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Buchbesprechungen
Eine grundsätzliche Dualität des Univer
sums offenbart sich in zwei Gegensatzpaaren.
Das eine, der unbebaute Boden (maskulin),
dem auch die wilden Säugetiere entsprechen,
und das Wasser der Flüsse (feminin), das
gleichbedeutend mit den Fischen ist, gilt ins
gesamt als männlich. Das andere, der Wind
bzw. die Vögel (maskulin) und das Herdfeuer
bzw. das eßbare Korn (feminin), verkörpert
demgegenüber das weibliche Prinzip. Es ist, auf
einen Nenner gebracht, ein „komplementärer
Gegensatz“, der die gesamte Weltordnung der
Kotoko bestimmt und in der gelebten Wirk
lichkeit einen entsprechenden Ausdruck findet.
So gelten beispielsweise die Fischer den Jägern
als das gegensätzliche und gleichzeitig ergän
zende Ordnungsprinzip.
Das binäre System hat nicht nur weitrei
chende Konsequenzen für die sozio-politische
Organisation bis hin zu der Besetzung der
höchsten Ränge, sondern auch eine historische
Dimension im Hinblick auf die Siedlungen,
deren Gründung entweder der Alage- oder
der Halaka-Fraktion zugeschrieben wird. In
diesem Zusammenhang sind die Schöpfungs
mythen zu nennen, die diese kulturellen Gege
benheiten weitgehend begründen. Bei der Zeit
rechnung hat neben einem älteren Einteilungs
system ein jüngeres, vom Islam übermitteltes
an Boden gewonnen, und dies ist erstaunlicher
weise das einzige Mal, wo in den „Studien“
konkret von muslimischen Einflüssen die Rede
ist. Ein Zweifel, ob wirklich nicht mehr Be
reiche der aufgezeigten Vorstellungsgehalte und
Praktiken bei dem seit dreihundert Jahren
islamisierten Volk der Kotoko von der musli
mischen Weltreligion intensiver geprägt und
umgestaltet wurden, soll zumindest angemerkt
werden.
Eine gewichtigere Fragestellung, die sich
gerade bei der Befassung mit so komplexen
Kulturzusammenhängen, wie es hier der Fall
ist, aufdrängt, ist die nach der ethnographi
schen Objektivität, der ja bekanntlich kultur
spezifische Projektionen und Stereotypen hin
dernd im Wege stehen. Während die moderne
Generation von Ethnologen in Frankreich sich
in ihren Feldforschungsprogrammen einer So
zialanthropologie zugewandt hat, die von
einem betont empirischen Ansatz ausgeht, wird
bei Lebeuf durch den Interessenschwerpunkt
auf Symbolismus und Weltbildkonstruktionen
die Orientierung zu der älteren französischen
Ethnologie unverkennbar. Mit dieser Feststel
lung ist zunächst an sich noch kein Werturteil
verbunden. Gegen M. Griaule und seine
Schule wird jedoch immer häufiger der Vor
wurf erhoben, daß diese Leute „mehr als Do-
gon dachten als die Dogon selbst“ (um das
Beispiel par excellence der von dieser Gruppe
untersuchten Ethnie zu nennen). Auch hier
drängt sich der Verdacht auf, daß Teilbereiche
der sich so harmonisch darbietenden Weltord
nung überinterpretiert sein könnten und durch
den europäischen Intellektualismus des Verfas
sers in vorgegebene Schablonen hineingepreßt
wurden. Ist dem Durchschnitts-Kotoko selbst
all das über ihn Gesagte auch nur annähernd
einsichtig? Eine bei solchen Arbeiten zu stel
lende Schlüsselfrage lautet: Wie weit war der
Autor mit der indigenen Sprache vertraut,
oder auf welche Weise kamen die Überset
zungen zustande? Die Übersetzung selbst im
pliziert ja schon eine gewisse Interpretation.
Der Studie förderlich war zweifellos die
Tatsache, daß sich Lebeuf als langjähriger
Leiter des Laboratoire d’ethnologie et d’archeo-
logie tdhadiennes et camerounaises auf eine
Institution und einen Mitarbeiterstab stützen
konnte, für die es in der deutschen Afrika
nistik bisher nichts Vergleichbares gibt. Mög
lich wurde sie in ihrer sicherlich mit vielen
Fragezeichen zu versehenden Ausführung nur
durch die enge interdisziplinäre Zusammen
arbeit mit Spezialisten anderer Fachgebiete,
vor allem Zoologen und Botanikern, die durch
die Identifizierung der Tiere und Pflanzen eine
Grundvoraussetzung für die ethnologische
Analyse schufen. Ulrich Braukämper
Cynthia Salvadori/Andrew Fedders:
Maasai. London: Collins. 1974. 112 S.,
101 Abb.
Das zu besprechende Werk scheint zunächst
einmal in die Reihe der seit Moritz Merker
die Massai (Maasai) als edle Wilde glorifizie
renden Publikationen zu gehören. Das wird
auch in der Einleitung deutlich ausgesprochen:
„This book expresses our personal admiration
for one of these peoples, the pastoral and
scmi-nomadic Maasai.“ (Vorher sind in der
Reihe der bewundernswerten Völker Beduinen,
Tuareg und Somali aufgeführt.) Solche Be
wunderung für und Liebe zu einem Volk
macht häufig blind. Das ist bei diesem Auto
renteam nicht der Fall; im Gegenteil, hier ist
das, was sich im Leben eines Volkes und seiner
Individuen überhaupt in Bildern darstellen
läßt, liebevoll — wenn auch nicht immer
technisch perfekt — mit der Kamera aufge