber:
Linden-Museum
Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde Stuttgart e. V.
Die Verfasser der Aufsätze und Buchbesprechungen sind für den Inhalt ihrer Beiträge
allein verantwortlich.
Copyright 1969 by Linden-Museum Stuttgart
Satz und Druck: Druckerei und Verlag Karl Hofmann, Schorndorf bei Stuttgart
Gedruckt auf holzfrei Phönix-Kunstdruckpapier der Papierfabrik Scheufeien GmbH,
Oberlenningen.
Inhaltsübersicht
Bericht über das Linden-Museum...................................................7
Mar schall, WDie Huckepack-Statuette von Dong-so’n..............................15
Fischer, E.: Der Webstuhl bei den liberianischen Dan........................25
Benzing, B.: Bemerkungen zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region ... 35
Cudjoe, Dz.: Ewe Sculpture in the Linden-Museum.............................49
Schüz, E.: Der problematische Ibis der Benin-Bronzen........................73
Hartwig, G. W.: A Historical Perspective of Kerebe Sculpturing — Tanzania 85
Dauer, A. MGedanken über die Monolithen von Zimbabwe......................103
Laade, W.: Namen und Gebrauch einiger Seemuscheln und -Schnecken auf den
Murray Islands, Torres Straits...........................................Ill
Kleinschmidt, A.: Drei Schmuckketten nordamerikanischer Indianer aus zoogenen
Materialien im Linden-Museum.............................................125
Prem, H. JDie Mapa Monclova — eine unveröffentlichte Kopie des Codex
Boturini . '....................................................135
Buchbesprechungen..............................................................139
Anton, F.: Kunst der Maya (B. Spranz) S. 202 — Ben-Amos, P.: Bibliography of
Benin Art (J. Zwernemann) S. 193 — Bernot, L.; Les paysans arakanais du Paki-
stan oriental (H. E. Kauffmann) S. 164 — Bishop, W. W., & Clark, ]. D.: Back-
ground to Evolution in Africa (M. Korfmann) S. 172 — Boas, F.: Kwakiutl
Ethnography (W. Lindig) S. 214 — Bridia Monachi, C. de: Hystoria Tartarorum
(F. Kußmaul) S. 149 — Byers, D. S. (Gen. ed.): The Prehistory of the Tehuacan
Valley, Vols, 1 & 2 (B. Spranz) S. 201 — Campbell, R. G.: Zur Typologie der
Schalenlanghalslaute (W. Laade) S. 224 — Codex Cospi (T. S. Barthel) S. 207 —
Codex Peresianus (T. S. Barthel) S. 206 — Codex Tro-Cortesianus (T. S. Barthel)
S. 204 — Coe, M. D.: The Jaguar’s Children (B. Spranz) S. 203 — Comhaire-
Sylvain, S.: Femmes de Kinshasa hier et aujourd’hui (A. Klingshirn) S. 193 —
Cornevin, R.: Histoire de la colonisation allemande (J. Zwernemann) S. 144 —
Crawford, J. R.: Witchcraft and Sorcery in Rhodesia (J. W. Raum) S. 195 —
Danckert, W.: Tonreich und Symbolzahl in Hochkulturen und der Primitivenwelt
(W. D. Meyer) S. 144 — Dostal, W.: Die Beduinen in Südarabien (R. Walz) S. 152
— Dotson, F. & L.: The Indian Minority of Zambia (L. G. Löffler) S. 197 —
Duerden, D.: African Art (J. Zwernemann) S. 224 — Evans, C. & Meggers,
B. ].: Archeological Investigations on the Rio Napo, Eastern Ecuador (W.
Haberland) S. 211 — Fischer, H.: Negwa (F. Tiesler) S. 219 — FUrer-Haimen-
dorj, C. v.: Morals and Merit (W. Marschall) S. 163 — Gabus, ].: Art nègre
(J. Zwernemann) S. 184 — G jessing, G.: Complementarity, Value and Socio-
Cultural Field (R. Jestel) S. 142 — Hauenstein, A.: Les Hanya (B. Heintze)
S. 194 — Hilbert, P. P.: Archäologische Untersuchungen am mittleren Ama-
zonas (W. Haberland) S. 209 — Hofmann, I.: Die Kulturen des Niltals von
— Fürer-Haimendorf, C. v.: Morals and Merit (W. Marschall) S. 163 — Gabus,
].: Art nègre (J. Zwernemann) S. 184 — Gjessing, G.: Complementarity, Value
and Socio-Cultural Field (R. Jestel) S. 142 — Hauenstein, A.: Les Hanya (B.
Heintze) S. 194 — Hilbert, P. P.: Archäologische Untersuchungen am mittleren
Amazonas (W. Haberland) S. 209 — Hofmann, L: Die Kulturen des Niltals von
Aswan bis Sennar vom Mesolithikum bis zum Ende der christlichen Epoche (M.
Korfmann) S. 174 — Hting Aung, M.: A History of Burma (L. G. Löffler) S. 166
— Jahrbuch für musikalische Volks- und Völkerkunde, Band 4 (W. D. Meyer)
S. 143 — John Stands in Timber & Liberty, M.: Cheyenne Memories (W. Haber-
land) S. 216 — July, R. W.: The Origin of Modern African Thought (H.-J. Gre-
schat) S. 185 — Kalevala. Das Finnische Epos des Elias Lönnrot (K. Jettmar)
S. 145 — Koloss, H.-].: Die Haustierhaltung in Westafrika (W. Hirschberg)
S. 189 — Kunst, ].: Hindu-Javanese Musical Instruments (W. Marschall) S. 170 —
Lavandes, H.: Bekoropoka. Quelques aspects de la vie familiale d’un village mal-
gache (L. Schomerus-Gernböck) S. 171 — Leiris, M., & Delange, JAfrika. Die
Kunst des schwarzen Erdteils (A. Schweeger-Hefel) S. 180 — Levtzion, N.: Muslims
and Chiefs in West Africa (B. Benzing) S. 190 — Liesegang,G. J.: Beiträge zur Ge-
schichte des Reiches der Gaza Nguni im südlichen Moçambique 1820—1895 (B.
Heintze) S. 195 — Mehner, H.: Stand und Formen der Mechanisierung der Land-
wirtschaft in den asiatischen Ländern, Teil 3: Naher und Mittlerer Osten (F. Kuß-
maul) S. 161 — Menzel, B.: Goldgewichte aus Ghana (J. Zwernemann) S. 192 —
Miquel, A.: La géographie humaine du monde musulman jusqu’au milieu du lie
siècle (M. Kellermann) S. 151 — Mooney, ].: The Ghost-Dance Religion and the
Sioux Outbreak of 1890 (W. Haberland) S. 215 — Morris, H. S.: The Indians in
Uganda (I. Rothermund) S. 199 — Muller, W. J.: Die Africanische auf der Gui-
neischen Gold-Gust gelegene Landschafft Fétu (E. Haberland) S. 191 — Nakane,
C. : Garo and Khasi (L. G. Löffler) S. 167 — Nash, M.: Machine Age Maya (R.
Weeber) S. 218 — Pallas, P. S.: Reise durch verschiedene Provinzen des Russischen
Reiches (F. Kußmaul) S. 146 — Powne, M.: Ethiopian Music (W. D. Meyer) S. 200
— Preuss, K. Th.: Nahua-Texte aus San Pedro Jicora in Durango, L Teil (T. S.
Barthel) S. 217 — Rappaport, R. A.: Pigs for the Ancestors (G. Höltker) S. 223
— Rudolph, W.: Der kulturelle Relativismus (L. G. Löffler) S. 139 — Schärer, H.:
Der Totenkult der Ngadju Dajak in Süd-Borneo (W. Stöhr) S. 167 — Spuler, B.:
Geschichte der Mongolen (F. Kußmaul) S. 150 — Stevenson, R. F.: Population
and Political Systems in Tropical Africa (J. Zwernemann) S. 188 — The Evolu-
tion of Society. Selections from Herbert Spencer’s Principles of Sociology (L. G.
Löffler) S. 141 — Trimborn, H.: Indianer von gestern, heute und morgen (K.
Hahn-Hissink) S. 219 — Trimborn, H., & Keim, A.: Francisco de Avila (K.
Hahn-Hissink) S. 213 — Zwernemann, ].: Die Erde in Vorstellungswelt und Kult-
praktiken der sudanischen Völker (E. Haberland) S. 186.
Anschriften der Mitarbeiter dieses Bandes
226
Bericht über das Linden-Museum
Das vergangene Jahr 1968 wurde für das Linden-Museum beherrscht von der Vor-
bereitung und Durchführung des 38. Internationalen Amerikanistenkongresses, den
Oberbürgermeister Dr. Arnulf Klett 1966 auf dem 37. Kongreß in Mar del Plata
(Argentinien) nach Stuttgart eingeladen hatte. Die internationalen Amerikanistenkon-
gresse vereinigen alle zwei Jahre — abwechselnd in der Alten und Neuen Welt — Ge-
lehrte, die sich mit der Völkerkunde, Archäologie, Anthropologie, Soziologie oder
Sprachwissenschaft Amerikas, aber auch seiner Entdeckungs- und Kolonialgeschichte,
sowie der angewandten Völkerkunde und den Akkulturationsphänomenen befassen.
In Deutschland trafen sich die Wissenschaftler das letzte Mal 1930 in Hamburg und
1904 schon einmal in Stuttgart.
Für das Linden-Museum ergaben sich aus der Annahme der Einladung nicht nur
umfängliche organisatorische Aufgaben, sondern auch die Notwendigkeit, seine bedeu-
tenden Amerika-Sammlungen, die in letzter Zeit ganz in die Magazine verbannt
waren, in einer Form neu aufzubauen, die internationalen Ansprüchen gelehrter Kolle-
gen und zugleich den heutigen Wünschen eines breit gestreuten Besucherkreises ent-
sprechen sollte. Hierfür boten sich die drei großen durch Auszug der Pädagogischen
Hochschule nach Ludwigsburg freigewordenen Säle von fast 1000 m2 Ausstellungs-
fläche im 1. Stockwerk an. Erschwert wurde die Arbeit dadurch, daß sich erst im
Frühjahr 1968 herausstellte, daß die schwere Erkrankung des Leiters der Amerika-
Abteilung, Kustos Fritz Jäger, seinen Einsatz während des ganzen Jahres unmöglich
machte. In dieser Notlage sprang Dr. Friedrich Kußmaul, der die Abteilungen Asien
und Südsee betreut und in den ersten Monaten des Jahres noch zwei Säle der Südsee-
Ausstellung aufbauen mußte, in die Bresche und arbeitete sich in ein Gebiet ein, das
ihm bis dahin nur in großen Zügen bekannt sein konnte. Bei der fast unlösbaren Auf-
gabe halfen ihm über mehrere Monate die Tochter des Heidelberger Ordinarius für
Ethnologie, Fräulein Gabriele Jettmar, sowie beratend Herr Hermann Seeger/Stuttgart
und die auswärtigen Kollegen Dr. H. D. Disselhoff/Berlin, Dr. W. Haberland/Ham-
burg und Prof. Dr. O. Zerries/München, während das Hamburger Museum f. Völker-
kunde und Vorgeschichte sowie Herr Dr. Hartmann/St. Gallen Leihgaben zur Ver-
fügung stellten. Trotzdem hätten sich die knappen Termine nicht einhalten lassen ohne
den pausenlosen und freudigen Einsatz des gesamten Museums-Teams, insonderheit
der Präparation, die auch beim Gestalten der Vitrinen helfen mußte, der Foto-Abtei-
lung, der Schreinerei und des Sekretariats, das neben den Kongreßvorbereitungen alle
Ausstellungstexte zu schreiben hatte, die dann fotografisch vergrößert wurden. Bei
allen diesen Vorbereitungen war natürlich unser Hausmeister-Ehepaar ständig und
mehr als je in Anspruch genommen. Wie schon bei früherer Gelegenheit hatten auch
dieses Mal die Herren Pätzold, Hauer und Oppoloni von der Firma Breuninger we-
sentlichen Anteil an der Gestaltung und Farbgebung der Räume und Vitrinen. Für
diese schöne und beglückende Teamarbeit sei allen Helfern herzlich gedankt.
So konnten Ende März der Melanesien-, Anfang Mai der Neu-Irland-Raum und am
14. August im Beisein der Kongreß-Mitglieder die drei Amerika-Säle: Nordamerika
Bericht über das Linden-Museum
mit den Prärie-Indianern, Südamerika und archäologisches Amerika eröffnet wer-
den. Damit zeigt das Linden-Museum zum ersten Mal nach dem Krieg Kulturen dreier
Erdräume: — Afrikas, Amerikas und der Südsee — wieder in Dauerausstellungen, die
hohen ästhetischen Anforderungen genügen und zugleich gute Informationen zu ver-
mitteln vermögen. Lediglich die asiatischen Bestände, die in den letzten Jahren erheb-
lich vermehrt werden konnten, warten noch in den Magazinen auf die Rückgabe
weiteren Ausstellungsraumes. Nur in wechselnden Sonderausstellungen — zuletzt mit
dem Thema: „Form und Farbe in Fernost — Keramik und Lacke“ — können sie bruch-
stückweise vorgeführt werden.
Inzwischen hatte sich der Leiter der Afrika-Abteilung, Herr Dr. Jürgen Zwerne-
mann, der Vorbereitung des Kongresses und seiner Betreuung während der Tagung,
die vom 11.—17. August stattfand und am 18. 8. in München endete, angenommen.
Die entstandenen Kosten wurden durch Zuschüsse des Bundesministeriums für wissen-
schaftliche Forschung, des Kultusministeriums Baden-Württemberg sowie zahlreiche
Spenden der heimischen Wirtschaft gedeckt, wofür an dieser Stelle herzlich gedankt sei.
Es waren rund 500 Gelehrte, überwiegend aus den USA und den südamerikanischen
Staaten, aber auch aus Japan und europäischen Ländern, darunter aus beiden Teilen
Deutschlands, erschienen. Sie wählten Professor Trimborn/Bonn zu ihrem Präsidenten
und Professor Zerries/München zum Generalsekretär. Ihnen wurde Nr. 17 des Jahr-
buches Tribus, das dieses Mal fast ausschließlich amerikanistische Beiträge brachte, und
der in Zusammenarbeit mit der Fachschule für das graphische Gewerbe herausgebrachte
Band: „orbis opera — Kostbarkeiten aus dem Linden-Museum“ sowie ein Ausstel-
lungskatalog des Ledermuseums in Offenbach: „Indianer Nordamerikas 1760—1860
— aus der Sammlung Speyer“ überreicht, wofür die Deutsche Forschungsgemeinschaft
Mittel bereitgestellt hatte.
In den Räumen der Stuttgarter Universität wurden in 18 zum Teil parallel tagenden
Sektionen 276 Referate, 9 Symposien und 2 Round-Table-Konferenzen gehalten. Es
fanden Empfänge der Landesregierung, der Stadt Stuttgart und des Linden-Museums
aus Anlaß der Eröffnung seiner Ausstellungen statt. Da seit dem Beginn des letzten
Krieges die hervorragenden Amerika-Bestände nicht mehr in diesem Umfang und
zugleich in solch ansprechender Form ausgestellt waren, wurde diese Gelegenheit, sich
nach langer Pause in den Sammlungen umsehen zu können, von den fast vollzählig
erschienenen Teilnehmern lebhaft begrüßt. Viele von ihnen kamen auch an den folgen-
den Tagen während des Kongresses und nach seinem Ende zu ausführlichen Besuchen.
Insgesamt wurden die neu aufgebauten Ausstellungen: „Kulturen Afrikas, der Süd-
see und Amerikas“ und die Sonderausstellung „Form und Farbe in Fernost, Keramik
und Lacke“ von 34 900 Personen, darunter viele Schulklassen und Gruppen, die meist
Führungen erhielten, besucht (gegen 26 294, mit Maya-Ausstellung 38 074 im Vor-
jahr).
Zu den regelmäßig vierzehntägig im Winterhalbjahr veranstalteten 13 Freitag-
abendvorträgen und sieben Sonntagsmatineen kamen 5489 Personen, gegen 4686 im
Vorjahr. An die Musikabteilung der Stadtbücherei wurden mehrfach Schallplatten
außereuropäischer Musik ausgeliehen. Die Bibliothek erfreute sich regelmäßiger Benut-
zung durch Studierende, Jugendliche und Erwachsene.
Bericht über das Linden-Museum
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Die wissenschaftlichen Mitarbeiter wurden mehrfach zu Vorträgen eingeladen.
Privatdozent Dr. Zwernemann hielt außerdem Vorlesungen und Übungen an den
Universitäten Tübingen und Stuttgart.
Trotz der starken Beanspruchung infolge des Amerikanistenkongresses gab das
Linden-Museum auch 1968 wieder Leihgaben an Sonderausstellungen nach auswärts,
so an das Museum of Primitive Art in New York, an die „ZÜTIBETA“ nach Zürich,
die Deutsch-Indische Gesellschaft nach Saarbrücken, das Deutsche Museum in München
für eine Ausstellung „Brot für die Welt“, an die Jugendmusikschule Schwenningen und
für die Katalogisierung der orientalischen Handschriften, ein Schwerpunktprogramm
der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Durch den Neuaufbau der Amerika-Sammlungen und die damit verbundene Be-
schaffung von Vitrinen wurde der an sich sehr bescheidene Wirtschaftsplan um ca.
DM 50 000.— überschritten. Anfang 1969 bewilligte die Stadt Stuttgart deshalb eine
Sonderbeihilfe von DM 30 000.—, durch die sich die Verschuldung wesentlich ver-
ringerte.
Die Erwerbstätigkeit war unter solchen Umständen noch eingeschränkter als in den
Vorjahren. Die Bezahlung einer von Herrn K.-H. Krieg an der Elfenbeinküste für das
Museum zusammengetragenen Senufo-Sammlung mußte auf das Jahr 1969 verschoben
werden. Über diese Vorgänge, über einige Sachstiftungen und Tauschaktionen berich-
ten die Abteilungsleiter anschließend.
Sammlungsgeschenke erhielt das Museum von: Ludwig Bretschneider/München,
Prof. Dr. L. Fischer/Unterjesingen bei Tübingen, K.-H. Krieg/Schönaich, Ralf Lüders/
Stuttgart, Klaus Paysan/Stuttgart, Lore Röckle/Ditzingen, Firma Schildknecht/Stutt-
gart, Firma Schoettle/Stuttgart, dem Staatlichen Museum für Naturkunde/Stutt-
gart durch Vermittlung von Herrn Dr. A. Kleinschmidt, Dr. Doris Stone/Costa Rica
und Dr. Thost/Stuttgart. Größere Geldbeträge spendeten: die Badischen Anilin- und
Sodafabriken in Ludwigshafen, Dipl.-Ing. Robert Bosch in Stuttgart, die Firma
Hahn & Kolb in Stuttgart, die Landeszentralbank in Stuttgart, Fabrikant Christian
Trumpf in Weilimdorf und die Wielandwerke in Ulm.
Allen Förderern, auch denen, die hier wegen der großen Zahl nicht namentlich
aufgeführt werden konnten, danken wir aufrichtig für ihre Opferbereitschaft und
Hilfe. Die Firmen, von denen der Schatzmeister des 38. Internationalen Amerika-
nistenkongresses, Stadtrat Dr. Zügel, namhafte Spenden für die Durchführung der
Veranstaltungen erbeten und erhalten hatte, wurden bereits im letzten Tribus-Band
Seite 254 genannt.
Am 1. Mai 1968 starb das langjährige Vorstandsmitglied Oberstudiendirektor i. R.
Dr. Julius Fischer. Das Linden-Museum — Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde
Stuttgart e. V. — verlor durch seinen Heimgang einen langjährigen treuen Freund, der
seit 1951 im Ausschuß tätig war und 1953 einstimmig zum Schriftführer gewählt
wurde. Sein stetes treues Wirken für die Aufgaben und Ziele der Gesellschaft wird
unvergessen bleiben.
In der Mitgliederversammlung vom 28. 6. 1968 wurde an seiner Stelle das bisherige
Ausschußmitglied Prof. Dr. Thomas S. Barthel/Tübingen in den Vorstand und anstelle
des auf eigenen Wunsch aus dem Ausschuß ausscheidenden Prof. Wilhelmy/Tübingen
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Bericht über das Linden-Museum
Stadtrat Dr. W. Zügel in dieses Gremium gewählt, im übrigen Vorstand und Ausschuß
in der alten Zusammensetzung bestätigt.
Ende 1968 wurde dem Linden-Museum von Prof. Fischer/Bollendorf eine umfang-
reiche Ostasien- (überwiegend Japan-) Sammlung angeboren, die die frühere Stiftung
Trumpf in hervorragender Weise ergänzen würde. Durch rasches Handeln des Herrn
Kultusministers Prof. D. Dr. Hahn und von Herrn Ministerialdirigent Wolf Donndorf
konnte ein Abwandern dieser Sammlung in die USA verhindert und ihr Erwerb aus
Lottomitteln als Dauerleihgabe für das Linden-Museum sichergestellt werden. Unter
Hinzunahme einer gleichzeitigen namhaften Geldspende von Herrn Fabrikant Chri-
stian Trumpf/Weilimdorf wurde ein Teil dieser wertvollen Bestände noch 1968 an-
gekauft, während der Rest in zwei weiteren Teilraten 1969 und eventuell 1970 er-
worben werden soll.
Damit ist in Verbindung mit der früheren Stiftung Trumpf ein neuer Schwerpunkt
entstanden, der nach eingehender Bestandsaufnahme zunächst in kleiner Auswahl in
einer Sonderausstellung den Besuchern zugänglich gemacht werden soll. Über Art und
Umfang dieser Sammlung Fischer sowie der Stiftung Trumpf wird voraussichtlich im
nächsten Tribus-Band berichtet werden. Der Dank an das Kultusministerium und an
Herrn Fabrikant Trumpf sei aber heute schon vorweggenommen. H. Rhotert
Abh. 1. Weibliche Figur aus schwarz-braun pati-
niertem Holz. Es dürfte sich um eine Zauberfigur
der mbämbi-Gruppe handeln. Diese Figuren sollen
das Leben und die Gesundheit der Clanmitglieder
beschützen. Kongo (K.), Yaka. Höhe 43 cm.
F 30 772.
Bericht über das Linden-Museum
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Neuzugänge für die Sammlungen
a) Amerika
Das einzige Stück, das im Berichtsjahr für die Amerika-Sammlungen erworben
werden konnte, ist eine Manta aus Costa Rica, die wir der freundlichen Stiftung von
Frau Dr. Doris Stone, Museo Nacional de Costa Rica, verdanken.
i. V. F. Kußmaul
Abb. 2. Porzellanschale der famille noire, email sur bisquit. Farben: schwarz und weiß,
Grüntöne und grau-braun. Am Boden unterglasurblaue Hasenmarke. China, Kang hsi.
Höhe: 9,8 cm. Durchmesser: 19,5 cm. A JO 893 L. Dauerleihgabe des Landes
Baden-Württemberg.
b) Afrika
Das Kernstück der Neuerwerbungen der Afrika-Abteilung ist eine Senufo-Samm-
lung, die von Herrn K.-H. Krieg, Schönaich, für das Linden-Museum in der Elfenbein-
küste zusammengetragen wurde. Die 266 Stücke dieser Sammlung wurden durch 8
weitere, einzeln erworbene und zum Teil gestiftete Senufo-Stücke ergänzt. Die Samm-
lung enthält Gegenstände aus folgenden Bereichen der Kultur: Hausrat, Kleidung,
Zeremonikalkleidung, Schmuck, Handel, Transport, Handwerk, Feldbau, Fischfang,
Waffen, Musik, Religion, Magie und Zeremonialgerät. Darunter befinden sich einige
Objekte aus dem Bereich der religiösen Kunst. Der Ausbau unserer westafrikanischen
Sammlungen ist durch den Erwerb des Senufo-Materials ein erhebliches Stück voran-
gekommen.
Ebenfalls von der Elfenbeinküste (Baule) stammen 20 Tücher, in Plangitechnik
gefärbt, einige als Halbfertigprodukte, die den Färbevorgang in mehreren Phasen
12
Bericht über das Linden-Museum
Abb. 3. Tanzmaskenaufsatz. Tapa über Stäbchengerüst, schwarz, weiß und rot.
Purari-Gebiet. Gesammelt um 1900. Gesamthöhe: 136 cm. S 40 252.
zeigen. Diese Tücher wurden dem Museum gestiftet. Auf dem Tauschwege kamen eine
Maske von den Bambara (Mali), zwei Plastiken von den Ashanti (Ghana) sowie eine
Plastik der Yaka (Kongo) und eine — sehr seltene — Gelbgußplastik von den Teke
(Kongo B.) ins Haus. Einzelne Gebrauchsgegenstände und Waffen aus Kamerun,
Ghana und SW-Afrika wurden für unsere Sammlungen gestiftet.
J. Zwernemann
c) Asien und Südsee
Asien: Ziemlich umfangreich waren auch in diesem Jahre die Erwerbungen der
Asien-Abteilung. Hier konnten aus dem safawidischen Persien eine Rüstung erworben
Bericht über das Linden-Museum
13
werden (Kettenhemd, Helm, Armschiene und Schild), aus Afghanistan 3 Paschtunen-
gewänder, nämlich ein Frauengewand aus dem Lagortal und je eine Knaben- und
Mädchentracht aus Kabul. An thailändischem Material erhielten wir 7 Schattenspiel-
figuren und 6 mittelalterliche Keramiken (teilweise Verwurfstücke) als Geschenk, und
von den Batak ein Baumwolltuch in Ikattechnik. An Tibet-Material erwarben wir
3 Thankas und eine Teeschale mit silbernem Fuß und Deckel. Die Sammlung chinesi-
scher Keramiken konnte durch 29 Objekte ergänzt werden, die eine Zeitspanne von
nahezu 2000 Jahren — Hanzeit bis 18. Jahrhundert — umspannen. Eine Chou-zeit-
liche Bronze, 2 Metallobjekte der Han-Zeit, ein Eisenguß und eine Bronze aus der
Ming-Zeit treten dazu.
Besonders erfreulich ist, daß unsere Japan-Sammlung wesentlich bereichert werden
konnte, die durch die Stiftung Trumpf (1966) mit einem Schlag zum Schwerpunkt ge-
worden war. An Einzelstücken konnten hier 4 Prozellane, dazu ein Priestergewand
aus dem 17. Jahrhundert erworben werden. Vor allem aber gelang es, den ersten Teil
einer großen geschlossenen Privatsammlung mit Hilfe des Landes zu erwerben, einer
Sammlung, die die Stiftung Trumpf vom Material her in glücklichster Weise ergänzt,
und die im Laufe der nächsten Jahre ganz Ins Linden-Museum kommen soll. Dem Kul-
tusministerium des Landes Baden-Württemberg, das uns in dieser Angelegenheit ver-
ständnisvoll und großzügig unterstützte, haben wir indes nicht nur für diese Samm-
lung, sondern auch für die Erwerbung einer schönen famille noire-Schale (Kang hsi-
Zeit) und eines tibetischen Thankas (in Applikationstechnik und mit Stickerei) sehr zu
danken.
Südsee: Dagegen konnten für die Südsee-Abteilung nur wenige Stücke erworben
werden, die freilich zum Teil von hoher Qualität sind oder bedauerliche Lücken
schließen. Aus dem Flußgebiet des Sepik erwarben wir 8 Objekte, darunter eine gute,
alte Korbmaske im Kararau-Stil. Aus dem Gebiet des Sentani-Sees konnten 3 Stücke
erworben werden, von der Südküste West-Irians ebenfalls 3 Objekte, dazu ein Tanz-
maskenaufsatz vom Purari-Gebiet, ein gutes altes Stück. Aus dem übrigen Melanesien
erwarben wir lediglich eine Maske aus Neu-Britannien. Die übrigen Teile Ozeaniens
gingen leer aus. F. Kußmaul
Wolfgang Mar schall
Die Huckepack-Statuette von Dông-so’n1)
„ . . . ein Haltmachen bei Fragmenten wäre größerer Selbst-
betrug als die mißlungenste Rekonstruktion“. E. Buschor
Unter den Bronzeobjekten aus den Gräbern von Dông-so’n, die Victor Goloubew
1929 publizierte, befindet sich eine kleine im cire-perdue-Verfahren hergestellte Statu-
ette. Sie ist knapp 9 cm hoch und stellt zwei Männer dar, von denen einer huckepack auf
dem Rücken des anderen sitzt und Mundorgel spielt2) (Abb. 1). Der tragende Mann
nimmt eine hockende Haltung mit weit vorgebeugtem Oberkörper ein. Er trägt einen
Lendenschurz und eine Kopfbedeckung ähnlich einer Jakobinermütze. In den ausgewei-
teten Ohrläppchen sind große Ohrpflöcke angebracht. Goloubew (1929: 29) möchte in
der Kopfbedeckung das nach oben zusammengefaßte Haar sehen. Dieser Deutung ist
kaum zuzustimmen, da sich einmal am unteren Rand der Kopfbedeckung ein scharfer
Absatz zeigt, wie er kaum durch das Haar gebildet werden könnte, zum anderen das
Haar unter dieser Bedeckung hervorquillt und am Hinterkopf zu einem ringförmigen
Chignon zusammengefaßt ist. Der Mundorgelspieler scheint keine Kopfbedeckung zu
tragen, seine Haartracht gleicht der der tragenden Person. Beide Männer tragen am
rechten Handgelenk einen Armreif. Die Mundorgel erinnert nach Goloubew an die
Dayak-Form dieses Instruments3). Die Gruppe scheint in so lebhafter Bewegung, daß
Goloubew (1929: 29) dazu äußerte: „II s’agit, sans aucun doute, d’une scène observée
sur le vif“. Nach Hinweisen auf mögliche Deutungsansätze schließt Goloubew die Be-
schreibung der Statuette mit der Feststellung: „.. . . pour l’instant il convient de s’arrêter
là et ne pas insister sur l’interprétation d’un document dont le sens restera sans doute
longtemps encore une énigme“.
Indem Goloubew von einer Interpretation der Statuette absah, zeigte er einerseits,
mit welcher Redlichkeit er arbeitete, bewirkte aber andererseits, daß die Huckepack-
Statuette von Dông-so’n für die archäologische Forschung weitgehend ohne Bedeutung
blieb. Der Archäologe ist bei der Darstellung früher Kulturen auf Rekonstruktionen
angewiesen, die er nur durchführen kann, wenn er seine Funde und Befunde gedeutet
hat. Daß diese hermeneutischen Verfahren nicht etwa eine Zutat sind, die man sich
') Prof. Th. Barthel, E. Fischer, A. Feil, B. Ganzer und W. Taute danke ich für Kom-
mentare zu einer ersten Version dieser Arbeit. Meiner Frau danke ich für die An-
fertigung der Zeichnung.
2) Die Statuette wurde zum ersten Mal in Goloubews Bericht abgebildet (Taf. XX).
Von dieser Vorlage stammen die verkleinerten Wiedergaben bei Janse (1947:
Taf. 137). Herrn Prof. Groslier danke ich für das leider ergebnislose Bemühen um
eine neue Abbildungsvorlage.
3) Die Bambusrohre scheinen nach der Abbildung die Kalebasse des Instruments nach
unten zu durchstoßen. Danach gehört es zum Moi-Typ.
16
Wolfgang Mar schall
Abh. 1. Die Huckepack-Statuette von Döng-so’n (nach Golouhew).
nach einer fertiggestellten Ausgrabung leistet, zeigt die einfache Überlegung, wieviel
frühgeschichtliches Material dadurch verloren gegangen sein mag, daß man es als archä-
ologisch relevanten Fund oder Befund gar nicht erkannte. Im allgemeinen wird man bei
der Deutung eines Fundkomplexes von der Deutung einzelner Funde ausgehen und zu
immer mehr umfassenden Deutungen gelangen, wobei eine umfassende Deutung wie-
derum Funktion oder Bedeutung einzelner Funde erhellen kann. Um Deutungen vor-
nehmen zu können, ist vergleichbares Material unerläßlich, wie überhaupt die verglei-
chende „Methode“ unerläßlich ist4).
Was nun zum Vergleich geeignet sei, darüber gingen die Meinungen auseinander.
Der nationalistisch eingestellte Frühgeschichtler Gustaf Kossinna äußerte sich einmal
über die Möglichkeit, ethnographisches Material zur Deutung frühgeschichtlicher Funde
Mitteleuropas heranzuziehen:
„Ich kann vor einer stärkeren Heranziehung der Völkerkunde nur warnen; euro-
päische Kultur und Außereuropa, das sind stets zwei ganz verschiedene Welten gewe-
sen“ (nach Eggers 1959: 239).
4) Vgl. Arber (1960: 33): „Es ist tatsächlich richtig, daß das Denken nicht funktio-
nieren kann, ohne sich auf Ähnlichkeiten zu stützen.“ Arber (1960: 35): „Selbst die
einfachste Beschreibung ist im Grunde ein Vergleichen.“ „In Wirklichkeit ist die
vergleichende Methode unausweichlich. Wenn ihr Wert zuweilen unterschätzt wird,
so hat das seinen Grund in einem möglichen Mißbrauch dieser Methode und nicht in
irgendwelchen ihrer Struktur anhaftenden Fehlern.“
Die Hucke pack-S tat nette von Dong-so’n
17
In derartigen Äußerungen sieht man heute eine willkürliche Einschränkung der
„Zahl der für eine Deutung zur Verfügung stehenden Analogien“ (Narr 1961 :6). Aus-
drücklich wird gefordert, möglichst viele Deutungen durchzuspielen5). Daß für Deutun-
gen auch ethnographische Beobachtungen herangezogen werden, gilt heute als Selbstver-
ständlichkeit und kann nur von demjenigen abgelehnt werden, der sich noch nie Rechen-
schaft über sein eigenes Denken abgelegt hat'’). Viele frühgeschichtliche Geräte Mittel-
europas wären ohne die ethnographische Parallele in ihrer Funktion unbekannt7). Viele
Bestimmungen, die der Archäologe heute ohne Zögern vornimmt, lassen durch die Ge-
läufigkeit, die die zu bestimmenden Objekte für ihn haben, vergessen, daß sie einst als
diese Objekte erst interpretiert werden mußten.
Die Qualität einer Interpretation zeigt sich zumeist in der Gegenüberstellung mit
einer zweiten Interpretation desselben Gegenstandes. „Die bessere und deshalb obsie-
gende Interpretation wird sich dabei stets durch vollständigere Bewältigung des Gegen-
standes sowie durch größere Stimmigkeit der Deutungszusammenhänge auszeichnen“
(Geldsetzer 1967; 99). So konnte sich die Deutung gewisser geschliffener Steinobjekte
als „Donnerkeile“ nur so lange halten, bis durch geeignetes (ethnographisches) Ver-
gleichsmaterial eine Deutung als Beil- oder Dechselklingen sich durchsetzte, die den Ob-
jekten in höherem Maße gerecht wurde*). Mit besserer Kenntnis des zu interpretierenden
Gegenstandes und des zur Interpretation dienenden Materials weichen auch solche Deu-
tungen immer mehr zurück, die mit ideologischer Starrheit Animismus, Mutterrecht o. ä.
als Schlagwort präsentieren. Welche Fehlerquellen im Interpretieren eingeschlossen sein
können, hat kürzlich Heider (1967) gezeigt. Von der Kultur einer Dani-Gesellschaft
isolierte er hypothetisch den Bereich, der einem Archäologen zur Verfügung stünde. Von
5) So äußert sich Trigger (1968: XI;: „ . . . convinced me that the reconstruction of
prehistory is frequently more difficult than one would care to admit and that
prehistorians rarely keep in mind the full range of alternative explanations to which
their data may be susceptible. In a discipline where interpretations are fraught
with uncertainty, it is important to be sophisticated about these alternatives.“
I!) Nicht eindeutig ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme Gordon Childes,
der einerseits ständig Interpretationen nach ethnographischen Ähnlichkeiten vor-
nimmt (etwa 1960: 12—13, 1968: 80), andererseits betont; „Ethnographie parallels
in fact only can afford clues in what direction to look for an explanation in the
archeological record itself.“ (Childe 1956: 49)
') Eine Reihe anschaulicher Beispiele von Funktionsdeutungen frühgeschichtlichen
Materials hat Vogt (1947) gegeben, der auch besonders auf Schwierigkeiten beim
Deuten hinweist. Interpretationen paläolithischer Kunstwerke nach ethnographi-
schen Parallelen gibt auch Narr (1955).
K) Das bedeutet nicht, daß die weniger gute Interpretation automatisch in Vergessen-
heit gerät, wenn die bessere akzeptiert worden ist. Eingepaßt in Ideologien und
diesen dienend kann sie noch eine beträchtliche Febcnszeit erreichen. Immer wieder
tauchen auch spekulative Interpretationen auf, die schon bestehende Interpretatio-
nen gar nicht berücksichtigen. Ein hohes Alter können schließlich Interpretationen
erreichen, die von Sensationen umgeben werden oder solche angeblich liefern können.
2
18
Wolfgang Mar schall
diesem Bereich ausgehend, interpretierte Heider Bereiche der Kultur in einleuchtender
Weise. Diese Interpretationen gingen an der Wirklichkeit vorbei. Heider verlangte da-
her von den Archäologen umsichtige Verwendung ethnographischen Materials und
warnt vor dem Heraussuchen von „convenient hints for ingenious reconstructions“9).
Daß der Analogie für das Interpretieren frühgeschichtlicher Funde und Befunde
große Bedeutung zukommt, wird m. W. nur von Binford abgelehnt. Er argumentierte
kürzlich:
„that as a scientist one does not justifiably employ analogies to ethnographic observa-
tions for the ’interpretations' of archeological data“ (Binford 1967a: 1).
Statt dessen sollte Analogie verwendet werden,
„to provoke new questions about order in the archeological data und should serve to
prompt more searching investigations rather than being viewed as a means for offering
‘interpretations’ which then serve as the ‘data’ for synthesis“.
Zu dem ersten Zitat ist zu fragen, wer eigentlich zu bestimmen hat, was „justifiable“
ist und was nicht. Im zweiten Zitat scheint sich die Ablehnung mehr gegen die Synthese
aus Analogieinterpretationen als gegen die Interpretationen selbst zu richten. In keinem
Fall scheint jedoch Binford konsequent zu sein, wenn er kurz darauf Beispiele von Ana-
logie-Interpretationen selbst liefert (1967a; 2)10). Geläufig jedenfalls ist die Binfords
Ansicht entgegenstehende Meinung, nach der bei der Interpretation frühgeschichtlichen
Materials die Analogie von besonderer Bedeutung ist11). Sears (1961: 226) nahm Willeys
Vorschlag (1953: 380) auf, nachdem „there are three categories of analogy, and infe-
rence based on the analogies, which can be used in this interpretation. These are:
(1) Analogies drawn from tight historical context, i. e., direct interpretation of a docu-
mented site and culture from historic sources.
(2) Analogies drawn from loose historical context such as interpretations of southeastern
archeology from general southeastern ethnology.
9) Heider (1967: 62). Allerdings sind solche „ingenious reconstructions“ mit Vorliebe
gerade von Ethnologen betrieben worden.
10) Wie eine Verteidigung mutet schließlich Binfords Äußerung an: „We [die Archäolo-
gen] have available today both the techniques and sufficient self-contain-
ment to formulate testable hypotheses to explain archeological observations.“
(1967b: 235) Sperrung von mir.
n) Vgl. Chang (1967; 229): „Analogy is the principal theoretical apparatus by which
an archeologist benefits from ethnological knowledge.“ Trigger (1968: 4): „The
basic method of interpreting the archeological evidence, then, must be by analogy
with existing cultures or known historical situations.“ Bei Schiller, der in Vertretung
eines mechanistisch-einlinigen Evolutionismus in seiner Antrittsvorlesung (1789)
darauf verweist, wie man sich aus Kenntnis der „rohen Völkerstämme“ „den ver-
lorenen Anfang unseres Geschlechts“ wieder Herstellen könne, findet sich folgender
Hinweis auf die Verwendung der Analogie: „Die Methode, nach der Analogie zu
schließen, ist, wie überall, so auch in der Geschichte, ein mächtiges Hilfsmittel: aber
sie muß durch einen erheblichen Zweck gerechtfertigt und mit ebensoviel Vorsicht
als Beurteilung in Ausübung gebracht werden.“ (Schiller 1966: 12, 21—22)
Die Huckepack-Statuette von Dóng-so’n
19
(3) Analogies drawn from general comparative data; human-wide analogies, e. g.
a sharply pointed stone is a spear point“.
Ausführlicher als in den meisten anderen Beispielen, die zu liefern sind, wird hier
von Analogie gesprochen, werden „categories of analogy“ aufgestellt, ohne deutlich zu
machen, was unter Analogie zu verstehen sei. Tatsächlich ist der Ausdruck „Analogie“ „in
jedem nur denkbaren Sinn benutzt worden“ (Arber 1960: 36). Weitgehend scheint aller-
dings Übereinkunft zu bestehen, daß unter Analogie eine Ähnlichkeit in den Beziehun-
gen (Verhältnissen, Proportionen) zu verstehen sei12). Ein Argument aus Analogie fol-
gert aus der Ähnlichkeit zweier Erscheinungen in dargelegten Beziehungen (in Bezie-
hung stehenden Eigenschaften) die Ähnlichkeit auch in weiteren Beziehungen (in Be-
ziehung stehenden Eigenschaften13). Analogie läßt sich allerdings nicht in „categories“
einteilen, wie Sears es tut, da die Unterschiede nicht in der Analogie liegen, sondern in
den unterschiedlich engen historischen Beziehungen zwischen den ähnlichen Erscheinun-
gen.
Kriterien für die Qualität eines Analogie-Arguments sollen an folgendem Beispiel
gezeigt werden:
Ein Pygmäenpfeil besteht aus einer zweiflügeligen Spitze mit Tülle, In die ein Holz-
schaft eingesteckt ist. Quer durch den Holzschaft ist an dessen Ende zur Flugsicherung
ein Blatt gesteckt. Am Pfeilende befindet sich keine Kerbe zur Aufnahme der Bogen-
sehne. Angenommen, es läge aus der mitteleuropäischen Eisenzeit eine zweiflügelige
Eisenspitze vor, die in ihren Maßen der des Pygmäenpfeils gleicht, dann ließe sich nach
Analogie argumentieren, daß in die Tülle dieser Spitze ein Holzschaft mit Beblattung
und ohne Kerbung eingelassen war.
Die Annahme, daß zu der mitteleuropäischen Spitze ein Schaft gehörte, der in ciie
Tülle eingesteckt war, paßt zu Form und Funktion der Tülle. Diese Annahme ist mit gro-
ßer Wahrscheinlichkeit richtig. Die Annahme, daß der (schon angenommene) Schaft des
mitteleuropäischen Objekts kerblos und mit einem Blatt versehen war, trägt den fest-
gestellten Ähnlichkeiten keine Rechnung und ist nur mit sehr geringer Wahrscheinlich-
keit richtig. Aus allen vorhandenen Kombinationen von Kerbungen (und Kerblosig-
keit) und Flugsicherungen (und dem Fehlen solcher Sicherung) ließe sich für die Richtig-
keit dieser Aussage vielleicht ein Wahrscheinlichkeitsgrad angeben.
Dieses Beispiel erlaubt zwei allgemeine Aussagen zur Qualität von Analogie-Inter-
pretationen: Die Wahrscheinlichkeit, daß eine mit dem Analogie-Argument vorgenom-
mene Interpretation richtig ist, wächst in dem Maße, in dem die angenommene Form-
eigenschaft, Funktion oder Bedeutung den festgestellten Übereinstimmungen Rechnung
trägt. Je umfassender die Ähnlichkeiten und je weniger die Analogie-Aussagen, desto
wahrscheinlicher ist die Richtigkeit der letzteren.
12) Erscheinung I hat die in Beziehung stehenden Eigenschaften a-f,
Erscheinung II hat die in Beziehung stehenden Eigenschaften a’-P.
13) I hat die in Beziehung stehenden Eigenschaften a-f,
II hat die in Beziehung stehenden Eigenschaften a’-e’. Gefolgert wird, daß II auch
die Eigenschaft P hat.
20
Wolfgang Mar schall
Für die Interpretation der Huckepack-Statuette von Döng-so’n gehe ich aus von
einem Bericht des Missionars H. Sundermann (1920) über die Maanyan-Dayak des
südöstlichen Borneo. Sundermann beschreibt u. a. Art und Tätigkeit von wadian ge-
nannten Medien, die den Verkehr der Menschen mit den Geistern vermitteln. Will je-
mand wadian werden, so muß er etwa ein Jahr lang eine Lehrzeit durchlaufen. „Ist
diese beendet, so wird er durch einen besonderen Akt itumhang14) in sein Amt einge-
führt und als zünftig erklärt. Entweder wird eine besondere Feier zu diesem Zweck ver-
anstaltet, oder es geschieht bei Gelegenheit einer Opferzeremonie, wo sein Lehrmeister zu
amtieren hat. Der Lehrer nimmt dann seinen Schüler auf den Rücken. Während Trom-
meln und andere Musikinstrumente einen ohrenbetäubenden Lärm machen, tanzt er mit
ihm herum und dreht sich im Kreise solange, bis sein Schüler pisan, das heißt betäubt
ist. Dann legt er ihn wie tot auf eine Matte und man schüttet einen Haufen Reis auf ihn.
Der Lehrmeister setzt seine Tänze und Hersagen von Zaubersprüchen noch eine Zeitlang
fort. Nach einiger Zeit bleibt er stehen und bläst durch die hohle Hand nach dem im
Reis liegenden hin. Dieser erhebt sich dann und ist nun ein fertiger wadian“ (Sunder-
mann 1920: 455). Im alltäglichen Leben, berichtet Sundermann, unterscheiden sich die
wadian weder durch Kleidung noch durch Lebensweise von den gewöhnlichen Leuten.
„Tritt der wadian in Tätigkeit, so legt er zuvor eine Art Amtstracht an. Um die Schul-
tern legt er ein sumhang sahit. Dies besteht aus allerhand Schnüren, auf die Perlen, Tier-
zähne und -klauen nebst sonstigen Dingen in buntem Gemisch gereiht sind. Das Kopf-
tuch wird in einer besonderen Weise gefaltet und umgelegt und um die Hüften ein
eigenartiger Gürtel befestigt. Der übrige Körper bleibt nackt (Sundermann 1920: 454).
Dieser Bericht mutet an wie die Beschreibung der Dong-so’n-Statuette, und es sollen
die Ähnlichkeiten der beschriebenen Weihe und des Objekts zusammengestellt werden.
Dabei erhält der tragende Mann die Bezeichnung A, der getragene die Bezeichnung B.
Döng-so’n-Statuette
Weihe zum wadian
Personen
Position
Aktion
Tracht
Musik
zwei Männer: A und B
B huckepack auf A
A: leicht in der Hocke,
„semble avancer par petits
bonds“ (Goloubew)
B: spielt Mundorgel
A: Schurz oder Gürtel,
konische Kopfbedeckung,
sonst nackt.
Ohrpflöcke, Armreif rechts,
Chignon
B: Schurz?
keine Kopfbedeckung
Ohrpflöcke, Armreif rechts,
Chignon
B: spielt Mundorgel
zwei Männer: A und B
B huckepack auf A
A: tanzt
B: ?
A: „eigenartiger Gürtel
Kopftuch besonders gefaltet,
sonst nackt.
Schulterschmuck.
Haar?
B: besondere Kleidung?
keine Kopfbedeckung
Schmuck und
Haartracht?
„Trommeln und andere Musik-
i instrumente
Die Huckepack-Statuette von Döng-so’n
21
Der Interpretation der Statuette geht die Annahme voraus, daß es sich bei ihr um
die Darstellung eines Ausschnittes einer bestimmten Aktion handelt, die dem Hersteller
der Statuette als Realität oder als Vorstellung geläufig war. Daß eher mit der Darstel-
lung eines Abschnitts aus einem beobachteten Vorgang zu rechnen ist, hatte schon Go-
loubew (s. o.) bemerkt. Nach den festgestellten formalen Ähnlichkeiten wird in Ana-
logie zu der beschriebenen Weihe zum wadian die Huckepack-Statuette als Darstellung
eines Ausschnitts aus der Weihe eines Novizen zu einem religiösen Funktionär, zumin-
dest eines Ausschnitts aus einem Übergangsritus interpretiert. Diese Interpretation
kommt der oben gestellten Forderung nach, den aufgezeigten Ähnlichkeiten Rechnung
zu tragen. Die Darstellung zeigt eine außergewöhnliche Situation, wie sie etwa ein
Übergangsritus ist. Das angenommene Lehrer-Schüler-Verhältnis zeigt sich nicht nur in
den Positionen der teilnehmenden Personen (tragender Lehrer — getragener Schüler
oder tragender religiöser Funktionär — getragener Novize). Die dabei angenommene
soziale Differenzierung wird auch in der Tracht deutlich (Tragender mit besonders ge-
bundenem Kopftuch und besonderem Gürtel — Getragener ohne Gürtel? und ohne Kopf-
tuch). Die vorgelegte Interpretation kommt auch der Forderung nach, bei möglichst
vielen Ähnlichkeiten möglichst wenige Analogie-Aussagen zu machen: bei Ähnlichkei-
ten, die die teilnehmenden Personen, deren Position, Aktion, Tracht und die dazugehö-
rige Musik betreffen, wird eine Annahme über die Bedeutung des Dargestellten vor-
gelegt. Nimmt man diese Interpretation der Darstellung an, läßt sich der reale Hinter-
grund des Dargestellten folgern. Weitere Schritte einer Interpretation werden in zu-
nehmendem Maße unsicher und hier nur notiert, um ihre Fragwürdigkeit zu verdeut-
lichen. Es handelt sich dabei um Annahmen über den sozialen Status und Machtbereich
der religiösen Funktionäre, über eine mögliche enge Verbindung oder Identität von reli-
giösem Funktionär und Bronzegießer, über die auf der Mundorgel gespielte Musik oder
die Funktion der Statuette als Grabbeigabe15).
Ein kurzer Exkurs über die Mundorgel sei hier angefügt. Sundermann hat nicht
mitgeteilt, um welche Musikinstrumente es sich bei der Weihe zum wadian handelt.
Aus anderen Teilen Borneos sind wir jedoch gerade über die soziale Funktion der
Mundorgel gut unterrichtet. So schreibt Williams (1962: 181) über die Bedeutung der
Mundorgel sEmputan bei den Dusun Nord-Borneos: „Thus, the sEmputan can be said
to function in a vital manner in the structure of cultural expectation known and used
by the Dusun; musical forms produced by use of the instrument seem a vital factor in
stabllity in Dusun social life. An additional function of the instrument is in the struct-
ure of ritual behaviour. Acts of a repetitive nature, highly stylized in form and known
generally to have particular meanings, feature the instrument. Such acts are concerned
with personal crises (e. g., birth, death, illness, marriage, etc.) or Community crises
(e. g. famine, epidemics, natural disaster, etc.) occurring regularly in Dusun life“10).
,4) tumhang ,Umfallen1, ,Umschlägen', ,Zusammenstürzen', ,zusammenbrechen' (Karow
u. Hilgers-Hesse 1962: 459).
,5) Zum Beispiel die Vermutung, daß das Grab, in dem die Statuette gefunden wurde,
das Grab eines oder des dargestellten religiösen Funktionärs gewesen sei.
10) Nachgetragen sei aus einer brieflichen Mitteilung (27. Sept. 1968), für die ich Prof.
22
Wolfgang Mar schall
Nach den oben aufgestellten Forderungen für Analogie-Interpretation handelt
es sich, wollte man die Bindung Mundorgel — „personal crises“, „Community crises“
auf die Döng-so’n-Statuette übertragen, um eine Aussage mit mangelnder Evidenz.
Sie wirkt jedoch als Stützung der vorgelegten Interpretation, indem sie ihr nicht
widerspricht.
Analogie-Interpretationen, wie die vorgelegten, sind Wahrscheinlichkeitsaussagen17).
Sie erheben keinen Anspruch darauf, als sichere Aussagen zu gelten. Ihre Qualität
erweisen sie im Vergleich mit anderen Interpretationen und in der Anwendung, wenn
mit ihrer Hilfe die Bedeutung eines größeren Fundzusammenhanges erkannt werden
könnte.
Als Bestätigung der Richtigkeit der Analogie-Interpretation die engen kulturellen
Beziehungen zwischen dem nordöstlichen Hinterindien und Borneo heranzuziehen,
ist ebenso unzulässig wie die Aufstellung von „categories of analogies“, wie sie — in
Abhängigkeit von der historischen Verbindung der zum Vergleich herangezogenen
Erscheinungen — nach Willey (s. o.) existieren sollen. Wenn, wie im vorliegenden Fall,
die engen kulturellen Beziehungen nach den Arbeiten von Hein (1890: 85), Hose und
McDougall (1912, II: 231—242), Goloubew (1929: 35—40) und kürzlich wieder
Heine-Geldern (1966: 191) denkbar gemacht werden konnten, so hat das nur zur Folge,
daß man mit mehr Aufmerksamkeit nach Ähnlichkeiten in Verhältnissen, Analogien,
Innerhalb dieses Bereichs sucht. Aus der zeitlichen oder räumlichen Nähe ergeben sich
jedoch auf keinen Fall verschiedene „categories of analogies“ noch Kriterien für die
Qualität der Analogie-Interpretation.
Scharf zu trennen sind diese Interpretationen besonders von dem Versuch eines
Nachweises historischer Beziehungen. So impliziert die vorgelegte Interpretation der
Döng-so’n-Statuette keinerlei Aussagen über Herkunft oder zeitliche Tiefe der wadian-
Weihe der Maanyan. Der Versuch, zwischen den hier genannten Erscheinungen histori-
sche Beziehungen nachzuweisen, hätte genauso wie der Interpretationsversuch von den
festzustellenden formalen Ähnlichkeiten auszugehen18). Bezieht er für die Statuette
die angenommene Bedeutung der Darstellung mit ein, so ist deutlich zu machen, daß
Th. R. Williams herzlich danke, folgende Passage: „The sEmputan is used in the
rituals which are held to formally recognize the completion of the ,training‘ of
both male and female ritual specialists in Dusun society.“
17) Mit einem logischen Schluß haben sie nichts zu tun. Vgl. dazu etwa Juhos’ Kritik
an Bochenski (1956), der Schlüsse auf Grund einer Proportionalitätsanalogie als
logisch streng gültig nachzuweisen sucht, und Juhos’ Aussage: „ ... , daß der Analo-
gieschluß eine Hypothesenbildung und kein deduktiver Schluß ist“ (1956: 128).
18) Für besonders gefahrenreich halte ich den von Köppers angegebenen fließenden
Übergang von „freier oder analogisierender Parallelisierung“ (Interpretation) zu
„gebundener Parallelisierung“ (Nachweis historischer Beziehung) (Köppers 1953: 1).
Klarer war in dieser Hinsicht Graebner (1911), der deutlich „Interpretation“ von
„Kombination“ trennte (bes. 1911:66—67), wenn auch die Trennung durch die
„Interpretation zweiten Grades“ wieder unscharf wurde. Die Darstellung bei
W. Schmidt (1937: 116—127) entstammt weitgehend Graebners Methode und bringt
keine neuen Ansichten.
Die Hucke packS tatuetle von Dong-so’n
23
der Nachweis unter Verwendung einer Analogie-Interpretation, also einer Wahr-
scheinlichkeitsaussage durchgeführt worden ist.
Für den Nachweis historischer Beziehungen, speziell der Diffusion von Kultur-
erscheinungen, für „Strukturerhellung“ wie auch für Analogie-Interpretationen scheint
sich im übrigen eine noch wenig genutzte Möglichkeit in steigendem Maße als fruchtbar
zu erweisen. Ich meine das Herausarbeiten von in den Erscheinungen erkennbaren
Bauprinzipien, besonders sogenannter „verdeckter Prinzipien“, wie es kürzlich be-
züglich gewisser Kategorienbildungen, Raum- und Bewegungseinheiten im chinesischen
und mesoamerikanischen Denken von Barthel (1968: 83—86), bezüglich musikalischer
Formen Chinas und Südamerikas von Hornbostel (1928) und in anderer Weise vom
Verfasser (1965) vorgenommen wurde. Dieses Verfahren konnte bei der hier vor-
gelegten Interpretation nicht angewendet werden.
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strument. Oceania 32: 178—186.
Eberhard Fischer
Der Webstuhl bei den liberianischen Dan
Auf meiner zweiten Reise nach Liberia (1963), die mir ein Stipendium der Fritz-
Sarasin-Stiftung, Basel, ermöglicht hat, habe ich während meines Aufenthaltes in dem
Dan-Dorf Njor Diaple (Nordost-Liberia, Zoe-geh Häuptlingstum) auch einen Weber
bei der Arbeit beobachten können. Information über die Rolle des Webers, seine ma-
gisch-religiösen Bindungen, Äußerungen über den Verkauf von Ware, über die Bezeich-
nung und (intentionale) Systematisierung von Geweben und einen Abriß der jüngsten
historischen Entwicklung der Weberei bei den westlichen Dan in Liberia habe ich be-
reits (1967) vorgelegt. Es steht noch die Darstellung des Arbeitsgerätes und des Werk-
verfahrens aus. Dies möchte ich mit diesen Mitteilungen nachholen.
Weberei ist zu Beginn der sechziger Jahre im liberianischen Dan-Gebiet selten
geworden. So wurde auch in Njor Diaple zur Zeit meines Aufenthaltes 1960 und 1963
nicht gewoben; wohl aber waren alle befragten Weber spontan bereit, für mich ihren
Webstuhl aufzuschlagen und zu weben. Ich bat den Weber Sa aus der Lüa-no Sippe in
Njor Diaple um Erlaubnis, ihm bei der Arbeit zuschauen zu dürfen. Gegen ein geringes
Entgelt schlug er seinen alten, seit Jahren unbenutzten Webstuhl in seiner Pflanzungs-
siedlung auf. So konnte ich das Scheren und das Einlegen der Kette in das Geschirr
erleben. Nachdem der Weber einige Spannen Stoff gewebt hatte, kaufte ich den Web-
stuhl für das Museum für Völkerkunde in Basel (Objekt Nr. III/16599).
Die folgende Beschreibung gibt meine Beobachtungen wieder. Die Begriffe werden
weitgehend nach Schlomann-Oldenburg, I960- verwendet. Die Darstellung wurde von
Frau Dr. Renee Böser, Museum für Völkerkunde in Basel, und Fräulein Dr. Irmgard
Müller, Gewerbemuseum in Basel, kritisch gelesen.
Das Grundgestell
Vier in die Erde gerammte Stangen bilden die Eckpfosten für das quaderförmige
Stuhlgerüst. An den Schmalseiten sind die Pfosten durch je einen waagrechten Balken
verriegelt, wobei dies an der einen Seite im oberen Drittel der Pfostenhöhe, an der an-
deren Seite im unteren Drittel der Pfostenhöhe geschehen ist. Der tiefer liegende Quer-
riegel ist verdoppelt und dient dem Weber als Sitzbank; über den an der anderen Quer-
seite angebrachten, höher liegenden Querriegcl des Grundgestelles wird die Kette gelegt.
Auch längs sind die Eckpfosten miteinander verbunden. Es sind zwei Balken
schräg von der Sitzbank zum Kettbaum aufsteigend an den Eckpfosten angebunden.
Auf diesem Längsbalken liegt, parallel zur Sitzbank, ein weiterer Balken, der Brust-
baum, in den später die Kette eingehängt wird. Er ist mit Schnüren an den Längsbalken
und an die Sitzbank fixiert und hat zentral zwei Löcher eingebohrt.
Schließlich besitzt das Gestell noch zwei stabilisierende, gekerbte Längsriegel, die
oben auf die Eckpfosten gebunden sind. In die Kerben wird, parallel zum Brustbaum,
ein Stab als Welle für Geschirr und Anschlagkamm gelegt.
Das Grundgestell wird so ko, Stoff Haus, genannt; die einzelnen Stangen werden
als so ko lü, Stoff Haus Holz, bezeichnet. Die Sitzbank heißt so gon, Stoff Sitz; der
26
Eberhard Fischer
Brustbaum-Balken wird ho so wöii, Weben Stoff Stössel (Stange), genannt. All die
anderen Holzteile des Stuhlgerüstes tragen keine Eigenbezeichnungen.
Das Geschirr
Das Geschirr wird von zwei gleichgroßen Schäften mit je 27 cm Schafthöhe ge-
bildet. Die Litzen sind zwischen den durchbrochenen Schaftstäben (etwa zwei cm
breite, 22 cm lange Bambusleisten) verschränkt aufgeschlagen; Ober- und Unterlitzen
bestehen aus z-gezwirnten Palmblattfaser-Schnüren. Sie bilden in der Schaftmitte ein
einfaches Fadenleitauge.
An den Enden der oberen Schaftleisten sind zum Auf- und Niederziehen der
Schäfte dicke s-gezwirnte Baumwollschnüre angeknotet, die nach 15 cm Länge paar-
weise pro Schaft verknüpft und nun doppelt geführt werden.
Diese Schnüre werden an je ein Ende eines gelochten Fellstreifens gebunden. Unter
diesen Fellgurt wird eine Welle geschoben, die auf die gekerbten Längsriegel im Stuhl-
gerüst gelegt wird. — Die beiden Schäfte bewegen sich somit bei Zug zwangsläufig
gegeneinander (vgl. Werkverfahren S. 31).
An die Enden der unteren Schaftleisten sind dicke Stricke aus z-gezwirnten Palm-
faser-Schnüren geknotet. Sie sind etwa in ihrer Mitte verknüpft; von diesem Dreieck
hängt eine lange Schnur herab, an die die Tritte, einfache, etwa meterlange Stäbe, an-
gebunden sind.
Das Geschirr, wie auch die einzelnen Schäfte, bzw. die Litzen heißen krä. Die Tritte
werden als gba, Brücke oder Schlegel (zum Klopfen des Lehmbodens eines Hauses),
bezeichnet.
Nur von einem Weber, von Bendä in Butuo, wurde mir (1963) eine metallene
Wcbrolle, die in einen bogenförmigen hölzernen Halter eingespannt war, gezeigt. Diese
Webrolle wurde mit Hilfe einer Schlaufe an den Welle-Stab in das Stuhlgerüst ge-
hängt. Über die glatte Gelbgußrolle lief dann der Gurt, an dem Geschirr und Anschlag-
kamm angehängt wurden. — Diese Webrolle nennt Bendä krä go, Geschirr Kopf. Der
Weber sagt, man könne das Gerät auch als krä sa lü, Geschirr Holzwall, bezeichnen. Er
kann den Ausdruck jedoch so wenig wie die dritte Bezeichnung für eine Webrolle, näm-
lich krä plü, interpretieren. — Da der Weber Bendä behauptet, daß ihm Gott Xra
diese Webrolle geschenkt habe, scheint mir wahrscheinlich, daß solche Webrollen in
hölzernen Haltern nur von einigen wenigen Dan-Webern verwendet werden. Es kann
sich gut um eine einmalige Einfuhr eines Guro- oder Baule-Gerätes handeln.
Der Anschlagkamm
Vom Blattbund des Anschlagkammes bei einer Länge von 17 cm ist die Unterleiste
aus schwerem Holz geschnitzt und in ihrer Mitte verdickt. Die Oberleiste wird von
dem Abschnitt einer leichten Palmblatt-Rippe gebildet. Zwischen diesen Bundstäben
spannen sich bei einem Kammsprung von ca. 14 cm gleichmäßig 70 Zinken aus sehr
glatten Bambussplissen. Sie sind in den Blattbund eingelassen und werden zusätzlich
an ihren Basen durch je zwei parallel zum Blattbund laufende und an diesem fixierte
Stäbchen gehalten. — Ober- und Unterleiste verbindet an jeder Außenseite (Endsteg)
je ein mit Pandanus-Streifen umwickelter dicker Bambusspliß.
Der Wehstuhl hei den liberianischen Dan
27
Ahh.l. Das Scheren der Kette.
Dieser Anschlagkamm wird an derselben Welle, über die das Geschirr läuft, auf-
gehängt. Hierzu dient eine etwa 20 cm lange Schlaufe von einer Schnur aus z-gezwirn-
ten blauen Baumwollfäden.
Der Anschlagkamm wird na, Tausend, genannt, „weil er aus unzählbar vielen, aus
tausend Zinken besteht“ (Weber Sa in Njor Diaple).
Der Schützen
Die Fadenspule liegt in einem hölzernen, glatt polierten Schiffchen von 27 cm Länge
und etwa 6 cm maximaler Breite. — Das Schiffchen ist spitz-oval. Es ist dünnwandig
ausgehölt. Die Spule dreht sich um einen Palmrippen-Spliß, der als Achse an der
einen Spitze des Schiffchens in eine Mulde eingelegt, an der anderen Spitze in ein Loch
eingedornt ist. Somit sitzt die Spule fest drehbar in dem Schiffchen, kann aber leicht
herausgenommen werden, wenn der Schuß abgelaufen ist. — Von der Spule, die von
einem hohlen Bambus-Abschnitt gebildet wird, an dessen Enden mit Baumwollfäden
umwickelte Rohrscheiben gesetzt sind, spult der Faden tangential durch ein Loch ab,
das genau in der Mitte der Längswand des Schiffchens eingebohrt ist. Merkwürdiger-
weise befindet sich an der anderen Längswand ein weiteres, nicht verwendetes, Loch.
Der Schützen heißt so ho mia, Stoff Weben Löffel; die Spule wird duo ga, Spindel
Knochen, oder je ga, Faden Knochen, genannt.
28
Eberhard Fischer
Das Werkverfahren
Das Scheren der Kette
Die auf einen Stab aufgewickelte Kette wird zwischen drei in die Erde gerammte
Stöcke ausgespannt. Es sollen die geraden von den ungeraden Kettfäden getrennt
werden. Deshalb sind zwei Leitstöcke knapp hintereinander aufgestellt, der Spannstock
jedoch in einer Entfernung, die der gewünschten Kettlänge entspricht. Beim Scheren
hilft dem Weber ein Junge. Der Weber selbst legt den Faden kreuzweise um die Dop-
pelstöcke herum, während der Gehilfe die Kette um den entfernten Spannstock legt.
Um die Kettfäden schneller zu spannen, werden zwei Spulen simultan verwendet.
Gibt der Gehilfe seine Spule dem Weber, so übernimmt er gleichzeitig die andere
Spule, um diese um den Spannstab zu legen. Die Kettfäden liegen auf den Scherstäben
zunächst mit etwa 15 cm Abstand übereinander. Sind etwa 30 Lagen gespannt, so
werden sie zusammengerückt, damit für die nächsten Kettlagen Platz ist. Im ganzen
werden etwa 75 Kettfäden gespannt.
Beim Abnehmen der Kette von den Scherstöcken werden als Kreuzverband zwischen
den geraden und ungeraden Fäden anstelle der beiden Leitstöcke dünne Stäbe gelegt.
Dann wird die ausgestreckte Kette in eine obere und eine untere Lage geteilt. Beide wer-
den miteinander zu einem Strang ver-
dreht, der zu einem lockeren Knäuel
aufgewickelt wird.
Ahh. 2. Die Kette wird beim Scheren um die
Leitstöcke gelegt.
Das Einziehen der Kette in das Geschirr
Der Weber hockt auf einer sauberen
Matte im Schatten unter dem Dachvor-
sprung; vor sich hat er das Geschirr und
die zusammengeknäulte Kette, in die er
inzwischen anstelle der Stäbe einen
Kreuzverband aus Schnüren eingelegt
hat.
Er stellt die beiden Schäfte parallel
hintereinander vor sich auf den Boden
und hält sie mit den Zehen am Boden
fest, während er sic an ihren Aufhänge-
schnüren mit der linken Hand hochzieht.
Mit der gleichen Hand greift er in die
Kette, an der Stelle, wo die äußerste
Schnur des Kreuzverbandes eingelegt ist,
d. h. wo die Kette umkehrt. Hierbei
achtet er, daß die gerade Fadengruppe
auf dem Rücken seines Zeige- und Mit-
telfingers liegt, die ungerade Faden-
gruppe aber unter seinen Fingerballen
zurückläuft. Mit der rechten Hand greift
der Weber den äußersten linken Kett-
Der Webstnhl hei den liberianischen Dan
29
faden, zerreißt ihn und zieht dessen oben auf seinem Finger liegendes Ende in das linke
äußerste Litzenauge des vorderen Schaftes ein, um anschließend das untere Ende des
eben abgerissenen Kettfadens in das äußerste linke Litzenauge des hinteren Schaftes
einzuziehen. Anschließend zieht er die Kettfäden noch ein wenig durch das Geschirr,
legt ihre Enden auf den Boden und beschwert sie mit einem Stock.
h
Ahh. 3. Das Einziehen der Kette in das
Geschirr.
Als nächstes greift der Weber den äußer-
sten rechten Kettfaden, zerreißt Ihn und legt
seine Enden in die äußersten rechten Litzen-
augen der beiden Schäfte. Dann fährt er wie-
der mit dem jetzt außen links liegenden Kett-
faden fort, den er wiederum links in das Ge-
schirr einlegt. So wechselt er ab, bis schließlich
alle Kettfäden in das Geschirr eingezogen
sind. Einige der mittleren Litzenaugen des
Geschirrs bleiben frei — wohl weil die Kett-
fäden nicht genau gezählt bzw. auf die Zahl
der Litzenaugen abgestimmt waren.
Das Einstechen der Kette in den Anschlagkamm
Nun dreht der Weber die Schäfte um, so daß die Kettfaden-Enden vor ihn zu
liegen kommen. Er achtet hierbei, daß die Reihenfolge der einzelnen Fäden nicht ge-
stört wird. — Den Anschlagkamm stellt er zwischen die abgespreizten Beine; davor
liegen in einer Reihe die Kettfäden-Enden und die Schäfte. Diesmal fügt der Weber
zuerst die mittleren Kettfäden in die Mitte des Anschlagkammes. Hierbei sticht er mit
Hilfe eines spitzen Stäbchens zwei Kettfäden zwischen die beiden mittleren Zähne des
30
Eberhard Fischer
Kammes. Er nimmt hierzu den Faden, der rechts, und den, der links aus der Mitte des
Geschirrs stammt. Dann sticht er das Kettfaden-Paar, das links der Mitte anschließt
links neben die Zahnmitte und fährt auf dieser Seite fort den Anschlagkamm zu füllen.
Dann erst sticht er die Kettfäden zwischen die Zähne der rechten Kammseite.
Da bei dieser Arbeit die beiden mittleren Fäden zusammengenommen sind, bleiben
rechts und links außen je ein einzelner Kettfaden übrig. Diese werden zu den jeweils
äußersten Kettfaden-Paaren geschlagen und
gestochen.
Abb. 4. Das Einstechen der Kette in
den Anschlagkamm.
mit diesen zwischen die jeweiligen Zähne
Das Einspannen der Kette
in den Web Stuhl
Ist die Kette in Geschirr und An-
schlagkamm gelegt, trägt der Weber bei-
des zu dem Grundgestell und hängt es
an die Welle, die auf dem Stuhlgerüst
liegt. Zunächst spannt er die Kette aus,
läßt sie über den Kettbaum laufen und
beschwert ihr Ende am Boden mit einem
großen Stein.
Anschließend befestigt er die Kette
am Brustbaum. Er teilt hierzu die Kett-
faden-Enden in sechs Stränge, von denen
er die nebeneinanderliegenden Strang-
paare verknotet. Durch die so entste-
henden drei Schlaufen schiebt er ein klei-
nes Stückchen, das seinerseits durch eine
Schnur am doppelt durchbohrten Brust-
baum befestigt wird.
Er streckt noch einmal die Kette;
dann befestigt er die Tritte an den
Schnüren der Schäfte. Der Weber ver-
sucht einen angespitzten Pflock in den
Boden zu schlagen. Der Boden ist jedoch
sehr hart. Da der Weber weiß, daß nur
wenig Stoff gewoben werden muß, ver-
zichtet er auf ein Fixieren der Tritte
durch eine an zwei Pflöcken angelehnte
Welle am Boden.
Das Einträgen des Schusses
Da der Anschlagkamm durch die lang gelagerte und sich kräuselnde Kette nicht
gleitet, werden Kette wie Kamm mit Palmöl angefeuchtet. Durch ein paar vorsichtige
Anschläge mit dem Kamm richtet der Weber die Kettfäden aus. Anschließend versucht
er die Schäfte zu bewegen, was ihm nach einigen vorsichtigen Versuchen auch gelingt.
Jedoch sind zunächst noch einige Kettfäden zu lang. Diese zerreißt der Weber und
knotet sie mit einem symmetrischen Knoten zu richtiger Länge zusammen.
Bevor der Weber den ersten Schuß einträgt, schiebt er in das erste Fach einen Palm-
Der Wehstuhl hei den liberianischen Dan
31
Ahh. 5. Der Webstuhl der liberianischen Dan. Das Einträgen des Schusses.
(Foto 1—5: Verf.)
blatt-Spliß in der Breite der Kette. Einen zweiten Spliß legt er in das Gegenfach. Durch
diese beiden Stöckchen wird der Anfang der Webbahn fixiert und ein fester Anschlag
möglich. Das Schiffchen mit dem Eintrag wird von der linken Webkante mit der
linken Hand, von der rechten mit der rechten Hand eingeführt. Die Schäfte werden
durch gleichmäßig starken Fußdruck auf die Trittstöcke bewegt, wobei der rechte Fuß
ständig auf dem rechten Tritt, der linke ständig auf dem linken aufliegt. Beim Ein-
weben der Kette wird zunächst nach jedem Schuß das Gewobene mit dem Kamm
zusammengedrückt; später schießt das Schiffchen oft mehrmals durch die Fächer, bevor
das Gewobene mit dem Kamm aneinandergeschoben wird.
Der Webstreifen zeigt einfache Leinwandbindung ohne irgendeinen Repseffekt.
Da die Baumwolle schlecht gestreckt und deshalb kraus ist, kreuzen pro cm- des Web-
streifens etwa acht Kettfäden zwölf Einträge.
Soll mit andersfarbigem Garn ein Zierstreifen eingetragen werden, so wird hierfür
ein Eintragstab, also kein zweites Schiffchen, verwendet. Das Schiffchen mit dem wei-
ßen Schuß bleibt auf der Sitzbank neben dem Weber liegen, bis es wieder Verwendung
findet. Ist die ganze farbige Streifenpartie schmal, so läßt der Weber den weißen Faden
des Haupteintrages an der Webkante mitlaufen; ist der farbige Streifen breit, so reißt
er den weißen Eintrag ab und knüpft den neuen an das Ende des Schusses an.
Abends nimmt der Weber Geschirr mit Kette und Eintrag aus dem Grundgestell.
Er rollt es zusammen und trägt es in sein Haus. Dies ist möglich, weil der Brustbaum in
das Grundgestell nur eingehängt und die Kette nur über den Kettbaum gestreckt ist.
32
Eberhard Fischer
a b
Abb. 6. Dan-Gewebe. Schambinden mit mehreren Zipfeln für Kinder. Mehrfarbige
Kette, Leinwandbindung mit teilw. Eintragreps (pro cm'118K X 12E bzw. 26K X 12E).
Farben: dunkelblau, weiß, grau. Kettenstichstickerei, Steppstiche als Naht. Baumwolle
s-gesponnen. Aus Njor Diaple, NO-Liberia, jetzt Museum für Völkerkunde, Basel
(Schweiz), Nr. III/16495, 6 (Foto: H. Weber, M. f. V. Basel).
Bezeichnungen des Werkverfahrens
Das Scheren der Kette wird als je doo, Faden spannen, bezeichnet. Alle hierzu ver-
wendeten Stöcke heißen je doo lü, Faden spannen Holz.
Die Kette nennt man je kpo, Faden Knäuel, wohingegen der Schuß einfach als je,
Faden, bezeichnet wird.
Das Einlegen der Kette in das Geschirr heißt so da krä sü, Stoff legen Geschirr
darin. Das Spannen der Kette in das Stuhlgerüst nennt man so kpo po sü, Stoff Gerät
hineinspannen.
Weben, das heißt das Einträgen des Schusses, wird mit dem Begriff bo, Weben,
Flechten, bezeichnet.
Zusammenfassung und Vergleich
Die westlichen Dan in Liberia verwenden (1963) einen waagrechten Trittwebstuhl
in langem quaderförmigem Balkengerüst mit festeingebauter Sitzbank, angebundenem
drehbarem Brustbaum, schräg im Stuhl ansteigender und außerhalb zum Erdboden
fallender, am Ende mit einem Stein fixierter Kette. Das Geschirr besteht aus zwei
gleichhohen Litzenschäften mit zentralen Fadenleitaugen aus Palmfaser-Schnüren und
ist wie der grifflose, basisbeschwerte Anschlagkamm beweglich über einer Welle im
Stuhlgerüst aufgehängt. Webrolle und Webrollenhalter fehlen. Zum Einträgen des
Schusses wird ein hölzernes Schiffchen mit tangentialem Auslauf verwendet.
Der Wehstuhl bei den liberianischen Dan
33
Grundsätzlich gesehen wird dieser Webstuhltyp, der zur Gruppe der sogenannten
„westafrikanischen Trittwebstühle“ gehört, bei allen nördlichen und östlichen Mande-fu-
Völkern rezent verwendet — man vergleiche zum Beispiel die Abbildungen und An-
gaben von Heim, 1934: Abb. 36 (Guro?); Donner, 1940: Abb. 35 (N. O. Liberia);
Schwab-Harley, 1947: Taf. 53 (Mano); Naber-Moret, 1910; 122 (Torna); Germann,
1933: 55 (N.-Liberia) und Johnston, 1906: Taf. 400 (W.-Liberia). Der Webstuhl
kommt jedoch auch bei den Baule vor — s. Himmelheber, 1960; Abb. 8. Dieser spezielle
Webstuhltyp unterscheidet sich jedoch von den zum Beispiel von den Akan-Stämmen
verwendeten hohen quaderförmigen Trittwebstühlen mit frei beweglichem Schemel,
häufig mit einem zusätzlichen kleinen Griff-Litzenstab und waagrecht liegender Kette
(vgl. z. B. Ling-Roth, 19503: 54). Bei den südwestlichen Mande in Liberia und in der
Sierra Leone erscheint nun ein anderer Webstuhltyp: die tripoide Form des Trittweb-
stuhles, bei dem das Geschirr an der Spitze eines Balkendreifußes aufgehängt ist, der
Anschlagkamm frei in der Kette liegt, häufig an seiner Oberkante einen Griff aufweist
und zum Einträgen des Schusses in der Regel nur ein einfacher Spulenstab verwendet
wird. Der Weber sitzt beim Werken schräg seitlich zum Webstuhl auf einem Schemel,
da das Gewebe ausgestreckt bleibt beziehungsweise erst in einiger Entfernung vom
Geschirr aufgerollt wird. Man vergleiche hierzu zum Beispiel die Angaben von
Büttikofer, 1890; 282 (Vai); Alldridge, 1910: 58 (Mende, Sierra Leone); Ling-Roth,
19503: Abb. HO (Mende, Sierra Leone); Johnston, 1906; Taf. 401 (Mende, Liberia),
und Fischer, 1965: Abb. 3 (Bandi. Liberia).
Erwähnt werden muß, daß Abweichungen von diesen Typen bekanntgeworden sind.
So sitzt zum Beispiel ein Weber aus Sierra Leone bei quaderförmigem Trittwebstuhl
seitlich zur Kette auf einem Schemel (Allridge, 1901:99), gibt es bei den Mende in
Liberia auch Trittwebstühle, die an vierfüßigen Pyramidengerüsten aufgehängt sind
(Schwab-Harley, 1947: Taf. 52).
Daß die Webstühle der nördlichen Mande und die der Akan-Gruppe im Prinzip
gleich gebaut und nur einige, fast nebensächliche Unterschiede aufweisen, hat diese
Gegenüberstellung gezeigt. Inwieweit sie und die Webstühle zum Beispiel der nord-
sudanischen Gruppen, insbesondere auch der Haussa, zusammengehören, müssen
detaillierte Einzeluntersuchungen zeigen. Jedoch möchte ich noch einige Gedanken zur
Frage der gegenseitigen Abhängigkeit der Trittwebstühle in quaderförmigem und
in tripoidem Balkengerüst äußern. Für eine grundsätzliche Diskussion reicht m. E. das
publizierte Material nicht aus. Es wird angenommen, daß der tripoide Trittwebstuhl
eine „primitivere Form“ (Germann, 1933: 56) beziehungsweise „weniger entwickelt“
(Schwab-Harley, 1947: 127) oder „degeneriert“ (Ling-Roth, 19503: 60) sei. Diesen
wertenden Urteilen stimme ich nicht zu. Der tripoide Typ des Trittwebstuhles ist tech-
nisch wohl vereinfacht, insofern das schwerfällige Stuhlgerüst durch einen leicht zu-
sammenklappbaren, das heißt beweglichen, aber weniger stabilen Dreifuß ersetzt ist.
Auch ist möglich, daß der tripoide Typ quantitativ weniger leistungsstark ist als der
stabile Quadertyp, da ein seitlich zur Kette sitzender Weber mit mehr Kraftaufwand
Anschlag, Geschirr und Eintrag bedienen muß, und die Tritte nur mit einem Fuß
bewegt werden (Ling-Roth, 19503: 60; Fischer, 1965: Abb. 3), wohingegen der Weber
im quaderförmigen Webstuhl die Füße auf die Tritte stellen und alternierend treten
kann. Erstaunlich ist die Feststellung, daß auf den tripoiden Trittwebstühlen generell
3
34
Eberhard Fischer
„wesentlich feinere Webereien“ (Germann, 1933: 56), breitere Webbahnen (Alldridge,
1910: Abb. 58) und reichere brochierte und lancierte Muster (Easmon, 1924; Fischer,
1965: 92 f), als auf quaderförmigen Webstühlen durch Nachbarvölker gewoben wer-
den. Die nördlichen Mande Liberias (so die Dan, Mano, Toma) haben — das sei betont
— erst rezent die Weberei von ihren nördlichen Nachbarn übernommen und wahr-
scheinlich in der kurzen Zeit nur wenig Verständnis für ornamentierte Textilien ent-
wickelt. Auf quaderförmigen Trittwebstühlen werden zum Beispiel im Norden der
Elfenbeinküste sehr reich brochierte Stoffe — auch Ikatgewebe — hergestellt. Ich
möchte somit als vorläufige Hypothese zu bedenken geben, daß der tripoide Web-
stuhltyp eine relativ früh modifizierte Form des westafrikanischen Trittwebstuhls
darstellt, die bei einer berufsmäßigen Spezialisierung auf kunsthandwerkliche Produk-
tion und einer — bei der Vielzahl kleiner Hofhaltungen — wünschenswerten Mobilität
der Werkleute entwickelt wurde. Diese Änderung muß wertungsfrei als Adaptation
gesehen werden (und nicht etwa als Verarmung oder Degeneration). So kann bei
häufigem Wechsel farbiger Einträge auf ein starres Schiffchen verzichtet werden, bei
häufigen Brochuren verlagert sich das Gewicht vom zügigen Flachweben zum lang-
samen kunstvollen „Musterflechten“, wenn nicht weitere Litzenschäfte eingesetzt wer-
den, so daß der Weber nicht mehr unbedingt parallel zum Brustbaum sitzen muß. Das
dreifüßige Stuhlgerüst hinwieder macht eine freie Standort-Wahl möglich. Der Web-
stuhl kann ohne besonderen Aufwand an irgendeinem Ort aufgeschlagen werden.
Literatur
Alldridge, T. ]., 1901 : The Sherbro and its Hinterland, London.
ders., 1910; A transformed Colony, Sierra Leone, London.
Büttikojer, /., 1890: Reisebilder aus Liberia, Bd. 2, Leiden.
Donner, E., 1940; Kunst und Handwerk in NO-Liberia, Baessler-Archlv 23; 45—112.
Easmon, M. C., 1924: Sierra Leone Country Cloths, London.
Eherl-Elher, R., 1936: West-Afrikas letztes Rätsel, Salzburg.
Fischer, E., 1965: Aufzeichnungen über einen Weber der Bandi, Baessler-Archiv N. F.
13: 83—101.
ders., 1967: Der Wandel ökonomischer Rollen bei den westlichen Dan, Studien zur
Kulturkunde, 21, Wiesbaden.
Germann, P., 1933: Die Völkerstämme im Norden von Liberia, Leipzig.
Heim, A., 1934: Negro Sahara, Bern.
Himmelheber, H., 1960: Negerkunst und Negerkünstler, Braunschweig.
Holas, B., 1952: Mission dans l’Est Libérien, Mémoires de l’Ifan 14, Dakar.
Johnston, Sir H. H., 1906: Liberia, Bd. 2, London.
Ling-Roth, H., 1950:!; Studies in primitive Looms, Halifax.
Naber, S. P. L’H. und Moret, J. J., 1910: Op expeditie met de franschen, Den Haag.
Schlomann-Oldenbourg, I9602: Weberei und Gewebe, Illustrierte technische Wörter-
bücher, 16, München.
Schwab, G. und Harley, G. W., 1947: Tribes of the Liberian Hinterland, Papers of the
Peabody Museum 31, Cambridge Mass.
Brigitta Benzing
Bemerkungen zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region
Bei gründlicher ethnographischer Erforschung von Kulturen, die heute noch Objekte
der Ethnologie darstellcn, führt uns unser Streben nach Inventarisierung der materiell
erfaßbaren Kulturäußerungen häufig an zunächst unscheinbaren Gegenständen auf
wichtige Probleme. So ergeht es uns auch bei der Beschäftigung mit den Sprechpfeifen,
die, wie aus vielen Einzelangaben aus der Literatur hervorgeht, sehr weit über den
afrikanischen Kontinent verbreitet sind. Doch diese Angaben sind zu sporadisch, um
uns zur Zeit schon eine exakte räumliche Verbreitungsabgrenzung der Sprechpfeifen
vornehmen zu lassen. Eines der Elauptverbreitungsgebiete ist zweifellos die Volta-
Region (im Baumannschen Sinn); daneben scheint das Gebiet der Pende (Kongo), wie
aus dem Werk von Sousberghe (1958) hervorgeht, ein weiteres bedeutendes Verbrei-
tungszentrum darzustellen. Sprechpfeifen sind uns ebenfalls durch Pepper (1950,
p. 553—572) bei den Leie am Tschad belegt. Doch hier sollen uns vor allem die Sprech-
pfeifen aus der Volta-Region interessieren.
Smend ist m. W. der erste, der das Vorkommen von Elolzpfeifen in der Volta-
Region erwähnt und solche Pfeifen abbildet, ohne jedoch darauf hinzuweisen, daß
es sich um Sprechpfeifen handelt. Er schreibt 1908 (p. 89): „Elolzpfeifen finden sich
in Nordosttogo in großer Anzahl . . . Ihre Anfertigung beruht bei allen auf demselben
Prinzip. Das Holz wird zunächst durchbohrt und dann mit Mundloch und eventuell
mit Fingerlöchern versehen. Die Namen sind bei den verschiedenen Stämmen immer ver-
schieden für diese Instrumente . . . Käbure, Losso, Ssola, Tamberma, Ssoruba u. a. m.
haben die Holzpfeifen in Gebrauch.“
Weiterhin finden wir diese Pfeifen 1913 bei Rudolf Fisch (p. 44 u. p. 127) erwähnt,
in der Beschreibung, die sein Gewährsmann vom Takay-Tanz der Dagomba in Nord-
ghana (eigentlich Sg. Ddgbdnd, PI. Ddgbdmbd) gibt; „tepiebra yia“, „wir blasen die
Signalpfeifen“1).
A. W. Cardinal! weiß 1918 (p. 55) von den Konkomba zu berichten: „Whistles
are locally produced and the tunes are, to me, quite all right, but being hopelessly
unmusical, I cannot say If they play tunes or just make noise“.
Erst Leo Frobenius 1923 und R. S. Rattray 1927 (und etwas ausführlicher 1932)
bemerken, daß es sich bei diesen Pfeifen um Sprechpfeifen handelt und erwähnen
ihr Vorkommen, ersterer in überschwänglicher Begeisterung, letzterer in einer knappen
sachlichen Anmerkung. Frobenius (1923, p. 73) berichtet: „Wildstämme in Nordtogo!
Diese trommeln nicht, diese blasen auf kleinen Flöten. Auf der Flöte erzählen sie sich
von Dorf zu Dorf das Neueste. Ich habe Untersuchungen gemacht und gefunden:
Die Leute können auf diese Weise einen jeden mit Namen anrufen, sie können jede Zeit
und Stunde angeben, sie können jeden Gegenstand, jede Pflanze, jedes Tier benennen,
) Richtig muß es in Dagbanne heißen: tdpyebrb Id wia.
36
Brigitta Benzing
Abb. 1. Flöten-Spieler,
Dagomba. Aufnahme: B.
Benzing, Tamale, Januar
1968.
sie können auf ihren Flöten alles so gut ausdrücken wie mit der Sprache. Dies scheint
mir das Merkwürdigste unter allem, was Frau Musika in Afrika vollbracht hat.“
Und Rattray stellt fest: „I have well-authenticated accounts of tribes in the Northern
Territories of the Gold Coast who have a whistling language“2).
Obschon das Vorkommen von Sprechpfeifen in der Volta-Region demnach schon
seit 60 Jahren bekannt ist, ist noch nie der Versuch gemacht worden, eine Typologie
dieser Pfeifen aufzustellcn — was um so mehr verwunderlich ist, als die Pfeifen bei
vielen Völkern dieser Region neben Hockern zu den wenigen Erzeugnissen des Schnitz-
handwerks gehören, die wir besitzen —, noch hat man sich bisher um eine einheitliche
Benennung dieser Pfeifen bemüht. Sie werden von Frobenius und Beart als „Flöten“
resp. „flütes“, von Smend und Labouret, Nicolas, Froelich als „Pfeifen“ resp. „sifflets“,
von Fisch als „Signalpfeifen“ und von Rattray als „talking whistles“ bezeichnet. In An-
lehnung an den angelsächsischen Sprachgebrauch und in Analogie etwa zu „Sprech-
-) Rattray, R. S., 1927, p. 26, Anmerkung 1; ders., 1932, Bd. 1, Abb. 3 gegenüber p. 166;
p. 173.
37
Bemerkungen zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region
Äbh. 2. Flöten-Spieler,
Dagomba. Aufnahme: B.
Benzing, Tamale, Januar
1968.
trommel“, „Sprechhorn“, möchte ich für das Deutsche den Begriff „Sprechpfeife“ Vor-
schlägen für ein Blasinstrument ohne Mundstück, mit beschränkter Anzahl von Ton-
löchern — jedoch mehr als einem —, das zur Wiedergabe von Tonfolgen benutzt wird,
die verbale Aussagen machen.
Wie ich während meines Aufenthaltes bei den Dagomba in Nordghana feststellen
konnte3), wird ein großer Teil aller in Gebrauch befindlichen, von uns als „Musik-
instrumente“ verstandenen Objekte zur Erzeugung von Klang, keineswegs in erster
Linie zum Zwecke des musikalischen Kunstgenusses gespielt, sondern dienen der Wieder-
gabe von sprachlichen Formeln und Phrasen. Das ist nicht verwunderlich bei einer
Kultur, in der Kunstäußerungen und künstlerische Verständigung fast ausschließlich
auf das Mittel der verbalen Kunst beschränkt sind. Die Dagomba4) sind Meister der
3) Dieser Aufenthalt wurde mir durch die Gewährung eines DAAD-Stipendiums zu
Studien zur Geschichte und politischen Organisation der Dagomba in der Zeit von
Dezember 1967 bis Mai 1968 ermöglicht.
4) Genauer: die Angehörigen der Berufsgattung der singenden Trommler.
38
Brigitta Benzing
Abb. 3. S prechpfeifen-
Bläser, Dagomba. Auf-
nahme: B. Benzing, Ta-
male, Januar 1968.
Rezitation von Geschichtschroniken und Epen, kennen aber keine darstellende Kunst,
die über eine einfache Ritz- und Schraffur-Verzierung von Gebrauchsgegenständen
hinausgehen würde5). Wenn wir einen Katalog der von ihnen am meisten verwendeten
„Musikinstrumente“ betrachten, stellen wir fest, daß die Instrumente, die nicht der
Sprache untergeordnet werden, wie: große und kleine Spießlaute (byäghü und
küntüngyi), Musikbogen (gyingyeldij), Klapper- und Rasselinstrumente (z. B. feengd),
große zylindrische Trommel (gungpng)“), entweder zum individuellen Musizieren oder
nur als Begleitung zur „Sprechmusik“ verwendet werden. Bei diesen handelt es sich
um Musikinstrumente in engerem Sinne. Bei den übrigen, wie: große und kleine
Sanduhrtrommel (beide lüngd genannt), Doppelglocke und Schlaghorn (ddwule),
Sprechhorn (bdne), neben den vermutlich von den Ashanti übernommenen Sprechtrom-
meln (Sg. thmpdne, PL thmpdnd), die immer paarweise aufgestellt werden, handelt es
5) Ausnahme bildet die wohl von den ITausa übernommene Technik der Leder-Applique-
Arbeiten.
e) Alle Formen sind im Singular angegeben.
39
Bemerkungen zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region
Ahb. 4. Sprechpfeif en-
Bläser, Dagomha. Auf-
nahme: B. Benzing, Ta-
male, Januar 1968.
sich um „Sprechmusikinstrumente“, die, da sie mit sprachlicher Kommunikationsfähig-
keit ausgestattet sind, nur von Professionellen gespielt werden dürfen, welche durch
ererbtes Recht zur Erlernung der Spieltechnik und durch ausdrückliche Erlaubnis des
zuständigen Herrschers zur Ausübung des Erlernten, zum Spielen solcher Instrumente
befugt sind. Auf eben solche Weise läßt sich unterscheiden zwischen der Rohrflöte
(kdldmhoo), die zum Individuellen Musizieren bestimmt ist7), und der Sprechpfeife
(West-Dagb. wia, PI. wihe, Ost-Dagb. yuwd, PL yühes), die sozusagen die Sprech-
trommel des Mannes aus dem Volke darstellt, und keiner der eben angeführten Voraus-
setzungen zum Gebrauch bedarf, da auf ihr, im Gegensatz zur Sanduhrtrommel, nur
Alltägliches gesprochen wird. Die Differenzierung des Gebrauchs von „Musikinstru-
40
Brigitta Benzing
■■
Ahb. 3. a) Kat.-Nr. 13 701, Holz, Dagomha, 36,3 cm lang, h) Kat.-Nr. 13 703, Holz,
Atakpame, 27,5 cm lang. Aufnahme: Linden-Museum/Didoni.
menten“, zum individuellen Musizieren oder Begleiten einerseits, zum Aufstellen von
sprachlichen Formeln und Phrasen andererseits, bestimmt natürlich auch die Art der
erzeugten „Musik“ — ein Phänomen, das einmal einen musikwissenschaftlichen Ver-
gleich beider vorkommenden Gattungen bei derselben ethnischen Gruppe verdienen
würde.
Die Frage, ob es überhaupt möglich sei, mit Hilfe eines Instrumentes, wie z. B. einer
Pfeife, Aussagen in Sprachen, die eine Tonstruktur haben, zu machen, kann heute
bejaht werden. Ch. Béart (1955, p. 699), der sonst wertvolle Angaben über die uns
interessierenden Sprechpfeifen macht, glaubte sich noch mit Herbert Pepper über
diesen für ihn strittigen Gegenstand auseinandersetzen zu müssen. So schreibt er:
„Penser que les langues africaines sont si musicales qu’elles peuvent être jouées sur un
instrument, qu’il ne s’agit donc plus d’un code, mais de la phrase elle-même, reprise sur
l’instrument comme on jouerait au piano un solo de clarinette, il n y a qu’un pas que
beaucoup ont franchi, même Pepper. Or: Io si la langue précisément est très musicale et
parlée sur un grand nombre de tons, comment imaginer qu’on puisse la „jouer“ sur un
ou deux tambours ou sur un sifflet qui donne tout juste quelques tons; 2° si l’instrument
rendait vraiment la phrase parlée, quiconque connaît la langue connaîtrait en même
temps sa transcription sur l’instrument, or ce n’est jamais le cas, la connaissance du
langage tambouriné est toujours le fait d’une initiation.“
Nun verhält es sich mit den Sprachen der Gur-Gruppe aber nicht so, daß eine solche
Vielzahl von Grundtönen vorhanden wäre und sie sich nicht mittels einer Pfeife mit
wenigen Tönen wiedergeben lassen könnten; vielmehr finden wir in diesen Sprachen
41
Bemerkungen zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region
als Grundtöne nur Tief- und Hochtöne, wobei die Töne beider Tonkategorien sich bei
einem Wort durch die Satzstellung verändern können. Das Instrument wird selbstver-
ständlich nicht dazu verwendet, zur Verständlichmachung eines Satzes nur die genauen
Satztöne wiederzugeben. Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß es bei der Verwen-
dung eines solchen Sprechinstrumentes wie der Pfeife ja nicht nur um die Nutz-
anwendung geht, einem entfernten Zuhörer Mitteilungen zu machen, sondern daß die
Verwendung dieses Sprechinstrumentes auch bei Festen, insbesondere bei Tänzen,
zusätzlich einen ästhetischen Genuß des Spiels voraussetzt. Das wiederum bedeutet, daß
eine Umsetzung und Verarbeitung bei der Transponierung der Töne der Sprache auf
die des Instrumentes vorliegt, die so verständlich und gesetzmäßig ist, daß sie vom
Zuhörer erfaßt werden kann, und doch andererseits so wenig selbstverständlich ist, daß
sie durch künstlerische Verfremdung ästhetische Freude bereiten kann9).
Als kleine Illustration sei ein Wort genannt, das in der Trommelsprache bei den
Dagomba häufig verwendet wird: „bdlam“, mit der Bedeutung: leise, ruhig, langsam,
gemessen10). Es wird von den Trommlern mehrmals hintereinander immer von neuem
geschlagen, wenn ein Häuptling aus seinem Gehöft schreitet oder zu Pferd ausreitet,
da er als sozial hochgestellter und würdevoller Mann sich nur langsam und ohne äußeres
Anzeichen jedweder Emotion zu bewegen hat. Dieses Mahnwort nun (mit den Tönen
tief hoch) wird so geschlagen, daß beim zweiten Ton die Haut der doppelseitig be-
spannten Sanduhrtrommel, wenn der gebogene Trommelstock sie erreicht, noch nicht
mittels der die Trommelhäute verbindenden Riemen gespannt worden ist (um einen
höheren Ton zu erzeugen), sondern erst unter dem Trommelstock durch das Pressen
des linken Armes, der die Trommel hält, gegen den Körper, gespannt wird, was die
Töne eines Wortes hdlam (tief tief-hoch) bewirkt, die das gesprochene Wort gar nicht
trägt. Gerade in diesem Ziehen der letzten Silbe dieses Wortes (das bei der verbalen
Imitation des Trommelspiels von einer wiegenden Kopfbewegung begleitet wird), liegt
in diesem Fall der ästhetische Genuß des getrommelten Wortes. An diesem Beispiel läßt
sich erkennen, daß die Töne der gesprochenen Sprache und der gespielten Sprache kei-
neswegs zusammenfallen müssen, obwohl sich natürlich die Grundton-Schemata decken.
Bei Sprachen mit Tonstruktur vom Typ der Niger-Kongo-Sprachen11) ist grundsätzlich
eine Wiedergabe der Grundtöne mittels eines Instrumentes möglich. „Sprechmusik“
ist aber nicht freie Rede, sondern kodifizierte Sprache. Das Entscheidende ist, daß die
Tonstruktur der Sprache immer Neuschöpfungen von Kodifizierungen ermöglicht, die
lokalspezifisch oder gruppenspezifisch aufgestellt worden sein können, so daß u. U.,
wie Beart meint, eine Initiation die Lernenden aufzuklären haben könnte1-).
9) Leider konnte ich bisher die von mir auf Band aufgenommenen Phrasen der Pfeifen-
Sprache noch nicht analysieren. Es würde ein genauer Vergleich der gesprochenen und
der gespielten Töne anstehen, der nur mit einem Gewährsmann durchgeführt werden
könnte.
*°) Bei Fisch, R., Grammatik der Dagomba-Sprache, Berlin 1912, Wörtersammlung
p. 65: leise etwas tun, balem.
u) Siehe Greenberg, Joseph H., The Languages of Africa, Bloomington 1963, p. 6—41.
12) Zum Inhalt von Pfeif-Aussagen, siehe auch: Labouret, 1931, p. 194—196.
42
Brigitta Benzing
Bevor wir den Versuch machen wollen, eine bescheidene Formtypologie der bisher
in der Literatur abgebildeten und in Museen vorhandenen Sprechpfeifen aufzustellen,
sei noch zur Spieltechnik der Pfeifen bei den Dagomba bemerkt, daß zwar gesagt wird,
die Pfeife würde „geschlürft“, „eingesogen“: „pyrbe“ — worauf mich Pfarrer Hans
Huppenbauer in Basel, ein sehr guter Kenner der Dagomba und des Dagbanne, auf-
merksam machte —, daß damit aber nicht zum Ausdruck gebracht werden soll, die
Pfeife würde durch Einziehen der Luft zum Tönen gebracht, sondern vielmehr nur,
wie mir mein Gewährsmann H. A. Imoru in Tamale mitteilte, daß Luft erst emgesogen
werden müsse, bevor geblasen werden könne.
Nachdem ich schon etliche Angaben über die Sprechpfeifen aus der Volta-Region
gefunden hatte, fielen mir im National Museum in Accra einige der dort ausgestellten
Pfeifen aus dem Kongo auf, die eine überraschende formale Ähnlichkeit mit den
Pfeifen aus der Volta-Region aufwiesen13). Ich fand später diese Ähnlichkeit bestätigt
durch Sousberghes Werk, das die Abbildungen von 85 verschiedenen Exemplaren von
Pfeifen aus dem Kongo (Pende, Kuba, Lulua, Dreieck Lutshima-Kwilu-Lufuku,
Tshokwe Shamalenga, KileVnbe) enthält14). Sousberghe macht den sehr interessanten
Versuch, die heute in Sammlungen befindlichen Pfeifen mit zum größten Teil unbe-
stimmter Provenienz, nach formalen Unterscheidungskriterien bestimmten Herkunftsre-
gionen zuzuordnen. Daneben sind für ihn die formalen Grundtypen, die er zu erkennen
glaubt und von denen sich die mannigfachen Varianten herleiten ließen: 1. der Schlüssel
europäischer Herkunft, 2. die ausgehölte Fruchtschale und 3. der Beinknochen von
erlegtem Wild. Er schließt sich der Ansicht F. Olbrechts’ an, der in den meisten der im
Museum in Tervuren vorhandenen kongolesischen Pfeifen die formale Abwandlung
eines Schlüssels europäischer Herkunft sieht15). Allerdings hält Sousberghe es wegen
des hohen Alters einiger Exemplare für möglich, daß ihr Erscheinen schon auf frühe
Kontakte mit den Portugiesen zurückzuführen sein könnte. Auch Pepper (1950, p. 555),
der, wie schon erwähnt, über die Sprechpfeifen bei den Leie (Mayo-Kebi) berichtet,
bedient sich des Bildes eines Schlüssels: „ ... le tebere, sifflet percé de 3 trous latéraux,
qu’ils utilisent en soufflant comme dans une clé“. Dazu ist nun kritisch zu sagen, daß es
sich bei den meisten der von Sousberghe als Schlüssel charakterisierten Exemplaren ein-
deutig um anthropomorphierte Pfeifen handelt, mit klar erkennbarem Kopf und
Armen, was auch bei den formal stark abstrahierten Pfeifen m. E. nicht zu übersehen ist,
wenn man sie mit den weniger stark abstrahierten vergleicht. Allerdings erscheint bei
einigen Exemplaren tatsächlich ein einseitig angefügter Fortsatz, der sich, faute de
mieux, als Schlüsselbart deuten lassen könnte. Es wäre ja nicht ausgeschlossen, daß bei
einem frühen Kontakt mit den Europäern die Pfeife mit einem in seiner Funktion nicht
erkannten und formal entfernt ähnlichen Schlüssel verglichen worden wäre und möglich,
daß bestimmte Teile, die als Verzierung verstanden worden wären, imitiert worden
sein könnten.
13) Vitrine „Congo“; 10 Elfenbein- und Holzpfeifen zwischen ca. 4—20 cm Länge.
14) Für detailliertere Angaben siehe Sousberghe, 1958, p. 158 f.
,r>) Olbrechts, F. M., Ba-Pende fluitjes en Europese sleutels, ln: Wetenschappelijke
tijdingen Jg. 17, Nr. 3, Gand 1957, p. 206 f.
Bemerkungen zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region
43
Sousberghe macht also parallel die Versuche, die Pfeifen nach formalen Kriterien
regional zuzuordnen und sie evolutionistisch von bestimmten Grundformen herzuleiten.
Zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region zurückkehrend, können wir feststellen, daß
eine regionale Herkunftsbestimmung der verschiedenen vorkommenden Pfeifentypen
bisher in der Literatur noch nicht zu finden ist, und daß die von Henri Labouret für
die Pfeifen der Lobi erstellte evolutionistische Ableitung der Pfeifen allein vom Grund-
typ einer ausgehöhlten Fruchtschale her, unbefriedigend bleibt, da sie der großen Varia-
tionsbreite der sowohl bei den Lobi als auch in der gesamten Volta-Region vorkommen-
den Typen — die von einer langgestreckten Pfeilform bis zu einer gedrungenen Form
mit gebogenen oder rautenförmig ausgestellten Armfortsätzen variieren — nicht ge-
recht wird. Er schreibt: „ . . . on s’est contenté de perforer un fruit desséché, de la dimen-
sion d’une grosse prune, et provenant d’un arbre de la famille des cédrélacées (Konkoiri
en mandingue) ... Ce sifflet aisé à construire donne deux notes et se prête à des modu-
lations variées.
Il a été reproduit en bois, taillé dans un morceau de l’arbre ayant fourni le fruit,
et on y a ajouté une embouchure en relief et une queue. Cette queue a été allongée pour
constituer un manche; en même temps, l’arrondi a disparu et le corps s’est allongé pour
donner naissance à une forme plate et droite, dans laquelle on constate ordinairement
deux trous, quelquefois trois et rarement quatre.
La forme ronde a évolué dans un autre sens et produit le sifflet à deux branches,
commun dans toute la région des Volta. Elle est aussi l’origine de l’instrument massif,
à embouchure symétriquement allongée sur les côtés, que l’on rencontre chez les Lobi et
Birifor du Nord.“ (Labouret, 1931, p. 195, vgl. auch ders., 1923, p. 154.)
Viel eher ist anzunehmen, daß sich bei den verschiedenen Ethnien der Volta-Region
lokalspezifische Präferenzen für eine bestimmte Formgebung der Sprechpfeife heraus-
gebildet haben. Das bisher vorliegende Material erlaubt die Unterscheidung von
11 verschiedenen Formtypen von Sprechpfeifen, wobei die Exemplare der einzelnen
Typen jeweils so geringe formale Varianten aufweisen, daß sie sich insgesamt deutlich
von den anderen Typen abgrenzen lassen; 5 der solchermaßen erstellten Typen lassen
sich mit ziemlicher Sicherheit bestimmten ethnischen Gruppen zuordnen. Dagegen findet
sich bei anderen ethnischen Gruppen eine solche Vielfalt verschiedener Typen neben-
einander, daß eine Entlehnung von Typen der Nachbargruppen angenommen werden
kann. In dem Anhang des Bandes der Mémoires de l’Institut Français d’Afrique Noire,
welcher Grammatik und Glossar der Lyele-Sprache (Kudugu, Obervolta) enthält, sind
5 verschiedene, bei den Lyela vorkommende Pfeifentypen abgebildet, von denen jeder
eine eigene Bezeichnung trägt: 1. nensono, 2. neboné, 3. wi, 4. nehuli, 5. polo (Nicolas,
1953, Abb. 10—14). Davon ist uns als einzige die Bezeichnung „wi“ aus dem Dagbanne
„wi-a“ schon bekannt. Eben diese 5 Typen begegnen uns neben noch 4 weiteren auch
bei den Lobi, wie aus dem Werk von Labouret (1931, planche XXV) hervorgeht. Auch
bei Smend (1908, p. 89) finden sich Abbildungen und Angabe der Benennung von
3 verschiedenen Typen von Tamberma-Pfeifen: 1. yilä oder hilar, 2. tabätata, 3. diyowi,
letzteres möglicherweise identisch mit Dagbanne „yuw-a“. Bedauerlicherweise geht aus
diesen Angaben zur Bezeichnung der einzelnen Typen nicht hervor, ob sich die Bezeich-
nungen auf die Form beziehen oder ob sie eventuell Hinweise auf die Entlehnung des
44
Brigitta Benzing
y\ z 3 4- 5 6 ? 8 9 40
Gegenstandes von einer Nachbargruppe geben könnten, für den auch die fremde
Bezeichnung als Lehnwort bewahrt worden wäre.
Eine ausführliche Beschreibung der 11 hier aufgestellten Typen würde an dieser
Stelle zu weit führen. Stattdessen soll eine Zeichnung den Vergleich der 11 verschiede-
nen Typen, die von den einfachen zu den komplizierteren Formen geordnet sind,
ermöglichen (Abb. 6).
Typus 1:
Typus 2:
Typus 3:
Typus 4:
Typus 5:
Typus 6:
durch Smend (1908, p. 89) für die Tamberma belegt.
wird von den Dagomba verwendet. Ein Exemplar dieses Typs befindet sich
im Linden-Museum, Kat.-Nr. 8994 (siehe Abb. 7 b); zwei weitere Exemplare
dieses Typs befinden sich in der Sammlung des Frobenius-Instituts, Frank-
furt/M., unter den vorläufigen Nummern D6 68 und D7 69. Varianten da-
von finden sich für die Lobi belegt durch Labouret und für die Basari durch
Beart (1955, p. 694).
in der Upper Region von Ghana in Verwendung. Mehrere solche und ähn-
liche Exemplare befinden sich in der Sammlung des Frobenius-Instituts,
Frankfurt/M.
wird von den Nankanse verwendet; charakteristisch ist die in der Mitte der
Rückseite angeschnitzte Hängevorrichtung. 3 Exemplare befinden sich in der
privaten Sammlung von Prof. Dr. E. L. Rapp, Mainz.
durch Smend für die Tamberma belegt (siehe Typus 1); ein ähnliches Exem-
plar von Atakpame befindet sich im Linden-Museum, Kat.-Nr. 13 703
(siehe Abb. 5 b).
durch Froelich in 4 Varianten für die Konkomba belegt10); die beiden
Exemplare des Museums der Basler Mission in Basel (siehe Abb. 8) scheinen
nicht, wie dort angenommen wird, von den Dagomba, sondern von den
Konkomba zu stammen.
10) Froelich, 1954, p. 89, Abb. 112, 119, 120, 121; die Benennung ist nach ihm „le-we-l
oder „lo-we-T(, Stamm we, vgl. Stamm wi- oder yuw- im Dagbanne.
45
Bemerkungen zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region
Ahh. 7. a) Kat.-Nr. 8455, Ton, Namha, Togo, 7,5 cm lang, h) Kat.-Nr. 8994, Holz,
Konkomha (?), 12,5 cm lang. Aufnahme: Linden-Muse um! Didoni.
46
Brigitta Benzing
Abh. 9. Kat.-Nr. 8929, Holz,
Moba, Togo, 17 cm lang. Auf-
nahme: Linden-Museum! Didoni.
Typus 7:
Typus 8:
Typus 9:
Typus 10:
Eine Variante dieses Typs, von den Moba stammend — abgeflacht und mit
rautenförmig stilisierten Rundungen — befindet sich im Linden-Museum,
Kat.-Nr. 8929 (siehe Abb. 9).
sowohl durch Labouret (1931, planche XXV) für die Lobi, als von Nicolas
(1953, Abb. 10—12) für die Lyela belegt. Pfeifen dieses Typs können bei
beiden Gruppen von 2—4 Tonlöcher aufweisen, die symmetrisch angeordnet
sind (bei 3 Tonlöchern, 2 davon als Paar). Eine Variante dieses Typs ist aus-
gestellt im National Museum, Accra, Inv.-Nr. 1771.
2 Exemplare dieses Typs von den Nuna befinden sich in der Sammlung des
Instituts für Völkerkunde, Mainz, Inv.-Nr. 677 und 678. Pfeifen dieser
Art weisen eine asymmetrische Anordnung der Tonlöcher auf.
2 Exemplare, eins von den Nuna, das andere von den Kasena, befinden sich
in der Sammlung des Instituts für Völkerkunde, Mainz, Inv.-Nr. 697 resp.
614 (siehe Typus 8).
1 Exemplar dieses Typs von den Kasena befindet sich in der Sammlung des
Instituts für Völkerkunde, Mainz, Inv.-Nr. 630. Die abgebildete Variante ist
durch Labouret für die Lobi (1931, planche XXV) und durch Nicolas (1953,
Abb. 10—12) für die Lyela belegt, ebenfalls finden wir sie auf einer
Abbildung bei Marc (1909, Abb. 38)17).
17) 2 der 5 abgebildeten Männer tragen eine solche Pfeife als Halsschmuck an einer
Schnur.
Bemerkungen zu den Sprechpfeifen aus der Volta-Region
47
Typus 11: durch Labouret für Lobi und Birifor belegt.
Die Sprechpfeifen der hier aufgestellten Typen werden alle aus Holz gefertigt.
Daneben existieren auch Pfeifen aus Ton, wie das im Linden-Museum vorhandene
Exemplar von den Namba (Togo), Kat.-Nr. 8455, beweist (siehe Abb. 7 a); zwei wei-
tere Exemplare solcher Tonpfeifen befinden sich in der Sammlung des Instituts für
Völkerkunde, Mainz. Ähnliche Tonpfeifen werden erwähnt bei Bëart (1955, p. 691 u.
Abb. 510): „Comme les jeunes filles de l’Antiquité allaient suspendre leurs poupées sur
l’autel de Vénus, les bilakoros (qui ont quelquefois plus de vingt ans en Guinée, car
la circoncision chez les Malinkés ne se pratique qu’à intervalles très espacés) abandon-
nent au bois sacré leurs flûtes d’enfants.“ Auch eine etwas unklare Stelle in Jean Cremers
Werk (1927, p. 141) über die Bobo erwähnt Pfeifen im Zusammenhang mit Initiations-
feiern. Doch diese beiden Bemerkungen dürfen uns nicht zu voreiligen Schlüssen über
die Verwendung von Sprechpfeifen bei der Ausübung bestimmter Kulte verleiten. Zum
Schluß sei dazu nur noch festgestellt, daß in der Volta-Region auch Holzgegenstände in
Verwendung sind, die, obschon sie die Form von Sprechpfeifen haben, keine Bohrung
aufweisen, so daß sie eine andere Funktion haben müssen als Sprechpfeifen: diese
Gegenstände werden paarweise an einer Schnur um den Hals getragen, entweder — was
sich bisher nicht entscheiden läßt — als Schmuck oder als Amulett18). Auch die Sprech-
pfeifen werden üblicherweise an einer um den Hals gelegten Schnur auf der Brust
getragen. Sollte sich eine Verwendung der Sprechpfeifen oder ihrer Imitationen als
Amulette nachweisen lassen, so wäre damit eine Verwendung von Sprechpfeifen im Zu-
sammenhang mit bestimmten Kulten wahrscheinlicher. Auch hier bleibt, wie an vielen
anderen Stellen, eine Wissenslücke zu schließen.
Literatur
Béart, Ch., Contribution à l’étude des langages tambourinés slfflés musicaux, in:
Notes Africaines Nr. 57, Dakar 1953, p. 11 —14.
ders., Jeux et jouets de l’Ouest africain, in: Mémoires de l’IFAN Nr. 42, 2 Bde., Dakar
1955, p. 691,694, 697, 699.
Cardinall, A. W., Some Random Notes on the Customs of the Konkomba, in: Journal
of the African Society 18, 69, London/New York 1918, p. 55.
Cremer, Jean, Les Bobos (La mentalité mystique), Paris 1927, p. 55.
Fisch, Rudolf, Dagbane-Sprachproben, Hamburg 1913, p. 44, p. 127.
Frobenius, Leo, Das sterbende Afrika, München 1923, p. 73.
Froelich, Jean-Claude, La Tribu Konkomba du Nord Togo, in: Mémoires de 1TFAN
Nr. 37, Dakar 1954, p. 89.
Hermann, Eduard, Schallsignalsprachen in Melanesien und Afrika, in: Nachrichten von
der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse,
Göttingen 1943, p. 169—179.
1H) Ein solches, aus zwei gleichen aufgereihten Teilen bestehendes Exemplar befindet sich
im Museum der Basler Mission in Basel.
48
Brigitta Benzing
Labouret, Henri, Langage tambouriné et sifflé, in: Bulletin du Comité d’Études Histo-
riques et Scientifiques de l’Afrique Occidentale Française, Paris 1923, Heft 1,
p. 120—158, bes. p. 153—158.
ders., Les Tribus du Rameau Lobi, Paris 1931, p. 194—196 und Tafeln 8, 23, 25.
Marc, Lucien, Le Pays Mossi, Paris 1909, Bild Nr. 38.
Nicolas, R. P. F., Glossaire Pélé-français, in: Mémoires de 1TFAN Nr. 24, Dakar 1953,
p. 137—139, mit weiteren Literaturangaben und Bildanhang, Abb. 10—14.
Pepper, Herbert, Musique Centre Africaine, in: Afrique Équatoriale Française, Paris
1950, p. 555.
Rattray, R. S., Religion and Art in Ashanti, London 1927, p. 26 Anmerkung 1.
ders., The Tribes of the Ashanti Hinterland, Oxford 1932, Bd. 1, Abb. 3.
Smend, Oberleutnant von, Negermusik und Musikinstrumente in Togo, in: Globus Bd.
93, Braunschweig 1908, p. 89.
Sousberghe, R. P. Léon de, L’Art Pende, (Gembloux), 1958, 165 pp., 372 Abbildungen.
Dzaghe Cudjoe
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
The Ewe people of Ghana and Togo consider as their homeland the area between
the Volta and the Mono rivers stretching inland for approximately thirty to eighty
miles. (Manoukian, 1952: 9.) The Ewe are not a tribe who are well-known for their
artistic skills and one of the very first facts which becomes clear to anyone wishing to
make a nearer aquaintance with Ewe wood sculpture is that very little material has
been published on the subject. The little literature which does exist is to be found in
books such as Eckart von Sydow’s ’’Handbuch der westafrikanischen Plastik“, where
the main emphasis is on african sculpture as ethnographical and ethnological docu-
ments and not as art objects. Due to the lack of published material which could be
used for comparative purposes it is impossible to attempt any division into sub-styles
or even to say very much about the aesthetic value of Ewe sculpture in general.
The figures in the Linden-Museum’s collection range from roughly carved legha
figures in pole style, to carefully carved and painted naturalistic ancestor figures with
elaborate portrayal of such details as the scarifications. Broadly speaking the twin
figures which belong in the last-mentioned group are also characterized by the bead
ornaments which they wear. The figures in pole style tend to be completely expression-
less with details of any kind reduced to an absolute minimum. A strickingly large
number of the figures with protective functions are provided with clothing of some
sort or another. Extensive use is made of cauri shells.
Himmelheber (1960: 246 f.) refers to the art of the western Ewe as a deteriorated
form of that of the Yoruba. Yoruba influence is indeed probable. Both the west Ewe
and the eastern Ewe (Eon) have a tradition according to which they once resided with
the Ga, Akwamu and Yoruba peoples in Ayo (Oyo?) and Ketu. (Westermann, 1934:
492). Eiowever, in this collection Yoruba influence hardly makes Itself felt.
The figures have for the sake of convenience been grouped under the following
headings:
1. Twin figures. Twins are known as Venovi. The birth of such children is looked upon
by the Ewe as a happy event. The first-born child ist regarded as the younger of the
two who is sent in advance to announce the coming of the other. Special ceremonies
are carried out when a woman bears twins and the babies are given names which
signify that they are twins.
1 wins must always be treated exactly alike. They are even dressed identically until
they reach puberty (Spieth, 1906: 694). Afa the Ewe god of divination is believed to
have taken the form of twins on entering this world (Spieth, 1911: 217). Should one
of the children die the mother commissions a carver to produce a human figure in
wood of the same sex as the dead child. This figure is treated exactly like the surviving
twin. It is bathed, fed, adorned with beads and carried around like the living child
4
50
Dzaghe Cudjoe
(Westermann, 1935: 12 f.). However, although it receives food it is not an ancestor
figure in the usual sense.
The objects 57 071, 57 072, 57 096 and 57 097 are all listed in the catalogue as
twin figures. To this group have been added the male and female figures 106 006 and
106 007 which bear a resemblance to 57 097 and 57 096 respectively. A careful com-
parison leaves little doubt that these two figures belong to the venovi group. The male
and female figures 118 084 und 118 083 bear a slight stylistic resemblance to 57 071
and probably belong in the same category.
2. Doll figure
3. Aklama figures. Aklama kpakpewo or aklamasucwo means ’’small carved gods“.
The figures are also known as ame we luwo ’’meaning the soul of the man“. According
to Schurtz, the figures are always carved in the form of a man and a woman and are
sold pairwise. They are regarded as trowo (minor deities) and prayers are addressed
to them (Schurtz, 1901: 96).
Aklama is a protecting spirit which accompanies man. It is invisible and is a gift
from god. A twin child is occasionally seen carrying on its back or chest the aklama
of its twin brother or sister. This is supposed to have a protective and strengthening
effect. On the death of the owner the protecting spirit immediately leaves the aklama
kpakpewo which then become useless and are thrown away. The wooden figures have
often only one arm and one leg (Spiess, 1911: 224). Usually they are naked although
occassionally they are clothed. The aklama kpakpewo are most often kept inside the
house (Spiess, 1903: 122).
The two figures V. L. 221 a and b are simply described in the catalogue as ’’house-
idols from the area near Keta“. I have tentatively identified them as aklama figures
due to their stylistic similarities with the photographs in ’’Globus“ (1902: 318, plate
II, 13) and ’’Internationales Archiv fur Ethnographic“ (1901, plate III, 3).
4. Leghawo (sing, legha).
Legbawo figures take many different forms. There are those with arms, legs and
genitalia and those where limbs and genitalia are absent (Schurtz, 1901: 6). Male and
female figures occur (Spiess, 1922; 146). The figures also vary in size (Schurtz, 1901:
6). Chicken feathers often represent the leghawo’s hair, cauri shells the eyes, he has
inset in his mouth the teeth of a pig or a dog and his beard, when he has one, is often
of goats hair.
The most common leghawo are the Du-leghawo or town leghawo. They are erected
on open squares or at the entrance to the town or village. Such a figure is set up at the
insistence of the whole community and not of an individual (Spiess; 1922: 144). Legha
figures which are kept in the house are known as Se, and those which stand in the
courtyard are called Aweli (Schurtz, 1901, 6). They are often to be found sitting under
a roof (Herold, 1892: 154). It is not the figures themselves which are important but
the special substances (leopards teeth, bones, a human skull) which are buried beneath
them (Schurtz, 1901: 7).
The Ewe legha cult is believed to have originated among the Yoruba of Nigeria
(Spiess, 1922: 143). Legha has many spheres of activity. He acts, however, mainly as
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
51
Fig. 1. Twin figure. Cat. no. 57 071. Fig. 2. Twin figure. Cat no. 57 072.
the guardian of the town und the house (Schurtz, 1901: 7). He can, for example,
either attract or repel all that is evil and unpleasant (Spiess: 1922: 143). He can pre-
vent illness entering the village and protect it in time of war (Schurtz, 1901: 7). Legha
is also fond of causing quarrels between good friends (Seidel, 1895: 329). Some of
the Se leghawo are mainly concerned with blessing women with children (Schurtz,
1901: 7).
Legha receives gin, chickens, palm wine, (Klose, 1901: 188) cauris, corn on the cob
and pieces of material as sacrifices (Schurtz, 1901: 7). It is not clear whether Legha
is to be considered as a minor god or an object with magical powers. He seems to a
certain extent to be a servant of the Yewe gods who acts as an intermediary between
the world of the gods and the world of men (Spiess, 1922: 143).
Lieutenant Herold (1892; 154) maintains that no prayers were addressed to the
legha figures. This is in direct contrast to Spiess (1922: 145) who records a prayer
addressed to Legha.
Spieth in his book ’’Die Ewe-Stamme“ rather surprisingly makes no direct refe-
rence to leghawo but only to ’’clay idols“. The photographs on page 488 show two
cauri shell covered, limbless, clay figures of human shape one of which is inserted in a
bowl. There is no doubt that these are leghawo.
52
Dzagbe Cudjoe
I have divided the legbawo into two groups:
a) those made out of clay: 57 080, 74 268, 74 269, 74 273, 82 189 and
b) those made of wood 57 084, 74 270, 74 271, 74 272, 82 185, 82 186.
5. Objects with protective value other than the legbawo. In this group belong the
objects 14 197 and 14196, the former a doll-like figure and the latter a carved mounted
figure atop a pole. Objects to which a protective value is attributed are frequently
mentioned in the literature but the descriptive texts are often both of a scanty and vague
nature, rendering them of little use for the identification of actual objects. The only
information on these two figures is that contained in the catalogue.
6. Objects providing help in cases of:
ill-health, misfortune and financial difficulty such as 57 064 and 28 394, or where
barren women desire children, and pregnant women a safe delivery such as 57 065.
7. Drum-holders. The objects 57 066 and 57 067 are described in the catalogue as
’’drum-holders“ (Trommelhalter). I have, however, never found any mention of or
any photographs of drum-holders in this shape or decorated with carved female
figures.
8. Charms. God himself sent magic into this world. At the time he formed man he
also created magic, because he himself is too far away for man to go to him and ask
for help. However with the aid of magic man can quickly obtain aid. Each of the
trowo (minor deities) possesses a magical charm. One comes in possession of a magic
charm cither by buying it or through an exchange with another person. The new owner
must swallow several grains of pepper and swear that he will not reveal the secrets of
Fig. 3. Twin figure. Cat. no. 57 096.
Fig. 4. Twin figure. Cat. no. 57 097.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
53
the charm to anyone. If he breaks his oath death will follow. There are many kinds of
charms, for example, hunting charms, charms to make one invulnerable in battle,
charms to help improve trade, and charms to protect against evil spirits, as well as
Innumerable charms to help in cases of illness. The same charm can often also be used
malevolently. The medicine which renders the charm efficacious is composed of various
ingredients including sometimes hair, feathers, horn and string (Spieth, 1911: 250—273).
Under this group come hunting charms such as 14 078 and 89 500. A charm to pro-
tect the owner against witches and harmful magical practices (57 074). A charm to
protect wrong-doers from discovery (57 078). A charm to protect the traveller
(57 089).
Fig. 5. Twin figure (?). Cat. no. 106 006. Fig. 6. Twin figure (?). Cat no. 106 007.
9. The last group consists of objects whose purpose is unknown. To this group be-
long the two carved female figures 48 990 and 103 938 as well as a carved figure
48 991 which is without sexual characteristics of any kind.
As can be seen from the foregoing very little is known in the last analysis about the
function of many of the pieces. In addition to the objects whose purpose is completely
unknown there is a doll whose function is unclear. It is difficult to say if it was just a
child’s plaything or whether it perhaps had some deeper significance. Westermann
(1935: 116) records that among the Glidyi Ewe a carved wooden figure of a child was
put into the coffin of a woman who died without having borne children. Perhaps this doll-
figure had some such ritual purpose. It is also not clear whether the two objects listed
as drum holders did in fact have this function. Nor is It clear whether the figures V. L.
221 a and b are in fact aklama figures.
54
Dzagbe Cudjoe
Although Ewe sculpture in wood in most cases certainly cannot bear comparison with
the great works of art produced by some of the other tribes of Africa, they are of con-
siderable interest from an ethnological point of view. A closer study of Ewe wood
sculpture for example might bring to light some new aspects on Ewe religion.
I can only hope that the unavoidable meagreness of this contribution will reveal
the general lack of knowlegde on the subject and will also act as an Incentive towards
a greater interest in this field and, perhaps, also encourage others to supply further
information through new publications.
Fig. 7. Twin figure (?). Cat. no. 118 083. Fig. 8. Twin figure (?). Cat no. 118 084.
1. Twin figures
57 071 (fig. 1). Female figure, wood, height 89,5 cm. The figure is stained a light
brown. The hair, eyes and scarifications on face, neck and body are black.
So also is the rim of the bowl which the figure carries on her head. On the
nape of the neck there is a raised scarification in the form of an ”X“. Only
one line of raised scars appears at the back of the figure. Around the wrists
the figure has yellow and green beads. The necklace consists of tiny white, gold
and blue beads. Light blue beads are tied around the waist.
According to information contained in the catalogue1) the figure is known as
venavi. Such figures are commissioned by a mother who has lost one of her
twin children as a memorial to the dead child whom it should resemble as
closely as possible. These figures are kept inside the house. There is a photo-
1) All information contained in the catalogue other than such purely technical details
as the height of the figures etc. was supplied by the collectors themselves.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
55
Fig. 9. Aklama figures (?).
Cat. no. V. L. 221 a and b.
graph of this piece in Buschan (1922: 539, Plate 239/2). The Museum für
Völkerkunde, Berlin, possesses a similar figure with the number III C 20 834
published by Kurt Krieger (1965: 32, plate 35).
Collection A. Leix, 1908.
Tokple, Togo.
57 072 (fig. 2). Female figure, wood, height 75,8 cm. The figure is incrusted with
what appears to be laterite. The flat buttocks take the form of two rectangles
placed side by side.
According to the catalogue description the figure is called venavi and was
carved in memory of a dead twin.
Collection A. Leix, 1908.
Aklaku, Togo.
57 096 (fig. 3). Female figure, wood, patinated, height 22,5 cm. The two marks on
the cheeks, the hairline, the lines indicated the hairstyle, the three horizontal
incisions on either side of the neck and the single incision at the back of it are
stained black. The elbows are carved in the same manner as the knees. The
low, squarish buttocks are seperated from each other by a triangular inden-
tation. The back of the legs form a smooth concave curve. The necklace of
black beads is interspersed with pieces of coral.
According to the catalogue the figure is known as venavi and represents a
twin girl. Such figures are carved in memory of dead twins and are carried
around by the mother tucked into her lower cloth.
Collection A. Leix, 1908.
Agome, Togo.
56
Dzaghe Cudjoe
Fig. 10. Legba, clay.
Cat. no. 57 080.
57 097 (fig. 4). Male figure, wood, patinated, 21,4 cm high. This figure is very similar
to 57 096.
According to the catalogue the figure belongs to the venavi group and repre-
sents a male twin. For the significance of the figure see 57 096.
Collection A. Leix, 1908.
Agome, Togo.
106 006 (fig. 5). Male figure, wood, height 21,7 cm. The hair, the eyebrows, the pu-
pils of the eyes, the markings on the neck and the demarcations between fin-
gers and toes are black. The markings on the neck consist of three horizontal
lines arranged one above the other on either side of the neck and a single
horizontal line on the nape of the neck. Behind the left ear is a blackened hole.
The back of the figure resembles that of 57 096.
Collection Kottmann, 1928.
Togo.
106 007 (fig. 6). Female figure, wood, height 21 cm. This figure is similar to 106 006.
Flowever, the nipples and the pubic region are also darkened and there is a
hole behind each ear. This figure and 106 006 bear many resemblances to the
twin figures 57 096 and 57 097.
Collection Kottmann, 1928.
Togo.
118 083 (fig. 7). Female figure carrying a bowl on its head, wood, patinated, height
27,8 cm. Bowl, hair, and pubic region coloured blue-black. The eyes are form-
ed out of a hard black substance.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
57
Fig. 11. Legha, clay. Cat. no. 74 269. Fig. 12. Legha, clay. Cat. no. 74 268.
According to the catalogue the beads around the waist are made out of fruit
rinds.
Collection Ernst Heinrich, 1942.
Palime, Togo.
118 084 (fig. 8). Male figure carrying a bowl on its head, wood, height 28,6 cm.
Collection Ernst Heinrich, 1942.
Palime, Togo.
2. Doll figure
48 993 Doll, wood, height 23,6 cm. The cylindrical figure has a roughly carved round-
ish head with a total absence of facial features. At the lower end of the
extremely long body are two short stumps which represent the legs. Feet and
arms are absent. Around the neck is a string of varicoloured beads.
Collection Preil, 1907.
Anecho, Togo.
3. Aklama figures
V. L. 221 a and b (fig. 9). Two wooden figures, one carrying a pot on its head. Height
of figure with the pot 19,6 cm. Height of the other figure 20,4 cm. The two
figures are described in the catalogue as ’’house idols from the area near
Keta“.
58
Collection Binnetsch, 1884.
Keta, Ghana.
Dzagbe Cudjoe
4. Legbawo
a) Legba figures made out of clay
57 080 (fig. 10). Legba figure, clay, cowrie shells, teeth, red and white striped import-
ed material. Height 26 cm, base 0 24 cm. The base in which cowrie shells
are embedded is curved. In contrast to 74 269 there are no remnants of the
quill end of feathers but there are traces of sacrificial blood and small fea-
thers.
According to the catalogue this figure Jamakluto is only venerated on Satur-
days. The priest offers gin, chickens and pigeons as a sacrifice. He then throws
himself on the ground before the figure and implores it to help those who
are seeking his aid. There is a photograph of a similar legba in the Baessler
Archiv (1911: 223).
Collection A. Leix, 1908.
Agome, Sewa, Togo.
74 268 (fig. 12). Legba figure, clay, cowrie shells, teeth, hair and a small piece of
skin or more probably hide. Height 23 cm. Base 0 19,5—20,5 cm. Remnants
of feathers on the head.
According to the catalogue which contains information supplied by Mischlich
himself, this is a village legba, and an earth god. Normally two such figures
Fig. 13. Legba, clay. Cat. no. 74 273.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
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Fig. 14. Legha, clay. Cat. no. 82 189.
(either two males or a male and a female) are to be found sitting side by side
under a straw roof. They are supposed to keep away evil spirits and illness
and in return for these services chickens are sacrificed to them.
Collection Mischlich, 1911.
Achlo (Misahôhe District), Togo.
74 269 (fig. 11). Legha figure, clay, teeth, hair, cowrie shells. Height 22,5 cm. Base
0 about 19,5 cm. On top of the head of the figure there are remnants of the quill
ends of feathers. For catalogue information see 74 268.
Collection Mischlich, 1911.
Achlo (Misahôhe District), Togo.
74 273 (fig. 13). Legha figure, clay, woven basket made of strips of palm leaves.
Height of the figure 11,6 cm, height of the round basket with a square base
approximately 14,1 cm, 0 approximately 9 cm. The basket contains the clay
figure which according to the catalogue is a family legha believed to bestow
on a child happiness and great wealth. It is used in the same way as 74 2702).
Collection Mischlich, 1911.
Mete, Togo.
2) Contained in the museum files is the following information supplied by Mischlich
in 1911. ”A woman whose children die soon after birth allows her husband shortly
60
Dzagbe Cudjoe
Fis. 15 Fig. 16 Fig. 17
Fig. 15. Legba. Cat. no. 57 084.
Fig. 16. Legba. Cat. no. 74 270.
Fig. 17. Legba. Cat. no. 74 272.
82 189 (fig. 14). Legba figure, clay, cowrie shells, feathers. Height of the bowl
10 cm, 0 15 cm. Inlaid cowrie shells form the eyes. The bowl is of fired clay.
According to information contained in the catalogue this legba figure belon-
ged to the priest Abu and is supposed to protect against illness. Such legba
figures are mentioned by von Sydow (1930: 116).
Collection Mischlich, 1913.
Misahôhe, Togo.
b) Legba figures made of wood
57 084 (fig. 15). Legba figure, wood, fibre, iron, material. Height 69 cm. The figure
before her confinement to make one or even several small legba figures out of clay
or wood, which are then placed at the edge of the path outside the village. It is
believed that the expected child will live and not die. Occassionally the legba
figures are placed in a small bast basket. This little basket is excepted to bring the
child good luck and much money. The child is excepted to always have a full
basket and money at home and never experience want“. This information also
pertains to 74 270, 74 271 and 74 272.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
61
is cylindrical and has no legs. The arms carved in relief. Tied around the head
is a strip of what was originally white cloth. Similar cloth is draped around
the figure and fastened at the neck. Several strands of raffia-like material
wound around this part of the body form a tassel at the back of the figure.
A cylindrical iron bell also hangs from the nape of the neck.
According to information contained in the catalogue the figure represents the
god legha who is the guardian of the courtyard and door. He also protects
the house.
Collection A. Leix, 1908.
Agome, Togo.
74 270 (fig. 16). Legha figure, wood, height 27,8 cm. The eyes and two small areas
on either side of the nose are black. The heavily light coloured cloth with red
stripes is simply tucked in around the middle of the figure. According to the
catalogue this figure is a family legha. Women whose children die shortly
after birth ask their husbands to carve them such a figure which is then placed
at the edge of the path outside the village with the hope that it will prevent
any future children from dying. (For further information see footnote 2.)
Collection Mischlich, 1911.
Gbele, Togo.
74 271 Legha figure, wood, height 28,2 cm. This figure is practically identical to
74 270 except that the head is rounder, the neck
longer, the eyes slightly larger and the figure
wears no cloth. (For further information see
footnote 2.)
Collection Mischlich, 1911.
Gbele, Togo.
74 272 (fig. 17). Legha figure, wood, height 27 cm.
The eyes and eyebrows are drawn in black as
well as the triangular area around the nose.
Attached to the chin with an adhesive sub-
stance is a tuft of hair. (For further informa-
tion see footnote 2.)
Collection Mischlich, 1911.
Gbele, Togo.
82 185 (fig. 18). Legha figure, wood, height 26 cm.
Heavily patinated. The legs and neck of the
figure are white and there is also an irregular
patch of white on the back. A hole runs verti-
cally through the middle of the figure.
The Catalogue describes the object as a „one-
armed legha fetish with a hole belonging to
the priest Abu. It is believed to scare away
evil spirits“.
Collection Mischlich, 1913.
Dai (Misahdhe District), Togo. Fig. 18. Legha. Cat. no. 82 185.
62
Dzagbe Cudjoe
Fig. 19. Mounted guardian Fig. 20. Protective female figure. Cat. no. 14 197.
figure. Cat. no. 14 196.
82 186 Legha figure, wood, height 18,8 cm. The body of the figure is approximately
cylindrical and slightly flattened at the back and the front. The roughly carv-
ed head which is without facial features passes into a long round neck. The
figure has no arms but does have fairly carefully carved legs with knees and
calves as well as feet. The neck and the legs are white. This apparently is also
a legha figure which belonged to the priest Ahu and was used for the same
purpose as 82 185.
Collection Mischlich, 1913.
Dai (Misahohe District), Togo.
5. Objects with protective value other than the legbawo
14 196 (fig. 19). Mounted figure, wood, total height 75 cm, height of the figure
24,5 cm. Part of the left hand of the human figure and the head of the
horse (?) are missing. Approximately 5,3 cm below the pedestal on which
the mounted figure is standing the staff broadens out to form an angular knob.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
63
According to the catalogue such figures are fixed into the ground in front of the
house where they act as guardians. These figures are to be found mainly on
the Togo-Dahomey border in the area of the lower course of the Mono River.
Collection First Lieutenant von Massow, 1901. Gift from Mrs. von Kuy-
lenstjerna.
Mono-River, Togo-Dahomey border.
14 197 (fig. 20). Female figure, wood, height 24,1 cm. At the back and on both sides
of the neck four horizontal lines are carved out. The left breast of the figure
has been broken off. Around the neck of the figure are numerous necklaces
including one row of imported beads. Bound around the right wrist with a
cotton string are four small brass bells. A strip of faded blue and red check
material passes between the legs of the figure and is wound around a string
of the waist beads at the front and the back. For catalogue information see
14 196.
Collection First Lieutenant von Massow, 1901. Gift from Mrs. von Kuy-
lenstjerna.
Mono-River, Togo-Dahomey border.
6. Objects providing help in different situations
28 394 (fig. 22). Male figure, wood, height 71,1 cm, slightly patinated. The facial
features, the five incising lines on both sides and the back of the neck, the
arms and the pubic region are stained black. The neck, the lower left frontal
side of the figure, the innerside of the legs and the left side of the upper back
are stained a reddish-brown. At the back of the figure a continuous groove
indicates the spine and the partition between the protruding buttocks.
According to the catalogue description, the figure represents illness in general.
When a member of the family falls sick a woodcarver is commissioned to
produce a figure, which is then sunk in the ground upto the level of its feet in
front of the ’’fetish“ house. The areas on the figure which correspond to those
parts of the body where the sick person is experiencing pain are bound up
with cloth which has been soaked in chickens blood. Should the sick person
recover the figure is burnt. The tribal marks of the Sagada (five lines on both
sides of the neck) are to been seen on the figure.
Collection First Lieutenant Preil, 1903.
Mono (Sagada), Togo.
57 064 (fig. 21). Figure, wood, 111 cm high. The lower part of the face, the greater
part of the neck, the front of both legs and the outside of the left leg are black.
There are also irregular black areas due to charring on the outside of the left
arm, the lower back, and the back of the thighs. The forehead, the back of the
head, the trunk, the inside and back of both legs are encrusted with what looks
like laterite. The trunk, the arms and the legs are decorated with white spots.
Cauri shells form the eyes and a narrow strip of light coloured imported
material with a red floral pattern is attached to the right side of the forehead.
According to information contained in the catalogue this “idol” Kpo Kpohe
— which is supposed to be female although there are no sexual characteristics —
64
Dzaghe Cudjoe
Fig. 21 Fig. 22 Fig. 23
Fig. 21. Sculpture dedicated to the god Agae. Cat. no. 57 064.
Fig. 22. Figure used for healing purposes. Cat. no. 28 394.
Fig. 23. Sculpture dedicated to the god Agae who bestows children on barren women
and ensures a safe delivery. Cat. no. 57 065.
is of an extremely bénéficient nature and is appealed to for help in a wide
range of problems such as ill-health, misfortune or financial difficulty.
A museum file contains the additional information that this figure is dedicated
to the god Agae who is worshipped on Tuesdays and Saturdays, when pigeons,
chickens, goats and dogs are sacrificed. A part of the meat is laid at the feet
of the god and the rest is eaten by the priest.
Collection A. Leix, 1908.
Aklaku, Togo.
57 065 (fig. 23). Religious figure, wood, cauri shells, material, snail shell, height
122 cm. The figure has a very roughly carved body with two arms but without
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
65
Fig. 24. Drum-holder. Cat. no. 57 067.
Fig. 25. Drum-holder. Cat. no. 57 066.
66
Dzaghe Cudjoe
Fig. 26. Hunting charm. Cat. no. 89 500. Fig. 27. Hunting charm. Cat. no. 14 078.
any hands. A pitch-like substance covers the face, the legs and feet. Two blobs
of a white mass rather reminiscent of plaster of paris form the eyes. The teeth
are cowrie shells and around the mouth are the remains of a moustache of
human hair. Wound around the neck of the figure but invisible from the front
are several twigs. The outer cloth is of a reddish-brown colour. Underneath
this is a white cloth of similar material to that which forms the turban.
The catalogue supplies the information that the figure is known as Ghlogeti
which is supposed to mean “one who drives away evil”. Another name for
this figure is Kokopim. Barren women pray to it for children and pregnant
woman ask it to protect them at the time of their delivery. For file information
see 57 064.
Collection A. Leix, 1908.
Aklaku, Togo.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
67
7. Drum-holders
57 066 (fig. 25). Drum-holder, wood, height 114 cm. The extreme lower end and the
bifurcated portion of the staff rising above the chest balanced on the head of
the female figure are coloured black. So coloured are also the hair area, the
eyebrows, the facial and neck markings, the nipples and the pubic area. The
chest on the head of the figure and the body of the same are of a burnt sienna
colour. The eyes and the lower lip show the natural colour of the wood.
Situated at the back of the neck are three incisions, similar to those found
on the sides.
Collection A. Leix, 1908.
Aklaku, Togo.
57 067 (fig. 24). Drum-holder, wood, total height 102 cm. Height of the female
figure 34,5 cm.
Collection A. Leix, 1908.
Aklaku, Togo.
8. Charms
14 078 (fig. 27). Charm, horns, cauri shells, rag, wood. Length of the large horn
46,4 cm. This horn is daubed with a red and white substance and the open end
is covered with a light coloured piece of material (most probably of foreign
origin) which is partially encrusted with a reddish-brown substance.
Length of the smaller horn about 23 cm. The open end is covered with a piece
of brownish material with blue stripes which appears to be of local origin.
The material is partially covered by a red and white substance. Inserted be-
tween the horn and the material are a number of brown feathers.
Fig. 28. Protective charm against witches and magical practices. Cat. no. 57 074.
68
Dzagbe Cudjoe
Fig. 29. Charm protecting evil-doers from discovery. Cat. no. 57 078.
Height of the wooden human figure 22,3 cm. The head and neck of the figure
are covered by a white substance so that the facial features are barely visible.
The rest of the figure is encrusted with a reddish substance. At the front of
the figure small pieces of what appears to be wood and feathers or skin and
feathers are attached by a brown and white thread wound several times around
the body. The figure is holding its hands across the stomach. Although the
figure is without breasts it has a female sex organ. The only information
contained in the catalogue is that the object is a hunting charm.
The large horn is that of a rappen antelope (Hippotragus niger) and the
smaller that of a Bush Buck (Tragelaphus scriptus)3).
Collection Hans Meyer, 1900.
Amelame, Togo.
89 500 (fig. 26). Hunting charm, wood, iron and an animal skull. The male figure
supports on its head an animal skull through which an ornamented iron
3) I wish to thank Dr. A. Kleinschmidt of the Staatliches Museum für Naturkunde,
Stuttgart, for identifying the two animal horns of object 14 078 and also for
identifying the animal skull of object 89 500.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
69
stake has been rammed. The figure is wrapped in a light coloured and very
heavily patinated cotton cloth which is fastened around the neck.
A similar stake (though whether of iron is not stated) is found on top of the
head of a clay legha figure in von Sydow’s book (1954, plate 16 B).
The skull is that of a male Blue Duiker (Cephalophus Caeruleus, H. Smith).
Collection Schneider, 1913.
Lake Togo.
57 074 (fig. 28). Receptacle for sacrifices, wood, cloth, cauri shells. Length of canoe
59 cm, highest point 15 cm, height of the wooden figure 25,7 cm. One side of
the canoe is covered with a black, tar-like substance, the other side is white
with reddish-grey spots. The head of the figure is covered with a black sub-
stance similar to that used on the boat. Cowrie shells form the eyes. The body
of the figure consists of a roughly hewn cylindrical block of wood with a black
Fig. 30
Fig. 31
Fig. 32
Fig. 30. Charm protecting travellers from harm. Cat. no. 57 089.
Fig. 31. Female sculpture. Cat. no. 48 990.
Fig. 32. Male sculpture. Cat. no. 48 991.
70
Dzaghe Cudjoe
cloth draped around the neck. In the boat is a round, brown, clay pot 6 cm
high, 0 about 5 cm.
According to the catalogue this object serves as a defense against witches and
magical practices. For file information see 57 064.
57 078 (fig. 29). Charm, wood and material. Height about 15,2 cm. Both wooden
figures are heavily patinated. The material wrapped around the figures is so
impregnated with an unknown substance that it is stiff. Cauri shells form the
eyes.
The catalogue provides the information that the “fetish” is called Dogli which
is the equivalent of “to eradicate from memory”. The priest prays to Dogli
on behalf of the person seeking his help that the wicked deeds of the latter
might be forgotten before they are discovered. For file information see 57 064.
Collection A. Leix, 1908.
Aklaku, Togo.
57 089 (fig. 30). Charm, wood, hide, cowrie shells, feathers, twine and iron. Total
height 34,8 cm. Height of the figure about 20 cm. The figure is encrusted with
a thick black patina. The body area is encircled by a heavily patinated twine
which holds the underlying strips of hide in position. Originally the 250 cm
long string attached around the neck like a noose was wound about the legs
of the figure. The head of the figure shows vestiges of bird down.
Fig. 33. Female sculpture. Cat. no. 103 938.
Ewe Sculpture in the Linden-Museum
71
According to the catalogue this figure is known as Agbamase and protects the
owner when he or she travels.
Collection A. Leix, 1908.
Anecho, Togo.
9. Objects of unknown purpose.
48 990 (fig. 31). Female figure, wood, cauri shells, height 91,7 cm. The figure has
tubular ears and inset cauri shells for eyes. The head has a black patina which
is also to be seen on other areas of the body where the brownish-red substance
which covers the greater area of the figure is chipped. A thick greyish-brown
encrustation covers the lower limbs. On the mouth and the breasts are traces
of white colouring.
Collection First Lieutenant Preil, 1907.
Anecho, Togo.
48 991 (fig. 32). Human figure, wood, cauri shells, material, height 97 cm. The arms
of the figure end in stumps and the hands are indicated only by black lines.
Although the catalogue maintains that this is a male figure there are no sexual
characteristics of any kind. Except for the facial area the whole head is covered
with a black tar-like substance. The rest of the figure is overlayed by a reddish-
brown incrustation with white blotches. Tied around the waist is a heavily
patinated cloth which was probably originally white and dark blue in colour.
The ornament around the figure’s neck is made of twigs and twine.
Collection First Lieutenant Preil, 1907.
Anecho, Togo.
103 938 (fig. 33). Female figure, wood, height 63 cm.
Collection Kolonial Museum Berlin, 1917.
Togo.
Bibliography
Binetsch, G. and Härter, G., 1906: Berichte über die Eweer bzw. Anglo-Eweer. Zeit-
schrift für Ethnologie, Bd. 38, p. 34—70.
Buschan, G., 1922: Illustrierte Völkerkunde. Bd. 1, Stuttgart.
Herold, Lt., 1892: Bericht betreffend religiöse Anschauungen und Gebräuche der deut-
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Ernst Schüz
Der problematische Ibis der Benin-Bronzen
(A) Als ich die ausgezeichnete neue Afrika-Ausstellung des Linden-Museums in
Stuttgart durchwanderte, ließen mich die hervorragend schönen Benin-Bronzeplatten
innehalten. Hier stieß ich wieder auf das Problem der Klunker-Vögel, wie es
das alte Ägypten mehrfach stellte (Schüz 1966). Der Ibis der Stuttgarter Bronze
(Abb. 1) scheint mit halbgeöffneten Flügeln und leicht klaffendem Schnabel dazuliegen,
wie wenn er frisch erbeutet wäre. Die Kehlgegend zeigt einen befiederten Auswuchs,
deutlich genug, wenn auch nicht so abgesetzt und ausgeprägt wie bei manchen alt-
ägyptischen Vogeldarstellungen (Abb. 5). Es liegt nahe, an den Klunker-Ibis
(Bostrychia carunculata) des äthiopischen Hochlandes zu denken. Allerdings ist dessen
Klunker ein nackter Kinnzapfen. Die mehr als 10 Beninbronzen zeigen den Auswuchs
in der Regel tiefer und meist auch befiedert. Die Dresdener Bronze 16 093 (Abb. 3)
macht eine Ausnahme, da hier ein nackter und besonders langer Klunker schon am
Kinn ansetzt. Diese Darstellung gehört zu denjenigen in Seitenansicht, nun natürlich
mit angelegten Flügeln. Ich möchte zunächst auch hier eher an einen toten als an einen
lebenden Ibis denken. Einige Ibisse haben allerdings etwas im Schnabel (Abb. 3); man
spricht von Beeren (?), Samenkörnern (?) oder in besonderen Fällen von Fischen. Das
rechtfertigt freilich die Auffassung, daß man einen lebenden Vogel gemeint hat. Einige
Male sind kleine Lappenansätze an den Gesichtsseiten zu erkennen; auch das wäre eine
Abweichung vom Klunker-Ibis Äthiopiens. Es gibt außer diesen Halbreliefs m i t
Klunkern noch eine Anzahl vollplastische Ibis-Wiedergaben aus West-Afrika, jedoch
in gröberer Form und nicht so überzeugend naturalistisch wie die Bronzen; sie sind
ohne Klunker. Ausführlich sind größere Stücke im Nigergebiet beschrieben: In Killi
SE von Timbuktu (Paulme 1956) und auf Schlaggeräten (Aufschlag-Idiophonen,
Abb. 4) und Dachaufsätzen in Benin (Dapper 1670, Hagen 1918, v. Luschan 1919,
Wolf 1961). Bei den Bobo findet man heute noch solche Gelbguß-Figürchen (Vorwei-
sung von Herrn K. Paysan).
(B) Das ornithologische Problem ist schon dem Beschreibet der
Benin-Bronzen, v. Luschan (1901), aufgegangen, und er postulierte für den westafri-
kanischen Klunkerträger eine noch unbekannte Art, die er vorsorglich benannte: Ibis
b e n i n e n s i s1). — Wolf wies 1961, also 60 Jahre nach v. Luschan, auf die Ermitt-
B Heute müßte der Genus-Name vermutlich Bostrychia (falls einer anderen Gruppe
zugehörig: Lampribis) lauten, denn der Priorität wegen gehört der wissenschaftliche
Gattungsname Ibis den Nimmersatten — Storch-Arten mit nahe der Spitze leicht
abwärts gekrümmtem Schnabel — und nicht einem Ibis zu. Man täte gut, diesem
Mißverständnis auszuweichen; nach P. Kahl (mdl. Mitt.) steht der Amerika-Nim-
mersatt, Mycteria americana, den drei altweltlichen Nimmersatten sehr nahe, und
man könnte also alle 4 Arten unter dem Gattungsnamen Mycteria zusammenfassen,
da er gegenüber Ibis die Priorität hat.
74
Ernst Schüz
lungen von Melzian (1937, 1955) bei Eingeborenen hin: Der als Vorbild dienende
Vogel sei rot und lasse bestimmte Rufe hören, die für den Menschen von Vorbedeutung
seien. Auch Dennet (1906) hatte schon eigenartige Rufe angegeben. Offenbar war dabei
an Ibis-Artefakte überhaupt, nicht nur an Klunkerträger gedacht. Was ist aus diesen
Angaben zu folgern? Die behauptete Rotfärbung führte Wolf nach Besprechung mit
W. Meise zum Afrika-Nimmersatt (Mycteria ibis), da sein vorwiegend
weißes Gefieder rötlich überhaucht ist. Indes gibt diese Art stimmlich fast nichts her.
So halte ich für viel wahrscheinlicher, daß hier der auch in West-Afrika verbreitete,
jedoch klunkerlose Hagedasch-Ibis im Spiel ist: Bostrychia hagedash ist zwar
braun, zeigt aber außer Grünschiller in einem Teil des Flügels Bronzeglanz mit pur-
purnem Einschlag, der je nach Beleuchtung auffallen kann. Diese Komponente fehlt
dem Klunker-Ibis, der übrigens sofort an einem weißen Flügelfeld erkennbar ist. Wie
steht es nun mit der Stimme? Rüppell fand sie bei dieser Art sehr stark schallend,
trompetenartig. Andere Angaben weichen etwas ab (siehe v. Heuglin 1873, Antinori
in Moltoni & Ruscone 1942, Toschi 1959, Gajdäcs & Keve 1968), doch ist an lauten
Abb. 1. Benin-Bronze-
platte des Linden-Mu-
seums Stuttgart (5367).
Sie zeigt einen Ibis mit
einem zwar schwach ent-
wickelten, aber doch deut-
lichen Klunker. (Photo:
Linden-Museum!U. Dido-
ni.)
Der problematische Ibis der Benin-Bronzen
75
Äußerungen nicht zu zweifeln. (Ich selbst sah den Klunker-Ibis nicht selten, hatte aber
keine Gelegenheit, ihn zu hören.) Sehr viele naturkundlich interessierte Afrikabesucher
wissen, daß vor allem der Hagedasch nicht nur ein gewaltiger Schreier ist, sondern auch
seine Rufe bei allen möglichen Erregungen hören läßt. Er erfüllt mit seinen weitschal-
lenden Rufen („hadada“) die Landschaft geradezu, und ich habe es selbst erlebt, wie
ein unerwartet in der Nähe auffliegender Hagedasch den Menschen richtig zu erschrek-
ken vermag. Wenn schon ein Vogellaut abergläubisch gedeutet werden kann, wie dies
Melzian dartut, so sicherlich am ehesten der Ruf des Hagedasch, zumal wir ihn als
drohend und klagend empfinden. Das Omgwogwo oder Oyiowo von Dennett (1906)
oder das Oya o oder Oliguegue von Melzian (1937) kann wohl auf diese Art bezogen
werden, die den englischen Namen Hadada führt. Beide Autoren schöpften offenbar
nicht aus dem eigenen Erlebnis, sondern ließen sich die Vogelrufe schildern, und bei
einer solchen Übertragung geht bekanntlich oft Wesentliches verloren. Vielleicht erklärt
sich auch so die von Melzian mit Zeichen angegebene Verteilung der Tonhöhen und Be-
tonungen, die nicht sehr gut mit den Hagedasch-Rufen übereinstimmt. Trotzdem meine
5:
Abb. 2. Benin-Bronze-
platte des Museums für
V ölkerkunde in Berlin
(111 C 8427) nach Origi-
nalphoto; siehe auch v. Lu-
schan 1919, Tafel 45 E.
(Photo: Museum /. Völ-
kerkunde Berlin.)
Der problematische Ibis der Benin-Bronzen
77
(C) Zurück zu den Klunkerträgern. Gerade die Bronzen mit Klunker-
vögeln wirken so, daß man versucht ist, v. Luschan (1901, 1919) recht zu geben, wenn
er hier nicht eine freie Erfindung, sondern „eine treue Nachbildung eines den Benin-
künstlern aus täglicher Anschauung bekannten Vogels“ annimmt. Auch andere Autoren
rühmen die Naturtreue der Wiedergaben. Aber wir wissen sicher, daß es in Westafrika
keinen Klunker-Ibis gibt. Sollte es ihn früher gegeben haben? Die
Benin-Bronzeplatten werden zwischen Mitte des 16. und Ende des 17. Jahrhunderts
datiert2). Sollte doch Bostrychia carunculata einst den Künstlern direkt oder indirekt
zugänglich gewesen sein? Der Klunker-Ibis wohnt heute nur im äthiopischen Hoch-
land, wo ich ihn bis 2600 m traf; er geht sogar bis 3100 m. Die Untergrenze wird mit
2100 m angegeben. Ich selbst fand aber ein nestbauendes Paar im Rifttal bei Awasa
1710 m hoch (Schüz 1967), ja, die Art soll zur Zeit der Winterregen „in kleinen Fami-
lien“ an die abessinische Küste kommen. Diese Angabe des so zuverlässigen Rüppell
(1845) ist nicht wieder bestätigt worden; er selbst kannte die Küste wohl nur aus der
Gegend von Massaua, wo das Gebirge in der Nähe ist. Jedenfalls dürften die Lagen
um 2000 m das Höhen-Optimum darstellen. Sollte der Klunker-Ibis von heute für die
Benin-Klunkervögel Pate gestanden haben, so gibt es wohl zwei Möglichkeiten:
a) Es wäre zu prüfen, ob nicht ostwestliche Bewegungen ein entsprechendes Motiv
von Äthiopien her zum unteren Niger gebracht haben könnten. Nach v. Luschan gibt
es „gewisse, völlig sagenhafte Beziehungen zwischen Benin und Abessinien“. Schilde
(1929) bezeichnet den Sudan als eine naturgegebene und sicher bevorzugte Völker- und
Kultur-Wanderstraße und behandelt eine Anzahl Bräuche und Kultgegenstände, die
einst auf diesem Weg von Osten nach Westen vorgedrungen sein dürften.
b) Von Benin ist Adamaua mit seinem Hochland zwischen 1500 und 2000 m im
Osten und der Kamerunberg (4070 m) im ESE rund 500 bzw. 450 km entfernt. Diese
Lebensstätten könnten die ökologischen Ansprüche des Klunker-Ibis wohl erfüllen
oder erfüllt haben. Dabei ist an die Klima-Entwicklung zu denken (Moreau 1966);
Vor 25 000 bis 18 000 Jahren war die untere Grenze des Montan-Bioms, die derzeit
bei 1500 m liegt, auf die 500-m-Höhe gefallen. Während jetzt die Montanzonen
Afrikas nur da und dort als Inseln hervortreten, haben sie einst im Pluvial einen zu-
2) Die Technik des Bronzegusses soll zwischen dem Ende des 13. und dem Anfang des
15. Jahrhunderts aus Ife (Yoruba) nach Benin gekommen sein. Die klassische
Periode der Tfe-Kunst ist im 13./14. Jahrhundert anzusetzen (mündliche Auskunft
von J. Zwernemann).
Abb. 3. Benin-Bronzeplatte des Staatl. Museums für Völkerkunde in Dresden (16093)
mit besonders langem, nacktem Klunker, der schon am Kinn ansetzt (Originalphoto;
siehe auch Wolf 1961, Tafel 151). (Photo: Staatl. Museum f. Völkerkunde Dresden!
S. Weidel.)
Abb. 4. Aufschlag-Idiophon in Ibis-Gestalt, ein Benin-Zeremonialgerät aus dem
Staatl. Museum für Völkerkunde in Dresden (13608) (Originalphoto; sie auch Wolf
1961, S. 721 u. Tafel 151). (Photo: Staatl. Museum f. Völkerkunde Dresden/S. Weidel.)
78
Ernst Schüz
sammenhängenden Block gebildet, der nördlich des Kongobeckens einen Ausläufer
westwärts in das Randgebiet von Guinea entsandte. So ist eine einst viel weitere Ver-
breitung des heute so eingeengten Klunker-Ibis nicht ganz auszuschließen. Es gibt zu
denken, daß König Overami von Benin den diesen Bronzen zugrundeliegenden Ibis als
(einst existent, aber dann) ausgestorben bezeichnet hat. Von Luschan, der dies berichtet,
setzt in diese Aussage große Zweifel — ob mit Recht?
(D) Könnte der Klunker einfach eine Stilgewohnheit der Künstler gewesen
sein? Im alten Ägypten (wie auch anderswo und in anderen Perioden) war
es bei allem Naturalismus Brauch, Auffallendes zu übertreiben, den Naturgegenstand
zu „verbessern“ und durch Zufügen von fremden Bildungen Kontaminationen vorzu-
nehmen (Schüz 1966). So zeigt die Kunst der Pharaonenzeit nicht selten eine Hiero-
glyphe b\ und auch eine monogrammatische Dreiergruppe b\w (Abb. 5) mit klunker-
tragenden Vögeln, die es in der Natur so nicht gab (Borchardt 1928, Keimer 1930, 1954,
Abb. 3. Drei Klunkervögel, Hieroglyphen-Monogramm b\w, nach Borchardt (1928).
Herkunft Sakkara, Zeit fraglich, doch teilt Herr I. E. S. Edwards, British Museum
(Department of Egyptian Antiquities), freundlichst mit: Das Stück erinnert an ein
Relief aus dem Tempel der Großen Pyramide und ist wahrscheinlich in die 4. Dynastie
(etwa 2613 bis 2494) und wohl nicht später als in den Beginn der 5. Dynastie zu datie-
ren. — Solche Phantasievögel mit Klunker, meist von Trappengestalt, sind nicht selten.
Sie stellen unter keinen Umständen den Krokodilwächter (Pluvianus aegyptius) dar,
wie Borchardt meinte, könnten aber ihren Ursprung in der Zeit haben, da der SatteT
storch noch in Ägypten lebte, und dann mangels eines Vorbildes entstellt worden sein
(dies die Hypothese von Keimer, 1930).
Der problematische Ibis der Benin-Bronzen
79
Moreau 1930, Schüz 1966). Auch bei der «/^-Hieroglyphe kann ein Klunker auftauchen.
Hier ist eindeutig das Helm-Perlhuhn (Numida meleagris) gemeint (Davies
1940), wie man aus Haltung und Gefiederperlung entnehmen kann. Es muß den Ägyp-
tern des Mittleren und Neuen Reichs bekannt gewesen sein; heute liegt seine Nord-
grenze bei 19 ! N. Irreführend bei diesen Wiedergaben ist der viel zu starke Schnabel
(daher oft die Deutung als Geier) und auch die etwas phantastische Ausgestaltung der
Kopf-Auswüchse. Die Wangenlappen sind zum Teil zu einem medianen Kinnzapfen
verändert; der Zapfen kann weiter herabrutschen, und in wenigstens drei Fällen ist
ein auffallender Federklunker an der Vorderbrust dargestellt, der erfunden sein muß.
Ein anderer erkennbarer Klunkerträger ist der Sattelstorch (Ephippiorhynchus
senegalensis); er ist in dem „Carnarvon Ivory“ aus sehr alter Zeit (Negade-Kultur) in
einer Reihe wiedergegeben. Auch diese Art reicht heute längst nicht mehr bis Ägypten.
Der Marabu (Leptoptilos crumeniferus) ist bildlich nicht ganz gesichert; sein einstiges
Vorkommen so weit nördlich ist glaubhaft, und er müßte mit seiner aufblasbaren
„Bindegewebs-Wurst“ für Klunker-Wiedergaben eigentlich ein sehr gutes Modell
geboten haben. Fragen wir nach weiteren Arten, die über die erwähnten drei hinaus
als Muster in Betracht kommen konnten: (4) Der einst bis Unterägypten hinein weit-
verbreitete Heilige Ibis (Threskiornis aethiopicus) zeichnet sich durch nackten Kopf
und Hals — beide schwarz — aus. Bei der Balz kann der Hals eigentümlich anschwellen,
sicherlich durch Einpressen von Euft in das Bindegewebe. Diese Schwellung ist nach
ihren Bewegungen offensichtlich lose und weich; zu einem abgegliederten „Kropf“ oder
Klunker kommt es aber nicht. — Dr. Philipp Kahl, dem ich diesen Hinweis verdanke,
macht noch darauf aufmerksam, daß (5) der Afrika-Nimmersatt (Mycteria ibis, wegen
des Namens siehe B) bei der Balz seine auffallend rote, nackte Kopfhaut halswärts
ausdehnt. Ist die Erregung beendet, so zieht sich die Kopfhaut wieder zusammen. Der
volle Ruhezustand ist aber erst in 10 bis 30 Min. erreicht; bis dahin treten am Kinn
mehrere Fältchen hervor, die man als einen winzigen Klunker bezeichnen kann. Auch
wenn die heute noch bis in den Sudan reichende Art den alten Ägyptern bekannt gewe-
sen sein sollte, ist hier eine Patenschaft für die Klunkervögel der Pharaonenzeit un-
wahrscheinlich. Die beiden Klunkervögel des äthiopischen Hochlandes, der schon er-
wähnte Ibis (6) Bostrychia carunculata und der (7) Klunker-Kranich, Bugera-
nus carunculatus, sind nirgends zu erkennen und wohl auch in älterer Zeit kaum in diese
Tieflagen gestiegen. Auch eine kleine Klunkerbildung des (8) Kronenkranichs (Balearica
pavonina, nördlich bis Sudan-Abessinien wohl etwa 16° N) kann vernachlässigt werden.
— Von dem erwähnten Perlhuhn abgesehen, haben die ägyptischen Klunkervogel-
Hieroglyphen (b’, und b’w) durchweg die Gestalt einer Trappe (vgl. Abb. 5), wenn
auch eine Variation in der Richtung auf allzu große Schlankheit besteht; in keinem Fall
ist der Schnabel dem gekrümmten eines Ibis oder dem überstarken eines Marabu oder
eines Sattelstorchs vergleichbar. Außerdem sitzt der Klunker fast immer „falsch“, und
zwar rückt er im großen ganzen seit dem Alten Reich aus der Kehlgegend immer tiefer
bis zur Brust. Trotzdem hebt Keimer auf den Sattelstorch ab, und er führt die Abwei-
chungen darauf zurück, daß diese heute Abbessinien und Sudan nordwärts nicht über-
schreitende Art infolge ihres Rückzugs nur den ältesten Künstlern zugänglich war; später
habe die Phantasie freies Spiel gehabt.
80
Ernst Schüz
(E) Noch einmal in die Nähe der Gegenwart und nach West-Afrika: Hier
findet man Klunker in der Kunst bei dem erwähnten Benin-Ibis dargestellt, außerdem
sehr treffend und oft beim Haushuhn (v. Luschan 1919, Fröhlich 1968). Weiterhin
sei eine Senufo-Tür erwähnt: Hier sind 4 langbeinige, langschnäbelige Vögel (zweimal
symmetrisch vereinigt) zusammengestellt, stilisiert in einer übertrieben aufrechten Hal-
tung und in der Schwanzform (Elisofon & Fagg 1958, Abb. 5). Am Hals fällt eine
kropfartige Vorwölbung auf. Sehen wir vom „Kropf“ ab, so denkt man in Anbetracht
des sehr dünnen, langen, leicht nach oben gekrümmten Schnabels vor allem an die
Uferschnepfe (Limosa limosa), die dort häufiger Wintergast ist3).
(F) Wir sehen nochmals von der Klunkerfrage ab und möchten unter diesen Um-
ständen einfach wissen, ob Ibisse und Haushahn in Benin einer
Künstlerlaune entspringen, oder ob ihnen eine besondere
Bedeutung zukommt. Vogelzeremonien und Vogelkulte ragen in Nigerien
bis in die Gegenwart hinein (Wolf S. 730). Der Hahn hat bei der Weckzeremonie eine
Aufgabe, und auch die Ibisse waren ja oft Teile von Zeremonialgeräten. Wir werfen
nochmals den Blick nach dem alten Ägypten, wo der schon erwähnte Heilige Ibis
(dhwtj) beherrschend in den Vordergrund trat, während gewisse andere Arten geradezu
unterschlagen wurden (Schüz 1966); an Ibis-Verwandten erschien immerhin der
Waldrapp (Geronticus eremita, Hieroglyphe ’h) und der Sichler (Plegadis
falcinellus, gmt). Die vielen Tausend Mumien des „Sacred Ibis“ in Sakkara und in 5
anderen Ibisnekropolen sind überwältigend. Der Heilige Ibis war dem Mondgott Thot
geheiligt. Es gibt eine ganze Anzahl von oft höchst abwegigen Legenden, die diesen
Zusammenhang begründen. Am ehesten leuchtet noch ein, daß der Ibisschnabel einer
Mondsichel vergleichbar sei; erwähnt sei auch, daß das Klistier im Heilwesen jener Zeit
eine große Rolle spielte und der Ibisschnabel dazu die Anregung gegeben haben soll.
Wegen weiterer Überlieferungen sei auf Hopfner 1913 und Keller 1913 verwiesen.
Es spricht vieles dafür — und Prof. H. Brunner (Tübingen) unterstreicht dies (in litt.) —,
daß ein in grauer Vorzeit mehr oder weniger zufällig entstandener Zusammenhang
nachträglich mit solchen Begründungen ausgeschmückt wurde. Es könnte als Anstoß
genügt haben, daß der Heilige Ibis ein nach Größe, Gestalt und Musterung sehr auf-
fallender Vogel ist, vielleicht in seinem zeitlichen Auftreten sich wichtigen Natur-
ereignissen einfügte und damals bis nach Unterägypten verbreitet war. Heute kommt
die Art nicht mehr nördlich von Wadi Haifa (23°) vor. Sie erfreute sich aber wenigstens
noch im letzten Jahrhundert auch weiter südlich der Verehrung oder mindestens Wert-
schätzung: Der Kordofanreisende Pallme (1843) berichtet, daß er den Vogel in mensch-
3) Wäre der Schnabel nicht so dünn, würde man auch den Weißstorch (C. ciconia)
erwägen. Nach K. Paysan (mdl., Veröffentlichung in Aussicht) verwendet der Kono-
Bund der Bambara in Mali eine Art Puppe mit großem rotem Schnabel — zweifellos
ist der Weißstorch dargestellt —, und der Träger führt ein Klappern aus. Man fragt
sich, ob der Schlagtechnik der Ibis-Idiophone ähnliche Beobachtungen zugrunde
liegen, obwohl natürlich Ibisse mit ihren weichen Schnäbeln nie klappern.
Der problematische Ibis der Benin-Bronzen
81
liehen Siedlungen, oft 20 bis 50 Nester auf einem Baum, nisten sah. Er wollte sich beim
Haus des Sultans Theme in El Obeid einige Ibisse am Brutbaum schießen, mußte sich
aber sagen lassen: „Schieße lieber einige Hühner in meinem Hofe zusammen als nur einen
von diesen Ibis, welche auf meine Bäume gekommen sind, ihr Nest gebaut und bei mir
Schutz gesucht haben.“ Wie weit heute noch dieses Verhältnis des Menschen zum Ibis
geht, müßte man erst nachprüfen.
(G) Trotz der unter (D) beschriebenen Merkwürdigkeit bei der Balz können wir
vom Heiligen Ibis über die Frage der Klunkervögel nichts erwarten. Da aber im alten
Ägypten die Klunker vielfach auftreten, will man sich nicht mit dem Hinweis auf einen
Zufall abfinden. Die Überlegung läuft vielmehr auf eine ethologische (und
damit gleichzeitig ethnologische) Frage hinaus: Inwieweit vermag ein Hals-Anhang,
sei er nackt oder befiedert, ein „urmenschliches“ Interesse zu wecken? Wird hier ein-
fach ein Halsschmuck zur „Verschönerung“ gefordert, oder unterlegt man dem An-
hängsel eine magische Bedeutung, überträgt man also „Intraspezifische“ Anreize auf
ein fremdes Lebewesen? Vielleicht könnte man sogar an ein Zierat im Sinn einer
phallischen Erscheinung denken, die ja offenbar gewissen ethnographischen Elementen
— man denke an den Schmuck der Tukul-Dächer in manchen Gebieten — zugrundeliegt.
Da aber derjenige Vogel, der die auffallendste Form eines „Klunkers“ trägt, der
Marabu, offenbar nirgends kultisch gewürdigt wird (dies mit seinem Aasfressen in
Zusammenhang zu bringen, wäre wohl zu europäisch gedacht), genügen solche Über-
legungen offenkundig nicht. Zu diesem Problem könnte wohl am ehesten derjenige
beitragen, der als kritischer Beobachter in einen engen sprachlichen und menschlichen
Kontakt mit seinem Gastvolk hineingewachsen ist und ein wirkliches Bild von dessen
Interessen gewinnt. Diese Zeilen eines Zoologen können vielleicht dazu anregen, unter
solchen Voraussetzungen gelegentlich einmal entsprechende Fragen zu stellen. Gewiß ist
das Entstehen solcher Zusammenhänge in ferner Vergangenheit versunken und nicht
mehr unmittelbar zugänglich. Man kann sich aber vielleicht Kenntnis vom Geschmack,
ethologisch gesprochen von der „Appetenz“ der Eingeborenen gegenüber solchen An-
hängen verschaffen oder auch alte diesbezügliche Legenden aufdecken.
(H) Zusammenfassend sei gesagt: Der gedachte Benin-Ibis dürfte einer-
seits im Hagedasch sein noch heute gegenwärtiges Naturbild haben, andererseits —
soweit es sich um klunkertragende Ibisse handelt — in denselben Mythus verstrickt sein,
dem schon die alten Ägypter mit imaginären Klunkervögeln huldigten. Dabei geht es
wahrscheinlich nicht um eine reine Erfindung; klunkertragende Vogelarten könnten
ursprünglich als Vorbild gedient haben. Die Frage, ob der heute auf das äthiopische
Hochland beschränkte Klunker-Ibis (Bostrychia carunculata) das Modell hergab, wird
geprüft; die Möglichkeit ist im Hinblick auf einen ostwestlichen Strom von Kulturgut
und auf Ausbreitung der Montanbiotope — freilich in einer vorgeschichtlichen Zeit —
weit nach Westen hin nicht völlig auszuschließen. Die Frage kann noch keineswegs als
gelöst gelten. Das nächste Wort wird der mit den Grundzügen der Verhaltensforschung
geschulte Ethnograph haben, der herausbekommen sollte, inwieweit einheimische
Afrikaner solchen Anhängen eine Bedeutung zuschreiben.
82
Ernst Schüz
(I) Bedankung, Für Beratung, Literatur und Bildmaterial habe ich zu danken
vor allem Herrn Privatdozent Dr. J. Zwernemann (Linden-Museum Stuttgart), ferner
Herrn Professor Dr. H. Brunner und Frl. Dr. I. Wallert (Ägyptologisches Institut der
Universität Tübingen) und auch Herrn K. Paysan (Stuttgart). Mit dem vergleichenden
„Pelargologen“ Dr. M. Philip Kahl (Naples, Florida) hatte ich eine sehr anregende
Aussprache. Die Herren Professor Dr. K. Krieger (Museum für Völkerkunde in Berlin)
und Dr. S. Wolf (Museum für Völkerkunde in Dresden) stellten freundlichst Abbil-
dungs-Originale zur Verfügung. Miss D. Cudjoe verbesserte das vorgelegte Summary.
(K) Summary. “Wattle birds” are portrayed in ancient Egyptian art. Although
generally this art surprises the zoologist by a pronounced naturalism, in this case
apparently phantasy is involved; Wattle Ibis, Wattle Crane (both in Ethiopia),
Marabou, Saddle-Bill or Guinea-fowl possibly could have been suggesting patterns.
(At least the two last called species surely are to be recognised in Egyptian antiquities.)
The famous Benin bronzes show a kind of wattle ibis — v. Luschan designated it
anticipatively as „Ibis beninensis“ —, but sculptures without this wattle occur too.
There is information that a red ibis with a conspicuous voice provided the inspiration
for the ibises. The Wood Ibis (Mycteria ibis, a stork, not an ibis) is white with a red
tinge, but it has only a very weak voice. The Wattle Ibis (Bostrychia carunculata) which
lives at high levels in Ethiopia has no red colouring, but it can cry loudly. The Hadada
(Bostrychia hagedash) has wings a part of which show a green and bronze-purple
shimmer. Its cry is very conspicuous, harsh, loud and the bird is more often heard than
seen. A nearby Hadada taking off unexpectedly can give one a real shock by its
voice probably more than a Wattle Ibis. So it seems obvious that the ibis sculptures
without wattle represent the Hadada, a bird wellknown also in West Africa. But how
could this conception of the Benin wattle ibis have arisen? There are some indications
that a cultural diffusion is taking or took place in an east to west direction (Abyssinia —
Sudan). It is therefore possible that the motif in question spread this way. Besides, we
must also consider the climatic change: In the pluvial period the African mountain
bioms, which are now very isolated, formed a block from Ethiopia to South Africa with
a branch north of the Congo basin reaching westwards to the Guinea Gulf. It is, there-
fore, not impossible that the ecological conditions in the past admitted the distribution
of Bostrychia carunculata much farther west than today. But of course, this is only a
hypothesis. Another question concerns the interest of man in certain bird species and in
wattles. The curved bill of the ibises probably has/had a special significance (Sacred
Ibis in ancient Egypt; Benin ibises as parts of ceremonial objects). The necessity of
consulting the traditional sources on this point and to examine the possibility not only
of ethnological, but also of ethological relations should not be overlooked. Without
doubt this presents an interesting and hitherto unsolved anthropological problem.
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Gerald W. Hartwig
A Historical Perspective of Kerebe Sculpturing — Tanzania"')
In November 1895, Mabyala, a noted Omukerebe1) musician of his time, composed
and sang the following lyrics to commemorate the flight of his omukama (chief):
Rwamanzi yailuka ya siga iti kigiilya Bukindo
Rwamanzi iwe osigile iti kigiilya Bukindo noyela.
Rwamanzi has run and left the statue kigiilya at Bukindo,
Rwamanzi you left the statue kigiilya at Bukindo and ran away.
Rukonge (Rwamanzi) was the omukama of the Kerebe referred to in the lyrics.
What he left behind at Bukindo, the omukama’s residence, was kigiilya (Fig. 1).
Kigiilya was a large, wooden statue of a man that Rukonge had shown only two years
before to the German explorer, Oscar Baumann-). The piece of sculpture was a prized
possession of the omukama and hence the song was composed to indicate the abrupt,
hasty withdrawal of Rukonge from his place of residence on the island of Bukerebe3).
His abrupt departure occurred when a force of German led troops advanced on the
omukama after he had attacked a group of Roman Catholic catechists (they were
Ganda though led by Cyril Ruhuta, an Omuzinza) for interfering in the domestic
slavery situation. Upon their arrival at Bukindo the detachment of troops searched
through Rukonge’s possessions, found the kigiilya, and returned with it to the head-
quarters of the catechists at Hamuyebe. There the kigiilya remained for some months
*) The opportunity of conducting research on Bukerebe as well as seeing the museum
collections in the British Museum in London, the Linden-Museum in Stuttgart, and
the Museum für Völkerkunde in Berlin was made possible by a fellowship granted
to the author by the Foreign Area Fellowship Program. The statements and con-
clusions contained in this paper are the sole responsibility of the author.
’) The nomenclature used in this paper is based upon Malcolm Guthrie, The Classifi-
cation of the Bantu Languages (London, 1948), 42—43. A single member of the
tribe is referred to as Omukerebe, the plural form is Abakerebe. When referring to
the tribe, the shortened version of Kerebe is used in this paper. The name of the
chiefdom is Bukerebe and is used rather than Ukerewe which is the Swahili name
for it.
-) Oscar Baumann, Durch Massailand zur Nilquelle (Berlin, 1894), 213—214.
3) The information on kigiilya is based upon an interview with Bernardino Buyanza,
an eighty-six year old grandson of the omukama, Machunda, who saw the figure
and learned of its significance, 2 September 1968. With rare exceptions the older
Kerebe have never heard the word kigiilya. A secondary source of information is
J. A. Simard, Religion d’Ukerewe ou résumé des connaissances religieuses des Bake-
rewe (unpublished manuscript), 38. Simard also gives the word in his dictionary,
Vocabulaire Kikerewe-Français (unpublished manuscript), 307, under kigiliya.
86
Gerald W. Hartwig
before it was again moved by White Father missionaries to their new mission site at
Kagunguli. It was here that the wooden sculture was placed on display and used to
demonstrate to the Kerebe the shortcomings of their former omukama as a pagan ruler.
The catechists, in particular, demonstrated their disdain for the image by hitting it
with sticks and simultaneously breaking portions of the kigiilya. Both ears were broken,
the right side of its face, including part of the nose, was gouged out, both feet were
broken off at the ankles, and the sex organs were destroyed. But the kigiilya was not
destined to remain on Bukerebe. By 1897 Paul Kollmann took the damaged figure
back to Germany with him; there he placed it in the museum at Berlin4). Today the
figure still remains in Berlin in the Museum für Völkerkunde. Kollmann’s only remark
about the kigiilya was that it was a large, wooden ancestral figure of Chief Rukonge of
Bukerebe.
The kigiilya manifested an important power for Rukonge. How he actually may
have used it is unknown, but he had a very high regard for it. He did not keep it
along with other important chiefly objects of a supernatural nature in the special hut
called emu ya menzi (house of chiefly amulets). Rather, it remained with the omukama
in his personal sleeping house — naruzwi. Rukonge did not, in fact, have it made for
himself. He had inherited it from his predecessor and father, Machunda.
Machunda, who died in approximately 1869, was a relatively cosmopolitan indivi-
dual. He carried on trade and other official contacts with the Ganda, Haya, Sukuma,
4) Paul Kollmann, The Victoria Nyanza (London, 1899), 97.
A Historical Perspective of Kerehe Sculpturing — Tanzania
87
and the Nyamwezi. For his own people’s curiosity he kept in and around his residence
a python, baboons, monkeys and even a partially domesticated elephant which even-
tually had to be destroyed because of its unpredictable behavior. It was not unusual
then that Machunda welcomed an ivory trading caravan from a Nyamwezi chief —
purported to be Mirambo. The members of the caravan remained on the island for
some time before returning to the Tabora region. While on Bukerebe, one of the
Nyamwezi members of the caravan produced a wooden figure; it was then presented
to Machunda who called it kigiilya. The supernatural force of the kigiilya appeared
immediately. On the day of its completion, Machunda’s uncle, Kinabo (his mother’s
brother), died. The interpretation placed upon the completed sculpture, coupled with
Fig. 1. The kigiilya, carved by a Nyamwezi for
Omukama Machunda of Bukerebe. Collector: P.
Kollmann, 1897. Museum für Völkerkunde, Berlin,
III E 5529. Height: 114 cm.
Kinabo’s death, was straight forward. Kinabo had, in fact, not died, but was now in
reality the figure itself — the kigiilya. The power to transform the spirit of the man to
the wooden figure was not regarded as being outside the limits of the omukama.
Whether Kinabo actually died a natural death or died because of other causes is un-
known. The important thing is that it was readily assumed that Machunda had
transferred the spirit of Kinabo into the kigiilya. It was an awesome testimony to his
limitless power. Thereafter the kigiilya was placed in his sleeping quarters. To insure
its safe keeping, a female guard was posted in the hut. First a woman by the name
of Nabutuma of the Abamiro clan performed this function and later, under Rukonge,
88
Gerald W. Hartwig
Muzubwa of the Abazubwa clan carried out the same function. The kigiilya remained
within this abode until 1895; only high ranking Kerebe and important visitors were
permitted to view the kigiilya. Apparently Rukonge followed Machunda’s example
and used it to remind his advisors and ranking subordinates of the power residing within
the omukama.
P'g-3
Fig 2
Fig. 2. A young girl carved by a Nyamwezi carver for Omukama Machunda who sub-
sequently sent it as a gift to Kabaka Suna of Buganda. Collector: ]. Roscoe, 1909. The
British Museum, London. Height: about 120 cm.
Fig. 3. A young girl carved by Buzuzya of Bukerebe for the collector, A. Conrads,
1906. Museum für Völkerkunde, Berlin, HIE 12 101. Height: 64 cm.
Kigiilya represents the extent of sculpture used by the Kerebe before 1895 with the
exception of dolls which are discussed below. Because the figure was carved by a man
identified as a Nyamwezi it is necessary to state categorically that the Kerebe possessed
no sculpturing tradition as attributed to them in the literature. The belief that a Kerebe
tradition did exist before 1895 arose from inadequate evidence supplied by collectors.
From this inadequate information writers describing Kerebe sculpture have been led
from one erroneous conclusion to another.
A Historical Perspective of Kerebe Sculpturing — Tanzania
89
Fig. 4. A man produced by Buzuzya
of Bukerebe for the collector, A. Con-
rads, 1906. Museum für Völkerkunde,
Berlin, 111 E 12 102. Height: 36,5 cm.
An example of how the early collectors have misled contemporary scholars centers
around kigiilya and an excellent piece of sculpture collected by the Reverend John
Roscoe in Buganda and acquired by the British Museum in 1909. This piece is a
“wooden figure of a young girl, carved by a Muganda for King Suna” (Fig. 2). William
Fagg has cautiously suggested a relationship between this Ganda figure and the Kerebe
kigiilya because of the basic similarities in posture and size5). He speculated that it may
actually have been carved by an Omukerebe rather than a Muganda as designated since
there is sufficient information available on the Ganda to know that they did not have
a carving tradition. Now the same must also be said of the Kerebe. Yet Fagg’s
suggested relationship existed in fact, but in a way unforeseen by him. It is known that
Omukama Machunda (d. 1869) of Bukerebe and Kabaka Suna (d. 1856) of Buganda
exchanged gifts6). But the evidence cited above indicates that a craftsman other than
5) William Fagg, Tribes and Forms in African Art (New York, 1965), 115.
6) Interview with Daudi Musombwa, 9 August 1968. John H. Speke recorded the
cordial relationship existing between Machunda and Suna’s successor, Kabaka Mu-
tesa, in 1862. J. H. Speke, What Led to the Discovery of the Source of the Nile
(Edinburgh, 1864), 318.
90
Gerald W. Hartwig
an Omukerebe must be sought for the Ganda piece. Again tradition places the sculptor
in the rather nebulous category of Nyamwezi since these are the people associated
with trading expeditions from the Tabora region. It should be noted in passing that
numerous pieces of collected East African sculpture do bear stylistic features of various
Congolese tribes. Neither the Kerebe nor the Ganda piece bears these features. Therefore
there is a greater possibility that the two craftsmen involved were East African, and
quite possibly Nyamwezi. Kabaka Suna’s figure of a young girl found its way into
his possession when Omukama Machunda sent it to him as a gift. Interestingly enough
the broken arm is mentioned in the Kerebe tradition, thus indicating that it was broken
before its arrival in Buganda. As in the case of kigiilya, the figure was produced on
Bukerebe by a Nyamwezi sculptor. Both of these figures emanating from Bukerebe,
as well as the metal cows possessed by Rumanyika of Karagwe7), should be considered
as creations causally linked with the exchange of trade goods in the region. By producing
these pieces of sculpture, the traders would enhance their position with influential
chiefs in the lake district who were unfamiliar with such objects. Each chief would then
use the object as he saw fit.
Fig. 5. Buzuzya’s representation of a Kerebe canoe with individually carved figures.
Collector: unknown, 1927. The British Museum, London.
Height of largest figures: 5 cm.
That the Kerebe had no carving tradition before 1895 has already been stated
though the kigiilya was certainly used by the omukama. Yet the Kerebe are credited
with a substantial art tradition. Hubert Kroll8) conceived the idea in 1933 and Ladislav
") For information on Rumanyika’s museum collection see J. H. Speke, Journal of
the Discovery of the Source of the Nile (New York, 1868), 206, 224, and H. M.
Stanley, Through the Dark Continent, I (London, 1899), 371—373.
8) H. Kroll, „Plastische Menschendarstellungen von der Insel Ukerewe im Viktoria-
See“, Ethnologischer Anzeiger, III, 142—144.
A Historical Perspective of Kerehe Sculpturing — Tanzania
91
Holy’s9) publication in 1967 represents a contemporary version of this false premise.
Their reasons for doing so are of interest not only for Kerebe sculpture but also for
much sculpture throughout Tanzania.
Kroll’s article is the basis for much of the current confusion on Kerebe sculpture;
Holy and others have uncritically accepted his assumptions. Kroll composed a master-
ful, pseudo-scientific paper on the physical attributes of the Abakerebe based solely
upon pieces of sculpture found in the Museum für Völkerkunde, Berlin, and the Museum
für Heimat-, Natur- und Völkerkunde, Essen. The Kerebe pieces (Fig. 3, 4) upon
which he based his analysis were deposited in both museums by Father Aloys Conrads,
a Roman Catholic White Father missionary who was stationed on Bukerebe. These were
acquired by the museums in 1906. Today only three pieces of this sizable collection are
available for inspection. There were five pieces deposited in Berlin, with three now
extant, and at least four items in Essen. Those which were housed in Essen and two in
Berlin were either lost, destroyed, pilfered by collectors or transferred to other museum
collections during the upheavals of war after 1940. The extant Berlin pieces are all
standing human figures. The other pieces included walking sticks with a human figure
carved as the handle and a milk cup with the bust of a human figure representing the
handle. On the basis of these carvings Kroll described the varying physical and racial
attributes of the Kerebe. The entire article was based upon nothing more than a figment
of the author’s imagination. Unfortunately for Kroll, the sculpture was not authentic,
that is, it did not reflect Kerebe society as it existed nor were the pieces of sculpture
ever used by the Kerebe themselves.
This sculpture was the product of a very talented Kerebe by the name of Buzu-
zya10), a man who carved almost exclusively for Europeans during the German era in
Tanzania. They are products of good quality by a craftsman who turned his talents
to producing sculpture for a European clientel. They are not quite in the “tourist art”
category (Fig. 5) but they represent the initial, individualistic stage of what later
developed into such products for an alien market. Conrads, the collector of Buzuzya’s
sculpture, left no information when he deposited the pieces. Hence Kroll was free to
draw whatever conclusions he liked from the objects, though their unused condition
should have suggested to him that there was something unusual about them. However
he readily assumed that the kigiilya and the pieces collected by Conrads emanated
from a common cultural tradition, a tradition which in fact did not exist.
The creator of Conrad’s pieces, Buzuzya, first began to produce articles from wood
before 1895. His initial products were shields which he made for Rukonge, the Kerebe
omukama. Sometime between the deposition of Rukonge by the German authorities
in 1895 and Buzuzya’s departure from Bukerebe around 1905, the craftsman experi-
mented in carving the human form in wood, was discovered by the Europeans and,
thereafter, was involved in sculpture until his death in the mid-1930s. What initially
9) Ladislav Holy, The Art of Africa: Masks and Figures from Eastern and Southern
Africa (London, 1967), 18. Another example can be found in the author’s “East
African Plastic Art Tradition: A Discussion of the Literature”, Genève-Afrique,
Vol. VII, No. 1, 1968,37.
10) Interview with Wanzala s/o Buzuzya, 30 September 1968.
92
Gerald W. Hartwig
stimulated his interest in sculpturing cannot be determined. Two readily apparent
possibilities are that he had seen the kigiilya when in the possession of the missionaries
or he was aware of sculptured objects from Usukuma and learned of the European’s
interest in them. Whatever the stimulus, he started to carve a picha ya muntu, a figure
of a man. He placed one of these productions along the road near his home. Europeans
Fig. 6. Female figure at the end of a kita, collected in Masanza district, Usukuma.
Collector: P. Kollmann, 1897. Museum fur Völkerkunde, Berlin, 111 E 5618. Total
length of instrument and figure: 89 cm.
Fig. 7. A woman's bust on a kita collected in Usukuma. Collector: Wulffen, 1901.
Museum für Völkerkunde, Berlin, 111 E 9137. Total length: 87 cm.
passing along the road noticed the figure, enquired about it, and shortly thereafter a
very profitable business commenced for Buzuzya. He was commissioned by numerous
individuals to produce carvings for them. The business was so lucrative that Buzuzya
very soon abandoned his hoe and worked full time as a sculptor. Not all objects were
sold to Europeans; occasionally he would take a piece of his work to the omukama,
first Mukaka, and, after 1907, to Gabriel Ruhumbika. These pieces for the abakama
(chiefs) were never used by them as their predecessors had done; they were entirely
Fig. 6
Fig. 7
A Historical Perspective of Kerebe Sculpturing — Tanzania
93
Fig. 8
Fig. 9
Fig. 10
Fig. 8. A female figure collected from Butimba. Carver: Nyawawa. Collector: W. v.
Wiese-Kaiserswaldau, 1906. Linden-Museum, Stuttgart, 45 993. Height: 36 cm.
Fig. 9. A male figure collected in Usukuma. Collector: Seyfried, 1905. Linden-
Museum, Stuttgart, 38 934. Height: 52 cm.
Fig. 10. A female figure on the end of a kita, collected in Usukuma. The probable
creator was Nyawawa of Butimba. Collector: Seyfried, 1905. Linden-Museum, Stutt-
gart, 45 370. Total length: 85 cm.
for show. Even this had its social ramifications, however, for the German administra-
tion had ordered that only an omukama and Europeans could maintain possession of
these objects. All other Kerebe, and even people of Asian descent, were not permitted to
possess sculpture. But for Buzuzya life was pleasant — at least for some years. Even-
tually his business led him into difficulties with his headman who expected him to
94
Gerald W. Hartwig
participate in communal work projects which Buzuzya refused to do. He maintained
that he was already involved in doing work for Europeans. Nonetheless he was severely
beaten. As the beating was severe enough to immobilize him for months, the German
administration soon learned of his condition when they came searching for a piece
commissioned by the governor of the territory which was not forthcoming. The head-
man was duly removed from his position and imprisoned. But Buzuzya no longer desired
to live on Bukerebe and moved to Mwanza. Fifteen years later he returned to Bukerebe.
By then the British administered the territory and his lucrative business was over though
he did produce a few objects — amaleha — before his death. These last pieces were
produced mainly for his countrymen.
Though Buzuzya’s early work cannot be regarded as reflecting a Kerebe sculpturing
tradition, there were some carved objects collected in Bukerebe before 1906 that were
authentic cultural objects. Both O. Baumann and P. Kollmann discussed this sculpture
and the latter collected numerous examples of this work11). Two of these pieces are
illustrated and discussed by Holy and Margaret Carey12).
Accuracy does not permit us to classify all these objects as either Kerebe or Sukuma
art. Apparently many of them originated from the small chiefdom of Butimba which
maintained an independent status until 1897 when it was gradually incorporated into
Bukerebe under Omukama Mukaka’s direction with the approval of the German
administration. The chiefdom’s first language is Kisukuma though today Kijita is also
spoken. The Batimba do not regard themselves as Sukuma, but as a people distinct from
their immediate neighbors: Kerebe, Jita, Shashi and Sukuma. A major factor in not
classifying them as Sukuma is that their culture also reflected an interesting admixture
of Kerebe, Jita and Shashi traditions. A part of their Kerebe tradition was and still is
the musical instrument called the kita, though in Kikerebe it is called the enanga.
It is still considered by people in the southeast lake region as being a Kerebe instrument,
one that is seldom used by the Sukuma. Yet Kollmann13), who collected numerous
examples of these instruments (Fig. 6), found them in Usukuma. Though he does not
specify the region where he collected them in The Victoria Nyanza, he did state that
they were collected in Masanza chiefdom when he deposited them in museums. These
musical instruments with a carved figure on one end all possess distinctive stylistic
features that are also present on two pieces (Fig. 8) collected by a German administrator
some seven years after Kollmann collected the instruments. Many of the pieces whose
stylistic features are strongly related, whether on a musical instrument or not, emanated
from Butimba. Even though much of the Sukuma sculpture is stylistically similar, it is
apparent that numerous craftsmen were involved. Therefore, Butimba was undoubtedly
not the sole source of the Sukuma figures but it must be regarded as an important
center for their production.
Butimba was a small, dry, sparsely populated chiefdom. Though speaking the same
language as the Sukuma chiefdoms on the southern side of Speke Gulf, the Batimba did
u) Baumann, Durch Massailand, 236; Kollmann, The Victoria Nyanza, 161—162,
169—170.
12) F. Holy, Masks and Figures, 18, 46 (notes 33 and 34).
13) Kollmann, 161—162.
A Historical Perspective of Kerehe Sculpturing — Tanzania
95
not share a common musical heritage. The Sukuma had a very strong tradition centered
around village musical associations. An important aspect of their tradition was frequent
competitions staged between two musical groups. To assist a group to win, objects or
actions were used to attract observers as the winning group was determined by the
number of people watching them at the end of the day. The objects used to attract
attention were called maleha or mahinda (Fig. 7, 9). Because of the nature of their use,
the more unusual the object, the more it attracted the attention of by-standers.
Musical competitions, along with the maleha, were not practiced by the Batimba before
1895. Because of their close geographical position to the neighboring Kerebe, the
Batimba were familiar with the enanga, which they called kita.
An important Mutimba sculptor was Nyawawa, a headman of the royal Butimba
clan, the Balega14). He produced kita with figures (Fig. 10) and bartered them to the
neighboring Sukuma, one kita for one goat; they were in turn used as maleha by the
Sukuma in their musical competitions. A part of the arrangement was that Nyawawa
would instruct the person who acquired the kita how to play the instrument. His
instrument varied significantly from that used by the Kerebe. The latter used seven
strings while Nyawawa’s had eight strings with holes bored in the ends through which
the strings were passed whereas the Kerebe notched the end of their instrument and wove
the string around the notches. Some of the Sukuma who acquired and used Nyawawa’s
instruments were actually displaced Kerebe, persons who had fled Bukerebe for
political reasons and had accepted asylum in one of the numerous Sukuma chiefdoms
along the lake littoral. The kita were valuable to the Sukuma as maleha because they
were relatively unique in their society.
Sculpture by Nyawawa (d. 1915) on the kita was spread throughout the southeast
lake region in Kisukuma speaking chiefdoms. It never found acceptance or use among
the Kerebe who had no desire to fashion their instruments in such a manner. But the
neighboring Sukuma had a need for alien objects and Nyawawa responded to their
needs. Again, the initial stimulus for this practice is not traceable but it undoubtedly
was a result of contact with Sukuma who made maleha. Though not all maleha used the
human figure, Nyawawa seized this particular mode of expression and made excellent
use of it.
The only traditional representation of the human form on Bukerebe was and is
the production of dolls by young girls for play. These dolls, ehisusano hyahana, were
produced by molding moist, sandy soil into the familiar shape of accentuated buttocks
and breasts on the female dolls. These were then either sun dried or baked. The
youngsters also made rudimentary dolls from a very soft wood, or from a millet stalk,
or from a portion of a banana stem. The most common material, however, was soil;
usually the figures depicted children and adult females. The stylistic features of the
females produced are similar to those collected and described among the Kerebe’s
southern neighbors, the Sukuma15). The only instance when girls did not make these
14) Interview with Manyanya s/o Nyawawa, 27 September 1968.
15) Kollmann, 169—170; Baumann, 235; Lionel Decle, Three Years in Savage Africa
(London, 1898), 385.
96
Gerald W. Hartwig
dolls themselves was when instruction was necessary and the mother would then pro-
duce an example. These dolls are still very much in evidence today. The tradition is so
diffuse and regarded as so unimportant that no one can remember a time when Kerebe
girls did not produce and use them.
Though not a facet of the sculpturing art itself, the Kerebe also represented the
human form with small calabashes or gourds16). They were used when twins (amarongo)
were born. The following qualification must be stated immediately, however; Kerebe
society in the twentieth century has been composed of three distinct ethnic divisions
that are now beginning to blend into a single unit. The three groups consist of the
Kerebe proper, a large segment of Jita, and a smaller group of Kara. The latter two
groups form a majority of the population as well as its lowest social element. Only the
Kerebe welcomed the birth of twins. Both the Jita and Kara regarded twins as a bad
omen and disposed of them immediately. Therefore the use of calabashes to represent
twins was confined to a minority of the population at the turn of the century. When
twins were born, the father would contact an omufumu (medicine man) who possessed
powers in this sphere. The omufumu prepared two small calabashes (ohunamwana),
measuring from five to seven centimeters in height, with burned etchings on the exterior.
In addition his own particular medicine was put inside each calabash. This was done to
protect the infants from disease, etc. On the day the infants were brought out of the
house “to view the sun”, approximately one week after birth, the omufumu conducted
a ceremony, accompanied by joyful dancing of family and neighbors. At this time he
presented the mother with the two prepared calabashes that were attached to a cord and
worn by her. The cord was worn on her right shoulder and then crossed under her
left arm so that the gourds rested near her left elbow. This procedure, however, could be
varied because each omufumu prescribed slightly different procedures. For example,
they might be worn so that the two calabashes fell on the mother’s breast.
If both children survived until weaning, the calabashes were continually worn and
removed only at the time of weaning. They were then carefully preserved by the mother
in the hope that she would again have the good fortune of bearing twins. If one child
died, however, one calabash was removed from the cord, carefully wrapped in the
cloth, or skin in the nineteenth century, which had been used to carry the infant. This
bound calabash was continually worn by the mother until weaning of the surviving
child. In some instances, the mother was instructed by the omufumu to press the bound
calabash to her breast before feeding the surviving child. When people would greet the
mother, they would always enquire about the health of both children even though the
single visible calabash informed them that one of the children had died. Her response to
the greeting was always in the plural. Finally, if both children died before weaning the
calabashes were removed and destroyed.
A Kerebe sculpturing tradition did develop during the twentieth century; its
characteristics were as bizarre as could be imagined. The tradition, because of its
essential nature, could not develop a distinctive style as occurred in Butimba In the
1S) J. A. Simard, Religion d’Ukerewe, 88—89. Interview with Aniceti Kitereza, 16
October 1968.
A Historical Perspective of Kerehe Sculpturing — Tanzania
97
latter part of the previous century. In contrast to tribal art that evolved a distinctive
style, the Kerehe sought to produce figures, not only representing the human form but
also animal forms, that varied significantly from anything ever created before.
Repetition of a particular figure by even the same carver was not encouraged, in fact it
was actively discouraged, contrary to the widely held notion that tribal society
mitigated against individual expression.
Kerebe society underwent terrific stresses with the arrival of the colonial era. Prior
to Omukama Rukonge’s deposition in 1895, society was authoritarian and hierarchial
with a majority of the population of the island in a subservient, menial relationship to
the dominating portion of society: these were the Jita and Kara elements mentioned
above. The European administration, in addition to the activities of missionaries, served
to erode the foundation of the old order. And following this erosion a crisis in authority
rapidly ensued with the former fabric of society rent into unrecognizable shreds.
Neither of Rukonge’s successors, Mukaka, 1895 —1907, or Gabriel Ruhumbika,
1907—1938, were regarded by influential Kerebe of the old order as being anything
more than selections made for them by the colonial authority. Furthermore, the missio-
naries and the introduction of a cash economy permitted the lower ranks in society
to elevate their position by means of education and wealth that was derived from
cash crops.
The democratization of society, still in progress today, symbolically started
sometime around 1915. At this time drums were widely used by the Kerebe in their
dances. Prior to this time the drum was used sparingly by the Kerebe in their dances;
the vast majority of dance forms did not use the drum. Rather the drum was primarily
associated with the omukama or his representatives. Drums had symbolized the power
of the omukama as well as his authority. Then suddenly, during the years when the
war raged in East Africa between the British and the Germans, the drum was possessed
and used by all levels of society. The leveling process had symbolically commenced.
Though the study of Kerebe music demonstrates this process better than any other
facet of society, sculpture reflected the same conditions.
When Buzuzya began carving for the Europeans and the omukama, other Kerebe
were totally disinterested in his creations. If elders are questioned today about whether
their fathers or they were desireous of obtaining Buzuzya’s creations which were denied
them by the administration, their reply is along these lines: “Why, whatever for, they
were useless things. Only an omukama or a European used those objects”. Yet after
1915, when Buzuzya returned to Bukerebe from Mwanza, he was only one of a group of
men who actively produced sculpture — no longer for the omukama or the European,
but for other Kerebe.
The sudden change occurred when men, such as Mazani, arrived in Bukerebe17).
Mazani’s father was a member of a Kerebe clan but he was living In Nassa, a Sukuma
17) Interviews with Makomba, 17 September 1968; Josephat Mdono, 17 September
1968; Mfaume Gatalya, 18 September 1968; Bernardino Buyanza, 18 September
1968; Mongerere, 27 September 1968; Matuli, 28 September 1968; and Malobo
Bangala, 3 October 1968.
98
Gerald W. Hartwig
chiefdom, when Mazani was born. Until his teens, Mazani lived in Nassa before moving
to Kibara which is on the peninsula or mainland portion of twentieth century Bukerebe.
Shortly after his arrival in Bukerebe he started the process of introducing Sukuma
traditions into Kerebc society by means of the competitive dance, a dance which
required the use of maleha, or as the Kerebe call it, amaleha. As discussed above,
amaleba were unusual objects or actions that would attract the attention of non-
participants and assist a musical group to win a competition. Because of Mazani’s
“superior power” his group usually won any competition. Other Kerebe responded by
travelling to Usukuma to learn the secret of Mazani’s power of amaleha. At first
Sukuma actually made and taught the Kerebe how to produce and use amaleha.
But it did not take long for the Kerebe to create their own amaleha. For approximately
Fig 11
Fig- 12
Fig. 11. Figure of a young girl used on Bukerebe as an ileha. Collector: Milne, around
1935. British Museum, London, Height: 115 cm.
Fig. 12. Various styles of amaleha produced hy Makomha of Bukerebe, collected by
the author in 1968. Heights: Head on left — 11,5 cm; Head in center — 17,5 cm;
Figure on right — 54,5 cm.
A Historical Perspective of Kerebe Sculpturing — Tanzania
99
thirty years the dance dominated Kerebe society, drastically altering former social
traditions, and simultaneously providing the lower echelons of society an opportunity
to raise their position by sheer ability. An excellent indicator of the change is found
within the language used in singing. It started with Kikerebe but soon Kijita dominated
the song texts, reflecting the increasing importance of the Jita element in society. Until
the early 1950s, dance was king on the island, then gradually, the church after a half
century began to make its impact mainly through education. The younger, educated
generation began the process of ridiculing and forsaking the dance. To them it
represented a tradition whose best future was a sure death. By the time of independence
in 1961 the dance was altered; competitions with amaleba were rare because they were
assumed to be unprogressive. The dance continues but mainly for show on national
holidays or for more limited functions such as marriages or pure entertainment on the
village level. Competitions have died.
Amaleba represented a form of magic. Each musical group had, and those that
continue to function still have an omufumu (a medicine man). His primary functions
were to insure the welfare of the group and to insure victory in competitions. Each
omufumu used his own particular recipe for medicine. When the medicine was applied
to the ileba (singular) it represented the group. Its inherent magical power was designed
to entice people to come and watch their performance thus enabling them to achieve
victory.
The outward manifestation of amaleba was relatively unimportant. The more novel
it was, the more likely it was to attract attention. The British Museum possesses one
example (Fig. 11); it is 115 centimeters in height with portions of the female figure
painted. The head, neck, hands and vagina are black. The lower legs are red as well as
red bands around each wrist and a very faded V-shaped red line at the neck. Both arms,
each made of two separate pieces of wood, and the ears are nailed to the shoulders and
head respectively. The figure was collected in the 1930s after it had seen considerable
Fig. 13. An endongo with the player’s personal emblem in the form of a head, produced
by Nyakyanbula and collected by the author in 1968. Length of head: 5 cm.
100
Gerald W. Hartwig
use as an ileba. It is carved of a very light wood. A man held it high over his head by
grasping the ankles of the figure. More recent examples of sculpture produced within
the past decade, are also amaleba. The illustrated figure (Fig. 12) of the man with an
old style hair arrangement possesses movable arms. The inclusion of a skirt on the figure
betrays its recent production. The walking sticks with the intriguing human head and
handle also fall in the category of amaleba. They have also seen use in musical compe-
titions.
The human figure could be constructed of soil or grasses. These objects, in addition
to other unsuccessful amaleba, were destroyed after use. Animals could be produced and
used in the same manner. Even a man could temporarily become ileba. He could cloak
himself in an animal skin, such as a hyena, and “become” that animal. A well remem-
bered ileba was the roasting of ground nuts on the roof of a thatched hut without
burning the structure to the ground. Another equally powerful ileba utilized no extra
adornments. A player of the ndono, a musical bow, shed all of his clothing, took his
instrument, mounted a wooden platform which was then lifted to the shoulders of four
men. Thus above the crowd, playing his instrument while completely nude, this ileba
earned the reputation of being one of the best.
Mazani, an initiator of musical competitions and the accompanying amaleba from
Usukuma, sang the following lyrics in Kijita while holding and waving a small human
figure above his head:
Chebula kana guli munda na Nbazu ndikutwala.
We produced a child and Nbazu I will marry you.
He would lead his dancers near the competitors and attempt to draw the observers from
them back to his own drummers. This event would climax a day of dancing and the
winner was determined by the effectiveness in handling the ileba and its accompanying
ceremony.
Another sculpturing tradition that has developed since the drastic change in the
musical life of the Kerebe is the use of a small carved human head on the end of the
musical instrument, the endongo (Fig. 13). Each player of this instrument produces his
own endongo and each player individualizes his productions by using a personal trade-
mark on the end of it. Out of approximately twenty-five endongo players today, an
estimated five of this number utilize the human head as their personal emblem. Each
player, however, produces a head which is distinctly different from that of his peers.
A historical perspective of the Kerebe sculpturing tradition reveals the first
insights into the complex, varied nature of sculpture in eastern Africa. The results of an
intensive investigation disclose that no tradition existed among the Kerebe before 1915.
When they did commence to produce sculptured figures it was a direct consequence of
the introduction of a new, Sukuma musical practice. The erroneous notion that a tra-
dition did exist before 1915 must be attributed to inadequate data from those who
collected pieces of sculpture and designated by them merely as Kerebe. From the
collected items themselves, both collectors and writers merely speculated on what
must have been, not really ever learning what the actual use was. The process of
building a scholarly ediface around pieces of sculpture by the academic community, is,
in itself, a fascinating revelation and needs to be taken into account as reassessment of
A Historical Perspective of Kerehe Sculpturing — Tanzania
101
East African sculpture occurs. Ladislav Holy’s Masks and Figures From Eastern and
Southern Africa represents the initial major discussion of sculpture from East Africa.
It should stand as a landmark — alone. There is no reason for duplicating his effort
which was based solely on European museum collections and Inadequate literature.
Futhermore, with no historical depth to buttress his approach, he has little substantial
information to offer, though this varies from region to region depending upon the
quality of the primary information available for assessment. For many peoples in eastern
Africa oral tradition can provide historical depth that will account for the introduction
of sculpturing. Where the tradition has existed for more than a century, however, oral
traditions may not be able to provide information unless it is or was associated with a
major event. Of course the significance of the results reported in this paper on Kerebe
sculpturing should not be exploited too far. Yet for western Tanzania other tribes will
undoubtedly have similar backgrounds. Generally a nineteenth century introduction
can be expected that was associated with the ivory trade and used by chiefs. Or
sculptured objects may have been grafted on to an existing institution such as the dance
for purposes more or less unique for each group of people.
For both historians and anthropologists, the Kerebe kigiilya is a fascinating study
in itself, demonstrating the interrelatedness of peoples during the mid-nineteenth cen-
tury and how innovations could readily be adopted and given meaning within a new
cultural context. The wholesale importation of a Sukuma dance tradition along with
the amaleha into Kerebe culture was revealed through the investigation of sculpture, only
in this case no major adaptation accompanied the introduction. Simultaneously the Suku-
ma dance and its requirements accounted for the production of an interesting style of
sculpture emanating from Butimba. Equally significant was the impact administrators
and missionaries had on the sculpturing tradition. Not, as is so frequently charged, to
crush the traditional practices as did happen elsewhere in Africa, but for Bukerebe
and other areas in East Africa, these same Europeans actually have distorted our per-
spective by being overly zealous in collecting many pieces of sculpture that were not
authentic pieces of material culture or even copies of such pieces. They all too fre-
quently requested or ordered pieces of sculpture to be brought to them. Then, when
depositing some of these pieces in European museums and failing to provide significant
background information, these same administrators and missionaries have grossly mis-
led contemporary African art scholars and enthusiasts. Yet, in fairness to these people,
if they had not collected the sculpture, the vast majority of traditions would be over-
looked today. They have provided valuable clues; they have in most instances not
provided answers. If this is taken into account when studying the art of eastern Africa,
they will cease to mislead us, but rather, begin to chart a new course for us.
This study represents only a beginning in unraveling the complexities of the nume-
rous traditions that existed in eastern Africa. It should not be surprising if most
authentic pieces of sculpture from central and western Tanzania that exist in European
museum collections were intricately interwoven with the movement of trade and
peoples in the mid-nineteenth century. They were Introduced during the early stage of the
ivory and slave trade, before the region became largely a disturbed area where violence
and power were supreme. The kigiilya of Bukerebe, the iron figures from Karagwe,
and the piece belonging to Kabaka Suna belonged to an era when gentle persuasion
102
Gerald W. Hartwig
and diplomacy were more important than guns and gun powder. Who the craftsmen
were that produced some of these remarkable pieces of sculpture can only be specu-
lated upon at this stage, and quite possibly, we shall never know. On Bukerebe, the
carver Is identified merely as Nyamwczi because it is assumed that a Nyamwezi chief
sent the small expedition to the island. The carver’s identity may be correct or he may
have been a slave whose original home was elsewhere. But more importantly, the
historical and anthropological ramifications that emanate from the study of East
African sculpture are of immense value. The artistic quality of sculpture too often
did not have an opportunity to develop because of the use applied to the objects. It
serves to warn us that the use of sculpture throughout sub-saharan Africa was not
uniform and the sculpture of each region must be judged on its own merits once the
use is ascertained.
A. M. Dauer
Gedanken über die Monolithen von Zimbabwe
Nach den Arbeiten von Roger Summers, K. R. Robinson und der gründlichen
Reexamination früherer Darstellungen durch H. A. Wieschhoff1) scheint das lange
berühmte Problem der südostafrikanischen Steinbauten seiner Lösung entgegenzugehen.
Weniger Beachtung haben in der bisherigen Betrachtung die zahlreichen Steinstelen
gefunden, die ein hervorragendes Merkmal des Zimbabwe-Komplexes sind. Sie finden
sich an verschiedenen Plätzen, immer an markanter Stelle, und es scheint, als hätten
die bisherigen Beobachter sie nur als zugehöriges kennzeichnendes Zierat angesehen.
Jedenfalls hat, soweit sich die Zimbabwe-Literatur verfolgen läßt, noch kaum jemand
ernstlich über sie nachgedacht.
Es handelt sich in der Regel um große Stücke, vielleicht übergroße Splitter, eines
graugrünlichen, gelegentlich schimmernden Gesteins. Über der Erde sind sie bis zu
zwei Meter lang, flach, oben häufig spitz zulaufend, und, soweit sich feststellen läßt,
ohne jede zusätzliche Bearbeitung. Sie könnten von einem geschickten Steinbrecher
durchaus in genau dieser Form aus dem gewachsenen Fels gebrochen worden sein, was
einige Rückschlüsse auf dessen Technik und die kristallische Beschaffenheit des Gesteins
zuließe. Bekannteste Standorte sind die größten und gewaltigsten Abschnitte der
Zimbabwe-Mauern, etwa ein halbes Dutzend auf der monumentalen Südmauer der
Akropolis des Zimbabwe-Hügels, zirka zwei weitere Dutzend auf der Umgrenzungs-
mauer des elliptischen Gebäudes im Tal. Die Exemplare der Akropolis ragen in der
Mehrzahl aus kleinen, V2 bis einen Meter hohen runden Sockeln, die als „Türmchen“
angesprochen werden. Die Exemplare auf der Mauer des elliptischen Gebäudes be-
schränken sich auf denjenigen Teil, der durch das Doppelwinkelmuster geziert ist.
Weitere Stelen sieht man im Westhof des elliptischen Gebäudes (Western Enclosure).
Alle weisen die gleiche charakteristische Schrägneigung auf.
Wie viele dieser Steinsetzungen original sind, wissen wir nicht. Sicher ist nur, daß sie
von den ersten Wiederentdeckern der Ruinen bereits gesehen worden sind. Sowohl die
Mauern der Akropolis als auch des elliptischen Gebäudes sind mehrfach restauriert
worden, so daß anzunehmen ist, daß eine bestimmte Anzahl wohl erst in jüngerer Zeit
an ihren heutigen Platz gelangte. Für die Monolithen des elliptischen Gebäudes weist
Roger Summers nach, daß sie erst in den Jahren zwischen 1900 und 1910 von „Be-
suchern“ an ihren jetzigen Platz gebracht wurden. Gleichzeitig stellt er aber fest,
daß einige von ihnen auf jeden Fall original sind und schon immer an ihrer Stelle
gestanden haben (a. a. O., S. 70).
Auch die Stelen im Westhof des elliptischen Gebäudes sind sicherlich erst in jüngerer
’) Roger Summers, Zimbabwe; A Rhodesian Mystery, Johannesburg 1963. — K. R.
Robinson, Zimbabwe Excavations 1958. Occasional Papers of the National Mu-
seum of Southern Rhodesia, Nr. 23 a, Cambridge. — H. A. Wieschhoff, The Zim-
babwe-Monomotapa Culture in Southeast Africa, Menasha (USA), 1941.
104
A. M. Dauer
Zeit dorthin gekommen. Man weiß, wie oft und gründlich in den Zimbabwe-Ruinen
fast ein Jahrhundert lang gegraben wurde, leider nicht immer so vorsorglich und
fachkundig wie von Maclver, Miss Caton-Thompson oder dem derzeitigen Forscher-
team Robinson und Summers. Die früheren Grabungen waren Raubzüge, bei denen
große Teile der Ruinen von oben nach unten gekehrt wurden2). Das Augenmerk der
jüngeren Forscher richtet sich auf archäologische Tatbestände; und als solche sind die
schrägstehenden schlanken Monolithen kaum mehr als ein Problem am Rande. Aber
vielleicht sind sie ein durchaus ernstzunehmendes ethnologisches Problem.
Unsere ethnologischen Quellen sagen, daß Steinsetzungen in Afrika gar nicht so
selten sind. Erst in jüngerer Zeit hat Annemarie Schweeger-Hefel auf megalithische
Elemente bei den Kurumba im westafrikanischen Obervoltagebiet hingewiesen und
überzeugend zum Ausdruck gebracht, daß solche schrägstehende Stelen die Begräbnis-
stätten hervorragender Persönlichkeiten markieren (ZfE Bd. 88, Heft 2, 1963, S.
266 ff.). Von den Shona-Gruppen, die im Zimbabwe-Gebiet wohnen, wird die Bedeu-
tung von „maDzimhahwe“ als „graves of the chiefs“ angegeben (Summers, a. a. O.,
S. 73, 102).
Nun muß sich die Bedeutung „Königsgräber“ durchaus nicht auf die steinernen Ste-
len beziehen. Es hat sich bei der Durchforschung der Akropolis ergeben, daß zumindest
ein Teil von ihr, nämlich der heute vollkommen verwüstete Osthof (Eastern Enclo-
sure), das Sanktuarium dieses Komplexes war. Aus alten Berichten geht hervor, daß
sich im Umkreis dieser Stelle viele Gräber befunden haben, wie viele, ist nicht mehr
festzustellen. Schließlich befindet sich dort auch heute noch ein einzelnes, sorgfältig
gehütetes und der Öffentlichkeit nicht zugängliches Grab — die Ruinen von Zimbabwe
sind mittlerweile ein beliebtes Touristenziel geworden —, das in ursprünglichem Zu-
stand belassen wurde, während alle anderen erbrochen, ausgeraubt und zerstört sind.
Die Akropolis ist jedenfalls eine Begräbnisstätte gewesen.
Der gleiche Osthof ist auch der Fundort der bekannten Zimbabwe-Vögel. Das sind
specksteinerne Stelen von außerordentlich schlanker Statur, oval im Durchschnitt, bis
zu zwei Meter lang, mit poliertem Schaft und an der Spitze mit einer noch nicht näher
identifizierten Vogeldarstellung. Die genauen Fundorte dieser Vogelstelen sind nicht
verzeichnet, so daß sich auch nicht sagen läßt, ob sie sich in der Nähe, oder direkt bei,
oder über einem Grab befanden. Roger Summers (a. a. O., S. 73) glaubt, auf Grund
von Beobachtungen bei den heutigen Shona, daß sie durchaus in einem Zusammenhang
mit den Gräber gebracht werden dürfen: als Erinnerungszeichen für hervorragende
Persönlichkeiten, als mnemotechnische Mittel, vielleicht im Sinne einer Repräsentierung
von Genealogien oder Dynastien.
Der Zusammenhang könnte sich über den Brauch der Shona hersteilen, ein Sorti-
ment von Speeren (pfumo) als mnemotechnisches Mittel bereitzuhalten, um eine Ver-
bindung zu den Ahnen erreichen zu können, wenn sich der einzelne oder die Gruppe
in einer Notsituation befindet. Jeder dieser Speere gilt als die Repräsentanz eines ganz
2) Von 1896 an nahm die „Ancient Ruins Company“ 5 Jahre lang legale Raubgrabun-
gen vor, bei denen Goldobjekte gefunden und größtenteils ohne vorherige wissen-
schaftliche Aufnahme eingeschmolzen wurden. Vgl. /. D. Clark, The Prehistory of
South Africa, Harmondsworth 1959, S. 290.
Gedanken über die Monolithen von Zimbabwe
105
Abb. 1. Westhof des elliptischen Gebäudes.
bestimmten Vorfahren und unterscheidet sich von allen anderen. Mit den Speeren
werden Anrufungen der Ahnen durchgeführt, die ihrerseits als Zwischenglieder die
Verbindung mit Gott hersteilen. Jedenfalls unterscheiden sich die Vogelstelen von
Zimbabwe untereinander wie die Pfumo-Speere der Shona, und eine Ideenverbindung
zwischen beiden ist gewiß nicht ohne sorgfältige Prüfung von der Hand zu weisen.
Eine andere Frage ist die Möglichkeit eines eventuellen morphologischen Zusam-
menhangs zwischen den unbearbeiteten Steinstelen im übrigen Zimbabwe-Komplex
und den Zimbabwe-Vögeln. Möglicherweise besteht tatsächlich keine Verbindung zwi-
schen ihnen. Bei Durchsicht der älteren Zimbabwe-Literatur stößt man jedoch auf eine
Stelle, die zum Nachdenken anregt.
Die älteste neuzeitliche Beschreibung der Zimbabwe-Ruinen besitzen wir von dem
deutschen Geographen Carl Mauch. Er hat die Ruinen am 5. September 1871 wieder-
entdeckt, und am 11. September die Erlaubnis erhalten, „die Natur der Ruinen näher
zu prüfen“. Er hat an zwei Stellen darüber geschrieben3). Die erste Veröffentlichung
3) Carl Mauch’s Entdeckung der Ruinen von Zimbaoe, 5. September 1871. In: Mit-
theilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt über wichtige neue Erfor-
schungen auf dem Gesamtgebiete der Geographie von Dr. A. Petermann. 18. Band,
Gotha 1872, S. 123 f.
Carl Mauch’s Reisen im Inneren von Süd-Afrika 1865—1872. Ergänzungsheft
No. 37 zu Petermann’s „Geographischen Mittheilungen“, Gotha 1874, S. 49 ff.
Vgl. auch Hans Offe, Carl Mauch — Leben und Werk des deutschen Afrikafor-
schers. Zu Carl Mauchs 100. Geburtstag herausgegeben vom Württ. Verein für
Handelsgeographie e. V., Stuttgart 1937.
106
A. M. Dauer
Ahh. 2. Nördliche Außenmauer mit Doppelwinkelmuster und S te in „halben“.
Ahb. 3. Nördliche Außenmauer der „Akropolis“.
Gedanken über die Monolithen von Zimbabwe
107
ist eigentlich nur eine kurze Notiz über den vollzogenen Tatbestand der Entdeckung.
Der zweite Bericht, der sich durch größere Ausführlichkeit auszeichnet, wurde immer
wieder in der Zimbabwe-Literatur zitiert und gilt als das Mauchsche Kronzeugnis. Der
erste, kleine Bericht ist heute praktisch vergessen.
Da Mauch in einer Sprache schreibt, die dem Zeitgeschmack entsprechend schwer-
fällig und umständlich ist, wurden bei der Übersetzung durch spätere Autoren allerlei
Fehler gemacht. Roger Summers hat deshalb den zweiten, größeren Bericht noch ein-
mal sorgfältig und ausführlich ins Englische übertragen, hauptsächlich um aus den
Zeilen des Entdeckers entnehmen zu können, was dieser tatsächlich sah, und was mög-
licherweise heute nicht mehr zu sehen ist. Überrascht bemerkte er bei dieser Gelegenheit,
daß Mauch an mehreren Stellen des Areals zerfallene Bauwerke verzeichnet, von denen
heute nichts mehr vorhanden ist.
Nach Auffassung von Roger Summers geht aus dem Mauchschen Bericht auch her-
vor, daß dieser weder die Steinstelen, noch die Zimbabwe-Vögel gesehen hat. Die Ent-
deckung der letzteren wird Willi Posselt zugeschrieben, der nach seinem Besuch im Juni
1889 als erster darüber schrieb, und auch ein Exemplar davon erwarb. Es wurde später
von Cecil Rhodes angekauft und steht heute in der Bibliothek von Rhodes’ Haus in
Kapstadt in der Groote Schuur.
Wenn man Mauchs Bericht indes mit Sorgfalt liest, stellt man fest, daß ihm zumin-
dest die Steinstelen nicht entgangen sind. Da er zu seiner Zeit auf das Vorkommen
solcher Steinsetzungen aber nicht gefaßt war, deutete er sie in völlig anderer Weise,
nämlich als steinerne Balken zur Stützung der anderweitig ohne alle Bindungsmittel
aufgeführten Mauerwerke. Diese Berichtstellen müssen Summers unklar geblieben sein,
der sie zwar übersetzt, aber den Fehlschluß Mauchs nicht vermerkt. Die Mauern von
Zimbabwe haben tatsächlich keinerlei Stützbalken, weder hölzerne noch steinerne; wohl
aber kann man, wenn man Mauchs Vorstellungen unterlegt, zu der Auffassung kom-
men, es seien diese seltsamen Steinsäulen die Spitzen von steinernen Balken, in das
Mauerwerk zur Abstützung eingearbeitet, und eben deshalb aus dem derzeit oberen
Mauerkranz herausragend, weil das sie ursprünglich umgebende höhere Mauerwerk
inzwischen verfallen ist.
Die genauen Zitatstellen bei Mauch lauten wie folgt. Im kurzen ersten Bericht: „An
manchen Stellen stehen noch Steinbalken von 8 bis 10 Fuß Länge aus dem Mauerwerk
hervor, in welchem sie einige Fuß tief festsitzen, denn sie können kaum bewegt werden.
Sie haben höchstens 8 Zoll Breite bei 3 Zoll Dicke und bestehen aus sehr festem, metal-
lisch klingendem Gestein von grünlich-schwarzer Farbe“. Im zweiten Bericht: „Hier
werden auch an den eingestürzten oberen Theilen die Steinbalken sichtbar, indem sie
mehrere Fuß lang aus der Mitte der Mauer senkrecht und in einer Entfernung von etwa
8 zu 8 Fuß emporragen. Sie scheinen der ohne Mörtel aufgeführten Mauer als innere
Stützen, an welche sich die einzelnen Bausteine anlehnten, gedient zu haben, sind aus
Glimmerschiefer, der sich holzartig spalten läßt, hergestellt und mögen ihre 15 bis 20
Fuß Länge bei etwa 4 Zoll Durchmesser oder Dicke haben“. Über den bislang so ge-
nannten „Tempel“ im Tal: „auch hier haben Steinbalken zur Festigkeit der Mauer die-
nen müssen, wie an einigen Stellen zu sehen ist, wo der obere Theil einstürzte“.
Nun sind aber an den Stellen der „Steinbalken“ die Zimbabwe-Mauern durchaus
nicht eingestürzt, wie die schöne Führung des Doppelwinkelmusters am elliptischen
108
A. M. Dauer
Abb. 4. Vogelstele. Nach Carl Manch, 1872, S. 123.
Gebäude beispielsweise zeigt; wir haben hier sicherlich die erste Beschreibung der unbe-
arbeiteten Zimbabwe-Stelen durch Carl Mauch vor uns.
Falls zwischen diesen unbearbeiteten Stelen und den Zimbabwe-Vögeln irgendein
Zusammenhang bestehen sollte, könnte man ihn möglicherweise im Vorhandensein be-
arbeiteter Stelen erblicken. Von denen läßt sich in der Tat auch ein Nachweis erbringen.
Mauch gibt in seinen beiden Berichten nämlich außerdem noch Nachricht von einem
„Steinbalken“, der sich durch charakteristische Oberflächenverzierung des Schaftes
auszeichnet. In seinem ersten Bericht findet sich sogar eine (wie es scheinen will, etwas
schematisierte) Abbildung (vgl. Abb. 5).
Die Zitatstellen lauten, im ersten Bericht: „Einen im Durchschnitt ellipsoiden Stein-
balken von 8 Fuß Länge fand ich, an dem Verzierungen eingeschnitten sind“. Im zwei-
ten Bericht: „Ich bemerkte nur einen dieser Steinbalken, auf den mehr Fleiß verwendet
worden ist, er hatte einen ellipsoiden Durchschnitt mit Achsen von 4 Zoll und 2V2 Zoll,
Gedanken über die Monolithen von Zimbabwe
109
bestand aus talkigem Glimmerschiefer und hatte auf seiner glatten Außenfläche meh-
rere ornamentale Zeichnungen eingeschnitten“.
Was Mauch hier wirklich gesehen hat, ist nicht ganz klar. Er sagt weiter nichts über
die genaue Fundstelle des Stücks; desgleichen notiert er nicht, ob es sich um ein Bruch-
stück oder eine komplette Stele, bzw. einen vollständigen „Steinbalken“ handelte. Die
dem ersten Bericht mitgegebene Zeichnung (S. 123) sieht zwar mehr nach einem Bruch-
stück aus, kann aber ebensogut eine Wiedergabe aus dem Gedächtnis oder nach Be-
schreibung aus zweiter Hand sein. Die abgebildeten Verzierungen aber enthalten im-
merhin die Fischgrät- und Doppelwinkelmuster, die in den Zimbabwe-Mauern einer-
seits häufig zu sehen, andrerseits auch auf den Podesten der Zimbabwe-Vögel einge-
schnitten sind. Auffallend ist desgleichen die Mitteilung, daß es sich um ein außer-
ordentlich schlankes Stück handelte, daß sein Durchschnitt oval, die Außenfläche ge-
glättet war, und das Material wahrscheinlich, wie bei den Vogelstelen, aus weichem
Speckstein bestand.
Ob Carl Mauch mit diesem Steinstück womöglich den ersten Bruchteil eines Zim-
babwe-Vogels in der Hand hatte, oder, falls es sich bei der angegebenen Fänge in
Wirklichkeit um ein ganzes Exemplar handelte, ob wir ihm die bisher einzige erhaltene
Nachricht von einer bearbeiteten Steinstele verdanken, die außer den rohen Stelen und
den Vogelstelen noch in Zimbabwe hergestellt und verwendet wurden, und die mög-
licherweise ein Bindeglied zwischen den beiden darstellte, ist eine Frage, über die sich
nur noch an Ort und Stelle und durch glücklichen Fund Auskunft erhalten lassen wird.
Wolfgang Laude
Namen und Gebrauch einiger Seemuscheln und -Schnecken
auf den Murray Islands, Torres Straits
Eine Inselkultur, wie die der Bewohner der Torres Straits, und das Vorhandensein
von Korallenriffs, die die Inseln umgeben, fordern eine intensive Benutzung von Mu-
scheln und Seeschnecken für allerlei Zwecke geradezu heraus. Das Fehlen von Metall
und Töpferei sowie mannigfache andere Umstände waren der Verwendung von Mu-
scheln und Schneckenschalen dabei nur förderlich.
Während meines Aufenthaltes auf der östlichen Inselgruppe, den Murray Islands
(Inseln Mer, Dauar und Waier; nur die größte, Mer, ist heute noch bewohnt), in dich-
tester Nachbarschaft des Great Barrier Reef, stellte ich eine kleine Sammlung der loka-
len Muscheln und Seeschnecken zusammen. Dann rief ich meinen besten Informanten,
den alten Marau Mimi (geboren 1882), und fragte ihn nach ihren einheimischen Na-
men und nach der Verwendung, die sie traditionellerweise in der lokalen Kultur ge-
funden haben. Die hier wiedergegebenen Namen sind also die der Miriam-Sprache.
Identifiziert wurden die Muscheln und Schnecken in erster Linie mit Hilfe des Werkes
von Rippingale und McMichael (1961). Ferner wurden herangezogen die Arbeiten von
Allan (1960), Melvin (1966) und Abott (1962).
Die folgende Beschreibung ist weder vollständig, soweit das die um die Murray
Islands herum vorkommenden Mollusken betrifft, noch vermutlich soweit es die der-
einst in der Murray-Island-Kultur benutzten Muscheln und Schnecken angeht. Für den
ersten Gesichtspunkt kann hier ohnehin keine Vollständigkeit angestrebt werden. Für
den zweiten aber läßt sich sagen, daß zweifellos das wichtigste hier zusammenge-
faßt ist.
Über die hier genannten Speisemuscheln hinaus waren vermutlich noch andere ge-
nießbar. Es scheint aber, daß für alle anderen Zwecke sich gewisse feststehende Ge-
bräuche ergeben haben, denn nach unseren Begriffen könnte wohl fast jede der vorhan-
denen Muscheln und Schnecken Verwendung als Schmuck der Menschen oder Deko-
ration von Gegenständen finden, während sich der Gebrauch als Werkzeug natürlicher-
weise auf physikalisch geeignete Arten einschränkt.
Es wurde hier in erster Linie versucht, zusätzliche Information in Ergänzung zu
Haddons Mitteilungen in seinen „Reports of the Cambridge Anthropological Expedi-
tion to Torres Straits“ darzubieten, weshalb auf letztere hingewiesen wird, ohne sie
aber in allen Einzelheiten zu wiederholen. In Band IV der Reports finden sich allerlei
zusätzliche Auskünfte, besonders auf den Seiten 32 ff., nämlich im Kapitel über
Schmuck und Kleidung, und auf Seite 122 (Gefäße)1).
) Die Hinweise auf Haddon’s Reports werden künftig abgekürzt erscheinen: Zum
Beispiel „CR IV, 183“ bedeutet „Cambridge Reports Band IV, Seite 183“.
112
Wolfgang Laude
Einleitend sei gesagt, daß der allgemeine Name für Seeschnecken sor ist, was zu-
gleich Schneckengehäuse, Nußschale, Trinkgefäß bedeutet (s. CR III, 160)-). mi ist ein
allgemeiner Name für mehrere tridacna - Arten.
In einigen Fällen werden Mollusken miteinander in Beziehung gesetzt, die nur be-
dingt oder gar nicht miteinander zu tun haben. So zum Beispiel gibt es für die Insu-
laner eine „männliche“ seskip (nicht identifiziert) und eine „weibliche“, manci-
nella tuberosa, aus deren Beschreibung zu folgern ist, daß sie nach den Defini-
tionen der Malacologie keinerlei Beziehung zueinander haben. Unter den Konus-
schnecken gilt die lig le, conus marmoreus, als kleines oder Jugendstadium
der lu sor, conus litteratus und conus millepunctatus, wobei die
beiden letzteren als gleichartig gelten. Die größten Exemplare, die man gelegentlich tot
und verblichen auf dem Riff findet, werden hingegen wauri genannt. Mehr läßt sich
hier über die „Naturwissenschaft“ der Insulaner nicht sagen, obwohl sich damit ver-
mutlich ein interessantes Studiengebiet eröffnen würde. —
Es ist schwierig, eine Ordnung in die folgende Aufstellung zu bringen. Eine ma-
lacologische sagt nichts Ethnologisches aus, und wir sprechen ja hier vom Gebrauch der
Muscheln und Schnecken. Da viele von ihnen aber in verschiedener Weise Verwendung
finden, ist auch eine Einteilung nach dem praktischen Gebrauch schwierig, wenn man
nicht die unterschiedliche Benutzung ein und derselben Muschel in verschiedenen Ab-
schnitten beschreiben will. Als Kompromißlösung wurde die Gliederung nach dem
hauptsächlichen Gebrauch, in einer Gruppe auch nach ihrer Beziehung zum
Malo-Kult, vorgenommen, dafür aber jede Muschel oder Schnecke nur einmal mit allen
ihren Verwendungsarten besprochen.
Die erste Gruppe stellt Muscheln und Schnecken vor, deren Fleisch als Speise be-
nutzt wurde (der Gebrauch als Nahrung hat sich unter dem Einfluß europäischer Spei-
sen sehr vermindert), deren Schalen oder Gehäuse aber keine weitere Verwendung
fanden;
gern — Austernarten
deir deir — lunella squamosa
keret — strombus luhuanus
sepir — h a 1 i o t i s
kimkim — eine tridacna
kuk — nerita lineata
taip kuk — eine andere nerita- Art
wesar kuk — „Weiß-Haar-&«&“, nerita albicilla
zi kuk — nerita- Art.
Bei den folgenden Speisemuscheln gab es zusätzliche Assoziationen:
Lider — venus (paphia) glabrata. Speise; wurde aber nicht von Erwach-
senen, sondern nur von Kindern genossen. Wird als Medizin gegen Husten betrach-
tet: Sie wird gekocht, und der Absud frisch getrunken (Marau; „Put in saucepan.
Just when milked out, drink juice“).
2) hu sor ist zum Beispiel die traditionelle Wasserflasche, bestehend aus einem Paar
Kokosnußschalen, die an einer sie miteinander verbindenden Schnur um den Hals
getragen wurden, wenn man in den Garten ging.
Namen und Gebrauch einiger Seemuscheln und -Schnecken 113
Ahh. 1. Röststelle von Kuki-s, auf einer verlassenen Insel.
Ahh. 2. Izir als Kochtopf, auf einer verlassenen Insel.
s
114
Wolfgang Laude
seskip — mancinella tuberosa: Dieses gilt als die „weibliche“ seskip, wäh-
rend eine andere, längliche Schnecke als „männliches“ Gegenstück angesehen wird.
Man röstet das Tier der „weiblichen“ seskip in Holzfeuer und gibt es Kindern zu
essen, damit es ihnen gutes Rede- und Singetalent verleihe, denn (Marau) „when
you roast seskip you hear him make 'au mir mir\ (bubbling) noise like talk“. Nach
Haddon (CR VI, 106) wurden nazir und maher (s. d.) zum gleichen Zweck verwen-
det. S. a. Geschichte von Kaperkaper (CR VI, 53).
mokepu — cypraea tigris (Tigerkauri). Das Fleisch wurde gegessen, sein Genuß
war jedoch Schwangeren untersagt, da es ihnen angeblich Diarrhoe verursachte (CR
VI, 105).
Der „Mund“ der größeren Tigerkauris wurde gelegentlich als „Mund“ für Masken
benutzt (s. a. CR VI, 277).
Die folgenden Muscheln fanden vielseitigere Verwendung, in Ermangelung von Töpfe-
rei vor allem als Gefäße.
Ahb. 3. Izir (Valuta amphora), als Wasserschöpfer auf Kanus benutzt.
izir — voluta (melo) amphora. Speise. Wenn jedoch eine Schwangere das
Fleisch ißt, so „wird ihr das Kind im Leibe kalt“ (CR VI, 105). Der englische Name
dieser Volute lautet „bailershell“, und tatsächlich geben die größeren von ihnen,
mit der Columella als natürlichem Griff, ideale Wasserschöpfer ab, so wie sie als
solche heute noch auf den Kanus der nördlichen Inseln (Saibai, Dauan, Boigu) be-
nutzt werden. Große und mittelgroße Exemplare wurden auch als Wasserschöpfer
an Brunnen benutzt. Kleine Stücke, die zum Wasserschöpfen an den Brunnen herum-
lagen, nannte man meda.
Große Amphoren wurden, nach Entfernung des Columella-Teiles von den Frauen
als Wassergefäße und vor allem als Kochtöpfe verwendet, wobei diese Volute in der
ganzen Torres Straße die einzige vorhandene Form des traditionellen Kochgefäßes
darstellt.
Beim Schlachten der Riesen- oder Suppenschildkröte (chelone midas) dien-
ten die größten Stücke als Schüsseln zur Aufnahme von Blut, Innereien und Ova-
rieneiern des Tieres.
Namen und Gebrauch einiger Seemuscheln und -Schnecken
115
Aus dem Buckelteil einer großen Amphora wurde das eh neup oder alida herge-
stellt, ein dreieckiger Schamdeckel, den die Männer im Kriege oder beim Tanz an
einer Hüftschnur trugen ( s. a. CR IV, 201 f.).
terpar — tridacna gigas. Speise. Die Schale durfte aber nicht einfach weg-
geworfen werden, sondern sie mußte auf einen zogo-Platz gebracht werden. In die-
sem Zusammenhänge verwies Marau auf das „zogo-Gesetz“: „terpar kiaur kiaur
terpar“ (s. CR VI, 298, Vers c). Die größten Exemplare wurden gewöhnlich auf
Handelsexpeditionen von den zentralen Inseln der Torres Straße eingeführt; ein-
mal im Jahre pflegten die Central Isländers zu Handelszwecken nach den Murray-
Islands zu kommen, und unter den mitgebrachten Tauschwaren hatten die großen
„zogo-Muscheln“ ganz besonderen Wert3) (zu diesen gehörten auch die hu genann-
ten syrinx aruanus). Wali, Gadodo und Bablo hatten dereinst dem jungen
Marau erklärt: „Shells you find here in bush on zogo place (are) not from reef here;
all from Central Islands“. Vom Umschlagplatz Peibre an der Südwestseite von
Mer wurden die Muscheln in feierlicher Prozession nach Gazir, ins eigentliche Wohn-
gebiet der Miriam le, aus deren Reihen sich die zogo le (Priester-Zauberer) rekru-
tierten, gebracht und auf die verschiedenen zogo-Plätze verteilt.
Die großen Tridacnas, die man auch miskor nennt, werden heute noch in den Gärten
und im Dorfe als Regenwasserbehälter benutzt, während sie früher auch als Stampf-
und Mischgefäß für die mahus genannten Breispeisen dienten4).
Kleinere terpars, wie sie auf den Riffs um Murray Islands herum zu finden sind,
wurden gegessen, ihre Schalen hatten jedoch keinen Wert. Mit einer Ausnahme: die
Schalen der kleineren, bis zu handgroßen terpars, wie auch die anderer Tridacnas
und lambis-Muscheln, wurden auf den Ib- oder Magur-Umzügen (s. CR VI, 311 f.)
klirrend gegeneinander gerieben: als warnendes Signal, das alle Uneingeweihten
und Unbeteiligten in die Häuser trieb. Denn wer der Ib-Leute ansichtig wurde, war
dem Tode verfallen5).
Aus der dickwandigen Schale der miskor wurden früher auch Nasenpflöcke, kirkuh,
geschnitten (CR IV, 39 f., plate IX, 6—9). Auf den zentralen Inseln der Torres
Straße wurden in Ermangelung von geeignetem Stein daraus auch Beilklingen her-
gestellt, die auf dem Handelswege bis nach den Murray Islands gelangten (CR
IV, 125).
3) Siehe W. Laade, „Ethnographical Notes from the Murray Islands, Torres Straits“.
Erscheint 1969 in „Zeitschrift für Ethnologie“.
4) Ketai mahus war vom wilden Yams (ketai) gemacht, der zunächst weichgekocht und
dann in der dickwandigen, robusten Tridacna-Schale zu Mus gestampft wurde. Ein
anderes mahus wurde vom gar (westl. Inseln hiu), einer bestimmten Mangroven-
frucht, kaha mahus von Bananen hergestellt. In jedem Falle wurde der Grund-
bestandteil weich gekocht, zu Brei gestampft und mit Kokosmilch und Kokosraspeln
vermischt genossen.
5) Zwei entsprechende historische Geschichten werden gelegentlich in einem Band ver-
öffentlicht, der mündliche und schriftliche Dokumente zur Geschichte und Kultur der
Murray Inseln enthalten wird.
116
Wolfgang Laude
nor mi — tridacna fossor? Wurde als der terpar ähnlich beschrieben, hat
jedoch stumpfe Kanten mit flacheren „Zähnen“. Zu behandeln wie die terpar: das
heißt sie gehört nicht auf den Abfall, sondern auf zogo-Plätze.
Beziehungen zu zogo haben auch;
äs 1 — murex (chicoreus) ramosus. Speise; leere Schalen durften nicht auf
den Abfall geworfen, sondern mußten an die zogo le abgegeben werden: (Marau)
„äs must come to Gazir“. In Gazir verteilten die zogo le die großen Schnecken-
gehäuse auf die einzelnen zogo-Plätze.
äs 11 — cassis cornuta. Das Miriam-Wort äs bezeichnet also zwei Seeschnecken,
die miteinander nichts zu tun haben. Die cassis cornuta, die nur um das
benachbarte Darnley Island herum gefunden wird, war wie äs 1 zu behandeln, also
an die zogo le abzuführen. Ihr Fleisch diente als Speise, während das Gehäuse auch
als stehendes Wassergefäß benutzt wurde (Abb. in CR IV, 122). Aus dem Gehäuse
wurden früher auch Nasenpflöcke, kirkuh, geschnitten (CR IV, 40).
Miriam mi oder beizam mi — h i p p o p u s h i p p o p u s . mi ist eine generelle Be-
zeichnung für Tridacnas. Der Name dieser Muschel verrät ihre Beziehung zu zogo-
Angelegenheiten, die ja in den Händen der Miriam le von der Nord- und Ostseite
der Insel lagen, beizam mi bedeutet „Haifisch-Tridacna“. Der Hai spielt als Symbol
Malo’s eine ganz besondere Rolle in Kult und Glauben der Murray Insulaner. Das
Fleisch der kaum mehr als handgroßen Muschel diente als Speise. Die Muschelhälften
aber wurden als Fußangeln um zogo-Plätze herum ausgelegt, lose mit Erde und
Laub verdeckt. Die scharfen, ungleichmäßigen „Zähne“ der Muschel verursachten
dem Eindringling, der in sie trat, sehr böse Fußwunden, die als „Haifischbisse“, das
heißt als Strafe Malo’s selbst, gedeutet wurden. Wenn jemand mit solchen Wunden
ins Dorf heimkam, wußten die zogo le sofort Bescheid, und der Betreffende wurde,
nach Marau, mitsamt seiner Familie „noch heute, nicht erst morgen“ umgebracht.
Sein Haus und Garten wurden niedergebrannt.
Die Muschel wurde auch als Klapper — die beiden Hälften gegeneinander gerieben
— bei den Ib- oder Magur-Umzügen benutzt.
wageb — (westl. Inseln akul; geloina coxans). Eine Mangrovenschlamm-
muschel, die nicht auf den Murray Islands, sondern hauptsächlich auf den westlichen
und nördlichen Inseln der Torres Straße vorkommt. Ihr Fleisch liefert eine ausge-
zeichnete Speise und ihre Schale mit ihrer scharfen Kante das traditionelle „Küchen-
messer“.
Marau’s merkwürdiger Kommentar lautete: „Wenn irgendwo die Malo Zeremonien
abgehalten werden, und man hört (anderenorts) das Geräusch dieser Muschel (wenn
sie ihre Schalen bei menschlicher Annäherung zusammenklappt), so weiß man gleich:
das ist wageb. Wenn Malo-Zeremonien stattfinden, muß wageb dieses Geräusch
machen, ich weiß nicht warum. Ich habe es selber gehört. Wer das Geräusch ver-
nimmt, darf niemandem davon erzählen. Selbst die zogo-Leute durften nicht dar-
über reden, wenn sie das Geräusch gehört hatten“.
Meeres-wageb — centillaria tigerina? Speise. Wurde zum Schrapen von
Kokosnuß benutzt. Da auch diese Muschel auf den Murray Islands nicht vorkommt,
bezog man sie, genauso wie die Mangroven-wageb, zur Benutzung als Schneide-
und Raspelwerkzeug, von Neuguinea. Auch für die Meeres-wageb gilt, was für die
Namen und Gebrauch einiger Seemuscheln und -Schnecken
117
Abh. 4. Zerbrochene syrinx aruanus (bu) an altem zogo-Platz.
Abb. 5. Tridacna auf altem zogo-Platz.
118
Wolfgang Laude
Mangroven-w<3ge/> galt: Wenn die Malo-Zeremonien irgendwo abgehalten wer-
den, „muß die wageh reden“.
kaip — asaphis deflorata. Speise. Die größeren Muscheln werden zum Ras-
peln von Kokosnuß, die kleineren zum Abkratzen der Kohle von auf offenem
Feuer gerösteten Früchten (Yams, Kassava, Süßkartoffeln, Papayas u. dgl.) benutzt.
Nach CR VI, 154, wurde die Muschel auch zum Anbringen der koima-Ziernarben
benutzt.
tik — ensiculus hilaris. Dient noch heute zum Raspeln von grünen und Koch-
bananen.
Die folgenden Seeschneckenarten wurden gelegentlich zum Schutze gegen Diebe als
Fußangeln um die Gartenplätze herum so in den Boden gesteckt, daß nur die feinen
Spitzen nach oben herausragten. Sie wurden leicht mit losem Laub und lockerer Erde
bedeckt.
a sor — lambis crocata. Das Fleisch dient auch als Speise.
deg a sor — lambis sowerbyi? Eine kleinere Lambis mit kleineren Spitzen.
Gilt als jüngere a sor.
Abh. 6. Wageb zum Schneiden einer Knollenfrucht benutzt.
ne asor — lambis (harpago) chiragra.
kanai — terebra spec. Diese lange, sehr spitze Schnecke wurde gleichfalls um
Gartenplätze, hauptsächlich aber um private Landstücke herum, auf denen ketai
(wilder Yams) wuchs, mit der Spitze nach oben im Boden angebracht.
Die folgenden Muscheln und Seeschnecken dienten bevorzugt der Fierstellung von
vielerlei Schmuck und zur Dekoration von Gegenständen. Die Abbildungen bei Fiaddon
zeigen, daß gelegentlich auch andere Muscheln und Schnecken hierfür Verwendung fan-
den, wichtig sind in diesem Zusammenhang aber vor allem die hier genannten.
ida ida — nautilus pompilius (Nautilusschnecke). Speise. Das Gehäuse wurde
als Becher zum Wassertrinken benutzt.
Stücke ihres Perlmutts (piau) wurden als schimmernde „Augen“ auf Mumien-
köpfe und gewisse Masken (zum Beispiel meket sarik; s. CR VI, 275) aufgeklebt.
Aus dem Nautilus-Perlmutt wurde weiterhin der Ohrschmuck hervorragender Män-
Namen und Gebrauch einiger Seemuscheln und -Schnecken
119
Ahh. 7. Murray-Insulaner mit dihidihi.
ner, das ida ida laip (Nautilus-Ohrmuschel) oder laip piau (Ohren-Perlmutt), ge-
fertigt (CR IV, 40). Desgleichen das piau mat lager, eine Halskette aus kleinen
Nautilusperlmuttplättchen (CR IV, 36, 386; plate IX, 2—3) und der vierzackige,
sternförmige Stirnbandschmuck seuri seuri piau (seuri seuri ist ein Seestern).
wauri — conus milepunctatus und conus litteratus; „armshell“.
wauri werden die großen, toten und ausgeblichenen Exemplare dieser beiden Konus-
arten genannt, die, wenn noch lebend, kleiner und mit braunen Tupfen versehen,
lu sor heißen. Das scheibenförmige, dicke Ende des Gehäuses ergab, glatt geschliffen
und fein poliert, den charakteristischen Brustschmuck dihidibi (auch auf den übrigen
Inseln der Torres Straße), den die erwachsenen Männer um den Hals zu tragen
pflegten und der so etwas wie ein Mannbarkeitszeichen war (CR IV, 43 ff.; fig. 61
und plate 8, fig. 1 und 3).
Haddon fand auf Mer einen Ring als Ohranhänger, der aus dem gleichen Teile der
Muschel geschnitten war (CR IV, 40). Aus den Seitenwänden des Konus wurden
die dreieckigen weißen Halsbandanhänger der verheirateten Frauen, o, o wauri
oder o kaukau, gefertigt, die Haddon beschreibt (CR VI, 114 und plate XVI,
15—20; CR IV, 47, 49).
Vor allem aber war das wauri der wichtigste Tauschartikel im Handel mit Neu-
guinea. Von den Papuas zur Herstellung von Armreifen (daher die Bezeichnung
120
Wolfgang Laude
„armshell“) über die Maßen geschätzt, ließ sich für den Preis von 1 wauri eine
Trommel, für 6 „armshells“ ein Kanu erwerben (CR IV, 56; CR VI, 185 f.).
Auch das dihidihi hatte bedeutenden Handelswert. Haddon (IV, 44): „The dihidihi,
even more than most ornaments, except the . . . wauri, served also as a kind of
currency. They varied much in size and had a corresponding value, thus no table of
equal exchange can be drawn up. I gathered that ten or twelve dihidihi of fair size
would be equal in value to a large shell armlet, . . . wauri, to a canoe, to a dugong
harpoon, or to a wife. Three or four dihidihi would constitute an annual instalment
for a canoe“.
waraz — kleine o 1 i v a e , die nicht identifiziert wurden, da sie zum Zeitpunkt von
Marau’s Befragung nicht zur Hand waren.
Aus diesen Olivae wurden Halsketten gemacht, die, nach Haddon (CR IV, 41),
einen erheblichen Wert darstellten: „A good one was equal to the highest unit of
value (a canoe, etc. . . . )“. Haddon sagt ebendort: „When fresh this olive shell is of
grey colour, but I was informed that Took him and he come white’“.
mai — pinctada maxima und pinctada margaritifera (Perlauster).
Speise. Die polierte Muschel wurde in eine Vielzahl von Halsbandanhängern ver-
schiedenster Form verarbeitet (CR IV, 43—45, plate IX, 13—16 und 24—26), be-
sonders als halbmondförmiger Brustschmuck — der breite kemer kemer mai für den
Kampf und der kleinere pek mai für den Tanz (CR IV, plate 9, fig. 21 und plate 8,
fig. 2) — und als kunstvoll durchbrochene Perlmuttscheibe zum Schmucke der
geregere le in den Malo-Zeremonien, die zweifellos zu den feinsten Schmuckarbeiten
der Torres Straße gehören (CR IV, plate X, fig. 15—17; CR VI, 295, plate XXIV,
fig. 1—3).
mauh — schwarze pinna. Speise. Haddon fand die Muschel gelegentlich anstelle der
Perlauster zur Herstellung kleinerer Halsbandanhänger benutzt (CR IV, 44), sie
bildete also ein Ersatzmaterial.
nazir — trochus niloticus. Speise; das „gurgelnde“ Geräusch, das man hört,
wenn die Schnecke zum Rösten ins Feuer getan wird, gab Anlaß zu der Vorstellung,
ein Kind werde rede- und sangesfreudig, wenn die werdende Mutter das Fleisch des
Trochus esse (CR VI, 106).
Aus dem unteren, breiten Gewinde des Gehäuses wurden früher Armreifen als
Schmuck für den traditionellen Festtanz, den kap kar, hergestellt. Desgleichen Imi-
tationen des sauad oder der gebogenen Eberzähne, des weithin in Neuguinea und
Melanesien geschätzten Schmucks, den die Murray Insulaner aus Neuguinea impor-
tieren mußten (s. CR VI, 195 und CR IV, 51 und plate VI, fig. 5).
hamham pet — cypraea annulus und cypraea moneta. Aus ihnen
wurde das pet wak gefertigt, ein Ziergürtel, den kap &izr-Tänzer gern trugen. Aus
den gleichen kleinen Kauris wurden Armbänder und Halsketten hergestellt (Abb.
und Beschreibung in CR IV, 53).
Auch die cypraea arabica heißt pet; sie findet aber keinerlei Verwendung.
kuper sor — nach Haddon (CR III, 150) helix pepartita, var. Wurde nicht
gegessen. Gehäuse dienten manchmal zum Schmucke von Tänzern. Auch zur Deko-
ration von Masken.
Namen und Gebrauch einiger Seemuscheln und -Schnecken
121
Ahh. 8. Schneckentrompete (syrinx aruanus), westliche Torres Straits.
Die folgenden Muscheln dienten in verschiedener Form als Klangwerkzeuge:
serpa — arca subnavicularis. Speise. Die kleineren, bis etwa 2—2Va cm
langen Muscheln waren das wichtigste Material für rasselnde Knöchelbänder und
Gürtel (serpa wak), so wie die Tänzer sie beim kap kar trugen (s. a. CR IV, 53).
In CR IV, 272, beschreibt Haddon eine Handrassel, die aus diesen Muscheln her-
gestellt ist (Abb. S. 271): ein runder Rahmen mit Kreuzgriff, an welchem die Mu-
scheln hängen. Das Exemplar ist ungewöhnlich, denn normalerweise wurden für
Handrasseln gewisse Nußschalen benutzt.
mudu — arca (anadara) maculosa. Speise. Die kleineren benutzte man
gelegentlich ebenfalls für Rasselbänder und -gürtel, aber offenbar nur als Ersatz
für die serpa, die bevorzugt wurde.
Größere mudu-Muscheln wurden zum Kokosraspeln verwendet.
bu sor — polynices mellosum (gelblich) und polynices pyriforum
(weiß). Speise. Die kleinsten dieser Schnecken — sie wurden zumeist auf dem Calico
Reef bei Darnley Island gefunden — benutzte man für Armbänder und zum zusätz-
122
Wolfgang Laude
liehen Schmuck für die eben beschriebenen Rasseln. Man befestigte sie im letzteren
Falle so, daß sie sichtbar über den eigentlichen Rasselmuscheln lagen.
mokepu — cypraea argus. Haddon teilt mit (CR III, 154, unter „mutmut“ ),
in eine Haustür gehängt mache diese Kauri mutmut, das heißt ein rasselndes Ge-
räusch. Das ist die ganze Information.
wag mi — eine Trldacna mit stumpfen Kanten, ohne „Zähne“. Speise. Wie auch terpar,
Miriam mi, a sor und andere Muscheln wurde sie als warnende Klapper von den Ib-
oder Magur-Leuten verwendet. Man benutzte dafür fast jede geeignete Muschel oder
Schnecke, sofern sie nur genügend groß war und eine gezahnte oder geriffelte Reibe-
fläche zum geräuschvollen Schrapen besaß.
buhuam — o v u la o v u m (Eierkauri). Auch auf den westlichen Inseln hubuam ge-
nannt.
Die kleinsten davon wurden, nach Marau, wasis genannt und daraus rasselnde Knie-
bänder für kap kar Tänzer gefertigt.
Die größeren Exemplare findet man als Schmuck auf den alten, nicht mehr her-
gestellten und nur noch auf Murray Island vorhandenen Trommeln mit Tiermaul
(s. CR IV, 278, fig. 239: die Kauri befindet sich auf der oberen Spitze des Trommel-
„maules“; diese Trommel ist aus Saibai. Aber alle derartigen Trommeln wurden aus
dem alten Mawat an der Neuguineaküste nach den Inseln der Torres Straße im-
portiert).
Stücke dieser weißen Kauri wurden als Augen auf Masken aufgeklebt. Die Eier-
kauri wurden auch als Markierung für zogo-Plätze benutzt.
maber — charon ia tritonis (Tritonsschnecke). Speise (s. a. CR VI, 106: wieder
glaubt man, der Genuß des Fleisches durch eine Schwangere verleihe einem Kinde
eine lebhafte Rede- und Singegabe).
In ganz Ozeanien ist sie das wichtigste Trompeteninstrument. Das Blasloch wird an
der Seite der Spitze oder, seltener, durch Entfernen der Spitze, angebracht. Marau
behauptet, die Tritonsschnecke sei erst seit seiner Jugend als Trompete benutzt wor-
den. Vorher habe stets das bu (syrinx aruanus) von den zentralen und
westlichen Inseln als Trompete gedient. Die syrinx aruanus wurde auf den
Handelsexpeditionen der Zentral-Torres-Strait-Insulaner nach Mer gebracht und
dort, nach der lokalen Tritonsschnecke, auch maber genannt. Die importierten bu-
Schnecken gehörten ausnahmslos den zogo le, und noch heute sind Exemplare der-
selben an früheren zogo-Stätten zu finden, auch auf den westlichen und zentralen
Inseln, wo sie sogar ziemlich gehäuft auf alten Kultplätzen erscheinen. Tatsächlich
war auf den Murray Inseln, neben der Riesentridacna (terpar bzw. miskor), die
syrinx aruanus, nicht aber die lokale maber, die wichtigste „zogo-Muschel“
(s. a. CR VI, 148 und 270). —
Unsere Beschreibung hat gezeigt, daß Muscheln und Seeschnecken in der Kultur der
Murray Islands eine hervorragende und überaus vielseitige Rolle spielten. Nach dem
Genuß des Fleisches finden die Schalen und Gehäuse Verwendung als Hausgeräte,
Werkzeuge, Musikinstrumente, Schmuck, Kultobjekte und Zahlungsmittel. Die Vielfalt
und der quantitative Umfang der Verwendung lassen die Behauptung gerechtfertigt
erscheinen, Seemuscheln und -Schnecken seien überhaupt das wichtigste einheimische
Material für vielerlei Gebrauchszwecke. An nächster Stelle mag die Kokospalme stehen,
Namen und Gebrauch einiger Seemuscheln und -Schnecken
123
die Speise und Trank, Nußschalen, Fasern und Bast sowie ihre Blätter für alle mög-
lichen Verwendungsformen liefert.
Nachdem die traditionellen Verwendungsarten von Seemuscheln und Seeschnecken-
gehäusen fast erloschen sind, ermöglichen jedoch in der modernen Zeit Seemuscheln die
praktisch einzige vorhandene Industrie in der Torres Straße. Nachdem nämlich der
Trepangmarkt China ausgefallen ist und darum die „beche-de-mer“-Fischerei nicht
mehr lohnt, arbeiten die Männer der Torres Straße auf Booten, von denen aus sie in
mühseliger Taucharbeit der Gewinnung von Perlaustern und Trochus nachgehen. Beide
werden zur Fierstellung von Knöpfen exportiert. Plastikknöpfe bilden seit längerer
Zeit eine bedrohliche Konkurrenz, aber noch immer ist das Perlmutt- und Trochussam-
meln die einzige Industrie, die den Insulanern unter den obwaltenden Umständen offen
steht.
Literatur
Abbott, R. Lucker, Sea Shells of the World. A Golden Nature Guide, New York 1962.
Allan, Joyce, Australian Shells. Melbourne 1960.
Haddon, A. C., Reports of the Cambridge Anthropological Expedition to Torres
Straits, Cambridge. Vol. III, 1907; Vok IV, 1912; Vol. VI, 1908.
Melvin, A. Gordon, Sea Shells of the World, Melbourne and Sydney 1966.
Rippingale, O. H., and McMichael, D. F., Queensland and Great Barrier Reef Shells,
Brisbane 1961.
Adolf Kleinschmidt
Drei Schmuckketten nordamerikanischer Indianer
aus zoogenen Materialien im Linden-Museum"')
Halsschmuck der Crow, Kat.-Nr. 40170, Slg. Landauer (Ahh.2). Erworben 1905.
In ein Leder-Riemchen (Länge: 78 cm, Breite: 5—9 mm, Dicke: 2,3 mm) sind in
einem durchschnittlichen Abstand von 3—5 mm paarweise durch je zwei nebeneinander-
liegende Löcher die Enden kurzer grüngefärbter (sämischartiger) Lederbändchen
gesteckt (Abb. 1), an denen je eine bearbeitete Hornscheide einer Bärenkralle, (vermut-
lich vom Grizzly-Bär Ursus arctos horribilis ORD) hängt. Diese sind wie folgt zuge-
richtet (vgl. Abb. 5 u. 6): Die Spitze (a) ist abgetrennt. Die Krallensohle (b) und meist
die ganze Krallenseitenwand (SW) sind von der Krallen-Platte ( = dem Krallenrücken,
KR) durch zackig geführte Schnitte entfernt samt der (ursprünglich im Krallenfalz des
letzten Zehengliedes steckenden) dünnwandigen Krallenbasis (KB). Die Innenseite ist
(mit Rötel) angefärbt. Der Aufhänger ist durch eine Bohrung im kompakten Teil der
Abb. 1. Paarweise und alternierende An-
ordnung der grünen Aufhänger-Leder-
bändchen.
nm.»
Spitze geführt und durch einen Knoten (Kn) am Zurückgleiten gehindert. An 130 noch
vorhandenen solcher rund 10—20 mm langen Aufhängern (2 Löcher sind leer) hängen
noch 121 derartig bearbeitete Krallen (an 7 sind sie offenbar in Verlust geraten). An
129. Stelle hängt nur ein plattes Hornstückchen, vermutlich das Wandstück einer
Bärenkrallenplatte (bei 4mal 5 = 20 möglichen Krallen eines Tieres hätten also
mindestens 7 Bären die nötigen Krallen zu der Kette geliefert).
Die beiden Enden des Basis-Lederriemchens sind mit 8 Windungen eines weichen
grünen Lederbändchens zusammengebunden. Am einen freien Ende dieser Bindung
hängt eine an der Basis durchbohrte ganze Bärenkralle (ohne Krallensaum) mit der
noch darin befindlichen knöchernen Spitze des Krallenbeins. Am anderen freien Ende
hängt in einer Doppelschlaufe ein flacher rechteckiger, abgerundeter und glattpolierter
bzw. zugeschliffener weißlicher Stein mit geschwungener Äderung (Bohrung: längs,
Mitte, Abb. 7).
In der Reihe der Bärenkrallen ist an 40. Stelle ein [bearbeiteter (s. Gutachten Bulat)]
*) Fotos: Georg Kube, Staatliches Museum für Naturkunde, Stuttgart.
126
Adolf Kleinschmidt
Ahh. 2. Halsschmuck der Crow aus Bärenkrallen, Kat.-Nr. 40 170, Slg. Landauer.
Abb. 3. Drei einzelne der zurechtgeschnitzten hornigen Grizzlybär-Krallen.
Links: seitliche Ansicht; rechts: mehr von der Unterseite.
| t'l 11] nTrjUrt jmT|rrijpiW| tiiifiliijaj i|i i in n f n J (J
0 1 2 3 4 ^67 äL „ft... 10
Drei Schmuckketten nordamerikanischer Indianer im Linden-Museum
127
Ahh. 4. Hornschuh
einer Grizzlybär-
Kralle von außen und
längs durchschnitten.
Ahh. 5. Teile der längs
durchschnittenen
Kralle. Legende siehe
Text der Beschreibung
S. 125.
Fruchtkern (vermutlich der Gattung Prunus)1), dem am Aufhänger eine rote Perle
vorgestellt ist, eingefügt (Abb. 8). Ein gleicher Fruchtkern ist dem platten Krallen-
wandstück an 129. Stelle gegenständig (also nicht in der Reihe der Krallen!) angebracht.
*) Briefliche Mitteilung von Frau Dr. H. Bulat (Institut für Samenkunde und Fandes-
anstalt für Samenprüfung, Stuttgart-Hohenheim): „Die Zugehörigkeit zur Gattung
Prunus kann mit Sicherheit, und die Artzugehörigkeit kann nur mit großer Vorsicht
als Prunus Persica angenommen werden. Die Rippen der Steinwand sind abgefeilt,
und die Steinkerne sind wahrscheinlich noch gebleicht worden. Die Zeichnungen
sind künstlich mit dunkler Farbe angebracht worden und entsprechen nicht immer
den natürlichen Vertiefungen, die nach dem Abschleifen der Erhebungen auf der
Oberfläche des Steins geblieben sind.
Da wir uns kein Herauspräparieren des Samenkernes bei diesem Objekt erlauben
können, ist die ganze Bestimmung nur sehr theoretisch aufgebaut.“
In N.-Amerika kommen mehrere Prunus persica nahestehende Arten vor, deren
Fruchtkerne alle mehr oder weniger eine ähnliche Form mit äußerem Struktur-Relief
besitzen.
128
Adolf Kleinschmidt
Die ersten 4 Krallen-Aufhänger (an der Seite des weißen Steins) sind gebündelt mit
der Riemenbindung zusammengefaßt. Alle anderen sind kurze Stückchen und bilden,
mit ihren freien Enden durch benachbarte Löcher gesteckt, jeweils Paare. An 9 Stellen
Ahb. 6. Oben: Lage der zur Kette verwendeten bearbeiteten Krallenteile. Unten: Horn-
schuh und letztes Fingerglied mit Angabe der entsprechenden Feile der verwendeten
Einzelkralle. PS - Phalangenspitze im Hornschuh. F - Krallenfalz der PB - Phalan-
genbasis, in die die KB - Krallenbasis eingeschoben ruht.
Abh.7 Abb.8
Abb. 7. Der flache, längsdurchbohrte Stein in der Kettenbasis. Quermaserung der Vor-
derseite. (Rückseite siehe Gesamtansicht der Kette, Abb. 2.)
Abb. 8. Die beiden Prunus-Fruchtkerne; siehe dazu Determination von Dr. H. Bulat,
Stuttgart-Hohenheim (Anm. 1).
Drei Schmuckketten nordamerikanischer Indianer im Linden-M useum
129
überspringen die Bändchen einander alternierend, und zwar 9.11./10.12. 19.21./20.22.
35.37./36.38. 51.53./52.54. 73.75774.76. 87.89./88.90. 95.97796.98. 99.1017100.102.
113.115./114.116. (Zufall? Oder liegt dieser Anordnung irgendein Sinn zugrunde?)
Schließlich sind durch die Aufhänger zwischen Lederriemchen und Anhänger einige
dünne Haare geschlungen (Bison-Schwanzhaare?). Vermutlich waren es ursprünglich
mehr. Desgleichen finden sich im Bereich des 50.—58. Aufhängers Wollfadenreste.
Schmuckkette, Crow, Kat.-Nr. 117 231, Slg. Speyer (Ahh. 9). Erworben 1939.
Auf einem weichen Leder-Riemchen (Ges.-Länge ca. 80 cm, Ketten-Umfang rund
75 cm) sind 13 Gehäuse einer Grahfüßler- bzw. Zahn- oder Röhrenschneckenart
(Scaphopoda: Dentalium spec.; Art?)2) aufgezogen [Gehäuse-Länge 28,5—37,0 mm,
0 basal 2,0—4,0 mm, 0 oral 3,8—4,9 mm; weiße, sehr glatte Außenfläche ohne
Längsstrukturierung (abgeschliffen?), vereinzelt dunkle Ring-Zeichnung oder -Struktur
(c—e)]. Die No. a—m stehen sich jeweils paarweise mit ihren großen oralen Öffnungen
gegenüber; nur die beiden letzten (m/n) sind notwendigerweise mit den kleinen basalen
Öffnungen gegeneinander gerichtet. Die aus den gegenüberstehenden Dentalium-
öffnungen kommenden Riemen sind dann gemeinsam durch eine Messing-Perle
(Umfang rd. 7 mm) geführt und die Schlaufe auf der anderen Seite durch ein 2,5 mm
weites Loch (bei No. 2.3.4.7.10.12. gleichmäßig runde, bei No. 5.6.8.9.13. deutlich
konische Bohrung) in der Wurzel des Eckzahns eines Wapiti (Cervus elaphus canaden-
sis)3) (Abb. 10). Entsprechend den vorhandenen Dentalium-Zwischenräumen sind
12 Zähne verarbeitet; 8 rechte (1.3.5.6.7.9.11.12.) und 4 linke (2.4.8.10.). Ihre Außen-
flächen sind mehr oder weniger mit einem Muster dunkel eingefärbter Längsrillen
verziert.
Vor die Öffnungen der endständigen Zahnschnecken-Hülsen ist als Abschluß noch
eine der Messingperlen gesetzt, auf der einen Seite durch einen Knoten, auf der ande-
ren Seite durch ein um den Riemen gebundenes weißes Fädchen fixiert. Auf der einen
Seite folgt dann auf eine Länge von etwa 8 cm ein in zwei getrennte Wülste auf den
Leder-Riemen gewickelter roter dickerer Wollfaden. Zwischen den beiden Wülsten
-’) Scaphopoden sind Meerestiere. Da die Art mangels Unterlagen nicht bestimmt wer-
den konnte, bleibt unentschieden, ob eine pazifische oder atlantische Form vorliegt.
Die Tiere kommen nur in größerer Tiefe vom Strand entfernt vor. Die Gehäuse
müssen daher aus Aufsammlungen vom Strandauswurf stammen. Die Möglichkeit,
daß eine fossile Form vorliegt, ist unwahrscheinlich (also die Möglichkeit der Her-
kunft aus binnenländischer Lagerstätte). Im übrigen sei auf eine Veröffentlichung
von Wood 1967 verwiesen.
3) Eckzähne besitzen in dieser Größe normalerweise nur die männlichen Cerviden.
Bei jungen Tieren sind sie größer und ragen aus dem Zahnfleisch heraus, bei älteren
werden sie kleiner, liegen dann + im Zahnfleisch verborgen und verfärben sich
braun. Sie sind auch heute noch bei einheimischen Jägern als Schmuck („Grandein“)
begehrt und waren dies schon in prähistorischer Zeit (Grandeikette aus der Ofnet-
hühle bei Nördlingen!).
130
Adolf Kleinschmidt
ist um einen Knoten im Lederriemen ein dünnerer braun-weißer Wollfaden geschlun-
gen. Dann folgt ein mit Öse versehener Messing-Knopf (0 8,5 mm), darauf zwei
blaue Glasperlen (0 6 mm) und schließlich ein mehrfach verknotetes (s. Abb. 9)
7—12 mm breites grünes Seidenhand. Zwischen dem anderen Ende der Dentalium-
Reihe sind die freien Enden des Lederbändchens mehrfach miteinander verknotet (freie
Enden 6 und 4 cm lang).
Abb. 9. Schmuckkette der Crow aus Wapiti-Eckzähnen und Zahrischnecken-Gehäusen,
Kat.-Nr. 117 231, Slg. Speyer.
Drei Schmuckketten nordamerikanischer Indianer im Linden-Museum
131
Abb.lOc Abh.lOd
Ahb. 10. a) Ein rechter und ein linker Wapiti-Eckzahn, Außenfläche. Dentalium-
Gehäuse No. h., Zahn No. 7. und 8. mit artifiziellem dunkel eingefärbtem Schmuck-
rillen-Muster. b) Ein rechter und ein linker Wapiti-Eckzahn, Innenfläche. Dentalium-
Gehäuse No. h., Zahn No. 7. und 8. c) Zwei linke Wapiti-Eckzähne verschiedener
Form, Außenfläche. Zahn No. 4. und 10. mit artifiziellem dunkel eingefärbtem
Schmuckrillen-Muster, d) Zwei linke Wapiti-Eckzähne verschiedener Form, Innenseite.
Zahn No. 4 und 10.
Hinweis zur Verwendung der Schalen von Scaphopoden (= Röhren- oder Zahn-
schnecken) bei nordamerikanischen Indianern
Zunächst sei allgemein festgestellt, daß Scaphopoden rein marine Molluscen sind.
Die bei Binnenlandstämmen Nordamerikas vorkommenden Schalen oder Schalenrestc
im Inneren des Kontinents können aber zweierlei Ursprungs sein:
1. rezente Strandaufsammlung von der Meeresküste;
2. fossile Funde aus Lagerstätten im Land-Inneren.
Zu diesem Problem liefert die Untersuchung von W. R. Wood (1967) über die Kultur
der Mandan vom mittleren Missouri einen wesentlichen Beitrag.
Die Mandan waren zur Zeit der ersten Kontaktnahme halbseßhafte Bodenbauern,
die offenbar schon längere Zeit im mittleren Missourital westlich der großen Seen
Ahb. 10 a
Abb.lOh
132
Adolf Kleinschmidt
lebten4). Man kann vier zeitliche Kultur folgen unterscheiden (n. Wood, 1967, S. 2):
1. 1100—1400: „Derivation“ = archaische M and an — Thomas-Riggs-Focus;
Verbreitung im ganzen mittleren Missourital des heutigen Nord- und
Süd-Dakota.
2. 1400—1600: „Accretion“ = mittlere Mandan — Huff-Focus;
Verbreitung reduziert auf ca. 50 Meilen ober- und unterhalb des
heutigen Ortes Bismarck im nördlichen Teil des mittleren Missouri
(Nord-Dakota).
3. 1600—1797: „Coalescense“ = Later Heart River Mandan — Heart-River-Focus;
Weitere Reduzierung auf das Mündungsgebiet des Later Heart River
in den Missouri bei Bismarck.
4. 1797—1886: „Acculturation“ = historische Mandan.
Hierzu ist zu bemerken (laut Mitteilung von W. Findig), daß erst die Träger der
Heart-River-Kultur mit Sicherheit mit den historischen Mandan identifiziert werden
können.
Nach Wood fanden sich nun in den Siedlungen der Huff-Serie vier Scaphopoden-
Schalenreste (Dentalium spec.) einer rezenten Form von der pazifischen Nordwestküste
Nordamerikas (also von keiner fossilen Form!) und desgleichen auch rezente Gastropo-
den-Schalen der Art Olivella biplicata, die ebenfalls pazifischer Herkunft sind.
Diese Dentalium- und Olivella-Schalen sind daher wohl mit einiger Sicherheit auf
dem Handelswege zum Verwendungsort gelangt (vgl. Wood, 1967, S. 155 und 167).
Erst nach Abschluß des Manuskripts gelangt die Scaphopoden-Monographie von
Pilsbry/Sharp in meine Hände5). Hiernach gehören die Dentalien-Gehäuse der Crow-
Kette in die D. entalis-pretiosum-F ormgruppe, die sowohl im Nord-Atlantik wie
längs der amerikanischen Westküste vorkommt. Die ebenfalls an der amerikanischen
Ostküste vorkommende Art D. candidum Jeffreys (Nantucked bis Rio de Janeiro)
scheidet vor allem wegen ihrer Größe aus (Lg.: 74,0—88,0, 0 oral: 8,0—10,0, 0 basal:
1,0—2,0). Die atlantische Form D. entalis L. (vor d. amerik. Küste von Maine bis
Massachusetts) und die pazifische Form D. pretiosum Nutall/Sowerby (von Alaska
bis Nieder-Kalifornlen) ähneln sich weitgehend, daß sie als vikariierende Formen (Sub-
spezies) der gleichen Art anzusehen sind (pretiosum: „like entalis with very fine
posterior striae“). Die von Carpenter aus der San-Pedro-Bay als Dentalium indianorum
1863 und von Clessin 1896 beschriebene D. columhianus („merely short form of typical
pretiosum“) sind nach Pilsbry/Sharp identisch mit pretiosum, d. h. Synonyme dieser
Form. Kalifornische Exemplare sind kleiner und „frequently lirate toward the tip“. Den
Größenangaben nach müßten nun die Gehäuse der Crow-Kette zu D. entalis gehören.
Berücksichtigt man aber, daß sowohl die äußere Struktur der Gehäuse beim Tragen der
4) Für diesen Hinweis ist Herrn Dr. Wolfgang Findig, Seminar für Völkerkunde der
Universität Frankfurt, zu danken.
5) Für den Hinweis habe ich Herrn Dr. A. Zilch vom Senckenberg-Museum Frankfurt
und weitere Unterstützung Herrn Dr. H. Janus vom Mus. f. Naturkd. Stuttgart zu
danken.
Drei Schmuckketten nordamerikanischer Indianer im Linden-Museum
133
Kette wie durch die Abrollung im Strandsediment als auch durch letzteres die Längen-
dimensionen z. T. eine gewisse Beeinträchtigung erfuhren, kommt auch die Zugehörig-
keit zu D. pretiosum in Betracht, auf die außerdem dieser Name wie auch das Synonym
von Carpenter („indianorum“!) als Hinweis gelten mag.
Ahh. 11. Schmuckkette aus Röhrenknochenstücken, nördliche Prärie, Kat.-Nr. 12 582,
Slg. Herzog Paul von Württemberg.
134
Adolf Kleinschmidt
Größen Verhältnisse Länge 0 oral 0 basal (Apex)
Crow-Kette-Dentalien 28,5—37,0 3,8—4,9 2,0—4,0
D. entalis 37,0—42,0 4,5—5,0
D. pretiosum Washington 55,0 5,0 2,0
(— indianorum) Brt. Columbien 41,0 5,0 2,7
Cerros Isl. 41,0 3,8 1,5
Schmuckkette aus Knochenstücken, nördliche Prärie, Kat.-Nr. 12 582,
Slg. Herzog Paul von Württemberg (Ahh. 11). Erworben 1900.
Auf einer gedrehten zweiteiligen 3 mm dicken (Bast-)Schnur von 87—90 cm
Länge sind 41 verschieden lang zugeschnittene Stücke kleiner Röhrenknochen verschie-
densten Durchmessers und unterschiedlicher Querschnittsform aufgereiht. Die Länge
schwankt zwischen 13—30 mm, nur 2 Stücke sind 34,5 mm lang.
Die Stücke sind offensichtlich durch den Gebrauch, also vom Tragen der Kette her,
„poliert“. Ihre Zugehörigkeit nach Knochen- und Tierart ist im einzelnen nur schwer
und nicht einwandfrei zu ermitteln. Lediglich der dreieckige Querschnitt und die nach
außen geschwungene Kante der vorderen Knochenleiste lassen Teile des Schienbeins
(Tibia) (No. 5.7.8.9.18.29.31.34. und vermutlich 35.), wie andererseits das flache
Halbrund über einer basalen Geraden Teile einer Speiche (Radius) (No. 27.30.37.38.39.
40.41.) erkennen.
Nach Größe und faunistischer Möglichkeit kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit
für die Tibia-Stücke als Lieferant der Weißwedel-Hirsch oder Virginia-Hirsch
(Odocoilus virginianus) in Frage, für die Radius-Stücke außerdem Wolf (Canis lupus
— der in Nordamerika 26 geographische Formen ausgebildet hat) — vielleicht auch
der Coyote oder Präriewolf (Canis latrans) in seinen größeren Formen, ferner der
graue Luchs (Lynx lynx) (nicht der kleinere Rotluchs, Lynx rufus). Alle andere Tiere
sind entweder zu groß oder zu klein! Als Lieferant für No. 13 könnte der Wolf
(Oberschenkel) in Betracht kommen. Alle anderen Stücke lassen so vielfache vage Ver-
mutungen zu, daß auch nur andeutende Hinweise fragwürdig erscheinen.
Vermutlich stammen die verwendeten Knochen aus „Küchenabfällen“, mehr oder
weniger willkürlich herausgesucht und zugeschnitten. Schnittmarken lassen sich trotz
des Gebrauchs-Abschliffs noch nachweisen bei No. 1.2.4.7.9.22.37.39.40 (Einschnitte,
stehengebliebene Bruchkanten beim Nicht-Durchdringen des 1. Schnitts usw.). Ver-
färbung und Zustand der No. 6.10.19.23.30. lassen längeres Liegen in Abfallhaufen
— wie angedeutet — vermuten, ehe man die Knochen für die Kette verwendete.
Literatur
Carpenter, Rep. Brit. Asso. Adv. Sei.; 863/4. (p. 612, 648, 683). (Cit. nach Pilsbry/Sharp
p. 45.)
Pilsbry, H. A./Sharp, B., Scaphopoda. In: Tyron, G. W., Pilsbry, H. A., Manual of
Conchyology. Ser. 1. Vol. XVII. p. 1—348. PI. 1—48. Philadelphia 1897/8.
Wood, W. Raymond, An Interpretation of Mandan Culture History. (Inter Agency
Archeological Salvage Program, River Basin Surveys Papers No. 39, Smithsonian
Institution — Bureau of American Ethnology, Bull. 198.) Washington 1967.
Hanns J. Prem
Die Mapa Monclova — eine unveröffentlichte Kopie
des Codex Boturini
Der Codex Boturini — auch als Tira de la peregrinación azteca bekannt und heute
als Ms. 35—38 im Museo Nacional de Antropología in Mexiko befindlich — ist ohne
Zweifel eine der (bilder) schriftlichen Quellen zur vorspanischen Geschichte des Hoch-
tales von Mexiko, in denen eine Auswirkung europäischer Beeinflussung — wenn sie
überhaupt vorhanden ist — am geringsten zu verspüren ist (Robertson 1959: 86).
Es ist aus diesem Grund auch besonders bedauerlich, daß die knappen aztekischen
Glossen des Codex Boturini bisher weder vollständig publiziert, noch überhaupt
bearbeitet wurden. Der Inhalt des Codex Boturini wird bestätigt und in ausführlichen
aztekischen Texten erläutert durch den Codex Aubin von 1576, der die Nachrichten
auch über den Endpunkt des Codex Boturini fortführt. Wenngleich von beiden Codices
bisher keine fotografischen Editionen vorliegen (!), kann doch gesagt werden, daß der
Codex Aubin die stilistische Höhe des Codex Boturini nicht erreicht, er hat ihm aller-
dings voraus, koloriert zu sein, wie es vermutlich auch bei den zugrunde liegenden
Vorlagen der Fall gewesen sein dürfte.
Als vor mehreren Jahren im Hamburgischen Museum für Völkerkunde bei der
Revision des Bestandes, der nach dem 2. Weltkrieg noch vorhanden war, eine auf
Leder gemalte Handschrift auffiel, die den Inhalt des Codex Boturini zeigte, jedoch
in Farben ausgemalt war, konnte die Hoffnung gewagt werden, daß es sich hier viel-
leicht um eine von den beiden genannten Codices unabhängige Version auf Grund
einer zu postulierenden Urfassung handle. Es muß jedoch vorweggenommen werden,
daß sich diese Vermutung nicht bewahrheite.
Die Mapa Monclova gelangte schon vor der Jahrhundertwende in den Besitz des
Hamburgischen Museums für Völkerkunde. Da auch damals die finanziellen Möglich-
keiten sehr beschränkt waren, konnte die Sammlung des Deutsch-Mexikaners Albert
Hackmack — zu der auch die berühmte Hackmacksche Steinkiste gehört — nur in
drei Teilen angekauft werden. Die Mapa Monclova war schon in der ersten, kleinsten
Erwerbung enthalten. Die Kaufdokumente vom 25. 5. 1896 und auch das Eingangsbuch
(unter Nummer B 3047) nennen sie ein „altes Schriftgemälde aus Mexico“. Hinter
dieser wenig aussagenden Bezeichnung verbirgt sich ein Rechteck aus gegerbtem Leder
im Format 70 X 64 cm. Die Vorderseite trägt in 5 zeilenförmigen Bändern die Dar-
stellungen des Codex Boturini, zerteilt also dessen fortlaufende Darstellung in 5 gleich-
lange Abschnitte. Die Rückseite ist leer bis auf eine Unterschrift des Vizekönigs,
Conde de Monclova — nach ihm wurde die Mapa benannt —, sein Wappen und die
Jahreszahl 1686.
Die Darstellungen der Mapa Monclova stimmen mit denen des Codex Boturini
überaus genau überein, wenngleich manche Abweichungen (Fehler, Fortlassungen und
136
Hanns ]. Prem
Hinzufügungen) zu erkennen sind. Exemplarisch dafür seien angeführt: Zeile 1: neben
dem zerbrochenen Baum wurde aus einer Reihe von 5 Punkten (im Codex Boturini)
hier eine Reihe von 5 undefinierbaren Wellenbergen mit grüner Ummalung. Zeile 4:
Manche der sitzenden Personen in der Nähe des rechten Randes haben eine zwei-
farbige Gesichtsbemalung — im Gegensatz zum Codex Boturini, der dergleichen nur
im letzten Abschnitt andeutet. Die Zähler der Jahreszeichen sind, sofern es sich um
Zahlen höher als 6 handelt, sehr oft falsch angegeben. Weitere Ungenauigkeiten,
besonders in der Darstellung der Namenshieroglyphen von Personen, ergeben sich aus
der Größe der Darstellungen, die nur ca. die Hälfte der des Codex Boturini ausmacht.
Auch in der Kolorierung lassen sich Mißverständnisse nachweisen, am deutlichsten
in Zeile 1, wo die Kolorierung das Boot wie auf dem Wasserspiegel des Sees erscheinen
läßt. Dies entspricht weder der hier angewandten Komposition, die den See in Aufsicht
abbildet, noch der vorspanischen Darstellungsweise schlechthin (G. Kutscher, pers.
Mitteilung).
Diese Beobachtungen führen zu dem Schluß, daß der Zeichner, wenngleich er beacht-
liches Geschick, Sicherheit der Strichführung und Treffsicherheit bei der Kolorierung
bewies, doch den Inhalt des Dargestellten und besonders die Mechanik der kalendari-
schen Angaben nicht voll verstanden oder ihnen keine besondere Bedeutung bei-
gemessen hat. Damit liegt die Folgerung eines späten Entstehungszeitpunktes der Mapa
Monclova nahe, und es stellt sich die Frage nach der Vorlage, da der Codex Boturini
ab ca. 1745 der Sammlung Boturini angehörte und kaum mehr zugänglich gewesen
sein dürfte. Diese Frage fand eine überraschende Fösung: Die Aufteilung der Dar-
stellungen der Mapa Monclova in die erwähnten 5 Zeilen ist identisch mit jener, die
bei einer der frühesten lithographischen Wiedergaben des Codex Boturini von Ramirez
(1858) angewandt wurde. Bei Ramirez findet sich auch die sinnstörende Zcilen-
trennung zwischen Zeile 3 und Zeile 4, wodurch die zugehörige Aussage (auf Zeile 3)
vom Jahr 5 tecpatl (Zeile 4) getrennt wird. Mithin ist die Fithographie Ramirez’
sicher als Vorlage der Mapa Monclova nachgewiesen. Eine Datierung nach der Unter-
schrift auf der Rückseite wäre damit unvereinbar.
Tatsächlich trat der Vizekönig von Mexiko, don Melchor Portocarrero Lazo de la
Vega, Conde de Monclova, seine dreijährige Amtszeit im Jahre 1686 an. Auch stimmen
Wappen und Unterschrift. Sie stimmen sogar so genau, daß sich auch hier die Unter-
lagen des Fälschers — denn als solchen muß man den Kopisten bezeichnen, da er mit
dieser Unterschrift seinem Werk größere, ungerechtfertigte Authentizität geben wollte
— feststellen lassen, nach denen er die Unterschrift und das Wappen kopierte. Das
Wappen findet sich auf einer den Vizekönig darstellenden Lithographie in Rivera-
Cambas (1872—1873), auf der auch das Jahr des Amtsantrittes vermerkt ist „Año de
1686“. Der gleiche Text findet sich auch auf der Rückseite der Mapa Monclova in der
seltsamen Schreibweise „Anño de 1686“, wobei das A in einer dem 17. Jahrh. fremden
Form geschrieben ist. Die Unterschrift des einarmigen Vizekönigs — er hatte seine
rechte Hand im Kampf verloren — ist bei Rivera-Cambas ebenfalls faksimiliert. Die
Unterschrift auf der Rückseite der Mapa Monclova ist mit dieser Lithographie in
Gestalt und Größe vollkommen deckungsgleich! Diese absolute Übereinstimmung läßt
sich plausibel nur erklären, wenn man die Lithographie als Vorlage des Fälschers
Die Mapa Monclova — eine unveröffentlichte Kopie der Codex Botunni
137
Abb. 1. Die Mapa Monclova. Foto: Hamburgisches Museum f. Völkerkunde.
ansieht. Damit läßt sich die Herstellung der Mapa Monclova zeitlich recht genau
einordnen.
Termini post quos
Edition Ramirez 1858
Rivera Cambas 1872/3
Terminus ante quem
Ankauf 1896
Als Zeitpunkt für die Fälschung der Mapa Monclova hat demnach ungefähr 1885
+ 10 Jahre zu gelten, also 200 Jahre nach dem fiktiven Datum der vizeköniglichen
Unterschrift.
Eine chemische Untersuchung, die vom Chemischen Staatsinstitut Hamburg,
Institut für Organische Chemie, Untersuchungsamt, durch Dr. W. Baltes — dem der
Verf. auch an dieser Stelle vielmals danken möchte — vorgenommen wurde, erbrachte
u. a. das im folgenden zitierte Ergebnis: „Die Tinte des vizeköniglichen Siegels ist mit
größter Wahrscheinlichkeit mit der zur Ausmalung der Tafel benutzten schwarzen
138
Hanns ]. Prem
Farbe Identisch. Die von beiden Tintenproben angefertigten Chromatogramme zeigten
völlige Übereinstimmung.“ Dieser Befund ist nur durch eine Fälschung sinnvoll zu
erklären. Darüber hinaus konnte bei der Untersuchung festgestellt werden, „daß das
Pergament in relativ frischem Zustande beschriftet wurde“, aber nach dem Austrock-
nen mit einer Eisensalzlösung abgewischt wurde, wodurch die Mapa Ihre heutige
bräunliche Farbe erhielt und worauf wahrscheinlich auch die Ausblassung der Farben
an manchen Stellen und die Verwischungen zurückzuführen sind.
Die chemische Untersuchung bestätigte somit eindeutig den Fälschungscharakter der
Mapa Monclova.
Literatur
Ramírez, José Fernando, 1858: Cuadro histórico geroglífico de la peregrinación
azteca ... In: García Cubas, Antonio: Atlas Geográfico, Estadístico e Histórico de
la República Mexicana, México.
Rivera Cambas, Manuel, 1872—1873: Los Gobernadores de México, 2 vols., México.
Robertson, Donald, 1959: Mexican manuscript painting of the early colonial period —
the Metropolitan Schools. New Haven.
Buchbesprechungen
WOLFGANG RUDOLPH:
Der kulturelle Relativismus. Kritische Ana-
lyse einer Grundsatzfragen-Diskussion in
der amerikanischen Ethnologie. (= For-
schungen zur Ethnologie und Sozialpsycho-
logie Bd. 6). Berlin: Duncker & Humblot.
1968. 291 S. Preis: DM 66.—.
In einer Zeit, da Kontakte zu einem hoch-
bezahlten Wert avanciert sind, darf man
Brückenbauer wohl preisen: profitieren von
ihrem Werk doch die Leute beider Ufer. Nicht
nur, daß auch die Ethnologen der Neuen Welt
(entgegen bei uns gelegentlich vertretenen
Meinungen) es begrüßen, wenn ihre Gedanken
jenseits ihrer Grenzen gewürdigt werden, son-
dern auch jene Kollegen, die manchmal nicht
wissen, ob sie nun als Altweiter oder Hinter-
wäldler einzustufen sind, werden sich zu
Dank verpflichtet wissen, da ihnen im vor-
liegenden Werk aus der immer schwerer über-
schaubar werdenden Menge der nordamerika-
nischen ethnologischen Publikationen ein fun-
damentaler Aspekt gut leserlich aufbereitet
und kommentiert dargeboten wird; Haupt-
personen des ersten Teils sind Boas, Benedict,
Mead, Kroeber, Sapir, Kardiner, Hallowell
und Herskovits; von den Gelehrten, die im
zweiten noch herangezogen werden, sei hier
speziell Bidney genannt.
Doch, so gut es Brückenbauer auch haben
mögen, Kritiker haben es besser: können sie
doch, von fremder Mühe profitierend, ohne
Fundamente legen zu müssen, irgendeinen
Aspekt des Ergebnisses bemängeln. Um mich
dieser Aufgabe umso besser widmen zu kön-
nen, möchte ich zunächst empfehlen, dieses
Buch in die Leselisten aller Institute aufzu-
nehmen; denn ist die Rudolphsche Arbeit
schon allein durch ihre Mittlerrolle verdienst-
lich, so erhält sie jetzt eine zusätzliche Bedeu-
tung und Aktualität dadurch, daß die behan-
delten Theorien von eminenter Wichtigkeit
für die beginnende Diskussion einer „kriti-
schen Ethnologie“ sind. Möchte ich auch nicht
freiweg behaupten, daß die „kritische Ethno-
logie“ nur eine auf fremden Wegen einge-
schleuste Sekundärinfektion mit den Thesen
des kulturellen Relativismus ist, so wurde
doch manche der von ihr „entdeckten“ Fragen
dort schon längst gestellt und empirisch unter-
sucht. Damit bestätigt sich zunächst der Ein-
druck, daß Rudolphs Arbeit umsomehr ein
Erfordernis war, als die deutsche „Völker-
kunde“ bisher offenbar keinen Weg zu sol-
chen Erkenntnissen sah — doch dann fragt
man sich, wo denn nun die Mittelmänner
außerhalb unseres Bereiches zu suchen sind,
gerät in die Wissenschaftssoziologie und be-
gegnet plötzlich Schelers Geist in Rudolphs
Prämissen. Und eben hier muß eine Kritik
einsetzen, wenn dem Relativismus eine aktu-
elle Relevanz zukommen soll.
„Die Problematik der kulturrelativistischen
Hypothese als wissenschaftlicher Aussage“
(Kap. 8) sieht Rudolph in Folgendem: Wenn
Lebensgrundsätze und Denkformen kulturbe-
dingt sind, dann sind es auch Aussagen von
Angehörigen einer Kultur über andere Kultu-
ren, und mithin kann auch die (von Angehö-
rigen westlicher Kultur entwickelte) kultur-
relativistische Hypothese selbst keine „objek-
tive Gültigkeit“ beanspruchen. — Nach den
Kriterien einer dreiwertigen Logik ist sie also
weder richtig noch falsch, sondern unent-
scheidbar und mithin effektiv brauchbar. Ru-
dolph jedoch versucht, dies „Paradoxon“ mit
den Mitteln der Quantorenlogik zu lösen und
muß deshalb den Ausweg darin suchen, daß
eben diese Theorie nicht ihrer eigenen Aussage
unterliegt, d. h. daß es einen Aussagenbereich
gibt, der nicht kulturrelativ ist. Entsprechend
wird mit Bidney postuliert, daß ein metakul-
tureller Bereich unabhängig vom Menschen
existierender Realitäten durch menschliche Ka-
pazitäten überall in grundsätzlich gleicher Art
erfaßbar ist (p. 120), und zwar aufgrund einer
potentiell universalen Rationalität des Men-
schen. Dem „Primitiven“ wird allerdings nur
ein gewisses notwendiges Maß an „empirisch-
objektiver Orientierung“ zugestanden, durch
das er sich „Rudimente der Wissenschaft“ er-
wirbt. Daneben gibt es Verhaltensweisen, die
„berechtigterweise als auf magischen Vorstel-
lungen beruhend angesehen werden“, sie er-
klären sich aus der (in allen Kulturen nach-
weisbaren) nichtwissenschaftlichen Mentalität.
Die eigentliche Wissenschaft dagegen ist ge-
kennzeichnet durch ein reines Streben nach
140
Buchbesprechungen
Wahrheit, mit dem Empirisch-Objektiven als
ausschließliche Legitimationsbasis — weshalb
denn auch die Erkenntnisse eines Ethnologen
der empirisch-objektiven Realität prinzipiell
angemessener sind als z. B. die eines Missio-
nars (obschon mit einer „zufälligen besseren
Angemessenheit empirisch-objektiver Art je-
ner nichtwissenschaftlichen Erkenntnisse“ ge-
rechnet werden muß). Dabei genügt es, inhalt-
lich abgegrenzte, einzelne Arbeitsgebiete als in
bestimmten Maße empirisch-objektiv erforsch-
bar anzusehen.
Nun möchte ich meinen, daß eben das die
sog. „nichtwissenschaftliche Mentalität“ auch
tut: auch „magisches“ Denken argumentiert
innerhalb eines vorgegebenen Rahmens durch-
aus sinnvoll. Die Dichotomie rationaler und
Irrationaler Mentalität, die sich nach Rudolph
auch in unseren Köpfen finden soll, ist keine
empirische Realität oder Elypothese, sondern
beruht auf einer Hypostasierung nie erreich-
ter Pole: besteht doch der individuelle wie der
kollektive Fortschritt der Erkenntnis gerade
darin, daß die logischen „Zirkel“ mit einiger
Mühe weiter hinausgeschoben werden. Ferner:
nicht-pragmatisch orientiertes Streben nach
Wissen (einschließlich „Völkerkunde“) gibt es
auch bei den apostrophierten Primitiven; wenn
westliche Wissenschaft überhaupt einen spezi-
fischen Charakter hat, dann aufgrund des be-
druckten Papieres. Von der Hypothese der
prinzipiellen Gleichberechtigung jeder Er-
kenntnis ausgehend, muß nun die Frage ge-
stellt werden, ob Erkenntnisse, die mit unse-
rem kulturbedingten Kategoriensystem getä-
tigt werden, kommensurabel sind mit ande-
ren, denen ein anderes Kategoriensystem zu-
grunde liegt.
Hier wäre der Ort, Whorf zu diskutieren,
dessen Theorie von Rudolph jedoch als „phe-
riphere Sonderform“ (als ob es, wie die Wie-
ner so schön formulierten, „Kultur und Spra-
che“ gäbe) übergangen wird. Wie immer auch
man sich dazu stellt, inzwischen ist die Ent-
scheidung, von Ethnologen unbemerkt, in der
Mengenlehre gefallen: verschiedene Systeme
(mathematischer) Axiome können prinzipiell
gleichberechtigt sein (welches man wählt, ist
sozusagen Geschmacksache), und dies gilt (je
nach verwendeter Logik) analog oder homo-
log auch für verschiedene Kategoriensysteme
(deren logische Konsistenz vorausgesetzt). Wir
durchstoßen damit den Relativismus nicht
aufgrund einer objektiven Erkenntniswelt
(„So-called facts are really truth values“
meint selbst ßidney), sondern durch das Postu-
lat einer prinzipiellen intersubjektiven Trans-
formierbarkeit kategorialer Systeme. Daß da-
bei allerdings „Übersetzungsschwierigkeiten“
auftreten können, ist nicht zu leugnen; nur
sind wir, indem wir sie als solche anerkennen
und damit zugleich vom hohen Roß unseres
wissenschaftlichen Alleinvertretungsanspru-
ches heruntersteigen, vielleicht etwas mehr da-
gegen gefeit, unsere Übersetzungsfehler den
freundlicherweise mit Gänsefüßchen versehe-
nen Primitiven als Schwachsinn (auf den all
die „relativistischen“ Umschreibungen letzt-
lich h inauslaufen) anzulasten.
Indem wir Tatsachen für das nehmen, für
das andere sie halten, und probeweise Ru-
dolphs objektive Realität gleich Luthers Cor-
pus Christi gleich von den Steinens rote Arara
setzen, denunzieren wir zwar das trojanische
Pferd der „wissenschaftlichen Mentalität“, mit
dem ein virulenter Evolutionismus einge-
schleust werden sollte, sind uns seiner Her-
kunft jedoch noch nicht sicher. Um sie ausfin-
dig zu machen, merken wir zunächst an, daß
Rudolph davon ausgeht, daß ausschließlich
die Durchsetzungschance bestimmter Wissens-
gehalte in einer Kultur „genetisch-historisch“
bedingt ist, nicht hingegen der („generisch-
funktionale“) Geltungsanspruch und -bereich
der „Wissenschaft“. Einer Anthropologie stellt
sich damit die Aufgabe, die jeweiligen Vor-
aussetzungen, seien sie biotischer, sozialer oder
psychischer Natur (z. B. die Rolle des Indivi-
duums) für das, wie Scheler gesagt haben
würde, Realwerden des Geistes aufzudecken.
So entgeht man zwar der Relativismusproble-
matik des Wissens, unterwirft es damit aber
zugleich der Selektionsfunktion von Kulturen,
die ihrerseits Produkt historischer Zufälle sind
(zu denen wir auch das Auftreten individuel-
ler Fähigkeiten, „kulturelle Begrenzung durch
Erkennen kulturunabhängig-naturgegebener
Möglichkeit zu durchbrechen“ (p. 197) rechnen
müssen — ob auch „gesetzgeberische Manipu-
lationen“ (p. 175) dazugehören, ist mir nicht
klar geworden).
Demgegenüber besagt unser auf einen ob-
jektiven Geist verzichtender relativistischer
Ansatz, daß auch Wissen kulturgebunden ist.
Das offenkundige Mißverhältnis von allge-
meingültigem Wissen und individuellen Kul-
turen muß dann anders gelöst werden: näm-
lich durch Infragestellung des verwendeten
Kulturbegriffs (indem wir z. B. die Implika-
tionen eines „individuellen Astes“ am „Tree
Buchbesprechungen
141
of Culture“ untersuchen). Rudolph hingegen
hat, von seiner Sicht aus, keinen Anlaß, das
Kulturkonzept zu überprüfen und argumen-
tiert dementsprechend arglos und mit redli-
cher Mühe so, als ob „die Kulturen“ empirisch
vergleichbare Einzelobjekte wären. Wenn wir
hingegen seiner in der Einleitung getroffenen
Feststellung folgen, daß Kultur „prinzipiell
als eine gedankliche, auf Abstraktion und Ge-
neralisierung beruhende Konstruktion des Be-
obachters“ (p. 14) aufzufassen ist, ist es dann
nicht ein primäres und noch dazu genuin
ethnologisches Anliegen, auch nach den kultu-
rellen Voraussetzungen dieser „Konstruktio-
nen“ selbst zu fragen?
Nennen wir zu diesem Zweck nur einige
„traits“ des kulturellen Relativismus: Er iso-
liert individuelle Kulturen auf dem Boden
allgemeiner Menschlichkeit, er verzichtet auf
ihre evolutionistische Einordnung und ihre
moralische Bewertung und läßt schließlich ge-
rade den nötigen Spielraum, um dem Ethno-
logen ihre Erforschung, aber auch, ohnmächtig
gegen die Zufälle der Geschichte, den Kolo-
nialisten ihre Ausbeutung zu ermöglichen. Es
ist offenkundig, daß mit nahezu denselben
Kriterien auch die amerikanische Reserva-
tionspolitik beschrieben werden könnte: sollte
das Zufall sein? Inzwischen allerdings paßt
dieses pseudo-egalitäre Bild nicht mehr ganz
in die Gegenwart, in der „Entwicklungslän-
der“ von der wissenschaftlichen Überlegenheit
der westlichen Zivilisation profitieren wollen,
möglichst ohne ihre eigenen kulturellen Werte
opfern zu müssen, und siehe da, schon erklärt
man die „science“ für im Prinzip unfehlbar
und damit allem magischen etc. Denken (nicht
nur effektiv, sondern z. T. essentiell) über-
legen. Daß wir nun auch, Intention mit Reali-
tät verwechselnd, der Ethnologie das Science-
Schild schnell wieder umhängen müssen, ver-
steht sich (selbst der Kulturologe Kroeber
wird so, auf p. 119, wieder zum scientist).
Die Frage ist nur, ob man nicht auch noch
diese hier implizierten Prämissen dem Bereich
der Prälogik entwinden kann, so daß es eines
Tages nicht mehr „entweder irrelevant oder
sogar unmöglich“ erscheint, daß der Ethnologe
sich bewußt (statt unbewußt z. B. am Neo-
kolonialismus) auch in der Theorie und damit
„in Deskription, Analyse und Interpreta-
tion (!) an „Freundschaft“, „Respekt“ usw.
orientiert“ (p. 227). Aus dieser Grundhaltung
he raus muß nun dem möglicherweise provo-
zierten Eindruck begegnet werden, daß in Ru-
dolphs eigener Weiterentwicklung der Theo-
rien des kulturellen Relativismus nichts Posi-
tives zu finden sei. Für eine entsprechende
Elaboration wäre es allerdings erforderlich,
hier zunächst jenes Bezugssystem zu detaillie-
ren, gegen das Rudolphs Schlußfolgerungen
abzuwägen wären. Und eben das ist eine Auf-
gabe, die, so lohnend sie erscheint, jenseits des
Rahmens dieser Kritik liegt.
Lorenz G. Löffler
The Evolution of Society. Selections from
Herbert Spencer’s Principles of Sociology.
Edited and with an Introduction by
Robert L. Carneiro. (Classics in Anthro-
pology, Paul Bohannan. Editor.) Chicago
and London: The University of Chicago
Press. 1967; LVIII + 241 S. Preis: U.S.
I 10.95.
In Spencers Theorien fand der Evolutio-
nismus seine brillanteste Ausprägung. Hiel-
ten auch viele, unter ihnen Darwin, Spencer
für den größten lebenden Philosophen Eng-
lands, so erlosch sein Ruhm doch mit dem Zu-
sammenbruch des Evolutionismus. Wissen-
schaftshistoriker verstauten seinen Namen,
zwischen Kommas gepackt, unter Theorien
und Namen anderer Evolutionisten — zu un-
recht, wie Carneiro in seiner Einleitung nach-
weist. Spencer war (seinen ersten Neigungen
nach) Technologe, und was er darstellen wollte,
war nicht eine Geschichte von Ideen oder
Regenten, sondern Gesetzmäßigkeiten in der
Abfolge von sozialen Ordnungen, des Super-
organischen. Nur sie können nach Spencer für
die Geschichte als Wissenschaft relevant sein.
Soziale Strukturen sind aus ihrer Funktion zu
erklären, und nicht aus individuellen Intensio-
nen, wie militante Gesellschaften es glauben
machen möchten. Ausgehend von den ökologi-
schen und ökonomischen Bedingungen fand
Spencer, „that the struggles for existence be-
tween societies have been instrumental to their
evolution“, wobei sich Evolution erst dann
ergibt, wenn sowohl Wachstum als auch Ent-
wicklung impliziert sind. (Die Relevanz für
moderne „Involutionstheorien“ ist offenbar.)
Diese Evolution ist nun jedoch nicht (wor-
auf sich die landläufige Kritik versteift) uni-
linear gedacht, sondern „like other kinds of
progress, social progress is not linear but
divergent und re-divergent. Each differen-
tiated product gives origin to a new set of
differentiated products. While spreading over
the earth mankind have found environments
of various characters, and in each case the
142
Buchbesprechungen
social life fallen into, partly determined by
the social life previously led, has been partly
determined by the influences of the new
environment; so that the multiplying groups
have tended ever to acquire differences, now
major and now minor“, und Rückschritte ha-
ben neben Fortschritten eine nicht unbeträcht-
liche Rolle gespielt. Dementsprechend ließ
Spencer die Stadientheorien der alten Evolu-
tionisten fallen, um funktionale Erklärungen
für die Multiplizität der Erscheinungen zu fin-
den. Wohl, man mag sich daran stoßen, daß
Spencer von „genera und species of societies“
spricht, doch führt uns dieser Ansatz eher zu
Kulturarealen denn zu Kulturkreisen, sobald
wir den strikten Organizismus fallen lassen.
Aber eben dieser war für den theoretischen
Fortschritt nicht minder relevant: er fand seine
konsequente Ausarbeitung im Funktionalis-
mus, der seinerseits, sozusagen aus forschungs-
technischen Gründen, vom historischen Aspekt
„einstweilen“ abstrahierte. Unterdessen wurde
auch der Entwicklungsgedanke wieder aufge-
griffen, insbesondere von L. White und seinen
Schülern. Vielleicht ist heute, wie Carneiro
andeutet, in der Tat die Zeit gekommen, um
funktionale und historische Gesichtspunkte
wieder zu vereinen und somit wenigstens
einen Teil jener Integration anzustreben, auf
deren Vollzug Spencers Bedeutung beruhte
und offenbar noch beruht. Und dementspre-
chend hat Carneiro aus Spencers umfangrei-
chen Publikationen diese beiden relevanten
Themenpakete ausgewählt: jene Kapitel aus
den „Prinzipien der Soziologie“, die sich einer-
seits mit Struktur und Funktion der Gesell-
schaft und andererseits mit der Entwicklung
regulativer Institutionen befassen.
Lorenz G. Löffler
GUTORM GJESSING:
Complementarity, Value and Socio-Cultural
Field. (= Bull. 12, Ethnographie Museum,
University of Oslo.) Oslo: Universitetsfor-
laget 1968. 78 S.
Anthropologie und Soziologie haben auf
den Gebieten der System-, Wert- und Feld-
Theorie ein Material geliefert, das heute be-
griffsanalytisch und wissenschaftstheoretisch
durchzuarbeiten wäre. Wer dieses Material
kennt, wird von einem Buch obigen Titels eine
solche Analyse, zumindest im Ansatz, erwar-
ten. Gjessing bietet stattdessen eine groß-
zügige Neuordnung der Hauptthemen, indem
er sie mit dem Konzept der complementarity
in Zusammenhang bringt.
Ergebnisse sind an der Methodologie zu
messen, zu der sich eine Untersuchung ent-
schieden hat. Eine Methodologie sollte nach
Meinung Gjessings „accuracy and empathy“
(S. 31) verbinden. Seine eigene Arbeit ist
mehr auf Einfühlung als auf Genauigkeit an-
gelegt. „ ... in science as in love an over-
emphasis on technique is quite likely to lead to
impotence“ (S. 31). Dem Liebhaber, den Gjes-
sing propagiert, und dem Wissenschaftler, den
wir aus seiner Untersuchung kennenlernen,
würden sicher ein wenig mehr Verfahrenstech-
nik nichts schaden. Die Methode der „controll-
ed conversation“ (Redfield), von Gjessing
öfter zitiert, souverän gehandhabt und durch-
aus von angenehmer Wirkung, scheint uns
nicht bei allen Objekten angebracht zu sein.
Was bringt sie hier?
Ein Causeur gibt nicht zu, daß er Probleme
hat. So erfahren wir nicht, welche Notwen-
digkeiten seiner wissenschaftlichen und übrigen
Praxis Gjessing dazu zwingen, einen neuen
Modell-Entwurf zu versuchen.
Er liefert ausgezeichnete ideologiekritische
Skizzen der amerikanischen und englischen
Anthropologie, bemüht sich aber nicht, den
notwendigen Zusammenhang zwischen den
Faktoren anzugeben, die in sein Modell ein-
gehen. Sie scheinen willkürlich aus der heuti-
gen wissenschaftlichen Situation entnommen
zu sein; von der responsibility, über die Gjes-
sing in G. A. Dec. 1968 schreibt, scheint hier
nichts vorhanden. Gut liberalistisch finden sich
die Tendenzen zusammen nur auf Grund des
Temperaments, das sie auswählt. Und so
springt denn ein Modell in guter, alter Tön-
nies-Redfield-Parsons-Tradition heraus, etwa
so: Kräfte des Wettstreits und der Integration
verhalten sich komplementär zueinander und
erhalten das Gleichgewicht in den Sub-Syste-
men. Diese bestimmen sich auf Grund von
Kern-Werten, auf die sie zustreben, und Inter-
agieren als dynamische soziale Felder in einem
System, in dem sich Offenheit und Geschlos-
senheit wiederum komplementär verhalten.
Das Konzept der komplementären Gegen-
sätze — philosophisch seit Heraklit reflek-
tiert, in allen Kulturen vorhanden, in der
Anthropologie z. B. von Radcliffe-Brown und
natürlich von Lévi-Strauss verwendet — defi-
niert sich bei Gjessing nur in Kontexten. Es
wird in zu vielen gebraucht, so läßt sich kein
spezifischer Begriffsinhalt angeben, sondern
Buchbesprechungen
143
nur die Funktion. Es bietet offensichtlich die
Möglichkeit, Gegensätze (der Begriff Konflikt
kommt nicht vor!) als nützlich, erhaltend,
schöpferisch zu verstehen, und so ist denn das
„dynamische Gleichgewicht“ gerettet.
Rüdiger Jestel
Jahrbuch für musikalische Volks- und Völker-
kunde, Band 4. Für das Staatliche Institut
für Musikforschung und die Deutsche Ge-
sellschaft für Musik des Orients herausgege-
ben von Fritz Bose. Berlin: Verlag Walter
de Gruyter & Co. 1968. 128 S. mit Noten-
beispielen, 1 Kunstdrucktafel und 1 Schall-
platte. Preis: DM 38.—.
Die Beiträge zur volkskundlichen Musik-
forschung nehmen im vorliegenden vierten
Band des Jahrbuches gegenüber musikethnolo-
gischen Themenstellungen einen breiteren
Raum ein, als dies bei den vorangegangenen
Bänden der Fall gewesen ist.
In seinem Aufsatz „Die Launeddas — ein
seltenes Musikinstrument“ betrachtet Elans
Oesch eines der ältesten europäischen Blas-
instrumente. Dieses zur Familie der Klarinetten
gehörende Instrument, das Gurt Sachs im
„Real-Lexikon“ als Tripelschalmei bezeichnet,
wird heute nur noch von wenigen Musikern
im Süden Sardiniens gespielt. Obgleich schon
Sachs dabei von einem Instrument „uralt und
zweifellos phönikischen Ursprungs“ spricht,
hat es bisher in der Literatur nur wenig Be-
achtung gefunden. Oesch hat mit seiner Stu-
die, deren Ergebnisse auf unmittelbarem Kon-
takt mit Musikern aus San Vito auf Sardinien
beruhen, die bislang lückenhaften Kenntnisse
erweitert und ergänzt. Die Arbeit legt Resul-
tate vor, die sich aus dem Spiel auf dem In-
strument, dem Studium des lebendigen Re-
pertoires und aus der Befragung der Spieler
ergeben haben. Der Verfasser beschreibt den
Bau des Instruments, dessen eine Pfeife als
Bordun ausgebildet ist, die Spielweise und das
Repertoire selber. Die klingenden Beispiele,
die dem Jahrbuch auf einer Schallplatte beige-
geben sind, verdankt Oesch Luigi Lai, einem
Meister des Launeddas-Spiels. Sie werden ana-
lysiert, und Oesch bezeichnet sie als für das
Gesamtrepertoire repräsentativ. Um die Frage
nach der Flerkunft des Instruments zu beant-
worten, zieht er auch bildliche Darstellungen
zum Vergleich heran und kommt schließlich
zu dem Schluß, daß es wohl kaum phönikischer
Herkunft sein dürfte — wie Sachs annahm —,
noch aus Griechenland stamme. Sein Ursprung
liegt wohl in Sardinien selbst, und die ältesten
Zeugnisse weisen in das 7. oder 8. vorchrist-
liche Jahrhundert zurück.
Roger Pinon untersucht In seinem Beitrag
„L’etude du folklore musical en Wallonie“
den Volksliedschatz der französisch sprechen-
den Bevölkerung Belgiens und die Sammlun-
gen, in denen diese Volkslieder niedergelegt
worden sind; Rochus A. M. Hagen gibt einen
„Abriß der Geschichte der Spiritualforschung“,
die, geht man von der ersten Erwähnung eines
Negro-Spiritual im Jahre 1856 aus, nun über
100 Jahre alt ist. Die große Zahl von Spiri-
tual-Sammlungen zeigen das Interesse, das
diesen „Slave Songs" entgegengebracht wurde
und Immer wieder wird. Der Verfasser räumt
der Darstellung des Streites um die Frage, ob
das Spiritual letztlich weißer Herkunft sei oder
nicht, viel Raum ein.
Im Abschnitt „Zur Klassifikation des Spiri-
tuals“ führt Hagen den zahlenmäßig geringen
Anteil von Weihnachtsspirituals innerhalb der
Gesamtzahl von etwa 900 Gesängen auf ein
wenig konsequentes theologisches gottbezoge-
nes Denken der Neger zurück. Mit einem Über-
blick über die in den größeren Sammlungen
enthaltenen sechzehn Weihnachtsspirituals be-
schließt der Verfasser seinen Aufsatz, dessen
sehr ausführliche Literaturzusammenstellung
sicher dankbar aufgenommen werden wird.
Gerd Schönfelder berichtet in seiner Dar-
stellung „Zum chinesischen Ban-Prinzip“ über
das jüngste der vier musikalischen Gestal-
tungsprinzipien, die der traditionellen Thea-
termusik Chinas, vor allem der Peking-Oper,
zugrunde liegen. Die Musik dieses Opern-
musizierstils gründet sich auf einer bestimmten
Tonreihe von modellhaftem Charakter, der
ein spezifisches Rhythmusmodell zugeordnet
wird. Anhand zweier Schallplattenbeispiele
demonstriert der Verfasser die auf diesem
Prinzip aufbauenden Formen der Gesänge.
Den letzten Beitrag des Jahrbuchs, Heiner
Rulands „Zur Tonalität einer Indianermelo-
die“, hat der Herausgeber — nach seinen eige-
nen Worten im Vorwort — nur mit Bedenken
aufgenommen, denn Ruland versucht, an dem
von Gurt Sachs in seinem Büchlein „Verglei-
chende Musikwissenschaft — Musik der Fremd-
kulturen“ veröffentlichten Gesang der Hopi-
Indianer nachzuweisen, daß als Tonsystem
hinter diesem Indianergesang gleichstufigc
Pentatonik anzunehmen sei. Den Bedenken,
aus einer Analyse reiner Vokalmusik Rück-
schlüsse auf ein Tonsystem zu ziehen — Be-
144
Buchbesprechungen
denken, die den Herausgeber zögern ließen,
den Beitrag überhaupt zu veröffentlichen —,
begegnet der Verfasser mit dem Hinweis auf
die Unsicherheit, die auch den an Instrumenten
gewonnenen Meßergebnissen anhaftet. Zudem,
so meint Ruland, trage das musikalische Hö-
ren „seine Systematik in sich selber, indem sich
nämlich nach den einfacheren Zahlenverhält-
nissen der den musikalischen Ton tragenden
Schwingungsfrequenzen ausrichtet, ganz gleich-
gültig, ob es sich dabei um Gesang oder Instru-
mentalmusik handelt“.
Schallplatten- und Buchbesprechungen run-
den das Jahrbuch ab.
W. D. Meyer
WERNER DANCKERT:
Tonreich und Symbolzahl in Hochkulturen
und der Primitivenwelt. (= Abhandlungen
zur Kunst-, Musik- und Literaturwissen-
schaft, Band 35.) Bonn: H. Bouvier und Co.
Verlag, 1966. XVI + 357 S. Preis: DM 58.—.
Der Verfasser, dem eine ganze Anzahl Ver-
öffentlichungen zur Musikethnologie und zur
musikalischen Volkskunde zu verdanken sind,
unternimmt es mit der vorliegenden Studie,
die Gesetzmäßigkeiten der wohl ältesten Mu-
sik der Menschheit aufzuzeigen. Er vergleicht
dabei über 200 Melodien mit religionswissen-
schaftlichcn und ethnologischen Forschungs-
ergebnissen. Die Melodiebeispiele sind ohne
Texte wiedergegeben und entstammen zumeist
den Bereichen der Nicht-Hochkulturen, ein
Teil ist alten, schriftlich überlieferten Musik-
denkmälern entnommen.
In den einzelnen Abschnitten seines Buches
analysiert Danckert die Melodien nach den
Orten ihrer heutigen Erscheinung und Kultur-
stufe, und zwar so, daß er — ausgehend von
den Zweitonfolgen — über die Drei- und Vier-
tonmelodien bis zur Siebenstufigkeit vordringt
(dabei übergeht er allerdings die Sechsstufig-
keit). An jede analytische Betrachtung wird
sofort im jeweils nachfolgenden Kapitel die
Behandlung der Symbolik der betreffenden
Zahl bei den verschiedenen Völkern und im
geschichtlichen Ablauf angeschlossen. Der Ge-
danke, der der Studie zugrunde liegt, ist der
Versuch, das musikalische Weltbild der ein-
zelnen Völker auf den verschiedenen Kultur-
stufen zu erfassen.
Dabei kommt der Verfasser zu dem Schluß,
daß die Musik, die aus den Zeiten vor den
Hochkulturen stammt, nicht auf Skalenord-
nungen, sondern auf Zahlensymbolik basiere,
die wiederum ihre Entsprechung im jeweiligen
Weltbild finde. Erst in den Hochkulturen
selbst hätten sich dann aus der zahlenmäßigen
Deutung die verschiedenen Skalensysteme ent-
wickelt. Nach Danckerts Auffassung habe sich
der Sinn für den Zahlenwert des einfachen
Tonvorrats schon in den matriarchalischen
Kulturen entwickelt, und „ohne ihre ,de-
metrisch“ ordnende, die Tonverwandtschaften
erfühlende Begabung wären vermutlich die
männlich betonten Altkulturen über bloßes
Schrittmessen, Anleimen oder Vagieren im
,Distanz‘-Tonraum niemals hinausgekommen“.
Gerade diese Gegenüberstellung der musikali-
schen Verschiedenheiten von matriarchalen und
patriarchalen Kulturen ist ein wesentlicher Ge-
sichtspunkt der vorliegenden interessanten
Arbeit. Eigenartig erscheint allerdings, daß
der Verfasser glaubt, bei seinen Analysen von
den die Musikbeispiele beeinflussenden Fak-
toren wie Ort, Umstände und Zeit abschen zu
können. Bedauerlicherweise fehlt ein zusam-
menfassendes Literaturverzeichnis des in vie-
len Fußnoten genannten zahlreichen Schrift-
tums.
W. D. Meyer
ROBERT CORNEV1N:
Histoire de la colonisation altemande. ( =
Collection „Que sais-je?“ No. 1331.) Paris:
Presses Universitaires de France. 1969. 128
S., 4 Karten u. 2 Tabellen im Text.
R. Cornevin ist durch seine vorzüglichen
Arbeiten über die Geschichte Afrikas, Togos,
Dahomeys und des Kongo sowie zur Ethno-
graphie Nord-Togos den Afrikanisten kein
Unbekannter. Als jüngste Arbeit erschien nun
ein Bändchen über die Geschichte der deut-
schen Kolonisierung.
Der Verfasser beginnt mit den kurzlebigen
brandenburgischen Versuchen, in Westafrika
Fuß zu fassen und leitet dann mit einer kur-
zen Darstellung der Missionen, der For-
schungstätigkeit und des Handels in vorkolo-
nialer Zeit zum Hauptabschnitt über, in dem
der Beginn deutscher Kolonialpolitik, das
koloniale Verwaltungssystem, der Widerstand
Einheimischer gegen die Kolonisierung, das
„goldene Kolonialzeitalter“ (1907—1914), das
Ende deutscher Kolonialtätigkeit im ersten
Weltkrieg sowie — im Schlußkapitel — die
geistigen Bindungen an die alten Kolonien
und die politische Einstellung in Kolonialfra-
gen zwischen den Kriegen abgehandelt wer-
den. Den Schwerpunkt der Darstellung bil-
Buchbesprechungen
145
den naturgemäß die betroffenen afrikanischen
Gebiete.
Robert Cornevin befleißigt sich der bei ihm
gewohnten nüchtern-sachlichen, aber nicht
langweiligen (!) Darstellung. Er erweist sich
erneut als guter Kenner der deutschen Kolo-
nialgeschichte. Der sehr nützliche kleine Über-
blick enthält manche Angabe, die auch dem
Ethnologen unseres Landes nicht unbedingt
geläufig ist. Es wäre zu wünschen, daß das
Büchlein in einer deutschsprachigen Taschen-
buchreihe auch einem weiteren Kreis zugäng-
lich würde.
Jürgen Zwernemann
Kalevala. Das Finnische Epos des Elias Lönn-
rot. München: Carl Hanser Verlag. 1967.
Bd. I: Übertragung aus dem finnischen Urtext
von Lore Fromm und Hans Fromm. Mit
Nachwort. 396 S., 2 Karten. Preis: DM 46.—.
Bd. 11: Kommentar mit forschungsgeschicht-
lichem Abriß und Register. 352 S. Preis:
DM 83.—.
Die mächtige Welle romantischer Begeiste-
rung für das Volkstümliche, die von den
Schriften Herders ausgelöst wurde, erreichte
schon bald nach den napoleonischen Kriegen
das eben unter russischer Herrschaft mit Kare-
lien vereinte Finnland. Allenthalben sammelte
man die von den Sängern getragenen Volks-
überlieferungen, wobei sich bald das von pro-
testantischer Strenge verschont gebliebene Ka-
relien als ungleich reicherer Boden erwies.
Vermutlich hätten aber die Texte mit ihren
Widersprüchen und in ihrer Vielschichtigkeit
den Ansprüchen eines Bildungsbürgertums
nicht genügt. Deshalb unternahm es der Arzt
Elias Lönnrot, sie zu einem Epos zusammen-
zustellen und dabei Lücken und Brüche durch
eigene Dichtung zu überdecken. Er meinte da-
mit nur eine ähnliche Aufgabe zu erfüllen wie
Homer. Tatsächlich legte er eine erstaunliche
Einfühlungsgabe an den Tag.
Sein Werk, das Epos „Kalevala“, hat in sei-
ner endgültigen Fassung nicht nur Weitbe-
rühmtheit erlangt, es ist von großer politi-
scher Bedeutung. Auch heute noch wirkt es für
die finnische Nation integrierend. Die Rück-
wirkungen auf Zentraleuropa waren beträcht-
lich. Schon 1852 erschien eine deutsche Über-
setzung aus der Feder des in Petersburg wir-
kenden Anton Schicfner. 1914 wurde sie von
Martin Buber überarbeitet — wobei wir uns
erinnern wollen, daß dessen Begeisterung für
die Dichtung der Chassidim letzten Endes
auch auf Herder zurückgeht. Diese literarisch
anspruchsvolle Übersetzung erfolgte in einer
Zeit, in der der Jugendstil mit seiner Liebe
zum Archaischen in Finnland selbst neue For-
men der Auseinandersetzung mit dem Stoff —
in Gemälde und Ballade — auslöste. 1943 er-
schien dann, gewissermaßen als „Arisierung“
des Buberschen Werks, eine weitere deutsche
Ausgabe, wohl auch als Symbol der Waffen-
brüderschaft gedacht.
Die hier vorliegende Übersetzung scheint
also die erste zu sein, die nicht durch eine Zeit-
strömung ausgelöst wurde. (Die augenblick-
lich grassierende Jugendstilbegeisterung ver-
zichtet betont auf eine Wiederaufnahme des
heroischen Elements.) Sie ist also auf sich ge-
stellt und muß durch Qualität überzeugen.
Wie 1852 greift man auf den finnischen Text
zurück. Der philosophische und historische
Kommentar hat inzwischen an Umfang und
Genauigkeit gewonnen. Ein ganzes Jahrhun-
dert fleißiger Forschung wird rekapituliert.
Hans Fromm und seine Mitarbeiterin Lore
Fromm erreichen das Ziel, das sie sich gesteckt
hatten: die sprachliche Form, des romantischen
Beiwerks entkleidet, befriedigt auch anspruchs-
volle Leser. Die Kommentare, ergänzt durch
Einführung und Nachwort, zeigen gerade die
spätere Geschichte der Texte, die vielen Quer-
verbindungen der Motive treten deutlich her-
vor.
Nur wenige Aspekte bleiben unberücksich-
tigt. So wäre es interessant gewesen, die Be-
deutung des Werks für die Karelische Auto-
nome Sowjetrepublik nach dem zweiten Welt-
krieg hervorzuheben. Mit der Grenzziehung
von 1940 kam ein Großteil der „Liedsang“-
Gebiete unter sowjetische Herrschaft. Obwohl
die Bevölkerung zum überwiegenden Teil
nach Finnland ausgesiedelt worden war, be-
gann man, den „Kalevala“ als eine Schöpfung
der in der Sowjetunion vereinigten Völker zu
feiern. So wurde 1949 das hundertjährige Ju-
biläum der ersten umfassenden Ausgabe in
mehreren Städten der Sowjetunion festlich be-
gangen. Nicht zufällig wurde bei der Haupt-
feier eine Botschaft Stalins verlesen. (In ähn-
licher Form und mit gleichem „Recht“ hat man
inzwischen in der Sowjetunion fast alle Grö-
ßen der persischen Literatur für die Sowjet-
Tadschiken in Anspruch genommen.) Zunächst
ging mit dieser Usurpation der Versuch Hand
in Hand, den „Kalevala“ In marxistischem
Sinn auszudeuten. Dieses Bestreben hat in-
zwischen einer nüchternen Betrachtung Platz
io
146
Buchbesprechungen
gemacht. Manches, was man dabei erarbeitet
hat, hätte für den vorliegenden Kommentar
von Bedeutung sein können. E. M. Meletinskij
(Sovetskaja Etnografija 4/1960, S. 64—79) be-
tont, Väinämöinen sei primär als Kulturheros
aufzufassen. Er gehöre in eine archaische Kul-
turschicht, in der Fischfang und Jagd die wich-
tigsten Beschäftigungen des Mannes bildeten.
Die jugendlichen Heroen, deren Minnefahrten
viele Gesänge füllen, gehören einer späteren
Phase an.
Meletinskij betont ferner, daß in den Tex-
ten keine Hinweise auf die institutionalisierte
und dramatisierte Trance Vorkommen, also
auf das Kernphänomen des Schamanismus.
Die Ausführungen über den Schamanismus,
die Fromm vor allem in die Kommentare zum
3. und 17. Gesang eingearbeitet hat, führen
somit den Leser auf eine falsche Fährte. Wich-
tig und interessant ist vielmehr, daß sich die
Zauberpraktiken, die man konkret beschrieben
findet, von jenen des Schamanismus deutlich
unterscheiden. Die Zusammenarbeit mit dem
Ethnologen Dr. Laszlo Vajda, die im Vorwort
betont wird, scheint hier eher problematische
Früchte getragen zu haben. Dennoch bedeutet
sie das Betreten eines Weges, der in Zukunft
nicht mehr verlassen werden sollte.
Noch einmal sei betont, daß dieses vom
Verlag sehr gut ausgestattete Werk einerseits
eine spannende Lektüre darstellt, andererseits
aber durch seine Kommentare ein erstklassiges
wissenschaftliches Hilfsmittel bietet.
Für den Kenner der europäischen Folklore
öffnet es den Blick in die Weiten Asiens, es
leitet über, nicht nur zu den Bylinen Ruß-
lands, sondern auch zu den Nartensagen Kau-
kasiens und dem Erzählgut der Ob-Ugrier.
Dem Ethnologen ruft es die Tatsache ins
Bewußtsein, daß die europäische Volkskunde
nur durch eine Phase der Wissenschaftsge-
schichte eigene Wege gegangen ist. Gemeinsam
bleibt die Freude am Inhalt, am farbenpräch-
tigen Bild. Sie darf auch heute nicht einer
Modeströmung geopfert werden, die nur ab-
strakte Spekulation als wissenschaftlich gelten
lassen will.
K. Jettmar
PETER SIMON PALLAS:
Reise durch verschiedene Provinzen des
Russischen Reichs. Faksimile-Nachdruck der
Ausgabe St. Petersburg 1771—1776. Mit
einem Vorwort von Dietmar Henze. Graz:
Akademische Druck- und Verlagsanstalt.
1967. 4 Bände: 3 Textbände 8°, XXXII +
XII + 504 S.; X + 744 S.; XXIV + 729
S.; 1 Tafelband 4°, 100 Tafeln, 8 Karten.
Preis: DM 336.—.
P. S. Pallas, 1741 in Berlin geboren und
1811 dort gestorben, lebte und arbeitete 1768
bis 1810 als Mitglied der Kaiserlichen Akade-
mie der Wissenschaften zu St. Petersburg in
Rußland. Vor allem auf seinen beiden großen
Reisen 1768—1773 und 1793/1794 erwarb er
jenes in zahlreichen Werken niedergelegte
Wissen, das ihn an den Anfang aller neueren
botanischen und zoologischen, geologischen
und morphologischen, aber auch anthropolo-
gischen und ethnographischen Forschungen
über Süd- und Ostrußland wie über Sibirien
stellte. Er war einer aus einer ganzen Reihe
von Mitteleuropäern, die (mit einigen russi-
schen Gelehrten zusammen) im 18. Jahrhun-
dert, in russischen Diensten stehend, die wis-
senschaftlichen Grundlagen zur Kenntnis und
Erschließung Sibiriens schufen, deren Arbeiten
aber im Laufe der Zeit nahezu in Vergessen-
heit gerieten. Nun hat die Akademische Druck-
und Verlagsanstalt in Graz im Rahmen ihrer
Reprints Pallas’ großes Reisewerk als Fak-
simile-Druck neu herausgebracht, in drei (ver-
kleinerten) Textbänden und in einem Tafel-
band in Originalgröße. Edition und Auf-
machung entsprechen der bei diesem Verlag
gewohnten Qualität, was um so erfreulicher
ist, als damit einer der Klassiker unter den
Reisenden überhaupt wieder greifbar wurde.
Es handelt sich bei der Publikation um eine
Art Reisetagebuch.
Pallas’ Reisewerk ist nicht leicht zu lesen,
denn fast jede Zeile ist prall gefüllt mit De-
tails der verschiedensten Art — Angaben, die
eben den Wert dieses Werkes ausmachen. Ent-
sprechend seiner Maxime: oculos operire! hat
er überall scharf beobachtet und genau ge-
schildert. Größte Zuverlässigkeit ist für ihn
selbstverständlich, auch wenn er — den Ge-
pflogenheiten seiner Zeit entsprechend — noch
nicht allzu viele exakte Daten mittels Instru-
menten messen und mitbringen konnte, so z. B.
seine Karten mehr geschätzt als gemessen sind.
Pallas war von Haus aus vor allem Botani-
ker und Zoologe, und Text wie Abbildungen
zeigen, wie sorgfältig er hier notiert und do-
kumentiert hat. Neben vielen anderen Pflan-
zen und Tieren hat er z. B. erstmals den Halb-
esel Dschiggetai (Equus hemionus Pallas) und
das zentralasiatische Wildpferd (Equus ferus
Pallas, heute Equus Przewalski) beschrieben.
Die Zusammenhänge zwischen Klima und
Buchbesprechungen
147
Pflanzen hat er beobachtet, die vertikale Glie-
derung der Vegetation in ihren Grundzügen
geschildert, für die Flora wichtige Daten
(Frostgrenze, Frostbodengrenze, erste und
letzte Fröste, Frühlingsbeginn u. ä.) in großer
Zahl beigebracht. Viele Beziehungen zwischen
Klima, Pflanzen, Tier und Mensch hat er er-
kannt, vor allem vom Edaphischen und ökolo-
gischen her.
Von dieser naturwissenschaftlichen Einstel-
lung im weitesten Sinne aus nimmt es nicht
wunder, wenn er auch geologische und mor-
phologische Gegebenheiten untersucht hat, auf
denen er viele Theorien zur Erdgeschichte des
besuchten Raumes aufbaute. Die erratischen
Blöcke fielen ihm, der von einer Eiszeit noch
nichts wissen konnte, ebenso auf wie der Ge-
gensatz zwischen Berg- und Wiesenufer vieler
Flüsse seines Reisegebietes.
Pallas hatte den Auftrag, über seine natur-
wissenschaftlichen Studien hinaus Unterlagen
zu beschaffen für eine weitere wirtschaftliche
Entwicklung des Reisegebietes. Dies versuchte
er, indem er die natürlichen Möglichkeiten des
Fischfanges, der (Pelztier-) Jagd, der Weide-
wirtschaft, des Ackerbaues und — speziell —
des Abbaues vorhandener Lagerstätten unter-
suchte. Es war erst zwei Generationen her,
daß die Russen angefangen hatten, alte, zwi-
schenzeitlich aufgegebene Schürfe neuerdings
auszubeuten. Mehr als ein Jahr hat Pallas
der Aufgabe gewidmet, in den Bergbaugebie-
ten des Ural, des Altai, des Kusnezker Beckens
und Transbaikaliens Untersuchungen anzu-
stellen, die ihn zum Ergebnis führten, daß
diese Gebiete riesige Mengen abbauwürdiger
Erze und anderer Mineralien (z. B. Marmor,
Quarz für Glas, Marienglas, Salz, Gips, Halb-
edelsteine und Edelsteine) besitzen. Immer
wieder stellt der Reisende fest, man brauche
beim Erzabbau nur den alten „tschudischen“
Schürfen nachzugehen, um lohnende Lager-
stätten zu finden.
Diese Beobachtungen führten ihn in ar-
chäologische Fragestellungen hinein, denen er
sich dann — mehr nebenher — widmete. Er
studierte Ruinen aus der Zeit der Goldenen
Horde, aber auch ältere Anlagen, und befaßte
sich vor allem mit Gräbern und Grabfunden,
und wie er im Hüttenwesen auch sozial-
ökonomische Aspekte herausarbeitet, so findet
er Zusammenhänge zwischen Grabfunden und
Siedlungsgeschichte: Große Gräbergruppen
haben Siedler angezogen und zur Anlage von
Dörfern angeregt, weil der Erlös aus Raub-
grabungen zusätzliche Verdienstmöglichkeiten
versprach. Hier wird verständlich, warum die
russischen Archäologen heute so selten ganze
Grabinventare vorfinden; Ihre Amateur-Vor-
gänger müssen ungeheuer gewütet haben! Aber
auf der anderen Seite lassen authentische, von
Pallas wiedergegebene Berichte von Raub-
gräbern erkennen, daß diese Leute die einzel-
nen Gräber und Grabtypen mit den möglichen
Inventuren genau kannten und ihre Tätigkeit
auf diese Erkenntnisse aufbauten.
Einen breiten Raum nehmen im ganzen
Reisebericht Angaben zur Besiedlungsgeschichtc
ein: Alte und neue Grenzen studiert er anhand
alter und neuer Befestigungen, alter und neuer
toponymischer Begriffe. Den ökologischen
Grundlagen der russischen Siedlungsgeschichte
widmet er große Aufmerksamkeit. Die Funk-
tion der Kosaken wird deutlich, ihre Grenz-
festungen werden — später im Hinterland —
zu Städten. Anschaulich schildert er aus junger
und jüngster Vergangenheit das Leben an der
Grenze und im kolonialen Neuland, in dem
zu seiner Zeit die Zahl der europäischen Kolo-
nisten die der Einheimischen bereits weit über-
traf. So entstand ein Grenzerbericht, der an
Anschaulichkeit Cooper oder von Gagern nicht
viel nachsteht.
Fast überall registriert er den Gang der
russischen Besiedlung, zeigt die Herkunft der
einzelnen Kolonistengruppen, ihre völkischen
Eigenarten, das Festhalten an alten Traditio-
nen und das Hineinwachsen in die Möglich-
keiten der neuen Heimat. Den generellen
Frauenmangel und seine Folgen schildert er
vor allem im Hinblick auf die zahlreichen
Mischehen und die durch sie zustandegekom-
mene Ausbreitung von Seuchen und Krank-
heiten, aber auch russischer Sprache, Kultur
und Religion. Der beträchtliche Anteil Deut-
scher an der Erschließung Sibiriens wird —
mehr zwischen den Zeilen — deutlich. Äußerst
aufschlußreich sind seine Schilderungen über
die Methoden, Siedler für das Land, und aus
deren Zahl Arbeitskräfte für die neu ent-
wickelte Industrie zu gewinnen. Gerade diese
Partien muten — wie viele sozial-ökonomi-
schen Passagen — völlig modern an, greift
Pallas doch Fragestellungen auf, die dann
lange übersehen wurden.
Im Zusammenhang mit dem Bergbau und
der Entstehung neuer Industrien studiert er
ebenso wie im Konnex mit dem Pelzhandel die
ganzen Handelsbeziehungen Sibiriens in sei-
ner Zeit. Er notiert eine ganze Kette von
148
Buchbesprechungen
Handelsstätten entlang der Südgrenze zwi-
schen Süd-Rußland und Ost-Sibirien. Er nennt
die Handelsgüter im Export wie im Import
mit China und der Bucharei und stellt fest,
wenn die Wegeverhältnisse nicht so miserabel
wären, könnte hier sehr viel mehr erreicht
werden, obwohl mindestens der China-Handel
in seiner Zeit für Rußland äußerst lukrativ
gewesen sein muß. Gerade in der Gegenüber-
stellung der beiden benachbarten russischen
und chinesischen Handelsstädte Kjachta und
Maimatschin zeigt er seine Fähigkeit, umfas-
send zu beobachten und konsequent darzustel-
len. Hier wagt er sich selbst auf das Gebiet der
Völkerpsychologie.
Diese Darstellungen vermitteln das Bild
einer an Bevölkerungszahl (auch durch hohe
Geburtenraten) wie an Wohlstand rasch wach-
senden Kolonialbevölkerung, die Pallas in
ihrem ganzen Lebenszuschnitt darstellt, bis hin
zu Volksmedizin, Aberglauben und Zauber,
zu Heimgewerbe, Kleidung und Sitten. Was
ihn aber auch hier wieder ganz besonders be-
schäftigt, ist das wirtschaftliche Moment. Er
stellt die einzelnen Großlandschaften in ihrer
gesamtwirtschaftlichen Bedeutung vor, arbeitet
als Schwerpunkte das Wolga-Kama-Gebiet,
das Seen-Gebiet Südwest-Sibiriens, das Kras-
nojasker Becken, das Selenga-Gebiet und
Transbaikalien heraus. Überall beobachtet er
die einzelnen Wirtschaftszweige und die Fak-
toren, die sie fördern oder hemmen. So sieht
er den Unterschied zwischen den Ackerbau-
landschaften der feuchten Steppenzone gegen-
über dem Waldland (wo noch Pelztierjagd
überwiegt) und der Trockensteppe, in der er
eine Wirtschaft mit extensivstem Regenfeld-
bau, überwiegender Viehzucht und — als Er-
gänzung — Pelztierjagd in den angrenzen-
den Waldgebirgen und Auwäldern notiert. Er
schafft also nicht nur die Grundlagen für eine
stärkere und raschere Industrialisierung, son-
dern gibt Anregungen zur Entwicklung des
Feldbaues und bezieht auch die Förderung von
Viehzucht, Fischerei und Jagd ein — die letz-
teren auf seinen Beobachtungen von deren
damaliger Bedeutung und den vorhandenen
Methoden basierend.
In diesem Zusammenhang stellt er fest, daß
viele Jagd- und Fangmethoden von den Ein-
heimischen übernommen worden sind. Diese
Feststellung konnte er treffen, weil er sich
auch um diese Gruppen und ihre Kulturen be-
müht hatte. Er hat in den von ihm durchforsch-
ten Gebieten dem Menschen und seiner Kultur
je länger desto mehr seine Aufmerksamkeit
geschenkt und die tribes dabei nicht ausgenom-
men. Seine ethnographischen Beobachtungen
sind entsprechend seiner naturwissenschaft-
lichen Grundhaltung in seinem Reisebericht
vorwiegend auf die materielle Kultur der Ein-
geborenen hin ausgerichtet. Das religiöse Mo-
ment kommt oft zu kurz. Dem Rationalisten
Pallas waren die Kulthandlungen der Schama-
nen und Lamas nicht viel mehr, als mehr oder
weniger geschickte Tricks der Zauberer und
Priester, das einfache Volk unter ihren Ein-
fluß zu bringen, um sie so abhängig zu hal-
ten. Aus diesem Blickwinkel heraus erklärt
es sich, daß er da, wo er auf Dinge zu sprechen
kommt, die mit der Ratio allein nicht zu er-
klären sind, in Bausch und Bogen mit dem
Begriff „Schwindler“ urteilt, während die-
jenigen Seiten der naturvölkischen Kulturen,
die wissenschaftlich exakt beobachtet und dar-
gestellt werden können, an Prägnanz — für
seine Zeit — kaum zu überbieten sind. Das
gilt in bezug auf die Religion z. B. für den
ganzen Ritus. Seine besondere Aufmerksam-
keit widmet der Autor den Trachten der Ein-
geborenen, ihrem Hausbau, Ihrer Ernährung,
ihren Festen, vielen ihrer Sitten. Die Metho-
den von Ackerbau und Viehzucht, Jagd und
Fischfang nehmen in den Schilderungen einen
breiten Raum ein. Ebenso aber bemüht er sich,
die gesellschaftlichen Strukturen und die recht-
lichen Verhältnisse aufzudecken. Die Ver-
wandtschaft der Völker untereinander hat er
durch Vergleiche ihrer körperlichen Erschei-
nungsformen, ihrer Wirtschaft, ihrer Sprachen
und ihrer Gesamtkultur zu klären versucht.
Daß er dabei fast immer zu dem Ergebnis ge-
kommen ist, das noch heute gilt, zeugt für die
Exaktheit seiner Beobachtungen und für die
Modernität seiner Arbeitsweise, auch auf die-
sem Gebiet. So verdanken wir ihm von mehr
als zwei Dutzend Stämmen manchmal sehr
eingehende Beschreibungen, teilweise die ersten
über das betreffende Volk überhaupt. Von den
Türken, die er noch Tataren nennt, beschreibt
er die Nogaier bzw. deren Relikte, aus der
Reihe der Wolga-Tataren die Kuban-Tataren,
die Kasan- und Ufa-Tataren, die Baschkiren
und Tschuwaschen, unter den Berg-Tataren
Süd-Sibiriens die Gruppen am Yus, die Kat-
schinen, ßeltiren und Sagaier, dazu die Kir-
gisen (Kasaken), Koibalen, Karagassen und
Sojotcn. Von den finno-ugrischen und samoje-
dischen Völkern beschreibt er die Mordwinen,
Tscheremissen, Wotjaken, Ostjaken, Wogulen
Buchbesprechungen
149
und Samojeden. Weitere, z. T. sehr eingehende
Schilderungen gibt er über die Kosaken, Bur-
jaten, Tungusen und — in Maimatschin an-
sässigen — Chinesen. Viele dieser Völker wer-
den in außerordentlich guten Kupferstichen
abgebildet. Den ethnographischen Beschrei-
bungen seiner Vorgänger gegenüber, von
denen in erster Linie diejenigen der großen
Expedition Berings durch Gmelin, Müller und
Fischer zu nennen sind, zeichnet sich Pallas
durch umfassendere Beobachtungen aus. Da er
auch den somatischen Typ jedesmal charak-
terisiert, hat er an der Erforschung der anthro-
pologischen und kulturellen Verhältnisse Ost-
Rußlands und Sibiriens einen beträchtlichen
Anteil — und ihm wie Gmelin verdanken wir
die besten frühen Berichte über Völkerschaf-
ten Sibiriens, die uns auch heute noch ein zu-
treffendes Bild jener Zeit vermitteln können,
in der diese Gruppen durch europäischen Ein-
fluß zum Teil eben erst berührt waren. Diese
Nachrichten sind also für die Ethnographie,
Geschichte und Kulturgeschichte Nordasiens
und Ostrußlands von größter Bedeutung, auch
im Hinblick auf die frühen Kontakte mit der
europäischen Kultur, die diese Völker seither
so entscheidend verändern sollte.
So ist Pallas auch einer der ersten großen
Ethnographen der Neuzeit geworden, der
völlig gleichwertig neben Cook und Förster
steht, und der damit zu den bedeutendsten
Ethnographen des 18. Jahrhunderts überhaupt
gehört. Sein Rang ist lange übersehen worden.
Im deutschen Sprachraum hat man nur da und
dort, vor allem in der Göttinger Schule, den
Wert seiner Angaben bereits früher erkannt
und sich mit Teilen seiner ethnographischen
Berichte kritisch auseinandergesetzt. Es Ist zu
hoffen, daß nun, nachdem das bisher schwer
zu beschaffende Werk wieder jedem zugäng-
lich ist, hier ein Wandel eintritt. Es Ist auch
zu hoffen, daß seine „Sammlungen histori-
scher Nachrichten über die Mongolischen Völ-
kerschaften“ bald neu aufgelegt werden, und
daß auch die übrigen frühen Berichte aus den
Federn Gmelins, Georgis, Müllers und Fischers
bald erscheinen werden.
Und hier ist noch eine Hoffnung auszu-
sprechen; Es wäre nützlich gewesen, wenn dem
Werk wenigstens ein Glossar beigefügt worden
wäre, das z. B. alte Namen und Begriffe in
unsere Sprache übersetzt hätte, ein Glossar als
ganz knapper, aber u. E. notwendiger Kom-
mentar, der auch dem mit diesem Raum we-
niger Vertrauten die Benutzung wesentlich
hätte erleichtern können. Wenn andere frühe
Berichte erscheinen, sollte man die geringen
Mehrkosten nicht scheuen, diese einfachste Er-
schließungsarbeit zu leisten.
Verdienstvoll ist das Vorwort von D. Henze,
der einen kurzen Lebenslauf des Autors gibt
und seine Bedeutung für die einzelnen Dis-
ziplinen dabei kurz charakterisiert. So ist uns
— von der oben genannten Einschränkung ab-
gesehen — ein durch und durch brauchbares
Hilfsmittel wiedergegeben, eine Primärquelle
von höchstem Rang, für deren Herausgabe
dem Verlag nur aufrichtig gedankt werden
kann. F. Kußmaul
C. DE BRID1A MONACHI:
Hystoria Tartarorum. Edidit et annotatio-
nibus instruxit Alf Önnerfors. (= Kleine
Texte für Vorlesungen und Übungen 186)
Berlin: W. de Gruyter & Co. 1967. X +
44 S. 1 Karte. Preis: DM 9,80.
Im Jahr 1965 wurde der vorliegende Text
— kurz zuvor erst entdeckt — erstmals publi-
ziert, der Herausgeber bringt ihn nun, an vie-
len Stellen korrigiert und durchweg mit kriti-
schem Apparat versehen, neu heraus. Es ist
eine Quelle, die 1247 als Kompilation ent-
stand, kurz nachdem die drei Minoriten-
Mönche Carpini, Stephan und Benedict Ihre
Reise im Auftrag des Papstes beendet hatten.
Offenbar hat de Bridia engen Kontakt zu den
Zurückgekehrten gehabt, denn sein Bericht ist
nach seiner eigenen Aussage auf deren Erzäh-
lungen gestützt. In der Tat sind viele Passa-
gen inhaltlich nahezu identisch mit dem Be-
richt Carpinis, wenn auch kürzer und gedräng-
ter, aber der nun vorliegende Bericht enthält
auch Daten, die Carpini nicht gibt, die also
auf seine Begleiter (oder andere Quellen) zu-
rückgehen müssen.
Der Herausgeber führt kurz in die Ge-
schichte der Mongolen ein, schildert die ersten
Reisen zu diesen, gibt eine knappe Darstel-
lung der Erstedition des vorliegenden Textes
und ihrer Mängel, quellenkritische Angaben
zum Text, und führt in die Sprache de Bridias
ein.
Der Text selbst enthält in der ersten Hälfte
eine Geschichte der Mongolen (de Bridias Tar-
taren) bis in seine Tage, angereichert durch
zahlreiche Weltrandfabeleien. Besonders gut
scheint der Autor Bescheid zu wissen, in Hin-
sicht auf die Feldzüge nach Rußland, von de-
nen er zahlreiche Einzelheiten wiedergibt,
auch eine beachtliche Reihe von (richtigen)
150
Buchbesprechungen
Völkernamen. In seine Geschichtsdarstellung
wie in eine summarische Aufzählung der von
den Mongolen unterworfenen Völker haben
sich freilich Irrtümer eingeschlichen: de Bridia
nennt Indien und selbst Völker Afrikas als
Unterworfene. Dieser Part bringt nicht allzu-
viel Zuverlässiges, was uns über die bisherigen
Quellen hinausführen könnte.
Die zweite Hälfte ist praktisch eine Ethno-
graphie der Mongolen, kurz, aber mit er-
staunlich vielen Details zur Geographie, in
Hinsicht auf physische Anthropologie, Klei-
dung, Nahrung und Wohnung. Bei der letzt-
genannten fällt auf, daß er nur die Jurte alten
Stils kennt, Jurten, die en bloc auf Wagen
transportiert werden, von 1—4 oder mehr
Ochsen gezogen, aber noch nicht die Scheren-
gitterjurte. Ziemlich viele Angaben zum
Brauchtum sind enthalten, so in bezug auf das
Essen, die Ehe, das Familienleben, die Kinder-
erziehung und die Arbeiten der beiden Ge-
schlechter.
Natürlich sind de Bridia manche Züge des
sozialen und politischen Lebens bekanntgewor-
den, so die Art der Kriegführung, deren Schil-
derung den Schluß des Berichtes ausmacht,
und an die er die Möglichkeiten der Gegen-
wehr anschließt (das war ja eine der Haupt-
aufgaben der Gesandtschaft Carpinis gewe-
sen), das Kurierwesen und die Stellung des
mongolischen Adels. Auch Carpinis Bericht
zeigt, daß die Rückkehrer offenbar eine ziem-
lich gute Kenntnis von Chingis Khans Gesetz-
werk hatten, auch von dessen religiös gebun-
denen Partien. Am auffallendsten im Bericht
de Bridias ist nämlich, daß er der Religion
und den mit ihr zusammenhängenden Phä-
nomenen einen so breiten Raum geben kann.
Hier treffen wir eine Menge Angaben, die
zwar aus der gesamten Literatur bereits be-
kannt sind, aber meist aus östlichen Quellen,
vor allem aus der Geheimen Geschichte der
Mongolen. De Bridia schildert die Glaubens-
verhältnisse, Idole, das Opferwesen, die
Pferdeweihe und die Opfer an Naturerschei-
nungen. Er geht auf Krankheiten und ihre
Behandlung ein und besonders eingehend auf
das Brauchtum im Zusammenhang mit Tod
und Bestattung.
Schließlich versucht er auch die Moral der
Mongolen aufzuzeigen, und es ist erstaunlich,
daß er sie als ruhige, friedliche Menschen
kennzeichnet — doch sicher in einigem Gegen-
satz zu dem, was man sonst im Europa des
Jahres 1247 hörte.
Ein Register schließt die Ausgabe ab, der
wir eine Reihe wichtiger neuer Daten aus
westlicher Sicht verdanken. Die Herausgabe
ist verdienstvoll, aber eine Übersetzung in
eine westliche Sprache scheint nicht wenig
wünschenswert — crudele Latinum Mediae
Aetatis! Friedrich Kußmaul
BERTHOLD SPULER:
Geschichte der Mongolen. Nach östlichen
und europäischen "Zeugnissen des 13. und
14. Jahrhunderts. Zürich und Stuttgart:
Artemis-Verlag. 1968. 270 S., 3 Karten.
Preis: DM 28.—.
Was hier vorliegt, ist nicht eigentlich eine
Geschichte der Mongolen nach östlichen und
europäischen Zeugnissen der Mongolenzeit,
sondern eine Auswahl solcher Zeugnisse, Kost-
proben nennt sie der Herausgeber — es sind
viele Delikatessen darunter! —, denen eine
kurze Einführung vorangestellt ist, und die
mit knappen, manchmal allzu knappen, An-
merkungen versehen sind — Bemerkungen, die
zeigen, daß ein größerer Personenkreis an-
gesprochen werden sollte. Unter diesem Ge-
sichtspunkt und unter Berücksichtigung des
Gesamttitels erscheint die Auswahl nicht aus-
gewogen, denn der Schwerpunkt der Ge-
schichte der Mongolen liegt doch wohl In der
Zeit der Reichsgründung und in der Phase des
mongolischen Gesamtreiches. Den speziellen
Interessen des Herausgebers entsprechend sind
aber manche Teilreiche stärker berücksichtigt,
als es einer „Geschichte der Mongolen“ wohl
anstünde. Auch Ist bei diesen Darstellungen
das höfische Leben manchmal so stark in den
Vordergrund gestellt, daß leicht ein falsches
Bild entstehen könnte gerade bei Laien, die
das als „mongolisch“ nehmen, was in Wahr-
heit chinesisch oder persisch oder türkisch oder
arabisch ist in seinen Ursprüngen.
Auch wird man bedauern, daß hier nicht der
Versuch gemacht wurde, Widersprüche inner-
halb der Quellen wenigstens im Rahmen der
Anmerkungen aufzuzeigen und zu erklären.
Noch klarer wäre das Bild aber zweifellos aus-
gefallen, wenn der Herausgeber thematisch
Zusammengehöriges in einem Komplex darge-
stellt hätte, statt (um die einzelnen Quellen
deutlicher heraustreten zu lassen) Passagen
aus den einzelnen Berichten geschlossen zu bie-
ten und so dasselbe Thema an mehreren Stel-
len nebeneinander auftauchen zu lassen, ohne
dem Leser, vor allem dem Nichtfachmann,
Buchbesprechungen
151
dann die notwendigen Hilfen in einem breite-
ren Kommentar zu geben.
Bei der hier getroffenen Auswahl und Dar-
stellung wird man skeptisch gegenüber der
Meinung des Autors, daß die fremden Quel-
len — gemeint sind an der betreffenden Stelle,
nämlich S. 9, vor allem Rubruk und Carpini
— für unsere Kenntnis von Kultur und Zivili-
sation der Mongolen wichtiger seien als selbst
die „Geheime Geschichte der Mongolen“ —
also eine frühe mongolische Quelle —, „weil
die Fremden deutlicher sehen als die Einheimi-
schen selbst, wie das immer und überall der
Fall ist“. Ja gewiß, die Fremden sehen manches
Detail — weil es fremd ist — besser, und vor
allem: sie registrieren und notieren es auch,
was die Einheimischen oft gar nicht zu sagen
brauchen weil es für sie ohnehin selbstver-
ständlich ist. Aber die Fremden sehen bei einer
kurzen Durchreise normalerweise nur „Symp-
tome“, ohne die tieferen Zusammenhänge zu
erkennen. Diese wird eine so umfassende
Quelle wie die Geheime Geschichte erkennen
lassen, unvergleichlich viel klarer, als alle
fremden Quellen zusammen.
Besonders erfreulich an der vorgelegten Ar-
beit ist die Tatsache, daß der Herausgeber sehr
viel ethnographische Daten publiziert und da-
mit erneut einem größeren Kreis zugänglich
gemacht hat. Dafür vor allem ist ihm zu dan-
ken.
F. Kußmaul
ANDRÉ MIQUEL:
La géographie humaine du monde musulman
jusqu'au milieu du lie siècle. Géographie et
géographie humaine dans la littérature arabe
des origines à 1050. (= École Pratique des
Hautes Études — Sorbonne, 6ième section:
Sciences économiques et sociales — Centre
de Recherches historiques: Civilisations et
Sociétés 7.) Paris — La Haye: Mouton &
Co. 1967. L + 420 S. Preis: FF 63.
Der Verfasser untersucht die arabische geo-
graphische Literatur unter ganz bestimmten
Voraussetzungen: Ihn interessiert, wie der
Titel des Buches besagt, die Humangeographie,
das heißt die Beziehung zwischen Mensch und
Landschaft. Nach Meinung des Verfassers
kann man die Geographie von zwei Seiten her
angehen, indem man einerseits Ihre Geschichte,
andererseits ihre Themen studiert. Während in
dem vorliegenden Werk die Geschichte der
Geographie im Mittelpunkt steht, sollen in
einem weiteren Werk ihre Themen untersucht
werden. Für den Verfasser ist die Geographie
keine einzelne Blume, sondern ein ganzes Beet
(S. 18). Von daher erklärt sich die Anlage des
Buches. Miquel bringt weniger Einzelheiten
über die behandelten Geographen und ihre
Werke, als vielmehr Erörterungen, warum die
einzelnen Autoren ihre Werke zu einem be-
stimmten Zeitpunkt so und nicht anders ver-
faßten.
Ein Verzeichnis der behandelten Autoren —
nach ihrem Todesjahr geordnet — (S. XIII bis
XXXVIII) mit knapper Charakterisierung
ihrer Werke sowie Hinweise auf Sekundär-
literatur dienen zu einer kurzen Orientierung
über die Geschichte der Geographie. Eine
Bibliographie (S. XXXIX—L) der wichtig-
sten Literatur schließt sich an. Kap. 1 (S. 7—33)
untersucht die Quellen der arabischen Geo-
graphie im allgemeinen wie Astrologie, Kar-
tographie, griechische Geographie, Geschichts-
wissenschaft, während Kap. 2 (S. 35—68) dem
Thema „Geographie und Adab“ gewidmet ist.
Der Verf. zeigt vor allem an Werken des
Gähiz und b. Qutaibas die Bedeutung der
Adabwissenschaft für die Entwicklung der is-
lamischen Geographie. In Kap. 3 (S. 69—112)
werden die Kartographie und die administra-
tive Literatur besprochen, deren Begründer
Ibn Hurdädbeh ist. Einen wichtigen Beitrag
zur Entwicklung der islamischen Geographie
bilden die Reisebeschreibungen (Kap. 4,
S. 113—152), die neben exakten Beobachtun-
gen manche sonderbaren und wunderlichen
Dinge bringen. Kap. 5 (S. 153—189) beschäf-
tigt sich mit Ibn al-Faqih, der um 900 n. Chr.
eine Art Enzyklopädie der Kultur seiner
Epoche verfaßt hat. Chronologisch gesehen
steht Ibn al-Faqih ungefähr in der Mitte des
betrachteten Zeitraums; ebenso verdankt sein
Werk viel seinen Vorgängern, wie es aber
auch Vorbild für die nachfolgenden Geogra-
phen wurde. Kap. 6 (S. 191—241) betrachtet
die in enzyklopädischen und historischen Wer-
ken implicite vorhandene Geographie, Kap. 7
(S. 243—265) die Provinzialliteratur. Alle
die in den Kap. 1—7 besprochenen Einzel-
zweige tragen zur Vervollkommnung der
geographischen Wissenschaft bei, die ihren
Höhepunkt im Jahrhundert der Humangeo-
graphie, dem 10. Jh., findet.
Den eigentlichen Beginn einer Humangeogra-
phie sieht der Verfasser im Werk des Ya'qübl,
der sein Kitäb al-buldän (Buch der Länder)
um 890 n. Chr. verfaßte Istahn, Ibn Hauqal
und Muhallabi folgen. Den End- und Höhe-
punkt dieses Jahrhunderts setzt Muqaddasi,
152
Buchbesprechungen
der zwischen 980 und 990 n. Chr. schrieb.
Diese reine Geographie schöpft ein wenig aus
allen vorangegangenen Tendenzen: der Erd-
beschreibung, Verwaltungsgeographie, Pro-
duktionslisten, Reisebeschreibungen, Adablite-
ratur. Sie tritt das Erbe der vorherigen Zeit
an, zeigt sich aber in neuer Gestalt. Die Geo-
graphen berichten alle aus eigener Anschau-
ung. Sie durchwandern die ganze muslimische
Welt, deren Ausdehnung damals ihren Höhe-
punkt erreicht hatte. Mit dem Zerfall des ein-
heitlichen abbasidischen Kalifats in verschie-
dene Einzelherrschaften beginnt die Ausbil-
dung einer neuen geographischen Wissen-
schaft. Darum beendet der Verfasser mit dem
Jahr 1050 seine Betrachtungen.
Das wichtigste Merkmal der Humangeogra-
phie des 10. Jh. ist die Bedeutung, die die Be-
ziehung zwischen Mensch und Umgebung be-
kommt. Einzelbeobachtungen werden in grö-
ßere Zusammenhänge gestellt. Die von den
Griechen übernommene Einteilung der Erde
in sieben Klimate (arab. iqllm) wird zu einer
neuen Einteilung in 20. Und wenn auch der
terminus iqlim weiter verwendet wird, so be-
kommt er einen neuen Inhalt: den einer von
den natürlichen Grenzen isolierbaren provin-
zialen Einheit. Im Rahmen einer solchen Pro-
vinz, die durch ihre äußere Gestalt und ihre
Geschichte gebildet Ist, untersuchen diese Geo-
graphen die natürlichen Bedingungen, die
Traditionen und die Tätigkeiten der Men-
schen.
Drei Appendices mit ausgewählten Textbei-
spielen stehen am Ende des Werkes, dessen
Benutzung durch drei Indices — geographi-
schen Index, historischen Index und Index
fremdsprachiger termini — erleichtert wird.
Zahlreiche und umfangreiche Anmerkungen
begleiten das Werk, wobei besonders wichtige
Anmerkungen durch einen senkrechten Strich
gekennzeichnet sind. Das Buch bietet eine
Fülle interessanter Gedanken und Anregungen
und bringt eine Gesamtschau, wie sie bisher
auf dem Gebiet der islamischen Geographie
fehlte. Man kann auf das vom Verfasser an-
gekündigte Werk über die Themen islamischer
Geographie gespannt sein.
Mechthild Kellermann
WALTER DOSTAL:
Die Beduinen in Südarahien. Eine ethno-
logische Studie zur Entwicklung der Kamel-
hirtenkultur in Arabien (= Wiener Beiträge
zur Kulturgeschichte und Linguistik, Band
XVI.) Horn-Wien: Verlag Ferdinand Ber-
ger. 1967. 199 S., 40 Ahb. auf Tafeln, zahlr.
Zeichnungen und Karten im Text. Preis:
ö. S. 186.—.
Das Buch ist eine ergänzte und erweiterte
Wiener Habilitationsschrift. Nach seinen For-
schungen bei den Sulubba, einem parasitär
unter den nordarabischen Nomaden als Wild-
beuter lebendem Pariastamm mit vorbeduini-
schem Kultursubstrat, stellte sich dem Verf.
die Frage nach Alter und Entwicklung des Be-
duinentums in Arabien, die er auf Grund des
heute vorliegenden Faktenmaterials zu lösen
versucht.
Da er Reste einer frühen Entwicklungs-
phase des Beduinentums bei süd- und südost-
arabischen Dromedarnomaden vermutete,
trieb er unter diesen In den Jahren 1960, 1964
und 1966 Feldforschungen. Ergänzt wurden
diese durch ein intensives Studium aller er-
reichbaren arabischen und europäischen
Schriftquellen.
Das 1. Kapitel umreißt die Problemstellung
(S. 11—24). Den Schwerpunkt des Buches bil-
det das 2. Kap., das die Ethnographie und
Stammesgeschichte behandelt (S. 25—137).
Ihm folgt im 3. Kap. die ethnologische Aus-
wertung des Materials (S. 138—165). Ein um-
fangreiches Literaturverzeichnis (S. 166—183)
und ein Anhang mit einer Liste der nichtarab.
Ortsnamen in Südostarabien, die sich mit dem
ursprünglichen Verbreitungsgebiet der Mahra
decken, mit einem Hinweis auf die im Wiener
Völkerkundemuseum aufbewahrte Sammlung
Dr. Wilh. Hein, der 1902 im Mahra-Gebiet
Sprachstudien trieb und auch ethnographische
Gegenstände von seiner Expedition mit-
brachte, mit Indices und einem Bilderteil
schließen das Werk ab (S. 184—199 bzw.
212).
Zur Terminologie: Der Begriff Beduinen-
tum wird von D. dahingehend definiert, daß
unter Beduinen ausschließlich vollnomadisch
lebende reiterkriegerische Dromedarhirten zu
verstehen sind. Für ihre gesamte Lebenshal-
tung, ihren wirtschaftlichen, sozialen und kul-
turellen Habitus bildet die Dromedarzucht
die Basis. Der Einhöcker übernimmt als Reit-,
Last- und Zugtier die Transportfunktion und
ist zugleich Lieferant für Nahrung (Milch,
Butter, Fleisch) und Brennstoff. Angewiesen
sind die Großtierherden der Vollnomaden auf
ergiebige Weidegebiete, die sie in jahreszeit-
lich bedingtem periodischem Wechsel auf ih-
ren Wanderungen nutzen.
Buchbesprechungen
153
Diese Wanderungen geben ihrer materiellen
Kultur das Gepräge. Sie muß leicht transpor-
tabel sein; deshalb fehlt Keramik und es
werden nur Häute (Leder) und Sehnen, Wolle,
Haar und Pelz, Knochen und Horn und Holz
verarbeitet. Da diese organischen Stoffe im
Boden leicht zerfallen, scheidet die Archäolo-
gie für die Erhellung der Geschichte nomadi-
scher Stämme und Gruppen weitgehend aus.
Aus dieser quellenkritischen Sachlage ergibt
sich, wie der Verf. wiederholt betont, die Not-
wendigkeit, seinen Untersuchungen der mate-
riellen Kultur und der technischen Ausrüstung
des Beduinentums ein Realienmaterial zu-
grunde zu legen, das ausschließlich dem hoch-
kulturlichen Bereich entstammt, mit dem die
Beduinen in Kontakt stehen; archäologisch
nachweisbare eigenerzeugte beduinischen
Realien gibt es nicht. Deshalb wird versucht,
hauptsächlich durch die Untersuchung der
noch gebräuchlichen Dromedarsattelkonstruk-
tionen und der dadurch bedingten Reitsitten
die Ethnogenese und geschichtliche Entfaltung
des Beduinentums zu klären. Gerade die ver-
wendeten Satteltypen und die damit verbun-
denen Reitsitten sollen konstitutiv sein für
die Herausbildung der reiterkriegerischen
Komponente des Beduinentums. Von daher
kommt ihnen für die vorliegende Arbeit eine
grundsätzliche Bedeutsamkeit zu.
Soviel zur Ausgangsposition und zu den
methodologischen Vorüberlegungen und Vor-
aussetzungen des Buches.
Bei den Dromedarnomaden werden zwei
Typen von Reitsätteln unterschieden:
a) der shadäd-Sattel: bei diesem Holzsattel
dient der Höcker des Dromedars als Reit-
sitzfläche; als Konstruktionsprinzip liegt
ihm der Sattelbogen zugrunde. Zu seiner
weiteren Ausrüstung gehören; Sattelpol-
ster; Bauchgurt, Sitzpolster und Fußkissen.
b) der hawläni-Sattel: er besteht aus einem
auf der Kruppe des Tieres aufliegenden
Polsterwulst, der mit einer Schnur an den
am Widerrist befestigten Sattelbögen be-
festigt wird.
Reitnutzung des Höckers (a) oder der
Kruppe (b) bedingen naturgemäß verschiedene
Reittechniken. Der hawläni-Sattel erlaubt nur
einen langsamen Transport des Reiters auf re-
lativ kurzen Strecken. Hingegen der shadäd-
Satteltyp ermöglicht eine im kavalleristischen
Sinne effektive Führung des Tieres und damit
ein sicheres Reiten, das Weide-, Streif-, Beute-
und Kriegszüge in einem Radius über Hun-
derte von Kilometern hinweg und damit ver-
bunden eine wesentliche Vergrößerung der
Herden gestattet. Ein reiterkriegerisches Hir-
tentum, also Beduinentum im eigentlichen
Sinne, konnte sich folglich erst nach der Reit-
nutzung des Höckers und besonders nach der
Übernahme des shadäd-Sattels formieren.
Die archäologischen Zeugnisse aus den alt-
orientalischen Hochkulturzentren sollen die
Tatsache belegen, daß sich der Übergang vom
Kruppenreiten zur Reittechnik auf dem Hök-
ker in der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends v.
Chr. vollzogen hat. Als älteste Belege werden
der Dromedarreiter vom Teil Haläf (9. Jhdt.
v. Chr.), die Hilfslieferung von 1000 Drome-
daren des Arabers Gindibu für einen syrischen
Stadtfürsten (854 v. Chr.) und die neuassyri-
schen Reliefs mit Dromedardarstellungen (8./
7. Jhdt. v. Chr.) angeführt. Letztere zeigen,
daß der Polstersattel auf dem Höcker aus Teil
Haläf nun ersetzt ist durch drei neue Ele-
mente, die aus dem Pferdereitertum übernom-
men wurden: durch die Satteldecke und durch
Brust- und Schwanzriemen. Auch das Streit-
wagenprinzip wird um diese Zeit durch den
Kruppenreiter, der hinter dem Lenker auf
dem Höcker sitzend in den Kampf reitet, in
die Militärtechnik der Dromedarreiterkrieger
eingeführt. Alle diese Wandlungen vollziehen
sich im nordarabischen Raum. Ebendort soll
sich dann auch die entscheidende Phase für die
1 lerausbildung des Beduinentums nach D.
nachweisen lassen; die ins 2./3. Jhdt. nach
Chr. zu fixierende Übernahme des aus dem
iranischen Pferdereiterkomplex stammenden
shadäd-Sattels in das Dromedarhirtentum,
vermittelt durch parthische Einflüsse, die in
Palmyra gehäuft begegnen; auch ein Wechsel
in der Bewaffnung ist damit verbunden: an
die Stelle von Pfeil und Bogen treten Lanze
und Schild.
Das Reiten auf der Kruppe, vom 3.—1.
Jtsd. v. Chr. sowohl im Norden der Arab.
Halbinsel als auch in Südarabien auf Kamel-
darstellungen begegnend, ist somit archäolo-
gisch als die ältere Reitsitte ausgewiesen. Aber
nur die süd- und südostarab. Dromedarhirten
beharren nach den vorliegenden Indizien bis
heute in ihrer Mehrzahl auf der Reitnutzung
der Kruppe. Sie werden deshalb als konserva-
tive (Süd-)Gruppe bezeichnet. Bei ihr fehlen
die pferdereiterlichen Impulse, die die Dyna-
mik der Entwicklung im Norden entscheidend
beeinflußten und prägten, d. h. sie wurden
keine Reiterkrieger. Die Kamelhirten im Nor-
154
Buchbesprechungen
den werden hingegen als progressive (Nord-)
Gruppe charakterisiert.
Dostal vertritt also hinsichtlich der Ent-
wicklung des Beduinentums folgende Theorie:
Der Zeitpunkt und der Ort der Domestika-
tion des Einhöckers liegen noch Im dunkeln;
auch die ethnische und sprachliche Identifizie-
rung der ersten Dromedarzüchter ist nicht
möglich. Offenbleiben muß ferner die Frage,
ob die ersten dromedarhaltenden Gruppen als
eine spezialisierte Sonderform aus einer agrar-
mischwirtschaftlichen Kulturstufe hervorge-
gangen sind oder ob sie sich aus einem höhe-
ren Jäger- und Sammlerstadium heraus ent-
wickelten. Mit einer gewissen Sicherheit deutet
alles darauf hin, daß die ältesten Dromedar-
hirten seit Beginn der Dromedarzucht Krup-
penreiter waren. Erst später nutzten sie den
Höcker als Reitsitz und steigern die Reitnut-
zung des Höckers nochmals entscheidend durch
den shadäd-Sattel. Deshalb lassen sich zwei
Phasen in der geschichtlichen Entwicklung des
Beduinentums nachweisen, die dokumentiert
werden durch ihre Affinität zu den zwei ver-
schiedenartigen Satteltypen:
1. eine protobeduinische Phase, die vom An-
fang der Dromedarhaltung bis ins 2./3.
Jhdt. n. Chr. reicht und sowohl die kon-
servative als auch die progressive Gruppe
einschließt.
2. eine genetisch mit diesem ersten Entwick-
lungsstadium zusammenhängende vollbe-
duinische Periode, die am Anfang des 1.
nachchristl. Jahrtausends mit der Einfüh-
rung des shadäd-Sattels beginnt und die
bis heute präsent ist in den Stämmen der
nord- und zentralarab. Reiterkriegerno-
maden. Sie bleibt auf die progressive
Gruppe beschränkt, die durch Übernahme
von Elementen des kriegerischen Pferde-
reitertums einen Entwicklungsstand er-
reichte, der es ihr ermöglichte, in effektiv
wirksamer Weise in die Geschichtsabläufe
Vorderasiens einzugreifen, vor allem
durch die Erhöhung ihrer militärischen
Schlagkraft und durch eine weiträumige
Ausdehnung ihrer ökonomischen Basis.
Die protobeduinische Phase, primär mit
dem hawläni-Sattel verbunden, findet bis
zur Gegenwart ihre Fortsetzung in der kon-
servativen Gruppe, die im lange isolierten
Süden der Arab. Halbinsel weiterexistiert. Um
den in ihr wirksamen Beharrungsfaktor ge-
nauer zu analysieren, wendet der Verf. ihm
seine besondere Aufmerksamkeit zu. Denn
gelänge eine Erklärung des Beharrungsfaktors,
dann hätte er damit den Schlüssel gefunden,
um die von ihm postulierte Entwicklungsge-
schichte des Beduinentums einleuchtend zu be-
gründen. Deshalb legt er in seiner Abhand-
lung das Hauptgewicht auf die Darstellung
der Ethnographie und der Stammesgeschichte
der von ihm besuchten süd- und südostarabi-
schen Stämme.
Untersucht werden die Stämme der Sai‘ar,
Karab, ‘Awämir, Äl Räshid, Manähil und
Mahra. Mittels der Methode der Wiener kul-
turhistorischen Schule werden ihre signifikan-
ten ethnographischen Primär-Daten heraus-
gearbeitet. Ihre Streifgebiete liegen vor allem
im Bereich des Wadi Hadramawt; sie erstrek-
ken sich vom östlichen Aden-Protektorat bis
nach ‘Oman.
Aus Raumgründen muß ich mich darauf be-
schränken, nur die wichtigsten und besonders
auffallenden ethnographischen Ergebnisse zu
referieren, wobei das viel differenziertere
Bild, das Dostal entwirft, stark vergröbert
wird.
Zur Sozialordnung: Als soziale Einheiten
gibt es den Stamm, den Unterstamm und die
Großfamilie, die sich in mehrere neolokale
Kernfamilien aufsplittert. Die Stämme zerfal-
len also meist in mehrere untereinander ziem-
lich unabhängige Gruppen, die auch geogra-
phisch z. T. durch große Distanzen getrennt
sind. Ihre Aufgliederung wird durch die No-
tierung der Namen der Unterstämme und Fa-
miliengruppen veranschaulicht, wobei frühere
Aufnahmen dieser Listen durch Thesiger und
Ingrams teilweise korrigiert werden. Ihrer
Struktur nach handelt es sich durchweg um
patrilineare Ordnungen. Allerdings schim-
mern bei mahritischen Gruppen auch noch
Züge eines matrilinearen Abstammungssystems
durch, die auf ein früher wohl vorhandenes
„Mutterrecht“ hindeuten: Mutter und Mutter-
bruder spielen bei der Brautwerbung eine
wichtige Rolle; endogame Heiratsgebote und
Parallelcousinen-Heirat sind selten. Vor allem
aber ist der völlig andere soziale Status der
Frau — verglichen mit dem bei den shadäd-
Stämmen — zu beachten: sie besitzt völlige
Selbständigkeit und Gleichberechtigung mit
den Männern im Rahmen der Gesellschaft und
hat sogar die Freiheit der Wahl ihres Ehe-
partners.
Zur Wirtschaftsform: Innerhalb der behan-
delten Stämme gibt es große Unterschiede
hinsichtlich der Lebensweise und der wirt-
Buchbesprechungen
155
schaftllchen Struktur ihrer einzelnen Gruppen,
d. h. bei ihnen begegnen als Formen des Wirt-
schaften Vollnomadismus, Halbnomadentum
bzw. Halbseßhaftigkeit und Seßhaftigkeit.
Wirtschaftlich differenzierte Abteilungen feh-
len nur bei den ausschließlich vollnomadisch
lebenden Karab. Da der Lebensraum der
Stämme niederschlagsarm ist, ermöglicht er
nur die Haltung kleiner Herden. Der Bestand
an Großvieh (Dromedaren) beträgt je Familie
maximal 25—30 Stück; Kleinviehherden von
Schafen und Ziegen (bis maximal 80—100
Kleintiere) ergänzen den Viehbestand. Bei den
Mahra ist in der Zusammensetzung der Klein-
tierviehherden die quantitative Dominanz der
Ziegen auffällig; offenbar ist Südarabien von
alters her ein wichtiges Ziegenzuchtgebiet. Das
Schaf kam wohl erst zusammen mit der ara-
bischen Invasion. (Die durch ökologische Fak-
toren bedingte Armut des Herdentriebs der
südarab. Stämme hebt sich besonders krass
ab von den Verhältnissen bei den nord- und
zentralarab. Kamelhirten, wo ein einziger
Herdenbesitzer oft über 5000—20 000 Dro-
medare verfügt.) Während der häufigen Trok-
kenperioden in Südarabien entstehen Engpässe
in der Versorgung der Tiere; sie müssen dann
mit konservierten Fischen gefüttert werden.
Von hier aus ist der Drang der Nomaden zum
Meer und zur Okkupierung eines Küsten-
streifens zu verstehen. Die ökonomische
Zwangslage nötigt sie aber auch zu einem en-
gen symbiotischen Verhältnis mit der seßhaf-
ten Bevölkerung. Die Abhängigkeit von die-
sen Geofaktoren führt naturgemäß zu sozia-
len und politischen Spannungen verschieden-
ster Art und Stärke.
Zur Sachkultur: Sie erhält von der jeweili-
gen Intensität des Kontakts mit den Markt-
und Produktionszentren ihr Gepräge. Daher
stehen Importe aus den hadramitischen, yeme-
nitischen oder ostarab. Hochkulturbereichen
neben den nomadischen Eigenerzeugnissen.
Dostal untersucht und vergleicht die Ge-
brauchsgüter des Haushalts (Behälter, Koch-
gefäße, Schüsseln, Melkschalen), die Behau-
sungen (Zelte, Sonnenschirme, Höhlen,
Strauchwerk), Waffen, Schmuck, Kleidung
und Haartracht. Das Grundinventar, das von
den Stämmen benutzt wird, ist ziemlich ein-
heitlich; der Reichtum an Formen und Mu-
stern ist jedoch beträchtlich, ihre Variabilität
hängt ab von der Mobilität der jeweiligen
Gruppen: Stämme mit größerem Streifradius
sind hochkulturlichen Einflüssen zugänglicher
als immobilere Halbnomaden. Somit bietet
also die Sachkultur ein recht komplexes Bild;
sie besteht aus einem Gemisch von Kultur-
gütern verschiedenster Herkunft. Übereinstim-
mungen und Unterschiede werden von D.
sorgfältig registriert. Durch Ausklammerung
der übernommenen, sekundären Kulturele-
mente wird versucht, die Grundstruktur der
protobeduinischen südarab. Kultur, für die
der hawläm-Komplex charakteristisch sein
soll, herauszudestillieren. Dabei zeigt sich,
daß sich Einflüsse der progressiven shadäd-
Stämme bemerkbar machen durch Übernahme
des Zeltes, in der Männerkleidung und in der
Haartracht, aber auch in gewissen Viehzucht-
techniken. Die konservative Gruppe bewahrt
Eigenständigkeit nur in der Praxis der But-
terherstellung. Beachtlich ist die Feststellung,
daß sich der hawläni-Männerreitsattel und die
mit ihm vergesellschafteten Pack- und Frauen-
Sättel (ketab bzw. töma’) bis heute bei den
meisten Stämmen erhalten hat. Nur die Sai'ar
und Karab haben zum Reiten den shadäd-Sat-
tel entlehnt, verwenden daneben aber den
ketab und die töma’ aus dem hawläm-Kom-
plex.
Stammesgeschichte: Ihre Klärung dient —
wie bereits angedeutet — vor allem dem
Zweck, den „Beharrungsfaktor", der bei den
untersuchten Stämmen konstatierbar ist, ver-
ständlich zu machen. Denn Dostal ist der Mei-
nung, daß die Kriterien „Beharrung“ und
„Fortschritt“ abhängig sind von der Ge-
schichte, von den historisch eruierbaren Fak-
ten, die auf die Stämme einwirkten. Mit gro-
ßem Fleiß und mit einer für einen Ethnologen
nicht selbstverständlichen Sachkenntnis arbei-
tet er die komplizierten historischen Entwick-
lungen und Zusammenhänge heraus, dabei fol-
gende Quellen auswertend: 1. die Werke der
mittelalterlichen arab. Historiker und Geo-
graphen (wobei sich zeigt, daß nur die Noti-
zen bei al-Hamdänl und al-Tabarl einen ge-
wissen Aussagewert besitzen); die von R. B.
Serjeant erschlossenen hadramitischen Manu-
skripte, vor allem die Shanbal-Chronik, eine
hadramitische Lokalchronik für die Zeit von
1107/08—1564/65; ferner yemenitische und
‘omanische Handschriften und Geschichts-
werke heutiger südarabischer Gelehrter; 2.
die offiziellen Publikationen britischer und
sa‘üidlsch-arab. Regierungsstellen; 3. europäi-
sche Reiseberichte; 4. orale Traditionen (wo-
bei anzumerken ist, daß die zeitliche Tiefe der
mündlichen Überlieferungen im Blick auf fa-
156
Buchbesprechungen
miliare Ereignisse nach der 3. Generation
schnell abnimmt und nur den ganzen Stamm
berührende Geschehnisse lang im historischen
Bewußtsein haften, allerdings ohne exakte
chronologische Einordnung).
Ich kann nur die Ergebnisse der stammes-
geschichtlichen Forschungen des Verfassers, die
ein Viertel des Buches füllen, skizzieren und
muß mich hier noch kürzer fassen als bei dem
Referat über die ethnographischen Analysen:
Geboten wird zunächst nicht „Stammesge-
schichte“ i. e. S., sondern die politische Ent-
wicklung eines hochkulturlich bestimmten
staatlichen bzw. landschaftlichen Bereichs, des
Wadi Hadramawt. Es handelt sich um einen
instruktiven Abriß der hadramitischen Ge-
schichte. In ihr ist zunächst wesentlich die
jahrhundertelange kinditische Vormachtstel-
lung, beginnend mit den im 5. Jhdt. n. Chr.
aus dem Norden kommenden arabischen
Kinda und der Errichtung ihrer Herrschaft,
mit späterem Schwerpunkt im Westen des
hadramitischen Gebietes. Im Osten wird ihr
Vorrang bereits um 1200 n. Chr. durch das
Eindringen mahritischer Gruppen vom Osten
her in das Wädl eingeschränkt. Der Nieder-
gang der Kinditen erfolgt seit Beginn des 15.
Jhdts. durch den gleichzeitigen Aufstieg der
Kathir, die bis heute die politische Situation
im Hadramawt bestimmen. Die Herkunft der
Kathir ist fraglich; sie sind erstmals 1323 in
Bor faßbar und drängen aus diesem binnen-
ländischen Kerngebiet zur Küste vor, 1404/05
bereits bis Zufär (‘Oman); einen Höhepunkt
erreicht die kathlrische Herrschaft unter Badr
Bü Tuwairik, der sich 1516/17 zum Sultan von
Hadramawt aufschwingt und durch ausgrei-
fende Expansionen und Unterwerfung rivali-
sierender Gruppen einen mächtigen Staat der
Kathir begründet. Zur gleichen Zeit grenzen
in Südarabien zwei Großmächte ihre Inter-
essensphären ab: die Portugiesen beseitigen die
muslimische Vorherrschaft über den Handels-
verkehr im Indischen Ozean und die Osma-
nen übernehmen durch die Okkupation des
Yemen die Kontrolle über die Länder am Ro-
ten Meer. Die Kathir treten auf die Seite der
Osmanen und bedrängen die Mahra, die bei
den Portugiesen Hilfe suchen.
Diese politischen Auseinandersetzungen um
das Wadi Hadramawt beeinflussen entschei-
dend das Schicksal der von D. untersuchten
Stämme, deren Geschichte mit großer Akribie
rekonstruiert wird. Die Darstellung der ei-
gentlichen Stammesgeschichte zeitigt folgendes
Ergebnis: Die Karab sind eine kinditische
Gruppe; ebenso die Sai'ar, deren Genealogie
jedoch auf ihre Abstammung von der vorkin-
ditischen hadramitischen Bevölkerungsgruppe
der Sadaf hinweist. ‘Awämir und Ä1 Räshid
sind mit den Kathir verwandt. Die ManähTl,
obwohl sprachlich arabisiert und aus dem Ver-
band der Mahra ausscherend, betonen ihren
mahritischen Ursprung. Die Mahra selbst zei-
gen eine duale Struktur. Diese Dualität ihres
Verbandes bezeugt, daß sie aus zwei ur-
sprünglich verschiedenen Gruppen zusammen-
wuchsen: aus den eigentlichen Mahra (mit alt-
südarabischer Sprache) und aus Arabern, die
mahrisiert wurden. Das Mahra-Land umfaßte
einmal die gesamte südarabische Küste und die
Mahra entfaltete in der letzten Phase der vor-
islamischen Zeit ihre größte Macht. Zur Zeit
dieser politischen Vorherrschaft der Mahra be-
gann die arabische Landnahme, indem Teile
der eindringenden Araber in ein Schutzver-
hältnis zu den Mahra eintraten, wodurch die
Mahrisierung dieser Araber eingeleitet wurde,
die zur Inkorporation der Araber in den
Mahra-Verband führte, d. h. zu ihrer Einglie-
derung in die Mahra-Genealogie, unter Bei-
behaltung einer strengen Scheidung zwischen
echten und arab. Mahra. In frühislamischer
Zeit gewinnen mahrisierte Araber die Küste
und drängen die echten Mahra ins Binnenland
ab. In den Kämpfen zwischen Kathir und
arab. Mahra (B. Sär-Gruppe) im 16. Jhdt.
werden die Mahra durch einen Mann, Sa'Id
b. ‘Abdallah b. ‘Afrär, der sich mit den Portu-
giesen verbündet, vor dem Untergang geret-
tet. Er verhindert damit zugleich die völlige
Arabisierung der Mahra.
Zusammenfassend kann festgestellt werden:
Die Streifgebiete und der Lebensraum der von
D. untersuchten hawlänl-Stämme, die heute
nur noch eine „Randvölker“-Existenz führen,
werden in der islamischen Periode, besonders
seit dem 15. Jhdt., durch das Vordringen von
shadäd-Stämmen immer weiter eingeengt.
Vom Westen und Norden her stoßen yeme-
nitische und zentralarab. Stämme nach Süden
und Südosten vor; ostarabische Stämme drän-
gen aus ‘Oman nach Westen. Den größten Ge-
bietsverlust erleiden dabei die Mahra, die ei-
ner starken, bis heute wirksamen Pression aus-
gesetzt sind. Diese Defensivsituation führte zu
einer weitgehenden Isolierung und Frustration
und macht ihre Abkapselung gegen alle frem-
den Elemente und ihre immer stärker wer-
dende Fremdenfeindlichkeit verständlich, die
Buchbesprechungen
157
noch verstärkt wird durch den ethnischen und
sprachlichen Gegensatz, der sich zwischen
Mahra und Arabern durchhielt. Isolation,
spürbare Einschränkung des Lebensraumes
und die dadurch bedingte andauernde Ab-
wehrstellung geben somit — gerade vom mah-
ritischen Material aus — eine logische Erklä-
rung des „Beharrungsfaktors“, auf dessen Er-
und Begründung es dem Verf. ja bei seinen
stammesgeschichtlichen Studien vordringlich
ankam.
Nochmals wird dann Im Schlußkapitel die
Frage erörtert, warum die hawlänl-Stämme
nur so zögernd Elemente der progressiven
vollbeduinischen Reiterkrieger in ihre Kultur
aufnahmen, die ihnen doch nur Erleichterun-
gen und Vorteile gebracht hätten. Es geht also
wieder um das Problem „Fortschritt und Be-
harrung“, um die Erklärung des „Beharrungs-
faktors“. Dostal beschreibt die bilateralen
Transkulturationsprozesse der südarab. Stäm-
me, hervorgerufen durch ihre Kontakte mit
den shadäd-Gruppen und mit der modernen
westlichen Zivilisation, und notiert als Er-
gebnis die Tatsache: der Aufgeschlossenheit
der Stämme bei der bereitwilligen Übernahme
westlicher Zivilisationsgüter steht eine starke
Resistenz, ja weitgehende Ablehnung gegen-
über Einflüssen aus dem shadäd-Komplex ge-
genüber. Die geringe Rezeptionsfreudigkeit
gegenüber shadäd-Elementen wird wiederum
mit der historisch bedingten Feindschaft zwi-
schen der konservativen und der progressiven
Gruppe begründet. —
Weiterhin faßt Dostal im Schlußkap. seines
Buches, das die ethnologische Auswertung des
Materials bietet, noch einmal all das zusam-
men, was zur Absicherung seiner Ergebnisse
geeignet und wichtig und zur Stützung seiner
Thesen beizutragen scheint. Danach soll sich
herausgestellt haben, daß — ich zitiere —
„dem hawläni-Sattel eine Reihe signifikanter
Kulturphänomene vergesellschaftet sind, eine
Tatsache, die uns In die Lage versetzt, phäno-
menologisch von einem hawlänl-Komplex
sprechen zu können. Diesem hawlänl-Kom-
plex gehören folgende Elemente an: aus Palm-
blattstreifen geflochtene und mit Ledersticke-
relen verzierte Gefäße; lederne Kopfschnur;
primitive Webtechnik; Fehlen des Zeltes; die
verschiedenen hawläni-Satteltypen; verschie-
dene Melksitten (Reinigen der Hände mit
Kamelurin vor dem Melken, ausschließliche
Verwendung von geflochtenen, vor dem Mel-
ken mit Sand gereinigten Gefäßen als Melk-
schalen)“ (S. 146). Ferner gehören zu diesem
Komplex Resterscheinungen eines matriline-
aren Abstammungssystems. Heute noch nach-
weisbar bei einigen südostarab. Stämmen sind
von diesen Elementen: hawlänl-Sättel, ge-
flochtene Melkgefäße und die genannten
Melksitten. Dieser hawlänl-Komplex ist als
ein Survival der proto-beduinischen Entwick-
lungsphase des Beduinentums zu betrachten;
diese Phase ist also noch greifbar in der Kultur
der behandelten Stämme, die der konserva-
tiven Dromedarhirtengruppe angehören.
Näherliegend ist die Frage, die sich wäh-
rend der Lektüre des Buches dem Leser ständig
aufdrängt: Wenn dieproto-beduinische Periode
wirklich eine Vorstufe der vollbeduinischen
sein soll, sind dann nicht auch bei den shadäd-
Stämmen der progressiven Gruppe noch Reste
des hawlänl-Komplexes nachzuweisen? Hier
nun versucht Dostal durch Befragung der ara-
bischen Lexikographen aufzuzeigen, daß es in
der altarabischen Dichtung Termini für Sättel
gibt, die nahelegen, daß das hawlänl-Prinzip
in der protobeduinischen Phase der progressi-
ven Gruppe und auch noch bei den shadäd-
Vollbeduinen bekannt und verbreitet war.
(Allerdings sind die Belege aus den altarab.
Quellen nicht völlig eindeutig und überzeu-
gend.) In dieselbe Richtung weist schließlich
die Untersuchung der Männerkleidung: Mit
dem hawläni-Komplex scheint das Lenden-
tuch zwar nicht ausschließlich verbunden, aber
doch näher assoziiert zu sein. Es begegnet auch
bei den neuassyrischen Dromedarreiterdarstel-
lungen der progressiven Gruppe. Die Klei-
dung der Männer der shadäd-Stämme besteht
jedoch heute aus einem knöchellangen Hemd,
einem Mantel und gelegentlich langen Hosen.
Bei ihnen findet sich allerdings das Lendentuch
nicht, nicht einmal In Relikten. Vielmehr will
die Analyse Dostals zeigen, daß die rezente
Tracht der shadäd-Stämme dem iranischen
Reiterkriegertum entlehnt ist, etwa zur glei-
chen Zeit wie der shadäd-Sattel. Auch bei der
Männertracht stoßen wir auf die Vermittler-
rolle der Parther, die vom nordarabischen
Handelsknotenpunkt Palmyra aus die arabi-
sche Bevölkerung kulturell beeinflußten. Aus
dem Komplex des iranischen Reiterkrieger-
tums und seinem Lebensstil, der für Nicht-
Iranier Vorbild und deshalb von ihnen nach-
geahmt wurde, stammen neben der neuen Sat-
telkonstruktion und der neuen — einen sozial
höherstehenden Status symbolisierenden —
Kleidung weitere Komponenten wie Pferde-
138
Buchbesprechungen
Wettrennen, Bogenschießen und die Vorstel-
lung vom Adel des Blutes, also typische Kenn-
zeichen einer heroischen Lebensform, die von
den shadäd-Stämmen rezipiert wurden und
ihren gesamten Habitus bis heute entscheidend
prägen.
In diesem Zusammenhang ist ethnologisch
bedeutsam — und mit diesem Hinweis schließt
Dostal seine Untersuchung —, daß sich die
progressive Gruppe mit den aribi bzw. ‘arab
vergesellschaftet hat. Die „aribi“ „sind jene
Kamelhirten der progressiven Gruppe, bei de-
nen wir auf erste Spuren eines Pferdereiter-
tums stoßen und gerade die ‘arab sind es, die
als Träger der iranischen reiterkriegerischen
Konzeption im Kamelhirtentum fungieren.
Dieser auffallende Zusammenhang wirft ein
völlig neues Licht auf die Ethnogenese der
Araber und läßt uns verstehen, unter welchen
kulturgeschichtlichen Voraussetzungen sich
aus der einfach als Hirten, arabi, bezeichneten
Gruppe eine Herrenschicht bildete, die nach
ihrer Ausbreitung die wesentlichste Grundlage
für das heute ethnisch formulierte Arabertum
schafft“ (S. 162). „Entscheidend für die Eth-
nologie der arabischen Halbinsel ist die enge
Verbindung zwischen der progressiven
Gruppe, die ja ihren Höhepunkt im Reiter-
kriegertum findet, und den ‘arab (aribi)“
(S. 164). Von daher „ist das relativ junge Alter
des Voll-Beduinentums ethnologisch von größ-
ter Bedeutung, da im Zusammenhang damit
auch das relativ junge Alter des sozialen
Rangordnungssystems im nomadischen Bereich
Arabiens als erwiesen erscheint“ (S. 165).
Kritische Erwägungen: Dostal hat ein über-
aus wichtiges und anregendes Buch geschrie-
ben, das die Erforschung der Ethnologie Süd-
arabiens wesentlich bereichert. Gründlich und
umfassend erfolgte die Aufnahme und Samm-
lung der ethnographischen Daten auf dem
Arbeitsfeld, wodurch die Materialfülle erzielt
wurde. Ausgezeichnet ist die ethnologische
Analyse und Interpretation des Faktenmate-
rials; mit großem Scharfsinn werden alle er-
reichbaren primären und sekundären Quellen
ausgeschöpft und verarbeitet. Wohltuend ist
die Selbstkritik, die sich nicht vorschnell zu
apodiktischen Behauptungen oder unbewiese-
nen Hypothesen hinreißen läßt, die Vorsicht,
wo D. verallgemeinernde Schlüsse zieht und
damit zur übergreifenden Theorienbildung
kommt. Hervorragend ist auch die Einarbei-
tung in die oft sehr komplizierten historischen
Abläufe im untersuchten Raum und ihre Dar-
stellung in bezug auf die Schicksale der be-
handelten Stämme.
Alle diese Vorzüge der Arbeit wurden schon
in meinem Referat wiederholt angedeutet. Die
Breite meiner Darstellung soll meinen Respekt
vor der Leistung Dostals bezeugen und gleich-
zeitig dartun, daß ich den Einzelanalysen und
den daraus gewonnenen Ergebnissen hinsicht-
lich der Ethnographie und Stammesgeschichte,
die das 2. Kap. bietet, weitgehend zustimmen
kann.
Trotzdem hat die Lektüre des Werkes einen
zwiespältigen Eindruck bei mir hinterlassen,
weil ich die methodischen Voraussetzungen und
die Gesamtauffassung Dostals vom Werden
des Beduinentums nicht zu teilen vermag. Das
von Dostal aufgestellte Schema von konserva-
tiven und progressiven Dromedarhaltern und
die damit verknüpfte, aber doch nicht bruch-
los zur Deckung zu bringende Herausarbei-
tung einer proto- und einer vollbeduinischen
Phase in der geschichtlichen Entwicklung des
Beduinentums hat mich nicht überzeugt; ich
halte diese Konstruktion für verfehlt. Wohl
stimme ich Dostals terminologischer Definition
des Begriffs „Beduinentum“ (= „vollnoma-
disch lebende Dromedarhirtenkrieger“) völlig
zu und habe selbst den ßeduinenbegriff so
schon 1950 umschrieben. Jedoch muß ich auf
Grund meiner Untersuchungen über den Zeit-
punkt der Domestikation der altweltlichen
Cameliden1) daran festhalten, daß die erste
reiterkriegerische Nutzung des Einhöckers in
einem geschichtlich relevanten Ausmaß und
damit der Beginn der Geschichte des Beduinen-
tums im Vollsinn des Wortes bereits im frü-
hen 11. Jhdt. v. Ghr. durch die Midianiterein-
fälle in Syrien-Palästina (Richter 6—8) nach-
weisbar ist. Die Domestikation des Dromedars
ist vermutlich eine Leistung nord- und nord-
zentralarabischer Stämme und darf — von
vereinzelten früheren sporadischen Zähmungs-
versuchen abgesehen — wohl nicht sehr weit
hinter das 13./12. Jhdt. v. Ghr. zurückdatiert
werden. Beduinentum i. e. S. gibt es also nicht
J) Vgl. m. Aufsätze in: Zeitschr. d. Dt. Mor-
genländ. Gesellsch., 101 (1951), S. 29—51;
104 (1954), S. 45—87; Actes du IVe Congrès
Intern, des Sciences Anthropologiques et
Ethnologiques, Vienne 1952, Tom. III 1956,
S. 190—204. — Meine Arbeiten überprüften
und bestätigten diesbezügliche frühere Fest-
stellungen und Anregungen von William
Foxwell Albright.
Buchbesprechungen
159
erst seit dem 3. Jhdt. n. Chr., wie Dostal nach-
zuweisen versucht, sondern bereits 15 Jahr-
hunderte früher.
Von diesen Einwänden und Feststellungen
aus mögen mir noch einige weitere kritische
Bemerkungen zu dem Werk Dostals gestattet
sein:
Schon der Titel des Buches ist nicht genau:
„Beduinen“ sind die nomadischen Gruppen
in Südarabien, wenn man sich an die von
Dostal definierte Erklärung des Begriffs hält,
gerade nicht. (Auch sähe ich es lieber, wenn an-
stelle des ständig benutzten, etwas unbestimm-
ten Wortes „Kamel“ der zoologisch exaktere
Begriff „Dromedar“ verwendet würde, den
ich hier meist stillschweigend einsetzte.)
Der Begriff „Protobeduinentum“ ist In sich
widersprüchlich und darum nicht sehr glücklich
gewählt. Gemeint ist damit eine Vorstufe des
Beduinentums, die alles das umfaßt, was es an
Dromedarnomadentum vor der Übernahme
des shadäd-Sattels gibt: sowohl das konserva-
tive Kruppenreitertum als auch das (progressi-
vere) Reiten auf dem Dromedarhöcker mittels
Satteldecken. Dagegen ist wiederum einzu-
wenden, daß das Stadium des Vollbeduinen-
tums bereits erreicht ist, sobald durch Reit-
nutzung des Höckers weiträumige reiterkrie-
gerische Unternehmungen ermöglicht werden,
also seit dem Ende des 2. Jtsds. v. Chr. Zu
fragen wäre höchstens, welche Form des No-
madentums im arabischen Raum vor dem
Dromedarhirtentum begegnet, die dann mit
einigem Recht als „Protobeduinentum“ be-
zeichnet werden könnte. Ich habe versucht,
auf diese Frage eine Antwort zu geben, indem
ich — im Anschluß an W. F. Albright — auf-
merksam machte auf einige Tatsachen, die die
Annahme der Existenz eines Eselnomaden-
tums in der Mittleren und Späten Bronzezeit
im Alten Orient rechtfertigen2).
Der entscheidende Fehler Dostals scheint
mir darin zu liegen, daß er die Entfaltung der
Geschichte des Beduinentums zu stark fixiert
an dem Aspekt der Untersuchung der Drome-
darreitsitten und vor allem der Sattelkon-
struktionen. Dieser methodische Ausgangs-
punkt seiner Überlegungen bildet eine zu
schmale objektive Basis, um solch weitreichen-
de Schlüsse zu ziehen. Dostal selbst hat das
sehr wohl empfunden und versucht deshalb
2) Vgl. die „Akten des 24. Intern. Orientali-
sten-Kongresses München 1957“, Wiesbaden
1959, S. 150—152.
schon auf der ersten Seite seines Buches (S. 9)
diesen Einwand abzuwehren, allerdings ohne
eine wirklich plausible Erklärung dafür zu ge-
ben. (Nur beiläufig sei angemerkt, daß gerade
die Satteltypen Ja zu denjenigen Kulturele-
menten gehören, die sehr leicht übertragbar
und austauschbar sind, wie die Fülle der Ty-
pen in Vorderasien und Nordafrika beweist.)
Gewiß: die Übernahme des shadäd-Sattels
mag die reiterkriegerische Komponente im Be-
duinentum (wie schon 1000 Jahre früher die
Aufnahme anderer Elemente aus dem Bereich
der Pferdenomaden) verstärkt und gefestigt
haben, aber von so entscheidender Bedeutung,
wie Dostal postuliert, ist sie keineswegs gewe-
sen. Beduinentum gab es als eigenschöpferische
Leistung arabischer Stämme schon vor den
Kontakten mit Pferdereiterkulturen.
Der Lebensstil, der wirtschaftliche, kultu-
relle, soziale und militärische Habitus des Be-
duinentums tritt uns von Anfang an in einer
so einheitlichen, in sich ruhenden Gestalt, in
einer so in sich geschlossenen und festgefüg-
ten Struktur entgegen und offenbart eine so
kraftvolle Dynamik nach außen, daß diese
Form nomadischer Existenz nur schwerlich als
Ergebnis eines langen, verwickelten Überlage-
rungs- und Entwicklungsprozesses aufgefaßt
werden kann. Ein ganz anderes Gepräge zeigt
hingegen die Kultur der südarab. Stämme; sie
ist eine typische Mischkultur, geformt und be-
einflußt durch mannigfache Kontaktvorgänge,
die zu Übernahmen von Elementen aus den
benachbarten hochkulturlichen Bereichen und
aus der höherstehenden beduinischen Noma-
denkultur führten. Sie ist nicht charakteristisch
für die protobeduinische Periode, wie D. will,
sondern sie ist eher das Ergebnis einer sekun-
dären Teil-Beduinisierung. Dadurch erweist
sich das Beduinentum als stärker und über-
legener als die altsüdarabischen bodenständi-
gen Eigenkulturen, wenn es sich auch — be-
dingt durch ökologische, historische und psy-
chologische Gegebenheiten und durch die iso-
lierte Randlage Südarabiens — dort noch nicht
restlos durchzusetzen vermochte.
Von hier aus wird klar, warum der von D.
so strapazierte hawlänl-Komplex, der sich aus
sehr disparaten und zufälligen Elementen zu-
sammensetzt (S. 146), für mich nicht die Be-
deutung eines Leitfossils einer protobeduini-
schen Periode haben kann. Die für ihn signi-
fikanten Satteltypen und die damit verbun-
dene Reitnutzung der Kruppe sind nicht pri-
mär mit dem Dromedarreiten gekoppelt, son-
16C
Buchbesprechungen
dem erst sekundär von anderen, vorher be-
reits reiterlich genutzten Tierarten, auf das
Dromedar nach dessen etappenweisen Vorstö-
ßen nach Südarabien mit den arabischen Wan-
derwellen (den letzten im Rahmen der semi-
tischen Wanderungen) übertragen worden.
Allerdings versickerten in Südarabien die aus
dem Norden kommenden Impulse weitge-
hend, führten nur zu einer partiellen und
oberflächlichen Beduinisierung einzelner
Gruppen und nicht zur Herausbildung der be-
duinischen Lebensform im eigentlichen Sinne.
Die Angehörigen der Südgruppe wurden des-
halb auch nur zu Dromedarhirten und nie zu
Dromedarreiterkriegern, d. h. Beduinen. Und
umgekehrt lassen sich daher auch bei den
shadäd-Stämmen Relikte eines auch bei ihnen
ursprünglich verbreiteten hawlänl-Komplexes
nicht mit letzter Klarheit nachweisen.
Dostal hat sicher selbst den grundsätzlichen
und tiefgreifenden Unterschied zwischen der
beduinischen Kultur und Lebenshaltung und
dem nichtbeduinischen Kulturkonglomerat,
das er in Südarabien vorfand, klar gesehen.
Deshalb ist es mir unverständlich, daß er
trotzdem versucht, gerade aus den von ihm
untersuchten Fakten die Reste einer sog. pro-
tobeduinischen Periode herauszudestillieren,
für die dann wohl die Mahra besonders ty-
pisch sein sollen. Dieser Widerspruch löst sich,
wenn man eine genau umgekehrte Genese des
Beduinentums voraussetzt: es bildete sich im
Norden, deckt sich mit dem Dromedar-Dome-
stikationszentrum, gelangt also im nord- und
zentralarab. Ursprungsgebiet der Dromedar-
zucht zu seiner vollen Effektivität und ist im
Süden nur höchst unvollkommen in vereinzel-
ten Kulturelementen bei den dortigen noma-
dischen und halbnomadischen Stämmen eines
völlig anderen Kulturtyps präsent. Mit ande-
ren Worten heißt das, daß meine These an
Überzeugungskraft gewinnt: das Domestika-
tionszentrum des Dromedars und der Aus-
gangs- und Schwerpunkt für die Entstehung
und Herausbildung des Beduinentums fallen
zusammen.
Schließlich noch ein Wort zum „Beharrungs-
faktor“ bei den südarabischen Stämmen, den
Dostal ausschließlich mittels historischer Kate-
gorien, durch die Untersuchung der stammes-
geschichtlichen Fakten und Abläufe, zu klären
versucht. Dieser Gesichtspunkt wird m. E. et-
was zu einseitig überbetont. Zumindest erwar-
tet man in einem ethnologischen Werk über
Südarabien nicht einen extensiven monogra-
phischen Abriß der hadramitischen Geschichte,
so dankbar man auch für diesen Überblick sein
mag. Andererseits darf man wohl nicht über-
sehen, daß das Phänomen der Beharrung nicht
allein vom Aspekt der geschichtlichen Situa-
tion her zu verstehen ist. „Beharrung“ ist doch
wohl zuerst ein Begriff der Psychologie. Des-
halb vermisse ich es, daß D. nicht näher ein-
geht auf die völkerpsychologischen Wurzeln,
die man nicht übersehen sollte, wenn man auf
eine so ausgeprägt konservative Haltung
stößt, wie sie die Angehörigen der südarab.
Gruppen charakterisiert. Sicher sind der Indi-
vidualismus, die weitgehende Isolierung, die
Abwehrstellung und Abkapselung gegen alles
Fremde, Ja die Fremdenfeindschaft dieser
Menschen nicht nur das Ergebnis historischer
Auseinandersetzungen, sondern sie sind auch
von der seelischen Struktur der Menschen her
durchsichtig zu machen. Auf S. 93 werden von
D. emotionale und irrationale Gründe im
Blick auf die Stammespolitik immerhin ange-
deutet. Eine gründlichere psychologische Klä-
rung der Begriffe „Fortschritt und Beharrung“
könnte noch klarer zeigen, daß „Beharrung“
in Südarabien nicht an sich schon ein positiver
Wert im Sinne der Bewahrung der Tradition
ist, sondern die negative Antwort, die aus
einer Defensivsituation heraus gegeben wird.
Die Ambivalenz des Begriffs „Beharrung“ hat
D. vielleicht doch verkannt und damit hat er
übersehen, daß das Verhalten der untersuch-
ten Gruppen — psychologisch gesehen — eher
reactio als actio ist, mehr Abwehr der Trieb-
kräfte, die vom Beduinentum ausgehen, als
Anstoß für weiterführende Entwicklungen, die
dann in seiner „progressiven Phase“ ihren
Höhepunkt erreichen sollen. Hingegen der
Hinweis auf die Rezeptionsfreudigkeit der
„Progressiven“, die sich nach D. in der Auf-
nahme von Elementen aus dem fremden rei-
terkulturlichen Bereich zeigt, betont zu sehr,
daß es sich bei der Ausbildung des Vollbedu-
inentums um das Endergebnis von sekundären
Überschichtungsvorgängen handele. Damit
aber wird zugleich zum Ausdruck gebracht,
daß man dem Phänomen Beduinentum nicht
die Kraft zutraut, aus in ihm selbst angeleg-
ten Impulsen heraus seine ihm eigene, typische
Lebensform zu entwickeln. Ihm wird also von
D. gerade die Originalität aberkannt, die er
für sein Proto-Beduinentum — wenn auch mit
starken Abschwächungen — festgehaltcn wis-
sen will. Auch diese Widersprüche, die imma-
nent die Darstellung Dostals durchziehen, las-
Buchbesprechungen
161
sen sich entwirren, wenn man die Geburts-
stunde des Beduinentums — wie oben vorge-
schlagen — um 1500 Jahre vorverlegt und mit
ihr als das für sie konstitutive Faktum die
Zähmung des Dromedars verbindet.
Von meiner Kritik nicht berührt wird die
Tatsache, daß die Völkerkunde dem Buch
Dostals eine Fülle von Material verdankt, das
in letzter Minute für die Forschung gerettet
wurde. Denn die Tage der Dromedarnomaden
sind gezählt und der Zeitpunkt ist nicht mehr
fern, an dem der Einhöcker endgültig von den
modernen Verkehrsmitteln des technischen
Zeitalters verdrängt sein wird. Der Lebens-
raum der Beduinen, die Wüste, wird immer
mehr zur Wüstenei. Die Krise des Beduinen-
tums ist damit unvermeidlich. Wenn aber
die natürliche Schwingung, die alles beduini-
sche Leben im Lluß hält, aus dem Takt gerät
und gerinnt, ist das Ende dieser Form mensch-
lichen Seins nahe3).
Korrigenda: S. 11, Anm. 1, Z. 3: 1. „Dostal:
1958 b“; S. 13, Z. 13: statt „Kameloiden“
besser „Cameliden“; S. 25, Z. 2: 1. Manähll;
S. 36, Z. 3: 1. „Abb. 16, 20 u. 21“; S. 50, Z. 2
v. u.: 1. „Abb. 37“; S. 62, Z. 4: 1. „Schnurr-
bart“; S. 89, Z. 16 v. u.: 1. „of“; S. 117,
Anm. 149: 1. „1932“; S. 162, Anm. 223;
1964: a od. b?; S. 184: 1. ,,A) Quellen“ —
die Asteriscus-Anm. gehört als Zeile 3 vor die
Lit.-Angaben; S. 197: 1. „Gauthier-Pilters“;
S. 198: 1. „Kinda: 79“; — Zu Abb. 9: Die
Reproduktion aus Altheim, Krise I, Taf. 163
ist — verglichen mit der Vorlage — leider
sehr undeutlich. — Zu Abb. 36: 1. „Manähil-
Frau“.
Reinhard Walz
HARALD MEHNER:
Stand und Formen der Mechanisierung der
Landwirtschaft in den asiatischen Ländern,
Teil 3: Naher und Mittlerer Osten. Arbeit
aus der Forschungsstelle für Agrarstruktur
und Agrargenossenschaften der Entwick-
lungsländer e. V., Heidelberg. (= Wissen-
schaftliche Schriftenreihe des Bundesmini-
steriums für wirtschaftliche Zusammenar-
beit, Bd. 9). Stuttgart: Ernst Klett Verlag
1968, 168 S. Preis: DM 3.—.
Der Autor hat einige der hier untersuchten
Länder mehrfach bereist; die Daten für die
,!) Zur Problematik der Zukunft des Bedu-
inentums vgl. Ludwig Ferdinand Clauß: Die
Weltstunde des Islams, Schweinfurt 1963.
hier vorliegende Studie hat er auf Reisen im
Jahre 1964 zusammengetragen. Untersucht
wurden die Länder Syrien, Irak, Iran, Türkei
und Afghanistan, in denen er die Probleme
der Mechanisierung im Rahmen der jewei-
ligen Landwirtschaft untersucht. Er stützt
sich im wesentlichen auf Angaben, die er
in Ministerien, Hochschulen, Versuchsgütern,
Landmaschinen-Genossenschaften und bei
Landmaschinen-Händlern bekommen hatte.
Es handelt sich also im wesentlichen um
statistisches Material und um Stellungnahmen,
die teilweise von Offiziellen, teilweise von
Fachleuten aus den einschlägigen Branchen
stammen.
In einleitenden Kapiteln behandelt der Au-
tor kurz die Situation der nah- und mittel-
östlichen Landwirtschaft, ihre Produktions-
leistungen, die soziale und politische Lage der
Landbevölkerung, die Entwicklungsmaßnah-
men für die Landwirtschaft, und Landbewirt-
schaftung und soziale Struktur in den fünf
untersuchten Ländern, das letztere bereits un-
ter dem Aspekt des eigentlichen Themas.
In fünf Kapiteln werden die Probleme der
Mechanisierung in den einzelnen Ländern ab-
gehandelt, und zwar jeweils Entwicklung
und Stand (bis 1964), die Formen der Mecha-
nisierung, staatliche und private Finanzie-
rung, Fabrikate und Typen der Traktoren
und Landmaschinen sowie die Errichtung von
Montagewerken, die Probleme der Reparatur-
werkstätten, Ersatzteillager und der Treib-
stoffversorgung, des Beratungs- und Ausbil-
dungswesens, die Beiträge der Bundesrepublik
und die Aussichten für die weitere Mechani-
sierung. In diesen Abhandlungen werden die
ganz verschiedenen Voraussetzungen, der sehr
unterschiedliche Ablauf der seitherigen Ent-
wicklung und die stark divergierenden Ergeb-
nisse in den einzelnen Ländern deutlich, aber
auch die Sonderstellung der Türkei — wenig-
stens in einzelnen Teilaspekten — und (gegen-
sätzlich dazu) Afghanistans deutlich, dazu die
Tatsache, daß eine kontinuierliche Entwick-
lung, wie sie im Iran stattgefunden hat, die
besten Ergebnisse zeitigen konnte.
Von Ergebnissen ist im letzten, zusammen-
fassenden Kapitel die Rede. Hier werden die
Gründe für die bisherigen Mißerfolge ge-
nannt: Übertriebene Hoffnungen im Hinblick
auf eine rasche Rentabilität, der Mangel an
ausreichend geschultem Bedienungspersonal
und der daraus resultierende übermäßige
Verschleiß der teuren Einrichtungen, die un-
li
162
Buchbesprechungen
genügenden Kenntnisse von Reaktionen der
Böden und Kulturpflanzen auf die neue Art
der Bewirtschaftung, und der Mangel an be-
triebswirtschaftlichen Erfahrungen und Kennt-
nissen. Hier hat der Autor sicher recht, aber
man fragt sich bei der Lektüre, ob man die
fremden wie die einheimischen Experten nicht
überhaupt zu schmalspurig ausgesucht, bzw.
ausgebildet habe, weil offensichtlich viele bio-
logische Grundlagen fehlen, und weil man
wohl auch fortschrittsgläubig alles über einen
Leisten zu schlagen versucht hat, viel zu we-
nig differenziert. Der vom Autor vorgeschla-
gene Erfahrungsaustausch der Geber-Länder
untereinander und die Koordinierung aller
Arbeiten innerhalb eines einzigen Kultur- und
klimatischen Großraumes könnten zweifellos
einiges verbessern. Stärkere Berücksichtigung
sozialer, ökologischer und traditionsgebunde-
ner Tatsachen könnten aber ebensoviel Positi-
ves schaffen. Zustimmen wird man dem Autor
darin, daß die Mechanisierung ein Teilaspekt
der Gesamtentwicklung ist, daß man mit ihr
gleichzeitig die Verbesserung der Tierzucht,
die Benützung einwandfreien Saatgutes, die
Einführung von Fruchtfolgen, die Lösung der
Marktprobleme und die Modernisierung der
Bewässerungsmethoden betreiben müsse. Aber
wer soll all das bezahlen? Die Kapitalbasis
der Bauern selbst ist minimal. Die von den
Staaten zur Verfügung gestellten Gelder kön-
nen niemals reichen, vor allem nicht für einen
Umbau der ganzen Bewässerungsanlagen.
So legt man das Buch weg mit dem Gefühl,
über die Quadratur des Kreises gelesen zu
haben. Aber vielleicht hat man — nicht der
Autor, sondern die Verantwortlichen — nur
das Pferd am Schwanz aufzuzäumen versucht.
Bei uns war die Mechanisierung der Land-
wirtschaft im wesentlichen eine Folge des Ar-
beitskräftemangels, und die Produktion wurde
schon vorher Jahrzehnt um Jahrzehnt wesent-
lich gesteigert, und die relativ hohen Ein-
kommen ermöglichten dann der Landwirt-
schaft die Anschaffung kostspieliger Geräte —
aus eigenen Mitteln oder durch Zusammenar-
beit einiger kleiner Betriebe bei der Anschaf-
fung großer, oft nur saisonal brauchbarer Ap-
paraturen. Ob dieser Weg nicht auch im
Orient, dort, wo noch Arbeitskräfte zur Ver-
fügung stehen, beschritten werden könnte?
Erst gutes Saatgut, Verbesserung der beste-
henden Irrigations-Anlagen, Ausdehnung des
bewässerten Areals (bei Neuanlage natürlich
gleich modern), künstliche Befruchtung von
gesunden, leistungsfähigen Tieren, und vor
allem ein vernünftiges Schul- und Beratungs-
wesen scheinen die primären Forderungen zu
sein. Die Bauern der hier untersuchten Länder
müssen ganz einfach überfordert sein durch
all das Neue, was jetzt plötzlich über sie her-
einbricht. Man gebe ihnen etwas Zeit und auf
dem Vorhandenen aufbauende Hilfen, sich
auf Neuentwicklungen einzustellen und sie
dann auch zu realisieren.
Und vor allem: Man sollte schnell spezifi-
sche, der jeweiligen Diagnose angepaßte Me-
thoden ausarbeiten! Gebiete mit Regenfeldbau
bieten andere Möglichkeiten und verlangen
andere Hilfen als solche mit reinem Oasen-
feldbau. Gebiete mit überwiegend kleinbäuer-
licher Besitzstruktur müssen anders angegan-
gen werden als die Güter von Großgrundbe-
sitzern. Kurz: Stärkste Differenzierung in den
Methoden könnte in vielem vielleicht eine
langsamere, dafür aber gründlichere Besserung
bringen.
Was bei der Lektüre auffällt, ist die aus-
schließliche Nennung von großen, z. T. riesi-
gen Versuchsgütern. Sicher braucht man diese
für viele Untersuchungen. Aber: ob die Erfah-
rungen mit Gütern zur Lehrlingsausbildung
nicht sinnvoll auch zur Schaffung kleinerer
Güter mit bescheidenerem Maschinenpark
führen sollten? Höfe, die von speziell aus-
gebildeten, praktischen Bauern aus Europa
oder Amerika betrieben würden, kleine Dörfer,
an die kleine Reparaturwerkstätten, kleine
Konservierungsbetriebe und vor allem große
Lehrlings-Ausbildungsstätten angeschlossen
wären, wobei die Lehrlinge zwölf- bis fünfzig-
jährig sein könnten — solche Höfe oder Weiler
könnten vielleicht rasch vieles bessern. Und
Bauern dafür sollte es eigentlich in Europa
geben, keine Großgrundbesitzer, keine diplo-
mierten Experten, sondern eben praktische
Landwirte, die ja auch in unseren Ländern die
entscheidende Arbeit getan haben — na-
türlich unter Mitwirkung der speziellen Fach-
leute. Anderswo sind durchaus gute Erfolge
in dieser Richtung erzielt worden, man sollte
diese — mutatis mutandis — auch hier nutzen,
bevor man Riesenbeträge in Unternehmen
steckt, um nachher feststellen zu müssen, daß
sie als Lehrgeld abgeschrieben werden müssen.
Denn darin ist dem Autor sicher zuzustimmen,
daß die Landwirtschaft in den von ihm unter-
suchten Ländern durchaus entwicklungsfähig
sei, weil ihre Träger ebenso fleißig und an-
stellig seien, wie ihre europäischen Kollegen.
Buchbesprechungen
163
Die vorliegende Arbeit behandelt ein Spe-
zialproblem, und zwar recht gründlich und
außerordentlich übersichtlich — aber gerade
durch diese Qualität wird deutlich, daß das
hier betrachtete Problem in der Praxis nicht
isoliert gesehen und angegangen werden darf,
ja, daß es in großen Teilräumen eigentlich bis
heute nur ein sekundäres Problem der dortigen
Landwirtschaft ist.
Friedrich Kußmaul
CHRISTOPH VON FÜRER-H AI MEN-
DORF:
Morals and Merit. A Study of Values and
Social Controls in South Asian Societies.
(The Nature of Human Society Series.)
Chicago & London: The University of
Chicago Press. 1967. XIV + 239 S., 15 Abb.
Preis: US $ 6.00.
Vor 30 Jahren veröffentlichte Christoph von
Fürer-Haimendorf „Die nackten Nagas“, ein
Buch, das in mehreren Auflagen zu einem der
nicht zahlreichen ethnographischen Bestseller
wurde. In den darauf folgenden Jahren er-
schien neben zahlreichen Aufsätzen eine statt-
liche Reihe von Stammesmonographien, deren
bisher letztem Band (The Sherpas of Nepal,
1964) sich nun eine vergleichende Darstellung
von „values and social Controls in South Asian
societies“ anschließt. Der Erfolg der Publika-
tionen Fürer-FIaimendorfs ist neben den wis-
senschaftlichen Qualifikationen zu einem nicht
geringen Anteil bei den hohen literarischen
Anforderungen zu suchen, die der Verfasser
sich stellt. „Morals and Merit“ macht dabei
keine Ausnahme, und so könnte man Fürer-
Flaimendorf zu den großen neueren Morali-
sten (in der französischen Tradition) zählen.
Maßgeblich zu der Anschaulichkeit in den
darstellenden Teilen des vorliegenden Bandes
hat sicher die Tatsache beigetragen, daß jahre-
lange Feldarbeit des Autors in den verschiede-
nen erwähnten Gesellschaften (Apa Tani,
Chenchu, Chetri, Dafla, Gond, Reddi, Naga
und Sherpa) das Material lieferte. Ergänzend
werden Beispiele von den Andamanern, Se-
mang, Kalinga u. a. herangezogen. Nur wenige
kritische Bemerkungen sind für diesen Teil des
Buches zu machen. So halte ich „refuge areas“
(15, 37) für einen unglücklichen Begriff in sei-
ner Koppelung von historischem Prozeß und
geographischer Einheit. Bei der Darstellung
der Gesellschaftsordnung der Reddi paßt zu
der „entirely egalitarian“ Lokalgruppe nicht
die „usually hereditary position“ des „head of
the community“ (39). Die südöstliche Dayak-
gruppc heißt Ngadju statt Nagadju (103, 238).
Die Darstellung des „trickster“ (141) als böser
Gegenspieler ist nicht ausreichend. Obwohl
eine Koppelung moralischer Vorstellungen und
sozio-ökonomischer Faktoren ausdrücklich
nicht geplant ist (13), wird sie doch mehrfach
(z. B. 38) — und völlig zu Recht — durchge-
führt. Der knappe Index ist fast wertlos. Es
fehlen sowohl wichtige, häufige Stichwörter
wie „gift“ oder „exchange“ als auch unter den
angegebenen Stichwörtern ausreichende Hin-
weise, wie etwa unter „feasts of merit“ die
Darstellungen auf S. 116 und 196 nicht notiert
sind. Das jedoch sind Schönheitsfehler in der
ansprechenden Darstellung.
„ . . . the primary purpose of this book is to
demonstrate the diversity of moral ideas as
well as of the controls different societies
employ . . .“ (13) Dieses Ziel ist sicher erreicht.
Jedoch gibt es in der Einleitung und im ab-
schließenden Kapitel allgemeine Äußerungen,
die den Leser kaum zufriedenstellen dürften.
Zunächst fehlt der Versuch, „Moral“ begriff-
lich einzugrenzen. Nimmt man an, daß der
Autor sich J. Ladd (8) anschließt, so erscheint
Moral etwa als die Leitlinie für das Verhalten
der Mitglieder einer Gesellschaft oder einer
Gruppe in einer Gesellschaft. Hier taucht das
Problem der moralischen (und allgemein kul-
turellen) Relativität auf. Fürer-Haimendorf
weist darauf hin, daß eine diesbezüglich kon-
sequente Einstellung spätestens nach den Ver-
brechen der totalitären Regimes dieses Jahr-
hunderts nicht mehr annehmbar ist (5). Aber
zu Ende des Buches (228) heißt es: „While the
philosopher may pronounce on the worth of
different systems of morality, the anthropolo-
gist must confine himself to describing their
salient features, and any valueassessment he
may be tempted to make will ultimately depend
on his own ideological background and per-
sonal predilections. For it seems that we can-
not measure and judge morals by absolute,
scientifically determined standards but can
only evaluate the moral norms of one society
by comparing them with the moral system of
another.“ Dagegen ließe sich sagen: gerade
weil Subjektivität unausweichlich bleibt, sollte
sic deutlich artikuliert sein. Besonders aber
hätte sich zweifellos allein mit wissenschaft-
lichen Ergebnissen — wenn nicht für ein be-
stimmtes neues Wertsystem — so doch gegen
ein bestehendes argumentieren lassen und läßt
sich argumentieren.
164
Buchbesprechungen
Eine ähnliche — wie mir scheint — Inkon-
sequenz liegt in dem Versuch, fundamentale
ethische Prinzipien von universaler Gültigkeit
(224) aus den gegebenen Beispielen herauszu-
schälen. In der Einleitung wird nämlich als
Axiom genommen „that every society approves
of certain types of behaviour and disapproves
of others, . . .“ (9). Dieselbe Aussage wird
später (224) als Ergebnis der Untersuchung
vorgelegt. Abgesehen von dem Vorgehen, muß
man doch fragen, ob es sich hier überhaupt um
eine moralische (kulturelle) Kategorie handelt.
Vielmehr scheint die biotisch begründete So-
zialisierungsnotwendigkeit des Menschen eine
Falsch-Richtig-Entscheidung zu verlangen (wie
es der Autor im Text (144) selbst einmal
schreibt), womit die kulturelle Variabilität erst
mit den Kategorien des Falschen und Richtigen
begänne. Da die Sozialisierungsnotwendigkeit
m. E. auch fordert, „that altruism and conside-
ration for the well-being of other members of
the in-group are morally superior to a self-
centred attitude . . .“, scheint auch hier nicht
nur kein moralischer „Elementargedanke“ (der
in dieser Totalität auch nicht erstrebt wird,
s. S. 225) vorzuliegen, sondern überhaupt keine
kulturelle Erscheinung, so, wie Steward
(1958: 8) formulierte: „A formula that ex-
plains behavior of all mankind cannot explain
culture.“
Wolfgang Marschall
LUCIEN BERNOT:
Les paysans arakanais du Pakistan Oriental.
L’histoire, le monde végétal et l’organisation
sociale des réfugiés Marma (Mog). Paris und
den Haag: Mouton & Co. 1967. 2 Bände,
793 Seiten, 16 Tafeln (mit 41 Fotos), 95
Skizzen, 4 Karten. Preis: hfl. 106.—.
Was lange währt, wird endlich gut! 1951/52
und 1959/60 verbrachten Luden Bernot und
seine Frau Denise insgesamt anderthalb Jahre
bei den Talbewohnern der südlichen Chitta-
gong Hill Tracts (Ostpakistan), und 1967 sind
nun die Früchte einer unendlich fleißigen Feld-
arbeit gereift.
Damit wurde eine ethnographische Bresche
geschlagen in einem Gebiet, das von der For-
schung schlimm vernachlässigt worden war.
Kaum zwei Jahrzehnte zurück gab es noch
Völkerkarten Hinterindiens, auf denen man
Stämme dicht an dicht in vielen Farben einge-
tragen hatte, nur am Westrand leuchtete schie-
res Weiß auf, und es waren kaum mehr Be-
zeichnungen zu finden als „Chittagong“ und
„Arakan“. Die Tatsache einer großen Wissens-
lücke hat ja auch die Deutsche Chittagong
Hills Expedition 1955—1957 und eine Expe-
dition des Südasien-Instituts Heidelberg 1964
bewogen, diesem Gebiet ihr Interesse zuzu-
wenden.
Dem eigentlichen ethnographischen Bericht
stellt Bernot einen umfassenden historischen
Abriß voran, der z. T. nach alten Quellen die
Verhältnisse vom 11. Jahrhundert an schildert,
als die birmanische Dynastie in Pagan gegrün-
det worden war. Schon bald fing sie an, gegen
das Königreich Arakan vorzugehen, das sich
zeitweilig auch von Shan und Mön bedroht,
schließlich unter den Schutz der Moslem stellte,
die seit dem 13. Jahrhundert Bengalen regier-
ten. Vom 16. Jahrhundert an traten portugie-
sische und holländische Abenteurer auf, Ferin-
ghi1) genannt, die allein oder mit den Araka-
nern zusammen die bengalischen Küsten
brandschatzten. So erhielten die Arakaner den
Namen ,Mog‘ = Pirat, Bandit, eine Bezeich-
nung, die von den aus Arakan in die Chitta-
gong-Berge geflüchteten Arakanern strikt ab-
gelehnt wird. Sie wollen Marma (= Birma-
nen) genannt werden, und Bernot stimmt mit
den deutschen Forschern überein, hinfort nur
noch diesen Namen zu gebrauchen. Als die
Birmanen 1784 Arakan eroberten, flohen
Tausende in den folgenden Jahren unter den
Schutz der ostindischen Kompanie, denn seit
1760 hatten sich die Briten in Chittagong eta-
bliert. Um 1830 zogen Marma auch in die
nördlichen Chittagong Hills und bildeten eine
zweite große Gruppe. Die heutigen Fürsten
der Marma, der Bohmong im Süden und der
Mong im Norden, gewannen ihr Ansehen als
von den Briten eingesetzte Steuereinnehmer.
Der erste Teil wird abgeschlossen durch eine
ausgiebige Beschreibung der Historie, wie sie
von den Marma selbst aufgefaßt wird, dazu
kommen Abschnitte über Astronomie, Astro-
logie, Kalender, Jahresfeste, Planeten usw.
Der zweite Teil enthält zahllose Einzelhei-
ten über den „Monde vegetal“, d. h. alles was
mit genützten Pflanzen, ihrer Produktion und
*) Feringhi stammt m. E. von persisch Farang
= Franken (Franzosen) und dürfte während
der Kreuzzüge aufgekommen und durch die
Moslem im Osten weiterverbreitet worden
sein. Thai: farang = weißer Fremder, Aus-
länder, immer mit etwas abschätziger Bedeu-
tung; fast gleichlautende Wörter gibt es bis
nach China hin.
Buchbesprechungen
165
Verarbeitung, zusammenhängt. Als besonders
erfreulich empfinde ich, daß Bernot sich die
nicht unerhebliche Mühe gemacht hat, 93 wilde
und angebaute Pflanzen zu sammeln und spä-
ter botanisch bestimmen zu lassen. Jeder, der
längere Zeit im Felde arbeitet, sollte so ver-
fahren, mit Nennung der Eingeborenennamen
allein, wie es häufig geschieht, ist nichts anzu-
fangen. Als Franzose hat sich Bernot auch der
Frage des Kochens verschiedener Gerichte an-
genommen, eines Themas, das von ethnogra-
phischen Monographien gerne ganz übersehen
wird.
Die Marma bauen Reis meist auf Brand-
rodungen; für diese Anbautechnik ist in um-
fassender Weise jede kleinste Einzelheit auf-
geführt, bis hin zu den Fallen, die Schutz ge-
gen Feldschädlinge bieten. Was mich wundert,
ist, daß der Autor nur vom Niederschlagen
des Buschwerks auf dem Neufeld schreibt,
während ich im oberen Sangu-Tal auch das
Fällen von Bäumen gesehen und später er-
wähnt habe2).
Obwohl die Marma gewiß den Wasserreis-
bau in ihrer alten arakanischen Heimat ge-
kannt haben, befaßt sich damit nur ein kleiner
Prozentsatz, und dies erst seit Anfang des 20.
Jahrhunderts. Andere Felder werden trocken
bearbeitet und mit Baumwolle, Senf, spani-
schem Pfeffer, an den Flußufern mit Tabak
bebaut. Man benützt den von Ochsen oder
Büffeln gezogenen Pflug; eine Viehzucht gibt
es nicht, nur eine Viehhaltung, oft sah ich
kleine Herden ohne Hüter herumstreifen.
Milch überläßt man meist jungen Tieren, einige
Leute geben sie seit jüngster Zeit auch Klein-
kindern. Also auch hier die bekannte Abnei-
gung Mongolider gegen Milch. Die Hausgär-
ten sind das genaue Gegenteil unserer in Ra-
batten ordentlich und übersichtlich angelegten
Gärten: der Marma pflanzt wirr durcheinan-
der, sieht hingegen darauf, daß Gewächse, die
viel Wasser benötigen, wie Taro, dorthin kom-
men, wo der Regen vom Dach läuft.
Der Verfasser will es offen lassen, ob die
Marma außer dem Weben früher auch andere
Handwerke hatten. Heute jedenfalls erstehen
sie Töpfe, Eisenwaren usw. von Bengalen im
Bazar. Die Textilarbeiten werden ausführlich
2) Kauffmann, H. E.: ,Observation on the
agriculture of the Chittagong Hill-tribes‘, So-
ciology in East Pakistan, Occasional Studies
of the Asiatic Society of Pakistan, vol. 1,
Dacca 1962, 111 — 134.
beschrieben, ebenso die Stoffe und Kleidungs-
stücke. Früher sollen diese je nach Clan unter-
schiedlich gewesen sein, doch davon ist heute
nichts mehr zu erkennen.
Der dritte Teil beginnt mit einer Abhand-
lung über alle denkbaren Gesichtspunkte der
Wirtschaft und wird fortgeführt mit der Schil-
derung der ,Rites de passage“, worauf die Be-
ziehungen zur jenseitigen Welt folgen. So wie
bei anderen hinterindischen Buddhisten ist
auch bei den Marma der Geister- oder Nat-
glaube ungemein lebendig geblieben. Es gibt
männliche und weibliche Geister, von denen
jedoch nur wenige als böse erachtet werden.
Will man von einem Geist etwas erbitten, muß
man einen kleinen Bambusaltar errichten und
ein Speiseopfer darauflegen. Am wichtigsten
unter den Geistern ist die „Herrin des Flus-
ses“, ihr zu Ehren müssen die Häuser in be-
sonderer Art gebaut werden, für sie wirft man
Wassertropfen flußabwärts, wenn man sich
auf eine Reise begibt, und von ihr erbittet man
Gesundheit, Glück und Reichtum. Doch gleich
nach ihr steht hoch im Ansehen Abongma, die
Großmutter, die den Menschen den Reis gab.
Es versteht sich, daß die Geister mit zahlrei-
chen Riten verehrt werden, und diese finden
dann auch eine genaue Darstellung.
Aus dem großen Abschnitt über die gesell-
schaftlichen Verhältnisse, der mit einer Menge
die Verwandtschaftsbeziehungen verdeutli-
chenden Skizzen durchsetzt ist, sei nur der
„Amyo“ herausgegriffen. Dieser Begriff wird
meist mit Clan übersetzt, wie ich es weiter
oben auch tat. Dies trifft aber den Wesenskern
nicht richtig: Ein Amyo ist größer als eine
Großfamilie, doch kleiner als eine ganze
Volksgruppe. Er kann Zehntausende von Mit-
gliedern umfassen, oder auch nur wenige Fa-
milien. Vor allem ist festzuhalten, daß es sich,
von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht um
einen exogamen Clan handelt, und daß eine
gewisse hierarchische Abstufung besteht von
den großen Amyo zu den kleinen herunter.
Auch mit Kasten, die es unter Buddhisten
nicht gibt, hat der Amyo nichts zu tun. In den
wenigen Fällen, in denen die Bedeutung der
mehr als 90 zusammengetragenen Amyo-Na-
men festgestellt werden konnte, war sie geo-
graphischen oder beruflichen Ursprungs; letz-
tere hatten wohl Vorfahren mit besonderen
Funktionen am arakanischen Königshof.
In dem ungemein reichen Material, das Ber-
not vorgelegt hat, stößt man immer wieder
auf Dinge, die Vergleiche mit anderen hinter-
166
Buchbesprechungen
Indischen Völkern anregen. So bei der weit-
verbreiteten Mythe vom Verlust der Schrift
durch ein gefräßiges Tier, oder bei der Ge-
schlechtertrennung während des Essens, oder
des fast überall vorkommenden rituellen Ge-
brauchs von Fäden um das Handgelenk, oder
des Zerbrechens von Geschirr im Totenritus,
um nur wenige Beispiele zu nennen.
Aber diese beiden Bände sind nicht nur in
der Unmenge ihrer Aussagen, sondern auch in
der logischen Gliederung des einfach überwäl-
tigenden Stoffes und in seiner Darstellung das
Muster einer modernen ethnographischen Mo-
nographie. Dabei soll nicht vergessen werden,
daß zu den großen Anstrengungen um lingu-
istische und etymologische Erklärungen nicht
zum geringsten Teil Bernots Frau Denise bei-
getragen hat.
H. E. Kauffmann
MAUNG HTIN AUNG:
A History of Burma. New York & London:
Columbia University Press. 1967. XII +
363 S., Karte. Preis: s. 108/—.
Im Eifer der Entwicklungshilfe glaubten ei-
nige kulturhistorisch orientierte Völkerkund-
ler (in Ost und West) einen neuen Aufgaben-
bereich gefunden zu haben: Beiträge zu leisten
zur nationalen Geschichtsschreibung — als ob
sich eben diese „Nationen“ nicht in jenen Gren-
zen (im mehrfachen Sinne) befänden, die ihnen
die Kolonialmächte hinterlassen haben, und als
ob wir nicht gerade eine Periode nationaler
„Besinnung“ absolviert hätten. Burma zumin-
dest kann auf diese unsere Hilfe verzichten:
seine Historiker wußten schon vor der Kolo-
nialzeit, was nationale Geschichtsschreibung
bedeutet. Die erste englisch geschriebene Ge-
schichte Burmas konnte sich dementsprechend
weitgehend auf die burmanischen Chroniken
stützen. Daß die Engländer später die burma-
nische Geschichte der Neuzeit unter den Ge-
sichtspunkten Ihrer eigenen Herrschaft weiter-
schrieben, brach nicht mit der Tradition —
wenn auch mit der Moral.
Mit dem Ende der Kolonialzeit galt es nun,
diese Verzerrungen in der Perspektive zu be-
seitigen. Aber noch etwas war geschehen: west-
liche Archäologen hatten begonnen, die Glaub-
würdigkeit der vorbritischen Chroniken in
Zweifel zu ziehen. Und so erforderlich wie
burmanischen Historikern die Kritik der eng-
lischen „Chroniken“ erschien, so wenig konnte
doch ein nationalistischer Standpunkt die Kri-
tik der eigenen Chroniken durch die Englän-
der dulden: verbarg sich dahinter vielleicht
doch nur der heimtückische Versuch, den Na-
tionalstolz wenigstens noch auf dieser Ebene
zu beugen. Daß man mit dieser Haltung der
beginnenden burmanischen Archäologie einen
ideologischen Maulkorb verpaßte, brauchte die
Schriftgelehrten wahrlich nicht zu stören. Und
dennoch erscheint beim näheren Zusehen Htin
Aungs Verteidigung der Chroniken nur als
vordergründiges Täuschungsmanöver, hinter
dem sich eine wesentlich tiefgreifendere (wenn
auch nie explizierte) Abkehr vom Geist der
Chroniken verbirgt, eine Abkehr, die mehr
westliche Verheerung in die burmanische Tra-
dition bringt als die Kritik der westlichen
Archäologen. Htin Aung setzt, wie er selbst
(als Entschuldigung für die mangelnden Quel-
lenverweise) sagt, für seine Darlegungen die
Kenntnis der bisherigen Geschichtsschreibung
voraus: ihm geht es also vorwiegend um eine
Interpretation, die bekannte Daten ins neue
Licht setzt.
Und so leid es mir tut: diese Beleuchtung
sagt mir nicht zu. Muß denn Geschichte schon
wieder zu einer Galerie prächtiger National-
heroen werden, die, nach jenen trübseligen Zei-
ten der „Schwäche“, voll Wagemut das Reich
wieder einten, mit den Tributleistungen der
Unterworfenen die Nationalheiligtümer bau-
ten und zur moralischen Vervollkommnung
ihrer Untertanen beitrugen? Die ganze Bruta-
lität jener tyrannischen Eroberer, die von den
alten Chroniken mit einem naiven Verständnis
für Kulturbedingtheiten geschildert wird, er-
scheint jetzt umfrisiert auf hehre Strenge, und
wer einst 3000 Mönche zerstampfen ließ, ern-
tet jetzt das Lob, das Töten von Rindern un-
tersagt zu haben. Dieser bigotte Imperialismus
sollte wahrlich das Erbe derjenigen sein, deren
Vorväter ihn erfunden haben.
Das Dilemma des kolonialistischen Erbes
wird jedoch erst dann voll offenbar, wenn man
sagen darf, daß Htin Aung der alten Perspek-
tive folgt: er läßt keinen Zweifel am Hege-
monieanspruch der Burmanen, wer auch im-
mer dies einst gewesen sein mag. Den kleineren
Partnern der burmanischen Union wird somit
ihre Rolle klar gemacht; doch die Frage, wa-
rum in Burma trotz Pyu, Mon und Shan heute
vorwiegend burmanisch gesprochen wird, ist
derart wohl kaum zu beantworten. Es scheint,
als ob uns doch noch eine Aufgabe bliebe.
Lorenz G. Löffler
Buchbesprechungen
16 7
CHIE N AK ANE:
Garo and Khasi. A comparative study in
matrilineal Systems. (= École Pratique des
Hautes Études, Vie Section; Sciences écono-
miques et sociales. — Cahiers de l’homme,
N. S. V). Paris — La Haye: Mouton & Co.
1967. 187 S., 9 Karten, 13 Pläne und Dia-
gramme, 11 Tab., 8 Abb. Preis: FF 39.
Diese Arbeit beruht auf Feldmaterial, das
die Verfasserin zwischen Oktober 1955 und
Februar 1956 in je vier Garo- und Khasi-Dör-
fern sammelte, wobei Dörfern mit traditionel-
lem System das Hauptaugenmerk galt, wäh-
rend Dörfer mit sich wandelndem System nur
Ergänzungsmaterial liefern. Keine Erhebun-
gen wurden im Garo-Khasi-Mischgebiet ange-
stellt, vielmehr legt die Verfasserin Wert dar-
auf, beide Systeme gegeneinander abzusetzen.
Dadurch, daß sie das Material über die beiden
Systeme mit unterschiedlichen Schwerpunkten
(Garo: Heiratssystem mit Bezug auf die Dorf-
gemeinschaft; Khasi: Ehesystem mit Bezug auf
die Erblinie) versieht, soll ein „more effective
picture of each structure“ gezeichnet werden,
dem Leser wird dadurch jedoch der Zugang
zum Ziel der Arbeit, dem Vergleich der Sy-
steme, nicht erleichtert, und der Vergleich
bleibt letztlich in einer deskriptiven Typisie-
rung stecken, bei der zwar ständig von Struk-
turbedingtheit die Rede ist, die bedingenden
Faktoren jedoch kaum herausgearbeitet und
gegenübergestellt werden.
Ist der Leser somit vor die Möglichkeit ge-
stellt, sich seine eigene Meinung zu bilden, so
scheint es mir, daß die unterschiedlichen fami-
liären Verhältnisse von Khasi und Garo mit-
bedingt sind von unterschiedlichem Privat-
eigentum an Boden: zur Klärung könnte hier
ein Vergleich mit den Naßreis bauenden Nord-
Garo dienen, zu denen jedoch kein Material ge-
boten wird. Feststellungen wie „among the
Khasi, the matrilineal descent group has a
distinguished function only when there is com-
mon résidence and common property“ (p. 113)
gelten im übrigen auch für die Garo. Jedoch
gibt es Unterschiede in der Größe der koresi-
dentiellen Gruppen (regionalen Sippenseg-
menten bei den Garo, separierten Lineage-
Segmenten bei den Khasi). Nakanes Hilfster-
mini „household lineage“ und „segmentary
lineage“ können diesem Unterschied nicht ge-
recht werden (im Gegenteil darf ihre Ansicht,
daß die Khasi keine segmentären LIneages hät-
ten, angesichts des Charakters der kpoh wohl
bezweifelt werden).
Im dritten Teil der Arbeit, in dem zur wei-
teren Typisierung Beispiele „matrilinearer Sy-
steme“ aus Afrika, Amerika und Ozeanien
hcrangezogen werden, offenbart sich die ganze
Verwirrung, in die sich die englischen Des-
zendenztheoretiker mit zunehmender Entfer-
nung von den durch Rivers vorgeschlagenen
Unterscheidungen hineinlaviert haben. Na-
kane gelingt es nicht, sich daraus zu befreien;
ja, sie geht sogar so weit, in Gegensatz zu
ihrem eigenen Gebrauch (z. B. im oben zitier-
ten Satz S. 113) zu behaupten, daß sie (nach
Goodys Vorbild) unter Deszendenzgruppe
eine „corporate property inheritance group“
verstünde. Ohne eine saubere Unterscheidung
zwischen genealogischen Abstammungsgruppen
(Lineages), traditionellen Namensgruppen
(Sippen und Moieties), strukturellen Exoga-
miegruppen, Koresidenzgruppen (im häus-
lichen, dörflichen oder regionalen Bereich),
Erblinien und -gemeinschaften, Amtsnachfolge-
linien und schließlich kategoriellen Gruppie-
rungen der Terminologie jedoch können uns
auch die schönsten Schemata nicht zu einem
besseren Verständnis verhelfen. Wohl gibt es
einige Gesellschaften, in denen irgendwelche
Zugehörigkeiten matrilinearbestimmt werden;
ob und Inwieweit sich solche Zurechnungen in
verschiedenen Bereichen bedingen, das heißt
inwieweit es strukturell bedingte „matrilineare
Systeme“ überhaupt gibt, bleibt jedoch weiter-
hin zu prüfen.
Was bleibt, sind Ergänzungen zur Ethno-
graphie der Garo und Khasi. Einige beim Ko-
pieren der Verwandtschaftstermini unterlau-
fene Irrtümer sind anhand von Burlings Buch
(Rensanggri) zu korrigieren. Wir dürfen Na-
kane danken, daß sie sich die Mühe gemacht
hat, ihre Ergebnisse auf Englisch zu veröffent-
lichen; weniger glücklich scheint die durch
Lévi-Strauss gelenkte Wahl einer französi-
schen Reihe, die offenbar nicht nur eines kom-
petenten Englisch-Lektors ermangelte, sondern
auch zur Verzögerung der Drucklegung beitrug.
Lorenz G. Löffler
HANS SCHÄKER:
Der Totenkult der Ngadju Dajak in Süd-
Borneo. (= Verhandelingen van het Konin-
klijk Instituât voor Taal-, Land- en Vol-
kenkunde, Deel 51). ’s-Gravenhage: Marti-
nus Nijhoff — 1966. 2 Bände, XV + 963 S.,
7 Abb. Preis: hfl. 75.—.
Dieses fast tausendseitige Werk läßt sich in
seiner Bedeutung nur erfassen, wenn man es
168
Buchbesprechungen
im Zusammenhang mit den anderen Schriften,
dem Werdegang und dem Schicksal seines Au-
tors sieht. Der Schweizer Hans Schärer (geh.
am 27. 6. 1904) trat Mitte der zwanziger
Jahre der Evangelischen Missions-Gesellschaft
zu Basel bei und ging nach seinem theologi-
schen Studium 1932 als Missionar zu den
Ngadju-Dajak in Südost-ßorneo. Sein Arbeits-
feld wurde das etwas abseits gelegene Gebiet
am Katingan-Strom. Bei den dortigen Ngadju-
Dajak hatten bis dahin weder der Islam noch
die Mission richtig Fuß fassen können; die
überkommene Religion war in ihren wesent-
lichen Zügen noch intakt und lebendig. Der
junge Missionar wurde also, so könnte man
sagen, noch mit dem „echten Heidentum“
konfrontiert. Fasziniert von der Tiefe und
Schönheit der alten Volksreligion, wollte er
von ihr ein besseres und gerechteres Bild ent-
werfen (nicht zuletzt aus missionskundlichen
Gründen). Seine Aufmerksamkeit galt von
vorne herein dem Schatz an Mythen, Priester-
gesängen, sakralen Stammessagen und Rechts-
traditionen. Schärer sammelte in den Jahren
bis 1939 ein ungemein reiches Material, das
nach eigenen Angaben 800 Hefte füllte und
bei einer Drucklegung wohl 12 000 Seiten in
Anspruch nehmen würde. Er schätzt übrigens
das gesamte Traditionsgut der Ngadju-Dajak
auf mindestens 40 000 Druckselten. Schärer
hatte sich in dieser Zeit auch mit den Proble-
men der Religionsethnologie vertraut gemacht.
Dies zeigen drei kleinere Studien, die sich mit
dem früheren Menschenopfer (Tijdschrift voor
Indische Taal-, Land- en Volkenkunde, Bd.
78/79, 1938/39; Mitteilungsblatt der Deut-
schen Gesellschaft für Völkerkunde, Nr. 10,
1940) dem Gottesurteil und der Verfluchung
in der Ngadju-Religion (Evang. Missions-Ma-
gazin, Bd. 83, 1939) befassen.
Das religiöse Leben der Ngadju-Dajak kul-
miniert in ihrem Totenkult. Diese Tatsache
blieb Schärer während seiner Forschungen na-
türlich nicht verborgen. Darum verwandte der
Missionar, als er 1939 vor seinem ersten Euro-
paurlaub stand, noch einige Monate ganz auf
die Erforschung des Totenkults. Schärer zog
aus diesem Grunde nach Kuala-Kapuas, einem
Ort im Zentrum des Ngadju-Gebietes, wo ein
erst vor wenigen Jahren zum Christentum be-
kehrter Priester namens Johannes Salilah
lebte, ein ausgezeichneter Kenner der Überlie-
ferung, von dem er sich die notwendigen In-
formationen erhoffte. Salilah diktierte einem
einheimschen Lehrer über mehrere Monate die
Texte, versah sie mit Erklärungen und be-
sprach das jeweilige Tageswerk am Abend mit
Schärer. Auf diese Weise gelangte der Missio-
nar in den Besitz der kontinuierlichen Abfolge
der priesterlichen Handlungen und Gesänge
zum umfangreichen Totenkult der Ngadju-
Dajak.
Nach seiner Rückkehr vom Missionsfeld be-
gab sich Schärer mit Einverständnis der Mis-
sionsleitung 1940 zum Studium der Ethnologie
nach Leiden. Hinsichtlich seiner Einstellung
und seiner Absichten hätte er sich damals
kaum einen besseren Lehrer als J. P. B. de Jos-
seling de Jong wählen können. Zugleich be-
gann er in Leiden mit der Bearbeitung des ge-
sammelten Materials über den Totenkult. Über
seine Arbeit und seine Studien schrieb Schärer
am 25. 8. 1941 an Missionar Karl Epple, den
besten Kenner der den Ngadju benachbarten
Ort Danum: „Nun arbeite ich auch an der Aus-
gabe des ersten Bandes, der etwa 650 Seiten
umfassen wird. Er behandelt (180 Selten) My-
then und dann die Texte zum Tantolak matei.
Ich denke im Oktober damit fertig zu werden
und hoffe, daß dieses Jahr noch mit dem Druck
begonnen werden kann. Danach unterbreche
ich die Materialausgabe und arbeite an meiner
Dissertation, in der auch Dein Material verar-
beitet wird. Ich werde hier mit Herz und Seele
Ethnologe. An De Josseling de Jong habe ich
einen sehr guten Lehrmeister. Er ist ein ein-
facher, gediegener und herzlicher Mensch, der
sehr viel verlangt, bei dem man arbeiten und
denken lernt. Er verlangt nicht nur Wissen,
sondern auch Liebe und Achtung für die Ein-
geborenen, und dadurch ist er mir sehr sym-
pathisch geworden“. (Den Brief verdanke ich
Schwester Amanda Epple). Bei dem erwähnten
„ersten Band“ handelt es sich um das nun vor-
liegende Werk: es dauerte also 25 Jahre bis es
veröffentlicht wurde. In den folgenden Jahren
arbeitete Schärer vor allem an seiner Disser-
tation und schrieb zudem noch einige kleinere
Studien (Cultureel Indie Bd. 4, 1942; Evang.
Missions-Magazin Bd. 88, 1944 und Bd. 89,
1945). Gegen Kriegsende ging Schärer in die
Schweiz, kehrte aber schon 1946 nach Leiden
zurück, um die Studien abzuschließen und zu
promovieren. Die Dissertation erschien 1946
unter dem Titel „Die Gottesidee der Ngadju-
Dajak in Süd-Borneo“ bei E. J. Brill in Leiden.
Bald nach seiner Promotion fuhr Hans
Schärer wieder nach Südost-Borneo und über-
nahm das Präsesamt der Basler Mission für die-
sen Bereich. Schon am 10. Dezember 1947
Buchbesprechungen
169
starb er dort an den Folgen einer Blutvergif-
tung. Welchen Verlust der frühe Tod des Mis-
sionars und Forschers für die Religionsethno-
logie bedeutet, lehrt schon ein Blick in die Ein-
leitung des Buchs. Hier entwickelt Schärer sei-
nen Plan für das Gesamtwerk; in vier Bänden
sollte das Material zum Totenkult dargeboten
werden, ein fünfter Band die Zusammenfas-
sung und Analyse sowie das Bildmaterial und
das Register enthalten. Schärer schätzte den
Gesamtumfang des Werks auf etwa 2400 Sei-
ten. Eine Inhaltsübersicht der vier Material-
bände geht über elf Seiten, und allein dieses
Verzeichnis der Kapitel und Abschnitte ist
schon eine Quelle von außerordentlichem
Wert. Schärer hatte sich schon rein arbeits-
mäßig (man denke nur an die Übersetzung
der Texte aus der schwierigen Priestersprache)
eine gewaltige Aufgabe gestellt. Das 1966 er-
schienene Buch mit seinen Immerhin 963 Sei-
ten ist also nur der „erste Band“, quasi die
Ouvertüre des geplanten Gesamtwerks. Es ist
für denjenigen, der sich speziell für die Reli-
gion der Ngadju-Dajak interessiert, geradezu
schmerzlich, wenn er bei besonders wichtigen
Erscheinungen und Problemen, für die er sich
hier endlich Aufschluß erhofft, häufig genug
auf einen der folgenden Bände verwiesen
wird, wo das betreffende Thema ausführlich
behandelt werden soll.
Das vorliegende Werk erschien in zwei un-
terschiedlich großen Teilbänden. Der erste
Teil (260 Seiten) enthält „Mythen zum Toten-
kult“. Die meisten der Texte hat Schärer selbst
gesammelt, einige stammen von anderen Au-
toren (Hardeland, Schwaner, Hupe u. a.) und
sind bereits publiziert (z. T. in wenig bekann-
ten Missionszeitschriften). Nicht alle der auf-
geführten Mythen betreffen unmittelbar den
Totenkult; manche handeln vom Schöpfungs-
geschehen, vom Ursprung der Nutzpflanzen,
des Eisens, des Goldes oder der Edelsteine. Die
Texte werden von Schärer (abgesehen von ei-
nigen Anmerkungen) nicht weiter kommen-
tiert. Der zweite Teilband mit dem Titel
„Handlungen und Texte zum Totenkult“ ent-
hält nun schon die von Schärer übersetzten
Aufzeichnungen des ehemaligen Priesters Sa-
lilah. Es werden hier drei Komplexe des To-
tenkults behandelt. Zunächst geht es um die
Handlungen beim „plötzlichen Tod“. Wie bei
fast allen altindonesischen Völkern erfahren
auch bei den Ngadju die Menschen, die nicht
im hohen Alter ihren „reifen Tod“ (matei ma-
sak) haben, sondern vorzeitig durch Krank-
heit, Unglücksfall oder Selbstmord aus dem
Leben scheiden, eine gesonderte Behandlung
Im Totenkult, denn ihr Schicksal ist auch für
die Angehörigen und das Dorf unheilbringend.
Über die besonderen Vorkehrungen in ihrem
Fall handeln etwa 120 Seiten, während man in
der übrigen Literatur nur wenige konkrete An-
gaben über dieses Thema findet. Nun folgt
eine Aufstellung über die wichtigsten Pali-
oder Verbotsbestimmungen, die während der
verschiedenen Phasen des Totenkults zu be-
achten sind. Dem dritten Komplex, den Schä-
rer mit „Tantolak matei (Das Wegschieben des
Todes)“ umschreibt, gilt fast die Hälfte des
ganzen Buches (S. 414—829). Es handelt sich
im wesentlichen um eine Zeremonie, bei der
die Seele des Verstorbenen von den Priestern
zu einem vorläufigen Aufenthaltsort geleitet
wird, wo sie bis zum abschließenden Totenfest
(Tiwah), das Jahre später gefeiert werden
kann, ausharren muß. Zugleich wird damit
(verbunden mit Reinigungshandlungen) das
Unheil vertrieben und die durch den Tod ge-
störte Ordnung provisorisch (endgültig erst
beim Totenfest) wiederhergestellt.
Das „Tantolak matei“ ist keineswegs eine
zentrale oder sehr wichtige Zeremonie, aber
dennoch spiegelt sich In ihrem Ablauf der
ganze Reichtum der Ngadju-Religion wider.
Die priesterlichen Handlungen und Gesänge,
die sich über eine ganze Nacht erstrecken, ver-
gegenwärtigen (meist nur in Chiffren und An-
deutungen) die Schöpfung und das Wirken der
Gottheit, sie geben Einblick in die Gefilde der
Ober- und Unterwelt, berichten von hilfrei-
chen Sangiang und anderen Zwischenwesen,
die ja auch die eigentliche Arbeit des Seelen-
geleits verrichten und durch den Mund des
Priesters sprechen. Die ausführliche und bis ins
Detail gehende Darstellung des „Tatolak ma-
tei“ geht somit in ihrer Bedeutung weit über
ihr engeres Thema hinaus. Da viele Kulthand-
lungen der Ngadju nach einem ähnlichen Prin-
zip verlaufen, lassen sich auch Rückschlüsse
auf andere und wichtigere Zeremonien ziehen,
die uns vergleichsweise nur aus kümmerlichen
Textfragmenten und Beschreibungen bekannt
sind. Schärer vermag in seiner Übersetzung,
obwohl er sich um genaue und wortgetreue
Wiedergabe bemüht, die außerordentliche
Bildhaftigkeit und die Poesie der Priester-
gesänge zu bewahren. Wie schon die Heraus-
geber in ihrem Vorwort betonen, ist ein solch
umfangreicher kontinuierlicher Text auch für
die Sprachwissenschaft von hohem Wert, zu-
170
Buchbesprechungen
mal in ihm viele Elemente der altertümlichen
Priestersprache (basa Sangiang) enthalten sind.
Die Lektüre des „Totenkults der Ngadju Da-
jak“ Ist oft mehr als schwierig, und selbst den-
jenigen, denen die Literatur über die Ngadju-
Religion vertraut ist, werden viele Passagen
unverständlich bleiben. Die zahlreichen An-
merkungen Schürers helfen nicht immer wei-
ter; es handelt sich schließlich um eine Mate-
rialausgabe, weitere Erklärungen wären si-
cherlich in dem fünften Band des geplanten
Gesamtwerks gefolgt. Schürer räumt übrigens
ein, daß ihm der Sinn der einen oder anderen
Textstelle selbst verschlossen blieb.
Zusammenfassend läßt sich sagen, obwohl es
sich bei dem vorliegenden Werk um ein Frag-
ment (d. h. das Fünftel des Gesamtwerks) han-
delt, wird doch unsere Kenntnis von der
Ngadju-Religion ungemein bereichert, ja auf
eine ganz andere Basis gestellt. Das Konin-
klijke Instituut voor Taal-, Land- en Volken-
kunde zu Leiden, das schon Schürers Haupt-
werk „Die Gottesidee der Ngadju Dajak“
(1946) ins Englische übersetzen ließ („Ngadju
Religion“, The Hague 1963), hat sich mit die-
ser Veröffentlichung große Verdienste erwor-
ben. Die Drucklegung des nachgelassenen Ma-
nuskripts hat sicherlich nicht nur enorme Ar-
beit, sondern auch erhebliche Kosten verur-
sacht. Dem Team der Herausgeber sowie auch
allen Personen und Institutionen, die zur Fi-
nanzierung beigetragen haben, gebührt Dank
und Anerkennung.
Waldemar Stöhr
JAAP KUNST:
Hindu-Javanese Musical Instruments.
(= Koninklijk Instituut voor de Taal-,
Land- en Volkenkunde, Translation Series
12.) The Hague: Martinus Nijhoff. Second
Revised and Enlarged Edition. 1968. XII
+ 156 S., 121 Abb. Preis: hfl. 24.—.
Nun liegt in der „Translation Series“ eine
durchgesehene und erweiterte Ausgabe von
Jaap Kunsts „Hindoe-Javaansche Muziek-In-
strumenten, speciaal die van Oost-Java“ vor.
Die erste Fassung — holländisch geschrieben
und in Indonesien erschienen — fand nur einen
begrenzten Leserkreis. Ein weiterer Grund da-
für mag im Erscheinen von Kunsts zweibän-
digem Werk „De toonkunst van Java“ (s’Gra-
venhage, 1934) zu sehen sein, welches manch
ein Ergebnis von HJMI übernahm und seit
1949 in erweiterter Form in englischer Über-
setzung vorlag.
Die englische Ausgabe der erweiterten Fas-
sung von 1927 bietet ein Kompendium der in
Quellen der hindu-javanischen Zeit (Tempel-
reliefs, Terracotta-Statuetten, Urkunden in
Metall und Stein, altjavanische und altbali-
sche Literatur) und in chinesischen Chroniken
genannten und gezeigten sowie der durch Aus-
grabungen gewonnenen Musikinstrumente Ja-
vas. Korrekterweise hätte in diese Richtung
auch der Titel des Bandes gehen sollen, da
m. E. unter hindu-javanischen Musikinstru-
menten solche zu verstehen sind, die ihr Vor-
kommen auf Java indischen Einflüssen ver-
danken. Unter den genannten Instrumenten
sind jedoch solche, die mit großer Wahrschein-
lichkeit schon vor der Zeit der indischen Ein-
flüsse auf Java bekannt waren wie etwa die
Schlitztrommel (56—58). Oder es findet sich
ein Instrument, das zwar zur Zeit des Reiches
Majapahit abgebildet (und gespielt?) wurde,
seiner Herkunft nach aber mit dem mittel-
alterlichen türkischen qopuz verbunden ist (14).
Weiter ist zu fragen, ob die Darstellungen et-
wa des Barabudur denn tatsächlich die Musik-
instrumente wiedergeben, die im 8. Jh. auf
Java in Gebrauch waren. Ich bezweifle, daß die
kugelförmige Schlitztrommel, die von Vietnam
(Fig. 107) und China (Reinhard 1956: 105) be-
kannt ist, jemals ein auf Java gebräuchliches
Instrument war, auch wenn sie auf einem Re-
lief des Barabudur dargestellt ist (58 und Fig.
5, 3). Ähnliches gilt für die Mundorgcl (27—28,
49). Kunst sagt dazu: „In Java the Instrument
is now extinct but in Borneo . . .“ (27). Wagner
(1959:27) folgerte aus der Darstellung des
Instruments auf einem Relief des Barabudur:
„ . . . und die Mundorgel Ist mithin zu jener
Zeit (Mitte des 8. Jh.) gewiß noch ein übliches
Instrument bei der Bevölkerung Javas gewe-
sen.“ In Anwendung dieses Verfahrens müßte
man annehmen, es sei im 12. und 13. Jh. In der
Provence üblich gewesen, Kamele zu halten,
da ein solches realistisch auf einem der Reliefs
der Abtei St. Gilles gezeigt wird. Jedes reli-
giös bestimmte Bauwerk zeigt zahlreiche Topoi,
und der Barabudur ist gewiß kein Spiegel der
Lebensformen auf Java im 8. Jh. Bezeichnen-
derweise sind auf einem Relief des Tempels
Mundorgel und kugelförmige Schlitztrommel
in einer Gruppe (als exotische Instrumente?)
dargestcllt. Ebenso bezeichnend ist das Fehlen
eines altjavanischen Namens für das Instru-
ment. Das Fehlen von ausgegrabenen Exempla-
ren erklärt Kunst (28) mit dem leicht ver-
gänglichen Material der Mundorgeln.
Buchbesprechungen
171
Bei mangelnder Übereinstimmung von Titel
und Text und bei fehlenden methodischen
Überlegungen bleibt der Band jedoch ein in
seinem Rahmen zuverlässiges Nachschlage-
werk. Den 89 Textseiten folgt ein ausführ-
licher Apparat. In zwei Tabellen werden die
schriftlichen Quellen — einmal chronologisch,
dann alphabetisch geordnet — aufgeführt. Es
folgt ein Fundregister von Musikinstrumenten
und Darstellungen von Musikinstrumenten.
Literaturverzeichnis, Index und die Abbildun-
gen beschließen den Band. Das Literaturver-
zeichnis ist — und nicht allein für verglei-
chende Arbeit — verbesserungsbedürftig. Im
Zusammenhang mit den beiden oben erwähn-
ten Musikinstrumenten vermißt man für die
Schlitztrommel die Arbeiten von Brandt Buys
1933 (Over spleettrommen en verwandten)
und Steinmann 1938 (Anthr. 33: 240—259),
für die Mundorgel die Artikel von Finster-
busch und Williams 1961 (Oceania 32: 178 bis
186). Wer mit indonesischer, speziell javani-
scher oder balischer Musik nicht vertraut ist,
wird (trotz 13facher Nennung im Index)
nicht erfahren, was für Skalen pélog und
sléndro sind. Man sollte diesen Band erst nach
oder gemeinsam mit Kunsts „Music in Java“
lesen.
Wolfgang Marschall
HENRI LAVON DÈS:
Bekoropoka. Quelques aspects de la vie fa-
miliale d'un village malgache. (= École Pra-
tique des Hautes Études — Sorbonne. Vie
Section: Sciences Économiques et Sociales.
Cahiers de l’Homme, NS VI.) Paris — La
Haye: Mouton &■ Co. 1967. 191 S., 28 Abh.,
12 Karten und Diagramme. Preis: FF 39.
Das Delta des Mangoky, im Südwesten
Madagaskars, ist eines der bedeutendsten land-
wirtschaftlichen Entwicklungsprojekte der ma-
degassischen Regierung. Große Flächen des
Alluvialbodens werden durch ein modernes
Bewässerungssystem in wertvolles Kulturland
umgewandelt, auf dem nach den neuesten wis-
senschaftlichen Methoden Baumwolle und Reis
angebaut wird. Da dieses Gebiet völkerkund-
lich und geographisch noch wenig erforscht
war, wurde eine Gruppe von Wissenschaft-
lern dorthin entsandt, um die sozialen und
wirtschaftlichen Probleme dieser Region zu
studieren. Henri Lavondes war als Ethno-
soziologe Mitglied dieser Arbeitsgemeinschaft.
Von November 1957 bis November 1958 ar-
beitete er in verschiedenen Dörfern des Man-
goky-Deltas, vor allem aber in Bekoropoka,
wo er sich eine eigene Hütte bauen ließ.
Er lebte in der Dorfgemeinschaft von Beko-
ropoka, entweder im Dorf selbst oder, wäh-
rend der Feldarbeiten, in den kleinen Weilern
im Überschwemmungsgebiet, wo die zum Dorf
gehörenden Kulturen liegen. Ein weiterer Auf-
enthalt von Bekoropoka von März bis Sep-
tember 1961 ergänzte seine Forschungsarbei-
ten. Die Ergebnisse dieser völkerkundlichen
Forschungen veröffentlichte Lavondes 1967 im
vorliegenden Buch.
Nach einer historischen und kulturgeogra-
phischen Einführung beschreibt der Autor das
kulturelle Milieu und die Wirtschaftsform von
Bekoropoka. Die Bewohner, zur ethnischen
Gruppe der Masikoro gehörend, sind Boden-
bauer. Sie pflanzen auf den Alluvialböden
Mais, Maniok, Süßkartoffeln, Bohnen, Erd-
nüsse und Bananen. Jede Familie bearbeitet
ungefähr einen Hektar Kulturland. Obwohl
das Dorf nur fünf Kilometer vom Meer ent-
fernt liegt, betreiben die Masikoro keinen
Fischfang. Die Zebuherden haben zwar große
wirtschaftliche und soziale Bedeutung, die
Viehzucht ist aber nicht die Hauptbeschäfti-
gung der Masikoro wie oft behauptet wird.
Ein Mitglied der Familie genügt, um die Her-
den zu hüten.
Der Schwerpunkt der Arbeit von Lavondes
liegt in der Darstellung des sehr komplizierten
Verwandtschaftssystems von Bekoropoka. Die
scheinbare Einheitlichkeit In der madegassi-
schen Kultur führte zu oft wiederholten Theo-
rien und Auffassungen über die Gesellschafts-
formen, die einer kritischen Betrachtung nicht
standhalten. So wurde zum Beispiel angenom-
men, daß das patrilineare Verwandtschafts-
system mit einigen matrilinearen „Überresten“
für alle Stämme gültig sei. Lavondes fand nun
nach einer mit wissenschaftlicher Genauigkeit
durchgeführten Analyse aller Verwandt-
schaftssysteme von Bekoropoka und den um-
liegenden Dörfern, daß es keine allgemeingül-
tigen Regeln gibt. Neben einem unilinearen
und einem bilateralen gibt cs ein „quasiuni-
lineares“ System. Er unterscheidet auch genau
zwischen dem von Indonesien und den von
Afrika herstammenden Systemen. Der Autor
definiert den Begriff des „foko“ = Clan und
„firazana“ = Lineage. Sehr aufschlußreich
sind die Kapitel über das Kastenwesen und die
Bodenrechte. Das Nutzungsrecht des Kulturlan-
des kann in beiden Linien vererbt werden. Im
allgemeinen vererben die Eltern ihren Grund-
172
Buchbesprechungen
besitz zu gleichen Teilen ihren Söhnen und
Töchtern. Stirbt eine kinderlose Frau so erbt
nicht der Ehemann, sondern ihr Bruder das ihr
gehörende Land. Früher gab es für eine Ein-
zelperson kein Eigentumsrecht, sondern nur
ein Nutzungsrecht für das von ihr bearbeitete
Feld. Fleute aber wird Bodenbesitz schon als
Kapital betrachtet, das einen Wertzuwachs hat.
Die vorliegende Publikation wirkt trotz der
Fülle des Materials nie verwirrend, sie ist klar
und deutlich ohne vage Formulierungen ge-
schrieben. Der Autor versucht nie, zu verallge-
meinern. Die 28 ausgezeichneten Schwarz-
Weiß-Fotos und die 12 Planskizzen bereichern
das Buch. Nicht unerwähnt bleiben soll ein
Wörterverzeichnis, das die im Text vorkom-
menden madegassischen Ausdrücke erklärt.
Lotte Schomerus-Gernböck
WALTER W. BISHOP and
J. DES MOND CLARK:
Background to Evolution in Africa. Chi-
cago & London: The University of Chicago
Press. 1967. X + 935 S., zahlr. Kartenskiz-
zeny Graphiken, Zeichnungen und Tabellen
im Text, 9 Abbildungstafeln. Preis: U. S.
$ 27.50 oder £ /2/7.
Der Ablauf des 5. panafrikanischen Kon-
gresses für Vorgeschichte (Teneriffa 1963)
zwang zu der Erkenntnis, daß eine allgemein-
verbindliche Fachsprache und die Beleuchtung
der Problemstellungen unbedingt notwendig
waren. Darüber hinaus wurde das Fehlen des
unmittelbaren Kontaktes zu Wissenschaftlern
eng verwandter oder sich ergänzender Diszi-
plinen, zu deren Terminologie und neuesten
Ergebnissen so stark empfunden, daß ein Sym-
posium vor dem nächsten Kongreß (Dakar
1967) notwendig schien. Dieses fand im Som-
mer 1965 auf Burg Wartenstein in Österreich
unter dem Thema „Systematic Investigation of
the African Later Tertiary and Quaternary“
statt. Die „Wenner-Gren Foundation“ über-
nahm die Finanzierung sowohl des Sympo-
siums als auch der darüber berichtenden Publi-
kation. Vier Wochen lang wurde referiert und
diskutiert, und letztlich einigte man sich auf
mehrere Empfehlungen, die den nicht teilneh-
menden Kollegen als Richtschnur dienen soll-
ten. Jeder der 36 Wissenschaftler war auf sei-
nem Forschungssektor während der letzten
zehn Jahre unmittelbar im afrikanischen Kon-
tinent tätig. Mit der Teilung des Symposiums
in drei auf jeweils acht Tage angesetzte Sek-
tionen, „Paläontologie“, „Stratigraphie“ und
„Archäologie“, wurde den unterschiedlichen
Wissens- und Interessengebieten der Teilneh-
mer Rechnung getragen und ein konzentriertes
Arbeiten ermöglicht. In jeder Sektion waren
jedoch auch einige Teilnehmer, der anderen
Arbeitsgruppen vertreten, so daß eine inter-
disziplinäre Kommunikation gewährleistet
war, zumal kein Referat so fachgebunden sein
konnte, daß es nicht spätestens im Laufe der
Diskussion zu Berührungen mit den jeweiligen
„Hilfswissenschaften“ kam. Die prähistorische
Archäologie beherrschte sowohl durch die
Fragestellungen an die anderen Sektionen als
auch durch Referate- und Teilnehmerzahl das
Symposium. Die geladenen Vertreter der ver-
schiedenen Fachrichtungen innerhalb der Geo-
logie, Paläontologie und „Anthropology“ ka-
men zu je etwa einem Drittel aus Afrika,
Nordamerika und Westeuropa, wobei aus
deutschen Instituten kein Wissenschaftler zu-
gegen war. Ethnologie und physische Anthro-
pologie waren nicht vertreten.
Die insgesamt 42 Referate wurden in Eng-
lisch oder Französisch gehalten. Die franzö-
sischsprachigen Teilnehmer paßten sich der
Mehrheit an, wenn sie die Diskussionen meist
In Englisch führten. In der jeweils anderen
Sprache wurden für den Druck knappe Zusam-
menfassungen vorangestellt.
Mit diesem Buch wird der in Quartärfor-
schung Afrikas spezialisierte Fachmann ange-
sprochen. Das sowohl zeitlich als auch räumlich
große Arbeitsfeld stand der im Symposium-
titel durchklingenden Hoffnung entgegen, daß
eine ganz Afrika einschließende „systematic
investigation“ möglich sei. Man kann eher von
einer Beleuchtung dessen sprechen, was sich
„hinter den Kulissen“ der afrikanischen Quar-
tärforschung zwischen den Kongressen von Te-
neriffa und Dakar abgespielt hat. Die Teil-
nehmerzahlen — ca. 40 in Teneriffa, ca. 150
in Dakar — zeigen deutlich, daß man nicht
mehr wie hier bei dem Symposium ,unter sich“
ist. Inzwischen wird in begrenzten Regionen
Afrikas durch eine steigende Zahl von ortsan-
sässigen Wissenschaftlern eine Fülle von Mate-
rial bearbeitet und in regional aufgestellte Ab-
folgeschemata eingegliedert. Bestenfalls für
die älteste Steinzeit kann noch von einer ge-
meinsamen Grundlage zur Verständigung zwi-
schen Atlas und Kap gesprochen werden.
Wenngleich sich während des Symposiums ein
gewisser Schwerpunkt in dem Kreis um Des-
mond Clark bildete, und die französischen
Teilnehmer In einer auffallend geschlossenen
Buchbesprechungen
173
Gruppe auftraten, so kam doch bei diesem
Treffen von hervorragenden Wissenschaftlern
der Stand der Forschung recht klar zum Aus-
druck — auch in seinen Divergenzen und Miß-
verständnissen, die oft auf Unkenntnis orts-
gebundener Probleme beruhten.
Der Titel des Buches sollte nicht so verstan-
den werden, als ob dem Unkundigen ein
„Background“ für andere Arbeiten vermittelt
würde. Die Lektüre setzt eigentlich eine sehr
genaue Kenntnis der in den Referaten genann-
ten Literatur voraus. Der Rahmen ist aber von
Geologie und Paläontologie zur prähistori-
schen Archäologie so weit gespannt, daß selbst
den meisten Teilnehmern des Symposiums eine
echte Bewertung der in den anderen Sektionen
geleisteten Arbeit schwerfallen dürfte. Das
soll keineswegs heißen, daß eine „Zusammen-
arbeit“ der hier vorgeführten Art (zumindest
in geographisch begrenzten Gebieten) nicht
verstärkt werden sollte.
Dem weiteren Leserkreis wäre das Ver-
ständnis wesentlich erleichtert worden, wenn
das Buch, das als Symposiumbericht ohnehin
aufwendig — auch in Karten und Tabellen —
gestaltet Ist, mit noch mehr Illustrationen zu
den Fundstücken bereichert worden wäre, die
den meisten Referaten und Diskussionen zu-
grunde lagen.
Die Tatsache, daß sich inzwischen selbst
Prähistoriker mit Forschungsschwerpunkt in
Afrika angesichts der Fülle des Materials und
der unterschiedlichen Gegebenheiten des gro-
ßen Kontinentes spezialisieren müssen, wird
von denjenigen Ethnologen, die glaubten, „ne-
benbei“ aktiv an der prähistorischen Archäolo-
gie Afrikas teilnehmen zu können, vielleicht
betrübt, eventuell auch „erleichtert“ registriert
werden. Dies gilt auch für die Bearbeitung der
„Eisenzeit“, die auf Burg Wartenstein auffal-
lend stark vertreten war. Zwar haben die sich
hierbei ergebenden Probleme wenig Berüh-
rungspunkte mit den Themen der anderen bei-
den Sektionen, andererseits sind Methoden,
Terminologie und Fragestellungen so fest in
der prähistorischen Archäologie verankert, daß
eine Trennung unmöglich geworden ist. Clarks
Referat ,The Problem of Neolithic Culture in
Subsaharan Africa (S. 601—627)‘ führte zur
allgemein akzeptierten Feststellung, daß der
Terminus „Neolithikum“ südlich der Sahara
(nach Clarks Meinung auch in der Sahara)
kaum anwendbar ist. Mit den Problemen des
„Neolithikums“ sind aber auch die der „Eisen-
zeit“ verzahnt, zumal immer mehr stratigra-
phische Befunde und C14-Daten das zeitliche
Nebeneinander selbst in kleineren Regionen
bestätigen. Das gleiche gilt für das „Later
Stone Age“ des südlichen Afrika, das offenbar
in Rhodesien bis in die 2. Hälfte des 1. Jahr-
tausends n. Chr. (R. Summers ,Iron Age Indu-
stries of Southern Africa, with notes on their
chronology, terminology and economic Status',
S. 687—700), in Uganda und Tansania sogar
bis über das 15. Jahrhundert n. Chr. hinaus
reicht (M. Posnansky, ,The Iron Age in East
Africa', S. 629—649). Die eisenführenden
Gruppen werden andererseits für Zambia und
Rhodesien inzwischen schon um Christi Geburt
angesetzt (B. M. Fagan, The Iron Age Peoples
of Zambia and Malawi, S. 659—686 und Sum-
mers a. a. O.).
Einige eisenzeitliche Gruppen sind in Ost-
und Südafrika über mehrere Jahrhunderte,
teilweise sogar über ein Jahrtausend in ihrer
materiellen Kultur zu verfolgen. Durch ört-
liche, historisch gesicherte Ereignisse, die grö-
ßere kulturelle und politische Veränderungen
erbrachten, sehen die einzelnen Wissenschaftler
die Grenze ihres prähistorischen Aufgabenbe-
reiches zur Historie und Ethnologie. In Süd-
und Ostafrika Ist diese nach Summers nach der
„explosion“ der Zulu gegeben (etwa 1820—
1840).
Schwieriger wird die Trennung der Arbeits-
bereiche in jenen Gebieten, in denen weder eine
archäologische Stratigraphie noch umfangrei-
chere ethnologische Untersuchungen zur mate-
riellen Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts
vorliegen. Das wird deutlich in dem Referat
von J. Nenquin, ,Notes on the Protohistoric
Pottery Cultures ln the Congo-Rwanda-Bu-
rundi Region', S. 651—658. Der Referent kann
aus diesem Gebiet, das etwa dreimal so groß
wie Frankreich Ist, meist nur Keramik aus
Oberflächenfunden vorlegen. Bemerkungen
wie: „relative scarcity of the known evi-
dence“, „nothing is known about its date“,
„all one can do is to describe them“ zeigen,
wie weit man hier noch davon entfernt ist, aus
diesen Funden kulturhistorische Schlüsse abzu-
leiten. Freilich ist J. Nenquin wohl auch des-
halb besonders skeptisch, weil ihm die Proble-
matik der „ethnischen Deutung“ prähistori-
scher Funde aus seinem ursprünglichen Ar-
beitsgebiet in Belgien nur zu geläufig ist. Vor
allem fehlt aber auch eine systematische Be-
schreibung der rezenten und subrezenten Ke-
ramik der dortigen Stämme.
174
Buchbesprechungen
Ähnliche Probleme bestanden für Mocam-
bique. Summers stellt fest; „at present we
know nothing about its later prehistory" und
„hardly anything is known about Iron Age
industries in Mozambique, for at present very
little interest seems to be taken in pre-Portu-
guese history“ (Summers, a. a. O. 698). Diese
Lücke konnte inzwischen wenigstens teilweise
von G. Smolla und dem Rezensenten geschlos-
sen werden. Im Rahmen des DFG-Projektes
„Afrika-Kartenwerk“ fand 1968 eine Bege-
hung — besonders des südlichen Küstengebie-
tes — von Mocambique statt. Aber auch hier
ist über die rezente Keramik leider noch nichts
publiziert worden, was Vergleichsmöglichkei-
ten erlaubt.
Aus der Fülle des Gebotenen bleibt noch
für den Leserkreis dieser Zeitschrift zu er-
wähnen, daß Probleme der Felsbilderfor-
schung in mehreren Referaten anklingen,
wenngleich diesem Thema keine spezielle Ab-
handlung gewidmet war. In weiterem Sinne
sind jedoch für dieses Spezialgebiet heranzu-
ziehen: aus der Sektion Paläontologie die bei-
den Referate von E. S. HIggs, ,Faunal Fluc-
tuations and Climate in Libya“ (S. 149—163)
und ,Early Domesticated Animais in Libya“
(165—173), aus der Sektion Stratigraphie J. de
Heinzelin, ,Pleistocence Sediments and Events
in Sudanese Nubia“ (S. 313—328) und Karl
W. Butzer/Carl L. Hansen, ,Upper Pleistocene
Stratigraphy in Southern Egypt“ (S. 329—356).
Die ,Discussions on Terminology“ (S. 861—875)
und die zweisprachigen ,Recommendations“
(S. 879—901) beschäftigen sich vornehmlich
mit Problemen, die kaum Berührungspunkte
mit der Ethnologie haben. Dennoch wird
mehrmals angedeutet oder ausgesprochen, daß
auf ethnographische und historische Quellen
bei der Interpretation archäologischer Befunde
— besonders des „Later Stone Age“ und der
„Eisenzeit“ — nicht verzichtet werden kann.
Die Bearbeitung und Veröffentlichung moder-
ner afrikanischer Keramik (19.—20. Jahrh.)
wird im Rahmen der „Ethnoarchäologie“ als
vordringlich für eine Zusammenarbeit erbeten.
Manfred Korfmann
INGE HOF MANN:
Die Kulturen des Niltals von Aswan bis
Sennar vom Mesolithikum bis 2um Ende
der christlichen Epoche. (— Monographien
zur Völkerkunde, Bd. IV, hersg. vom Ham-
burgischen Museum für Völkerkunde. Ham-
burg: Kommissionsverlag Gram, de Gruyter
& Co. 1967. XVI + 685 S., 10 Tafeln mit
Abb. Preis: DM 80.—.
Mit der verhältnismäßig guten Erforschung
der Ereignis- und Kulturgeschichte des nörd-
lichen Niltals wuchs das Bestreben, die Aus-
strahlungen der alt-ägyptischen Kultur in die
benachbarten Gebiete bzw. über deren Ver-
mittlung nachdem gesamten nördlichen Afrika
zu untersuchen. Um die archäologischen Funde
und Befunde der Nachbarräume zeitlich zu
gliedern, mußte man sich an der ägyptischen
Chronologie orientieren.
Inzwischen hat sich das geändert. Nach dem
zweiten Weltkrieg wurde die Forschung in
Palästina-Syrien, im nördlichen Afrika west-
lich des Nils, in Nubien und dem Sudan inten-
siviert. Unter teilweise veränderten politischen
und finanziellen Voraussetzungen erstellte eine
neue Generation von Wissenschaftlern Sche-
mata der absoluten und relativen Chronolo-
gie, die von den in Ägypten gewonnenen For-
schungserkenntnissen weitgehend unabhängig
sind.
In besonderem Maße gilt dies für die Vor-
geschichtsforschung, die seit Jahrzehnten in
dem Gebiet nördlich des Aswandammes nahe-
zu brach liegt. Hier sind die in den Nachbar-
räumen tätigen Wissenschaftler auf dem besten
Wege, die aus den alten ägyptischen Grabun-
gen gewonnenen Ergebnisse an ihren eigenen
zu messen. Verfeinerte Ausgrabungsmetho-
den und Datierungsmöglichkeiten sowie die
Fülle des Vergleichsmaterials am Ort schaffen
die Grundlagen für diesen Umkehrungspro-
zeß.
Das im Titel genannte Arbeitsgebiet „Von
Aswan bis Sennar“ (am Nillauf orientiert)
umfaßt eine Strecke, die mehr als doppelt so
lang wie die von Aswan bis zum Delta ist.
Allein die Luftlinie von Aswan bis Sannar be-
trägt 1200 km. Die behandelten Abschnitte
„Vom Mesolithikum bis zum Ende der christ-
lichen Epoche“ entsprechen etwa sechs- bis
siebentausend Jahren.
Über diesen großen Raum wirkte in allen
Zeiten ägyptische Kultur nach „Afrika“. Dies
gilt sowohl für die Nord-Süd- als auch für
den größten Teil der Ost-Westbeziehungen.
Andererseits verdankt Ägypten selbst der
Mittlerfunktion dieser Zone den größten Teil
seiner „afrikanischen“ Kulturkomponente.
Welcher Art und von welchem Ausmaß dieser
Beitrag ist, ist bisher nur schwer zu über-
blicken.
Buchbesprechungen
175
Das Buch von I. Hofmann wird zur Beant-
wortung dieser Fragen beitragen. Denn „auf
die Heranziehung von Kulturgütern, die durch
offensichtlich fremde Einflüsse, etwa der
Hochkulturen (Ägypten, Rom, Byzanz, Vor-
derasien) und deren Religion (....) entstan-
den sind, ist verzichtet worden“ (S. 2). Die
Verfasserin beschränkt ihre Untersuchung be-
wußt auf den kulturgeschichtlichen Ablauf.
Die Ereignisgeschichte wird allenfalls am
Rande eingeflochten.
Trotz des verbindenden Nilstromes dürfen
regionale Unterschiede politischer, wirtschaft-
licher und kultureller Art für alle Zeiten vor-
ausgesetzt werden. Deshalb teilt die Verfas-
serin ihr Arbeitsgebiet zunächst In zwei Zonen.
Sie beginnt dort, wo zu erwarten ist, daß die
„afrikanischen“ Kulturzüge am klarsten zu-
tage treten: mit dem Gebiet oberhalb des
4. Kataraktes. Auf etwa 50 Seiten schildert sie
in den Kapiteln: „I. Die Kultur des Khar-
tumer Mesolithikums“, „II. Die Kultur des
sudanischen Neolithikums“, „III. Die Kultu-
ren des Jebel Moya“ die bisher bekannte Kul-
turgeschichte eines Zeitraums von etwa vier-
bis sechstausend Jahren.
Um dem sich nördlich anschließenden Ge-
biet vom 1. bis 4. Katarakt bei der Behand-
lung der ungefähr gleichen Zeitspanne ge-
recht zu werden, behält die Verfasserin den
folgenden Abschnitten mehr als die Hälfte ihrer
Arbeit vor: „IV. Die mesolithische Kultur im
nubischen Niltal“, „V. Die neolithische Kultur
im nubischen Niltal“, „VI. Die Kultur der
A-Gruppe“, „VII. Die Kultur der ,B-Gruppe‘
und ihr Verhältnis zur A-Gruppe“, „VIII. Die
Kerma-Kultur", „IX. Die Kultur der C-
Gruppe“, „X. Untersuchung zur Herkunft der
C-Gruppe“, „XI. Die Kultur der D-Gruppe
als Mischkultur in Nubien zur Zeit des Neuen
Reiches“, „XII. Die Kulturen der meroitischen
Epoche“. Im zuletzt genannten Kapitel wird
die Kulturgeschichte der Reiche von Napata
und Meroe zusammen dargestellt. Da in die-
sem Kapitel das Gebiet sowohl unter- als
auch oberhalb des 4. Kataraktes behandelt
wird, ergibt sich eine zeitliche und räumliche
Überschneidung mit Kapitel III.
Mit etwa 130 Seiten werden (das gesamte
Arbeitsgebiet umfassend) „XIII. Die Kultur
der X-Gruppe“ und „XIV. Die Kultur der
christlichen Epoche“ vorgestellt.
Jedes dieser 14 Kapitel ist im jeweils glei-
chen Schema mit Daten zu den folgenden Un-
terteilungen gefüllt: 1. Bevölkerungsschicht,
2. Begräbnissitten unter sieben Gesichtspunk-
ten, 3. Körperbehandlung unter sieben Ge-
sichtspunkten, 4. Werkzeuge unter zwei Ge-
sichtspunkten, 5. Tonwaren unter zwei Ge-
sichtspunkten, 6. Hausbau, 7. Wirtschaftsfor-
men unter vier Gesichtspunkten, 8. Handel.
Diesem regelmäßigen Ablauf innerhalb der
Kapitel folgen jeweils Zusammenfassung und
Karte der Fundstellen.
Nach einer kurzen Schlußbetrachtung endet
das Buch mit einem etwa 1250 Titel umfassen-
den Literatur- und einem umfangreichen Stich-
wortverzeichnis. Zehn nach Abfassung der
Arbeit angefügte Abbildungstafeln stellen
einige Fundstücke der behandelten „Kulturen“
bzw. „Gruppen“ vor.
Mit bewundernswertem Arbeitseifer hat
Hofmann ein Handbuch zusammengestellt,
das eine weite Verbreitung verdient. Der Ar-
beit kommt die Nüchternheit zugute, mit der
die Verfasserin Daten aus einer weit verstreu-
ten und schwer zugänglichen Literatur heraus-
zieht und in ihr Schema einordnet. Eigene
kulturgeschichtliche Schlußfolgerungen werden
erfreulicherweise selten aus dem gesammelten
Material gezogen. Denn dieses Buch entstand
gerade noch vor der großen Flut, die mit dem
Erscheinen der Hauptpublikationen über die
Ergebnisse der neueren Rettungsarbeiten am
Aswandamm einsetzt. Zur Beurteilung dessen,
was die letzten Jahre der archäologischen For-
schung an Neuem gebracht haben, war ein
Innchalten und eine sachliche und cystemati-
sche Aufzählung des bis dahin Bekannten
außerordentlich wichtig. Dort aber, wo sich
die Verfasserin über den Rahmen der doku-
mentarischen Vorlage hinauswagt, findet der
aufmerksame Leser meist schon in dem Buche
selbst oder aber über die Kontrolle der Zitate
ausreichende Informationen, um sich mit den
Schlußfolgerungen kritisch auseinanderzuset-
zen. Auch das sollte positiv beurteilt werden.
Es kann nicht erwartet werden, daß selbst
eine so umfangreiche Arbeit, die einen so gro-
ßen zeitlichen und geographischen Raum be-
handelt, und in der die Ergebnisse verschiede-
ner Disziplinen und Fachrichtungen kompri-
miert werden, in allen Teilen gleichwertig ist.
Hier sollte sich der „Spezialist“ in der Kritik
vielleicht dahingehend beschränken, daß die
Verfasserin oft unkritisch alle ihr erreichbaren
Daten übernimmt. Er wird feststellen, daß
diese der Literatur entnommen und wieder-
gegeben sind, als gäbe es In der 60jährigen
Geschichte der archäologischen Erforschung
176
Buchbesprechungen
dieser Gebiete keine zeitgebundenen Interpre-
tationen. Der Wert als Dokumentation, die
teilweise dem Bereich der entsprechenden For-
schungsgeschichte angehört, ist jedoch nicht
zu bestreiten. Auf ein gefährliches Gebiet be-
gibt sich die Verfasserin allerdings dann, wenn
ihre Schlußfolgerungen oder weiterreichende
Erörterungen auf diesen undifferenzierten
Daten basieren. Der Leser wird sich freuen,
alles beachtet zu finden: nicht nur die Aus-
grabungsergebnisse dienten als Grundlage,
sondern ein großer Teil des Materials, beson-
ders für die späteren Epochen, beruht auf
ägyptischen Quellen, den Berichten antiker
Schriftsteller und auf moderner Sprachfor-
schung1). Meist wird der Leser selbst entschei-
den müssen, welchen Stellenwert er der Aus-
sage der entsprechenden ,Information* beimißt.
Das starre Schema, in dem jedes Kapitel
abgehandelt wird, kann sich natürlich nicht in
gleicher Weise „vom Mesolithikum bis zum
Ende der christlichen Epoche“ bewähren. Dazu
kommt, daß die zur Verfügung stehenden In-
formationen oft gar nicht ausreichen, um dieses
Schema in ertragbarem Rahmen zu füllen.
Dies soll an dem folgenden Beispiel aus dem
Kapitel „V. Die neolithische Kultur im nubi-
schen Niltal“ gezeigt werden. Im gleichen Zu-
sammenhang können auch die Kapitelunter-
teilungen „1. Bevölkerungsschicht“, „2. Be-
gräbnissitten“ und „3. Körperbehandlung“ mit
den dazugehörigen Gesichtspunkten vorge-
stellt werden (S. 66—68):
„I. Bevölkerungsschicht
Vier Kilometer nördlich von Wadi Haifa
hat man auf einer hochgelegenen Nilterrasse
70 Knochen, die von einem Erwachsenen und
einem Kind stammen, festgestellt. Eine erste
Untersuchung hat ergeben, daß beide Skelette
starke Augenwülste hatten (Solecki, Kush XI,
1963, 88 f.).
2. Begräbnissitten
a) Grabbau
Da man die Skelette dicht unter der Erd-
oberfläche fand, waren die Gräber möglicher-
weise flach angelegt worden. Die Grube ent-
hielt die Doppelbestattung eines Erwachsenen
und eines Kindes, von denen die erwachsene
’) Es ist bei dieser Arbeitsweise verständlich
und dem heutigen Forschungsstand entspre-
chend, daß die Verf. davon absah, die Fels-
bilder in größerem Umfange in Ihrer Arbeit
als Quelle zu erschließen.
Person in leichter Hockerstellung beigesetzt
war. Demnach muß es sich um ein ovales oder
rundes Grab handeln. Über dem Begräbnis-
platz erhob sich ein kleiner Hügel (mound)
aus Steinen.
b) Graborientierung
Eine Orientierung des Grabes läßt sich nicht
feststellen.
c) Skelettlage
Die beiden Skelette lagen in leichter Hocker-
stellung, wobei sich das Kind an den Erwach-
senen anschmiegte. Wahrscheinlich handelt es
sich um eine Mutter, die vielleicht vor oder
nach der Geburt starb, da das Kind sehr klein,
aber wohl kein Fetus mehr ist (Solecki a. a. O.
88).
d) Skelettorientierung
Der Ausgrabungsbericht erwähnt keine Ein-
zelheiten über die Orientierung der beiden
Leichen in dem Grab.
e) Leichenbehandlung
Für das nubische Neolithikum ist nur eine
Doppelbestattung einer Mutter mit ihrem Kind
belegt.
f) Menschenopfer
Die Frage nach Menschenopfern im nubi-
schen Neolithikum kann nicht beantwortet
werden, da diese Kultur nur durch ein Grab
belegt ist.
g) Tierbegräbnis
In dem neolithischen Grab aus der Wadi
Haifa-Region fanden sich keine Tierknochen.
Auch Einzelbestattungen von Tieren konnten
nicht nachgewiesen werden.
3. Körperbehandlung
a) Kleidung
Spuren von Kleidungsstücken sind nicht
vorhanden, und auch Selbstdarstellungen feh-
len.
b) Frisur
Aus diesem Grund läßt sich auch nichts
über die Haartracht der Träger des nubischen
Neolithikums aussagen.
c) Schmuckgegenstände
In Debeira fanden sich auf einem neolithi-
schen Siedlungsplatz Perlen aus Straußen-
eicrschalen (Wendorf, Kush XII, 1964, 17).
d) Schmuckmaterial
Außer Straußeneierschalen mögen auch Mu-
scheln und Schneckenhäuser ebenso wie Ge-
steinsarten zu Perlen oder Anhängern ver-
arbeitet worden sein. Doch fehlen bisher Be-
weise dafür.
Buchbesprechungen
177
e) Körperbemalung
Farbreste fanden sich bisher nicht.
f) Tatauierung
Auch hiervon fehlt jede Spur.
g) Deformation
Den bei Wadi Haifa gefundenen beiden
Skeletten fehlten zu viele Schädelknochen,
als daß etwa ein Feilen oder Entfernen der
Zähne hätte festgestellt werden können
(Solecki a. a. O. 88).“
Im „Tabellarischen Vergleich einiger Kul-
turelemente“ (S. 596) wird aus dem oben Zi-
tierten für das „Neolithikum Nubien“ der
Schluß gezogen, daß Tumuli und Hockerlage
mehrfach vorgefunden worden sind (s. Anm. 1,
S. 598), ja sogar, daß die Toten mit dem
Kopf nach Süden lagen, während der Blick
nach Westen gerichtet war.
Dieser Mangel, die Grenzen der Aussage-
kraft archäologischer Funde und Befunde zu
erkennen, ist in dem Buch leider oft zu finden.
Auch muß man feststellen, daß die Verfasse-
rin, auf den Text der archäologischen Publika-
tionen vertrauend, die ihr durch die Abbil-
dungen gegebenen Möglichkeiten nicht immer
voll ausschöpft. Manchmal besteht sogar An-
laß zum Zweifel, ob sie überhaupt die Mög-
lichkeit hatte, die Fundstücke in der zeich-
nerischen oder photographischen Vorlage samt
,Tafeltexten‘ in angemessener Weise in ihre
Datenkartei zu übertragen. Hier bestanden
angesichts des riesigen Materials offenbar
Schranken, die selten überwunden wurden.
So wird beispielsweise der für diese Arbeit so
wichtige Tafelband zu Reisners „Archaelogical
Survey of Nubia, Report for 1907—1908“ zu-
mindest in vielen Teilen nur vom Textband
her zitiert und beurteilt.
Ein besonders starkes persönliches Engage-
ment zeigt die Verfasserin bei der Behandlung
der X-Gruppe, aber auch bei der der christ-
lichen Epoche. Ihre Feststellung, daß man vor
dem 6. Jahrh. n. Chr. keine Spuren des Chri-
stentums in Nubien gefunden habe, wird
offenbar durch die Befunde in Faras (Kush
XIII, 1965, 177—189) aufgehoben.
Wie die aus dem Rahmen der Kapitelüber-
schriften des Buches fallenden Benennungen
der Kapitel VII und X mitteilen, hat sich die
Verfasserin bemüht, das Verhältnis der Kultur
der ,B-Gruppe‘ zur A-Gruppe zu klären und
die Herkunft der C-Gruppe zu untersuchen.
Auch bei diesen Ausarbeitungen wird das Ab-
folgeschema der besseren Übersicht wegen bei-
bchalten. Hofmann stellt fest, daß sich bei den
Gräbern, die bisher der ,B-Gruppe‘ zugeschrie-
ben wurden, alle Züge der A-Gruppe finden.
Sie seien lediglich ausgeraubte Gräber der
A-Gruppe. Dies wird sich noch gegen die
Meinung, daß bei der ,B-Gruppe‘ die Gräber
der armen Bevölkerungsschichten erfaßt wor-
den sind, behaupten müssen. Über die Zeit-
gleichheit wird es jedoch wohl keine größeren
Diskussionen mehr geben, zumal skandinavi-
sche Archäologen zu dem gleichen Ergebnis
gekommen sind.
Ebenfalls starke Beziehungen sieht sie zwi-
schen der Kerma-Kultur und der C-Gruppe.
Beide seien späte Ausläufer eines bisher uner-
forschten Komplexes, der letztlich seine Wur-
zel in wahrscheinlich prä-mesolithischer Zeit
im Sahara-Raum gehabt habe. Mit der Aus-
trocknung der Sahara seien Zweige dieser
unbekannten Ur-Kultur im Sudan in der Aus-
prägung des dortigen Mesolithikums und
— als ganz späte Ausläufer — in den „Kul-
turen des Jebel Moya“ zu erkennen. Auch
im „Mesolithikum“ und „Neolithikum“ Kenyas
treffe man Abspaltungen dieser Ur-Kultur an.
C-Gruppe und Kerma-Kultur ließen sich nur
aus einem irgendwo oberhalb des 4. Kata-
raktes gelegenen Substrat herleiten, da die
Verbindungen mit all den genannten Kulturen
zu auffallend seien.
Die Beweisführung sowohl bei der Ableh-
nung anderer Theorien zur Herkunft der
C-Gruppe als auch die Begründung der An-
nahme, daß sie aus dem Süden stamme, wird
wahrscheinlich in der vorgebrachten Weise
nicht viele überzeugen. Darüber, daß die C-
Gruppe mit der Kerma-Kultur verwandt ist,
bestehen jedoch kaum noch Zweifel.
Indem sich die Verfasserin „auf die konser-
vative Grundhaltung, die sich überall im afri-
kanischen Fundgut zeigt“ (G. Smolla) beruft,
glaubt sie den zeitlichen Unterschied, der die
genannten Kulturen — auch im Hinblick auf
die C-Gruppcn-Datierung — voneinander
trennt, als Faktor ausklammern zu dürfen.
In der Tat ergeben sich dann aus dem Ver-
gleichsmaterial für die C-Gruppe und Kerma-
Kultur einige Erscheinungen, bei denen man,
vorsichtiger ausgedrückt als bei Verfasserin,
auf Einflüsse schließen darf, die zumindest
teilweise aus dem Süden kommen, d. h. dem
Gebiet oberhalb des 4. Kataraktes. Hier wird
in den entsprechenden Punkten — und beson-
ders häufig — der Djabal Moya beweisfüh-
rend herangezogen. Einige der Faktoren, die
Hofmann anführt (nicht alle!), haben eine
12
178
Buchbesprechungen
Überzeugungskraft, die durchaus mit den
Gesichtspunkten konkurrieren können, die für
eine Herkunft der C-Gruppe aus der süd-
lichen Libyschen Wüste, oder — nach einem
Hiatus — aus einem Kulturkreis, der mit der
A-Gruppe eng verwandt ist, sprechen. Die
Verfasserin hat es nicht verstanden, ihre
These in angemessener Weise abzusichern. Der
Schlüssel liegt bei dem momentanen For-
schungsstand im Sudan einzig und allein bei
der Analyse der „Kulturen des Jebel Moya“
beziehungsweise, was noch wichtiger ist, deren
Datierung. Zwar findet man den Plural „Kul-
turen“ in der Kapitelüberschrift; leider fehlt
dann aber eine Erörterung, was Hofmann
unter den „Kulturen des Jebel Moya“ ver-
steht. Vollends unverständlich wird die Be-
zeichnung, wenn bei der Untersuchung zur
Herkunft der C-Gruppe von der „Kultur des
Jebel Moya“ gesprochen wird. Sie sei „auf-
grund gesicherter meroitischer Fundstücke in
die Zeit von 400 v. Chr. bis 400 n. Chr. da-
tiert“ (S. 291). Einige Kulturelemente seien
auf dem Djabal Moya, der ein ideales Rück-
zugsgebiet darstelle2), als Relikte einer frühe-
ren Epoche zu finden. Somit erscheine auch
eine Heranziehung dieser Kultur für einen
Vergleich der nubischen Kulturen mit denen
südlich des 4. Kataraktes berechtigt (S. 291 f.).
Die Datierung der Kulturen des Djabal
Moya ist aber in jeder Beziehung problema-
tisch. Leider wird das von Hofmann nicht ge-
nügend betont.
Die Grabungen am Djabal Moya (1910 bis
1914) wurden vornehmlich durchgeführt, um
den Bewohnern der Gasira Arbeit zu geben.
Die Eingriffe des privaten Geldgebers H.
Wellcome auch in das wissenschaftliche Ge-
schehen am Grabungsort hatten zur Folge, daß
der Stab von etwa 15—20 europäischen Mit-
arbeitern in jeder der drei großen Kampagnen
fast vollkommen erneuert werden mußte. Bei
jeder Kampagne wurden höchstens drei Ar-
chäologen eingesetzt, von denen sich nur einer
entschließen konnte, ein zweites Mal dabei zu
sein. Bis zu 3500 Arbeiter befanden sich am
Djabal Moya, eine Grabungsfläche von etwa
2) Da aber der Djabal Moya, wie sein Name
(Wasserberg) schon andeutet, einer der we-
nigen Punkte der Gasira zwischen Blauem
und Weißem Nil ist, der ganzjährig Wasser
hat, da sowohl Eisenbahn als auch Straße an
ihm heute vorbeiführen, kann es sein, daß er
nie Rückzugsgebiet, sondern eher das Ge-
genteil war.
20 000 mr war zu überwachen, weshalb die
Archäologen mit dem Tempo der Erdarbeiten
in ihrer Dokumentation nicht Schritt halten
konnten. Darüber hinaus bestand die Anwei-
sung, daß jedes Fundstück, das auf mensch-
liche Einwirkungen schließen ließ, nach Eng-
land zu bringen sei. Eine Nivellierung des
Grabungsgebietes wurde nie durchgeführt, die
Maße meist ab Oberfläche genommen.
Dieser kurze Einblick in die Grabungsgege-
benheiten am Djabal Moya soll hier nicht
weiter ausgeführt werden. F. Addison, der
Bearbeiter des Materials, hatte aber nicht nur
mit diesen Schwierigkeiten bei der Auswertung
zu kämpfen. Hunderte von Kisten stapelten
sich noch jahrelang nach der Grabung unbe-
arbeitet in englischen Lagerhäusern. Eines da-
von wurde überflutet. Die wichtigsten Funde
sind verlorengegangen, desgleichen viele Gra-
bungsunterlagen. Viele Inventarnummern wur-
den doppelt geschrieben. Kurz, die Unordnung
war komplett, als Addison 1937 mit der Aus-
wertung des Materials begann, die dann noch
einmal für sechs Jahre durch den Krieg unter-
brochen wurde. Er, der nicht an der Ausgra-
bung teilgenommen hatte, konnte aus den
Unterlagen und Funden in mühsamer Arbeit
eine Auswahl treffen und Schlußfolgerungen
ziehen, die seit 1949 gedruckt vorliegen.
Es ist unvermeidbar, diese wirklich außer-
gewöhnlichen Ereignisse zu betonen, wenn
man den Djabal Moya in die wissenschaftliche
Diskussion bringt.
Addison datierte die Siedlung und die fast
3000 Gräber des Djabal Moya in seiner
Hauptpublikation zwischen ca. 1000 v. Chr.
und den Anfang des 4. Jahrh. v. Chr. Denn er
kam nach einem Abwägen vornehmlich der
Aussagekraft eindeutig napatazeitlicher Funde,
die zwischen 750 und 500 v. Chr. zu datieren
sind, zu dem Schluß, daß die oberen Schich-
ten (A und B) des Djabal Moya ab dem An-
fang der Napatazeit bis zu deren Ende im
Anfang des 4. Jahrh. v. Chr. entstanden sind.
Den Beginn der untersten Schicht D schätzte
er auf etwa 1000 v. Chr.
Sieben Jahre später sah er sich durch die
Kritiken von A. J. Arkell (z. B. Journ. Preh.
Soc. 20, 1954, 126—130) zu einer Überprü-
fung seiner Datierung genötigt (Kush IV,
1956, 4—18). Denn Arkell erweiterte auf
Grund des vom Djabal Moya publizierten
Materials die Datierung in die meroitische
Zeit und in die Zeit vor dem Napatareich.
Einige Funde am Djabal Moya seien als Re-
Buchbesprechungen
179
likte des Khartum-Mesolithikums zu bewer-
ten. Auch fänden sich Anhaltspunkte in Fund-
stücken, die mit der C-Gruppe verwandt sind,
die aber „probably later than C Group“
seien.
Addison verlegte daraufhin die Datierung
der Fundstücke der „Schichten A und B“ in
die ersten drei oder vier Jahrhunderte n. Chr.
und setzte sie mit dem inzwischen von ihm
bearbeiteten und publizierten Fundort Abu
Geili (ebenfalls Wellcome-Grabung) gleich.
Deshalb müsse nach der schon in der Haupt-
publikation durchgeführten Schätzung das
Material der unteren „Schichten“ aus den letz-
ten Jahrhunderten v. Chr. stammen. Frühe-
stens begänne die Besiedlung am Djabal Moya
im 5. Jahrh. v. Chr.
Auch G. Caton-Thompson bezweifelte die
Datierung von Addison in dem Sinne, daß sie
bei mehreren Fundstücken gewisse Anklänge
an die materielle Kultur der C-Gruppe und
an das Neolithikum des Sudan findet (Nature
165, 1950, 87—88). Letztlich sei es wegen der
ungewöhnlichen Ausgrabungs- und Auswer-
tungsbedingungen klar, daß die Fundstücke
eher aus sich selbst datiert werden müßten, als
daß sie in eine eventuell „überrekonstruierte“
Stratigraphie gepreßt werden.
Mit ihrer Arbeit hatte Hofmann die große
Chance, dieser Forderung von Caton-
Thompson gerecht zu werden. Seit dem Be-
ginn der gigantischen Ausgrabungen und wäh-
rend der fast 40 Jahre bis zur Veröffent-
lichung erhoffte man sich von der Rekonstruie-
rung des Geschehens am Djabal Moya die Lö-
sung vieler Probleme afrikanischer Kultur-
geschichte (z. B. Ausbreitung des Eisens).
Die Lösung Hegt ganz gewiß nicht darin,
für das Kulturenkonglomerat Vergleichsplätze
zu suchen und einen ,Kulturkreis‘ zu schaffen.
Zehn Plätze, so kann man der Karte entneh-
men (S. 57), ließen sich finden. Im Text sind
es weniger. Eine post-neolithische, aber nicht
meroitische Einordnung der Fundorte, das
Fehlen von Metall, das auf dem Djabal Moya
spät und nicht eigenständig sei, und „die For-
men und Verzierungen der Töpfe dienten der
Zuordnung von Kulturen“ zu diesem Kreis.
Häufig sei es „nur eine Frage der Fundquanti-
tät und -qualität, zu welcher Kultur ein Sied-
lungs- oder Begräbnisplatz zu rechnen“ sei
(S. 37).
Ganz sicher gibt es bei einem Teil dieser
aufgeführten postneolithischen, aber nicht
meroitischen Fundorte den einen oder anderen
Fund oder Befund, dem man am Djabal
Moya in seiner Vielfalt der sich teilweise
widersprechenden Ergebnisse auch begegnet.
Warum hat die Verfasserin sich nicht bemüht,
mit relativ gesicherten Ergebnissen aus dem
Sudan, aber auch aus Nubien, das Dunkel um
die „Kulturen des Jebel Moya“ zu erhellen?
Hat sie die mit dieser Materialsammlung ge-
rade ihr gegebenen Möglichkeiten nicht er-
kannt? Fehlten ihr letztlich dann doch die Ab-
bildungen in ihrer Kartei, die Möglichkeit
zum vergleichenden Sehen? Für die Arbeits-
weise der Verfasserin scheint es typisch, daß
sie nicht die oben geschilderte Problematik der
Datierung berücksichtigt oder zumindest er-
wähnt und sich der Meinung des Bearbeiters
kritiklos anschließt.
Es muß noch einmal betont werden, daß
eine Bearbeitung der Kapitel in gleichbleiben-
der Intensität einfach nicht erwartet werden
konnte. Dafür waren die gestellten Aufgaben
zu groß. Da sich die Verfasserin aber über ihr
Thema hinaus auf den gewagten Weg begibt,
die Grundlagen der C-Gruppe (und der
Kerma-Kultur) im Süden zu suchen, hätte sie
ihrer These mit einer Analyse der „Kulturen
des Jebel Moya“ und einer kritischen Über-
prüfung der Datierung Gewicht verliehen. Auf
jeden Fall hätte der Leser aber in Form eines
kurzen Überblickes mit der in jeder Hinsicht
verwirrenden Lage am Djabal Moya vertraut
gemacht werden müssen. Denn erst dann wird
er ahnen, welcher Stellenwert bei der jetzigen
weitaus besseren Forschungslage in Nubien den
„Kulturen des Jebel Moya“ für den Sudan
zukommt.
Eine Bearbeitung des nicht publizierten, in
England gelagerten Materials wird nicht sehr
verlockend sein, wenn man bedenkt, daß nur
eine sorgfältige Grabungskampagne am Djabal
Moya oder in seiner Nähe gleichzeitig die
Stratigraphie erbrächte. So bleibt zunächst nur
eine systematische Auswertung des immerhin
umfangreich publizierten ausgewählten Mate-
rials, um die Lücke zwischen Khartum-Neo-
lithikum und meroitischer Epoche im südlichen
Sudan zu füllen (von Rez. vorbereitet).
Jeder, der sich mit der Kulturgeschichte des
Gebietes von Aswan bis Sannar oder dessen
Nachbarräumen beschäftigt, wird dieses Buch
immer wieder zur Hand nehmen. Das um-
fangreiche Stichwortverzeichnis und der über-
sichtliche Aufbau erleichtern die Benutzung.
Die jedes Kapitel abschließenden Karten zur
Lage der Fundorte und der „Tabellarische
180
Buchbesprechungen
Vergleich einiger Kulturelemente“ geben aber
nur einen groben Überblick. Bei der Auswer-
tung dieser Arbeit wird man sich jedoch an
den Originalpublikationen — schon der Ab-
bildungen wegen — orientieren müssen. Dies
wird durch die vielen in den Text flüssig ein-
gearbeiteten Referenzen und das sehr gute
Literaturverzeichnis (bis etwa 1964/65) er-
möglicht.
Für viele wird dieses Buch ermunternde
Grundlage zur Beschäftigung mit der Kultur-
geschichte des sudanischen und nubischen Nil-
tales sein. Das Ziel der Verfasserin, mit ihren
Untersuchungen eine „Vorarbeit“ zu leisten,
damit dieses Gebiet in seiner Bedeutung für
die gesamte Niltalforschung erkannt wird, ist
zweifellos erreicht worden. Die Verfasserin
hat sehr, sehr viel Arbeit in dieses Buch ge-
steckt, und das wird ihr der Linguist, Ägyp-
tologe, Ethnologe und Prähistoriker danken,
besonders dort, wo es um Epochen oder Dis-
ziplinen geht, in denen er nicht bewandert ist.
Freilich Ist das Buch „Vorarbeit“ in dem Sinne,
daß es bei zukünftigen „Fdauptarbelten“ zu
Einzelproblemen informativ gelesen werden
wird.
Es ist zu befürchten, daß dieses Buch zu
jenen gehört, die ausgiebig ausgewertet, aber
nur selten zitiert werden.
Manfred Korfmann
MICHEL LEIRIS und
JACQUELINE DELANGE:
Afrika. Die Kunst des schwarzen Erdteils.
Aus dem Französischen übertragen von Eva
Rapsilber unter wissenschaftlicher Mitarbeit
von Nikolaus Mikoletzky. München: Verlag
C. H. Beck. 1968. XII + 454 S., 445 Abb.,
davon 102 färb., 6 Karten. Preis: DM 110.—.
Nicht zur Frage steht, ob man den Gesichts-
punkt, den die Verfasser ihrer Arbeit über
afrikanische Kunst zugrunde legen, teilt oder
nicht teilt. Wichtig allein ist, daß sie einen
Gesichtspunkt haben. Darin unterscheiden
sie sich sehr vorteilhaft von den viel zu zahl-
reichen Publikationen über dieses Thema. Sie
versuchen neue Wege zu gehen und damit dem
Phänomen „afrikanische Kunst“ näher zu kom-
men. Die Zusammenarbeit von Leiris als einem
weit über die Grenzen Frankreichs hinaus be-
kannten Ästhetiker und hervorragenden Sti-
listen und Jacqueline Delange, der Leiterin der
afrikanischen Abteilung des Musee de l’Homme
in Paris mit einer enormen Erfahrung, dem
fundierten Fachwissen der Völkerkundlerin,
die In zahlreichen kleineren Arbeiten bereits
bewiesen hat, wie intensiv und seriös ihr Stu-
dium der afrikanischen Kunst ist, ergeben eine
gute Kombination.
Die beiden großen ersten Abschnitte des
Werkes — von Michel Leiris — bringen zu-
nächst eine Einführung in das Wesen schwarz-
afrikanischer Kunst und im zweiten Teil eine
systematische Aufgliederung der Kunstformen
Afrikas nach den von Marcel Mauss aufge-
stellten Kriterien: Künste des Körperschmuk-
kes, Kunstformen der Umweltgestaltung und
autonome figürliche Gestaltungen.
Er versucht Im ersten Teil mit den Mitteln
des Kunstwillens eines Kubismus und Expres-
sionismus, die Kunst Afrikas zu deuten und
ästhetisch zu erschließen, von der europäischen
Meinung her, daß die schwarzafrikanische
Kunst eine Rückkehr zu den Ursprüngen und
eine Abwendung vom graeco-latinischen Kunst-
ideal sei, gleichzeitig aber doch derselbe Nen-
ner für einen afrikanischen „Fetisch“ und et-
wa den Apollo vom Belvedere vorhanden ist.
Tatsächlich gelingt es Leiris, von den Mitteln
der europäischen ästhetischen Kunstinterpreta-
tion her das afrikanische Kunstwerk verständ-
lich zu machen, wie etwa, daß einzelne Ele-
mente des Kunstwerkes den Charakter von
Zeichen haben, Embleme sind, die bedeu-
ten und nicht nachahmen. Zu die-
ser Erkenntnis kann man allerdings im Einzel-
fall auch durch die Verwertung konkreter Aus-
sagen von Gewährsleuten, Stilanalyse und Stil-
vergleich kommen. Jedoch setzt dies eine un-
endliche Mühe an Kleinarbeit voraus oder
scheitert am Mangel an derartigen Informa-
tionen. Daher ist der indirekte Weg, den Leiris
einschlägt, als Anregung begrüßenswert, kann
aber nicht mehr als das sein, da er Fiypothese
ist und bleibt. Es erhebt sich ja Immer wieder
die Frage, ob Afrikaner und Europäer diesel-
ben Dinge gleich interpretieren oder ob etwa
die afrikanischen ästhetischen Begriffe andere
als die unseren sind. Untersuchungen über die-
ses Thema gibt es nicht. Die Sprache, die Leiris
als Bestätigung heranzieht, kann m. E. nicht als
schlüssiger Beweis gelten. Nur von wenigen
afrikanischen Völkern sind uns eigene Begriffe
für „schön“ und das „Schöne“ bekannt. In der
Regel deckt sich Ausdruck für „schön“ mit dem
Begriff „gut“, „wirksam“, oder „schön“ heißt,
was beim Beschauer die gewünschte Gefühls-
regung hervorruft: Trauer, Freude, Fieiterkeit,
Schreck usw., also etwas, was der Kurumba
vielleicht mit dem Wort „vollkommen“ be-
Buchbesprechungen
181
zeichnen will. Daraus ergibt sich wohl, daß
man vor allem den ästhetischen Wert eines
Objektes nur aus den Gegebenheiten seines ur-
sprünglichen Rahmens heraus untersuchen und
zu verstehen suchen soll, was dann in gedräng-
tester Form auch in dem von Jacqueline De-
lange stammenden Teil geschieht. Hier wird
ein sublimes Kunstempfinden von einer gro-
ßen fachlichen Kenntnis ergänzt.
Ein anderes, Leiris sehr interessierendes
Thema ist die Frage nach dem frei schaffenden
Künstler. Wenn er meint, daß der Künstler
trotz des Druckes, den die Ahnenreligion auf
sein Schaffen ausübt, in seiner Gestaltung doch
freier sei, als gewöhnlich angenommen wird,
so wäre es wohl notwendig, wenn eine solche
Behauptung auch durch einige Beispiele stil-
kritischer Vergleiche belegt würde. Es wäre
z. B. gar nicht schwierig gewesen, an Hand von
Ibedji der Yoruba auf die Unterschiede hin-
zuweisen, die durch die Herstellung in ver-
schiedenen Künstlerwerkstätten entstanden
sind, obwohl die traditionsgebundene Form
stets äußerst streng eingehalten wurde. Das-
selbe müßte bei einer Gegenüberstellung einer
größeren Anzahl von Bakuba-Kopfbechern
möglich sein, die ausgesprochenen Portrait-
charakter haben. Es wäre sehr aufschlußreich,
gerade an diesen Beispielen das Verhältnis von
der verlangten Beschränkung auf traditionelle
Formen und das frei schaffende künstlerische
Wollen zu untersuchen. Es ist mir klar, daß
eine solche Untersuchung bei einem doch der
allgemeinen Einführung dienenden Werk zu
sehr ins Detail ginge, doch könnte eine der-
artige Untersuchung so komprimiert werden,
daß sie bei einem Umfang von fast 500 Seiten
kaum eine Rolle spielen würde.
Auch die später geäußerte Meinung von
Leiris, die Geschichte der bildenden Künste in
Afrika könne heute nichts anderes sein als ein
Inventar der verschiedenen Kunstformen und
Lokalisierung der einzelnen Stile, kann wohl
nicht ganz aufrechterhalten bleiben, wenn man
die neuesten Forschungen in Betracht zieht. Er
selbst verweist auf die sich bietenden Möglich-
keiten der Untersuchungen von Stilentwick-
lungen durch die Funde von Nok, Ife und Sao.
Ich möchte sie noch durch den Hinweis auf die
Möglichkeit erweitern, Stilentwicklungen und
Zusammenhänge durch Stilanalyse und -ver-
gleich festzustellen, durch den Versuch einer
Untersuchung, die das Einzelwerk nicht aus
seinem inneren Zusammenhang mit sakralen,
sozialen und weltanschaulichen Aspekten her-
ausreißen darf, so wie es an Hand der Nio-
niosi-Kunst versucht worden ist.
Wenn Leiris behauptet, daß die Neuher-
stellung alter und unbrauchbar gewordener
Masken zu stilistischen und thematischen Er-
neuerungen führe, so müßte er dies beweisen,
ebenso wie die Behauptung, daß eine starke
Nachfrage auch dann, wenn man nicht von
den traditionellen Regeln abweicht, zu Neu-
schöpfungen führe. Hier erhebt sich eine sehr
wesentliche Frage: dürfen wir für die afrika-
nische Kunst den Begriff einer „l’artpour l’art“
in unserem europäischen Sinn überhaupt an-
wenden? Oder ist es hier nicht vielmehr so, daß
zwischen dem tatsächlichen Objekt und seinem
Zweck, seinem geistigen background, eine der-
art innige Verquickung besteht, daß in dem
Augenblick, wo diese Bindungen wegfallen,
das heißt in dem Augenblick, wo das Kunst-
werk seinem Sinn und Wesen entfremdet wird,
es nicht mehr als Kunstwerk angesprochen wer-
den darf? Eine solche Auslegung entspräche
doch weit mehr der vorher von Leiris erwähn-
ten linguistischen Beweisführung, bei der
„schön“ gleichgesetzt wird dem Ausdruck
„gut“, „wirksam“, „vollkommen“. Ich glaube,
nur in diesem erweiterten Sinn darf für
schwarzafrikanische Bildnerei der Ausdruck
„Kunst“ verwendet werden, denn sonst gäbe
es ja überhaupt in Afrika keine Kunst, wenn
wir mit Leiris als Kunst nur das „l’art pour
l’art“ ansehen wollen.
Leiris kommt dem gesamten Problemkom-
plex wohl dann am nächsten, wenn er fest-
stellt, daß die afrikanische Plastik nicht so
sehr zum Anschauen als zum Sein geschaffen
ist, wenn er also erkennt, daß ihre Gesetze
andere sind als die unserer europäischen Kunst.
Dem Wunsch, die afrikanische Kunst als
Bestandteil der gesamten Kultur zu betrachten,
kommt Jacqueline Delange in ihrem Teil weit
näher. In einer endlich vom althergebrachten
Schema abweichenden Gliederung der afrika-
nischen Kunst nach Stilgebieten versucht sie,
das Einzelwerk aus seiner Bestimmung, aus
seiner Bedeutung heraus zu erklären, wobei sie
immer wieder darauf hinweist, wie eng die
afrikanische Plastik mit den Mythen verknüpft
ist und nur in Verbindung mit der Gesamt-
kultur und ihren Strukturen verstanden wer-
den kann. Jacqueline Delange verfügt über
ein enormes Detailwissen aller ethnologischen
Fragen, die Bezug auf das künstlerische Schaf-
fen der afrikanischen Völker haben. Ihrer Mei-
nung nach kommt dem frei schaffenden Künst-
182
Buchbesprechungen
ler eine größere Bedeutung zu, als man bisher
glaubte: trotz strenger Bindung an metaphy-
sisch bedingte Formgesetze soll der Hersteller
weitgehend frei schaffen können. Dies stimmt
sicher dort, wo wir es mit einer profanen
Machtkunst — wie etwa in Benin — oder bei
Völkern, wo das Schnitzen in den Händen von
ausgesprochen beruflich ausgerichteten Hand-
werkern, sprich Künstlern, liegt. Hier ist zwei-
fellos sowohl eine Entwicklung als auch eine
bestimmte Künstlerhandschrift erkennbar.
Dort aber, wo es sich um eine rein sakrale
Bildnerei handelt, bei der irgendein Mitglied
einer Familie die Maske, die Statue schafft,
dürfte die Frage nach einem frei konzipieren-
den Künstlertum schon weit schwerer zu lösen
sein. Damit hängt auch ganz wesentlich die
Frage nach der Symbolik einzelner Details
zusammen. Veränderungen brauchen durchaus
nicht, wie Delange meint, künstlerisches Wol-
len sein, sondern können, vor allem heute, auf
Unkenntnis oder Nicht-mehr-kennen zurück-
zuführen sein. In einem gleichzeitig mit der
französischen Ausgabe erschienenen kleinfor-
matigen Buch hat Delange eine vertiefte und
außerordentlich bemerkenswerte Einführung
und Deutung der afrikanischen Kunst auf wis-
senschaftlicher Basis gegeben, der zu wünschen
wäre, daß Übersetzer und Betreuer der deutsch-
sprachigen Ausgabe ebenfalls eine Übersetzung
für den mitteleuropäischen Raum vorbereiten
würden.
Ein Vergleich des französischen Originals
mit der deutschen Übersetzung fällt fast zu-
gunsten der Übersetzung aus. Nicht nur, daß
der sehr gepflegte Stil von Leiris und Delange
hervorragend wiedergegeben ist und sublime
Feinheiten von Leiris beibehalten worden sind,
so wurden durch eine korrigierende Überset-
zung wesentliche Verbesserungen vorgenom-
men und der Hauptteil mit dem Index in Über-
einstimmung gebracht. Diese Verbesserungen
beziehen sich vor allem auf den Index, die
Bibliographie, die Karten und Legenden. In
einer Unzahl von Fällen wurden falsche Daten,
Ortsverwcchslungen und ungenaue oder nicht
dem neuesten Stand der völkerkundlichen
Forschung entsprechende Definitionen im In-
dex richtiggestellt, ergänzt oder überhaupt neu
verfaßt (vgl. z. B. Stichworte: Lebensdaten
El-Hadj-Omar, Sonni-Ali, Sundiata Keita,
äthiopide Rasse, Bambarareiche, Amulette).
Falsche Angaben, auf ein Übersehen der Auto-
ren zurückzuführen, wie etwa die Bezeichnung
des Apisstiers als „boeuf“ wurden, unter vie-
len anderen, richtiggestellt. Zahlreiche Index-
angaben wurden erweitert (unter anderem
z. B. die Stichworte Angola, Bubu, Bundu-
Bund, Edschu usw.) oder völlig neu definiert
(unter anderem z. B. Egungun, grigri, Hima,
Tukulor) oder empfindliche Lücken im Regi-
ster durch neue Stichworte geschlossen (wie
z. B. Megalithen, Lendenschurz, Lippenpflock,
Glas, Kongobecken, Erdherr), die wohl Im
Text erwähnt, aber nicht registriert wurden.
Desgleichen wurde die Verbreitungskarte der
Stämme überarbeitet. Stämme, die falsch loka-
lisiert waren, wie zum Beispiel die Mandja
(Nr. 450), wurden richtig eingezeichnet oder
dort, wo ein Volk, das zwei Namen hat, als
zwei verschiedene Ethnien, dazu noch räumlich
relativ weit getrennt, aufscheint, wie zum Bei-
spiel bei den Pulse und Kurumba, an der rich-
tigen Stelle als eine einzige Ethnie eingetragen.
So anregend, gerade dann, wenn zum Wi-
derspruch anreizend, der Haupttext ist, so
bedauerlich ist die unexakte Bearbeitung des
Register- und Kartenteiles, der wohl auf Eile
bei der Korrektur zurückzuführen ist. Daß
bei der deutschen Ausgabe diese Fehler weit-
gehend ausgemerzt wurden, erhöht den Wert
der Arbeit nicht unwesentlich.
Leider müssen wir als Mitteleuropäer ein-
mal mehr feststellen, daß man im Westen mit
geradezu eiserner Konsequenz die Arbeiten
aus dem mitteleuropäischen Raum prinzipiell
ignoriert. Dabei handelt es sich durchaus nicht
Immer um — wenn auch inhaltlich äußerst
wichtige — kleinere Arbeiten aus Zeitschriften,
sondern nicht selten um größere Werke. So
fehlen u. a. alle Arbeiten von Struck, der einer
der ganz bedeutenden Benin-Bearbeiter war,
desgleichen das Standardwerk von Marquart
über die Beninsammlung in Leiden, 1913, von
Luschan die über 100 Seiten umfassende Arbeit
über die Karl Knorrsche ßeninsammlung, 1901.
Ferner werden die beiden großen und bis zur
jüngsten Zeit einzigen zusammenfassenden Ar-
beiten über die Goldgewichte der Aschanti von
Zeller (1912) und Glück (1937) nicht erwähnt.
Eine der wirklich erschütternden Auslassun-
gen ist, daß versäumt wurde, das große drei-
bändige Werk von Frobenius „Und Afrika
sprach . . .“ (1912) zu zitieren, ebenso seine
„Kulturgeschichte Afrikas“ (1933). Betrüblich
erscheint auch, daß man nicht zur Kenntnis
genommen zu haben scheint, daß die einmalige
große Sammlung von Buschmanngravierungen
aus dem Museum für Völkerkunde In Wien
schon 1925 von Zelizko publiziert worden ist,
Buchbesprechungen
183
auch die zahlreichen Arbeiten über das Gras-
land von Kamerun von Germann fanden in der
französischen Bibliographie keine Aufnahme,
obwohl sie bis in jüngster Zeit die einzigen
Arbeiten über das Kunstgewerbe dieses Ge-
bietes waren. Aber auch das 1963 erschienene
Werk über die Bamum-Schrift von Schmitt ist
der Aufmerksamkeit der Autoren entgangen.
Dies nur als Beispiele bezüglich der selbständi-
gen Werke, unter denen eine nicht unbeträcht-
liche Anzahl von Standardwerken ist. Klei-
nere Arbeiten in deutschsprachigen Zeitschrif-
ten wurden nur relativ selten zur Kenntnis ge-
nommen, vor allem deswegen, weil Periodica
wie das „Baessler-Archiv“ (Bd. 1/1912),
„Tribus“ (Bd. 1/1951), „Paideuma“ (Bd. 1/
1946) nicht bekannt sein dürften. Auf diese
Weise sind Arbeiten wie der äußerst wichtige
Aufsatz von Hermann Baumann: „Die Frage
der Steinbauten und Steingräber in Angola“
(Paideuma 1956), Arbeiten von Zwernemann
in „Tribus“, vonDittmer im „Baessler-Archiv“
und solche der Rezensentin in „Tribus“ (1960),
oder über die „Nioniosi-Kunst“ im „Baessler-
Archiv“ (1966), die neue Wege der afrikani-
schen Kunstforschung und unbekannte Kunst-
werke eines Volkes aufzeigen, nicht verarbei-
tet worden. Ebenso bedauerlich ist auch, daß
Arbeiten und Periodica aus dem ostdeutschen
Raum nie aufscheinen. So wurden die äußerst
wichtigen Arbeiten von Wolf (Benin) aus Dres-
den und Drost (Töpferei Afrikas) aus Leipzig
nicht aufgezeichnet. Wenn die Rezensentin so
ausführlich auf diesen Mangel hingewiesen hat,
so ist das durchaus nicht als eine böswillige
Kritik aufzufassen, sondern als der Ausdruck
des Bedauerns des deutschsprachigen Völker-
kundlers, der immer wieder feststellen muß,
daß man in Frankreich kaum einmal Kenntnis
von der völkerkundlichen Arbeit im deutschen
Sprachraum nimmt. Man hat oft den Eindruck,
als säßen unsere französischen Kollegen auf
einem anderen Planeten. Dabei haben wir —
in aller Bescheidenheit — doch die Meinung,
daß auch in unserem Sprachraum Beachtliches
geleistet wird und der französische Forscher
einen Nutzen aus der deutschsprachigen For-
schung ziehen könnte, so wie es der deutsch-
sprachige Völkerkundler aus der französischen
oder angelsächsischen Literatur tut.
Durch die Arbeit des wissenschaftlichen Be-
treuers der deutschen Ausgabe ist dieser Man-
gel der französischen Ausgabe großteils gut-
gemacht worden. Es wurden Angaben ergänzt.
Zum Beispiel wurde das Verzeichnis der Arbei-
ten von Sydow um 12 Nummern, das von Fagg
um 8 Nummern erweitert, um nur zwei der
zahlreichen Fälle zu nennen. Dagegen fehlen
auch in der deutschen Ausgabe die vorzüglichen
Arbeiten von Drost über Töpferei in Afrika,
1967, von Wolf über Beningüsse und deren
Flerstellungstechnik in den Abhandlungen des
Dresdener Museums für Völkerkunde und —
leider — wurden nicht aus der französischen
Ausgabe die Kataloge über afrikanische Kunst-
ausstellungen übernommen. Daß in der deut-
schen Ausgabe auch die französische Bibliogra-
phie ergänzt wurde, betrachte ich als eine sehr
verdienstvolle Fleißaufgabe.
Man bedauert, daß bei einer so außerge-
wöhnlich guten und interessanten Arbeit,
einem so großen Wissen, das in fast vollkom-
mener Weise die Ergebnisse der afrikanischen
Kunstforschung der Zeit seit 1920 zusammen-
faßt, nicht auch der rein wissenschaftliche In-
dexteil exakt gearbeitet ist.
Äußerst erfreulich sind die Bildnachweise,
die in prägnanter und präziser Form Größe,
Material, musealen Herkunftsort und eventuell
auch sachlich-inhaltliche Angaben vereinen.
Die Auswahl der Bilder ist eine reine Freude,
denn Leiris und Delange haben endlich einmal
damit gebrochen, immer und immer wieder
dieselben Objekte als Belege zur Illustration
zu verwenden. Man findet vielleicht zu 80°/o
Kunstgegenstände abgebildet, die man über-
haupt nicht kennt und die eine enorme Berei-
cherung unseres Wissens um afrikanische Pla-
stiken darstellen. Die Qualität der Photos und
ihrer Wiedergabe — auch im Farbklischee —
ist hervorragend, die Aufnahmen sind künst-
lerisch, ohne dabei das Kunstwerk als solches
zu verfälschen, wie es bei manchen anderen
afrikanischen Kunstbüchern ersten Ranges lei-
der immer wieder der Fall ist.
Alles in allem ist das Werk von Leiris und
Delange eine wirkliche Tat, weil es endlich
mit dem althergebrachten Schema des afrika-
nischen Kunstbuches bricht, dem Problem von
einer anderen — oder eigentlich von verschie-
denen — Seiten zu Leibe zu rücken versucht
und sich dabei vor allem im Teil von Delange
auf bewiesene und konkrete Tatsachen zu
stützen versucht. Gerade aber dort, wo die
Arbeit zu Widerspruch herausfordert, er-
scheint sie mir von besonderem Nutzen, weil
sie den Leser zwingt, sich mit den Dingen
selbständig auseinanderzusetzen und über sie
nachzudenken.
Annemarie Schweeger-Hefel
184
Buchbesprechungen
JEAN GABUS:
Art nègre. Recherche de ses jonctions et
dimensions. Neuchâtel: Les Editions de la
Baconnière. 1967. 228 S., 65 Abb. auf Ta-
feln, zahlreiche Zeichnungen.
Der Untertitel dieses Buches deutet bereits
an, daß der Direktor des Musée d’ethnogra-
phie de Neuchâtel bei seiner Einführung in die
afrikanische Kunst Wege eingeschlagen hat,
die bisher so gut wie nicht beschritten waren.
Die Lektüre bestätigt diesen Eindruck. Hier
wird nicht nur von Formen und Kunststilen,
nicht nur von Stammesstilen und der Funk-
tion afrikanischer Plastik im allgemeinen ge-
sprochen, sondern Jean Gabus versucht, in
einer darüber hinausreichenden Interpretation
unter verschiedensten Aspekten die sozialen
und religiösen Wertvorstellungen darzustellen,
die mit dieser Kunst verbunden sind (valeur
commémorative, v. sociale, v. politique, v. ma-
gico-religieuse, v. d’éducation, v. esthétique,
v. de syncrétisme, v. de communication ou
d’écriture). Er liefert damit eine Analyse, die
hoffentlich auch zukünftige Forschung im
Felde anregen wird.
Die Einbeziehung der Schrift und ihrer Vor-
läufer (Spur, ornamentales Zeichen, Pikto-
gramm, Ideogramm) mag in einem Buch über
Kunst zunächst merkwürdig anmuten, aber
dieser Eindruck verschwindet bald, wenn der
Verfasser den Leser mit den Ritzornamenten
von Kalebassen, den Abia-Steinen der Yaunde,
den plastischen Ideogrammen (Divinations-
figuren Angolas), den Goldgewichten der
Akan und den Appliqué-Stoffen Dahomeys
konfrontiert.
Die großen Stilregionen, deren er drei un-
terscheidet, bezeichnet der Verfasser als „Schu-
len“ (école soudanaise, école atlantique, école
orientale). Hier wird ein Begriff benutzt, der
nach Meinung des Rezensenten mißdeutet wer-
den kann. Der Laie, der sicher das breite Leser-
publikum für dieses Buch ausmacht, könnte
unwillkürlich an eine geschlossene, von einem
Meister oder einer Künstlergruppc ausgehende
Schule denken. Gabus erklärt das Entstehen
dieser „Schulen“ teilweise durch kulturhistori-
sche Zusammenhänge. Dabei erwähnt er vor
allem zwei seit langem bekannte Kulturströme
(courants de civilisations): 1. die arabischen,
indischen und malayopolynesischen Einflüsse,
die via Südostküste nach Afrika eindrangen
und über Rhodesien („La civilisation rhodé-
sienne fut une sorte de relais culturel . . .“)
nach Angola und dem südlichen Kongogebiet
wirkten; und 2. den asiatischen Einfluß, der
sich durch den Sudan ausbreitete und sich an
der östlichen Oberguineaküste mit den „atlan-
tischen“ Kulturzügen vereinigte (S. 14 f.).
Wenn den Kulturhistoriker dieser Interpreta-
tionsversuch auch erfreuen mag, so kann der
Rezensent nicht umhin, ein gewisses Unbeha-
gen zu verspüren. Unsere Kenntnisse von afri-
kanischer Kunst reichen nach Meinung des
Rezensenten noch nicht aus, ihren Platz in
diesen Kulturströmen einwandfrei zu deter-
minieren. Noch viel Arbeit wird zu leisten
sein, ehe bewiesen werden kann, ob die An-
nahme des Verfassers zutrifft.
Der Beginn des alten Königreiches Ghana
wird — wie in vielen anderen Arbeiten — im
4. Jahrh. n. Chr. angenommen (S. 15). Die
Spezialisten westafrikanischer Geschichte sind
sich aber einig, daß dieser Hinweis des Tarikh
es-Sudan von Abderrahman es-Sa‘di unbewie-
sen ist. Alle Angaben, die in die Zeit vor der
Ankunft der Araber (8. Jahrh.) zurückreichen,
müssen, wie z. ß. Raymond Mauny (derzeit
einer der besten Kenner der Geschichte des
Westsudan) betont, vorerst als Spekulation
angesehen werden.
Die Val-Schrift entstand nicht erst am Ende
des 19. Jahrh., wie aus dem Wortlaut von
5. 65 f. hervorgeht, sondern sie wurde um
1840 erfunden. Als erster berichtete der eng-
lische Marineoffizier F. E. Forbes (ca. 1848,
veröffentlicht von Norris 1849) darüber. Auch
S. W. Koelle berichtete bereits 1849 in einer
kleinen Arbeit von der Erfindung der Vai-
Schrift durch Momolu Duwalu Bukfk.
Bei einer Einführung in die Kunst Afrikas
südlich der Sahara wird die Bibliographie im-
mer eine Auswahl bieten müssen. Trotzdem
hätte der Rezensent gerne einige wichtige
Titel zitiert gesehen, z. B. M. Griaule et G.
Dieterlen, Signes graphiques soudanais, Paris
1951; O. Reche, Das Abia Glücksspiel der
Yaunde . . . , Hamburg 1924; M. Siegel, The
Mackenzie Collection. A Study of West Afri-
can Carvcd Gambling Chips, Menasha (Wisc.)
1940. Es wäre auch gut gewesen, einige ein-
schlägige Bibliographien anzugeben.
Unklar ist, woher der Verfasser die Schreib-
weise „gpélihé“ (S. 61 ff.) für die „Kopf-
füßermasken“ der Senufo hat. Diese Schreib-
weise ist falsch. Richtig ist kpelie. Ein halb
stimmhafter, halbstimmloser Konsonant (gp)
ist dem Rezensenten aus Afrika unbekannt.
Die labiovelaren Konsonanten, die in vielen
Sprachen des Sudan verkommen, werden stets
Buchbesprechungen
185
kp (stimmlos) bzw. gb (stimmhaft) transkri-
biert. Übrigens bestehen die labiovelaren Kon-
sonanten nicht, wie der Laie vielleicht
annimmt, aus zwei Elementen {k + p bzw.
g + b), sondern kp und gb sind jeweils ein
einziges Phonem, das lediglich durch ein Dop-
pelsymbol (das übrigens untrennbar ist!) dar-
gestellt wird.
Die kritischen Einwände sollen den grund-
sätzlichen Wert dieser Arbeit nicht schmälern,
mit der der Verfasser der Erforschung afrika-
nischer Kunst einen hervorragenden Dienst
erwiesen hat. Das Buch ist übrigens der un-
veränderte zweite Teil der Einführung in die
Gedenkausstellung „175 ans d’ethnographie
ä Neuchâtel“.
Jürgen Zwernemann
ROBERT W. JULY:
The Origin of Modern African Thought.
Its Development in West Africa during the
Nineteenth and Twentieth Centuries. Lon-
don: Faber & Faber. 1968. 512 S., 1 Karte,
22 Abb. Preis: s. 701—.
Zeitgenössisches afrikanisches Geistesleben
ist maßgebend durch islamische und westliche
Einflüsse geformt. Diese Tatsache fordert eine
gründliche Kenntnis der formenden Faktoren
und ihrer afrikanischen Vermittler von dem,
der sich bemüht, das moderne Afrika zu ver-
stehen. Daher wird die Ideengeschichte von
Dr. July von verschiedenen Disziplinen der
Afrikakunde als willkommene Bereicherung
begrüßt werden — abgesehen von ihren son-
stigen Qualitäten allein schon deshalb, weil
sie eine hinderliche Lücke zu schließen vermag.
Der Verfasser hat seine Untersuchung be-
grenzt: örtlich auf das französisch- und eng-
lischsprachige Westafrika, zeitlich auf die letz-
ten 180 Jahre, thematisch auf den Einfluß
des Westens; der Islam wird ausgespart, für
die Einwirkungen des Denkens amerikanischer
Neger wird auf einen späteren Band verwie-
sen. Diese Eingrenzung ermöglichte eine de-
taillierte, auf Vollständigkeit bedachte Aus-
schöpfung der erreichbaren Quellen.
Wirken und Wirkung vieler, die aus der
abendländisch geprägten Elite Westafrikas
hervorragen, werden dargestellt und gedeutet.
Ausführlich sind in einzelnen Kapiteln behan-
delt: Africanus Horton, der, 1835 in Sierra
Leone als Sohn eines befreiten Igbo geboren,
lange Jahre hindurch britischer Militärarzt in
Westafrika war; der berühmte Bischof Samuel
Ajayi Crowther; George W. Johnson von
Abeokuta, der sich von einem in England zum
Musiker ausgebildeten Schneider rasch zu
einem talentierten Politiker wandelte; der be-
rühmte Edward W. Blyden; Bischof James
Johnson; die lagotischen Politiker Herbert
Macaulay und Henry Carr; Blaise Diagne aus
Senegal und Casely Hayford aus Ghana. Ge-
drängter dargestellt werden William Fergus-
son, Militärarzt und erster afrikanischer Gou-
verneur von Sierra Leone, Abbe Boilat, Paul
Holle, Gaspard Deves und Jean-Jaques Cres-
pin aus Senegal, die frühen Historiker Carl C.
Reindorf, A. B. C. Sibthorpe und Samuel
Johnson, die ghanaischen Nationalisten John
Mensah Sarbah und S. R. B. Attoh-Ahuma,
die Journalisten Louis Huchard, John Payne
Jackson und Thomas Horatio Jackson sowie
einige andere mehr.
Die aus den historischen Einzeluntersuchun-
gen gewonnenen Erkenntnisse ergeben bzw.
bestätigen folgende Thesen;
1. In Westafrika spiegelte sich verständ-
licherweise charakteristisch britisches und fran-
zösisches Gedankengut wider. Besonders wirk-
ten fort britischer Pragmatismus und Libera-
lismus im politischen und ökonomischen Sek-
tor sowie aus der Aufklärung stammende hu-
manitäre Ideen; französisch waren die Frei-
heitsideale der Menschenrechte und jenes kul-
turelle Überlegenheitsbewußtsein, das Afrika-
ner in Franzosen zu verwandeln wünschte.
2. Die Berührung Wostafrikas mit Europa
vollzog sich in drei Perioden. Die Zeit vom
15. Jahrhundert bis zur Gründung von Sierra
Leone (1787) war von europäischen Handels-
interessen geprägt; sie hinterließ geringe und
vorwiegend negative Eindrücke auf seiten
der Afrikaner. Die dritte Periode hat erst vor
kurzem mit der politischen Unabhängigkeit
afrikanischer Staaten begonnen. Somit bleibt
als fruchtbarste Zeit der tiefgreifenden Prä-
gung durch europäische Ideen und Systeme die
koloniale Epoche.
3. Ebenfalls in drei Stadien verlief die afri-
kanische Reaktion auf die Berührung mit euro-
päischem Gedankengut. Zunächst wurden
westliche Werte, Normen, Institutionen vor-
behaltlos und unkritisch aufgegriffen. Bischof
Crowther gilt als beispielhaft für dieses erste
Stadium. Erst als der Kontinent in europäische
Kolonien aufgeteilt worden war, begann sich
die Einstellung der Afrikaner Europa gegen-
über zu verändern. Jetzt mußten sie euro-
186
Buchbesprechungen
päischen Interessen dienstbar sein. Sie wurden,
auch wenn sie nach europäischen Maßstäben
hochgebildet waren, von den weißen Kolo-
nialisten als nicht gleichwertig mißachtet.
Hieraus ergab sich als Reaktion eine Hal-
tung, die zwischen Aneignung und Ablehnung
schwankte. Edward W. Blyden, Theoretiker
der Rassengleichheit und Künder der hohen
Werte afrikanischer Vergangenheit, wird zum
Symbol für die zweite Epoche mit ihrem spe-
zifischen Problem, westliche Vorbilder sich
aneignen zu wollen, ohne deren Überlegen-
heit zugeben zu dürfen. Exemplarisch für
westafrikanisches Streben in der Zeit nach
1945 sind das mehr pragmatisch orientierte
Programm Kwame Nkrumahs und Leopold
Scnghors Negritude. In die Zukunft könnten
Ansätze weisen, die hier und dort vereinzelt
anklingen. So, wenn z. B. Wole Soyinka den
Stellenwert des Begriffs „afrikanischer Künst-
ler“ umkehrte, weil er sein Afrikanertum für
lediglich sekundär hielt.
Zwei methodische Grundsätze des Verfas-
sers verdienen es, noch besonders hervorgeho-
ben zu werden. Zum einen legte er bei der
Auswahl des Materials den Maßstab der Im-
manenz an, indem er, wo immer es möglich
war, afrikanischen Zeugnissen vor westlichen
den Vorrang gab. Zum zweiten gewinnt seine
Studie dadurch an Aktualität, daß er über der
Arbeit an den historischen Quellen die Erfor-
dernisse des heutigen Westafrika nicht aus
dem Blick verlor. Dadurch ist es ihm gelungen,
der sterilen Leblosigkeit und Esoterik eines
gewissen Spezialistentums zu entgehen und
dennoch als Historiker kunstgerecht zu ver-
fahren. Sein Buch wird also nicht allein dem
westlichen Leser neue Erkenntnisse vermitteln,
sondern besonders auch dem Afrikaner dienen
können, von dem einer der bedeutendsten
westafrikanischen Elistoriker unserer Zeit, Dr.
K. O. Dike, einmal gesagt hat, daß „only
when he comprehends himself and his heritage
can he govern himself successfully“.
Hans-Jürgen Greschat
JÜRGEN ZWERNEMANN;
Die Erde in Vorstellungswelt und Kult-
praktiken der sudanischen Völker. Berlin:
Dietrich Reimer Verlag. 1968. X + 545 S.
Preis: broschiert DM 80.—; Leinen
DM 92.—.
Der Dualismus ist ein der Menschheit aller
Zeiten und aller Kulturstufen gemeinsames
Urphänomen. Die großen Gegensatzpaare, aus
denen die Welt zusammengesetzt ist — männ-
lich und weiblich, Himmel und Erde, Leben
und Tod — haben den Menschen immer wie-
der zu Spekulationen angeregt und ihn dazu
veranlaßt, seine Existenz nach dem kosmischen
Vorbild zu modeln. Solche Vorstellungen und
Organisationen finden wir überall auf der
Welt, wobei jeweils nach der Ausformung der
regionalen Kulturen die Akzente unterschied-
lich gesetzt sind. Das reicht von einer Über-
betonung der sozialen Ordnung zuungunsten
der Religion bei den ostbrasilianischen Völkern
und den Papua des Sepik bis zu den dualisti-
schen Weltvorstellungen vieler afrikanischer
Völker, die wiederum des Niederschlags der
kosmischen Zweiteilung im sozialen System
entbehren. Diesen kosmischen Dualismus hat
auch ungeachtet des nur auf die Erde bezoge-
nen Titels die gewichtige Habilitationsschrift
von Jürgen Zwernemann zum Inhalt. Die Ar-
beit ist fast ausschließlich eine Literaturarbeit.
Es ist allerdings deutlich, daß ohne die Erfah-
rungen des Autors im Felde, der sich bei den
Völkern des Volta-Gebietes mit diesem Phäno-
men auseinandersetzen konnte, der ungeheure,
hier verarbeitete Stoff nicht in so souveräner
Weise gemeistert worden wäre.
Das Buch ist in 10 Kapitel geteilt, von denen
7 (2—8) nach einem gleichbleibenden Unter-
suchungsschema in jeweils 9 regionale Unter-
abschnitte aufgeteilt sind. Sie stimmen mit den
Kulturprovinzen Hermann Baumanns über-
ein: Volta-Gebiet, Westsudan, westliche Ober-
guineaküste, östliche Oberguineaküste, Zen-
tralsudan, Ostsudan, Niloten und Süd-Äthio-
pien (Nord-Äthiopien muß als ein christliches
Land außerhalb dieser Betrachtungen bleiben).
Wir beginnen mit einer summarischen In-
haltsangabe. Im ersten Kapitel werden For-
schungsgeschichte, Fragestellung und Methode,
Terminologie und Gliederung des Stoffes be-
handelt. Die dieser Arbeit zugrunde liegende
Methode ist eine Kombination verschiedener
Betrachtungsweisen. Der Abschnitt über Ter-
minologie gibt Anlaß zur Diskussion von Be-
griffen wie Geister, Dämonen, Götter usw.
Zwernemann unterscheidet zwischen „Gei-
stern“ — spirituelle, unkörperliche, übernatür-
liche Wesen —, „Dämonen“ — unkörperlich,
personifiziert, vornehmlich mit Lokalitäten,
Naturerscheinungen usw. in Verbindung ge-
bracht und durch Kulthandlung beeinfluß-
bar —, „Göttern“ — unsterbliche, personifi-
ziert gedachte, übernatürliche Mächte mit eige-
Buchbesprechungen
187
nein Willen, unbegrenzter Kraft und Fähig-
keit. Wenn ich den Autor recht verstehe, so
soll diese von ihm hier vorgenommene Ein-
teilung nicht so sehr grundsätzlicher Art sein,
als vielmehr als Arbeitshypothese der Unter-
suchung dienen.
Im zweiten Kapitel werden die Vorstellun-
gen von (Himmel und) Erde schlechthin un-
tersucht. „Die Erde liefert dem Menschen den
Hauptanteil der Nahrung, aber die Ernten
sind nicht immer gleich. Rationalistische Er-
klärungen werden . . . nicht gesucht, sondern
man macht übernatürliche Kräfte dafür ver-
antwortlich, die Ahnen, Lokaldämonen, die
Erde oder den Himmelsgott. Weitgehend wer-
den diese guten und schlechten Einflüsse der
Erde zugeschrieben“ (S. 29). Ohne damit an
der Arbeit, die religiöse Phänomene unter-
sucht, grundsätzliche Kritik üben zu wollen,
möchte ich angesichts eines so apodiktischen
Urteils doch zur Vorsicht mahnen. Ungeachtet
der gerade bei den sudanischen Feldbauern
engen Verknüpfung von Religion und Wirt-
schaft sollte man die ökonomischen Kennt-
nisse und Erfahrungen der Naturvölker nicht
unterschätzen. Ihre z. T. recht vorzüglichen
Kenntnisse der Gesetze ihres Feldbaus stellt
ein Optimum dessen dar, was mit einfachen
Produktionsmethoden erreicht werden kann.
Zwernemann kann in diesem Kapitel nach-
weisen, daß bei den von ihm „sudanisch“ ge-
nannten Völkern durchgehend die Vorstellung
von einer göttlichen Zweiheit vorhanden ist,
eines Weltelternpaares. Die Mutter Erde als
empfangende und gebärende Macht figuriert
als Frau des männlichen zeugenden Himmels.
Alles was mit der Erde zusammenhängt, ist
heilig. Dieser sakrale Aspekt beschränkt sich
nicht nur auf heilige Bezirke. Zwernemann
weist auf den wichtigen, in der Literatur meist
nicht genügend herausgearbeiteten Gegensatz
von „Erde“ (d. h. bewohntem und kultivier-
tem Land) und „Busch“ (d. h. Wildnis und
Öde) hin.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den
für die soziale Struktur der sudanischen Feld-
bauern so wichtigen Begriffen der „Erdherren“
und „Erdpriester“. Der Erdherr Ist der wich-
tigste Funktionär für seinen Sozialverband,
er ist der Nachkomme des ersten Siedlers, der
die Herrschaft über die bis dahin „herrenlose“
Erde begründete. Er regelt die rituellen Be-
ziehungen zwischen seiner Gruppe und der
Erde, er ist außerdem „Treuhänder“ des Lan-
des seiner ganzen Gruppe. In vielen Gebieten
haben jüngere politische Bildungen die Erd-
herren häufig ihrer säkularen Aspekte entklei-
det und sie in die rein religiöse Sphäre zurück-
gedrängt. In diesem Falle spricht Zwernemann
von „Erdpriestern“.
Nach einem kurzen Abschnitt über Erd-
heiligtümer und Kultbezirke wird über die
Gesetze und Verbote der Erde berichtet, die
wohl der deutlichste Beleg dafür sind, mit
welch außerordentlicher Ehrfurcht die Sudaner
die Erde betrachten, die sie trägt. Blut, Mord,
das Begraben „schlimmer“ Toter und Ge-
schlechtsverkehr auf der blanken Erde stellen
schwere Frevel dar. „Praktisch unterliegt das
gesamte soziale Verhalten der Kontrolle der
Erde“ (S. 261). Im sechsten Kapitel (Opfer
und Kulthandlungen für die Erde) betreten
wir einen Bereich, der über das reine Phäno-
men „Erde“ hinaus und in die Sphäre der Wirt-
schaft führt: Opfer zur Feldbauzeit. Wir be-
dauern, daß dieser so wichtige Komplex eben-
so wie das folgende Kapitel über die „Ahnen“
recht kurzgehalten ist und einer wünschens-
werten breiteren Auseinandersetzung mit die-
sen beiden zentralen Phänomenen sudanischer
Religiosität entbehrt. Noch viel stärker als bei
den „vordergründigen“ Aussagen der vorheri-
gen Kapitel bestände hier die Möglichkeit
einer stärkeren Einbeziehung des religiösen
Komplexes in die gesamte Kultur. Ein um-
fangreiches Kapitel über „Lokaldämonen und
Götter“ schließt den beschreibenden Teil ab
(vgl. die Einleitung).
Im neunten Kapitel untersucht der Autor
das Vorkommen von religiösen Vostellungen
über die Erde in benachbarten Kulturen: Ban-
tu-Afrika, Nordwest-Afrika, alt-mediterraner
Raum und Vorderer Orient. Das ist ein sehr
wichtiger und Instruktiver Abschnitt, weil er
beweist, wie weit die hier aufgeführten Vor-
stellungen rund um den Sudan verbreitet sind.
Ein weiter Bogen spannt sich von den Erdgöt-
tern (Bunzi) des westlichen Äquatorialafrikas
über Asli (Himmel) und Tasli (Erde) der Ber-
ber bis zu Gaia und Demeter im alten Grie-
chenland. Zwernemann ist in der Lage, viele
Übereinstimmungen aufzuzeigen, wie die wich-
tige Vorstellung, daß „die Erde mit der Ernte
stirbt“.
Schließlich werden Im letzten (zehnten) Ka-
pitel (Seite 451—463) Übersicht und Schluß-
betrachtung gegeben. Aus den in 47 Paragra-
phen zusammengefaßten Ergebnissen erkennt
man eine — zumindest im westlichen Sudan —
außerordentlich dichte und geschlossene Struk-
188
Buchbesprechungen
tur der mit Erde (und Himmel) und Feldbau
zusammenhängenden religiösen Vorstellungen.
Himmelsgott, Erdmutter, Heiligkeit der Erde,
ernährende und bearbeitete Erde, Feldbau,
Feldbauritual, Erdpriester und Erdherren,
Herkunft der Ahnen aus der Erde, heilige Ah-
nen als Vermittler zwischen den Nachkommen
und der Erde; alles das fügt sich zu einem
echten Religionsmuster zusammen, das Schwer-
punkte des Vorkommens vor allem im Westen
findet, während der islamische Einfluß im
Zentral-Sudan und die schlechte Quellenlage
im Ost-Sudan nicht so überzeugende Aussagen
erlauben. Eine Sonderstellung nehmen Niloten
und Kuschiten ein. Ungeachtet aller regionaler
Unterschiede lassen sich viel gemeinsame Ele-
mente feststellen, die den Erdkomplex der ni-
gritischen Kulturschicht zuweisen.
Die Arbeit ist mit der Sicherheit und Be-
herrschung des ungeheuren Stoffes geschrieben,
die den Autor als einen souveränen Kenner
Westafrikas ausweist. Die anerkennenden und
lobenden Worte gegenüber diesem gewaltigen
Kompendium afrikanischer Religiosität erfah-
ren durch einige kritische Bemerkungen keine
Einschränkung. Letztlich wurde mir nicht klar,
weshalb Jürgen Zwernemann bei der regio-
nalen Umgrenzung des von ihm behandelten
Raumes auch die Niloten und Äthiopier mit-
behandelt hat. Gegenüber der verhältnismäßi-
gen Einheitlichkeit des Sudans, die nicht zu-
letzt durch den uniformen geographischen
Charakter strukturell bedingt ist — nehmen
wir die Wälder der Oberguineaküste aus —
betreten wir dort völlig andersartige Regio-
nen, so daß die Abgrenzung im Osten willkür-
lich anmutet. Aber viel stärker beschäftigt den
Rezensenten die Frage, weshalb sich der Autor
nicht in einigen Kapiteln, die weniger relevant
erscheinen, mehr einschränkte oder sie ganz
fortließ, um dafür alle Feldbauriten ungleich
stärker in die Betrachtung mit einzubeziehen,
ganz gleich ob man das Problem historisch,
funktionell oder strukturell untersucht. Die
Feststellung, daß in diesem Raum Erdkult und
Feldbau in einem unlöslichen Zusammenhang
stehen, dürfte kaum auf Widerspruch stoßen.
Es gibt wenige Regionen der Erde, wo die
gegenseitige Bedingtheit von Wirtschaft und
Religion so deutlich zu erkennen wäre. Das ist
keine tadelnde Kritik, nur Enttäuschung, daß
dieser wichtige Teil des Gesamtkomplexes
nicht mehr behandelt wurde. Aber diese ganz
persönlichen Wünsche, die hier vorgebracht
wurden, mindern nicht den Wert dieser groß-
artigen und übersichtlichen Bearbeitung eines
der wichtigsten religiösen Phänomene des Su-
dans.
Eike Haberland
ROBERT F. STEVENSON:
Population and Political Systems in Tropi-
cal Africa. New York & London: Colum-
bia University Press. 1968. XIV + 306 S.,
6 Karten. Preis: s. 90/—.
In der Einführung des von ihnen heraus-
gegebenen Werks „African Political Systems“
(London 1940, 121967) widmen M. Fortes und
E. E. Evans-Pritchard einen kurzen Abschnitt
dem Einfluß demographischer Fakten auf die
politischen Systeme (S. 7 f.). Sie stellen dabei
fest: „. . . it would be incorrect to suppose
that governmental institutions are found in
those societies with greatest density. The op-
posite seems to be equally likely . . .“ Diese
Feststellung stieß erstaunlicherweise auf kei-
nerlei Kritik. Erst 1959 forderte S. N. Eisen-
stadt im American Anthropologist (61, p.
200—220) zu einer systematischen und kriti-
schen Analyse dieser Behauptung auf. Robert
F. Stevenson ist dieser Anregung gefolgt. Er
nahm ein Restudy der sechs „klassischen“
Fälle vor: Zulu, Ngwato, Bemba, Tallensi,
Bantu-Kavirondo, Nuer.
Schon die Auswahl der Modellfällc in „Af-
rican Political Systems“ wird von Stevenson
kritisiert. Die Beispiele, die für die niedrige
Bevölkerungsdichte in alten afrikanischen
Staaten sprechen sollen, stammen alle aus dem
Südosten Afrikas (Zulu, Ngwato, Bemba).
Staaten mit evident hoher Bevölkerungsdichte
(Westsudan, Hausa-Ful-Staaten, Rwanda-
Urundi) wurden ebensowenig berücksichtigt
wie die Wildbeuter (p. 18 f.). Stevenson zeigt
in seiner kritischen Analyse — im Gegensatz
zu Fortes und Evans-Pritchard — auf, daß
Staatenbildungen in Afrika stets mit hoher,
akephale segmentäre Gesellschaften mit gerin-
ger Bevölkerungsdichte verbunden waren. Die
Belege für die Bevölkerungsdichte der in „Af-
rican Political Systems“ analysierten Ethnien
stammen durchweg aus den dreißiger Jahren.
Stevenson lehnt den streng synchronen
Funktionalismus der britischen Social Anthro-
pology ab und versucht, die diachrone Dimen-
sion hinzuzufügen, indem er die Verhältnisse
vor der Kolonialzeit rekonstruiert. Damit
zeit er gleichzeitig, wie wichtig es auch in der
Gegenwart ist, in der Völkerkunde historisch
zu arbeiten. Der Verfasser will kein theoreti-
Buchbesprechungen
189
sches Modell erarbeiten, sondern eine empiri-
sche Beziehung aufzeigen. Er beabsichtigt we-
der eine „einzelne direkte und unikausale Be-
ziehung zwischen Bevölkerungsdichte und dem
Entstehen des Staates“, noch ein „unikausales
Modell, in dem der Staat die Dichte hervor-
ruft“, zu demonstrieren. Stevenson stellt viel-
mehr fest, daß die Beziehung Staat — große
Bevölkerungsdichte indirekt und reziprok
ist sowie von weiteren Faktoren beeinflußt
wird, wie der Produktivität auf dem Sub-
sistenzsektor und der Entwicklung von Lokal-
und Fernhandel (p. 25).
Der Verfasser zeigt, daß zwei der Beispiele
aus dem Südosten (Zulu und Ngwato) das Er-
gebnis des gleichen historischen Umstandes
sind, nämlich der wachsenden Durchdringung
Südafrikas durch Buren und Briten, die die
Grenze der nach Süden vordringenden Bantu
zurückschoben. Die Bemba waren zwar von
diesen Ereignissen nicht direkt betroffen, aber
sie wurden mit den Ngoni (bekanntlich ein
Ableger der Zulu) konfrontiert.
In seiner Einzelanalyse zeigt der Verfasser
nicht nur, daß für die drei Staaten höhere
Bevölkerungsdichte anzunehmen ist (Zulu und
Ngwato 20, Bemba etwas unter 7, früher aber
5—15, in der inneren Zone sogar 15—50 je
Quadratmeile), als in „African Political Sy-
stems“ angegeben wird, sondern er unterzieht
auch die In jenem Buch veröffentlichten allge-
meinen Darstellungen der politischen Systeme
einer kritischen Würdigung (Kap. III-V).
Die Beispiele akephaler segmentärer Gesell-
schaften in „African Political Systems“ wer-
den in gleicher Weise analysiert (Kap. VI-
VII). Dabei demonstriert der Verfasser, daß
die Tallensi (Bevölkerungsdichte 171 je Qua-
dratmeile) keine eigentliche akephale Gesell-
schaft sind, da bei ihnen ein Häuptlingstum
existiert. Die Tallensi bildeten einst wohl
einen Teil des Mamprusi-Staates oder waren
zumindest ein direkter Ableger davon. Auch
bei den Logoli (Bantu-Kavirondo; Bevölke-
rungsdichte 391 je Quadratmeile) erhebt sich
die Frage, ob es sich tatsächlich um eine ake-
phale Gesellschaft handelt. Um die Jahrhun-
dertwende war das Nyole-Logoli-Gebiet nicht
sonderlich dicht besiedelt, wohl aber der
Wanga-Staat, also ein Gebiet mit fortgeschrit-
tener politischer Entwicklung. Die Logoli zeig-
ten jedoch eine starken Tendenz, sich von der
akephalen Gesellschaft zum Staat zu entwik-
keln. Kolonialer Druck (einschließlich der Ein-
richtung von Reservaten), Wanderarbeit, Ein-
führung marktwirtschaftlich genutzter Pflan-
zen und Landenteignung sind nach Stevenson
für die große Bevölkerungsdichte der Logoli
verantwortlich.
Stevenson gibt im Kap. VIII einen Über-
blick über Dichtekonzentrationen in West-,
Ost- und Zentralafrika und zeigt damit noch-
mals, daß große Bevölkerungsdichte mit
Staatsorganisation verbunden ist. Ausnahmen,
die oft entlang der Grenzen entstehender
Staaten festzustellen sind, verdanken ihre
große Bevölkerungsdichte weitgehend, wenn
nicht sogar vollständig, postkolonialen Verän-
derungen. Aus diesem Schema fällt nur das
Ibo-Gebiet heraus, dem ein eigenes Kapitel
(IX) gewidmet ist. In den drei typischen Pro-
vinzen Ogoja, Onitsha und Owerri liegt die
Bevölkerungsdichte bei etwa 300 je Quadrat-
meile. Die Ibo gelten ebenfalls als akephale
segmentäre Gesellschaft, aber das ist nur be-
dingt zu akzeptieren. Führertum und politi-
sches Amt sind bei den Ibo von Erfolg und
Reichtum abhängig, nicht von der Lineage-
Organisation. Ferner haben die Ibo eine be-
tonte soziale Schichtung. Als akephal sind sie
nur insofern zu bezeichnen, als sie kein regu-
larisiertes und institutionalisiertes Schema für
Nachfolge und Aufstieg zum politischen Amt
haben. Die große Bevölkerungsdichte im Ibo-
Gebiet ist teils eine Reaktion auf den Druck
der Staaten und Sklavenjagden im Norden,
teils das Ergebnis des stimulierenden und be-
ständig wachsenden Handels an der Küste.
Stevenson meint, daß bei den Ibo die Staats-
bildung in der Entwicklung war.
Der Verfasser hat einen sehr wichtigen Bei-
trag zum Verständnis der traditionellen poli-
tischen Systeme Afrikas und der Wechselbezie-
hung zwischen Bevölkerungsdichte und Staats-
bildung geliefert. Die Aufnahme dieses Titels
(in Verbindung mit „African Political Sy-
stems“) in die Leselisten für Studenten ist
dringend zu empfehlen und in den afrikani-
stisch ausgerichteten Seminaren nach Meinung
des Rezensenten unerläßlich.
Jürgen Zwernemann
HANS-JOACHIM KOLOSS:
Die Haustierhaltung in Westafrika. Eine
völkerkundliche Untersuchung. (= Arbeiten
aus dem Institut für Völkerkunde der Uni-
versität zu Göttingen. Bd. I). Göttinger
Phil. Diss. (Auslieferung: Klaus Renner
Verlag, München). 1968. 251 S. Preis DM
18.—.
190
Buchbesprechungen
Vorliegender Arbeit war die Aufgabe ge-
stellt, „die Haustierhaltung des vorkolonialen
Westafrika in ihrem Wesen und in ihren Funk-
tionen zu erkennen“. Es gilt, „aus den inter-
essierenden Teilaspekten der realen Einzelkul-
turen eine gedankliche Konstruktion zu ge-
winnen, die zwar ,irrational“ ist, die aber
durch widerspruchslose Zusammenhänge cha-
rakterisiert wird. Ihr sind die gewünschten
Modelle zu entnehmen, um die in der Wirk-
lichkeit unverständlichen Erscheinungen sinn-
voll zu deuten. Es geht um die Entwicklung
eines ,Idealtypus“ im Sinne Max Webers“.
(S. 4). Die Idealtypenlehre Webers wird auch
auf historische Begriffe, wie z. B. auf die
„westafrikanische Haustierhaltung“ ausge-
dehnt, und es werden „Kulturmuster“ einer
begrenzten Region erarbeitet, „die zum Ver-
ständnis zu Einzelkulturen beitragen“, indem
Erscheinungen, die in einer Einzelkultur nicht
deutlich zu erkennen waren, durch den Ver-
gleich gewonnener Kulturmuster (Idealtypen)
einer Interpretation zugeführt werden. Unter
„Einzelkulturen“ sind offenbar die westafri-
kanischen Ethnien gemeint. Zum Unterschied
von der in der „Kulturhistorischen Schule“
weiland geübten Praxis einer Ferninterpreta-
tion, die innerhalb eines globalen Kulturkrei-
ses vollzogen wurde, fordert nun im gegebe-
nen Falle der Autor als Voraussetzung seines
Verfahrens, „daß die betreffenden Kulturen
einer einzigen engbegrenzten Region angehö-
ren, und daß sie sich in ihren kulturellen
Grundzügen gleichen: in den sozialen Struk-
turen, den religiösen Vorstellungen und in der
wirtschaftlichen Grundlage“. — „Man muß
die Möglichkeiten sehen, um das wirklich zu
erfassen“ — meint der Verfasser mit Max We-
ber. — Solche Idealtypen dienen dem Verfas-
ser als das „erkenntnistechnische Mittel“, mit
Karl Jaspers an die Wirklichkeit heranzukom-
men, nicht aber an die Wirklichkeit selbst.
Über 400 ethnographische Berichte (Quel-
len) bieten die Basis vorliegender Untersu-
chung. Dem „Zeitfaktor“ wird bei der Rei-
hung des Materials und auch sonst keine Be-
deutung beigemessen. Es wird der Verbreitung
der Haustiere in Westafrika, haustierbiologi-
schen Fragen, der Pflege der Tiere, dem wirt-
schaftlichen Wert sowie den rechtlichen und
soziologischen Aspekten der Haustierhaltung
nachgegangen. Große Beachtung wurde den re-
ligiösen Aspekten (Abhängigkeit der Haus-
tierhaltung von Tabus und Religion, Kult,
Opferzeremonien, magische Praktiken, Wahr-
sagerei und Ordal) geschenkt, erweist sich doch
nach des Autors Meinung sein von ihm bevor-
zugtes idealtypisches Arbeitsverfahren als be-
sonders geeignet für rellgionsethnologische
Fragestellungen. Dieses ermöglichte es, die
Variationsbreite der religiösen und kulturel-
len Tradition in den westafrikanischen Kultu-
ren bzw. Stämmen (Ethnien) aufzuzeigen, wo-
bei es in erster Linie darauf ankam, Sinnzu-
sammenhänge zu erarbeiten, um so die „Wirk-
lichkeit“ zu verstehen.
Den Beschluß der Arbeit bildet der Versuch
einer „Kulturhistorischen Einordnung“ der ge-
wonnenen Erkenntnisse. Dieser Versuch er-
weist sich besser als ein den Verlauf der Arbeit
in keiner Weise bestimmender Anhang, denn
Dapper und einige Zitate aus zweiter Hand
ermöglichen keine kulturhistorische Durch-
dringung des Materials. Deshalb erweist sich
diese „Einordnung“ auch als Fremdkörper in
der ganzen Arbeit und hat kaum etwas mit
der vorgelegten „Struktur- und Funktions-
analyse“ zu tun.
Walter Hirschberg
NEHEMIA EEVTZION:
Muslims and Chiefs in West Africa. A
Study of Islam in the Middle Volta Basin
in the Pre-colonial Period. Oxford: Claren-
don Press, Oxford üniversity Press. 1968.
228 S. Preis: s. 501—.
Es ist sehr erfreulich, daß seit einigen Jah-
ren Historiker und Ethnologen mit islamwis-
senschaftlicher Vorbildung darangehen, den
Islam im Westsudan anhand der reichlich vor-
handenen Handschriften historischen und re-
ligiösen Inhalts und mit Hilfe der mündlichen
Aussagen seiner heutigen prominenten Vertre-
ter zu untersuchen. Vom Jahre 1927 (Björk-
man, W., Zwei Hamburger arabische Hand-
schriften über den Islam im Sudan, Hamburg)
bis etwa zum Jahre 1960 (Ol’derogge, D., Za-
padnyj Sudan v XV—XIX vv, Moskau, Le-
ningrad; mit der Beilage einiger Hausa-Texte
aus der Sammlung Krause) hatte der größte
Teil der Forschung auf diesem Gebiet darin
bestanden, das handschriftliche Material zu
kompilieren, zu katalogisieren und auch gele-
gentlich zu übersetzen — eine Arbeit, die noch
lange nicht abgeschlossen ist und die in west-
afrikanischen Universitätsinstituten, in Accra,
Ibadan und Dakar, mit großer Sorgfalt wei-
tergeführt wird. Seit 1963 nun beschäftigen
sich T. Hodgkin, I. Wilks, J. O. Hunwick und
N. Levtzion mit der Darstellung der fricd-
Buchbesprechungen
191
liehen, sich seit vier Jahrhunderten vollzie-
henden Ausbreitung des Islam in Gebieten des
Westsudan, die nicht von der jihäd-Bewegung
des 19. Jahrh. berührt wurden. Die vorlie-
gende Publikation Levtzions ist die erste grö-
ßere Arbeit zu diesem Thema; ihr liegt seine
Dissertation mit dem Titel ,The Spread and
Development of Islam in the Middle Volta
Basin in the Pre-colonial Period“, London
1965, zugrunde.
Der Titel der Publikation ist zunächst irre-
führend: Wer eine Darstellung des Islam in
seiner bei jeder einzelnen ethnischen Gruppe
sehr spezifischen Ausprägung erwartet, wird
enttäuscht werden. Es geht Levtzion, wie er
selbst in der Einleitung sagt, um den Prozeß
der Verbreitung und Islamisierung als solchen,
nicht aber um die Darstellung islamischer Re-
ligiosität, islamischer Bräuche und der sozio-
politischen Bedeutung seiner Vertreter.
Die räumliche Beschränkung auf die histo-
rischen Staaten des Volta-Beckens, im Norden
abgegrenzt durch die Mosi, im Süden durch
die Ashanti, im Westen durch die Lobi, Ku-
lango und Brong und im Osten durch die
Kotokoli und Basari ist sinnvoll. Sie ermög-
licht dem Autor eine sehr ins Detail gehende
Untersuchung über lokale Herkunft, Ansied-
lung und Abstammungsverhältnisse der ver-
schiedenen patronymischen Gruppen von
Mande- und Hausa-Ursprung, welche bei ih-
rer Einwanderung in diesen Raum den Islam
mitbrachten und ihn über die bestehenden
staatlichen Abgrenzungen hinweg verbreite-
ten. Diese Einwanderung setzte etwa in der
Mitte des 16. Jahrhunderts ein, noch bevor
Djakpa, der Gründer des Gonja-Staates (Re-
gierungszeit 1623—66) die Ansiedlung von
Muslimen auf seinem Staatsgebiet förderte.
Im Dagomba-Staat erlangten die Muslime
ihre offizielle Anerkennung unter König Zan-
gyina (1695—1713); etwa zur selben Zeit ka-
men muslimische Gruppen auch nach Mam-
prusi und Sansanne-Mangu. Aus diesen wich-
tigsten Daten zur historischen Einordnung des
Beginns des Verbreitungsprozesse im Volta-
Becken geht schon hervor, welch gründliche
historisch-ethnologische Vorarbeit vom Autor
geleistet werden mußte, bevor er daran gehen
konnte, diesen Verbreitungsprozeß selbst dar-
zustellen. Eine solche Vorarbeit für einen
Raum, für den noch keine historischen Unter-
suchungen vorliegen, die über die Wiedergabe
einzelner oraler Selbstdarstellungen hinaus-
gehen würden, bedeutet: umfassendes Quel-
lenstudium und ausgedehnte Feldforschung.
Beides hat Levtzion geleistet und er erweist
sich in allen historischen Angaben der vorlie-
genden Publikation (und mehrerer Aufsätze)
als ein quellenkritisch arbeitender Kenner der
Geschichte des gesamten Volta-Beckens.
Dem Hauptteil der Arbeit stellt der Autor
ein Kapitel über den Handel der Mande, ein
Kapitel über den Handel der Hausa und ein
Kapitel über die Handelsstadt Salaga (im
heutigen Gonja-Gebiet) voran, und er ver-
sucht damit, die wirtschaftlichen Vorausset-
zungen für die friedliche Ausbreitung des Is-
lam von Norden nach Süden und von Osten
nach Westen zu fassen. Der Hauptteil der Ar-
beit besteht aus der Untersuchung des Islam
in Gonja (26 S.), in Sansanne-Mangu (7 S.),
in Dagomba (38 S.), in Mamprusi (24 S.) und
bei den ethnischen Gruppen im Nordwesten
des heutigen Ghana (21 S.). In einem 3. Teil
untersucht er zum Vergleich noch kurz die
Verbreitung und Aufnahme des Islam in den
Randgebieten des von ihm abgesteckten Ge-
bietes: im Mosi-Staat von Wagadugu (10 S.),
Borgu und Kotokoli (8 S.) und in Ashanti
(7 S.).
An diesem Werk Levtzions, das noch lange
ein Standard-Werk bleiben wird, verdienen
noch die vortrefflichen Bemerkungen zu Da-
tierungsfragen, die als Anhang beigegeben
sind, besondere Beachtung.
Brigitta Benzing
WILHELM JOHANN MÜLLER:
Die Africanische auf der Guineischen Gold-
Cust gelegene Landschafft Fetu. Einleitung
von Jürgen Zwernemann. (= Frühe Reisen
und Seefahrten in Originalberichten, Band
7. Faksimile-Nachdruck d. Ausgabe Ham-
burg 1676.) Graz: Akademische Druck- u.
Verlagsanstalt. 1968. XXXVI + 287 S.,
5 Tafeln. Preis: DM 25.—.
Zu den einstmals berühmten, bald jedoch
„zu Unrecht vergessenen“ Reisebeschreibun-
gen gehört die „Africanische Landschaft Fetu“
von W. J. Müller (Hamburg 1676). Die Aka-
demische Druck- u. Verlagsanstalt in Graz,
der wir schon zahlreiche Wiederauflagen alter
Werke verdanken, legt nun eine Faksimile-
Ausgabe dieser Reisebeschreibung vor, deren
Wert durch eine ausführliche und genaue Ein-
leitung von Jürgen Zwernemann noch gestei-
gert wird. W. J. Müller war als evangeli-
scher Pastor eines dänischen Handelsforts über
acht Jahre (1662—1670) an der damaligen
192
Buchbesprechungen
Goldküste. Sein Buch — aus der Sicht eines
„barocken“ Europäers und bei allem Wohl-
wollen mit der ganzen Überlegenheit des
Weißen über die „Wilden“ geschrieben —
stellt trotz der Naivität des Verfassers eine
kulturelle und historische Quelle ersten Ran-
ges dar. Nicht nur deshalb, weil aus dieser
Zeit wenig Berichte existieren, sondern weil
er, wie Zwernemann hervorhebt, ein scharfer
und aufrichtiger Beobachter war. Merkwürdi-
gerweise ist seine Chronik von den späteren
wie Dapper nicht benutzt worden. Das in fünf
Teile zerfallene Buch behandelt: 1. Land und
Leute, 2. „Abgötterey, Un- und Aberglauben“,
3. vom weltlichen Stande, 4. vom Haus-
Stande (Haus, Kleidung, Nahrungsmittel,
Hochzeit, Berufe und Handwerke) und
schließlich 5. vom Ende des Lebens. So amü-
sant es ist, dieses Werk im Faksimile-Druck
in den gotischen Lettern des 17. Jahrhunderts
zu lesen, so möchte man doch fragen, ob dies
notwendig war. Auch für den Deutschen ist
dieser Text zweifellos komplizierter zu lesen
als in der Transkription in lateinischen Let-
tern. Seine Lesbarkeit wird auf jeden Fall da-
durch herabgesetzt
Eike Haberland
BRIGITTE MENZEL:
Goldgewichte aus Ghana (= Veröff. d.
Museums f. Völkerkunde Berlin, N. F. 12.
Abt. Afrika UI.) Berlin: Museum f. Völ-
kerkunde. 1968. 242 S., 1413 Abb., 1 Karte.
Preis: DM 24.—.
Die Goldgewichtsammlung des Berliner
Museums für Völkerkunde wurde von Frau
Menzel durch sechsmonatige Feldforschung in
Ghana zur Veröffentlichung erschlossen. In
einer ausführlichen Einleitung (80 S. + 31 S.
Anmerkungen) setzt die Verfasserin sich mit
dem Goldhandel, der Goldgewinnung, der
Herstellung und den Motiven der Goldge-
wichte, dem Gewichtssystem und den Ge-
wichtssätzen auseinander. Für diesen Teil der
Arbeit wertete sie neben eigenen Notizen
auch die Literatur gründlich aus, so daß der
Leser sich hier ein komplettes Bild des derzei-
tigen Forschungsstandes machen kann. Den
einzelnen Abschnitten der Einleitung sind
zahlreiche instruktive Fotos beigegeben. Die
Feldforschung ermöglichte es der Verfasserin,
zahlreiche Unklarheiten der Literatur richtig-
zustellen und umfangreiche ergänzende Noti-
zen zu sammeln.
Der zweite Teil des Buches ist der katalog-
mäßigen Beschreibung von Waagen, Gold-
staublöffeln, Prüfsteinen, Goldstaubdosen und
anderem Zubehör (insges. 100 Nummern) so-
wie vor allem der Berliner Goldgewichts-
sammlung (1209 Nummern) gewidmet. Kata-
logtext und Bildteil sind — im Gegensatz zur
Einleitung — nicht synchronisiert. Die Tren-
nung beider bot sich fraglos aus praktischen
Gründen an. Der Text des Katalogteils wurde
durch ein sinnvolles Abkürzungssystem erheb-
lich eingeschränkt, ohne daß ein Substanzver-
lust zu verzeichnen wäre.
Der erste Teil der Arbeit ist synoptisch
zweisprachig (Deutsch/Englisch) verfaßt. Auch
die Objektbenennungen im Katalogteil sind
zweisprachig gehalten. Soweit der Akan-
Name zu ermitteln war, wurde dieser beige-
fügt.
Auch ein sehr kritischer Leser wird an dieser
Arbeit nur Kleinigkeiten beanstanden können.
50 wird sich der im Twi etwas Bewanderte an
der Form Nyame (Gott) stoßen (z. B. S. 48).
Isoliert muß es stets Onyame heißen. Das Prä-
fix kann eigentlich nur im gesprochenen Twi-
Satz fallen. — Auf S. 67 ist von „Webkäm-
men“ die Rede (ebenso S. 230). Die Abbildung
1148 zeigt aber eindeutig die sog. schwingende
Lade, die beim sudanischen Trittwebstuhl die
Funktion von Kamm und Schwert zugleich
hat.
Sehr wichtig ist der Hinweis, daß die Ge-
wichte mit geometrischen Ornamenten keine
Markierung haben, die auf das tatsächliche
Gewicht, des Objekts hinweist (S. 71). Das
steht im Gegensatz zu den Arbeiten von
Abel. Sollte hier ein Unterschied zwischen
Ashanti und Baule bestehen?
Ergänzend sei vermerkt, daß Blasschaufeln,
die zur Reinigung von Goldstaub benutzt
wurden, nicht nur aus Messing (S. 84) bekannt
sind. Das Linden-Museum erwarb kürzlich
eine Blasschaufel aus Holz (Katalog-Nr. F
51 034).
In der Literaturliste vermißte der Rezensent
vor allem die zweite Arbeit von H. Abel (Dé-
chiffrement des poids à peser l’or en Côte d’
Ivoire. Journ. de la Soc. des Africanistes 22,
1952; 24, 1954; 29, 1959). Das Buch von Mar-
garet Webster Plass (African Miniatures, Lon-
don 1967; Vgl. Tribus 17, 1968, S. 208 f.) ist
wohl zu spät erschienen, um noch Berücksich-
tigung zu finden. —
Der Verfasserin gebührt unser Dank für
diese schöne und sorgfältige Arbeit, die dem
Buchbesprechungen
193
Afrikanisten und dem interessierten Sammler
hochwillkommen sein wird und für den Mu-
seumsethnologen ein wichtiges Hilfsmittel dar-
stellt.
Jürgen Zwernemann
PAULA BEN-AMOS:
Bibliography of Benin Art. (= Primitive
Art Bibliographies, No. VI). New York:
Museum of Primitive Art. 1968. 4°. 17 S.
Diese Bibliographie ist in vier Abschnitte
eingeteilt: Kunst und Archäologie, Geschichte,
Anthropologie (= Völkerkunde) und Lin-
guistik. Diese Gliederung verhilft dem Benut-
zer zu rascher Information über die Quellen-
lage in den verschiedenen Forschungsdiszipli-
nen und ermöglicht ein rasches Auffinden der
Titel, die zu bestimmten Fragen Auskunft ge-
ben können. Die Verfasserin schreibt in ihrem
Vorwort bescheiden, daß die Bibliographie
nicht erschöpfend sein könne. Es dürfte aber
schwer sein, Titel aufzuspüren, die nicht zitiert
sind. Ein knapper forschungsgeschichtlicher
Überblick ist der Bibliographie vorangestellt.
— Dem Fachmann sind die Hefte der „Primi-
tive Art Bibliographies“ eine wertvolle Hilfe,
und man kann nur wünschen, daß weitere
Hefte in rascherer Folge erscheinen.
Jürgen Zwernemann
SUZANNE COMH AIRE-SYLVAIN:
Femmes de Kinshasa hier et aujourd’hui.
(= Le Monde d’Outre-Mer passée et pré-
sent, Troisième Série, Essais VIII). Paris &
La Haye: Mouton & Co. 1968. 383 S., 17
Abb. auf Tafeln.
Es gibt bis heute immer noch zu wenig Un-
tersuchungen über die Stellung der Frau in
Afrika. Eine umfassende und systematische Be-
arbeitung dieses Problembereichs kann erst
dann erfolgen, wenn ausreichend empirisches
Material aus den verschiedensten Gegenden
Afrikas gesammelt worden ist. Die vorlie-
gende Untersuchung stellt einen Beitrag zu
dieser notwendigen Vorarbeit dar. Obwohl
sie, wie die Verfasserin selbst zugesteht, sta-
tistisch von nur beschränktem Wert ist, da die
Anzahl der Befragten zu klein und nicht re-
präsentativ war, beinhaltet sie eine immense
Fülle von Details und ist deshalb als Material-
sammlung, besonders für vergleichende Arbei-
ten, sehr nützlich. Teile dieses Bandes beruhen
auf Arbeiten, die bereits früher in verschiede-
nen Zeitschriften erschienen sind.
Die Autorin befaßt sich mit der Situation
der Frau in Kinshasa zu zwei verschiedenen
Zeitpunkten. Der 1. Teil der Arbeit, in dem
unter Kinshasa eine' der zwei afrikanischen
Städte (Kinshasa und Kintambo) des alten
Leopoldville gemeint ist, beschreibt die Lage
um 1945, wobei die Verfasserin besonders auf
die Ausbildungspolitik, die Bedingungen des
täglichen Lebens und die sozialen Verhältnisse
eingeht. Abgeschlossen ist dieser Teil mit 6
Biographien von Frauen und Mädchen aus
Kinshasa. Im 2. Teil werden die sozialen Ver-
hältnisse in Kinshasa — wie heute das gesamte
Leopoldville heißt — bis zum Jahr 1965 dar-
gelegt mit besonderer Berücksichtigung der
Probleme des Alltags und der Familie. Der 3.
Teil befaßt sich mit den Arbeitsbedingungen
und -möglichkeiten und der Einstellung der
Kongolesen zur Frau im Berufsleben. In Teil 4
geht es um die Evolution der Frau, wobei ihr
gegenwärtiger Status in Familie, Gesellschaft,
Politik, Wirtschafts- und Rechtsleben festge-
stellt wird. Weiter erläutert dieser Teil den
Stand der weiblichen Ausbildung als wichtig-
sten Faktor der Evolution sowie das Vereins-
leben der Frauen, das in Kinshasa besonders
ausgeprägt ist und unter anderem die Förde-
rung der Emanzipation der Frau zum Ziel hat.
Im 5. Teil finden wir wieder eine Reihe von
Biographien, die das Leben von Frauen aus
verschiedenen Berufszweigen und sozialen
Situationen beschreiben.
In den 20 Jahren von 1945 bis 1965 hat sich
die Stellung der Frauen von Kinshasa in allen
Bereichen erheblich zu ihren Gunsten verän-
dert. Sie werden nicht mehr als Kinder verhei-
ratet — wobei ihre Männer oft sehr viel älter
waren —, sondern wählen sich heute größten-
teils als Erwachsene ihre Partner selbst. Sie
sehen den Mann nicht länger in der Rolle des
Herrn und Meisters, sondern beanspruchen
Respekt für ihre eigene Persönlichkeit und ein
Mitspracherecht in der Familie, wenn auch die-
ser Anspruch noch nicht durchweg realisiert
wird. Den Männern fällt es schwer, sich an
diese neue Situation zu gewöhnen. Aber auch
sie lernen einsehen, daß für die Zukunft die
gleichberechtigte Zusammenarbeit von Män-
nern und Frauen unerläßlich ist. Dies wird
um so leichter möglich sein, als die Ausbil-
dungschancen heute für Jungen und Mädchen
fast gleich sind, wenigstens in der Elementar-
ausbildung, und große Anstrengungen seitens
der Regierung gemacht werden, dies auch für
die höhere Ausbildung zu erreichen. Auf dem
n
194
Buchbesprechungen
Arbeitssektor werden laufend neue Berufe für
die Frau erschlossen, die früher nur von Män-
nern ausgeübt wurden. Zwar werden Frauen,
die die gleiche Arbeit leisten wie Männer, meist
schlechter als diese bezahlt, aber da die Frauen
inzwischen beginnen, sich gewerkschaftlich zu
organisieren, dürfte sich auch diese Situation
ändern. Im Vereinsleben sind Bestrebungen im
Gange, die vielen einzelnen Organisationen
zusammenzufassen, so daß sie mit mehr Erfolg
für die Emanzipation der Frau im besonderen,
aber auch für den Aufbau des Landes im all-
gemeinen tätig sein können.
Agnes Klingshirn
ALFRED HAUENSTEIN:
Les Hanya. Description d’une groupe ethm-
que bantou de PAngola. (= Studien zur
Kulturkunde Bd. 19), Wiesbaden: Franz
Steiner Verlag. 1967. XX + 362 S., 42 Pho-
tos, 2 Faltkarten. Preis: DM 60.—.
Alfred Flauenstein lebt seit 20 Jahren als
evangelischer Missionar in Angola. Schon man-
che Arbeit bezeugt sein ethnographisches Inter-
esse und seine vorzügliche Kenntnis dieses Ge-
bietes. Hier legt er, der das Umbundu be-
herrscht, nun eine Monographie über die bisher
fast unbekannten Hanya vor. Auch die be-
nachbarten Nganda (Ganda) werden, soweit
Informationen erhältlich waren, mitberück-
sichtigt.
In einem Vorwort (S. VII—XVI) stellt H.
Baumann die Hanya in den größeren Rahmen
der afrikanischen Kulturgeschichte. Er hebt
mehrere Kulturkomplexe heraus und zeigt die
Fäden auf, die ihre Kultur mit dem übrigen
Angola und dem Mittelbantugebiet verknüp-
fen. Während H. die Hanya noch zu den Vi-
mbundu rechnet, sieht Baumann in ihnen nur
„mbunduisierte“ Gruppen des Hirtenpflanzer-
blocks. Die Vimbundu wirkten vor allem als
Vermittler der „Königskultur vom Jaga-
Lunda-Typus“ (S. IX).
Auf eine kurze geographische Einführung
folgt ein historischer Abriß, den man sich
gerne noch ausführlicher gewünscht hätte, doch
stand dem Autor nur in begrenztem Maße Li-
teratur zur Verfügung. Alle Königsfamilien
der Hanya und Nganda führen ihren Ur-
sprung auf die großen Ngola-Könige in N-
Angola zurück. Nach H.s Darstellung sollen
dort drei Könige mit dem Namen Ngola re-
giert haben, wobei er, offensichtlich irrtümlich,
den zweiten, Ngola Bandi, über einen Zeit-
raum von 110 Jahren an der geschichtlichen
Entwicklung teilhaben läßt (S. 12). Ngola ist
Indes wohl nur ein Titel gewesen (s. Vansina,
Kingdoms of the Savanna, 1966, S. 125—145).
Durch ein Versehen erhält man leider auch
zwei Daten für die Verlegung Cacondas auf
das südliche Hochplateau (S. 9: 1768, 1786.
Vansina op. dt. S. 145 nennt 1685).
Diesen Einleitungskapiteln schließt sich die
eigentliche Kulrurschilderung mit sechs großen,
In sich wiederum sehr übersichtlich aufgeglie-
derten Abschnitten (was den fehlenden Index
beinahe ersetzt) an: individuelles und soziales
Leben, Wirtschaft, Kunst, Königtum und Reli-
gion. Die durch den Kontakt mit den Euro-
päern vor allem In diesem Jahrhundert sicher
auch hier erfolgten Veränderungen und Ak-
kulturationserscheinungen bleiben ausgeklam-
mert. Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu
können, sei doch einiges, was auf weiterrei-
chende Kulturzusammenhänge hinweist, her-
ausgegriffen.
Aus dem Bereich des individuellen Lebens
erinnert die besondere Behandlung der Pla-
zenta von Zwillingen, sowie die des zuletzt
geborenen Kindes bei zu schnell aufeinander-
folgenden Geburten an ostafrikanische Ver-
hältnisse. Sie wird nämlich an einem Wasser-
lauf vergraben, um den Regen zu garantieren
(s. Lagercrantz, Ethnol. Studier 1941, S.
256 f.).
Die spät eingeführte Beschneidung wurde
wahrscheinlich, wie in Caluquembe, von den
Ngangela übernommen, während die Mäd-
cheninitiation auf südliche Einflüsse zurück-
gehen soll. Der starken Viehzüchterkompo-
nente bei den Hanya (Hörnerdeformation!)
entspricht die Bestattung reicher Leute In der
Rinderhaut (S. 81), während die Beisetzung
von Jägern in Steingräbern erfolgt (S. 158),
die sich auch im Kibala-, Mbundu- und Lu-
imbigebiet finden und nach Baumann „sicher
mit den Steingräbern der Könige in den alten
Jaga-Räumen Zusammenhängen“ (S. X).
Es wäre wünschenswert, wenn H. mehr über
das reziproke Klanverhältnis der Hanya er-
fahren könnte, das seine nächste Parallele bei
den Nyaneka hat. Ob es sich eines Tages mit
der Scherzverwandtschaft der östlichen Mittel-
bantu verbinden läßt?
Von den Riten und Vorstellungen um den
König, denen H.s besonderes Interesse gilt, sei
vor allem das einmal während der Regierungs-
zeit eines jeden Königs vollzogene ekongo-
Menschenopfer hervorgehoben. Bemerkens-
wert daran ist bei den Hanya das Trinken des
Buchbesprechungen
195
frischen Opferblutes durch den König, wovon
schon Cavazzi aus dem Matambareich berich-
tete, und das auch bei den Amboim geübt
wurde. Vielleicht ist hier eine Beziehung zum
tombokela-Ritus der Lubakönige zu sehen. Die
Bedeutung der königlichen Schädel Im Kult
weist über die Jaga auf die Lunda (S. XV).
Im Leben der Hanya spielen Besessenheits-
geister eine dominierende Rolle. Das Besessen-
sein ist Voraussetzung für die Berufsausübung
der Wahrsagerinnen, Berufsjäger, Bienen-„jä-
ger“ und des Beschneiders. Solche „Berufsbe-
sessenheit“ ist eine typische Erscheinung im
Mittelbantugebiet mit Schwerpunkten in An-
gola und Rhodesien. Die Verantwortung für
die Fruchtbarkeit der Frau trägt vor allem der
Besessenheitsgeist Mbimbi, der auch bei einigen
Stämmen SW-Angolas im Rahmen der Mut-
terbräuche auftritt, über dessen rätselhafte Be-
ziehung zum Vogel onkhombe (Helotarsus
ecaudatus) leider auch H. keine näheren An-
gaben erhalten konnte.
Diese vorzügliche Monographie erweist sich
als eine reichhaltige Quelle mit sehr sachlich
erarbeiteten und ohne hypothetische Belastung
dargebotenem Material. Besonders erfreulich
ist die ausführliche Darbietung von Hanya-
begriffen. Zahlreiche Photos veranschaulichen
die Beschreibung. Es verwundert und ermun-
tert zugleich, daß es zum heutigen Zeitpunkt
noch möglich Ist, derartig detaillierte Angaben
über eine Stammeskultur zu erhalten. Es bleibt
der Wunsch, daß der Verfasser noch zahlreiche
weitere Berichte über sein Forschungsgebiet
veröffentlichen wird.
Beatrix Heintzc
GERHARD JULIUS LIESEGANG:
Beiträge zur Geschichte des Reiches der
Gaza Nguni im südlichen Mogambique
1820—1895. Phil. Diss. Köln 1968, 293 S.,
9 Karten, 4 Tafeln, 3 Abb.
Das Buch behandelt die Geschichte der Gaza
Nguni, die um 1820 mit dem Exodus ver-
schiedener Nguni-Gruppen aus den von Shaka
beherrschten Gebieten Südostafrikas nach
Norden begann. Eine dieser Gruppen unter
ihrem Führer Manikusse gründete im südli-
chen Mocambique das Reich der Gaza Nguni.
Erst 1895, nachdem auf Manikusse drei wei-
tere Regenten (Mawewe, Mzila und Gun-
gunyana) gefolgt waren, konnte es von den
Portugiesen nach ihrem Sieg über Gungunyana
bei Coolela besetzt und in den einem Gouver-
neur unterstellten „Militärdistrikt von Gaza“
umgewandelt werden.
Der Vorzug der vorliegenden Arbeit be-
steht darin, daß Liesegang, gestützt auf zwei
Stipendien, während längerer Aufenthalte in
London und besonders in Lissabon, nicht nur
wenig bekannte und schwer zugängliche Lite-
ratur heranziehen konnte, sondern auch eine
Fülle von unveröffentlichtem Archivmaterial
auswertete. Die im Mittelpunkt seiner sorg-
fältig-kritischen Darstellung stehenden ge-
schichtlichen Ereignisse und Entwicklungen
werden u. a. durch Ausführungen über die
politische Organisation des Reiches ergänzt.
Über die Herrscherpersönlichkeiten erfährt
man dagegen wenig. Von ihnen ist allein
Gungunyana besser bekannt, und eine Ge-
samtbeurteilung gerade dieses letzten Königs
der Gaza Nguni wäre wünschenswert. Sehr
nützlich ist das Einleitungskapitel, das der
ethnischen und politischen Gliederung des süd-
lichen Mocambique vor dem Eindringen der
Nguni gewidmet ist. Es bringt u. a. eine ge-
naue Untersuchung über den Wandel der Be-
zeichnungen ethnischer Einheiten dieses Ge-
bietes während der letzten 200 Jahre (z. B.
Landins, Thonga, Mendongue etc.). Zahlreiche
wichtige Details im Anmerkungsteil lohnen
dem Leser das ermüdende Zurückblättern. Im
Anhang sind schließlich noch vier geschichtliche
Dokumente und ein Bericht über die Alters-
klassen der Gaza Nguni abgedruckt. Ein klei-
ner Schönheitsfehler: Das Karten Verzeichnis.
Es hätte sorgfältiger mit der Zahl und Reihen-
folge der Karten sowie den Seitenangaben ab-
gestimmt werden müssen.
Diese im ganzen gesehen ausgezeichnete
Dissertation ist jedem zu empfehlen, der sich
für Geschichte und Kultur des südlichen Mo-
cambique interessiert.
Beatrix Heintze
/. R. CRAWFORD:
Witchcraft and Sorcery in Rhodesia. Lon-
don: Published for the International Afri-
can Institute, by Oxford University Press.
1967. XII + 312 S., 1 Abb., 1 Tabelle.
Preis: s. 60/—.
Als Quellenmaterial verwendet der Verfas-
ser amtliche Aufzeichnungen über Gerichts-
fälle, in denen es um das gesetzliche Verbot
des Hexenwesens geht. Es gelingt ihm zweifel-
los durch deren Auswertung ein umfassenderes
Bild der betreffenden Problematik zu geben
als es mit der herkömmlichen Feldforschung
196
Buchbesprechungen
möglich wäre, da diese zeitlich und räumlich
sehr begrenzt ist. Crawford übersieht keines-
wegs die Lückenhaftigkeit der Quellen und die
Gefahr der Einseitigkeit. Er schildert knapp
den für das Verständnis des Hexenglaubens
bei den Shona notwendigen gesellschaftlichen
Hintergrund. Kenntnisse über Lineagestruktur
und Eheformen der Shona sind für das Ver-
ständnis des Hexenglaubens unerläßlich. Weil
eine Ehefrau nicht zur Lineage ihres Eheman-
nes gehört, werden vorwiegend Ehefrauen und
Mütter als Hexen beschuldigt. Da das Hcxen-
tum erblich ist, und zwar wie vielfach in Af-
rika nur in der weiblichen Linie, würde eine
Beschuldigung der Hexerei innerhalb der
Patrilineage zur Spaltung führen.
In einem ersten Teil bespricht der Verfasser
das Beweismaterial für Hexerei bei Strafge-
richtsfällen und erörtert dann, weshalb manche
Frauen freimütig bekennen, daß sie Hexen
sind. Einer der Hauptgründe, meint er, sei der
Wunsch älterer Frauen, ihre gesellschaftliche
Stellung in der Gemeinschaft ihres Mannes zu
steigern. Da sie nicht Mitglieder der Lineage
ihres Ehemannes sind, bleibt ihnen als Mittel
dazu oft nur die Zuflucht zur Hexerei, um
Furcht zu erregen. Crawford verweist auf
neuere Untersuchungen, die auf einen Zusam-
menhang zwischen Nahrung und derartigen
Geständnissen schließen lassen (S. 65).
Im zweiten Teil des Buches geht es um die
Beschaffenheit des Hexenglaubens. Er habe
eine soziale Bedeutung, meint der Verfasser,
weil er eine Theorie der Verursachung mit
einer Personifizierung der Kräfte verbinde, die
die Gemeinschaft verabscheue. Beschuldigun-
gen der Hexerei spiegeln Spannungen und
Konflikte in der Gemeinschaft wider (S. 72—
73). Crawford unterscheidet Hexerei („witch-
craft“) und Zauberei („sorcery“), wie es die
Shona tun. Während Hexerei eine psychische
Handlung ist, sind für Zauberei Riten und
„Medizinen“ notwendig. „A ,real‘ witch is a
person possessed by an evil ancestral spirit
(mudzimu) or an evil spirit of human or ani-
mal origin derived from outside the family
circle (shave spirit)“. Auch der Hcxenglaube
der Shona ist nicht ohne die religiösen Vor-
stellungen des jeweiligen Volkes zu verstehen,
und daher schildert der Verfasser die verschie-
denen Geistwesen der Shona. Da Hexerei eng
mit Vorstellungen über Ursachen von Krank-
heiten und Unglücksfällen verknüpft ist, wer-
den auch diese eingehender behandelt. Eine
Hexe kann man dadurch werden, daß man
von einem Geist besessen oder von einer ande-
ren Hexe in die Hexerei eingeweiht wird. Mit
Hilfe eines nganga kann der Geist beschworen
werden, so daß die betreffende Person nicht
von ihm besessen und daher keine Hexe wird.
Die Vorstellungen der Shona (und der Nde-
bele) über Verhaltensweisen der Hexen hätten
in großen Zügen Ähnlichkeit mit denen der
Europäer, meint der Verfasser. Hexen wird
vorgeworfen, daß sie Menschenfleisch essen,
wofür vereinzelt Belege in den Gerichtsproto-
kollcn zu finden sind. Im allgemeinen glaubt
man, die Reittiere oder Hilfsgeister der Hexen
seien Hyänen, Eulen, Krokodile und andere
Tiere insbesondere Ameisenbären. Aber es gibt
auch andere Hilfsgeister wie verkrüppelte
Geisterkinder (chitukwani). Hexen können
Naturerscheinungen wie Blitze beeinflussen,
Rachegeister zu ihren Opfern schicken, aber
auch verschiedene „Medizinen“ anwenden.
Dem Wunsch nach Abwehrzauber nicht nur
für einzelne, sondern für ganze Dorfgemein-
schaften kommt der nganga nach.
In dem dritten Teil des Buches über die Be-
schuldigungen der Hexerei analysiert Craw-
ford zunächst seine 103 Gerichtsfälle, um fest-
zustellen, welche Personenkreise der Hexerei
beschuldigt werden. Er vergleicht seine Be-
funde mit denjenigen bei Cewa und Lovedu
und versucht die Ergebnisse, m. E. mit Erfolg,
zu der jeweiligen Gesellschaftsstruktur in Be-
ziehung zu setzen (S. 131 —162). Unter ande-
rem kommt er zum Schluß, daß die Stärke der
Patrilineage bei den Südostbantu Hexereibe-
schuldigungen innerhalb der Lineage fast aus-
schließe, während die labilen Matrilineages der
Cewa dazu führen, daß am häufigsten matri-
lineare Verwandte der Hexerei beschuldigt
würden. Besonders wichtig sind die wenigen
Fälle, in denen ohne Wahrsager die Beschuldi-
gung der Hexerei erhoben wird, weil der un-
mittelbare Grund dafür den Zeugen bekannt
ist. Die Verfahrensweisen bei der Wahrsagerei,
die zur Feststellung einer Hexe durch einen
Wahrsager führen, fallen nach Crawford in
drei Kategorien: in die psychische, wenn der
Wahrsager behauptet allein kraft seiner geisti-
gen Fähigkeiten die Hexe bestimmen zu kön-
nen; in die psychologische, wenn der Wahr-
sager die nötigen Angaben seinen Klienten ent-
lockt; schließlich in die zufällige, wenn die
Erratung der Hexe dem Zufall überlassen
wird. Unter diesen Gesichtspunkten werden
Verfahrensweisen der herkömmlichen Wahr-
sager, die übernatürlichen Hinweise auf eine
Buchbesprechungen
197
Hexe und die Ordalien dargestellt. Es werden
aber auch die Propheten der Sekten behandelt,
die ebenfalls feststellen, wer eine Hexe ist.
Ein letzter Teil über Folgen aus der Be-
schuldigung der Hexerei enthält ausführliche
Angaben über die Haltung der Hexe selbst
und die anderer gegenüber der Hexe. Gegen
Hexen wird heute immer mehr Vergeltungs-
zauber angewandt, da stammesrechtliche Mit-
tel gegen Hexerei verboten sind. Es kann ein
nganga den Geist des durch Hexerei Getöteten
in einen Rachegeist verwandeln, der sich an der
Hexe rächt. Das Opfer einer Hexe kann sich
aus ihrem unmittelbaren Wohnbereich entfer-
nen; denn ihre Kraft reicht niemals über die
nächste Nachbarschaft hinaus. Man kann aber
auch versuchen, die Hexe zu überreden, ihre
Verhexung rückgängig zu machen. Oft wird
der nganga zu Rate gezogen. Mit seiner Hilfe
kann ein Ehemann seiner Frau (durch einen
ausführlich geschilderten Ritus) helfen, sich
von der Besessenheit der Hexerei zu heilen.
Im abschließenden Kapitel werden Schluß-
folgerungen gezogen, die geläufige Annahmen
entkräften. Crawford warnt davor, anzuneh-
men, der Hexenglaube nehme in städtischen
Gebieten ab; denn Städter hätten lediglich
besser gelernt, gesetzliche Bestimmungen zu
umgehen, um Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Er glaubt, Hexerei sei ein wichtiges Mittel zur
Beeinflussung der Gesellschaft, weniger eine
Sanktion gegen Übertretungen gesellschaft-
licher Normen. Er verweist darauf, daß erst
der Nachweis der Hexerei soziale Spannun-
gen aufheben könne, was aber heutzutage sehr
schwierig sei, da die überzeugendsten Mittel
zum Beweis der Schuld einer Hexe, wie das
Ordal, verboten seien. Er stellt auch fest, daß
die religiösen Vorstellungen zwar mit dem
Hexenglauben verbunden, für dessen Weiter-
leben aber nicht unbedingt erforderlich seien.
Wie andere Völker glaubten die Shona an ein
Verhalten der Hexen, das die Umkehrung des-
sen sei, was die Gesellschaft verlange. Er be-
zweifelt, daß es immer richtig Ist, die Beschul-
digung der Hexerei als einen Ausdruck sozia-
ler Gegensätze zu sehen; denn man übersehe
dabei, daß eine derartige Beschuldigung eine
dynamische Kraft in der Gemeinschaft dar-
stelle.
Zweifellos ist es Crawford gelungen, eine
Frage in einer noch existierenden Gesellschaft
an Hand von schriftlichen Quellen in einer
Weise zu untersuchen, die auch als wertvoll für
rein historische Untersuchungen an Hand von
schriftlichen Quellen über nicht mehr existie-
rende Völker gelten kann. Wichtig sind die
wörtlichen Zitate aus den Protokollen der Ge-
richtsverhandlungen, die die Vorstellungen der
Shona (und Ndebele) über Hexerei und Zau-
berei widerspiegeln. Crawfords Werk dürfte
sich als sehr aufschlußreich für Ethnologen er-
weisen, die sich für Hexenglauben überhaupt
und insbesondere in Afrika und bei den Shona
interessieren.
Johannes W. Raum
FLOYD AND ULI AN O. DOTSON:
The Indian Minority of Zambia, Rhodesia
and Malawi. New Haven & London: Yale
University Press. 1968. XIV + 444 S.,
Karte, 9 Tabellen. Preis US $ 10.00.
Jedem, dem an einer modernen Ethnologie
gelegen ist, kann das Buch empfohlen werden.
Nicht so sehr deshalb, weil sich der Ort der
Handlung in deutschen Völkerkundlerkreisen
keiner sonderlichen Beliebtheit zu erfreuen
scheint, und nicht nur, weil die Personen der
Handlung selbst in rezenten Abhandlungen
über „Völker“ Afrikas nicht mal als Statisten
auftreten, sondern weil sich die Dotsons hier
mit Erfolg eines Themas angenommen haben,
um das wir uns meist mit unguten Gefühlen
drücken: das Thema jener Minoritäten, die
nicht am Grunde der Gesellschaftspyramidc
zu finden sind, sondern die eine gewisse wirt-
schaftliche und politische Macht besitzen. Da
wo deutsche Völkerkundler sich für gewöhn-
lich am Ende ihres Lateins fühlen würden und
bereit wären, das Feld einem Soziologen zu
überlassen, unternehmen die Dotsons eine
handfeste ethnographische Studie — daß sie
ihre ethnographischen Feldtechniken verteidi-
gen, zeigt allerdings, daß auch außerhalb unse-
res Traditionalismus noch gewisse Vorbehalte
bestehen.
Doch ist es nicht die Applizierbarkeit der
Techniken ethnographischer Feldforschung,
die in Frage gestellt werden muß: das Pro-
blem liegt tiefer, und es sind in der Tat die
herkömmlichen ethnologischen Theorien, die
durch die veränderte Perspektive nicht mehr
angemessen erscheinen. (Ich gehe deshalb we-
niger auf das Material selbst als auf seine
Interpretation ein.) Konnte man vom Ge-
sichtspunkt der „Stammes“-Ebene aus Er-
scheinungen des Kulturgefälles als Diffusions-
problem bagatellisieren und somit, letztlich,
aus der Beschreibung der traditionellen Kul-
tur eliminieren, so standen die Dotsons vor
198
Buchbesprechungen
der Tatsache, daß eben dieses Gefälle die Kon-
stituierung ihrer Minorität erst ermöglichte.
Statt sich mit einem Abschnitt „Markt“ in
einem Kapitel „Wirtschaft“ einer Stammes-
monographie zufrieden geben zu können,
standen sie vor der Aufgabe, eben jenen
Markt, die ihn bedingenden und die daraus
resultierenden Verhältnisse und Wertvorstel-
lungen als ethnische Interaktion zum zentra-
len Thema zu erheben, da die untersuchte Mi-
norität aufgrund des Marktes existierte. Und
dabei handelt es sich nicht etwa um eine tra-
ditionelle Händlergruppe, sondern um einen
(aus dem Heimatland emigrierten) Teil eines
in verschiedenen Berufen erfahrenen Mittel-
standes, dessen Rolle erst durch die Gesell-
schaft, in die sie sich nicht nur einpaßten, son-
dern die sie bilden halfen, geprägt wurde.
Es ist offenkundig, daß in einer solchen Si-
tuation die gängigen Theorien des Funktiona-
lismus mit ihrer Ausgangsbasis „One society,
one culture“ überfordert sind. Nicht minder
ist die „Ergriffenheit“ der Afrikaner von den
westlichen Zivilisationsgütern, die ihnen die
Inder vermitteln, kulturhistorisch wohl rele-
vant, aber theoretisch nicht vorgesehen. Was
tun? Nun, die Dotsons sind konservativ ge-
nug, um den Begriff einer spezifischen Kultur
In ihrer Analyse beizubehalten. Um nun diese
Kulturen (oder besser deren Träger: organi-
sierte Gruppen oder Ethnien) miteinander in
Beziehung und in sich selbst In Bewegung zu
setzen, benutzen die Dotsons den Begriff der
Gesellschaft, definiert als ,interaktiver Pro-
zeß eines beliebigen Aggregats von Indivi-
duen“, ohne daß ein gegenseitiges Verständnis
(das die Dotsons als kulturellen Inhalt an-
sprechen würden) vorausgesetzt wird, so daß
Gesellschaft letztlich „prior to culture“ ist.
Kultur ist demgegenüber „group policy“
(„man’s peculiar mechanism for survival“)
und muß sich, mit nicht- oder anders-orien-
tierten Prozessen konfrontiert, anpassen und
verändern.
In diesem integrativen Gesellschaftsprozeß
erweisen sich nun einige Kulturen fähiger als
andere, und die vorhandenen Unterschiede in
der Adaptation bilden die kulturelle Basis der
sozialen Schichtung (Dominanz und Subordi-
nation) der Trägergruppen (Ethnien); eine
These, für die die Dotsons sich auf den tech-
nologischen Aspekt der Kultur besinnen, um
nicht den ethischen Superioritätsbegriff der
alten Evolutionisten übernehmen zu müssen.
Die hier vorgenommene Aufspaltung des Kul-
turbegriffs wird eingeleitet durch die These
„culture is power in two senses“, nämlich
einerseits Naturbeherrschung, andererseits
Menschenbeherrschung. Die Träger einer über-
legenen Kultur können nun diese „power“ aus-
nützen, um eine unterlegene Kultur sozial zu
unterwerfen, ohne sie moralisch zu integrieren.
Wir haben dann zwei „moral communities“ in
einer „social Organization“, oder, in herkömm-
licher Terminologie, zwei Ethnien in einer Ge-
sellschaft.
Ich würde es für besser halten, bekannten
(wenn auch mangels eines geeigneten Begriffs-
apparates im wesentlichen nur Induktiv defi-
nierten) Kategorien ihre Termini zu belassen,
statt diese für neue Kategorien zu benutzen,
deren Inhalt durch wiederum mangelhafte Ab-
grenzung von den alten Konnotationen über-
schattet wird. So indessen wird Kultur fak-
tisch auf Zivilisation reduziert, und unbefrie-
digend bleibt insbesondere die Analyse der
„power“-Verhältnisse in ihrer Relevanz für
die Untersuchung: der englische Begriff hat
einen so weiten semantischen Bereich, daß ohne
eine Reflexion auf den jeweiligen Inhalt eine
klare Analyse nicht möglich ist: Die einzige
Einschränkung geschieht durch die Einführung
der „Dominanz“, jedoch weniger im soziolo-
gischen, denn im biologischen Sinn. Und damit
kommen wir zum entscheidenden Punkt: Die
Kritik der Dotsons am Funktionalismus Ist im
wesentlichen auf die ahistorisch-normative
Seite gerichtet (mit dem Ergebnis, daß Stereo-
type mit Attitüden verwechselt werden), wo-
hingegen der implizierte Isolationismus (die
vom Evolutionismus übernommene Betrachtung
der Kulturen als Organismen) unangefochten
bleibt, ja, im Gegenteil zu einer Art Kultur-
darwinismus ausgebaut wird. Diese Betrach-
tungsweise mag angesichts der Differenz zwi-
schen den zur Debatte stehenden „Kulturen“
(europäische, indische und afrikanische) ver-
tretbar sein, aber auch nur so lange, als man
nicht gezwungen ist, nach afrikanischen Eth-
nien oder Engländern und Buren zu differen-
zieren. Mit dieser Differenzierung würde nicht
nur das postulierte kulturelle Niemandsland
an Eindruckskraft verlieren, sondern auch die
Inkongruenz von „society“ und „culture“.
Nicht in jedem Falle erleichtert das Konstant-
halten eines Faktors die Analyse. Andererseits:
Ansätze zu einer solchen Differenzierung sind
bereits im Material durch unterschiedliche Re-
ligionszugehörigkeit der Inder (Hindu und
Buchbesprechungen
199
Muslim) vorgegeben, so daß es jedem freisteht,
eine neue Interpretation zu versuchen.
Lorenz G. Löffler
H. S. MORRIS:
The Indians in Uganda. A study of caste
and sect in a plural society. Chicago & Lon-
don: The University of Chicago Press. 1968.
XII + 230 S., 10 Tabellen. Preis: US $ 8.00.
Diese Arbeit ist das Ergebnis von Unter-
suchungen, die im Laufe von zwölf Jahren
durchgeführt wurden, und die verschiedenen
Kapitel des Buches sind ursprünglich wohl als
einzelne Aufsätze geschrieben worden, so daß
sich dabei oft Überschneidungen und Wieder-
holungen ergeben, so wird zum Beispiel das
Kastensystem der Hindu an mehreren Stellen
erklärt. Die Religionsgemeinschaften der Hin-
du und Mohammedaner werden in eigenen
Kapiteln erläutert, es folgen aber später wie-
derum Kapitel mit ähnlichen Überschriften, in
denen das gleiche Material unter anderen Ge-
sichtspunkten noch einmal interpretiert wird.
Die Informationen über Hinduismus und Islam
an sich gehen nicht über das hinaus, was man
auch in anderen Werken lesen kann, während
das, was spezifisch für Uganda gilt, oft ein
wenig kurz kommt.
Das erste Kapitel bietet eine historische Ein-
führung. Hier beschäftigt sich der Autor in
erster Linie mit Sansibar, dem Sklavenhandel
und der Teilnahme der Inder an den Unter-
nehmungen des Sultans Said bis zum Verbot
der Sklaverei durch die Briten im Jahre 1897.
Der Sultan begünstigte die Inder, von denen
er sich beraten ließ, und gab ihnen religiöse,
wirtschaftliche und soziale Freiheit. Fast der
ganze Handel befand sich in den Händen indi-
scher Kaufleute, die sich entlang der Karawa-
nenroute niedergelassen hatten, auf der die
Araber Elfenbein und Sklaven aus dem In-
nern des Landes brachten. Reichtum und Ein-
fluß der indischen Kaufleute erregten den
Neid der Araber, doch sie wurden durch den
Sultan gezügelt. Die Inder bauten einen neuen
Stadtteil der Stadt Sansibar. Mit der Abschaf-
fung der Sklaverei ging ihr Wohlstand zurück.
Der Autor beschreibt ebenfalls den Bau der
Uganda-Eisenbahn und weist darauf hin, daß
die indische Bevölkerung Ostafrikas durchaus
nicht aus den Nachkommen der Eisenbahn-
arbeiter besteht.
In dem Kapitel über die indische Bevölke-
rung Ugandas geht der Autor darauf ein, daß
die Inder sehr verschiedenen Sprachgruppen
und Religionsgemeinschaften angehörten und
damit zumindest ebenso differenziert in ihrer
Herkunft waren wie die afrikanische Bevöl-
kerung. Es wird erwähnt, daß die indische Be-
völkerung nicht nur auf Grund der Einwande-
rung, sondern auch durch eine ansteigende Ge-
burtenrate anwuchs.
Der Autor beschäftigt sich dann eingehend
mit dem Problem der Untergliederung der in-
dischen Gemeinschaft in Uganda, die in ver-
schiedene Kasten und Sekten zerfällt. Er weist
darauf hin, daß die englische Bezeichnung
„community“, die für all diese Untergruppen
angewendet wird, sich nicht In die indischen
Sprachen übersetzen läßt, da dort jeweils ein
weit spezifischeres Äquivalent, das sich auf die
Zugehörigkeit zu einer Unterkaste oder reli-
giösen Sekte bezieht, erschien, so daß bei
Volkszählungen auf die Frage nach der com-
munity sehr verschiedene Antworten gegeben
wurden oder aber einfach die unspezifische
Antwort, daß man Hindu sei. Es kommt hin-
zu, daß auch Bezeichnungen für freiwillige
Vereinbarungen wie etwa Jamat oder Samaj,
die nichtsdestoweniger sich wieder an religions-
gemeinschaftliche Gliederungen anschließen,
unter dem allgemeinen Begriff community zu-
sammengefaßt werden können. Nach dieser
terminologischen Diskussion schildert der Autor
dann die Entstehung bestimmter Institutionen,
Beerdigungs- und Verbrennungsplätze, Mo-
scheen und Tempel der indischen Religions-
gemeinschaften. Er beschäftigt sich dabei vor
allem mit der Shia Ismaili-Sekte der Moham-
medaner, die unter Führung des Aga Khan
steht und sich durch ihre straffe Führung be-
sonders dazu eignet, zum Schrittmacher für
religionsgemeinschaftliche Organisationen der
indischen Minderheit zu werden. So war etwa
der Kampf der Mohammedaner um die Zutei-
lung von Land für Begräbnisstätten und Mo-
scheen von besonderer Wichtigkeit.
Bei der Schilderung der Hindu-Gruppen be-
schäftigt sich der Autor in erster Linie mit den
Patidars von Gujarat und diskutiert die In-
terne Struktur dieser Gruppe in allen Einzel-
heiten. Er setzt sich dann mit der Frage ausein-
ander, inwieweit die indischen Gruppen in
Uganda als Statusgruppen oder als Klasse an-
gesehen werden können. Er weist darauf hin,
daß sich innerhalb der indischen Minderheit
wiederum eine Klassenschichtung bemerkbar
macht.
Das Kapitel, das der Familienorganisation
der Inder gewidmet Ist, bringt viele inter-
200
Buchbesprechungen
essante Informationen. Ferner beschreibt der
Autor ausführlich die Handelsbeziehungen der
Inder, ihre Bildungsinstitutionen und ihre
Teilnahme an der Arbeit der Legislatur.
Das interessanteste und zugleich problema-
tischste Kapitel ist der Frage der pluralisti-
schen Gesellschaft gewidmet. Der Autor hat
diesen Begriff im Untertitel seines Buches ge-
nannt, es stellt sich aber heraus, daß er selbst
sich nicht ganz klar darüber ist, ob dieser Be-
griff für die Charakterisierung der Verhält-
nisse in Uganda wirklich brauchbar ist. Er
übernimmt zunächst Furnivals Begriff der
pluralistischen Gesellschaft in seiner politi-
schen und wirtschaftlichen Bedeutung. Furnival
hatte besonders darauf hingewiesen, daß die
verschiedenen Gruppen der pluralistischen
Gesellschaft nebeneinanderher leben, aber nicht
eigentlich zusammen leben. Der Autor wendet
diesen Begriff dann auf die drei Rangstufen
der Gesellschaft in Uganda, der Europäer, der
Inder, der Afrikaner an, die durch Rasse,
Sprache und Wirkungskreis deutlich voneinan-
der geschieden sind. Er weist darauf hin, daß
in den bisherigen Untersuchungen pluralisti-
scher Gesellschaften immer angenommen
wurde, daß die verschiedenen Gruppen sich in
deutlichen Schichten voneinander abheben,
während dabei pluralistische Gesellschaften
wie etwa die Malayas oder die der Schweiz,
in der verschiedene ethnische Gruppen neben-
einander existieren, ohne daß eine deutliche
Rangordnung vorliegt, hierbei nicht berück-
sichtigt wurden. Im Rahmen seiner Analyse
wird es für den Autor besonders schwierig, mit
diesem Begriff der pluralistischen Gesellschaft
zu arbeiten, weil er sich auch noch mit der
internen Gliederung der indischen Minderheit
auseinandersetzen muß. Er versucht dann auch
noch, den Begriff „Stand“ (estate) in die Dis-
kussion einzuführen, äußert jedoch Bedenken,
ob die Stellung der Inder im Rahmen der
Schichten der pluralistischen Gesellschaft
Ugandas wirklich der einer Standesordnung
entspricht. Er weist schließlich darauf hin, daß
die indische Minderheit in Uganda weder eine
Kaste, noch ein Stand, noch eine Klasse ist,
aber Aspekte aller dieser Kategorien aufweist.
In seiner Kritik an Furnival zeigt der Autor,
daß d ie Definition einer pluralistischen Ge-
sellschaft als einer Gesellschaft, die keinen ge-
meinsamen Willen und kein gemeinsames Wert-
system besitzt und nur durch die politische
Macht zusammengehalten wird, unzureichend
ist. Das Ineinandergreifen des Lebens und der
Interessen der verschiedenen Gruppen in
Uganda im Rahmen eines afrikanischen König-
reichs, das nur unter indirekter Kolonialherr-
schaft stand, läßt sich nicht ohne weiteres mit
Furnivals Begriffen beschreiben. Der Autor
setzt sich dann mit den Begriffen M. G. Smiths
auseinander, der das Phänomen der pluralisti-
schen Gesellschaft am Beispiel der Karibischen
Inseln untersucht hat und dem es vor allem
darauf ankommt, zu zeigen, daß der Pluralis-
mus in der Existenz verschiedener Kerninsti-
tutionen der einzelnen nebeneinander lebenden
Gruppen besteht. Hier meint der Autor, daß es
nicht ganz klar wird, wann die Änderungen
und Schwankungen des institutioneilen Kerns
so weit gehen, daß man von einem Pluralis-
mus der Gesellschaft sprechen kann, während
man bei einer geringeren Variationsbreite viel-
leicht nur von einer Heterogenität sprechen
könne. Der Autor weist schließlich darauf hin,
daß die soziologische Analyse solcher Gesell-
schaften das Problem einer adäquaten Theorie
der Gruppenbeziehungen aufwerfe. Er kommt
dann noch einmal auf den komplexen Begriff
Community zurück und nimmt damit die Dis-
kussion der ersten Kapitel wieder auf. Insge-
samt bietet seine Arbeit einen guten Überblick
über die Probleme einer Minderheit, und seine
methodologischen Auseinandersetzungen dürf-
ten weiteren Forschungen auf diesem Gebiet
interessante Anregungen geben.
Indira Rothermund
MICHAEL POWNE:
Ethiopian Music — an Introduction. A Sur-
vey of Ecclesiastical und Secular Ethiopian
Music and Instruments. London: Oxford
üniversity Press. 1968. XX1I1 + 156 S.,
11 Bildtafeln, 5 Textzeichnungen, 1 Karte
und 36 Notenbeispiele. Preis: s. 45!—.
Diese Veröffentlichung ist insofern eine
Überraschung, als es sich um eine Bearbeitung
der 1966 erstmals in Buchform erschienenen
Dissertation des Verfassers handelt, anderer-
seits aber auf diese Tatsache in der vorliegen-
den (zweiten) Auflage an keiner Stelle hinge-
wiesen wird. Dieses Verfahren berührt zu-
mindest etwas eigenartig, vor allem, wenn
man die beiden Ausgaben miteinander ver-
gleicht. Die Veränderungen gegenüber der
ersten Auflage — vgl. die Besprechung „Tri-
bus“ 17, 1968, S. 221 — betreffen neben der
Berichtigung von Fehlern und Satzumstellun-
gen, die den Inhalt nicht tangieren, im we-
sentlichen die Zitate aus anderen Werken und
Buchbesprechungen
201
die — oft an diese Zitate anschließenden —
Äußerungen spekulativen Charakters über
Herkunft von Musik, Instrumenten und Be-
zeichnungen sowie über ihre Verwandtschaft
mit anderen Kulturen. Hierbei wurden eine
ganze Anzahl solcher Zitate gekürzt oder ka-
men ganz in Fortfall. Der eigentliche Sachteil
der Kapitel 2 („Musical Instruments“) und 3
(„Secular Song and Dance“) ist von Verän-
derungen kaum betroffen. Das 1. und 4. Ka-
pitel hingegen („The Background“ und
„Ecclesiastical Music“) haben stärkere Ein-
griffe erfahren. Im allgemeinen ist die Ten-
denz des Verfassers zu beobachten, von allen
Thesen der ersten Ausgabe abzurücken, die
nicht völlig gesichert sind. Es soll nicht ver-
schwiegen werden, daß auch solche Spekula-
tionen ihren Reiz haben können, vorausge-
setzt, sie bleiben als solche erkennbar. Durch
das Verschweigen der Ausgabe von 1966 muß
gefolgert werden, daß der Verfasser alle
solche Äußerungen als nicht geschehen be-
trachten möchte, d. h. also, daß die frühere
Veröffentlichung als nicht-existent zu betrach-
ten sein wird.
W. D. Meyer
DOUGLAS S. BYERS (General Editor):
The Prehistory of the Tehuacan Valley.
Volume 1: Environment and Subsistence.
Volume 2: The Non-Ceramic Artifacts.
Published for the Robert S. Peabody Foun-
dation Phillips Academy, Andover. Austin
& London: University of Texas Press. 1967.
Vol. 1: VIII -F 331 S., 188 Abb. im Text,
38 Tabellen. Preis: US $ 15.00.
Vol. 2: XIV + 258 S., 175 Abb., 32 Tabel-
len. Preis: US I 12.50.
Auf der Suche nach kulturellen Verbindun-
gen zwischen Mesoamerika und dem südöst-
lichen Nordamerika führte Richard S. Mac-
Neish 1945 46 archäologische Erkundungen im
Küstengebiet von Tamaulipas in Nordost-
Mexico durch. Er fand dort neben Spuren frü-
her Menschen zwei alte Kulturkomplexe, die
durch Sammelwirtschaft (foodgathering) bzw.
erste Anzeichen von Ackerbau charakterisiert
sind. Damit begann eigentlich, nach MacNeishs
eigenen Worten, das spätere und in seinen Er-
gebnissen so erfolgreiche Tehuacan Archaeolo-
gical-Botanical Project (1961/64).
Die altamerikanischen Hochkulturen von
Mesoamerika bis in den andinen Raum ent-
wickelten sich auf der wirtschaftlichen Grund-
lage des Maisanbaues, und die Frage nach der
Herkunft, nach dem ersten Vorkommen dieses
„indian corn“ stand im Mittelpunkt derUnter-
sungen in Tamaulipas wie in Tehuacan. Vor
den Tamaulipas-Grabungen herrschte ziemlich
allgemein die Ansicht, daß der Maisanbau in
Mexico wie in Südamerika nicht wesentlich
vor 1000 v. Chr. betrieben wurde. 1948 in
Bat Cave, New Mexico, gefundene kleine Kol-
ben einer primitiven Form des Maises konnten
jedoch durch C-14-Analysen von Holzkohle,
die mit ihnen zusammen gefunden wurde, auf
den Zeitraum von 5000—3000 v. Chr. datiert
werden. Die Datierung weiterer Reste frühen
Maises aus der La Perra-Höhle in Tamaulipas
(1949) ergab 2500 v. Chr. Zur botanischen
Untersuchung wurden die Maiskolben Paul C.
Mangelsdorf (Harvard University) übergeben,
der bei den Funden aus der La Perra-Höhle
gewisse Ähnlichkeiten mit Nal-tel, einer rezen-
ten Primitivform des Maises, feststellte, und
die ältesten Kolben als prä-Nal-tel identifi-
zierte. Ergebnis dieser ersten Analysen war,
daß Mais sehr wahrscheinlich in Mittelamerika
früher domestiziert wurde als in Südamerika
oder Asien, und zwar vor 3000 v. Chr. Mit
gezielten Untersuchungen, gemeinsam mit Bo-
tanikern, begann nun eine Einkreisung der
Heimat des domestizierten Maises. Funde in
Tamaulipas, Chihuahua und Sonora wiesen
auf südlicheren Ursprung, und auch im Hoch-
tal von Mexico zeigte sich, daß der domesti-
zierte Mais von Süden gekommen sein müßte.
Untersuchungen in trockenen Höhlen in Hon-
duras und Guatemala erbrachten negative Er-
gebnisse, Pollenanalysen aus Chiapas ergaben
ein zu geringes Alter des dortigen Maises. Das
gesuchte Gebiet schien also im Raum zwischen
Chiapas einerseits und dem Tal von Mexico,
Tamaulipas und dem nordwestlichen Mexico
andererseits zu liegen. Als Mangelsdorf auf
Grund seiner botanischen Untersuchungen zu
dem Ergebnis kam, daß der Vorfahr des Mai-
ses mit aller Wahrscheinlichkeit ein Hochland-
gras war, und da Pflanzen reste sich nach den
bisherigen Erfahrungen in trockenen Höhlen
erhalten hatten, blieben als mögliche Gebiete
innerhalb dieses Raumes drei Regionen: eine
im südlichen Oaxaca, eine in Guerrero und
das Tal von Tehuacan.
Nach der Inspektion zahlreicher, oft uner-
giebiger Plätze im Ta! von Tehuacan fand
MacNeish bei einer Versuchsgrabung unter
einem Felsüberhang bei Coxcatlan in einer
präkeramischen Schicht kleine Maiskolben, die
sich — nach der botanischen Untersuchung
202
Buchbesprechungen
durch Mangelsdorf und nach der C-14-Datie-
rung auf 3610 v. Chr. ± 250 Jahre — als die
ältesten bisher gefundenen erwiesen. Auf die-
sen Raum nun konzentrierte sich ein wissen-
schaftliches Genieinschaftsprogramm, das Te-
huacan Archaeological-Botanical Project, bei
dem durch die Zusammenarbeit verschiedener
Fachrichtungen, unter der Leitung von Mac-
Neish, Ergebnisse erzielt wurden, die kaum
zu überschätzen sind.
Diese Ergebnisse einer von 1961—1964
dauernden erfolgreichen Feldarbeit sollen in
einer sechsbändigen Publikation vorgelegt wer-
den, von der Band I und II bereits erschienen
sind.
Band I (Environment and Subsistence) ent-
hält, nach einem Vorwort des Fierausgebers
Byers und einer Einführung von MacNeish,
fünfzehn Beiträge meist naturwissenschaft-
licher Richtung, unter denen botanische Unter-
suchungen der gefundenen Pflanzenreste einen
breiten Raum einnehmen. In Band II (Non-
ceramic Artifacts) werden Werkzeug, Gerät,
Schmuck usw. aus anorganischem und organi-
schem Material sowie Korbflechterei, Rinden-
stoff, Matten und Gewebe behandelt. Die sehr
günstigen Bedingungen in den trockenen Höh-
len und Überhängen haben ein reiches Fund-
material, vor allem auch organischer Natur,
bewahrt. Durch die Beteiligung verschiedenster
Disziplinen an diesem Projekt ist der Themen-
kreis so umfangreich, daß ein einzelner ihn
nicht rezensieren kann. Überblickt man — so
gut es von einem Fach her möglich ist — das
bisher Veröffentlichte, so darf man sagen, daß
die Tehuacan-Grabungen einen grundlegenden
Beitrag zur Frage der wirtschaftlichen und
kulturellen Entwicklung des Menschen vom
Sammler jäger zum seßhaften Ackerbauern
erbracht haben. Mit einer ununterbrochenen
Zeitspanne von rund 9000 Jahren ist hier im
Gebiet von Tehuacan das bisher wohl längste
Stück Menschheitsgeschichte erarbeitet worden.
Zweifellos wird die innere Struktur dieses Ent-
wicklungsmodells durch weitere Untersuchun-
gen noch ergänzt und verfeinert werden kön-
nen. So ist zum Beispiel die (noch nicht ver-
öffentlichte) Purron-Keramik, die in Tehuacan
nur auf Grund weniger Funde definiert wurde,
nach den Grabungen Pifia Chan’s in Las Bocas,
Puebla (1967), genauer bestimmbar (noch nicht
veröffentlicht). Im wesentlichen wird aber die-
ses Modell auch auf andere Gebiete Amerikas
übertragbar sein, und es ist deshalb zu wün-
schcn, daß die übrigen Ergebnisse des Projektes
ebenfalls bald veröffentlicht werden.
B. Spranz
FERDINAND ANTON:
Kunst der Maya. Leipzig: VEB E. A. See-
mann, Buch- und Kunstverlag. 1968. 352 S.,
299 teils farbige Abb. auf Tafeln, 66 Abb.
im Text. Preis: DM 79.—.
Vor etwa eineinhalb Jahrzehnten verlud das
„Greenhorn“ Anton in Bremen seinen alten
VW auf ein Schiff, um nach Mexico zu fahren.
Es war unsere erste Begegnung. Danach kreuz-
ten sich drüben unsere Wege hin und wieder —
ein Besuch im Museo Nacional in Mexico-
Stadt, ein cafecito unter den Arkaden des
Zocalo in Puebla. Immer ist er unterwegs.
Heute ist Anton im Kreise der Amerikanisten
kein Unbekannter mehr. Seine Veröffent-
lichungen, für ein breiteres Publikum bestimmt,
stehen über dem Durchschnitt. Er sieht oft, was
andere nicht sehen, und er versteht es, mit
Kamera und Feder umzugehen.
1965 erschien von ihm „Alt-Mexiko und
seine Kunst (s. „Tribus“ Nr. 16, S. 245 f.).
Zusammen mit dem vorliegenden Band „Kunst
der Maya“ entstand ein anschauliches Bild der
alten Hochkulturen Mesoamerikas, die mit
der spanischen Eroberung Anfang des 16. Jahr-
hunderts Ihr gewaltsames Ende fanden.
Ohne auf vorläufig nur den Fachmann
interessierende Detailfragen einzugehen, wird
das bisher über die Mayakultur Bekannte zu
einem verständlichen Abriß über das Werden
und Vergehen dieser wohl am höchsten ent-
wickelten Kultur des alten Amerika zusam-
mengestellt.
Nach einer kurzen Einführung über die Ent-
deckung der Mayaruinen, die zum großen
Teil schon vom Urwald überwachsen waren,
als die Spanier das Land betraten, wird der
Leser mit der Landschaft und ihren Menschen
bekannt gemacht.
Besonderes Interesse verdienen hier die
Lacandones, der kleine Rest einer Mayagruppe,
die noch heute nach alter Weise im Regenwald-
gebiet lebt. Dort liegen am Rio Lacanja die
Ruinen von Bonampak, berühmt durch ihre
einzigartigen Fresken. Es ist durchaus nicht
sicher, daß ein Lacandon sie einem amerikani-
schen Photographen „verraten“ hat, wie Anton
angibt. Dieser Photograph, Healey, hat zwar
die ersten Bilder veröffentlicht, aber er scheint
den Hinweis auf diesen Platz dem in Chiapas
damals lebenden Carlos Frey zu verdanken
Buchbesprechungen
203
(1946), der drei Jahre später bei einer Expedi-
tion uinkam.
Über die mythische Vergangenheit der Maya
berichtet ein altes Manuskript. Mit euro-
päischen Buchstaben in der Sprache der Quiche-
Maya aufgezeichnet, ist das Popol Vuh eine
unschätzbare Quelle über die Vorstellungen
der Maya vom Werden ihres Volkes. Aus einer
Übersetzung bringt Anton den Teil, der von
der Erschaffung der Welt und dem mehrfachen
Versuch der Erschaffung des Menschen handelt.
Verschiedene Stoffe erwiesen sich dafür als un-
brauchbar, erst als die Götter den Menschen
aus Mais formten, gelang das Werk.
Im folgenden werden dann die großen Ab-
schnitte der Entwicklung der Mayakultur vom
Präklassikum (formative Periode) bis in die
nachklassische Zeit behandelt. Die große Frage
nach dem Warum der Aufgabe der klassischen
Kultzentren im neunten Jahrhundert und der
Abwanderung der Bevölkerung in das nörd-
liche Yucatan wird erörtert, und sie bleibt
als eines der Hauptprobleme in der Geschichte
der Maya weiter bestehen.
Einen starken Impuls aus dem zentralmexi-
kanischen Hochland erhielt die jüngere Maya-
kultur, als toltekische Gruppen in den yukate-
kischen Raum abwanderten. In der Architek-
tur zum Beispiel Chichen Itzä’s zeigt sich die
Übernahme von Elementen toltekischer Bau-
kunst, die Religion wird beeinflußt durch den
Kult des Quetzalcoatl, der als Kukulkan in das
Pantheon der Maya eingeht.
Über die Geschichte dieser jüngeren Maya-
kultur ist einiges bekannt. Im neunten oder
zehnten Jahrhundert schlossen sich Chichen
Itzä, Uxmal und Mayapän zur Liga von
Mayapän zusammen, die nach fast zwei fried-
lichen Jahrhunderten zerfiel. Chichen Itzä
wurde zerstört, und danach folgte eine Zeit
ständiger Kriege. Die Itzä flohen in das Tief-
land von Guatemala, wo sie sich bis 1697 noch
gegen die Spanier halten konnten.
Ein Kapitel über Religion, Weltbild und
soziale Ordnung und eines über die Zentren
der nachklassischen Zeit beschließen den Text,
der durch Anmerkungen im Anhang und durch
ein Literaturverzeichnis (Auswahl) ergänzt
wird. Der geschickt zusammengestellte und
gut photographierte Bildteil nimmt den breite-
sten Raum dieses Buches ein, das jedem, der
daran interessiert ist, eine gute Vorstellung
von einer der großartigsten Kulturen des Alten
Amerika vermittelt.
B. Spranz
MICHAEL D. COE:
The Jaguar’s Children: Pre-Classic Central
Mexico. New York: The Museum of Primi-
tive Art. [Distributer! by the New York
Graphic Society, Greenwich, Connecticut.]
1965. 126 S., 208 Abb.
Das wohl schwierigste und zugleich reiz-
vollste Problem mexikanischer Archäologie ist
die Frage nach der Herkunft der Olmeken und
der Ausbreitung ihrer Kultur in das zentral-
mexikanische Hochland. Mit einiger Sicherheit
kann bis heute lediglich ein bestimmter, weit-
verbreiteter Stil als olmekisch definiert wer-
den, dessen Kerngebiet im Mündungsbereich
des Papaloapan, Coatztcoalcos und Tonalä
an der südlichen Golfküste liegt. Sehr erfolg-
reiche Grabungen in La Venta, San Lorenzo
und Tres Zapotes ermöglichten die genauere
Herausarbeitung der älteren Phasen der olme-
kischen Kultur im Bereich der Golfküste, ohne
daß es bisher gelungen ist, ihre Ursprünge auf-
zufinden.
Nun mehren sich in den letzten Jahren die
Anzeichen für einen starken Einfluß der Ol-
meken auf die präklassischen Kulturen des
zentralen Hochlandes. Zu den schon seit län-
gerem bekannten Fundplätzen in Guerrero und
Morelos kamen neuere im Hochtal von Mexico
und in Puebla.
Eine Ausstellung früher Kunst aus Zentral-
mexico im Museum of Primitive Art war für
Michael D. Coe der Anlaß, seine in jahre-
langer Beschäftigung mit der olmekischen Kul-
tur gesammelten Kenntnisse in einer übersicht-
lichen Veröffentlichung darzustellen. Beson-
ders eindrucksvolle Erzeugnisse olmekischer
Kunst im Hochland wurden seit einigen Jah-
ren in Las Bocas, Puebla, gefunden. Sie stam-
men aus Raubgrabungen. Die erste wissen-
schaftliche Grabung dort unternahm 1967 der
mexikanische Archäologe Piha Chan. Er fand
nur noch unter dem Damm einer alten Feld-
bahn ungestörtes Material, während das übrige
Gelände völlig durchwühlt war.
Im Tiefland bevorzugten die Olmeken als
Material für ihre unglaublich qualitätvollen
Skulpturen sehr hartes Gestein, für die kleine-
ren Figuren vor allem Jade und Serpentin, im
Hochland fertigten sie diese aus Ton. Die Zen-
tralfigur ihrer Religion war eine Wasser-'Re-
gengottheit, die aus der Vereinigung eines Ja-
guars mit einer Frau hervorgegangen war.
Diese „Jaguar’s Children“ tragen unverwech-
selbare Züge. Es sind babyartige Figuren mit
ausgeprägten Gesichtern und oft raubtierhaften
204
Buchbesprechungen
Zügen. Die aus Ton gefertigten „baby-faces“
des Hochlands sind fast immer mit einem wei-
ßen, polierten Überzug versehen und — wie
auch oft die Steinfiguren — stellenweise mit
Zinnober bemalt. Die schönsten Stücke dieser
Art kommen bereits im mittleren Präklassi-
kum vor, als Las Bocas, Tlapacoya, Chalcat-
zingo, Tlatilco und Gualupita Manifestationen
eines einzigen Kulturkomplexes waren.
Die relative und die absolute Chronologie
des Präklassikums „schwimmt“ noch etwas,
wenn sie auch in ihren Umrissen ziemlich ge-
sichert ist. Neuere Untersuchungen In Chiapa
de Corzo (Chiapas) und Ocös (Guatemala)
lassen vermuten, daß die ältesten Keramik-
Kulturen Vaillants im Hochtal von Mexico
eher in das mittlere Präklassikum gehören als
in das frühe. Die Masse der Tlatilco-Funde
wird von Pina Chan und Porter in das spätere
Mittel-Präklassikum datiert. Da das auch für
das hier und an anderen Orten im Hochland
gefundene olmekische Material zutrifft, wird
die von Coe in einer anderen Arbeit geäußerte
Vermutung gestützt, daß nämlich olmekische
Gruppen am Ende der San Lorenzo-Phase u. a.
in das Hochland abwanderten. San Lorenzo
wird in die Zeit von 1200—900 v. Chr. datiert,
das mittlere Präklassikum im Hochland be-
ginnt um 800 und endet um 300 v. Chr. (nach
Pina Chan u. a. von 1000—600). Die Gräber
von Tlatilco, Gualupita und Las Bocas würden
zeitlich etwa dem Höhepunkt der olmekischen
Kultur an der südlichen Golfküste entsprechen.
Als sehr wünschenswert sieht Coe eine ge-
naue Analyse des Tlatilco-Materials an, die
eine exaktere Chronologie ergeben würde. Das
wäre zur Zeit nur an den Originalen im Museo
Nacional de Antropologia möglich, da eine
Gesamtveröffentlichung der Grabinventare
von Tlatilco noch aussteht.
Unklar ist noch die zeitliche Position von
Tlapacoya, das bisher nur zum Teil untersucht
worden ist. Ob es nur im Anfang mit Tlatilco-
Gualupita zeitgleich ist und dann in das be-
ginnende Spät-Präklassikum übergeht, muß
durch weitere Grabungen geklärt werden.
Anhand ausgesuchten Bildmaterials wird der
Stand der präklassischen Kulturen des Hoch-
lands zur Zeit des olmekischen Einflusses dar-
gestellt, wobei das Material übersichtlich grup-
piert ist (große und kleinformatige Steinpla-
stik, Keramik, Tonfiguren usw.). Im Abschnitt
über die „Jaguar’s Children“ bringt Coe her-
vorragende Beispiele olmekischer Kleinplastik
aus Ton von Gualupita, Tlapacoya und vor
allem aus dem rücksichtslos ausgeplünderten
Las Bocas.
Zwei künstlerische Traditionen erfüllen das
Hochland während des mittleren Präklassi-
kums, eine einheimische (wie z. B. El Arbolillo
und Zacatenco) und die olmekische. Für die
Herkunft des olmekischen Stiles aus dem Tief-
land der südlichen Golfküste sprechen die mei-
sten Indizien, obwohl gewichtige Stimmen
(u. a. Covarrubias, Pina Chan) einen Ursprung
in Morelos bzw. Guerrero vertreten. Hier
fehlt die für das Tiefland typische Großplastik,
und nur in Chalcatzingo findet sich ein größe-
res Relief. Dafür kommen besonders in Guer-
rero zahlreiche Kleinplastiken aus Jade und
Serpentin in olmekischem Stil vor. Dazu bie-
tet Coe eine beachtenswerte Hypothese. Er
vergleicht den weitreichenden olmekischen Ein-
fluß mit dem der späteren Azteken. Der von
den pochteca getragene, wohlorganisierte Fern-
handel der Azteken hatte wesentlichen Anteil
an der Verbreitung aztekischen Einflusses und
aztekischer Macht. In ähnlicher Form mag sich
die Ausbreitung der olmekischen Kultur voll-
zogen haben: Der Bedarf an gehobenen Ver-
brauchsgütern und Luxusgegenständen der
olmekischen Oberschicht konnte — wie bei den
Azteken — nicht aus eigener Produktion ge-
deckt werden. Jade und Serpentin, mit die
wichtigsten Rohstoffe, kommen im Tiefland
nicht vor und um diesen Bedarf zu decken,
wurden weitreichende Handelsverbindungen
angeknüpft. So mag es, ähnlich wie im Handel
mit Bernstein in der Alten Welt, eine Jade^Ser-
pentin-Straße von dem Hochland zur Küste
gegeben haben, wobei geschickte Steinschneider
in Guerrero vielleicht schon im Stil ihrer Han-
delspartner vorfabrizierte Figuren und
Schmuckstücke oder Fertigwaren aus den be-
gehrten Rohstoffen lieferten, gegen Erzeug-
nisse der Küsste. Damit fand olmekisches Ge-
dankengut und der olmekische Kunststil seine
weite Verbreitung. Daß olmekische Kleinpla-
stik aus Stein im zentralen Hochland kaum
vorkommt, liegt daran, daß es sozusagen Tran-
sitgut für diese Gebiete war. So erlebte der
olmekische Stil im Hochland in der Kleinkunst
in Ton eine parallele Blüte zur Kleinkunst in
Stein im Tiefland.
B. Spranz
Codex Tro-Cortesianus (Codex Madrid), Mu-
seo de America Madrid. Einleitung und Sum-
mary F. Anders. (= Codices Selecti Vol.
VIII.) Graz: Akademische Druck- u. Ver-
Buchbesprechungen
205
lagsanstalt. 1967. 112 Faltbuchseiten; Text-
heft: 54 S., 9 Ahb., 1 Tafel. Preis: DM 586.—.
Die Madrider Maya-Handschrift stellt rein
ihrer Länge nach (112 Seiten auf 682 cm beid-
seitig) das umfangreichste Schriftdenkmal dar,
das aus der vorspanischen Literatur Mesoame-
rikas auf uns gekommen ist. Ursprünglich in
zwei Teilen aufgefunden („Codex Troano“
und „Codex Cortesianus“), hat von diesem
Codex bis heute eine verläßliche Gesamtaus-
gabe gefehlt. Die älteren Editionen (Manuscrit
Troano 1869/,70 durch Brasseur de Bourbourg,
in Chromolithographie; Codex Cortesianus
erstmals 1883 durch Rosny in Schwarzweiß-
reproduktion) gaben zwar den ersten Anstoß
für interpretierende und kommentierende Stu-
dien, blieben aber auf die zufälligen Hälften
beschränkt. Im 20. Jahrhundert wurde die
Lage eher noch ungünstiger. Erst mit der seit
zwanzig Jahren einsetzenden „Entzifferungs-
Renaissance von Mayahieroglyphen“ wuchs
auch das Bedürfnis nach neuen Faksimilerepro-
duktionen. Die Akademische Druck- und Ver-
lagsanstalt hat sich nun mit der erstmaligen
adäquaten Gesamtausgabe des Codex Tro-Cor-
tesianus ein besonderes Verdienst erworben;
dabei war nicht zuletzt die bereitwillige
Kooperation spanischer Gelehrter und Institu-
tionen von Nutzen.
Die technische Grundlage für den Faksimile-
druck bilden AGFA-Color-Aufnahmen des
Originals im Museo de America zu Madrid
vom August 1966. Ferdinand Anders widmet
etwa die Hälfte seiner Einleitung einem minu-
tiösen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes
mit jenem des vorigen Jahrhunderts, und zwar
gemessen an den alten Farbdrucken von 1869
bzw. 1892. Ich habe mit Hilfe von Schwarz-
wciß-Aufnahmen des Jahres 1953 sorgfältig
das neue Faksimile überprüft: Bis auf gering-
fügige Details erwies sich eine Übereinstim-
mung im Erhaltungszustand. Abweichen tut
zum Beispiel der geflügelte Dämon Madrid 8
(Mitte links): Dieser unterscheidet sich auf mei-
ner Vorlage noch kaum von der Umzeichnung
bei Seler (Ges. Abh. IV: 727), hat aber durch
spätere Abblätterungsschäden bis 1966 erheb-
lich gelitten! Rezente Beschädigungen sind auch
festzustellen im Text M. 63 c sowie in den
ersten Bildern M. 64 b und M. 111c. Nützlich
erscheint die Beigabe von Madrid 56 nach der
Brasseurschen Ausgabe, weil diese Seite schon
seit Jahrzehnten völlig zerstört ist.
Mit solchen minimalen Einschränkungen
kann also die Grazer Ausgabe als zuverlässige
Basis für die wissenschaftliche Arbeit gelten.
In der Andersschen Einleitung findet man
einige allgemeine Bemerkungen zu den Maya-
Handschriften (Funktionen nach den Chroni-
sten; kurzer Abriß der Geschichte; heutiger
Erhaltungszustand) und eine spezielle Be-
schreibung des Codex Madrid (inklusive Mate-
rialanalysc, Farbgebung und Paginierung samt
Konkordanztafel). Auf irgendwelche Interpre-
tationen wird bewußt verzichtet und der all-
gemeine Charakter der Handschrift nach
Schellhas und Thompson skizziert (mitunter
in starker Anlehnung: Anders 1967:15 „In
derb-grotesker Zeichnung erscheinen die Göt-
ter . . .“, vgl. Thompson 1950:26 „Gods are
portrayede in a grotesque and crude man-
ner . . .“).
Sicherlich bleibt der Codex Madrid künst-
lerisch wie nach dem Rang eines Zeugnisses
für eine entwickelte Priesterwissenschaft weit
hinter den beiden anderen uns bekannten
Maya-Handschriften zurück, doch wäre es
etwas einseitig, ihn nur als Dekadenzprodukt
(„of a period of cultural decline when thè
primary interest of thè priesthood had sunk
to mechanical divination“, wie es Eric Thomp-
son formuliert) zu betrachten. Es handelt sich
unverkennbar um eine veritable Sammelhand-
schrift, die sehr verschiedenwertige und z. T.
auch in sich widersprüchliche Kapitel umfaßt.
So stehen etwa M. 34—37 korrupte Texte, die
den Regeln der Hieroglyphenschreibung Hohn
zu sprechen scheinen, neben ikonographisch be-
deutsamen Darstellungen der Zeremonien zum
Jahreswechsel. Kein anderes Dokument ist so
gut geeignet, von post-columbischen Quellen
aus interpretiert zu werden, mag man nun an
Landa denken oder an die ethnographischen
Beobachtungen unter Lacandonen oder yuka-
tektischen Maya. Codex Madrid war eben
nicht das Handbuch eines gebildeten Priester-
astronomen (wie Codex Dresden) oder wenig-
stens eines annalenkundigen Propheten (wie
Codex Paris), sondern für Kultanweisungen
auf der Ebene von mannigfaltigen Volks-
praktiken bestimmt, also zugeschnitten auf
einen völlig anderen Aufgabenkreis, der
leichter in die Welt der späteren h’men
fortwirken konnte. So ist die Madrider
Handschrift vornehmlich ein Zeugnis von der
(internen) Perepherie einer erlöschenden
Hochkultur gegenüber einer schreibunkundi-
gen ländlichen Klientschaft, gewissermaßen
mit Zügen einer „priesterlichen Triviallitera-
tur“.
206
Buchbesprechungen
Von einem wirklich umfassenden und pro-
funden Verständnis des Codex Madrid sind
wir noch immer entfernt, so viele Teilveröf-
fentlichungen und kursorische Hinweise auch
existieren. Ein moderner Kommentar wird
hoffentlich einmal aus Hamburg, dem gegen-
wärtigen Zentrum mesoamerikanischer Stu-
dien in Europa, zu erwarten sein. Dabei wäre
auch das Verhältnis zu Handschriften außer-
halb der Mayakultur zu prüfen, wie es kürz-
lich James Rauh begonnen hat, und die Her-
kunftsfrage (Itzä von Tayasal?) endlich defi-
nitiv zu klären.
Der Grazer Faksimile-Ausgabe des Tro-
Cortesianus ist über den mexikanistischen Kol-
legenkreis hinaus eine weite Verbreitung in
Bibliotheken zu wünschen. Ich könnte mir vor-
stellen, daß Orientalisten über diese Edition
den Zugang in altamerikanische Forschungen
zu finden vermöchten.
Thomas S. Barthel
Codex Peresianus (Codex Paris), Bibliothèque
Nationale Paris. Einleitung und Summary
F. Anders (= Codices Selecti Vol. IX.)
Graz: Akademische Druck- und Verlags-
anstalt. 1968. 22 Faltbuchseiten; Textheft:
41 S., 26 Abb. Preis DM 185.—.
Die Maya-Handschrift in der Bibliothèque
Nationale (Fonds mexicain No. 386) muß
wegen ihres schlechten Erhaltungszustandes
als ein Sorgenkind der Paläographie gelten.
Nur 30°/o der ursprünglichen Texthierogly-
phen sind erhalten, und nur die zentralen
Partien der meisten Seiten gestatten noch eine
leidliche Bildanalyse. Dies ist umso bedauer-
licher, als der Stil noch eine hochentwickelte
Schreibkunst verrät und kaum hinter dem
Niveau des Codex Dresdensis zurückbleibt.
Auch inhaltlich bietet der Codex Paris sehr
wertvolle und teilweise einzigartige Themen.
Bibliotheksgeschichtlich erstmals aus der
Zeit um 1830 bekannt, in seiner genauen Her-
kunft aus dem Mayagebiet nicht präzisiert
(Ostküste von Yucatan?), ist die Pariser Hand-
schrift seit 1864 mehrfach veröffentlicht wor-
den. Die niedrigen Auflagen haben dazu ge-
führt, daß einzelne Editionen heute ausge-
sprochenen Seltenheitswert besitzen, zumal
diverse Umzeichnungsversuche (Gates, Villa-
corta) als wissenschaftlich ganz unzulänglich
gelten müssen.
Ursprünglich war nun geplant, eine voll-
ständige Faksimilicrung nach dem Original in
seinem heutigen Erhaltungszustand anzufer-
tigen, doch verhinderte die fragile Beschaffen-
heit des 140 cm langen Fragments eine ent-
sprechende Bearbeitung (nur die Selten 20 und
23 konnten originalgetreu aufgenommen
werden). Es erfolgte daher ein Rückgriff auf
das einzige schon bestehende Farbfaksimile
des Jahres 1887: Die Grazer Edition unter-
scheidet sich davon durch eine behutsame
Farbkorrektur, welche Gates Beobachtungen
berücksichtigt. Die Beigabe eines Satzes ver-
kleinerter Schwarzweiß-Fotos der Edition von
1864 ermöglicht es, Konturen und Schriftele-
mente zu überprüfen; die Abweichungen sind
im Text aufgeführt.
Ferdinand Anders hat eine sorgfältige und
erschöpfende Einleitung in die Geschichte der
Handschrift geschrieben. Zu Recht wird von
der Benennung als „Codex Peresianus“ ab-
geraten wegen der Verwechslungsmöglichkeit
mit dem „Codex Perez“, Jenem Konvolut
yukatekischer Texte der Chilam Balam-Tradi-
tion im Besitz von Juan Pio Perez. Anders er-
läutert die komplizierte Paginierungsfrage
mit Hilfe einer Konkordanztafel, zitiert die
papiertechnischen Befunde aus Schwedes Ha-
bilitationsschrift und fügt einige Bemerkungen
zur Farbgebung an.
Welchen Ansporn kann die nun so bequem
verfügbare Pariser Maya-Handschrift der ge-
genwärtigen Forschung geben? Die Kommen-
tare von Förstemann (1903) und Gates (1910)
stammen noch aus den Anfängen einer Maya-
Paläographie und genügen weder methodisch
noch sachlich den heute zu stellenden Ansprü-
chen. Zwei Bearbeitungsformen wären denk-
bar: Man könnte entweder den Codex Paris
als Dissertationsthema an einen hochbegabten
Schüler vergeben, oder man könnte sich auf
jene Passage konzentrieren, die möglicherweise
eine historische Relevanz besitzt. Ich meine
damit die weitgehend erhaltene „Katun-Serie“
auf dem Recto, von deren ursprünglich 13
Gliedern doch noch die zehn Teile von einem
Katun „2 Ahau“ bis zu einem Katun „10
Ahau“ analysiert werden könnten. Hier böte
sich die Möglichkeit, grundsätzlich das Ver-
hältnis zwischen hieroglyphisch-ikonographi-
schen Informationen einerseits und dem Auf-
bau von Katun-Prophezeiungen in den Chi-
lam Balam-Büchern andererseits zu studieren,
also eine wechselseitige Quellenerhellung zu
betreiben. Das yukatektische Vergleichsmate-
rial ist schon befriedigend aufbereitet (Roys,
Barrera Vasquez); die Arbeit am Codex Paris
wäre noch zu leisten. Thomas S. Barthel
Buchbesprechungen
207
Codex Cospi, Calendario Messicano 4093,
Bibliotheca Universitaria Bologna. Einlei-
tung und Summary K. A. Nowotny. (=
Codices Selecti Vol. XVIII.) Graz: Akade-
mische Druck- u. Verlagsanstalt. 1968. 20
doppelseitig bemalte Blätter; Textheft: 41
S., 26 Abb. Preis: DM 274.—.
Der Codex Cospi — nach seinem Aufbewah-
rungsort häufig auch Codex Bologna genannt
— gehört zur sogenannten „Codex Borgia-
Gruppe“. In diesem Komplex mantischer Bil-
derhandschriften des vorspanischen Mexico
spielt er eine gewisse Mittlerrolle: Sein Recto
ähnelt stilistisch und thematisch den Codices
Borgia und Vaticanus 3773, sein Verso (von
anderer, drittrangiger Hand stammend) ge-
stattet Anknüpfungen an die Codices Fejer-
väry-Mayer und Laud. Von geringem Um-
fang — ein in zwanzig quadratische Blätter
gefalteter Hirschlederstreifen von 3,64 m
Länge — und auf seinem dünnen Stucküberzug
nicht einmal vollständig von den indianischen
Malern genutzt (7 Seiten der Vorderseite und
9 Seiten der Rückseite blieben leer), verdient
der Codex Cospi doch durch gewisse künst-
lerische Qualitäten und einige ikonographi-
sche Probleme unsere Aufmerksamkeit. Man
wird es deshalb begrüßen, wenn nun die Aka-
demische Druck- und Verlagsanstalt Graz eine
neue Faksimile-Ausgabe vorlegt, welche die
früheren Editionen (Kingsborough 1831 bzw.
Loubat 1898) ablöst. Die technische Wieder-
gabe Ist gut gelungen, soweit ich es nachprüfen
konnte, und gestattet eine verläßliche Analyse
bis in die Details hinein.
In Karl Nowotny haben die Herausgeber
einen kompetenten Mexikanisten von Rang
gefunden, der zunächst einen kurzen Abriß
der Geschichte des Codex gibt und dankens-
werterweise Reproduktionen aus dem Katalog
des Museo Cospiano vom Jahre 1677 einfügt.
Sodann erörtert er die Paginierungsfrage,
Kingsborough verwerfend, Loubat zu Recht
akzeptierend, und prüft sorgfältig die Farb-
werte der Malereien. Nowotny hebt ab auf die
Farbnormen des Ostwaldschen Systems und
stellt die Paletten anderer Codices verglei-
chend in einer nützlichen Tabelle zusammen.
Eine nicht erschöpfende Bibliographie be-
schließt den objektiv-deskriptiven Teil, der
nach den Intentionen des Verlages als Schwer-
punkt der Einleitung abgefaßt ist.
Der Fachmexikanist wird es aber begrüßen,
daß darüber hinaus Nowotny auch seine Auf-
fassungen von Inhalt und Herkunft der Hand-
schrift auf etwa 10 Seiten skizziert. Er ver-
steht den Codex Cospi als eine „Sammelhand-
schrift“ für verschiedene kalendarische Se-
quenzen bzw. Ritenfolgen. Die qualitätsvollen
Malereien der Vorderseite werden von ihm mit
polychromer Keramik der MIxteca Alta (nach
1350) verglichen; dementsprechend rechnet
Nowotny mit mixtekischen Namen aller dar-
gestellten Gestalten. Alle drei Abschnitte der
Vorderseite sind im Prinzip aus auch anderen
Bilderhandschriften bekannt, bieten aber dar-
über hinaus einige Besonderheiten, wie die Ein-
schaltung der „Nachtherren“ in das vollstän-
dige Tonalpohualli, die Unterteilung in 9 x 9
und 7x7 Tage-Folgen usw. S. 20, 12. Zeile von
unten, muß es übrigens richtig heißen „Codex
Cospi“ statt „Codex Laud“. Eine künftige
Forschungsaufgabe liegt meines Erachtens noch
in einer sorgfältigen Untersuchung der „Bei-
zeichen“ zu den Tageszeichen-Spalten; hier
wird man vielleicht ähnliche Informationen
wie bei den sogenannten „attributiven Maya-
hieroglyphen“ erwarten dürfen.
Für die Rückseite schlägt Nowotny, wde
schon an anderer Stelle (vgl. „Tlacuilolli“,
1961:272), eine neuartige Lösung vor: Den
ethnographischen Beobachtungen von Schultze-
Jena bei den Tlapaneken folgend, interpretiert
er Cospi 21—31 als Schemata für „Opfer-
tische“. Bündel von abgezählten Stäben wer-
den nach einem vorgeschriebenen Plan vor dem
Götterbild auf dem Erdboden verteilt und
gruppiert. Nowotny unterscheidet hier drei
Typen von Ritualen: Gegen die gefährlichen
Tiere der Wildnis (21—24), gegen Würmer
oder Schnecken (25—26), als Jagdsühneritual
(27—31). Ich halte diesen frischen Ansatz, von
rezenten Bräuchen bis auf vorspanische Prak-
tiken zu rekurrieren, für durchaus anregend,
solange gewisse Kautelen beachtet werden.
Zwischen „partialschriftlich“ fixierten Anwei-
sungen vor 1520 und oral tradierten Bräuchen
nach 1920 (noch dazu bei zwei verschiedenen
Ethnien) haben sich — selbst wenn man einen
direkten genetischen Zusammenhang in diesen
Regionen Mexicos auf einem jägerkulturellen
Horizont unterstellen wollte — sehr charak-
teristische Wandlungen (Verarmungen, Son-
derungen) in Wissenstand und Rollenmerk-
malen der jeweiligen Kultspezialisten abge-
spielt. Will sagen: Selbst komplizierte Formen-
ähnlichkeiten beweisen noch keine Funktions-
konstanz.
Codex Cospi Verso stellt ein Mosaikstein-
chen in der altmexikanischen Geistesgeschichte
208
Buchbesprechungen
dar, dessen exakte Bestimmung auch nach der
über Seler hinausführenden, geistvollen und
ethnologisch nicht unbegründeten Neu-Inter-
pretation von Nowotny noch nicht voll ge-
lungen ist. Merkwürdigerweise geht nämlich
der Kommentator nicht auf die astronomischen
Anhaltspunkte ein (fühlt er sich frustriert
durch die riskanten Überinterpretationen im
Stile von Kreichgauer oder Röck?), die zuerst
von Thompson („Sky Bearers, Colors and
Directions in Maya and Mexican Religion“,
1934: 231—234), dann von Caso („Los Calen-
darios Prehispanicos“, 1967: 79—80) erkannt
wurden. Es handelt sich dabei um jene Eigen-
tümlichkeit, daß die Summierung von Zahlen-
größen benachbarter Codexseiten — wie sie
durch die numerischen Werte unterhalb der
Gottheiten gegeben sind — zu lunaren Groß-
perioden führen: Cospi 21—23 = 1091 (d. h.
Näherung für 37 synodische Monate sowie für
3 Sonnenjahre), Cospi 25—27 = 472 (d. h.
16 synodische Monate) und Cospi 28—31 =
620 (d. h. 21 synodische Monate). Solche Di-
stanzwerte zwischen gleichen Mondphasen sind
aus alternierenden 29- bzw. 30tägigen schema-
tischen Monaten aufgebaut. Die Gesamtsumme
auf dem Verso (2460 = 82 x 30) weicht aller-
dings von der astronomischen Realität ab; der
Fehler beruht auf Cospi 24, wo der numeri-
sche Wert um 11 zu hoch liegt. Caso beobachtet
richtig, daß die Zahlenverteilung auf jeder
Seite die Umrisse von Ballspielplätzen mar-
kiert, und verweist auf das dem Mond ge-
weihte Gebäude Tezcatlachco im Haupttempel
zu Tenochtitlan. Sollten die einzelnen Kreise
Cospi 21—24, die an Schmal- oder Längsseite
der ballspielplatzmäßigen Begleitzahlen Vor-
kommen, den Ball (oltelolotli) gemeint haben?
Man bekäme dann mit den ersten vier Göttern
eine Tetradc männlicher Ballspieler (Variante
von Xiuhtecutli — Tezcatlipoca — Tlaloc —
Variante von Xolotl?). Die Begleittiere wer-
den von Nowotny als gefährliche Tiere der
Wildnis verstanden, während Seler und
Thompson an das Tzitzimime-Motiv dachten.
Ich möchte aber darin auch Erscheinungsfor-
men von Numina erblicken; die Gleichungen
„Skorpion = Feuergott“ und „Spinne = Tez-
catlipoca“ sprächen dafür. Die zweite männ-
liche Tetrade bildet eine geschlossene Luna-
tionsperiode, in welcher die vier jugendlichen
Tezcatlipoca-Krieger wohl für die Weltrich-
tungen stehen. Kern der ganzen Serie stellt
aber die weibliche Triade Cospi 25—27 dar;
in ihr stoßen wir auf ein noch ungenügend be-
arbeitetes Prinzip mesoamerikanischer Reli-
gions- und Sozialordnung, in diesem Falle auf
eine nach Lebensalter und charakteristischen
Aufgaben gegliederte Abstufung von Mäd-
chen, Mutter und alter Frau. Von der weib-
lichen Triade aus bieten sich Koppelungen mit
männlichen Partnern an, wenn man Lunations-
perioden gewinnen will: Cospi 26 (w) plus 31
(m) = 207 (7 synodische Monate), Cospi 25 (w)
plus 24(m) = 413 (14 synodische Monate),
Cospi 27 (w) plus 29 (m) = 443 (15 synodische
Monate). Es ist wohl kein Zufall, daß die An-
zahl der Lunationen wiederum eminent mond-
bezogene Größen ergibt: 7 = Mondviertel, 14
und 15 = Teilung des Monats, Kontrast Neu-
mond/Vollmond. Grundsätzlich lassen die
Altersstufen der weiblichen Triade an ein ent-
sprechendes Modell für die Mondphasen
(„Wachsen, Reifen und Sterben“) denken.
Trifft dies zu, so dürfte das Mädchen „8 Rohr“
für den Westhimmel (Erscheinen des jungen
Mondes), die Alte „9 Kaiman“ für den Ost-
himmel (Verschwinden des alten Mondes) ste-
hen, womit wir eine Ortungsmöglichkeit für
die flankierenden männlichen Tetraden erhal-
ten.
Um die Rezension nicht zu einer Miszelle
anschwellen zu lassen, sei nur kurz auf weitere
Kalkulationen der indianischen Verfasser auf-
merksam gemacht:
1. Distanzen zwischen den Zahlenwerten
gewisser Seiten ergeben lunare Größen (Cospi
22 minus 31 324 = Phasengleichheit des
Mondes im Abstand vom ersten und letzten
Tezcatlipoca. Cospi 22 minus 21 = 44 = Pha-
senumkehr des Mondes im Abstand zwischen
dem ersten Tezcatlipoca und dem Feuergott.
Cospi 31 minus 26 = 3 = Verschwinden des
Mondes bis Wiedererscheinung im Abstand
zwischen dem letzten Tezcatlipoca und der
Mondgöttin).
2. Die Begleitzahlen ergeben verschiedene
sinnvolle Gruppen, wenn man jeweils nur die
„Eckpositionen“ oder die „Kernpositionen“
zählt („Eckpositionen“ Cospi 21—24 = 44 =
Phasenumkehr; Cospi 25, 26, 30, 31 = 30 und
Cospi 27—29 = 29 für schematische Monate.
„Kernpositionen“ Cospi 21—23 = 29, Cospi
24, 25 = 15, Cospi 26, 27 = 15, Cospi 28—30
= 29, Cospi 31 = 7, also die Mondalter des
„ersten Viertels“, „Vollmond“ und „Neu-
mond“, mutmaßlich eine Verdeutlichung der
weiblichen Triade).
3. Die Numina sind durch Daten des Ritual-
kalenders benannt. Bildet man probeweise In-
Buchbesprechungen
209
tervalle auch auf dieser Basis, so stößt man auf
charakteristische Werte für Mondphasen bzw.
Jahrespunkte (Cospi 29—25 = 59 = Doppel-
lunation; gleiche Mondphase bei Paar mit
gleichartiger Gesichtsbemalung; Cospi 26—24
= 44 = Phasenumkehr; entgegengesetzte
Mondphasen bei Paar mit kontrastierender
Gesichtsbemalung; Cospi 24—21 bzw. 28—22
= 91 = Abstand Jahresviertel, benachbart
Solstiz und Äquinoktium oder umgekehrt).
Aus all dem schließe ich, daß wir es tatsäch-
lich mit einem durchdachten luno-solaren Ka-
lender zu tun haben. Überdies ist die Zahl „11“
— in der ganzen Götterserie ebenso angelegt
wie in dem auffälligen Abstand von „11 Lu-
nationen“ zwischen dem ersten und letzten
Tezcatlipoca — nichts anderes als die notwen-
dige Überbrückung zwischen einem Mondjahr
von 354 Tagen und einem Sonnenjahr von 365
Tagen. Während das Sonnenjahr wohl auf dem
Feuergott „1 Kaninchen“ basieren dürfte, fin-
det die Iler-Folge des Codex Cospi Verso ihr
ureigentliches Zentrum in der weiblichen Ge-
stalt „9 Rohr“, also in Ixcuinan-Tlazolteotl,
der großen lunaren Gebärerin und Mutter.
Ein knappes „Summary“ wird den vielen
Amerikanisten nützlich sein, die der deutschen
Sprache nicht mächtig sind.
Thomas S. Barthel
PETER PAUL HILBERT:
Archäologische Untersuchungen am mittle-
ren Amazonas. Beiträge zur Vorgeschichte
des südamerikanischen Tieflandes. (= Mar-
hurger Studien zur Völkerkunde 1). Berlin:
Dietrich Reimer Verlag. 1968. 281 S., 54
Fototafeln, 98 Ahb.-Gruppen im Text, 11
Karten, 6 Diagramme, 1 Tabelle. Preis:
broschiert DM 60.—, Leinen DM 70.—.
Noch vor einem Dutzend Jahren bestand die
Archäologie des Amazonas-Gebietes, das im-
merhin 7 Mill km2 umfaßt, selbst für viele
Amerikanisten nur aus zwei Begriffen: Marajo
und Santarem. Spezialisten kannten vielleicht
noch die Zusammenfassungen von Norden-
skiöld (L’archéologie du bassin de l’Amazone;
1930) und Métraux (Contribution à l’étude de
l’archéologie du cours supérieur et moyen de
l’Amazone; 1930), die aber nur Hinweise ohne
zeitliche Tiefe waren. So konnte bis ca. 1955
von einer „Amazonischen Kulturgeschichte“
keine Rede sein.
Eine Änderung erfolgte durch die Unter-
suchungen von Betty Meggers und Clifford
Evans. Sie gruben zuerst 1949 auf der be-
rühmten Mündungsinsel Marajo (Archeologi-
cal investigations at the mouth of the Ama-
zon; 1957). Sie stellten fest, daß es keine „Ma-
rajo-Kultur“ gab, sondern eine Abfolge von
fünf teilweise sehr unterschiedlichen Einheiten,
die nach ihrer Meinung sich nicht auf der Insel
selber entwickelt hatten, sondern voll ausge-
bildet dort eintrafen, die früheste von ihnen
um Christi Geburt. Um den Nachweis für die
vermutete Herkunft aus dem Norden (Vene-
zuela und Guiana) und Westen (andines Ecua-
dor und Kolumbien) zu erbringen, gruben
Meggers und Evans in der Folgezeit mit guten
Resultaten in Guiana (Archeological investi-
gations in British-Guiana; 1960), Venezuela
und am Río Napo (Archeological investiga-
tions on the Rio Napo, Lastern Ecuador;
1968; siehe Bespr. S. 211). Die Ergebnisse er-
möglichten es ihnen, eine Folge von vier Hori-
zontstilen für den Amazonasbereich aufzu-
stellen, die vier Wanderbewegungen repräsen-
tieren sollten (An experimental formulation
of Horizon styles in the tropical forest area of
South America; 1961).
Die bei ihren eigenen Arbeiten vorhandene
große Lücke am mittleren Amazonas, zwischen
der peruanischen Grenze und der Mündung
des Río Negro, füllten sie dabei mit Materia-
lien und Ergebnissen auf, die ihnen Peter Paul
Hilbert zur Verfügung gestellt hatte und die
nun in allen Einzelheiten vorliegen. Ihre Be-
deutung geht nicht nur aus der Einleitung her-
vor, sie sind allgemein für das Verständnis der
amazonischen Archäologie von höchster Wich-
tigkeit, denn ohne sie wäre eine genauere For-
mulierung der Horizontstile überhaupt nicht
möglich gewesen.
Um es vorwegzunehmen: Diese Arbeit ge-
hört zu den besten, die in Deutschland wäh-
rend der letzten Jahrzehnte über amerika-
nische Archäologie geschrieben wurden. Das
trifft sowohl für die Feldarbeit zu, die mit un-
säglichen (in der Arbeit nicht erwähnten) Mü-
hen verbunden war und die Hilbert als Ange-
höriger des Museu Goeldi in Balém do Para
durchführte, als auch für die Ausarbeitung, die
nach modernen, in Deutschland leider zu sel-
ten angewandten Methoden vorgenommen
wurde. Zu diesen möchte der Rezensent aller-
dings einige kritische Bemerkungen machen,
die, ohne dem Wert der Arbeit Abbruch zu
tun, vielleicht den einen oder anderen Ge-
sichtspunkt heraussteilen und zu Klärungen
und Diskussionen anregen könnten.
Sowohl in der Einteilung als auch in der
Benennung der Keramiktypen folgt Hilbert
14
210
Buchbesprechungen
weitgehend dem Vorbilde von Meggers und
Evans. Das ist einerseits aus Gründen der Ein-
heitlichkeit in diesem Raume begrüßenswert,
andererseits ergeben sich aber einige Differen-
zen gegenüber heute üblichen Einteilungen. So
wurde die Keramik in der vorliegenden Ar-
beit nur nach Typen eingeteilt, ohne Berück-
sichtigung der Varietäten (varieties), d. h. es
sind nach dem heutigen Typenbegriff nur Ein-
heiten höherer, bereits abstrahierter Ordnung
vorhanden. Die z. Z. als Grundeinheiten ver-
standenen Varietäten sind teilweise als Typen
behandelt, teilweise in die Typen selbst inkor-
poriert worden. Eine Unterscheidung hätte
vielleicht die Übersichtlichkeit erleichtert. Zu
bemerken ist in diesem Zusammenhang noch,
daß der Begriff „Ware“ teilweise als Synonym
für „Typ“ benutzt wurde, obwohl er eigent-
lich eine (sehr abstrahierte) andere Einheit der
Keramik-Typologie bezeichnet.
Nicht benutzt wurde von Hilbert auch der
sehr wichtige Begriff der Ceramic Group (oder
Ceramic Family), was der Rezensent sehr be-
dauert. Es ist wahrscheinlich, daß viele der als
„undekoriert“ bezeichneten Scherben solche
Teile verzierter Gefäße sind, die keine Orna-
mentierung aufweisen. Da nach der Beschrei-
bung der verzierten Typen mehr als 50% der
Gefäßoberfläche keine Muster aufweist und
keine weiteren Unterscheidungsmerkmale vor-
handen sind, lassen sich Scherben dieser Teile
nur in dem Oberbegriff „Ceramic Group“ zu-
sammenfassen, nicht aber In die „undekorierte“
Einheit aufnehmen, die dadurch unnötig ver-
größert würde.
Wieder dem Vorbild von Meggers/Evans
entnommen ist die gleichbleibende Bezeich-
nung verwandter Typen, z. B. „Guarita Un-
dekoriert“, „Guarita Rote Schlemmung“ usw.,
die dann in die Guarita-Phase gehören. Diese
Methode steht im Gegensatz zu den für die
Namengebung aufgestellten Regeln, nach de-
nen (1.) Keramik-Einheiten nicht den Namen
von Phasen tragen und (2.) keine zwei Kera-
mik-Einheiten den gleichen geographischen
Namen aufweisen sollen.
Endlich hätte der Rezensent es begrüßt,
wenn die bei den Keramik-Einheiten beschrie-
benen Farben nach der heute üblichen Mun-
sell-Tabelle festgelegt worden wären, da die-
ses Vergleiche erleichtert hätte.
Der zweite Ansatzpunkt zu einer Diskussion
betrifft die Auswertung. Da Hilbert seine
Grundeinteilung nach den von Meggers und
Evans postulierten Horizontstilen vorgenom-
men hat, hat er in Ihr praktisch schon die Er-
gebnisse vorweggenommen und sehr wahr-
scheinlich auch andere Interpretationsmöglich-
keiten erschwert. Da sein Material nicht uner-
heblich zur Formulierung dieser Horizonte
beitrug, kann es kaum verwundern, daß sie
hier bestätigt werden, wenn auch mit gewissen
Modifikationen. So nimmt Hilbert z. B. für
den III. (polychromen) Horizont zwei Wande-
rungen statt einer an.
Magerung spielt neben der Verzierung für
die Horizontaleinteilung eine bedeutende
Rolle. Nach Hilbert ist Cauixi typisch für die
Horizonte I., II und IV, Caripe für III und
Muschelgrus für die älteste Keramik, repräsen-
tiert durch die leider nicht näher beschriebene
Castalia-Phase von Jauari. Magerung und
ihre Zuordnung zu bestimmten Horizonten
wurde augenscheinlich vom Verfasser auch für
die Seriation benutzt bzw. zur Einordnung
bestimmter Gefäße, wie z. B. einer Reihe von
Urnen, die ohne direkten Zusammenhang ge-
funden wurden. Bei diesen Urnen hält Hilbert
die mit Caripe gemagerten für die ältesten,
die mit Cauixi-Magerung für die jüngsten und
Urnen mit einer Mischung beider Arten für
Übergänge (p. 204). Der Rezensent Ist hier
(wie auch in anderen Fällen) der Meinung, daß
die Lage nicht so einfach ist, u. a. deshalb,
weil die Urnen von ganz verschiedenen Fund-
plätzen stammen. Es muß daher sicherlich ein
regionaler Einfluß mit in Betracht gezogen
werden, um so mehr als der Autor betont, daß
Caripe vor allem in der oft landeinwärtsgele-
genen Tierra firme gewonnen wird, Cauixi
dagegen in dem ufernahen Värzea-Schwemm-
land. Es ist daher durchaus denkbar, daß das
eine oder andere Material dem Töpfer gar
nicht zur Verfügung stand.
Es muß ferner berücksichtigt werden, daß
innerhalb einer ethnischen Einheit auch ver-
schiedene Magerungen verwendet wurden.
Eine neue Untersuchung von Rüdiger Vossen
zur rezenten Keramik des oberen Amazonas
zeigt, daß z. B. bestimmte Funktionsgruppen
der Keramik mit bestimmter Magerung herge-
stellt wurden und daß sogar an dem gleichen
Gefäß ein Teil mit Caripe, ein anderer mit
Cauixi gemagert sein kann. Damit eröffnen
sich für die Interpretation ganz neue Aspekte,
die auch in der Keramik-Theorie erst noch
verarbeitet werden müssen.
Im Zusamenhang mit den Horizontstilen
stellt sich die Frage, ob sich wirklich die ganze
Buchbesprechungen
211
Keramik eines so riesigen Gebietes mit dem
Erscheinen eines neuen Stiles änderte. Es
erscheint dem Rezensenten unwahrscheinlich,
daß alle Gruppen den neuen Stil annahmen
und dadurch alle ähnlichen Keramiken dem
gleichen, zeitlich begrenzten Horizont angehö-
ren. Es ist durchaus denkbar und sogar wahr-
scheinlich, daß einige Gruppen diesen Wandel
nicht mitmachten, bzw. von ihm nicht berührt
wurden und so gegenüber anderen Einheiten
einen „älteren“ Horizontstil beibehielten. Es
ist zweifellos möglich, daß z. B. nicht alle
polychromen Keramiken (III. Horizontstil)
gleich datieren, sondern einige zeitlich dem
IV. Horizont entsprechen. Voraussichtlich
wäre es besser, nicht von einem Horizont oder
Horizontstil zu sprechen, sondern von einer
Tradition, da dieser Begriff keine zeitliche
Einheitlichkeit erfordert. Daß gewisse Hori-
zontstil-Entwicklungen vorhanden sind, schei-
nen die C14-Daten für den II. Horizont anzu-
deuten, die ziemlich einheitlich sind, aber auch
eine Ausnahme bilden können.
Trotz der in den vorhergehenden Abschnit-
ten geübten Kritik möchte der Rezensent noch-
mals betonen, daß Hilbert eine ausgezeichnete
Arbeit vorgelegt hat, die (mit den in der Kri-
tik als wünschenswert dargelegten Änderun-
gen) als Vorbild für künftige archäologische
Untersuchungen über Amerika dienen sollte.
Hervorzuheben sind auch die ausgezeichneten
Illustrationen des Verfassers. Darüber hinaus
ist diese Studie ein wertvoller Beitrag zu un-
seren leider immer noch sehr geringen Kennt-
nissen der amazonischen Archäologie. Abschlie-
ßend möchte der Rezensent der Hoffnung Aus-
druck geben, daß Peter Paul Hilbert in der Zu-
kunft Gelegenheit haben möge, diese wichti-
gen Arbeiten In größerem Umfange im Ge-
lände fortzusetzen, da er durch seine Vertraut-
heit mit den Verhältnissen und ihren Proble-
men wie kein anderer dazu in der Lage ist und
seine Ausarbeitung nach modernen Methoden
erfolgen würde.
Wolfgang Haberland
CLIFFORD EVANS &
BETTY J. MEGGERS:
Archeological Investigations on the Rio
Napo, Eastern Ecuador. (= Smithsonian
Contributions to Anthropology, vol 6).
Washington: Smithsonian Institution Press.
1968. XVIII + 127 S., 1 Färb-, 94 Schwarz-
Weiß-Tafeln, 65 Abb., 11 Karten, 17 Tab.,
Bibl.; Preis: U. S. $ 4.50.
Polychrome, oft anthropomorphe Tonge-
fäße waren als Zufallsfunde bereits seit län-
gerer Zeit vom ecuadorianischen Oberlauf des
zum Amazonas fließenden Rio Napo bekannt.
Sie waren und sind nicht nur künstlerisch von
Bedeutung, sondern zeigten auch auffallende
Ähnlichkeiten mit Keramiken der Marajoara-
Phase von Marajo. Eine wissenschaftliche Er-
forschung dieses Gebietes war daher dringend
notwendig. Daß Betty Meggers und Clifford
Evans eine solche 1956 Vornahmen, kann Ihnen
nicht hoch genug angerechnet werden, denn
die Schwierigkeiten archäologischer Arbeit im
tropischen Tieflande erscheinen nahezu un-
überwindlich. Das geht gut aus dem Bericht
der Anreise hervor (S. 2—4), den jeder Benut-
zer des Buches aufmerksam lesen sollte. Zu be-
rücksichtigen ist auch, daß die Fundplätze we-
der große Tiefe noch echte Stratigraphie aus-
wiesen, sicherlich hervorgerufen durch den im-
mer wechselnden Standort der Siedlung, der
eine Akkumulation der Abfälle verhinderte.
Das erschwerte die Ausarbeitung außerordent-
lich, denn eine Gliederung konnte nur durch
Seriation, C14-Daten und äußere Kennzeichen
(z. B. Verwitterungsgrad) erfolgen. Nur wenn
man diese Fakten in Betracht zieht, kann man
dieser Arbeit voll gerecht werden.
Die Bedeutung der Grabungen und ihre hi-
storischen Zusammenhänge wurden schon bei
der Besprechung des Buches von P. P. Hilbert
(S. 209) erwähnt. An der gleichen Stelle wurden
auch Bedenken zu einigen Punkten des von
Meggers und Evans entwickelten Beschrei-
bungsschemas genannt, die hier gleichfalls zu-
treffen. Auch hier hätte, nach Meinung des
Rezensenten, einer Unterscheidung zwischen
Ceramic Group, Typ und Varietät zur Klä-
rung der archäologischen Gegebenheiten beige-
tragen. Daß eine solche Gliederung möglich
wäre, soll an Hand der Napo-Phasen-Kera-
mik im folgenden gezeigt werden.
Die Autoren teilten sie in drei unverzierte
und 19 verzierte Typen ein, allerdings schei-
nen auch sie damit nicht ganz glücklich gewe-
sen zu sein. Nach dem Type-Variety-System
würde man zunächst drei Ceramic Groups er-
halten, die auch von den Autoren bei ihrer
Seriation verwendet wurden (S. 79 8c Fig. 60):
I. Cariape-gemagert; II. Sand-gemagert; III.
Holzkohle-gemagert. Unterteilt man die
Gruppe II weiter, so ergeben sich fünf Typen
die je eine unterschiedliche (hier aus Raum-
gründen nicht näher erläuterte) Anzahl von
Varietäten einschließen. Typ A umfaßt die un-
14a
212
Buchbesprechungen
verzierte Keramik, die zwei Varietäten hat.
Typ B faßt mit 9 Varietäten alle jene ritzver-
zierten Einheiten zusammen, bei denen ein
zwei- oder mehrzinkiges Instrument verwen-
det wurde. Sieben Varietäten gehören zum
Typ C, dessen Ritzungen mit einem einzinki-
gen Instrument erfolgten. Die bi- und poly-
chromen Einheiten bilden mit fünf Varietäten
Typ D, während Typ E, dessen Charakteristi-
kum negative Bemalung ist, nur eine einzige
Varietät aufweist. Durch diese Gliederung, die
sich auch für die anderen Gruppen durchfüh-
ren ließe, wären in den Typen größere Einhei-
ten gegeben, die sich statistisch besser auswer-
ten ließen und die dortigen Schwierigkeiten
beseitigen könnten. Ob dieses der Fall ist, läßt
sich leider nicht testen, da bei den verzierten
Einheiten in den Tabellen keine Magerungs-
unterschiede angegeben sind.
Meggers und Evans konnten im Untersu-
chungsgebiet vier verschiedene, zeitlich auf-
einander folgende Phasen feststellen, von de-
nen die letzte, Cotacocha, die rezente Zeit be-
trifft. Die älteste Phase, Yasuni (2 Fundplätze)
hat ein C14-Datum von 50 v. Chr. ± 90 (SI-
300). Die Keramik ist durch Modellieren und/
oder Ritzung verziert. Von breiteren Ritz-
linien begrenzte Bänder oder Felder, die mit
feiner Schraffur gefüllt sind, erscheinen be-
sonders wichtig, da sie ebenso wie andere At-
tribute auch in Funden aus Kolumbien (Puerto
Hormiga), Zentral-Peru (Waica-jirca-Phase),
Ost-Peru (Tutishcainyo), Venezuela (El
Mayal, Rio Guapo), Marajö (Ananatuba-
Phase) und dem mittleren Amazonas (Jauari)
Vorkommen. Diese Phasen und Stile liegen
nicht nur räumlich weit auseinander, sondern
sind auch zeitlich über eine Spanne von mehr
als 3000 Jahre verteilt, wenn man die C14-
Daten glaubt. So steht die von den Autoren
versuchte Rekonstruktion der Ausbreitung des
„Zoned Hatched-Stiles“ auf sehr schwachen
Füßen, v/ie sie selber auch angeben.
Die zweite Phase, Tivacundo, wurde nur an
zwei kleinen Fundplätzen des Rio Tiputini,
einem Nebenfluß des Napo, festgestellt. Cha-
rakteristisch für diese 510 n. Chr. ± 70 (SI-
330) datierte Phase scheint rote Zonierung zu
sein. Beziehungen zu anderen Regionen fehlen.
Bei dieser Phase ist der Rezensent der Mei-
nung, daß nach der Seriation (Figs. 26/27)
N-P-8 jünger als N-P-7 sei, umgekehrt wie die
Autoren es sehen.
Das Übermalen von Ritzmustern auf Ge-
fäßen der Tivacundo-Phase nimmt bereits ei-
nen Stil vorweg, der für die nachfolgende
Napo-Phase sehr typisch ist (Rocafuerte Inci-
sed u. ä.). Weitere Charakteristika dieser wich-
tigsten und verbreitetsten (7 Fundplätze)
Phase sind Polychromie, Ritzungen mit zwei-
zinkigen Instrumenten, Ausschneiden und
anthropomorphe Urnen. Drei C14-Daten ste-
hen für die Napo-Phase zur Verfügung. Zwei
von ihnen liegen nahe beieinander (P-347:
1168 n. Chr. ± 53; P-269: 1179 n. Chr. ± 51),
während das dritte aus dem Rahmen zu fallen
scheint (SI-229: 1480 n. Chr. ± 180). Es wird
deshalb von den Autoren abgelehnt. Bedenkt
man aber, daß die Datierungschance innerhalb
eines Sigma gleich ist, so ist diese Ablehnung
nicht ganz einzusehen, da das Enddatum von
P-269 (1230 n. Chr.) nur 70 Jahre von dem
Anfangsdatum von SI-299 (1300 n. Chr.) ent-
fernt ist, ein relativ geringer Zeitraum.
Nach einer ausführlichen Beschreibung und
tabellarischen Erfassung aller relevanten
Funde im Amazonas-Tieflande, darunter vie-
ler bisher unveröffentlichter, kommen Meg-
gers und Evans zu der Auffassung, daß sich
dieser „Horizont“ von West nach Ost ausbrei-
tete, dabei an verschiedenen Punkten abgewan-
dclt wurde oder sich auf verschiedenen Wegen
von dem hypothetischen Zentrum in Kolum-
bien in diese Räume modifizierte. Damit ver-
treten sie gegenüber Hilbert, der mindestens
zwei zeitlich getrennte Wanderungen an-
nimmt, eine andere Auffassung.
Von großem theoretischen Interesse ist das
abschließende Kapitel. In ihm postulieren die
Autoren auf Grund der bisherigen archäolo-
gischen Befunde und der ökologischen Ver-
hältnisse einen Gegensatz zwischen einer zen-
trifugalen Entwicklung im Amazonas-Tief-
land und einer zentripetalen in den Anden-
Tälern. Die hier dargelegten Gedanken ver-
dienen eine Überprüfung auch in anderen Ge-
genden der Welt und eröffnen neue Interpre-
tationsmöglichkeiten.
Trotz dieser oder jener Einwände bietet das
Buch sowohl in der Feldarbeit als auch in der
Bearbeitung der Funde den hohen Standard,
den man nun schon von den Autoren gewohnt
ist und erwartet. Reich mit guten Karten und
Tabellen sowie ausgezeichneten Abbildungen
ausgestattet, ist es ein sehr wichtiger Beitrag
zur Archäologie Südamerikas. Es zeigt gleich-
zeitig, wie hoch das bisher kaum beachtete
archäologische Potential des tropischen Tief-
landes ist und wird — so ist zu hoffen — viel-
leicht den einen oder anderen anregen, sich
Buchbesprechungen
213
mit diesem vernachlässigten Bereiche näher zu
befassen, in dem noch zahllose Probleme der
Lösung harren.
Wolfgang Haberland
HERMANN TRIMBORN und
ANTJE KELM:
Francisco de Avila. (= Quellenwerke zur
alten Geschichte Amerikas, auf gezeichnet
in den Sprachen der Eingeborenen, Band
VIII. Berlin: Gehr. Mann Verlag. 1967.
IX + 307 S., 3 Ahb., 1 Kartenskizze. Preis:
DM 105.—.
Die vorliegende Veröffentlichung beginnt
mit einem Geleitwort von Gerdt Kutscher, in
dem dieser kurz auf Entstehung und Sinn der
„Quellen werke zur alten Geschichte Amerikas“,
den Verlagswechsel von Stuttgart nach Berlin
sowie auf die Neubearbeitung der Ketschua-
Texte von Francisco de Avila durch Hermann
Trimborn eingeht, der zu dieser aufgrund von
seinen Kenntnissen und langjährigen Studien
besonders geeignet war. 30 Jahre sind seit sei-
ner ersten Herausgabe der Dokumente unter
dem Titel „Francisco de Avila, Dämonen und
Zauber im Inkareich“ in Quellen und For-
schungen zur Geschichte der Geographie und
Völkerkunde, Band IV, Verlag K. F. Köhler,
Leipzig 1939, vergangen, einer Publikation,
die vor Auslieferung durch Brand größtenteils
vernichtet wurde. Um so mehr ist die Neufas-
sung des handschriftlichen Werkes von Avila
zu begrüßen, die außerdem gegenüber der
ersten Auflage durch Verbesserungen, Ergän-
zungen und einen Kommentar geändert wurde.
Avila, ein Findelkind aus Cuzco 1573,
t 1647), wurde nach Studien in der dortigen
Schule der Jesuiten und auf der Universidad
de San Marcos in Lima 1596 in Cuzco zum
Priester geweiht. Danach war er 14 Jahre, von
1597 bis 1610, als Pfarrer in der Im Hinter-
land von Lima gelegenen Provinz Huarochiri
tätig, und zwar zunächst in San Damian, spä-
ter in sechs weiteren Dörfern der Umgebung
des Ortes. In dieser Zeit entstanden, entspre-
chend der Aufgeschlossenheit und dem Inter-
esse des Geistlichen, seine wichtigen Auf-
zeichnungen über die bis dahin unbekannte
Kultur der Bewohner von Huarochiri nach
den Angaben seiner eingeborenen Gewährs-
leute. Sie erfolgten in Ketschua, das Avila flie-
ßend beherrschte und dessen Kenntnis wäh-
rend der Kolonialzeit als wesentlich für „Ver-
waltung und Missionierung“ der Bevölkerung
Perus angesehen wurde.
Die Publikation besteht aus zwei Teilen.
Der Verfasser des ersten Teiles, der Einlei-
tung, Schrifttum, Ketschua-Text und deutsche
Übersetzung desselben umfaßt, ist Hermann
Trimborn, die Verfasserin des zweiten Teiles
über Götter und Kulte in Huarochiri Antje
Keim. Dieser Kommentar ist in die folgenden
Kapitel gegliedert: I. Die Interpretation der
in den Texten enthaltenen Aussagen über die
Umwelt, Kultur und Geschichte von Huaro-
chin. II. Die religiösen Vorstellungen der
Huarochiri. III. Die kultischen Handlungen
der Huarochiri. IV. Symbolik In den Mythen
der Huarochiri. Ein Schluß und ein Literatur-
verzeichnis bilden Ergänzungen des Kommen-
tars.
In der Einleitung behandelt Trimborn zu-
nächst die Bedeutung von Avila und des von
ihm hinterlassenen Ketschua-Manuskriptes
über Huarochiri. Von diesem hat bereits Avila
selbst 1608 eine spanische Übersetzung in
Form einer Paraphrase begonnen, von der je-
doch nur sechs Kapitel vorliegen, die zuerst
1873 in Englisch von Clements R. Markham
in London und 1918 in der spanischen Version
von Carlos A. Romero in Lima veröffentlicht
wurden. Bis zur Bearbeitung des in der Natio-
nalbibliothek in Madrid befindlichen Ket-
schua-Manuskriptes mit insgesamt 33 Kapi-
teln („31 als solche bezeichneten Kapiteln so-
wie zwei weiteren nachtragsweisen“) dienten
die erwähnten beiden Publikationen als
Grundlage für Abhandlungen über die Pro-
vinz Huarochiri. Erst Trimborn hat von
1936 bis 1962 in sechzehn verschiedenen Ver-
öffentlichungen (s. S. 2 und 15) auf die Ket-
schua-Texte von Avila Bezug genommen, von
denen die erwähnte Publikation von 1939 so-
wie der zu dieser 1941 in der Zeitschrift für
Ethnologie, Jahrgang 73, in Berlin erschienene
Nachtrag die vollständigen Ketschua-Texte
und die sinngetreue deutsche Übersetzung wie-
dergeben. Auf Basis der Publikation von 1939
erschien 1942 in Madrid eine Zweitausgabe
des Dokumentes in einer lateinischen und
spanischen Version und mit einer Fotokopie
des handschriftlichen Ketschua-Textes (ohne
Nachträge) von Hippolytus Galante als Ver-
öffentlichung des Instituto Gonzalo Fernández
de Oviedo des Consejo Superior de Investiga-
ciones Científicas.
Trimborn faßt in einem weiteren Abschnitt
unter dem Titel „Francisco de Avila“ die
wichtigsten Lebensdaten von diesem zusammen
sowie unter Bezugnahme auf José Toribio Polo
214
Buchbesprechungen
und Rüben Vargas Ugarte das auf ihn zu-
rückgehende Schrifttum. Anschließend nimmt
er in dem Kapitel „Ketschua-Text und Para-
phrase“ sowie „Handschrift“ zu den verschie-
denen Publikationen derselben, insbesondere
der von Hippolytus Galante (S. 2 und 14 f.)
und zu der Zusammensetzung des Manuskrip-
tes selbst kritisch Stellung, ebenso zu linguisti-
schen Problemen und den Fragen nach der Ein-
gliederung und zeitlichen Niederschrift des
Ketschua-Textes, die er begründet zwischen
1606 und 1608 ansetzt. Vorbemerkungen zur
Textausgabe und Übersetzung dienen zur
Klarstellung, in welcher Form u. a. Schreib-
fehler, Abkürzungen, unleserliche Worte und
Randbemerkungen von Avila kenntlich ge-
macht worden sind. Anmerkungen enthalten
Erläuterungen und Textvergleiche. Eine Zäh-
lung der Ketschua-Zeilen pro Seite (5, 10,
15 . . . ), der Hinweis auf einen Seitenwechsel
im Manuskript durch Folio-Angabe, insofern
diese im Original angeführt ist, sowie Absatz-
Zeichen erleichtern auch gegenüber der Erst-
ausgabe von 1939 eine Bearbeitung des Ket-
schua-Textes und der deutschen Übersetzung
sowie den Vergleich mit dem Original-
Manuskript. Trimborn hat bewußt für die
Übersetzung keine wortwörtliche, sondern eine
sinnentsprechende Übertragung gewählt, Zwei-
felsfragen klärte er mit Sprachexperten in
Bolivien und Peru.
Der von Antje Keim verfaßte Kommentar
ist unter Berücksichtigung der aus dem Avila-
Text sowie aus vergleichendem Material sich
ergebenden Aspekte und mit Kenntnis der
maßgebenden Literatur (s. Verzeichnis der-
selben) und Verhältnisse hinsichtlich der Re-
gion von Huarochiri und des Anden-Raumes
bearbeitet. Er bedeutet deshalb und auch
durch die Klärung bzw. in einigen Fällen den
Versuch zur Klärung schwieriger Probleme
eine sinnvolle Dokumentation, die für jede
weitere Forschung unentbehrlich sein wird.
Am Schluß ihrer Ausführungen faßt Keim die
kulturgeschichtlichen Aspekte zusammen, die
sich als Ergebnis anläßlich der Bearbeitung
des Materiales herausstellten: „Avilas Werk
erteilt uns somit nicht nur Aufschluß über die
Geisteshaltung der zeitgenössischen Bewohner
von Huarochiri, vielmehr ermöglicht uns die
Interpretation seiner Aussagen darüber hinaus,
einen Beitrag zu unserer Kenntnis der Kultur-
genese im vorinkaischen Peru zu liefern.“
Zwei Hinweise seien zu der vorliegenden
Publikation gebracht: Das im Inhaltsverzeich-
nis für S. 307 angeführte Verzeichnis der Ab-
bildungen ist wohl versehentlich nicht gedruckt
worden. — Bei der 1966 in Lima erschienenen
Publikation „Dioses y Hombres de Huarochiri,
Narración quechua recogida por Francisco de
Avila (¿ 1598?)“, edición bilingüe, traducción
castellana de José María Arguedas, Estudio
bibliográfico de Pierre Duvlols handelt es
sich offenbar um eine mit den Studien von
Trimborn und Keim fast gleichzeitig verlau-
fende Arbeit und Veröffentlichung, die von
den Verfassern nicht mehr berücksichtigt wer-
den konnte. Die Publikation wurde von dem
Museo National de Historia und dem Instit-
tuto de Estudios Peruanos in der Serie Fuentes
e Investigaciones para la Historia del Perú
herausgegeben mit 278 S., 4 Tafeln, 14 Fak-
simile-Seiten. Sie stellt die erste vollständige
Übersetzung der 33 Kapitel von Avila aus
dem Ketschua in die spanische Sprache dar,
gibt die sieben Kapitel der von Avila verfaß-
ten spanischen Paraphrase wieder, ferner den
Faksimile-Druck der beiden Nachträge und
des Titels zur Paraphrase, Daten zum Leben
und Schrifttum von Avila, verschiedene Doku-
mente über Huarochiri und einen Index. Daß
die beiden neuen, sich in einigen Punkten er-
gänzenden Publikationen über Avila fast
gleichzeitig erschienen, weist erneut auf die
Bedeutung seines hinterlassenen Manuskriptes
hin.
Eine Stellungnahme zu den Übersetzungen
selbst kann nur einem Spezialisten Vorbehal-
ten bleiben. Die hier zur Besprechung stehende
Veröffentlichung von Trimborn und Keim
stellt in jedem Fall nicht nur einen wesent-
lichen Beitrag für die Archäologie, Ethnologie
und Lingustik, sondern auch für die Nachbar-
wissenschaften derselben dar. Die Herausgabe
in „Quellenwerke zur alten Geschichte Ame-
rikas aufgezeichnet in den Sprachen der Ein-
geborenen“ des Ibero-Amerikanischen In-
stitutes in Berlin ist durch die Qualität und
Verbreitung dieser Reihe besonders wertvoll.
Karin Hahn-Hissink
FRANZ BOAS:
Kwakiutl Ethnography. Edited and abrid-
ged, with an introductwn by Helen Codere.
(= Classics in Anthropology). Chicago und
London: The University of Chicago Press.
1966. XXXVIII + 439 S., 62 Abb., 3 Ta-
feln, 1 Karte. Preis: U.S. $ 12.50.
Dieses Buch enthält einige bisher unveröf-
fentlichte Manuskriptfragmente von Franz
Buchbesprechungen
215
Boas über die Kwakiutl von Vancouver Is-
land, Kanada. Sie wurden von der Heraus-
geberin mit anderen bereits publizierten Arbei-
ten von Boas zu einem Buch vereint, das eine
allgemeine Darstellung der Kwakiutl-Kultur
vermitteln soll. Durch die vollständige Herein-
nahme der Beschreibung des sog. Winterzere-
moniells (128 Seiten), wirkt das Buch aller-
dings etwas unproportioniert. Zweifellos ist
die Veröffentlichung der bisher weithin un-
bekannten Boas-Manuskripte verdienstvoll
genug, aber man fragt sich doch, warum diese
detaillierten Aufzeichnungen von hohem wis-
senschaftlichen Wert ausgerechnet In einer
Reihe veröffentlicht wurden, die — wenn es
auch im Klappentext dieses Bandes (wohlweis-
lich?) nicht gesagt wird — frühe klassische
Werke der Völkerkunde einem breiten Leser-
kreis zugänglich machen will.
Das Winterzeremoniell, zu dem hier noch
ein paar Worte gesagt werden sollen, ist, wie
Boas bereits in früheren Arbeiten hervorgeho-
ben hat (z. B. in „The Social Organization and
thè Secret Societies of thè Kwakiutl Indians“,
1897), ein wichtiger Abschnitt im Leben dieser
Indianer. Er beginnt im November und er-
streckt sich bis ins nächste Jahr. Streng genom-
men handelt es sich nicht um ein Zeremoniell
oder ein in sich geschlossenes Ritual, sondern
um einen ganzen Komplex von rituellen
Handlungen, ja man könnte fast sagen, einen
„Zustand“, der das Leben der Kwakiutl in der
ersten Hälfte des Winters bestimmt. Es ist eine
„heilige Zeit“, die von übernatürlichen Wesen,
welche im Sommer weit entfernt hausen und
erst im Winter wieder ins Dorf zurückkehren,
hervorgerufen wird, indem sie Männer und
Frauen Initiieren. Die bereits Initiierten neh-
men während dieser Zeit ihre ihnen früher von
diesen Wesen verliehenen Namen an und legen
ihre profanen Sommernamen ab. Damit löst
sich die gesamte Sozialordnung, die sich vor-
wiegend auf die Verwandtschaftsgruppierung
(Clans!) stützt, auf, und es bilden sich Grup-
pen, die aus Personen bestehen, welche vom
gleichen Wesen initiiert worden sind, — das
sind die Geheimbünde. — Die Zeremonien
dieser Bünde sind durch zahlreiche Masken-
tänze charakterisiert. Auch Potlatchfeste gehö-
ren indirekt zu diesem Komplex, weil die Ini-
tiation der Novizen eine kostspielige Angele-
genheit für die Verwandten ist, indem gelie-
hene Güter mit hohem „Zins“ wieder zurück-
gezahlt werden müssen.
Angemerkt sei noch, daß Boas das Winter-
zeremoniell im Jahre 1895 in Fort Rupert be-
obachten konnte. Die Angaben stammen also
aus einer Zeit, als die Kultur dieser Indianer
noch relativ wenig durch permanente Kon-
takte mit Weißen beeinflußt war.
Wolfgang Findig
JAMES MOONEY:
The Ghost-Dance Religion and the Sioux
Outbreak of 1890. Edited and abridged,
with an introduction by Anthony F. C.
Wallace. (= Classics in Anthropology.)
Chicago & London: The University of Chi-
cago Press. 1965. XXIII + 359 S., 67 Abb.,
Karten und Pläne. Preis: s. 52!—; paperback
s. 21/—.
Zu den interessantesten Phänomenen der
ausgehenden Prärie-Kultur Nordamerikas und
der beginnenden Reservationszeit gehört die
Geistertanzbewegung, die vom Great Basin
ausgehend sich rapide besonders unter den
Präriestämmen ausbreitete. Nicht nur völker-
kundlich ist sie als Heilserwartungsbewegung
bedeutungsvoll, auch als geschichtliches Ereignis
nimmt sie, mit ihren Auswirkungen auf die
spätere Indianerpolitik, eine wichtige Stelle
ein. Es verwundert daher nicht, daß der Gei-
stertanz oft untersucht worden ist, als isolier-
tes Phänomen ebenso wie im Zusammenhang
mit nativistischen Bewegungen, zu deren Theo-
rienbildung sie beitrug.
Alle Untersuchungen über den Geistertanz
müssen zwangsläufig die Arbeit von Mooney
berücksichtigen, die ursprünglich als ein Teil
des „Fourteenth Annual Report of the Bureau
of Ethnology to the Secretary of the Smith-
sonian Institution, 1892—93 (Washington
1896) erschien und nun neu herausgegeben
wurde. Sie ist eine primäre Quelle, denn
Mooney hatte den Geistertanz während seiner
Hochblüte unter den verschiedensten Stämmen
beobachtet und die Unterschiede in den Auf-
fassungen studieren können. Er dürfte auch
der einzige Ethnologe gewesen sein, der selbst
aktiv an den Tänzen teilnahm. Darüber hinaus
sprach er auch persönlich mit dem Paviotso-
Propheten Wovoka und kannte dessen Prinzi-
pien des Geistertanzes, die oft wesentlich von
denen der Stämme abwich. Gleichermaßen be-
deutungsvoll sind aber seine Schilderungen
und Dokumentationen des Sioux-Aufstandes
von 1890, den man damals, besonders von amt-
licher Seite, rein als Ausfluß des Geistertanzes
ansah. Mooney hingegen macht darauf auf-
216
Buchbesprechungen
merksam, unter Schilderung der Gesamtsitua-
tion unter den Sioux 1889/90, daß der Geister-
tanz nur eine Quelle des Aufstandes war und
wahrscheinlich nicht einmal die wichtigste, eine
Feststellung, die später oft übersehen wurde.
In allen Schilderungen verbirgt sich eine Fülle
von oft verblüffenden Tatsachen, so die Rolle
der Eisenbahn für die Verbreitung des Geister-
tanzes, oder der Einfluß, den Reservations-
Agenten und Offiziere auf die Indianer hatten
bzw. deren maßgeblicher Einfluß auf den
eigentlichen Aufstand.
Natürlich sind Mooney, dem nicht wie den
heutigen Forschern umfassende Stammesmono-
graphien zur Verfügung standen, bei seinen
Interpretationen Fehler unterlaufen. So glaubte
er zum Beispiel, die Navaho lehnten den Gei-
stertanz deshalb ab, weil sie große Schafherden
usw. besaßen, während wir heute wissen, daß
die Navajo die Toten fürchteten und ihre
Rückkehr ablehnten. Da aber der Geistertanz
dieses erreichen wollte, fand er bei ihnen keine
Aufnahme. Hierauf und auf andere Fehlinter-
pretationen weist Anthony F. C. Wallace in
seiner knappen, aber sehr guten Einführung
hin, in der auch die wichtigste moderne Litera-
tur zu diesem Thema aufgezählt ist. Wallace
hat auch die Kürzungen gegenüber dem Origi-
nal vorgenommen, die vor allem die Wortlisten
und die Beschreibung anderer religiöser Bewe-
gungen betreffen. Letzteres ist dadurch ge-
rechtfertigt, daß heute weitaus bessere Zusam-
menstellungen vorhanden sind. Andererseits
muß aber auch immer darauf hingewiesen wer-
den, daß Mooney den Geistertanz als Teil
weltweiter Erneuerungsbewegungen auffaßte,
und daß er somit der erste war, der, wenn auch
nicht unter diesem Begriff, die Zusammen-
hänge nativistischer Bewegungen erkannte und
sie, soweit es ihm möglich war, verglich.
Es ließe sich noch viel Positives über dieses
Buch sagen, das voller Details steckt und das
jedem, der sich mit solchen Phänomenen, mit
den Prärie-Indianern oder mit dem Verhältnis
Weiße — Indianer befaßt, gelesen werden
sollte. Schon aus diesem Grunde muß es be-
grüßt werden, daß durch die Neuauflage diese
Arbeit wieder einem weiteren Kreis zugänglich
gemacht wurde.
Wolfgang Haberland
JOHN STANDS IN TIMBER and
MARGOT LIBERTY:
Cheyenne Memories. With the assistance
of Robert M. Utley. (= Yale Western Ame-
ricana Series. 17.) New Haven & London:
Yale University Press. 1967. XVI + 330 S.,
1 Farbtafel, 27 Abb., 2 Karten, 1 Tab.
Preis: s. 72!—.
Die Algonkin-sprechenden Cheyenne gehö-
ren heute zu den am besten untersuchten Stäm-
men der nordamerikanischen Prärien, nicht
zuletzt durch die nun schon klassischen Unter-
suchungen von G. B. Grinnell. Trotzdem ist
das vorliegende Buch ein wichtiger Beitrag, da
viele neue Gesichtspunkte gebracht werden,
sowohl in der religiösen und gesellschaftlichen
Sphäre als auch für die Geschichte der Cheyenne
und die Eroberung und „Befriedung“ der
Prärien durch die Weißen. John Stands in
Timber (1884—1967) hat zwar die großen
Kämpfe selber nicht mehr erlebt, er hat aber
denen noch zugehört, die an ihnen teilnahmen;
er hat darüber Notizen aufgezeichnet und
viele Einzelheiten im Gedächtnis bewahrt. So
kann er nicht nur das eigene Erleben schil-
dern, das sich auf die Reservationszeit bezieht,
sondern auch Ereignisse, die bis ca. 1820 zu-
rückreichen. Sein eigenes historisches Interesse
war augenscheinlich sehr groß, denn nicht nur
scheint er die verschiedenen Aussagen seiner
Gewährsleute, die er oft mit Namen nennt,
gegeneinander abgewogen zu haben, sondern
er besuchte auch die Schauplätze der Handlun-
gen, um sich ein Bild der lokalen Gegeben-
heiten zu machen und dabei die Glaubhaftig-
keit der einen oder anderen Aussage zu über-
prüfen. So enthält z. B. seine Schilderung der
Schlacht am LIttle Bighorn (1876) eine ganze
Reihe von Abweichungen gegenüber den all-
gemein gültigen Ansichten, die einige Gegeben-
heiten der Schlacht und des Schlachtfeldes bes-
ser als bisher erklären. Man kann John Stands
in Timber vielleicht wirklich als einen Ge-
schichtsschreiber oder -erzähler bezeichnen,
der die Geschichte der Cheyenne so wieder-
gibt, wie sie sie selber sahen oder sehen. Wich-
tige Ergänzungen sind auch im religiösen Be-
reiche enthalten.
Hervorzuheben ist an diesem interessanten
Buche ferner die Arbeit von Margot Liberty.
Sie hat die Aufzeichnungen und Erzählungen
unter weitgehender Wahrung der Original-
form zusammengestellt, eine Arbeit, die zu-
sammen mit der der ursprünglichen Aufnahme
nicht hoch genug angerechnet werden kann.
Darüber hinaus hat sie sie mit zahlreichen
Fußnoten versehen, die auf Parallelstellen
bzw. Differenzen gegenüber der bisherigen
Literatur, die in einer umfangreichen BIblio-
Buchbesprechungen
217
graphie aufgeführt ist, Hinweisen, so daß
Vergleiche keine Schwierigkeiten bereiten. Daß
ein ausführlicher Index vorhanden ist, erleich-
tert ebenfalls die Arbeit mit diesem Buche.
Wolfgang Haberland
KONRAD THEODOR PREUSS:
Nahua-Texte aus San Pedro Jicora in Du-
rango. Erster Teil: Mythen und Sagen. —
Aus dem Nachlaß übersetzt und herausge-
geben von Elsa Ziehm. Mit einem Geleitwort
von Gerdt Kutscher. (= Quellenwerke zur
Alten Geschichte Amerikas auf gezeichnet in
den Sprachen der Eingeborenen. Heraus-
gegeben vom Ibero-Amerikanischen Institut.
Schriftleitung: Gerdt Kutscher. Band IX.
Berlin: Gebr. Mann Verlag. 1968. 330 S.,
1 Karte, 2 Tafeln, 30 Textabb. Preis:
DM 100.—.
Die ethnographischen und linguistischen
Feldforschungen von Konrad Theodor Preuss
im nordwestmexikanischen Nayarit-Gebirge
während der Jahre 1906/07 sind bisher nur
bruchstückweise für die amerikanische Völker-
kunde zugänglich geworden. Während die
Mythen der Cora planmäßig 1912 als erster
von vier konzipierten Bänden der unerwartet
ertragreichen Erhebungen publiziert werden
konnten, kam es zu Lebzeiten des Gelehrten
nur zu gelegentlichen Ausführungen über die
Materialien von den Huichol und Mexicanos.
Das druckfertige Manuskript der Huichol-
Texte (vielleicht die schönste orale Literatur
aus dem rezent-naturvölkischen Mexico) fiel
im 2. Weltkrieg der Vernichtung anheim.
Gerdt Kutscher beklagt zu Recht diesen herben
Verlust; immerhin ist die scheinbar hoffnungs-
lose Quellenlage noch vor wenigen Jahren
durch die Untersuchungen von Peter Purst
(vgl. „Myth as History: The JImson Weed
Cycle of the Huichols of Mexico“, Anthropo-
logica 17, und „The Parching of the Maize: An
Essay on the Survival of Huichol Ritual“,
Acta Ethnologica et Linguistica 14) tröstlich
gelindert worden.
Die dritte der von Preuss studierten Popu-
lationen stellen die sogenannten „Mexicanos“
dar, genauer gesagt eine kleine Nahua-
sprachige Gruppe im Mezquital (Durango),
zwischen Cora und Tepehuanos siedelnd. In
deren Zeremonialzentrum San Pedro Jicora
sammelte er im Prühjahr 1907 nicht weniger
als 178 Erzählungen verschiedener Gattungen;
Zwei Drittel hiervon gelangen endlich zur de-
finitiven Veröffentlichung. Ein glücklicher Zu-
fall hat wenigstens diesen Bestand über die
Wirren von Kriegs- und Nachkriegszeit hin-
weg zu retten vermocht: Ein Enkel von K. Th.
Preuss (Werner Preuss) und zwei Schüler von
K. Th. Preuss (Elsa Ziehm und G. Kutscher)
bildeten jene Bergungsmannschaft, der wir nun
— dreißig Jahre nach dem Tode des großen
Amerikanisten und Religionsethnologen — zu
danken haben für die zweisprachige und kom-
mentierte Übersetzung der fraglichen Nahua-
Texte. Ihr erster Teil („Mythen und Sagen“)
liegt vor, während der zweite Teil („Märchen
und Schwänke“) sich gegenwärtig in Druck
befindet, und wohl noch ein dritter Teil („Ge-
bete und Gesänge“) zu erwarten ist.
Kernstück von Band IX der „Quellenwerke“
bilden 210 Seiten Nahua-Texte mit paralinea-
rer deutscher Übersetzung. Die Übersetzerin,
Frau Elsa Ziehm, ging aus von den Preuss-
schen Feldaufzeichnungen (Nahua-Text mit
spanischer Interlinearübersetzung und steno-
graphischen Marginalien) und reiste selbst
zweimal nach San Pedro Jicora, in dessen
Nähe heute noch etwa 60 „Mexicanos“ leben.
Die Originaltexte bieten der Nahua-Dialek-
tologie manche spezielle Aufgaben; die Über-
setzung erweist sich als Fundgrube für den
Mexikanisten, für den Erzählforscher und für
das Studium synkretistischer Formen gleicher-
maßen. Die mexikanistische Fragestellung im
herkömmlichen Sinne — also die Anknüpfungs-
und Erklärungsversuche mit präspanischen
Mythenmotiven — wurde natürlich schon von
K. Th. Preuss gesehen und inauguriert; eine
rechte Würdigung der Verschränkung und Um-
funktionierung mit spanisch-christlichen Ein-
flüssen dürfte erst der gegenwärtig so stark in
Bewegung gekommenen Synkretismusfor-
schung im mesoamerikanischen Bereich gelin-
gen. Was die eigentliche Erzählforschung an-
geht, so wird man abwarten müssen, wieweit
im angekündigten zweiten Bande Elsa Ziehm
den Anschluß an moderne analytische Verfah-
ren, im Sinne von Alan Dundes oder Claude
Levi-Strauß, gewinnt. Jung, Kerényi, Radin
und Eliade scheinen den theoretischen Rahmen
der Verf. eher abzustecken.
Zur Textinterpretation stehen zwei Buch-
abschnitte parat: Eine hochwillkommene
Sammlung von verstreuten Aufsätzen aus der
Feder Preuss’ (zwischen 1908 und 1928 publi-
ziert), welche die altmexikanische Perspektive
betonen, und eine Texteinführung durch Frau
Ziehm. Sie hat das Erzählgut nach evidenten
Themenkreisen geordnet, ohne eine Aarne-
218
Buchbesprechungen
Thompsonsche Aufschlüsselung zu betreiben,
und sich vor allem um den mythischen Kern
bemüht. Das mythische Personal wird skizziert
(mit dem Grundantagonismus von jungem
Morgenstern und alter Erdmutter) und gewisse
Handlungsgruppen, von der Verf. als „Kapi-
tel“ zusammengestellt, werden auf neu- und
altweltliche Parallelen befragt, ohne Anspruch
auf Vollständigkeit zu erheben. „Vorspiel am
Himmel“, „Tod mit Blitzstrahl“, „Sintflut und
Weltbeginn“, „Morgenstern und Maiswunder“,
„Jaguar als Spender und Räuber“, „Bedro-
hung durch den Kaiman“ usw. sind also für
eine erste Orientierung zweckmäßige Titel,
aber keineswegs bewußte Sonderungen der
Mexicanos selbst.
Dem Schriftleiter der Quellenwerke ver-
danken wir jetzt seit 20 Jahren ein beharr-
liches und fruchtbares Wirken auf einem mit-
unter entsagungsvollen Felde. So wertvoll und
fündig der vorgelegte Erzählband aus dem
Preuss’schen Nachlaß auch ist, wird man aber
in einer Hinsicht sein Unbehagen nicht ver-
hehlen mögen. Ich meine damit die „Textab-
bildungen“: Sie stammen fast ausnahmslos aus
präcolumbischen Bilderhandschriften von Völ-
kern, die kein Nahua sprachen! Zwar wird
man in vielen Fällen den Gedankengang ver-
folgen können, der eine Figur oder Szene in
mesoamerikanischen Codices mit einem Er-
zählmotiv im rezenten Mexicanotext zu ver-
knüpfen beliebt, doch wird damit die sach-
gerechte Editionsstrenge eines Quellenwerkes
zugunsten einer ästhetizierenden Bibliophilie
verlassen. Ob sich hierin der Verlagswechsel
(von W. Kohlhammer, Stuttgart, zu Gebr.
Mann, Berlin) manifestiert?
Thomas S. Barthel
MANN ING NASH:
Machine Age Maya. The Industrialization
of a Cuatemalan Community. Chicago &
London: The University of Chicago Press.
1967. 2. Aufl. XVI + 155 S., Karten, Pläne,
Diagramme. Preis: gebunden s. 36/—; ge-
heftet s. 17/6.
1967 erschien die zweite unveränderte Auf-
lage des Buches ,Machine Age Maya' von
Manning Nash. Die erste Publikation stammt
aus dem Jahre 1958.
Nash berichtet in diesem Buch über die Ge-
meinde Cantel im westlichen Hochland von
Guatemala. Cantel hat als einzige Gemeinde
der Gegend eine Fabrik, und zwar die größte
Textilfabrik Zentralamerikas. Ca. ein Viertel
der ökonomisch aktiven Bevölkerung von
Cantel (Gesamtbevölkerung 1950: 8277) arbei-
tet in der Textilfabrik. Die restliche Bevölke-
rung behielt ihre alten Berufe in der Land-
wirtschaft und im Handwerk.
Diese Gemeinde bot Nash praktisch eine
,Laboratoriumssituation', um den Einfluß der
Fabrik — einer beginnenden Industrialisierung
— auf die Gemeinde zu studieren. Er konnte
den in der Fabrik beschäftigten Dorfbewoh-
ner mit dem Landwirt des gleichen Dorfes ver-
gleichen. Weiterhin konnte er die Gemeinde
Cantel mit den umliegenden Gemeinden ohne
Fabrik vergleichen.
Die Arbeit Nashs steht in der Tradition der
berühmten mittelamerikanischen Gemeinde-
studien der Amerikaner Redfield, Tax, Wag-
ley, Lewis u. a., wobei die beiden erstgenann-
ten Lehrer von Nash waren. Forschungstech-
niken sind wieder teilnehmende Beobachtung
und Befragung. Nash verbrachte mit seiner
Frau 14 Monate in Cantel.
Interessant ist die Arbeit Nashs auch heute
noch vor allem dadurch, daß der Prozeß der
Industrialisierung in Cantel auf eine etwas
außergewöhnliche Weise verläuft, verglichen
mit der Erfahrung der Dorfsanierung in an-
deren Ländern. Die gewohnte Vorstellung,
daß mit der Industrialisierung eine soziale
und kulturelle Desintegration stattfinden muß,
wird durch die Arbeit Nashs widerlegt. Die
Kenntnis des ,Falles Cantel' hilft, unsere Vor-
stellungen über den Prozeß der Industrialisie-
rung zu differenzieren, unsere Hypothesen zu
spezifizieren und den Einfluß sozialer und
kultureller Systeme bei diesem Vorgang abzu-
schätzen.
Die Fabrik (seit 1876) brachte zahlreiche
Veränderungen in die Gemeinde Cantel. „But
the changes . . . , have been of the kind which
pcrmit the people to keep their social integrity
and their cultural distinctiveness“ (S. 1). Nash
zeigt, wie die Gemeinde Mechanismen ent-
wickelte, die es ihr möglich machten, mit rela-
tiv geringen sozialen und kulturellen Verände-
rungen ein neues Produktionssystem in ihre
Gesellschaft zu integrieren.
Die Ursachen hierfür sind zum Teil in der
traditionellen Gesellschaft der Cantelenser zu
suchen, zum anderen in der Art, wie der Vor-
gang der Industrialisierung in Cantel statt-
fand.
Die neue Fabrik stand nicht in Konkurrenz
zu den traditionellen Methoden, den Lebens-
unterhalt zu verdienen. Die Fabrik konnte
Buchbesprechungen
219
vielmehr die erhebliche Unterbeschäftigung in
der Gemeinde beseitigen. Der etwas höhere
und regelmäßige Verdienst ermöglichte es erst
vielen, sich entsprechend den Werten der Ge-
sellschaft verhalten zu können. Die Kultur-
und Sozialstruktur enthielt viele Elemente, die
günstig für eine Industrialisierung waren. Die
Cantelenser hatten schon ein monetäres Wirt-
schaftssystem, das Denken in wirtschaftlichem
Vor- und Nachteil war ihnen nicht fremd,
Reichtum war ein Wert. Darüber hinaus waren
sie an Zeitkalkulation, regelmäßiges Arbeiten
und Arbeiten in Gruppen gewöhnt.
In der Fabrik stellten die Cantelenser nur
die einfachen Arbeitskräfte, das Führungsper-
sonal kam von auswärts und blieb auch in der
Gemeinde fremd. So erhielten die Arbeiter
kaum Einblick in die größeren Zusammen-
hänge des wirtschaftlichen Lebens. Es entstan-
den nur geringe soziale und wirtschaftliche
Verpflichtungen mit der nationalen Gesell-
schaft. Die Bevölkerung blieb zum größten
Teil bodenständig. Die Fremden, die nachCan-
tel kamen, blieben abgesondert. Durch die
Fabrik entstand in Cantel keine neue soziale
Klasse.
So konnte weiterhin soziale Kontrolle ent-
sprechend den Normen des alten Sozialsystems
ausgeübt werden. Die Dienste in der zivil-
religiösen Ämterhierarchie dienten weiterhin
als Mittel der Zuordnung von Prestige und
Rang. Im wesentlichen wurden nur durch die
gewerkschaftliche Organisation Verhaltenswei-
sen verändert, die Prinzipien des Alters und
der öffentlichen Dienste bei der Ämtervertei-
lung und als Respektbasis unterwandert.
Ob das Entstehen einer Fabrik schon als
ausreichendes Kriterium angesehen werden
kann, um von einer Industrialisierung zu spre-
chen und ob Titel und Untertitel nicht ein we-
nig überzogen sind, soll hier nicht diskutiert
werden.
Der beabsichtigte Vergleich zwischen der
Gemeinde Cantel und den umliegenden Ge-
meinden ohne Fabrik kommt etwas zu kurz.
Er Ist meist sehr sporadisch und unsystematisch.
Auch vermißt man an verschiedenen Stellen
den Versuch einer Quantifizierung. Manche
Aussagen hätten auf diese Weise auf eine et-
was verläßlichere Basis gestellt werden kön-
nen, und das Ausmaß der einzelnen Faktoren
ließe sich besser abschätzen. So wird man bei
der Lektüre des ganzen Buches den Verdacht
nicht los, daß die traditionalen Aspekte — wie
bei seinem Lehrer Redfield — etwas überbe-
wertet und die Veränderungen etwas unter-
schätzt wurden.
Rotraut Weeber
HERMANN TRIMBORN:
Indianer von gestern, heute und morgen.
Beobachtungen zum Kulturwandel in den
Anden Boliviens. (= Kulturgeschichtliche
Forschungen, Band 12.) Braunschweig:
Albert Limbach Verlag. 1968. 96 S., 104
Abb., 3 Karten. Preis: DM 38.—.
Zwei mehrmonatige, mit Unterstützung der
Deutschen Forschungsgemeinschaft und ge-
meinsam mit seiner Frau auf dem interandinen
Hochland, dem Altiplano, und in den östlichen
Valle-Landschaften Boliviens 1955/56 und
1960 ausgeführte Reisen haben den Verfasser
veranlaßt, die vorliegende Studie zu veröffent-
lichen. Trimborn weist selbst darauf hin, daß
mit ihr das Thema nicht erschöpfend behan-
delt werden kann. Seine eigenen Beobachtun-
gen, die Aufnahmen von Frau Josefine Welk-
Trimborn und die Auswertung des einschlägi-
gen Schrifttums insbesondere von Monheim,
Vellard und Wehrle haben jedoch zum Ent-
stehen eines Bildbandes geführt, der aufschluß-
reiches Material und Einblick in die vielsei-
tigsten Problemstellungen für jeden bietet,
der sich mit Bolivien beschäftigt.
Der Verfasser behandelt einmal die ver-
schiedenen Aspekte, die in den letzten Jahren
zu dem auffallenden und kurzfristigen Kultur-
wandel in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher
und politischer Hinsicht in den angegebenen
Räumen führten. Zum anderen gibt er anhand
von Beispielen an, in welchen Lebensformen
sich alte Tradition besonders bewahrt hat, wie
vor allem im religiösen Bereich. Die eingehen-
den Kenntnisse der vorspanischen und kolo-
nialzeitlichen Verhältnisse sowie der u. a. im
Rahmen der Entwicklungshilfe veranlaßten
Planungen ermöglichten dem Verfasser, ge-
genüber den heutigen Verhältnissen interes-
sante Rückblicke aufzuzeigen.
Karin Hahn-Hissink
HANS FISCHER:
Negwa. Eine Papua-Gruppe im Wandel.
München: Klaus-Renner-Verlag. 1968. 493
S., 36 Tabellen, 4 Karten, 48 Abb., 123
Textfiguren. Preis: DM 96.—.
Die verschiedenen Aspekte des Kulturwan-
dels in Neuguinea sind bereits mehrfach Ge-
genstand monographischer Behandlung gewe-
220
Buchbesprechungen
sen. Neben einer komplexen Sicht (Hogbin
1951) fanden außer sozialökonomischen Pro-
blemen (Kouwenhoven, Salisbury 1962, Row-
ley 1966) vorwiegend die spektakulären Äu-
ßerungen Interesse (Burridge 1960, Mäher
1961, Lawrence 1964).
Fischers Arbeit scheint, dem Titel zufolge,
der erste größere deutsche Beitrag innerhalb
dieser Literaturgattung zu sein. Doch macht
bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis
deutlich, daß vorliegendes Buch anders zu
werten ist. Dem eigentlichen Kulturwandel,
falls man darunter nur die durch den Einfluß
der Weißen hervorgerufenen Prozesse verste-
hen will, wird in der gesamten Arbeit nur ein
Kapitel von 16 Seiten gewidmet. Fischer
möchte die Kultur als ein sich in ständigem
Wandel befindliches Phänomen verstanden
wissen, welches durch den weißen Einfluß ne-
ben einer Beschleunigung des Prozesses ledig-
lich in einer bestimmten Richtung fixiert wird.
Nach Ansicht des Verfassers bot das von
ihm gewählte Beispiel besonders günstige Vor-
aussetzungen für eine frei von Störungen ver-
laufende Eingliederung fremder Elemente in
die eigene Kultur. Untersucht wurde die 246
Personen umfassende nördliche Lokalgruppe
der Jeghuje, eine Teilgruppe der Kukukuku,
die mit etwa 50 000 bis 60 000 Menschen als
„. . . eine der räumlich am weitesten verbrei-
teten . . . Gruppen mit gleichartiger Kultur“
in Neuguinea anzusprechen ist. Die Kukukuku
gehören zur ältesten Bevölkerungsschicht Neu-
guineas. Die kulturelle Ähnlichkeit weit von-
einander entfernter Gruppen (Kleidung,
Schmuck, Flaartracht, Waffen, Hausformen)
sowie gewisse Gemeinsamkeiten im physisch-
anthropologischen und serologischen Erschei-
nungsbild (linguistische Untersuchungen dau-
ern zur Zeit noch an) lassen auf eine erst in
jüngerer Zeit erfolgte Ausbreitung schließen.
Ursprünglich wildbeuterisch wirtschaftend
(Pandanus) führte die Übernahme des ßoden-
baus (Süßkartoffel) durch die Kukukuku zu
einer explosiven Bevölkerungszunahme. Zu
Beginn des 19. Jahrhunderts begann der Druck
auf Nachbargruppen. Vor etwa 100 Jahren
spalteten sich die Jeghuje von einer größeren
Dialektgruppe ab und zogen nach Norden, wo
sie in weitere Lokalgruppen zerfielen. Dieser
Prozeß der Abdrängung nach Norden hielt
bis in die neueste Zeit an, 1951 wurde der
letzte Überfall In diesem Rahmen registriert.
Nach der Befriedung durch die Verwaltung
machte sich eine rückläufige Siedlungsbewe-
gung bemerkbar.
Die ständig wandelnden Kontaktsituatio-
nen führten zur Ausbildung einer Kultur,
„die offen für Neues angelegt war“. Der Zu-
stand des Bedrängtseins machte ihnen die
Einflüsse der Verwaltung akzeptabel, wäh-
rend deren langsames Vordringen zugleich das
schrittweise Gewöhnen ermöglicht.
Mit der ersten Hälfte der 50er Jahre setz-
ten die direkten Kontakte mit den Weißen ein.
Die Feldarbeit des Verfassers, 1958, war der
erste sich länger als einen Tag ausdehnende
Aufenhalt eines Europäers bei der Gruppe und
markiert so noch die erste Kontaktperiode.
Neue Einflüsse gelangten jedoch bereits seit
längerer Zeit über die Watut-Bevölkerung zu
den Jeghuje, die sich in der Folgezeit mehr
und mehr zum Watut hin orientierten (Watut-
Evangelisten). Die Watut nahmen ihrerseits
früher eine den Jeghuje vergleichbare Stellung
gegenüber den Wampar ein.
Der Verfasser hatte während seiner beiden
Feldforschungskampagnen (1958/59 und 1965)
neben den Jeghuje (13 Monate) sowohl die
Watutgruppe (2 Monate) als auch die Wampar
am Markham River (3V2 Monate) besucht. So
dem Weg der modernen Einflüsse bis zu ih-
rem vorläufigen Endpunkt, den Jeghuje, fol-
gend, fiel es dem Verfasser wohl nicht allzu
schwer, eigene und fremde Kulturelemente
sowie die relative Wertigkeit der Einflüsse
real zu beurteilen. Der zeitliche Abstand
zwischen beiden Aufenthalten ermöglichte das
bessere Erkennen der Entwicklungstendenzen.
Das gewonnene Material wird in der bereits
klassisch gewordenen Gliederungsform deut-
scher Monographien dargeboten. Gegenüber
den in der anglo-amerikanischen Fachliteratur
verbreiteten Einteilungsprinzipien muten Ka-
pitel über „Nahrungszubereitung und Essen“
oder „Wohnung und Kleidung“ scheinbar we-
niger phantasievoll an. Tatsächlich bietet diese
Gliederung immer noch die beste Möglichkeit
übersichtlicher Stoffanordnung und einer
schnellen Auffindbarkeit der gewünschten In-
formationen.
Die Einleitung bringt die Erörterung vieler
Fragen prinzipieller Bedeutung. Vermerkt
seien hier die Ausführungen über die oft un-
terschätzte Bedeutung des Ethnologen als
Kontaktpartner. Im vorliegenden Falle sind
vor allem die Umorientierung des Anbaus,
Stärkung der Position einzelner Männer sowie
der intertribalen Position der Gruppe und
Buchbesprechungen
221
Veränderungen der Technologie erwähnens-
wert. Daneben werden methodische und tech-
nische Fragen der Feldarbeit erörtert (Zweck-
mäßigkeit eines Dolmetschers, Lebensführung
des Ethnologen, Einbeziehung ins Verwandt-
schaftssystem, Verwendung von Fremdinfor-
manten, Altersschätzung usw.). Mit einer
kurzen Charakteristik der untersuchten Kul-
tur, deren Hauptzüge als „individualistisch“,
„pragmatisch“ und „diesseitig“ gekennzeich-
net werden, Ist zugleich der Problemhinter-
grund der Arbeit angedeutet, wobei betont
wird, daß die Lösung der Frage nach der
kulturhistorischen Stellung der Gruppe nicht
angestrebt wird.
Im Abschnitt über den sozialen Bereich wer-
den zuerst Gruppierungen und Abgrenzungen
geklärt, von der „Kulturgruppe“ der Kuku-
kuku bis herunter zu den Haushalten und
Familien. Die linguistische Einheit der Jeghuje
(„Stamm“) zerfällt In 3 Lokalgruppen unter-
schiedlicher Größe, die sich jeweils auf meh-
rere Weiler verteilen. Grenzen der Lokalgrup-
pen werden durch die Grenzen von Landstük-
ken bestimmter Linien gebildet, wie der Land-
besitz innerhalb einer Lokalgruppe nur bei
bestimmter Linienzugehörigkeit möglich ist.
Diese Linien, als patrilineare Abstammungs-
gruppen gekennzeichnet, sind zugleich die
größten politischen Einheiten innerhalb des
„Stammes“. Ihre Hauptfunktion liegt ein-
heitlich in der Wahrung des Landrechts,
während ihr Umfang sehr schwankend Ist und
von Einzelpersonen bis zu „Sippen“ mit an-
genommenen Vorfahren reicht. Innerhalb der
Lokalgruppen bilden Haushalte die kleinsten
Wirtschaftseinheiten, welche aus Kernfamilien
und polygynen Familien (mit bis zu 4 Ehe-
frauen) bestehen. Anhand detaillierter Bei-
spiele und beigefügter Dorfskizzen wird auf-
gezeigt, „welche Personen bevorzugt gemein-
sam siedeln, und wie das Verhältnis zwischen
Siedlung und Landbesitz ist, . . .“. All diese
Bildungen sind jedoch nicht starr; eingefügte
Beispiele illustrieren, wie wenig schematisch
die Realität ist.
Die anschließende Darstellung des Lebens-
kreises von der Geburt über die Reifestadien
zum Tod bringt bemerkenswerte Einblicke in
die jägerisch-sammlerischen Relikte der Grup-
pe und verdeutlicht zugleich die mannigfalti-
gen Wandlungen, denen gerade dieser soziale
Bereich ausgesetzt ist. Erwähnt sei der nach
der Geburt eines Kindes vom Mann durchzu-
führende Jagdzug, der allein ihm das Recht
der Namensgebung verleiht, oder das bei Erst-
geburten einsetzende Speisetabu einer Setaria-
art für Männer. Dieses Tabu ist bemerkens-
wert, hat doch Setaria (eine Grasart, bei den
Jeghuje nur von Frauen angepflanzt) In der
Diskussion über die in Neuguinea kultivierten
Nahrungspflanzen eine gewisse Rolle gespielt,
wenn auch Bulmer die Annahme einer bedeu-
tenden Nutzung während eines früheren
Sammler- und Jäger-Stadiums ablehnt (vgl.
auch Treide 1967). Exkurse dieser Art werden
jedoch vom Verfasser vermieden. Dadurch
behält die Arbeit wohl ihre Geschlossenheit,
andererseits bleibt es dem Leser überlassen, bei
einer gewissermaßen aus zweiter Hand er-
langten Kenntnis des Materials, seine Schlüsse
zu ziehen. So verleitet die mit der Zeremonie
der Nasendurchbohrung verbundene Errich-
tung eines Stauzaunes, nach dessen Niederrei-
ßen sich das Wasser über die Initianten er-
gießt, zu einem Seitenblick auf ähnliche Prak-
tiken im Innern der Huonhalbinsel. Nach der
Schilderung der Marita-Zeremonie, anschei-
nend dem rituellen Höhepunkt im Leben der
Gruppe, wünscht man sich geradezu eine In-
terpretation.
Im abschließenden Kapitel „Kontakte und
Konflikte“, vermitteln viele Einzelbeispiele
ein plastisches Bild vom Funktionieren dieser
Kultur. Der Leser bleibt so nicht auf summa-
rische Erklärungen angewiesen.
Der zweite Teil der Arbeit ist dem wirt-
schaftlichen Bereich gewidmet. Im Vorder-
grund stehen dabei die mit dem Bodenbau
zusammenhängenden Fragen. Obwohl durch
Erbgang unterschiedlich großer Landbesitz
auftritt und Teile dieses Besitzes zur Nutzung
weitergegeben werden können, gehören die
Erträge allein dem Nutzer. Hin und wieder
werden aus Prestigegründen größere Felder
geschlagen, die dann nicht voll bestellt wer-
den. Das Roden war vorwiegend Einzelarbeit,
erst in neuerer Zeit werden beispielsweise
Felder der neuen Autoritäten (Luluai) oder
für den Anbau von Verkaufsfrüchten (Kaffee)
in Gemeinschaftsarbeit gerodet.
Wichtigste Frucht ist die durch Frauen an-
gebaute Süßkartoffel, deren Name als Syno-
nym für Nahrung steht. Eine ähnliche Erschei-
nung findet man, auf den Yams bezogen, in
Nord-Neuguinea. Bei den Jeghuje ist jedoch
keinerlei Komplex mit dem Hauptnahrungs-
mittel verbunden. Pandanus scheint neben Se-
taria als einzige Pflanze ein gewisses Ritual
nach sich zu ziehen (mehrere Geräte nur für
222
Buchbesprechungen
Pandanus, Frauen dürfen nur getrennt von
Männern essen, zeitweises Tabu für Jungen,
Marita-Zeremonie). Kulturhistorische Überle-
gungen verbieten sich für Fischer auch hier.
Diese Ablehnung wird man wohl respektieren
müssen.
Bemerkenswert ist der Brauch der Jeghuje,
Pflanzen-Unterarten mit den Namen anderer
Gruppen zu belegen. Gut ablesbar werden hier
die Kontakte der Gruppe: die Namen der äl-
teren Arten weisen nach Süden, die der neue-
ren Arten nach Osten und Norden. Diese Er-
scheinung einer Zweigleisigkeit in der Inter-
tribalen Orientierung wird durch zahlreiche
andere Befunde verdeutlicht. So ergänzt man
die altertümlichen Kulturbestandteile (z. B.
Steinköpfe für Keulen, Beilklingen usw.) aus
dem Süden, während die neueren Anregungen
vorwiegend aus dem Nordosten empfangen
werden. Dabei handelt es sich nicht allein um
europäische Einflüsse; viele Elemente der Wa-
tut-Gruppen fließen in die Kultur der Jeghuje
ein und geben Anstoß zu weiteren Verände-
rungen. So steigerte nicht zuletzt der Import
von Töpfen das Bedürfnis nach mehr Wasser.
Als Folge werden die Dörfer von den Bergen
herunter näher zu den Wasserläufen verlegt,
zumal gleichzeitig die Notwendigkeit günsti-
ger Verteidigungslagen entfiel.
Sehr instruktiv sind auch die Ausführungen
über den Wandel der Hausbauformen, der
vom echten zum unechten Pfahlbau, vom
Rundbau zum Rechteckbau geht und kombi-
nierte Übergangsformen zeigt.
Der religiöse Bereich ist durch eine insge-
samt sehr praktische und diesseitige Einstel-
lung gekennzeichnet. Totengeister, mythische
Vorfahren, Kulturbringer und magische Prak-
tiken spielen eine nur geringe Rolle. In voller
Funktion dagegen sind die Mythen (46 Bei-
spiele), die als Belehrungen erzählt und in den
Familien wohl vom Vater auf den Sohn ver-
erbt werden. Sie sind denkbar einfach, fast
episodenhaft. Zyklen werden nicht gebildet.
Geschlechtsverkehr und Feuer werden in ihnen
ausführlicher behandelt; allerdings darf, an-
gesichts gleicher Formen bei den Watut, hier
an jüngere Einflüsse gedacht werden. Kenn-
zeichnend ist, daß bei der Begründung von
Nahrungstabus wohl Tiere, auch Pandanus
und Areca Erwähnung finden, nicht jedoch die
angebauten Nutzpflanzen, „so daß man an-
hand der Mythen gar nicht auf die Idee käme,
es mit einer Feldbauernkultur zu tun zu ha-
ben“.
Zum Abschluß wird der Kulturwandel unter
dem Einfluß der Weißen einer Betrachtung
unterzogen. Der Verfasser unterscheidet drei
Kontakt-Perioden (1. Beginn des indirekten
Kontaktes und Orientierung auf die Watut-
Gruppen, 2. Befriedung des Gebietes und
Intensivierung der indirekten Einwirkungen,
3. direkter Kontakt) und kennzeichnet deren
wesentlichste Auswirkungen. Das Kapitel bietet
eine Zusammenschau der Problematik und
zeigt mehr den äußeren Rahmen, da der Wan-
del in den einzelnen Bereichen der Kultur be-
reits bei den jeweiligen Sachabschnitten aus-
führlich behandelt wurde. Das positive Ver-
halten der Gruppe den neuen Einflüssen ge-
genüber wird aus dem historischen Werdegang
der Jeghuje abgeleitet, wobei die dazu vorge-
tragenen Hypothesen dem Leser etwas über-
raschend kommen, da er nicht durch eine ent-
sprechende Interpretation des Materials dar-
auf vorbereitet wurde.
Ein nach Haushalten geordnetes Personen-
verzeichnis der Gruppe, Bibliographie und
Karten der Verbreitung der Kukukuku-Dia-
lektgruppen, der Jeghuje-Lokalgruppen, des
Landbesitzes der Linien und der Einflußwege
und räumlichen Veränderungen vervollstän-
digen die Arbeit. Gern vorgefunden hätte man
an dieser Stelle ein Register, welches das in-
folge der häufigen Verwendung einheimischer
Begriffe notwendige Nachschlagen wesentlich
herabgemindert hätte.
Alles in allem ein sehr bereicherndes Buch.
Von der Qualität und Exaktheit des Materials
und seiner Darstellung sollen auch die vorge-
brachten Einwände nichts abtragen. Angenehm
berührt die Art und Weise, in welcher es der
Verfasser vermeidet, die Jeghuje zu Objekten
einer kühlen Betrachtung werden zu lassen.
Das Einstreuen vieler Einzelschicksalc, Auslas-
sungen über charakterliche Eigenarten, Men-
talitäts- und ßegabungsunterschiede vermit-
teln ein anschauliches Bild der Menschen und
ihrer Weise zu leben. Oft tritt der Verfasser
dabei in eine bloße Vermittlerrolle zurück.
In enger Verbindung mit dem jeweiligen
kulturellen Zusammenhang findet man die
Behandlung der materiellen Kulturbestand-
teile, die zudem durch sehr gute Zeichnungen
des Autors dokumentiert werden.
Das Buch darf als gutes Beispiel dafür gel-
ten, wie eine moderne Fragestellung mit maxi-
maler Information über eine bislang unbe-
kannt gebliebene Gruppe verbunden werden
kann. Ein Gesichtspunkt, der leider zu häufig
Buchbesprechungen
223
unbeachtet gelassen wird. So betrachtet ge-
winnt die Arbeit Standardcharakter und
dürfte auch den nicht mit Neuguinea befaßten
Ethnologen zu empfehlen sein, zumal Studie-
renden, die daraus viel für die Anlage und
Darlegung von Problemen entnehmen können.
Die dem Buch vom Verlag mitgegebene
schöne und sorgfältige Ausstattung entspricht
durchaus der Qualität des Inhalts.
Frank Tiesler
ROY A. RAPPAPORT:
Pigs for the Ancestors. Ritual in the Ecology
of a New Guinea People. New Haven &
London: Yale University Press. 1967.
XX + 311 S., 19 Abb., 1 Karte. Preis: ge-
bunden US $ 9.75; broschiert US $ 2.95.
Das erste Wort im Haupttitel deutet schon
an, daß auch hier den Schweinen, wie übrigens
bei allen Hochlandstämmen Zentral-Neu-
guineas, eine dominierende Rolle im mensch-
lichen Gemeinschaftsleben zugewiesen ist.
Wenn aber darüber hinaus der Titel eine vor-
wiegend religionswissenschaftliche Studie ver-
muten läßt, so belehrt der Untertitel bald eines
besseren. Es handelt sich nämlich wesentlich um
eine ökologische Untersuchung (Ecology, Wech-
selbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt,
im Sinne der amerikanischen Forscher; vgl. da-
zu etwa die kurze grundlegende Studie von
Marshall D. Sahlins, Culture and Environ-
ment: The Study of Cultural Ecology. In: Sol
Tax, Horizons in Anthropology, Chicago
1964; Nachdruck in: R. A. Manners and D.
Kaplan, Theory in Anthropology, Chicago
1968, pp. 367—373).
Die Materialien zu dieser Studie sammelte
der Verfasser in einer ISmonatigen Feldfor-
schung 1962/63 bei den Tsembaga. Die Tsem-
baga bilden eine — ethnisch und wirtschaft-
lich eine Einheit darstellende — Lokalgruppe
der Maring-sprechenden Eingeborenen (Ma-
dang-Distrikt) an der Nordflanke des Bis-
marckgebirges, näherhin am Oberlauf des Sim-
bai River, der in den Ramu mündet (vgl. die
Karte auf den pp. 10/11 und die Übersichts-
karte im Anthropos 53, 1958, p. 502). Es han-
delt sich um typische „Gartenbauern“, deren
Kopfzahl damals etwa 250—300 Individuen
umfaßte. Die geringe Körpergröße von durch-
schnittlich 150 cm veranlaßte Gusinde, sie zu
den eigentlichen „Pygmäen“ zu rechnen
(Anthropos 53, 1958, pp. 497 ff.).
Zum Verständnis der Studie muß man be-
achten, daß der Verfasser das Termwort „Ri-
tual“ in einem spezifischen Sinne gebraucht.
„Ritual will be regarded here as a mechanism,
or set of mechanisms, that reguläres some of
the relationships of the Tsembaga with com-
ponents of their environment“ (p. 4).
Weit davon entfernt, uns nur eine beschrei-
bende Ethnographie der Tsembaga zu bieten,
legt Rappaport vielmehr seine beobachteten
und erfragten Daten in einer wissenschaft-
lichen Bearbeitung vor, zu der er auch theore-
tische und sachliche Angaben anderer Autoren
heranzieht. Ich vermisse aber die Notizen der
beiden Patrol Officers J. J. Jordan und J. W.
Worcester, die 1952 bzw. 1953 als erste das
Simbai-Tal besuchten. Schon Gusinde brachte
längere Abschnitte aus deren Berichten (Martin
Gusinde, Die Ayom-Pygmäen auf Neu-Guinea.
In: Anthropos 53, 1958, pp. 517 ff.).
Nach einem „Vorwort“ von Andrew P.
Vayda und der üblichen Danksagung des Ver-
fassers bringt das 1. Kap. allgemein theoreti-
sche Erörterungen über Ritual und Ökologie
(1—7). Die Ethnographie (Wohnort, Sprache,
Wirtschaft, Ergologie, Soziologie, politische
Struktur usw.) ist im 2. Kap. untergebracht
(8—31). Das 3. Kap. (32—98) bespricht die
reziproken Beziehungen zur Umwelt (Klima,
Boden, Fauna, Gartenbau, Baumpflege, Haus-
tiere, Jagd, Nahrung, Bodenfruchtbarkeit
u. ä.). Das 4. Kap. (99—152) berichtet über die
Wechselbindungen mit andern Volksgruppen
(Lokalgruppen, Freunde, Handelspartner,
Feinde, Kämpfe, Kriege, Friede u. ä.). Das
5. Kap. (153—223) wendet sich dem großen
Ritual-Zyklus des Volkes zu, der zwar von
den Ahnen eingesetzt wurde, aber praktisch
für das Wirtschaftsleben größte ökologische
Bedeutung hat (z. B. Tabu-Zeiten für Tiere
und Nahrungspflanzen) und in dem großen
Friedens- und Schweinefest (kaiko) Krönung
und Abschluß findet. Im 6. (Schluß-) Kap.
(224—242) will der Verfasser weniger in einer
Zusammenschau die Ergebnisse vorführen, als
vielmehr durch weitere Perspektiven das Er-
trägnis noch tiefer durchleuchten und der in-
tensiven Forschung empfehlen. Die sich nun
anreihenden 10 Appendizes sind gefüllt mit
Zahlenangaben, Statistiken und Berechnungen
über Regenfälle, Bodenbeschaffenheit, Vege-
tation im Primär-Urwald usw.
Anlage und Ziel des Buches bringen es mit
sich, daß öfters bei einem entsprechenden
Stichwort längere Ausführungen zu Sonder-
themen eingefügt werden mußten. Das macht
das Buch für einen Nicht-Spezialisten ziem-
224
Buchbesprechungen
lieh unübersichtlich. Doch der dankenswerter-
weise beigefügte Sachindex kann diese Un-
ebenheiten in gewissem Sinne glätten. Um ein
paar Beispiele zu nennen: Bedeutung des
Schweines (58—71 usw.), Waffen und Kriege
(109 ff.), Geisterwelt (38 ff.), Heirat (101 ff.),
Handel (105 ff.) usw.
Besondere Erwähnung verdient noch die
Tatsache, daß die im Boden gefundenen „prä-
historischen“ Steine („in fact stone mortars
and pestles made by a vanished and unremem-
bered people“, p. 125) im heutigen Kriegs- und
Friedensritual eine bedeutende Rolle spielen.
Die Erklärung dafür wird man wohl bei der
in den Steinen aufgespeicherten „magischen
Kraft“ zu suchen haben. Oder brechen da viel-
leicht alte verschüttete Reminiszenzen an krie-
gerische Ereignisse bei der Landnahme auf?
Alles in allem: Wir begrüßen dieses wert-
volle Buch. Es hat uns Ozeanisten beim Stu-
dium der Zentral-Neuguinea-Stämme um
einen guten Schritt vorangebracht.
Georg Höltker
RICHARD G. CAMPBELL:
Zur Typologie der Schalenlanghalslaute.
(= Collection d’Etudes Musicologiques /
Sammlung musikwissenschaftlicher Abhand-
lungen Bd. 47). Strasbourg u. Baden-Baden:
Verlag Heitz GmbH. 138 S. Text u. 13 Sei-
ten Tabelle, 81 Abbildungen (Photos und
Zeichnungen). Preis: DM 28.—.
Mit Hans Fischers „Schallgeräte in Ozea-
nien“ (Bd. 36 der gleichen Reihe) die beste in-
strumentenkundliche Arbeit der Nachkriegs-
zeit auf musikethnologischem Gebiete. Die
Arbeit entstand als Dissertation am musik-
wissenschaftlichen Institut der Freien Univer-
sität Berlin. Sie beschäftigt sich mit der asia-
tischen, auch in Ost- und Südosteuropa be-
kannten Langhalslaute, wie sie uns im türki-
schen Saz, im zentralasiatischen Tanbur, Im
kaukasischen und persischen Tar, in Panduri,
Komuz, Rubab und verwandten Instrumenten
entgegentritt. Als Grundlagenmaterial dienten
Campbell Instrumente aus einer großen Zahl
europäischer Museen, dazu alte und neue Lite-
ratur, archäologische Belege (Darstellungen in
altorientalischer Kunst) sowie eine umfang-
reiche Korrespondenz mit Fachleuten im an-
deren Teile Deutschlands, in Israel, der So-
wjetunion, Rumänien usw., was bezeugt, daß
der Autor keine Mühen scheute, so viel Infor-
mation wie möglich zusammenzutragen und
alle nur denkbaren Quellen auszuschöpfen. Wie
der Titel besagt, handelt es sich in erster Linie
um eine deskriptive Arbeit über die Typologie
der Schalenlanghalslaute, und diese behandelt
der Autor in minutiösen Einzelheiten und mit
einer Menge Illustrationen. Die geographische
Verbreitung des Instruments in Asien und Eu-
ropa wird beschrieben und durch eine Karte
verdeutlicht. Weiterhin werden aber auch die
verschiedenen Saitenstimmungen und Spiel-
techniken des Instruments geschildert. Auf
einer Vergleichstafel von 13 Seiten verzeichnet
Campbell die technischen Einzelheiten aller
von ihm untersuchten Instrumente. Campbells
und Fischers Arbeiten sind für den Ethnologen
und Museumsmann genau so wichtige Hand-
bücher wie für den Musikethnologen. Es wäre
zu wünschen, daß nun auch auf der Grundlage
von Ankermanns Arbeit aus dem „Ethnologi-
schen Notizblatt“ von 1901 einmal eine neue
Instrumentenkunde Afrikas unter Einschluß
alles inzwischen Bekanntgewordenen und Ge-
sammelten geschaffen würde. Noch immer be-
darf es ja dringend der Schaffung derartiger
musikethnologischer Handbücher.
Wolfgang Laade
DENNIS DUERDEN:
African Art. (The Colour Library of Art).
Feltham (Middlesex): Paul Hamlyn. 1968.
40 5. mit 9 schwarz-weißen Abb. im Text,
51 Farbabb. auf Tafeln. Preis: s. 17!6.
Dieses Buch wendet sich, wie die meisten
Bildbände über außereuropäische Kunst, in
erster Linie an den interessierten Laien. Ent-
sprechend bietet die Einleitung dem Fachmann
nur wenig Neues: einige Zitate aus Werken
zeitgenössischer afrikanischer Schriftsteller
sowie einen kurzen Abschnitt über „African
art today“. Wir können dem Verfasser jedoch
bescheinigen, daß seine Einleitung das breite
Publikum fraglos mit den wichtigsten Proble-
men bekanntmacht, die mit afrikanischer
Kunst verbunden sind. Daß die Karte (S. 31)
auf der ethnographischen Einteilung Murdocks
basiert, erscheint dem Rezensenten als keine
sehr glückliche Lösung, aber darüber kann man
streiten.
Zur Bildauswahl. Im Textteil werden ab-
gebildet: zwei Beispiele für ornamental ausge-
staltete Gefäße, ein Satz Schnitzwerkzeuge,
drei Beispiele traditioneller Kunst, zwei Bei-
spiele traditioneller Architektur und eine mo-
derne Plastik. Bei den Beispielen traditioneller
Buchbesprechungen
225
Kunst — im Text- wie im Tafelteil — ist der
Anteil bereits aus anderen Veröffentlichungen
bekannter Werke mit 17 von 33 recht hoch.
Es läßt sich wohl nie ganz vermeiden, daß
einzelne, besonders wichtige Stücke immer wie-
der veröffentlicht werden, trotzdem bleibt die
wiederholt erhobene Forderung bestehen, mög-
lichst viele wenig oder unbekannte Arbeiten zu
veröffentlichen. Der Tafelteil ist durch die
Wiedergabe von Maskierten aus dem Grasland
von Kamerun sowie von Kultszenen aus Ni-
geria aufgelockert. Ferner werden einzelne
Abbildungen wiederum dem Ornament und
der Architektur gewidmet. Schließlich sind
sechs Malereien und zwei Metallarbeiten mo-
derner afrikanischer Künstler reproduziert.
Die graphische Gestaltung des preiswerten
Buches ist geschmackvoll, die Farben der Ab-
bildungen erscheinen zuverlässig.
Jürgen Zwernemann
Anschriften der Mitarbeiter dieses Bandes
Prof. Dr. T. S. Barthel, Völkerkundliches Institut der Universität, 74 Tübingen, Schloß.
Dz. Cudjoe, M. A., c/o Mr. E. F. Cudjoe, P. O. Box 420, Accra, Ghana.
Dr. A. M. Dauer, Institut für den wissenschaftlichen Film, 34 Göttingen, Nonnen-
stieg 72.
Dr. E. Fischer, South Asia Institute, Max Mueller Bhavan, Block E, Connaught Place,
New Delhi 1, Indien.
Dr. H.-J. Greschat, Seminar für Religionsgeschichte, 355 Marburg/Fahn, Fahntor 3.
Prof. Dr. E. Haberland, Frobenius-Institut, 6 Frankfurt/Main 1, Fiebigstr. 41.
Dr. W. Haberland, Museum für Völkerkunde, 2 Hamburg 13, Binderstraße 14.
Dr. K. Hahn-Hissink, Museum für Völkerkunde, 6 Frankfurt/Main 1, Fiebigstr. 41.
G. W. Hartwig, 127 Campus View, Bloomington, Indiana 47401, USA.
Dr. B. Heintze, 3 Hannover, Adickestr. 9.
B. Hennen-Benzing, Johannes-Gutenberg-Universität, Institut für Völkerkunde,
65 Mainz, Saarstr. 21.
Prof. Dr. W. Hirschberg, Institut für Völkerkunde, A-1010 Wien, Universitätsstr. 7.
Prof. Dr. G. Höltker, Anthropos-Institut, 5205 St. Augustin (über Siegburg).
R. Jestel, Seminar für Völkerkunde, 2 Hamburg 13, Rotenbaumchaussee 64.
Prof. Dr. K. Jettmar, Südasien-Institut der Universität, Seminar für Ethnologie,
69 Heidelberg 1, Rohrbacher Str. 12.
Prof. Dr. H. E. Kauffmann, 8 München 81, Titurelstr. 2/10.
Dr. M. Kellermann, 74 Tübingen, Hasenbühlsteige 21.
Hauptkonservator a. D. Dr. A. Kleinschmidt, c/o Staad. Museum für Naturkunde
7 Stuttgart 1, Schloß Rosenstein.
A. Klingshirn, M. A., Seminar für Religionsgeschichte, 355 Marburg/Fahn, Fahntor 3.
227
M. Korfmann, Seminar für Vor- und Frühgeschichte, 6 Frankfurt/Main 1, Merton-
str. 17.
Dr. F. Kußmaul, Linden-Museum für Völkerkunde, 7 Stuttgart 1, Flegelplatz 1.
Dr. W. Laade, 6901 Dossenheim, Forscher Weg 6.
Dozent Dr. W. Findig, Seminar für Völkerkunde, 6 Frankfurt/Main 1, Liebigstr. 41.
Dr. L. G. Löffler, Südasien-Institut der Universität, Seminar für Ethnologie, 69 Heidel-
berg 1, Rohrbacher Str. 12.
Dr. W. Marschall, Völkerkundliches Institut der Universität, 74 Tübingen, Schloß.
Oberstudienrat W. D. Meyer, 7 Stuttgart-Möhringen, Dornröschenweg 45.
Dr. Hanns J. Prem, Institut für Völkerkunde, 8 München 22, Museumsinsel 1.
Dr. J. W. Raum, M. A., Institut für Völkerkunde, 8 München 22, Museumsinsel 1.
Dir. Dr. H. Rhotert, Linden-Museum für Völkerkunde, 7 Stuttgart 1, Hegelplatz 1.
Dr. I. Rothermund, c/o Südasien-Institut der Universität, Historische Abteilung,
69 Heidelberg 1, Rohrbacher Str. 12.
Dr. L. Schomerus-Gernböck, Ampanihy-Ouest, Madagaskar.
Prof. Dr. E. Schüz, Staatl. Museum für Naturkunde, 7 Stuttgart 1, Schloß Rosenstein.
Dr. A. Schweeger-Hefel, Museum für Völkerkunde, Neue Hofburg, A-1014 Wien.
Dozent Dr. B. Spranz, Museum für Völkerkunde, 78 Freiburg, Adelhauser Str. 33.
Dr. W. Stöhr, Rautenstrauch-Joest-Museum, 5 Köln, Ubierring 45.
Dipl. ethn. F. Tiesler, Staatl. Museum für Völkerkunde, X-806 Dresden, Japanisches
Palais.
Pfarrer Dr. R. Walz, 6 Frankfurt/Main 1, Grillparzerstr. 50.
R. Weeber, 7 Stuttgart 1, Stafflenbergstr. 38.
Dozent Dr. J. Zwernemann, Linden-Museum für Völkerkunde, 7 Stuttgart 1, Hegel-
platz 1.
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